401 110 6MB
German Pages 1096 [1100] Year 2021
Gt 08120 / p. 3 / 9.11.2021
KOMPENDIUM der frühchristlichen Wundererzählungen Band 1 Die Wunder Jesu Herausgegeben von Ruben Zimmermann in Zusammenarbeit mit Detlev Dormeyer Judith Hartenstein Christian Münch Enno Edzard Popkes Uta Poplutz Redaktion: Susanne Luther und Jörg Röder
Gütersloher Verlagshaus
Gt 08120 / p. 1 / 9.11.2021
Gt 08120 / p. 2 / 9.11.2021
KOMPENDIUM der frühchristlichen Wundererzählungen Herausgegeben von Ruben Zimmermann in Zusammenarbeit mit Istvan Czachesz Detlev Dormeyer Judith Hartenstein Bernd Kollmann Annette Merz Christian Münch Tobias Nicklas Enno Edzard Popkes Uta Poplutz
Gt 08120 / p. 4 / 9.11.2021
2. Auflage, 2021 Copyright © 2013 Gütersloher Verlagshaus, Gütersloh, in der Penguin Random House Verlagsgruppe GmbH, Neumarkter Str. 28, 81673 München Sollte diese Publikation Links auf Webseiten Dritter enthalten, so übernehmen wir für deren Inhalte keine Haftung, da wir uns diese nicht zu eigen machen, sondern lediglich auf deren Stand zum Zeitpunkt der Erstveröffentlichung verweisen. Der Inhalt dieses E-Books ist urheberrechtlich geschützt und enthält technische Sicherungsmaßnahmen gegen unbefugte Nutzung. Die Entfernung dieser Sicherung sowie die Nutzung durch unbefugte Verarbeitung, Vervielfältigung, Verbreitung oder öffentliche Zugänglichmachung, insbesondere in elektronischer Form, ist untersagt und kann straf- und zivilrechtliche Sanktionen nach sich ziehen. Wir haben uns bemüht, alle Rechteinhaber an den aufgeführten Zitaten ausfindig zu machen, verlagsüblich zu nennen und zu honorieren. Sollte uns dies im Einzelfall nicht gelungen sein, bitten wir um Nachricht durch den Rechteinhaber. Satz: SatzWeise, Bad Wünnenberg ISBN 978-3-641-31081-3 www.gtvh.de
Inhalt Wundert euch wieder … . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
1
Frühchristliche Wundererzählungen – eine Hinführung . . . . . . . . . . . . . . . Ruben Zimmermann
5
Prolog: Wunder sind ›in‹ … oder: Die bleibende Faszination des Wunders . . . . .
5
1. Grundfragen zu den frühchristlichen Wundererzählungen . . . . . . . . . . . 1.1 Forschungsgeschichtliches: Zum Umgang mit dem Wundersamen . . . . 1.1.1 Forschungsrückblicke: Versuche, das Wundersame zu erklären . . . . . 1.1.2 Ein Neuansatz: »Man darf sich wieder wundern« . . . . . . . . . . . 1.2 Literaturwissenschaftliches: Die Sprache und Form des Wunderhaften . . 1.2.1 Wundertermini im Neuen Testament: Eine semantische Orientierung . 1.2.2 Zur Gattung der »Wundererzählung«: Ein literaturwissenschaftlicher Vorschlag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.3 Geschichtliches: Wundergeschichten im Geflecht von Fakten und Fiktionen 1.3.1 Die Geschichte jenseits der Geschichten: Fakten, Erlebnisse, Diskursuniversum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.3.2 Die Geschichte in den Geschichten: Wundergeschichten als Wirklichkeitserzählungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.3.3 Die Geschichte der Geschichten: Traditions-, Überlieferungs- und Wirkungsgeschichte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.4 Hermeneutisches: Verstehen im Erzählen . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.4.1 Verstehen und Missverstehen der Wundererzählungen: Von der Unmöglichkeit einer Wundertheologie . . . . . . . . . . . . 1.4.2 Zur Pragmatik und Funktion der Wundererzählungen: Welchen Sinn hat es, Wunder zu erzählen? . . . . . . . . . . . . . .
7 7 7 12 18 18 22 32 33 36 40 43 43 45
2. Das Kompendium der frühchristlichen Wundererzählungen – eine Leseanleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.1 Weichenstellungen: Die Vorentscheidungen und Begrenzungen 2.2 Gesamtstruktur des Kompendiums: Die Anordnung des Stoffs 2.3 Vielfalt der »Sehepunkte«: Das Auslegungsraster . . . . . . . 2.4 Einladung zum Wundern: Die Deutungshorizonte . . . . . .
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50 50 54 54 60
3. Basisliteratur zu frühchristlichen Wundererzählungen . . . . . 3.1 Monographien und Sammelbände (der letzten 50 Jahre) 3.2 Themenhefte von Zeitschriften . . . . . . . . . . . . . 3.3 Auswahl an Aufsätzen (chronologisch) . . . . . . . . .
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64 64 65 66
Weltbild, Wunder und Geschichtsschreibung mit Vorzeichen und Machttaten Gottes/von Gottheiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Detlev Dormeyer
69
1. Das geozentrische Weltbild und die Existenz von Dämonen
. . . . . . . . . .
69
2. Die Wundergeschichten von Epidauros und das griechische Arztwesen . . . . .
69
. . . .
. . . .
. . . .
V
Inhalt
3. Wundertätigkeit im wissenschaftlichen Denken der Antike . . . . . . . . . . .
71
4. Die Wundergeschichten in der Geschichtsschreibung und im Neuen Testament .
72
5. Göttlicher Mensch oder göttliche Vollmacht? . . . . . . . . . . . . . . . . . .
74
6. Vorzeichen in der antiken Geschichtsschreibung und im Neuen Testament . . .
75
Antikes Medizinwesen und antike Therapieformen . . . . . . . . . . . . . . . . . Enno Edzard Popkes
79
1. Asklepios-Traditionen und Asklepios-Heiligtümer . . . . . . . . . . . . . . . .
79
2. Hippokrates und das Corpus Hippocratikum . . . . . . . . . . . . . . . . . .
82
3. Die Lage von Kranken im Imperium Romanum zur Zeit des frühen Christentums
84
4. Frühchristliche Adaptionen und Auseinandersetzung mit antik-mediterraner Heilkunde . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
85
Krankheitsbilder und soziale Folgen: Blindheit, Lähmung, Aussatz, Taubheit oder Taubstummheit . . . . . . . . . . . . Bernd Kollmann
87
1. Blindheit
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
87
2. Lähmung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
88
3. Aussatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
89
4. Stummheit und Taubstummheit
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
89
5. Religiöse und kultische Implikationen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
90
6. Soziale Folgen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
91
Dämonen – Besessenheit – Austreibungsrituale . . . . . . . . . . . . . . . . . . Uta Poplutz
94
1. Textbefund . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
95
2. Terminologie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
96
3. Dämonenglaube
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
98
4. Austreibungsrituale . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
101
5. Hermeneutische Schlussbemerkung
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
106
Der historische Jesus als Wundertäter im Spektrum antiker Wundertäter . . . . . Annette Merz
108
1. Wundertäter der Antike: ein orientierender Überblick
. . . . . . . . . . . . .
108
2. Wundertäter als historische Personen und literarische Figuren . . . . . . . . .
111
3. Selbstwahrnehmung und Außenwahrnehmungen der Wundertäter
. . . . . .
112
4. Jesus als Exorzist und prophetischer Wundertäter im Vergleich . . . . . . . . .
115
5. Der eschatologische Horizont der Wundertätigkeit Jesu
117
. . . . . . . . . . . .
6. Wunder, Gebet und Glaube: thaumaturgischer Synergismus bei Jesus VI
. . . . .
119
Inhalt
Die Wunder Jesu im Licht von Magie und Schamanismus . . . . . . . . . . . . . Bernd Kollmann
124
1. Wesen und Funktion von Magie in der Antike
. . . . . . . . . . . . . . . . .
124
2. Magie und Schamanismus in der Umwelt Jesu
. . . . . . . . . . . . . . . . .
125
3. Forschungskontroversen um die Betrachtung Jesu als Magier . . . . . . . . . .
130
4. Magische Motive und Praktiken in der Jesusüberlieferung
. . . . . . . . . . .
132
5. Wirkungsgeschichtliche Aspekte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
135
6. Fazit: Jesus als Magier der besonderen Art
. . . . . . . . . . . . . . . . . . .
137
Wundererzählungen heute unterrichten (Didaktik der Wundererzählungen) . . . . Christian Münch
140
1. Wundergeschichten im Religionsunterricht . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
140
2. Die problematische »Sache« der Wundergeschichten
. . . . . . . . . . . . .
141
3. Die Wundergeschichten als Erzählungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
142
4. Die Rezeption der Wundergeschichten durch Schülerinnen und Schüler . . . .
144
5. Die Wundergeschichten als Teil der Bibel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
147
6. Die Wunder als Ereignisse – noch einmal zur »Sache« der Wundergeschichten .
151
7. Methoden
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
153
Über Wundererzählungen heute predigen (Homiletik der Wundererzählungen) . . Wolf-Jürgen Grabner / Hanna Kasparick / Gabriele Metzner
156
1. Wundererzählungen predigen – Lust und Last
156
. . . . . . . . . . . . . . . . .
2. Wundererzählungen predigen – zwischen Rationalisierung und Re-Historisierung 158 3. Wundererzählungen predigen – Um das Kommen des Reiches Gottes bitten . .
159
I. Die Wundererzählungen in der Logienquelle Q Hinführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Enno Edzard Popkes
165
Tabelle: Wunder in der Logienquelle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
171
Heilung per Befehl (Der Hauptmann von Kafarnaum) – Q 7,1.3.6b-9 . . . . . . . . Martin Hüneburg
173
Der umstrittene Exorzist (Jesu Macht über die bösen Geister) – Q 11,14 f.17-22.24-26 Enno Edzard Popkes
183
VII
Inhalt
II. Die Wundererzählungen im Markusevangelium Hinführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Detlev Dormeyer
193
Tabelle: Wunder im Markusevangelium
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
203
Mächtig in Wort und Tat (Exorzismus in Kafarnaum) – Mk 1,21-28 . . . . . . . . . Christian Strecker
205
Fieberfrei auf dem Weg Jesu (Die Heilung der Schwiegermutter des Petrus) – Mk 1,29-31 (Mt 8,14 f.) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Markus Lau
214
Nicht nur rein, auch gesund (Heilung eines Aussätzigen) – Mk 1,40-45 (Mt 8,1-4 / Lk 5,12-16 / P. Köln 255) . . . . . . . . . . . . . . . . . Peter Müller
221
Die Heilung eines Gelähmten und vieler Erstarrter (Die Heilung eines Gelähmten) – Mk 2,1-12 (Mt 9,1-8; EvNik 6) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Paul-Gerhard Klumbies
235
Feiertagsarbeit? (Der Kranke mit der ›verdorrten Hand‹) – Mk 3,1-6 . . . . . . . . Michael Becker
248
Glaube in Seenot (Die Stillung des Sturms) – Mk 4,35-41 . . . . . . . . . . . . . . Hans-Georg Gradl
257
Wessen Medium willst du sein? (Die Heilung des Besessenen von Gerasa) – Mk 5,1-20 (EpAp 5,9 f.) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Martin Ebner
266
Glauben lässt Jesu Wunderkraft heilsam überfließen (Die Tochter des Jaïrus und die blutflüssige Frau) – Mk 5,21-43 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Werner Kahl
278
Brot und Fisch bis zum Abwinken (Die Speisung der Fünftausend) – Mk 6,30-44 (ActJoh 93) Bernd Kollmann
294
Vom Winde verweht (Jesu Erscheinen auf dem See) – Mk 6,45-53 . . . . . . . . . David du Toit Es ist genug für alle da! (Die Heilung der Tochter der Syrophönizierin) – Mk 7,24-30 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Christine Gerber Mit allen Sinnen leben! (Die Heilung eines Taubstummen) – Mk 7,31-37 . . . . . . Nadine Ueberschaer Der Mensch lebt nicht vom Brot allein, es darf noch Fisch dazwischen sein (Die Speisung der Viertausend) – Mk 8,1-10 (Mt 15,32-39) . . . . . . . . . . . Rainer Metzner VIII
304
313 323
332
Inhalt
Sehen und Verstehen (Die zweiphasige Heilung des namenlosen Blinden) – Mk 8,22-26 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Reinhard von Bendemann
341
Vermögen und Vertrauen, Dämonie und Exorzismus (Die Erzählung vom besessenen Jungen) – Mk 9,14-29 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Martin Leutzsch
350
Bedingungslose Nachfolge heilt Blindheit (Die Heilung des blinden Bartimäus bei Jericho) – Mk 10,46-52 (Lk 18,35-43) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Detlev Dormeyer
359
Jesu Hunger nach Erfüllung der Zeit (Die Verfluchung des Feigenbaums) – Mk 11,12-14.20-25 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Rainer Schwindt
371
III. Die Wundererzählungen im Matthäusevangelium Hinführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Christian Münch
379
Tabelle: Wunder im Matthäusevangelium
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
391
Glaube und Fernheilung (Der Hauptmann von Kafarnaum) – Mt 8,5-13 . . . . . . . Dieter T. Roth
393
Schiffbruch im Kleinglauben (Die Stillung des Sturms) – Mt 8,23-27 . . . . . . . . Kristina Dronsch
402
Böses flieht (Die Heilung der Besessenen von Gadara) – Mt 8,28-34 . . . . . . . . Robert Vorholt
409
Auch Frauen sind Wunder wert (Die Heilung der blutflüssigen Frau und die Auferweckung der Tochter eines Synagogenvorstehers) – Mt 9,18-26 (EpAp 5,4-7; EvNik 7) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Christian Eberhart Begegnungen mit dem Davidssohn oder Vertrauen macht sehend (Die Heilung zweier Blinder und eines Stummen) – Mt 9,27-34 . . . . . . . . Dorit Felsch
416
426
. .
436
Jesus sättigt ganz Israel (Die Speisung der Fünftausend) – Mt 14,13-21 . . . . . . . Beate Kowalski
442
Jenseits der Komfortzone (Jesu Erscheinen auf dem See) – Mt 14,22-33 . . . . . . Judith Hartenstein
454
Schau den Menschen an! (Der Kranke mit der ›verdorrten Hand‹) – Mt 12,9-14 Dierk Starnitzke
IX
Inhalt
Das Heil an den Rändern Israels (Die kanaanäische Frau) – Mt 15,21-28 . . . . . . . Uta Poplutz
465
Warum nicht gleich so? (Heilung eines mondsüchtigen Jungen) – Mt 17,14-20(21) (Lk 9,37-43a) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Jutta Leonhardt-Balzer
474
Steuersünder mit Angellizenz (Die Zahlung der Tempelsteuer) – Mt 17,24-27 (EpAp 5,12f.) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Susanne Luther
485
Erhellende Begegnung (Die Heilung von zwei Blinden bei Jericho) – Mt 20,29-34 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Christian Münch
495
Der verdorrte Feigenbaum und das Bittgebet (Die Verfluchung eines Feigenbaums) – Mt 21,18-22 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Annette Weissenrieder
503
IV. Die Wundererzählungen im Lukasevangelium Hinführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Ruben Zimmermann
513
Tabelle: Wunder im Lukasevangelium
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
526
Gewaltige Befreiung vor einem Synagogenpublikum (Exorzismus in Kafarnaum) – Lk 4,33-36 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Loren T. Stuckenbruck
529
Heilende Macht daheim (Die Heilung der Schwiegermutter des Simon Petrus) – Lk 4,38 f. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dominik Mahr
536
Einmal Fischer, immer Fischer? (Der wunderbare Fischfang) – Lk 5,1-11 . . . . . . . Georg Gäbel
543
Hindernisse überwinden (Die Heilung eines Gelähmten) – Lk 5,17-26 . . . . . . . . Hanna Roose
559
Fern – schnell – gut (Der Hauptmann von Kafarnaum) – Lk 7,1-10 Thomas Popp
. . . . . . . . .
565
Auferstanden in Naïn (Auferweckung des Sohnes einer Witwe aus Naïn) – Lk 7,11-17 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Ulrike Metternich
571
Im Stress Wunder wirken (Die Heilung der blutenden Frau und die Auferweckung der Tochter des Jaïrus) – Lk 8,40-56 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Mira Stare
583
X
Inhalt
. . . .
593
Feindliche Übernahme (Jesus und die bösen Geister) – Lk 11,14-23 . . . . . . . . . Christfried Böttrich
603
Die ignoranten Wundertäter (Die Speisung der Fünftausend) – Lk 9,10b-17 Stefan Alkier
Umgekehrter Hexenschuss: Keine Heilung ohne Kontext (Heilung einer gekrümmten Frau am Sabbat) – Lk 13,10-17 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Sandra Hübenthal
615
Der unstillbare Durst nach Heilung (Die Heilung eines Wassersüchtigen am Sabbat) – Lk 14,1-6 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Elritia Le Roux
627
Wandel auf dem Weg des Heils (Die zehn Aussätzigen) – Lk 17,11-19 . . . . . . . . Karl-Heinrich Ostmeyer
638
Ein Schwertstreich für Jesus (Die Heilung des Ohrs des hohepriesterlichen Dieners) – Lk 22,50f. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 650 Eckart David Schmidt
V. Die Wundererzählungen im Johannesevangelium Hinführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Uta Poplutz
659
Tabelle: Wunder im Johannesevangelium . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
668
Wein im Überfluss (Die Hochzeit zu Kana) – Joh 2,1-11 . . . . . . . . . . . . . . . Silke Petersen
669
Vollkommener Glaube heilt vollkommen (Die Heilung des Sohnes des königlichen Beamten) – Joh 4,46-54 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Jan van der Watt
681
»Steh auf!« – Erweckung zum Leben hier und jetzt (Die Heilung eines Gelähmten) – Joh 5,1-18 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 690 Michael Theobald Mehr als ein Prophet und ein Brotkönig (Die Speisung der Fünftausend) – Joh 6,1-15 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Carsten Claußen
705
. . . . . .
716
Sehen oder Nicht-Sehen? (Die Heilung des blind Geborenen) – Joh 9,1-41 . . . . . Jörg Frey
725
Überraschende Wege auf dem See (Der Seewandel Jesu) – Joh 6,16-25 Nicole Chibici-Revneanu
Vorbild im Sterben und Leben (Die Auferweckung des Lazarus) – Joh 11,1-12,11 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Ruben Zimmermann
742
XI
Inhalt
Beim Mahl am Kohlenfeuer trifft man sich wieder (Die Offenbarung beim wunderbaren Fischfang) – Joh 21,1-14 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Michael Labahn
764
VI. Die Wundererzählungen in apokryphen Evangelien Hinführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Judith Hartenstein
781
Tabelle: Wunder in den apokryphen Evangelien
. . . . . . . . . . . . . . . . . .
789
»Schmücke dich, Höhle, denn die Jungfrau kommt, um zu gebären« (Wunderbare Geburt) – Protev 18-20 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Matthias Berghorn
793
Die kooperative Palme (Die Palme, die sich neigt) – PsMt 20f. (Koran Sure 19,23-25) Silke Petersen
799
Interreligiöser Konsens (Götterbilder stürzen) – PsMt 22-24 . . . . . . . . . . . . Angela Standhartinger
805
Ein mächtiges Kopftuch (Die wunderwirkende Windel Jesu) – arabK 11 f. . . . . . . Laila Fascia
825
Spielender Schöpfer (Erschaffung der Spatzen) – KThom 2 (arabK 36.46; Koran Sure 3,49) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dorit Felsch
827
Anhaltende Trockenheit (Die Verfluchung des Sohnes des Annas) – KThom 3 (arabK 46 f.) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Reinhard von Bendemann
832
Erweckung eines verunglückten Spielkameraden (Junge auf dem Dach) – KThom 9 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Kurt Erlemann
843
Heimlicher Wohltäter (Die wunderbare Vermehrung der Saat) – KThom 12 . . . . Christian Münch
847
Nichts ist unmöglich – mit Jesus (Die Streckung des Bretts) – KThom 13 . . . . . . Susanne Luther
852
Ein aufmüpfiger Schüler (Der Knabe Jesus kennt die Buchstaben) – KThom 14 . . . Mathis Christian Holzbach
862
»Werde rein … und sündige nicht mehr!« (Heilung eines Aussätzigen) – P.Egerton 2 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Tobias Nicklas
XII
869
Inhalt
Hilfe zur Selbstständigkeit (Der Kranke mit der ›verdorrten Hand‹ als Maurer) – EvNaz 4 (Hier. comm. in Matt. zu Mt 12,13) . . . . . . . . . . . . . . . . . . Jörg Frey
873
Auferweckung zur Taufe (Auferweckung eines Jünglings) – gehMk Frgm. 1 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Uwe-Karsten Plisch
878
Der Kaiser erweist Jesus die Ehre (Sich neigende Standarten) – EvNik 1,5 f. . . . . . Jörg Röder
883
Wunderbare Befreiung aus dem Grab (Graböffnung und Auferstehung) – EvPetr 9,35-11,45 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Judith Hartenstein
894
Vollständige Liste der Wundererzählungen nach Quellenbereichen
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Die Autorinnen und Autoren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Gesamtverzeichnis der verwendeten Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Abkürzungsverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Stellenregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1005 Sachregister
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Abbildungsnachweis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1083
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Wundert euch wieder … Wunder faszinieren. Wunder polarisieren. Wunder provozieren. Obgleich dem Wunderglauben mit dem Siegeszug von Vernunft und Aufklärung der Untergang vorausgesagt war, scheint selbst in diesem Feld die ›Dialektik der Aufklärung‹ ablesbar: Auch im 21. Jahrhundert erfreut sich das Thema »Wunder« weiter Verbreitung. Die Rede von Wundern, die Deutung von Lebens- und Weltereignissen als Wunder geht dabei weit über die Religion und den christlichen Glauben hinaus. Man kann sogar regelrecht von einem neuen Boom von Wundern, von einer bleibenden Faszination des Wunderhaften in unterschiedlichen Disziplinen sprechen. Zugleich hat sich aber auch die Kritik an Wundern außerhalb und innerhalb der Religion verschärft. Die präzisen Einsichten in Naturgesetzlichkeit oder Krankheitsbilder verwehren mehr denn je, an die mythologische Wunderwelt des Neuen Testaments zu glauben. Leisten die Erzählungen nicht einem naiven und sogar falschen Verständnis des Gottesglaubens Vorschub? Sind »Wunder« nur etwas für leichtgläubige, sensationslustige Menschen? Haben sie vielleicht bestenfalls einen Werbungs- oder Unterhaltungswert, der Aufmerksamkeit erregen will? Braucht man Wunder, um zu glauben – oder verstellen sie nicht vielmehr den Glauben an einen Gott, der sich ganz in Schöpfung und Menschsein samt ihrer Gesetzlichkeiten und Begrenztheiten zu erkennen gibt? Doch fragen wir im engeren Sinn: Wie soll man mit den neutestamentlichen Wundererzählungen heute umgehen? Macht es noch Sinn, von ihnen zu reden? Wie können sie verstanden und ausgelegt werden? Reicht es, sie nur religionsgeschichtlich mit ähnlichen Texten ihrer Umwelt zu vergleichen oder sie literarisch als besondere Erzähltexte zu analysieren? Müsste man in einem postmodern geläuterten Verständnis von Kulturgeschichte nicht die Begrenztheit der eigenen Wirklichkeitsdeutung im Licht dieser Texte erkennen? Könnte man dabei lernen, dass die an anderen Orten und zu anderen Zeiten gepflegten Wunderdiskurse und Wunderpraktiken durchaus Sinn machen und zumindest zunächst einmal wertfrei und tolerant wahrgenommen werden können? Aber was hat eine solche kulturanthropologische Deskription frühchristlicher Texte noch mit mir zu tun? Vollzieht sich hier nicht ein erneuter (und postmodern eigentlich verwehrter) Akt der Distanzierung und Ausflucht vor einer eigenen Stellungnahme und Selbstreflexion, zu der die Texte doch gerade drängen? Wie können glaubende Menschen in diesen Texten gegenwärtige Bedeutung, Sinn und Lebenshilfe finden? Wunder faszinieren … und polarisieren zugleich, ja, sie stellen immer auch die Frage nach Wahrheit, Wahrnehmung und Wahrheitsperspektive. Sie fordern heraus und provozieren. Die in diesem Kompendium vollzogene Beschäftigung mit Wundererzählungen in frühchristlichen Schriften nimmt diese Herausforderung an. Mit dem vorliegenden Band 1 wenden wir uns zunächst den Texten zu, die von Wundern Jesu erzählen (es folgen mit Band 2 »Wunder der Apostel«). Die Sammlung und Kommentierung dieser Wundergeschichten möchte aber keine vorschnelle oder einseitige Antwort auf die genannten Fragen geben. Wir sind der Überzeugung, dass die Texte gerade Herausforderungen darstellen und in einen Prozess des Verstehens hineinführen wollen, der nicht abgekürzt, sondern im Gegenteil intensiviert werden muss. 1
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Schnelle Bekenntnisse wie »das ist ein authentisches Jesuswunder« oder: »dieses Wunder ist historisch unplausibel« wird man deshalb hier vergeblich suchen. Sie würden auch den Reichtum dieser Texte auf historische Faktenwahrheiten oder vollmundige Lippenbekenntnisse reduzieren wollen, was wir bereits aus geschichts- und erkenntnistheoretischer Perspektive ablehnen. Umso mehr aber muss man einer derart naiven Reduktion der Wahrheit dieser Texte aus theologischen Gründen widersprechen. Die Botschaft Jesu und des Neuen Testaments ist mit der Konkretion des Geschichtlichen verwoben, sie kann aber nicht auf Vergangenheit beschränkt werden. Die Wahrheit dieser Texte muss vielmehr irgendwo zwischen ihrer geschichtlichen Verankerung und ihrer bleibenden und auch gegenwärtigen Bedeutsamkeit gesucht werden. Wunder sind Wirklichkeitserzählungen (s. u.). Das »Kompendium der frühchristlichen Wundererzählungen« steht in unmittelbarer Kontinuität zum »Kompendium der Gleichnisse Jesu« (Gütersloh 2007) und teilt viele methodische und hermeneutische Weichenstellungen mit diesem Werk. Ein besonderes Charakteristikum besteht darin, dass die Vielfalt der Texte in mehrfacher Hinsicht in der Kommentierung abgebildet wird: So ist einerseits die Auslegung nicht das Werk eines Einzelnen oder einer kleinen homogenen Gruppe von Autorinnen und Autoren. Stattdessen sind in beiden Bänden mehr als 70 Exegetinnen und Exegeten in den Auslegungen zusammengeführt, die ein breites Spektrum an theologischen Schultraditionen und persönlichen Standpunkten vertreten. Diese Offenheit spiegelt nicht nur den gegenwärtigen Stand der exegetischen Wissenschaft, sie steht auch für die biblische Tradition selbst, die schon in der Mehrfachüberlieferung und Uminterpretation einzelner Texte eine bemerkenswerte Offenheit für Variation und Veränderung besitzt. Andererseits wird auch innerhalb der Einzelauslegung selbst nicht nur eine Position vertreten, sondern es werden bewusst verschiedene Deutungshorizonte nebeneinandergestellt. Auch wenn man sich einer ähnlichen Methodik und Hermeneutik verpflichtet fühlt, auch wenn sowohl historische als auch philologische Aspekte ernst genommen werden, gibt es nicht nur eine einzige Auslegungsmöglichkeit dieser Texte. Um diese Offenheit der Deutung auch bei jedem Einzeltext sichtbar zu machen, haben sich Autorinnen und Autoren die Selbstverpflichtung auferlegt, unterschiedliche – und z. T. sogar sich widersprechende –, aber je für sich plausible Deutungen nebeneinanderzustellen und je für sich stark zu machen. Dies ist für Autorinnen und Autoren ebenso wie für Leserinnen und Leser von exegetischen Werken ungewohnt. In der Regel versucht man, Gegenpositionen abwertend zu erfassen, um die eigene Position als die einzig wahre zu profilieren. Doch wenn Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler die eigene Überzeugung mit der Wahrheit der Texte verwechseln, haben sie bereits die Sinnstiftung der biblischen Texte verfehlt. Nur im gemeinsamen Ringen, nur in der Akzeptanz von Sondermeinungen und kreativen Ideen kann die Wahrheit der biblischen Botschaft Gestalt annehmen. Das Kompendium stellt insofern auch ein Beispiel für eine neue Form exegetischer Diskurskultur dar: Hier ist nicht ein Historiker, nicht eine Philologin oder ein engagierter Interpret, der die Botschaft einseitig vertritt. Vielmehr ist es das gemeinsame Bemühen um Textauslegung, das auch im medial unterstützten (s. http://www.wunderkompen dium.de), langwierigen Revisionsprozess der Kommentare sowie im Dialog der Heraus2
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gebenden sowie Autoren und Autorinnen zum Ausdruck kam und auf den Leser und die Leserin überspringen soll. Vielfalt steht zugleich in der Gefahr der Beliebigkeit. Damit das Werk trotzdem wissenschaftlich verantwortet und als ›Einheit‹ kommunizierbar bleibt, haben sich alle Autorinnen und Autoren zu einer einheitlichen Grundstruktur der Auslegung sowie zu bestimmten methodischen Weichenstellungen verpflichtet, die historisch-traditionsgeschichtliche, sprachlich-narratologische und rezeptionsästhetisch-theologische Aspekte einbezieht. Einen solchen Prozess der kollektiven Exegese zusammenzuhalten erforderte auch den engagierten Einsatz vieler Mitarbeiter(innen): So möchte ich an erster Stelle den Mitherausgebenden danken, die nicht nur die Texte in ihrem jeweiligen Quellenbereich, sondern auch konzeptionelle Entscheidungen mitverantworten. Die unkomplizierte Zusammenarbeit ist eine wohltuende Ermutigung, dass Teamprojekte und kollektive Exegese auch in der Wissenschaft möglich sind. Mein herzlicher Dank gebührt dann auch dem Mainzer Mitarbeiterteam mit Stud. theol. Almuth Peiper, Sophia Schäfer, Charlotte Seiwerth, Miriam Teutsch, Guido Wenzel und vor allem auch meinen wissenschaftlichen Mitarbeitern Dr. Susanne Luther und Jörg Röder, ohne deren außergewöhnliche Einsatzfreude das Projekt nicht hätte zu Ende kommen können. Ebenso möchte ich dem Gütersloher Verlagshaus, insbesondere der Lektorin Tanja Scheifele für ihre souveräne Betreuung danken. Ihre stetige Ermutigung, akribische Fehlersuche und wohltuende Gelassenheit haben das Projekt in allen Phasen der Entstehung auf ›wunderbare‹ Weise vorangebracht. Die Vielfalt der Auslegungen von Wundererzählungen soll vor allem als Einladung begriffen werden: Die Leserin und der Leser dieses Kompendiums sollen herausgefordert werden, ihrerseits nach Bedeutung, nach Wahrheit dieser Texte zu suchen. Je nach Leseinteresse, je nach Interpretationskontext werden sich unterschiedliche Aspekte der Wundererzählungen in den Vordergrund drängen. Wenn das Kompendium hier und da Geburtshilfe leisten kann, damit Sinn in den Texten aufleuchtet, dass das wunderhaft Erzählte Wirklichkeit in Frage stellt, verändert und im Licht Gottes neu erschließt, dann hat es sein Ziel erreicht. Wir hoffen also, dass die Auslegungen der Wundererzählungen immer wieder neu Anlass zum Staunen und Glauben geben können. Wir wünschen, dass die Wundererzählungen weiterhin faszinieren, polarisieren und provozieren. Wundert Euch mit diesen Texten! Am Johannisfest 2012
Ruben Zimmermann und die Mitherausgebenden
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Frühchristliche Wundererzählungen – eine Hinführung Prolog: Wunder sind ›in‹ … oder: Die bleibende Faszination des Wunders »Wunder sind des Glaubens liebstes Kind«, hat Goethe einmal gesagt (Goethe 2009, 766). »Das war einmal …«, möchte man nach dem Läuterungsfeuer des kritischen Denkens und dem Siegeszug der empirischen Naturwissenschaft in der Welterklärung entgegenhalten. Wir müssen heute eher fragen: Darf man im 21. Jh. überhaupt noch von Wundern reden oder gar an Wunder glauben? Schon zu Beginn des 20. Jh. hatte Franz Rosenzweig, die Metapher Goethes aufnehmend, das Wunder nicht nur zu einem »Problemkind« erklärt, sondern ihm zugleich den Untergang vorausgesagt. Ausgerechnet die »vom Vater bestellte Pflegerin, die Theologie«, wird wissen, »was sie mit dem armen Wurm zu tun hat«, nämlich ihm beim Sterben zu helfen (ursprünglich 1921, vgl. Rosenzweig 1976, 103, zum vollen Zitat s. Zimmermann 2011a, 95). Nun haben sich zwar die Theologie und auch die Bibelwissenschaft redlich bemüht, der Aufgabe der aktiven oder passiven Sterbehilfe nachzukommen. Allein: Das Kind ist lebendiger als je zuvor. Ein Blick in die unterschiedlichen Artefakte der Kulturlandschaft zeigt, dass es sogar ein neu erwachtes Interesse an Wundern gibt, dass zumindest der Wunderdiskurs auch in der westlichen Industriegesellschaft regelrecht boomt. Als Gradmesser kann die Präsenz des Wundermotivs in Schlager und Popmusik gelten (dazu Pirner 2006; Kollmann 2011, 230-233). Waren die alten Klassiker von Zarah Leander (»Ich weiß, es wird einmal ein Wunder geschehen«, 1942) und Katja Ebstein (»Wunder gibt es immer wieder«, 1970) noch kaum verklungen, da hat die Sängerin Nena (geb. 1960) im Jahr 1989 ihr erstes Soloalbum veröffentlicht. Es trägt den Titel »Wunder gescheh’n«. Jüngst hat der Rapper JokA (geb. 1985) »Wunder gibt es immer wieder« (2011) mit Bezug zu Katja Ebstein online gestellt, wie auch der sich selbst »King of Rap« nennende Kool Savas (geb. 1975) einen Rapsong mit dem Titel »Ein Wunder« (2012) präsentiert. Auch im englisch-sprachigen Feld ist das Wundermotiv in der Musik häufig vertreten, wie nur einige Beispiele demonstrieren: Als Klassiker mögen hier »All I need is a miracle« (Mike and the Mechanics, 1985) oder der Song »It’s a miracle« von der britischen Rockband Queen genannt werden, der zugleich ihrem 13. Album den Titel »The miracle« (Queen, 1989) leiht. Die amerikanische Rockband »Jefferson Starship – next generation« (seit 1992) reiste mit dem Song »Miracles« (1998) um die Welt, und die kanadische Sängerin Sarah McLachlan (geb. 1968) veröffentlicht 2006 die Single »ordinary mircale«. Die bis dato unbekannte mexikanisch-amerikanische Sängerin Myra (geb. 1986) wurde mit ihrem Song »miracles happen« über Nacht berühmt (One-Hit-Wonder!) und wurde damit sogar für einen American Latino Media Arts Award nominiert. Darin singt sie: »Miracles happen/Miracles happen/You showed me faith is not blind/I don’t need wings to help me fly/Miracles happen/Miracles happen«. Der bekannte, in den USA wirkende afrikanisch-australische Rapper Samson Andah (geb. 1991) trägt sogar den Künstlernamen »Miracle«. Auch wenn nicht selten von einer »Renaissance des Wunderglaubens« (Euler 2008, 5
Frühchristliche Wundererzählungen – eine Hinführung
12; Twelftree 2004, 2517) gesprochen wird, macht doch schon der flüchtige Blick in die Songkultur sichtbar, dass die Rede vom Wunder keineswegs ›neu‹ oder gegenwärtig außergewöhnlich ist, sondern ein kontinuierliches Phänomen der Kulturgeschichte darstellt (s. Signori 2007; Fitschen/Maier 2006; vgl. ferner das Panorama anhand der Wunderbegriffe bei Geppert/Kössler 2011b, 49-68). Nur ein weiteres Beispiel: Die gesamte deutsche Nachkriegsgeschichte kann als Wunderdiskurs betrachtet werden. Dem »Wunder von Bern« (1954) folgte das »Wirtschaftswunder« (1960er), in den 1980er Jahren diskutierte man über »Wunderwaffen«, bevor dann der Mauerfall 1989 als »Das Wunder von Leipzig« (so der Titel des Doku-Dramas von Sebastian Dehnhardt und Matthias Schmidt in Arte, 2009) bezeichnet wurde. Dies ist zumindest eines der Ergebnisse eines Kongresses zum Thema »Wunder«, der am kulturwissenschaftlichen Institut in Essen im Jahr 2010 von Historikern durchgeführt wurde. Hier war aus primär geschichtswissenschaftlicher Perspektive das Reden über »Wunder«, die »Poetik und Politik des Staunens im 20. Jahrhundert« in den Blick genommen worden (vgl. den Untertitel in Geppert/ Kössler 2011a). So bunt und vielfältig der Wunderdiskurs in Geschichte und Gegenwart ist, so bunt und vielfältig ist auch das, was jeweils unter »Wunder« verstanden wird. Im vorliegenden Band geht es um die Wunder Jesu, genauer um die Erzählungen, die von seinen Wundern berichten. Diese Textgebundenheit schränkt den Blick auf das Wunderphänomen und den Wunderdiskurs von vornherein ein. Statt in allgemeine Wunderdefinitionen (Nanko 2000; Olewinski 2009) oder historische (Daston 2003; Signori 2007), philosophische (Corner 2007; vgl. etwa zum »miracle argument« Putnams Carrier 1991), psychologische (Popp-Baier 2007; Ellens 2008) oder religionsgeschichtliche (Woodward 2000; Twelftree 2011b) Debatten einzutreten, soll die Beschäftigung mit Wundern ganz auf die frühchristlichen Wundererzählungen beschränkt werden. Diese literarische Schwerpunktsetzung weicht nicht Fragen der Historizität, der Vernunft oder der Verstehenspraxis aus. Sie stellt sie aber immer vom Text aus und mit klarem Textbezug. Das bringt wesentliche Akzentverschiebungen mit sich: Entsprechend geht es in historischer Hinsicht nicht um die allgemeine Frage, ob Jesus Wunder getan hat, sondern um die Frage, wie in Texten historische Referenzialität, also Vergangenheitsbezug, erzeugt wird. Die Frage nach Widersprüchen zwischen Vernunft und Wunder kehrt in der forschungsgeschichtlichen Frage nach »rationalistischen Auslegungsversuchen« wieder; oder der persönliche Umgang mit Wundern wird auf die hermeneutische Frage nach den Verstehensmöglichkeiten der Wundertexte konzentriert. Auch die Theologie der Wunder Jesu kann nicht in einem abstrakten Begriff oder einer Botschaft ›hinter‹, ›über‹ oder ›jenseits‹ des Textes entdeckt werden, sondern nur in und mit demselben. Die folgende Hinführung setzt zwei Schwerpunkte: Sie benennt im ersten Teil einige Grundprobleme, die sich im Umgang mit den Wundererzählungen stellen (1.). Diese Fragen werden in den nachfolgenden Themenartikeln weiter vertieft. Sie möchte im zweiten Teil eine »Leseanleitung« für das Kompendium geben, indem Grundentscheidungen des vorliegenden Bandes benannt und begründet werden (2.).
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1. Grundfragen zu den frühchristlichen Wundererzählungen 1.1 Forschungsgeschichtliches: Zum Umgang mit dem Wundersamen Die Vorprägungen, Chancen und Begrenzungen der vorliegenden Interpretationen der Wundererzählungen lassen sich vor dem Hintergrund der Geschichte ihrer Auslegung besser wahrnehmen. Wie wurden Wundergeschichten innerhalb exegetischer Forschung gedeutet und erklärt? Was ist demgegenüber neu oder neu profiliert am Ansatz dieses Bandes? Die folgende forschungsgeschichtliche Skizze erhebt keineswegs den Anspruch, einen umfassenden Überblick über die exegetischen Arbeiten zu frühchristlichen Wunderzählungen zu geben (dazu Kollmann 1996, 18-41; Frey 1999; Alkier 2001a, 2-24; Twelftree 2004; Zimmermann 2011a, 95-125; für die frühere Forschung Maier 1986). Sie möchte stattdessen die hermeneutischen Prämissen offenlegen, die der explizite oder meist auch implizite Motor bei den unterschiedlichen Interpretationsansätzen waren.
1.1.1 Forschungsrückblicke: Versuche, das Wundersame zu erklären Mit dem Aufkommen eines neuzeitlichen, naturwissenschaftlich geprägten Weltbildes wurde das in Wundererzählungen des Neuen Testaments Berichtete verschärft als unwahrscheinlich oder unmöglich erachtet. Die empirisch nachweisbaren Naturgesetze, etwa die Gesetze der Gravitation, verbieten es, dass ein Mensch auf dem Wasser geht, ohne einzusinken, um nur ein Beispiel zu nennen. So stellte sich die Frage der Vereinbarkeit von Vernunft und Wundergeschichte. Muss man rationale Überlegungen ausschalten, wenn es um Wundererzählungen geht? Besonders wirkmächtig ist etwa ein Satz Rudolf Bultmanns geworden, der im ersten Drittel des 20. Jh. diese Problematik benennt und sich kritisch positioniert: Man kann nicht elektrisches Licht und Radioapparat benutzen, in Krankheitsfällen moderne medizinische und klinische Mittel in Anspruch nehmen und gleichzeitig an die Geister- und Wunderwelt des Neuen Testaments glauben. Und wer meint, es für seine Person tun zu können, muß sich klar machen, daß er, wenn er das für die Haltung des christlichen Glaubens erklärt, damit die christliche Verkündigung in der Gegenwart unverständlich und unmöglich macht (Bultmann 1948, 18).
In der modernen Wunderdeutung lassen sich von Beginn der Neuzeit bis in die Gegenwart drei Argumentationsmuster erkennen, um diesem Dilemma zu begegnen (dazu auch Alkier 2001a, 23-54): a) Deutung durch »historische Anpassung« Die Wunder Jesu im Neuen Testament sind Ausdruck einer Anpassung an Weltbild, Literatur und Erwartung der Zeitgenossen im 1. Jh.
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Frühchristliche Wundererzählungen – eine Hinführung
Bei Johann Salomo Semler (1725-1791) wurde dieses Deutungsmuster zuerst in einer historischen Weise vorgetragen. Jesus selbst habe sich an die Erwartung seiner Zeitgenossen angepasst. Aber auch die religionsgeschichtliche und später dann formgeschichtliche Wunderdeutung sind im Kern Akkomodationen: So vertrat man z. B. im Zuge religionsgeschichtlichen Vergleichens die Auffassung, die Verwandlung von Wasser zu Wein in Joh 2,1-11 greife ein »typisches Motiv der Dionysos-Legende« (Bultmann 1986, 83) auf; oder die Heilung von Kranken werde im Neuen Testament genau so erzählt, wie die Therapien am Asklepios-Heiligtum in Epidauros (vgl. dazu Popkes, Antikes Medizinwesen in diesem Band). Ein pointiertes Beispiel für eine solche Annäherung ist mit Adolf von Harnack gegeben: Erstlich, wir wissen, daß die Evangelien aus einer Zeit stammen, in welcher Wunder, man darf sagen, fast etwas Alltägliches waren. Man fühlte und sah sich von Wundern umgeben – keineswegs nur in der Sphäre der Religion. (…) Eine Durchbrechung des Naturzusammenhangs kann von niemandem empfunden werden, der noch nicht weiß, was Naturzusammenhang ist. So konnten die Mirakel für jene Zeit gar nicht die Bedeutung haben, die sie für uns hätten, wenn es welche gäbe (Harnack 1999, 69).
Die Faszination an Umfeldtexten hatte zwar zu Zeiten der religionsgeschichtlichen Schule einen besonderen Höhepunkt (vgl. Richard Reitzenstein; Otto Weinreich), zeigt aber eine lange Vorgeschichte, die bis zu Justin reicht (gest. um 165 n. Chr.): »Sagen wir endlich, er habe Lahme, Gichtbrüchige und von Geburt an Sieche gesund gemacht und Tote erweckt, wird das dem gleich gehalten werden können, was von Asklepios erzählt wird« (Justin Apol I 22, Übers. PG 6,362 f.). Auch heute ist der Reiz einer religionsgeschichtlichen Einbettung der Wunder Jesu keineswegs verblasst, wie Arbeiten von Erkki Koskenniemi (1994), Wendy Cotter (1999), John C. Cavadini (1999), Eric Eve (2002) oder Janett Spittler (2012) zeigen. Das historisch orientierte Verstehensbedürfnis vieler Exegeten scheint offenbar damit schon gestillt, dass man entsprechende Phänomene in der Umwelt des Neuen Testaments nachweisen kann. Aber was besagt das für die Wunder Jesu? Sind sie ›nur‹ Abklatsch zeitgenössischer Wunderfrömmigkeit – oder vielleicht auch quantitative oder qualitative Überbietung derselben (so z. B. Preisigke 1980, 246: »Das ist die grobsinnliche, aus heidnischer Zeit in das frühe Christentum hinübergleitende Anschauung«)? Ob bewusst oder unbewusst nimmt man den neutestamentlichen Wundererzählungen doch letztlich das Besondere, das Außergewöhnliche, das Anstößige. Sie werden historisch-kontextuell eingebunden und damit auch eingeebnet. Wird nicht das Handeln Jesu selbst angepasst, so doch die literarische Verarbeitung desselben. Um bei Zeitgenossen Gehör zu finden, hätten sich die neutestamentlichen Autoren des Motivarsenals des antiken Wunderdiskurses bedient oder ihre Erzählungen literarisch an das Muster der bekannten Wundergattungen angepasst. Hierbei wird allerdings übersehen, dass es bereits in der Antike eine ausgeprägte Diskussion über die Glaubwürdigkeit von Wundergeschichten gab, wie sie etwa im Anschluss an Kaiserwunder, der Debatte der Geschichtsschreiber oder schließlich der Auseinandersetzung des Origenes mit Kelsos nachweisbar ist (dazu Plümacher 2004a, 38-44; Herzer 2008, 239-242).
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Grundfragen zu den frühchristlichen Wundererzählungen
b) Deutung durch »rationalistische Erklärung« Die Wunder Jesu können rational erklärt werden, da das heutige Weltbild Analogien und Kontinuitäten zum Weltbild der Antike aufweist und insbesondere ein Widerspruch zwischen Naturgesetzen und geschichtlichen Ereignissen auszuschließen ist. Es waren v. a. Carl Heinrich Venturini (1768-1849) und Heinrich Eberhard Gottlob Paulus (1761-1851), die, Überlegungen von Karl Friedrich Bahrdt (1740-1792) aufnehmend, zu Beginn des 19. Jh. eine solche rationalistische Deutung im größeren Stil vertraten: Was in der Bibel als Wunder erscheint, lässt sich mit heutigem differenzierteren Wissen erklären, ohne eine Durchbrechung der in der Moderne erkannten universellen Naturgesetze annehmen zu müssen. Jesus habe als Arzt mit Reiseapotheke und chirurgischen Instrumenten gewirkt, dem »rohen und ungebildeten« Volk, »dessen ganze Arzeneywissenschaft auf kuemmerliche Behandlung einiger aeußerlicher Krankheiten (…) beschränkt war«, mussten die medizinischen Praktiken Jesu wie ein Wunder vorkommen (zit. nach Kollmann 1996, 19f.). Dass der »geschickte Arzt« Jesus der Jaïrustochter mit einer kräftigen Tinktur die Schläfe bestreicht, der (schein)tote Lazarus in Grabkammern weiteratmet, oder der Gang Jesu über das Wasser als optische Täuschung bzw. Luft-Wasser-Spiegelung erklärt wird, mag uns heute zwar belustigen. Aber dieser rationalistische Erklärungswille ist auch gegenwärtig bei Rezipienten der Wundererzählungen breit vertreten: Die historisierende Frage »Was ist wirklich passiert?« wird dabei zur Frage von Vernunft und zeitübergreifender Wirklichkeitsbeschreibung: »Was kann wirklich passiert sein?« Wie kann ich mir das vorstellen vor dem Hintergrund meiner Kenntnis von Wirklichkeit, meiner eigenen Welterfahrung und der Einsichten der empirischen Naturwissenschaft? Entsprechend neigt auch die spätere und neuere Wunderinterpretation immer wieder dem rationalistischen Muster der Wundererklärung zu. Gerd Theißen etwa erklärt in seinem Jesusroman ›Der Schatten des Galiläers‹, dass das Brotwunder durch ein Teilen der vorhandenen Nahrungsmittel im großen Stil verstanden werden kann: »Wenn die Leute erst einmal glauben, daß genügend Brot für alle da ist, verlieren sie die Angst vor dem Hunger. Dann holen sie die Brotreserven heraus, die sie versteckt hielten, um nicht mit anderen teilen zu müssen. Sie geben von ihrem Brot ab« (Theißen 1993, 168). Ferner ist die pathologisch-medizinische Klassifizierung der Krankheiten diesem Erklärungswillen geschuldet: Vor dem Hintergrund moderner Diagnostik und Terminologie kann man das Anfallsleiden des Jungen (Mk 9,14-29) als »Epilepsie« (Wohlers 1999b) einstufen, man ›weiß‹ jetzt, dass die »verkrümmte Frau« (Lk 13,10-17) unter einer »Skoliose« der Wirbelsäule litt, oder erklärt die »Wassersucht« (Lk 14,1-6) mit dem – hier immerhin aus dem griechischen Terminus abgeleiteten – Krankheitsbild des »Hydrops« oder »Ödems« (vgl. Wolter 2008, 501). Und selbst für das derzeit noch Unerklärliche hat die Schulmedizin den Begriff der »Spontanheilung« geprägt, der auf die neutestamentlichen Texte übertragen werden kann (Lohfink 2011, 210). Besonders deutlich wird dieser rationalistische Zugang bei dem Versuch, dämonische Besessenheit rational erklären zu wollen: Unterschiedliche Erklärungsmuster wie z. B. Hysterie, Manie, Epilepsie (Trunk 1994, 36 zu Mk 9,14-29; Meier 1994, 647) oder etwa »Schizophrenie« bzw. »multiple personality disorder« (Weber 1999, 30; Davies 1995, 86; vgl. Pilch 2000) spiegeln je vorherrschende Konstruktionsmodelle in moderner Psychologie und Psychiatrie. Das im Text genannte, aber für moderne Rezipienten sperrige Phänomen der Dä9
Frühchristliche Wundererzählungen – eine Hinführung
monenbesessenheit soll auf diese Weise mit gegenwärtiger rationaler Theorie und Einsicht kompatibel gemacht werden (vgl. kritisch dazu Strecker 2002, 55). Auch die in der Forschung häufig anzutreffende Trennung und unterschiedliche Bewertung von Heilungs- und Naturwundern ist dieser Rationalisierungstendenz geschuldet, wobei man den vorstellbaren Therapien historische Plausibilität zubilligt, während die unglaublichen Naturwunder dem Reich und der Phantasie der späteren Gemeindebildung zugerechnet werden (vgl. Theißen 1998, 168f.274). Letztere erweitern für das damalige Weltbild die Macht des Auferstandenen über den Kosmos und den Tod (Dormeyer 1993, 170). Schließlich sind neuere Versuche zu nennen, die Heilungen oder Wunder allgemein mit Methoden der Psychosomatik, Parapsychologie, Hirnforschung, ja sogar der Quantenphysik (Tipler 2008; Bartlett 2010) erklären wollen. Dabei sollen Dämonenaustreibungen als Lösungen psychologischer Blockaden, Erscheinungen als Phänomene von Massensuggestion und der Gang Jesu auf dem Wasser mit der Überwindung der Schwerkraft durch den Neutrinostrahl verstanden werden. Das in den frühchristlichen Wundergeschichten Erzählte wird somit z. B. hinsichtlich der Krankheitsbilder terminologisch und klassifikatorisch in das gegenwärtig bestehende Wirklichkeitsmodell eingeordnet. Die damaligen Krankheiten gibt es heute auch noch, einzelne Körper- oder Naturphänomene sind vielleicht außergewöhnlich, aber nicht unerklärbar. Mit einer erweiterten Wissensbasis kann somit die Analogie und letztlich die Einheitlichkeit des Weltbildes erhalten bleiben. c) Deutung durch Übertragung des Bildhaften Die Wundergeschichte ist eine bildhafte Erzählung, die auf etwas anderes hindeutet als sie selbst, sie spielt auf zwei Ebenen: Die vordergründige Handlung ist ›nur‹ Vehikel einer grundlegenden (theologischen) Aussage, die es letztlich zu erkennen gilt. Von Theologen wie Johann Gottfried Eichhorn (1752-1827) und Johann Philipp Gabler (1753-1826) oder dann David Friedrich Strauß (1808-1874) wurde das Paradigma geprägt, dass die Wundergeschichten gerade nicht geschichtlich gedeutet werden dürfen, vielmehr müsse ein tieferer Sinn, die »Idee« des Wunders erkannt werden. Die Wundererzählung wird somit zu einer mythologischen, bildhaften Erzählung, die auf etwas anderes hindeutet als sie selbst. Farbe und Leinwand dürfen nicht mit dem verwechselt werden, was dargestellt werden soll. Es gelte folglich, den eigentlichen Gegenstand der Erzählungen wahrzunehmen. Die existenzialistische Wunderdeutung Bultmanns setzt bei dieser Perspektive einen prägenden Meilenstein. Er kritisiert zunächst das mythologische Gewand, das uns in den Erzählungen oft entgegentritt. Entsprechend formuliert er: Die ›Wunder Jesu‹ (sind), sofern sie Ereignisse der Vergangenheit sind, restlos der Kritik preiszugeben, und es ist mit aller Schärfe zu betonen, daß schlechterdings kein Interesse für den christlichen Glauben besteht, die Möglichkeit oder Wirklichkeit der Wunder Jesu als Ereignisse der Vergangenheit nachzuweisen, daß im Gegenteil dies nur eine Verirrung wäre (Bultmann 1965-66, 227).
Allerdings könne nach der Entmythologisierung der Texte ihr Kerygma, ihre eigentliche Botschaft erkannt werden, die auch gegenwärtig noch zum Glauben ruft. 10
Grundfragen zu den frühchristlichen Wundererzählungen
Für den Bultmannschüler Walter Schmithals spiegelt sich in den Wundererzählungen »gleichnishaft die ganze Botschaft des Evangeliums wider (…). Die neutestamentlichen Wundergeschichten berichten nur scheinbar von merkwürdigen Ereignissen aus dem Leben des irdischen Jesus. In Wahrheit verkündigen sie, was Gott durch Jesus, d. h. durch den gekreuzigten und auferstandenen Herrn der Gemeinde, an dieser Gemeinde und an der Welt tun will« (Schmithals 1970, 25f.). Entsprechend seien auch die Texte auf das verkündigte Wort zu konzentrieren. Heilungshandlungen oder gar magische Beschwörungsformeln (vgl. Mk 7,34; 8,22-26) seien Relikte, die aufgegeben werden müssten. Man glaubte in redaktionsgeschichtlicher Perspektive sogar, innerhalb der Evangelien selbst eine Art »Wunderkritik« wahrnehmen zu können (Kertelge 1970; Koch 1975, dazu Kollmann 2011, 119-129). Für Jens Herzer werden »die Wundertaten von Jesus selbst bereits als Zeichen der anbrechenden Herrschaft Gottes interpretiert« (Herzer 2008, 249, kursiv J. H.). Es geht nach Herzer auch »dem Erzähler des Evangeliums bei den Wundern also nicht um Jesus als Wundertäter, sondern um die in seinem Wirken sichtbar und erfahrbar werdende Nähe der Gottesherrschaft« (ebd.). Auch Gerd Theißen versteht in dem dritten (wenig beachteten) Teil seiner Habilitationsschrift die »Wundergeschichten als symbolische Handlungen« (Theißen 1998, 229-297), die eine soziale, religionsgeschichtliche und zuletzt auch existenzielle Funktion erfüllen. Obgleich mit der Tiefenpsychologie von C. G. Jung bei Eugen Drewermann ein völlig anderer Theoriehintergrund gegeben ist, bleibt auch seine Auslegung hermeneutisch in der Linie bildhafter Interpretation (Drewermann 1990, 43-309, dazu Zimmermann 2011a, 113-117). Der äußere Ablauf des Geschehens einer Wundergeschichte (Objektstufe) müsse auf ein Geschehen der Psyche (Subjektstufe) übertragen werden. Innerhalb einer solchen Amplifikation könne ein Rezipient archetypische Motive und grundlegende urmenschliche Konflikte erkennen und auf sein eigenes Leben übertragen. Die im Text angebotenen Lösungsansätze könnten somit auf dem Weg der Selbstwerdung helfen. Auch hierbei wird zwischen Bildhaft-Symbolischem und Eigentlichem unterschieden: »Das Geschenk der Nähe Gottes ist das eigentliche Wunder unseres Lebens« (Drewermann 1989, 408). Viele Spielarten einer derart symbolischen Wunderdeutung ließen sich hier noch anführen. Für Marius Reiser haben die Erzählungen »etwas Transparentes und Symbolisches an sich, das dem erzählten Geschehen einen weiteren Sinn und eine tiefere Bedeutung verleiht. Ohne die symbolische Dimension wären sie für uns lediglich wunderbare Geschichten aus alter Zeit« (Reiser 2011, 169). Als Zeichenhandlung, in ihrer »symbolischen Natur« hingegen können sie zu »aktuellen Geschichten (werden), die uns etwas zu sagen haben« (ebd.). Wundererzählungen werden dabei in die Nähe von Gleichnissen gerückt (Reiser 2011, 175), wie es auch Manfred Köhnlein vollzieht. Wenn er die Wundergeschichten als »Fenster der Hoffnung mit dem Blick auf und in eine bessere Welt« (Köhnlein 2010, 17) bezeichnet, dann kommt diese Beschreibung seiner Parabeldefinition gleich, die er als »Visionen einer besseren Welt« (Köhnlein 2009) tituliert. Köhnlein schreibt dann auch: »Wunder können Gleichnisse sein und Gleichnisse Wunder« (Köhnlein 2010, 17). Aber wird auf diese Weise die Wundergeschichte nicht in ihrem Eigenwert aufgelöst? Alle Deutungsmuster in dieser Richtung treffen sich in einem Punkt: Die neutestamentliche Wundererzählung wird als bildhafter Text gelesen, der gerade nicht wörtlich 11
Frühchristliche Wundererzählungen – eine Hinführung
im eigentlichen Sinne des Erzählten, sondern nur entmythologisiert, übertragen, amplifiziert oder gleichnishaft zu verstehen sei. Fazit: So unterschiedlich diese Deutungsmuster auch sind, sie treffen sich in einem entscheidenden Punkt: Sie teilen jeweils das Interesse, die Wunder erklärbar zu machen. Aber werden diese Ansätze den Texten selbst gerecht? Erkaufen sie dieses Ziel nicht mit der Preisgabe der Wundererzählung selbst? Entspricht es der intentio operis einer Wundererzählung zu sagen: »Damals hat doch jeder geglaubt, dass man über das Wasser gehen kann. Dass Tote wieder herumlaufen oder Blinde plötzlich sehen, war da ganz normal« (akkomodierend); oder: »Und übrigens: Was ihr ja schon längst von Asklepios gehört habt, das konnte dieser Jesus auch« (religionsgeschichtlich); oder: »Es war einmal ein Kranker, der geheilt wurde – und wenn er nicht gestorben ist, dann lebt er noch heute«; ach so: eine typische Wundergeschichte! (formgeschichtlich); oder: »Hätten die Menschen damals nur unser Wissen über die Naturgesetze gehabt, dann wären sie nie auf die Idee gekommen, die Handlung Jesu als ›Wunder‹ zu bezeichnen« (rationalistisch); oder: »Eigentlich geht es ja um etwas ganz anderes; Jesus hätte streng genommen gar nicht heilen müssen, es kommt allein auf die Glaubensbotschaft an« (kerygmatisch); oder: »Wer die archetypischen Motive in der Erzählung erkennt, weiß auf einmal, wo er selbst krank und besessen ist. Wer könnte sich dann noch dem Prozess der Selbstfindung entziehen?« (tiefenpsychologisch). Diese Formulierungen wollen überspitzt aufzeigen, dass die hermeneutische Intention früherer Forschungsrichtungen die Texte in einem m. E. unsachgemäßen Sinn unterwandert hat. Es war vielfach ein ›Gegen-den-Strich-Lesen‹ der Wundertexte, um sie der eigenen Fragestellung gegenüber gefügig zu machen. Die Wunderexegese der letzten zwei Jahrhunderte kann somit über weite Strecken als Versuch gesehen werden, wesentliche Aspekte und Elemente der Wundertexte zu missachten. Ist es das Ziel der Wundertextexegese, Ent-Wunderung voranzutreiben?
1.1.2 Ein Neuansatz: »Man darf sich wieder wundern« Im folgenden Kompendium der frühchristlichen Wundererzählungen soll hingegen der Text selbst im Mittelpunkt stehen. Es ist gewissermaßen eine Rückkehr zum Text, nachdem man sich lange Zeit mit den Ereignissen (etwa im Leben Jesu), Umfeldtexten (etwa in Epidauros oder im Judentum), der abstrakt aus dem Text herausgelesenen Botschaft (etwa dem Kerygma in der Bultmann-Schule) und dem Symbolgehalt beschäftigt hatte. Ein literaturwissenschaftlicher Ansatz der Auslegung versucht, gerade in dem Moment der Verwunderung ein die Texte konstituierendes Element zu erkennen. Es wegzuerklären, wäre demnach nicht nur falsch und unproduktiv, sondern würde auch ein entscheidendes Merkmal, ja das wesentlich gattungskonstitutive Merkmal der Wundererzählung ausmerzen (dazu unten unter 1.2.2). Ich möchte stattdessen dieses Element zunächst wahrnehmen und auch ernstnehmen. Der Text möchte, so die These, als Wundertext insofern verstanden werden, als er 12
Grundfragen zu den frühchristlichen Wundererzählungen
eine Handlung bzw. ein Ereignis als sinnlich wahrnehmbar und konkret darstellt und dabei das Durchbrechen der Normalität und des Erwartbaren betont. Das Wundern soll gerade den Leser bzw. die Rezipientin des Textes erreichen und erfassen. Ziel dieser Texte ist es, dass sich die Rezipienten gleichsam mit den Augenzeugen und Handlungsfiguren auf der Erzählebene wundern. Blicken wir schon einmal in Abschnitte dieser Texte hinein: Da lesen wir, dass die Menschen nach der Heilung eines Gelähmten sagen: »So etwas haben wir noch niemals gesehen (o˜tw@ o'dffpote e—domen houto¯s oudepote eidomen)« (Mk 2,12); nach der Heilung eines stummen Menschen heißt es: »Und es staunten die Volksmengen und sagten: Noch niemals erschien so etwas in Israel (o'dffpote ¥f€nh o˜tw@ ¥n t† 3Israffil oudepote ephane¯ houto¯s en to¯ Israe¯l)« (Mt 9,33). Außer der hier geschilderten Reaktion der beim Wunder Jesu anwesenden Menschen wird das Wunderbare und Außergewöhnliche auch durch die Schilderung der Not hervorgehoben: Immer wieder werden Jahres- und Zeitangaben genutzt, um die Schwere und Hoffnungslosigkeit der Erkrankung hervorzuheben (Mk 5,25: 12 Jahre Blutfluss; Lk 13,10: 18 Jahre Verkrümmung; Joh 5,5: 38 Jahre Lähmung; Joh 9,1: Blindheit von Geburt). Figuren auf Erzählebene verstärken beim Leser den Eindruck der Ausweglosigkeit: Nach dem Tod des kranken Mädchens treten Boten auf und sagen: »Deine Tochter ist gestorben. Warum bemühst du den Meister noch länger?« (Mk 5,35), wie auch die Leute aus dem Volk Jesus verspotten und auslachen (Mk 5,40), als er vom Schlaf der Toten spricht. In ähnlicher Weise interveniert auch Martha vor dem Grab des Lazarus und weist darauf hin, dass Lazarus schon vier Tage tot sei, ja sogar der Verwesungsgestank schon eingesetzt habe (Joh 11,39). Ferner wird hervorgehoben, dass das von Menschen erwartbare oder ihnen mögliche Tun ausgeschöpft und an die Grenzen gekommen ist. So erfährt der Leser, dass die ›blutflüssige Frau‹ schon erfolglos viele Ärzte aufgesucht und ihr ganzes Vermögen verbraucht hat (Mk 5,26), Jünger kommen bei ihren Möglichkeiten zu heilen (Mk 9,18 par.) oder zu speisen (Mk 6,37) an ihre Grenzen, auch erfahrene Fischersleute werden beim Fischen (Lk 5,5) oder in einem Sturm (Mk 4,38) hilflos gezeigt, wie auch der Gelähmte am Teich Betesda, der »keinen Menschen« hat, der ihm ins Wasser helfen könnte (Joh 5,7). Der mit Dämonen Besessene kann von keiner Kette, von keiner menschlichen Macht mehr gebändigt werden (Mk 5,3-5). Alle diese Erzählelemente dienen dazu, das Wunderbare zu verstärken. Narratologisch betrachtet geht es hierbei um retardierende Elemente, die ganz bewusst den Handlungsverlauf verzögern und sogar stören, aber damit ihre Wirkung nicht verfehlen: Die Leser und Leserinnen sollen begreifen, dass hier etwas erzählt wird, das die Normalität durchbricht. Offenbar sollen diese Texte gerade »haarsträubend mirakulös« und »sensationell« (Avemarie 2011, 61) wirken, und zwar nicht erst für den modernen, sondern auch für den antiken Leser. Beim Hinweis auf Kulturdifferenz und veränderter Wirklichkeitswahrnehmung wurde oft übersehen, dass auch die Antike über die Grenzlinie zwischen ›möglichen‹ und ›unmöglichen‹ Geschichten diskutierte (s. o., vgl. Plümacher 2004a, 38-44; mit Lindemann 2003, 189). Ich möchte im Folgenden zwei Aspekte vertiefen, an denen exemplarisch gezeigt werden kann, wie verengt und einseitig die Wunderexegese vielfach durchgeführt wurde. 13
Frühchristliche Wundererzählungen – eine Hinführung
Mit den Motiven des Staunens sowie der Sinnlichkeit werden Elemente benannt, die m. E. in der zurückliegenden Forschung besonders vernachlässigt wurden. a) Staunen und Erschrecken Das Element des Staunens, der Verwunderung (zum Begriff qaum€zw thaumazo¯ s. u.), ja sogar des Schreckens ist für die neutestamentlichen Wundererzählungen konstitutiv. Es begegnet meist als erzählte Reaktion auf die Handlung des Wundertäters. Was Martin Dibelius in seiner Formgeschichte pauschal als »Chorschluss« (Dibelius 1971, 50.54f. 64.72) klassifiziert hat, unterteilt Gerd Theißen bei seiner Motivanalyse in »Admiration«, »Akklamation« und in gewissem Sinn auch »ablehnende Reaktion« (Theißen 1998, 7881). Die Admiration wird weiterhin in »intentionales und zuständliches Staunen, SichEntsetzen und Über-Etwas-Staunen« (ebd., 78) zergliedert. Diese Motivanalyse zeigt bereits die Variationsbreite und Bedeutung, die diesem Element der Erzählungen zukommt. In narratologischer Hinsicht ist besonders die Wirkung auf den Leser herauszuarbeiten. Die verwendeten Begriffe und auch ihre Erzählweise wollen keineswegs ›nüchtern berichten‹, sondern beabsichtigen, dass die erzählte Verwunderung von der Ebene der story im Akt des Lesens auf den Lesenden überspringt. So heißt es nach dem ersten Wunder im Markusevangelium: »Und sie erschraken alle, so dass sie untereinander stritten und sagten: Was ist dies?« (Mk 1,27). Das Wunder Jesu löst Furcht und Schrecken aus, es ruft zugleich Streit und Fragen hervor. Das hier zunächst verwendete Wort qambffomai (thambeomai – erschrecken) ist bald so fremd und ungebräuchlich wie die Lehre Jesu. Es wird im Neuen Testament nur noch in Mk 10,24 und 10,32 verwendet, an letzterer Stelle synonym zu fobffomai (phobeomai – sich fürchten). Dieses Semantem taucht häufig im Zusammenhang mit Wundern auf: Entsprechend wird die Sturmstillung kommentiert, verstärkt in einem semitischen Pleonasmus: ¥fobffiqhsan fbon mffgan (ephobe¯the¯san phobon megan – sie fürchteten sich mit großer Furcht, Mk 4,41). Auch bei der Heilung des Geraseners »fürchten« sich die Bewohner des Zehnstädtebundes nach dem Anblick des Geheilten (Mk 5,15). Furcht kann die Augenzeugen ergreifen, aber ebenso die Geheilten selbst: So reagiert die blutflüssige Frau »mit Furcht und Zittern« (fobhqe…sa ka½ trffmousa – phobe¯theisa kai tremousa, Mk 5,33) auf ihre Heilung. Jesus fordert den Synagogenvorsteher angesichts der Krankheit seiner Tochter auf, sich »nicht zu fürchten« (Mk 5,36), ebenso wie seine entsetzten Jünger, die ihn über das Wasser laufen sahen (Mk 6,50). Furcht, Erschrecken, ja sogar große Aufregung (wörtl. Ekstase: Mk 5,42b: ka½ ¥xffsthsan [e'q±@] ¥kst€sei meg€l–h kai exeste¯san [euthys] ekstasei megale¯) sind die Reaktionen, von denen wir in den Texten selbst lesen. Vielfach bleiben sie offen stehen, ohne erklärt und besänftigt zu werden. Aber gerade diese Erzählmotive entfalten eine Appellstruktur für den Leser bzw. die Leserin. Man wird hier wohl kaum sagen können, dass das »Rätselhafte und Sensationelle des Geschehens« ›nur‹ die deutsche Enzyklopädie zu Wunder wiedergibt und »das Erleben des Wunderrezipienten« für die antiken Wundertexte keine Rolle spiele (so Alkier 2001a, 291 mit Blick auf das paulinische Christentum). Auch die früher vertretene traditionsgeschichtliche ›Lösung‹, nach der zwar im Markusevangelium noch archaische Wunderelemente der Furcht und des Staunens vorhanden seien, die frühchristliche Überlieferung sie aber zunehmend in den Hintergrund rücke, wird durch den Blick in die Quellen obsolet: So wird z. B. das Furchtmotiv bei 14
Grundfragen zu den frühchristlichen Wundererzählungen
Lukas in den von Markus übernommenen Teilen noch verstärkt. Die Furcht wird als grammatisches Subjekt personifiziert und damit aufgewertet (Mk 1,27: ¥qambffiqhsan ethambe¯the¯san > Lk 4,36: ka½ ¥gffneto q€mbo@ ¥p½ p€nta@ kai egeneto thambos epi pantas, vgl. auch Lk 1,12; 5,9; 7,16; 8,37; dazu bereits Theißen 1998, 79). Ferner wird die Reaktion des Staunens und Entsetzens ausgeweitet (Mk 2,12: alle entsetzten sich – ¥xfflstasqai p€nta@ existasthai pantas > Lk 5,26: Und Entsetzen erfasste alle [ka½ ˛kstasi@ ˛laben ¿panta@ kai ekstasis elaben hapantas] und sie verherrlichten Gott und wurden erfüllt von Furcht [fbou phobou] und sagten: »Wir sahen heute Unglaubliches« [par€doxa paradoxa]). Auch die Johannesexegese spricht mehrheitlich von einer Verstärkung und Intensivierung des Wunderhaften, wie es an der Entfernung bei der Fernheilung in Joh 4, den 38 Jahren in Joh 5, den 200 Denaren in Joh 6, der schweren Blindheit in Joh 9 oder der Dauer des Todes in Joh 11 gezeigt werden kann. Entsprechend folgert Welck: »Es werden besonders drastische Wunder erzählt; wo der Vergleich mit den Wundergeschichten der synoptischen Tradition möglich ist, ist zu beobachten, daß die johanneischen Wundergeschichten häufig das Wunderhafte in einzelnen Zügen noch steigern« (Welck 1994, 61; Kursivierung im Original). Diese kleine Skizze abschließend, können wir festhalten, dass die Erzählungen bemüht sind herauszustellen, dass die Handlung des Wundertätigen – hier Jesus – bewusst den Bereich des Normalen übersteigt. Dies wird an erzählerischen Details, v. a. aber an der Reaktion der anwesenden Figuren sichtbar. Das Wunder löst nicht nur Bewunderung, sondern vielfach Furcht und Entsetzen aus. Die Wundererzählungen haben ein besonderes Interesse, diesen Aspekt festzuhalten und – wie wir in der Verarbeitung der markinischen Motive bei Lukas oder bei Johannes gesehen haben – sogar auszubauen und zu gestalten. Es darf – ja es soll nicht nur gewundert, sondern sogar gefürchtet werden. Ob hier »Admiration« die treffende Überschrift zu diesen Reaktionen ist, wage ich zu bezweifeln. Was hier erzählt wird, soll nicht religionsgeschichtlich angepasst, rational plausibilisiert oder bildlich relativiert werden. Es soll Furcht und Schrecken auslösen, beim Lesenden selbst Irritationen und Fragen hervorrufen, wie es bei Markus sogar erzählerisch dargestellt wird. Es soll gerade Bekanntes, Rationales und Plausibles in Frage gestellt werden. Diese Verunsicherung und Furcht darf keineswegs heruntergespielt oder exegetisch gefügig gemacht werden. Sie ist aber auch keine Furcht, die lähmt oder verzweifeln lässt. Sie ist produktiv und wirksam und führt letztlich zu Erkenntnis. Sie befördert eine »Heuristik der Furcht« – wie Hans Jonas einmal gesagt hat (vgl. Jonas 2012). b) Berühren Als zweites Beispiel möchte ich den Aspekt der »Berührung« herausgreifen, der lange Zeit missachtet wurde. Die Art und Weise, wie Jesus heilt, ist zweifellos vielfältig (vgl. bereits van der Loos 1965, 305-336: »Jesus’ Methods of Treatment«). Mal heilt er scheinbar beiläufig wie bei den zehn Aussätzigen in Lk 17,11-17 (»beim Fortgehen wurden sie rein«), mal spricht er klare Worte zum Kranken (Mk 2,11: »Steh auf!«), gebietet machtvoll dem Dämonen auszufahren (Mk 1,25) oder befiehlt sogar dem Fieber, den Menschen zu verlassen (Lk 4,39), mal reicht ein Wort aus der Ferne, wie an verschiedenen Fernheilungen sichtbar wird (z. B. Q/Lk 7,1-10: Hauptmann von Kafarnaum), mal handelt er demonstrativ in aller Öffentlichkeit (Joh 11,1-44), mal sondert er den Kranken ab, um mit ihm allein vor dem Dorf zu sein (Mk 8,23). 15
Frühchristliche Wundererzählungen – eine Hinführung
Allerdings zeigen doch viele Erzählungen, dass Jesus durch körperlichen Kontakt, durch Berührungen heilt. Die frühere Exegese hat diese körperliche Dimension der Zuwendung heruntergespielt. Im Zuge der »Wort-Gottes-Theologie« (K. Barth) wurde alles auf das Wort konzentriert. Handlungen wurden als Relikte aus magischen Ritualen betrachtet, die nicht mit der Botschaft des Neuen Testaments vereinbar seien, ja die dem Glauben sogar hinderlich sein können. Ein Beispiel für diese Einschätzung gibt Walter Grundmann: »Nicht die Kenntnis magischer Mittel und Formeln, sondern die personale Beziehung zwischen Gott und Jesus einerseits, zwischen Jesus und den Menschen andererseits wirkt ohne magischen Zwang und Vergewaltigung das Wunder« (Grundmann 1935, 303). Letztlich komme es auf den Glauben an, weshalb sich auch der dreimal im Zusammenhang mit einer Wunderhandlung überlieferte Satz »Dein Glaube hat dich gerettet« ( pfflsti@ sou sffswkffn se he¯ pistis sou seso¯ken se, vgl. Mk 5,43 par., 10,52 par.; Lk 17,19) besonderer Beliebtheit erfreute. Er ist aber – wie Lukas zeigt – nicht spezifisch auf Wundererzählungen beschränkt (vgl. Lk 7,50). Die Missachtung des Körperlichen wird hingegen der Fülle der neutestamentlichen Heilungserzählungen nicht gerecht. Eindrücklich werden einzelne Handlungen bis hin zu kleinsten Details erzählt. So ist es die Berührung Jesu (genau genommen nur seines Gewandes), die bei der blutflüssigen Frau die Heilung erbringt, noch bevor sich Jesus ihr überhaupt zuwenden kann. In ganz ›stofflicher Weise‹ wird von einer Kraftübertragung von Jesus auf die Frau berichtet: Mk 5,27-31 (27) Als die (Frau) von Jesus hörte, kam sie in der Menge von hinten heran und berührte sein Gewand. (28) Denn sie sagte sich: »Wenn ich nur seine Kleider berühren könnte, so würde ich gesund.« (29) Und sogleich versiegte die Quelle ihres Blutes, und sie spürte es am Leibe, dass sie von ihrer Plage geheilt war. (30) Und Jesus spürte sogleich an sich selbst, dass eine Kraft von ihm ausgegangen war, und wandte sich um in der Menge und sprach: »Wer hat meine Kleider berührt?« (31) Und seine Jünger sprachen zu ihm: »Du siehst, dass dich die Menge umdrängt, und fragst: ›Wer hat mich berührt?‹« Mehrfach spricht der Text explizit von der Berührung (¿ptomai haptomai – berühren, V. 27.28.30.31). Die Verdopplung der Frage Jesu durch die Jünger scheint gerade die Dimension der Berührung hervorzuheben. Auch das Gedränge, das Kleid, die körperliche Wahrnehmung des Kraftflusses Jesu wie auch des Versiegens der Blutquelle der Frau und überhaupt auch das »Blut« betonen das Stoffliche und Leibliche (sma so¯ma – Körper, V. 29) in der Szene. Eindrucksvoll erzählt auch Mk 8,22-26, wie der Blinde geheilt wird: Mk 8,22-26 (22) Sie kamen nach Betsaida. Da brachte man einen Blinden zu Jesus und bat ihn, er möge ihn berühren. (23) Er nahm den Blinden bei der Hand, führte ihn vor das Dorf hinaus, bestrich seine Augen mit Speichel, legte ihm die Hände auf und fragte ihn: »Siehst du etwas?« (24) Der Mann blickte auf und sagte: »Ich sehe Menschen; denn 16
Grundfragen zu den frühchristlichen Wundererzählungen
ich sehe etwas, das wie Bäume aussieht und umhergeht.« (25) Da legte er ihm nochmals die Hände auf die Augen; nun sah der Mann deutlich. Er war geheilt und konnte alles ganz genau sehen. (26) Jesus schickte ihn nach Hause und sagte: »Geh aber nicht in das Dorf hinein!« Die Bitte um Heilung wird hier ganz auf die Bitte nach Berührung zugespitzt (V. 22). In der Berührung durch Jesus werden sich Gesundung, Heilung, ja Heil und Erkenntnis einstellen. Jesus scheut keinen Körperkontakt. Er verwendet sogar seine eigenen Körpersäfte (Speichel) und legt ihm die Hände mehrfach auf. Noch intimer, absonderlicher wird die Heilung des Taubstummen in Mk 7,32-36 berichtet: Mk 7,33 Er nahm ihn beiseite, von der Menge weg, legte ihm die Finger in die Ohren und berührte dann die Zunge des Mannes mit Speichel. Wie schon bei der Blindenheilung sondert Jesus den Kranken ab, er berührt ihn mit den Fingern, dann sogar die Zunge mit seinem Speichel. Dazu spricht er noch Worte in einer – vermutlich schon für die Empfänger des Markusevangeliums – unverständlichen Sprache: »Hefata!« Derartige Berührungen Jesu sind keine Einzelfälle: Er fasst die Schwiegermutter des Petrus (Mk 1,41 par.) an der Hand oder berührt Blinde (Mt 9,29; 20,34). Jesus berührt sogar aussätzige Menschen (Mk 1,40-45), obwohl Körperkontakt mit ihnen aufgrund der ›unreinen Krankheit‹ ausdrücklich verboten war (s. Kollmann, Krankheitsbilder in diesem Band). Selbst vor der Berührung des Toten (genau genommen: des Sarges des Toten) bei der Erweckung des Jungen zu Naïn (Lk 7,14) macht er nicht Halt. Auch bei diesen Aspekten der Wundererzählungen ist die weitere synoptische Überlieferung keineswegs uninteressiert. Für Matthäus ist das Berühren eine typische Heilgeste (Mt 8,3.15; 9,29, vgl. Mt 9,20f.; 14,36), bei Lukas wird die manuelle Dimension über die synoptischen Parallelen hinaus noch im Sondergut belegt (Lk 13,13; 22,51). Bei der Heilung der verkrümmten Frau wird nach dem Heilungswort explizit noch das Auflegen der Hände genannt (Lk 13,13 ¥pffqhken a't» tÞ@ ce…ra@ epethe¯ken aute¯ tas cheiras – er legte ihr die Hände auf), bevor die Heilung bestätigt wird. Auch bei Johannes ist keine Reduktion auf das reine Wort erkennbar, vielmehr wird beim Blindgeborenen ein aufwändiges Verfahren mit Erde, Speichel, Bestreichung und Waschung (Joh 9,6) beschrieben. Die für Johannes konstitutive Einbeziehung der Sinne (Lee 2002) spiegelt sich auch in seiner Darstellung der Wunder, wie die Dimension des Schmeckens in Joh 2, des Sehens und Hörens in Joh 4, 6 und 9, des Bewegens und Berührens in Joh 5 und 9 sowie des Hörens und Riechens in Joh 11 spüren lässt. Dass in diesen sinnlichen und haptischen Handlungen nicht nur – wie man früher glaubte – Überbleibsel magischer Handlungen (etwa aus vorliegenden Quellen, dazu Kollmann, Magie in diesem Band) vorliegen, wird daran erkennbar, dass die Evangelisten in Versen, die die Heilungstätigkeit Jesu übergreifend zusammenfassen (so genannte »Summarien«), expressis verbis auf die Berührung hinweisen. Mk 3,10 Denn er heilte viele, so dass alle, die ein Leiden hatten, sich an ihn herandrängten, um ihn zu berühren. 17
Frühchristliche Wundererzählungen – eine Hinführung
Lk 6,19 Und die ganze Volksmenge suchte ihn zu berühren, weil Kraft von ihm ausging und er alle heilte. Wenn man davon ausgeht, dass diese Verse aus der Hand der Evangelisten stammen, so kann man nicht mehr behaupten, dass für sie die körperliche Dimension innerhalb der Heilungshandlung keine Rolle spiele. Es sind im Gegenteil offenbar die Berührungen, der enge Kontakt mit Jesus, der zur Heilung führt. In Lk 6,19 spiegelt sich wie in Mk 5,43-48 sogar die Vorstellung, dass durch die körperliche Berührung eine Kraftübertragung erfolgt. Diese skizzenhaften Analysen wollen verständlich machen, worauf es bei der folgenden Analyse der Wundererzählungen ankommt: Sie stehen als Texte mit allen ihren Aspekten im Zentrum. Dabei geht es nicht nur um das »Was« der erzählten Handlung, sondern gerade auch um das »Wie«, womit eine Grundunterscheidung der Erzähltheorie aufgenommen wird (dazu unten). Einzelne Aspekte der Erzählung wie hier die Motive des Erschreckens oder Berührens dürfen nicht dogmatischen Vorentscheidungen geopfert werden. Wer von Wundern erzählt wie die Evangelisten, der möchte seine Botschaft nicht »jenseits« und »trotz« dieser Erzählungen, sondern gerade »mit« und »durch« sie zum Ausdruck bringen. Sie als »Wundererzählung« ernst zu nehmen und sie als solche zum Sprechen zu bringen, ist eine der Aufgaben des Kompendiums. Die Texte laden dabei mit sprachlichen Mitteln ein, sich in die Verwunderung und Irritation mit hineinnehmen zu lassen, von denen sie erzählen. Wer diese Texte verstehen will, darf, ja muss sich sogar mit ihnen wundern.
1.2 Literaturwissenschaftliches: Sprache und Form des Wunderhaften Weder hinsichtlich der Anzahl noch der Systematik der Wunder Jesu im Neuen Testament herrscht Einigkeit innerhalb der Bibelwissenschaft. Dies hängt – ähnlich wie bei den Parabeln/Gleichnissen – mit dem Problem der Mehrfachüberlieferung ebenso wie mit der Frage nach den unterschiedlichen Definitionen der Textsorte zusammen. Gegenüber den Parabeln/Gleichnissen verstärkt sich die Offenheit des Gegenstandes allerdings dahingehend, dass dort bei den Autoren des Neuen Testamants durch die einleitende Verwendung zweier Quellenbegriffe (parabolffi parabole¯ und paroimffla paroimia) ein klareres Gattungsbewusstsein zu erkennen ist. Für das Wunder ist die Wahrnehmung übergreifender Termini im Griechischen des Neuen Testaments schwieriger. Bevor im Folgenden die sprachliche Gestalt der Gattung Wundererzählung näher in den Blick genommen wird (1.2.2), soll deshalb zunächst eine Orientierung über das semantische Feld des Wunderhaften gegeben werden.
1.2.1 Wundertermini im Neuen Testament: Eine semantische Orientierung Befragen wir aus unserer Diskurswelt des ›Wunders‹ heraus die frühchristlichen Texte, so ist zunächst die Frage nach Termini der Quellensprachen, v. a. des Altgriechischen ge18
Grundfragen zu den frühchristlichen Wundererzählungen
stellt. Welche griechischen Begriffe können zum »semantischen Feld« (dazu Alkier 2001a, 288-296) des Wunders gerechnet werden? Die Fragestellung steht freilich in einem hermeneutischen Zirkel, der auch semiotisch (gegen Alkier 2001a, 86-88.291) nicht zu durchbrechen ist. Es ist immer die prefiguration (Ricœur 1988, 88f.) bzw. das enzyklopädische Wissen (Eco) unserer Kulturwelt, die als Filter in der Wahrnehmung und Auswahl der Quellenbegriffe fungieren, auch wenn zunächst eine sehr weite Einstiegsdefinition herangezogen wird wie diejenige von Ulrich Nanko im Handbuch religionswissenschaftlicher Grundbegriffe (Nanko 2000, 386): Das dt. Wort ›Wunder‹ bezeichnet allgemein ein Ereignis, das aus dem Bereich des Gewohnten herausfällt; das semantische Feld reicht von einem ›Unerwarteten‹ bis zu der ›Norm-Überschreitung‹. Die Reaktion auf dieses Ereignis kann einerseits zu Staunen und Bewunderung, andererseits zu Schrecken, Furcht und Angst führen.
Bei der Frage nach Termini und ihrer Bedeutung im Diskursuniversum der Quellensprache begeben wir uns methodisch in das Gebiet der Semantik, genauer der ›historischen Semantik‹ (vgl. dazu Fritz 2006). Welche griechischen Termini also stecken das semantische Feld des Wunderhaften im Neuen Testament (und seiner Umwelt) ab? Beginnen wir, die Definition von Nanko aufgreifend, mit dem Begriff des »Paradoxen« für das unerwartete, unglaubliche Geschehen. Der griechische Terminus t par€doxon (to paradoxon, pl. tÞ par€doxa ta paradoxa) ist in der antiken Welt durchaus verbreitet und ist zum Leitbegriff der spätantiken Sammlungen der so genannten paradoxogr€foi (paradoxographoi), d. h. Sammlungen phantastischer Geschichten, geworden (vgl. Paradoxographus Vaticanus; Paradoxographus Florentinus etc., dazu etwa die Liste bei Ziegler 1949, 1137-1166, ferner Wenskus/Daston 2000; jetzt Spittler 2013). Kallimachos wird als der frühe Vater solcher Listen angesehen. Die erhaltene Schrift des Antigonus von Carystos (3. Jh. v. Chr.), dem wir diesen Hinweis verdanken, trägt den Titel 2Istorin paradxwn sunagwgffi (historio¯n paradoxo¯n synago¯ge¯), also »Sammlung der historischen Paradoxa/Wunder«. Ein Text mit der Überschrift Per½ Qaumasfflwn ⁄kousm€twn (peri thaumasio¯n akousmato¯n), etwa »Über Dinge, die wunderbar zu hören sind«, wurde Aristoteles zugeschrieben, ist aber sicherlich pseudepigraph. Auch im frühen Christentum wird der Begriff aufgenommen, indem Clemens von Rom die mythische Gestalt des Phönix als ein »unglaubliches Zeichen« (t par€doxon shme…on to paradoxon se¯meion) bezeichnet (1Clem 25f.), er hat ihn offenbar aber nicht auf die Wundertaten Jesu bezogen. Auch die Septuaginta verwendet den Begriff nur selten und nicht mit Bezug auf die Wundertaten Moses oder der Propheten (vgl. 2Makk 9,24; Sir 43,25). Im Neuen Testament begegnet der Terminus nur ein einziges Mal in der lukanischen Fassung der Gelähmtenheilung. Nachdem der Gelähmte seine Trage genommen hat, sagen die Umstehenden: e—domen par€doxa sffimeron (eidomen paradoxa se¯meron – Lk 5,26): »Wir haben heute paradoxa, d. h. Wundertaten, gesehen«. Ähnliche Zurückhaltung zeigt sich bei dem Begriff t tffra@ (to teras, meist pl. tÞ tffrata ta terata). Während im Profangriechischen tffra@ in der Bedeutung »Wunder, Wunderzeichen im Sinne von Vorzeichen (Omen), Mirakel« (Hofius/Kahl 2005, 1977) seit Homer häufig belegt ist, kommt der Terminus in den biblischen Schriften kaum vor (in der LXX nur 49 Belege als Wiedergabe von mofet: Wahrzeichen, Wunder). Mit der aus tffra@ abgeleiteten Textsorte der terate…a (terateia) verbindet sich zugleich ein Streit 19
Frühchristliche Wundererzählungen – eine Hinführung
der antiken Historiker (dazu Plümacher 2004a, 40f.). Polybius kritisiert einen Historikerkollegen wegen der Verwendung von Wundergeschichten, den terate…ai (terateiai). Um die Leser gefühlsmäßig anzusprechen, neige er zur schonungslosen Übertreibung und Ausschmückung (Polyb. 2,58 f.). So wird man – mit Plümacher – die terateffla »als eine auf das Spektakuläre zielende, wenn nicht gar zum Sensationellen strebende Darstellungsweise definieren können, zu deren Wesen unabdingbar auch gehörte, auf Wirkung bedacht zu sein und es deshalb mit der historischen Wahrheit nicht sonderlich genau zu nehmen (…)« (Plümacher 2004a, 41). Die neutestamentlichen Wundererzählungen werden nicht als terate…ai (terateiai) bezeichnet, weil ihnen offenbar dieser Terminus nicht gerecht geworden wäre. Selbst das Nomen tffra@ kommt nur 16-mal im Plural vor und dabei immer in der festen Verbindung mit shme…on (se¯meion – Zeichen): shme…a ka½ tffrata (se¯meia kai terata – Zeichen und Wunder). Die Wendung »Zeichen und Wunder« hat – wie u. a. Wolfgang Weiß in seiner Mainzer Habilitationsschrift gezeigt hat (vgl. Weiß 1995) – seine Wurzeln unzweifelhaft im jüdischen Sprachgebrauch: zum einen als rückblickende Deutung von Ereignissen beim Exodusgeschehen (Dtn 4,34; 7,19; 26,8; Ps 78,43; Neh 9,10 u. v. a.); zum anderen im Zusammenhang mit prophetischen Zeichenhandlungen (Jes 8,18; 20,3). Im Neuen Testament wird die Wendung dann überwiegend in der Briefliteratur (z. B. Röm 15,19; 2Kor 12,12) oder in der Apostelgeschichte (Apg 2,43; 4,30; 5,12 etc.) verwendet und meist auf Taten der Apostel bezogen. Nach Weiß ist das Begriffspaar deshalb auch ein terminus technicus der Missionssprache und verweist auf den Funktionsträger, nicht aber auf konkrete Handlungen wie Heilungen (Weiß 1995, 144f.). Dem widerspricht auch nicht, dass die Wendung in Apg 4,30 um »Heilungen« synonym erweitert wird: e§@ —asin ka½ shme…a ka½ tffrata gfflnesqai (eis iasin kai se¯meia kai terata ginesthai – damit Heilungen und Zeichen und Wunder geschehen), um die Taten Gottes zu beschreiben. Es wird aber deutlich, dass offenbar ›Heilungen‹ in einer Reihe mit solchen Zeichen und Wundern betrachtet wurden. Die synoptische Tradition verwendet »Zeichen und Wunder« nur kritisch als irreführende Taten der Lügenchristusse und Falschpropheten (Mk 13,22 par.). Auch der Beleg in Joh 4,48 im Mund Jesu weist einen kritischen Unterton auf, besonders im Zusammenhang mit der später abgewiesenen Zeichenforderung (vgl. Joh 6,30): »Jesus sprach zu ihm: Wenn ihr nicht Zeichen und Wunder seht, glaubt ihr nicht« (Joh 4,48). Doch nach der Zurechtweisung erfolgt die Heilung: Jesus geht auf das Anliegen des königlichen Beamten ein und heilt seinen Sohn. Hier steht also die Wendung doch in unmittelbarem Bezug zu einer Wundererzählung. Dies mag auch daran liegen, dass im Johannesevangelium der Teilbegriff t shme…on (to se¯meion, pl. tÞ shme…a ta se¯meia, Joh 2,11; 20,30 u. a.) an prominenten Stellen auf konkrete Taten Jesu bezogen wird und vielleicht den höchsten Grad an Begriffsbildung innerhalb der neutestamentlichen Wundertermini überhaupt aufweist. Schon das erste öffentliche und durchaus Staunen erregende Handeln Jesu, das Weinwunder von Kana, wird explizit als shme…on (se¯meion – Zeichen), genauer sogar als »Anfang der Zeichen« (⁄rc¼ tn shmefflwn – arche¯ to¯n se¯meio¯n, Joh 2,11) bezeichnet. Die genannte Fernheilung wird mit der Bemerkung »so tat Jesus das zweite Zeichen« (deÐteron shme…on deuteron se¯meion, Joh 4,54) abgeschlossen. Aber auch summarisch kann das (Wunder-)Handeln Jesu als Zeichen beschrieben werden (z. B. im Nikodemus20
Grundfragen zu den frühchristlichen Wundererzählungen
Gespräch, vgl. Joh 3,2; von Kaiphas in Joh 11,47; erster Schluss Joh 20,30). Diese Verwendung des Semeion-Begriffs hat die These einer eigenen Wunderquelle, auf die sich der vierte Evangelist stützt und die den Begriff semeion reflektiert einsetzt (so genannte »Semeia-Quelle«, dazu Poplutz, Hinführung Johannes), bis heute immer wieder genährt (zuletzt Theobald 2009, 32-42). Bei den Synoptikern hingegen wird shme…on niemals auf Handlungen bezogen, die der irdische Jesus vollbracht hat. Stattdessen werden damit künftige Zeichen (Mk 13,4; 16,17.20; Mt 26,48) benannt oder aber von Jesus erwartete Zeichen (mit Kahl 2005, 1972). Diese – im Blick auf Jesu Handlungen – eher kritische Sicht passt zur Perikope der Zeichenforderung. Die Pharisäer fordern ein Zeichen aus dem Himmel, um die Identität Jesu zu beweisen. Jesus verweigert explizit ein solches Zeichen im Sinne eines Schauwunders (Mk 8,11 f.): »Es wird diesem Geschlecht sicher kein Zeichen gegeben werden«. Allerdings wird bei Matthäus und Lukas hier das »Zeichen des Jona« angefügt (Mt 12,38-42; Lk 11,29-32, dazu Münch, Hinführung Matthäus; Zimmermann, Hinführung Lukas). Vermutlich verwerten hier Matthäus und Lukas ein Wort aus der Logienquelle Q. Dies würde zumindest erklären, dass der Verfasser des lukanischen Doppelwerks in der Pfingstpredigt des Petrus (Apg 2,14-36) Jesus nun doch rückblickend summarisch durch »Zeichen und Wunder« von Gott ausgewiesen sein lässt (Apg 2,22). Auch diesmal erfolgt eine Erweiterung des stereotypen Wortpaars, in diesem Fall durch dun€mei@ (dynameis), was dann entsprechend mit »Krafttaten« übersetzt werden kann. Für Stefan Alkier strukturiert sich das semantische Feld des Wunderbaren sogar vorrangig »um das Substantiv dÐnami@ (dynamis), und zwar genauer der dÐnami@ qeo‰« (Alkier 2001a, 291; vgl. Metternich 2000, 231), was für das paulinische Christentum in besonderem Maße gelten mag. So weit und offen das semantische Spektrum von dynamis im Griechischen aufgefächert sein mag (dazu Krug 2001, 37-51; ders. 2012), trifft die Beobachtung zu, dass besondere, außergewöhnliche Taten wie z. B. die Wundertaten des Heilgottes Asklepios (dazu Grundmann 1935, 291 mit Belegen) als »Krafttaten« (dun€mei@) klassifiziert werden können. Entsprechend wird der Begriff auch zur Beschreibung von Jesu ›Wunder‹taten im Neuen Testament verwendet: Bereits in der Logienquelle Q werden die galiläischen Dörfer Chorazin und Betsaida als Orte genannt, in denen solche Wunder Jesu geschehen sind (Q/Lk 10,13), was lokal manifestierbare Taten voraussetzt (zu Betsaida auch Mk 8,22). Auch in Nazaret rufen die »Krafttaten, die durch seine (Jesu) Hände geschehen sind« Unverständnis und Irritationen hervor (Mk 6,2), obgleich Jesus dort selbst kein einziges Wunder tun kann (poi»sai o'demfflan dÐnamin poie¯sai oudemian dynamin, Mk 6,5). Bei diesem Beleg wird jedoch deutlich, dass gerade die manuelle Tätigkeit Jesu mit diesen Handlungen verbunden ist. Nach Lk 8,43 vollzieht sich die Heilung sogar durch eine Art stoffliche Kraftübertragung (vgl. dazu Preisigke 1980). Schließlich dient der Begriff dun€mei@ als der summarische Terminus für Jesu Wunder, als die Menge ihm wegen seiner Taten beim Einzug in Jersusalem zujubelt (Lk 19,37, dazu Zimmermann, Hinführung Lukas). Doch auch dieser Begriff wird nicht gerade häufig oder dominant für Jesu Wundertaten verwendet, und so mag es nicht verwundern, dass Kahl/Hofius in ihrem Artikel »Wunder«, der sich sprachlich an qa‰ma (thauma), shme…on (se¯meion) und tffra@ (teras) rückbindet, offenbar keinen Grund sehen, auch noch dÐnami@ (dynamis) hinzuzunehmen (Kahl/Hofius 2005). Der nüchterne Befund hinsichtlich einer neutestamentlichen Begriffsbildung zu den Wundern (gegen Suhl 1980, 1-38) wird durch ein weiteres Glied fortgesetzt: Der 21
Frühchristliche Wundererzählungen – eine Hinführung
im Griechischen geläufige Begriff der Wundertat t qa‰ma (pl. tÞ qaum€sia ta thaumasia) wird kein einziges Mal verwendet, das substantivierte Adjektiv qaum€sion (thaumasion) begegnet nur einmal (Mt 21,15) und bezieht sich hierbei auf die summarisch genannten Heilungen von Blinden und Lahmen im Tempel (Mt 21,14, dazu Münch, Hinführung Matthäus). Auch wenn die Substantive fehlen, ist das Wortfeld von qa‰ma ktl. durchaus häufig im Neuen Testament anzutreffen, vielfach auch mit einem direkten Bezug zu konkreten Taten Jesu. So findet sich das Verb qaum€zw (thaumazo¯ – sich wundern, staunen) 43-mal, davon in den Evangelien 31-mal, das Adjektiv qaumast@ (thaumastos) begegnet noch 6-mal (Mk 2,11 par. Mt 21,42; Joh 9,30; 1Petr 2,9; Offb 15,1.3). Beispielhaft seien einige Belege aus dem Matthäusevangelium aufgeführt. Nach der Sturmstillung lesen wir etwa: »Die Menschen aber staunten (¥qaÐmasan ethaumasan) und sagten: Was für einer ist dieser, dass auch die Winde und das Meer ihm gehorchen?« (Mt 8,27). Als der Dämon aus dem Jungen ausgetrieben war, staunten (¥qaÐmasan ethaumasan) die Volksmengen und sagten: »Niemals erschien so etwas in Israel« (Mt 9,33). Nach dem Summarium von Mt 15,31 (nach der Heilung der Tochter der Syrophönizierin) rufen die unterschiedlich Geheilten (Stumme, Lahme, Blinde etc.) das Staunen des Volkes hervor. Aber auch das schnelle Verdorren des Feigenbaums führt nach Mt 21,20 zu der Verwunderung der Jünger (¥qaÐmasan ethaumasan). Wir sehen hierbei, dass durchaus unterschiedliche Handlungen Jesu (an Natur, Dämonen, Kranken), die sowohl positiv (Kranke) als auch negativ (Feigenbaum) verlaufen können, durch Erzählelemente, wie hier eine wiederkehrende Reaktion der Menschen, parallelisiert werden. Entsprechend könnten nun auch Handlungen des Wundertäters in den Blick genommen werden, die durch andere Verben wie §€omai (iaomai) und qerapeÐw (therapeuo¯ – heilen) oder ¥kb€llw (ekballo¯ – austreiben) zusammengefasst werden. Damit wird zugleich eine wesentliche sprachliche und methodologische Einsicht gewonnen. Wie ist der nüchterne Befund zu beurteilen, dass eine Begriffsbildung zum Wunder kaum ablesbar ist? Wollen »die Evangelien die in der heidnischen Umwelt üblichen Begriffe für wunderbare Taten (…) meiden, weil sie den Eindruck vermeiden wollen, Jesus sei einer der üblichen Zauberer und Wundertäter gewesen« (Knoch 1993, 38f.), wie die frühere Forschung meinte? Die Suche nach übergeordneten Klassifikationsbegriffen zum Thema »Wunder« geht m. E. insofern fehl, als wir im Neuen Testament keinen oder nur einen sehr begrenzten Diskurs über Wunder finden. Das Sprechen über Wunder vollzieht sich hingegen in Erzählungen, weshalb gerade Verben zu Signalwörtern des semantischen Feldes werden müssen. Die Suche nach den Wundern im Neuen Testament darf sich deshalb weniger auf einzelne Begriffe als auf ganze Texte beziehen. Statt nach dem Wunder fragen wir also besser nach der Wundererzählung.
1.2.2 Zur Gattung der »Wundererzählung«: Ein literaturwissenschaftlicher Vorschlag a) Gibt es überhaupt die Gattung »Wundererzählung«? Da die Quellen keinen einheitlichen Leitbegriff für Wundererzählungen erkennen lassen, liegt die Frage nahe, ob es überhaupt die Gattung »Wundergeschichte/Wundererzählung« gibt. Entsprechend hatte bereits Martin Dibelius eine übergreifende Gattung bestritten, indem er stilkritisch vier Wundererzählungen als »Paradigmen« klassifizierte, 22
Grundfragen zu den frühchristlichen Wundererzählungen
worunter er eine »Erzählungsart (versteht), der jeder Ausdruck individueller Empfindung fernliegt, die aber in hohem Grade sachlich interessiert ist« (Dibelius 1971, 34; mit Bezug auf Mk 1,23-28; 2,1-12; 3,1-6; 10,46-52). Den überwiegenden Teil der Wundererzählungen ordnet er dann bei den »Novellen« ein, die nicht die Verkündigung, sondern Jesus selbst als Thaumaturgen in den Mittelpunkt stellten. Weitaus größere Wirkung hatte dann in den 1980er Jahren Klaus Berger, dessen vielzitierter Satz in der Formgeschichte des Neuen Testaments wie folgt lautet: Wunder/Wundererzählung ist kein Gattungsbegriff, sondern die moderne Beschreibung eines antiken Wirklichkeitsverständnisses (Berger 1984, 305; ders. 2005, 362).
Bis in jüngere und jüngste Zeit hat diese Kritik Nachwirkungen gezeigt: Auch Ulrike Metternich plädiert in ihrer Dissertation über die Heilung der blutflüssigen Frau dafür, »den Begriff ›Wundergeschichte‹ zugunsten von ›Dynamis‹-Geschichte aufzugeben« (Metternich 2000, 231; vgl. Pesch 1970, 16: »Machttaten«). Für Marius Reiser werden Wundergeschichten »auf so vielfältige Weise erzählt wie Geschichten überhaupt. Eine gewisse formale Strenge haben Wundergeschichten nur im Kontext eines bestimmten Sitzes im Leben ausgebildet: als offizielle Wunderberichte an Heilstätten« (Reiser 2001, 137). Müssen wir folglich die Suche nach einer übergeordneten Gattung »Wundergeschichte« bzw. »Wundererzählung« aufgeben oder die formgeschichtliche Betrachtung auf »Heilungserzählungen« einschränken? Die Beantwortung dieser Frage (vgl. ausführlich Zimmermann 2013a) erfordert die Erörterung der vorgängigen Frage, was überhaupt eine »Gattung« ist, oder offener: »Gibt es überhaupt Gattungen«? So fragte der Gelehrte und Dichter Hans Magnus Enzensberger im Rahmen seiner Frankfurter Poetik-Vorlesungen mit dem Titel »Vom Nutzen und Nachteil der Gattungen«: »Gibt es literarische Gattungen, und wenn ja, wie viele? Wie lassen sie sich rechtfertigen, welches ist ihre Existenzweise und ihr Nutzen? Erlauben sie eine Klassifikation der literarischen Werke? Oder dienen sie nur, als bloße Namen, der vorläufigen Verständigung? Müssen Gattungen sein?« (Enzensberger 2009, 65). Die Frage nach der Existenz von Gattungen ist in der Literaturwissenschaft durchaus umstritten (dazu Zymner 2003, 37-60). In Anlehnung an die mittelalterliche Debatte zwischen Begriffsrealisten und Nominalisten (über die Frage aus Platons Dialog Kratylos zur Existenzweise von Wörtern) sprechen die Literaturwissenschaftler hier gerne vom »Universalien-Problem« (Hempfer 1973, 30-36; Fricke 2010b, 10): Sind Gattungen vorfindliche Textklassen, die benutzt und beschrieben werden können, oder sind Gattungen lediglich Konstrukte, d. h. Analyseinstrumente, denen vorfindliche Texte ex post zugeordnet werden? Obgleich es immer wieder Literaturwissenschaftler wie André Jolles oder Emil Staiger gegeben hat, die von einer ontologischen oder archetypischen Universalität, einem Begriffsrealismus ausgingen, kann man doch einen mehrheitlichen Konsens in der Literaturwissenschaft ausmachen, der dem Nominalismus oder neuerdings wohl eher dem Konstruktivismus zugeneigt ist. Gattungen werden nicht vorgefunden, sondern erfunden. Sie sind von Menschen erdacht, sie existieren nur durch Begriffe, die sie davon bilden. Aber die Konstruktionen sind nicht beliebig. Sie beziehen sich durchaus auf Vorfindliches, insofern das Nachdenken über Sprache immer schon Sprache und Kommunikation voraussetzt. Ich halte deshalb die Annäherung von Klaus W. Hempfer und Rüdiger Zymner für sinnvoll, die von einem »abgeschwächten Nominalismus« (Hempfer 1973, 124f.; Zymner 2003, 59) sprechen. Die Gattungskonstruktionen setzen schon einen Gat23
Frühchristliche Wundererzählungen – eine Hinführung
tungsdiskurs, eine Geschichte der Gattung, eine kommunikative Praxis mit Gattungen voraus. »Gattungen greifen die Leser-Erwartungen auf und lenken sie« (Dormeyer 2004, 132). Hempfer nennt dieses Vorfindliche »quasi-normative Fakten« (faits normatifs, ebd.). Mit anderen Worten: So sehr also die Rede von Gattungen der Konstruktion unterliegt, so wenig sind diese Konstruktionen willkürlich, zumindest dann nicht, wenn sie einer intersubjektiven Verständigung dienen sollen. Doch damit eine solche Verständigung gelingt, muss die Konstruktion kontrollierbar oder zumindest nachvollziehbar sein. Wir müssen also z. B. klären, in welchem Sinne wir Wörter wie »Novelle« (Dibelius), »Apophthegma« (Bultmann) oder »metaphorische Personalprädikation« (Berger) verwenden. Das ist innerhalb neutestamentlicher Gattungsdiskussionen nicht immer geglückt, denn vielfach traten die Konstrukteure von Gattungen so auf, als hätten sie vorfindlich existierende Gattungen bloß entdeckt und als seien z. B. »Beispielerzählungen« (Jülicher, dazu Zimmermann 2011f, 392-395) oder die Gattungsgruppe »Epideixis« (Berger 1984, 310f.) die vorfindliche Gattungsnorm, die jeder vernünftige Mensch in den Texten ebenso erkennen müsse. Damit trotz konstitutiver Konstruktivität nicht jeder seine eigene Gattung erfindet, ist es notwendig, die Kriterien offenzulegen und auf vorhandene Diskurse zu beziehen. Mit anderen Worten, eine Gattungsdefinition soll der Qualität einer »Begriffsexplikation« genügen, wie sie in der Literatur- und der allgemeinen Humanwissenschaft üblich ist (näher dazu Zymner/Fricke 2007, 246-255). Ferner sollten Gattungsdefinitionen zwischen der Starre einer Festlegung auf ein bestimmtes Set an Merkmalen und der Relativität einer unscharfen ›offenen Reihe‹ hindurchfinden, um den konkreten Textphänomenen wie auch dem Bedürfnis nach Erkenntnis- und Kommunikationsgewinn gerecht werden zu können. Harald Fricke hat deshalb vorgeschlagen, eine Definitionsstruktur zu wählen, die einerseits Merkmale ausweist, die ein Text notwendig aufweisen muss, um zu einer Textgattung zu gehören, die aber andererseits auch Merkmale integriert, die alternativ und nicht zwingend die Gattungszugehörigkeit begründen. Eine derartige Definitionsstruktur lautet entsprechend: [1] + [2] + [3] + [4a u/o 4b] + [5a u/o 5b u/o 5c] (vgl. Fricke 2010a, 9). Während die Kriterien 1, 2 und 3 notwendig erfüllt sein müssen, handelt es sich bei den Merkmalen 4 und 5 um einen ›Wahlpflichtbereich‹, der variieren kann. Versuchen wir, dieses dynamisch-funktionale Gattungsverständnis (dazu auch Zimmermann 2007, 138-167) auf die Wundererzählungen zu applizieren: Die Frage »Gibt es überhaupt eine Gattung ›Wundererzählung‹ ?« ist also nach dem Vorgenannten unsinnig oder zumindest missverständlich unpräzise. Gattungen haben keine ontologische Existenz, sie finden sich weder im Wüstensand, noch im Schubladenkasten gelehrter Philologie des 19. Jh. oder im Online-Shop. Bergers Satz »Wundererzählung ist kein Gattungsbegriff« ist also seinerseits ein essentialistisches Missverständnis. Die Gattung »Wundererzählung« gibt es schon allein deshalb, weil die Autorinnen und Autoren des Kompendiums darüber diskutieren und Sie als Rezipient(in) gerade über diese Frage lesend nachdenken. Sie ist und bleibt ein Konstrukt der Meta-Kommunikation. Sie ist gleichwohl ein hilfreiches Konstrukt, wenn sie im Sinne der kritischen Begriffsexplikation zum einen den Textphänomenen bzw. der historischen Textkommunikation gerecht wird, zum anderen die Analyse des bisherigen Begriffsgebrauchs mit einbezieht (so Fricke 2010a, 7). Gattungsdefinition sollte in der Kommunikation über Texte eine sinnvolle Funktion erfüllen, sei es eine analytische, indem sie erlaubt, einzelne Texte in eine größe24
Grundfragen zu den frühchristlichen Wundererzählungen
re Gruppe zusammenzufassen, sei es eine kommunikative, indem sie den Adressaten anzeigen will, dass ein Text in diesem System wahrzunehmen ist. b) Gattungsbewusstsein in der Antike und insbesondere bei frühchristlichen Autoren Obgleich die Möglichkeit der Gattungsdefinition nicht an einem historischen Gattungsbewusstsein hängt, wird sie doch im Falle einer Bejahung hilfreich gestützt. So stellen wir die interessante, gleichwohl bis zu einem gewissen Maß unbeantwortbare Frage, ob es im antiken Diskurs, etwa in der Kommunikation zwischen einem Evangelisten und seinen Adressaten, bereits ein Gattungsbewusstsein gegeben hat. Wollte also z. B. der Evangelist Johannes die Weinherstellung in Kana als »Wunder« verstanden wissen, wenn er diese Erzählung mit dem zusammenfassenden Begriff des shme…on (se¯meion – Zeichen) klassifiziert hat? Und wenn ja, welche Absicht verfolgte er damit? Wollte er etwa eine Zuordnung dieses Textes zu ähnlichen, bekannten Texttypen wie z. B. Erzählungen wunderbarer Ereignisse über Dionysos vollziehen (s. Petersen zur Stelle)? Häufiger noch wurden Struktur- und Motiv-Parallelen zwischen frühchristlichen Heilungserzählungen und den Erzählungen an Heilstätten, z. B. den Wunderberichten auf den am Asklepios-Heiligtum in Epidauros gefundenen Stelen (Li Donnici 1995, s. dazu Popkes, Antikes Medizinwesen in diesem Band), beschrieben (Reiser 2001, 137; kritisch differenziert Wolter 2009, 82-117). Für Detlev Dormeyer haben deshalb »Wundergeschichten (…) von den neutestamentlichen Gattungen die größte Nähe zu einer hellenistischen Gattung, und zwar zur hellenistischen Wundergeschichte« (Dormeyer 1993, 166). Seit den Zeiten der religionsgeschichtlichen Schule bzw. konkret den Arbeiten von Richard Reitzenstein und Otto Weinreich wurde die Struktur antiker Wunderheilungen als unmittelbares Vergleichsmaterial für die Beschreibung neutestamentlicher Wundererzählungen herangezogen (zur z. T. problematischen Hermeneutik s. o.). Gehen wir davon aus, dass Gattungen Kommunikationsmedien darstellen, so ist zumindest aus dem Vergleichsmaterial eine Diskurswelt zu konstruieren, an der auch die frühchristlichen Kommunikationsteilnehmer partizipiert haben. Bewusste Referenzen auf derartige Umfeldtexte finden sich aber in den neutestamentlichen Wundererzählungen nicht. Doch was sagen die neutestamentlichen Texte immanent? Können wir bei Johannes noch die weitreichendste begriffliche Zuspitzung erkennen (s. o.), so müssen wir mit Blick auf das ganze Neue Testament konstatieren, dass die frühchristlichen Autoren kein begriffliches Gattungssignal im Sinne einer Leseanweisung geben, mit der man eine Gruppe von Texten unter einer Überschrift »Wundererzählung« subsumieren könnte. Ein Gattungsbewusstsein frühchristlicher Autoren wird aber m. E. bezüglich einer vergleichbaren Textgruppe kompositionell sichtbar: Einerseits werden bestimmte Handlungen Jesu in Summarien zusammengefasst (vgl. dazu die Hinführungen der Quellenbereiche). Andererseits zeigen sich Zusammenstellungen bestimmter Texte, die auf ein Bewusstsein der inneren Zusammengehörigkeit dieser Texte hindeuten. Gleich zu Beginn des Markusevangeliums werden mit Mk 1,23-31 (und ihm folgend Lk 4,33-39) eine Heilungserzählung und ein Exorzismus nebeneinandergestellt und komplementär aufeinander bezogen (s. Dormeyer, Hinführung Markus). Im anschließenden Summarium wird diese Verbindung wiederholt (Mk 1,32-34; Lk 4,40 f.). Ebenso wird in weiteren Summarien eine enge Verbindung von Heilungen und Exorzismen erzeugt (vgl. Lk 4,40f.; 5,25; 6,17-19; 13,32). 25
Frühchristliche Wundererzählungen – eine Hinführung
Diese Übergänge hängen z. T. mit der antiken Überzeugung zusammen, dass unreine bzw. böse Geister als Ursache für Krankheiten angesehen wurden, so dass auch der Restitutionsvorgang eine Mischung aus Exorzismus und Heilung darstellt. Nach Lk 9,3743 muss der unreine Geist des Jungen ›bedroht‹ werden; im Summarium Lk 8,1-3 wird explizit von einer »Heilung von bösen Geistern und Krankheiten« (Æsan teqerapeumffnai ⁄p pneum€twn ponhrn ka½ ⁄sqenein e¯san tetherapeumenai apo pneumato¯n pone¯ro¯n kai astheneio¯n) gesprochen. Bei der Erzählung zur »verkrümmten Frau« (Lk 13,10-17) lesen wir vom »Geist der Kraftlosigkeit« als Ursache für das Verkrümmtsein (V. 10) wie auch von der »Bindung des Satans« (V. 16) Umgekehrt wird die besessene Tochter der kanaanäischen Frau (Mt 15,21-28) nur »geheilt« – der Dämon fährt hier nicht explizit aus. Daraus wird man folgern dürfen, dass die Evangelisten keine scharfe Trennlinie zwischen Exorzismen und Heilungen ziehen oder gattungsspezifisch betrachtet auch Heilungserzählungen und Austreibungserzählungen zusammengesehen werden dürfen. Auch die Übergänge von Erzählungen zu Krankenheilungen und Totenerweckungen sind fließend: In der Perikope von der Auferweckung der Tochter des Jaïrus (Mk 5,21-43 par.) wird Jesus geholt, um das kranke Mädchen zu heilen; während er noch auf dem Weg ist, stirbt das Kind. Eine ähnliche Konstellation findet sich bei der Erweckung des Lazarus (Joh 11,1-43), der explizit als »krank« eingeführt wird, dann aber erweckt wird. Die Lazarus-Perikope verweist zugleich auf einen weiteren Zusammenhang. Die Salbung bei Betaniën findet bei den Synoptikern im Haus »Simons, des Aussätzigen« statt. Da auch in Joh 11 f. die Salbung eng mit der Auferweckungserzählung verknüpft ist (s. Zimmermann zu Joh 11,1-12,11 in diesem Band), wurde die These vertreten, dass Lazarus aussätzig war. Aussätzige wurden im Judentum wie Tote betrachtet (Num 12,12), entsprechend konnte die Heilung eines Aussätzigen nach rabbinischer Bewertung auf eine Ebene mit der Auferweckung eines Toten gestellt werden (bSan 47a). Schließlich kann man erkennen, dass die Sturmstillungserzählung deutliche Züge einer Exorzismus-Geschichte trägt, wenn etwa Jesus den Wind anfährt (Mk 4,39 mit ¥pitim€w epitimao¯ wie Mk 1,25) oder dem personifizierten Meer das Schweigen gebietet. So wird auch die strikte Unterscheidung zwischen Heilungs- und Naturwundern bzw. »Erzähltyp: Rettungswunder« und »Erzähltyp: Dämonenaustreibung« (mit Lohfink 2011, 197) brüchig. Gehen wir noch einen Schritt weiter: So wie z. B. Matthäus ein Kapitel zu Parabeln (Mt 13) präsentiert oder fünf Redeteile durch die bekannte Schlussformel aufeinander bezieht (s. Mt 7,28; 11,1; 13,53; 19,1; 26,1), so fügt er abweichend von seinen Vorlagen in Mt 8,1 bis 9,8 sechs Texte zusammen, die in Gegenstand und Erzählweise beträchtlich variieren, aber offenbar doch zusammengesehen werden sollen. Neben Heilungs- und Austreibungserzählungen wird nun auch eine Handlung an der Natur (Mt 8,23-27) beigefügt. Auch bei Lukas zeigen sich ähnliche Kompositionen, z. B. in Lk 8, wo am gleichen Tag (»an einem der Tage« – ¥n mi” tn mern en mia to¯n he¯mero¯n, Lk 8,22) die Erzählungen von vier Wundern Jesu ohne erkennbaren inneren (z. B. auf Handlungspersonen bezogenen) Zusammenhang präsentiert werden: (1) Naturwunder (Lk 8,22-25), (2) Exorzismus bzw. Dämonenaustreibung (Lk 8,26-39), (3) Heilung (Lk 8,43-48) und (4) Auferweckung (Lk 8,40-42.49-56). Schon diese skizzenhaften Ausführungen (mehr dazu Zimmermann 2013a) legen den Schluss nahe, dass auch die neutestamentlichen Autoren in übergeordneten Zusammenfassungen (Summarien) wie auch durch ihre kompositionelle Anordnung die Zu26
Grundfragen zu den frühchristlichen Wundererzählungen
sammengehörigkeit von Texten im Bewusstsein hatten, die wir in der Lesetradition der Evangelien als »Wundergeschichten« zusammengefasst haben. Die zuletzt verwendeten Begriffe leiten bereits von der Quellensprache hinüber zur Beschreibungssprache, die bei der kritischen Begriffsexplikation einer Gattung (Fricke 2010a, 7) ebenfalls Berücksichtigung finden muss. Wie wurde der Diskurs über Wundergeschichten innerhalb der neutestamentlichen Wissenschaft geführt? c) Die Gattungssystematik der neutestamentlichen Wissenschaft zur Gattung ›Wundererzählung‹ Rudolf Bultmann hatte in seiner Formgeschichte schlicht zwischen Heilungs- und Naturwundern unterschieden (Bultmann 1995, 223-230). Diese Unterscheidung scheint auch für Van der Loos eine Orientierung gegeben zu haben, da er seinen Kommentarteil in »1. The Healing Miracles« (Van der Loos 1965, 339-589) und »2. The Nature Miracles« (Van der Loos, 590-698) unterteilt. Dabei werden wie bei Bultmann Exorzismen unter der Überschrift »The Healing of the Possessed« (ebd. 339-414) oder Totenerweckungen (»The Ressurection of the Dead«, ebd. 559-589) subsumiert. Innerhalb der einzelnen Teile wird dann aber wiederum eher thematisch geordnet, indem etwa unter »1., III. The Healing of the Paralytics« sowohl die Heilung der vertrockneten Hand Mk 3,1-6 (a. a. O., 436-440), des Gelähmten in Kafarnaum (a. a. O., 440-449) und des Gelähmten am Teich Betesda (Joh 5,1-18, a. a. O., 450-463) zusammengefasst werden. Besonders wirkmächtig wurde das von Gerd Theißen eingeführte Raster, der Bultmanns Begriff des »Naturwunders« kritisiert hat (Theißen 1998, 122) und stattdessen sechs Untergattungen ausweist, je nachdem, welche Person aus dem Personeninventar der Wundergeschichte im Zentrum der Erzählung steht: 1) Exorzismen (Dämon), 2) Therapien (Geheilter), 3) Epiphanien (Wundertäter), 4) Rettungswunder (Jünger), 5) Geschenkwunder (Menge), 6) Normenwunder (Gegner Jesu). Dem Bedürfnis nach Systematik folgend ordnet er die Untergattungen ferner den Spalten (personen- und sachorientiert bzw. Haupt- und Nebenspieler) sowie den Zeilen dämonische, menschliche und göttliche Perspektive zu (Theißen 1998, 124). Im Lehrbuch zum historischen Jesus wird diese Systematik aufgenommen, wobei er postuliert, dass für »Exorzismen, Therapien und Normenwunder« ein »Ursprung beim historischen Jesus« anzunehmen ist, für die jeweils zuzuordnenden Untergattungen von »Rettungs-, Geschenkwundern und Epiphanien« sei »dagegen der Osterglaube Voraussetzung« (Theißen/Merz 2011, 268). Otto Knoch greift dieses Raster auf (Knoch 1993, 50), sondert aber in seinem Kommentarteil die »Totenerweckungen« (a. a. O., 327-349) von den Heilungen ab und weist stattdessen »messianische Zeichenhandlungen« (a. a. O., 351-400) eigens aus (denen er u. a. auch die »Verklärung« zurechnet), so dass er unter Verzicht der Kategorie »Geschenkwunder« auf sieben Unterkategorien kommt. Ferner fasst er die Wundererzählungen des Johannesevangeliums (a. a. O., 411-476) in einem eigenen Kapitel zusammen. Auch die im deutschsprachigen Raum jüngste Zusammenstellung von Einzelanalysen von Manfred Köhnlein lehnt sich an die bekannte Klassifikation von Untergattungen an und ordnet den Stoff entsprechend nach »Therapien« (Köhnlein 2010, 17-206, 15 Texte), »Normenwunder« (a. a. O., 207-227, 2 Texte), »Naturwunder« (a. a. O., 228-258, 3 Texte), »Geschenkwunder« (a. a. O., 259-274) und »Totenerweckungen« (a. a. O., 275284) an. David Aune unterscheidet nur drei Untergattungen: »exorcisms«, »healings« und 27
Frühchristliche Wundererzählungen – eine Hinführung
»so-called nature miracles« (Aune 1980, 1523 f.), worin ihm John P. Meier folgt (Meier 1994, 646-970), der aber die Auferweckungserzählungen noch aus dem zweiten Block herauslöst und sie als eigene Untergruppe unter der Überschrift »Raising the Dead« ausweist (Meier 1994, 773-873). Eric Eve spricht neben »healing« (Kap. 3) und »exorcism« noch von »anomalous miracles« (Eve 2009, 145-160), womit er einige Naturwunder und Totenerweckungen zusammenfasst: The category of ›anomalous miracles‹ is not identical to that of ›nature miracles‹, both because not all the ›nature miracles‹ are equally anomalous and also because there is another class of purported miracle that also seems anomalous, namely accounts of Jesus raising people from the dead (Mark 5.35-43; Luke 7.11-17; John 11) (Eve 2009, 145f.).
Wendy Cotter hat – anders als es ihr übergreifender Titel suggeriert – überhaupt nur Wundererzählungen aus dem Markusevangelium analysiert (Cotter 2010). Der heuristische Wert derartiger Kategorisierungen ist unbestritten. Sie helfen, die Vernetzungen der z. T. disparaten Texte klarer wahrzunehmen. Diese Untergattungen dürfen aber nicht im Sinne einer Klassifikationspoetik missverstanden werden, als ›gebe‹ es diese Gattungsdifferenzierung und sie müsse nur noch entdeckt werden. Jede Gattungssystematik unterliegt konstruktiven Elementen, die sich zwar auf die Texte beziehen, die Wahrnehmung der Texte aber vorgefassten Kriterien unterziehen. Problematisch wird die Einteilung in Untergattungen, wenn dieses Erkenntnisinteresse nicht mehr wahrgenommen und man den Nominalismus der Begriffe mit dem Realismus der Texte verwechselt. Dies liegt weniger bei den Erfindern der Gattungsraster als bei ihren z. B. für den Lehrbetrieb um Vereinfachung bemühten Rezipienten begründet. Es war auch ein Trugschluss der so genannten »neuen Formgeschichte«, so zu tun, als könne man nur anhand sprachlicher Kriterien eine Zuteilung vollziehen. Wie stark eine Zuteilung immer durch inhaltliche Entscheidungen bestimmt ist und bis zu einem gewissen Maß willkürlich bleibt, können wir an folgenden Beispielen sehen: Warum etwa wird in der neutestamentlichen Gattungssystematik nicht von »Fernwundern« als eigener Untergattung gesprochen? Eine nennenswerte Gruppe von literarisch unabhängigen Texten zeichnet sich gerade durch eine Distanz des Wundertäters vom Wunderempfänger aus (vgl. Q 7,1-10 par.: Hauptmann von Kafarnaum; Mk 7,24-30 par.: Fernexorzismus an der Tochter der Syrophönizierin; Lk 17,11-19: Zehn Aussätzige werden im Gehen geheilt; vgl. Joh 4,46-54; bBer 34b). Für Gerd Theißen werden sieben Texte den »Normenwundern« zugeordnet (Mk 3,1-6 par., Mk 2,1-12 par., Lk 13,10-17; Lk 14,1-6; Mt 17,24-27; Joh 9,1-41 und Apg 28,1-6, vgl. Theißen 1998, 319). Für Otto Knoch hingegen werden nur im Bereich der Jesuswunder neun Texte als »Normenwunder gewertet, wobei nicht nur die Zahl, sondern auch die Auswahl der Texte variiert (Mk 1,29-31 par., Mk 3,1-6; Lk 14,1-6; Mk 1,21-28; Lk 13,10-17; Joh 5,1-15; Joh 9,1-34; Mk 5,25-34; Mk 5,1-20, vgl. Knoch 1993, 401). Manfred Köhnlein führt nur zwei Texte unter Normenwunder auf, dabei aber neben Mk 3,1-6 mit der Geschichte von Jesus und der Sünderin (Joh 7,53-8,1) auch einen Text, der sonst nie unter dieser Kategorie verhandelt wird (Köhnlein 2010, 207-228). Bei den meisten dieser Texte findet eine Heilung am Sabbat statt, so dass die eigentliche Norm die Einhaltung der Sabbatgebote darstellt. Dabei erkennt man, dass einige Heilungserzählungen so viele Gattungsmerkmale der Textsorte »Streitgespräche« 28
Grundfragen zu den frühchristlichen Wundererzählungen
aufweisen, dass die frühere literarkritisch orientierte Exegese etwa in Mk 2,1-12 zwei unterschiedliche Ursprungstexte verknüpft sah. Die sprachwissenschaftlich orientierte Interpretation hat jedoch die Kohärenz des Textes aufzeigen können (vgl. Zimmermann 2009a, 236-242), so dass man auch gattungsspezifisch die Zusammengehörigkeit des Streitgesprächs über Sünde und die Heilung des Gelähmten anerkennen muss (ähnlich bei Mk 3,1-6; Lk 13,10-17; Lk 14,1-6; KThom). Wir erkennen anhand dieser Überlappung etwas Grundsätzliches: Statt die nur defizitäre Zuordnung zu einer (Unter-)Gattung in Reinform zu beklagen, darf man getrost anerkennen, dass Mischgattungen zum Normalfall zählen. Dies liegt an der einfachen Beobachtung, dass Gattungen keine vorfindlichen Klassifikationsschubladen sind, sondern geschichtlich betrachtet als Medien der Kommunikation und Erinnerung (vgl. Zimmermann 2007) einem dynamischen Wandel unterworfen sind, systematisch betrachtet aber Konstruktionen darstellen, denen dann die Texte ex post zugeordnet werden. So können Texte problemlos Merkmale von unterschiedlichen Gattungen aufweisen (so auch bereits Berger 1987, 43). Was die neuere Gattungstheorie grundsätzlich herausgearbeitet hat, lässt sich auch bei den Wundererzählungen zeigen: Konkrete Texte zeigen keine Reinform von Gattungen, sondern immer nur Mischformen, die in unterschiedlichem Maß an Gattungsmerkmalen partizipieren. Auch die Exegese muss Abschied von einer klassifikatorischen Gattungspoetik nehmen, die davon ausgeht, dass es eine ideale Form von Texten geben könne. Wenn einmal eingestanden wird, dass es nicht darum geht, eine historische Reinform zu re-konstruieren, sondern im heuristisch-wissenschaftlichen Sinn eine Idealform zu konstruieren, dann darf man durchaus bestimmte Kriterien definieren, die für die Gattung Wundererzählung gelten können. Diese Kriterien sind nicht willkürlich gesetzt, sondern versuchen, sprachliche und inhaltliche Besonderheiten aufzunehmen, von denen man annehmen kann, dass sie auch von den antiken Kommunikationsteilnehmern erkennbar waren. Gleichwohl bleibt jede Definition eine Konstruktion und Setzung, die nicht den Anspruch erheben darf, mit dem Gattungsbewusstsein neutestamentlicher Autoren und deren Adressaten übereinzustimmen. Ziel der Gattungsdefinition ist hierbei, ein klares und doch flexibles Set an Kriterien zu bestimmen, aufgrund derer ein Kommunikationsteilnehmer einen Text einem bestimmten Texttyp zuordnen konnte und kann. Texte sind dynamische Gebilde aus konkreten Kommunikationssituationen. Nach der Diktion von de Saussure sind sie stets auf der Ebene der »parole« anzusiedeln und haben eine bleibende Widerständigkeit im Versuch, sie dem System der »langue« einfach zuordnen zu wollen. Diese »Unschärfe« in der Gattungsbeschreibung betrifft aber nicht nur die Gattung »Wundererzählung«, sondern eignet jedem Versuch, Einzeltexte einem idealen Texttypus zuordnen zu wollen. Gattungsbestimmung beinhaltet genuin das Problem der Gattungsunschärfe eines Einzeltextes. d) Definition der Gattung ›Wundergeschichte/Wundererzählung‹ Einen sprachwissenschaftlich untermauerten Versuch der Gattungsdefinition hat Werner Kahl vorgelegt. In seiner Dissertation »New Testament Miracle Stories in their ReligiousHistorical Setting« hat Kahl die »Morphologie der Wiederherstellungswundererzählung« zu beschreiben versucht: »Die Morphologie dieses Erzähltyps ist bestimmt durch eine 29
Frühchristliche Wundererzählungen – eine Hinführung
Bewegung von einem Mangel zu seiner Überwindung durch eine (mirakulöse) Handlung eines aktiven Subjekts, das für diese Aufgabe besonders vorbereitet ist« (Kahl 1994, 238). Er appliziert damit Einsichten der strukturalistischen Erzähltheorie von V. J. Propp bzw. ihre semiotische Weiterführung durch A. J. Greimas und A. Dundes (dazu Kahl 1994, 38) auf neutestamentliche Texte. Bei den Diskussionen über die Gattung »Wundererzählung« auf den Autor(inn)entagungen zum Projekt des Wunderkompendiums 2009 und 2010 wurden die Aspekte der Konzentration auf eine Handlungsfigur wie auch des Spannungsverlaufs im Plot zwischen Mangel und Lösung aufgenommen, aber auch ausgeweitet. Die Konzentration auf Aktanten und binäre Oppositionen des strukturalistischen Erzählmodells wurde durch die neuere Erzähltheorie entscheidend ausdifferenziert (dazu den Überblick bei Finnern 2010). V. a. verbleibt die Definition Kahls ganz auf der Handlungsebene, ohne Erzählweise und Pragmatik mit einzubeziehen. In Anlehnung an neuere Erzähltheorien (z. B. zu Erzählmodus, -absicht) wie auch unter Aufnahme der postulierten Einsichten des kompositionellen Gattungsbewusstseins der frühchristlichen Autoren wurde für das Kompendium folgende Definition maßgeblich: Eine Wundergeschichte ist eine faktuale mehrgliedrige Erzählung (1) von der Handlung eines Wundertätigen an Menschen, Sachen oder Natur (2), die eine sinnlich wahrnehmbare, aber zunächst unerklärbare Veränderung auslöst (3), textimmanent (4a) und/oder kontextuell (4b) auf das Einwirken göttlicher Kraft zurückgeführt wird und die Absicht verfolgt, den Rezipienten/die Rezipientin in Staunen und Irritation zu versetzen (5a), um damit eine Erkenntnis- (5b) und/oder Appellfunktion zu erfüllen (5c).
Diese Definition soll weit genug sein, um für alle von Evangelisten in Summarien und Teilkompositionen zusammengefassten Wundertypen bzw. die korrespondierenden Texte zu gelten. Ferner werden der Erzähltheorie folgend Aspekte des »Was« (story/récit) ebenso wie des »Wie« (discours/e) der Erzählung aufgenommen (dazu Genette 1998; Martínez/Scheffel 2009, 27-160). Die so genannte »neue Formgeschichte« hatte – diese Unterscheidung ignorierend – für die Gattungsbestimmung ausschließlich formale Merkmale (d. h. Merkmale auf der discourse-Ebene) gelten lassen (vgl. dazu Berger 1987, 13-27). Schließlich spielt die Pragmatik, d. h. die Funktion und Absicht der Erzählung, im Sinne einer kommunikationsorientierten Gattungstheorie eine maßgebliche Rolle. Wundergeschichten sind zunächst »Erzählungen«, die wie jede Erzählung »mehrgliedrig« sind, d. h. die erzählten Ereignisse werden in einer Ordnungsstruktur wiedergegeben, die sich zumindest in Einleitung, Mittelteil und Schluss zergliedern lassen (Theißen differenziert bei der Einleitung noch zwischen »Einleitung« und »Exposition«, Theißen 1998, 82f.). Es ist heuristisch durchaus hilfreich, diese Struktur durch Einzelmotive detaillierter zu beschreiben, wie es Theißen mit seinen 33 Motiven tut (ebd.). Gleichwohl haben wir darauf verzichtet, weil die Motivik doch zu leicht als Merkmalsbündel im Sinne der alten Gattungspoetik missverstanden werden kann. Die Offenheit in unserer Definition trägt vielmehr der Variationsbreite der Texte Rechnung. Ein wesentliches Merkmal dieser Erzählungen besteht darin, dass sie »faktual« im Gegensatz zu »fiktional« sind. Damit wird eine Unterscheidung von Genette aufgenommen, die auch hinsichtlich der Historizitätsfrage (s. u.) weiterführend ist. Nach Genette 30
Grundfragen zu den frühchristlichen Wundererzählungen
wird die authentische Erzählung von historischen Ereignissen und Personen als »faktuale Erzählung« bezeichnet, von der die erdichtete, »fiktionale Erzählung« zu unterscheiden ist (vgl. Genette 1990, 755-774; ders. 1992, 11-40.66). Die Texte erheben den immanenten Anspruch, von Ereignissen der Vergangenheit zu erzählen. Sie wollen nicht als frei erfundene Texte (wie z. B. Parabeln) verstanden werden. Diese offenbare Klarheit verliert jedoch an Schärfe, wenn wir die unterschiedlichen Ebenen der Erzählung unterscheiden. Wie genau diese historische Referenzialität sprachlich erzeugt wird, d. h. wie das Spiel zwischen den auf discourse-Ebene narrativen (d. h. fiktionalen) und den auf story-Ebene faktualen Elementen verläuft, wird dann jeweils genauer zu bestimmen sein (s. u.). Weiterhin wird mit dem »Wundertätigen« eine Handlungsfigur ins Zentrum gerückt. Mit diesem Merkmal vollzieht sich eine wesentliche Weichenstellung (s. u.), denn der Akteur wird als anthropomorphe Figur auf der Ebene des plots (nicht bloß als Aktant im Sinne Propps) definiert. Erzählungen über Prodigien/Vorzeichen ohne Wundertäter, über visuelle Erscheinungen (Epiphanien) ohne Handlung wie auch über die Wundertätigkeit des transzendenten Gottes (des Vaters) werden deshalb nicht einbezogen (s. dazu unten die ausführliche Begründung, 2.1). Auch die »Handlung« selbst wird eingegrenzt. Bloßes Wissen, das Staunen hervorruft (bei Jesus etwa Joh 4,18f.; Mk 14,12-16), reicht nicht aus. Es geht um Handlungen, die an »Menschen, Sachen oder Natur«, also konkreten Objekten vorgenommen werden und bei ihnen »sinnlich wahrnehmbare Veränderungen« auslösen (so auch Kahl 2005, 1965), die aber textimmanent erklärungsbedürftig bleiben (»unerklärbare Veränderungen«). Wir halten diese sinnliche Konkretion der Handlung wie auch ihre Erklärungsbedürftigkeit für wesentlich, da sie erst die Voraussetzung für die beabsichtigte Wirkung »Staunen und Irritation« (5a) darstellt. Das »Was« der Erzählung wird somit aus dem reinen Innenraum etwa einer Imagination oder eines Deutungszusammenhangs des »impliziten Lesers« bzw. der »Erzählstimme« in den Bereich der erzählten Wirklichkeit gestellt. Die »Erzählperspektive« (dazu Finnern 2010, 164-186) wird hierbei so gewählt, dass die Handlung einen distanzierenden bzw. verobjektivierenden Charakter erhält. Die erzählte Veränderung am realistischen Inventar (Menschen, Sachen, Natur) überschreitet dabei die Grenze zwischen gewohnter Weltordnung und dem Irrealen. Die Erzählung erzeugt hierbei bewusst eine Spannung, inszeniert gerade das Gegenrationale und Unmögliche. Zugleich bietet die Erzählung aber einen Erklärungszusammenhang an, der nun immanent (d. h. durch Erzählerkommentar, Figurenrede etc.) oder aber erst kontextuell (Mikrokontext; Ganzschrift) das »Einwirken göttlicher Kraft« ins Spiel bringt (ähnlich Achtemeier 2008, 195: »result of divine activity«). Auch für Lohfink ist diese Rückbindung an Gottes Kraft und Wirksamkeit konstitutiv: »Ohne dieses Verweisen gibt es keine Wunder im christlichen Sinn (…). Im Neuen Testament ist dieser Verweiszusammenhang (…) bei jedem Wunder gegeben« (Lohfink 2011, 218-221). Hier unterscheidet sich die frühchristliche Wundererzählung maßgeblich von phantastischer Literatur (dazu Lachmann 2002), die unglaubliche Ereignisse vielfach gar nicht erklärt und schon gar nicht notwendig auf das Einwirken göttlicher Kraft zurückführt. Wenn in der phantastischen Literatur eine immanent kohärente Welt erschaffen wird, die nicht (wie bei Harry Potter oder dem König von Narnia) mit der bekannten Welt interagiert, ist ohnehin kein Erklärungsbedarf gegeben. 31
Frühchristliche Wundererzählungen – eine Hinführung
Schließlich ist die Erzählung auf Wirkung und Rezeption ausgerichtet und erfüllt eine spezifische Funktion für den Rezipienten, die kognitive wie auch affektive Aspekte einschließt (dazu Finnern 2010, 186-245): Die Lesenden werden in einen Prozess hineingenommen, der mit Irritation und Verunsicherung beginnt und zu einer Erkenntnisoder einer Verhaltensänderung gelangen kann. In jedem Fall aber werden sie im Prozess des refigurierenden Lesens eingeladen, eine (neue) »narrative Identität« (Ricœur 2005, 209-226) zu erlangen. Die Erzählung ist somit auf Wirkung bei dem Rezipienten ausgerichtet und kann nicht bloß religionsvergleichend oder formal-strukturell erfasst werden. Die genannte Definition ist offen genug, um auf viele antike (oder auch gegenwärtige) Wundererzählungen angewandt zu werden. Mit Blick auf die frühchristlichen Wundererzählungen lassen sich einige Aspekte noch weiter präzisieren (s. Kursivierung): Eine frühchristliche Wundergeschichte ist eine faktuale mehrgliedrige Erzählung (1) von der Handlung Jesu oder eines Jesusanhängers an Menschen, Sachen oder Natur (2), die eine sinnlich wahrnehmbare, aber zunächst unerklärbare Veränderung auslöst (3), textimmanent (4a) und/oder kontextuell (4b) auf das Einwirken göttlicher Kraft zurückgeführt wird und die Absicht verfolgt, den Rezipienten/die Rezipientin in Staunen und Irritation zu versetzen (5a), um ihn/sie damit zu einer Erkenntnis über Gottes Wirklichkeit zu führen (5b) und/oder zum Glauben bzw. zu einer Verhaltensänderung zu bewegen (5c).
1.3 Geschichtliches: Wundergeschichten im Geflecht von Fakten und Fiktionen Wundergeschichten erzählen von Ereignissen der Vergangenheit. Die Wundererzählungen wollen historische Erzählungen sein. Literaturwissenschaftlich können wir sie mit Genette als »faktuale Erzählungen« (s. o.) bezeichnen, die von vergangener Wirklichkeit erzählen, im Gegensatz zu »fiktionalen Erzählungen«, wie z. B. Gleichnissen, die erfunden sind und diesen Anspruch nicht haben. Die frühchristlichen Wundergeschichten wollen zum Ausdruck bringen, dass die Ereignisse, von denen sie erzählen, auch stattgefunden haben. Diesen Anspruch der Texte vorschnell aufzugeben oder zu unterwandern, würde den Texten keineswegs gerecht. Der moderne Leser ist allerdings vielfach nicht gewillt, sich in den Sprachduktus der Texte hineinnehmen zu lassen. Indem die eigene Erfahrung oder das gegenwärtige allgemeine Weltbild zum Bewertungsmaßstab gemacht wird, entzieht man den Texten das Recht, so zu reden. Weil sich ein moderner Leser nicht vorstellen kann, wie ein Toter ins Leben zurückkommt, oder weil eine kritische Rezipientin anhand empirischer Wissenschaft weiß, dass der Hirntod irreversibel ist, gerät das Erzählte in einen Widerspruch zu eigener Weltdeutung. So kommen viele zu dem Schluss: Die Texte geben zwar vor, auf historische Ereignisse zu verweisen. Dieser Anspruch ist aber nicht nachvollziehbar, denn solche Ereignisse gibt es nicht und hat es nie gegeben, die Texte behaupten sie nur – entweder wider besseres Wissen, oder aber sogar in Täuschungsabsicht; in letzterem Fall würden sie lügen. Nun gibt es unterschiedliche Weisen, mit dieser Problematik umzugehen. Sie stellen je unterschiedliche ›Lösungsangebote‹ für das Problem der Historizitätsansprüche der neutestamentlichen Wundererzählungen dar. 32
Grundfragen zu den frühchristlichen Wundererzählungen
1.3.1 Die Geschichte jenseits der Geschichten: Fakten, Erlebnisse, Diskursuniversum Zeit und Erzählung müssen nicht notwendig verknüpft werden. Entsprechend kann in den Geschichten erzählte und dabei referierte Vergangenheit von den Erzählungen selbst abgelöst werden. Dabei gibt es ganz unterschiedliche Spielarten, wie sich dieser Distanzierungsprozess vollzieht: a) Die Wundererzählungen als Quelle einer Faktengeschichte Ein verbreiteter Weg besteht darin, die Texte als Quellen für historische Ereignisse zu lesen und mit Methoden historisch-kritischer Exegese das in ihnen Erzählte auf historische Fakten im Leben Jesu hin zu befragen. Die exegetische Literatur ist voller Zeugnisse, wie Neutestamentler mit unterschiedlichen Methoden versucht haben, den historischen Wahrheitsgehalt der Wundererzählungen zu erweisen oder zu widerlegen (vgl. den Überblick zur amerikanischen Forschung bei Twelftree 2011a, 2519-2537): Eine extreme Form besteht darin, den Faktualitätsanspruch der Texte so ernst zu nehmen, dass in ihnen im Sinne einer Korrespondenzwahrheitstheorie die Übereinstimmung zwischen Wort und Sache angenommen wird. Die frühchristlichen Wundererzählungen werden somit als Faktenberichte verstanden, die im Ideal eins zu eins wiedergeben, »was gewesen ist« (Ranke). Die Beweislast liegt bei dem, der sie in Zweifel ziehen möchte. Der Faktualitätsanspruch der Texte wird hierbei höher gewichtet als eigene Erfahrung und Wirklichkeitstheorien. Mit Hinweis auf den Naturphilosophen Günter Ewald konstatiert etwa Rainer Riesner, dass »kein Phänomen […] deswegen verboten werden (darf), weil es bisheriger Erfahrung widerspricht« (Riesner 2001, 56). Statt exegetischer Verifikation fordert Riesner umgekehrt von den Wunderkritikern den Falsifikationsbeweis. Häufiger vollziehen die historisch-kritischen Exegeten jedoch eine Binnendifferenzierung, bei der sie zwar am grundsätzlichen Modell der Faktenreferenz festhalten, aber auch fiktionale Elemente oder sogar ganze Perikopenfiktionen gelten lassen. Mit den Kriterien der historischen Jesusforschung werden Wundererzählungen dann von Fall zu Fall oder auch im Blick auf die Gattung historisch bewertet, wie die folgenden Beispiele belegen: Entsprechend rekonstruierte Franz Mußner mit dem Differenzkriterium die ipsissima facta Jesu, d. h. »Taten, die für ihn (= Jesus, RZ) bezeichnend sind und die nur er gewirkt haben kann (Mußner 1967, 33). Rudolf Pesch hat diese Linie weitergeführt und für die ureigenen »Machttaten Jesu« kritisch gefordert, dass »demjenigen die volle Beweislast zu(fällt), der Wundergeschichten als Quellen für den historischen Jesus beansprucht. (…) Bei der Befragung der neutestamentlichen Wundergeschichten darf die Historizität des Erzählten nicht vorausgesetzt, sie muß erwiesen werden« (Pesch 1970, 143; vgl. die Thesenreihe). Die Forscher des »Jesus Seminars« am Westar Institute in Kalifornien haben sich anhand der dort geltenden Kriterien auf die Authentizität von sechs Heilungswundergeschichten geeinigt, die sie mit großer Wahrscheinlichkeit als ›historische Ereignisse‹ aus dem Leben Jesu klassifizierten. Kein einziges Naturwunder wurde als historisch glaubwürdig attestiert (vgl. Funk 1998, 530f.). Gerd Theißen verknüpft seine formgeschichtliche Differenzierung mit dem Kriterium der »Plausibilität« (Theißen/Winter 1997) und kommt zu folgendem Ergebnis: »Für Exorzismen, Therapien und Normenwunder können wir einen Ursprung beim historischen Jesus annehmen. Jesus selbst hat 33
Frühchristliche Wundererzählungen – eine Hinführung
diese Formen von Wundern getan« (Theißen/Merz 2011, 268). Für John P. Meier wird die historische Zuverlässigkeit der Wundererzählungen durch Mehrfachüberlieferung, Formvarianz und Kohärenz bezeugt: »The historical fact that Jesus performed extraordinary deeds deemed by himself and others to be miracles is supported most impressively by the criterion of multiple attestation of sources and forms and the criterion of coherence« (Meier 1994, 630). In ähnlicher, aber zugespitzter Weise hatte bereits Craig L. Blomberg versucht, aus dem formalen Kriterium der Kohärenz, dem inhaltlichen der Reich-Gottes-Verkündigung sowie der Parallelität zu Parabeln im Analogieschluss die historische Zuverlässigkeit sogar der Naturwunder zu folgern: In short, the nature miracles and the parables closely cohere with each other. From these three propositions it therefore follows that the earliest forms of these miracles stories should be recognized as most probably historical (that is to say factual accounts of deeds from the life of Christ) (Blomberg 1986, 347).
Die Wundertexte werden hier – unabhängig von der Argumentation im einzelnen – als Quellen einer Ereignis- bzw. Faktengeschichte angesehen, die es durch sie zu rekonstruieren gilt. b) Die Wundererzählungen als Augenzeugenberichte bzw. Manifestationen von Erfahrungen Richard Bauckham (Bauckham 2006) und nun auch Craig Keener haben die neutestamentlichen Texte als Augenzeugenberichte gelesen. Dabei verschiebt sich die Wahrnehmung des Geschichtlichen von einem ›objektiven‹ Ereignis mehr zum subjektiven Erleben desselben. Für Craig Keener ist es ein vorrangiges Ziel seines voluminösen zweibändigen Werks, die historische Plausibilität der neutestamentlichen Texte durch Analogieschluss aus Gegenwartserlebnissen zu erweisen. Der Widerspruch zwischen dem Erzählten und gegenwärtiger Lebenswelterfahrung sei nur behauptet (z. B. von Bultmann) und schließe die »majority of the world’s population« (Keener 2011, 8; ähnlich schon Fascher 1960, 8: »Millionen von Menschen«) aus, deren Erleben in überwältigender Kongruenz zu den in den neutestamentlichen Texten berichteten Erlebnissen stehe. The first argument is that the miracle reports in the Gospel and Acts are generally plausible historically and need not be incompatible with eyewitness tradition. Similar claims, often from convinced eyewitnesses, circulate widely today, and there are no a priori reasons to doubt that ancient eyewitnesses made analogous claims (Keener 2011, 7).
Es geht Keener also nicht um eine Analyse der Wundererzählungen selbst, sondern um die grundsätzliche Frage nach der Zuverlässigkeit von Augenzeugenberichten über Wundererlebnisse: »My concern is to focus (…) on the more introductory question of the plausiblity of eyewitness miracle reports« (ebd. 9). Keener erzählt über viele Seiten Erlebnisse von wunderbaren Ereignissen in aller Welt (Afrika, Lateinamerika und der Karibik) nach, die für die Augenzeugen und ihn auf supranaturalen Einfluss zurückzuführen sind. Darunter finden sich auch viele Totenerweckungen (Raising the Dead) und Naturwunder (Nature Miracles). Die umfangreichen Berichte dienen letztlich aber dem hermeneutischen Interesse, die Glaubwürdigkeit der neutestamentlichen Wundererzählungen zu be-
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Grundfragen zu den frühchristlichen Wundererzählungen
zeugen – so der Untertitel: »The Credibilty of the New Testament Accounts« (vgl. Keener 2011). c) Die Wundererzählungen im Kontext von Wirklichkeitskonzepten Gänzlich anders gelagert sind Ansätze, die das Wirklichkeitsverständnis zum Ausgangspunkt der Textinterpretation erheben. Entsprechend hat Paul J. Achtemeier darauf hingewiesen, dass »Realität« nicht abstrakt, sondern nur kontextuell hinsichtlich ihrer diskursiven Funktion bestimmt werden kann: It has become evident, through the discipline of the sociology of knowledge, and the studies in the influence of habit and language on the perception of reality, that ›reality‹ as it is conceived and perceived can and will differ in different circumstances, and different historical periods. The question is not ›what is reality‹ in the abstract, but ›what functions as reality‹ in a concrete historical period (Achtemeier 2008, 137).
Im Horizont eines kulturanthropologischen Ansatzes postuliert Pieter F. Craffert eine Pluralität der Wirklichkeitskonzeptionen, die es ermögliche, zwischen einer positivistischen und einer postmodernen Geschichtsvorstellung hindurchzufinden. A culturally sensitive reading of ancient texts has to be alert to all kinds of cultural realities: those that are unique to a given cultural system (…), and those that are cultural presentations of otherwise common human phenomena (Craffert 2008, 32; vgl. auch Strecker 2002).
In einer – wie er es nennt – »cross-cultural interpretation as thick description« (ebd., 19) könnten Jesu Heilungen, Exorzismen und die Kontrolle der Geister in der religionswissenschaftlichen Kategorie des Schamanismus gedeutet werden: Being a shamanic figure and acting as one, it has by now become clear, was not constituted simply by means of specific identifiable actions but by means of being inscribed in a set of cultural beliefs and in the dynamics associated with such a figure (Craffert 2008, 307).
Für Klaus Berger sind Wunder Teil einer »mystischen Wirklichkeit« (Berger 2010, 251), die »quer zur kausal erklärbaren und gewohnten Alltäglichkeit« (a. a. O., 257) stehe, aber in einem offenen Weltbild eine alternative Form der Wirklichkeitsdeutung mit »eigene[n] Regeln und eigenen Evidenzen« (a. a. O., 251) darstelle. In diesem »Regelkreis« sei der Mikrokosmos des menschlichen Körpers wie auch der Makrokosmos der Welt für das Eingreifen Gottes offen (a. a. O., 249). Besonders Stefan Alkier hat einen wirklichkeitsorientierten Ansatz mit dem semiotischen Inventar von Ch. S. Peirce differenziert ausgearbeitet. Dabei gelte es, den jeweiligen Ort eines Wunderdiskurses in den weiteren Horizont ihrer jeweiligen Wirklichkeitskonstruktion oder ihrer Wissensenzyklopädie zu stellen: Die semiotische Formulierung der Wunderfrage geht von der Theorie aus, dass die Welt, in der wir leben, mittels Zeichenprozessen kommunikativ erschlossen wird. Was als Wirklichkeit gelten soll, ja sogar in welche ontologischen Modalitäten die Welt gegliedert ist und wer sie bewohnt, wird mittels Zeichenprozessen kommunikativ und konfliktreich erarbeitet. Formal muß daher die semiotische Wunderfrage lauten: Welche Zeichenprozesse ermöglicht der Signifikant /WUNDER/ oder eines seiner Äquivalente innerhalb einer gegebenen Welt? (Alkier 2001a, 86f.).
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Frühchristliche Wundererzählungen – eine Hinführung
Text und Geschichte werden hierbei zu dynamischen und relationalen Elementen eines semiotischen Systems. Wunderauslegung ist somit gleichzusetzen mit Wirklichkeitskonstruktion, die sich im Prozess der unendlichen Semiose zwischen Geschichte, Text und verstehendem Subjekt befindet. Der Ansatz einer semiotischen Wunderexegese relativiert bzw. verändert die historische Frage wesentlich: Die Semiotik des Wunderbaren kann nicht entscheiden, ob Jesus über das Wasser gewandelt ist oder nicht, ob sein Grab leer war oder nicht. Sie vermag aber danach zu fragen, mit welchen extensionalen Geltungsbereichen solche außergewöhnlichen Erzählungen auftreten […]. Eine Semiotik des Wunderbaren trägt zu einem reflektierten und kommunizierbaren Umgang mit der kulturellen Einheit /Wunder/ bei, die um die Komplexität und Verstricktheit der Fragen nach dem Wunderbaren weiß (Alkier 1998, 46).
Fazit: Die vorgestellten Ansätze versuchen, die Historizitätsfrage der Texte mit sehr unterschiedlichen Rahmentheorien zu beantworten. Sie treffen sich allerdings in der Folgerung, dass Geschichtlichkeit bzw. Wirklichkeit Vorrang gegenüber der Sprachlichkeit des Textes haben. Während die ersten beiden Modelle eine strikte Unterscheidung von Geschichte und Text voraussetzen, sei es, dass eine Faktengeschichte jenseits des Textes rekonstruiert oder zumindest postuliert wird, sei es, dass der Text (Augenzeugen-)Bericht einer Erlebenswelt darstellt, kommt es im semiotischen Ansatz eher zu einer Auflösung des Textes als distinkter Einheit in ein kulturelles Diskursuniversum hinein. Die Stärke im Ansatz von Alkier liegt zweifellos darin, dass er die Zeichenwelt der Erzählung als Artefakt eines Diskursuniversums in ihrem Eigenwert anerkennt. Jenseits vorschneller Aneignung oder Analogisierung kann hier die Akzeptanz unterschiedlicher Wirklichkeitsmodelle (des Textes und seines Lesers) bestehen bleiben. Wie allerdings überhaupt ›Verstehen‹ zwischen zeitlich auseinanderliegenden Diskursuniversen möglich ist, bleibt noch präzisierungsbedürftig. Aufgrund der prinzipiellen »Vertreibung der Kategorie Referenz« (Zipfel 2001, 51) aus dem semiotischen System wird auch die Frage nach Geschichte letztlich obsolet. V. a. gerät die Sprachlichkeit des Textes und damit auch der Text selbst durch die Horizonterweiterungen in Richtung des Diskursuniversums des Lesers inmitten der kulturellen Lektüregemeinschaft der Gegenwart samt der Einbettungen in die Enzyklopädie der fremden (z. B. frühchristlichen) Kultur zunehmend aus dem Blick.
1.3.2 Die Geschichte in den Geschichten: Wundergeschichten als Wirklichkeitserzählungen Seit etwa den 1960er Jahren kann man von einer narratologischen Wende der Geschichtswissenschaft sprechen, seit der die Erzählung als strukturelle und mediale Grundform der Vergangenheitsdarstellung angesehen wurde (vgl. dazu Zimmermann 2011g, 427-443). Geschichte hat demnach »grundsätzlich die Form einer Erzählung und historisches Denken folgt grundsätzlich der Logik des Erzählens« (Rüsen 2001, 44). Hatte sich die Geschichtswissenschaft mit dieser Einsicht zunächst auf den historiographischen Diskurs beschränkt, so wird nun ihr Wert vermehrt auch bei der Applikation auf ›Quellen‹ gewürdigt (Jaeger 2009, 121; Zimmermann 2011g, 429-432). Die neutestamentlichen Texte und mit ihnen auch die Wundererzählungen sind gerade als Erzählungen zugleich Geschichtsdarstellungen. Die Geschichte wird auf diese Weise be36
Grundfragen zu den frühchristlichen Wundererzählungen
sonders in der Form der Erzählung selbst wahrgenommen und nicht von ihr abgelöst. Dies hat methodisch wesentliche Folgen, denn es wird nun nicht mehr nach einer Faktengeschichte jenseits des Textes gefragt, sondern nur nach einer Geschichte im Text. Die Einsicht der Geschichtstheorie ist sogar noch radikaler. Die Erzählung ist nicht nur eine bevorzugte Form der Vergangenheitsbearbeitung. Nach White und anderen (Ankersmit, Ricœur, Lorenz) ist die Erzählung die einzige Form der Vergangenheitsund Wirklichkeitsdarstellung. Die Idee von »Fakten« sei durch das Konzept der »Fiktionen der Darstellung des Faktischen« (White 1991) zu ersetzen. So sehr damit eine textbezogene Form der Geschichtsdarstellung gewonnen ist, so gerät nun die klare Konzeption der Trennung zwischen einem geschichtlichen und einem poetischen Text, ja letztlich auch die eines »faktualen Textes« versus eines »fiktionalen Textes« (s. o.) ins Wanken (dazu Nünning 1999). Die von Aristoteles eingeführte Unterscheidung zwischen dem Werk des Geschichtsschreibers ( storik@ historicos) und dem des Dichters (poihtffi@ poie¯te¯s) (vgl. Arist. po. 1451b) greift zu kurz. Auch die von Genette daraus abgeleitete erzähltheoretische Differenzierung zwischen »fiktionalen« und »faktualen Erzählungen« (s. o.) ist simplifizierend. Sie suggeriert, dass nur faktuale Erzählungen einen Realitäts- bzw. Vergangenheitsbezug haben, fiktionale aber nicht. Allerdings sind auch ›erfundene Geschichten‹ Teil einer realen Kommunikation, sie speisen sich – wie z. B. die Gleichnisse – aus der realen Erfahrungswelt der Kommunikationsteilnehmer, sie erweisen sich insofern auch als Träger historischer Informationen und besitzen geschichtliche Wahrheitsfähigkeit, sind mit Lewis »Truth in fiction« (Lewis 1978). Die Zuordnung von Faktualität und Fiktionalität bedarf deshalb weiterer Differenzierung. Auf der Suche nach Präzisierung hat der Literaturwissenschaftler Frank Zipfel zwischen Fiktivität und Fiktionalität unterschieden (Zipfel 2001, 61-68). »Fiktivität« bezieht sich dabei auf das »Was« der Erzählung. Dabei ist zu fragen, ob und in welcher Weise die erzählte Handlung bzw. Sachverhalte eine Referenz zur Wirklichkeit haben. »Fiktionalität« bezieht sich hingegen auf das »Wie« der Erzählung, die Erzählweise, die sich bestimmter sprachlicher Mittel bedient. Zipfel grenzt sein Modell von »Fiktivität« vom modallogischen Konzept der »möglichen Welten« ab. Während sich das Modell der »possible worlds« (Dolezˇel 1998, IX) auf das Erzählen von »möglichem Nicht-Wirklichen«, d. h. der Konstruktion von kontrafaktischen Alternativwelten zur wirklichen Welt konzentriert, beruht die Fiktivität auch »auf Nicht-Wirklichem, das im Rahmen der Wirklichkeitskonzeption als nicht-möglich anzusehen ist. In fiktiven Welten können sogar logische Widersprüche vorkommen, was in möglichen Welten per definitionem ausgeschlossen ist« (Zipfel 2001, 84). Für Zipfel gibt es deshalb zwei zu unterscheidende Formen fiktiver Geschichten, die »Realistik« und die »Phantastik« (Zipfel 2001, 106113). »Mit dem Begriff Realistik soll (…) der Fall bezeichnet werden, daß die Geschichte einer Erzählung in bezug auf das jeweils gültige Wirklichkeitskonzept möglich ist« (Zipfel 2001, 107). Allerdings müsse das »Realitätsprinzip« eher durch das »Prinzip der allgemeinen Überzeugungen« ersetzt werden, das »historische und kulturelle Bedingtheit und Variabilität dessen (einbezieht), was als Wirklichkeit aufgefaßt wird« (Zipfel 2001, 87). »Unter Phantastik sollen hier alle Geschichten verstanden werden, die Elemente enthalten, die von dem im Hinblick auf die gültige Wirklichkeitskonzeption Möglichen abweichen« (Zipfel 2001, 109). Phantastische Erzählungen sind so gesehen »nicht-realitätskompatible« Geschichten (Wünsch 1991, 23). »Das Irreale, das der phantastische Text 37
Frühchristliche Wundererzählungen – eine Hinführung
favorisiert, stellt die Kategorie des (vereinbarungsgemäß) Realen auf die Probe« (Lachmann 2002, 10). Während Zipfel diese »grundlegenden Formen der Fiktivität voneinander abgrenzen« (Zipfel 2001, 106) möchte, betrachte ich sie eher als die beiden Extreme einer Skala. Die durch Ereignisträger, Handlungen, Orte und Zeiten erzeugte erzählte Welt bewegt sich zwischen den Polen der Realität und der Phantastik. Eine solche flexible Beschreibung ermöglicht es, die eher ›realistischen‹ bzw. möglichen Handlungen in Wundererzählungen (z. B. einiger Wunder Jesu im Band 1 des Kompendiums) mit den zunehmend phantastischeren Handlungen der Wundererzählungen in Band 2 des Kompendiums (Wunder der Apostel) zusammenzudenken. Es wird nun freilich die Frage zu stellen sein, ob diese Anleihe bei der Literaturwissenschaft nicht im Widerspruch zu dem bisher erläuterten Anspruch der Texte steht, »faktual« zu sein. Können und dürfen wir denn die erzählte Welt der Wundererzählungen als »fiktive Welt« betrachten? Aus der Sicht der Literaturwissenschaft müssen wir zunächst anerkennen, dass die Wundererzählungen durchaus zu Recht als »phantastische Literatur« eingestuft werden. Auf der Ebene der Handlung werden gerade »unmögliche« Ereignisse erzählt, und zwar nicht, weil der z. B. ungläubige Leser sie als »unmöglich« einstuft, sondern weil die Texte selbst sie durch Kommentare der Handlungsfiguren, der Erzählstimme und weitere Erzählelemente ganz bewusst in einen Widerspruch zur normal und gültig angesehenen Welt setzen (s. o.). Wundererzählungen sind so gesehen Teil der »erzählten Phantastik« (Lachmann 2002). »Fantastische Literatur ist Literatur, in der in einer realistisch gezeichneten Welt als übernatürlich erscheinende Ereignisse eintreten, deren Status häufig nicht oder nicht eindeutig geklärt werden kann« (Dunker 2009, 240). Mit Dunkers Definition wird zugleich deutlich, dass das Phantastische immer schon ein Konzept von Realität voraussetzt, ja letztlich nur durch die bewusste Grenzüberschreitung zwischen dem Möglichen und dem Unmöglichen funktioniert. »Das Phantastische als das Unmögliche, Gegenrationale und Irreale kann trotz seiner Aufkündigung der fiktionalen Darstellungsregeln und der versuchten Desintegration des Bestehenden nicht ohne die Welt des Realen, Möglichen, Rationalen bestehen. Und dennoch gelingt es ihm, diese parasitäre Abhängigkeit offensiv auszulegen« (Lachmann 2002, 10). Dieser Realitätsbezug wird nun bei Wundererzählungen gerade durch den Verweis auf die Geschichte erzeugt. Wundergeschichten erheben im faktualen Erzählmodus zugleich den Anspruch, referenziell zu sein, d. h. auf Ereignisse (der Vergangenheit) zu verweisen. Die Extremform der referenziellen Gattung wäre der »Tatsachenbericht«. Wundergeschichten erzählen von unmöglichen Handlungen als geschichtlichen Ereignissen, sie präsentieren realitätswidrige Inhalte im faktualen Redemodus. Wundererzählungen partizipieren insofern an Merkmalen des Tatsachenberichts ebenso wie der Phantasiegeschichte, oder zugespitzt formuliert: Wundererzählungen sind phantastische Tatsachenberichte! Diese spezifische Spannung kennzeichnet m. E. eine Wundererzählung und sollte nicht vorschnell aufgelöst werden, indem man z. B. den Fiktivitätsgehalt der Handlungen als ›normal‹ klassifiziert oder indem man den faktualen Redemodus als fiktional herunterspielt. Um diese eigenartige Spannung zwischen dem Tatsachenbericht und der Phantasiegeschichte präziser zu benennen, mag das literaturwissenschaftliche Konzept des »begrenzten Wunderbaren« bzw. des »magischen Realismus« hilfreich sein. Uwe Durst 38
Grundfragen zu den frühchristlichen Wundererzählungen
bezeichnet damit realistische Erzählungen (»realitätssystemische Strukturen«), die in einem begrenzten Maße phantastische bzw. wunderbare Elemente enthalten (vgl. dazu Durst 2008, 17-100; ähnlich Reichelt 2001, 10 f.; ausführlicher dazu Zimmermann 2013). Im Folgenden möchte ich zunächst die von Klein/Martínez eingeführte Kategorie der »Wirklichkeitserzählung« als Verstehenshilfe für die Wundererzählungen heranziehen (Klein/Martínez 2009). Damit soll gerade eine Literaturform beschrieben werden, die nicht primär als belletristische Literatur verstanden wird, sondern in anderen Funktionszusammenhängen steht. »Erzählen im historiographischen Diskurs« (Jaeger 2009) ist eine solche Form der Wirklichkeitserzählung. Weiterführend ist die von Klein/Martínez vorgeschlagene Systematik, mit der Fiktion, Fiktionalität und Faktualität in je unterschiedliche Beziehungen gesetzt werden (s. Klein/Martínez 2009, 4 f.): 1) Faktuale Erzählungen mit fiktionalisierenden Erzählverfahren Erzählungen, die auf eine wahre Geschichte referieren, aber literarische Erzähltechniken verwenden, um die Plausibilität des Erzählten zu erhöhen. 2) Faktuale Erzählungen mit fiktiven Inhalten Die Erzählungen erheben zwar den Anspruch, auf reale Begebenheiten zu referieren. Sie lösen diesen Anspruch aber nicht ein, weil es diese Begebenheiten nicht gab. Dabei kann man zwischen Erzählungen unterscheiden, die dies wider besseres Wissen oder aber bewusst tun. 3) Fiktionale Erzählungen mit faktualen Inhalten Die Erzählungen erheben nicht den Anspruch, wahre Geschichten wiederzugeben. Sie referieren aber auf Geschehnisse, Personen und Sachverhalte, die in ähnlicher Form so passiert sind oder hätten passiert sein können. 4) Fiktionale Erzählungen mit faktualem Redemodus Manche Erzählungen inszenieren sich durch spezielle literarische Techniken als faktual, obgleich sie fiktional sind und auch auf fiktiven Inhalten beruhen. Dem Rezipienten wird gleichwohl kenntlich gemacht, dass es sich um fiktionale Texte handelt.
Kommen wir auf die frühchristlichen Wundererzählungen zurück. Dem Selbstanspruch der Texte folgend, kommen nur die Kategorien 1) und 2) in Frage. Wir können aber nach dem Vorgenannten noch präziser formulieren: Wundergeschichten sind im Redemodus grundsätzlich faktuale Erzählungen, die gleichwohl fiktionalisierende Erzählverfahren in unterschiedlichem Maße einschließen. Im Blick auf die erzählten Inhalte bewegen sie sich bewusst auf der Grenze zwischen Realitätsbezug (Realistik) und Realitätsdurchbrechung (Phantastik).
Fazit: Die in diesem Kompendium gewählte Perspektive, den Text selbst als Ausgangsund Endpunkt der Analyse zu wählen, hat besonders gravierende Konsequenzen im Bereich der Historizitätsfragen. Gewöhnlich wird die Frage nach der Geschichtlichkeit auf die Frage reduziert: Hat Jesus wirklich Wunder getan? Was ist wirklich gewesen? Hierbei wird historistisch nach einer Faktengeschichte zurückgefragt, was sich m. E. aus geschichtstheoretischen wie auch erkenntnistheoretischen Einsichten verwehrt (vgl. Schröter 2003; Zimmermann 2011g). So selbstverständlich diese Frage auch ist, so wenig kann sie methodisch abgesichert bearbeitet werden und Antwortversuche werden meist zu einem reinen Bekenntnisakt. Wie schon Aristoteles wusste, ist es ein Zeichen des gebilde39
Frühchristliche Wundererzählungen – eine Hinführung
ten Geistes, nur diejenige Präzision über einen Gegenstand erlangen zu wollen, die ein Gegenstand auch zulässt (Arist e. N. 1094b). Der Referenzbezug einer historischen Erzählung kann nicht präzise bestimmt werden. Was hingegen präziser beschrieben werden kann als es meist in der Exegese geschieht, ist die Funktionsweise der »historischen Wundererzählungen«, wobei neuere Erkenntnisse der historiographischen Narratologie hilfreich sind. Eine positivistisch gestellte Historizitätsfrage ist m. E. aber auch theologisch fragwürdig, weil sie den kanonischen Text zu einer Quelle degradiert und dabei die (eigene) Rekonstruktion der Ereignisse den Texten selbst vorordnet. Nach reformatorischem und ökumenischem Schriftverständnis sind jedoch nicht die zur Erzählung führenden Ereignisse, sondern die Schrift selbst der Maßstab des Glaubens. Der rückwärtsgewandte Streit über die Frage nach »historisch möglich« oder »historisch unmöglich« verwehrt besonders auch die gegenwartsorientierten Potenziale, die der Text in seiner spezifischen Erzählweise birgt. Die Wundererzählungen als Wirklichkeitserzählungen zu betrachten, ermöglicht in einem analytischen Sinn, ihre spezifische Verknüpfung von faktualem Redemodus und fiktiven Inhalten präziser zu erfassen; es ermöglicht in einem theologischen Sinn aber auch, auf die pragmatischen Impulse hinzuweisen, die auf Relevanz und Gegenwartsorientierung dieser Texte zielen. Die Wundererzählungen werden im Neuen Testament nicht weitererzählt, um die Vergangenheit wegzurücken oder theologisch zu überhöhen, sondern um sie als gegenwärtig relevant zu erweisen. Wirklichkeitserzählungen sind deshalb mehr als Tatsachenberichte!
1.3.3 Die Geschichte der Geschichten: Traditions-, Überlieferungs- und Wirkungsgeschichte Die frühchristlichen Wundererzählungen stehen nicht nur in einer Beziehung zur Ereignisgeschichte, sondern haben auch selbst eine »Geschichte der Geschichten«. Für Achtemeier steht diese Dimension der Tradierung des Wunderstoffs sogar im Zentrum seines Forschungsinteresses. Aufgabe der Beschäftigung mit Wundererzählung sei es, »to determine the meaning the miracles recorded of Jesus had for the earliest Christian traditions« (Achtemeier 2008, xi). Geschichtlichkeit wird innerhalb des Kompendiums in einer solchen diachronen Text- bzw. Literaturgeschichte immer wieder zur Sprache kommen. Dabei können unterschiedliche Bereiche differenziert werden, sei es, dass Elemente der Erzählung sozial- und realgeschichtlich in den kulturellen Kontext eingeordnet werden (dazu unten), sei es, dass Aspekte der Textproduktion und -rezeption im Horizont einer Traditions-, Überlieferungs- und Wirkungsgeschichte der Texte differenziert erfasst werden. a) Traditionsgeschichte: Wundererzählungen als ›Wiedergebrauchsformen‹ Die historischen Ereignisse werden in sprachlichen Formen wiedergegeben, die wie bei jedem Vertextungsprozess auf Prätexten basieren, die als sprachliche Medien nicht nur inhaltsleere Vehikel darstellen, sondern dem Geschehen auch und besonders in ihrer Form Deutungspotenziale verleihen. Theißen spricht hier davon, dass die Ereignisse in gesteigerter Form (Theißen 1998, 138.279) wiedergegeben werden. Ich möchte viel einfacher sagen: Die Ereignisse werden schlicht »erzählt«. Und in der narrativen Wiedergabe der Erlebnisse, wenn Geschichte zu Geschichten wird, vollzieht sich unweigerlich ein Pro40
Grundfragen zu den frühchristlichen Wundererzählungen
zess der Versprachlichung, bei dem auch faktuale Erzählungen durch fiktionale Elemente angereichert werden. Dazu ein Beispiel: Dass bei der Speisung der Fünftausend (Mk 6,32-44) zwölf Körbe Brocken und in der Speisung der Viertausend (Mk 8,1-10) sieben Brote gefunden wurden (Mk 8,5) und wiederum sieben Körbe mit den Resten gefüllt werden (Mk 8,8), mag man als historischen Zufall deuten; indem aber in Mk 8,19-21 dieselben Zahlen ausdrücklich wieder aufgegriffen und als Deutungsschlüssel benannt werden, drängt sich doch unweigerlich die Auffassung auf, dass hier Zahlensymbolik bewusst in die Erzählungen eingeflossen ist und die Erinnerungsgeschichte narrativ geprägt hat. Ferner zeigt eine konkrete Berechnung der nach den Zahlangaben erforderlichen Brotmengen, Bedienungen, Kosten die doch kaum bezweifelbare »Fiktionalität dieser Mengenangaben« (Avemarie 2011, 62). Aber heißt das, dass gar nichts stattgefunden hat? Bedeutet die Verwendung geprägter Sprachmuster und Motive, dass die frühchristlichen Autoren lediglich Sprachspiele betrieben haben, die keinerlei Referenz auf außersprachliche Wirklichkeit aufweisen? Sind die neutestamentlichen Heilungserzählungen etwa nur Stilübungen oder Imitate von hellenistischen Wundererzählungen aus dem Asklepios-Heiligtum? Keineswegs. Die sprachliche Gestalt hat ein Eigengewicht und zieht den Ereignissen ihre Matrix ein. Gleichwohl erfindet die sprachliche Gestalt nicht beliebig Ereignisse. Ferner vollzieht sich diese sprachbasierte Deutung nicht erst ex post. Nach Carr oder Grethlein haben sogar Erlebnisse und Erfahrungen bereits im Moment des Geschehens narrative Strukturen (Carr 1986; Grethlein 2010, 21-39). Die innerhalb der Geschichtstheorie intensiv geführte Diskussion um Fakten und Fiktionen hat gezeigt, dass es nicht erst die losgelösten Fakten als amorphe Einzelereignisse gibt, die nachträglich durch sprachliche Formen gedeutet werden, sondern dass sich solche Deutungsprozesse bereits im Erleben selbst vollziehen (s. o., dazu im Detail Zimmermann 2011g, 432-434). Um Ereignisse verstehen zu können, braucht man Vorkenntnisse, Deutungsraster, die bereits geprägt sind, die bereits eine sprachliche Form aufweisen. Um von Ereignissen erzählen zu können, bedient man sich umso mehr derartiger geprägter Motive, Gattungen und Deutungsmuster. Auch Wundererzählungen sind deshalb »Wiedergebrauchsformen« (dazu Zimmermann 2011e, 112-114), die in unterschiedlicher Weise auf Prätexte zurückgreifen. Im Auslegungsschritt zum »Traditions- und Religionsgeschichtlichen Hintergrund« (s. u. 2.3) werden diese potenziellen Vorprägungen, die mögliche oder in einigen Fällen sogar plausibel nachweisbare Vorgeschichte der Wundergeschichte eigens untersucht. b) Zur Überlieferungs- und Wirkungsgeschichte Einige frühchristliche Wundererzählungen zeigen teilweise so markante Überschneidungen und Wortlautparallelen mit Texten aus anderen frühchristlichen Quellen, dass der Schluss nahe liegt, dass eine Wundergeschichte mehrfach überliefert ist. Derartige Parallelüberlieferungen können in einer synchronen, aber auch diachronen Weise zueinander in Beziehung gesetzt werden. Obgleich wir im Kompendium die grundsätzliche Überzeugung der neutestamentlichen Wissenschaft teilen, dass die Texte im Neuen Testament Traditions- und nicht reine Autorenliteratur darstellen, soll sich die Untersuchung der Überlieferungsgeschichte auf Texte beschränken, die in Mehrfachüberlieferungen vorliegen. Dies ist insbesondere bei den ersten drei Evangelien der Fall, die in einer komplexen literarischen Abhängigkeit stehen. Teilweise zeigen sich auch Parallelen zwischen Johan41
Frühchristliche Wundererzählungen – eine Hinführung
nes und der synoptischen Tradition sowie zwischen apokryphen und kanonischen Texten. Nicht immer kann die Analyse der Beziehung zwischen diesen Erzählvarianten auf Erklärungsmodelle wie etwa die Zwei-Quellen-Theorie zurückgreifen, die doch von den meisten Forschern anerkannt wird. Die Beschreibung der Abweichungen kann unter literaturwissenschaftlicher Perspektive von der Last befreit werden, die ursprüngliche und damit historisch zuverlässigere Variante zu rekonstruieren. Statt einer (vielfach implizit wertenden) rein linearen Zuordnung der Varianten kann mit der Differenz zwischen fiktiven und fiktionalen Elementen eine präzisere Deskription der Unterschiede erfolgen, die dann auch hermeneutisch ausgewertet werden können. Dazu einige Beispiele: Wie ist etwa die Abweichung des Ortes bei der Dämonenaustreibung in der Dekapolis (Mk 5,1-20; Mt 8,28-34; Lk 8,2639) zu verstehen? Während Markus und Lukas von »Gerasa« sprechen, lokalisiert Matthäus die Erzählung in »Gadara« mit zwei Besessenen; nimmt man abweichende Lesarten einiger Handschriften hinzu, dann wird auch noch »Gergesa« als Ort vorgeschlagen (dazu Zimmermann 2012, 90-92; ebenso Ebner in diesem Band zu Mk 5,1-20). Während Heilungen an Blinden und Lahmen auch in ähnlicher Weise an unterschiedlichen Personen und Orten erfolgt sein können, ist der Exorzismus mit kollektivem Selbstmord einer Schweineherde ein so ungewöhnliches Motiv, dass die Parallelüberlieferung doch wohl auf dasselbe Ereignis zurückgreift. Wird mit der Variation der Ortsreferenz zugleich die historische Glaubwürdigkeit der Erzählung insgesamt aufgekündigt? Vor dem Hintergrund der oben genannten Überlegungen lässt sich die Variation unterschiedlich deuten: Es mag sein, dass die Evangelisten oder spätere Abschreiber den faktualen Redemodus verstärken wollten, indem sie eine für sie unwahrscheinliche Ortsangabe durch eine plausiblere ersetzten (dies mag bei den späten Handschriften a2 L D der Fall sein, die mit »Gergesa« einen seit dem 4. Jh. auch archäologisch belegbaren Pilgerort am See Gennesaret eintragen, vgl. Zwickel 2003, 423). Es mag aber auch sein, dass sie in der Ortsangabe ein fiktionales Element sehen, das z. B. die politische Intention der Erzählung verstärkt, so dass je nach eigenem Kenntnisstand des Tradenten auf die römisch geprägten Dekapolisstädte Gadara oder Gerasa verwiesen wird. Die Variationen belegen aber in jedem Fall, dass Tradenten dieser Erzählung die Texte nicht im Sinne einer Korrespondenzwahrheitstheorie oder eines Tatsachenberichts engführen wollten, die jede Veränderung hätte verhindern müssen. Die Geschichte der Erzählungen zeigt ferner regelmäßige Veränderungen im Laufe ihrer Überlieferung, die Deutungspotenziale in sich bergen: Matthäus scheint Paarbildung bzw. Verdopplungen der Handlungsfiguren zu schätzen, was als fiktionales Element gedeutet werden kann (dazu Münch, Hinführung Matthäus): So ist von zwei Blinden in der ersten Blindenheilungserzählung (Mt 9,27-31), von zwei Besessenen in Gadara (Mt 8,28 diff. Mk 5,2; Lk 8,27) oder von zwei Blinden bei Jericho (Mt 20,29-34 diff. Mk 10,46-52) die Rede. Ferner fällt die spätere Namensgebung bei anonymen Gestalten auf: In den PseudoKlementinen wird die namenlose kanaanäische Frau aus Mt 15,21-28 (vgl. Mk 7) »Justa« genannt (Ps.-Clem. Hom. 2,19; vgl. 3,73; 4,1; 13,7; Ps.-Clem. Hom. 2,20f.). In allegorischer Weise deutete Hilarius die Kanaanäerin als Proselytin, die stellvertretend für ihr Kind, d. h. für die Heiden, bittet (Hilar. 15,3); die blutflüssige Frau wird im Nikodemusevangelium »Bernike« genannt (s. dazu Eberhart in diesem Band), um nur einige Beispiele zu nennen. Liegt mit der Namensnennung in Wundererzählungen eine authenti42
Grundfragen zu den frühchristlichen Wundererzählungen
sche Referenz auf geschichtliche Fakten vor (so Bauckham), oder können wir darin nicht ein fiktionales Element erkennen, mit dem gerade der faktuale Redemodus verstärkt werden soll? In ähnlicher Weise werden Leerstellen der Erzählung bei der Nacherzählung der Wundergeschichte von der Heilung der verdorrten Hand gefüllt: Während die Erzählung bei Markus sehr detailarm ist, ergänzt Lukas, dass es sich um die rechte Hand handelt (Lk 6,6), und das Nazarenerevangelium weiß sogar vom Maurer-Beruf des Kranken (EvNaz 4). Wer die Texte historistisch enggeführt liest, wird den späteren Autoren bewusste Falschaussagen im Sinne einer Faktenwahrheitstheorie unterstellen müssen. Wenn man in den Erweiterungen aber fiktionale Ausschmückungen erkennt, kann das Deutungspotenzial dieser Erzählelemente wahrgenommen werden, etwa dass bei einem Maurer das sich durch die Erkrankung stellende soziale Problem veranschaulicht wird (vgl. dazu Becker zu Mk 3,1-6; Frey zu EvNaz 4 in diesem Band). Während die Gewaltanwendung bei der Gefangennahme Jesu in Getsemani in allen Evangelien überliefert wird, erzählt nur Lukas von der Heilung des abgehauenen Ohrs (Lk 22,50f.). Es ist natürlich nicht auszuschließen, dass Lukas hier eine Sonderguttradition aufgreift, die nur ihm zugänglich war. Es wäre aber auch denkbar, in dieser kleinen Szene eine fiktive Fortschreibung der theologischen Grundlinie des Evangelisten zu sehen, der darum bemüht ist, Jesu gewaltfreie und vergebungsbereite Theologie auch in der Passionsgeschichte durchscheinen zu lassen (man denke an die Vergebungsbitte für die kreuzigenden Soldaten oder die Verheißung für den Schächer am Kreuz). In diesem Fall wäre die Heilungsepisode in Getsemani bei Lukas eine faktuale Geschichte mit rein fiktivem Inhalt.
1.4 Hermeneutisches: Verstehen im Erzählen 1.4.1 Verstehen und Missverstehen der Wundererzählungen: Von der Unmöglichkeit einer Wundertheologie a) Wundererzählungen als Bekenntnisakte? Wie kann man Wundererzählungen heute verstehen? Worin bestehen Verstehensschwierigkeiten und Verstehensmöglichkeiten? Welche theologischen Fragen sind mit ihnen aufgeworfen? Der Umgang mit Wundererzählungen wie mit dem Wunder überhaupt wird vielfach zu einem status confessionis hochstilisiert: Auf der einen Seite stehen Christenmenschen, die sich kaum trauen, den Begriff des Wunders in den Mund zu nehmen, sei es aus rationalen Gründen (»Wunder widersprechen dem modernen Welt- und Wirklichkeitsbild, den Naturgesetzen, der prüfbaren Vernunft«), sei es aus Gründen der Kommunikation (»Das würde sofort ungläubige Gesprächspartner erschrecken«), sei es aus Glaubensgründen (»Ich brauche keine Wunder, um zu glauben …«). Auf der anderen Seite gibt es Christenmenschen, die geradezu ›scharf‹ auf Wunder sind und Wunder zu einem Bekenntnisakt ihres Glaubens machen, auf den alles ankommt (»Glaubst du nicht an die Wunder, dann glaubst du gar nicht«). Dabei geht es um die Hoffnung auf die Macht Gottes, die sich gerade darin erweist, dass sie alles Regelhafte und Vorstellbare durch-
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bricht (»Ich finde es befreiend, wie in den Wundern die brutale Macht von Kausalität und deterministischer Festlegung der Welt durchbrochen wird«). Hinter dieser Frontstellung verbergen sich fundamentale Fragen der Gotteslehre: Kann es einen Gottesglauben ohne Wunder geben? Ist es nicht ein Charakteristikum Gottes, gerade der menschlichen Einsichtsfähigkeit und Verfügbarkeit entzogen zu sein? Oder schöpfungstheologisch gewendet: Impliziert das Bekenntnis zu Gott als dem Schöpfer nicht die Folgerung, dass er selbst gerade nicht der Schöpfung unterworfen ist, also auch die Eigen-Gesetzlichkeit der Schöpfung durchbrechen kann? Und entspricht es nicht einem Grundbekenntnis des jüdisch-christlichen Gottesglaubens, dass Gott auch in der Welt wirkt und sich offenbart (vgl. ökonomische Trinität)? Doch wie wirkt Gott, wie wird er in der Welt erfahrbar? Etwa in sinnlich wahrnehmbarer, konkreter und dabei auch überraschender, ja bisweilen irritierender und verstörender Weise? Wäre es nicht ein Verzicht auf ein relationales Gottesbild, wenn die Wirklichkeit und Wirksamkeit Gottes sich derart immanent gestaltet, dass wir sie gar nicht mehr ›sehen‹ oder ›spüren‹ könnten? Wenn das Handeln Gottes in der Welt nicht in irgendeiner Weise auffällig wäre, warum wären wir dann überhaupt dazu verleitet, noch von Gott zu sprechen? Wirkt also Gott (noch) in der Geschichte der Welt und in meinem Leben? Die vorliegende Untersuchung beschränkt sich auf Wundererzählungen Jesu, so dass sie die theologischen Fragen um christologische Fragen erweitert: Ist es Gott, der in Jesus wirkt? Sind die Wundererzählungen gerade ein Ausdruck der Wirksamkeit Gottes in und mit Jesus von Nazaret? Wird die exzeptionelle Gottesgemeinschaft Jesu nicht gerade durch die Wunder erkennbar, mit denen Gottes Heil auf Erden sichtbar wird? In welchem Verhältnis steht das in punktuellen Wunderhandlungen erfahrene Heil zum soteriologischen Heil durch Jesu Kreuz und Auferstehung? Hinzu kommen Fragen der Theodizee, d. h. der Vereinbarkeit von Gottes Gerechtigkeit und Barmherzigkeit. Neben der Freude über die ›erlesenen‹ Heilungen wird zugleich ein Unbehagen über die empfundene Ungerechtigkeit geweckt, dass das erzählte Heil der Vergangenheit in einem Widerspruch zum erlebten Leid der Gegenwart steht. b) Keine Heilung für alle – oder: Die Probleme einer Wundertheologie Exemplarisch soll an dieser Stelle ein Problem in Auseinandersetzung mit den Texten vertieft werden: Die Theodizee-Problematik von punktuellen Heilungen und fortbestehendem Leid findet sich bereits in den Erzählungen selbst. Wie viele Kranke gab es in Israel, aber nur einige wenige werden geheilt. Im Lukasevangelium wird diese selektive Heilung sogar im Kontext der Heilsadressaten (Israeliten oder Fremde) zugespitzt und reflektiert (vgl. Lk 4,25-27). Lukas berichtet, wie dies bereits auf der Ebene der erzählten Welt »Ärger« (Lk 4,28) auslöst. Dies hindert ihn aber nicht, dass die Wunderhandlungen Jesu auf einige wenige Menschen beschränkt bleiben. Wie viele Jungen werden als einzige Söhne einer Witwe gestorben sein, aber nur von einer derartigen Totenerweckung wird berichtet (Lk 7,11-17). Am deutlichsten wird diese Spannung in Joh 5 ausgedrückt: Am Teich Betesda liegen in fünf Säulenhallen viele Kranke. Jesus hätte mit kräftiger Stimme alle in einem Handstreich gesund machen können, so wie er allen Wellen und dem Sturm auf dem See Gennesaret Ruhe gebot. Aber nein: Jesus wendet sich nur einem einzelnen zu inmitten Hunderter von Kranken, die am Teich warten. Die Zuwendung zu einem Einzelnen wird hierbei als ein wesentliches Charakteristikum der Heilungs- und Wundertätigkeit Jesu erkennbar. Die Wundersummarien spre44
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chen zwar davon, dass sie »alle … Kranken« zu Jesus gebracht haben und er sie heilte. Aber man beachte auch hier die erzählerischen Details: Lukas betont im Summarium Lk 4,40, dass Jesus »jedem Einzelnen« die Hände auflegt: »Als aber die Sonne unterging, führten sie alle zu ihm, die Kranke hatten mit mancherlei Krankheiten; der aber, jedem einzelnen von ihnen legte er die Hände auf ( k€st†w a'tn tÞ@ ce…ra@ ¥pitiqeffl@ hekasto¯ auto¯n tas cheiras epititheis) und heilte sie«. Die summarische Nennung von Heilungen ist von einer pauschalen Massenheilung immer noch deutlich zu unterscheiden. Obgleich nach Mk 1,33f. die »ganze Stadt« versammelt war, werden doch nicht pauschal »alle Kranken« geheilt. Vielmehr ist von »vielen« (polloÐ@ pollous) die Rede (vgl. Mk 6,13), was bestenfalls in einem semitischen Horizont als »alle« zu lesen ist (vgl. dazu Dormeyer, Einführung Markus). Die Evangelisten haben hier offenbar einem theologischen Problem Ausdruck verliehen, das uns auch heute noch beschäftigt. Man könnte daraus einen theologischen Widerspruch oder eine komplexe Zuordnung von Heil und Heilung konstruieren (Schrage 1998, 327-344). Die Texte verweigern beides: Wundererzählungen verleihen dem Unverständlichen, dem Grenzüberschreitenden Ausdruck. Sie erzählen, sie argumentieren nicht. Sie bleiben an Einzelheiten, an sprachliche Konkretionen gebunden. Sie entziehen sich einer einlinigen Bedeutungszuschreibung (so auch das Ergebnis bei Twelftree 2011a, 25372543: »What did the Miracles Mean?«). Es ist wie in der erzählten Zuwendung Jesu an Kranke. Selbst dort, wo man prima vista den Eindruck des Grundsätzlichen und Abstrakten hat, bleibt sie konkret und individuell. Entsprechend muss auch eine Hermeneutik der Wundererzählungen textgebunden bleiben. Aus ihnen eine stimmige »Wundertheologie« abzuleiten, wäre verfehlt. Sie müsste zu einer theologia gloriae werden, die für all die Menschen zum Spott würde, die eben nicht geheilt, auferweckt und leiblich restituiert werden (dazu Bach 2006; Grünstäudl/Schiefer Ferrari 2012); oder aber sie würde als kritische theologia negativa enden, die eine interne Wunderkritik vollzieht, bei der das Problemkind »Wunder« samt den frühchristlichen Erzählungen mit dem Bade ausgeschüttet würde (so z. B. Law 2011, dessen Skeptizismus sogar auf die Existenz Jesu ausgeweitet wird). Wunder werden im frühen Christentum erzählt. Sie sollen weitererzählt werden. Sie sollen irritieren und provozieren und damit zu Erkenntnissen und zum Handeln anstiften. Nirgends aber lesen wir vom Auftrag, aus Wundern eine prinzipielle, d. h. nicht narrative Wundertheologie zu entwickeln. Entsprechend muss auch das Verstehen der Botschaft der Wundererzählungen an ihre sprachliche Form gebunden bleiben. Verstehen als ein Prozess der Sinnstiftung kann deshalb am ehesten auf der Ebene der Pragmatik, der sprachlich evozierten Wirkung dieser Texte gefunden werden.
1.4.2 Zur Pragmatik und Funktion der Wundererzählungen: Welchen Sinn hat es, Wunder zu erzählen? Wenn Gattungen in erster Linie wiedererkennbare Kommunikationsmedien sind (Dormeyer 2004; Zimmermann 2007c; ders. 2011e), dann können wir sie nur verstehen, wenn wir ihre Absicht und Funktion verstehen. Ein funktionales Gattungsverständnis ist keineswegs per se neu. Schon die alte Formgeschichte hatte mit ihrem Diktum vom »Sitz im Leben« (dazu jetzt Byrskog 2007) auf die Funktion einer Gattung in typischen 45
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Gebrauchssituationen hingewiesen. Dies gilt auch für die Wundererzählungen (vgl. den Überblick bei Kollmann 2011, 65-68). So hat etwa van der Loos in seiner Untersuchung einen Abschnitt zu »Function and Significance of Jesus’ Miracles« integriert (s. van der Loos, 240-254). Hierbei unterscheidet er zwischen – »Miracles as proof of identity (of Jesus)«, was vorher schon mit dem dreifachen Amt (messianic, prophetic, priestly aspect) konkretisiert wurde – »Miracles as a display of mercy« – »Miracles as a means of arousing faith« – »Miracles as a sign and seals of Jesus’ Messianic activities which are to identify His divine mission« – »Miracles as a function of the kingdom of God«. Die Pragmatik der Wundergeschichten wurde hierbei ganz auf ihren propositionalen Gehalt konzentriert. Die Wundererzählungen haben demnach eine christologisch-theologische Funktion. Sie wollen etwas zur Kenntnis geben, der/die Lesende/Hörende soll Jesu messianische Identität und seine Botschaft der Gnade und des Reiches Gottes verstehen. Den Akzent auf die theologische Dimension legt dabei Nicholas T. Wright bei seiner Funktionsbestimmung der Wundererzählungen: »They were signs which were intended as, and would have been perceived as, the physical inauguration of the kingdom of Israel’s God, the putting into action of the welcome and the warning which were the central message of the kingdom and its redefinition« (Wright 1996, 196). Für Klaus Berger steht die christologische Funktion der Wundererzählungen im Vordergrund, indem Jesus in Überbietung alttestamentlicher Propheten (vgl. Berger 2010, 19-119) in den Wundern erst die Gabe Gottes und dann auch sich selbst zuteil werden lässt (a. a. O., 85). Die Wunder seien »überhaupt nur dann richtig zu verstehen, wenn man auch ihre christologische Bedeutung begreift« (Berger 2010, 144f.). Für Helmut Köster zählten Wundererzählungen zum bevorzugten Repertoire für die »Propaganda judenchristlicher Missionare«: »Als Handbücher solcher missionarischer Tätigkeiten müssen die meisten Sammlungen der Wundergeschichten Jesu entstanden sein, in denen Jesus der göttliche Mensch schlechthin war, so daß der Nachweis übernatürlicher Macht den Charakter einer verpflichtenden Botschaft hatte« (Köster 1980, 601f.). Auch wenn Köster hier noch ganz in der religionsgeschichtlich inzwischen widerlegten (z. B. Blackburn 1991) Frontstellung zwischen Jesus und den qe…oi ˝ndre@ (theioi andres – göttliche Männer) steht, trifft er doch einen wesentlichen Aspekt. Wundergeschichten haben eine Werbungsfunktion. In ähnlicher Weise hat auch Gerd Theißen diese »missionarische Intention« der Wundergeschichten als Teilaspekt der sozialen Intention benannt: »Die angesprochenen Menschen sollen dazu bewegt werden, sich der Gemeinde anzuschließen, die dem Unheil entronnen ist« (Theißen 1998, 257). Wundergeschichten üben darüber hinaus »auch innergemeindlich wichtige Funktionen aus« (vgl. dazu Kollmann 2011, 66f.). So kann die detaillierte Schilderung der Heiltechniken eine Vorbildfunktion für die Wunderpraxis der Apostel erfüllen. In den Normenwundern sieht Kollmann »legitimierende Wunder«, die die Diskussion über Normenumbrüche (z. B. zu Sabbat, Reinheit) »autoritativ entschieden« haben. Speisungswunder könnten auch im Lehrbetrieb, etwa bei der Eucharistiekatechese verwendet worden sein. Kollmann hat mit Recht auch auf den Unterhaltungswert der Wundererzählungen 46
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hingewiesen. Auch hier wiederum kann die postulierte Nähe der Wundererzählungen zur erzählten Phantastik (s. 1.3.2) aufschlussreich sein. Die Wundergeschichten führen Unglaubliches vor Augen, sie wollen diese Mischung von Gänsehaut, Geheimnis und Belustigung erzeugen, wie wir es heute am Fantasy-Genre lieben. Auch dazu einige Beispiele: Der erschreckte Ausspruch der Jünger bei Jesu Seewandel verleiht gerade dem Schauer der Lesenden eine Stimme: »Sie meinten, es sei ein Gespenst und schrien« (Mk 6,49, vgl. Mt 14,26). Oder: Man mag schon ins Schmunzeln geraten, wenn der »Legion« heißende Dämon mit den Tausenden von Schweinen im See Gennesaret versenkt wird, wenn man weiß, dass die im jüdischen Krieg ihr Unwesen treibende »Legio X« ein Schwein/einen Eber als Wappentier hatte und ihren Beinamen »fretensis« einer erfolgreichen Seeschlacht bei Fretum verdankt (vgl. Zimmermann 2012, 92-96). Dass gerade auch die Wundergeschichten der späteren apokryphen Literatur scherzhafte Züge tragen, hat Plümacher in seiner Untersuchung zur »Wanzenerzählung« in ActJoh 60f. (dazu die Auslegung von Dormeyer in Bd. 2) gezeigt, wo der terminus technicus pafflgnion (paignion – Scherz, Luststück) explizit verwendet wird (Plümacher 2004b, 171-206). Auf einen ganz anderen Aspekt hat Glöckner hingewiesen, indem er den Zusammenhang zwischen der Funktion der Psalmen und den Wundererzählungen herausgearbeitet hat: »Viele Wundergeschichten sind zugleich Bitt- bzw. Gebetserhörungsgeschichten« (Glöckner 1983, 16). »In Aufbau und Struktur orientieren sich die Wundergeschichten besonders an Klage- und Dankliedern des Psalters« (ebd., 17). Schließlich wurde die soziale und therapeutische Funktion der Wundererzählungen benannt. Die amerikanische sozialgeschichtliche Jesusforschung hatte zwar meist die Wunder Jesu und weniger die Wundererzählungen im Blick, wenn etwa von Crossan die Hoffnungsdimension der Wunder für die unter politischem und religiösem Druck leidenden Menschen hervorgehoben wurde (Crossan 1993, 287-292). Manfred Köhnlein hat, ein Diktum Moltmanns aufnehmend (Moltmann 1968, 268), die Wundererzählungen selbst unter der Überschrift »Protest- und Hoffnungsgeschichten« (Köhnlein 2010) zusammengefasst, die gerade auch Rezipienten mit einbeziehen wollen: »Entscheidend bei der Interpretation der Wunder ist, sich von Fall zu Fall auf die erzählerische Dramatik neu einzulassen und dabei sensibel mitzugehen, mitzuhoffen, mitzuleiden, als sei der Ausgang der Situationen und Konflikte ungewiss. (…) Auf welches andere Leben wird gehofft und gegen welche Resignation wird protestiert?« (Köhnlein 2010, 17). Es wäre nun reizvoll, diese unterschiedlichen Funktionsbeschreibungen mit den Modellen der literaturwissenschaftlichen Pragmatik und Sprechakttheorie (dazu den Überblick bei Brinker 2001, 83-128) zu vernetzen, sei es in Anknüpfung an Bühlers Organon-Modell (s. dazu die exegetische Applikation in Zimmermann 2011c, 10-13), in dem die drei Basisfunktionen von sprachlichen Zeichen als 1) Darstellungsfunktion, 2) Ausdrucksfunktion, 3) Appellfunktion benannt werden, sei es unter Bezugnahme auf Searles fünf Illokutionsklassen: 1) Repräsentative, 2) Direktive, 3) Kommissive, 4) Expressive, 5) Deklarative Funktion (Searle 1975, 17-20). Entsprechend könnte man z. B. den Werbungsaspekt als »Appellfunktion« im Sinne Bühlers, oder die Bitt- und Klagedimension als »expressive Funktion« im Sinne Searles bezeichnen (Einzelheiten dazu in Zimmermann 2013a). Ich möchte im Folgenden zunächst nur in loser Anlehnung an diese Funktionsklassen die pragmatischen Aspekte der oben genannten Definition »Wundererzählung« als Strukturhilfe heranziehen: Die Wundererzählung soll zunächst 47
Frühchristliche Wundererzählungen – eine Hinführung
»Staunen und Irritation« auslösen. Durch die bewusst in der Erzählung inszenierte Widersprüchlichkeit wird die gewohnte Weltordnung in Frage gestellt. Wundererzählungen fordern heraus, sie sind Verunsicherungen, entziehen dem Rezipienten den Boden des Gewöhnlichen, ja vielfach sogar des Möglichen. Dabei mag diese wohldefinierte »Realität« von Ausweglosigkeit und Verzweiflung gekennzeichnet sein (z. B. bei unheilbar Kranken); teilweise spiegelt sich in ihr das kalkulierbare Sicherheitsbedürfnis, das die Alltagswelt verlässlich erscheinen lässt (z. B. in der Berechnung der Nahrungsversorgung oder der Sicherheit eines Bootes). Die provokante Irritation wird sprachlich durch den faktualen Erzählmodus wie auch durch die Erzählperspektive und die sinnlich wahrnehmbare, aber unerklärbare »Veränderung an Menschen, Sachen oder Natur« auf Handlungsebene erzeugt. Es ist gerade diese bewusst aufgebaute Spannung zwischen Erzählmodus und Erzählinhalt, die dem Rezipienten keinen Ausweg lässt. Man ist geneigt, sich vorschnell auf die eine oder andere Seite zu schlagen, indem man den Referenzmodus bezweifelt oder den Erzählinhalt relativiert. Doch dabei würde man die spezifische Wirkung der Texte unterwandern, ja vor ihnen fliehen. Erst wenn der Rezipient bereit ist, das sichere Boot zu verlassen, diesen ›common sense‹ der Erfahrung von Wirklichkeit und rationaler Stimmigkeit aufzukündigen, ist er bereit für die Tiefenwirkung der Texte. Dabei mag die affektive Beteiligung an diesem Akt des verunsichernden Lesens ganz unterschiedlich sein: Einige mögen nur zaghafte erste Schritte, vielleicht Gedankenexperimente gegen die gewohnte Erklärbarkeit wagen; andere mögen einen Reiz darin verspüren, der Übermacht von Kausalität und Determiniertheit den Stachel einer wohltuenden Widerständigkeit entgegenzusetzen; wieder andere mögen sich eifrig in den Jubel über das Unglaubliche hineinnehmen lassen oder aber kopfschüttelnd von dieser sonderbaren Welt des Gelesenen distanzieren. Erzählfiguren innerhalb der Erzählung bieten mannigfaltig Identifikationsangebote für die ein oder andere Haltung. So oder so wird im Akt des Lesens eine innere Parteinahme herausgefordert, die, dem narrativen Duktus folgend, besonders auch für die repräsentativ-deklarative Funktion der Erzählungen öffnen soll: Das Unerklärliche wird nicht nur für möglich erklärt, sondern diese irritierende Spannung zugleich noch begründet. Die Wunderhandlung wird »textimmanent und/oder kontextuell auf das Einwirken göttlicher Kraft zurückgeführt«. Dieses Deutungsangebot ist nicht nur informativ, sondern zugleich appellativ. So verfolgen die frühchristlichen Wundererzählungen die Absicht, den Rezipienten zu einer »Erkenntnis über Gottes Wirklichkeit« zu bringen. Gottes Wirklichkeit hält realistische Möglichkeiten der Veränderung in ausweglosen Situationen bereit. Im Erzählen kontrafaktischer Wirklichkeit wird somit Protest gegenüber der kausal und rationalistisch verengten Weltsicht ausgesprochen. Dies gibt Anlass zur Hoffnung der Veränderung auch der eigenen (oft begrenzten) Lebensumstände und Weltsicht. Die Wundererzählungen öffnen Räume für Visionen, sie werden zum Katalysator der Wirklichkeitsveränderung. Das Einstimmen in dieses theologische Grundbekenntnis erfolgt im Modus des Glaubens wie des Handelns. Aber dieser idealisierte Prozess des Verstehens mag seinerseits die Funktion der Erzählungen in unsachgemäßer Weise finalistisch ›gleichschalten‹. Vielfach geht den Rezipienten der Weg von der Irritation zum Handeln zu schnell und sie melden Protest an. Wundererzählungen polarisieren – und genau das mag auch eine ihrer pragmatischen 48
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Stoßrichtungen sein. Die Erzählungen selbst führen diese polarisierende Wirkung immer wieder anhand von Handlungsfiguren vor Augen, die auf der einen Seite jubeln – auf der anderen aber fassungslos und wütend zurückbleiben. Schließlich stellen sich Fragen zu einem gefahrvollen Gebrauch der Texte: Verleiten die Wundererzählungen nicht zu illusorischen Allmachtsphantasien? Wann bilden die Erzählungen nur noch Wunschträume ab, werden zu Projektionsflächen von Vertröstung und Scheinwelt? Und wann werden sie geradezu zum therapeutischen oder politischen Programm hochstilisiert, das mit menschlicher Härte durchgesetzt werden muss, um Gottes Willen auf die Erde zu zwingen? Wundererzählungen lösen Verstehensprozesse aus. Sie erfüllen spezifische Funktionen, die streng an ihre narrative Form gebunden sind. Mit jedem Versuch, diesen Prozess des Verstehens besser, tiefer verstehen zu wollen, arbeitet man allerdings bereits gegen die Wundererzählung selbst an. Wunder sind gerade als unverstehbare, irritierende Ereignisse inszeniert und erzählt (s. o.). Sie gebieten Einhalt gegenüber der »Wut des Verstehens« (Schleiermacher, vgl. Hörisch 1998). Alle Verstehensversuche der Funktionsweise des Unverständlichen nehmen den Wundererzählungen damit das Wunderhafte und machen es zum Erklärlichen. Ganz egal, welche Wege diese Deutungsversuche gehen, arbeiten sie immer gegen den erzählerisch gerade inszenierten Widerspruch an. Es ist, als würde man die Erzählung einem fremden Zweck, nämlich der rationalen Erklärbarkeit unterwerfen, während sie doch gerade diesem allzu schnell geschlossenen Weltbild narrativ zu entrinnen versuchen. Ein hermeneutischer Zirkel, dem die wissenschaftliche Beschäftigung mit den Texten kaum entgehen kann, wohl aber die praktische, lebensweltliche Rezeption: Auch das Verstehen, die Hermeneutik der Wundererzählungen, muss narrativ erfolgen. Sinnhorizonte dieser Texte lassen sich mit religionsgeschichtlichen Vergleichen, sprachlichen Deskriptionen oder pragmatischen Analysemustern eröffnen, aber nicht einfangen oder gar festlegen. Auch wer die Sinnstiftung der Texte zu einer Wundertheologie extrahiert, verrät die Sprachform, in der uns die Wundererzählungen gegeben sind. So entspricht es ganz der Intention der frühchristlichen Wundergeschichten, wenn die Stiftung EKHN die Wundererzählungen der Bibel zum Anlass nimmt, »zeitgenössische Schriftstellerinnen und Schriftsteller einzuladen, sich dem alten Stoff zu widmen und ihn neu zu erzählen« (Bünau/Steinacker 2012, 11). Die neutestamentlichen Wundererzählungen sind Einladungen zum Nach- und Weitererzählen (so auch Herzer 2008, 251). Sie sind eine Sprachlehre des Glaubens, indem sie in einen Erzählmodus einweisen, der in unserer Welt zunehmend verloren gegangen ist und für die christliche Wirklichkeitswahrnehmung und -veränderung wesentlich bleibt. Sie fordern zum subjektiven Erzählen wie auch zum kollektiven Hören und Singen auf, ganz wie es im Lied in Anknüpfung an den Psalmdichter (Ps 9,2; vgl. Ps 66,16; 145,6) heißt: »Erzählen will ich von all seinen Wundern und singen seinem Namen« (EG 172: Ich lobe meinen Gott).
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2. Das Kompendium der frühchristlichen Wundererzählungen – eine Leseanleitung 2.1 Weichenstellungen: Die Vorentscheidungen und Begrenzungen 2.1.1 Wo kommt das Thema ›Wunder‹ überhaupt vor? Die Wunderüberlieferung des frühen Christentums manifestiert sich in unterschiedlichen Schriften und Teilgattungen (dazu auch Kollmann 2011, 58-62): Da gibt es zunächst »Erzählungen«, die von Wunderhandlungen als Ereignissen der Vergangenheit berichten. Ferner gibt es zusammenfassende »Summarien«, die in der Regel rückblickend Wunderhandlungen eines Wundertäters benennen. Mit gewissem Recht kann man auch Prophezeiungen zu diesem Typus rechnen, in denen z. B. in der Heilsverkündigung des Jesaja künftige Wunderereignisse aufgelistet werden (vgl. dazu Zimmermann, Hinführung Lukas). Schließlich findet sich aber auch noch ein Meta-Diskurs, der »über« Wunder (z. B. in Logien) oder über Wundertäter (z. B. der unbekannte Wundertäter in Mk 9,38-40 par. Lk 9,49f.) verhandelt. Stefan Alkier hat gezeigt, dass selbst in den Paulusbriefen ein lebhafter Diskurs über Wunder nachgewiesen werden kann, wenn man die Suche nicht auf narrative Texte begrenzt und stattdessen ein semantisches Feld als Ausdruck eines semiotischen Diskursuniversums beschreibt (Alkier 2001a, 86-88.284-307). Die Vielfalt der Texte und Textsorten wird noch um einiges reicher, wenn man die Artefakte der ersten Jahrhunderte einbezieht. Für das Kompendium wurde eine notwendige Reduktion vorgenommen: Eine äußerst wichtige Blendeneinstellung besteht bereits darin, dass es nicht um »das Wunder« geht, sondern um »Wundererzählungen«, d. h. um narrative Texte, die in der Regel von der Handlung eines Wundertäters erzählen (s. o. Gattungsdefinition). Die im Kompendium dargebotenen Übersetzungen und Kommentare beziehen sich ausschließlich auf derartige Wundererzählungen. Darüber hinaus werden jedoch in den Hinführungen zu den Quellenbereichen auch andere relevante Texte mit Wunderbezug besprochen oder zumindest erwähnt (s. auch die Tabellen). In der Regel werden hier auch die »Summarien« aufgeführt, mit denen ein Evangelist übergreifend von den Wundern eines Wundertäters spricht. Eine weitere Begrenzung besteht darin, dass keine Wundergeschichten aufgenommen werden, die unmittelbar von Gott als Wundertäter erzählen. Dies mag zunächst irritieren, da doch zumindest für das paulinische Christentum Gott »als der Wundertäter schlechthin gilt« (Alkier 2001a, 294) und auch in den Evangelien Wunderhandlungen mit göttlicher Kraft verbunden werden. Ist nicht jedes Wunder letztlich eine Tat Gottes, wie es etwa in Alkiers Definition zum Ausdruck kommt: »Wunder sind von Gott oder mit Gottes Kraft gewirkte, menschliche Möglichkeiten übersteigende Geschehnisse« (Alkier 2001a, 306)? Wir teilen im vorliegenden Kompendium durchaus die Überzeugung, dass Wunder konstitutiv auf Gott bzw. göttliche Kraft verweisen (s. Definition). Allerdings konzentrieren wir uns auf Erzählungen, in denen ein menschlicher Wundertäter auftritt. Wenn Jesus der Wundertäter ist, können wir natürlich mit Recht fragen, ob diese Ent50
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scheidung aus der Perspektive des Trinitätsdogmas berechtigt und sinnvoll ist. Ist es nicht Gott selbst, der in Jesus handelt? Gleichwohl wird auch in den Texten zwischen einem Handeln des Sohnes und einem Handeln des Vaters unterschieden. Diese Differenzierung steht auch nicht im Widerspruch zu einer ökonomisch gedachten Trinitätslehre (im Gegensatz zur immanenten). Doch sollten wir besser die Texte nicht mit der anachronistischen Vorstellung der späteren Trinitätslehre überfrachten. Man kann auf der Ebene der erzählten Handlung zwischen Geschichten unterscheiden, in denen ein menschlicher Wundertäter auftritt, und denen, in denen ein direktes Eingreifen Gottes ohne Interaktion von menschlichen Figuren stattfindet. Nur erstere werden zum Gegenstand der Untersuchung. Diese Entscheidung bringt eine gravierende Weichenstellung mit sich. Die Auferstehung Jesu – zweifellos das wirkmächtigste und maßgeblichste Wunder des Christentums – wird nicht mit aufgenommen, da hier kein (menschlicher) Wundertäter eine Handlung vollzieht. Damit werden zugleich alle Wunderberichte, die im Zusammenhang mit dem Auferstandenen stehen, ausgeschlossen (so z. B. das plötzliche Verschwinden Jesu nach dem Brotbrechen mit den Emmausjüngern in Lk 24,31; oder das Eintreten des Auferstandenen durch verschlossene Türen in Joh 20,19). Ferner werden Wunderzeichen nicht eigens besprochen, die im Bereich der Vorzeichen/Prodigien (s. dazu Dormeyer, Weltbild) liegen. Daher wurden die Begleitwunder beim Tod Jesu (Sonnenfinsternis, Zerreißen des Tempelvorhangs, Öffnung der Gräber, vgl. Mt 27,45.51-53) oder bei der Auferstehung (Totenstarre der Wachen, Mt 28,4) nicht aufgenommen (aber EvPetr 9,3610,42, s. u.). Auch die Epiphanien, d. h. visuelle Erscheinungen von Engeln oder visionäre Erlebnisse wie z. B. die Verklärungsszene (Mk 9,2-8 par.) wurden nicht berücksichtigt. Damit entfallen auch die wunderbaren Ereignisse wie z. B. die Träume und Visionen in den Geburtsgeschichten. Neben diesen Begrenzungen gibt es aber auch Ausweitungen. Aufgrund der geringeren Anzahl von Wundererzählungen im Vergleich zu Gleichnissen haben wir uns für häufigere Mehrfachbesprechungen entschieden. D. h., eine Wundererzählung wird nicht nur in der ersten postulierbar ältesten literarisch vorliegenden Fassung kommentiert (z. B. Mk), sondern vielfach auch in den synoptischen Parallelüberlieferungen. Mit dieser Entscheidung wurde zum einen hinsichtlich der Texte die Achtung vor den Erzählvarianten in ihren jeweiligen Makrokontexten zum Ausdruck gebracht (da das Projekt nicht die Höherwertung der ältesten Fassung vertritt und auch gegenüber der verlässlichen Rekonstruierbarkeit einer Ursprungsform skeptisch bleibt). Im Blick auf den Gebrauch des Kompendiums in homiletischen oder pädagogischen Zusammenhängen kommt die Mehrfachbesprechung auch dem Bedürfnis der Nutzer(innen) entgegen, denn vielfach sind es die matthäischen oder lukanischen Erzählvarianten, die in der Predigtordnung oder im Lehrplan benannt sind. Zum anderen wurde in hermeneutischer Hinsicht der Maxime der Vielstimmigkeit einmal mehr Rechnung getragen, indem durch unterschiedliche Ausleger(innen) auch mehr Deutungshorizonte des Textes entfaltet werden konnten. Dennoch konnten und wollten wir nicht jeden synoptischen Text drei- oder viermal kommentieren, sondern haben die Auswahl vom Grad der Abweichung gegenüber anderen Fassungen abhängig gemacht.
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Frühchristliche Wundererzählungen – eine Hinführung
2.1.2 Von der »Schönheit der Kompromisse« (Gandhi) Grenzziehungen haben immer nur einen heuristischen Wert, wenn es um Lebensphänomene oder um Kulturerzeugnisse wie Texte geht. So gibt es Grenzfälle, über deren Einbeziehung und Ausgrenzung gestritten werden kann und wir uns dem Vorwurf aussetzen, die eigene Kriteriologie nicht konsequent angewandt zu haben. Um deutlich zu machen, dass die hier getroffenen Entscheidungen keineswegs als dogmatische Norm misszuverstehen sind, möchte ich einige dieser Grenzfälle offen benennen und Gründe für ihre Einbeziehung darlegen: So stellt sich die Frage, ob der Seewandel Jesu (Mk 6,45-52 par.) nicht eine Epiphanie darstellt, die nach oben genannter Weichenstellung entfallen müsste. In gewisser Weise ist dies zutreffend, denn es geht hier um ein visuelles Erleben der Jünger. Jesus handelt nicht direkt, sondern wird zunächst ›nur‹ gesehen. Gleichwohl kann man in Jesu Gehen auf dem Wasser (Mk 6,49) auch eine Handlung an der Natur sehen, denn die der üblichen empirischen Erfahrung zugängliche Eigenschaft des Wassers, für einen schweren Gegenstand aufgrund der Gravitationsgesetze durchlässig zu sein, wird hier außer Kraft gesetzt. Stärker noch zählt das Argument, dass Jesus in der matthäischen Version der Erzählung auch als Wundertäter im eigentlichen Sinn präsentiert wird, weil er den erst mutigen, dann ungläubigen Petrus aus dem Wasser zieht und somit vor dem Ertrinken rettet (Mt 14,22-33). Ein sperriger Text ist ferner das Auffinden der Münze im Maul des Fisches (Mt 17,24-27). Mit V. 27 wird zwar die wunderbare Entdeckung der Münze angekündigt, aber der Vollzug nicht selbst berichtet. Auch die Forschung ist geteilter Meinung, ob dieser Text zu den Wundererzählungen gerechnet werden soll: Bultmann zählt ihn zu den biographischen Apophtegmata (Bultmann 1995, 34f.), Dibelius zur Novelle mit legendarischen Motiven (Dibelius 1971, 97.103); van der Loos hingegen ordnet den Text den Naturwundern zu (van der Loos 1965, 680-687), Theißen sieht darin seiner Definition gemäß ein Normenwunder (Theißen 1998, 148f., 319; ebenso Knoch 1993, 403409) und Bauckham ein Geschenkwunder, das in einer Notsituation Abhilfe schafft (Bauckham 1986, 233-235). Jede dieser Entscheidungen ist hinsichtlich ihrer Vorentscheidungen in Frage zu stellen. Wir haben uns für die Aufnahme entschieden, weil der Text Motive des Phantastischen aufweist und die in Aussicht gestellte Handlung im Auftrag Jesu Irritation auslöst. Ob ein Leser oder eine Leserin diese Entscheidung teilen mag und den Text als »Sonderform der Wundererzählung« (so Luther zur Stelle) gelten lässt, ist ihm/ihr selbst überlassen. Nach der Ausschlussregel von Auferstandenenerzählungen müsste auch der wunderbare Fischfang nach Joh 21,1-11 ausgegrenzt werden, weil hier der Auferstandene der Wundertäter ist. Der Text weist aber eine unmittelbare Parallele mit Lk 5,1-11 auf, d. h. das im Lukasevangelium berichtete Ereignis aus dem Leben des irdischen Jesus begegnet bei Johannes als ein Erlebnis mit dem Auferstandenen. Aufgrund dieser Parallele wurde eine Einbeziehung befürwortet. Schließlich mag es widersprüchlich erscheinen, dass die kanonische Auferstehungsszene nicht aufgenommen wird, wohl aber diejenige aus dem Petrusevangelium (EvPetr 9,36-10,42). Man kann die Steigerung des Wunderbaren etwa durch die Selbsttätigkeit des Steins oder des wandelnden Kreuzes erkennen, aber der Text bleibt hinsichtlich der gegebenen Definition problematisch: Ein Wundertäter wird nicht genannt, die 52
Das Kompendium der frühchristlichen Wundererzählungen – eine Leseanleitung
erzählten Ereignisse (etwa das Hinaufragen zum und Hinüberragen über die Himmel) sind ganz im Bereich des Visionären angesiedelt und könnten als Epiphanie gelten. Man hätte deshalb mit gutem Recht diesen Text auch weglassen können. Da das Kompendium allerdings auch den Wunsch hat, im Bereich der apokryphen Texte unbekanntere Quellen vorzustellen, ist der Text als einziger Wundertext aus dem Petrusevangelium mit aufgenommen worden. Zugleich wird somit innerhalb des Teils der apokryphen Jesuswunder ein Bogen zwischen Geburt und Auferstehung geschlagen, da aus gleichen Gründen auch ein Text zu den wunderbaren Begleitumständen der Geburt Jesu aus dem Protevangelium aufgenommen wurde (dieser Text enthält aber zusätzlich ein Heilungswunder, das bereits der Säugling Jesus vollbringt). Waren wir schon beim Gleichniskompendium im Teil der apokryphen Texte (vgl. Agrapha) großzügiger, so sollte dieses integrative Gestaltungsprinzip auch für die im Kanon fehlenden Texte beim Wunderkompendium gelten (vgl. PsMt 23f.; EvNik 1,5f.).
2.1.3 Kanonische und apokryphe Texte Bei der Frage der Anordnung des Stoffes folgt das Kompendium der Wundererzählungen der Grundentscheidung des Gleichniskompendiums, kanonische und apokryphe Texte in einem Band zu besprechen. Damit ist keine theologische Entscheidung über die Gültigkeit des Kanons gefällt. Auf historischer und literaturwissenschaftlicher Ebene können die kanonischen Texte durchaus auf eine Ebene mit apokryphen Texten gestellt werden. Im Blick auf ihre Bedeutung für die Erinnerungsgemeinschaft der Kirche ist jedoch der Kanon eine nicht diskutierbare normative Größe. Wenn Kanon hierbei als erinnerungsgeschichtliche Kategorie verstanden wird (vgl. Assmann 1999, 103-129, vgl. auch Becker/ Scholz 2012), erübrigen sich dogmatische Streitigkeiten, die aus je unterschiedlicher Parteinahme den Kanon zementieren oder einreißen wollen. Es zeugt geradezu von dogmatischer Hybris, wenn historische Wissenschaft sich anmaßen wollte, die geschichtliche Entwicklung zum Kanon wie auch die bleibende ökumenische Bedeutung desselben ungeschehen machen zu wollen. Wer die unterschiedlichen hermeneutischen Perspektiven der Auslegung differenziert (vgl. dazu Zimmermann 2011c, 6-13, Schaubild 12), kann jedoch ohne Mühe die historische Einbeziehung von apokryphen Schriften befürworten und zugleich in rezipientenorientierter Dimension die Würdigung und Beibehaltung des Kanons vertreten. Befreit von diesem hermeneutisch verengten Grundsatzstreit können aber apokryphe und kanonische Wundertexte in einen fruchtbaren Dialog treten, der es dann auch erlaubt, etwa aus der Perspektive der späteren Entwicklungen der apokryphen Apostelakten den inhaltlichen Wert kanonischer Wundererzählungen neu zu würdigen. Während die Gattung »Parabel« doch als Erinnerungsmedium weitestgehend auf die Person Jesu begrenzt blieb und damit recht früh auch die Literaturproduktion dieser Textsorte zum Erliegen kam, zeigt die Gattung »Wundererzählung« eine enorme Ausweitung und Erfolgsgeschichte im Laufe der ersten Jahrhunderte, die dann direkt in die Wundererzählungen der Heiligenlegenden übergeht (vgl. etwa Leben und Wunder der Heiligen Thekla). Da dieser Trend bereits mit der kanonischen Apostelgeschichte des Lukas einsetzt, haben wir uns entschlossen, neben dem hier vorliegenden Band 1 (Die Wunder Jesu) noch einen Band 2 (Die Wunder der Apostel) hinzuzufügen.
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Frühchristliche Wundererzählungen – eine Hinführung
2.2 Gesamtstruktur des Kompendiums: Die Anordnung des Stoffs Die Wundererzählungen können nach unterschiedlichen Kriterien geordnet werden, wie übergreifende Untersuchungen zeigen, wobei die Gruppierungen nach Sachkriterien (z. B. Heilungs- und Naturwunder nach Bultmann 1995, 223-230), nach Untergattungen (z. B. Normenwunder, Geschenkwunder, s. Köhnlein 2010, 207-227.259-274) oder nach Quellenbereichen (z. B. Eve 2009, Kap. 5 »Miracle in Mark«) beliebt sind (Einzelbelege s. o. 1.2.2). Vielfach werden auch Mischformen der Anordnung angeboten (z. B. Knoch 1993; Eve 2009; Köhnlein 2010). Wir haben uns auch diesmal wie beim Gleichniskompendium für eine konsequente Anordnung nach Quellenbereichen entschieden. Hierbei wird wiederum die Logienquelle Q als eine zwar nur als Intertext zwischen Matthäus und Lukas vorhandene, doch aber in der Forschung weitgehend als Text anerkannte Quelle (vgl. Heil 2009, 11-28) eigens ausgewiesen, auch wenn diesmal nur zwei Perikopen unter der Kategorie »Wundererzählungen« in Q nachweisbar sind. In der Anordnung folgen wir einem losen zeitlichen Raster, das mit Q und Markus beginnt, in kanonischer Reihenfolge Matthäus, Lukas und Johannes anfügt und mit einer Auswahl an apokryphen Wundererzählungen der Jesustradition endet. Mehr noch als beim Gleichniskompendium finden sich Mehrfachbesprechungen von Erzählungen, denen vermutlich der gleiche Stoff zugrunde liegt. Damit wird einerseits die Vielfalt der bereits kanonischen Textüberlieferung gewürdigt. Nicht nur die postulierte älteste literarische Fassung eines Textes (z. B. in Q oder Markus), sondern gerade auch die wahrscheinlich später abgefassten Texte haben mit dem gleichen Recht Anspruch auf Wahrnehmung und Auslegung als maßgebliche Texte der Heiligen Schrift. Zugleich wird mit dieser Entscheidung der praktische Gebrauch des Kompendiums erleichtert, denn in Predigtreihen und Lehrplänen finden sich oft die matthäischen oder lukanischen Fassungen des Textes als Referenztexte. Falls die Abweichungen bei Mehrfachüberlieferungen gering sind, wurde auf eine eigene Besprechung im Sinne der Begrenzung des Gesamtumfangs verzichtet. Ebenso musste bei den apokryphen Jesuswundern eine Auswahl getroffen werden, die zwischen bekannten (Lehmspatzen, KThom 2) und unbekannten Erzählungen vermittelte und auch unterschiedliche Quellenbereiche erfassen und damit vorstellen wollte (z. B. EvNik).
2.3 Vielfalt der »Sehepunkte«: Das Auslegungsraster Die eingangs (s. Vorwort) als Programm des Kompendiums beschriebene Vielfalt der Stimmen und Perspektiven sollte durch ein einheitliches Auslegungsraster vor dem Auseinanderfallen bewahrt werden. Um das Kompendium auch innerhalb seiner einzelnen Teile doch als ein Gesamtwerk erkennbar werden zu lassen, haben sich alle Autorinnen und Autoren auf ein einheitliches Grundraster der Auslegung eingelassen (s. Tabelle).
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Das Kompendium der frühchristlichen Wundererzählungen – eine Leseanleitung (a) Überschrift (b) Eigene Übersetzung der Wundererzählung (c) Sprachlich-narratologische Analyse (d) Sozial- und realgeschichtlicher Kontext (e) Traditions- und religionsgeschichtlicher Hintergrund (f) Verstehensangebote/Deutungshorizonte (g) Aspekte der Parallelüberlieferung und Wirkungsgeschichte (h) Literatur zum Weiterlesen Auslegungsraster der einzelnen Kommentare
Die unterschiedlichen Teile der Untersuchung repräsentieren jedoch ihrerseits wieder eine Vielfalt der Zugänge, sind – um es mit Chladenius zu sagen (vgl. dazu Zimmermann/Luther 2013) – »Sehepunkte«. Die unterschiedlichen Perspektiven der Exegese dürfen in diesem Sinne nicht als lineare Schrittfolge missverstanden werden. Sie können zwar aufbauend gelesen werden, stellen jedoch je für sich eigene Zugänge mit unterschiedlichen Methoden dar. Dabei sind drei Sehepunkte kategorial zu differenzieren (vgl. dazu Zimmermann 2011c, 3-24; appliziert auf die Wundererzählung Mk 5,1-20 in Zimmermann 2012): ein sprachlicher Fokus (hier: Übersetzung und Sprachlich-narratologische Analyse), ein historischer Fokus (hier: Sozial- und realgeschichtlicher Kontext und Traditions- und religionsgeschichtlicher Hintergrund) sowie ein rezeptionsästhetischer Fokus (hier: Deutungshorizonte und Aspekte der Wirkungsgeschichte). Während die ersten vier Annäherungen eher analysieren und enzyklopädisches Wissen zusammentragen, geht es bei den Deutungshorizonten um die Synthese bestimmter Aspekte, die zu einer sinnstiftenden Auslegung führt. Im Folgenden sollen zum leichteren Verständnis die methodischen Leitfragen und Grundlagen der jeweiligen Auslegungsschritte erläutert werden: Zu (a) Überschrift Die Überschrift der einzelnen Auslegungen setzt sich aus maximal drei Elementen zusammen: Kreativer Titel (klassischer Titel) Stellenangabe (Parallelen) also z. B.: Der Mensch lebt nicht vom Brot allein, es darf noch Fisch dazwischen sein (Die Speisung der Viertausend) Mk 8,1-10 (Mt 15,32-39) Zum kreativen Titel: Der Kreativ-Titel soll einen Leseanreiz schaffen. »Kreativ« meint dabei, dass der Titel einerseits durchaus schon die Pointe der Auslegung andeuten kann (ohne dabei die mögliche Vielzahl der Deutungen vorschnell engzuführen) und andererseits durch seine provokante/sperrige/paradoxe/ungewohnte etc. Formulierung das Interesse des Lesers oder der Leserin weckt. 55
Frühchristliche Wundererzählungen – eine Hinführung
Zum klassischen Titel: »Klassischer Titel« meint die Überschriften, die z. B. durch die Lutherbibel gängiges Allgemeingut geworden sind, wie z. B. »Der Hauptmann von Kafarnaum«, »Die Auferweckung der Tochter des Jaïrus« etc. (dies ist bei vielen Texten z. B. der apokryphen Tradition nicht gegeben). Zur Stellenangabe: Ist ein Wunder mehrfach überliefert, so folgt die Angabe der Paralleltexte dem Gesamtaufriss des Kompendiums, d. h. Q – Mk – Mt – Lk – Joh – Apg – apokryphe Evangelien – apokryphe Apostelakten. Dies gilt allerdings nur, wenn auch die Parallelstelle an dieser Stelle im Kompendium in Übersetzung dargeboten und besprochen wird. Wird eine Parallelstelle eigens kommentiert, dann kann man über die Tabellen im Anhang den Fundort auffinden. Zur Tabellennotation: Innerhalb der tabellarischen Auflistung der Wunderstellen am Ende der Hinführungen zu den Quellenbereichen (analog am Ende des Bandes) werden nur die aufgeführten Erzählungen nummeriert, auch dann, wenn diese Texte nicht bei diesem Quellenbereich besprochen werden. Auf diese Weise kann man sich sofort einen Eindruck verschaffen, wie viele Wundererzählungen in einem Quellenbereich vorkommen (z. B. 20 bei Lukas). In der Tabelle werden zusätzlich auch Wundersummarien, -motive und -verweise aufgeführt, so dass ein Gesamtüberblick über die Wunderthematik in einer Quellenschrift gegeben wird. Zu (b) Eigene Übersetzung der Wundererzählung Textbasis und Ursprachen: Analysiert und übersetzt wird die nach gängigem Konsens der neutestamentlichen Forschung älteste literarische Fassung des Textes. Für die Evangelien nach Markus, Matthäus, Lukas und Johannes wird der Text des NA, 27. Auflage zugrunde gelegt. Bei Q-Texten gilt die kritische Q-Rekonstruktion des internationalen Q-Projects (Robinson/Hoffmann/Kloppenborg 2000; vgl. Hoffmann/Heil 2009), bei Wundern der apokryphen Literatur (insbesondere Bd. 2) wird die jeweilige Textbasis in der Einleitung des Quellenbereichs oder im Kommentar selbst benannt. Die Übersetzung ist schon Teil der Interpretation. Historische Semantik und moderne Übersetzungstheorie haben gezeigt, dass es eine rein ›lexikalisch-literarische‹ Übersetzung nicht gibt, auch wenn sie noch so lange eingeübt wurde. Die Übersetzungen versuchten hierbei immer, dem griechischen oder lateinischen Text selbst gerecht zu werden und nicht einer bestimmten Übersetzungs- und Lexikon-Tradition (vgl. dazu ZNT 26, 2010). Das ›rechte Maß‹ zwischen Textgemäßheit und Verständlichkeit durften jeder Autor und jede Autorin selbst bestimmen. Die Übersetzung ist hinsichtlich einer »gerechten Sprache« ein besonders kritischer, aber auch bereits besonders intensiv diskutierter Punkt. Die Vielfalt der Autor(inn)en bedingte auch hier eine Variationsbreite, die im Sinne des Gesamtwerks durchaus erwünscht war. So wurden die Autor(inn)en nicht auf bestimmte Bekenntnisse verpflichtet, allerdings haben wir dazu angehalten, bezüglich Frauen ausgrenzender oder abwertender Übersetzungen besonders sensibel zu sein. Zu (c) Sprachlich-narratologische und pragmatische Analyse unter Einbeziehung des literarischen Kontextes Die literaturwissenschaftliche Herangehensweise an die Texte gebot es, der sprachlichen Analyse gebührenden Raum zu geben. Wundergeschichten als Erzählungen lassen sich mit narratologischem Instrumentarium besonders gut analysieren. Die Theoriebildung im Bereich der Narratologie ist in den letzten Jahren entscheidend vorangekommen (vgl. 56
Das Kompendium der frühchristlichen Wundererzählungen – eine Leseanleitung
Martínez/Scheffel 2009) und wurde vielfach gewinnbringend auf biblische Texte appliziert (vgl. den Überblick bei Finnern 2010). Besonders im englisch- und französischsprachigen Raum sind auch verschiedene Lehrbücher publiziert worden, die gute methodische Orientierung für eine Applikation narratologischer Analysetechniken im Bereich der Exegese bieten (vgl. Fokkelman 1990; Tolmie 1999; Marguerat/Bourquin 1999; Resseguie 2005). Autoren und Autorinnen haben sich in unterschiedlicher Intensität auf diese Vorarbeiten gestützt und narratologische Methoden einschließlich des gebräuchlichen Fachvokabulars bei ihren sprachlichen Analysen angewandt. Gleichwohl wollten wir auch hier auf Lesbarkeit und Verständlichkeit achten, so dass der exegetische Ertrag jeweils im Zentrum bleiben sollte. Da jeder Autor und jede Autorin unterschiedlichen Rahmentheorien verpflichtet sind und je nach Text auch unterschiedliche methodische Zugänge hilfreich sind (z. B. Figurenanalyse; Zeit-/Raumanalyse, Perspektivenanalyse), haben wir keine einheitliche Rahmen-Theorie vorgeschrieben, die hier vorgestellt werden könnte. Die narratologische Methodik schließt bekannte und bewährte Analyseschritte keineswegs aus. Die Perikopeneinteilung, die mit der Überschrift und Übersetzung vorgegeben ist, gebot es, diese Einschnitte zu diskutieren. Gleichwohl war uns immer bewusst, dass hierbei eher eine pragmatische Entscheidung und keine (Vor-)Entscheidung über Einzeltexte oder gar Vorstufen von Texten gegeben war. Der analysierte Text ist immer nur ein Ausschnitt aus dem Makrotext der gesamten Quellenschrift. Entsprechend war es die Aufgabe, den herausgelösten Text in seinen Kontext einzubinden und von dieser Einbettung aus zu verstehen. Folgende elementare Leitfragen können benannt werden, die in vielen Kommentaren textspezifisch beantwortet wurden: Abgrenzung und Kontexteinbindung Wodurch sind Anfang und Ende der Wundererzählung kenntlich gemacht? Wer handelt hier? Wer sind die Adressat(inn)en? (innerhalb der erzählten Welt) Welche Situation/Szene geht der Erzählung voraus, welche folgt ihr? Gehört sie thematisch in einen größeren Themenkomplex, oder liegt sie funktional auf einer bestimmten Erzähllinie des »Evangelisten«? Welchem größeren Redezusammenhang gehört das Wunder ggf. an und welche Stellung nimmt es darin ein? Narrative Merkmale Welche Zeit- und Raumangaben werden gemacht? In welchem Verhältnis stehen Erzählzeit und erzählte Zeit? Welche Figuren oder Gegenstände kommen innerhalb der Erzählung vor, und wie werden diese zueinander in Beziehung gesetzt? (Figurenkonstellationen; Haupt- und Nebenfiguren; wer ist aktiv?; wer ist passiv?) Wie ist der Handlungsverlauf gestaltet (ggf. Einleitung, Spannungsbogen, Höhepunkt, Schluss)? Worin besteht die (Mini-)Sequenz der Handlung bzw. eine Zustandsveränderung? Welche Erzählperspektive wird eingenommen? Wird eine Erzählstimme (z. B. durch Kommentierung) hörbar?
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Frühchristliche Wundererzählungen – eine Hinführung
Pragmatische Merkmale Wo werden Leser(innen)erwartungen erfüllt, wo überrascht der Text (sowohl seine Hörer[innen] innerhalb der erzählten Welt als auch dann natürlich in einem zweiten Schritt uns als heutige Leser[innen])? Gibt es Leerstellen innerhalb der Erzählung, die Leserwirkung haben? Gibt es (Leser[innen-])Kommentare? Offene Fragen? Werden Imaginationen hervorgerufen oder Gefühle geschildert? Mit welchen sprachlichen Merkmalen soll gerade die Irritation ausgelöst werden, die das ›Wunderbare‹ an dem erzählten Ereignis verstärkt? Wodurch werden Leser(innen) zur Einsicht geführt? Wozu fordert sie der Text auf (Handlungsappell)?
Zu (d) Analyse des sozial- und realgeschichtlichen Kontexts Um die Darstellung der Wundererzählungen und ihre intendierte Wirkung verstehen und deuten zu können, ist die möglichst genaue Kenntnis der sozial- und realgeschichtlichen Kontexte notwendig. Die Wahrnehmung der gewohnten Welt des Textes, wie z. B. die üblichen Therapieverfahren, ist Voraussetzung, um die bewusste, narrativ angelegte Brechung dieser Ordnung profilierter benennen zu können. Eine präzise Rekonstruktion der Kontexte einzelner Texte ist aus den oben diskutierten geschichts- und erkenntnistheoretischen Begrenzungen nicht möglich. Entsprechend wurde hier eher enzyklopädisch vorgegangen, indem eine ›mögliche Welt‹ (re)konstruiert wird, wie sie uns durch antike Quellen zugänglich ist. Um ein breites Panorama zu bieten, wurden viele themenverwandte außer- und vorchristliche Textquellen aus Judentum und griechisch-römischer Welt herangezogen. Häufig werden auch zentrale Textpassagen als Zitate präsentiert. Ferner wurden nach Möglichkeit außertextliche Quellen, z. B. archäologische Funde/Münzen hinzugezogen. Hinsichtlich des Umfangs der Darstellung von Realia wurde nicht zu eng auf den eigenen Auslegungsduktus eingegrenzt. Unter der Maxime von Deutungsangeboten sollte ein enzyklopädisches Wissen ausgebreitet werden, das einem Leser auch andere als in der Auslegung selbst favorisierte Schlüsse erlaubt. Auch im Blick auf den zeitlichen oder geographischen Rahmen sollten an dieser Stelle nicht zu enge Eingrenzungen hinsichtlich der jeweils gültigen Datierung oder Verortung der Schrift vorgenommen werden. Bei der Auswahl der behandelten Realien spielte auch das postulierte Vorwissen moderner Leser(innen) eine Rolle, deswegen wurden Aspekte bevorzugt dargestellt, die die Fremdheit der antiken Lebenswelt vor Augen führen. Um Dopplungen zu vermeiden, haben wir uns entschieden, übergreifende Themenartikel (z. B. Krankheitsbilder) den Einzelauslegungen voranzustellen. Das Kompendium wurde ferner mit einem Stichwortverzeichnis ausgestattet, über das auch das Auffinden von Querverweisen möglich ist. Zu (e) Analyse des traditions- und religionsgeschichtlichen Hintergrunds In diesem Punkt geht es um Deutungstraditionen bzw. Diskurswelten von bestimmten Phänomenen. Auch jenseits einer symbolischen Interpretation der Wunderhandlung stehen Wundererzählungen und ihr Repertoire immer schon in einem Deutungszusammenhang. Sogar Ereignisse sind immer schon Zeichen, mehr noch ihre literarische Darstellung. So gibt es Krankheiten, die eng mit kultischer (Un-)Reinheit zusammenhängen 58
Das Kompendium der frühchristlichen Wundererzählungen – eine Leseanleitung
(z. B. Blutfluss; Aussatz), andere werden traditionsgemäß mit bestimmten theologischen Konnotationen versehen (Blindheit – Unglaube) oder es wird ein grundsätzlicher Zusammenhang zwischen Krankheit und Sünde postuliert (s. Mk 2; Joh 9). In der traditionsgeschichtlichen Analyse sollte herausgearbeitet werden, wie das Motivrepertoire oder einzelne Semanteme der Wundererzählung traditionell verwendet wurden. Gefragt wurde hierbei, ob es stereotype Deutungsmuster innerhalb der jüdischen oder griechisch-römischen Literatur gab bzw. wie das frühe Christentum selbst solche Überdeterminationen geprägt hat. Gibt es z. B. zum Brot Unterbereiche oder Einzelmotive, wie etwa Brot als Lebensgabe, Manna-Tradition, der Brotspender/Gott als Schöpfer? Nicht nur der allgemeine Nachweis von Bedeutungsfeldern, sondern auch die spezifische Verwendung wurde hier untersucht: Welche Kenntnis dieser Tradition unterstellen der implizite Autor oder die implizite Autorin dem impliziten Leser oder der impliziten Leserin? Bietet er/sie damit evtl. sogar auf Textebene unterschiedliche Tiefendimensionen im Verständnis der Wundererzählung an? Inwiefern steht die Erzählung mit ihrer Verwendung der Motive innerhalb dieser Tradition? Inwiefern verändert sie sie aber auch vielleicht (z. B. durch Neuakzentuierungen, Paradoxien etc.)? Z. B. ist nicht mehr Gott derjenige, der über das Wasser geht, sondern Jesus. Wie verhalten sich Tradition und Innovation? Gibt es innerhalb des jeweiligen Autors oder der Autorin eine einheitliche Verwendung/Neu- und Umgestaltung der Motivtradition? Wie wird das Material im Urchristentum neu-/um-/fortgeschrieben? Mit welcher Rahmentheorie man diese Tiefenbedeutung der Motive beschrieb (wie z. B. klassische Motiv-/Traditionsgeschichte, historische Semantik, Bildfeldtheorie oder Diskurs- und Zeichentheorien), war dem Autor oder der Autorin überlassen. Zu (f) Deutungshorizonte s. den eigenen Punkt 2.4. Zu (g) Wirkungsgeschichtliche Aspekte Im letzten Punkt der Auslegung soll die Wirkungsgeschichte des Textes in Auswahl skizziert werden. Diese zeigt sich bereits in der frühchristlichen Zeit, weshalb auch Parallelüberlieferungen an dieser Stelle eingebracht werden, sofern sie nicht eine eigene Kommentierung im Kompendium haben oder schon unter (f) thematisiert wurden. Im Sinne der Unabgeschlossenheit der Deutung soll dieser Punkt am Ende stehen und die heutigen Leser(innen) gleichsam einladen, ihre eigene Deutung für heute und sich selbst zu finden. Parallelüberlieferungen sollen an dieser Stelle auch übersetzt und in ihrem Kontext kurz analysiert werden (nur im Einzelfall ist es notwendig, die Parallelüberlieferung mit einem größeren Eigengewicht zu untersuchen). Die aufgrund des Umfangs notwendig sehr begrenzte Auswahl an wirkungsgeschichtlichen Zeugnissen wurde je nach Text vom Autor oder der Autorin selbst bestimmt. Dabei wurden wirkungsgeschichtliche Zeugnisse in Kunst-, Musik- und Literaturgeschichte wie auch gegenwärtige Artefakte einbezogen. Hier ging es allerdings immer nur um Kostproben, nicht um den Anspruch, summarisch Leitlinien etc. aufzuzeigen. Zu (h) Literatur zur Weiterarbeit Schließlich wird an jeden Kommentar eine kleine Literaturliste angefügt, die Titel nennt, die zur weiteren Beschäftigung mit dem Text einladen. Je nach Länge des Beitrags werden 59
Frühchristliche Wundererzählungen – eine Hinführung
hier ca. 5-15 Titel genannt, die einschlägige, aber auch interessante und entlegenere sowie auch englischsprachige Literatur umfassen. Die in Klammern in einem Beitrag genannte Literatur kann im Gesamtliteraturverzeichnis am Ende des Buches aufgelöst werden.
2.4 Einladung zum Wundern: Die Deutungshorizonte Die Auslegungen wollen nicht die maßgebliche Deutung einer Wundererzählung bieten. Sie verstehen ihre Aufgabe darin, dass sie aus den eher analytischen oder enzyklopädischen Teilabschnitten der vorgängigen Interpretation nun sinnstiftende Auslegungen zusammenfügen und anbieten. Dabei wurden jeder Autor und jede Autorin angehalten, mindestens drei in sich kohärente und mögliche Auslegungen vorzustellen. Dies war auch für die beteiligten Wissenschaftler(innen) eine Herausforderung, weil man innerhalb der fachwissenschaftlichen Diskussion eher bemüht ist, andere Deutungen zu kritisieren, um die favorisierte eigene Deutung umso klarer profilieren zu können. Die Autorinnen und Autoren sollten jedoch gerade abweichende und auf ihre je eigene Weise schlüssige Auslegungsvarianten stark machen und somit als Sinnstiftungsangebote einem Leser oder einer Leserin vor Augen führen. Auf diese Weise sollten nicht nur die verschiedenen Verstehenspotenziale der Texte entfaltet werden, sondern zugleich ein Rezipient und eine Rezipientin eingeladen werden, in diese hermeneutische Suchbewegung einzusteigen. Die Vielfalt der Deutungshorizonte soll die Leser(innen) des Kompendiums ihrerseits zu Deutung anstiften. Wahrheitsfähige Exegese kann nie vorgeschrieben, sondern immer nur selbst in den je eigenen Kontexten und Lebenswelten vollzogen werden. Zur Erleichterung der Einordnung dieser unterschiedlichen Deutungen haben sich die Auslegungen in loser Weise an klassische Auslegungsperspektiven und ihre Terminologie angelehnt (vgl. etwa Kollmann 2006a, 92f.), wovon auch die folgende tabellarische Auflistung eine Auswahl präsentiert. Die Tabelle lässt bestimmte Affinitäten zur Forschungsgeschichte erkennen, denn einzelne Auslegungsperspektiven waren zu bestimmten Zeiten besonders ›in Mode‹ (so z. B. befreiungstheologische Deutung in den 1970er/ 80er Jahren). Gleichwohl zeigen sich auch jenseits dieser Schwerpunktzeiten immer wieder einzelne Aspekte in anderen Deutungen. Vielfach kommt es auch zu Überschneidungen. So kann man die Deutung von Theißen zwar ›sozialgeschichtlich‹ nennen, gleichzeitig versucht sie aber, durch Plausibilitätserwägungen (z. B. Teilen des Brotes erscheint wie ein Wunder) rationale Erklärungen zu finden, ist also auch ›rationalistisch‹ und ›historisierend‹. Gemäß dem Fokus auf Formen und Motive ist sie aber auch ›formgeschichtlich‹, wie es der Titel seines Hauptwerks anzeigt (Theißen 1998). Das angefügte Raster erfüllt insofern v. a. eine heuristische Funktion, indem es hilft, unterschiedliche Perspektiven auf die Wundererzählungen klarer wahrnehmen zu können. Jede einzelne Wundererzählung erfordert ihre spezifischen Zugänge, so dass neben wiedererkennbaren bekannten Deutungsmustern auch neue und kreative Horizonte eröffnet werden. Das bestehende Raster sollte und soll somit fortgeschrieben und weiterentwickelt werden. Die Auslegung von Wundererzählungen ist ein nicht abschließbarer Vorgang (vgl. auch Hultgren 2009). Es ist, wie es Hans Robert Jauß formuliert hat, ein 60
Das Kompendium der frühchristlichen Wundererzählungen – eine Leseanleitung
»Offenlegen und Offenhalten von Möglichkeiten; ohne Offenheit, die ihre radikale Negativität im Wissen des Nicht-Wissens hat, wäre Erfahrung im Sinne von Erkenntnis dessen, was man noch nicht weiß oder anders erwartete, nicht möglich« (Jauß 1997, 393). Die durch die Deutungshorizonte offen gehaltene Auslegung der Wundererzählung verliert sich damit nicht in einem postmodernen Deutungsverzicht, sondern zielt auf die je und je kontextuelle Auslegung eines Rezipienten oder einer Rezipientin, die wundersame Erfahrungen und Erkenntnisse in sich bergen mag.
Ruben Zimmermann
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Frühchristliche Wundererzählungen – eine Hinführung Deutungsfokus Historisierende Deutung
Fragestellung
Methode
Stärke/Sinn des Ansatzes Grenze/Anfragen
Was ist wo und wie passiert? Welches historische Ereignis ist Referenzbereich der Erzählung? Welchen Stellenwert hat die Faktizität des Ereignisses für den Text? Wie kann das Erzählte mit dem heutigen (modernen) und antiken (aufgeklärten und mythologischen) Weltbild meinem und damaligem ›gesunden Menschenverstand‹ und der Naturgesetzlichkeit/Naturregelmäßigkeit vereinbar sein?
Historisch-kritische Rückfragen; Kontext- und Wirkungsplausibilität (Theißen/ Winter)
Formgeschichtliche und religionsgeschichtliche Deutung
Welche gattungsspezifischen Elemente weist die Erzählung auf? Wo gibt es ähnliche Erzählungen in der antiken Umwelt des Neuen Testaments?
Form- bzw. Gattungskritik; Traditions-/Motivgeschichte; Religionsgeschichtlicher Vergleich
Überlieferungsund redaktionsgeschichtliche Deutung
Welche ÜberliefeLiterar- und Rerungs- und Bearbeidaktionskritik tungsstadien sind im Text erkennbar? Welche theologischen Akzentverschiebungen werden darin sichtbar?
Dieser Fokus nimmt die Faktualität der Erzählung ernst; greift Bedürfnis der Leser(innen) nach historischer Klärung auf; historische Basis als Bürge für die Wahrheit des Erzählten Deutung will erklären, dass die Erzählung auch mit modernem Weltbild vereinbar sein könnte; durch das postulierte einheitliche Wirklichkeitsverständnis sowohl in Antike und Gegenwart als auch in den unterschiedlichen Wissenschaften wird Ganzheitlichkeit und Relevanz der Erzählung proklamiert Nimmt die sprachliche Gestalt des Textes ernst; sensibilisiert für gattungstypische Merkmale; zeigt die Nähe, aber auch Differenz der frühchristlichen Wundererzählungen zur zeitgenössischen Parallelliteratur; kann die Funktion der Gattung als Kommunikationsmedium herausarbeiten Arbeitet die Tradierung bzw. Fortschreibung und damit aktualisierenden Aspekte heraus; zeigt, wie der Text unter veränderten Kontexten und Kommunikationsbedingungen relevant bleiben konnte
Rationalistische Deutung
Logik und Vernunftgemäßheit; Frage nach Kompatibilität mit naturwissenschaftlichen Erkenntnissen (z. B. zur Gravitation; zum Hirntod)
Historischer Positivismus ist geschichtstheoretisch problematisch. Wird die ›Wahrheit‹ der Wundergeschichte nicht mit der historischen Faktizität verwechselt, die für die Gegenwart keine Relevanz hat? Die im Text z. T. bewusst herausgeforderte Widersprüchlichkeit des Erzählten mit der Vernunft wird nivelliert; rationalistische Welterklärung reduziert die Wirklichkeit.
Klassifikatorisches Gattungsbewusstsein ist überholt; Idealismus der Gattungspoetik, als ob man Texte in Reinform produziert hätte; relativiert u. U. die Einzigartigkeit der Erzählung
Methoden führen zu divergenten Ergebnissen; Modell der reinen Anfänge; vereinfachende Literaturtheorie mit reduziertem Konzept von Kohärenz und Spannungsfreiheit; Gefahr der Engführung auf Unterschiede zu den Quellen Sozialgeschicht- Welche soziale Sozial- und real- Sensibilisiert für die Zeit- Vernachlässigt die zeitliche (befreiLebenswelt steht hinter geschichtliche und Kontextbedingtheit übergreifende Dimension ungstheologidem Erzählten? Wie Analyse; der Texte; gewichtet die des Textes; nimmt nur besche) Deutung werden besonders die Soziologische pragmatische Dimension schränkte RezipientenMarginalisierten ange- Analyse der Texte als »Mutmach- gruppe in den Blick sprochen und zum geschichten« Handeln ermutigt?
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Das Kompendium der frühchristlichen Wundererzählungen – eine Leseanleitung Deutungsfokus Feministische Deutung
Fragestellung
Methode
Wo und wie kommen Frauen, ihre Lebenswelt und -probleme in der Erzählung vor? Was will die Wundergeschichte besonders Frauen vermitteln?
Verschiedene exegetische Methoden, jeweils mit Fokus auf Frauen im Text und außerhalb
Stärke/Sinn des Ansatzes Grenze/Anfragen
Lenkt den Blick auf Frauen und ihre spezifischen Fragen/Probleme/Stärken; sensibilisiert für die Gender-Perspektive, die oft bereits im Text angelegt ist (Kerygmatisch-) Was ist die theologiHistorische Se- Bei diesem Fokus wird die Theologische sche Kernaussage der mantik (theotheologische Botschaft Deutung Wundererzählung? logische Tiefen- herausgearbeitet; vielfach Welche theologischen dimension der liegt hier die primäre InThemen, welche Bot- Motive); Prag- tention der Erzählung, die schaft für Glauben an matik; kanomeist kein historischer Gott und Christus und nische Lektüre Bericht und keine bellefür die glaubende Getristische Unterhaltung meinschaft werden besein will. handelt? Wie werden Definitionsgemäß kommt sie durch die Erzählung in der Wundererzählung problematisiert und Gottes Wirklichkeit zum vorangetrieben? (im Vorschein. engeren Sinne theo-loDer Erkenntnisgewinn im gische sowie christoloGlauben wird profiliert. gische, pneumato-logische, eschatologische, ethische usw. Deutungsaspekte) (Tiefen-) Die Wundererzählun- z. B. Tiefenpsy- Hier wird die allgemeinPsychologische gen (aber auch das chologische Aus- anthropologische, zeitDeutung ihnen zugrunde liegen- legung nach übergreifende und perde Wunderwirken Je- Drewermann sönliche Dimension des su) zeigen etwas über (Trennung von Textes zur Geltung geden Menschen, sein Subjekt-/Objekt- bracht. Dasein, seinen Glaustufe; Amplifika- Kann der Text selbst im ben, seine Ängste und tion etc.) Rezeptionsvorgang eine Hoffnungen usw. ›therapeutische Dimension‹ haben? SymbolischDie verwendeten Zei- Historische Se- Anerkennt die Untersemiotische chen und Motive ste- mantik; schiedlichkeit der WirkDeutung hen in einem weiteren Metaphern- und lichkeitszugänge; prinziDeutungszusammen- Symboltheorien; pielle Offenheit; kann hang von Wirklichkeit; Diskursanalyse, antikes und modernes ihre Bedeutung erSemiotik Weltbild in seinem Eigenschließt sich nur in wert nebeneinander ausdiesem enzyklopähalten; einfache Alternatidischen Kontext ven wie ›historisch – fiktional‹, ›echt – unecht‹ werden aufgebrochen Die eigene … … … Deutung
Die bewusst positionelle Perspektive kann einseitig und blind für widerständige Textindizien werden.
Die Wunderhandlung selbst wurde und wird bei dieser Perspektive vernachlässigt oder relativiert. Wird die theologische Botschaft wirklich jenseits des Wunders oder nicht gerade durch das Wunder vermittelt?
Individuelle Dimension überlagert soziale oder gar politische Dimension des Textes; blendet die historische Kontextualität und Begrenzung des Textes aus
Kann eine klare Textaussage verhindern; ist u. U. zu theorielastig und voraussetzungsreich; blendet Frage nach der Einheit der Wirklichkeit aus.
…
Tab. Deutungshorizonte von frühchristlichen Wundererzählungen
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3. Basisliteratur zu frühchristlichen Wundererzählungen 3.1 Monographien und Sammelbände (der letzten 50 Jahre) H. van der Loos, The Miracles of Jesus, NT.S 9, Leiden 1965. F. Mußner, Die Wunder Jesu. Eine Hinführung, München 1967. R. Pesch, Jesu ureigene Taten? Ein Beitrag zur Wunderfrage, QD 52, Freiburg i. Br. et al. 1970. G. Theißen, Urchristliche Wundergeschichten. Ein Beitrag zur formgeschichtlichen Erforschung der synoptischen Evangelien, Gütersloh 1974 (zitiert im Buch als 81998). A. Suhl (Hg.), Der Wunderbegriff im Neuen Testament, WdF 295, Darmstadt 1980. H. C. Kee, Miracle in the Early Christian World. A Study in Sociohistorical Method, New Haven/ London 1983. E. Drewermann, Tiefenpsychologie und Exegese, Bd. 2: Wunder, Vision, Weissagung, Apokalypse, Geschichte, Gleichnis, Olten 1985 (61990), 43-309. H. C. Kee, Medicine, miracle and magic in New Testament times, Cambridge 1986. D. Wenham/C. L. Blomberg (Hg.), Gospel Perspectives, Bd. 6: The Miracles of Jesus, Sheffield 1986. R. Latourelle, The Miracles of Jesus and the Theology of Miracles, New York/Mahwah 1988. B. Blackburn, Theios Ane¯r and the Markan Miracle Traditions: A Critique of the Theios Ane¯r-Concept as an Interpretative Background of the Miracle Traditions Used by Mark, WUNT 2/40, Tübingen 1991. W. Kahl, New Testament Miracle Stories in their Religious-Historical Setting, FRLANT 163, Göttingen 1994. J. P. Meier, Miracles, in: ders., A Marginal Jew – Rethinking the Historical Jesus 2: Mentor, Message, Miracles, New York 1994, 509-1038. G. A. Boyd, Cynic, sage or Son of God?, Wheaton 1995. S. L. Davies, Jesus the Healer: Possession, Trance, and the Origins of Christianity, New York 1995. W. Weiss, »Zeichen und Wunder« – Eine Studie zu der Sprachtradition und ihrer Verwendung im Neuen Testament, Neukirchen-Vluyn 1995. B. Kollmann, Jesus und die Christen als Wundertäter – Studien zu Magie, Medizin und Schamanismus in Antike und Christentum, FRLANT 170, Göttingen 1996. M. Smith, Studies in the cult of Yahweh – New Testament, Early Christianity, and Magic, Leiden 1996. G. Theißen/A. Merz, § 10: Jesus als Heiler: Die Wunder Jesu, in: diess., Der historische Jesus. Ein Lehrbuch, Göttingen 1996 (42010), 256-285. H. Bee-Schroedter, Neutestamentliche Wundergeschichten im Spiegel vergangener und gegenwärtiger Rezeption. Historisch-exegetische und empirisch-entwicklungspsychologische Studien, SBB 39, Stuttgart 1998. D. v. d. Goltz, Krankheit und Heilung in der neutestamentlichen Forschung des 20. Jahrhunderts, Diss. Masch. Erlangen 1998. K. Berger, Darf man an Wunder glauben?, GTB 1450, Gütersloh 1999. J. C. Cavadini (Hg.), Miracles in Jewish and Christian Antiquity. Imagining Truth, Notre Dame 1999. W. Cotter, Miracles in Greco-Roman Antiquity: A Sourcebook for the Study of New Testament Miracle Stories, New York 1999. G. H. Twelftree, Jesus: The Miracle Worker – A Historical & Theological Study, Downers Grove 1999. J. J. Pilch, Healing in the New Testament, Minneapolis 2000.
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Basisliteratur zu frühchristlichen Wundererzählungen
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3.2 Themenhefte von Zeitschriften Zeitschrift für Pädagogik und Theologie, Themenheft »Wunder«: ZPT 51/1 (1999). Zeitschrift für Neues Testament, Themenheft »Wunder und Magie«: ZNT 7/4 (2001). Ökumenische Zeitschrift für den Religionsunterricht, Themenheft »Wunder«: ru 33/4 (2003). entwurf, Themenheft »Wunder«: entwurf 4 (2006). Katechetische Blätter, Themenheft »Wunder«: KatBl 135/4 (2010). Bibel heute, Themenheft »Gesundheit und Krankheit«: BH 182 (2010/2). Recherches de Science Religieuse, Themenheft »Le récit de miracle«: RSR 98/4 (2010).
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Frühchristliche Wundererzählungen – eine Hinführung
3.3 Auswahl an Aufsätzen (chronologisch) R. Bultmann, Zur Frage des Wunders, in: ders., Glauben und Verstehen, Bd. I, Tübingen 1933, 214-228. D. E. Aune, Magic in Early Christianity, ANRW II/23.2 (1980), 1507-1557. G. Maier, Zur neutestamentlichen Wunderexegese im 19. und 20. Jahrhundert, in: D. Wenham/ C. Blomberg (Hg.), Gospel Perspectives, Bd. 6: The Miracles of Jesus, Sheffield 1986, 4987. W. Speyer, Der numinose Mensch als Wundertäter, in: ders., Frühes Christentum im antiken Strahlungsfeld. Ausgewählte Aufsätze, WUNT 50, Tübingen 1989, 369-394. B. L. Blackburn, The Miracles of Jesus, in: B. D. Chilton/C. A. Evans (Hg.), Studying the Historical Jesus: Evaluations of the State of Current Research, NTTS 19, Leiden 1994, 353-394. G. N. Stanton, Jesus of Nazareth: A Magician and a False Prophet who Deceived God’s People?, in: J. B. Green/M. Turner (Hg.), Jesus of Nazareth: Lord and Christ – Essays on the Historical Jesus and New Testament Christology, Carlisle 1995, 164-180. J. Frey, Zum Verständnis der Wunder Jesu in der neueren Exegese, Zeitschrift für Pädagogik und Theologie 51 (1999), 3-14. T. E. Klutz, The grammar of exorcism in the ancient Mediterranean world: Some cosmological, semantic, and pragmatic reflections on how exorcistic prowess contributed to the worship of Jesus, in: C. C. Newman/J. R. Davila/G. S. Lewis (Hg.), The Jewish roots of christological monotheism, Leiden 1999, 156-165. J. H. Neyrey, Miracles, In Other Words: Social Science Perspectives on Healings, in: J. C. Cavadini (Hg.), Miracles in Jewish and Christian antiquity – Imagining truth, Notre Dame Studies in Theology 3, Notre Dame 1999, 19-56. S. Alkier, Wen wundert was? Einblicke in die Wunderauslegung von der Aufklärung bis zur Gegenwart, ZNT 7 (2001), 2-15. C. Strecker, Jesus und die Besessenen – Zum Umgang mit Alterität im Neuen Testament am Beispiel der Exorzismen Jesu, in: W. Stegemann/B. J. Malina/G. Theißen (Hg.), Jesus in Neuen Kontexten, Stuttgart 2002, 53-63. A. Lindemann, Wunder und Wirklichkeit. Anmerkungen zur gegenwärtigen exegetischen Diskussion über die Hermeneutik neutestamentlicher Wundererzählungen, WuD 27 (2003), 179-200. G. H. Twelftree, The History of Miracles in the History of Jesus, in: S. McKnight/G. Osborne (Hg.), The Face of New Testament Studies: A survey of Recent Research, Grand Rapids 2004, 191-208. H.-G. Gradl, Was ist ein Wunder? Biblische Verstehenshilfen für ein theologisches Sorgenkind, in: K. Fitschen/H. Maier (Hg.), Wunderverständnis im Wandel. Historisch-Theologische Beiträge, Annweiler 2006, 31-54. B. Kollmann, Glaube – Kritik – Deutung. Gängige Deutungsmuster von Wundergeschichten in der Bibelwissenschaft, BiKi 2 (2006), 88-93. G. Theißen, Die Wunder Jesu. Historische, psychologische und theologische Aspekte, in: W. H. Ritter/M. Albrecht (Hg.), Zeichen und Wunder, Göttingen 2007, 30-52. G. H. Twelftree, Jesus the Exorcist and Ancient Magic, in: M. Labahn/B. J. Lietaert Peerbolte (Hg.), A Kind of Magic. Understanding Magic in the New Testament and its Religious Environment, London/New York 2007, 57-86. J. Herzer, Neutestamentliche Wundergeschichten als hermeneutische Herausforderung, in: M. Bezer/U. Liedke (Hg.), Wort Gottes im Gespräch, Leipzig 2008, 233-251. G. H. Twelftree, Miracle Story, in: C. A. Evans (Hg.), Encyclopedia of the Historical Jesus, New York/London 2008, 416-420.
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Basisliteratur zu frühchristlichen Wundererzählungen
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Weltbild, Wunder und Geschichtsschreibung mit Vorzeichen und Machttaten Gottes/von Gottheiten 1. Das geozentrische Weltbild und die Existenz von Dämonen Das geozentrische Weltbild, das die Erde als Scheibe oder Kugel zum Mittelpunkt hat, beherrscht sowohl das kosmologische Denken des Alten Testaments als auch der Antike. Das heliozentrische Weltbild des Aristarch von Samos (3. Jh. v. Chr.) konnte sich damals noch nicht durchsetzen. Nach Plato bildet der Kosmos eine Kugel, innerhalb derer Mond, Sonne und weitere »Planeten« auf festgelegten Bahnen um die Erde kreisen (Plato Tim. 38b-39d). Die Planeten und Fixsterne sind wie die Erde göttliche Wesen; die Erde kreist um die Achse des Himmelsglobus und erzeugt so Tag und Nacht (Plato Tim. 40a-d). Die Erkenntnis der Natur hat dementsprechend drei Wurzeln: die Empirie, die Naturphilosophie und die Religion. Die Physik Platos, insbesondere dann die Physik des Aristoteles, umfasst die empirische Beobachtung, die philosophische Deutung der Naturdinge (fusik€ physika) und die religiöse Metaphysik als die Lehre von den ersten Ursachen des Wirklichen. Die Religion liefert zusätzlich zum physikalischen und metaphysischen Weltbild den Glauben an das spontane, unregelmäßige Einwirken von Göttern und Dämonen auf die erfahrbare Wirklichkeit. Dämonen sind nach Sokrates »Götter oder doch […] Söhne von Göttern« (Plato apol. 27d). Sie können den Menschen begleiten, schützen und lenken (Plato apol. 28e), aber auch quälen wie den Cäsarmörder Brutus (Plut. Brut. 36; 48). Dämonen beherrschen den Luftraum über der Erde, auf der Erde und unter der Erde. Im Frühjudentum findet eine Unterscheidung zwischen Engeln und Dämonen statt. Die Engel gehören zum Hofstaat Gottes und bringen Gottes Botschaft und Herrlichkeit in die Welt (Dan 8 f.; Lk 1 f.), während die Dämonen sich außerhalb der Herrschaft Gottes aufhalten und Schaden stiften. Der urgeschichtliche Mythos von den Riesen, die als Söhne aus der Verbindung von Engeln mit Menschentöchtern hervorgegangen sind (Gen 6,1-4), liefert eine Ätiologie. Um diese Giganten zu vernichten, schickte Gott die Sintflut; doch die Geister der ertrunkenen Giganten sind unsterblich; sie leben als Dämonen weiter: »Die Geister der Riesen, [die Nefilim (?)] sind gewalttätig, sind verdorben, brechen herein, kämpfen, zerstören auf Erden, schaffen Leid, verzehren keine Speise und dürsten nicht und sind nicht wahrzunehmen. Und diese Geister werden sich erheben gegen die Menschenkinder und die Frauen, weil sie (von ihnen) ausgegangen sind« (äthHen 15,11f., Übers. Uhlig).
2. Die Wundergeschichten von Epidauros und das griechische Arztwesen In den biblischen und antiken Wundergeschichten vermischt sich der Götter- bzw. Dämonenglaube der jüdischen und griechisch-römischen Kultur mit dem regelgeleiteten naturphilosophischen Weltbild (dazu u. a. Böcher 1972b, 9-33; Weiser 1975, 78-105; Kollmann 1996, 154-215; Busch 2006a, 17-22: »Antike Magie als Konsensphänomen«). 69
Themenartikel
Nach dem frühjüdischen Weltbild ist »Krankheit« eine Kraft, die unregelmäßig von Gott geschickt und abgezogen werden kann, die aber auch von Strafengeln und Satan im Auftrage Gottes über einen Menschen gebracht werden kann (Hi 2). Wie die Krankheit, so ist die gesamte Natur ein Kräftefeld, das von Gott und im Auftrage oder mit Duldung Gottes von bösen Dämonen beherrscht und gelenkt wird. So fehlt dem frühjüdischen Denken weitgehend das Wissen um die Naturkausalität. Aufgrund der Erfahrung konnte man den Ablauf der Natur nach Wahrscheinlichkeiten bestimmen, die aber jederzeit durch göttliches oder dämonisches Wirken aufgehoben werden konnten (vgl. den Weltuntergang Mk 13,24-27). Jesus ist also ein Mensch, der im Bunde mit Gott (Mk 1,14f.) oder mit Satan (Mk 3,22-30) die Kräfte des Kosmos und des Menschen beherrscht. Auch dem Hellenismus war die Durchbrechung von Naturgesetzen im modernen Sinne unbekannt, wohl gab es von Naturphilosophie und Erfahrung begründete Regeln für den Ablauf des Kosmos und des menschlichen Lebens. Das Wunder bedeutet ein Eingreifen der Gottheit, das nach den bekannten Regeln der Weltordnung unerklärlich bleibt. Die Gottheit kann unterschiedlich eingreifen. Sie kann direkt handeln, z. B. in Vorzeichen, Träumen und Wundern, sie kann indirekt handeln durch einen Wundertäter, z. B. in den Heilungswundern. Im 6./5. Jh. v. Chr. treten in Griechenland die ersten Wundertäter auf, u. a. Empedokles und Pythagoras, und in Epidaurus werden Kult und Tempelbezirk für den Heilgott Asklepios eingerichtet. Das Korpus der Wunderheilungen im Asklepieion von Epidauros aus dem 4. Jh. bildet die älteste Sammlung von antiken Wundergeschichten (Herzog 1931). Die Heilstätten des ›Asklepieion‹ machen die Therapie eines Kranken vom Wohlwollen des Heilgottes Asklepios abhängig (Krug 1993, 120-188). Die Priesterärzte wie der berühmte Hippokrates vom Asklepieion in Kos und Galen vom Asklepieion in Pergamon sorgen natürlich unter diesem Schutzschild dafür, die Medizin erfahrungsorientiert auszubauen (Busch). Im Corpus Hippocratum wird die »heilige Krankheit« Epilepsie als Krankheit mit natürlichem Ursprung entmythologisiert (Hippocr. morb. sacr.; Müri 1986, 253-269). Doch wenn die Medizin versagt, stehen außerhalb von Asklepieien, Arztpraxen und Wanderärzten eine Fülle von Wundermitteln und magischen Sprüchen bereit, Heilungen zu erwirken (Luc. philops.; Luc. Alex.; Antike Zaubersprüche) So genießen in der Antike die Wunderheiler aus Syro-Palästina ein hohes Ansehen (Luc. philops. 16; Hengel 1969, 467-469). Kelsos behauptet sogar die Existenz vieler Wundertäter neben den christlichen Wundertätern (Or. Cels. 1,68; 2,48.55). Es werden aber nur wenige Ausnahmen gewesen sein. Die Wundergeschichten der Asklepiosheiligtümer haben eine Doppelstruktur als literarische Form und soziale Handlung (Theißen 1974, 229-299). Der literarische Text hat eine syntaktische, semantische und pragmatische Dimension. Die soziale Funktion, die aus dem Zusammenwirken von Kunst (tffcnh techne¯), Institution und Charisma entsteht, beschreibt wissenschaftlich den empirischen Träger der Heilung; hinzu treten die religionsgeschichtliche und die existentielle Funktion; sie interpretieren die Heilungsvorgänge metaphorisch. Theißen rekonstruiert für die Antike sechs Formen wunderhafter Heilungstätigkeit (Theißen 1998, 231):
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Weltbild, Wunder und Geschichtsschreibung Kunst (techne¯) Institution Mantik
Charisma
Wahrsagekunst Orakelstätten Propheten
Wunderpraxis Zauberkunst
Heilstätten
Wundercharismatiker
Nun hat sich Theißen bei der Beschreibung der sozialen Funktion zu sehr an den rationalistischen Vorbehalten der bisherigen Medizinhistorie orientiert. Die ärztliche Kunst mit Institution und Charisma fehlt völlig; die Wunderpraxis wird von vornherein der Zauberkunst zugeordnet und mit der Mantik parallelisiert. Beim Motiv »Heilende Mittel« gesteht Theißen dagegen Epidauros eine »archaische Medizin« zu (Theißen 1974, 72). Die Besucher der Asklepios-Heilstätten werden mehrheitlich den unteren Schichten zugeordnet (Theißen 1974, 233-236). Dem widerspricht der Befund von Herzog; Wohlhabende haben zusammen mit Armen das Heiligtum aufgesucht (Herzog 1931, 5965.130-161). Die Ausgrabungen der Asklepieien in Epidauros, Korinth, Kos und Pergamon und die Auswertungen der Wunderberichte zeigen, dass Zauberkunst durch ärztliche Kunst in Verbindung mit religiösen Techniken, z. B. Traumdeutung (Artemidor; Aristides) zu ersetzen ist und dass das »Städtische und Ländliche Medizinwesen« (Herzog 1950; von Bendemann 2007, 117-123) hinzuzufügen ist. So lässt sich das Schaubild von Theißen präzisieren und zu neun Formen wunderhafter Heilungstätigkeit erweitern: Kunst (techne¯)
Institution
Mantik
Wahrsagekunst
Orakelstätten Propheten
Wunderpraxis
Ärztliche + religiöse Kunst Heilstätten
Städtische und ländliche Medizin Ärztliche + religiöse Kunst Arztpraxis
Charisma
Wundercharismatiker Wanderarzt
Die Zauberkunst ist eine Sonderform der magischen Volksmedizin außerhalb der Asklepieien und des Polis-Arztwesens und scheidet daher aus (Kollmann 1996, 117; Busch 2006a). Die Parallelität zur Mantik ist gegeben, da einige epidaurische Wunderberichte tatsächlich mantische Weisungen, also Orakel, enthalten, die entweder nicht auf Krankheiten bezogen sind, z. B. Hilfe zum Wiederfinden von Verlorenem oder Verstecktem (Herzog 1931, 112-123), oder für eine Heilung die Gründung eines neuen Asklepieion an einem anderen Ort fordern (a. a. O., 21f.).
3. Wundertätigkeit im wissenschaftlichen Denken der Antike Die Wundergläubigkeit wird von den antiken Philosophen, von den Platonikern, Peripatetikern und Stoiker nicht als Gegensatz zum wissenschaftlichen Denken aufgefasst; Sokrates erbittet beim Leeren des Giftbechers von seinen Schülern das Opfer eines Hahnes für Asklepios (Plato Phaid. 118a). Palaiphatos (4. Jh. v. Chr.) erzählt »Unglaubliche Geschichten (per½ ⁄pfflston storfflon peri apiston historion)« über Nebenfiguren der griechischen Götter und über Heroen und entmythologisiert sie in rationalistischer Weise. Die Existenz und das Wirken der Hauptgötter bestreitet er aber nicht im Unterschied 71
Themenartikel
zu Euhemeros (4. Jh. v. Chr.). Der komödiantische Spott von Aristophanes »Plutos« und die prinzipatzeitliche Satire »Philopseudés« von Lukian karikieren zwar die Misserfolge des Asklepioskults, können aber die Angewiesenheit auf göttliche Heilungshilfe nicht erschüttern (Herzog 1931, 61f.). Herzog vergleicht die christlichen Gnadenorte mit Epidauros (Herzog 1931, 47f.), Kasas/Struckmann ziehen die neuzeitlichen Kurorte zum Vergleich heran (Kasas/Struckmann 1990). Müri wiederum rubriziert die Epidauros-Texte unter »Am Rande der Medizin. Tempelmedizin« und rückt sie zu Unrecht nahe an »Zaubersprüche« (Müri 1986, 430-443). Das Corpus Hippocraticum (CH) gilt auch für die Therapien in den Asklepieien. »Heilige Berichte« des Rhetors Aelius Aristides schildern ausführlich den ständigen Übergang von ärztlicher Behandlung zu therapeutischen Sondermaßnahmen aufgrund von Weisungen des Heilgottes Asklepius im Asklepieion von Pergamon (Aristides). Der Glaube an Dämonen schließt nicht das erfahrungsorientierte Wissen um Krankheiten und Gefahren aus und bleibt ein wesentlicher Faktor des damaligen Weltbildes. Ob das Markusevangelium bei der Darstellung der Heilwunder im Unterschied zu den anderen Evangelien die Heilwunder bereits rein erfahrungsorientiert auslegt (von Bendemann 2007, 123-127), muss weiter diskutiert werden. Wenn die Dämonologie im kritischen philosophischen Diskurs negiert wird wie von Cicero (de divinatione), bleibt ihre Entmythologisierung auf eine kleine kognitive Minderheit beschränkt. Nun geschehen Wunder nicht nur im Bereich der Medizin und Magie, sondern auch auf dem Feld geschichtlichen Handelns. Die hermeneutische Perspektive zu Wundergeschichten muss über den Bereich Krankheit, Glaube und Heilung hinausgehen.
4. Die Wundergeschichten in der Geschichtsschreibung und im Neuen Testament Herzog hatte für die Wunderheilungen in Epidauros zu Recht festgestellt, dass bei ihnen nicht gefragt ist, »ob die Heilung als den Naturgesetzen und der Vernunft widersprechend (⁄dÐnaton adynaton) oder nur als unerwartet (par€doxon paradoxon) oder gar als normale Heilung durch den Gott als Arzt aufgefaßt wird« (Herzog 1931, 51). Genau diese Unterteilung kennt aber die antike kritische Historiographie für die Wunder. Polybios akzeptiert unerwartete Ereignisse als Wunder, kritisiert aber der Wahrscheinlichkeit widersprechende Wunder bei den pathetischen Geschichtsschreibern (Polyb. 16,12,3-6: ¥kt@ to‰ dun€tou ektos tou dynatou). Auch Palaiphatos unterscheidet bei seiner Mythenkritik zwischen unmöglichen (⁄dÐnaton) und daher unglaublichen Geschichten und historisch möglichen und daher wahren (⁄lhqffi@ ale¯the¯s) Ereignissen, z. B. in der historia über Daidalus: »Es wird über Daidalos gesagt, dass er Statuen schuf, die von selbst liefen. Es scheint jedenfalls mir unmöglich (⁄dÐnaton) zu sein, dass ein Standbild von allein geht. Was wahr (⁄lhqffi@) ist, verhält sich so:« (Palaiphat. 21). Es folgt dann eine rationalistische Erklärung der angeblichen Einführung von Spielbein und Standbein für die griechischen Standbilder durch Daidalus. Auch Totenerweckungen werden für lächerlich und unmöglich erklärt, stattdessen wird wie später bei Philostratos (3. Jh.) eine Erweckung aus einer Ohnmacht angenommen (Palaiphat. 26; Philostr. vit. ap. 4,45; vgl. Mk 5,21-43).
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Weltbild, Wunder und Geschichtsschreibung
Die Wunder und Zeichenhandlungen in den Evangelien und in der Apostelgeschichte widersprechen daher nicht von vornherein der griechischen Geschichtsschreibung, sondern gehören mit ihren außergewöhnlichen (par€doxo@ paradoxos) und unmöglichen (⁄dÐnaton) Wundern in den Zweig der pathetischen oder mimetischen Geschichtsschreibung hinein; denn diese verwendet und akzeptiert ja ebenfalls neben außergewöhnlichen auch unmögliche Wunder (Plümacher 2004a, 33-85). Der Chorschluss der Gelähmtenheilung nach Lukas könnte sogar in der kritischen pragmatischen Geschichtsschreibung stehen: »Wir sahen Außergewöhnliches (par€doxa paradoxa) heute« (Lk 5,26b). Allerdings ist die pathetische Geschichtsschreibung fast völlig verloren gegangen. Wenige Fragmente sind erhalten geblieben. Nur in der erhaltenen griechisch-römischen Bios-Literatur, in der frühjüdischen Geschichtsschreibung (Flav. Jos.; Phil.; 1-4 Makk; Historische Erzählungen der zwischentestamentlichen Literatur), in der neutestamentlichen Erzählliteratur und in deren Apokryphen werden die Konturen dieser Geschichtsschreibung erkennbar (Ehlen 2004, 75-95). Die gegenwärtige Diskussion um »faction«, gemeint ist »real fiction«, also die auf Realität bezogene Fiktionalität eines Dokumentarfilms oder einer anschaulichen Geschichtsschreibung, zeigt eine Parallele zur antiken Diskussion auf (Backhaus/Häfner 2007, 1-5), darf aber nicht mit dieser gleichgesetzt werden (Dormeyer 2009, 11; Eisen 2010). Die neutestamentlichen Naturwunder und Begleitwunder gehören nicht zum medizinischen Bereich der antiken Heilwunder, sondern zu den Wundern der pathetischen Geschichtsschreibung. Sie fehlen im Spruchevangelium Q, das ja keine historiographische Erzählbiographie wie die Erzählevangelien bietet (Hüneburg 2001a, 227f.). Das Fehlen der Naturwunder in Q, z. B. in der Liste der Wundertaten Jesu Q 7,22, macht darauf aufmerksam, dass bereits die frühe Evangelienbildung wie die antike Prosaliteratur die Alltagserfahrung als Kriterium für die Möglichkeit und Unmöglichkeit eingesetzt hat. Die moderne kognitive Unterscheidung zwischen psychosomatisch möglichen Heilungen von Krankheiten und unmöglichen, die modernen Naturgesetze durchbrechenden Naturwundern hat in dieser antiken und neutestamentlichen Diskussion ihre Grundlage (Theißen/Merz 1996, 256-286; Eibisch 2009, 14-39; Frey 1999, 3-14). Paulus dagegen berücksichtigt mit seinem theozentrischen, alttestamentlichen Wunderbegriff diese Diskussion nicht (Alkier 2001a, 284-305). »Für das paulinische Christentum konnte aber eine präzise Bestimmung dafür erarbeitet werden, was als Wunder gelten kann: Wunder sind von Gott oder mit Gottes Kraft gewirkte, menschliche Möglichkeiten übersteigende Geschehnisse« (Alkier 2001a, 306). Aufgrund der Theozentrik dieser Wundertheologie vermeidet es Paulus, Geschichten von menschlichen Wundertätern zu erzählen. So können in diesem Kompendium keine Texte aus den paulinischen Briefen aufgenommen werden. Paulus kennt zwar das Charisma der Wunderheilungen in der Gemeinde von Korinth (1Kor 12,9), doch er berichtet keinen Einzelfall. Wunderheilungen gehören zu dem umfassenderen Bereich von Gottes Schöpfungs- und Geschichtshandeln. Die einzelnen Wundertäter, zu denen auch Paulus gehört (2Kor 12,12; Röm 15,19), erfahren keine besondere Nennung und Würdigung. Nur die Verkündigung des Evangeliums von Jesus Christus durch Paulus und weitere namentlich genannte Mitarbeiter und Gemeindemitglieder zählt. Das Evangelium bewirkt durch Gottes Machttat rettenden Glauben (Röm 1,4.15-17; 1Kor 2,4; 4,20). Die Machttat Gottes bewirkt die Auf73
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erweckung der Glaubenden (1Kor 6,14; 15,43). Nach 2Kor 12,12 kennt Paulus allerdings die personale Wundertradition von den Aposteln. Ob er sie für Jesus kennt, muss offen bleiben. Die Evangelientradition hingegen geht vom sichtbaren Anbruch der Königsherrschaft Gottes im irdischen Jesus aus. Jesus und in seiner Nachfolge die Apostel sind Wundertäter in Konkurrenz zu anderen Wundertätern; aber nur in Jesu und seiner Nachfolger Wundern wird die heilende Kraft der angekommenen Königsherrschaft Gottes sichtbar (Q 11,19f.). Die Evangelien und die Apostelgeschichte nehmen die biblische und antike Erwartung von besonders bevollmächtigten Wundertätern auf. Sie gehen durch diese Verbindung mit den biblischen und antiken Heilungsvorstellungen eine engere Enkulturation mit dem damaligen Weltbild ein als die Theozentrik von Paulus. Beide Auslegungswege von Heilungen sind hermeneutisch berechtigt. Der Verzicht auf Heraushebung einzelner Wundertäter stellt anthropologisch den unbedingten Gottesglauben in den Mittelpunkt und ermöglicht die Ausblendung von Wundergeschichten (Bultmann 1965-66, 214-229). Allerdings muss auch Paulus wie die Evangelientradition für die Verursachung von Krankheiten einen Engel Satans = Dämon annehmen, der ihn, Paulus, »mit Fäusten schlägt« (2Kor 12,8). Paulus selbst und auch kein anderer Christ können ihn vertreiben. Für die menschlichen Grundfragen nach dem Sinn von Krankheit, Tod, Mangel, Not und weiteren geschichtlichen Ausnahmesituationen ist die Konzentration auf Gott theologisch sicherlich richtig, kann aber auch zur Verengung der Wahrnehmung von Welt führen. Gottes Herrschaft hat sich im Handeln des irdischen Jesus und seiner Nachfolger gezeigt, u. a. im Wunderhandeln zur Aufhebung von Krankheit, Tod, Mangel und Not. Paulus nimmt diese personale Heilungstradition für sich nicht in Anspruch. So sind für die neutestamentliche Wundertheologie von Anfang an zwei Möglichkeiten grundgelegt, entweder von einem Wundertäter oder nur von Gott selbst Wundergeschichten zu erzählen.
5. Göttlicher Mensch oder göttliche Vollmacht? Ist der Wundertäter ein göttlicher Mensch oder hat er eine göttliche Vollmacht? Bieler hatte 1935-1936 mit seiner zweibändigen religionsgeschichtlichen Analyse einen deutlichen Zusammenhang zwischen antiken und christlichen Persönlichkeiten der Geschichtsschreibung mit Wunderkraft aufgezeigt: Er geht in Band I zunächst von dem Wortgebrauch qe…o@ ⁄nffir (theios ane¯r – göttlicher Mann) aus. Hesiod, Platon, Aristoteles und die spätere Philosophie gebrauchen diese Wortverbindung und das isolierte Adjektiv qe…o@ (theios – göttlich) im weiten und im engen Sinne. Im weiten Sinne kann es jedem Menschen zukommen, im engen Sinne bezeichnet es eine philosophische Lebensweise besonderer Persönlichkeiten (Bieler 1976, I, 9-20). Beim »Wissen und Können« zeigen sich dann bei diesen wunderbare Fähigkeiten wie »Schweben in der Luft« und »Wandeln auf dem Wasser« (Bieler 1976, I, 94-97) und beim öffentlichen Wirken eine wunderbare Herrschaft über die Natur und die Krankheiten (Bieler 1976, I, 103-116; Betz 1983). Nun kann Bieler diese wunderbaren Fähigkeiten nicht mehr mit dem öffentlichen Auftreten aller berühmten Philosophen begründen, sondern muss eine Auswahl treffen. Diese reflektiert er aber nicht mehr. Pythagoras, Empedokles, Jesus, die Apostel und 74
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Apollonius von Tyana werden die Hauptzeugen. An dieser ungeschichtlichen Zusammenstellung ist zu Recht Kritik geübt worden. In Band II wird Bieler systematischer. Er wendet sich der antiken Biographie zu. Hauptpersönlichkeiten sind Sokrates und Vergil; doch Sokrates hat keine Wunder gewirkt und die Vergilvita mit einem Baumwunder nach Donatus ist spätantik (Bieler 1976, II, 82-103). Daher geht Bieler zur griechischen Sage über. Er bespricht zunächst die Heroen Asklepios und Aristaius, die im Gefolge des Heilgottes Apollon qe…oi ˝ndre@ (theioi andres – göttliche Männer) mit Wunderkraft sind (Bieler 1976, II, 105-109). Für Asklepios ist dieser Befund unbestritten, gilt aber nur für Heilwunder. Es schließt sich die »römische Gründungs- und Königssage« an. Sachlich unscharf spricht Bieler von »Pseudohistorie«, die für die Gründung Roms eine »Fiktion« schafft: Äneas, Romulus und Numa sind als Stadtgründer qe…oi ˝ndre@ mit wunderbaren Fähigkeiten (Bieler 1976, II, 109-113). Der Verweis auf Plutarchs Romulus- und Numa-Biographien führt in die richtige Richtung der pathetischen Geschichtsschreibung. Doch ist der Begriff qe…o@ ⁄nffir noch weiter sinnvoll für den griechischen Wundertäter, da das Syntagma üblicherweise den Philosophen ohne Wundermacht bezeichnet? Nach du Toits zutreffender Analyse gehört das Adjektiv qe…o@ drei unterschiedlichen semantischen Feldern an: 1. Garant einer Erkenntnistradition, 2. Steigerungsform der Qualität »fromm«, 3. Relation zwischen Mensch und Gottheit (du Toit 1997, 401f.). Ist es daher sinnvoller, qe…o@, lat. divus, mit ¥xousffla (exousia – göttliche Vollmacht) zu umschreiben, wie es das Neue Testament macht (Busch 2006a, 160-162)? Mit göttlicher Vollmacht sind bei Plutarch auch historische Gründer wie Alexander und Cäsar ausgestattet. Vor Alexander weicht das Meer zurück (Plut. Alex. 17), Cäsar wird vom Sturm am zu frühen Übersetzen nach Brundisium gehindert (Plut. Caes. 38,1-7; Wördemann 2002, 106-135). Numa kann wunderbar eine Volksmenge bewirten (Plut. Num. 15). Vespasian wird bei Sueton zum Wundertäter, um sein Prinzipat zu legitimieren (Suet. Vesp. 7,2 f.; Dormeyer 2002, 222-224; von Haehling 2008). Auch Pythagoras gilt als Wundertäter; er kann mit wunderbarem Vorherwissen die Zahl gefangener Fische voraussagen und ihre Freilassung erwirken (Iamb. vit. Pyth. 8,36), und er kann ab und zu seinen goldenen Schenkel zeigen (D.L. 8,11; Cancik 2009, 531). Das Verständnis von qe…o@ und divus als Vollmacht würde die herrscherlichen Gründergestalten aus historischer Zeit in unmittelbare Nähe zu Jesus von Nazaret rücken, der wiederum das kritische Gegenprogramm entwirft. Mit dem Arzt Jesus aber, in dem die Königsherrschaft Gottes anfanghaft sichtbar wird, lässt sich kein Herrscher und Philosoph vergleichen (Mk 2,17 par.). Denn die Herrschaft Jesu Christi geht weit über den Herrschaftsanspruch der philosophischen Medizin des Corpus Hippocraticum, der Asklepieien, der philosophischen Wunderärzte und der Herrscher hinaus.
6. Vorzeichen in der antiken Geschichtsschreibung und im Neuen Testament In der antiken Geschichtsschreibung bleiben die Heil- und Naturwunder seltene, besondere Ereignisse (vgl. Plut. Num. 15). Dagegen ist von Vorzeichen ständig die Rede. David Engels vermeidet bewusst in seiner umfassenden Dissertation »Das römische Vorzeichenwesen (753-27 v. Chr.). Quellen, Terminologie, Kommentar, historische Entwick75
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lung« einen antiken terminus technicus für Begleitwunder und behilft sich weiter mit dem unscharfen deutschen Begriff »Vorzeichen«: »Das einfachste, oft aber leider am wenigsten trennscharfe … Kriterium zur Bezeichnung eines Ereignisses als ›Vorzeichen‹ ist die terminologische Erfassung des Phänomens durch den antiken Gewährsmann … Die entsprechenden Termini sind hier prodigium, ostentum, portentum, monstrum und omen (in geringerem Maße manchmal auch signum, miraculum und dirum) und die dazu gehörigen Verba, im Griechischen shme…on, o§wn@ und tffra@« (Engels 2007, 57). Semeíon und teras lassen sich nun nicht nur den westantiken Texten, sondern auch der griechischen Bibel mit der Bedeutung Vorzeichen/Machttaten zuordnen (vgl. 2Kor 12,12; Röm 15,19). Gleichzeitig können diese Begriffe einen Bezug zu einem namentlich bekannten Wundertäter erhalten. Engels führt daher für den Sinngehalt Vorzeichen die Kategorie unbewusster Träger ein: Das Objekt des Vorzeichens ist ein unbewusster Träger (Engels 2007, 47-51). Der Unterschied zwischen Wunderhandlung und Vorzeichen liegt dann darin, dass der Inhaber der Wundervollmacht ein bewusster Träger und damit Subjekt seiner Vollmacht ist, während der Träger des Vorzeichens ein unbewusstes Objekt des Wundervorgangs ist. Nach Plutarch ereignen sich als Vorzeichen wunderbare (qaumasitaton thaumasiotaton – sehr wunderbar) Vorgänge nach Cäsars Ermordung: Cassius begeht unbeabsichtigt mit dem Morddolch Selbstmord; als das größte der göttlichen Wunder erscheint ein Komet (tn dþ qefflwn ˆ te mffga@ komffith@ ¥f€nh to¯n de theio¯n ho te megas kome¯te¯s ephane¯ – von den göttlichen Zeichen erschien der große Komet) und die Sonne verdunkelt sich (Plut. Caes. 69,3 par. Mk 15,33). So gibt es weiterhin Vorzeichenreihen bei Plutarchs fragmentarischer biographischer Geschichtsschreibung »Galba und Otho« (Plut. Galba 18 f.; Otho 8; Holzbach 2006, 138144.173f.) und bei Dio Cassius. Dieser hat sogar »eine kleine Schrift über Träume und Vorzeichen« verfasst (Dio Cass. 73,23,1). Mit der Schrift will er den Herrschaftsanspruch des späteren Kaisers Severus Alexander (222-235) unterstützen: »Ich hatte eine kleine Schrift über die Träume und Vorzeichen verfaßt und herausgegeben, die Severus auf die Erlangung der Kaiserwürde hoffen ließ. Als er das von mir übersandte Exemplar gelesen hatte, antwortete er in einem ausführlichen und anerkennenden Schreiben. Diesen Brief empfing ich gegen Einbruch der Dunkelheit und bald danach schlief ich ein; im Schlafe nun gebot mir die himmlische Macht, an die Abfassung einer Geschichte zu gehen. Und so kam ich dazu, die Schrift in Angriff zu nehmen, mit der ich jetzt beschäftigt bin« (Dio Cass. 73,23,1f.). Nach Dio Cassius führt das Aufzeichnen von Träumen und Vorzeichen direkt zur Abfassung einer universalen »Römischen Geschichte«. In ihnen zeigt sich die indirekte Lenkung dieser Geschichte durch die Götter oder eine Gottheit (vgl. Mt 1 f.; Lk 1 f.). Vorzeichen gehen auf das unregelmäßige, direkte Einwirken einer Gottheit auf den Kosmos mit kosmischen Kräften ein (u. a. Erdbeben Dio Cass. 45,17,4; Mt 27,54; 28,2; Apg 4,31; 16,26; tödliche Blitze Dio Cass. 41,14,1), mit Sachen (u. a. Aufspringen von Tempeltüren Dio Cass. 61,35,1; Zerreißen des Tempelvorhangs Mk 15,38; Herabstürzen von Statuen Plut. Ant. 60; Einsturz des Turms von Schiloach Lk 13,4f.), auf Tiere (Abweichungen im Vogelflug und bei den Eingeweiden von Opfertieren, das störrische Verhalten und spätere Sprechen von Bileams Esel Num 22-24; Tötung von Soldaten durch Wölfe Dio Cass. 48,46,3; tödlicher Schlangenbiss Apg 28,1-6) und auf Menschen (u. a. Träume Dio Cass. 73,23,2; Zerreißen eines wahnsinnigen Frevlers am Kaiserkult durch eine Menschenmenge Dio Cass. 50,10,2; tödliche Krankheit für einen Gottesfrevler Apg 76
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12,23; Flav. Jos. Ant. 19,343-350; Tötung durch einen Gottesfrevler Lk 13,1-3; Erscheinungen von Verstorbenen Dio Cass. 51,17,4-5; Mt 27,52f. Diese Vorgänge sind zwar Zeichen göttlicher Einwirkung, die die damalige Vorstellung von Naturordnung, nicht Naturgesetzen, durchbricht, doch sie bedürfen der mantischen Deutung. In Griechenland und Rom ist die Zeichendeutung institutionalisiert, z. B. im Orakelwesen, beim Augur (Vogelflugdeuter u. a.) und beim Haruspex (Eingeweidebeschauer), im Alten Testament ist das Orakelwesen umstritten (Engelken 2001) und im Neuen Testament eine Randerscheinung (vgl. die Nachwahl des Matthias Apg 1, 1526). Gott lässt sich für empirisch beobachtbare Zeichen nicht instrumentalisieren (vgl. Mk 8,10-13/Mt 16,1-4/Lk 16,16.29). Wohl sind im Alten Testament von Gott bewirkte Machttaten reichlich bezeugt. Unter sie fallen sowohl Wunderhandlungen bevollmächtigter Wundertäter wie Mose (Ex; Num), Elija und Elischa (1Kön 17,1-2Kön 14,21) als auch Vorzeichen wie ein Steinhagel auf ein feindliches Heer mit anschließendem Stillstand von Sonne und Mond (Jos 10,1214; Schwienhorst-Schönberger 2001). Solche Vorzeichen werden später in der jüdischen Apokalyptik im Übermaß vermehrt, finden Eingang in die neutestamentlichen Passionserzählungen und füllen in großer Anzahl die Visionen der Offenbarung. Im Neuen Testament gehören zu den göttlichen Vorzeichen weiterhin die alttestamentliche Himmelsstimme, Wolke, Engelserscheinung, Erdbeben u. Ä. Die Geistverleihung wird zum besonderen Zeichen der angebrochenen endzeitlichen Königsherrschaft Gottes. Jesus erhält bei der Empfängnis und beim öffentlichen Auftreten den Geist. Gott erweckt Jesus vom Tode und nimmt ihn in den Himmel auf. Diese Machttaten bilden keine Handlung eines menschlichen Wundertäters. Sie gehören in den Bereich der göttlichen Epiphanien. Dazu gehören dann auch nach Ostern die Erscheinungen des Auferstandenen (Dormeyer 1993, 184-188). Da die Machttaten durch Gott in den Paulusbriefen, in den Evangelien, in der Apostelgeschichte und in der Offenbarung sich deutlich von den Wunderhandlungen eines Wundertäters unterscheiden lassen, in denen der Wundertäter als bewusstes Subjekt und nicht als unbewusstes Objekt agiert, werden sie nicht in dieses Kompendium aufgenommen. Ausnahmen sind das Strafwunder an Hananias und Sapphira, die drei Befreiungswunder in der Apostelgeschichte (Apg 5,1-11.17-26; 12,1-11; 16,23-40) und in den apokryphen Evangelien das Wunder der Öffnung des Grabes und der Auferstehung des Herrn (EvPetr 9,35-10,42). Nur die Apostelgeschichte enthält Strafwunder an Menschen: Apg 5,1-11; 13,8-12; 19,13-17. In Apg 13,8-12 bewirkt Paulus als Wundertäter die Strafe der Erblindung, und in Apg 19,13-17 verprügelt der Dämon die unbefugten jüdischen Exorzisten, so dass zwei Wundergeschichten von menschlichen Wundertätern vorliegen. In Apg 5,1-11 greift hingegen der Geist ohne Aufforderung von Petrus überraschend und todbringend ein. Der plötzliche Tod des Ehepaares Hananias und Sapphira wird zum Warnzeichen. Da dieses Warnzeichen sich während eines Verhörs durch Petrus ereignet, wird auch diese Verhörgeschichte mit göttlicher Machttat als Petrusgeschichte mitbehandelt, zumal sie auch als ein durch Petrus veranlasstes Strafwunder interpretiert werden kann. Auch die drei Befreiungswunder in der Apostelgeschichte, die mit den Befreiungswundern des DionysosMythos vergleichbar sind (Ziegler 2008, 150-194), werden als mögliche Selbsthilfewunder der Apostel (Apg 5,17-26), des Petrus mit der Gemeinde (Apg 12,1-11) und des Paulus (Apg 16,23-40) aufgenommen. Auch das Graböffnungs- und Auferstehungswunder im apokryphen Petrusevangelium lässt sich als Grenzfall charakterisieren (EvPetr 77
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9,35-10,42). Gottes Wirken zeigt sich darin, dass er eine laute Stimme im Himmel erschallen und den Himmel sich öffnen lässt; zwei himmlische Gestalten steigen vom Himmel herab zum Grab Jesu; der Stein vor dem Grabeingang rollt von selbst weg, und die beiden jungen Männer gehen ins Grab hinein. Die Wachsoldaten sehen dann, dass drei Männer herauskommen und das Kreuz ihnen folgt. Das Haupt des Mittleren überragt die Himmel. Offenkundig hat der Gekreuzigte seine Auferstehung als Sohn Gottes selbst inszeniert. Die Himmelsstimme befragt ihn und erhält vom Kreuz eine Antwort. Das sprechende Kreuz ist der Abschluss des Auferstehungswunders durch den gekreuzigten Herrn.
Detlev Dormeyer Literatur zum Weiterlesen K. Brodersen, Die Wahrheit über die griechischen Mythen. Palaiphatos’ »Unglaubliche Geschichten«, Stuttgart 2002. H. Cancik, Das Geschichtswerk des Lukas als Institutionsgeschichte. Die Vorbereitung des Zweiten Logos im Ersten, in: J. Frey/C. K. Rothschild/J. Schröter (Hg.), Die Apostelgeschichte im Kontext antiker und frühchristlicher Historiographie, BZNW 162, Berlin 2009, 519539. D. Dormeyer, Pragmatische und pathetische Geschichtsschreibung in der griechischen Historiographie, im Frühjudentum und im Neuen Testament, in: T. Schmeller (Hg.), Historiographie und Biographie im Neuen Testament und seiner Umwelt, NTOA 69, Göttingen 2009, 1-35. D. Engels, Das römische Vorzeichenwesen (753-27 v. Chr.). Quellen, Terminologie, Kommentar, historische Entwicklung, PAwB 22, Stuttgart 2007. R. v. Haehling, Der römische Kaiser – ein Wunderheiler?, in: L. Hauser/F. R. Prostmeier/C. Georg-Zöller (Hg.), Jesus als Bote des Heils. Heilsverkündigung und Heilserfahrung in frühchristlicher Zeit, FS. D. Dormeyer, SBB 60, Stuttgart 2008, 226-237. M. Holzbach, Plutarch: Galba-Otho und die Apostelgeschichte – Ein Gattungsvergleich, Religion und Biographie 14, Münster 2006. D. Wördemann, Der bios nach Plutarch und das Evangelium nach Markus. Eine Untersuchung zur literarischen Analogie des Charakterbildes des Helden und des Christusbildes im Evangelium Jesu Christi, SGKA.NF 1,19, Paderborn 2002.
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Antikes Medizinwesen und antike Therapieformen In der kulturellen Umwelt, in der sich das frühe Christentum entwickelte, gab es ein facettenreiches Spektrum von Vorstellungen davon, was Krankheiten sind, durch welche Ursachen Krankheiten entstehen bzw. in welcher Weise man Krankheiten therapieren kann. Auch wenn Frühformen medizinischer Studien sich bereits in der ägyptischen und verschiedenen altorientalischen Traditionsbildungen beobachten lassen, so werden die Wurzeln der abendländischen Medizin mit den Namen Asklepios und v. a. Hippokrates von Kos und den von ihnen inspirierten Schulbildungen verbunden. Um diesen Sachverhalt für das Verständnis der Jesus zugeschriebenen Heilungen angemessen erfassen zu können, sollen im Folgenden zunächst die für die hellenistisch-römischen Kontexte im hohen Maße relevanten Asklepios-Kulte und deren mythologische Hintergründe skizziert werden (1.). Daraufhin wird erläutert, in welcher Weise man die hippokratischen Traditionen, die ihrerseits aus den Asklepios-Traditionen hervorgegangen sind, als die Anfänge einer schulmäßig betriebenen Heilkunde verstehen kann (2.). Neben diesen medizinhistorischen Aspekten gilt es, sich aber auch zu vergegenwärtigen, welches soziale Ansehen Ärzte im Imperium Romanum zur Zeit des frühen Christentums hatten bzw. in welche soziale Situationen Kranke geraten konnten (3.). Vor diesem Hintergrund soll schließlich angedeutet werden, in welcher Weise im frühen Christentum der Umgang mit dem Phänomen Krankheit von den skizzierten antik-mediterranen Gegebenheiten beeinflusst wurde (4).
1. Asklepios-Traditionen und Asklepios-Heiligtümer Die Asklepios-Traditionen und die an Asklepios-Heiligtümer praktizierten Therapieformen sind ein eindrückliches Beispiel für die sukzessive Entwicklung eines antiken Heilwesens (grundlegend hierzu Riethmüller 2005). Asklepios ist das prominenteste Beispiel einer Vielzahl von Gestalten, die in der antik-mediterranen Welt als numinose Heiler verehrt wurden. Griechischer Mythologie zufolge gilt Asklepios als ein Halbgott, insofern er der Sohn des Gottes Apollon und der menschlichen Königstochter Koronis sei (Pind. Pyth. Od. 3,1-3). In die besondere Stellung eines numinosen Heilers gelangte er jedoch nur aufgrund eines ›familiären Dramas‹, wie es sich in den Begegnungen zwischen den Göttern der griechischen Mythologie und ihren menschlichen Partnern bzw. Partnerinnen oftmals zugetragen haben soll. Demnach wurde Koronis von Artemis, der Zwillingsschwester Apollons, getötet, weil sie sich mit einem sterblichen Menschen einließ, obwohl sie bereits von Apollon ein Kind erwartete. Als der Leichnam der Koronis auf einem Scheiterhaufen verbrannt werden sollte, rettete den mythologischen Traditionen zufolge der Götterbote Hermes den noch ungeborenen Asklepios. Hermes sorgte wiederum dafür, dass Asklepios von dem Zentauren Cheiron aufgezogen wurde, dem Asklepios die medizinischen Kenntnisse verdankt, die er selbst von Apollon übermittelt bekommen hat. Durch diese mythologische Vorstellung wird Asklepios somit zu einer Mittlerfigur stilisiert, der den Menschen das göttliche Wissen über die Kunstfertigkeit des Heilens nahebringt. Gleichwohl wird diese Mittlerschaft für den Asklepi0s der mythologischen Tradition zugleich zu seinem Schicksal, da er aufgrund einer zu 79
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Abb. 1: Verbreitung der Kultorte des Asklepios in der Ägäis
Abb. 2: Anlage des Asklepiosheiligtums in Epidauros (1:3000): 1 Bad aus der griechischen Zeit; 2 Palaistra mit (in römischer Zeit) eingebautem Odeion; 3 Propylon; 4 Sog. jüngere Liegehallen mit der Stoa des Kotys (?); 5 Ältere Liegehallen; 6 Artemis-Tempel; 7 Asklepios-Altar; 8 Asklepios-Tempel; 9 Eukoimeterion oder Abaton, d. i. Halle für den Heilschlaf der Genesungssuchenden; 10 Tholos; 11 und 12 Thermen der römischen Kaiserzeit; 13 Kaiserzeitliches Heiligtum ägyptischer Gottheiten.
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Antikes Medizinwesen und antike Therapieformen
Abb. 3: Darstellung des Asklepios als Arzt
erfolgreichen Tätigkeit (insbesondere aufgrund einer Totenauferweckung) schließlich von Zeus getötet wird. Neben diesen mythologischen Traditionen bleibt die historische Gestalt des Asklepios relativ schwer zu greifen. Dieses zeigt sich einerseits schon daran, dass in Griechenland gleich mehrere Städte und Regionen um die Ehre konkurrierten, der Ort der Geburt bzw. der Bestattung des Asklepios zu sein. Andererseits wurde Asklepios erst sukzessive zu einer halbgöttlichen Gestalt stilisiert. In den ältesten erhaltenen literarischen Überlieferungen wird er nämlich viel mehr als eine für seine medizinischen Kenntnisse berühmte menschliche Person verehrt. Eindrücklich zeigt sich dies in den entsprechenden Erwähnungen Homers. So wird Asklepios z. B. in Hom. Il. 4,194 beiläufig als Vater des Machaon erwähnt und dabei als ›unvergleichbarer‹ bzw. ›untadeliger‹ Arzt bezeichnet (»Aber es prüfe der Arzt die blutende Wund’, und lege Linderung drauf, um vielleicht die dunkele Qual zu bezähmen. Sprach’s, und rief Talthybios schnell, den göttlichen Herold: Auf, Talthybios, eil’ und rufe mir schleunig Machaon, Ihn, Asklepios Sohn, des unvergleichbaren [bzw. untadeligen] Arztes [⁄mÐmono@ §ht»ro@ – amymonos ie¯te¯ros]«). Dass er dabei als ein Halbgott der Menschheit ein göttliches Wissen über richtige Therapieformen übermittelt hat, wird in diesem Zusammenhang nicht erwähnt. Das Motiv einer durch den Zentauren vermittelten Belehrung wird stattdessen in Bezug auf Achilles erwähnt (vgl. Hom. Il. 11,833f.). Doch auch unabhängig von diesen Phänomenen kann festgehalten werden, dass in griechischen und kleinasiatischen Regionen Asklepios gewidmete Kultstätten eine sukzessiv wachsende Bedeutung erlangten (vgl. die beiliegende Karte Abb. 1). AsklepiosHeiligtümer waren Stätten einer strukturierten Form von Krankenheilungen, die einen großen Zulauf aus unterschiedlichen Regionen erleben konnten (die bedeutendsten bzw. bekanntesten Kultstätten befanden sich in Epidauros, Athen, Knidos, Naupaktos, Pergamon, Sikyon und auf Kos bzw. der Tiberinsel in Rom). Auch wenn die durch Inschriften und literarische Erzählungen bekannten Therapieformen zwar regional bedingte Dif81
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ferenzen aufweisen konnten, lassen sich einige zentrale Charakteristika des Kultes herausarbeiten. Asklepios-Heiligtümer konnten ein relativ großes Areal umfassen, in dessen äußeren Gebieten die neu eintreffenden Patienten auf den Heilungsritus vorbereitet wurden (vgl. die beiliegende Skizze der Anlage in Epidauros Abb. 2). Letzterer bestand v. a. in einem Inkubationsschlaf, der im Tempelareal der Anlage vorgenommen wurde. Diesen Vorstellungen zufolge erschien Asklepios im Schlaf den Kranken, nahm medizinische Handlungen vor und erteilte den Leidenden zuweilen sogar Ratschläge für eine gesündere Lebensführung. Wenn Kranke wiederum Genesung erfuhren, so war es ihnen aufgetragen, die erfahrenen Wohltaten inschriftlich zu bezeugen. Aus solchen archäologisch vielfach erhaltenen Inschriften geht wiederum hervor, dass die vermeintlich durch eine Epiphanie des Asklepios vermittelten Ratschläge schlicht frühe Formen schulmedizinischer Praktiken sind (exemplarisch sei verwiesen auf die aus dem 2. Jh. v. Chr. stammende Inschrift des Apellas: »Ich, M. Iulius Apellas, … wurde von dem Gott hergerufen, da ich oft in Krankheiten fiel und an Verdauungsstörungen litt. … Als ich im Heiligtum angekommen war, befahl er mir, zwei Tage lang das Haupt zu verhüllen, an denen dann Regengüsse kamen; Käse und Brot zu mir zu nehmen, Sellerie und Lattich … allein zu baden und dem Bademeister eine attische Drachme zu geben; dem Asklepios zu opfern. … Er befahl mir auch, das aufzuschreiben. Mit dankbarem Herzen und gesund geworden verabschiedete ich mich« [zur Übersetzung und Kommentierung vgl. F. Steger 2004, 154f.]). Eine Vielzahl vergleichbarer inschriftlicher Zeugnisse dokumentieren, dass die Grenzen zwischen Hoffnungen auf Heilungswunder und einer Inanspruchnahme medizinischen Wissens in den Anfängen naturheilkundlicher Forschung fließend verlaufen konnten. Hierzu passt es, dass z. B. bei dem berühmtesten Asklepeion der Antike in Epidauros medizinische Instrumente gefunden wurden, die entsprechenden Beschreibungen im Corpus Hippokratikum ähneln (Krug 1993, 73-75). Dieser archäologische Befund korreliert seinerseits damit, dass Asklepios ikonographisch oft als Arzt dargestellt wurde (vgl. Abb. 3). An diesen Phänomenen zeigt sich, in welcher Weise die Asklepios-Traditionen und die hippokratischen Traditionen sich wechselseitig beeinflussen konnten und so die Anfänge der abendländischen Medizingeschichte initiierten.
2. Hippokrates und das Corpus Hippocratikum Die Wurzeln der abendländischen Medizin sind untrennbar mit dem Namen Hippokrates von Kos (460-370 v. Chr.) und den von ihm inspirierten Schulbildungen verbunden (grundlegend hierzu Golder 2007). Wie nahe die Anfänge dieser Traditionsbildungen und die Asklepios-Kulte einander standen, zeigt sich wiederum daran, dass Hippokrates aus dem Geschlecht der Asklepiaden stammt, die sich selbst in ein Verwandtschaftsverhältnis zu Asklepios gestellt haben. Neben seinem Vater Heraklides wurde er u. a. von dem vorsokratischen Naturphilosophen Demokrit von Abdera (ca. 459-380 v. Chr.) unterrichtet, was sich auch in seinem wissenschaftlichen Wirken widerspiegeln sollte (v. a. in der hippokratischen Körpersäftelehre). Hippokrates wirkte einerseits als wandernder Arzt in unterschiedlichen griechischen und kleinasiatischen Regionen, andererseits leistete er aber auch einen entscheidenden Beitrag für die Ausbildungen medizinischer Schulbildungen. Bereits im 4. Jh. v. Chr. können mindestens fünf hippokratische Schulen unterschieden werden, deren Lehren im so genannten Corpus Hippocratikum schriftlich 82
Antikes Medizinwesen und antike Therapieformen
manifestiert wurden. Eine Vielzahl der v. a. in einem ionischem Dialekt abgefassten Schriften sind bereits im 5. und 4. Jh. entstanden. Auch wenn unklar ist, welche Schriften auf Hippokrates selbst zurückgeführt werden können (möglich erscheint dies v. a. für die Schriften Epidemien I, III, VII; Prognostikon; Über die heilige Krankheit; Über die Umwelt; De fracturis/De articulis), wurden in hellenistischer Zeit eine Vielzahl medizinischer Werke in Alexandrien zu einer Sammlung kompiliert und dem Traditionsgaranten Hippokrates zugeschrieben. Diese Sammlung wurde wiederum systematisch erweitert und kommentiert (die ältesten Kommentare sind mit den Namen Bacchius und Euphorion verbunden). Entsprechende Sammlungen und Kommentierungen wurden auch im Imperium Romanum kontinuierlich fortgeführt. Wie sehr sich diese Prozesse auch zur Zeit der Entstehung des frühen Christentums weiter vollzogen haben, zeigt sich nicht zuletzt daran, dass in dieser Phase erstmals der so genannte hippokratische Eid erwähnt wird, nämlich von dem römischen Arzt Scribonius Largus, der zum Hofstatt des Kaisers Claudius gehörte und damit zwischen 41 und 54 nach Jesu Geburt gewirkt haben muss. Noch Galenos von Pergamon (129-199/216 n. Chr.), der neben Hippokrates bedeutendste Arzt der Antike, kommentierte detailliert das Corpus Hippocratikum und erweiterte es durch eigene Forschungsergebnisse. Gattungsgeschichtlich betrachtet bildet das Corpus Hippocratikum jedoch keine einheitliche Größe, da es wissenschaftliche Lehrbücher, Sammlungen von Arbeits- bzw. Forschungsnotizen oder auch Vorträge umfassen kann. Innerhalb der hippokratischen Traditionen bildeten sich unterschiedliche Schulbildungen aus, von denen die koische und die knidische Schule besondere Bedeutung erlangten. Die koische Schulbildung ging von einer Allgemeinerkrankung mit individuellen Abwandlungen aus, die knidische Schulbildung von lokalisierbaren Einzelerkrankungen. Im Kontrast zu vorgegebenen Heilungstraditionen zeichnen sich diese Schulbildungen dadurch aus, dass sie sich von magisch-religiösen Vorstellungen distanzieren und naturphilosophische Erklärungsmodelle von Krankheitsphänomenen zu entwickeln versuchen (vgl. Hippocr. genit.1: »Das [Natur-]Gesetz beherrscht alles«, vgl. hierzu Golder 2007, 120f.). Ein Charakteristikum hippokratischer Traditionen besteht in der kosmologischen und anthropologischen Vorstellung, dass zwischen dem menschlichen Körperbau und der individuellen charakterlich-psychischen Konstitution einerseits und zwischen dem einzelnen Körper und dem Weltganzen andererseits ein Zusammenhang besteht (u. a. Hippocr. vict.1,10: »Alles im Körper ist eine Nachbildung des Weltganzen«; Hippocr. hebd. 12: »Ich werde nun zeigen, dass sowohl die Gesamtwelt als auch alle ihre Körper bei einer Störung das Gleiche erleiden« bzw. Hippocr. virg. 1: »Der Ausgangspunkt der ärztlichen Kunst ist … die Zusammensetzung der ewigen Dinge [d. h. des Makrokosmos]; denn es ist unmöglich, die Natur der Krankheiten zu erkennen – das ist es ja gerade, was zu finden Sache der ärztlichen Kunst ist –, wenn man nicht die Natur in ihrer Unteilbarkeit von Anfang an kennt, aus der heraus sie sich entwickelt haben« [zu dieser als Solidarpathologie zu bezeichnenden Vorstellung vgl. Golder 2007, 132f.]). Einen zweiten integralen Bestandteil hippokratischer Schultraditionen bildet die aus der vorsokratischen Naturphilosophie entlehnte Körperflüssigkeitenlehre, der zufolge Krankheitssymptome das Bestreben des Körpers dokumentieren, kranke Säfte unschädlich zu machen und auszustoßen (als die wichtigsten Substanzen gelten dabei Blut, Schleim, gelbe und schwarze Galle). Der Arzt kann durch Verordnungen zur Lebensführung, durch die Verabreichung von Heilmitteln oder auch durch operative Eingriffe den Heilungsprozess des Körpers unterstützen. In dieser Hinsicht gehen aus den sukzessiv wachsenden 83
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hippokratischen Traditionen auch die Anfänge einer pharmakologischen Forschung hervor. Exemplarisch sei diesbezüglich verwiesen auf Pedanius Dioskurides, dessen um ca. 60-78 n. Chr. entstandenes Hauptwerk Per½ ˜lh@ §atrikffi@ (Peri hyle¯s iatrike¯s; lat. De materia medica) die im Corpus Hippocratikum verwendeten Heilmittel beschreibt bzw. analysiert und der in dieser Hinsicht zu einem Wegbereiter abendländischer Pharmakologie wurde.
3. Die Lage von Kranken im Imperium Romanum zur Zeit des frühen Christentums Um die Eigentümlichkeit der frühchristlichen Auseinandersetzungen mit dem Phänomen Krankheit angemessen erfassen zu können, gilt es, sich nicht nur die traditionsgeschichtlichen Hintergründe der Asklepios- und Hippokrates-Traditionen zu vergegenwärtigen. Ebenso bedeutend ist die Frage, in welche soziale Lage Menschen durch Krankheiten geraten bzw. welches soziale Ansehen Ärzte im Imperium Romanum zuweilen haben konnten. In der römischen Literatur des 1. und 2. Jh. begegnet eine breite Fülle von Ausführungen über Ärzte und Krankenfürsorge (vgl. Avalos 1995). Bis auf wenige Ausnahmen lässt sich dabei eine Hochachtung des Hippokrates und der hippokratischen Traditionen beobachten. Dieses Lob geht jedoch oft einher mit einer Klage, die sich in unterschiedlichsten literarischen Formen dokumentiert, nämlich die Klage über eine Vielzahl fachlich unfähiger und profitgieriger Ärzte. Ein Grundmotiv ist dabei, dass zumeist nur wohlhabende Menschen sich eine ärztliche Fürsorge leisten konnten. Beispiele honorarfreier Behandlungen gab es, aber nur sehr selten. Stattdessen beklagt z. B. Seneca als einer der bedeutendsten Vertreter der kaiserzeitlichen Stoa, dass die schlechte Lage von Kranken einen sozialen Sprengstoff bildet, dessen Konsequenz noch nicht abzusehen seien. Er moniert, dass es aus reiner Profitgier eine Vielzahl vermeintlicher Ärzte gab, bei denen sich bei eingehender Prüfung herausstellte, dass sie nicht einmal lesen konnten. Von einem besonders delikaten Beispiel hierfür erzählt der zeitgenössische Dichter Martial, nämlich von einem gewissen Diaulus. Martial zufolge wurde Diaulus genötigt, aufgrund offensichtlicher Unfähigkeit seine ärztliche Tätigkeit einzustellen. Daraufhin soll Dialaus als Totengräber tätig gewesen sein. Süffisant merkt Martial an, dass er eigentlich das Gleiche tue wie vorher, insofern er Menschen unter die Erde bringe. Dass eine solche Polemik nicht frei erfunden ist, dokumentieren auch viele Grabinschriften, in denen beklagt wird, dass der Verstorbene das Opfer unfähiger Ärzte geworden sei. Ein weiteres Zeugnis, welches für die soziale Situation von Kranken im Imperium Romanum zur Zeit des frühen Christentums aufschlussreich ist, wurde von Lucius Iunius Moderatus Columella (4-70 n. Chr.) verfasst. In seinem 12 Bücher umfassenden Werk De re rustica libri XII (Über die Landwirtschaft) bietet Columella die ausführlichsten erhaltenen Beschreibungen so genannter ›Valetudinarien‹. Letztere sind für die vorliegende Fragestellung von Relevanz, insofern in medizinhistorischen Diskursen diskutiert wird, ob Valetudinarien als Vorläufer antiker Hospitäler bzw. Krankenhäuser verstanden werden können. Die Verbreitung solcher Valetudinarien lassen sich archäologisch in unterschiedlichen Regionen des Imperium Romanum nachweisen. Columella zufolge wurden Valetudinarien von reichen Gutsbesitzern finanziert und dienten dazu, Sklaven medizi84
Antikes Medizinwesen und antike Therapieformen
nisch zu versorgen. Diese Versorgung diente jedoch ausschließlich der Wiedergewinnung von Arbeitskraft. Menschen, bei denen keine Aussicht auf Heilung bestand, wurden Columella zufolge schlicht ihrem Schicksal überlassen. Ferner berichtet Columella, dass in Valetudinarien auch Fremde bzw. Reisende aufgenommen wurden, die aus unterschiedlichen Ursachen einer medizinischen Versorgung bedurften. Eine Inanspruchnahme der Valetudinarien konnte jedoch massive finanzielle Entschädigungsforderungen nach sich ziehen.
4. Frühchristliche Adaptionen und Auseinandersetzung mit antik-mediterraner Heilkunde Bereits in den alttestamentlich-frühjüdischen Traditionen als den wichtigsten traditionsgeschichtlichen Wurzeln des frühen Christentums lässt sich ein facettenreiches Spektrum unterschiedlicher Verständnisse des Phänomens Krankheit und der Therapien von Krankheiten beobachten (ausführlich hierzu Kollmann 1996). So kann z. B. einerseits das vermutlich nachexilisch entstandene Diktum Ex 15,26 (»Ich bin der Herr, dein Arzt«) als eine implizite Kritik an altorientalischen Heilungsvorstellungen verstanden werden, die eine kulturelle Assimiliation zu vermeiden versucht (Lohfink 1988). Andererseits findet sich in der wesentlich jüngeren, durch die Septuaginta tradierten Schrift Jesus Sirach eine äußerst positive Adaption hellenistisch-römischer Heilkunde: Sir 38,1 Ehre den Arzt (tfflma §atrn tima iatron) mit gebührender Verehrung/Honorar, damit du ihn hast, wenn du ihn brauchst; 2 denn der Herr hat ihn geschaffen, und die Heilung kommt von dem Höchsten, (…) 4 Der Herr lässt die Arznei aus der Erde wachsen (kÐrio@ ˛ktisen ¥k g»@ f€rmaka kyrios ektisen ek ge¯s pharmaka), und ein Vernünftiger verachtet sie nicht. (…) 6 Und er hat solche Kunst den Menschen gegeben, um sich herrlich zu erweisen durch seine wunderbaren Mittel. 7 Damit heilt er und vertreibt die Schmerzen, und der Salbenmischer/Apotheker macht Arznei daraus (murey@ ¥n toÐtoi@ poiffisei me…gma myrephos en toutois poie¯sei meigma), 8 damit Gottes Werke kein Ende nehmen und es Heilung durch ihn auf Erden gibt.
Die im 2. Jh. v. Chr. entstandene Schrift Jesus Sirach dokumentiert somit ein traditionsbewusstes palästinisches Judentum, welches hellenistischen Bildungstraditionen positiv gegenübersteht und eine schöpfungstheologisch reflektierte Akzeptanz naturheilkundlicher Praktiken propagiert, die als ein Segen Gottes verstanden werden. Vergleichbare Auseinandersetzungen mit den skizzierten naturheilkundlichen Entwicklungen lassen sich auch in unterschiedlichen Traditionskreisen des frühen Christentums erkennen. Dabei gibt es ein Themenfeld, an dem diese Entwicklungen sachgemäß besonders eindrücklich zu Tage treten. Frühe Jesus-Traditionen erzählen nicht nur von Heilungen Jesu, sie betonen ebenso, dass Jesus auch seine Nachfolger dazu beauftragte, ihrerseits Kranke zu heilen. Und an den frühchristlichen Interpretation dieses Auftrags lässt sich eindrücklich beobachten, wie im frühen Christentum entsprechende Vorstellungen der hellenistisch-römischen Umwelt adaptiert und modifiziert wurden (dies gilt auch für Erzählungen von Wundertätern wie Philopseudes, Alexander von Abunoteichus oder Apollonius von Tyana).
Enno Edzard Popkes 85
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Literatur zum Weiterlesen H. I. Avalos, Illness and health care in the ancient Near East. The role of the temple in Greece, Mesopotamia, and Israel, HSM 54, Atlanta 1995. M. Dörnemann, Krankheit und Heilung in der Theologie der frühen Kirchenväter, STAC 20, Tübingen 2003. H. C. Kee, Medicine, Miracle and Magic in New Testament Times, SNTS.MS 55, London 1986. A. Krug, Heilkunst und Heilkult. Medizin in der Antike, München 1985 (21993). T. Lehmann (Hg.), Wunderheilungen in der Antike: von Asklepius zu Felix Medicus (Begleitheft zur gleichnamigen Ausstellung der Humboldt-Universität zu Berlin und des Medizinhistorischen Museums der Charité; Berliner Medizinhistorisches Museum; 10. November 2006-11. März 2007), Oberhausen 2006. E. Seidler/K.-H. Leven, Geschichte der Medizin und Krankenpflege, 7., erw. Auflage, Stuttgart 2003.
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Krankheitsbilder und soziale Folgen: Blindheit, Lähmung, Aussatz, Taubheit oder Taubstummheit Blindheit, Lähmung, Aussatz und Taubheit oder Taubstummheit nehmen in den Wundergeschichten der Jesustradition breiten Raum ein. In der Antwort Jesu auf die Täuferanfrage gilt die Heilung dieser Leiden als Charakteristikum seiner Wunderpraxis schlechthin (Mt 11,5 par.). Die angesprochenen Krankheiten oder Behinderungen lassen sich nicht allein in medizinisch-diagnostischen Kategorien erfassen, sondern betreffen den Menschen in seiner Gesamtheit. Durch Krankheit wird die gewohnte Ordnung der körperlichen Funktionen, der seelischen Befindlichkeit und der sozialen Bezüge durchbrochen. Die Beschreibung einer verlässlichen medizinischen Diagnose in den Krankenheilungsberichten der Evangelien gestaltet sich schwierig (vgl. Hengel/Hengel 1959, 331361) und bleibt über weite Strecken hypothetisch. Die Wundergeschichten sind keine Dokumente aus dem Bereich der empirischen Medizin. Sie zeigen kaum Interesse an einer detaillierten Beschreibung des Krankheitsbilds und einer Ätiologie der Leiden. Präferenz hat vielmehr die Frage nach Heilung und Erlösung. Die Krankheit wird in der Regel nur kurz dargestellt, um vor dem Hintergrund der Schwere des Leidens die Bedeutung der wunderbaren Heilung hervorzuheben. Dennoch ist der Versuch einer Erhellung der Krankheitsbilder nicht gänzlich aussichtslos, auch wenn man dabei kaum über die Mutmaßungen hinauskommt, die bereits in älteren medizingeschichtlichen Untersuchungen zum Thema (Ebstein 1965; Seng 1926; Fenner 1927) angestellt wurden. Daneben sind auch die religiösen Implikationen und sozialen Folgen der Leiden in den Blick zu nehmen.
1. Blindheit Von Blindenheilungen ist in der Evangelienüberlieferung besonders häufig die Rede. Jesus gibt dem Blinden von Betsaida (Mk 8,22-26), dem blinden Bartimäus aus Jericho (Mk 10,46-52 par.) und einem Blindgeborenen aus Jerusalem (Joh 9,1-7) das Augenlicht zurück. Zudem bietet Matthäus als Ersatz für die von ihm ausgelassene Heilung des Blinden von Betsaida einen weiteren Blindenheilungsbericht (Mt 9,27-31) und erweitert bei der zur Beelzebulkontroverse führenden Dämonenaustreibung aus der Logienquelle das Leiden des Besessenen um das Motiv der Blindheit (Mt 12,22). Anders als in vielen Blindenheilungsberichten aus der Umwelt des Neuen Testaments bleibt das Krankheitsbild in den Evangelientraditionen mehr als unscharf. Im Tobitbuch, das in der römisch-katholischen Tradition zum alttestamentlichen Bibelkanon zählt, wird das Augenleiden des Protagonisten mit einem einschlägigen Fachbegriff aus der antiken Medizin als Leukom, eine weiß aussehende Vernarbung der Hornhaut, bezeichnet und auf die ätzende Wirkung von Vogelkot zurückgeführt (Tob 2,10). Einzelne Blindenheilungsberichte aus Epidauros beschreiben exakt den Zustand des nicht mehr funktionsfähigen Auges oder berichten von Verwundungen, die zum Verlust der Sehkraft führten (vgl. Herzog 1931, 95-97). In den Evangelien dagegen werden die Heilungsbedürftigen stereotyp als blind (tufl@ typhlos) charakterisiert, ohne dass Details zu 87
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Art oder Ursache der Sehstörungen mitgeteilt würden. In den Fällen, wo Jesus sich volkstümlicher Praktiken bedient und eine Speicheltherapie zur Anwendung bringt (Mk 8,2226; ähnlich Joh 9,1-7), scheint eine natürliche Ursache der Sehunfähigkeit vorausgesetzt zu sein, die sich durch Heilmittel beheben lässt. Ein Blick auf die Anwendungsbereiche von Speichel in der antiken Volksmedizin eröffnet vorsichtige Rückschlüsse auf das Krankheitsbild in den neutestamentlichen Erzählungen. In der Naturkunde des Plinius d. Ä. (23-79 n. Chr.) wird bei Augenentzündungen, blutenden Augen und Augenfluss zum Auftragen von Speichel geraten. Der medizinische Schriftsteller Marcellus Empiricus (4./5. Jh. n. Chr.) bezeugt die Verwendung von Speichel als Heilmittel gegen Rauheit der Augen, Augenflecken und grauen Star. Der Arzt Paulus von Ägina (7. Jh.) empfiehlt Speichel gegen Augenschwielen und führt seine Heilkraft auf eine reinigende Wirkung zurück (vgl. Belegstellen bei Kollmann 1996, 235). In der Bartimäusgeschichte, wo Jesus allein durch ein charismatisches Wort die Heilung bewirkt, könnte dagegen eine psychogene Sehstörung vorliegen. Ein derartiges Krankheitsbild, bei dem die Seele durch ein Verdrängen angstbesetzter Vorstellungen in ein »Nicht-Sehen-Wollen« die Augen verschließt, ist in der modernen Augenheilkunde als gar nicht einmal so seltenes Phänomen bekannt.
2. Lähmung Neben Blindheit nehmen Lähmungen breiten Raum in den Heilungswundern der Jesustradition ein. Auch hier lässt sich aufgrund der spärlichen Informationen keine zuverlässige medizinische Diagnose erheben. In Mk 2,1-12 und Joh 5,1-9 handelt es sich um Lähmungen derart schweren Grades, dass die Betroffenen sich nicht mehr eigenständig fortbewegen können. Die durch Luthers Bibelübersetzung etablierte und sich nach wie vor gewisser Beliebtheit erfreuende Bezeichnung des Gelähmten (paralutik@ paralytikos) von Kafarnaum als »Gichtbrüchiger« ist eine anachronistische Deutung des Leidens vor dem Hintergrund späterer Fürstenkrankheit, die nicht den geringsten Anhalt am Text hat. Die Charakterisierung des Kranken in Mk 3,1-6 als Mann mit einer verdorrten Hand bedient sich eines traditionellen bildlichen Ausdrucks für Lähmungen, die auf eine Auszehrung des Körpers zurückgeführt wurden. Gleichzeitig ruft der Begriff die Erinnerung daran wach, dass Gott sowohl Jerobeam (1Kön 13,4-6) als auch Simeon (TestSim 2,11-14) zur Strafe vorübergehend die Hand verdorren ließ. Die Lähmung in Lk 13,10-17 wird als Verkrümmung charakterisiert und ist von solcher Intensität, dass die davon betroffene Frau sich nicht mehr vollständig aufzurichten vermag. Wenn es heißt, dass die Frau einen »Geist der Schwäche« hat, wird die Lähmung auf das Wirken eines Dämons zurückgeführt. Eine verlässliche medizinische Diagnose kann man nicht stellen, auch wenn beispielsweise Skoliosis hysterica, eine psychosomatische Lähmung im Bereich der Wirbelsäule, in Erwägung gezogen wurde (Fenner 1927, 54f.; Grundmann 1971, 279). Die einer Steigerung des wunderhaften Elements dienenden Angaben zur Krankheitsdauer in Joh 5,1-9 und Lk 13,10-17 implizieren, dass es sich nicht um angeborene Lähmungen handelt. Jesus vollzieht die Gelähmtenheilungen durch charismatische Worte, die von einer Handauflegung begleitet sein können. Dies legt die Vermutung nahe, dass es sich um die Heilung psychogener Lähmungen handelt, wie es auch für die zahlreichen Gelähmtenheilungen im Asklepiosheiligtum von Epidauros vorauszusetzen 88
Krankheitsbilder und soziale Folgen
sein dürfte. Psychogene Bewegungsstörungen sind in der neurologischen Psychosomatik ein bekanntes Phänomen (vgl. Nowak 2002, 199-210; Henningsen 2006, 117-129).
3. Aussatz Über die Heilung von Aussatz finden sich in der Jesustradition zwei Erzählberichte (Mk 1,40-45 par.; Lk 17,11-17). Wenn das Neue Testament die Aussätzigen als leproffl (leproi) bezeichnet, kann ihr Leiden nicht mit dem gleichgesetzt werden, was wir heute unter Lepra verstehen. Das Adjektiv lepr@ (lepros) hat die Bedeutung »rau«, »schuppig«, »schorfig«. Die moderne Medizin bezeichnet mit dem Begriff Lepra die so genannte Hansen-Krankheit, die als bakterielle Infektionskrankheit die Haut und das periphere Nervensystem befällt. Sie führt zu Verunstaltungen und Verstümmelungen des Körpers. Bis zur Mitte des 20. Jh. gab es keine wirksamen Medikamente gegen dieses Leiden. Die Hansen-Krankheit war der Sache nach bereits in der Antike bekannt. Sie wurde im 4. Jh. v. Chr. infolge des Indienfeldzugs von Alexander dem Großen in den Mittelmeerraum eingeschleppt und begegnet in der antiken Medizin unter der Bezeichnung Elephantiasis. Ein aus dem 1. Jh. n. Chr. stammendes Leichentuch mit Skelettresten aus einem Grabfund in Jerusalem deutet darauf hin, dass der darin eingehüllte erwachsene Mann sich mit Tuberkulose und der Hansen-Krankheit infiziert hatte (Gibson 2010, 53f.). Unter Lepra verstehen die Schriften des Hippokrates hingegen Schuppenflechte oder andere harmlose Hautveränderungen (Wohlers 1999a, 295f.). Auch die in Lev 13 aufgelisteten Krankheiten, die im hebräischen Text unter den von der Septuaginta mit lepr€ (lepra) wiedergegebenen Begriff zaraat eingeordnet werden, haben nichts mit der in der Antike tödlich verlaufenden Hansen-Krankheit zu tun (vgl. Grmek 1989, 160-168). Vielmehr handelt es sich um Schuppenflechte und verwandte Hautkrankheiten, die grundsätzlich heilbar sind, wie es die Anordnungen von Lev 13 ausdrücklich voraussetzen. Daneben scheinen unter den Begriff zaarat/lepra aber auch lebensbedrohliche Krankheiten subsumiert worden zu sein, wie es die alttestamentliche Beschreibung des Aussatzes von Mirjam (Num 12,10-12) nahelegt. Für die neutestamentlichen Wunderberichte lässt sich keine präzisere Diagnose des dort als lepra begegnenden Krankheitsbildes erheben. Die Berichte haben kein Interesse an Details, während in der rabbinischen Tradition dutzende Arten von Aussatz beschrieben und voneinander unterschieden werden (Billerbeck 1928, 745-763). Bei den Aussätzigen in der Lebenswelt Jesu dürfte es sich ganz überwiegend um Personen handeln, die an harmlosen Hautveränderungen litten. Die Variante von Mk 1,40-45 im Papyrus Egerton 2 (Schneemelcher 1990, 84f.) berichtet allerdings, der Aussätzige habe sich sein Leiden beim gemeinsamen Wandern und Essen mit anderen Aussätzigen zugezogen, und geht damit von einer ansteckenden Krankheit aus.
4. Stummheit und Taubstummheit Unter Stummheit versteht man die Unfähigkeit zu sprechen oder sich in normaler Sprache zu artikulieren. Stummheit hat oftmals genetische Ursachen, wird aber auch durch psychische Einflüsse (seelisch bedingtes Schweigen) oder physiologische Deformationen des Sprachapparats (z. B. Schädigung der Stimmbänder) hervorgerufen. Eine Sonder89
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form ist die umgangssprachlich mit dem veralteten Begriff der Taubstummheit bezeichnete Hörstummheit (Audimutitas). Dieses Leiden entsteht aufgrund einer angeborenen oder in der frühen Kindheit eingetretenen Erkrankung des Gehörs. Trotz eines von Natur aus voll funktionsfähigen Sprachapparats wird das Sprachvermögen nicht ausgeprägt, da die dazu notwendige akustische Kontrolle der Lautäußerungen nicht möglich ist. Die eigentlich vorhandenen Stimmwerkzeuge bleiben dadurch ungenutzt. Auch beim Verlust des Gehörs im Erwachsenenalter kann es aufgrund der fehlenden Kontrolle der sprachlichen Äußerungen durch das Gehör mit der Zeit zu einer starken Beeinträchtigung des Sprachvermögens kommen. Die Begriffe Stummheit oder Taubstummheit werden von Betroffenen als unangemessen empfunden, da sie trotz eines stark eingeschränkten Sprachvermögens in der Lage sind, sich durch Laute zu artikulieren oder durch Gebärdensprache mit anderen zu kommunizieren. In der Antike konnten beide Krankheiten auf das Wirken böser Geister zurückgeführt werden, wie es sich in der Jesusüberlieferung widerspiegelt. Die Heilung von Stummheit in Lk 11,14 par. vollzieht sich als Dämonenaustreibung. Jesus vertreibt den »stummen Geist« (daimnion kwfn daimonion ko¯phon). Als Krankheitsbild kommt seelisch bedingtes Schweigen (totaler Mutismus) in Betracht, das durch Traumata ausgelöst werden kann, häufig aber auch in Kombination mit Depressionen oder Psychosen auftritt. Möglicherweise denkt der Text aber auch nur an vorübergehende Sprachunfähigkeit während eines epileptischen Anfalls, wie sie Mk 9,17 vorausgesetzt ist. In Mk 7,31-37 wird der Kranke als »taub und lallend« (kwf@ ka½ mogil€lo@ ko¯phos kai mogilalos, 7,32) charakterisiert. Dabei scheint der Bericht davon auszugehen, dass die Zunge des Mannes durch einen bösen Geist gebunden ist. Das eigentliche Wunder besteht in der Heilung der Taubheit. Die Wiedererlangung des Hörvermögens ermöglicht die Kontrolle der sprachlichen Artikulation und zieht den normalen Gebrauch des Stimmapparats nach sich.
5. Religiöse und kultische Implikationen Das Verständnis von Krankheit hängt vom Weltbild der jeweiligen Gesellschaft ab und ist im Kulturvergleich erheblichen Differenzen unterworfen. Die religiösen Implikationen und kultischen Folgen von Krankheit oder Behinderung in der Lebenswelt Jesu sind von weitreichender Bedeutung für das Leben der Betroffenen. Es ist ein frühes Phänomen des gesellschaftlichen Umgangs mit Krankheit, dass mit der Stigmatisierung von Kranken eine Schuldzuweisung einhergeht. Der Vorwurf, das Leiden sei unwissentlich oder wissentlich selbst verursacht, lenkt vom Gesunden weg und wälzt Schuld auf den Erkrankten ab (Obermayer-Pietsch 2007, 273). Verbreitet war auch die Vorstellung, dass Krankheit oder Behinderung die an den Kindern vollzogene Strafe Gottes für ein anstößiges Verhalten der Eltern beim Geschlechtsverkehr darstellte (bNed 20a). Inwieweit kranke oder behinderte Menschen für ihre Situation selbst verantwortlich sind, wird im antiken Judentum ambivalent beurteilt. Die Bücher Hiob und Tobit durchbrechen das in alttestamentlicher Zeit vorherrschende Verständnis von Krankheit als einer von Gott verhängten Strafe für Fehlverhalten und stellen heraus, dass auch der untadelige Gerechte von Leid betroffen sein kann (Hi 2; Tob 1f.). Dennoch liegt in den Tagen Jesu die Vorstellung eines kausalen Zusammenhangs von Krankheit und Sünde nach wie vor schnell auf der Hand (vgl. Mk 2,5; Joh 5,14; 9,3). Die Heilungsberichte der Evangelien weisen dies z. T. aus90
Krankheitsbilder und soziale Folgen
drücklich zurück und sehen mehrheitlich den kranken oder behinderten Menschen ohne eigenes Verschulden dem Machtspiel feindlicher Mächte ausgesetzt, von denen er durch die überlegene Kraft des Wundertäters befreit wird. Ein weiterer wichtiger Aspekt der religiösen Deutung und Bewältigung von Krankheit ist die Hoffnung, dass Gott in der eschatologischen Heilszeit körperliche Leiden und Gebrechen wie Blindheit, Lähmung oder Stummheit hinwegnehmen wird (Jes 29,18f.; 35,5f.; 61,1). Eine zentrale Rolle für das religiöse wie soziale Leben spielt die Beeinträchtigung der Kultfähigkeit durch Krankheit oder Behinderung. Blinden und Lahmen wurde vermutlich der Zugang zum Jerusalemer Tempel verwehrt (2Sam 5,8). Mit Aussatz war der auch zu sozialer Ausgrenzung führende Verlust der kultischen Reinheit verbunden, die erst nach Bestätigung der erfolgten Heilung durch einen Priester wiederhergestellt werden konnte. Körperlich versehrte Personen waren zudem grundsätzlich nicht zum Priesterdienst zugelassen. In Lev 21,16-21 werden zwölf körperliche Gebrechen oder Defekte genannt, die Ausschlusskriterien für den Priesterdienst darstellen, allen voran Blindheit und Lähmung. Die behindertenfeindliche Priesterauslese nach Prinzipien der Gesundheit und körperlichen Makellosigkeit ist von dem aus dem Hofzeremoniell entlehnten Gedanken getragen, dass das Auge Gottes nicht durch den Anblick verunstalteter Menschen beleidigt werden darf (Gerstenberger 1993, 289). Wohl von ähnlichen Denkvoraussetzungen her ist auch das Opfern blinder oder lahmer Tiere am Tempel verboten (Dtn 15,21). Das halakhische Dokument 4QMMT aus Qumran begründet den Ausschluss von Blinden und Tauben vom Priesterdienst damit, dass sie wegen ihres eingeschränkten Seh- bzw. Hörvermögens nicht in der Lage seien, den Inhalt der Gesetze zu erfassen und dementsprechend die kultischen Handlungen ordnungsgemäß durchzuführen. In der stark vom Ideal der priesterlichen Reinheit geprägten Qumrangemeinde wurde Gelähmten, Blinden, Tauben, Stummen oder mit einem anderen Makel behafteten Personen die Aufnahme verweigert (1QSa 2,3-8). Nach der Kriegsrolle aus Qumran ist dieser Personenkreis auch vom endzeitlichen Krieg der Söhne des Lichts gegen die Söhne der Finsternis ausgeschlossen (1QM 7,4f.).
6. Soziale Folgen Körperliche Leiden wie Blindheit, Lähmung, Aussatz, Taubheit oder Stummheit haben für die Betroffenen auch in sozialer Hinsicht einschneidende Folgen. Die Betrachtung aussätziger Personen als kultisch unrein zog deren Ausgrenzung aus der Gesellschaft nach sich. Männer, die trotz der Zugehörigkeit zu einer der Priesterklassen aufgrund einer Behinderung den Tempeldienst nicht ausüben dürfen, sind im antiken Judentum auch sozial stigmatisiert. Zudem kann der Kranke oder Behinderte in der Regel nicht für sich selbst sorgen, sondern ist ökonomisch von anderen abhängig. Daher werden Blinde im Alten Testament mit Schwangeren, Wöchnerinnen, Armen oder Waisen auf eine Stufe gestellt, die der Unterstützung durch ihr Umfeld bedürfen (Jer 31,8; Hi 29,12-16). Grundsätzlich herrschte im antiken Judentum eine vorbildliche Sozialfürsorge. Die Zuwendung gegenüber Kranken und Gebrechlichen zählte zu den fest vorgeschriebenen Liebeswerken (Billerbeck 1928, 573-578). Auch in der Endzeitrede Jesu wird die Bedeutung des Krankenbesuchs eingeschärft (Mt 25,36). Die Tora enthält rechtliche Regelungen, die dem Schutz Behinderter vor Willkür und Anfeindung dienen (Lev 19,14; Dtn 91
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27,18). Im weisheitlichen Denken ist das Engagement für behinderte Menschen als ethisches Postulat greifbar (Spr 31,8; vgl. Hi 29,15). Bei körperlichen Leiden wie Lähmung, Blindheit oder Taubstummheit waren die Betroffenen in der Regel sozial integriert, wie es sich auch in den neutestamentlichen Wundergeschichten widerspiegelt. Der Gelähmte aus Kafarnaum (Mk 2,1-12), der Taubstumme aus der Dekapolis (7,31-37) und der Blinde von Betsaida (8,22-26) werden von ihren Angehörigen oder Freunden zum Wundertäter gebracht. Dennoch beeinträchtigen v. a. Stummheit und Taubheit das Sozialleben der davon betroffenen Menschen in hohem Maße, da nur eine erheblich eingeschränkte Kommunikation mit der Umwelt möglich ist. Taubstumme wurden rechtlich in vielerlei Hinsicht mit geistig Behinderten auf eine Stufe gestellt (Preuss 1992, 33f.). Zudem ziehen körperliche Behinderungen eine starke Beeinträchtigung oder den völligen Verlust der Arbeitsfähigkeit nach sich, so dass viele der mit diesen Leiden behafteten Personen ihr Dasein als Bettler fristeten. Anschauliche Beispiele sind der blinde Bartimäus, der in Jericho bettelnd am Straßenrand sitzt (Mk 10,52), oder der Gelähmte, der im Jerusalemer Tempel um Almosen bittet (Apg 3,2). Mit der massiv eingeschränkten Erwerbsfähigkeit sind nicht nur sozialer Abstieg und Armut verbunden, sondern auch ein Verlust der Menschenwürde. Die Variante von Mk 3,1-6 im apokryphen Nazoräerevangelium bringt dies auf den Punkt, wenn dort der an der Hand gelähmte Mann sagt: »Ich war Maurer und verdiente mit (meinen) Händen (meinen) Lebensunterhalt; ich bitte dich, Jesus, daß du mir die Gesundheit wieder herstellst, damit ich nicht schimpflich um Essen betteln muß« (Frey 2012, 641). Wo Ärzte zur Verfügung standen, konnte die Inanspruchnahme ihrer Dienste in den finanziellen Ruin treiben (Lk 8,43). Auch Wunderheiler ließen sich in aller Regel entlohnen (Hippocr. morb. sacr. 1,32; Luc. philops. 16). Vor diesem Hintergrund ist es alles andere als selbstverständlich, wenn Jesus und die Apostel unentgeltlich Heilung gewährten (Mt 10,8; vgl. Kollmann 1996, 362-375). An Aussatz leidende Menschen waren in der Lebenswelt Jesu in besonderer Weise der Stigmatisierung und sozialen Ausgrenzung ausgesetzt. Anders als Blinde, Lahme, Taube oder Stumme galten sie nach der Tora als kultisch unrein und mussten außerhalb der Gesellschaft leben (Lev 13,45f.). Josephus bestätigt diese Praxis für die neutestamentliche Zeit (Flav. Jos. Apion. 1,281; Flav. Jos. Bell. 5,227). Die in dieser Hinsicht besonders rigide Tempelrolle aus Qumran enthält das Postulat, in jeder Stadt Quartiere für kultisch unreine Personen einzurichten, wobei explizit Aussätzige und menstruierende Frauen genannt werden (11QT 48,23-26). Da man nicht über die medizinischen Kenntnisse verfügte, zuverlässig zwischen infektiösen und nicht infektiösen Formen des Aussatzes zu unterscheiden, waren von dieser Ausgrenzung auch oder sogar ganz überwiegend Personen betroffen, die an harmlosen Hautveränderungen litten.
Bernd Kollmann Literatur zum Weiterlesen R. v. Bendemann/J. N. Neumann, Krankheit und Gesundheit/Lebenserwartung, in: K. Scherberich (Hg.), Neues Testament und Antike Kultur, Bd. 2: Familie – Gesellschaft – Wirtschaft, Neukirchen-Vluyn 2005, 64-68. M. D. Grmk, Diseases in the Ancient Greek World, Baltimore/London 21995.
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Krankheitsbilder und soziale Folgen
J. N. Neumann, Behinderung, in: K. Scherberich (Hg.), Neues Testament und Antike Kultur, Bd. 2: Familie – Gesellschaft – Wirtschaft, Neukirchen-Vluyn 2005, 68-71. B. Obermayer-Pietsch, Krankheit, Heilung, Wunder – aus medizinischer Perspektive, in: J. Pichler/C. Heil (Hg.), Heilungen und Wunder. Theologische, historische und medizinische Zugänge, Darmstadt 2007, 261-280. S. M. Olyan, Disability in the Hebrew Bible: Interpreting Mental and Physical Differences, Cambridge et al. 2008. M. Wohlers, »Aussätzige reinigt« (MT 10,8). Aussatz in antiker Medizin, Judentum und frühem Christentum, in: S. Maser/E. Schlarb (Hg.), Text und Geschichte, FS D. Lührmann, Marburg 1999, 294-304.
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Dämonen – Besessenheit – Austreibungsrituale Jesu exorzistische Tätigkeit lässt sich auf den ersten Blick nur schwer mit dem so eingängigen Bild seiner heilenden Zuwendung zu den Kranken und Ausgegrenzten verknüpfen. Dennoch ist es unbestritten, dass die Dämonenaustreibungen zu Jesu historischem Wirken zu zählen sind und von ihm zutiefst mit seiner Botschaft von der sich auf Erden ausbreitenden Königsherrschaft Gottes verbunden wurden. Das zentrale Logion Jesu, das diesen Zusammenhang offenlegt, findet sich in der Spruchquelle (Q 11,20): »Wenn ich mit dem Finger Gottes die Dämonen hinauswerfe (¥kb€llw ekballo¯), ist das Reich Gottes bereits zu euch gekommen!« Das hier verwendete Verb »hinauswerfen«, das vermutlich der früheste Beleg für den Gebrauch im Zusammenhang mit einem Exorzismus ist (Twelftree 2007a, 93), begegnet in der griechischen Literatur und in der Septuaginta (LXX), um das Vertreiben von Feinden, die bestimmten Zielsetzungen im Weg stehen, auszudrücken (z. B. Aristoph. Plut. 430; Plato Gorg. 468d). In der LXX geht es dabei speziell um diejenigen, die die Pläne Gottes für sein erwähltes Volk stören und deswegen weichen müssen (z. B. Ex 23,30; Dtn 33,27f.). Auf derselben Linie liegt die Verwendung von ¥kb€llw (ekballo¯) in Q 11,20: Das Weichen der Dämonen macht geradezu empirisch erfahrbar, dass sich ein universaler Herrschaftswechsel vollzieht: Wo sich das Reich Gottes und dessen neue Ordnungsstruktur ausbreiten, ist für Dämonen kein Lebensraum mehr. »Mit jedem Dämon, der ausgetrieben wird und damit seinen Machtbereich freigibt, wächst der Machtbereich der Herrschaft Gottes auf Erden« (Ebner 2004, 143). Schritt für Schritt müssen die Dämonen das Land verlassen und stürzen – wie es beispielsweise Mk 5,1-20 legendarisch verdichtet – in einer Massenpanik zusammen mit der Schweineherde von Gerasa ins offene Meer hinab. Zentral für die jesuanischen Dämonenaustreibungen ist dabei die apokalyptisch geprägte Vorstellung, dass Satan durch Gott selbst bereits vorgängig entmachtet wurde (vgl. Mk 3,27): In einem Himmelskampf ist der Anführer der Dämonen besiegt worden, was Jesus in einer Vision offenbart wurde: »Ich sah den Satan wie einen Blitz vom Himmel fallen« (Lk 10,18; vgl. auch Offb 12,7-10). Durch den Sturz Satans, der nach traditioneller Auffassung Ankläger der Menschen vor Gott ist (vgl. Hi 1,6-2,6), sind die ihm unterstellten Dämonen »herrenlos geworden« (Kollmann 2011, 72) und können in der Folge von einem vollmächtigen Exorzisten ausgetrieben werden. Die apokalyptische Vorstellung von der bereits erfolgten Entmachtung Satans unterscheidet das dämonistische Weltbild Jesu von dem des Paulus, für den die Überwindung der gottfeindlichen Kräfte noch aussteht (vgl. 1Kor 15,24-27; ähnlich Offb 12,710). In all diesen Vorstellungen spiegelt sich die jüdische Idee vom zukünftigen Vernichtungsgericht über den Teufel/Satan/Belial und die damit einhergehende Wiederaufrichtung der Königsherrschaft Gottes wider, welche das Ende von Krankheit und Leid bedeutet (vgl. TestLev 18,12-14; AssMos 10,1; vgl. Kollmann 1999, 537).
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Dämonen – Besessenheit – Austreibungsrituale
1. Textbefund Der neutestamentliche Textbefund stellt sich folgendermaßen dar (vgl. Trunk 1994, 33; Twelftree 1993, 55f.): Das Markusevangelium enthält vier exorzistische Einzelüberlieferungen (Mk 1,23-27; 5,1-20; 7,24-30; 9,14-27) sowie drei Summarien, die von Exorzismen Jesu berichten (Mk 1,34; 1,39; 3,11f.). Matthäus und Lukas übernehmen aus Markus jeweils drei Einzelüberlieferungen (Matthäus lässt Mk 1,23-27, Lukas Mk 7,24-30 aus) und fügen aus der Logienquelle Q eine kurze, schematische Dämonenaustreibungserzählung (Mt 9,32f./12,22f. par. Lk 11,14) sowie ein Gleichnis, das von der Ausfahrt eines Dämons und dessen Umherwandern in der Wüste berichtet (Mt 12,43-45 par. Lk 11,24-26), hinzu. Die markinischen Summarien haben die Seitenreferenten dabei selbstständig umgestaltet, um sie in ihr jeweiliges Gesamtkonzept einzupassen. Exorzistische Einzelüberlieferungen Mt
Mk
Lk
–
1,23-27
4,33-37
8,28-34
5,1-20
8,26-39
15,21-28
7,24-30
–
17,14-18
9,14-27
9,37-43
9,32f. / 12,22f.
–
11,14
(12,43-45)
–
(11,24-26)
Neben den Einzelüberlieferungen und Summarien begegnet der Themenbereich Dämonen/Exorzismen auch in der Wortüberlieferung (Spruchgut). Hier ist beispielsweise das Jesuslogion Lk 13,32 einzustellen. Am prominentesten ist aber sicherlich die Beelzebulperikope Mk 3,22-27, die auch in einer längeren Q-Version (Lk 11,13-23 par.) vorliegt. Darin muss sich Jesus des Vorwurfs erwehren, er würde mit Beelzebul, dem »Herrscher der Dämonen«, gemeinsame Sache machen. Ähnlich wie im Wort vom Satanssturz (Lk 10,18) verweist Jesus in seiner Replik darauf, dass der Kampf im Himmel bereits ausgekämpft wurde und »der Starke gebunden ist« (Mk 3,27 par.). In dieser Fluchtlinie erweisen sich die Dämonenaustreibungen als geradezu logische Konsequenz der Entmachtung Satans im Himmel. Jesus selbst versteht sich mit seiner exorzistischen Tätigkeit dabei als »Werkzeug Gottes« (Kollmann 1996, 191). Die Durchführung von Exorzismen beschränkt sich jedoch nicht allein auf Jesus, sondern er beruft und beauftragt seine Jünger explizit dazu, es ihm gleichzutun (Mk 3,15; 6,7 par.; Mt 10,8; vgl. auch die Beauftragung durch den Auferstandenen im sekundären Markusschluss Mk 16,17). Tatkräftig setzen die Jünger diesen Auftrag um und treiben – zumeist erfolgreich (vgl. aber Mt 17,16!) – die Dämonen aus (Mk 6,13; Lk 10,17-20). Nachösterlich wird diese Anweisung an die Jünger dann auch auf die Missionstätigkeit der christlichen Gemeinden ausgeweitet (vgl. Apg 5,16; 8,7f.; 16,16-18; 19,11f.; 2Kor 12,12). In der Bergpredigt werden charismatische Pseudopropheten erwähnt, die sich in einer fiktiven Endgerichtsszene darauf berufen, im Namen Jesu Dämonen hinausgewor95
Themenartikel
fen zu haben (Mt 7,22). Da sie aber keine Übereinstimmung zwischen Bekenntnis, Haltung und Tat erkennen lassen, wird sie diese Tätigkeit im Endgericht nicht retten können. Auch ein Exorzist, der nicht zum Jüngerkreis gehört, verwendet bei seinen Austreibungen den Namen Jesu (Mk 9,38-41 par. Lk). Dasselbe versuchen sieben jüdische Exorzisten (Apg 19,13-16), die jedoch dramatisch scheitern (vgl. Trunk 1994, 33). Für die Apostelgeschichte ist zu konstatieren, dass die Exorzismen hier deutlich zurücktreten. Etwas ausführlicher wird lediglich die Dämonenaustreibung des Paulus in Philippi erzählt (Apg 16,16-18). Eine gewisse Steigerung lässt sich in den summarischen Notizen erkennen: Allein schon der Schatten des Petrus (Apg 5,15) oder die Tücher des Paulus (Apg 19,12) wirken dämonenvertreibend (vgl. Weber 1999, 24). Der Befund, dass Paulus nach Darstellung der Apostelgeschichte exorzistisch tätig war, ist insofern bemerkenswert, als er sich in seinen Selbstzeugnissen dazu nicht explizit äußert: Paul has neither a clear reference to Jesus being an exorcist, nor an unmistakable statement that he, a self-confessed follower of Jesus, performed exorcisms. Further, Paul does not appear to mention exorcism as part of his expectations for members of his churches. Also, Paul has little to say about demons or evil spirits, at least in the way that is familiar to us from the Synoptic Gospels (Twelftree 2007b, 57; ausführlich a. a. O., 57-77).
Daraus kann zwar keineswegs geschlossen werden, Paulus hätte keine Dämonenaustreibungen durchgeführt (vgl. etwa 1Kor 12,9-11.28-30; 2Kor 12,12), aber in seinen Gemeindeschreiben sah er offensichtlich nicht die Notwendigkeit, dies ausführlich zu thematisieren. Im Johannesevangelium finden sich keine exorzistischen Einzelüberlieferungen oder Summarien. Dass die dämonische Vorstellungswelt jedoch vorhanden ist, zeigt die anschauliche Erzählung von der Einfahrt Satans in Judas (Joh 13,27; vgl. auch Lk 22,3). Auch der Vorwurf der Besessenheit Jesu ist anzutreffen (Joh 7,20; 8,48f.52; 10,20f.), was ohne das Wissen um dessen exorzistische Tätigkeit kaum vorstellbar ist. Da die johanneische Anthropologie jedoch wesentlich auf die Entscheidungsfreiheit des Menschen für oder gegen Jesus als das »Licht der Welt« (Joh 8,12) abzielt, stören Dämonen als »graue« Zwischenwesen diese Polarität, insofern sie als eine Art parasitäre Besetzer den menschlichen Entscheidungsspielraum blockieren (detaillierter bei Poplutz, Hinführung Johannes).
2. Terminologie In den synoptischen Evangelien werden Dämonen zumeist als »unreiner« bzw. »böser Geist« (pne‰ma ⁄k€qarton pneuma akatharton bzw. pne‰ma ponhrn pneuma pone¯ron) oder schlicht als »Geister« (pneÐmata pneumata) bezeichnet. Das häufigste Lexem ist jedoch das als Lehnwort ins Deutsche übernommene »Dämon« (dafflmwn daimo¯n, Mt 8,31, bzw. das dem Volksglauben entstammende Diminutiv daimnion daimonion, 11x Mt, 11x Mk, 23x Lk). Wie dieser Begriff etymologisch zu erklären ist, ist unsicher. Zumeist wird er vom Stamm DAI- abgeleitet: dafflomai (daiomai) heißt »teilen«, verteilen«, so dass die frühe Assoziation an den Totengott als »Zerteiler« der Leichen möglich ist (vgl. Foerster 1935, 2). Aber auch die Herleitung von 96
Dämonen – Besessenheit – Austreibungsrituale
daffimwn (dae¯mo¯n), »kundig«, »einsichtsvoll«, ist denkbar. Fest steht, dass das Lexem in der griechischen Philosophie und Literatur über eine große Bandbreite an Bedeutungen verfügte (vgl. Frey-Anthes 2007, 2) und keinesfalls, wie es der heutige Sprachgebrauch nahelegt, vorschnell negativ konnotiert werden sollte. Da dafflmwn (daimo¯n) auch das menschliche oder allgemeine »Geschick« bzw. »Schicksal« meinen kann (so besonders bei den Tragödiendichtern, vgl. Eurip. Alces. 561f.; Sophoc. Oed. R. 828), könnte der Begriff ursprünglich auch so etwas wie »Zuteiler des Geschicks« bedeutet haben (vgl. ter Vrugt-Lenz 1976, 600f.). Die frühesten Belege finden sich bereits bei Homer und Hesiod: Homer verwendet dafflmwn (daimo¯n) neutral zur Bezeichnung unbekannter (Il. 15,418.467; 19,188) oder olympischer Götter (Il. 3,413-418), während für Hesiod die Dämonen aus dem »goldenen Geschlecht« hervorgegangen sind und als Beistand für den Menschen fungieren (op. 122-126): Aber sobald nun dieses Geschlecht die Erde bedeckte, wurden sie nach dem Willen des Zeus, des erhabenen, alle zu Dämonen (dafflmwne@), zu freundlichen, die hier auf Erden die sterblichen Menschen behüten. Hüter sind sie des Rechts und achten auf grausame Taten, während sie, in bergende Luft gehüllt, die Länder durchschreiten, Reichtum spendend; auch darin bestand ihr königliches Vorrecht.
Platon führt dies zusammen und legt den Grundstein für alle folgenden Dämonologien: Dämonen sind den Göttern untergeordnet (Tim. 40de; vgl. jedoch apol. 27cd), sollen aber ebenfalls Verehrung erfahren (nom. 717a). Der dafflmwn (daimo¯n) sorgt im Innersten eines jeden Menschen für Wohlbefinden (e'daimonffla eudaimonia) oder Unwohlsein (dusdafflmwn dysdaimo¯n; Tim. 90c) und lenkt das Leben und den Totengeist des Einzelnen (Phaid. 107d; Frey-Anthes 2007, 3; dazu auch Ferguson 1984, 33-67). Neben diesen verschiedenen Bedeutungen kann mit dafflmwn (daimo¯n) auch ganz allgemein etwas noch Unbekanntes oder Übermenschliches umschrieben werden, für das man keine adäquate Erklärung findet. So berichtet Philostratos folgende Szene, in welcher sich der pythagoreische Wundertäter und Philosoph Apollonius von Tyana (gest. 96-98 n. Chr.) wegen Majestätsbeleidigung vor Gericht verantworten muss: Man hatte sich gegen ihn einen Ankläger verschafft, der schon vielen zum Verderben geworden war und zahlreiche Olympische Siege dieser Art vorzuweisen hatte. Dieser Mann hielt eine Anklageschrift in der Hand, die er wie ein Schwert gegen Apollonios schwang, mit den Worten, sie sei ganz scharf gewetzt und werde ihn dem Verderben preisgeben. Als nun Tigellinus dieses Schriftstück auseinanderrollte, fand er darin nicht die geringste Spur einer Schrift vor, sondern sah nur ein unbeschriebenes Buch vor sich. Er kam deshalb auf den Gedanken, dass hier ein Dämon im Spiel sei. Ein ganz gleicher Vorgang soll sich auch später unter Domitian ereignet haben (vit. ap. 4,44,5-16).
Diese Stelle ist deshalb interessant, weil eine völlig unerklärliche Sache im Umkehrschluss auf den Einfluss eines Dämons zurückgeführt wird. Zwar können Dämonen auch sichtbar werden, doch im Allgemeinen kann man sie eher an ihren Wirkungen als an ihrer Gestalt erkennen: »This is why magicians were usually content to notice some sign that the demon had departed and did not normally expect to see the actual demon leaving« (Hull 1974, 40). 97
Themenartikel
Insgesamt lässt sich die Begriffsübertragung vom unpersönlichen »Geschick« über Götter und Untergötter als »Zuteiler des Geschicks« bis hin zur Vorstellung einer persönlichen Schutzgottheit als »angestammtem Dämon« (Pind. Olymp. 13,105), unter welchem das menschliche Leben bzw. bestimmte Lebensabschnitte stehen, relativ gut nachvollziehen. »On a popular level, Greeks close to the early Christian period applied the term increasingly often to the many forces intermediate in character between deities and nature« (Keener 2011, 771). Während das Alte Testament, das im Hebräischen kein Äquivalent für dafflmwn (daimo¯n) kennt, dem Dämonenglauben kritisch gegenüber steht und ihn eher polemisch im Kontext der Diffamierung heidnischer Götter und Götzen aufnimmt (vgl. Dtn 32,17; 2Chr 11,15; Ps 106,37; vgl. aber auch Tob 3,8; 6,17f.; 8,3!), bewegen sich Philo und Josephus ganz in der griechischen Tradition und weisen ein großes Bedeutungsspektrum von dafflmwn (daimo¯n) auf (vgl. Foerster 1935, 9f; Ferguson 1984, 81-86). Für Philo, der von der Beseelung des gesamten Kosmos ausgeht (somn. 1,136), sind Engel und Dämonen prinzipiell von derselben Art (gig. 6,16; somn. 1,141), sie können beide gut oder böse sein (gig. 16-18). Der angestammte Aufenthaltsort der Dämonen ist dabei die Luft nahe der Erde, d. h. die Region, die zwischen der Götter- und der Menschenwelt liegt. Bei Josephus kann dafflmwn (daimo¯n) zwar auch einen guten Schutzgeist meinen (Ant. 16,210), allerdings wirkt sich der negative Sprachgebrauch der LXX und des Neuen Testaments aus. Mit dem Diminutiv daimnion (daimonion) werden zumeist die Totengeister böser Menschen (Bell. 7,185) oder die Rachegeister Ermordeter (Ant. 13,317) bezeichnet. Bei Josephus gibt es somit eine starke Tendenz, Dämonen als die im Volksglauben verwurzelten bösen Geister zu verstehen (vgl. dazu Bietenhard 2000, 1536-1539; Foerster 1935, 2-12).
3. Dämonenglaube Der antike Volksglaube versteht Dämonen als geistige Wesen, die zwischen der Götterund der Menschenwelt angesiedelt sind und unmittelbaren Einfluss auf das menschliche Leben ausüben können. Obwohl Dämonen mit den normalen Sinnen nicht wahrnehmbar sind, sind sie eine Erfahrungswirklichkeit: »Das Dämonische wird in erster Linie als Äußerung einer übermächtigen Kraft erfahren und ist mehr an seiner Wirkung als an seiner Gestalt zu erkennen« (Trunk 1994, 7). Evolutionspsychologisch lässt sich der Geisterglaube auf die archaische menschliche Angst vor unkontrollierbaren Feinden zurückführen: »Auch aufgeklärte Zeitgenossen können das nachempfinden, wenn sie nachts allein durch den Wald gehen, wenn es im Gebüsch knackt und durch die Wipfel unheimlich rauscht. Dann sind wir wieder im Dschungel, in dem wir die Raubtiere nicht sehen – die uns sehen können« (Theißen 1992a, 73f. mit Verweis auf Konrad Lorenz: »Das Gespenst ist die Projektion des nächtlich jagenden Raubtiers«). Mit dieser Grunderfahrung mag es zusammenhängen, dass sich Dämonen nicht nur mit Vorliebe in Wüsten (vgl. Q 11,24; auch Mk 1,12f. par.), Ruinen (vgl. Offb 18,2; bBer 3ab) oder in Gräbern (vgl. Mk 5,2-5 parr.) aufhalten (vgl. Wanke 1981, 271), sondern dass sie in der Antike auch oft mit Tiernamen versehen werden (so auch im Alten Testament, vgl. Jes 34,14; 13,21; dazu Görg 1991, 376; Riede 2003, 293f.). Dass rasende und bissige Hunde 98
Dämonen – Besessenheit – Austreibungsrituale
als »besessen« gelten (vgl. Trunk 1994, 345), ist als Grenzphänomen ebenfalls hier einzustellen. Neben dem tief verwurzelten Geister- und Dämonenglauben, der einer als bedrohlich erfahrenen Umwelt entspringt, ist die zweite dämonologische Grunderfahrung im von Außenstehenden wahrnehmbaren Kontrollverlust einer Person zu suchen. Ein solcher Kontrollverlust, der mit verschiedenen Merkmalen wie Veränderungen im Aussehen und in der Stimme bis hin zu epileptischen Anfällen oder dem Auftreten einer Komplementärpersönlichkeit einhergehen kann, wird als »Besessenheit« gedeutet. Für das Neue Testament ist dieser Aspekt zentral, denn im Allgemeinen ist von Dämonen nur dann die Rede, wenn es um das Phänomen der Besessenheit und dessen Bekämpfung geht. Eine ausgeprägte Dämonenfurcht tritt im Neuen Testament fast vollständig zurück, und es gibt es keinen profilierten Toten- oder Gespensterglauben. Wie im Alten Testament werden Dämonen in erster Linie mit dem heidnischen Kult in Verbindung gebracht (vgl. 1Kor 10,20f.; 2Kor 12,2 [?]; Offb 9,20), während zwischen Gott und Menschen allein die Engel vermitteln. Da auch hinter jeder Form von Zauberei der Verkehr mit Dämonen steht, wird diese strikt abgelehnt (vgl. Gal 5,20; Offb 9,20f.; 18,23; 21,8; 22,15). Das bedeutet keineswegs, dass die neutestamentlichen Autoren die Existenz oder Wirkmächtigkeit von Dämonen bestreiten (vgl. Eph 6,12; Jak 3,15). Vielmehr ist eine »Unterscheidung der Geister« zwingend notwendig (vgl. 1Joh 4,1; 1Kor 12,10), und es wird gerade für die Endzeit mit einem verstärkten Auftreten dämonischer Mächte gerechnet (1Tim 4,1; Offb 16,13f.). Hierarchisch gesehen sind die Dämonen Satan untergeordnet, dessen Engel sie sind (vgl. Eph 2,2; Mk 3,22f.; vgl. Bietenhard 2000, 1539f.; Belege bei Böcher 1981, 279). Dabei besteht kein Zweifel, dass die Dämonologie Jesu bzw. des Neuen Testaments im antiken Judentum vorgeprägt ist (vgl. besonders TestXII, Jub, Qumrantexte). Die volkstümliche Vorstellung von Besessenheit lässt sich mit Hilfe der heute noch gängigen Redensart »Was ist denn in dich gefahren?« gut auf den Punkt bringen: Ein Dämon »fährt« durch die Körperöffnungen (Mund, Nase, Ohren usw.) in ein Tier oder einen Menschen ein, übernimmt die Kontrolle und bringt die Balance seines »Wirts« durcheinander. Aus diesem Grund hatten Ohren- und Nasenringe ursprünglich wohl eine apotropäische Funktion (vgl. Ebner 2004, 127). Dämonen verhalten sich wie Parasiten, die einen Wirt benötigen, um auf der Erde überleben zu können (vgl. Q 11,24-26; Mk 5,12). Diesen Wirt machen sie krank. Viele Krankheitsbilder, die in der Antike keiner präzisen Ursache zugeordnet werden konnten, wurden auf Dämonen zurückgeführt, v. a. so genannte dissoziative Störungen oder epileptische Anfälle (dazu Alexander 1980, 61-146). Entmythologisierend versuchte diesbezüglich bereits der griechische Arzt Hippokrates (ca. 400 v. Chr.) zu wirken, der die (ihm zugeschriebene) Schrift De morbo sacro (»Von der heiligen Krankheit«) mit den Worten einleitet: Hinsichtlich der so genannten heiligen Krankheit verhält es sich folgendermaßen: Kein bisschen scheint sie mir göttlicher zu sein als die anderen Krankheiten, noch heiliger, sondern die anderen Krankheiten haben eine Natur, woher sie entstehen, eine Natur und Ursache hat auch diese. Dass sie ein göttliches Werk sei, glauben die Menschen infolge ihrer Ratlosigkeit und weil es sehr verwunderlich ist, dass sie den anderen Krankheiten überhaupt nicht gleicht (1,2f.).
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Themenartikel
Die Einlassungen Hippokrates’ wurden von der Allgemeinheit lange Zeit nicht aufgenommen. Und so ähneln beispielsweise die Besessenheitssymptome, die in Mk 9,1726 beschrieben werden (Krämpfe, Schaum vor dem Mund, Zähneknirschen, Delirium, aus dem Haus rennen, Schreie), recht genau den Symptomen, die Hippokrates aufzählt (1,33-38; 7,1-12). Doch während Hippokrates die Natur als geschlossenes System versteht, das von der übernatürlichen Welt radikal getrennt ist, gehen Heiler davon aus, dass Krankheiten Folge einer göttlichen Intervention in der Menschenwelt sind. Hippokrates attackiert sie deswegen scharf (vgl. Graf 1996, 33f.). Dass sich eine dämonologische Deutung gerade bei epileptischen Anfällen anbietet, liegt phänomenologisch gesehen sicherlich an dem unvermittelten Ausbruch und den unkontollierbaren Zuckungen und Krämpfen, denen der Kranke hilflos ausgeliefert ist. Dies wird dann als »Introjektion«, d. h. als »Einwohnung eines dem Individuum gegenüber äußerlichen Geistes in dessen Inneres« (Strecker 2002, 56), dämonistisch gedeutet. In verschiedenen Mysterienkulten und der Mantik, aber auch in prophetischen und charismatischen Zusammenhängen kann eine solche »göttliche Einwohnung« im Rahmen der jeweiligen rituell-kultischen Kontexte gezielt gesucht werden. Für Außenstehende bleibt dies zumeist unverständlich und wird häufig mit »Wahnsinn« in Zusammenhang gebracht (vgl. Alexander 1980, 98f.). Die Entlastungsfunktion des dämonologischen Weltbildes ist darin zu suchen, dass die existentielle Erfahrung weltlicher und menschlicher Kontingenz eine Deutungs- und Handlungsebene erhält: Das, was schädigt, bedroht oder ängstigt, gerät durch dessen Dämonisierung in den Zugriffsbereich des Menschen. Die Benennung einer negativen Erfahrungswirklichkeit als »Dämon« macht das diffus Verstörende greifbar und öffnet es für konkrete und gesellschaftlich akzeptierte Bekämpfungsstrategien wie Magie, Zauberei oder Exorzismen. Dabei ist aber die strenge Wechselwirkung zwischen Dämonenglaube und Besessenheit zu beachten. Konkret: Nur in einem dämonologischen Milieu wird das Phänomen der Besessenheit (und die Möglichkeit ihrer Bekämpfung) als soziale Ausdrucksform psychopathischer Konflikte angeboten und akzeptiert. Das wiederum heißt: »Symptome der Besessenheit können sozial erlernt sein« (Theißen 1998, 248). Anders ausgedrückt: »Da der Dämonenglaube mit der Einwohnung von Geistern rechnet, fördert er zweifellos die Bereitschaft zur Dissoziation. Mythologische und religiöse Überzeugungen evozieren Phänomene sui generis« (Trunk 1994, 19). Kulturanthropologisch kann man Besessenheit somit als eine »Performance« verstehen (Strecker 2002, 58; auch Graf 1996, 185-188): In dramatischer Form inszenieren Besessene öffentlich bestimmte Rollenmuster, die in der jeweiligen Gesellschaft als Indiz für Besessenheit gelten. Dabei bestimmt das kulturelle Muster das Verhalten und umgekehrt formt das Verhalten das kulturelle Muster. Eine Ursache für das gehäufte Auftreten von Besessenheitsphänomenen zur Zeit Jesu könnte in der römischen Fremdherrschaft zu finden sein: »Vom Kolonialismus betroffene Völker befinden sich in einer latent schizoiden Lage. Sie sind zwischen Hass und Bewunderung gegenüber der Besatzungsmacht hin und her gerissen, schwanken zwischen Widerstand und Unterwerfung. Gesellschaften im Zustand der Besatzung rufen daher in überdurchschnittlichem Maße mentale Störungen hervor, die als Beherrschung durch Dämonen interpretiert werden können« (Kollmann 2011, 70).
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Dämonen – Besessenheit – Austreibungsrituale
4. Austreibungsrituale Ein Exorzismus (von ¥xorkfflzein exorkizein – beschwören) ist die rituelle Vertreibung eines Dämons, welche unter Anrufung überlegener Gegenkräfte geschieht. Neben der exorzistischen Beschwörung, die den Dämon durch einen Eid bindet, kennt die Antike auch die Möglichkeiten, Dämonen durch mechanische Mittel (Aderlass, Peitsche, Schläge, Lärm, Gerüche etc.) oder durch Übertragung auf ein anderes Lebewesen (Substitution) zu vertreiben (vgl. Trunk 1994, 21). Einen eindrucksvollen Einblick in die Praxis eines exorzistischen Rituals gewährt der jüdische Historiker Flavius Josephus (geb. 37/38 n. Chr.) in seinen »Jüdischen Altertümern«, einer Art »Weltgeschichte des jüdischen Volkes«, die er 93 n. Chr. in Rom fertigstellte: Gott lehrte ihn [sc. König Salomo] auch die Kunst, Dämonen zu beherrschen, zum Nutzen und zur Heilung für die Menschen. Er verfasste Spruchformeln, mit denen die Krankheiten besprochen werden, und hinterließ Arten von Beschwörungen, durch welche die darin Bewanderten die Dämonen verjagen, so dass sie nicht mehr zurückkehren. Und diese Heilung bewirkt bis heute bei uns sehr viel. Denn ich habe einen gewissen Eleazar kennengelernt, einen von meinen Stammesverwandten, der in Anwesenheit von Vespasian, dessen Söhnen, Obersten und einer Anzahl Soldaten die von den Dämonen Ergriffenen von diesen befreite. Die Art der Heilung aber war folgende: Er hielt an die Nase des Besessenen einen Fingerring, der unter dem Siegel eine von den Wurzeln hatte, die Salomo bezeichnet hatte, und zog dann dem daran Riechenden durch die Nasenlöcher den Dämon heraus. Als der Mensch sogleich niederstürzte, beschwor er den Dämon, nicht mehr in ihn zurückzukommen. Dabei erwähnte er ›Salomo‹ und sagte Spruchformeln auf, die jener verfasst hatte. Da aber Eleazar die gerade Anwesenden überzeugen und ihnen beweisen wollte, dass er über diese Fähigkeit verfüge, stellte er ein wenig davor einen mit Wasser gefüllten Becher oder ein Fußwaschbecken auf und befahl dem aus dem Menschen ausfahrenden Dämon, dieses umzustoßen und die, die es sahen, erfahren zu lassen, dass er den Menschen verlassen habe. Das geschah auch in der Tat, und so wurde Salomos Weisheit und Einsicht kund (Ant. 8,45-49).
Eleazar, dessen Ritual aufs Engste mit Salomo, dem von Gott mit einem besonderen Charisma zur Beherrschung der Dämonen ausgestatteten König (vgl. 1Kön 5,9-13; Weish 7,17-21), verknüpft ist (Ant. 8,42), wendet hier heilende Mittel (magischer Siegelring mit einer Wurzel) sowie Zauberformeln an, die bewirken, dass der Dämon zunächst den Besessenen zu Boden reißt und dann spektakulär und sinnfällig aus diesem ausfährt (8,48). Gutes Anschauungsmaterial bietet auch der Spötter Lukian von Samosatha (geb. 115-125 n. Chr.) in seiner Schrift »Die Lügenfreunde« (Philopseudeis). Anhand einer sehr pointierten und ironischen Textpassage, die von einer tiefen Wunderkritik getragen ist, lässt sich die spezifische Exorzismustopik nachvollziehen: Alle kennen den Syrer aus Palästina, der auf diesem Gebiet ein Experte ist. Wie vieler Menschen hat er sich angenommen, die vor dem Mond niederfielen, die Augen verdrehten und den Mund mit Schaum füllten! Dennoch hat er sie wieder auf die Beine gestellt und sie weggeschickt, wieder klar im Kopf, nachdem er sie für ein großes Honorar von ihren Schrecknissen befreit hatte. Sobald er nämlich an die Liegenden herantritt, fragt er,
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woher die Dämonen in den Körper eingefahren sind. Der Kranke selbst schweigt, der Dämon aber antwortet – in Griechisch oder in einer fremden Sprache, je nachdem, woher er ist –, wie und woher er in den Menschen eingefahren ist. Der Syrer aber treibt den Dämon aus, indem er ihm Eide aufbürdet und, falls er nicht gehorcht, ihn bedroht. Ich für meinen Teil habe sogar schon einen ausfahren sehen mit schwarzem und rußigem Teint (philops. 16).
Die wichtigsten Elemente, die auch für das Verständnis der neutestamentlichen Exorzismen von Bedeutung sind, sind hier versammelt: Nicht nur gleichen die Symptome der Besessenheit (Sturz [vgl. Lk 4,35; Flav. Jos. Ant. 8,47], »Mondsucht« [vgl. Mt 4,24; 17,15], Verdrehen der Augen, Schaum vor dem Mund) der Darstellung in De morbo sacro 1,33-38; 7,1-12 oder Mk 9,17-22; sondern der gesamte Exorzismus erweist sich wie im Neuen Testament als dialogisches Geschehen zwischen Exorzist und Dämon, welches hier ganz ohne magische Hilfsmittel auskommt. Der besessene Mensch, der vollständig an den Dämon ausgeliefert ist, ist zum Schweigen verdammt und stellt lediglich das »Schlachtfeld« der kämpferischen Auseinandersetzung zwischen Exorzist und Dämon dar (Theißen 1998, 97). Bereits Campbell Bonner hat in seinem bahnbrechenden Artikel aus dem Jahr 1943 die wichtigsten Techniken eines Exorzismus herausgestellt: Ein wiederkehrendes Element ist dabei die Befragung des Dämons, welche darin gründet, dass der Exorzist den Kampf nur gewinnen kann, wenn er über ein besonderes Wissen verfügt, etwa über den Einfahrweg des Dämons in den Menschen, der dann auch der mögliche Ausfahrweg sein könnte. Da Exorzisten und Dämonen grundsätzlich mit denselben »Waffen« kämpfen, hebelt Jesus das wunderbare Wissen der Dämonen über ihn (»Namenszauber«) häufig mit einem Schweigebefehl aus (fimw phimoo¯; Mk 1,25; Lk 4,35). Dieser könnte sich zwar möglicherweise ganz der redaktionellen christologischen Reflexion verdanken (so Kollmann 1991, 267-273), korrespondiert jedoch gattungsmäßig gut mit dem Aussprechen besonderen Wissens, das der dämonischen Gegenwehr dient. In jedem Fall zeigt sich in der Art der synoptischen Darstellung die deutliche Überlegenheit Jesu über die Dämonen: Nicht nur treibt Jesus die Dämonen ohne Anrufung einer höheren Macht aus, sondern er kann sie auch erfolgreich mit einem Befehl zum Schweigen bringen, was diesen umgekehrt nicht gelingt (Hull 1974, 70): »The fact that Jesus can confidently command demons and expect instant obedience indicates that he already thought himself in possession of the necessary supernatural powers requisite for accomplishing such feats« (Aune 2006, 393). Die Austreibung selbst wird durch Beschwörungen bzw. Bedrohungen bewirkt (vgl. Mk 1,25-27 par.; 9,25f. par.) und durch die Ausfahrt des Dämons, welche zugleich eine letzte Gefährdung des Besessenen darstellen kann (Mk 9,26f.), öffentlich demonstriert (Bonner 1946, 38-49). Eine Besonderheit der jesuanischen Exorzismustechnik ist die Verwendung des Verbs ¥pitim€w (epitimao¯ – anherrschen, bedrohen; vgl. Mk 1,25 par. Lk 4,35; Lk 4,41; Mk 9,25 par.; vgl. auch Mk 4,39 [Seesturmstillung als erweiterter Exorzismus]; Lk 4,39 [Heilung der Schwiegermutter des Petrus vom Fieber]), welches das in exorzistischen Formularen übliche »Beschwören« des Dämons ersetzt. Da dieses Verb ansonsten nicht in exorzistischen Kontexten der griechisch-römischen Umwelt und – abgesehen von einer eventuell äquivalenten Erwähnung im Genesis-Apokryphon von Qumran (1QGenAp = 102
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1Q20) – auch in jüdischen Texten nicht begegnet, scheint es sich hier um einen Begriff palästinischer Provenienz zu handeln, der möglicherweise die Verwendung durch den historischen Jesus reflektiert (Aune 2006, 392). Im Alten Testament ist ¥pitim€w (epitimao¯) JHWH vorbehalten, der die chaotischen Mächte in ihre Schranken weisen kann (vgl. Ps 103,7LXX). Eine wichtige Quelle für unsere Kenntnis der Exorzismusformulare sind die griechischen magischen Papyri (Papyri Graecae Magicae = PGM), die zwischen dem 2. bis 6. Jh. n. Chr. niedergeschrieben wurden (mit einem Schwerpunkt im 3. bis 4. Jh. n. Chr.), jedoch z. T. auf eine längere Entwicklungsgeschichte zurückblicken. Als exemplarischer Text für die magischen Papyri sei hier ein Auszug aus dem in Theben aufgefundenen Pariser Papyrus angeführt (PGM 4,3007-3086; 250-350 n. Chr.; Übers. Trunk 1994, 397-399), der so etwas wie ein »Handbuch für angewandte Magie« (a. a. O., 295) darstellt: Für dämonisch Besessene ein erprobtes Mittel des Pibeches. Nimm Öl von unreifen Oliven mit der Pflanze Mastigia und dem Fruchtmark des Lotos und koche es mit nichtfarbigem Majoran und sprich dazu: ›[Zauberworte] komm heraus, weg vom NN [Zauberworte nach Belieben]‹. Als Schutzmittel aber schreibe auf ein Zinntäfelchen: ›[Zauberworte]‹ und hänge es dem Leidenden um als ein Schreckmittel gegen jeglichen Dämon, das er fürchtet. Stelle (den Besessenen dir) gegenüber und beschwöre. Die Beschwörung aber lautet so: (1) ›Ich beschwöre dich bei dem Gott der Hebräer, Jesus, [Zauberworte], im Feuer Erscheinender, der inmitten von Flur und Schnee und Nebel; Tannetis soll herabsteigen, dein unerbittlicher Engel, und einbannen den herumflatternden Dämon dieses Geschöpfes, das Gott geschaffen hat in seinem heiligen Paradies; denn ich flehe zum heiligen Gott bei Ammon [Zauberworte]. (2) Ich beschwöre dich [Zauberworte]. (3) Ich beschwöre dich bei dem, der Osrael geoffenbart wurde in einer Lichtsäule und einer Wolke bei Tag und sein Volk gerettet hat gegen Pharao und gebracht hat gegen Pharao die Zehnzahl der Plagen, weil er ihn nicht hörte. (4) Ich beschwöre dich, jedweden dämonischen Geist, dass du redest, wer auch immer du bist; (5) denn ich beschwöre dich bei dem Siegel, das Salomon auf die Zunge des Jeremia legte, und er redete. Rede auch du, wer auch immer du bist, einer im Himmel oder in der Luft, ein irdischer, ein unterirdischer oder ein unterweltlicher, ein ebusäischer, chersäischer oder pharisäischer, rede, wer auch immer du bist. (6) Denn ich beschwöre dich bei dem lichtbringenden, unbezwinglichen Gott, der kennt, was im Herzen jeglichen Lebens ist, der aus Staub schuf das Geschlecht der Menschen, der die Wolken herausführt aus dem Verborgenen und zusammenballt und beregnet die Erde und segnet die Früchte, den preist jede himmlische Macht von Engeln, Erzengeln … [es folgen weitere Beschwörungen]‹. (14) Ich beschwöre aber dich, der du diese Beschwörung übernimmst, Schweinernes nicht zu essen, und dir wird unterworfen werden jeglicher Geist und Dämon, wer auch immer er ist. Beim Beschwören aber hauche einmal von den Enden der Füße an und sende den Hauch bis zum Gesicht, und er (der Dämon) wird eingebannt werden. Wahre (das) als Reiner; denn der Spruch ist hebräisch und bewahrt bei reinen Männern.
Der Text bemüht alttestamentliche und jüdisch-apokryphe Traditionen (v. a. im Zauberspruch), aber auch Elemente des antiken Volksglaubens (Vorbereitung des Amuletts, An103
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hauchen). Besonders die Beschwörungen (»Ich beschwöre dich bei …«), die Namensbefragung zum Zweck der Machtgewinnung (»Ich beschwöre dich, jedweden dämonischen Geist, dass du redest, wer immer du auch bist …«) sowie der Ausfahrbefehl (»Komm heraus, weg vom NN«) sind verbreitete exorzistische Motive (ausführlich dazu Trunk 1994, 391-410). Da magische Rituale im Kern konservativ sind (zum Thema Magie und Zwang vgl. Graf 1996, 198-203), kann man die hier vorgestellten Texte mit weiteren inner- und außerbiblischen Beispielstellen zusammenführen, um auf diese Weise wesentliche Elemente des antiken Austreibungsrituals herauszuarbeiten. Folgende Motive, die in unterschiedlicher Ausprägung verwirklicht sind, sind hervorzuheben (vgl. Theißen 1998, 9498; Aune 2006, 392f.): (1) Kennzeichnend ist das Ausgeliefertsein des Besessenen an den Dämon, das sich vor dem Exorzismus durch körperlichen Kontrollverlust und beim Exorzismus im Moment des Ausfahrens des Dämons sinnfällig bemerkbar macht. Beispiele: Apg 19,16: »Und der Mensch, in dem der böse Geist hauste, sprang auf sie los, überwältigte sie und setzte ihnen so zu, dass sie nackt und zerschunden aus dem Haus fliehen mussten.« Mk 5,2-5: »… ihm begegnete aus den Gräbern ein Mensch in unreinem Geist, der die Behausung in den Grabstätten hatte, und auch mit einer Kette konnte keiner mehr ihn binden, weil er oft mit Fußfesseln und Ketten gebunden worden war und zerrissen worden waren von ihm die Ketten und die Fußfesseln zerrieben, und keiner vermochte ihn zu bändigen …« Mk 9,18: »… und wo immer [der stumme Geist] ihn ergreift, reißt er ihn nieder, und er schäumt und knirscht die Zähne und erstarrt …« (vgl. Mk 1,23-26). Luc. philops. 16: »Der Kranke selbst schweigt, der Dämon aber antwortet …« Philostr. vit. ap. 4,20,7-14: »Apollonius blickte ihn [den jungen Mann] scharf an und sprach: ›Nicht du selbst begehst diesen Frevel, sondern der Dämon, der dich antreibt, ohne dass du es weißt.‹ In der Tat war in dem Knaben, ohne dass man es wusste, ein Dämon; denn er lachte, wo niemand lachte, und brach dann wieder ohne Grund in Tränen aus. Dazu sang er und hielt Zwiegespräche mit sich. Die Leute schoben dies seiner ausgelassenen Jugend zu. In Wirklichkeit aber war er einem Dämon ausgeliefert, weshalb er in seinem Übermut wie betrunken erschien.« Flav. Jos. Ant. 8,47: »Als der Mensch sogleich niederstürzte …« Flav. Jos. Ant. 6,166: »Den Saul aber bedrängten gewisse Leiden und Dämonen, die Erstickungsanfälle hervorriefen …«
(2) Der Exorzismus wird als Kampf zwischen Exorzist und Dämon dargestellt, der mit Beschwörungen, der Formulierung von überlegenem Wissen, der Anrufung einer höheren Macht, aber auch mit magischen Hilfsmitteln geführt werden kann. Generell kämpfen beide Parteien mit denselben Waffen und folgen oftmals einem fest geprägten Schema. Dabei ist zu beachten, dass die Exorzismen Jesu ein sehr reduziertes Technikrepertoire aufweisen und weder Beschwörungen oder Herabrufungen Gottes (geschweige denn von Geistern) noch die Verwendung magischer Hilfsmittel kennen. Auch wenn von Exorzismen erzählt wird, die ganz ohne Technik auskommen (Mt 9,32f.; 12,22), bestehen sie in den längeren Variationen aus mehreren knappen Befehlen: Jesus herrscht 104
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die Dämonen an (¥pitim€w epitimao¯), befiehlt ihnen zu schweigen (fimw phimoo¯) und erteilt den Ausfahrbefehl (¥xffrcomai exerchomai; auch »Apopompe¯« genannt); ggf. kann dann noch der Einfahrbefehl in ein anderes Lebewesen (e§sffrcomai eiserchomai; auch »Epipompe¯« genannt) und die Formulierung eines Rückkehrverbots folgen. Beispiele: Anherrschen/Bedrohen (¥pitim€w epitimao¯ – anherrschen, bedrohen): Mk 1,25: »Und Jesus herrschte ihn [sc. den Dämon] an und sprach …« Mk 9,25: »Er herrschte den unreinen Geist an und sprach zu ihm …« Lk 4,41: »Und er herrschte sie [sc. die Dämonen] an …« ActBarn 19,4: »Und Barnabas herrschte diesen Ort an …« vgl. auch Lk 4,39: »Und er beugte sich über sie [sc. die Schwiegermutter des Petrus], herrschte das Fieber an …« vgl. auch Mk 4,39: »Und aufgeweckt, herrschte er den Wind an und sprach zum Meer …« »Namenszauber« und Schweigebefehl: Mk 5,9: »Und Jesus fragte ihn: ›Was ist dein Name?‹ Und er spricht zu ihm: ›Legion ist mein Name, denn wir sind viele‹.« Mk 1,24: »Ich weiß, wer du bist: Der Heilige Gottes!« Mk 1,25: »Schweig!« (vgl. auch Mk 4,39!) PGM 4,3041: »Rede auch du, wer auch immer du bist …« PGM 13,242-244: »Wenn du einem Besessenen den Namen sagst und Schwefel und Erdharz an seine Nase führst, wird der Dämon sofort sprechen und weggehen.« Beschwörung ([¥x]¡rkfflzw [ex]orkizo¯ – beschwören, eidlich binden): PGM 4,3019: »[Exorzist:] Ich beschwöre dich bei …« (vgl. PGM 3,36; 4,289; 7,242 u. ö.) Mk 5,7: »[Dämon!:] Ich beschwöre dich bei Gott, quäle mich nicht!« Luc. philops. 16: »Der Syrer aber treibt den Dämon aus, indem er ihm Eide aufbürdet und, falls er nicht gehorcht, ihn bedroht.« Luc. philops. 31: »Da tritt der Dämon an mich heran […], struppig, langhaarig und schwärzer als die Finsternis. Nachdem er herangetreten war, nahm er den Kampf mit mir auf, indem er mich von allen Seiten anfiel, ob er mich irgendwo überwältigen könnte, und wurde bald ein Hund, ein Stier oder ein Löwe. Ich aber nahm die schauerlichste Beschwörungsformel zur Hand – ich redete in ägyptischer Sprache – und trieb ihn unter Zauberformeln in die Ecke des finsteren Zimmers.« Flav. Jos. Ant. 8,45: »Er [sc. Salomo] verfasste magische Formeln, durch die die Krankheiten beschwichtigt werden, und hinterließ Arten von Beschwörungen, durch welche die darin Bewanderten die Dämonen verjagen …« Ausfahrbefehl (˛xelqe exelthe – komm heraus): Mk 1,25: »Komm heraus aus ihm!« (vgl. 9,25) Mk 5,8: »Komm heraus, unreiner Geist, aus dem Menschen!« PGM 4,3012: »Komm heraus, weg vom NN!« PGM 4,1244-1248: »Komm heraus, Dämon, wer du auch immer bist, und verlasse den NN, jetzt, jetzt, sofort, sofort! Komm heraus, Dämon, da ich dich fessele mit stählernen, unauflöslichen Fesseln und dich ausliefere in das schwarze Chaos im Verderben!« Einfahrbefehl (e§sffrcomai eiserchomai – einfahren, hineingehen): Mk 5,13: »Und er erlaubte es ihnen [in die Schweine einzufahren]. Und die unreinen Geister kamen heraus und fuhren in die Schweine …«
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Rückkehrverbot: Mk 9,25: »Sprachloser und stummer Geist, ich befehle dir: Geh heraus aus ihm und geh nicht mehr in ihn hinein!« Flav. Jos. Ant. 8,47: »Er aber [sc. Eleazar] beschwor den Dämon, nicht mehr in ihn zurückzukommen. Dabei erwähnte er ›Salomo‹ und sagte Spruchformeln auf, die jener verfasst hatte.«
(3) Die Demonstration, d. h. die Darstellung der Ausfahrt des Dämons, bezeugt in literarischen Texten, dass der Exorzismus erfolgreich war. Hier zeigt sich zumeist in Form eines letzten Aufbäumens die gefährdende Macht, die der Dämon über den Besessenen ausübt. Beispiele: Mk 9,26: »Und der Geist schrie und zerrte ihn heftig und fuhr aus; und er wurde wie tot, so dass viele sagten: ›Er ist gestorben.‹« Lk 4,35: »Und als der Dämon ihn mitten unter sie geworfen hatte, fuhr er von ihm aus, ohne ihm Schaden zu tun.« Mk 5,12: »Und die unreinen Geister kamen heraus und fuhren in die Schweine. Und die Herde stürmte den Abhang hinunter in das Meer, etwa 2000, und sie ertranken im Meer.« Luc. philops. 16: »Ich für meinen Teil habe sogar schon einen ausfahren sehen mit schwarzem und rußigem Teint.« Philostr. vit. ap. 4,20,19: »Als nun Apollonius zu dem Dämon wie ein Herr zu einem verschlagenen, heimtückischen und schamlosen Sklaven sprach und ihm befahl, sichtbar auszufahren, da rief dieser aus: ›Das Standbild dort werde ich umwerfen!‹ Er wies dabei auf eine Statue bei der Königshalle, wo die ganze Szene auch stattfand. Diese geriet wirklich in Bewegung und fiel um.« Flav. Jos. Ant. 8,48f.: »Da aber Eleazar die gerade Anwesenden überzeugen und ihnen beweisen wollte, dass er über diese Fähigkeit verfüge, stellte er ein wenig davor einen mit Wasser gefüllten Becher oder ein Fußwaschbecken auf und befahl dem aus dem Menschen ausfahrenden Dämon, dieses umzustoßen und die, die es sahen, erfahren zu lassen, dass er den Menschen verlassen habe. Das geschah auch in der Tat.«
5. Hermeneutische Schlussbemerkung Die exorzistische Tätigkeit Jesu und seiner Jünger ist für die meisten Rezipient(inn)en der modernen westlichen Welt widerständig. Doch die Evangelisten verfassten ihre Schriften für ein Milieu, in dem der Glaube an übernatürliche Kräfte und der Zusammenhang von dämonischen Bindungen und Krankheiten weit verbreitet waren und es somit keinen Grund gab, an der Faktizität von Exorzismen zu zweifeln. Es kann nun nicht darum gehen, im Umgang mit der christlichen Überlieferung verschiedene Weltbilder – das Weltbild der Bibel und das Weltbild unserer Zeit – einander gegenüberzustellen (dazu Bittner 2007, 146-157), zumal wir auch heutzutage von einer gleichgeschalteten Weltdeutung weit entfernt sind: Nicht nur stehen sich beispielsweise die dominierenden empirisch-naturwissenschaftlichen Auffassungen im Westen und der Glaube an numinose Mächte wie Geister und Dämonen in den Stammesreligionen indigener Völker gegenüber; vielmehr ist in den letzten Jahrzehnten auch in Europa und Nordamerika ein Trend zu esoterisch-ganzheitlichen und neonaturreligiösen Ansätzen einerseits, sowie zu exorzistischer Ausbildung und Praxis im Kontext der 106
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römisch-katholischen Kirche andererseits zu beobachten. Das moderne Weltbild ist pluriform. Auch an der Auslegung der Wunder Jesu ist dies nicht spurlos vorübergegangen, und man kann nach den Etappen der Entmythologisierung und Historisierung nun durchaus von einer »neuen Faszination für das Wunderbare« sprechen (Zimmermann 2011a, 121). Aufgrund der Beobachtung, dass es Lücken in der Wirklichkeitsdeutung gängiger Medizin und Naturwissenschaft gibt, wird heutzutage verstärkt versucht, auch die Wunder Jesu auf eine neue Theoriebasis zu stellen – etwa mit Hilfe von Psychosomatik, Parapsychologie oder Gehirnforschung (a. a. O., 121). Um der Gefahr zu entgehen, ausschließlich westlich-neuzeitliche Kategorien an die exorzistischen Überlieferungen anzusetzen, ist es sicherlich möglich und vielleicht sogar angezeigt, einen »cross-cultural standpoint« einzunehmen. Besonders Craig Keener hat sich in seinem monumentalen zweibändigen Werk »Miracles« diesbezüglich ausgesprochen und macht sein Vorgehen phänomenologisch fest: »Whether one accepts the historically and culturally widespread explanation of invasive spirits or prefers the modern Western materialist rejection of such explanations’ tenability, the transcultural character of the experience of possession behavior is impossible to evade« (Keener 2011, 789). Dass Phänomene der Besessenheit ebenso wie Exorzismen im Kontext der verschiedensten Gesellschaften tradiert werden, bietet die Möglichkeit, die Überlieferung der Dämonenaustreibungen Jesu und seiner Jünger in diesen breiteren Kontext einzustellen. Welche Implikationen und Konsequenzen damit einhergehen, wird kritisch zu diskutieren sein.
Uta Poplutz Literatur zum Weiterlesen D. E. Aune, Magic in Early Christianity, in: ders., Apocalypticism, Prophecy and Magic in Early Christianity. Collected Essays, WUNT 199, Tübingen 2006, 368-420. H. Frey-Anthes, Unheilsmächte und Schutzgenien, Antiwesen und Grenzgänger. Vorstellungen von »Dämonen« im Alten Israel, OBO 227, Fribourg 2007. F. Graf, Gottesnähe und Schadenszauber. Die Magie in der griechisch-römischen Antike, München 1996. J. M. Hull, Hellenistic Magic and the Synoptic Tradition, SBT 28, Naperville 1974. C. Keener, Miracles, The Credibility of the New Testament Accounts, Bd. 2, Grand Rapids 2011, 769-856. B. Kollmann, Jesu Schweigegebote an die Dämonen, ZNW 82 (1991), 267-273. C. Strecker, Jesus und die Besessenen. Zum Umgang mit Alterität im Neuen Testament am Beispiel der Exorzismen Jesu, in: W. Stegemann/B. J. Malina/G. Theißen (Hg.), Jesus in neuen Kontexten, Stuttgart 2002, 53-63. G. H. Twelftree, In the Name of Jesus: Exorcism Among Early Christians, Grand Rapids 2007.
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Der historische Jesus als Wundertäter im Spektrum antiker Wundertäter Jeder Versuch, Jesus als historische Figur mit anderen antiken Wundertätern zu vergleichen, steht in einer doppelten Spannung: einerseits in der Gefahr, in Apologetik zu verfallen, d. h. aus einer christlichen Perspektive heraus die Wunder Jesu als prinzipiell anders oder qualitativ höherwertig zu betrachten als vergleichbare Taten, die von anderen Menschen berichtet werden. Andererseits besteht die Gefahr darin, Jesu Wundertätigkeit zu stark zu relativieren und ihr einen zu geringen Stellenwert zuzuschreiben, da man angesichts der vielen antiken Parallelen kein Spezifikum mehr darin zu erkennen im Stande ist. Beide Haltungen sind Jesus nicht angemessen, wie zu zeigen sein wird. In diesem Beitrag soll der Wundertäter Jesus von Nazaret religionshistorisch gewürdigt werden in seiner Einbettung in sein historisches Umfeld, wozu der Vergleich mit zeitgenössischen Wundertätern gehört, und in seiner Individualität, wozu nach der spezifischen Ausprägung der Wundertätigkeit bei Jesus und deren Stellenwert im Gesamtrahmen seines Auftretens gefragt werden muss. Zunächst folgen einige allgemein historisch orientierende Informationen und methodische Vorüberlegungen.
1. Wundertäter der Antike: ein orientierender Überblick Zunächst muss der weitverbreiteten, aber unhaltbaren Überzeugung widersprochen werden, es gebe in der Literatur der vor- und frühchristlichen Antike viele Wundertäter, die man in Darstellung und überlieferten Taten leicht mit Jesus vergleichen könne. Das Gegenteil ist der Fall: Es gibt, abgesehen von den christlichen Aposteln, die aus methodischen Gründen natürlich außer Betracht bleiben müssen, kaum Personen der Antike, von denen so wie von Jesus zahlreiche verschiedene Wunder in einiger Ausführlichkeit und mit zumindest diskutablem Anspruch auf Historizität berichtet werden. Die wenigen Fälle, die es gibt, sollen im Folgenden überblickartig vorgestellt und dann im weiteren Verlauf des Exkurses in ausgewählten Aspekten besprochen werden. Für den Bereich des antiken Judentums muss zunächst auf die in den heiligen Schriften Israels begegnenden Wundertäter und ihre Wunder hingewiesen werden. Diese bieten ein von allen geteiltes Reservoir von Erzählungen und Deutungsangeboten, das zur Interpretation jeglicher neuer Wundererfahrung herangezogen werden konnte. Insbesondere die Wunder, die im Rahmen von Exodus und Landnahme von Mose und Josua vollbracht wurden, und die Elija und Elischa gewidmeten Wunderzyklen sind in der jüdischen Literatur der hellenistisch-römischen Zeit und in den frühchristlichen Schriften überall präsent (Koskenniemi 2005). Daraus ergeben sich spezifische Probleme bei der historischen Analyse. In den meisten Fällen ist es nämlich schwer oder unmöglich zu bestimmen, in welcher Phase der Überlieferung einer Wundererzählung Bezüge zur alttestamentlichen Wundertradition hergestellt wurden, ob etwa schon der Wundertäter selbst sich im Licht einer bestimmten biblischen Tradition stilisierte, ob seine ersten Anhänger ihn im Licht einer solchen wahrnahmen oder ob die Bezüge erst im Zuge der schriftlichen Tradierung hergestellt wurden. 108
Der historische Jesus als Wundertäter im Spektrum antiker Wundertäter
Im Judentum Palästinas gab es in den Jahrhunderten um die Zeitenwende offensichtlich Exorzisten und andere Wundertäter (Q 11,19, Mk 9,38-41; Flav. Jos. Ant. 8,4648, dazu Duling 1985; Flav. Jos. Ant. 14,22-24), doch erhielten deren Wunder nur in Ausnahmefällen so viel öffentliche und überlokale Aufmerksamkeit, dass sie in zeitgenössischen Quellen erwähnt werden. In keinem einzigen Fall überliefert eine vorchristliche oder dem Neuen Testament zeitgleiche Quelle Informationen über einen Wundertäter, von dem mehr als ein Wunder berichtet wird; jedoch erweitert sich das Feld, wenn man spätere rabbinische Quellen über Personen hinzunimmt, die im weiten Sinne als Zeitgenossen Jesu gelten können. Zwei Gruppen von Wundertätern haben in der Forschung besondere Aufmerksamkeit als mögliche historische Parallelen gefunden: die rabbinischen Wundercharismatiker und die so genannten Zeichenpropheten. Es ist v. a. den Arbeiten von Geza Vermes zu verdanken, dass Choni der Kreiszieher und Chanina ben Dosa als jüdische Wundertäter des 1. Jh. v. Chr. bzw. n. Chr. wiederentdeckt wurden (Vermes 1973b, 51-64). Vermes vertrat die These, dass Jesus von Nazaret wie Choni und Chanina ben Dosa zu einer v. a. in Galiläa beheimateten jüdisch-charismatischen Bewegung der Chassidim gehörten, die mehr auf praktische Frömmigkeit denn auf Thoragelehrsamkeit und Beachtung von Reinheitsnormen Wert legte und persönlichem Charisma, das sich u. a. in Wundertaten entfalten konnte, viel Raum ließ. Seither hat die Forschung herausgearbeitet, dass Vermes den teilweise erst aus dem 4.-6. Jh. stammenden Quellen wohl etwas zu viel historische Glaubwürdigkeit für das 1. Jh. v./ n. Chr. zugesprochen hatte. Differenzierte traditions- und redaktionsgeschichtliche Analysen haben zu sehr divergierenden Einschätzungen über die sozioreligiöse Einordnung der beiden historischen Personen und die Überlieferungsgeschichte der ihnen gewidmeten Erzählungen geführt (Green 1979; Freyne 2000; Becker 2002 und die Bewertung bei Kollmann, Magie in diesem Band). Angesichts der Tatsache, dass im Falle des Regenwunders von Choni dem Kreiszieher Josephus eine gewisse Kontrolle der Tradition ermöglicht (s. u.), wird man überzogenen Skeptizismus (z. B. Avery-Peck 2006) für unangebracht halten dürfen und im Einzelfall nach vor- bzw. frührabbinischen Traditionselementen innerhalb der Überlieferung suchen, die dann mit der nötigen Vorsicht zum Vergleich mit der Jesustradition herangezogen werden können (vorbildlich Becker 2002). Bei den so genannten Zeichenpropheten handelt es sich um eine Gruppe von Endzeitpropheten, die in den Jahrzehnten vor dem jüdischen Krieg auftraten und von deren Wirken Josephus, aber auch das Neue Testament (Apg 5,34-39; 21,37 f.) in kurzen Notizen berichten (Barnett 1981; Gray 1993). Charakteristisch ist jeweils, dass diese Propheten eine große Volksmenge um sich scharen und sie zu einem heilsgeschichtlich signifikanten Ort führen mit dem Versprechen, ein eschatologisches Zeichen zu »zeigen«, welches in der Regel an die Geschichte Israels anknüpfte und offenbar das Fanal zur Befreiung von der römischen Herrschaft sein sollte. So versprach der unter Cuspius Fadus (44-46 n. Chr.) auftretende Theudas das von Josua und Elija überlieferte Wunder der Spaltung des Jordans zu wiederholen (Jos 3; 2Kön 2,8). Diese Inszenierung einer neuen Landnahme misslang aufgrund des militärischen Eingreifens des Prokurators (Flav. Jos. Ant. 20,97-99; vgl. Apg 5,36). Ebenso kläglich endeten unter dem Prokurator Felix (5260 n. Chr.) der Versuch eines neuen Exodus mit Versprechen von »Zeichen der Freiheit« in der Wüste (Flav. Jos. Ant. 10,167 f.; Bell. 2,259) und das Versprechen eines ägyptischen Propheten, die Mauern Jerusalems einstürzen zu lassen (wie einst die Mauern Jerichos in Jos 6, Flav. Jos. Ant. 20,169-172; Bell. 2,261-263; Apg 21,38). Die von Theudas und »dem 109
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Ägypter« hervorgerufenen Bewegungen wurden nach dem Zeugnis der Apostelgeschichte von jüdischer und römischer Seite als Vergleichsfolie für die Jesusbewegung ins Spiel gebracht; Theudas steht dabei neben Judas Galiläus, der traditionell nicht unter die Zeichenpropheten gerechnet wird (Apg 5,37). Der historische Zusammenhang dürfte jedoch enger sein als bisher erkannt. Judas Galiläus, der von Josephus als Gründer der »vierten Philosophie« der Juden bezeichnet wird, hatte mit seinem Aufruf zur Steuerverweigerung 6 n. Chr. den Aufstand gegen den Zensus des Quirinius hervorgerufen und kann in der Tat als wichtigster theologischer Lehrer der Widerstandsbewegung gegen die Römer gelten. Er vertrat nach Flav. Jos. Ant. 18,4 f. einen revolutionären Synergismus, Gott werde (nur dann) bereit sein, ihnen zur Freiheit zu helfen, wenn die Juden sich dem römischen Befehl zur Steuerzahlung entschlossen widersetzten und damit zeigten, dass sie allein Gott als Herr anerkennen. Josephus nennt zwar kein von Judas angekündigtes Zeichen, aber er muss angesichts der militärischen Überlegenheit der Römer wunderbares Eingreifen Gottes erwartet haben. Was ihm vor Augen gestanden haben könnte, sind die militärischen Siege der Israeliten bei der Landnahme, die sie mit der Hilfe Gottes erfochten, oder auch spätere kriegerische Eingriffe Gottes zugunsten seines Volkes in an sich aussichtsloser Lage. Die von den Zeichenpropheten angekündigten Zeichen und ihr Vorgehen, Menschenmassen zu mobilisieren, passen jedenfalls in den ideologischen Zusammenhang des erstmals von Judas Galiläus formulierten Grundsatzes, dass ein eschatologisches Eingreifen Gottes durch menschliche Aktionen vorbereitet werden müsse. Der größte Unterschied zwischen den Zeichenpropheten und Jesus liegt darin, dass diese die von Gott erwarteten Wunder nur ankündigen (»zeigen« wollen), nicht selbst wundertätig werden. Sie verbindet der explizit eschatologische Kontext, innerhalb dessen die Wunder bei Jesus geschehen (bei den Propheten: geschehen sollen). Auch wird man in der Verheißung eines wunderbaren neuen Tempels nach der Zerstörung des alten durch Jesus eine verwandte Ankündigung eines Zeichens sehen können (Mk 14,57f.; 15,29; Theißen 1998, 242f.). Wenden wir uns nun dem paganen Kontext zu. Hier wurde die Diskussion über Wundertäter, die Jesus verwandt sind (oder denen er im Laufe der christlichen Überlieferungsgeschichte angeglichen wurde), traditionell unter der Fragestellung geführt, ob man Jesus als »Theios Aner« (qe…o@ ⁄nffir theios ane¯r), als göttlichen Menschen nach Analogie v. a. des Apollonius von Tyana verstehen müsse (Bieler 1976; Betz 1983). Von diesem die hellenistische Welt durchziehenden neopythagoreischen Philosophen des 1. Jh. werden in der Vita Apollonii des Philostrat, der einzigen ausführlichen erhaltenen Quelle aus dem frühen 3. Jh., eine ganze Anzahl von Wundern berichtet, darunter Exorzismen, Heilungen, eine Totenerweckung, Entfesselungswunder, aber auch prognostische Fähigkeiten, das Vermögen, an zwei Orten zugleich zu sein und dabei große Entfernungen (Meere) zu überwinden, sowie Erscheinungen nach dem Tode. Die Frage, ob Philostrat die christlichen Evangelien kannte und als ungenannte, aber zum Verständnis unverzichtbare Folie seines Apolloniusbildes voraussetzt, ist leider nicht schlüssig zu beantworten, hat aber natürlich eminente Konsequenzen für die Beurteilung der gebotenen Stoffe. Man wird nur mit großer Zurückhaltung und bei deutlichem Vorliegen präphilostratischer Traditionen Vergleiche mit der frühen Jesusüberlieferung anstellen können (Petzke 1970; sehr kritisch Koskenniemi 1994, 2006). Was den heuristischen Wert des Forschungskonstruktes vom »Göttlichen Menschen« und dessen Anwendbarkeit auf Jesus und die Entwicklung der Christologie betrifft, so mahnen neuere Untersuchungen 110
Der historische Jesus als Wundertäter im Spektrum antiker Wundertäter
zu großer Skepsis (Blackburn 1991; Du Toit 1997). Sinnvoll ist es jedoch nach wie vor, einzelne traditionell unter das Theios-Aner-Konzept subsumierte (Gruppen von) Wundertäter(n) daraufhin zu untersuchen, ob ihre Wundertätigkeit zur Erhellung der Taten Jesu beitragen kann. Für den Bereich der antiken Magie und die über Jahrhunderte weitergegebenen Wundertraditionen über Pythagoras und Empedokles sei auf den Themenartikel von B. Kollmann in diesem Band verwiesen. Interessant ist insbesondere auch der Vergleich mit den römischen Kaisern (Riemer 2006), weshalb im Folgenden der von Tacitus in hist. 4,81 überlieferten Wundertätigkeit des Vespasian einige Aufmerksamkeit gewidmet werden soll.
2. Wundertäter als historische Personen und literarische Figuren Wir kennen alle antiken Wundertäter nur aus den schriftlich tradierten Erzählungen und sonstigen literarischen Traditionen über sie, mit anderen Worten, sie begegnen uns als literarische Figuren. Art und Umfang der jeweils zur Verfügung stehenden Quelle(n) bestimmen dabei, ob und mit welchem Maß an Verlässlichkeit historische Rückschlüsse auf die historischen Personen und ihr Verhalten möglich sind. Ein direkter Augenzeugenbericht über einen Exorzismus in Gegenwart des Feldherren Vespasian und seiner Offiziere durch Eleasar, wie er von Josephus niedergeschrieben wurde (Ant. 8,45-49, zitiert und besprochen bei Poplutz, Dämonen in diesem Band), erlaubt historisch verlässlichere Aussagen als etwa die rabbinischen Erzählungen zu den Wundern, die von Choni oder Chanina ben Dosa berichtet werden, da bei letzteren der historische Abstand zwischen Ereignis und schriftlicher Fixierung erheblich größer ist und der gestaltende Einfluss der langen Kette von Tradenten viel höher veranschlagt werden muss. Trotzdem ist selbst bei Augenzeugenberichten natürlich damit zu rechnen, dass subjektives Erleben, Wahrnehmung innerhalb eines bestimmten Wirklichkeitsverständnisses, Darstellungsinteressen und die allgemeinen Gesetze der Gestaltgebung von Erinnerungsinhalten die Beschreibung geprägt haben und damit auch präjudizieren, was und wie viel vom tatsächlich Vorgefallenen historisch erschließbar bleibt. Grundsätzlich gilt für alle Wundererzählungen, dass sie, wie in der Einleitung dargelegt, »im Redemodus grundsätzlich faktuale Erzählungen sind, die … fiktionalisierende Erzählverfahren in unterschiedlichem Maße einschließen«, wobei in einigen Fällen der Anspruch auf reale Begebenheiten zu referieren zu Recht erhoben wird, in anderen nicht. Historische Befragung von Texten hat ein eigenes legitimes Erkenntnisinteresse, die Rückfrage nach den Ereignissen und Erlebnissen, die den Prozess der literarischen Fixierung der Erinnerung in Gang gesetzt haben, wobei die jeweiligen Wirklichkeitskonzepte der Tradenten berücksichtigt werden müssen. Die Unterscheidung in Ereignisse, Erlebnisse und Wirklichkeitskonzepte (s. dazu die Einleitung 1.3.1) ist wichtig, sollte aber m. E. integrativ und nicht alternativ gehandhabt werden. Historische Rückfragen nach Ereignissen und deren Interpretation im Rahmen eines bestimmten Wirklichkeitsverständnisses werden stimuliert durch die Uneinheitlichkeit, manchmal selbst Widersprüchlichkeit der Überlieferung. Wäre uns nur das Johannesevangelium bekannt, müssten wir schließen, dass Jesus ein großer Heiler, aber kein Exorzist war, denn unter den Zeichen des vierten Evangeliums findet sich kein Exorzismus. Sind die zahlreichen Exorzismen und die Jesusworte über das Austreiben von Dämonen in den synoptischen Evangelien dann Erzählungen ohne historischen Refe111
Themenartikel
renzpunkt oder hat Johannes die exorzistische Tätigkeit Jesu verschwiegen? In Fragen wie dieser kann man durch Anwendung von quellenkritischen und allgemein historiographischen Methoden zu konsensfähigen Urteilen kommen (Theißen/Winter 1997; Theißen/ Merz 2011, 35-124. 257-284). Es ist angesichts der breit und früh unabhängig bezeugten und in verschiedenen Gattungen begegnenden Texte über Exorzismen Jesu und der Jesusanhänger (Summarien, Jesusworte, Einzelerzählungen im Markusevangelium, Logienquelle, Sondergut des Lukas und Matthäus) plausibler anzunehmen, dass der Johannesevangelist (oder der Trägerkreis der johanneischen Tradition) einen wichtigen Teil der Wundertätigkeit Jesu dem Vergessen anheim fielen ließ(en), als anzunehmen, dass die übrige Jesustradition Exorzismen in großer Zahl frei erfunden hat. Hypothesen über die historischen Gründe für die Zurückhaltung des Johanneskreises den Exorzismen gegenüber werden weniger konsensfähig sein, sind aber trotzdem legitime historische Hypothesen, die z. B. anknüpfen können bei der Frage, wie gewichtig oder auch anstößig die Rolle der Dämonen im Wirklichkeitsbild verschiedener Gruppen von Rezipienten der Wunderüberlieferung ist. Historische Plausibilität lässt sich immer nur in größerem oder geringerem Ausmaß erreichen. So wird sich der Realitätsbezug einer einzelnen Wundergeschichte in vielen Fällen nicht mit hinreichender Sicherheit begründen lassen. Kritische Auswertung einer Vielzahl von Quellen erlaubt jedoch oftmals konsensfähige Urteile auf höherer Ebene. Dass Jesus Exorzismen und Heilungen vollbracht hat und in Diskussionen über seine Wundertätigkeit verwickelt wurde, kann angesichts der Fülle unabhängiger, relativ zeitnaher Quellen als historisch gesicherte Erkenntnis gelten. Ein historisch plausibles Gesamtbild von Jesus als Wundertäter muss natürlich viel mehr Einzelfragen klären, die teilweise weniger sicher zu entscheiden sind, und hat auch mit dem selektiven und fragmentarischen Charakter unserer Kenntnis sowohl von Jesus als auch seiner Umwelt zu kämpfen. Diese Lücken in unserem Wissen können durch quellengeleitete Hypothesen, argumentativ verantwortete historische Verallgemeinerungen und Analogieschlüsse, sowie durch Erkenntnisse zeit- und kulturübergreifender Analysen vorsichtig ergänzt werden. Die literarischen Konstrukte von Jesus als Wundertäter, die in den einzelnen urchristlichen Quellen entfaltet werden (s. dazu die Einleitungen in die Quellenbereiche), werden im Folgenden ergänzt um ein Konstrukt historischer Imagination, das historisch plausibel sein will. Die angestrebte historische Plausibilität hat v. a. zwei Zielrichtungen: Die Rekonstruktion von Jesu Wundertätigkeit soll verständlich und individuell erkennbar sein im jüdischen Kontext seiner Zeit und sie soll die christliche Wirkungsgeschichte verständlich werden lassen, die Vielfalt der urchristlichen Bilder von Jesus als Wundertäter als Auswirkung der Wundertätigkeit und Wunderreflexion Jesu verständlich machen. Größtmögliche Annäherung an die historische Faktualität wird dabei angestrebt; es kann jedoch aus erkenntnistheoretischen Gründen nicht anders sein, als dass auch hierbei neue fiktionalisierende Darstellungen geschaffen werden oder alte Fiktionen sich wiederum unerkannt behaupten.
3. Selbstwahrnehmung und Außenwahrnehmungen der Wundertäter Bei allen wichtigen antiken Wundertätern können wir beobachten, dass ihre Einordnung und Bewertung in der Außenwahrnehmung umstritten und historischen Veränderungen unterworfen ist. In machen Fällen erlauben die Quellen sogar Aussagen über die Selbst112
Der historische Jesus als Wundertäter im Spektrum antiker Wundertäter
wahrnehmung des Wundertäters im Vergleich zur Außenwahrnehmung. Bevor wir dies bei Jesus untersuchen, seien einige Beispiele aus dem historischen Umfeld genannt. Apollonius von Tyana wurde von etlichen Autoren des 2. Jh. als Scharlatan, Betrüger und Magier betrachtet (Luc. Alex. 5, Dio Cass. 77,18; Moeragenes nach vit. ap. 1,3 u. a.). Die große Darstellung seines Lebens durch Philostrat steht ganz im Dienst der Bestreitung dieses magischen Apolloniusbildes zugunsten seiner Charakterisierung als Erneuerer der pythagoreischen Philosophie. Gerade die Wunder stehen dann auch in deutlicher Parallele zu einigen von Pythagoras bewirkten Erweisen seiner übermenschlichen Fähigkeiten. Wir dürfen wohl annehmen, dass die philostratische Tendenz in historischer Kontinuität steht zum Selbstverständnis des historischen Apollonius, der als neopythagoreischer Reformer und Wundertäter auftrat, Einzelheiten sind jedoch schwer mit zureichender Sicherheit zu rekonstruieren (vgl. Petzke 1970; Dzielska 1986; Koskenniemi 2006). In der Beschreibung der alexandrinischen Wunder des Kaisers Vespasian durch Tacitus (hist. 4,81) tritt eine deutliche Diskrepanz zwischen der Selbsteinschätzung Vespasians und der Erwartungshaltung der Hilfesuchenden zutage. Letztere, zwei Alexandriner aus dem Volk, sind aufgrund einer ihnen durch den Gott Serapis erteilten Weisung davon überzeugt, dass Vespasian ihre Krankheiten, Blindheit und Lähmung der Hand, durch seinen Speichel bzw. die Berührung mit seiner Fußsohle heilen kann. Vespasian dagegen fühlt sich zunächst nicht zum Wundertäter berufen, führt aber schließlich die erfragten Manipulationen mit dem gewünschten Heilungserfolg aus, nachdem er sich zuvor bei Ärzten der prinzipiellen medizinischen Möglichkeit der Heilungen zu versichern versucht hatte. Eine wiederum andere Bewertung bekamen die Wunder im Rahmen der pro-flavianischen Propaganda: Im Zusammenhang mit der Verbreitung (quasi-)messianischer prophetischer Orakel, die auf eine Vorhersage von Vespasians Weltherrschaft gedeutet wurden (Flav. Jos. Bell. 6,312-314; Tac. hist. 5,13; Suet. Vesp. 4.5), dienten sie der ideologischen Untermauerung seines zunächst noch ungefestigten Thronanspruchs (Eve 2008; Riemer 2006, 40-42). In den kurzen Darstellungen der Zeichenpropheten durch Josephus wird die Diskrepanz zwischen dessen Fremdbeurteilung und der Selbstbewertung der Propheten oft deutlich. Theudas wird von Josephus als Goet (gh@ goes) (Verführer, Zauberer, Magier?) eingeführt, bezeichnete sich selbst aber nach derselben Quelle als Prophet (Flav. Jos. Ant. 20,97). Analoges gilt bei teils anderer Terminologie für die von Felix bekämpfte Gruppe von Propheten (Flav. Jos. Bell. 2,258-260), den Ägypter (Ant. 20,169; Bell. 2,261) und den durch die Ereignisse als Pseudoprophet erwiesenen Propheten, der unter Heilsversprechungen Menschen noch kurz vor der Zerstörung durch die Römer in den Tempel lockte (Bell. 8,285). In den rabbinischen Traditionen über die Wundertäter Choni und Chanina ben Dosa lassen die Texte auf vielerlei Weise den Prozess der »Rabbinisierung« dieser ursprünglich solitären Charismatiker erkennen (Green 1979; Freyne 2000; Becker 2002; Avery-Peck 2006). Für den Vergleich mit Jesus sind zwei Charakterisierungen besonders wichtig, nämlich die Bezeichnung als Prophet und als Sohn. Zweimal wird Chanina im babylonischen Talmud gefragt, ob er ein Prophet sei, was er – vermutlich im Einklang mit dem rabbinischen Grundsatz, dass die Zeit der Propheten vorbei ist – verneint (bBer 34b; 50a). In beiden Texten geht es um die bereits in der ältesten Chaninatradition mBer 5,5 (s. u.) vorausgesetzte prognostische Fähigkeit, die Gesundung/Rettung eines/r abwesen113
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den Kranken vorherzusagen, die bereits im Alten Testament zum prophetischen Repertoire gehört (1Kön 14,1-18) und auch bei Jesus keine geringe Rolle spielt (Mk 7,29-30; QMt 8,13; Joh 4,50-53). Auch wenn die literarische Fassung der Prophetenfrage an Chanina nicht alt ist und sich nur im babylonischen, nicht im Jerusalemer Talmud findet, wird man hier einen Reflex der vorrabbinischen Tradition sehen dürfen, der Chanina selbstverständlich als Prophet galt, wobei insbesondere Züge Elias (v. a.: der Gebetsgestus nach 1Kön 18,42) und Elisas hervorgehoben werden (Becker 2002; Lichtenberger 2008). Sehr umstritten ist die Frage, wie man die in den Texten zum Ausdruck gebrachte Anerkennung der besonderen Gottesbeziehung der Wundertäter einordnen soll. Schon Josephus nennt Onias/Choni »gottgeliebt« (qeofilffi@ theophile¯s, Flav. Jos. Ant. 14,22). In der viel ausführlicheren Mischnavariante des Regenwunders (mTaan 3,8) wird Choni als »Haus-Sohn« bezeichnet: A. Bei jeder Notlage, die über die Allgemeinheit kommt, bläst man [den Shofar], außer [bei] einem Übermaß an Regen. B. Es geschah, dass man zu Choni dem Kreiszieher sagte: Bete, dass Regen falle! C. Er sagte zu ihnen: Geht und holt die Öfen für Passa herein, damit sie nicht aufweichen. D. Und er betete, aber es fiel kein Regen. E. Er zog einen Kreis und stellte sich hinein. F. Und er sagte: Herr der Welt, deine Kinder haben ihr Angesicht auf mich gerichtet; denn ich bin wie ein Haus-Sohn vor dir. G. Ich schwöre bei deinem großen Namen, dass ich mich nicht von hier wegbewege, bis dass du dich über deine Kinder erbarmst. H. Es begann der Regen zu tröpfeln. I. Er sagte: Nicht danach habe ich verlangt, sondern [um] Regen für Gruben, Zisternen und Höhlen. J. Er fiel mit Toben. K. Er sagte: Nicht danach habe ich verlangt, sondern [um] Regen des Wohlgefallens, des Segens und der Ergiebigkeit. L. Er fiel ordentlich, M. bis die Israeliten von Jerusalem zum Tempelberg wegen des Regens hinaufgingen. N. Man sagte zu ihm: Wie du um ihn gebetet hast, dass er falle, so bete [jetzt], dass er sich verziehe! O. Er sagte zu ihnen: Geht und seht, ob der Stein der Irrenden sich aufgelöst hat! P. Es sandte zu ihm Shim’on ben Shetah. Q. Er sagte zu ihm: Es wäre nötig, dich zu bannen, aber kann ich dir das antun? Denn du verhälst dich vor dem Ort (Gott), wie sich ein Kind (Sohn) seinem Vater gegenüber verhält, und er tut ihm nach seinem Willen. R. Und über dich sagt die Schrift: »Es freue sich dein Vater und deine Mutter, und es frohlocke, die dich geboren hat!« (Prov 23,25; mTaan 3,8, Übersetzung nach Becker 2002, 298f.).
Während im Urteil des Pharisäers Shim’on ben Shetah (Q) der ambivalente Ausdruck »Haus-Sohn« genutzt wurde, um Choni als (anmaßenden) Sohn zu kritisieren, gibt er innerhalb der Erzählung (F) wohl dessen Status als Bevollmächter des Herrn des Hauses (Gott) wieder. Chanina ben Dosa wird in einer verwandten Tradition von Rabbi Yohannan ben Zakkai als (Haus-)Sklave vor Gott bezeichnet im Gegensatz zum Fürsten, als den Yohannan sich selber beschreibt (bBer 34b). Der Sinn dieser Metaphorik ist offenkundig: Der gesellschaftlich untergeordnete Sklave hat unter Umgehung des Hofprotokolls immer Zugang zum Herrscher und kann Gunstbeweise zugunsten von Dritten (hier zugunsten des kranken Kindes von Rabbi Yohannan) erwirken. Spätere rabbinische Traditionen erwähnen eine tägliche Himmelsstimme, die Chaninas Genügsamkeit preist und seine Ehrenstellung vor Gott zum Ausdruck bringt: »An jedem Tag ertönt eine BatQol und spricht: Die ganze Welt wird wegen meines Sohnes Hanina ernährt, und mein Sohn Hanina begnügt sich mit einem Kab Johannesbrot von Sabbatvorabend zu Sabbatvorabend« (bTaan 24b; es folgt ein Brotgeschenkwunder im Ofen von Haninas Frau, zur Bat-Qol vgl. auch bBer 17b; bCHul 86a). Während man es mit Becker (Becker 2002, 377) 114
Der historische Jesus als Wundertäter im Spektrum antiker Wundertäter
für möglich halten kann, dass die relativ späte Tradition von der Himmelsstimme eine Reaktion auf die erheblich früher bezeugte Bat-Qol der Evangelien ist, die in Aufnahme entwickelter nachösterlicher Christologie Jesu Gottessohnschaft bei der Taufe bezeugt, wird man doch in der terminologisch noch nicht festgelegten, durch Familienmetaphern ausgesagten Nähe des Wundertäters zu Gott (Haus-Sohn, Diener) eine vorrabbinische jüdische Überzeugung sehen können, die eine Nähe zum Vollmachts- und Erhörungsbewusstsein Jesu erkennen lässt, der lehrt, den Vater um alles zu bitten und der Erhörung gewiss zu sein, und der als Prophet der Gottesherrschaft vollmächtig Wunder vollbringt (s. u.). Die beschriebene Variabilität, Plastizität und Perspektivität in der Selbst- und Fremdbeurteilung antiker Wundertäter lässt sich auch in der Jesusüberlieferung vielfältig beobachten. Wir konzentrieren uns im Folgenden auf Traditionen, die auf die frühe Phase der Überlieferung zurückgehen und einen Reflex des historischen Jesus bieten können.
4. Jesus als Exorzist und prophetischer Wundertäter im Vergleich Der vermutlich älteste Vergleich Jesu mit antiken Wundertätern stammt von Jesus selbst und wählt jüdische Exorzisten als Vergleichsgröße (zur Beelzebulkontroverse vgl. Twelftree 1993, 98-113; Hüneburg 2001a, 181-214; Labahn 2001). Über Anlass und Gesprächspartner bestehen zwischen Q 11,14 f. und Mk 3,22 leichte Divergenzen, doch im Kern stimmen die Traditionen darin überein, dass Jesus mit dem Vorwurf konfrontiert wurde, er sei von Beelzebul besessen (so Markus) und treibe die Dämonen mit Beelzebul, dem Herrscher der Dämonen, aus (Markus und Logienquelle). Jesus reagiert darauf mit einer Reihe von Argumenten. V. a. das Doppellogion Q 11,19 f. wirft ein Licht auf die Frage der Einordnung Jesu ins Spektrum antiker Wundertäter. »Und wenn ich mit Beelzebul die Dämonen austreibe, mit wem treiben eure Söhne sie aus? Darum werden sie selbst eure Richter sein. Wenn ich aber mit dem Finger Gottes die Dämonen austreibe, ist die Königsherrschaft Gottes schon bei euch angekommen«. Im ersten Teil des Wortes reiht sich Jesus ein in eine Gruppe, deren Tätigkeit er bei seiner Zuhörerschaft als bekannt voraussetzt und die er zu Zeugen anruft gegen seine Verleumdung. Nicht das Wunder selbst ist erklärungsbedürftig, es steht nicht isoliert in der Erfahrungswelt der Zuschauer, umstritten ist, woher die Macht zum Wundertun kommt und welche Bedeutung das Wunder hat. Was den Aspekt der Herkunft der Wundermacht betrifft, stellt Jesus sich auf eine Stufe mit zeitgenössischen jüdischen Exorzisten; wie sie tut er es unter Verwendung einer Macht, die auf Gott (und nicht auf Beelzebul/Satan) zurückgeführt werden kann. Nur das jüdische Bedürfnis, die Alleinherrschaft Gottes über seine Schöpfung unter allen Umständen zu wahren und die Verteidigung gegen den Vorwurf des Teufelsbündnisses stehen hier zur Debatte, man sollte also nicht schließen, dass Jesus mit dem Verweis auf die mit Gottes Hilfe exorzierenden Söhne seiner Gegner andeutet, seine Exorzismen seien in allen technischen und inhaltlichen Aspekten mit den ihren zu vergleichen. Soweit wir überhaupt Informationen über jüdische Exorzismen um die Zeitenwende haben, fallen eher die Unterschiede ins Auge. Während zeitgenössische jüdische Exorzisten Gebrauch machten von Beschwörungstexten und geheimen Ritualen, die auf Salomos Weisheit zurückgeführt wurden (s. dazu Poplutz, Dämonen und Kollmann, Magie in diesem Band), stellt Jesu Hinweis auf den »Finger Gottes« seine Exorzismen in einen prophetisch-heils115
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geschichtlichen Referenzrahmen (Labahn 2001). Seine Wunder stehen in Kontinuität zu den Wundertaten des Mose beim Exodus, welche die ägyptischen Zauberer zu dem Bekenntnis zwangen: »Das ist der Finger Gottes« (Ex 8,15). Das Wort von der Ankunft der Gottesherrschaft in den Exorzismen gibt ihnen einen zentralen Ort innerhalb der endzeitlichen Verkündigung Jesu (s. u.). Hier soll zunächst die prophetische Deutungslinie weiterverfolgt werden. Der Prophetentitel findet sich als Interpretament der Wundertätigkeit in voneinander unabhängigen Strömen der urchristlichen Tradition als Fremdund als Selbsteinschätzung Jesu und geht wohl auf sein eigenes Selbstverständnis zurück. Nach der Auferweckung des jungen Mannes in Naïn akklamiert das Volk: »Ein großer Prophet ist erweckt worden unter uns« (LkS 7,16); der Blindgeborene bekennt, nach seiner Heilung befragt, über den Heiler: »Er ist ein Prophet« (Joh 9,17). In LkS 13,31-33 bezeichnet Jesus sich als Propheten, dessen Aufgabe im Austreiben von Dämonen und Vollbringen von Heilungen besteht und der schließlich, wie jeder rechte Prophet, in Jerusalem umkommen wird. Wo aber Jesus aufgrund der Skepsis derer, die seinen familiären Hintergrund kennen, keinen Glauben findet und keine Wunder tun kann (Mk 6,5a; 5b mildert das peinliche Versagen Jesu nachträglich ab), sagt er von sich selbst: »Nirgends gilt ein Prophet so wenig wie in seiner Vaterstadt und bei seinen Verwandten und seiner Familie« (Mk 6,4; vgl. Lk 4,23-27; Joh 4,44; P.Oxy. 130-135; EvThom 31). Auch Vielzahl und Art der von Jesus erzählten Wunder können bei den Zeitgenossen Erinnerungen besonders an Elija und Elischa wachgerufen haben (man denke an die Heilung von Aussätzigen, von verstorbenen Kindern). Die Tatsache, dass manche der an Elija und Elischa gemahnenden Züge in der Wunderüberlieferung vermutlich erst sekundär hinzugewachsen sind (etwa in den Speisungserzählungen, s. u.) spricht nicht gegen ein ursprünglich prophetisches Selbstverständnis des Wundertäters Jesu, sondern ist im Gegenteil Zeichen der Kontinuität in der urchristlichen Überlieferungsgeschichte. Selbst außerchristlich ist wahrscheinlich ein Reflex des im Volk verbreiteten Verständnisses von Jesus als an Elischa erinnernden Wundertäter zu finden: Josephus nennt Jesus einen »Täter außerordentlicher Wundertaten« (Ant. 18,63) und verwendet eine ähnliche Terminologie für Elischa (Ant. 9,182). Ein Zug beim historischen Jesus scheint einem Selbstverständnis als wundertätiger Prophet auf den ersten Blick zu widersprechen: die Verweigerung eines legitimierenden Zeichens, die in verschiedenen Traditionen reflektiert wird und auf Jesus zurückgehen wird. In der alttestamentlich-prophetischen Tradition sind legitimierende Zeichen durchaus geläufig, dabei kann es um prognostische Fähigkeiten gehen, die Alltägliches (1Sam 10,1-7) oder politische Entwicklungen betreffen (2Kön 7,1-2; 19,29; Jes 7,10-16), oft begegnen eindrucksvolle Naturwunder (1Sam 12,17-18: Gewitter und Regen; 1Kön 13,3: Zerbersten eines Altars; 1Kön 18,38; 2Kön 1,10.12: Feuer vom Himmel; 2Kön 20,8-11: Manipulation des Laufes der Sonne sichtbar am Schatten). Nach Mk 8,11-12 hat Jesus ein legitimierendes Zeichen »vom Himmel« kategorisch abgelehnt; nach Q 11,16.29 hat er auf die Frage nach einem Zeichen geantwortet, dieser Generation werde kein anderes Zeichen gegeben als das »Zeichen des Jona«, ein möglicherweise bewusst rätselhaftes Wort, das viele Deutungen zulässt und gefunden hat, am ehesten aber ursprünglich zu deuten ist auf das Ausbleiben des von Jona angekündigten Gerichts nach der Buße der Niniviten, das in der Gegenwart Jesu seine Entsprechung fand im vorläufigen Ausbleiben des von Johannes (Kurzform: Jona) angekündigten Gerichts angesichts der durch den Täufer ausgelösten Umkehrbewegung (Theißen/Merz 2003). Wahrschein116
Der historische Jesus als Wundertäter im Spektrum antiker Wundertäter
lich wird man die Verweigerung eines in seiner Eindeutigkeit zwingenden Zeichens auch in einem Zusammenhang sehen müssen mit einem anderen gegenüber der prophetischen Wundertradition auffälligen Zug der Jesusüberlieferung, dem bewussten Verzicht auf Strafwunder, der deutlich in einem Zusammenhang steht mit dem jesuanischen Gebot der Feindesliebe. LkS 9,52-55 ist hier die plastischste einer Reihe von im Kern auf Jesus zurückgehenden Traditionen (Mk 6,11 par.; Q 10,10-12), die die Kritik alttestamentlich-prophetischer Traditionen in dieser Hinsicht deutlich herausarbeitet (Öhler 1997, 195-198). Jesus verbietet seinen Jüngern, in Nachahmung des Propheten Elija Feuer vom Himmel fallen zu lassen als Strafe für die Abweisung der sich auf dem Weg nach Jerusalem befindenden Propheten. Das hat ihn und seine Nachfolger allerdings nicht daran gehindert, denen, die in der Gegenwart das aus Predigt und Wundern bestehende Heilsangebot ausschlugen, für die Zukunft ein unbarmherziges Gericht anzukündigen, wovon Traditionen wie Q 10,10-12.13-15; 11,31 f. zeugen. Aber greift das Verständnis Jesu als eines »großen Propheten, mächtig in Tat und Wort« (Lk 24,19) nicht zu kurz? Sagt er doch, in seiner Gegenwart sei »mehr als Jona« und »mehr als Salomo«, Prophetenmacht und Weisheit der biblischen Vergangenheit reichten nicht an die gegenwärtige Erfahrung heran (Q 11,31 f.). Auch preist er die Augenzeugen selig, die nun sehen dürfen, was »Propheten und Könige« der Vergangenheit vergebens zu sehen wünschten (Q 10,23f.). Unzweifelhaft steckt in einer solchen Aussage eine implizite Christologie, ein noch nicht in einen Titel gegossener (implizit messianischer) Überbietungsanspruch. Dieser Überbietungsanspruch wird jedoch von Jesus nicht auf seine Person hin reflektiert, sondern hängt zusammen mit der Qualifizierung der Gegenwart als Heilszeit, in der endzeitliche Hoffnungen erfüllt werden, durch Jesus selbst, der jedoch sein Wundercharisma wie seinen messianischen Anspruch mit seinen Jüngerinnen und Jüngern geteilt hat (Theißen 2003).
5. Der eschatologische Horizont der Wundertätigkeit Jesu Es besteht große Einigkeit in der Forschung darüber, dass die Wundertätigkeit Jesu im Rahmen seiner eschatologischen Verkündigung von der erfahrenen und erwarteten Ankunft des Reiches Gottes zu verstehen ist. Exorzismen und Heilungen erhalten dabei eine unterschiedliche Bewertung, Erstere symbolisieren den Kampf- und Durchsetzungsvorgang, Letztere heben den Erfüllungscharakter hervor. Die Exorzismustätigkeit wird von Jesus als Teil des endzeitlichen Kampfgeschehens interpretiert, mit dem sich das Reich Gottes auf Erden durchsetzt. »Wenn ich mit dem Finger Gottes die Dämonen austreibe, ist die Königsherrschaft Gottes schon bei euch angekommen« (Q 11,20). Die im Zusammenhang mit dem Beelzubulvorwurf erzählte Parabel vom Starken (Mk 3,27 par.; Merz 2007), dessen Haus erst ausgeraubt werden kann, nachdem er selbst gebunden wurde, ist zu verstehen auf dem Hintergrund jüdischer Vorstellung von der Bindung des Satans in der Endzeit (1Hen 10,4f.; 54,3-5; 69,27f.; Jub 10,5-11; 48,15.18; TestLev 18,10-14). Jesus inszeniert mit den Exorzismen, verstanden als Befreiung der von Satan gebundenen (vgl. Lk 13,11.16) bzw. von Dämonen beherrschten Menschen auf Erden, was sich parallel im Himmel zuträgt. Eine Vision vom Satanssturz (Lk 10,18; Müller 1977) machte Jesus der kosmischen Wende gewiss, die ihre Auswirkungen in der Macht Jesu und der in seinem Namen exorzierenden Jünger über die Dämonen und alles auf Erden von ihnen Be117
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herrschte hat (Lk 10,17-20). Während nach Eric Eves überzeugender Analyse die zeitgenössische jüdische Literatur entweder die kosmisch-(un)heilsgeschichtliche Dimension der Dämonologie beleuchtet (1Hen, Jub) oder sich auf individuelle Dämonenabwehr und -austreibung konzentrierte (Qumran und exorzistische Praktiken), erhalten allein bei Jesus individuelle Exorzismen kosmische und heilsgeschichtliche Bedeutung (Eve 2009, 26-39). Insofern damit Jesus und die in seinem Auftrag wundertätigen Apostel mit Gott zusammenwirken an der Durchsetzung des Reiches Gottes, kann daher von einem thaumaturgischen Synergismus in der Jesusbewegung gesprochen werden (s. u.). Unter auffälligem Fehlen der für den historischen Jesus so wichtigen Exorzismen werden die Heilungen in der Antwort Jesu auf die Täuferanfrage interpretiert, die von der überschießenden (da historischen?) Erwähnung von Aussätzigen abgesehen eine Zusammenstellung von Heilserwartungen aus dem Jesajabuch bietet, mit Jes 26,19; 29,18f.; 35,5f. und 61,1f. als Kernstellen: Geht und verkündet Johannes, was ihr hört und seht: Blinde sehen wieder und Lahme gehen umher, Aussätzige werden rein und Taube hören, und Tote werden erweckt und Armen wird eine frohe Botschaft verkündet. Und selig ist, wer nicht an mir Anstoß nimmt (Q 7,22 f.).
Dass von den Wundern im Passiv berichtet wird, kann auf Gott als eigentlichen Täter, in dessen Auftrag der Wundertäter wirkt, weisen (passivum divinum/eschatologicum). Denkbar ist auch, dass Jesus so formulierte, weil er nicht der einzige Wundertäter und Verkündiger in der Reich-Gottes-Bewegung war, was die mehrfach bezeugte Beauftragung der Jüngerinnen und Jünger belegt. Das ändert nichts daran, dass Jesus als der primäre Träger des Wundercharismas derjenige ist, der das mögliche Ärgernis (7,23) evoziert. Damit muss die Nichtanerkenntnis der Jesuswunder als von Jesaja angekündigte Zeichen der Heilszeit gemeint sein und implizit die Abweisung dessen, der sie vollzieht, als Mandatar Gottes. Aus Qumran kennen wir einen eschatologischen Psalm (4Q 521), der in ähnlicher Weise auf dieselben und verwandte Jesajatexte rekurriert, um das kommende Heil zum Ausdruck zu bringen (Puech 1992a; Becker 1997; Zimmermann 1998, 343-389). In ihm ist Gott handelndes Subjekt, auch »sein Gesalbter« wird am Anfang genannt und könnte derjenige sein, der de facto die Handlungen vollzieht. Von der Heilszeit heißt es u. a. Er befreit die Gefangenen, er öffnet (die Augen) der Blinden, er richtet die Ge(beugten) auf (Z. 8)
sowie: Und wunderbare Dinge, die nicht geschehen sind, wird der Herr tun, wie (er geredet hat). (Dann wird) er Erschlagene heilen, und Tote wird er lebendig machen; Armen wird er frohe Botschaft verkünden. … (Elend)e wird er (satt machen), (Vertrie)bene wird er führen – und Hunger(nde) reich machen (4Q 521, Z. 11-13, Text nach Zimmermann 1998).
Da im unmittelbaren Kontext auch noch die Verheißung begegnet, die Frommen »auf dem Thron der ewigen Königsherrschaft« zu ehren (Z. 7, vgl. die Verheißung Jesu an seine Jünger in Lk 22,30/Mt19,28), und den Armen der Geist Gottes zugesprochen wird (Z. 6, vgl. Mt 5,3/Lk 6,20), kann man die Relevanz dieses aus der Zeit 100-80 v. Chr. stammenden Textes zur Illustration der in Palästina verbreiteten Heilserwartungen kaum 118
Der historische Jesus als Wundertäter im Spektrum antiker Wundertäter
hoch genug einschätzen. Das gilt unabhängig von Einzelfragen der Interpretation, die sehr umstritten sind, etwa ob 4Q 521 eine prophetische, messianische oder strikt theozentrische Konzeption zugrunde liegt (Hüneburg 2001a, 65-75; Hengel/Schwemer 2007, 332f.). Wichtig ist die große Übereinstimmung im Gesamtbild dessen, was man für die Heilszeit erwartete. Ein solcher Text kann daher auch gut erklären, wie man sich die über historisch Gesichertes hinausgehende Vervollständigung der Jesuswunder in der Überlieferungsgeschichte vorstellen muss. Sobald eine gewisse Übereinstimmung mit dem bekannten Erwartungsschema einmal erreicht war und Jesus als derjenige akzeptiert wurde, der die Erwartungen wahr machte, wird sich ein gewisser Automatismus eingestellt haben, mit dem man zunächst Wunder im Lichte des Erwarteten interpretierte und schließlich verbleibende Lücken zu füllen wusste. So werden manche Totenauferweckungen ursprünglich nicht ganz eindeutig von Heilungen unterscheidbar gewesen sein (vgl. Mk 5,35.39, eine ähnliche Unsicherheit Philostr. vit. ap. 4,45). Besonders die Entstehung der Brotvermehrungserzählungen könnte durch die Interpretation des Geschehens im Licht vorgeprägter Erwartungsschemata zu erklären sein, allerdings sind hier auch auf einer sehr frühen Stufe Einflüsse der urchristlichen Abendmahlstradition, der Elischatradition und wahrscheinlich des messianisch interpretierten Textes Ez 34 nachweisbar (Theißen/Merz 2011, 273-275; Eve 2009, 150-156; Chae 2006). Vielleicht sind auch die Sabbatheilungen Jesu im Kontext seiner eschatologischen Botschaft zu interpretieren, dann zugespitzt auf den Aspekt der eschatologischen Wiederherstellung des urgeschichtlichen Schöpfungszustandes: Zur Restitution der schöpfungsmäßigen Bestimmung des Sabbat als eines Feiertags, der von Gott zum Wohlergehen des Menschen vor dem Einbruch des Bösen in die Welt eingesetzt wurde und daher im zeitgenössischen Judentum ein Sinnbild für die eschatologische Heilszeit darstellt, hat Jesus am Sabbat nicht lebensbedrohlich erkrankte Personen geheilt und damit die Schöpfungsordnung über die Sinaitora gestellt (Mk 2,27; vgl. 10,2-9) (Kollmann 1996, 209; vgl. 247-254).
6. Wunder, Gebet und Glaube: thaumaturgischer Synergismus bei Jesus Obwohl von Jesus eine ganze Reihe Gleichnisse und Sprüche über das Beten überliefert sind und er seine Anhängerinnen und Anhänger mit dem Vaterunser ein auffällig kurzes, der Gruppe eigenes Gebet lehrte, wird in den Wundererzählungen nur ausnahmsweise einmal von einem Gebet Jesu berichtet (Joh 11,41 f.). Dies wird man als historisch zuverlässigen Reflex der Tatsache erklären dürfen, dass Jesus bei seinem Wunderwirken nicht erkennbar als Beter auftrat. Es bedeutet nicht notwendigerweise, dass er nicht betete oder das Gebet in diesem Zusammenhang nicht für wichtig gehalten hätte. Es gibt Hinweise darauf, dass das Gegenteil wahr sein könnte und dass die äußerliche Zurückhaltung im Zusammenhang der Wundertätigkeit spezifische Gründe hat. In der Polemik gegen die religiöse Elite begegnet zweimal der Vorwurf, diese missbrauche das Gebet in seiner Öffentlichkeitswirkung zu frommer Selbstdarstellung (Mk 12,41: lange Gebete verschleiern nicht vorhandene Frömmigkeit; Mt 6,5: Gebete an gut sichtbaren Orten). Jesus dagegen fordert – möglicherweise im Einklang mit einer etablierten Frömmigkeitspraxis (vgl. 2Kön 4,33; Philo cont. 25-27; TestJak 1,9) –, vorzugsweise unter Ausschluss der Öffent119
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lichkeit zu beten (Mt 6,6). Wenn die Erzählüberlieferung wiederholt berichtet, dass Jesus sich zum Beten an einsame Orte zurückgezogen habe (Mk 1,35; 6,46; Mt 14,23; Lk 5,16; 6,12; 9,18.28f.; Mk 14,32-42), könnte dies durchaus auf eine zutreffende Erinnerung zurückgehen (Luz 2002a, 425). Auch Mt 6,7 f. wird (vermutlich abzüglich der Polemik gegen Heiden) im Kern jesuanisch sein: Der Rat, sich kurz zu fassen, da der Vater alles weiß, was der/die Betende nötig hat, entspricht dem Geist vieler anderer Jesusworte und der wanderradikalen Praxis, im Vertrauen auf den Vater, der das tägliche Brot bereitstellen wird, kein Geld und nicht einmal Brot für eine Mahlzeit mit auf den Weg zu nehmen (vgl. Q 11,3.9 f.11-13; Mk 6,7 u. ö.). Wenn Jesus also anlässlich von Heilungen nicht demonstrativ betete, befolgte er zunächst einmal seine eigenen, den Jüngerinnen und Jüngern gegebenen Gebetsregeln und demonstrierte das Vertrauen in Gottes souveränes Bereitstellen des Nötigen. Vielleicht wollte sich Jesus aber auch bewusst abgrenzen von Wundertätern, die bekannt waren für ihre machtvollen und z. T. auch sehr langen Gebete (in bBer 50a betet Chanina 3 Stunden lang). Solche erfolgreichen Gebete standen nämlich beinah zwangsläufig in der Gefahr, als machtvolle Manipulationen verstanden zu werden mit der Potenz, die Souveränität Gottes zu untergraben. Das oben bereits besprochene, in der rabbinischen Tradition angesichts des wählerischen Forderns verdächtige Regenwunder des Onias/ Choni wird von Josephus eigentlich in Ant. 14,22 nur nebenbei erwähnt, weil dieses seinen Ruf als machtvoller Beter begründet hatte, den sich im innerhasmonäischen Streit Hyrkanus II gegen Aristobolus II zunutze machen wollte. Soll man annehmen, dass Hyrkanus wirklich glaubte, ein Fluchgebet des Onias könne Gott zu seinen Gunsten beeinflussen? Oder ging es ihm um die destabilisierende Wirkung des Gebetes auf Soldaten und Anhänger des in Jerusalem eingeschlossenen Aristobolus? Wie dem auch sei, Onias machte nach Josephus die böse Absicht zunichte, indem er, der von den anderen als überlegen anerkannte Beter (!), Gott mit lauter Stimme bat, die Gebete keiner der Konfliktparteien zu erhören, was die Soldaten ihm freilich dadurch dankten, dass sie ihn kurzerhand zu Tode steinigten (Ant. 14,23 f.). In den rabbinischen Traditionen über Choni, seine ebenfalls regenzaubernden Nachkommen und Chanina ben Dosa finden sich neben den bereits besprochenen zahlreiche weitere Reflexionen über den Zusammenhang von Wundern und (un)angemessenem Beten. Die meisten Texte reflektieren zwar rabbinische Gebetstheologie späterer Zeiten, doch sie arbeiten sich darin ab an der aus der vorrabbinischen Tradition stammenden Überzeugung von der Macht des Gebetes dieser Wunderrabbis, das nicht allein weiß, wann es erhört wird (mBer 5,5, s. u.), sondern auch giftige Schlangen zu töten vermag (tBer 3,20, bBer 33a) und bei Gott mehr zu bewirken wusste als das Gebet der größten Rabbinen (bBer 34b). Natürlich nehmen die rabbinischen Quellen ihre Protagonisten vor dem Verdacht magischer Manipulation in allen Tonarten in Schutz und können ihn doch nie ganz hinter sich lassen. Eine der schönsten diesbezüglichen Erzählungen ist die von einem Neffen des Kreisziehers Choni, zu dem die Rabbinen (!) bei Dürre Schulkinder schickten, die ihn am Gewand ziehen und mit den Worten »Abba, Abba, gibt uns Regen« bitten mussten, woraufhin dieser sich dann im Gebet zu Gott wandte und ihn bat: »Herr der Welt, tu es um dieser willen, die nicht unterscheiden können zwischen dem Vater, der Regen gibt, und dem Vater, der keinen Regen geben kann« (bTaan 23b). Zurück zu Jesus, bei dem also der Verzicht auf öffentliches Gebet beim Wundervollzug einen magischen Manipulationsverdacht nicht aufkommen lassen konnte (soll120
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te?!). Von ihm sind zugleich Worte überliefert, die ein Vertrauen in die Macht des Gebets ausdrücken, die den frühen Chanina moderat klingen lassen mit seiner Aussprache Dieser (Kranke) wird leben, und dieser wird sterben. … Wenn mein Gebet in meinem Mund flüssig geht, weiß ich, dass dieser angenommen ist; und wenn nicht, dann weiß ich, dass er verloren ist (mBer 5,5).
Jesus traut nach Mk 11,23-24 dem Gebet eines wahrhaft Glaubenden ganz ungeschützt zu, alles erreichen zu können: Wahrlich, ich sage euch, wer zu diesem Berge spräche: »Heb dich und wirf dich ins Meer!« und zweifelte nicht in seinem Herzen, sondern glaubte, dass geschehen werde, was er sagt, so wird es ihm geschehen. Darum sage ich euch: »Alles, was ihr bittet in eurem Gebet, glaubt nur, dass ihr es empfangt, so wird es euch zuteil werden« (vgl. auch Q 17,6; 1Kor 13,2).
Genau das in diesem Wort zum Ausdruck kommende unbedingte Vertrauen/der Glaube, von Gott alles Erbetene auch zu erhalten, wird nun von Jesus gegenüber mehreren Geheilten zur eigentlichen Ursache ihrer Heilung erklärt (»dein Glaube hat dich gerettet« Mk 5,34; 10,52) bzw. zur Voraussetzung dafür erklärt, dass er, Jesus, heilen könne (»dir geschehe, wie du geglaubt hast« QMt 8,13; 9,29; vgl. Mk 2,5; 7,29; Mt 8,10; 9,28 u. ö.). In höchster Zuspitzung findet sich diese Grundüberzeugung im Wort an den Vater des epileptischen Knaben »Alles ist möglich dem, der glaubt« (Mk 9,23), womit einem wahrhaft Glaubenden Anteilhabe an der Allmacht Gottes zugeschrieben wird. Dass diese Worte auf Jesus zurückgehen, wird im Allgemeinen nicht bestritten. Aber wie soll man sie deuten? Es ist vermutlich hilfreich, hier zwischen der dem erfolgreichen Wundertäter im Laufe der Zeit aufgegangenen allgemeingültigen Erfahrungsweisheit und ihrer theologischen Überhöhung und Deutung im Kontext der präsentisch-eschatologischen Wundererfahrung der Jesusbewegung zu unterscheiden. Erfahrung, vielleicht nicht nur in Nazaret (Mk 6,5a s. o.), lehrte Jesus, dass das Fehlen von Vertrauen in die göttliche Bevollmächtigung des Wundertäters Wunder unmöglich machte. Dass umgekehrt bei vertrauensvoller Haltung der Hilfesuchenden an anderen Orten Wunder geschahen, ohne dass Jesus selbst überhaupt irgendetwas dazu getan hätte, lässt die Erzählung von der Heilung der Blutflüssigen noch deutlich erkennen (Mk 5,25-34). Vespasian, der in Alexandrien zum Wundertäter wider Willen wurde, machte übrigens, wenn man Tacitus Glauben schenken darf, eine vergleichbare Erfahrung. Beim Leser wird der Eindruck erweckt, dass es zuerst und v. a. das von Tacitus als abergläubisch disqualifizierte Vertrauen der Kranken in die Aufträge des Gottes Serapis ist, das die Heilungen ermöglicht (Tac. hist. 4,81,1). Tacitus ist allerdings Politiker und Römer genug, um daneben auch »des Himmels Huld und eine gewisse Zuneigung der Götter für Vespasianus« in Rechnung zu stellen und die zweifelnde (!) Überlegung der Ärzte zu erwähnen, das »sei vielleicht der Wunsch der Götter und er, der Prinzeps, sei als Werkzeug der Götter auserwählt«. Doch letztlich zeichnet Tacitus den Vespasian als überzeugenden Manipulator der Abergläubigen, als auf seine (göttliche) fortuna vertrauenden Spieler, der nichts für unmöglich halten möchte und angesichts der zynischen Erkenntnis, »der Ruhm bei erfolgreicher Heilung werde dem Caesar zufallen, der Spott bei einem Misslingen den beiden Unglücklichen«, kühlen Blutes »mit fröhlicher Miene unter gespannter 121
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Aufmerksamkeit der ihn umgebenden Menge« das ausführte, »was man von ihm verlangte« – und mit seinem Wagestück Erfolg hat (Tac. hist. 4,81,2-3)! Es ist aus historischer Sicht nicht zu bestreiten, dass der Erfolg auch des Wundertäters Jesus von Nazaret menschlich betrachtet aufbaut auf den, wie das Tacitusbeispiel gut zeigt, weitverbreiteten und leicht manipulierbaren Hoffnungen der Elenden auf Rettung und ihrer Bereitschaft, einem halbwegs überzeugenden Charismatiker das Unmögliche zuzutrauen. Doch geht Jesus in seiner Einsicht in die Mechanismen des Wundergeschehens und mit der Deutung seiner Erkenntnisse im Licht der Reich-GottesErfahrung Wege, die ihn von allen anderen Wundertätern unterscheiden. Er sagt den Geheilten: »Dein Glaube hat dich gerettet« oder »deine Sünden sind dir vergeben« (Mk 2,9) und integriert sie damit aufs Neue in die Kontinuität der Glaubensgeschichte Israels und in die Gemeinschaft der an den einen Gott Glaubenden, der Schöpfer und Erlöser der Welt ist. In der Überzeugung, dass mit jedem vollzogenen Exorzismus die Herrschaft Gottes sich ausbreitet über die vormals Satan Unterworfenen und dass jeder Geheilte auch in seiner bzw. ihrer Gottesbeziehung geheilt ist, bekommen die irdischen Genesungen eine eschatologische Dimension. Die vielfältigen symbolischen Deutungen der Heilungsgeschichten in der neutestamentlichen Tradition gehen damit letztlich alle auf die präsentisch-eschatologische Deutung der Wunder durch Jesus selbst zurück. Jesus hat die wechselseitige Angewiesenheit von Wundertäter und Empfänger des Wunders erkannt und auch, dass beide im Glauben an die Möglichkeit des Wunders an der Allmacht Gottes partizipieren. Natürlich fragmentarisch und auf göttliche Hilfe und Vollendung angesichts menschlichen Unglaubens angewiesen (Mk 9,24), der eine mehr, der andere weniger. Doch alle, Wundertäter und Geheilte, sowie alle, die sich von den Wundern als Zeichen der Heilszeit zur Umkehr und zum Glauben bewegen lassen, wirken mit an der Ausbreitung der Gottesherrschaft. Man kann daher der Jesusbewegung einen thaumaturgischen Synergismus zusprechen, der dem ethischen Synergismus der Pharisäer (Flav. Jos. Bell. 2,163) und dem revolutionären Synergismus der Bewegung des Judas Galiläus (Flav. Jos. Ant. 18,5) an die Seite gestellt zu werden verdient.
Annette Merz Literatur zum Weiterlesen A. J. Avery-Peck, The Galilean Charismatic and Rabbinic Piety: The Holy Man in the Talmudic Literature, in: A.-J. Levine/D. C. Allison/D. Crossan (Hg.), The Historical Jesus in Context, Princeton 2006, 149-165. P. W. Barnett, The Jewish Sign Prophets – A.D. 40-70, NTS 27 (1981), 679-697. M. Becker, Wunder und Wundertäter im frührabbinischen Judentum, WUNT 2/144, Tübingen 2002. W. Cotter, Miracles in Greco-Roman Antiquity: A Sourcebook for the Study of New Testament Miracle Stories, London 1999. E. Eve, The Healer from Nazareth. Jesus’ Miracles in Historical Context, London 2009. B. Kollmann, Jesus und die Christen als Wundertäter, FRLANT 170, Göttingen 1996. E. Koskenniemi, The Function of the Mircale Stories in Philostratus’ Vita Apollonii Tyanensis, in: M. Labahn/B. J. Lietaert Peerbolte (Hg.), Wonders Never Cease, London/New York 2006, 70-83.
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Der historische Jesus als Wundertäter im Spektrum antiker Wundertäter
G. Theißen/A. Merz, Der historische Jesus, Göttingen 42011, 256-284. G. H. Twelftree, The message of Jesus I: Miracles, Continuing Controversies, in: T. Holmén/ S. E. Porter (Hg.), Handbook for the Study of the Historical Jesus, Bd. 3: The Historical Jesus, Leiden 2011, 2517-2548.
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Die Wunder Jesu im Licht von Magie und Schamanismus 1. Wesen und Funktion von Magie in der Antike Magie ist ein fester Bestandteil der antiken Kulturen und auch im Judentum zur Zeit Jesu breit bezeugt. Für eine Person, die über die Kunst der Magie verfügt, begegnen in den griechischen Quellen ganz überwiegend die Begriffe Magier (m€go@ magos) oder Goet (gh@ goe¯s). Diese Termini waren ursprünglich positiv besetzt, indem sie den zwischen Menschenwelt und Götterwelt vermittelnden Priester, Weisen, Seher oder Reiniger bezeichneten. Bereits im klassischen Griechenland vollzog sich aber ein Paradigmenwechsel mit dem Resultat, dass die Begriffe Magier oder Goet in der Außenansicht fortan in aller Regel negativ konnotiert sind. Es handelt sich bei diesen Personen nun nach weit verbreiteter Auffassung um zwielichtige Zauberer, Hexer, Scharlatane und Betrüger (Graf 1996, 24-36; Aune 2007, 236-245). Aus der Antike sind zahlreiche Personen bekannt, die in den Quellen als Magier bzw. Goeten bezeichnet werden oder der Sache nach als solche gelten können. Neben den mit ihnen verbundenen Traditionen sind in Form von Handbüchern und materiellen Relikten vielfältige Zeugnisse angewandter Magie erhalten, die einen anschaulichen Eindruck von den Betätigungsfeldern und Praktiken eines antiken Magiers oder Goeten vermitteln. Dabei zeigt sich die Verfolgung einer Vielzahl unterschiedlichster Ziele. Magie hat es nicht nur mit Heilung, Zukunftsschau und Kontrolle über die Natur zu tun, sondern wird auch zur Anwendung gebracht, um Erfolg in der Liebe, vor Gericht, im Glücksspiel oder im sportlichen Wettkampf zu erlangen. Zu den dafür eingesetzten Praktiken zählen neben Beschwörungen, Gebeten und Opfern auch Verfluchungen und sympathetische Rituale, die auf eine physische Schädigung von Konkurrenten ausgerichtet sind, um diese kaltzustellen. Als besonders wirksam dafür gelten Totengeister, die der Magier unter Kontrolle zu bringen und für seinen Schadenszauber dienstbar zu machen sucht. Lange Zeit glaubte man, Magie als ein dekadentes kulturelles Phänomen abtun zu können, das sich im Wesentlichen manipulativer Techniken bediene und leicht von Religion abgrenzen lasse. Magie galt in diesem Kontext entweder als primitive Vorstufe oder als degenerierte Fehlentwicklung von Religion. Neuere Untersuchungen zeigen dagegen, dass allen Versuchen, Magie entschieden aus dem Bereich von Religion auszugrenzen und das magische Wunder streng vom charismatischen Wunder abzusetzen, kaum Erfolg beschieden ist (vgl. Aune 1980, 1510-1516; ders. 2007, 231-274; Segal 1981, 349-375; Aubin 2001, 16-24). Idealtypisch lässt sich zwar der Charismatiker, der durch sein Verhältnis zu Gott legitimiert wird und kraft persönlicher Ausstrahlung Wunder wirkt, von dem Magier unterscheiden, dessen Wunder auf erlernter, unabhängig von der Person wirkender Kunst beruhen und der damit über eine nur technische Legitimation verfügt. In der Praxis verwischen sich aber die Grenzen, indem sich die Mehrzahl der Charismatiker auch magischer Praktiken bedient, während umgekehrt Magier ihre Kunst als Gabe der Götter betrachten und Gebete wie Opfer darbringen (vgl. Graf 1996, 85-89.192-198). Inwieweit etwas als Magie oder Religion eingestuft wird oder wo die Grenze zwischen abgelehntem magischem und anerkanntem charismatischem Wunder gezogen wird, ist 124
Die Wunder Jesu im Licht von Magie und Schamanismus
in hohem Maße eine Frage des subjektiven Standpunkts und der gesellschaftlichen Machtstellung. Auch die Ansicht, dass Magie asozial sei, während Religion positive Auswirkungen auf die Gesellschaft habe, bleibt ein Postulat. Bevorzugt Phänomene, die nicht mit dem gesellschaftlich vorherrschenden Religions- und Wissenschaftsverständnis konform sind, werden als Magie disqualifiziert und in Misskredit gebracht. Formeln wie »›your magic is my religion‹ and vice versa ›your religion is my magic‹« (Schäfer 1997, 22) oder »religion is official and approved magic; magic is unofficial and unapproved religion« (Crossan 1992, 305) bringen diesen Sachverhalt anschaulich auf den Punkt. Magie ist eine Form abweichenden, von den herrschenden Kreisen nicht gutgeheißenen religiösen Verhaltens. Sie befriedigt Bedürfnisse, die durch die dominanten religiösen Institutionen nicht abgedeckt werden, und stellt eine subversive Form des sozialen Protestes dar. Umstritten bleibt, ob sich Magie jenseits dieser funktionalen Bestimmung inhaltlich in irgendeiner Weise von Religion unterscheiden oder zumindest als nicht unproblematische Form religiöser Praxis erweisen lässt. Unübersehbar ist, dass Magie grundsätzlich nicht von einer Unverfügbarkeit der Gottheit ausgeht und diese durch Bitten gnädig zu stimmen sucht, sondern in beträchtlichem Maße die Zwangsbeeinflussung von Gottheiten zum Mittel der Religionsausübung erhebt. Dabei erweist sich Magie meist als synkretistisches Phänomen, indem Gottheiten aus unterschiedlichsten Religionen angerufen werden. Für viele Spielarten von Magie kommen weitere Problemaspekte, etwa die Durchsetzung fragwürdiger Wünsche oder die im Schadenszauber offen zu Tage tretende Vernachlässigung ethischer Reflexion, hinzu. Magie erweist sich damit nicht zwangsläufig, aber in vielen ihrer Spielarten als problembehaftete Form der Religionsausübung. Vor dem Hintergrund der negativen Reputation antiker Magier als zwielichtiger Zauberer, Betrüger und Scharlatane wird anstelle von Magie zuweilen der deutlich positiver besetzte Begriff Schamanismus bevorzugt. Schamanismus ist ein religiöses Phänomen, das von Ethnologen und Religionswissenschaftlern zuerst in Sibirien und Asien beobachtet wurde. Schamanen sind in so genannten primitiven Stammesgesellschaften hoch angesehene Mittler zwischen Menschenwelt und Götterwelt, die den Menschen direkten Kontakt zu den göttlichen Kräften vermitteln, indem sie beispielsweise durch Opferhandlungen und Reinigungsriten die höheren Mächte versöhnen oder den Seelen der Verstorbenen Geleit ins Jenseits geben (vgl. Eliade 1964; Stutley 2003). Als Medizinmänner bewirken sie Heilung, indem sie die verloren gegangene oder von bösen Geistern geraubte Seele zu ihrem angestammten Ort im menschlichen Körper zurückbringen und damit die ganzheitliche Harmonie wiederherstellen. Das neuzeitliche Phänomen des Schamanismus lässt sich der Sache nach bis in die Antike zurückverfolgen (vgl. Burkert 1962a, 36-55; Dodds 1973, 135-178) und zeigt sich bei Magiern und Goeten wie etwa Epimenides, Pythagoras oder Empedokles, die als Heiler, Seher oder Reiniger agierten und denen Macht über die Naturgewalten zugeschrieben wurde.
2. Magie und Schamanismus in der Umwelt Jesu Epimenides (7. Jh. v. Chr.), der die Seelenwanderung lehrte, über seherische Fähigkeiten verfügte und Naturkatastrophen durch Reinigungs- oder Opferriten abwandte, repräsen125
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tiert den Prototyp des griechischen Magiers mit schamanistischen Fähigkeiten. Für Pythagoras (6. Jh. v. Chr.) zeigt sich deutlich, dass es sich bei ihm um einen Schamanen handelte und die Wunder zum ältesten Kern der Pythagorasüberlieferung zählen (Burkert 1962b, 86-142). Nicht zu bezweifeln ist, dass Pythagoras die Seelenwanderung lehrte, von einer Präexistenz der Seele in früheren Lebewesen überzeugt war und sich einer Reinigung der Seele widmete. Das in der Seelenwanderungslehre des Pythagoras eingeschlossene Wissen um das vergangene und zukünftige Geschick der Seele im Jenseits setzt einen Zugang zum Bereich der Götter und Dämonen voraus, mit denen der Schamane in Verbindung tritt, indem seine Seele sich losgelöst vom Körper auf Jenseitsreise begibt. In diesem Zusammenhang werden Pythagoras Flugwunder, die ihm ein gleichzeitiges Erscheinen an unterschiedlichen Orten ermöglichten (Iamb. vit. Pyth. 28,134.136), und eine rituelle Hadesfahrt (D.L. 8,41) zugeschrieben. Letztere verfolgte wohl den Zweck, den Seelen der Verstorbenen Totengeleit ins Jenseits zu geben oder den Lebenden von dort Informationen über die Präexistenz ihrer Seele zu verschaffen. Neben der Vermittlung solchen Wissens, das einer Erkenntnis von Verfehlungen im vorherigen Leben und daraus resultierender Leiden diente, schloss die Wirksamkeit des Pythagoras Musiktherapie mit ein, um die Seele zu reinigen und ihr die Harmonie zurückzugeben (Iamb. vit. Pyth. 14,63; 25,111). Auch jene Wundergeschichten, die von der Macht des Pythagoras über wilde Tiere handeln (Iamb. vit. Pyth. 13,60-62), sind Ausdruck seiner Seelenwanderungslehre. Wenn sich menschliche Seelen auch in Tieren reinkarnieren, vermag ein Schamane mit jenen in Kontakt zu treten und zu kommunizieren. Auf der einen Seite wurde Pythagoras als göttlicher Apollo verehrt (Arist. fr. 191), auf der anderen Seite als Anführer der Betrüger betrachtet (Heraklit [Diels-Kranz 22B 81]). Empedokles (5. Jh. v. Chr.) bewegte sich im Grenzbereich von Magie und Wissenschaft. Er teilte die pythagoreische Seelenlehre und war davon überzeugt, selber bereits in früheren Inkarnationen sowohl Mensch als auch Tier und Pflanze gewesen zu sein. In einem Fragment seiner Schrift »Über die Natur«, in der er von der Weitergabe seiner Fähigkeiten an Pausanias spricht, ist von Krankenheilungen, Kontrolle über die Naturgewalten und Zurückholen der Toten aus dem Hades die Rede (D.L. 8,59). Berühmt geworden ist Empedokles denn auch v. a. durch die Wiederbelebung einer Frau, bei der die Ärzte seit dreißig Tagen weder Atem noch Pulsschlag festgestellt und sie bereits für tot erklärt hatten (D.L. 8,60-62). Bei diesem wunderhaften Geschehen hat es sich wahrscheinlich um eine auf medizinischem Wege bewirkte Wiederherstellung der Atmungsfähigkeit gehandelt, da für Empedokles wissenschaftliche Reflexionen über die physiologischen Grundlagen von Schlaf und Tod samt deren Unterscheidung bezeugt sind. Die Frau war also nur scheintot und Empedokles vermochte dies zu diagnostizieren. Unter den Naturwundern des Empedokles ragt eine Tat heraus, die ihm den Beinamen »Windbezwinger« einbrachte. Er soll einst in Agrigent vom Berge aus einen Wind gestillt haben, der Krankheit und Unfruchtbarkeit verursachte (Clem. Alex. strom. 6.30,1). Überliefert ist von ihm aber auch die Reinigung eines Flusses von giftigen Ausdünstungen, woraufhin die Menge ihn wie einen Gott anbetete (D.L. 8,70). Andere betrachteten ihn dagegen als Goeten (D.L. 8,59). Im neutestamentlichen Zeitalter war Apollonius von Tyana (vgl. Bowie 1978, 1652-1699; Dzielska 1986) der bedeutsamste pythagoreische Magier oder Schamane. Seine Jugend verbrachte Apollonius am Asklepiosheiligtum von Aigai, wo er sich dem Pythagoreertum zuwandte (Philostr. vit. ap. 1,7-12). Später verfasste er eine allerdings 126
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verloren gegangene Pythagorasbiographie (Iamb. vit. Pyth. 35,254-264). Der Hauptquelle für das Wirken des Apollonius, nämlich der Vita Apollonii des Philostrat, ist mit Skepsis zu begegnen, da sie erst aus dem frühen 3. Jh. stammt und der darin immer wieder als Gewährsmann und Weggefährte des Apollonius reklamierte Damis sich als literarische Fiktion erwiesen hat. In der Hauptsache geht es Philostrat darum, Apollonius vom Vorwurf zwielichtiger Magie freizusprechen. Dazu verschafft er der Weisheitslehre des Apollonius darstellerisches Übergewicht gegenüber den Wundern und sucht ein in der älteren Tradition verwurzeltes Bild von Apollonius als Magier (Philostr. vit. ap. 13) oder Goet (Dio Cass. 77,18,4) zu verdrängen. Neben der Vita Apollonii ist eine Vielzahl von Apolloniusbriefen überliefert, die jedoch ganz überwiegend nicht von ihm selber stammen. Hohe Glaubwürdigkeit verdienen allerdings diejenigen Schreiben, in denen Apollonius ein positives Verständnis von Magie als Gottesdienst entwickelt, für sich selber als Magier eine göttliche Natur reklamiert und eine Verankerung seiner Wunderwirksamkeit in der Pythagorastradition zu erkennen gibt (Apoll. ep. 17.23.52). Insbesondere aufgrund der Wunder genoss Apollonius hohes Ansehen. Bei Philostrat wird er expressis verbis als göttlicher Mensch bezeichnet (Philostr. vit. ap. 7,38). Die zahlreichen Wundergeschichten der Vita Apollonii (vgl. Petzke 1970, 125-134) dürften den von Philostrat erwähnten Lokaltraditionen über Apollonius zuzurechnen sein. Dabei werden Apollonius unterschiedlichste Wunder zugeschrieben, und zwar neben Heilungen (Philostr. vit. ap. 1,9; 6,43), einer Dämonenaustreibung (4,20) und einer Totenerweckung (4,45) unter anderem auch die Bewahrung von Städten vor Pest oder Erdbeben (4,10; 6,41), die Rettung eines unschuldig Verurteilten vor der Hinrichtung (5,24), die Bändigung eines liebestollen Satyrs (6,27) und die Selbstbefreiung aus Fesseln (7,38). Der letzte herausragende Vertreter des antiken Schamanentums pythagoreischer Prägung war Alexander von Abonuteichus, dessen historische Konturen sich hinter Lukians massiv verzerrender Darstellung seiner Person als Lügenprophet und Goet (Luc. Alex. 1) noch deutlich abzeichnen. Alexander vollzog Mitte des 2. Jh. n. Chr. in seiner Heimatstadt Abonuteichos mit großem Erfolg eine Synthese von Pythagoreismus und Asklepioskult. Das Wirken Alexanders an dem von ihm gegründeten Orakeltempel richtete sich schwerpunktmäßig auf Prophezeiungen, Heilungen und Abwendung von Naturkatastrophen (Luc. Alex. 22.24.36). Anschauliche Einblicke in die konkrete Praxis der antiken Magie, wie sie von Spezialisten in esoterischen Zirkeln gelehrt wurde, bieten magische Handbücher und materielle Relikte. Unter den magischen Handbüchern ragen die Papyri Graecae Magicae (Preisendanz/Henrichs 1973/1974; Betz 1992; Daniel/Maltomini 1990/1992) aus Ägypten heraus. Dabei handelt es sich um eine komplexe Sammlung magischer Rezepte und Ritualanweisungen, für die sich die eher abwertende Bezeichnung Zauberpapyri eingebürgert hat, wie sie von Karl Preisendanz durch den deutschen Untertitel seiner Edition geprägt wurde. Zu den materiellen Relikten der griechisch-römischen Magie zählen insbesondere Fluchtafeln, Vodoo-Puppen und Amulette (vgl. Gager 1992; Kotansky 1994). In der jüdischen Lebenswelt Jesu lassen sich magische Riten bis in die vorexilische Zeit zurückverfolgen. Im Buch Tobit wird dann einer Integration von hellenistischer Magie in das Judentum der Weg geebnet, indem die Kenntnis magischer Techniken aus der Umwelt auf den ausdrücklichen Willen Gottes zurückgeführt wird, der sie durch seinen Engel Raphael offenbar gemacht hat (Kollmann 1994, 289-299; Stuckenbruck 2002, 258269). Magie ist, sofern sie dem Glauben an den einen Gott der Bibel Rechung trägt, 127
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grundsätzlich legitim, wird allerdings unter dem Aspekt der Zwangsbeeinflussung Gottes und des Gebrauchs des Gottesnamens zu Beschwörungszwecken auch immer wieder als problembehaftet empfunden. In der griechisch-römischen Welt stand insbesondere die mit Mose in Verbindung gebrachte jüdische Magie in hohem Ansehen (Strab. geogr. 16,2,39; Plin. nat. 30,11). Zu den herausragenden Magiern im antiken Judentum zählt Choni der Kreiszieher (1. Jh. v. Chr.). Wie Epimenides (D.L. 1,109) soll er in einen jahrzehntelangen Schlaf gefallen sein (bTaan 23a). Berühmt wurde Choni mit seinem Regenwunder (mTaan 3,8), bei dem er wie Empedokles über die Fähigkeit verfügte, Regen hervorzubringen und wieder zu stoppen. Choni versuchte zunächst, es durch gewöhnliches Beten zu Gott regnen zu lassen, scheiterte aber. Erst die Anwendung magischer Techniken brachte den gewünschten Erfolg. Choni zog einen vermutlich der Dämonenabwehr dienenden magischen Kreis und bediente sich damit einer Technik, die in der antiken Magie in unterschiedlichsten Zusammenhängen bezeugt ist. Zudem leistete er einen Eid beim Namen Gottes, sich bis zum Eintreten des Wunders nicht von der Stelle zu rühren. Choni unternahm damit den Versuch einer Zwangsbeeinflussung Gottes, der als Verstoß gegen das erste Gebot aufgefasst werden konnte, und gab sich beim Eintreten des Wunders nicht einmal mit der Qualität des Regens zufrieden. Der pharisäische Gesetzeslehrer Simon ben Schatach, der in der rabbinischen Tradition als erbitterter Gegner von Magie porträtiert wird, vertrat die Auffassung, dass von Rechts wegen über Choni der Bann verhängt werden müsse. Was Choni davor bewahrte, war das tatsächliche Eintreten des Wunders. Dies wurde als Beweis für eine besonders intensive Gottesbeziehung und damit als göttliche Legitimation der umstrittenen Praktiken Chonis gedeutet. Abba Chilkia und Chanan, zwei Enkel Chonis, sollen ebenfalls Regenwunder bewirkt haben (bTaan 23a). Offenkundig wurden Fähigkeiten auf dem Gebiet des Wetterzaubers, die sich magischschamanistischem Vorherwissen künftiger Naturereignisse verdanken dürften, von Generation zu Generation weitergereicht. Während der historische Choni wegen seiner magischen Praktiken in Spannung zum Schriftgelehrtentum stand, kam es bei der Überlieferungsgeschichte der Choni-Stoffe in einem »process of rabbinization« zu einer Integration Chonis in das rechtgläubige Judentum (vgl. Green 1979, 619-647). Choni rückt auf eine Stufe mit dem Propheten Elia. Die Brisanz seines magischen Kreisziehens mit Zwangsbeeinflussung Gottes wird im Talmud durch einen Schriftbeweis entschärft, indem sie als Erfüllung von Hab 2,1 gilt (bTaan 23a). Zudem wird Choni, von dem keinerlei Gesetzesauslegung überliefert ist, zum bedeutendsten Schriftgelehrten seiner Generation hochstilisiert. Aus dem umstrittenen Magier ist ein anerkannter Rabbi geworden. In den Tagen Jesu galten die Essener als Experten auf dem Gebiet der magischen Heilung. Josephus zufolge erforschten sie die Schriften der Alten darauf hin, was Leib und Seele nützt, und maßen dabei zur Heilung von Krankheiten dienenden Wurzeln und den Eigenschaften von Steinen besondere Bedeutung bei (Flav. Jos. Bell. 2,136). Dies ist wohl so aufzufassen, dass Essenerkreise sich mit solchen magischen Büchern über die Heilkraft von Wurzeln und die Wunderwirkung von Steinen beschäftigten, wie sie im hellenistischen Zeitalter in der Umwelt des antiken Judentums vielfach bezeugt sind und im Zuge der Hellenisierung auch nach Palästina gelangt sein dürften (vgl. Hengel 1969, 440-442; Kollmann 1996, 128-131). Insbesondere ist dabei an das Buch des pythagoreischen ägyptischen Magiers Bolos von Mendes über die Kraft der Steine, an das astrologische Handbuch des Nechepso-Petosiris mit seinen Instruktionen 128
Die Wunder Jesu im Licht von Magie und Schamanismus
»zur Heilung des ganzen Körpers und aller Leiden gemäß dem Tierkreis durch Steine und Pflanzen« und an das erste Buch der Kyraniden zu denken, das Anleitungen zur Herstellung von Amuletten oder heilkräftigen Ringen aus Steinen mit darunter verborgenen Wurzeln enthält. Qumran am Toten Meer, das trotz aller Versuche einer archäologischen Neubewertung (vgl. Hirschfeld 2006) wohl eine Essenersiedlung war, kann als eine Art Hochburg jüdischer Magie gelten. Zumindest befinden sich unter den Schriften, die in den Höhlen am Toten Meer gefunden wurden, auch zahlreiche magische Texte. Bei der Schriftrolle 11Q11 handelt es sich um eine Zusammenstellung des bereits in alttestamentlicher Zeit zu Beschwörungszwecken verwendeten Psalms 91 mit weiteren, apokryphen Psalmen Davids, in denen auch Salomo erwähnt wird (vgl. Puech 1992b, 64-89; Sanders 1997, 216-233). In einem anderen Qumrantext (11Q5) ist davon die Rede, dass David 4050 Psalmen, darunter »vier Lieder zur Musik über den Geschlagenen« verfasst habe, wobei mit den Geschlagenen dämonisch Besessene gemeint sind. Wahrscheinlich wurde 11Q11 zu den angesprochenen Liedern Davids gerechnet, zumal Ps 91 im Talmud stereotyp als dämonenbannendes »Lied der Geschlagenen« gilt (Grözinger 1982, 166-170). Auch die Qumrantexte 4Q560 und 8Q5 dienten exorzistischen Zwecken (Naveh 1998, 252-261; Eshel 2003, 396-403). Da es sich bei den genannten Texten nicht um genuin essenische Dokumente handelt, partizipiert die Qumrangemeinde hier an magischen Praktiken, wie sie für weitere Teile des antiken Judentums repräsentativ sind. Eine andere Gruppe von Texten zur apotropäischen Dämonenabwehr (4Q444; 4Q510.511; 6Q18; vgl. Eshel 2003, 406-411) wurde dagegen wohl erst in Qumran komponiert. Im Fall von 4Q510 und 511 wurden die Exorzismen von einem Weisen (maskil) vollzogen, bei dem es sich um einen herausragenden Magier der Gemeinschaft gehandelt zu haben scheint. Der in der Zeit des Jüdischen Krieges aktive Exorzist Eleazar (vgl. Duling 1985, 125; Deines 2003, 365-394) ist Repräsentant einer magisch-medizinischen Heilkunst in der Tradition Salomos, von der sich in 11Q11 Spuren finden und die im Umfeld Jesu die Hauptströmung innerhalb der jüdischen Magie darstellt haben dürfte. Eine genaue Darstellung von Eleazars Wirken verdanken wir einem Augenzeugenbericht des Josephus, der im Zusammenhang mit Salomo auf ihn zu sprechen kommt (Flav. Jos. Ant. 8,42-49). Das geschilderte Ereignis trug sich zwischen 67 und 69 n. Chr. zu, als Josephus zunächst Kriegsgefangener und dann freiwilliger Begleiter des römischen Feldherrn und späteren Kaisers Vespasian war. Eleazar verwendete einen Siegelring mit darunter verborgener Wurzel, um den Dämon aus den Nasenlöchern des Besessenen herauszuziehen. Er bediente sich eines Instruments, das speziell zur Heilung von Epilepsie in der Antike breit bezeugt ist. Die unmittelbarsten Parallelen bieten drei Instruktionen aus den Kyraniden, einem magisch-medizinischen Kompendium aus Ägypten, wo mit heilkräftiger Wurzel versehene Ringe der Therapie von Epilepsie oder dämonischer Besessenheit dienen. Der römische Arzt Galen (2. Jh. n. Chr.) vermochte sich übrigens in wissenschaftlichen Versuchen von der Heilkraft bestimmter Wurzeln bei Epilepsie zu überzeugen und erklärte sich dies damit, dass Teile der Wurzel mit gesundheitsfördernder Wirkung eingeatmet werden (Galen. 11,859f.). Begleitend bringt Eleazar exorzistische Praktiken und dämonenbannende Schutzmaßnahmen zur Anwendung, indem er dem ausfahrenden Dämon ein Rückkehrverbot erteilt und ihn zum sichtbaren Beweis seines Entweichens ein Wasserglas umstürzen lässt. Das Rückkehrverbot vollzieht sich unter Aussprechen des Namens Salomos und einer Rezitation ihm zugeschriebener Beschwörungsformeln. Dabei 129
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dürfte Eleazar keine singuläre Erscheinung im antiken Judentum gewesen sein. Josephus erwähnt ihn exemplarisch im übergreifenden Sachzusammenhang der auf Salomo zurückgeführten Krankheitsbeschwörungsformeln und Exorzismusanleitungen, die als magische Handbücher kursierten und auch von anderen jüdischen Wundertätern verwendet wurden. Eines dieser Werke war das in der rabbinischen Tradition erwähnte »Buch der Heilmittel«, für das eine Verfasserschaft Salomos reklamiert wurde (Halperin 1981/82, 269-292). Auch der Kirchenvater Origenes bestätigt die Existenz angeblich von Salomo verfasster magischer Kompendien zur Dämonenaustreibung (Or. comm. in Matt. 26,63). Da die Essener Wurzeln zu Heilzwecken verwandten und in Qumran mit apokryphen Psalmen unter Erwähnung Salomos exorzistische Musiktherapie betrieben wurde, könnte es sich bei Eleazar um einen Essener gehandelt haben. Inwieweit die von Josephus als Goeten bezeichneten zelotischen Zeichenpropheten (vgl. Barnett 1981, 679-697) magische Praktiken anwandten, bleibt unklar. Mit dem als einer Art Hofastrologe wirkenden Barjesus Elymas (Apg 13,4-12), den als Exorzisten tätigen Skevassöhnen (Apg 19,13-17) und dem auf Liebeszauber spezialisierten Atomus (Flav. Jos. Ant. 20,142) sind uns weitere Magier des antiken Judentums namentlich bekannt. Zudem finden sich in den magischen Papyri aus Ägypten auch Instruktionen jüdischer Herkunft, allen voran das umfassende Exorzismusformular PGM 4,3019-3078, in dem der Krankheitsgeist beim Siegel Salomos beschworen wird. Auch etliche der magischen Praktiken des spätantiken Judentums, die in der rabbinischen Literatur (vgl. Bohak 2008, 351-425), in magischen Kompendien wie dem »Buch der Geheimnisse« (Rebiger/Schäfer 2009) oder auf Zauberschalen und Amuletten (Naveh/Shaked 1985) bezeugt sind, könnten bereits in den Tagen Jesu angewandt worden sein.
3. Forschungskontroversen um die Betrachtung Jesu als Magier Magische Praktiken waren in der jüdischen Lebenswelt Jesu allgegenwärtig und die Wunder Jesu wurden bereits in der Antike massiv mit Magie in Verbindung gebracht. Vor diesem Hintergrund ist es erstaunlich, dass die Frage nach Jesus als Magier in der Bibelwissenschaft erst in den letzten Jahrzehnten verstärkt in den Fokus gerückt ist. Lange Zeit galt es als sicher, dass die durch das krafterfüllte Wort bewirkten und sich im Rahmen einer personalen Beziehung zu den Hilfsbedürftigen vollziehenden Wunder Jesu nicht das Geringste mit Magie zu tun hätten (vgl. etwa Grundmann 1935, 303). Samuel Eitrem vertrat dann die Auffassung, Jesus habe zumindest in Momenten der spirituellen Schwachheit von Techniken der magischen Volksmedizin Gebrauch gemacht (Mk 7,3137; 8,22-26), anstatt wie sonst allein durch das charismatische Wort zu heilen (Eitrem 1966, 30-70). Otto Böcher entwirft skizzenhaft ein Bild von Jesus als Wundertäter, der zwar durch das Selbstverständnis als Werkzeug Gottes und die eschatologischen Bezüge seiner Taten wichtige Alleinstellungsmerkmale aufweise, ansonsten aber dem dämonistischen Weltbild wie den exorzistischen Praktiken seiner Zeit verhaftet bleibe und in Mk 5,1-20 sogar als furchterregender Magier begegne (Böcher 1972, 166f.). John M. Hull stellt in seiner Untersuchung zu hellenistischer Magie und synoptischer Tradition heraus, dass zentrale Motive der neutestamentlichen Wunderberichte im magischen Weltbild der Antike verwurzelt sind (Hull 1974, 61-115), ohne dabei allerdings Rückschlüsse auf den historischen Jesus zu ziehen. 130
Die Wunder Jesu im Licht von Magie und Schamanismus
Somit blieb es Morton Smith vorbehalten, in ausgesprochen provokativer Form die Frage nach Jesus als Magier in das allgemeine Bewusstsein zu rücken. Bereits nach seiner Entdeckung des »Geheimen Markusevangeliums«, dessen Echtheit allerdings immer wieder bezweifelt wird (vgl. Kollmann 2009, 54-61), sah er das gesamte Wirken Jesu von obskuren magisch-esoterischen Praktiken geprägt (Smith 1973, 220-251). In seinem Buch »Jesus the Magician« versucht Smith dann, das in sich stimmige und glaubwürdige Bild einer Magierlaufbahn Jesu zu rekonstruieren (Smith 1978; vgl. dazu Bühner 1983, 156-175), wobei er unter Magie eine erlernbare Technik versteht, die im Wesentlichen aus Hypnose, Schauspielerei und Pharmakologie bestehe. Alle Komponenten begegneten bei Jesus als einem vom Geist besessenen Magier wieder, auch wenn die Evangelien aus apologetischen Motiven einer Zensur mit Unterdrückung magischer Züge Jesu unterworfen worden seien. Die indirekt aus den Evangelien erschlossene magische Laufbahn Jesu deckt sich weitgehend mit dem Bild, das Smith bereits vorher aus anderen antiken Quellen wie Kelsos oder dem Talmud gewonnen hatte. Eugen Drewermann hingegen meidet den Begriff Magie und zeichnet Jesus als einen Schamanen, der ähnlich wie Empedokles, Orpheus oder moderne Medizinmänner durch eine Wiederherstellung der Einheit von Körper und Seele Heilung bringt. Was andere Schamanen durch rituelle Praktiken zu vermitteln suchten, habe Jesus allerdings primär durch seine persönliche Ausstrahlung bewirkt (Drewermann 1990, 43-309). In vergleichbarer Weise spricht Pieter F. Craffert von Jesus als galiläischem Schamanen, der Kontrolle über Geister ausgeübt und Weisheit aus der göttlichen Welt vermittelt habe (Craffert 2008). Eine wichtige Weiterentwicklung des Ansatzes von Morton Smith bietet John Dominic Crossan, indem er Jesus als Kyniker und Magier begreift, der eine ideale Vision von einer besseren Gesellschaft besaß und über ein fest umrissenes soziales Programm aus »magic and meal« oder »miracle and table« verfügte. Durch Wunder und Tischgemeinschaften habe Jesus Menschen in unmittelbaren Kontakt zu Gott gebracht und das Reich Gottes vergegenwärtigt, wobei seinen Dämonenaustreibungen vor dem Hintergrund der Römerherrschaft als »kolonialen Exorzismen« symbolische revolutionäre Bedeutung zukomme (Crossan 1992, 303-353). Ich selbst habe versucht zu zeigen, dass Jesus als »magician of a special kind« mit antiken Magiern in nicht unerheblichem Umfang die Dämonologie, die Wunderpraktiken und die Wirkungsgeschichte teilt, ohne dass er einer der uns bekannten breiteren Strömungen der jüdischen oder paganen Magie zugeordnet werden könnte (Kollmann 2011, 3057-3085). Auf der anderen Seite wird Jesus nach wie vor auch immer wieder deutlich von der antiken Magie abgegrenzt. Geza Vermes sieht Jesus als herausragenden Vertreter einer auch von Choni und Chanina ben Dosa repräsentierten Bewegung jüdischer Chassidim, die durch unmittelbaren Kontakt zu Gott Wunder vollbrächten und nicht mit magischen Praktiken oder geheimen Kräften operierten (Vermes 1973a, 58-82). John P. Meier geht von einer fließenden Skala aus, die vom Idealtypus des Wundertäters am einen Ende bis zum Idealtypus des Magiers am anderen Ende reiche. Trotz vereinzelter magischer Spuren in der Wunderüberlieferung der Evangelien seien die Machttaten Jesu ungleich eher dem Bereich des Wunders als dem Bereich der Magie zuzuordnen (Meier 1994, 537-552). Andere Forscher räumen engere Bezüge Jesu zur Magie ein, sind aber überzeugt, dass diese ihn noch nicht zum Magier machten. So zieht David E. Aune eine Grenzlinie zwischen dem typischen Magier einerseits und magischen Praktiken andererseits, wie sie für die Gestalt des Schamanen, des Weisen, des Propheten oder 131
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des Messias belegt sein können. Jesus repräsentiere historisch wie soziologisch mit seinen aus dem Bereich der Magie entlehnten Wunderpraktiken nicht den Typus des Magiers, sondern die Figur des messianischen Propheten (Aune 1980, 1523-1539). Auch Gerd Theißen und Annette Merz attestieren Jesus trotz seiner in der Volksfrömmigkeit wurzelnden magischen Manipulationen bei Heilungen ein prophetisches und nicht magisches Selbstverständnis (Theißen/Merz 1996, 278). Graham H. Twelftree sieht zwar klare Parallelen der Techniken Jesu zur Welt der Magie, betrachtet Jesus aber als einen Exorzisten, der ungleich eher durch die Ausstrahlung seiner herausragenden Persönlichkeit als durch mechanische Techniken die bösen Geister vertrieb (Twelftree 1993, 143-165.190-207; ders. 2007, 81-86). Peter Busch bereichert die Diskussion um Jesus als Magier durch eine Unterscheidung zwischen der Außenperspektive und dem Blickwinkel der aktiv in die Magie involvierten Personen. Während die Wunder Jesu in der Außenwahrnehmung bei seinen Zeitgenossen den Eindruck von Magie erweckten und durchaus auch Berührungspunkte damit aufwiesen, hätten antike Magier Jesus niemals als einen ihrer Kollegen betrachten können, da er über keine professionelle magische Ausbildung verfügte und seine Aktivitäten sich im Wesentlichen auf Heilung beschränkten (Busch 2001, 25-31). Wolfgang Stegemann stellt in seiner kulturanthropologischen Deutung der Wunder heraus, dass Jesus mit seiner Heilkunst der Magie ungleich näher stand als der Medizin. Dennoch sei er kein Magier gewesen, sondern eine Art Volksheiler (folk healer), der signifikante Elemente der Weltsicht und Krankheitsvorstellungen mit seinen Klienten und deren Milieu teilte (Stegemann 2004, 84-88). Tom Holmén zufolge wäre Jesus selbst zwar nie auf den Gedanken gekommen, sich für einen Magier zu halten. Die Art und Weise, wie er in seinen Heilungen mit dem Problem von Sünde und Schuld umging, sei allerdings in seinem jüdischen Umfeld als unangemessen betrachtet worden und habe ihn in den Magieverdacht gerückt (Holmen 2011, 31793200). Ohne erkennbare Wahrnehmung der intensiven Diskussion um die Bewertung magischer Motive in der Jesusüberlieferung wird nach wie vor auch noch die alte These apodiktisch in den Raum gestellt, Jesus habe niemals magische Praktiken angewandt (vgl. Lohfink 2011, 202.213; Reiser 2011, 188).
4. Magische Motive und Praktiken in der Jesusüberlieferung Die Darstellung der Wunder Jesu in der Evangelienüberlieferung ist in hohem Maße von magischen Motiven durchzogen. Seinem Erscheinungsbild nach musste Jesus auf antike Menschen wie einer der vom wissenschaftlichen Standpunkt aus bekämpften »Magier und Entsühner« wirken, die Krankheiten unter Ignorierung der natürlichen Ursachen mit zweifelhaften Methoden bekämpften und zudem behaupteten, Macht über die Naturgewalten zu besitzen (Hippocr. morb. sacr. 1,39f.). In der Beelzebulkontroverse wird Jesus der schwarzen Magie oder des Satanismus bezichtigt. Die Gegner Jesu erkennen seine Dämonenaustreibungen als unbestrittene Tatsache an, behaupten aber, dass er vom Beelzebul besessen sei und mit dessen Hilfe die bösen Geister vertreibe (Mk 3,22). Beelzebul ist eine Bezeichnung für den Satan, der in der jüdischen Dämonologie als Oberhaupt der bösen Geister gilt. Jesus entkräftet den Vorwurf des Beelzebulbündnisses durch die Bildworte vom in sich gespaltenen Reich als widersinnig. Da der Satan niemals gegen seinen eigenen Herrschaftsbereich des Bösen 132
Die Wunder Jesu im Licht von Magie und Schamanismus
vorgehen würde, kommt nicht er, sondern allein Gott als die hinter Jesu Wundern stehende höhere Macht in Betracht (Lk 11,17-20 par.). Die Episode zeigt, dass Jesus bereits zu Lebzeiten aus dem Blickwinkel seiner Gegner als zwielichtiger Magier galt. Dämonenaustreibungen sind durch einen Machtkampf zwischen Wundertäter und bösem Geist gekennzeichnet. Die Logienüberlieferung der Evangelien enthält keine Hinweise auf Wunderpraktiken Jesu. Jesus spricht lediglich davon, dass er in Übereinstimmung mit anderen jüdischen Wundertätern seine Dämonenaustreibungen in der Macht Gottes bewirkte (Lk 11,19f.). In der Erzählüberlieferung finden sich dagegen konkrete Details, die Jesus in die unmittelbare Nähe antiker Magier rücken. Im Mittelpunkt der Berichte über Dämonenaustreibungen Jesu stehen die Bedrohung der bösen Geister und an sie gerichtete Ausfahrworte, die mit einer Namenserfragung, der Einschickung in ein anderes Objekt oder einem Rückkehrverbot verbunden sein können. Die Bedrohung des Krankheitsgeistes (Mk 1,25; 9,25) zählt zu den typischen Dämonenaustreibungstechniken der Antike. Allerdings ist dafür in hellenistischen Wundertraditionen einschließlich der magischen Papyri niemals das im Neuen Testament gewählte ¥pitim”n (epitima¯n) belegt (vgl. Kee 1967/68, 240-242). Dieses Wort dient in der Septuaginta der Übersetzung des hebräischen tpc (g‘r), welches seinerseits in jüdischen Traditionen vielfach im Zusammenhang mit Dämonenaustreibungen begegnet (Kollmann 1996, 202 mit Anm. 7). Locus classicus ist Sach 3,2 »Jhwh bedrohe dich, Satan«, das im antiken Judentum eine festgeprägte magische Formel gegen Dämonen oder den Satan persönlich darstellt. Vor diesem Hintergrund wäre es nicht überraschend, wenn Jesus die Dämonen durch Rezitation von Sach 3,2 bedroht hätte. Dies stünde in Einklang damit, dass er Gott als eigentlichen Urheber seiner Dämonenaustreibungen betrachtete und dieses Charakteristikum mit anderen jüdischen Wundertätern teilte (Lk 11,19f.). Für das Ausfahrwort Jesu (Mk 1,25; 5,8; 9,25) hingegen finden sich in den griechischen magischen Papyri aus Ägypten unmittelbare Parallelen. Dort ist in drei Exorzismusformularen ein genau wie in den neutestamentlichen Berichten mit »Geh aus ihm heraus« (˛xelqe exelthe) formulierter Ausfahrbefehl an Krankheitsgeister belegt (PGM 4,1242.3007; 5,158). Mit der Namenserfragung in Mk 5,9 spiegelt sich eine weitere magische Praktik in der Jesusüberlieferung wider. Die Befragung von Dämonen mit dem Ziel, sie zum Sprechen zu bringen und das daraus resultierende Wissen zu einem gezielten Vorgehen gegen sie zu verwenden, ist in den magischen Papyri aus Ägypten belegt, wo der Dämon beim Siegel Salomos beschworen wird, zu reden (PGM 4,3037-3041). Die Einschickung der bösen Geister in ein anderes Objekt, wie sie Mk 5,13 begegnet, zählte auch zu den Techniken von Eleazar (Flav. Jos. Ant. 8,48) und Apollonius von Tyana (Philostr. vit. ap. 4,20). Wenn in Mk 9,25 das Ausfahrwort an den Dämon um ein Rückkehrverbot bereichert ist, spiegelt sich darin die Befürchtung wider, dass ausgetriebene Krankheitsgeister zurückkehren können und deshalb besondere Vorkehrungen zu treffen sind. Dies liegt auf einer Linie mit der »Exorzismusregel« Jesu (Mt 12,43-45 par.), die über das Wesen von Krankheitsgeistern belehrt und zur Vermeidung eines Rückfalls in die Besessenheit die Notwendigkeit nicht näher bestimmter antidämonischer Schutzmaßnahmen im Anschluss an die Dämonenaustreibung einschärft. In der antiken Magie dienten dazu meist Amulette. Insgesamt ergeben sich wiederum frappierende Parallelen zu Eleazar und Apollonius von Tyana, denn beide haben ebenfalls Dämonen mit einem Verbot der Rückkehr in den Besessenen belegt (Flav. Jos. Ant. 8,47f.; Philostr. vit. ap. 4,20). 133
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Bei seinen Heilungswundern bewirkt Jesus zwar oft durch das charismatische Wort die Wiederherstellung der Gesundheit, doch trägt er auch hier zuweilen Züge eines Magiers. Konkret gilt dies für die Heilungsberichte in Mk 7,31-37 und 8,22-26, wo Jesus im Grenzbereich von Medizin und Magie agiert. In beiden Fällen wird zunächst das Publikum entfernt, dann die Heilung durch volksmedizinische Praktiken mit magischem Einschlag vollzogen und schließlich ein Schweigegebot an den Geheilten gerichtet, das die Erinnerung an die Geheimhaltungsgebote in den magischen Papyri zum Schutz der machtvollen Techniken wachruft (Theißen 1974, 77f.). Wenn in Mk 7,35 die Zunge des Taubstummen gebunden ist, hat dies dämonistische Konnotationen und lässt Jesu Vorgehensweise als eine Art Gegenzauber erscheinen. Auf antiken Fluchtafeln werden Dämonen beauftragt, die Zunge von Feinden, insbesondere Prozessgegnern, zu binden, um diese am Sprechen zu hindern (vgl. Graf 1996, 11f.). Im Hintergrund der Heiltechnik Jesu steht die Vorstellung, dass der die Zunge bindende Dämon durch Speichel entkräftet wird. Das Seufzen Jesu signalisiert eine emotional-körperliche Erregung des Heilers. In der eng verwandten Erzählung Mk 8,22-26 hat der Speichel, der in der Antike ein weit verbreitetes Augenheilmittel darstellt (Plin. nat. 28,37.86; Marc. Emp. med. 8,43,166; bShab 108b), neben der magischen auch eine therapeutische Wirkung. In der Geschichte von der blutflüssigen Frau (Mk 5,25-34) ist der Heiler Jesus mit magischer Kraft geladen, die ohne sein Zutun durch einfache Berührung seines Gewandes wirksam gemacht werden kann. Die Naturwunder der Evangelien sind ebenfalls hochgradig von magischen oder schamanistischen Motiven durchzogen. In der markinischen Versuchungsgeschichte ist davon die Rede, dass Jesus in der Wüste mit (wilden) Tieren Kontakt hatte und ihm Engel dienten. Die Episode knüpft an traditionelle jüdische Endzeitvorstellungen an und will zum Ausdruck bringen, dass Jesus das paradiesische Zeitalter wieder herbeiführt, indem er wie Adam in Frieden mit den Tieren lebt und von den Engeln bedient wird (vgl. Gräßer 1986, 144-154). In einem hellenisierten Überlieferungsmilieu konnte damit allerdings konnotiert werden, dass es sich bei Jesus um einen Magier oder Schamanen handelte, der wie Pythagoras (Iamb. vit. Pyth. 14,63) oder Apollonius von Tyana (Philostr. vit. ap. 5,42) mit den Tieren kommunizierte und zudem Dienstengel als Hilfsgeister befehligte. In der Sturmstillungserzählung (Mk 4,35-41) begegnet Jesus als Magier, der über die schamanistische Befähigung zur Beeinflussung des Wetters verfügt. Wind und Wellen werden nach Vorstellung des antiken Menschen von Dämonen gesteuert, wie man es auch im Judentum annahm (1Hen 60,16; 69,22). Daher trägt die Sturmstillungsgeschichte Züge, die von den Dämonenaustreibungen her bekannt sind. Jesus bedroht den Wind und richtet einen Schweigebefehl an die Wellen. In jüdischen Parallelen zu Mk 4,35-41 beschränken sich die Aktivitäten des Wundertäters auf ein Gebet zu Gott, der die Sturmstillung bewirkt (bBM 59b; jBer 9,1). Im Kontrast dazu handelt Jesus in eigener Autorität und Kraft, wie es für griechische Magier bezeugt ist. Pythagoras soll gefährliche Winde beschwichtigt und die Wellen von Flüssen wie Seen beruhigt haben, so dass man sie ungefährdet überqueren konnte (Iamb. vit. Pyth. 28,135). Persische Magier stillten einen Seesturm durch Opfer und an den Wind gerichtete Beschwörungen (Hdt. 7,191). Auch der Seewandel Jesu (Mk 6,45-52) hat magische Konnotationen. Die Fähigkeit, über das Wasser zu laufen, wurde beispielsweise auch einem nicht näher bekannten hyperboreischen Magier zugeschrieben (Luc. philops. 16). Selbst die Ostererzählungen enthalten Motive, die aus magischen Traditionen bekannt sind. Ähnliche postmortale 134
Die Wunder Jesu im Licht von Magie und Schamanismus
Erscheinungen, wie sie von Jesus in den Evangelien überliefert sind, weiß bereits Herodot über den Magier Aristeas von Prokonnesos zu erzählen (Hdt. 4,14f.). Selbstverständlich sind die neutestamentlichen Wundergeschichten keine historischen Protokolle. Bei den genannten Befunden ist damit zu rechnen, dass die Erzähler das Wirken des Wundertäters Jesus ein ganzes Stück weit in den Farben der antiken Magie ausmalten. Dennoch kann im Hinblick auf Dämonenaustreibungen und einzelne Krankenheilungen kaum ein Zweifel daran bestehen, dass Jesus sich solcher Techniken bediente, wie sie für Magier typisch waren.
5. Wirkungsgeschichtliche Aspekte Dass Jesus ein Magier war, stellte in der antiken Außenwahrnehmung seiner Person eines seiner Markenzeichen schlechthin dar (vgl. Stanton 2004, 129-144). Im rabbinischen Judentum wurde Jesus als Zauberer betrachtet, der sich verbotener magischer Praktiken aus Ägypten bediente. Anders als dem umstrittenen Magier Choni gelang es ihm nicht, als religiöses Leitbild in das Judentum integriert zu werden. Auch pagane Autoren ziehen Verbindungslinien von Jesus zur geheimnisumwitterten ägyptischen Magie und setzen dabei voraus, dass er sich ethisch bedenklicher Methoden bediente und mit seinen Wundertaten keinesfalls in den Rang eines Gottes aufrückte (vgl. Gemeinhardt 2010, 471476). Höchster Wertschätzung erfreute der Name Jesu sich dagegen in den Kreisen antiker Magier. Jüdische Exorzisten versuchten, sich ihn bei Dämonenaustreibungen nutzbar zu machen (Mk 9,38; Apg 19,13). Wie Pythagoras (PGM 7,795) und Apollonius von Tyana (PGM 11a,1) gelang es auch Jesus, Einzug in die magischen Papyri aus Ägypten zu halten (PGM 4,1232f.3019f.). Am schärfsten ist das Bild von Jesus als zwielichtigem und betrügerischem Magier bei dem platonischen Philosophen Kelsos profiliert (vgl. Gallagher 1982; Remus 1983, 104-158). Dieser verfasste im späten 2. Jh. eine gegen das Christentum gerichtete Abhandlung mit dem Titel Alethes Logos, »Die wahre Lehre«. Dieses Werk (vgl. Lona 2005) hat zwar die christlichen Büchervernichtungen nicht überlebt, ist aber aus der Gegenschrift des Kirchenvaters Origenes zu großen Teilen bekannt, wo umfangreiche Passagen daraus zitiert werden. Bevor Kelsos vom Standpunkt der platonischen Philosophie aus mit dem Christentum abrechnet, schickt er seinen Ausführungen jüdische Kritik an der Person Jesu voraus, die ihm zu Ohren gekommen war. In diesem Zusammenhang erhebt Kelsos den Vorwurf, Jesus habe sich in Ägypten als ungebildeter Tagelöhner in die magischen Künste einweisen lassen und später aufgrund seiner Machttaten öffentlich zum Gott erklärt (Or. Cels. 1,6.28). In Wirklichkeit seien seine Wunder nichts anderes als die Taten eines Gott verhassten und nichtswürdigen Goeten (1,71). Sie begründeten keine Göttlichkeit, sondern stünden auf einer Stufe mit den Kunststücken ägyptischer Marktplatzgaukler, die gegen geringes Entgelt Dämonen austrieben, Krankheiten wegbliesen und andere scheinbare Wunder vollbrächten (1,68). Kelsos verarbeitet offenkundig ähnliche jüdische Tradition, wie sie auch in den Talmud eingeflossen ist. Dort wird behauptet, Jesus (Ben Pandera) sei wegen Zauberei hingerichtet worden (bSan 43a; vgl. Schäfer 2007, 130-152). Zudem erfolgt eine Identifikation Jesu mit dem Magier Ben Stada, der in Lydda zum Tode durch Steinigung verurteilt worden war, weil er zum Götzendienst ver-
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führt und am Sabbat magische Zeichen aus Ägypten auf seinen Körper tätowiert hatte (bSan 67a; bShab 104b; vgl. Maier 1978, 203-237). Auch aus Äußerungen der christlichen Apologeten wird deutlich, dass Jesus von den Gegnern des Christentums in die Schublade des zwielichtigen Magiers gesteckt wurde. Justin beklagt um 150 n. Chr., dass die Wunder Jesu als Trugbilder eines Magiers und Volksverführers gälten, der sich mit ihrer Hilfe als Gottessohn ausgegeben habe (dial. 69,7; 1 apol. 30). Arnobius muss sich mit dem Vorwurf auseinandersetzen, Jesus sei Magier gewesen, der in ägyptischen Tempeln die Namen der mächtigen Engel und esoterische Geheimlehren unrechtmäßig an sich gebracht habe (adv. nat. 1,43). In den fiktiven Pilatusakten wird Jesus von den Hohepriestern und Schriftgelehrten vor dem römischen Statthalter als Goet verklagt, der mit Hilfe Beelzebuls die Dämonen vertreibe. Wenn Pilatus apologetisch in den Mund gelegt wird, dass Jesus sich bei seinen Exorzismen keines unreinen Geistes bedient habe (EvNik 1,2), spielt dies auf die in der antiken Magie weit verbreitete Rekrutierung von Hilfsgeistern an (u. a. PGM 1,1-42). Gewisser Beliebtheit erfreute sich bei paganen Autoren auch der von christlicher Seite energisch zurückgewiesene Vergleich Jesu mit Apollonius von Tyana (vgl. Gemeinhardt 2010, 474f.). Die Wirkungsgeschichte Jesu ist mit der antiker Magier über weite Strecken deckungsgleich. Für die Anhänger Jesu zeigt sich in den Wundern sein göttliches Wesen. Die Gegner Jesu bestreiten dies, indem sie ihn der betrügerischen Magie (Goetie) bezichtigen, wie sie nahezu allen prominenten Magiern oder Schamanen in der griechisch-römischen Welt vorgeworfen wird. Die Evangelien verfolgen daher in Analogie zu antiken Biographien wie der Apolloniusvita des Philostrat oder der Pythagorasvita des Iamblichus die Absicht, den Gottessohn nach außen vor dem Verdacht der zwielichtigen Magie in Schutz zu nehmen und nach innen einer missverständlichen Reduktion seiner Bedeutung auf die thaumaturgische Befähigung vorzubeugen (Smith 1993, 193.204f., zum Ganzen Kollmann 1996, 287-306). Insbesondere das Matthäusevangelium legt großen Wert darauf, die magischen Züge Jesu zu reduzieren und seine Lehre gegenüber dem Wunder aufzuwerten. Während Markus im Anschluss an die ersten Jüngerberufungen Jesu sogleich mit Wundergeschichten einsetzt, wird Jesus bei Matthäus zunächst in aller Ausführlichkeit als »Messias des Wortes« (Mt 5-7) vorgestellt, bevor sich die ersten erzählten Wunder anschließen (Mt 8-9). Zudem unterzieht Matthäus durch die Zurückdrängung dämonischer und magischer Motive das von seinen Quellen vermittelte Jesusbild einer grundlegenden Revision und Neuinterpretation. Ähnlich wie bei der rabbinischen Choni-Rezeption werden Aspekte des Wunderwirkens Jesu als Erfüllung der Schrift ausgewiesen (Mt 8,17; 12,18-21). Zudem spricht Matthäus von Krankheit (Mt 4,23), wo bei Markus noch von Besessenheit die Rede war (Mk 1,39), und unterschlägt in allen eigenständig formulierten Sammelberichten (Mt 14,14; 15,29-31; 19,1; 21,14) die Dämonenaustreibungen. Solche Wunderpraktiken, die Parallelen in den magischen Papyri aus Ägypten haben oder magisch missverstanden werden konnten, hat er nahezu vollständig aus der Jesusüberlieferung getilgt (vgl. Hull 1974, 128-141; Böcher 1988, 14-24; Trunk 1994, 201-212). Vermutlich versucht Matthäus damit bereits, der später dann im Talmud und bei Kelsos greifbaren jüdischen Polemik, Jesus habe seine Wunder durch betrügerische Magie bewirkt, die Grundlage zu entziehen. In vergleichbarer Weise könnte der im Umfeld der johanneischen Gemeinde von jüdischer Seite gegen Jesus erhobene Vorwurf der Besessenheit (Joh 7,20; 8,48-52; 10,20) den vierten
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Evangelisten dazu bewogen haben, bei seiner Darstellung des Lebens Jesu die Dämonenaustreibungen völlig zu übergehen.
6. Fazit: Jesus als Magier der besonderen Art Von der Dämonologie, dem Erscheinungsbild und der Wirkungsgeschichte her kann man den Wundertäter Jesus im weiteren Sinne dem Typus des Magiers oder Schamanen zuordnen. Dass diese religionsgeschichtlichen Kategorien kaum geeignet sind, um das Ganze der Person Jesu mit Gleichnisverkündigung, Gesetzesauslegung, prophetischen Zeichenhandlungen und vielem mehr zu erfassen, versteht sich von selbst. Die kontroverse Diskussion um Jesus als Magier wird durch den Paradigmenwechsel in der Bewertung von Magie deutlich entschärft. Die Betrachtung von Magie als primitiver Vorstufe oder degenerierter Fehlentwicklung von Religion erweist sich als Klischee. Wo die Grenze zwischen abgelehntem magischem Wunder und gutgeheißenem charismatischem Wunder gezogen wird, ist im Wesentlichen eine Frage des subjektiven Standpunkts und der gesellschaftlichen Machtstellung. Antike Magier oder Schamanen sind grundsätzlich seriöse Mittler zwischen den Welten, die in erster Linie wegen ihrer Nonkonformität mit dem vorherrschenden Religions- wie Wissenschaftsverständnis zur Zielscheibe des Spotts und zum Gegenstand staatlicher Verfolgung wurden. Magie entfaltet damit subversive Kraft und stellt den Absolutheitsanspruch der gesellschaftlich jeweils dominanten Denkrichtungen in Frage. Solche Aspekte, die Magie zu einer problembehafteten Form der Religionsausübung machen, insbesondere die Zwangsbeeinflussung von Gottheiten, die Durchsetzung fragwürdiger Wünsche und die Anwendung von Schadenszauber, erweisen sich für Jesu Wunder als bedeutungslos. Mit seinen Dämonenaustreibungen ist Jesus kein Repräsentant rationaler Heilkunst, sondern auf der Seite der Magie zu verorten. Er teilte das dämonistische Weltbild der Antike, führte Epilepsie wie auch andere Krankheiten auf das schädigende Wirken der dem Satan unterstehenden bösen Geister zurück und verfügte über spezielle Techniken auf dem Gebiet der Dämonenaustreibung, die er an seine Jünger weitergab. Das Erscheinungsbild Jesu in den Evangelien, auch wenn es ein ganzes Stück weit auf erzählerischer Ausschmückung beruhen mag, deckt sich im Hinblick auf die Wunderpraktiken in hohem Maße mit dem antiker Magier. Über weite Strecken ist auch die Wirkungsgeschichte vergleichbar. Dem Namen Jesu wird innerhalb wie außerhalb des Christentums magische Bedeutung beigemessen. In Analogie zu Pythagoras und Apollonius erfreut sich auch Jesus in den magischen Papyri aus Ägypten hoher Wertschätzung. Zudem teilt Jesus das Geschick nahezu aller prominenten antiken Magier oder Schamanen, von den eigenen Anhängern nicht zuletzt wegen der Wunder als übermenschliches Wesen verehrt, von den Gegnern hingegen der betrügerischen Magie bezichtigt und als Goet diskreditiert zu werden. Die Evangelien verfolgen daher in Übereinstimmung mit antiken Biographien wie der Apolloniusvita des Philostrat oder der Pythagorasdarstellung des Iamblichus teilweise die Absicht, magische Züge zu reduzieren und die Lehre aufzuwerten. Trotz dieser grundsätzlichen Übereinstimmungen sind an der Klassifizierung Jesu als Magier oder Schamane auch deutliche Abstriche vorzunehmen. Mit dem, was in den Evangelien von Jesus an Wundern erzählt wird, deckt er nur ein ganz schmales Segment 137
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aus dem Betätigungsfeld eines antiken Magiers ab. Im Gegensatz zu professionellen Magiern lässt Jesus sich für seine Dienste nicht entlohnen. Zudem fügt Jesus sich in keines der magischen Raster seiner Zeit nahtlos ein. Die Initiation zum Magier war langwierig und setzte eine umfassende Einführung in die Geheimlehren voraus. Johannes der Täufer als einzig bekannter Lehrer Jesu kommt dafür nicht in Betracht, denn er bewirkte keine Wunder (Joh 10,41). Dem Talmud und paganen Autoren zufolge soll Jesus in Ägypten eine magische Schulung durchlaufen haben, was historisch allerdings fraglich ist, da es an die Legende vom Ägyptenaufenthalt der Heiligen Familie anzuknüpfen scheint. Auch zu den dominanten Strömungen der zeitgenössischen jüdischen Magie weist Jesus keine direkten Verbindungslinien auf. Im Gegensatz zu Choni hat er weder Regenwunder vollbracht noch sich des magischen Kreises mit Zwangsbeeinflussung Gottes bedient. Mit den zelotischen Zeichenpropheten verbindet ihn lediglich der eschatologische Horizont der Wunder. Von der auf Mose zurückgeführten Magie finden sich in der Jesusüberlieferung nicht die geringsten Spuren. Noch auffälliger ist die Tatsache, dass Jesus mit seinen Dämonenaustreibungen und Krankenheilungen auch in keiner erkennbaren Beziehung zu der mit David und Salomo verbundenen magischen Heilkunst steht. Im Gegensatz zur Qumrangemeinde und zu Eleazar machte er bei seinen Dämonenaustreibungen nach Darstellung der Evangelien weder von Psalmen Davids noch von Beschwörungsformeln Salomos Gebrauch. Anders als die Essener hat er sich offenkundig auch nicht mit der Heilkraft von Wurzeln und Steinen beschäftigt, wie sie in magischen Handbüchern ägyptischer Herkunft beschrieben wird. Vieles deutet darauf hin, dass Jesus sich ohne Initiation in eine Magierschule in einer Art Berufungsvision (Lk 10,18) seiner besonderen Kräfte bewusst wurde und im Horizont der anbrechenden Gottesherrschaft als Wunderheiler aktiv wurde (Lk 11,20). Das sich mit Magie überlappende Phänomen des Schamanismus ist ebenfalls nur mit Einschränkungen geeignet, um die Bedeutung der Wunder Jesu zu erfassen, auch wenn Jesus in der Erzählüberlieferung mit schamanistischen Zügen ausgestattet wurde. Jesus hat nach unserem Wissen weder die für schamanistische Krankenheilungen konstitutive Lehre von der Seelenwanderung vertreten noch ekstatische Jenseitsreisen unternommen, um den Seelen der Verstorbenen Totengeleit zu geben oder den Seelen der Lebenden heilungsrelevante Informationen aus ihrer früheren Inkarnationen zu verschaffen. Auch deutet nichts auf eine Befähigung Jesu hin, mit den in Tieren oder Pflanzen wiedergeborenen Seelen zu kommunizieren, um aufgrund des dabei gewonnenen Wissens Naturereignisse vorherzusagen oder Naturkatastrophen durch Reinigungsriten abzuwenden. Griechische Schamanen wie Pythagoras oder Empedokles betrachteten sich als Grenzgänger und unsterbliche Mittler zwischen himmlischer und irdischer Welt, die das für die Menschheit bedeutsame Geheimwissen offenbar machten. Jesus vollzog seine Dämonenaustreibungen und Heilungen als Werkzeug Gottes im Horizont der sich Durchbruch verschaffenden Gottesherrschaft. Insoweit war er in der Tat ein Magier der ganz besonderen Art.
Bernd Kollmann
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Literatur zum Weiterlesen P. Busch, War Jesus ein Magier?, ZNT 4 (2001), 25-31. B. Kollmann, Jesus and Magic: The Question of the Miracles, in: T. Holmén/S. E. Porter (Hg.), Handbook for the Study of the Historical Jesus, Bd. 4: Individual Studies, Leiden/Boston 2011, 3057-3085. G. N. Stanton, Jesus of Nazareth: a Magician and a False Prophet Who Deceived God’s People?, in: ders., Jesus and Gospel, Cambridge 2004, 127-147. G. H. Twelftree, Jesus the Exorcist and Ancient Magic, in: M. Labahn/B. J. Lietaert Peerbolte (Hg.), A Kind of Magic. Understanding Magic in the New Testament and its Religious Environment, London/New York 2007, 57-86.
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Wundererzählungen heute unterrichten (Didaktik der Wundererzählungen) 1. Wundergeschichten im Religionsunterricht Die Bibeldidaktik steht vor der Aufgabe, die Rezeptionsprozesse biblischer Texte im Religionsunterricht zu reflektieren. Dabei gibt es in der Bibeldidaktik verschiedene Modelle für die Begegnung zwischen Schülerinnen und Schülern und dem Text. Im Folgenden wird das Lesen (oder Hören) einer biblischen Geschichte als ein Kommunikationsvorgang beschrieben, genauer als eine Kommunikation, die zwischen einem Sender und Adressaten im Hinblick auf eine Sache und mittels eines Textes stattfindet (orientiert am Organon-Modell von Bühler 1999, 24-33; vgl. Zimmermann 2011c, 10-13). Geläufiger ist es, einen Lesevorgang als Begegnung zwischen Text und Leser zu modellieren (so z. B. Schulte 2008; Schambeck 2009, 122-134). Das hier gewählte Modell versucht demgegenüber, zwei Dinge hervorzuheben: (1) Die Textgruppe, um die es geht, wird durch ihre Sache, die »Wunder«, konstituiert. Die Frage ihres theologischen Gewichts und die Probleme ihrer unterrichtlichen Behandlung hängen wesentlich mit dieser Sache zusammen. (2) Die Bibel gewissermaßen als Sender des Textes zu verstehen versucht zu berücksichtigen, dass die Wundergeschichten im Religionsunterricht essentiell als Teil der Bibel wahrgenommen und auch in erster Linie deshalb thematisiert werden, weil sie in der Bibel als einer normativen Säule der christlichen Tradition zu finden sind. Im einzelnen Text redet die Bibel die Schülerinnen und Schüler an. Weil keines der beteiligten Elemente für sich steht, sondern jeweils in Zusammenhänge eingebettet ist (der einzelne Schüler ist z. B. Teil der Lerngruppe, in bestimmter Weise religiös sozialisiert und erzogen, hat bestimmte Interessen, …), ist im Schaubild unten jeweils »und ihre Welten« hinzugefügt.
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Das Modell soll den Rahmen für die folgenden Analysen und Überlegungen geben und helfen, sie zu strukturieren. Ich beginne mit der Sache, nehme danach den Text selbst, die Schüler und den biblischen Ursprung in den Blick, um dann noch einmal zur Sache zurückzukehren. Den Abschluss bilden knappe Überlegungen zu Methoden der Annäherung an Wundererzählungen.
2. Die problematische »Sache« der Wundergeschichten Was ist die »Sache« der Wundergeschichten? Eine erste Antwort lautet: bestimmte Ereignisse in einer erzählten Welt. Der Wundertäter »Jesus« ist zunächst eine erzählte Figur in den Evangelien. So wie diese Figur mit Menschen redet, umhergeht, isst und vieles mehr, so vollbringt sie auch die Taten, die gemeinhin als Wunder bezeichnet werden: Jesus heilt Kranke, treibt Dämonen aus, geht über das Wasser oder verwandelt Wasser in Wein – zunächst im Rahmen der erzählten Welt. Die Evangelien signalisieren allerdings, dass die erzählte Figur »Jesus« eine Gestalt der Geschichte ist, in der »realen« Welt gelebt hat, in der auch die Leserinnen und Leser leben (vgl. z. B. Lk 1,1-4). Der Anspruch, sich auf Ereignisse der realen Geschichte zu beziehen, schließt auch die Wunder ein. Er ist aus exegetischer Sicht zu differenzieren: Ein Evangelium ist nicht dasselbe wie eine moderne, geschichtswissenschaftliche Biographie; den Anspruch, »blos zu zeigen, wie es eigentlich gewesen ist« (Leopold von Ranke), haben die Evangelien nicht. Trotzdem bleibt der Bezug auf geschichtliche Ereignisse auch bei differenzierter Betrachtung im Kern bestehen. Im Falle der Wundererzählungen ist dieser Bezug mit besonderen Schwierigkeiten konfrontiert, die in der geistesgeschichtlichen Entwicklung Europas in den letzten drei Jahrhunderten begründet liegen und die nicht nur die Lehrkraft, sondern – mit zunehmendem Alter in zunehmendem Maß – auch die Schüler beeinflussen. Es erscheint vielen unter der Maßgabe der kritischen Vernunft unannehmbar, dass die Welt Schauplatz des Handelns übernatürlicher Mächte und Kräfte ist, so wie die Wundergeschichten dies zu schildern scheinen. Diese kritische Vernunft spielt auf verschiedenen Wegen auch in den Religionsunterricht hinein. Sie ist Teil unserer Alltagsplausibilität. Darauf hat in einem vielzitierten Wort Rudolf Bultmann hingewiesen: »Man kann nicht elektrisches Licht und Radioapparat benutzen, in Krankheitsfällen moderne medizinische und klinische Mittel in Anspruch nehmen und gleichzeitig an die Geister- und Wunderwelt des Neuen Testaments glauben. Und wer meint, es für seine Person tun zu können, muss sich klar machen, dass er, wenn er das für die Haltung des christlichen Glaubens erklärt, damit die christliche Verkündigung in der Gegenwart unverständlich und unmöglich macht« (Bultmann 1948, 18). Die kritische Vernunft meldet sich auch zu Wort in der Rationalität der fachwissenschaftlichen Theologie, die die Ausbildung von Religionslehrerinnen und -lehrern ebenso prägt wie die Ausgestaltung der Unterrichtsmaterialien. Sie ist schließlich in den Medien präsent, z. B. in den immer wieder zu den christlichen Hochfesten ausgestrahlten Fernsehdokumentationen zum historischen Jesus oder in entsprechenden Zeitschriftenartikeln. Die »Sache« der Wundergeschichten erscheint also im Lichte moderner Rationalität höchst problematisch. Die folgenden Überlegungen sollen die Problematik beleuchten und analysieren. Sie sind von dem Leitgedanken bestimmt, dass diese Problematik 141
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keine Komplikation in der Auseinandersetzung mit den Wundergeschichten darstellt, sondern zu ihrem theologischen Kern führt.
3. Die Wundergeschichten als Erzählungen Ausgangspunkt jeder Auseinandersetzung mit den Wundergeschichten ist ihre sprachliche Gestalt. Wesentliche Verstehensschwierigkeiten im Hinblick auf diese Texte haben mit ihrem Bezug auf die außersprachliche Wirklichkeit zu tun, mit dem Wunder als Ereignis. Genau besehen begegnet den Leserinnen und Lesern jedoch gar nicht primär das Ereignis, sondern ein Text. Welche sprachlich-literarischen Merkmale kennzeichnen die Wundergeschichten in besonderer Weise und können entsprechend Ausgangspunkt für Leseweisen und Lernwege sein? Grundlegend sind sie Erzählungen; die Narrativität ist ein fundamentales Merkmal. Wundergeschichten als Erzählungen zu lesen, ist Ausgangspunkt und Voraussetzung für viele Lernwege. Für die Didaktik der Wundergeschichten sind dabei insbesondere Identifikationsprozesse mit erzählten Figuren zentral. Bei Ingo Baldermann etwa, dessen Ansatz noch skizziert werden wird, stehen diejenigen im Vordergrund, denen in der Wundererzählung die Zuwendung Jesu gilt, also z. B. die Kranken in ihrem Leiden oder jene Menschen, deren Hunger Jesus mit Broten und Fischen stillt. Es gilt, sich in sie einzufühlen und aus ihrer Perspektive die Wundergeschichte wahrzunehmen, die von der Überwindung ihrer Not erzählt. Oder Jesus selbst kann mit seinem Handeln in den Blick genommen und als ein Handlungsmodell verstanden werden. So wie er sich den Marginalisierten oder Notleidenden zuwendet, sollen es auch die Leserinnen und Leser tun. Aus der Empathie mit den Notleidenden kann Verständnis für das Handeln Jesu erwachsen und Motivation seinem Bild zu folgen. Ethisches Lernen steht bei diesem Modell im Vordergrund (vgl. Kollmann 2011, 216-218). Identifikation spielt – neben anderen Faktoren – schließlich auch dann eine Rolle, wenn Wundergeschichten als Glaubensgeschichten gedeutet werden (vgl. Kollmann 2011, 214-216), d. h. als Erzählungen, in denen sich grundlegende Erfahrungen und Themen des Glaubens spiegeln wie Furcht und fehlendes Vertrauen auf die rettende Nähe Jesu (Mk 4,35-41) oder die Überzeugung, dass durch Jesus die Macht des Todes besiegt ist (Mk 5,21-24.35-43). Diese Themen und Erfahrungen verkörpern sich im Handeln oder Ergehen derjenigen, denen in den Geschichten das Wunder geschieht, oder im Staunen und Fragen derer, die als Anwesende seine Zeugen werden. Gut lassen sich alle drei Ansätze an der bekannten Geschichte von der Heilung des blinden Bettlers Bartimäus aufzeigen (Mk 10,46-52; dazu auch Kollmann 2001, bes. 63f.). Dieser weckt durch die Schilderung seiner Notlage, die durch die schroffe Abweisung seines Rufs nach Erbarmen noch verschärft wird, Mitgefühl, bekommt durch die Nennung seines Namens ein »Gesicht« und bietet sich so als Identifikationsfigur für Kinder an (V. 46-48). Er ist Beispiel eines beharrlichen, entschlossen die entscheidende Chance seines Lebens ergreifenden Vertrauens auf Jesus (V. 47-51), dem aufgrund dieses Glaubens Hilfe zuteil wird, so dass die Begegnung mit Jesus schließlich in die Jesus-Nachfolge mündet (V. 52). Dass darüber hinaus in dieser Geschichte Jesus als ein Handlungsmodell wahrgenommen werden kann, lässt sich daran festmachen, dass sein Zugehen auf Bartimäus eine Kehrtwende im Verhalten der Jesus begleitenden Menge
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gegenüber dem Blinden nach sich zieht. Wollten sie seine Hilferufe zunächst zum Schweigen bringen, so sprechen sie ihm nun Mut zu (V. 48f.). Es ist aber nicht nur die Identifikation mit erzählten Figuren der Wundererzählungen, die didaktisch fruchtbar gemacht wird. Stefan Alkier und Bernhard Dressler, deren Konzept unten ebenfalls noch vorgestellt wird, setzen entscheidend auf die poetische Kraft von Geschichten vor den Lesern oder Hörern eine erzählte Welt zu schaffen, die ihrer eigenen Lebens- und Alltagswelt gegenübersteht, und nutzen so didaktisch eine weitere Möglichkeit, die Wundergeschichten durch ihre Narrativität bieten. In der bibeldidaktischen Diskussion wird den Wundergeschichten teilweise ein metaphorischer oder symbolischer Charakter zugeschrieben. Diesen Charakter zu erkennen gilt als wesentliche Lernaufgabe, um eine auf historische Fragen enggeführte Wahrnehmung der Wundergeschichten zu vermeiden. Die Wundererzählungen werden in die Nähe von Gleichnissen oder metaphorischer Sprache gerückt, um diese Deutungsbedürftigkeit zu charakterisieren (Scholz 1994, 11-37, Pfeifer 2001, 47-55). Zunächst einmal ist dazu aus exegetischer Sicht festzuhalten, dass Wundergeschichten keine Gleichnisse sind, sondern in den Evangelien narratologisch betrachtet auf derselben Ebene liegen wie die Erzählungen über Streitgespräche, das letzte Abendmahl oder den Tod Jesu. Gleichnisse dagegen sind durch verschiedene sprachliche Signale klar als Gleichnisse ausgewiesen (dazu Zymner 1991, 87-96; Massa 2000, 224-231): Sie sind Erzählungen innerhalb der Erzählung; sie werden durch Formeln wie »Das Himmelreich gleicht …« eröffnet; beim Wort genommen, etwa als Erklärungen Jesu zum Thema Ackerbau oder Schafhaltung, wirken sie im Kontext thematisch deplaziert, so dass nach einem tieferen Sinn gesucht wird. All diese Merkmale fehlen den Wundergeschichten. Allerdings gibt es auch bei den Wundergeschichten exegetisch feststellbare Signale, die Leserinnen und Leser nach einer anderen Sinnebene suchen lassen als der, die Geschichte als Erzählung von einem Ereignis im Rahmen des (erzählten) Wirkens Jesu zu verstehen: Eine übertragene Deutung wird möglich, wenn das erzählte Geschehen einem kulturell vorgegebenen Bildfeld angehört. So ist etwa die metaphorische Verwendung von »blind sein« für andere Wahrnehmungs- und Erkenntnisprozesse (z. B. etwas nicht verstehen oder blind sein vor Liebe) sowohl in der Antike wie in unserer modernen Umwelt geläufig und legt eine entsprechende Deutung von Blindenheilungen nahe (z. B. im Hinblick auf Mt 20,29-34). Aus der Möglichkeit metaphorischer Deutung aufgrund solcher Bildfelder kann allerdings nicht gefolgert werden, dies sei der einzig mögliche Sinn oder die Erzählung sei – wie ein Gleichnis – ausschließlich oder in erster Linie wegen dieser übertragenen Deutungsmöglichkeit erzählt worden. Die Beobachtung, dass von anderen Personen z. B. aus der jüdischen oder griechisch-römischen Welt ähnliche Wunder berichtet werden, ließ in der Exegese die Idee aufkommen, hier sei die Erzählung vom Wunder Jesu durch Einfluss aus der Umwelt im Zuge der Überlieferung verändert oder gar etwas auf Jesus übertragen worden, um so eine bestimmte Idee oder Glaubensvorstellung über Jesus zum Ausdruck zu bringen. Redaktionskritische Arbeit hat gezeigt, dass die Evangelisten ihre Vorlagen verändert und möglicherweise bestimmte Wundergeschichten sogar erst geschaffen haben. Die Beobachtungen zeigen, dass Wundergeschichten nicht nur um ihres Ereignisbezuges, sondern auch als Ausdruck des Glaubens weitererzählt worden sind. Es stellt sich aber auch die Frage, welche Gründe der Glaube an Jesus hat, warum und unter welchen Voraussetzun143
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gen es zu Motivübertragungen kommen konnte. Ohne Anhaltspunkt beim irdischen Jesus ist das kaum denkbar; dass Jesus Heilungen und Exorzismen vollbracht hat, gilt historisch heute vielen als wahrscheinlich und dürfte Haftpunkt für die Übertragungen sein. Auch die Auffassung, das Erzählte könne so nicht wirklich passiert sein, oder die Ansicht, als Nachricht von einem historischen Ereignis verstanden sei der Text für uns heute nicht relevant, kann dazu motivieren, nach einem anderen Sinn zu suchen, um dessentwillen die Geschichte weitererzählt wird. Der Auslöser liegt in diesem Fall also im Ereignisbezug der Geschichte. Dieser Mechanismus setzt zudem die Grundannahme voraus, der Text müsse etwas zu sagen haben (etwa weil er in der Bibel steht oder weil er vielen Menschen wichtig ist); andernfalls könnte man den »erfundenen« oder irrelevanten Text ja auch einfach übergehen. Sowohl vom Ereignisbezug wie vom biblischen Kontext der Wundergeschichten wird noch die Rede sein. Wundergeschichten sind Erzählungen, diese Einsicht ist auch für die Bibeldidaktik von elementarer Bedeutung. Narratologisch betrachtet legen sie nahe, die Wunder als Teil des Wirkens Jesu zu betrachten und in diesem Rahmen zu verstehen. Daneben gibt es auch Indizien für andere Sinnbildungsprozesse: sie metaphorisch zu deuten, sie als Ausdruck des Glaubens der Erzähler und ihrer Adressaten zu verstehen, ihnen im Kontext der Bibel oder des kirchlichen Glaubens einen tieferen Sinn zu geben. Diese Sinnbildungsprozesse basieren aber jeweils auf dem Verständnis der Wundergeschichten als Teil des Wirkens Jesu, das grundlegend ist.
4. Die Rezeption der Wundergeschichten durch Schülerinnen und Schüler Wie verstehen nun Kinder und Jugendliche diese Erzählungen? Neben den Gleichnissen gehören die Wundergeschichten zu jenen biblischen Texten, deren Rezeption durch Schülerinnen und Schüler vergleichsweise intensiv, wenn auch sicher noch nicht gründlich und breit genug untersucht ist (v. a. Blum 1997; Bee-Schroedter 1998; Büttner 2002; Hanisch 2007). Das Verständnis der Wundergeschichten hängt von den kognitiven und religiösen Entwicklungsprozessen ab, die Schüler(innen) durchlaufen. Die gängigen Theorien von Piaget, Fowler, Oser/Gmünder und anderen haben Implikationen für das Wunderverständnis von Kindern und Jugendlichen, die hier nur kurz und exemplarisch angedeutet werden können (für einen Überblick Kollmann 2011, 183-189; ausführlicher BeeSchroedter 1998, 194-253). So hängen wichtige Elemente der Wunderdeutung wie die Möglichkeit, Fiktion und Wirklichkeit zu unterscheiden, historische Entstehungs- und Überlieferungsprozesse von Texten zu durchschauen und in ihren Konsequenzen abzuschätzen, Gattungen zu reflektieren oder übertragene Sinndimensionen zu entdecken, von kognitiven Fähigkeiten ab, die sich typischerweise im Laufe der Schulzeit in einer bestimmten Abfolge nach und nach erst entwickeln und deshalb nicht in allen Klassenstufen und bei allen Schülern gleichermaßen zur Verfügung stehen (Piaget). Wenn gefragt wird, wie der für die neutestamentlichen Wundergeschichten so wichtige »Glaube« mit dem Geschehen von Heilungen zusammenhängt, lässt die Theorie zum religiösen Urteil von Oser/Gmünder je nach Entwicklungsstand Unterschiedliches erwarten: Ist der Mensch von Gott und seinem Willen ganz abhängig (Stufe 1)? Dann kann er nur glaubend hoffen und warten. Kann er das Handeln Gottes im Sinne von »tu ich dir, dann 144
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tust du mir« beeinflussen (Stufe 2)? Dann kann Heilung als Belohnung für den richtigen oder besonders starken Glauben gedeutet werden. Versteht sich ein Mensch in seinem Tun als unabhängig und frei gegenüber transzendenten Mächten (Stufe 3)? Dann erscheint es unsinnig Heilung durch ein Eingreifen Gottes zu erwarten. Um Gespräche mit Schülerinnen und Schülern angemessen planen, v. a. aber wahrnehmen und begleiten zu können, sind Kenntnisse der Theorien und Überlegungen zu ihren Folgen für das Wunderverständnis von Schülerinnen und Schülern hilfreich. Das lässt sich an Heike Bee-Schroedters Studie gut nachvollziehen, die exemplarisch das Wunderverständnis von drei Heranwachsenden im Alter von 9 bis 20 Jahren mit Hilfe von Theorien zum religiösen Urteil, zum Weltbild, zum sozialen Verstehen sowie zum Symbolverständnis zu erklären versucht (Bee-Schroedter 1998, 269-455). Bestimmte Aspekte des Wunderverständnisses und ihre Entwicklung sind in Einzelstudien näher untersucht worden. Gerhard Büttner hat Schüler(innen) der Klassen 19 mit einer Erzählung konfrontiert, in der Kinder Zeugen werden, wie die Jünger Jesu auf dem See Gennesaret durch einen Sturm in lebensbedrohliche Gefahr geraten (Büttner 2002, 115f.). Die Erzählung bricht ab, als Jesus hinzukommt und von den Kindern aufgefordert wird, etwas für seine Freunde zu tun. In Stile einer Dilemmageschichte steht die Frage im Raum, wie Jesus sich nun verhalten wird. Zumindest einige Schülerinnen und Schüler nehmen die Nähe der Situation zu anderen biblischen Geschichten wahr (zur Sturmstillung und zum Seewandel Jesu, auch zur Teilung des Schilfmeeres durch Mose) und bringen diese Assoziationen in das Gespräch über mögliche Auswege ein, so dass eine Nähe zu biblischen Wundergeschichten besteht. In der Auswertung der Ergebnisse (Büttner 2002, 125-261, zusammenfassend 266-268) wird von Büttner auf der einen Seite herausgestellt, wie sich die Erwartungen an die Art eines möglichen Handelns Jesu verändern. Während jüngere Schülerinnen und Schüler mit der Macht Jesu über den Sturm rechnen oder mit der Möglichkeit, er könne über das Wasser gehen um zu helfen, begegnen zum Ende der Grundschulzeit und zu Beginn der Sekundarstufe I zunehmend Vorstellungen, die ein Handeln Jesu oder Gottes erwarten, das ein Eigenrecht der Welt und ihrer Abläufe berücksichtigt und um ein Verstehen des Handelns bemüht ist, das zumindest partiell im Einklang mit »naturwissenschaftlichem« Wissen steht, wobei »hybride«, aus Sicht der Erwachsenen durchmischte Vorstellungen begegnen. Dazu gehört beispielsweise die Erwartung, Jesus lenke den Wind um, der dann das Boot an Land treibe. Die artifizialistischen Vorstellungen lösen sich auf und werden in den von Büttner untersuchten Gruppen in Klasse 8-9 weitgehend nicht mehr vertreten oder sind zumindest gebrochen (indem z. B. ironisierend darauf rekurriert wird). Handeln Gottes oder Jesu wird zunehmend als subjektorientiertes Handeln verstanden: Sie machen Mut, geben Hoffnung, stärken die Menschen in Not usw. Büttner betont die verbreitete Erwartung, dass von Jesus oder Gott Hilfe kommt, an der auch festgehalten wird, wenn das Wie dieser Hilfe immer unklarer wird. Diese Erwartung lässt sich mit der kognitiven Kategorie ›Finalismus‹ verbinden, d. h. mit der Erwartung von Kindern, was in der Welt geschehe, diene einem Zweck oder Ziel und werde letztlich zu einem guten Ende führen (Büttner 2002, 126f.; vgl. Fetz/Reich/Valentin 2001, 181f.). Diese Sicht gerät durch die veränderte Sicht des Handelns Gottes und Jesu zunehmend in die Krise, was auf das Gottesbild zurückwirkt. Kinder sehen meist noch keine Theodizeeproblematik oder nehmen Gott in Schutz (Oberthür 2002, 120145
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128). Von Jugendlichen wird dann häufiger im Kontext der Theodizeeproblematik mit dem Fehlen von Wundern und einem Eingreifen Gottes gegen dessen Existenz, Gerechtigkeit oder Macht argumentiert (z. B. Blum 1997, 174, Zeile 156-165; vgl. auch Schambeck/Stögbauer 2007, 145-159). Sie haben oft ein naturalistisches, von den Naturwissenschaften und ihren Erkenntnissen geprägtes Weltbild, das keinen Platz für ein Handeln Gottes lässt (Fetz/Reich/Valentin 2001, 256-258). Allerdings zeigt eine andere Studie in einem stark christlich geprägten Milieu eine auffallend hohe Bereitschaft, hinter der Bewahrung in einer Notsituation ein Eingreifen Gottes zu erkennen (Hanisch 2007, bes. 142f.150-153), und verweist so auf den Einfluss der Sozialisation. Die Studie von Büttner macht auch auf die Frage des Verhältnisses von Jesus und Gott aufmerksam. Gehören beide anfangs für Kinder noch eng zusammen und hat Jesus als Sohn Gottes Anteil an dessen Macht, so differenziert sich das Verhältnis später aus und Jesus wird deutlicher als Mensch gesehen. Beachtlich ist die verbreitete, durch die neutestamentlichen Texte jedoch wenig gedeckte Vorstellung, Jesus bete, woraufhin Gott dann handle (Büttner 2002, 268f.; auch bei Blum 1997, 147.157; Oberthür 2006, 102). Auch dies zeigt noch einmal den ausgeprägt theo-logischen Zug, den die Wunderthematik aus der Sicht von Kindern und Jugendlichen hat. Büttner untersucht im engeren Sinne nicht das Verstehen einer Wundergeschichte durch die Schülerinnen und Schüler, sondern anhand einer »wunderaffinen« Geschichte Erwartungen an helfendes Handeln Jesu und deren Hintergrund. Dagegen ist die Studie von Blum unmittelbar auf Wundergeschichten und deren Verstehen ausgerichtet. Ein wesentlicher Unterschied besteht darin, dass nicht wie bei Büttners »Dilemma-Geschichte« offen bleibt, was geschieht, sondern die Wundergeschichten mit der Behauptung eines wunderbaren Handelns Jesu konfrontieren. Blums Fokus ist darauf gerichtet, wie Schüler(innen) mit der in den Wundergeschichten augenscheinlich begegnenden Behauptung, Jesus habe Wunder gewirkt, umgehen. Dabei werden von ihm vier Deutungskategorien unterschieden, die bei den Schülerinnen und Schülern zu beobachten sind: (1) die Ablehnung der Möglichkeit von Wundern (vor dem Hintergrund naturwissenschaftlichen Denkens), (2) ein »apologetisch-wortwörtliches« Verstehen, (3) »natürliche« Erklärungen des Geschehens (im Sinne rationalistischer Wunderdeutungen), (4) »symbolisch-übertragene« Deutungen, worunter Blum all jene Deutungen fasst, die die Geschichten nicht als Erzählungen von Ereignissen verstehen, wie die drei vorausgehenden Deutungskategorien, sondern metaphorisch, kerygmatisch oder psychologisch deuten. Daneben beobachtet Blum »vermischte« Deutungen; »vermischt« sind Deutungen, bei denen verschiedene Wundergeschichten in unterschiedlichen Kategorien interpretiert werden (z. B. eine wortwörtlich-apologetisch, die andere symbolisch-übertragen) oder die zu einer Geschichte Äußerungen aus verschiedenen Kategorien aktualisieren (Blum 1997, 130-135). Blums Studie erfasst 10- bis 19-Jährige, setzt also später ein als Büttner und schließt auch Altersstufen jenseits der Klasse 9 ein. Der Schwerpunkt liegt auf der Altersgruppe zwischen 14 und 17 Jahren. Wichtige Beobachtungen sind (Blum 1997, 136-170, bes. 144.155): (1) Das von Blum so genannte apologetisch-wortwörtliche Verstehen kommt in allen Alterstufen vor, in der Altergruppe jenseits des 15. Lebensjahres jedoch deutlich seltener. Hier dürfte sich die von Büttner beschriebene Entwicklung einer Auflösung des artifiziellen Denkens abbilden und den von ihm beschriebenen Trend bestätigen. Dass 146
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der Typus nicht völlig verschwindet (vgl. auch Hanisch 2007, 145-149), könnte auf den Faktor Umwelt verweisen. (2) In allen Altersstufen kommen mehrere der Kategorien vor, in fast allen auch Probanden, die der Kategorie »vermischt« zugeordnet sind. Die zeigt noch einmal: Es ist mit einer Vielzahl von den Kindern und Jugendlichen plausiblen Deutungsmustern zu rechnen (vgl. auch Hanisch 2007, 145-147) und religionspädagogisch umzugehen. Die Diskussion der letzten Jahre und Jahrzehnte betont dabei stark, dass die Deutungen der Kinder und Jugendlichen zu würdigen und ernst zu nehmen, nicht als defizitär zu beurteilen sind. Dieser Ansatz wird in Konzepten wie einer entwicklungsorientierten Bibeldidaktik (Schweitzer 1999; Roose 2009) oder dem Theologisieren mit Kindern und Jugendlichen aufgenommen (dazu M. Zimmermann 2012). Ein von Anfang an diskutiertes, aber nicht abschließend gelöstes (und wohl auch nicht wirklich »lösbares«) Problem ist die Balance zwischen dem Respekt vor der eigenen Sicht der Kinder und Jugendlichen einerseits und einem notwendig mit normativen Entscheidungen über Werte, Ziele und Kompetenzen verbundenen (religions-)pädagogischen Handeln andererseits (z. B. die »Bucher-Grom-Debatte« in KatBl 114 [1989], 654-662.790-793; 115 [1990], 170-190 oder Schweitzer 2007). (3) Die »symbolisch-übertragenen« Deutungen kommen erst ab einem Alter von 14-15 Jahren regelmäßiger vor. Dies wird eng mit der kognitiven Entwicklung zusammenhängen, da dieser Typus formal-operationale Fähigkeiten voraussetzt, die jüngeren Schülern in der Regel noch nicht oder nur eingeschränkt zur Verfügung stehen (Blum 1997, 165-167.207f.). Teils wird daraus die Folgerung gezogen, entsprechende kognitive Fähigkeiten früh grundzulegen und gezielt zu fördern (Scholz 1994, 160-176), teils werden für jüngere Schülerinnen und Schüler andere Zugänge favorisiert, die nicht auf die Fähigkeit zu formal-operationalen Verstehensprozessen bauen (Blum 1997, 210-215). Seltener wird heute die Eignung der Wundergeschichten für jüngere Schüler grundsätzlich in Frage gestellt (zur Diskussion Ritter 1994; 1995) – zu Recht, steht hinter einer solchen Entscheidung doch eine problematische Festlegung auf einen bestimmten Deutungstypus als den vermeintlich »richtigen«. In den Studien zur Rezeption zeichnen sich Möglichkeiten und typische Modelle ab, wie sich Vorstellungen vom Handeln Jesu und Gottes in der Welt im Zuge der religiösen Entwicklung verändern, auch wenn die Form und das Ausmaß der Veränderungen sozialisationsabhängig sind und individuell sehr unterschiedlich verlaufen, was zu heterogenen Lerngruppen führt. Die Veränderungen stellen Schüler(innen) im Laufe der Schulzeit vor die Aufgabe, ihr Verständnis von Wundergeschichten neu zu orientieren. In dieser Neuorientierung spiegeln sich Grundfragen des Gottes-, des Christus- und des Weltverständnisses.
5. Die Wundergeschichten als Teil der Bibel Die einzelne Wundergeschichte ist Teil einer größeren Schrift und partizipiert an deren Inhalten, Merkmalen und Pragmatik. Umgekehrt wirkt es auf die Gesamtwahrnehmung einer Schrift zurück, wenn sie Wundergeschichten enthält. Für die exegetische Diskussion der Wundererzählungen spielt dieser Zusammenhang eine wesentliche Rolle (z. B. bei David Friedrich Strauß oder bei der redaktionsgeschichtlichen Deutung von Wunder147
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geschichten). Er ist auch jenseits wissenschaftlicher Zusammenhänge wirksam. Die Bibel bietet so einen wesentlichen Verstehenskontext für die Erzählungen von den Wundern Jesu: sei es, dass die Wunder auf das nahegekommene oder schon im Anbruch befindliche Reich Gottes gedeutet werden; sei es, dass der Schöpfungsglaube als Hintergrund der so genannten »Naturwunder« erkannt wird; sei es, dass nach der Person des Wundertäters Jesus gefragt wird. In allen Fällen wird – auch im Religionsunterricht – auf den biblischen Kontext rekurriert und dieser für das Verstehen der Geschichten fruchtbar gemacht. Isoliert von diesem Kontext werden die Erzählungen kaum je betrachtet. Wird die einzelne Wundergeschichte als Teil der biblischen Überlieferung wahrgenommen, dann ist die Bibel gewissermaßen zum Gesprächspartner der Schüler(innen) geworden und bringt dabei allerlei mit ein in dieses Gespräch, z. B. ihre Autorität als Heilige Schrift des Christentums oder die Geschichte ihrer Rezeption. Umgekehrt begegnen die Schülerinnen und Schüler der Bibel mit bestimmten Erwartungen oder Voreinstellungen. Dieses weite Feld hier zu erschließen ist nicht möglich. In den Blick genommen werden sollen nur einige Aspekte, die in der bibeldidaktischen Diskussion um die Wundergeschichten thematisiert werden. In Ingo Baldermanns Bibeldidaktik sind Sprache, Verlauf und Ziel des Gesprächs über die Wundergeschichten in der Bibel selbst begründet, für ihn ist biblische Didaktik »zuallererst die der Bibel eigene Didaktik, ihre Art zu reden. Wir fragen danach, weil wir die Bibel nicht mehr als das Buch einer Lehre nehmen, die so und nicht anders Geltung beansprucht, sondern als ein Buch des Lernens, das auf immer neuen Wegen Menschen die Augen öffnen will für Erfahrungen, die Hoffnung stiften« (Baldermann 1996, Vorwort). Im Rahmen solcher Wege liest er auch die Wundergeschichten als Hoffnungsgeschichten (exegetisch anknüpfend an Gerd Theißen) und bettet sie in einen Bogen ein, der Kinder an das für die Verkündigung Jesu zentrale »Reich Gottes« heranführen soll (Baldermann 2002, 11-51; 1996, 69-81). Das »Reich Gottes« ist dabei für Baldermann eine Vision, ein Traum von der Art Träume, die die Kraft haben, Wirklichkeit zu verändern, weil sie Hoffnung und Sehnsucht wecken. Baldermann beginnt das Gespräch zwischen Bibel und Schülern mit Sätzen, die er in den Seligpreisungen der Bergpredigt findet: »Weinende werden lachen, Hungernde werden satt, Sanftmütige werden die Erde besitzen«. Solche Sätze sind für Baldermann eine elementare Form biblischer Sprache; die Begegnung mit elementaren Sätzen ist der erste Schritt auf verschiedenen Wegen seiner biblischen Didaktik, auch bei der Arbeit mit den Psalmen, die der Wunderdidaktik vorausgeht. Die elementaren Sätze werden auf Wortkarten geschrieben, die Kinder loten sie im Gespräch oder gestalterisch in Collagen und Bildern aus, es werden analoge eigene Sätze gebildet und vieles mehr. Die Sätze dienen der Alphabetisierung der Kinder, d. h. sie sollen eine Sprache bieten, in der die Kinder ihre eigenen Erfahrungen wiederfinden und in Worte fassen können. Erzählungen sind demgegenüber eine komplexere Sprachform. In ihnen werden die Erfahrungen und Hoffnungen, die die Sätze formulieren, mit narrativen Mitteln entfaltet und fortgeschrieben. Deshalb kommt es darauf an, sich in die Erzählung hineinzubegeben, sich mit den Figuren zu identifizieren, den im Zuge der Geschichte geschehenden Transformationsprozess (etwa von Krankheit zu Heilung oder von Hunger zu Sättigung) nachzuvollziehen. Baldermann initiiert und beobachtet dabei Verschränkungen der Sprachformen: Um Gefühle der erzählten Figuren auszudrücken, greifen Kinder auf elementare Sätze z. B. aus dem Psalmen zurück. In diesem Ineinandergreifen der Sprachformen wird ein Element dessen sichtbar, was Baldermann mit bi148
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blischer Didaktik als Didaktik der Bibel meint. Im Hinblick auf das Reich Gottes dienen die Wundergeschichten dazu, den Traum, der sich in den elementaren Sätzen der Seligpreisungen artikuliert, mit dem Wirken Jesu zu verknüpfen, denn sie erzählen davon, wie durch ihn Leid überwunden wird oder Hungernde satt werden. Mit den elementaren Sätzen der Psalmen oder der Seligpreisungen lässt sich die Hoffnung artikulieren, es möge einer kommen, der Trauer, Hunger, Krankheit und Gewalt beseitigt. Die Wundergeschichten erzählen davon, wie wirklich bereits einer gekommen ist und dies getan hat. Der Bogen kann dann weiter gespannt werden über Gleichnisse bis zu den Osterzählungen als Geschichten der Hoffnung gegen den Tod (Baldermann 2002, 81-152; ders. 1996, 198-233). So werden die Wundergeschichten auch theologisch in größere Zusammenhänge einer biblischen Didaktik des Erlernens von Hoffnung eingebettet. Nicht nur Sprache, Verlauf und Ziel des Gesprächs, auch die Autorität des Gesprächspartners Bibel wird von Baldermann in den Blick genommen. Im Zusammenhang seiner Reflexion des Erzählens legt er Wert darauf, den Unterschied zwischen biblischen Geschichten und Märchen zu markieren, die auch auf die Kraft der Phantasie setzen, Hoffnungen artikulieren können und Ähnliches, und macht ihn in der geschichtlichen Erfahrung fest, die diese Erzählungen vermitteln. »Wohl braucht die Hoffnung die Kraft der Phantasie und die Bilder der Träume, um sich zu entfalten; sie braucht sie wie das Licht und die Luft; doch der Boden, in dem sie Wurzeln fasst, ist allein die glaubwürdig vermittelte Erfahrung … Wo wir Hoffnung vermitteln wollen, wird nach der Autorität dieser Hoffnung gefragt. Es kommt darauf an, dass wir sie an der richtigen Stelle und in der richtigen Weise geltend machen« (Baldermann 2002, 46). Baldermann will die Autorität durch die Authentizität des Erzählens gewährleisten. Die Forderung nach Authentizität entfaltet er in zwei Richtungen: einerseits im Sinne eines authentischen Redens von den Leiden und Hoffnungen derer, von denen erzählt wird, andererseits im Sinne einer Authentizität des Erzählers, der nicht neutral und distanziert erzählen darf, wenn die Begegnung gelingen soll, sondern sich mit seiner eigenen Person, mit dem, was die Geschichte in ihm bewegt, in das Erzählen einbringen muss (Baldermann 2002, 4648; ders. 1996, 99f.). Baldermann setzt also einerseits auf die Erfahrungen, die er auch bei den Kindern durch die elementaren Sätze ins Bewusstsein gebracht hat. Sie finden ihre Entsprechungen in den Erfahrungen, die die Texte vermitteln. Andererseits gewährleistet die Person der Lehrerin oder des Lehrers, die die Wundergeschichte im Unterricht als »ihre/seine« Geschichte neu erzählt, deren Autorität. Sie wird zur biblischen Nach-Erzählerin, die das Erzählte auch mit der eigenen Erfahrung verbürgt. Baldermanns Bibeldidaktik ist von positiven Erfahrungen mit der Begegnung zwischen Schülern und Bibel bestimmt. Sie ist v. a. in der Grundschuldidaktik verankert und bewährt. Während Wundergeschichten auf Grundschüler erfahrungsgemäß oft noch Faszination ausüben, scheint die Relevanz der Texte im Jugendalter zu schwinden. Bei kirchlich sozialisierten Jugendlichen werden Glaubenskonflikte sichtbar (z. B. in den Interviews von »Riccarda«, aber auch von »Thomas« bei Blum 1997, 189-194 bzw. 180184). Die Krise ist mit der Entwicklung des Wunderverständnisses der Kinder und Jugendlichen in Verbindung zu bringen. Es tut sich ein Graben auf zwischen dem Autoritätsanspruch einerseits und den Möglichkeiten, einen Zugang zu den Texten zu gewinnen andererseits, gerade in der Sekundarstufe I. Schülerinnen und Schülern dieses Alters die Bibel nahezubringen, ist schon schwierig genug. Besteht nicht berechtigt die Sorge, die Schwierigkeiten mit den Wundergeschichten könnten auf das Verhältnis zur Bibel 149
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insgesamt negativ zurückwirken? Müssen es dann angesichts der hermeneutischen Schwierigkeiten ausgerechnet die Wundergeschichten sein (Wegenast 1999, 44-45)? Die Frage ist berechtigt und kann aus guten Gründen im konkreten Fall auch mit »Nein« beantwortet werden. Es gilt zwar, die Grenzen von »Vermeidungsstrategien« zu reflektieren: Weder die Texte noch die Verstehensschwierigkeiten verschwinden, weil sie im Religionsunterricht nicht thematisiert werden. Plausibel kann das Ausblenden dieses Teils der Bibel aber z. B. als vorübergehende Strategie sein, wenn zu einem späteren Zeitpunkt bessere Voraussetzungen zu erwarten sind (Englert 2005, 192-194). Legitim ist es auch als Entscheidung von Lehrerinnen und Lehrern, die mit diesem Teil der Bibel im Religionsunterricht angesichts der hermeneutischen Schwierigkeiten schlicht nicht klarkommen (Modelle des Umgangs mit schwierigen Bibeltexten bei Fricke 2005, 259-279). Zu suchen ist ein Weg, das Gespräch zu führen, auch wenn es Kommunikationsprobleme und Verständnisschwierigkeiten gibt und man keinen Draht zueinander findet. Baldermann setzt auf Entsprechungen als Grundlage für die Beziehung zum Kommunikationspartner »Bibel«. Auch wer Wundergeschichten im Religionsunterricht z. B. als Ausdruck von Glaubenserfahrungen liest, sucht solche Entsprechungen. Der Gedankengang von Stefan Alkier und Bernhard Dressler nimmt bei der gegenteiligen Annahme seinen Ausgangspunkt, was ihn gerade angesichts der beschriebenen Kommunikationsschwierigkeiten attraktiv erscheinen lässt. Sie notieren die Diskrepanz zwischen unserer Erfahrungswelt und den biblischen Erzählungen und betrachten die Bibel als »fremde Welt«. Wenn wir als Leserinnen und Leser diese Welt betreten, müssen wir »unbedingt damit rechnen, dass die Gesetze und Regeln, die in diesen fremden Welten herrschen, andere sind als die, die unsere Welt bestimmen« (Alkier/Dressler 1998, 166). In dieser fremden Welt gibt es eben Dämonen, kann Jesus mit dem Wort oder der Berührung heilen und dem Sturm gebieten, mag dies auch in unserer Welt nicht so sein. Ziel der Reise in die fremde Welt ist die Begegnung mit ihr – Reisen bildet. Dabei ist zwar jeder Versuch, die fremde Welt zu verstehen, notwendig an das eigene Wissen, die eigenen Erfahrung usw. gebunden, die die Reisenden mitbringen. Doch soll die Reise in eine fremde Welt nicht dazu führen, dass wir sie nur okkupieren, dann gilt als oberste Regel der Respekt vor den Gesetzen dieser Welt: »Wir dürfen in die biblischen Geschichten nicht unser kulturelles Wissen, nicht unsere Rationalismen und auch nicht unsere Empfindungen eintragen, wenn die biblischen Erzählungen wirklich biblische Erzählungen bleiben sollen und wir sie nicht unnötigerweise erzählen lassen, was wir eh schon wissen und immer schon gedacht haben« (a. a. O., 183). Die fremde Welt mit dieser Haltung zu betreten ermöglicht eine wirkliche Begegnung, bedeutet jedoch nicht notwendig, ihre Gesetze unkritisch in die eigene Welt zu übernehmen. So betrachtet ist an den Irritationen und Schwierigkeiten in der Begegnung mit den Wundergeschichten etwas zu gewinnen. Die Wundergeschichten werfen ihrer Sache wegen und im Kontext der Bibel »große« Fragen auf – danach, wo und wie Gott handelt in der Welt, wer Jesus war und ist oder was angesichts des Leids, der Krankheit und der Behinderung von Menschen zu hoffen ist (Beispiele bei Reiß 2010, 131-137). Man kann im Religionsunterricht nicht ständig diese »großen Fragen« behandeln und sie brechen auch nicht allein anhand der Wundergeschichten auf. Die Wundergeschichten wegen der Anstößigkeit ihrer Erzählung als Anlass und Provokation zum Fragenstellen und zum eigenen Reflektieren zu nehmen wäre jedoch eine Chance, ihnen einen Ort zu geben, der die Verstehensschwierigkeiten aufnimmt und ihnen zugleich theologisch gerecht 150
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wird. Die »Sache« und die Welt der biblischen Wundergeschichten bieten Lernchancen, wenn man sich den Widerständen stellt, die sie hervorrufen, und deren Gründe thematisiert.
6. Die Wunder als Ereignisse – noch einmal zur »Sache« der Wundergeschichten Der Ansatz, die Bibel mit ihren Wundergeschichten als fremde Welt zu lesen, bietet reizvolle Möglichkeiten, blendet aber durch den Blick auf die erzählte Welt aus, dass die fremde Welt zu unserer eigenen in Beziehung steht. Dass die Wundergeschichten faktuale Erzählungen sind, war Ausgangspunkt der vorausgehenden Überlegungen. Die Wundergeschichten beanspruchen, von etwas zu erzählen, das sich im Rahmen unserer Geschichte zugetragen hat. Dies holt das Konzept der fremden Welt nicht ein. Die Frage, was gewesen ist, wird in der theologischen Wissenschaft mit dem Mitteln historischer Forschung zu beantworten versucht, sie bietet das Instrumentarium, das der modernen wissenschaftlichen Vernunft entspricht. Die Exegese kommt dabei durchaus zu intersubjektiv nachvollziehbaren Ergebnissen. Es herrscht ein weitgehender Konsens, dass auch in kritisch-historischer Sicht wahrscheinlich von einem Kernbestand »wunderbarer Taten« Jesu auszugehen ist, v. a. von Heilungen und Dämonenaustreibungen. Verschiedene Erklärungen für diese Heilungen und Exorzismen werden diskutiert. Es ist aber auch deutlich, dass der Glaube der Überlieferer an Jesus auf die Erzählungen eingewirkt hat und es zu mehr oder weniger ausgeprägten Veränderungen der Erzählungen in Zuge der Überlieferung gekommen ist. All das ist nach wissenschaftlichen Maßstäben diskutierbar und hilft, den Ereignisbezug der Wundergeschichten besser zu verstehen, Glaube und Rationalität besser zu vereinbaren. Damit ist ein wesentlicher Grund gegeben, in elementarer Form historisches Fragen von Schülern einerseits und wissenschaftlichen Kenntnisstand zur historischen Erforschung der Wunder Jesu andererseits in religionsdidaktischen Zusammenhängen zu berücksichtigen und einzubinden. In einer ersten Form kann dies über die Textauswahl geschehen, z. B. durch die Beschränkung auf Heilungserzählungen. »Grundsätzlich haben Heilungswunder als Reflexe des historischen Wirkens Jesu den Vorteil, dass dort die für die Wunderdidaktik so problematische Kluft zwischen Glaubensbotschaft und Wahrheitsgehalt des Erzählten bei weitem nicht so tief wie bei den Totenerweckungen oder Naturwundern ist« (Kollmann 2011, 193). Die Frage, ob das Erzählte wirklich passiert ist, lässt sich hier gegebenenfalls zumindest grundsätzlich bejahen, ohne in Konflikte mit der rationalen Vernunft zu kommen oder diese Aussage später gegenüber den älter gewordenen Schülern zurücknehmen zu müssen. Auch die von Werner H. Ritter vorgetragene Unterscheidung zwischen Jesusgeschichten und Christusgeschichten beruht auf diesen exegetischen Erkenntnissen (Ritter 2008, 281 f. und 294-296; ähnlich Oberthür 2006, 100). Weiterführende Fragen, wie das denn geschehen könne, kann man – diese Linie weiterverfolgend – mit rationalistischen Erklärungsmustern zu beantworten versuchen. Psychologische, psychosomatische und ähnliche Erklärungsmuster für Heilungen und Exorzismen sind ja auch in der wissenschaftlichen Exegese verbreitet (z. B. Theißen 2007a, 38-48). Michael Fricke berichtet aus einem Gespräch mit Drittklässlern über die Teilung des Meeres durch Mose (Ex 14), dass die von ihm referierte rationalistische Deutung – der Wind habe das Wasser weggedrückt, 151
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so dass die Hebräer gerade noch hindurchgehen konnten, und als der Wind dann nachgelassen hätte, seien die Ägypter ertrunken – von den Schülerinnen und Schülern dankbar aufgenommen wird. Sie machen die befriedigende Erfahrung, dass sie ihrem Verstand trauen können und mit ihrem kritischen Fragen auch im Religionsunterricht recht haben. Die Erfahrung hat aber auch einen Preis, der zumindest vorläufig zu zahlen ist, bis ein neuer Anlauf auf die Erzählungen unternommen werden kann: Die Erfahrung der Macht Gottes, die das biblische Wunderverständnis wesentlich bestimmt, ist verschwunden. »Des war ja gar kein Wunder! Ist ja bobsi zu kapieren! Ich glaub’ schon an die Geschichte, Schilfmeer, Ebbe, das gibt’s ja heute noch, dass man einfach durchs Meer latschen kann, in Hamburg« (Fricke 2005, 533). Natürlich darf und muss das Verstehen nicht an diesem Punkt stehen bleiben. Die hier gebotene Erklärung ist auf Dauer nicht zufriedenstellend. Ein rationaler Zugang zu den Wundergeschichten ist eine Spiralbewegung, die das Sich-Wundern, welches die Macht Gottes ahnen lässt, immer wieder verliert und neu gewinnt. In höheren Klassen kann der Versuch einer historischen Urteilsbildung gemeinsam mit den Schülern unternommen werden. Ausgangspunkt des Lernweges können Fragen der Schüler sein. Methodisch wichtig ist die Rückbindung an den Text und seine argumentativ begründete Interpretation, die die Gründe für das jeweilige historische Urteil sichtbar macht. Auch die Lehrkraft ist wie die Schüler nur Leserin des Textes. Sie hat durch ihre theologische Ausbildung einen Vorsprung an Wissen und Erfahrung im Umgang mit den Texten, aber auch sie weiß nicht, wie es wirklich war. Die historische Betrachtung der Taten Jesu folgt bestimmten Regeln, die nicht nur für die wissenschaftliche Arbeit relevant sind, sondern unvermeidlich auch den unterrichtlichen Umgang mit den Wundergeschichten bestimmen, falls er sich auf das historische Fragen einlässt. Es sind nicht nur Regeln, die beachten muss, wer wirklich auf dem Weg historischer Forschung bleiben und nicht unversehens abzweigen will. Was vielleicht noch wichtiger ist: Die Regeln bestimmen und begrenzen die Art und Weise, wie der Gegenstand wahrgenommen wird – so wie die Route zur Anfahrt auf eine Stadt bestimmt, von welcher Seite sie sich mir zeigt. (1) Historische Arbeit ist auf Quellen und deren Bewertung angewiesen. Quellen sind immer perspektivisch, selektiv, bereits Deutungen des Wahrgenommenen. Einen anderen, gar einen unmittelbaren oder »unverfälschten« Zugang zum Geschehen gibt es nicht. Wer sich auf die historische Frage einlässt, muss bereit sein zur mühsamen Arbeit mit historischen Quellen und ihrer kritischen Analyse. (2) Historische Urteile sind Wahrscheinlichkeitsurteile. Die Antworten sind selten ein klares Ja oder Nein. Sicherheit ist die Ausnahme, der Zweifel ein Grundprinzip des Arbeitens. Wer historisch fragt, muss mit Urteilen wie »eher nicht«, »vermutlich«, »recht sicher« und ähnlich klarkommen. Solche Urteile sind im Falle der Wundergeschichten möglicherweise nicht leicht auszuhalten, denn sie rühren an Grundpfeiler des Gottesglaubens und des Weltbildes. (3) Historisches Urteilen folgt dem Analogie- und dem Korrelationsprinzip: Als historisch wahrscheinlich gilt den Menschen, was ihren sonstigen Erfahrungen entspricht (Analogie). Dass Vögel fliegen, glauben sie viel eher, als wenn einer dasselbe von Pferden behauptet. Ereignisse und Sachverhalte werden aus innerweltlichen Ursache-WirkungsZusammenhängen heraus verstanden (Korrelation). Wer historisch zu arbeiten beginnt, gerät deshalb schnell auf Pfade, die den Wundern das Wunderbare nehmen. Heilungen Jesu mit Placebo-Effekten zu erklären, wie sie die moderne Medizin und Psychologie 152
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erforschen, macht sie rational nachvollziehbar. Auf die Sehnsucht nach dem rettenden Handeln Gottes bieten Geschichten von Placebo-Heilungen jedoch keine befriedigende Antwort. (4) Historisches Urteilen ist perspektivisch, hängt ab vom Standpunkt des Forschenden, der sein Weltbild und seine Plausibilitäten einbringt. Wer historisch fair urteilen will, muss sich des eigenen Standpunktes, seiner Eigenheiten, Prägungen und Grenzen – auch im Unterschied zu dem der biblischen Erzähler – bewusst werden. Zu den Kompetenzen, die ein historischer Zugang zu den Wundern Jesu im Religionsunterricht anstrebt, gehört langfristig nach Möglichkeit auch ein zunehmendes Verständnis für die Eigenarten, Merkmale und Grenzen dieses Zugangs, allerdings ist ein solches methodenkritisches Denken kognitiv anspruchvoll. Die Frage nach dem Ereignisbezug der Texte ist also mit historischen Mitteln behandelbar – in gewissen Grenzen auch im Unterricht. Unbeschadet der Möglichkeit einer historischen Rückfrage nach dem Wunderwirken Jesu stellt sich allerdings auch die Frage, ob sie sinnvoll und fruchtbar ist. Sowohl auf exegetisch-theologischer wie auf religionspädagogischer Seite wird dies von nicht wenigen verneint oder skeptisch gesehen (z. B. Scholz 1994, 156-160; Baldermann 1996, 206; Englert 2005, 188-192). Wie begrenzt die Perspektive ist, die sich historische Forschung durch ihre eigene Methodik aufzwingt, ist sichtbar geworden. Die historisch befragten Wundergeschichten taugen nicht als Beweis für die Gottessohnschaft Jesu oder die göttliche Herkunft der Botschaft, die er verkündet. Historisch nachvollziehbar ist, wie und woraufhin der Glaube entsteht, nicht aber, ob er recht hat. Jedoch scheint es mir zweifelhaft, dass der Ereignisbezug der Texte ohne schwerwiegende theologische Folgen ausgeblendet werden kann – und sich ihm zu stellen impliziert auch, sich ihm mit den Mitteln historischer Vernunft zu stellen (vgl. Münch 2013). Im Kern sind die Wundererzählungen Geschichten über das Handeln Gottes in der Welt, genauer gesagt von einem besonderen Handeln Gottes, das sich von dem unterscheidet, was in der Theologie als Schöpfungshandeln Gottes einerseits und als göttliche Vorsehung andererseits verhandelt wird. Welche Folgen hat es für das Gottesbild, wenn von Gott angenommen wird, er habe gar nicht – wie in der Exodusüberlieferung erzählt und erinnert – zugunsten der Seinen rettend eingegriffen und könne dies womöglich auch nicht (vgl. Meurer 2010)? Welchen Grund hat die Hoffnung auf Jesus, wenn für belanglos erklärt wird, ob er sich den Menschen heilend und befreiend zugewandt hat und ob darin wirklich Gottes Macht sichtbar geworden ist? Diese Fragen können hier nicht weiter diskutiert werden. Sie sollen aber andeuten, weshalb die Frage nach den Wundern als Ereignissen aus theologischer Sicht alles andere als erledigt ist und auch aus religionspädagogischer Sicht aufgegeben bleibt. Die großen Fragen brechen beim Besuch in den fremden Welten auf, sie stellen sich aber nach der Heimreise auch in der eigenen Welt. Deshalb lohnt die Reise – auf verschiedenen Routen.
7. Methoden Abschließend sollen die vorausgehenden Überlegungen zumindest ansatzweise noch einmal in methodischer Rücksicht bedacht werden. Welche Unterrichtsmethoden und Zugänge eignen sich, um sie zur Geltung zu bringen? 153
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Der Text selbst ist zunächst durch seine Narrativität gekennzeichnet. Aufgabe der Methoden ist es hier zum einen, die Erzählung zur Wirkung zu bringen. Das kann z. B. heißen: Die Geschichten werden gut erzählt. Die Verfahren und Konzeptionen des Erzählens biblischer Geschichten gehören zum Standardrepertoire der Religionsdidaktik (einführend z. B. Adam 2010). Prozesse der Identifikation können durch biblische Erzählfiguren unterstützt werden, durch szenische Rollenspiele oder durch Standbilder. Mit zunehmenden sprachlichen Fähigkeiten ist es möglich, die Geschichte aus der Perspektive einer bestimmten Figur neu zu erzählen, einen Tagebucheintrag über die Ereignisse verfassen zu lassen und Ähnliches. Zum anderen können v. a. bei älteren Schülerinnen und Schülern narrative Merkmale durch einfache analytische Verfahren erhoben werden, etwa mit Hilfe von Fragen zum Text oder durch Vergleiche verschiedener Versionen der Erzählung (z. B. synoptischer Parallelen; zu Methoden biblischer Textarbeit Berg 2010). Sofern in den Wundergeschichten metaphorische und symbolische Dimensionen zur Geltung gebracht werden sollen, führt dies in Methodenfragen hinein, wie sie in der Symboldidaktik (vgl. die Standardwerke zur Symboldidaktik von Halbfas 2010; ders. 1990/1991; Biehl 1989; ders. 1993; Früchtel 1991; Oberthür 2009) und im Zusammenhang mit der Förderung metaphorischen Verstehens reflektiert werden (z. B. Oberthür 1995). Ein Verständnis für Metaphern und Symbole wird erfahrungsorientiert aufgebaut: Es muss bei jüngeren Schülerinnen und Schülern z. B. erprobt und erfahren werden, was es bedeutet blind zu sein, um ein Verständnis für die Metapher »blind sein« grundzulegen. Neben Methoden des sprachlichen Umgehens mit der bildhaften Rede treten Formen der kreativen, gestalterischen Auseinandersetzung mit ihnen, etwa das Malen zu Bildworten oder das Gestalten von Collagen. Langfristig ist es aber auch notwendig, einen kritisch-reflektierenden Umgang mit Metaphern und Symbolen zu erlernen, wozu analytische Methoden einerseits und diskursiver Austausch in der Lerngruppe andererseits gehören. Um die Schüler(innen)und ihre Welten in den Unterrichtsprozess einzubeziehen, sind zunächst grundsätzlich Unterrichtsformen erforderlich, die ihnen das Wort geben und Raum zur eigenständigen Reflexion (Gespräche im Stuhlkreis, verschiedene Formen von Diskussionen, …). Darüber hinaus stehen verschiedene Ansätze zur Verfügung, um die Wahrnehmung des Themas »Wunder« in der Lebenswelt der Schüler(innen) im Rahmen des Unterrichts sichtbar zu machen. Filme kommen hier beispielweise in Frage oder Liedtexte von Pop-Songs (dazu Kollmann 2011, 225-233; entwurf 4/2006, 45-57). Zeitschriftenartikel aus Stern, Spiegel, P.M. und anderen Medien können ebenso Ausgangspunkt und Anstoß für die eigene Reflexion zum Verständnis der Wunder sein wie moderne literarische Texte oder Karikaturen. Überblicke über klassische Positionen der Wunderdeutung aus Vergangenheit und Gegenwart z. B. in Form von prägnanten Zitaten bieten inhaltlich gewichtige »Gesprächspartner« zum Thema an (Material z. B. bei Biewald 2002, 46-55 und 66-74; eine Sammlung von Karikaturen zum Thema in Katechetische Blätter 135 [2010] Heft 4). Die Wundergeschichten als Teil der Bibel ernst zu nehmen ist methodisch nicht klar zu fassen. Es kann heißen, tatsächlich mit einer Bibel im Unterricht zu arbeiten. Es kann bedeuten, bewusst immer wieder den Kontext einer Wundergeschichte sichtbar zu machen und in die Arbeit am Text einzubeziehen. Bei Baldermann führt es, wie gesehen, zu charakteristischen Lernwegen und Arbeitsweisen, die auch jenseits der Auseinandersetzung mit den Wundergeschichten bei anderen biblischen Themen wiederkehren (z. B. die 154
Wundererzählungen heute unterrichten
Arbeit mit Wortkarten; dazu auch Oberthür 2010). Bei Alkier und Dressler werden methodische Fragen nur angerissen, laufen aber auf eine intensive, analytische und kreative Auseinandersetzung mit der erzählten Geschichte (z. B. aus der Erzählung ein Drehbuch machen) einerseits und reflektierende Diskussion (über das Gottes- und Weltverständnis) andererseits hinaus (Alkier/Dressler 1998, 184f.). Soll im Unterricht eine Auseinandersetzung mit den Wundern als Ereignissen tatsächlich unternommen werden, sind in elementarisierter Form exegetische Arbeiten notwendig und möglich, z. B. als synoptischer Vergleich. Für religions- und traditionsgeschichtliche Fragestellungen nach Parallelen oder Vorbildern der neutestamentlichen Wundergeschichten ist Quellenarbeit zu leisten. Sie ist angemessen anzuleiten und zu strukturieren. Sammlungen relevanter Quellentexte sind an verschiedenen Orten zusammengestellt (z. B. bei Biewald 2002, 56-65; http://www.uni-siegen.de/phil/antiketexte/ wunder/).
Christian Münch Literatur zum Weiterlesen R. Biewald, Wunder und Wundergeschichten, Leipzig 2002. R. Englert, »Das kann nicht wahr sein!« Wundergeschichten, in: U. Baumann et al., Religionsdidaktik. Praxishandbuch für die Sekundarstufe I und II, Berlin 2005, 183-198. B. Kollmann, Neutestamentliche Wundergeschichten. Biblisch-theologische Zugänge und Impulse für die Praxis, UT 477, Stuttgart 32011, 183-233. R. Lachmann, Wundergeschichten »richtig« verstehen? Bibeldidaktik zwischen historisch-kritischer Exegese, existentialer Interpretation und Rezeptionsästhetik, in: G. Lämmermann et al. (Hg.), Bibeldidaktik in der Postmoderne, FS K. Wegenast, Stuttgart et al. 1999, 205-218 W. Ritter/M. Albrecht, Wunder-Geschichten vom gelingenden Leben als Aufgabe der Religionspädagogik, in: dies. (Hg.), Zeichen und Wunder. Interdisziplinäre Zugänge, BThS 31, Göttingen 2007, 259-289. Themenhefte religionspädagogischer Zeitschriften zu den Wundergeschichten: Zeitschrift für Pädagogik und Theologie 51 (1999), Heft 1; ru 33 (2003), 121-146; entwurf (2006), Heft 4; KatBl 135 (2010), Heft 4.
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Über Wundererzählungen heute predigen (Homiletik der Wundererzählungen) Kein Prediger, keine Predigerin kommt umhin, sich mit der Frage der Hermeneutik der biblischen Wundererzählungen und ihrer Umsetzung in der Predigt zu beschäftigen. Ein Blick auf die geltende Perikopenordnung im Bereich der evangelischen Kirche von 1977/ 78 zeigt, dass die hier getroffene Auswahl der gottesdienstlichen Lesungen die Fülle biblischer Wundererzählungen angemessen berücksichtigt. Wundergeschichten gehören zum Kernbestand der Evangelien und rangieren dort quantitativ noch vor den Gleichnissen Jesu. Die in den Evangelien erzählten Wunder machen etwa 1/3 ihres Textbestandes aus (Köhnlein 2010, 12). Dementsprechend gehören an 32 Sonn- und Feiertagen ein bis maximal vier Wundererzählungen, auch des Alten Testaments und der Apostelgeschichte, zum Proprium des evangelischen Gottesdienstes. Insgesamt finden sich in den sechs Reihen der Perikopenordnung etwa sechzig biblische Wundererzählungen. Für diesen Artikel nicht berücksichtigt sind die Marginaltexte, die vorgeschlagenen Texte für die unbeweglichen Feste und Gedenktage sowie für besondere Tage und Anlässe.
1. Wundererzählungen predigen – Lust und Last Geht man die Perikopenordnung durch, stellt sich immer wieder eine Frage: Wie lassen sich die Wundererzählungen formal von anderen biblischen Textgattungen abgrenzen, in denen Erfahrungen zur Sprache kommen, die ebenso jeder innerweltlichen Logik widersprechen? Wenn z. B. zu Ostern über Hannas Lobgesang gepredigt wird und damit von der Umwertung aller Werte (1Sam 2,1-2.6-8a), folgen die Predigenden Hinweisen auf Wunder, die Gott tut. Gleiches gilt für die Predigt der Schöpfungstexte (Gen 1,1-4a.2631a am Sonntag Jubilate, Reihe V) oder von Perikopen, die den Gott preisen, der Menschen heilt (Jes 42,1-4 [5-9] am 1. Sonntag nach Trinitatis, Reihe VI): Gottes Handeln in dieser Welt ist immer schon als wunderbar zu bezeichnen. Auch die Menschwerdung Gottes und die Rechtfertigung aus Glauben sind Ereignisse, die rational nicht zu begreifen oder zu erklären sind. Letztlich ist die Auferstehung Christi von den Toten das größte Wunder. Wer in dieses Bekenntnis einstimmt, erkennt den Anbruch des Reiches Gottes in Jesus von Nazaret und hat an dieser Geschichte Gottes Anteil (so die Argumentation des Paulus in 1Kor 15,12-20, Predigttext für Ostermontag, Reihe V). Bei näherer Betrachtung zeigt es sich: Wundererzählungen sind von »anderen« Texten nicht leicht abgrenzbar. Mit den einen wie den anderen bezieht sich die Predigt auf Taten Gottes, der tötet und lebendig, arm und reich macht, der erniedrigt und erhöht (1Sam 2,6 f.). In der Folge der dialektischen Theologie gelangte die Wunderfrage in den Zusammenhang der prinzipiellen Homiletik. Es ist bezeichnend, dass sich keine neuere Homiletik findet, die einen eigenen Abschnitt zu diesem Thema enthält. Rudolf Bohren (Bohren 1974, 317-326) überschreibt zwar ein Kapitel mit »Zeichen und Wunder«. Er bezieht dort das Wunder im eigentlichen Sinn allerdings nur auf das Predigtgeschehen: »Predigt als Absolution ist Wunder; in ihr wird Gottes Zukunft schon Gegenwart« (a. a. O., 318). 156
Über Wundererzählungen heute predigen
Ältere Homiletiker, durch die liberale Theologie geprägt, widmen den Wundergeschichten dagegen durchaus eigene Aufmerksamkeit (z. B. Fendt 1949, 71-74). Menschen den Erfahrungshorizont der Wunder Gottes zu öffnen, das ist der Reiz christlicher Predigt. Es gibt etwas, was jenseits aller menschlichen Erwartung liegt, was der Mensch sich nur auf wunderbare Weise schenken lassen kann. Eine solche Erfahrung »lässt sich nicht herbeiführen, sondern ist – wie das Wunder selbst – nur möglich als Folge eines Ereignisses, das in der Theologie Offenbarung Gottes genannt wird« (Jüngel 1977, 41). Sind Wunder im heutigen Sprachgebrauch Ereignisse, bei denen etwas Außergewöhnliches, den Naturgesetzen oder aller menschlichen Erfahrung Widersprechendes geschieht, dann trifft das Predigen über die Wundererzählungen den Kern christlicher Rede von Gott überhaupt. Damit verbunden sind jedoch die Schwierigkeiten, die sich beim Predigen über Wundererzählungen auftun. Bei aller theologischen Klärung bleibt die Frage der Erschließung von Erzählungen, die »Wunderbares« im Sinne von »übernatürlichen Ereignissen« enthalten. Wie können Gottes wunderbare Machttaten so übersetzt werden, dass sie bei den Hörerinnen und Hörern nicht ungläubiges Kopfschütteln verursachen, sondern Glauben wecken? Der Weg der Auseinandersetzung mit übernatürlichen Ereignissen beginnt bereits im Neuen Testament. Für die Kontrahenten Jesu war es keineswegs ungewöhnlich, dass Jesus und seine Jünger sowie die Apostel Wunder wirken können, aber sie bestritten, dass diese Wunder auf der Kraft Gottes beruhen (so z. B. Mk 3,22-27, Mt 12,24). Die Kritiker des christlichen Glaubens in der Antike dagegen unterstellten, die Anhänger der neuen Religion seien Zaubertricks, Lügengeschichten und Ammenmärchen aufgesessen. In der Geschichte der Kirche, etwa bei Augustin oder auch später bei Martin Luther, wurde die Möglichkeit von göttlichen Wundern nicht grundsätzlich in Frage gestellt. Erst seit der Aufklärung beschäftigte sich die Theologie mit der Vereinbarkeit von Wundererzählungen und naturwissenschaftlichem Weltbild. Daraus nun, dass in der Natur nichts geschieht, was nicht aus ihren Gesetzen folgt …, daraus folgt mit völliger Klarheit, dass das Wort Wunder nur mit Beziehung auf die menschliche Anschauung verstanden werden kann und nichts anderes bedeutet als ein Werk, dessen Ursache wir nicht nach dem Beispiel eines anderen gewohnten Dinges erklären können … (Spinoza 1994, 96).
Die von Gotthold Ephraim Lessing in Wolfenbüttel herausgegebenen »Fragmente eines Ungenannten« gaben den Anstoß zu erbittertem Streit um die biblischen Wunder. Einflussreich wurde dabei auch die Deutung, die David Friedrich Strauß den Wundergeschichten im 19. Jahrhundert gab. Er fasste sie als gedichtete Mythen auf, die eine bestimmte Idee ausdrücken wollten. Sie stellten eine Überbietung dessen dar, was im Alten Testament von den Propheten erzählt wurde, um die Messianität Jesu eindrücklich darzustellen (vgl. Theißen/Merz 2001). Diese Auseinandersetzung fand überwiegend auf der akademischen Ebene in einem theologischen und religionskritischen Diskurs statt. Sie zeigte jedoch Folgen in der Art, wie zu den biblischen Wundererzählungen gepredigt wurde. So wollte man dann z. B. im späten 19. Jh. gegen die Angriffe der Religionskritik und im Zusammenhang der 157
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Leben-Jesu-Forschung in den Predigten bezeugen, dass der »geschichtliche Jesus Anfänger und Vollender, erstes Subjekt und bleibendes Objekt unseres Glaubens ist« (Baumgarten 1911, V. Gleichsam programmatisch finden sich in Baumgartens Predigtsammlungen keine Predigten über Wundererzählungen). Von dieser Konzentration auf die Person Jesu Christi her eröffnete sich die Möglichkeit, das für den menschlichen Verstand Unerklärliche der Bibel rational zu deuten. Man zog dazu mit Hilfe des religionsgeschichtlichen Vergleichs Überlieferungen von anderen übernatürlichen Ereignissen heran und kam zu dem Ergebnis, dass im Umfeld der Antike Wunder »etwas ganz Normales« gewesen seien – eine zeitbedingte Hülle für die grundlegende Glaubenswahrheit. Damit im Zusammenhang standen und stehen Erklärungsversuche, die das Wunderhafte spiritualistisch bzw. symbolisch umdeuten. In diesen Kontext gehört auch die formgeschichtliche Analyse der Wundergeschichten, ausgelöst durch Rudolf Bultmann und Martin Dibelius, die diese als symbolische Veranschaulichungen der Gottheit Jesu interpretieren (vgl. z. B. die Wunderinterpretation Bultmanns in seiner Marburger Predigt über Lk 5,1-11: Bultmann 1956, 137-147).
2. Wundererzählungen predigen – zwischen Rationalisierung und Re-Historisierung Wer heute nun Wundererzählungen predigt, wird sich auf eine Gratwanderung einstellen müssen. Der Weg führt zwischen den verschiedenen Ansätzen einer offenen oder subtilen Rationalisierung (z. B. eine einseitige psychologische oder ethische Interpretation) einerseits und einer Re-Historisierung andererseits hindurch. Zunächst ist ernst zu nehmen, dass in den einschlägigen biblischen Erzählungen tatsächlich außerordentliche Machttaten im Mittelpunkt stehen. Damit ist ein Wirklichkeitsverständnis gegeben, das wir heute nicht mehr teilen. Es bleibt uns schwer zugänglich bzw. fremd. Wundererzählungen sind fremde Welten (vgl. Alkier/Dressler 1998, 164f.). Diese fremden Welten sind zu respektieren. Wir dürfen das Wirklichkeitsverständnis, das sich in den biblischen Wundererzählungen ausdrückt, nicht an unseren, durch die Aufklärung geprägten Bedingungen des Verstehens als den scheinbar besseren messen. Insofern sind alle Versuche, die Wunder offen oder subtil zu rationalisieren bzw. symbolisch zu interpretieren, kritisch zu sehen (vgl. Alkier 2001b, 2-15). Auch der Versuch, die Wunder Jesu oder der Apostel historisch zu deuten bzw. sie (fundamentalistisch) zu re-historisieren, führt in eine Sackgasse. Letztlich wird auf diese Weise der Gottesglaube so mit dem Glauben an die historische Faktizität von Wundern verbunden, dass Letzterer als eine Bedingung von Ersterem erscheint. Dies ist eine Kausalität, die schon im Neuen Testament energisch bestritten wird (durch Jesus selbst: Mt 4,1-11; Mt 12,38-42). Zum anderen sind die Bedingungen unseres Verstehens beim Predigen ebenso ernst zu nehmen wie das Selbstverständnis der biblischen Texte. Die Einsicht in die historisch-kulturelle Differenz, die zwischen uns und den biblischen Wundererzählungen besteht, und damit das Anliegen der Entmythologisierungstheorien bleiben für ein reflektiertes Verständnis der biblischen Wunder nach wie vor bedeutsam. Wundererzählungen provozieren. Sie stellen Fragen an die scheinbar ehernen Gesetze unseres Denkens und unserer Erfahrung. Das macht sie homiletisch interessant. Ihre Eigenart besteht darin, dass sie im Medium geschichtlicher und biographischer Er158
Über Wundererzählungen heute predigen
zählung »Anreize zur Hoffnung auf das sich nahende Reich Gottes wecken« wollen und »Protest gegen lieblose, verkrustete Zustände ausdrücken« (Köhnlein 2010, 12). Sie »regen auf und sie regen an« (Köhnlein 2010, 18) und tun das auf ihre Weise, indem sie konkrete Widerfahrnisse schildern. Daran ist im Gegensatz zu allen Symbolisierungstheorien festzuhalten. Diese Widerfahrnisse können wir jedoch historisch mit unseren Kategorien nicht einfach verifizieren. Deshalb sind sie weder als irrational noch als unwahr abzutun. »Sie wurden und werden offensichtlich erzählt, damit wir ein Gespür für das entwickeln, was jenseits unseres Ermessens liegt« (Grözinger 2009, 483). Sie sind Überschussgeschichten. Die Predigt über Wundererzählungen kann gegenwärtig mit einer neuen Offenheit unter den Zeitgenossen rechnen. In der Gegenwartskultur lassen sich vielfältige Phänomene wahrnehmen, die es nahelegen, von einer »zweiten Naivität« im Umgang mit Mythologien und einer neuen Sehnsucht nach dem Wunderbaren zu sprechen. Sie äußert sich vermutlich umso stärker, je weiter die Lebenswelt durch ökonomische Zwänge und technische Machbarkeit bestimmt ist und je stärker man die Grenzen wahrnimmt, die diese Denk- und Handlungsmuster bestimmen. Das Diktum Rudolf Bultmanns: »Für den Menschen von heute hat sich das mythologische Weltbild … erledigt« (Bultmann 1956, 145) erweist sich damit seinerseits als deutlich zeitbedingt. Ob jedoch diese Offenheit für außerordentliche, paranormale Erfahrungen das Verständnis der biblischen Wundererzählungen wirklich erleichtert, kann mit Recht gefragt werden. Auch hier liegt ja die Gefahr nahe, wiederum das in der eigenen Kultur Denk- und Vorstellbare zum Maßstab der Rezeption zu machen. Die Aufgabe der Predigt von Wundererzählungen wird es bleiben, die Hörer dazu zu motivieren, mit verschiedenen Welten umzugehen. Den Predigenden stellt sich die Aufgabe, diese verschiedenen Welten in ihrer Eigenart aufzunehmen, um sie dann aufeinander zu beziehen. Dabei geht es darum, den Wundererzählungen einen Geltungsbereich zuzuschreiben, ohne dabei Eindeutigkeiten zu versprechen, die kritischen Rückfragen nicht standhalten (vgl. Alkier 1996, 153-159). Im Lesen und Hören werden wir Teil der Erzählung und damit Teil eines Möglichkeitsraumes, in dem Gott sich zu erkennen gibt. Eine solche Predigt wäre ein Hinweis, zwar nicht an diese Erzählungen, aber mit und in ihnen zu glauben (vgl. Kreitzscheck 2004, 288). Sie sollte die Hörer(innen) in diese Geschichten verstricken, ohne ihre Fremdheit aufzulösen. So hält die Predigt unsere Welt- und Wirklichkeitsdeutung offen für Gott, der das Nichtseiende ruft, dass es sei. Dieses Bekenntnis des Glaubens, das der biblischen Verkündigung insgesamt zugrunde liegt, prägt auch die Wundererzählungen. Das Besondere dieser Erzählungen besteht darin, dass sie dieses Bekenntnis immer im Blick auf Situationen zur Sprache bringen, die nach menschlichem Ermessen von Aussichtslosigkeit geprägt sind. »Es soll dem Hörer verwehrt werden, weiterhin so zu leben, als wäre die Gebundenheit und Verfallenheit die letzte Wirklichkeit unseres Lebens« (Baldermann 1964, 96).
3. Wundererzählungen predigen – Um das Kommen des Reiches Gottes bitten Geschichten werden erzählt, damit sie wirken, was sie erzählen (vgl. bei Kreitzscheck 2004, 118-294, die Auseinandersetzung mit der Erzähltheorie Paul Ricœurs). Und so gilt 159
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auch für das Predigen von Wundererzählungen, was jenseits seiner Funktionalität für alles Erzählen gilt: Wir machen nicht nur etwas mit einer Erzählung, sondern eine Erzählung macht etwas mit uns. Diese Einsicht sollte sich jede Predigt über Wundergeschichten zu eigen machen, egal ob sie gänzlich narrativ oder stärker argumentativ angelegt ist. Und: Jede Wundergeschichte hat ihre eigene Gestalt, die in einen bestimmten Kontext eingefügt ist. Es gibt keine Predigt über die Wundererzählungen, sondern immer nur eine zu dem jeweiligen Text. Wer sich umsieht, wie gegenwärtig Wundererzählungen gepredigt werden, wird einer großen Bandbreite von sprachlichen Möglichkeiten und theologischen Entscheidungen begegnen. Dennoch lassen sich sowohl im Blick auf veröffentlichte Predigten als auch aus dem bisher Gesagten vier Kriterien benennen, die beim Predigen zu biblischen Wundererzählungen Berücksichtigung verdienen. Exemplarisch wurden für diesen Artikel vier aktuelle Predigten ausgewählt: Böhlemann, Peter (2003): Predigt zu Mk 7,31-37: http://www.predigten.uni-goettingen. de/archiv-5/030907-6.html/: (ohne Seitenzahlen), Zugriff: 24. 04. 2012 Brandes, Ekhard (2003): Predigt zu Joh 6, 1-15: http://www.predigten.de/autor.php3? wer=19 (ohne Seitenzahlen), Zugriff: 24. 04. 2012 Grözinger, Elisabeth (2009): Predigt zu Joh 6,1-15; Pastoralblätter 2009, 480-485 Schieder, Rolf (2009): Predigt zu Mk 7,31-37; http://www.berlinerdom.de/index.php? option=com_search, S. 1-5, Zugriff: 24. 04. 2012 1. Beim Predigen kommt es entscheidend darauf an, das Wunderbare als solches stehen und die andere Wirklichkeit und das fremde Selbstverständnis der Geschichten gelten zu lassen, dem Anstößigen nicht auszuweichen. Dass Wundergeschichten Ausdruck der Hoffnung auf das Reich Gottes sind (Schieder 2009, 2), ist darin theologisch zur Geltung zu bringen. So kommen in Predigten der Gegenwart die Wunder als »ein Vorschein, ein Vorgeschmack auf das, was kommen wird« (Schieder 2009, 2), zur Sprache. Jesus erscheint in ihnen als der zentrale Bezugspunkt, z. B. als »wundersam begabter Gastgeber« (Grözinger 2009, 482) oder als der schlechthin »Dankbare« (Brandes 2003), durch den Gott das Wunderbare wirkt, das jedoch nicht so sehr die Grenzen der Naturwissenschaft, vielmehr die Grenzen unserer Erfahrung sprengt. Predigerinnen und Prediger warnen darum immer wieder davor zu spekulieren, inwieweit diese Geschichten historisch wahrscheinlich sind. Denn der Glaube basiert nicht auf dem Fürwahrhalten von Wundern, sondern ist ein personales Geschehen, in dem es um ein letztes Vertrauen geht (Böhlemann 2003). 2. Gleichzeitig ist beim Predigen dem Widerstand Rechnung zu tragen, den das Wirklichkeitsverständnis der Wundererzählungen weckt. Dieser Widerstand ist positiv aufzunehmen. Nicht durch Erklärungsversuche oder schnelle pädagogische oder ethische Nutzanwendungen, sondern als ernsthafte Provokation des Gottesglaubens. Wir müssen Gott in unseren Predigten nicht mit Hilfe von Wundererzählungen beweisen. Aber wir sollen ihn suchen. Es ist eine für die Predigt wichtige Erkenntnis, dass wir im Blick auf die Wunder, die Gott tut, immer die Bittenden bleiben (Schieder 2009, 3). Die biblischen Wunder160
Über Wundererzählungen heute predigen
erzählungen können so als Gestalten der zweiten Bitte des Vaterunsers: »Dein Reich komme« aufgefasst werden. Unsere Gegenwartskultur, vielleicht besser: unsere Gegenwartskulturen mit ihren Parallelwelten und dem Spiel mit paranormalen Phänomenen zeigen eine Sehnsucht nach Erlösung an. Vielleicht können Wundererzählungen, indem sie in der Sprache dieser Sehnsucht sprechen und gleichzeitig auf Gottes Handeln verweisen (Brandes 2003, Schieder 2009, 3), in diesem oft unverbindlichen Spiel der Möglichkeiten auch ein aufklärerisches Potential entfalten. 3. Die Machttaten Jesu und der Apostel sind in Erzählungen eingebettet. Predigende können sich diese Sprachform zunutze machen – alle vier Predigten enthalten erzählende Passagen – damit das »Mehr an Sein« (Jüngel 1986, 156) von den Hörenden entdeckt wird. Ausgehend von der Beobachtung, dass die Sprache des Glaubens durch und durch metaphorisch ist, ist es wichtig, nach Metaphern zu suchen, die heutiger Wirklichkeit entsprechen. »Wenn es uns gelingt, zupackend zu glauben, dann ist das wunderbar …« (Schieder 2009, 4), heißt es z. B. in einer Predigt zu Mk 7,31-37. Jesus »spricht mit einem Taubstummen. Es ist die Sprache der Befreiung. Diese Sprache müssen wir von ihm lernen … Wir müssen sie hören und wir müssen sie sprechen, sonst bleiben wir gefangen« (Böhlemann 2003). Eine Wundererzählung (Joh 6,1-15) »kann uns die Augen dafür öffnen, … (dass) es bei Christus um mehr geht als um Brot, Fisch oder Macht« (Grözinger 2009, 484). Insofern sollte das Wunder nicht durch psychologische oder symbolische Deutung »erklärt« werden, sondern eine neue Dimension der Hoffnung (Schieder 2009, 4) oder auch des Protestes eröffnen. 4. Wundererzählungen als Überschussgeschichten beinhalten fast immer eine Ermutigung, sich nicht mit den aussichtslosen Verhältnissen abzufinden. Dies ist allerdings mit der Versuchung verbunden, auf dem Hintergrund der Wundererzählungen der Predigt eine ethische Zuspitzung zu geben. Diese Tendenz findet sich häufig in älteren Predigten (vgl. Klie 2004, 414). Aber auch in neueren Predigten lassen sich Ansätze ethischer Überhöhung entdecken. Wird das Handeln Jesu jedoch bruchlos auf unser Handeln übertragen, nivelliert man das Einzigartige der Taten Gottes. Die Predigt steht dann in der Gefahr, die Gemeinde zu überfordern, wenn auch wir solche Wunder tun könnten. Außerdem geraten entsprechende Passagen schnell zu belehrenden Ausführungen über das richtige Handeln in dieser Welt, die häufig Klischees bedienen. Wichtig bleibt, die Differenz zwischen dem Handeln Gottes und unserem Tun auszuhalten: »Können wir trotzdem etwas von Jesus aus dieser Wundergeschichte lernen? Können wir ihm nachfolgen, ohne selbst so zu tun, als seien wir der Messias?« (Schieder 2009, 4), wird darum zu Recht in einer Predigt gefragt. Die Spannung zwischen Gottes Wirken und unserem Tun wird gehalten, wenn die Predigenden versuchen, nicht einfach ethische Handlungsanweisungen zur Intention ihrer Predigt zu machen, sondern verantwortungsvolles Handeln durch ihre Predigt möglich werden zu lassen.
Wolf-Jürgen Grabner / Hanna Kasparick / Gabriele Metzner 161
Themenartikel
Literatur zum Weiterlesen H. Bee-Schroedter, Neutestamentliche Wundergeschichten im Spiegel vergangener und gegenwärtiger Rezeptionen, Stuttgart 1998. L. Bormann, Zur Predigt neutestamentlicher Wundererzählungen, Pastoraltheologie 97 (2008), 11,3-13. B. Kollmann, Neutestamentliche Wundergeschichten, Stuttgart 32011, 183-233. R. Lachmann, Wundergeschichten »richtig« verstehen? Bibeldidaktik zwischen historisch-kritischer Exegese, existentialer Interpretation und Rezeptionsästhetik, Bibeldidaktik in der Postmoderne (1999), 205-218. A. Lindemann, Wunder und Wirklichkeit. Anmerkungen zur gegenwärtigen exegetischen Diskussion über die neutestamentlichen Wundererzählungen, WuD 27 (2003), 179-200. W. Thiede, Gottes Reich steht nicht nur in Worten. Zur Schwierigkeit heutiger Predigt über Heilungswunder, PTh 98/5 (2009), 295-305.
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I. Die Wundererzählungen in der Logienquelle Q
Hinführung Es ist ein weitgehender sensus communis der exegetischen Wissenschaft, dass es unter den schriftlichen Zeugnissen des frühen Christentums eine so genannte Logienquelle gab, eine Sammlung von Worten Jesu, die nicht als eigenständiger Text erhalten geblieben ist, sondern die lediglich indirekt rekonstruiert werden kann. Diese Einschätzung basiert auf der im Zuge der Entwicklungsgeschichte der neutestamentlichen Wissenschaft ausgebildeten ›Zwei-Quellen-Theorie‹, der zufolge das Markusevangelium von den Verfassern des Matthäus- und des Lukasevangeliums als literarische Grundlage verwendet wurde und jeweils mit jener Sammlung von Jesus-Worten literarisch verbunden wurde. Doch obwohl bereits seit der Mitte des 19. Jh. die Existenz der Logienquelle in weiten Teilen der exegetischen Wissenschaft anerkannt wird (zur Skizze der verhältnismäßig seltenen, in jüngerer Zeit aber stärker werdenden Ablehnungen dieser Forschungshypothese vgl. u. a. Goodacre 2002; Kahl 2012, 20-46), wird nach wie vor kontrovers diskutiert, in welcher Weise dieselbe methodisch angemessen rekonstruiert bzw. religionsgeschichtlich verortet werden kann (zur Forschungsdiskussion vgl. Heil 2009, 11-30). Einfache Formen einer Rekonstruktion der Logienquelle gehen von der Prämisse aus, dass die Logienquelle im Wesentlichen jene Textbereiche umfasst, die im Matthäus- und Lukasevangelium literarisch nahezu identisch überliefert sind, obwohl sie im älteren Markusevangelium nicht vorliegen. Diese v. a. in der älteren Forschungsgeschichte zu beobachtenden Diskurse wurden durch den Fund der Nag-Hammadi-Kodizes auf eine neue Diskussionsbasis gestellt, in dessen Rahmen u. a. eine koptische Übersetzung des Thomasevangeliums gefunden wurde. Einerseits weist das wiederentdeckte Thomasevangelium gattungsgeschichtlich zuweilen markante Affinitäten zu den bereits vorliegenden Versuchen einer Rekonstruktion der Logienquelle auf, andererseits scheinen die durch das Thomasevangelium überlieferten Jesus-Traditionen zuweilen eine ursprünglichere bzw. theologisch weniger überarbeitete Gestalt zu besitzen. Aus diesem Grunde bildet das Thomasevangelium in allen jüngeren Entwürfen einer Rekonstruktion der Logienquelle eine zentrale Referenzgröße. Da jedoch die überlieferungs- und religionsgeschichtliche Verortung des Thomasevangeliums bereits für sich genommen überaus schwer zu bestimmen ist (Schröter1997, 83-85 bzw. 122-125), wurde das Spektrum unterschiedlicher Beurteilungen der Logienquelle noch facettenreicher. Eine crux interpretum, die für die Geschichte der Überlieferung von Wundern Jesu von besonderer Relevanz ist, tritt bei der Frage zu Tage, inwieweit es möglich ist, unterschiedliche Traditionsstadien der Logienquelle voneinander zu differenzieren. Diese Problematik impliziert die Frage, inwieweit das theologische Profil der Logienquelle sukzessive verändert wurde. In diesem Zusammenhang wurde verschiedentlich postuliert, dass Erzählungen von Wundern Jesu erst in einem relativ späten Redaktionsstadium in die Logienquelle integriert wurden. In ihren frühen Entwicklungsstadien würde die Logienquelle stattdessen Jesus v. a. als einen prophetisch-weisheitlichen Lehrer darstellen. Für diese v. a. im Kontext des ›International Q Project‹ verschiedentlich vertretene Einschätzung sei exemplarisch verwiesen auf Jacobson (1992, 112): »Q seems to have little interest in miracles«. In der Tat kann nicht in Abrede gestellt werden, dass in den vorhandenen Entwürfen einer Rekonstruktion der Logienquelle statistisch betrachtet wesentlich weniger Aussagen über bzw. Erzählungen von Heilungen und Exorzismen 165
Die Wundererzählungen in der Logienquelle Q
Jesu vorliegen, als dies z. B. bei den synoptischen Evangelien der Fall ist. Es würde jedoch zu kurz greifen, aus diesem Phänomen zu folgern, dass die Logienquelle Erzählungen von Heilungen und Exorzismen keine Aufmerksamkeit widmet bzw. dass die wenigen Anspielungen überhaupt erst auf spätere literarische Ergänzungen zurückzuführen sind. Eine Ursache für das angesprochene Phänomen ist sicherlich die Gattung der Logienquelle, deren primäres Anliegen darin besteht, Worte, Diskussionen bzw. Streitgespräche Jesu zu überliefern. Dies entspricht formal betrachtet durchaus dem Thomasevangelium, das sich derartig auf Worte Jesu konzentriert, dass es nahezu keine Informationen darüber enthält, in welchen historischen und religionssoziologischen Kontexten Jesus wirkte. Im Gegensatz hierzu weist die Logienquelle durchaus Züge einer narrativen Einbettung der Worte und Taten Jesu auf, insofern z. B. das Wirken Jesu chronologisch und geographisch verortet wird und die religionssoziologischen Lebensumstände, in denen Jesus und seine Mitmenschen lebten, zur Geltung gebracht werden (grundlegend hierzu zuletzt Labahn 2010). Angesichts der Konzentration auf die Wort-Traditionen verwundert es gleichwohl nicht, dass diese historischen und narrativen Angaben bei weitem nicht so ausführlich gestaltet sind, wie dies bei den synoptischen Evangelien der Fall ist. Diesem Phänomen entspricht es, dass die Logienquelle offensichtlich bei ihren Lesern bzw. Hörern eine Kenntnis über eine Heilungstätigkeit Jesu schlicht voraussetzt und nicht eigens zu erläutern braucht. Dieser Sachverhalt lässt sich an nahezu allen Textpassagen der Logienquelle erkennen, in denen auf Jesu zugeschriebene Exorzismen bzw. Heilungen Bezug genommen wird (entsprechend Hüneburg 2001a, 9-11 bzw. 226-228). Wenn man den vorliegenden Entwürfen einer Rekonstruktion der Logienquelle Q folgt, so begegnet in der Kompositionsstruktur der Logienquelle der erste Text, in welchem auf Heilungen und Exorzismen Jesu Bezug genommen wird, in der so genannten Erzählung vom Hauptmann von Kafarnaum (Q 7,1-10). Dieser Tradition zufolge soll ein Zenturio, der zum Söldnerheer des Herodes Antipas gehört haben könnte, Jesus darum gebeten haben, einen seiner Angehörigen bzw. Leibeigenen zu heilen. Die primäre Aussageintention der unterschiedlichen Überlieferungsformen dieser Erzählung liegt einerseits darin, die Vollmacht Jesu zu illustrieren, der jenen Angehörigen per ›Fernheilung‹ allein aufgrund seines Wortes heilen konnte. Andererseits soll der vorbildliche Glaube eines Nichtjuden hervorgehoben werden, der Jesus mehr Vertrauen entgegenbringt als viele seiner jüdischen Zeitgenossen (vgl. die Erläuterung von Hüneburg zu Q 7,1.3.6b-9 in diesem Band). Für die vorliegende Fragestellung ist jedoch ein anderer Sachverhalt von Relevanz, der prima vista nicht zu erkennen ist. Wie bereits erwähnt, ist in den vorliegenden Versuchen einer Rekonstruktion der Logienquelle Q 7,1-10 der chronologisch erste Text, in welchem auf eine Heilungstätigkeit Jesu verwiesen wird. An diesem auf den ersten Blick unbedeutenden Aspekt kann ein methodisches Problem einer Rekonstruktion und historischen Einordnung der Logienquelle erläutert werden. Wenn man postuliert, dass die Logienquelle die älteste schriftliche Sammlung von Jesusworten war, so scheint dieselbe offensichtlich bei ihren Hörern und Lesern ein Wissen vorauszusetzen, welches aus der Sammlung selbst nicht erschlossen werden kann. Q 7,1-10 konstatiert, dass ein nicht-jüdischer Soldat gehobenen Ranges zu einem noch verhältnismäßig unbekannten jüdischen Wanderprediger kommt und diesem zutraut, seinen Angehörigen aufgrund seines vollmächtigen Wortes zu heilen. Die Logienquelle erörtert weder in diesem Kontext noch in vorhergehenden bzw. folgenden Textsequenzen, wie diese Erwartungshaltung über166
Hinführung
haupt entstehen konnte. Es wird weder erwähnt, dass Jesus Kranke heilte bzw. wie die Kunde von dieser Tätigkeit sich in Galiläa und im Umland verbreiten konnte. Beide Aspekte bilden aber eine sachliche Voraussetzung jener Begegnung zwischen dem Zenturio und Jesus, von der in Q 7,1-10 erzählt wird. Der skizzierte Sachverhalt führt konsequent zu einem weiteren Themenfeld, nämlich zu der Frage, inwiefern parallel zu den Sammlungen von Worten Jesu auch Sammlungen von Erzählungen von Heilungen und Exorzismen gestaltet wurden, die mündliche Überlieferungen aufnahmen und dann z. B. eine Basis der markinischen Wundererzählungen bilden konnten. Doch ohne auf dieses ebenfalls ausgesprochen kontrovers diskutierte Themenfeld im Folgenden weiter eingehen zu können, kann m. E. ein instruktiver Sachverhalt festgehalten haben. Die Kompositionsstruktur von Q 7,1-10 spricht nicht dafür, dass Erzählungen von Heilungen und Exorzismen für die Logienquelle theologisch irrelevant waren. Ihre Bedeutung ist vielmehr so grundlegend, dass sie nicht eigens erläutert werden muss. Wenn die Leser bzw. Hörer eines solchen Textes nicht bereits ein Vorwissen über eine entsprechende Tätigkeit Jesu gehabt hätten, hätte die Aussageintention von Q 7,1-10 nicht vermittelt werden können (zur theologischen Eigentümlichkeit von Q 7,1-10 im Kontrast zu den matthäischen und lukanischen Korrespondenztexten vgl. Hüneburg 2001a, 137-150, sowie die Kommentierungen dieses Textes und seiner synoptischen Parallelen in diesem Band). Die theologische Relevanz von Erzählungen über Wundertaten Jesu lässt sich auch an der so genannten Täuferanfrage (Q 7,18-23) erläutern, die in der Kompositionsstruktur der Logienquelle bezeichnenderweise im unmittelbaren Anschluss an die Erzählung vom Hauptmann von Kafarnaum angeordnet wurde. Dieser Tradition zufolge soll der inhaftierte Täufer durch seine Nachfolger über das Wirken Jesu Kenntnis bekommen haben. Aus diesem Grund sandte Johannes einige seiner Jünger zu Jesus, um ihn mit der Frage zu konfrontieren, ob er eine erwartete Heilsfigur ist (vgl. Q 7,19: »Bist du der Kommende oder sollen wir auf einen anderen warten?«). Für die vorliegende Fragestellung ist aufschlussreich, in welcher Weise Jesus auf die Frage reagiert haben soll. Die Antwort Jesu ist indirekt gestaltet, insofern er auf die von ihm vollbrachten Heilungen verweist (vgl. v. a. Q 7,22b: »Blinde sehen wieder, und Lahme gehen umher, Aussätzige werden rein, und Taube hören und Tote werden erweckt …«). Auch in der Logienquelle, die ja vermeintlich Jesu Heilungen und Exorzismen keine besondere Aufmerksamkeit zuteilwerden lässt, wird somit jene fundamentale Frage des Täufers mit einem Verweis auf die von Jesus vollbrachten Heilungen beantwortet. Diese Tradition lässt jedoch nicht nur die theologische Relevanz dieser Facette des Wirkens Jesu für das theologische Profil der Logienquelle erkennen, sie bringt vielmehr auch paradigmatisch zur Geltung, in welchem Verhältnis Erzählungen von Heilungen Jesu und theologische Deutungen der Person Jesu zueinander stehen können. Unstrittig ist, dass die bereits erwähnten Aspekte der Antwort Jesu eine Affinität zu unterschiedlichen eschatologischen Erwartungen aufweisen, die v. a. in jesajanischen Traditionsbildungen überliefert sind. Während sich zu den textgeschichtlich überlieferten Varianten von Jes 26,19LXX; 29,18LXX; 35,5f.LXX; 42,18LXX partiell wortwörtliche Entsprechungen erkennen lassen (s. die Tabelle in Zimmermann, Hinführung Lukas), so lassen sich zu Jes 42,7 und Jes 61,1 zumindest deutliche Allusionen beobachten (vgl. Stettler 2008, 173-200). Aus diesem Repertoire traditionsgeschichtlicher Bezugspunkte sollen im Folgenden zwei Aspekte genauer betrachtet werden, die in das Herz eines der faszinierendsten und zugleich kompliziertesten Phänomene frühchrist167
Die Wundererzählungen in der Logienquelle Q
licher Traditionsbildungsprozesse hineinführen, nämlich in die sukzessive Ausgestaltung christologischer Deutungen der Person und des Wirkens Jesu. Im Zuge christologischer Reflexionsprozesse wurden unterschiedliche Facetten frühjüdischer Vorstellungen adaptiert bzw. miteinander in Beziehung gesetzt. An dem Q 7,22 zugrunde liegenden Verweis auf Jes 61,1 kann paradigmatisch erläutert werden, was von Gerd Theißen und Annette Merz mit der Unterscheidung von expliziter, implizierter und evozierter Christologie umschrieben wurde (Theißen/Merz 2011, 455). Die in Q 7,22 zufolge von Jesus formulierte Antwort auf die Frage des Täufers kann Assoziationen zu Jes 61,1 evozieren. Dieser Referenztext impliziert wiederum nicht nur ein vergleichbares Repertoire von Heilungen, die Menschen in einer erwarteten Heilszeit zuteilwerden, sondern auch Aussagen, mit welcher kommenden Gestalt diese Erwartung verbunden ist. Es handelt sich um eine Heilsgestalt, auf welcher der Geist Gottes ruht, die von Gott gesalbt ist und die Armen eine frohe Botschaft verkündet (vgl. Jes 61,1LXX: Der Geist des Herrn ist auf mir, weil er mich gesalbt hat; um frohe Botschaft den Armen zu bringen, hat er mich abgesandt, um die zu heilen, die zerbrochenen Herzens sind [§€sasqai to±@ suntetrimmffnou@ t» kardffla iasasthai tous suntetpimmenous te¯ kardia], um den Gefangenen Freilassung zu verkündigen und den Blinden neue Sehkraft [ka½ tuflo…@ ⁄n€bleyin kai typhlois anablepsin]). Die intertextuellen Affinitäten können bei Lesern bzw. Hörern, die die Bezüge zwischen Q 7,22 und Jes 61 erkennen, eine theologische Deutung der Gestalt evozieren, der zufolge in den Heilungen und Exorzismen Jesu sich jene Heilstaten erfüllen, die mit der in Jes 61,1 prophezeiten Heilsgestalt verbunden werden. Diese bereits auf der Ebene der Logienquelle erkennbaren Deutungspotenziale werden in den jüngeren Entwicklungsstadien der synoptischen Evangelientraditionen in extenso ausgearbeitet. Besonders eindrücklich zeigt sich dies in den lukanischen Erzählungen von den Anfängen der Tätigkeit Jesu, denen zufolge Jesus während eines Aufenthaltes in Kafarnaum in einem Synagogen-Gottesdienst Jes 61,1f. vorgelesen und auf sich selbst bezogen haben soll (Lk 4,18). Auch wenn im Gegensatz zu Lk 4,18 Jes 61,1 im Matthäusevangelium nicht explizit zitiert wird, kann man verschiedene Aspekte dieses Werkes als eine literarische Illustration von Jes 61,1 verstehen. Dies gilt besonders für die Einleitung der Bergpredigt und v. a. die Affinität der ersten und zweiten matthäischen Seligpreisung zu Jes 61,1f. Der matthäische Jesus handelt und verkündigt so, wie man es von der in Jes 61,1 verheißenen eschatologischen Gestalt erwarten könnte. In dieser Hinsicht kann man resümieren, dass die in Q 7,22 vorliegende Allusion zu Jes 61,1 als ein frühes Beispiel dafür verstanden werden kann, in welcher Weise Erzählungen von Heilungen und Exorzismen Jesu und Ansätze theologischer Deutungen seiner Person miteinander zusammenhängen konnten. Neben Jes 61,1 kann auf eine zweite mögliche Motivassoziation verwiesen werden, die noch näher an die spezifisch christlichen Neudeutungen frühjüdischer Messias-Erwartungen heranführt. Zur Zeit Jesu gab es keine klar umrissene Vorstellung einer Messias-Erwartung, sondern ein breites Spektrum unterschiedlicher Messias-Terminologien. Ebenso konnten messianische Erwartungen und messianische Begriffe, die in früheren Entwicklungsstadien entsprechender Vorstellungshorizonte oft noch separat voneinander verwendet wurden, in unterschiedlichster Weise verbunden und reformuliert werden (zum facettenreichen Spektrum entsprechender Erwartungen vgl. Theißen/Merz 2011, 465f.). Ein Proprium frühchristlicher Ausgestaltungen traditioneller Messiaserwartungen liegt zweifelsohne in der Zusammenführung messianischer Begriffe bzw. Motivfelder und den deutero- und tritojesajanischen Gottesknechtsliedern (paradigmatisch verwie168
Hinführung
sen sei auf die bereits von Paulus referierte Traditionsformel in 1Kor 15,3b: Crist@ ⁄pffqanen ¢pþr tn martin mn katÞ tÞ@ graf€@ Christos apethanen hyper to¯n hamartio¯n he¯mo¯n kata tas graphas). Diese Formel komprimiert in eindrücklicher Weise eine Neudeutung traditioneller Messiaserwartungen, die nur vor dem Hintergrund der Gottesknechtslieder verstanden werden kann, insbesondere des vierten Gottesknechtslieds (Jes 53,5f.8f.12). Für die vorliegende Fragestellung ist dabei von Relevanz, dass die jesajanischen Gottesknecht-Traditionen auch einen indirekten Bezug zur Wundertätigkeit Jesu implizieren bzw. entsprechende Assoziationen evozieren konnten. Bereits im Kontext des ersten Gottesknechtslieds wird in der literarischen Gestalt einer Gottesrede der Gottesknecht als derjenige gekennzeichnet, der den nichtjüdischen Völkern das Recht bzw. den Rechtspruch Gottes bringen soll und in dieser Funktion zum ›Licht der Völker‹ avanciert. Im unmittelbaren Kontext dieser Prädikationen wird jedoch auch eine Metaphorik verwendet, die im weiteren Sinne eine Assoziation zu den Jesus zugeschriebenen Blindenheilungen ermöglichen kann, nämlich die in Jes 42,7a dokumentierte Erwartung, dass der Gottesknecht die Augen der Blinden öffnen wird. Auch wenn die jesajanische Aussage in ihrem ursprünglichen Kontext primär eine Metapher für eine Gotteserkenntnis umschreiben soll, eignet sie sich dazu, eine Verbindung zu Hoffnungen einer messianischen Heilszeit herzustellen. Und dass eine solche Affinität zwischen den Gottesknechtsliedern und der Wundertätigkeit Jesu nicht nur in Q 7,22 impliziert erahnbar ist, sondern von frühchristlichen Theologen in dieser Weise gedeutet wurde, lässt sich z. B. an der matthäischen Deutung der Heilungstätigkeit Jesu erkennen, in welcher dieselbe explizit als ein Geschehen bezeichnet wird, das in den Gottesknechtsliedern prophezeit wurde (vgl. die Rezeption von Jes 53,4 in Mt 8,17). Auch dieser Sachverhalt kann somit als ein Beispiel einer evozierten Christologie verstanden werden, dessen Wurzel bereits in jener durch die Logienquelle tradierten Antwort erkennbar ist, mit der Jesus jene Frage des Täufers beantwortet haben soll. Auch dieser Aspekt lässt erkennen, welch zentrale Bedeutung Erzählungen von Heilungen und Exorzismen Jesu für frühchristliche Identitätsbildungsprozesse haben konnten. Eine weitere Tradition, an der die Bedeutung von Erzählungen von Heilungen Jesu für die Logienquelle erkennbar ist, liegt dem Textstück Q 11,14-20 zugrunde, welches zu den sowohl in der Logienquelle als auch im Markusevangelium tradierten Doppelüberlieferungen zu zählen ist. Dieser Text tradiert das für die Frage der Historizität der Heilungen und Exorzismen Jesu aufschlussreiche Detail, dass offensichtlich auch die Gegner Jesu eingestanden haben, dass Jesus Taten vollbrachte, die den Rahmen zeitgenössischer Erwartungshorizonte sprengten. Aus diesem Grund waren sie dazu genötigt, eine Erklärung für die Taten Jesu zu finden, die mit ihrer kritischen Haltung gegenüber Jesus vereinbar ist. Q 11,14 f. zufolge postulieren die Kontrahenten Jesu, dass Jesus nur aufgrund einer dämonischen Besessenheit selbst Dämonen austreiben konnte. Dass ein so massiver Vorwurf erst von Anhängern Jesu formuliert wurde, ist historisch kaum plausibel. Plausibler ist es, dass in der Tat über einen solchen Sachverhalt zwischen Jesus und seinen Kontrahenten im zeitgenössischen Judentum ein Konflikt entstand. Dabei gilt es ferner zu beachten, dass im Zusammenhang dieser Kontroverse ein Jesus-Logion begegnet, das nach einem ebenfalls verhältnismäßig großen Konsens im Kern auf Jesus selbst zurückzuführen ist, nämlich das Logion, demzufolge Jesus für sich in Anspruch nimmt, ›mit dem Finger Gottes‹ Dämonen auszutreiben. Auch wenn das Motiv des Fingers Gottes in alttestamentlich-frühjüdischen Traditionen vorgezeichnet ist (Ex 8,15; 31,18; Dtn 9,10), 169
Die Wundererzählungen in der Logienquelle Q
entspricht es nicht den gängigen Bildfeldtraditionen, die diesbezüglich zumeist von der Hand bzw. im Plural von den Fingern Gottes sprechen. Nicht von ungefähr nimmt ein jüdischem Denken so nahestehender Theologe wie der Verfasser des Matthäusevangeliums eine Modifikation dieses stark anthropomorph geprägten Motivs vor, indem er stattdessen von einer durch den Geist Gottes gewirkten Dämonenaustreibung spricht (Mt 12,28). Für die vorliegende Fragestellung ist jedoch von Bedeutung, dass die Fassung der Logienquelle ein sehr frühes Stadium dieser Tradition überliefert und wiederum fast wie selbstverständlich eine Wundertätigkeit Jesu voraussetzt, ohne dieselbe spezieller zu erläutern. Auch hier zeigt sich somit, dass in der Logienquelle die theologische Bedeutung der Erzählungen von Heilungen und Exorzismen Jesu schlicht vorausgesetzt wird (gleiches gilt z. B. für die in Q 10,13-15 vorliegenden Weherufe über Chorazin und Betsaida, die von den zuvor vollbrachten Wundertaten Jesu sprechen; zur Skizze weiterer indirekter Hinweise auf Wundertaten Jesu vgl. die Aufstellung bei Dormeyer 2012). Und was in Ansätzen bereits an den Traditionen der Logienquelle erkennbar bzw. sachlich notwendig vorausgesetzt wird, wird schließlich bei den synoptischen Evangelien mit unterschiedlichen Akzentsetzungen narrativ entfaltet und theologisch gedeutet (zu entsprechenden Kommentierungen von Q 7,1-10 bzw. Q 11,14-26 und deren Interpretationen in Mt 8,5-10.13b; Lk 7,1-10; Joh 4,46-54 bzw. Mt 9,32-34; 12,22-25; Lk 11,14-26 vgl. die entsprechenden Auslegungen in diesem Band).
Enno Edzard Popkes Literatur zum Weiterlesen M. J. Borg/T. Moore (Hg.), The Lost Gospel Q: The Original Saying of Jesus, Berkeley 1996. M. Casey, An Aramaic Approach to Q: Sources for the Gospels of Matthew and Luke, Cambridge 2002. D. Dormeyer, Narrativität und Theologie der Wunder in Q, in: C. Heil (Hg.), Built on Rock or Sand? Q Studies: Retrospects, Introspects, and Prospects, Leuven 2013 (im Erscheinen). Ders., Der Hauptmann von Kafarnaum (Q 7,1.3.6b-9?10?). Narrative Strategie mit Chrie, Wundergeschichte und Gleichnis, in: D. Roth/R. Zimmermann/M. Labahn (Hg.), Metaphor and Narrative in Q, WUNT, Tübingen 2013 (im Erscheinen). H. T. Fleddermann, Q: A Reconstruction and Commentary, Leuven 2005. A. v. Harnack, Sprüche und Reden Jesu, Leipzig 1907. M. Hüneburg, Jesus als Wundertäter in der Logienquelle: Ein Beitrag zur Christologie von Q, Arbeiten zur Bibel und ihrer Geschichte 4, Leipzig 2001. Ders., Matthäus und Lukas als Erben der Wunderüberlieferung von Q, Leqach 1 (2001), 137-150. F. Neirynck (Hg.), Q-synopsis: The Double Tradition Passages in Greek, Studiorum Novi Testamenti Auxilia 13, 2. erweiterte Auflage, Leuven 1995. J. M. Robinson, LOGOI SOPHON: Zur Gattung der Spruchquelle Q, in: ders./H. Köster, Entwicklungslinien durch die Welt des frühen Christentums, Tübingen 1971, 67-106. Ders./P. Hoffmann/J. S. Kloppenborg (Hg.), The Critical Edition of Q. Synopsis including the Gospel of Matthew and Luke, Mark and Thomas with English, German and French Translations of Q and Thomas, Leuven/Minneapolis 2000.
170
Wunder in der Logienquelle Nr.
Q-Faden
Titel
Parallelstellen
1
7,1-3.6b-9
Heilung per Befehl (Der Hauptmann von Kafarnaum)
Mt 8,5-13; Lk 7,1-10; Joh 4,46-54
7,22
Summarium
10,13-15 11,14 f.1722.24-26
Summarium Der umstrittene Exorzist Mk 3,20 f.22-30; (Jesu Macht über die bösen Geister) Mt 12,22-30; Lk 11,14-23
2
davon kommentiert im Kompendium Q 7,1-3.6b-9; Mt 8,5-13; Lk 7,1-10; Joh 4,46-54 Hinführung Q Hinführung Lukas Hinführung Q Q 11,14 f.17-22. 24-26; Lk 11,14-23
171
Heilung per Befehl (Der Hauptmann von Kafarnaum) Q 7,1.3.6b-9 (1) Und es geschah, als er diese Worte beendet hatte, ging er hinein nach Kafarnaum. (3) Ein Zenturio kam zu ihm, bat ihn und sprach: »Mein Knecht ist krank und leidet große Qualen.« Und er sprach zu ihm: »Soll ich (etwa) kommen und ihn heilen?« (6bc) Und der Zenturio antwortete und sprach: »Herr, ich bin nicht würdig, dass du unter mein Dach kommst, (7) gebiete mit einem Wort und lass meinen Knecht gesund werden. (8) Denn auch ich bin ein Mensch unter einer Macht und habe unter mir Soldaten. Und ich sage diesem: ›Geh‹, und er geht, und einem anderen: ›Komm‹, und er kommt, und meinem Sklaven: ›Tu dies‹, und er tut es.« (9) Als aber Jesus dies hörte, staunte er und sagte zu denen, die ihm nachfolgten: »Ich sage euch, in Israel habe ich solchen Glauben nicht gefunden.« (Unsicher ist, ob die Geschichte mit einer Bemerkung zur Heilung des Knechtes schloss.) Anmerkung zur Textrekonstruktion: Matthäus und Lukas stimmen hier am stärksten in den Redeteilen überein. Bei den narrativen Elementen weisen sie dagegen z. T. erhebliche Abweichungen auf. Das bedeutet aber nicht, dass Q nur die Wortüberlieferung enthalten hätte. Die unterschiedlichen Fassungen lassen sich vielmehr auf die Arbeit der Evangelisten zurückführen, die damit diese Geschichte in ihre Konzeption einbauen. Die Textrekonstruktion ist deshalb aber in unterschiedlichem Maße gesichert (Materialsammlung bei Johnson/Robinson 2002).
Sprachlich-narratologische Analyse Die Heilungserzählung folgt sowohl bei Matthäus als auch bei Lukas auf die so genannte Programmatische Rede (die Grundform von Bergpredigt und Feldrede Q 6,20b–49). Matthäus schiebt lediglich die aus Mk 1,40-45 stammende Heilung eines Leprakranken ein. Die einleitende Bemerkung, dass Jesus seine Rede beendete und nach Kafarnaum hineingeht, schafft einen zeitlichen Zusammenhang zwischen Rede und Heilungsgeschehen. Die betonte Herausstellung der Macht des Wortes Jesu stellt eine Beziehung her zu dem die Rede abschließenden Gleichnis vom Hausbau mit seinem Aufruf zum Vertrauen auf das Wort Jesu (Q 6,47-49). Dagegen ist zwar geltend gemacht worden, dass lgoi (logoi – Wörter/Rede) und lgo@ (logos – Wort) jeweils in völlig differierendem Sinn verwendet werden, insofern einmal Weisungen für die Nachfolge und einmal das vollmächtige Heilungswort gemeint seien (Haapa 1983, 73). Ein solcher Einwand übersieht aber, dass der Text nicht frei formuliert wurde, sondern aus einer Kombination von Traditionsgut besteht. Für diesen Zusammenhang spricht weiterhin die Anrede Jesu mit kÐrie (kyrie – Herr) durch den Zenturio, die zwar für sich genommen respektvolle Anrede im Alltag sein kann (Kloppenborg 1987, 117 A. 73), ihn im vorliegenden Kontext 173
Die Wundererzählungen in der Logienquelle Q
aber zum Antitypos des in Q 6,46 abgewehrten folgenlosen Herr-Herr-Sagens macht. Das Wort des Zenturio, er sei nicht würdig, erinnert weiterhin an die gleichlautende Aussage Johannes’ des Täufers Q 3,16 am Anfang der Logienquelle. Zur nachfolgenden Täuferfrage: Bist du der Kommende?, die von Jesus mit dem Hinweis auf das Geschehen von Heilungen, Totenerweckung und Verkündigung an die Armen beantwortet wird (Q 7,18-23), ergibt sich eine Beziehung über die Wunderthematik. Die Einleitung verbindet weiterhin die Begebenheit in einer für Q singulären Weise mit einem konkreten Ort. Kafarnaum ist in der synoptischen Tradition so stark mit dem Wirken Jesu verbunden, dass dieser Ort in Mt 9,1 als »seine Stadt« bezeichnet werden kann. In Q scheinen die geographischen Angaben auf konzentrische Kreise um den Mittelpunkt Kafarnaum zu deuten (Reed 1995, 21). Der Name selbst begegnet dem Leser noch ein weiteres Mal – auch hier im Zusammenhang der Wunderthematik. In 10,15 wird ihm, wie auch schon vorher Chorazin und Betsaida, das Gericht angekündigt, weil sie nicht auf die in ihnen geschehenen Machttaten (dun€mei@ dynameis) Jesu reagierten. Die zahlreichen Bezüge deuten darauf hin dass hier ein bewusst gestalteter Zusammenhang vorliegt, in den diese Perikope eingebaut wurde. Dann aber ist zu vermuten, dass die Wunderthematik – obwohl lediglich zwei Geschichten erzählt werden – auch für das von Q entworfene Bild Jesu von Bedeutung ist. Zur Besonderheit von Q 7,1-10 gehören die Dominanz der Rede und das mögliche Fehlen einer Aussage zur erfolgten Heilung. Dieser Befund erklärt sich nur z. T. aus der Situation einer Fernheilung, bei der etwa die Lage von Hilfsbedürftigen auf der Ebene der erzählten Welt als Bericht im Munde eines Stellvertreters begegnet. Das mögliche Fehlen einer Bemerkung zum Vollzug der Heilung und die umfangreiche letzte Äußerung des Zenturio mit der darauf folgenden Reaktion Jesu scheinen vielmehr das Thema Wunder ganz aufzugeben und einen Schwenk zur Frage Glaube und Israel zu vollziehen. Deswegen hatte Bultmann (1995, 39) der Perikope den Charakter einer Wundergeschichte abgesprochen und sie im Anhang bei den biographischen Apophthegmata behandelt. In dieser Sicht sind ihm zahlreiche Exegeten gefolgt. So spricht Fleddermann in seinem Kommentar zu Q (Fleddermann 2005, 348) von »a double dialogue with a brief narrative introduction«. Jedoch haben die Dialogelemente ihren Ort im Zusammenhang eines fortschreitenden Geschehens. Insofern weist der Text eine narrative Grundstruktur auf, die durch eine Verknüpfung von Motiven entsteht, wie sie für Wundergeschichten kennzeichnend ist (vgl. dazu Theißen 1974, 57-83). Allerdings ist zuzugestehen, dass hier die virtuelle Gattungsstruktur in einer Weise aktualisiert wird, die einige Besonderheiten enthält. Die Erzählung zerfällt durch die wechselnde Personenkonstellation in zwei deutlich unterschiedene Sequenzen. In der ersten Sequenz stehen sich der Wundertäter Jesus und der Zenturio als Vertreter des Hilfsbedürftigen gegenüber. Das Geschehen konzentriert sich ganz auf diese beiden Personen. Der Hilfsbedürftige ist zwar einmal grammatisches Subjekt, spielt aber als Handlungsträger keine Rolle. Nicht einmal die genaue Art seines Leidens wird erwähnt. Betont wird lediglich dessen Schwere. Ebenso bleibt unklar, in welcher Beziehung er zum Zenturio steht. Die Bezeichnung pa…@ (païs) kann sowohl für Sohn als auch für Knecht/Bursche/ Sklave stehen. Eine Begründung für das Engagement des Zenturio ließe sich sowohl aus einer familiären Beziehung als auch aus dem Wert, den ein Sklave darstellt, erklären. 174
Heilung per Befehl Q 7,1.3.6b-9
Abwegig ist dagegen die von Th. Jennings und T.-S. S. Liew (Jennings/Liew 2004) geäußerte Vermutung, es handle sich um ein homoerotisches Verhältnis. Die Verwendung von pa…@ (païs) auch in solchen Zusammenhängen besagt angesichts seines breiten semantischen Feldes nichts. Ebenso wenig trägt der Hinweis auf das erst von Septimius Severus aufgehobene Heiratsverbot für römische Soldaten. Erbrechtliche und andere Regelungen für Soldatenkinder (origo ex castris) zeigen, dass offizielle Doktrin und Praxis hier durchaus auseinanderfallen. Außerdem ist nicht klar, ob es sich überhaupt um einen Offizier im aktiven Dienst handelt. Auch die in der lukanischen Rezeption eingefügte jüdische Gesandtschaft mit ihrer positiven Beurteilung des Zenturio steht diesem Gedanken entgegen. Eine Heilungsbitte ergibt sich nur implizit aus der Erwähnung der Notlage. Die Reaktion Jesu lässt sich sowohl als positive Aufnahme: »ich werde also kommen und ihn heilen«, wie auch als abweisende Frage: »Soll ich etwa kommen … ?« verstehen. Das syntaktisch nicht erforderliche und deshalb besonders hervorgehobene ¥gð (ego¯ – ich) wie auch das weitere Agieren des Zenturio sprechen eher für die letztere Variante (anders Catchpole 1992, 525-527). Worin könnte der Grund für eine solche Zurückweisung liegen? Bereits die Vorstellung des Hilfesuchenden allein mit seinem militärischen Dienstgrad dürfte im Hörer die Vorstellung von einem Heiden evoziert haben. Der Begriff Zenturio ist zwar ethnisch neutral (Catchpole 1992, 527), aber auch wenn man annimmt, dass es sich nicht um einen römischen, sondern einen herodianischen Offizier handelt, ergibt sich diese Assoziation. Die Armee Herodes’ des Großen rekrutierte sich zwar durchaus auch aus der jüdischen Bevölkerung. Unter den nachfolgenden Herodianern ging deren Anteil jedoch stark zurück. Als Führungspersonal begegnen nur Angehörige des Herodesclans oder Nichtjuden (vgl. Shatzman 1991 und Rocca 2008, 133-196). Auch Josephus erwähnt für die Zeit zwischen Makkabäeraufstand und dem 1. Jüdischen Krieg keine jüdischen Zenturionen (Burchard 1993, 279). Damit wird das für die zweite Sequenz wichtige Motiv des Gegenübers zu Israel vorbereitet. Es gewinnt hier seine Bedeutung als Grund für die Ablehnung Jesu. Allerdings wird dieser weniger in den Reinheitsvorschriften zu sehen sein, die es einem Juden verbieten, das Haus eines Heiden zu betreten (vgl. Apg 10,28; Joh 18,28; VitProph 10,4; bShab 17b; mOh 18,7; bPes 9a), da sie auch in Q eher einer kritischen Beurteilung unterliegen (vgl. Q 11,39), als vielmehr in der Sendung Jesu zu Israel (vgl. Q 13,34 f.; 22,28.30). Mit der Betonung seiner Unwürdigkeit (o'k e§m½ kan@ ouk eimi hikanos – ich bin nicht würdig) scheint der Zurückgewiesene die Reaktion Jesu zunächst zu akzeptieren. Im Licht der bisherigen Überlegung gilt sie aber nicht der persönlichen Inferiorität des Bittenden gegenüber dem Wundertäter, sondern beinhaltet die Anerkennung einer Vorrangstellung Israels. Trotzdem tritt er nicht den Rückzug an, sondern äußert jetzt seine Bitte explizit und artikuliert außerdem, auf welche Weise er sich Hilfe erhofft: Jesus soll nur ein Wort sprechen. Der Dativ lg†w (logo¯ – Wort) ist instrumental zu verstehen. Es wirkt, wie der folgende begründende Vergleich aus der militärischen Lebenswelt des Bittstellers deutlich macht, wie ein Befehl. Der Vergleich geht jedoch über diese Aussage noch hinaus. Der Zenturio kann seine Befehlsgewalt ausüben, weil er eine bestimmte Stellung innerhalb des militärischen Gefüges einnimmt. Das mit ka½ gÞr ¥gð (kai gar ego¯ – denn auch ich) ausgedrückte Entsprechungsverhältnis sagt dann etwas über die Herkunft der Vollmacht Jesu aus. Sie resultiert aus seiner Zugehörigkeit zu Gott. Gegen 175
Die Wundererzählungen in der Logienquelle Q
diese Deutung wird allerdings eingewandt (so auch noch Hüneburg 2001a, 132), dass der Gedanke einer Übertragung der ¥xousffla (exousia – Vollmacht) Gottes auf Menschen zwar gut bezeugt ist, jedoch nicht mittels der Präposition ¢p (hypo – unter). Auch gibt es keine weiteren Belege für ein ¢p ¥xousfflan e nai (hypo exousian einai – unter Vollmacht sein) Jesu. Außerdem scheint die Aussage über die Unwürdigkeit eher auf eine Kontrastierung beider Personen zu zielen als auf eine solche Analogie. Alternativ vorgeschlagen wird deshalb, beide Teile als parallele Aussagen über die Macht des Befehls zu verstehen. Die Aussage wäre dann zu paraphrasieren: »Denn auch ich stehe unter der Macht meiner Vorgesetzten und muss deren Befehlen gehorchen, wie auch meine Untergebenen meinen Befehlen gehorchen«. Oder es sei ein Schluss a minori ad maius anzunehmen und zu lesen: »Wenn schon ich, obwohl unter Befehlsgewalt stehend, solche Macht habe, wieviel mehr dann du«. Solche Vorschläge müssen jedoch entweder Änderungen der Periodisierung bei der Übersetzung aus dem Aramäischen oder andere syntaktischen Beziehungen im Satz annehmen (zur Diskussion vgl. Wegner 1985, 83-85; Catchpole 1992 und Burchard 1993, 281-283). Insofern bleibt die Annahme, der Zenturio führe die Macht des Wortes Jesu auf seine Unterstellung unter die ¥xousffla (exousia) Gottes zurück, vorzuziehen. Dass es sich in dieser Form um eine singuläre Aussage handelt, kann kaum als Gegenargument dienen. Auch zielt, wie oben gezeigt, das Eingeständnis der Unwürdigkeit nicht auf eine Kontrastierung der beiden Personen. Das nun erbetene Wort ist von einigen Exegeten (Schulz 1972, 243.245; Twelftree 1993, 145 f.; Piper 2001, 322 f.) als Austreibungsbefehl (Apopompe) interpretiert worden. Bei der Geschichte handele es sich demnach um einen Exorzismus, der die Auseinandersetzung Jesu mit Dämonen – bzw. von Q 11,17 f. her gelesen – mit dem Satan zeigt. In der Exposition war jedoch keine Rede von dämonischer Besessenheit. Auch der Vergleich mit dem Befehlswort zwingt nicht dazu, einen personalen Adressaten als Befehlsempfänger anzunehmen. Das Wort steht hier vielmehr stellvertretend für die persönliche Anwesenheit und zielt allein auf ein Bekenntnis zu dessen Vollmacht. Die Zurückweisung wird so zum retardierenden Moment, durch das erzähltechnisch das Vertrauen des Bittstellers hervorgehoben wird. Die erste Sequenz entspricht damit in allen Zügen der üblichen Topik einer Wundergeschichte. An die Vertrauensäußerung knüpft die zweite Sequenz an, in der sich Jesus nun an die bisher noch nicht erwähnten Nachfolger wendet. Der Q-Zusammenhang legt es nahe, dabei an die Hörer der voranstehenden Rede zu denken. Sie erscheinen somit auch als Zeugen des vorangegangenen Dialoges. Nicht mehr der Zenturio, sondern sie sind jetzt das Gegenüber Jesu, ohne allerdings selbst aktiv zu werden. Staunen – sonst die Reaktion der Zeugen über das Wunder – ist hier die Reaktion Jesu auf das Verhalten des Zenturio. Dessen Auftreten wird als Glauben charakterisiert und der Haltung Israels gegenübergestellt. Die Verwendung des Aorists eron (heuron – finden) scheint über die Szene selbst hinauszuweisen auf die textexterne Situation der Tradenten von Q und auf deren Erfahrungen der Ablehnung zurückzublicken (vgl. das Gleichnis von den spielenden Kindern Q 7,31-35). Die Gegenüberstellung erhält so einen israelkritischen Akzent. Diese auffällige Abweichung vom Gattungsmuster und die Einleitung mit »Ich sage euch« (lffgw ¢m…n lego¯ hymin) sprechen dafür, dass die Erzählung damit ihren Zielpunkt erreicht hat. Das führt zu der Frage, worin die besondere Qualität dieses Glaubens (tosaÐthn pfflstin tosaute¯n pistin) besteht, die ihn zum Vorbild werden lässt. Der Israelbezug des absolut gebrauchten Nomens pfflsti@ (pistis – Glauben) verweist zunächst da176
Heilung per Befehl Q 7,1.3.6b-9
rauf, dass es um das Vertrauen auf den Gott Israels geht. Die intendierte Differenz ergibt sich aus dem Erzählzusammenhang. Wenn die auf Jesus gerichtete Erwartung von Hilfe in einer nach menschlichen Maßstäben aussichtslosen Lage als Ausdruck solchen Glaubens bezeichnet wird, ist dieser in einer doppelten Weise bestimmt. Er besteht in der Einsicht, dass der Gott Israels in der Person Jesu heilvoll handelt, und auf menschlicher Seite einer dieser Einsicht antwortenden Haltung radikalen Vertrauens. Die Erzählung selbst lässt mit ihrer Fokussierung auf die Vollmacht des Wortes eine Charakterisierung dieser Erwartung als bloßen Wunderglauben nicht zu. Nur in dem umfassenden Verständnis von christologischer Erkenntnis und existentieller Neuausrichtung kann der Glaube des Zenturio zum Vorbild für die von Jesus angesprochenen Nachfolger – und damit die Leser von Q – werden. Der Zenturio wird zum Exponenten eines Glaubens außerhalb Israels. Eine bewusste Hinwendung zur Heidenmission ist, wie die negative Konnotierung der Heiden in Q 6,34 und 12,30 f. belegt, damit wohl nicht intendiert (anders: Horn 1991). Die Erzählperspektive ist innerjüdisch. Allerdings ist damit, auch wenn die Opposition textpragmatisch auf eine Kritik an Israel zielt, der Ansatz für eine darüber hinausgehende Entwicklung gegeben.
Sozial- und realgeschichtlicher Kontext Die Erzählung ist verbunden mit dem Ortsnamen Kafarnaum (Tell Hum). Damit ist sie am Nordwestufer des Sees Gennesaret, ca. 5 km vom Jordan entfernt, lokalisiert. Kafarnaum ist Zentrum der Wirksamkeit Jesu in Galiläa und neben Jerusalem der am häufigsten genannte Ort in den synoptischen Evangelien. Es handelte sich im 1. Jh. um ein größeres Dorf. Die Angaben zur Einwohnerzahl schwanken zwischen 600 und 1500. Wirtschaftlicher Schwerpunkt war neben der Landwirtschaft v. a. die Fischerei. Glasund Keramikfunde belegen Handelsbeziehungen und damit Einflüsse von außen. Das aus den Ausgrabungen gewonnene Bild weist auf eine sozial wenig differenzierte Bevölkerungsstruktur. Mit der Aufteilung des Reiches nach dem Tod Herodes’ des Großen 4 v. Chr. fällt Kafarnaum an Antipas. Da die Grenze zwischen den Tetrarchien des Antipas und des Philippus entlang des Jordan verläuft, wird Kafarnaum zum Grenzort. Mt 9,9 erwähnt ein telðnion (telo¯nion), eine Zollstation. Aus der Existenz einer solchen Zollstation und dem Auftreten des Zenturio wird häufig auf eine zugehörige Militärstation geschlossen. Das ist möglich, aber nicht zwingend, denn denkbar wären auch andere Gründe für die Anwesenheit eines Zenturio wie die Ausübung von Verwaltungsaufgaben, Landzuteilung an einen entlassenen Soldaten oder ein nur zeitweiliger Aufenthalt. Archäologisch nachgewiesen sind bisher weder ein Garnisons- noch Verwaltungsgebäude aus dieser Zeit. Bei dem Zenturio muss es sich im Rahmen der erzählten Welt um einen Soldaten des Antipas handeln. Eine römische Besatzung existierte in Galiläa erst nach der Niederschlagung des jüdischen Aufstandes im Jahr 70. Allerdings werden nicht erst die späteren Rezipienten von Q, sondern – sofern Frenschkowski mit der Lokalisierung der Q-Redaktion in Jerusalem Recht hat (Frenschkowski 2001) – schon die Verfasser des Endtextes bereits einen römischen Zenturio vor Augen gehabt haben. Dadurch erhält die Erzählung einen besonderen Akzent. Zenturionen waren, im Unterschied zu den Stabsoffizieren, deren militärische Laufbahn ein Teil des cursus honorum darstellte, erfahrene Berufssol177
Die Wundererzählungen in der Logienquelle Q
daten. Zwar war es auch Nachkommen von Offizieren und Personen aus dem Ritterstand (centuriones ex equite romano) möglich, gleich bei diesem Rang und mit besseren Beförderungsaussichen einzusteigen, der große Teil der Zenturionen waren jedoch langjährig gediente Soldaten (centuriones ex caliga), deren Karriereziel das nur für wenige erreichbare primipilat war. Ihre Ernennung erfolgte in republikanischer Zeit nach dem Votum der Truppe (ex suffragio legionis), später auf Vorschlag des Tribuns. Sie vollzog sich dann jedoch immer mit Wissen des Heerespersonalamtes und des Kaisers. Einsatzmöglichkeiten bestanden in der Legion, den Auxiliartruppen und der Verwaltung, insbesondere den technischen Diensten. In den Legionen waren sie Führer einer selbstständig agierenden Einheit und zugleich Ausbilder, die für die Ausrüstung verantwortlich waren und die Disziplinargewalt ausübten. Außerdem oblagen ihnen auch die Durchführung religiöser Riten. (Wegen dieser nur partiellen Vergleichbarkeit mit Dienstgraden und Dienststellungen heute wird hier auch auf die klassische Übersetzung mit Hauptmann verzichtet.) Der soziale Rang eines Legionszenturios war abhängig davon, in welcher Kohorte er diente. Die Zenturionen der ersten Kohorte galten als primi ordines und gehörten zum erweiterten Kommandostab (vgl. dazu Birley 1963/64). Trotz dieser nicht unerheblichen Differenzierungen erscheint der Zenturio nicht nur als organisatorisch wichtigster Rang, sondern auch als die markanteste Gestalt des römischen Heeres (vgl. Dobson 1974). Bereits äußerlich war er deutlich herausgehoben durch den querstehenden Helmbusch (crista transversa), den Stock aus Rebenholz (vitis) als Zeichen der Disziplinargewalt, den auf der linken Seite getragenen gladius, den Beinschienen (ocreae) und den militärischen Schmuck. Die Quellen betonen die militärischen Fähigkeiten, die Härte und Tapferkeit von Zenturionen (z. B. Caes. civ. 6,38,1-5; 40,7; 7,50,1-6; Polyb. 6,24). Wie die nomina gentilicia und Inschriften auf den Grabsteinen zeigen, stammten die Zenturionen zumeist aus dem ältesten und am stärksten romanisierten Teil der Mittelschicht. Das Zenturionat zielte damit auch auf den Erhalt des römischen Charakter des Heeres (Le Bohec 2009, 85). In der Person des Zenturio begegnet also nicht einfach die Gestalt eines Subalternoffizieres, sondern die sichtbare Verkörperung der militärischen Macht Roms. Der Gedanke der Unterordnung verbindet sich mit dem der Machtrepräsentation. Wenn Burchard (Burchard 1993, 282) feststellt, dass es bisher nicht geglückt sei, ¢p ¥xousfflan (hypo exousian) als Ausstattung mit Macht zu deuten, so trifft dies sicher auf den sprachlichen Befund zu. Jedoch dürfte das Wissen um einen solchen Zusammenhang in diesem speziellen Fall Teil der antiken Enzyklopädie gewesen sein. Insofern wird es sich bei den Rezipienten des Textes um eine eher negativ konnotierte Gestalt handeln.
Traditions- und religionsgeschichtlicher Hintergrund Die Erwartung des Zenturio bewegt sich zunächst völlig im Rahmen seiner militärischen Vorstellungswelt von Befehl und Gehorsam (zur Bedeutung von Befehl und Gehorsam für den Erfolg der römischen Armee vgl. Flav. Jos. Bell. 2,577-580). Indem Jesus dieses Zutrauen in die Macht seines Wortes aber als Glauben bezeichnet und in Verbindung zu Israel bringt, stellt er es in den Horizont jüdischen theologischen Denkens. Dabei ergibt sich eine starke Beziehung zur Vorstellung vom schöpferischen Wirken Gottes. Es gehört zu den fundamentalen Elementen alttestamentlich-jüdischen Glaubens, dass Gott durch 178
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sein Wort wirkt. Bereits die Schöpfungserzählung Gen 1 beruht auf dem Grundmuster: Gott sprach – und es geschah so. Auch das spätere geschichtliche Wirken Gottes wird als Ergehen eines Befehls erzählt. Die Aussage von der Macht dieses Befehls verbindet sich etwa in Ps 33 mit der Vorstellung von Rettung aus dem Tod und Hungersnot (Ps 33,9.19). Auf die heilende Kraft dieses Wortes verweist auch Ps 107,20. Wenn es richtig ist, dass der Zenturio seine Unwürdigkeit erklärt, weil er als Heide die Sendung Jesu zu Israel und damit die Vorrangstellung des Gottesvolkes anerkennt, dann enthält seine nachfolgende Bitte aber zugleich auch die Erwartung, dass Jesus diese Grenze überschreitet. Diese Erwartung findet sich schon in Jes 55 und 56. Die Aussage zur Wirkmacht des Wortes (Jes 55,11) steht in einem Kontext, der die Überschreitung der Grenzen Israels thematisiert (Jes 56,1-8). Hier zeigt sich ein wichtiger Unterschied zu Mt 15. Die Syrophönizierin anerkennt den heilsgeschichtlichen Vorzug Israels, vertraut aber zugleich darauf, dass auch Heiden zum Heil zugelassen sind. Da – mit ihrem Bilde gesprochen – auch Hunde letztlich zum Haushalt gehören, wird die Grenze zwischen ihnen und den Kindern relativiert. Der Glaube des Zenturio richtet sich dagegen auf die grenzüberscheitende Macht des Wortes Jesu. Der betonte Gegensatz zwischen dem Glauben des Zenturio und dem Israels nimmt eine Form der prophetischen Israelkritik auf, zu der auch der Topos der Beschämung Israels durch Repräsentanten der Heiden gehört. Während in Q 10,13.14 Sidon und Tyrus, den paradigmatischen Feinden Israels (Sir 48,12-15), in Umkehrung des Völkerorakels von Jes 23 und Ez 28,1-24 nur ein besseres Abschneiden im Gericht als den galiläischen Orten Chorazin und Betsaida angekündigt wird, erscheinen die Niniviten (Q 11,30.32) und die Südkönigin (Q 11,31) wie auch der Zenturio als positive Vertreter der Heiden. Mit dem Topos der Beschämung Israels durch vorbildhafte Heiden scheint Q v. a. an die Jonatradition anzuknüpfen. Nur angedeutet werden kann hier, dass sich die jüdisch-christliche Auseinandersetzung gerade auch in der wechselseitigen Rezeption der Jonageschichte niedergeschlagen hat. Bezüge zur Erzählung vom Glauben des Zenturio ergeben sich insbesondere in Jon 3. Die Niniviten reagieren 3,5 auf die Gerichtsansage Jonas mit Glauben (¥pfflsteusan … t†w qe† episteusan to¯ theo¯ – sie glaubten Gott) und daraus folgend mit Buße und Umkehr. Glauben erscheint auch hier als Vertrauen auf Rettung durch Gott angesichts einer ausweglosen Situation und Neuausrichtung des Lebens. Intertextuelle Verweise deuten darauf, dass auch Ninive als Gegenbild zu Israel gezeichnet werden soll. So kontrastieren Jon 1,5; 3,4 f.10 die Seeleute und die Niniviten mit Israel am Schilfmeer und am Sinai (Ex 14,10; 24,18; 14,31; 32,14) (Weimar 2009, 185-189). In Jon 3,8/Jer 36,3.7 stehen sich mit der Abfolge Prophetenwort – Volk – König die gegensätzlichen Reaktionen des Königs von Ninive und Jojakims gegenüber (Vanoni 1978, 146 f.). Ninive, das Urbild der Bedrohung und Unterdrückung Israels, wird so z. B. dafür die universale Heilszuwendung Gottes und zugleich zu einer ungeheuren Herausforderung des Gottesvolkes.
Verstehensangebote und Deutungshorizonte Die Erzählung ist, wie wir gesehen haben, mehrdimensional. Die kompositionskritische Betrachtung (Hüneburg 2001a, 135-139) weist auf ein deutliches christologisches Interesse der Logienquelle. Die erste Makrosequenz wird durch die Täuferverkündigung Q 179
Die Wundererzählungen in der Logienquelle Q
3,7b-9.16 f. und die darauf zurückgreifende Anfrage des Täufers Q 7,18-23 zusammen mit der anschließenden Rede Jesu über Johannes (Q 7,24-31) gebildet. Die Frage nach dem Kommenden gibt so den Interpretationsrahmen vor. Bei dem vom Täufer angekündigten Kommenden (¡ ¥rcmeno@ ho erchomenos) handelt es sich um eine eschatologische Richtergestalt. Der historische Täufer hatte wohl ursprünglich das Kommen Gottes zum Gericht erwartet. Die frühen Christen bezogen die Erwartung auf den wiederkommenden Christus. Als eschatologischer Richter erscheint Jesus aber erst in Q 19,38. Die Täuferanfrage und die Antwort Jesu lenken den Blick dagegen auf die Person des irdischen Jesus. Die Antwort mit ihren alttestamentlichen Bezügen verbindet Vorstellungen vom eschatologischen Handeln Gottes (Jes 26,19; 29,18; 35,5 f.; 42,18) mit der eines Gesandten (Jes 61,1 f.) und appliziert sie auf Jesus. Das Geschehen von Wundern und Verkündigung an die Armen erweist Jesus als den eschatologischen Mandatar Gottes, in dessen Wirken die Endzeit als Heil zur Gegenwart wird (vgl. dazu auch Q 11,20). Die Heilung wird zum exemplarischen Beleg (deshalb auch die unspezifische Angabe zur Krankheit) für die genannten Ereignisse. Auch die scheinbare Auflösung der Form einer Wundergeschichte erhält im Rahmen dieser konzeptionellen Verbindung ihren Sinn. Die Vollmacht Jesu äußert sich in seinem Wort, dass sowohl durch Heilungen wie auch durch Lehre Heil bewirkt. Der den Umkehrruf in der Täuferverkündigung begründende Gerichtsgedanke bekommt einen neuen Ort. Das Ergehen im Gericht entscheidet sich nun an dem Glauben, der als Vertrauen zu dieser umfassenden Vollmacht Jesu inhaltlich bestimmt ist (vgl. Q 7,23; 10,13-15 und die Kontrastierung der Kinder der Weisheit mit dieser Generation in Q 7,35). Dieser christologische Ansatz führt zur Auseinandersetzung mit Israel. Q weist zwar eine innerjüdische Perspektive auf, steht Israel aber kritisch gegenüber. Hintergrund ist die Verweigerung der Umkehr, die nach Q 10,13 gerade auch als Reaktion auf die Machttaten Jesu (dun€mei@ dynameis) erwartet wird. Dabei verläuft der Konflikt zwischen dieser Generation ( geneÞ a˜th he¯ genea haute¯) insgesamt oder verschiedenen Exponenten Israels und denen, die Jesus nachfolgen. Andererseits gewinnt die Heranziehung eines Heiden als Glaubensparadigma eine über die Beschämung Israels hinausgehende Bedeutung. Bereits der Täufer hatte in seiner Predigt vor einer auf der Abrahamskindschaft beruhenden Erwählungsgewissheit gewarnt. Sein Hinweis, Gott könne auch aus Steinen dem Abraham Nachkommen verschaffen, sichert die Verheißungstreue Gottes gegenüber Abraham, öffnet aber zugleich – zumindest prinzipiell – die Möglichkeit einer Überschreitung der Grenzen des vorfindlichen Israel. Q propagiert sicher noch keine Heidenmission, schafft aber, indem der Gegensatz jetzt nicht mehr in den religiös konnotierten ethnischen Zugehörigkeiten, sondern zwischen Nachfolgern und Gegnern Jesu gesehen wird, zumindest eine Offenheit dafür. Im Kontext der Verheißung von Q 22,30, dass seine Nachfolger (wie die Südkönigin und die Niniviten) zu Richtern über die Zwölf Stämme Israels bestimmt sind, wird diese Erzählung vom Glauben eines heidnischen Zenturio zu einer Provokation. Damit lässt die Erzählung zugleich aber auch zeitgeschichtliche Rückfragen zu. Die in ihr enthaltene Kritik am Fehlen solchen Glaubens in Israel schien durch die Verwendung der Aoristform bereits über den konkreten Fall hinauszuweisen. Unabhängig von der Frage, ob bzw. in welchem Maße die textinternen Konflikte die tatsächliche Situation Jesu spiegeln, wird etwas erkennbar von der textexternen Situation der Tradenten von Q. Die in der Logienquelle enthaltene z. T. äußerst schroffe Israelpolemik lässt vermuten, 180
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dass eine weitere Mission in Israel nicht mehr als möglich erscheint. Die hinter Q stehende Gruppe schaut bereits auf das Scheitern ihrer Israelmission zurück. Sie ist marginalisiert und muss mit Verfolgung rechnen (Q 6,22). Das Interesse bei der Komposition von Q ist dann darauf gerichtet, diese Situation zu verarbeiten und ihr einen Sinn zu verleihen. Die Jesusnachfolge und -verkündigung wird ins Recht gesetzt durch den zum Gericht wiederkehrenden Menschensohn-Richter.
Aspekte der Parallelüberlieferung und Wirkungsgeschichte Q ist in Matthäus und Lukas aufgegangen und nicht weiter als selbstständige Schrift tradiert worden. Die Erzählung vom Glauben des Zenturio hat deshalb ihre Wirkungsgeschichte in der Gestalt des matthäischen und lukanischen Textes entfaltet. Beide Evangelisten setzen jedoch unterschiedliche Akzente. So verstärkt Matthäus mit der Umformulierung der den Glauben Israels betreffenden Aussage Jesu (Mt 8,10) und der Umstellung des Spruches von der Völkerwallfahrt von Q 13,28 f. die israelkritische Tendenz. Lukas dagegen zeichnet durch die Einfügung des Gesandtschaftsmotives (Gagnon 1994) den Zenturio als eine dem Judentum nahestehende Gestalt und rückt sie so in die Nähe des Zenturio Cornelius (Apg 10). Das für ihn in der Apg wichtige Motiv der Vermittlung des Evangeliums hin zu den Heiden über die Synagoge und die Gottesfürchtigen begegnet so bereits am Beginn der Wirksamkeit Jesu (Gourges 2002). Es lässt sich aber auch zeigen, dass beide Evangelien keineswegs nur Impulse der Erzählung aufnehmen. Sie sind vielmehr in ihrem ersten Teil jeweils stark von der christologischen Q-Konzeption als Ganzes (Täuferpredigt mit Ankündigung des Kommenden – Predigt und Wunder – Johannesanfrage und Rede über den Täufer als Gegenüber zu diesem Geschlecht) beeinflusst worden (vgl. Hüneburg 2001b). Eine sehr nahe Parallele liegt mit der Erzählung von der Heilung des Sohnes eines königlichen Beamten in Joh 4,46-54 vor. Fleddermann (2005, 347) hält Joh 4,46-54 zwar für eine relecture der Synoptiker, die von ihm angeführten Indizien können jedoch die Beweislast keinesfalls tragen. Die trotz aller Nähe erheblichen Unterschiede weisen vielmehr eher auf ein traditionsgeschichtliches als ein literarisches Verhältnis hin (Landis 1994, 38-56; Theobald 2009, 353-356).
Martin Hüneburg Literatur zum Weiterlesen D. R. Catchpole, The Centurion’s Faith and Its Function in Q, in: F. van Segbroeck et al. (Hg.), The Four Gospels 1992, FS F. Neirynck, BEThL 100, Leuven 1992, 517-540. D. Dormeyer, Der Hauptmann von Kafarnaum (Q 7,1.3.6b-9?10?). Narrative Strategie mit Chrie, Wundergeschichte und Gleichnis, in: D. Roth/R. Zimmermann/M. Labahn (Hg.), Metaphor and Narrative in Q, WUNT, Tübingen 2013 (im Erscheinen). H. T. Fleddermann, Q: A Reconstruction and Commentary, BiTS 1, Leuven 2005. M. Hüneburg, Jesus als Wundertäter in der Logienquelle: Ein Beitrag zur Christologie von Q, ABG 4, Leipzig 2001.
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Ders., Mt und Lk als Erben der Wundertradition von Q, Leqach 1 (2001), 137-150. S. R. Johnson, Q 7:1-10: The Centurion’s Faith in Jesus’ Word, Documenta Q, Leuven 2002. S. Landis, Das Verhältnis des Johannesevangeliums zu den Synoptikern: am Beispiel von Mt 8,513; Lk 7,1-10; Joh 4,46-52, BZNW 74, Berlin/New York 1994. R. A. Piper, Jesus and the Conflict of Powers in Q: Two Miracle Stories, in: A. Lindemann (Hg.), The Sayings Source Q and the Historical Jesus, BEThL 158, Leuven 2001, 317-349. U. Wegner, Der Hauptmann von Kafarnaum (Mt 7,28a; 8,5-10.13 par. Lk 7,1-10): ein Beitrag zur Q-Forschung, WUNT 2/14, Tübingen 1985.
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Der umstrittene Exorzist (Jesu Macht über die bösen Geister) Q 11,14 f.17-22.24-26 (14) Und er trieb einen Dämon aus, der einen Menschen stumm sein ließ. Und als der Dämon ausgetrieben war, begann der Stumme zu sprechen. Und die Volksmenge staunte. (15) Einige aber sagten: »Mit Beelzebul, dem Herrscher der Dämonen, treibt er die Dämonen aus!« (16) (17) Er aber durchschaute ihre Gedanken und sagte ihnen: »Jedes Königreich, das in sich geteilt ist, wird zur Wüste, und jedes Haus, das in sich geteilt ist, wird nicht bestehen bleiben. (18) Und wenn der Satan in sich geteilt ist, wie wird sein Königreich bestehen bleiben? (19) Und wenn ich mit Beelzebul die Dämonen austreibe, mit wem treiben eure Söhne sie aus? Darum werden sie selbst eure Richter sein. (20) Wenn ich aber mit dem Finger Gottes die Dämonen austreibe, so ist die Königsherrschaft schon bei euch da. (21) Ein Starker kann nicht beraubt werden, (22) wenn aber ein Stärkerer ihn besiegt, wird er beraubt. (23) (24) Wenn der unreine Geist aus einem Menschen hinausgegangen ist, geht er durch wasserlose Gegenden und sucht einen Ruheplatz und findet ihn nicht. Dann sagt er: ›Ich will in mein Haus zurückkehren, von wo ich ausgegangen bin.‹ (25) Und er kommt und findet es gefegt und geordnet. (26) Dann geht er und nimmt mit sich sieben andere Geister, böser als er selbst, und sie gehen hinein und wohnen dort. Und der ›letzte‹ Zustand jenes Menschen wird schlimmer als der erste sein« (zur Textrekonstruktion und Übersetzung vgl. Hoffmann/Heil 2002, 63-65).
Sprachlich-narratologische Analyse Innerhalb der Konstruktion der Logienquelle begegnet der Text Q 11,14-26 am Beginn einer Zusammenstellung von Traditionsstücken, in denen der Konflikt Jesu mit seinen jüdischen Mitmenschen zur Sprache gebracht wird (Q 11,14-52). Da in keiner anderen Sequenz der Logienquelle die Konfliktpotentiale dieser Auseinandersetzungen derartig prägnant zu Tage treten, scheint diese Sammlung von Jesus-Logien eine bewusst gestaltete Texteinheit zu sein (vgl. Fleddermann 2005, 475-489). Entsprechend zeichnet sich der weitere Kontext der Sequenz durch eine sukzessive Steigerung der Dramaturgie aus, die schließlich in eine scharfe Verurteilung der Pharisäer und Schriftgelehrten mündet (Q 11,37-54). Bei diesem Text handelt es sich partiell um eine sowohl in der Logienquelle als auch im Markusevangelium tradierte Doppelüberlieferung (vgl. die Parallele zu Q 11,14-22 in Mk 3,22-27). Die Passage beginnt mit der Erwähnung eines Exorzismus, durch welchen Jesus einen stummen Menschen heilt. Auch wenn entsprechende Heilungen in den vorhergehenden Passagen der Logienquelle nur verhältnismäßig selten erwähnt wurden (vgl. u. a. die Erzählung von der Heilung des Knechts eines römischen Zenturio Q 7,1-10), wird in diesem Kontext wie selbstverständlich eine exorzistische Tätigkeit Jesu voraussetzt, ohne dass dieselbe spezieller erläutert wird. Hier zeigt sich somit, 183
Die Wundererzählungen in der Logienquelle Q
dass in der Logienquelle die theologische Bedeutung der Erzählungen von Heilungen und Exorzismen Jesu schlicht vorausgesetzt wird (zu diesem Phänomen vgl. Hüneburg 2001a, 9 f. bzw. 226-228). Die Person des Geheilten bzw. die Heilung selbst stehen in diesem Kontext jedoch nicht im Vordergrund des Interesses, sondern die Frage nach den Ursprüngen der therapeutischen Kraft Jesu. Eine nicht näher identifizierte Gruppe von Kontrahenten wirft Jesus vor, dass er nur deshalb Exorzismen vornehmen kann, weil er selbst von dämonischen Kräften inspiriert ist. Er sei einen Pakt mit Beelzebul, dem ›Herrscher der Dämonen‹, eingegangen (zum traditionsgeschichtlichen Hintergrund dieser dämonologischen Vorstellung vgl. Poplutz, Dämonen in diesem Band). Auf diesen Vorwurf folgt die ausführlichste und facettenreichste Zusammenstellung von dämonologischen Aussagen, die sich in frühchristlichen Jesus-Traditionen finden lassen. Die Antwort Jesu in Q 11,17-26 kann in vier Abschnitte untergliedert werden. Nachdem in Q 11,17-20 zunächst der Selbstanspruch Jesu in Bezug auf jenen Vorwurf herausgearbeitet wird, folgen in Q 11,21f., Q 11,23 und Q 11,24-26 drei weitere Logien, die jeweils zu den in Q 11,14-20 dokumentierten Dämonenvorstellungen in Beziehung stehen. Zunächst versucht Jesus, den gegen ihn erhobenen Vorwurf als unsinnig zu erweisen, indem er betont, dass das Reich der Dämonen in sich zerrissen und dem Untergang geweiht sei, wenn Dämonen sich gegenseitig bekämpfen würden (Q 11,17f.). Er konfrontiert seine Kontrahenten mit der Gegenfrage, durch welche Kraft denn dann die exorzistische Tätigkeit ihrer eigenen Kinder inspiriert sei. Auf diese Frage, welche implizit die weite Verbreitung exorzistischer Tätigkeiten zur Zeit Jesu zum Ausdruck bringt (s. u. Abschnitt 2), folgt die Legitimierung seiner eigenen Taten. Jesus nimmt für sich in Anspruch, in der Autorität Gottes Menschen von dämonischer Besessenheit zu befreien und auf diese Weise den Anbruch der Gottesherrschaft einzuleiten (Q 11,20). Q 11,21f. ergänzt die bisherigen Ausführungen durch ein Bildwort, welches auf soziale Umstände der zeitgenössischen Lebenswelt verweist: Ein wehrhafter Mensch kann nicht beraubt werden, solange er nicht auf einen stärkeren Gegner trifft. Nach dieser allgemeingültig und unpersönlich formulierten These bezieht sich die folgende Aussage wiederum direkt auf das Wirken Jesu. Q 11,23 zufolge nimmt Jesu für sich in Anspruch, dass jede Person, die seine Mission nicht unterstützt, sein Gegner sei (zu der direkten Gegenthese in Mk 9,40 s. u.). Auf diesen resoluten Selbstanspruch folgt eine weitere Jesus-Tradition, die nur in der Logienquelle, nicht aber im Markusevangelium tradiert ist. Q 11,24-26 umschreibt die Gefahren eines Exorzismus im Geiste zeitgenössischer Dämonenvorstellungen. Demnach sucht nach einem erfolgreichen Exorzismus der ›unreine Geist‹ in Wüstengegenden nach einer neuen Wohnstätte (auch wenn im Gegensatz zu Q 11,14-20 der Begriff Dämon in Q 11,24-26 nicht vorliegt, basieren beide Text auf vergleichbaren religionshistorischen Vorstellungen [s. u.]). Bei einer erfolglosen Suche kann es jedoch dazu kommen, dass er zu jenem Menschen zurückkehrt, der von ihm bereits ›bewohnt‹ wurde, und dass das Maß der dämonischen Besessenheit dann noch schlimmer ist als zuvor. Dabei wird im Geist einer sehr anthropomorph geprägten Dämonologie betont, dass der erste Dämon sieben weitere Geister mit sich nimmt, die noch schlechter sind als er selbst.
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Sozial- und realgeschichtlicher Kontext In der Einleitung des Textes wird zunächst konstatiert, dass Jesus einen stummen Menschen heilt. Gleichwohl wird diese Person bzw. die mit seiner Behinderung einhergehende soziale Notsituation nicht genau thematisiert (interessanterweise betont demgegenüber die matthäische Gestaltung dieser Tradition, dass jener stumme Mensch zudem auch blind war, was eine wesentlich problematischere soziale Stellung mit sich bringt [vgl. Kollmann 1996, 251-253]). Für Q 11,14-26 steht hingegen die Frage nach den Ursachen der Heilungstätigkeit Jesu im Vordergrund des Interesses. Dabei wird das für die Frage der Historizität der Heilungen und Exorzismen Jesu hoch interessante Detail tradiert, dass offensichtlich auch die Gegner Jesu eingestanden haben, dass Jesus Taten vollbrachte, die den Rahmen zeitgenössischer Erwartungshorizonte sprengten. Aus diesem Grund fühlten sie sich dazu genötigt, eine Erklärung für die Taten Jesu zu finden, die mit ihrer kritischen Haltung gegenüber Jesus vereinbar ist. Sie postulieren, dass Jesus nur aufgrund einer dämonischen Besessenheit selbst Dämonen austreiben kann. Dass ein so massiver Vorwurf erst nachösterlich von Anhängern Jesu formuliert wurde, ist historisch kaum plausibel. Plausibler ist es, dass in der Tat über einen solchen Tatbestand zwischen Jesus und seinen Kontrahenten im zeitgenössischen Judentum ein Konflikt entstand, in dessen Kontext zugleich der Selbstanspruch Jesu zu Tage trat (vgl. Theißen/Merz 2001, 169f.). Für den sozialgeschichtlichen Hintergrund der Erzählungen über Exorzismen Jesu ist zudem die Teilaussage Q 11,19 aufschlussreich. Wie selbstverständlich konstatiert dieses Logion, dass auch die Angehörigen der Kontrahenten Jesu Dämonenaustreibungen vornehmen. Dass körperliche Gebrechen bzw. Krankheiten auf eine dämonische Besessenheit zurückgehen, ist dieser Rückfrage zufolge somit nicht strittig. Strittig ist nur, in welcher Autorität bzw. durch welche Legitimation Jesus handelt. In Bezug auf den realgeschichtlichen Hintergrund ist ferner bemerkenswert, dass Q 11,24 die Vorstellung dokumentiert, dass Wüstengegenden von Dämonen bewohnt sein können. Dieses negative Bild solcher unwirtlichen Gegenden entspricht einer Vielzahl antik-mediterraner Zeugnisse aus unterschiedlichen religiösen Hintergründen (Keel 2003, 214 f.). Zu diesem Phänomen passt es auch, dass Jesu Askese während des Wüstenaufenthalts auch von einer satanischen Versuchung begleitet wird (vgl. Mk 1,13; Mt 4,111; Lk 4,1-13).
Traditions- und religionsgeschichtlicher Hintergrund In traditions- und religionsgeschichtlicher Hinsicht sieht sich der Leser von Q 11,14-26 mit einem eigentümlichen Phänomen konfrontiert. In nahezu allen Facetten der in diesen Versen vorliegenden dämonologischen Vorstellungen lassen sich traditions- und religionsgeschichtliche Vorgaben im Spektrum alttestamentlich-frühjüdischer Zeugnisse beobachten. Während das Motiv einer dämonischen Verursachung körperlicher Gebrechen und Krankheiten ein weitverbreitetes Glaubensgut war (vgl. Poplutz, Dämonen in diesem Band), ist auch die Q 11,24-26 zugrundeliegende Vorstellung, dass ein ausgetriebener Dämonen umherirrt und wieder zu seinem frühen Opfer zurückkehren kann, keine genuin jesuanische Vorstellung. Umso mehr verwundert es, dass es für ein zentrales Motiv 185
Die Wundererzählungen in der Logienquelle Q
dieser Tradition strenggenommen keine unmittelbare Vorgabe bzw. Vergleichsgröße gibt, nämlich für die namentliche Identifikation des vermeintlichen ›Dämonenfürsten‹. Nahezu alle begriffsgeschichtlichen Belege für den Namen ›Beelzebul‹ gehören nicht zur traditionsgeschichtlichen Vorgeschichte von Q 11,14-20, sondern zur Rezeptions- bzw. Wirkungsgeschichte dieses Textes (zu diesem Phänomen vgl. Wolter 2008, 416f.). Auch eine etymologische Herleitung dieses Namens lässt sich lediglich indirekt herausarbeiten. Der Begriff bfbg lpb (b‘l zbwb – Beelzebub) begegnet in der hebräischen Bibel als Name der Stadtgottheit der Philister-Stadt Ekron, von dem 2Kön 1,2 zufolge der jüdische König Ahasja ein Orakel erbeten haben soll. Da dieser Name wörtlich ›Herr der Fliegen‹ heißen würde, scheint es sich um eine spöttische Umformung eines vom Konsonantenbestand her nahezu identischen Namens zu handeln, der eigentlich Baal Zebul (erhabener Fürst) geheißen hat. Im Zuge der Ausbildung eines monotheistischen Gottesbildes und der frühjüdischen Dämonologie wurde diese Gottheit zu einer dämonischen Gestalt depotenziert. Insofern es jedoch für den Namen ›Beelzebul‹ in den grundlegenden Traditionsbildungen frühjüdischer Dämonologie weder direkte noch indirekte Analogien gibt, scheint es sich bei dieser Vorstellung um eine lokal begrenzte Vorstellung zu handeln (zu diesen Herleitungen vgl. Trunk 1994, 46-50). Ferner gilt es zu beachten, dass im Zusammenhang dieser Kontroverse ein JesusLogion begegnet, bei dem ebenso wie in Bezug auf den gegen Jesus erhobenen Vorwurf ein verhältnismäßig großer Konsens besteht, dass es historisch auf das Wirken Jesu selbst zurückzuführen ist, nämlich das Logion, demzufolge Jesus für sich in Anspruch nimmt, ¥n daktÐl†w qeo‰ (en daktylo¯ theou), also ›mit dem Finger Gottes‹ Dämonen auszutreiben. Auch wenn das Motiv des Fingers Gottes in alttestamentlich-frühjüdischen Traditionen durchaus an einigen wenigen Stellen begegnet (Ex 8,15; 31,18; Dtn 9,10), entspricht es eigentlich nicht den gängigen Bildfeldtraditionen, die diesbezüglich zumeist von der Hand bzw. im Plural von den Fingern Gottes sprechen (Hengel 1997, 87-106). Zudem ist es wenig plausibel, dass ein so stark anthropomorph geprägtes Motiv in Bezug auf Gott erst nachträglich von Nachfolgern Jesu geprägt wurde, um dann wieder metaphorisch korrigiert zu werden (zur entsprechenden Korrektur s. u.).
Verstehensangebote und Deutungshorizonte Hinsichtlich einer sozialgeschichtlichen Deutung gibt der Text einen Einblick in die Vorstellungswelten und sozialen Lebensumstände zur Zeit des Wirkens Jesu, der die Differenzen zur Lebenssituation der meisten heutigen Leser zu Tage treten lässt. Einerseits lässt der Vorwurf, der gegen Jesus erhoben wird, aber auch die Reaktion Jesu selbst erkennen, mit welcher Selbstverständlichkeit dämonische Besessenheit als Ursache für Krankheiten und körperliche Gebrechen verstanden werden konnte. An diesem Detail zeigt sich wie an vielen Erzählungen von Exorzismen Jesu, mit welchen hermeneutischen Herausforderung ein(e) Leser(in) dieses Textes konfrontiert wird, der/die ein menschliches Leiden nicht mehr auf der Grundlage eines solchen Weltbildes zu erklären gewillt ist (vgl. den entsprechenden Themenartikel in diesem Band). Ferner deutet das Bildwort Jesu von der Überwindung eines wehrhaften Mannes durch einen noch stärkeren Gegner implizit an, in welcher durch Gewalt und das ›Recht des Stärkeren‹ geprägten sozialen
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Umwelt Jesu Wirken insbesondere in Galiläa sich vollzog (zur religionssoziologischen Situation in Galiläa zur Zeit Jesu vgl. Ostmeyer 2005, passim). Das Motiv des Ringens bzw. Überwindens korrespondiert auch mit dem Ende der Texteinheit Q 11,14-26, welches eine weitere theologisch-hermeneutische Deutungsmöglichkeit impliziert. Das Motiv der Rückkehr eines Dämons, der eigentlich bereits ausgetrieben war, jedoch nach erfolgloser Suche nach einer neuen Wohnstätte in seine alte zurückkehrt und das Ausmaß der Besessenheit auf diese Weise massiv steigert, kann dahingehend gedeutet werden, dass ein erfolgreich vorgenommener Exorzismus für sich genommen noch nicht ausreichend ist. Es stellt sich die Frage, welche neue ›Erfüllung‹ das befreite Individuum findet. Es reicht nicht, »vom Dämon befreit zu sein«, sondern es muss auch »Chistus … in uns einziehen« (vgl. Bovon 2008, 180; zu entsprechenden religionsgeschichtlichen Vorstellungen, denen zufolge menschliche Individuen durch äußere Entitäten ›besetzt‹ werden vgl. Preisigke 1980, 210-247, demzufolge Jesus in Bezug auf sich selbst davon überzeugt ist, dass seine eigene Vollmacht seine Nachfolger in einer quasi-materiellen Weise erfüllt). Im Kontext der Erläuterungen der religions- und traditionsgeschichtlichen Hintergründe der Texteinheit Q 11,14-26 wurde betont, dass dieselbe eindrücklich zu erkennen gibt, mit welcher Selbstverständlichkeit die Worte Jesu und die seiner Gegner ein dämonologisch geprägtes Weltbild voraussetzen. Gleichwohl gilt es zu beachten, dass die Komposition der Logienquelle eine implizite Kritik an einer solchen auf exorzistische Tätigkeiten konzentrierte Glaubenshaltung erkennen lässt. Der Gesamtkomplex Q 11,14-52 erweist sich aufgrund seiner Konzentration auf die Konflikte zwischen Jesus und seinen jüdischen Mitmenschen als eine bewusst gestaltete Texteinheit (vgl. Fleddermann 2005, 475 f.). Umso bemerkenswerter ist es, dass in den auf Q 11,14-26 folgenden Logien eine Forderung von glaubens- bzw. vertrauensbegründenden Zeichenhandlungen abgelehnt wird (vgl. Q 11,29-32). Stattdessen tritt die Bedeutung der innerlichen Haltung der Menschen (Q 11,33-36) und die Kritik an einer unangemessenen Praxis jüdischer Gesetzestraditionen in den Vordergrund des argumentativen Interesses (vgl. Q 11,37-54). Diese Komposition kann als Indiz gewertet werden, dass die zu Beginn der Texteinheit vorliegenden dämonologischen Ausführungen nicht das eigentliche Interesse dieser Logiensammlung bilden, sondern die eher weisheitlich orientierten Aspekte der Folgetexte Q 11,27-54 wie z. B. die lichtmetaphorischen Bildworte (Q 11,33) bzw. die Antithetik von ›Innerem‹ und ›Äußerem‹ (Q 11,39-41; zu diesen Erwägungen vgl. Kloppenborg 2008, 71f.). Besondere Beachtung verdient zudem ein Aspekt, der für die theologisch-christologische Dimension dieser Tradition von Relevanz ist. Das Motiv des ›Fingers Gottes‹, mit dem Jesus Dämonen auszutreiben für sich in Anspruch nimmt, ist ein stark anthropomorph geprägtes Motiv (zur Korrektur dieses Details Mt 12,28 s. u.). Da es zudem traditionsgeschichtlich nicht unmittelbar aus frühjüdischen Traditionen abgeleitet werden kann (s. o.), kann bzw. muss es einen Anhalt am Wirken Jesu selbst gehabt haben. In dieser Hinsicht wäre Q 11,20 ein Indiz für einen hohes messianisches Selbstverständnis Jesu, dass den Selbstanspruch eines jüdischen Wanderpredigers bzw. Weisheitslehrers deutlich übersteigt (Hengel 1997, 105f.).
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Die Wundererzählungen in der Logienquelle Q
Aspekte der Parallelüberlieferung und Wirkungsgeschichte Zu dem Traditionsstück Q 11,14-26 gibt es unterschiedliche Parallelüberlieferungen, die jeweils eigene theologische Aussageintentionen verfolgen. Mk 3,22-26 ist ein Beispiel für Doppelüberlieferungen, die sowohl in der Logienquelle als auch im Markusevangelium begegnen. Dabei fällt auf, dass die in Q 11,15 nicht genauer identifizierten Gegner Jesu nun als Schriftgelehrte aus Jerusalem bezeichnet werden. Ferner fällt auf, dass die Antwort Jesu explizit als Gleichnis charakterisiert wird (Mk 3,23), was gattungsgeschichtlich durchaus plausibel erscheint. Des Weiteren ist bemerkenswert, dass der traditionsgeschichtlich schwierig einzuordnende Dämonen-Name Beelzebul nur in dem Vorwurf jener Schriftgelehrten vorkommt, während der markinische Jesus im Gegensatz zu Q 11,19 in seiner Antwort ausschließlich von der Überwindung des Satans redet (Mk 3,23.26). Ferner fällt auf, dass in Mk 3,22-26 das Motiv der Dämonen-Austreibung ›mit dem Finger Gottes‹ völlig fehlt (Q 11,19). Letzteres erfährt auch in der matthäischen Variante dieser Tradition eine Modifikation, die ansonsten sich weitestgehend an der Vorgabe der Logienquelle orientiert. Nicht von ungefähr nimmt ein dem jüdischem Denken so nahestehender Theologe wie der Verfasser des Matthäusevangeliums eine Modifikation dieses stark anthropomorph geprägten Motivs vor, indem er stattdessen von einem durch den Geist Gottes gewirkten Exorzismus spricht (Mt 12,28). Eine der bemerkenswertesten Parallelen zu Q 11,14-20 begegnet jedoch nicht in der synoptischen Tradition, sondern im vierten Evangelium. Ebenso wie in Q 11,14-20 begegnet auch im Johannesevangelium der Vorwurf einer dämonischen Besessenheit Jesu – und zwar gleich in drei unterschiedlichen Kontexten (Joh 7,20; 8,48b.52a; 10,20). Dieses Phänomen ist umso bemerkenswerter, wenn man berücksichtigt, dass es im Johannesevangelium kein Korrelat zur synoptischen Beelzebul-Tradition gibt bzw. dass eine exorzistische Tätigkeit Jesu überhaupt nicht erwähnt wird. Das in den synoptischen Exorzismus-Traditionen implizierte Motiv eines Kampfes zwischen Jesus und Dämonen ist jedoch keineswegs völlig ausgeblendet, sondern auf eine noch grundsätzlichere Ebene gehoben. Einerseits steht das gesamte Wirken Jesu unter dem Vorzeichen, dass durch das Kreuzesgeschehen die Macht des Satans gebrochen wird (vgl. die instruktive Einschätzung Twelftree 1999, 142 zu Joh 12,31f.: »In contrast to the synoptic focusing of Jesus’ battle with the Satan in the exorcisms, for the FE [Anmerkung E. E. P.: der vierte Evangelist] the whole of Jesus’ ministry is a battle with Satan that climaxes in the cross«). Andererseits fällt auf, dass der Verfasser des Johannesevangeliums den Vorwurf der dämonischen Besessenheit Jesu in Kontroversen um den Offenbarungsanspruch Jesu integriert. Der Vorwurf der Besessenheit Jesu muss im vierten Evangelium somit im Zusammenhang der Trennung der johanneischen Christen von der synagogalen Gemeinschaft bzw. der Auseinandersetzungen zwischen Jesus und ›den Juden‹ analysiert werden (vgl. Piper 2000, 264f.: »The language of demon possession is not in the fourth Gospel related to matters of magical healing, but to rivalry. It is reserved for demonising one’s opponents« (Kursivierung Piper).
Enno Edzard Popkes
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Der umstrittene Exorzist Q 11,14 f.17-22.24-26
Literatur zum Weiterlesen M. Becker, Wunder und Wundertäter im frührabbinischen Judentum: Studien zum Phänomen und seiner Überlieferung im Horizont von Magie und Dämonismus, WUNT 2/144, Tübingen 2002, 431-442. H. T. Fleddermann, Q: A Reconstruction and Commentary, Leuven 2005, 475-514. M. Hengel, Der Finger und die Herrschaft Gottes in Lk 11,20, in: R. Kiefer/J. Bergmann (Hg.), La main de Dieu. Die Hand Gottes, WUNT 94, Tübingen 1997, 87-106. J. S. Kloppenborg, Q, the Earliest Gospel: An Introduction to the Original Stories and Sayings of Jesus, Louisville 2008, 71f. B. Kollmann, Jesus und die Christen als Wundertäter. Studien zu Magie, Medizin und Schamanismus in Antike und Christentum, FRLANT 170, Göttingen 1996. M. Labahn, Der Gekommene als Wiederkommender. Die Logienquelle als erzählte Geschichte, Arbeiten zur Bibel und ihrer Geschichte 32, Leipzig 2010. G. H. Twelftree, Exorcisms in the fourth gospel and the synoptics, in: R. T. Fortna/T. Thatcher (Hg.), Jesus in Johannine tradition, Louisville et al. 2001, 135-143.
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II. Die Wundererzählungen im Markusevangelium
Hinführung Es fällt die Fülle der Wundergeschichten im Markusevangelium auf: neun Heilungswunder, vier Besessenenheilungen/Exorzismen, fünf Naturwunder sowie sechs Sammelberichte (Summarien) mit Wundern. In der Erzählzeit des öffentlichen Wirkens Jesu ohne Taufszene, Passion und Auferweckung beträgt ihr Anteil 38 %, macht also knapp ein Drittel des Evangeliums aus (Knoch/Braungart 1993, 556). In keinem anderen Evangelium nehmen die Wundergeschichten so viel Raum ein. Hinzu kommen mehrere Gespräche über Wunder. Die Wunderthematik ist für das Markusevangelium zentral. Auch die Verteilung der Wundererzählungen lässt eine gezielte Komposition erkennen. In der ersten Hälfte des Evangeliums ballen sich 15 Wundergeschichten (Mk 1,1-8,26), in der zweiten Hälfte finden sich nur noch drei (Mk 8,27-16,8). Die Wundergeschichten selbst lassen sich deutlich in die antike Literaturgeschichte einordnen. Allerdings gibt es erzählerische Auffälligkeiten wie die Schweigegebote, die erst im Rahmen des gesamten Evangeliums verständlich werden.
Gattung und Form Die markinischen Wundererzählungen haben von den neutestamentlichen Gattungen die größte Nähe zu einer hellenistischen Gattung, und zwar zur hellenistischen Wundergeschichte (Weinreich 1969; Theißen 1998, 230-236; Weiser 1975, 149-158; Kunath 1978). Aber auch die alttestamentliche Tradition nimmt Einfluss auf die markinischen Wundergeschichten. Besonders in der Exodustradition und in den Erzählzyklen zu den Propheten Elija-Elischa sind Wundergeschichten enthalten (Ex 13-17; 1Kön 17,1-2Kön 13,21). Die dort berichteten Wunder wirken auf die markinischen Wundergeschichten ein (Mk 1,21-28.40-45; 5,21-43; 6,30-44; 8,1-10), verändern aber nicht wesentlich deren hellenistische Gestalt (Kertelge 1970, 53.209). Gattung, Form und Topik der markinischen Wundergeschichten fallen daher nicht aus dem Gattungskanon der hellenistischen Wundergeschichten heraus. Es lassen sich die Wunder unterteilen in neun Heilungswunder (Mk 1,29-31.40-45; 2,1-12; 3.1-6; 5,21-24a.24b-34.35-43; 7,31-37; 8,22-26; 10,46-52), in vier Exorzismen (Mk 1,21-28; 5,1-20; 7,24-30; 9,14-29) und in fünf Naturwunder, die sich wiederum in zwei Rettungswunder (Mk 4,35-41; 6,45-52), zwei Geschenkwunder (Mk 6,30-44; 8,1-10) und ein Strafwunder (11,12-14) aufspalten lassen. Die Komposition der erzählerischen Motive gibt den markinischen Wundergeschichten ein eigenständiges Profil. Theißen betont den »grenzüberschreitenden« Charakter der Motive »Überwindung der Erschwernis (Glaube)«, »Hilferufe«, »Bitten und Vertrauensäußerung«, »Admiration« und »Akklamation« im Gegensatz zu grenzbetonenden Motiven aus der Perspektive der um Hilfe bittenden Menschen (Theißen 1998, 86). Mit der Spannung von grenzbetonend und grenzüberschreitend und der Beachtung der Rollenperspektive (Wundertäter; Menschen) gelingt es Theißen, das Christliche der markinischen Wundererzählungen nicht nur an den inhaltlichen Ausgestaltungen einzelner Motive festzumachen, sondern auch für die Gesamtkomposition des Evangeliums zu 193
Die Wundererzählungen im Markusevangelium
entwickeln. Der Vertrauensglaube an Jesus als den Bringer der Gottesherrschaft führt zur Überschreitung »der Schranken des Legitimen« (Theißen 1974, 137). Bereits Bieler hatte erkannt, dass »die Bedingung des Glaubens« nur in der christlichen Literatur ausgeprägt ist (Bieler 1976, I,113). Die handlungswirksamen Folgen dieses spezifisch christlichen Motivs »Glauben«, das ein variabler Teil der umfassenderen Motive »Bitten und Vertrauensäußerung«, »Hilferufe«, »Überwindung der Erschwernis« ist (Theißen 1974, 64 f.), werden besonders in den Heilungsgeschichten deutlich. Sie werden jeweils mit einer Bitte des Kranken oder seiner Helfer eingeleitet. Auch die Exorzismen haben als Einleitung entweder die Bitte der Helfer (Mk 7,24-30; 9,14-29) oder die Kontaktaufnahme der Besessenen, die allerdings der Dämon mit seiner Stimme zu stören versucht (Mk 1,21-28; 5,1-20). Die Naturwunder hingegen setzen mit einem Unverständnis der Jünger bzw. Jesu ein und tragen nachösterliche Motive zur hoheitlichen Gestaltung Jesu ein (Mk 4,38; 6,35-39.49 f.; 8,1-6; 11,12-14; Theißen/Merz 2001, 272-275). Der Wundervorgang in den Naturereignissen wird knapp oder unanschaulich erzählt. Diese Geschichten übertragen die Macht des Auferstandenen über Natur und Kosmos auf den irdischen Jesus zurück.
Schweigegebot an die Dämonen und Sohn-Gottes-Geheimnis Das »Schweigegebot« gehört als grenzbetonendes Motiv des Wundertäters zum Inventar der hellenistischen Wundergeschichte. Die Zauberpapyri kennen den Verstummungsbefehl (Theißen 1974, 143; Önnerfors 1991, 8 f.). Die Macht des Dämons oder der Dämonen muss gebrochen werden (Busch 2006a, 71-103). Die Endredaktion des Markus macht aus dem Verstummungsbefehl ein Schweigegebot über die Personenwürde Jesu (Theißen 1974, 152 f.). Jesus kann erst als Gekreuzigter in seinem wahren Wesen als leidender Christus und Sohn Gottes erkannt werden (Suhl 1980, 4 f.), deshalb ist von der Verklärung und den Wundern Jesu – vorerst – zu schweigen (Mk 9,9). Jesus setzt dem Verstehen als irdischer Wundertäter eine christologische Grenze, die erst in der Nachfolge zum Kreuz und im vollen Bekenntnisglauben an den leidenden Sohn Gottes (Mk 15,39) überschritten wird (Söding 1987, 251-280; Dormeyer 1993, 175 f.). Der erste Exorzismus im Markusevangelium (Mk 1,21-28) führt gleich das grenzbetonende Schweigegebot ein. Die Dämonen sollen nicht verraten, wer Jesus ist. Die Anrede »Heiliger Gottes«, die auf den Propheten Elija anspielt (1Kön 17,18), wird von keinem Zuhörer aufgegriffen, weil sie nicht verstanden wird. Denn noch tritt Jesus nicht so offenkundig mächtig wie Elija auf. Jesu Wunder können erst vom Kreuz her richtig interpretiert werden. Jesus muss leiden wie Elija, dessen Leiden aber vergessen worden sind. Das eindeutige Offenbaren eines machtpolitischen »Heiligen Gottes«, der als endzeitlicher Prophet und Sohn Gottes machtvoll die Wundertaten von Elija und Mose wiederholt, würde den Blick für das gegenwärtige vollmächtige Wirken und das kommende Leiden des Wundertäters Jesus verstellen. Der Titel »Heiliger Gottes« sowie der später von Dämonen geschriene Hoheitstitel »Sohn Gottes« (Mk 3,11) wird daher unter das Schweigegebot über die Personenwürde Jesu gestellt. Da die Dämonen ausgetrieben werden, bleibt das Geheimnis der Gottessohnschaft und Heiligkeit Jesu gewahrt. Geist und Heiligkeit erfüllen Jesus seit der Johannestaufe und verleihen ihm permanent vollmächtige Wunderkraft. Die Wunder dienen zwar der Veranschaulichung der angebrochenen 194
Hinführung
Königsherrschaft Gottes, in der es keine Krankheit und kein Leiden mehr gibt. Die Heilung kann aber nur im Dienst am einzelnen Menschen bewirkt werden; sie erfolgt nicht aufgrund politischer Königs-Gewaltherrschaft oder politisch mächtiger Pseudo-Prophetie (Mk 13,22). Im Gegenteil, diese erzeugen ja erst Unterdrückung, Leiden, Gewalt und letztlich die Tötung des Bringers der Gottesherrschaft (Mk 10,41-45). Diese Symbolik der Wunder Jesu wird allerdings von den Geheilten missverstanden. Daher legt Jesus auch ihnen das Schweigegebot auf. Erst in der Nachfolge bis zur Kreuzigung können sie die heilende Praxis Jesu richtig verstehen.
Die heilige Woche in Kafarnaum mit Exorzismus, Heilungswunder und Sammelberichten Mk 1,16-39 Die Berufung der beiden Brüderpaare (Mk 1,16-20), die Heilung des Besessenen in der Synagoge von Kafarnaum (Mk 1,21-28), die Heilung der Schwiegermutter des Simon (Mk 1,29-31), der Sammelbericht über die Wundertätigkeit Jesu (Mk 1,32-34) und das Apophthegma vom Verkündigungsauftrag Jesu (Mk 1,35-38.39) finden insgesamt in Kafarnaum statt, dem ersten Aufenthaltsort Jesu. Sie gehören zur heiligen Woche, die die neue Lehre Jesu hauptsächlich mit Wundertaten und mit nur geringer Wortbelehrung eröffnet (Dormeyer 2002, 168). Jesus symbolisiert seine Vollmacht zur Realisierung der Königsherrschaft Gottes in Wundern und machtvollen Worten. So folgt nach der Dämonenaustreibung das erste Heilungswunder. Die Schwiegermutter des gerade berufenen Simon Petrus wird vom Fieber befreit (Mk 1,29-31). Jesus erweist sich für die Familien seiner Jünger genauso wirkmächtig wie Asklepios in seinem Heiligtum für seine Mysterienanhänger. Die Geheilte findet sich wie ihr Schwiegersohn sogar zum »Dienst« in der Nachfolge Jesu bereit und radikalisiert so den unverbindlichen Mysterienglauben der Griechen zu einer unbedingten Nachfolge Jesu als erste Jüngerin (zur neuen Position der Frau vgl. Mk 5,24-34; 7,24-30). Dann schließt ein Sammelbericht an. Er dient dazu, die Dämonenaustreibungen und Heilungen auf »alle Kranken und Besessenen« von Kafarnaum auszudehnen (Mk 1,32-34). Dies ist der erste von insgesamt sechs Sammelberichten im Evangelium – drei selbstständigen: 1. Mk 1,32-34; 2. Mk 3,7-12; 3. Mk 6,53-56 und drei unselbstständigen 4. Mk 1,39; 5. Mk 6,5; 6. Mk 6,13. Nach dem ersten selbstständigen Sammelbericht sind »viele« Leidende (V. 34) in der Bedeutung von »alle« (V. 32) geheilt worden. Nach semitischer Anschauung, die auch den Griechen verständlich ist, wird die Anzahl der Heilung Suchenden konkret mit »viele« bezeichnet, meint aber »alle« (vgl. Mk 14,22-24). Die Königsherrschaft Gottes ist machtvoll für ganz Kafarnaum gekommen. Das Schweigegebot wiederholt das Wundergeheimnis von Mk 1,25. Die Dämonen sollen nicht verraten, wer Jesus ist (Mk 1,34). Die bösen Dämonen werden zum Schweigen gebracht, weil sie weder fähig sind, sich zum Guten zu verändern und von sich aus den Menschen zu dienen und sie zu heilen, noch kompetent sind, den Menschen die richtige Einsicht über Jesu Wesen zu vermitteln und mit ihnen den gemeinsamen Weg zum Kreuz als neuer Lebenspraxis zu gehen. Die Dämonie als Fremdbestimmung kann mit ihren zutreffenden Bekenntnissen (»Heiliger Gottes« Mk 1,24; »Sohn Gottes« Mk 3,11; 5,7) nicht akzeptiert werden, sondern muss ständig aufgedeckt und abgebaut werden. Denn die verobjektivierten Bekenntnisse ohne Glauben isolieren einen vordergrün195
Die Wundererzählungen im Markusevangelium
digen Aspekt eines Heilungsangebots und verhindern die Übernahme des gesamten Angebots Jesu. Dieser will nicht als omnipotenter Arzt, Prophet und Herrscher gepriesen werden, der er nicht ist, sondern er will das Unheilige mit Hilfe des Vertrauensglaubens der Kranken an ihn vernichten (von Bendemann 2007; Eibisch 2009). Die Dämonie lässt sich existentialtheologisch und sozialpsychologisch als Verdinglichung des Glaubens interpretieren. Der Glaube an böse Dämonen unterdrückt die Menschen und versetzt sie in Angst vor dunklen, unbezwingbaren Mächten in sich selbst und in der Welt. Jesus sucht nach den Heilungen wieder wie nach der Einsetzung zum Sohn Gottes die Einsamkeit auf (Mk 1,12 f.), um im Gebet den singulären Dialog mit Gott, dem Vater, zu führen (Mk 1,35-39). Jünger und Anhänger eilen ihm nach; Simon Petrus übernimmt zum ersten Mal die Führungsrolle und richtet an Jesus den Vorwurf, dass sein Rückzug in die Einsamkeit nicht verständlich sei, sondern die Suche aller nach ihm ausgelöst hat. Jesus deckt diese Suche als Missverständnis auf. Der Verkündigungsauftrag richtet sich auf ganz Galiläa und darüber hinaus auf die ganze Welt aus (Mk 13,10) und nicht nur auf Kafarnaum. Der Abschluss des Gesprächs ist der erste unselbstständige Sammelbericht: Mk 1,39. Jesus predigt in den Synagogen von ganz Galiläa und befreit ganz Galiläa von den Dämonen. Nach Josephus hat Galiläa 204 Dörfer und Städte (Flav. Jos. Vit. 235). Aufgrund der Fläche und Fruchtbarkeit lässt sich die Anzahl der Bevölkerung auf 150.000-200.000 Menschen schätzen (Bösen 1998, 58). Wenn Jesus an jedem Sabbat eine Synagoge aufsuchen würde, müsste er mehrere Jahre des öffentlichen Auftretens dafür benötigen. Der Evangelist eröffnet hier einen sehr langen, unbestimmten Zeitraum der ungestörten und erfolgreichen Verkündigung der angekommenen Königsherrschaft Gottes. Eigentlich dürfte es keine Beeinträchtigung geben, wenn nicht die unverständige Suche der Anhänger aus Kafarnaum ein Warnsignal für den Leser gesetzt hätte. So markiert der Rückzug in die Einsamkeit den Anfang des Fehlschlages des Programms Jesu. Der Dienst der Geheilten in seiner Nachfolge bleibt mit Ausnahme der Schwiegermutter des Petrus aus. Sie werden wieder in die Gewalt Satans zurückfallen (Mk 2,1-3,30; 15,8-15). Selbst Simon Petrus missversteht Jesus (Mk 1,36 f.). So bleibt Jesus als einziger Halt die Verbindung zu Gott. Aus dieser Rückbesinnung heraus gewinnt Jesus die Kraft, das Missverständnis zu überwinden und seine Tätigkeit über Kafarnaum hinaus auszuweiten. Aber er weiß, dass der anfanghafte Sieg über die Dämonen durch die negative Entscheidung der Hörer wieder eingeschränkt wird. Jesus scheitert am Kreuz durch die Menschen. In dem kleinen Kreis der Hörer aber, die sich für den Dienst in der Nachfolge entschieden haben, geht mit Missverständnissen die Gottesherrschaft machtvoll weiter (Schmidt 2010, 96-112). Ihre Macht muss den Unentschiedenen so lange verkündet werden (Mk 13,10), bis auch sie sich für Jesus bedingungslos entscheiden und ihm im Dienst nachfolgen. Die Woche voller Heil am See und in Kafarnaum endet mit einem Missverständnis, geht dann aber mit neuem Schwung für alle anderen Orte Galiläas weiter.
Weitere Wunder für ganz Galiläa, das Wundermissverständnis der Menschen und das Schweigegebot Mk 1,40-45 Eine einzige Heilungsgeschichte kennzeichnet Jesu ungestörtes, lehrendes, erstes Wandern durch Galiläa bis zum ersten Zusammenstoß mit seinen Gegnern (Mk 1,40-45; 2,1-3,6). 196
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In Mk 1,42 wird die Krankheit als eine Kraft angesehen. Sie »geht von einem Menschen fort«. Der Übergang vom Erbarmen zum Erzürnen Jesu in V. 43 ist krass, aber unterstreicht die Bedeutung des anschließenden Schweigegebots. Jesus hat durch seine Heilungstat seinen göttlichen Auftrag geoffenbart. Losgelöst aber von seiner Verkündigung wird diese Tat zum Mirakel, verliert ihren Bezug zur Gottesherrschaft. Daher bedroht Jesus den Geheilten, um die Durchführung des Schweigegebots zu erreichen. Den geheilten Bartimäus dagegen, der Jesus nachfolgt, trifft nicht das Schweigegebot, weil er den Umkehrruf verwirklicht, die Heilung also in den richtigen Kontext stellt (Mk 10,46-52). Dieses Schweigegebot ist kein Verstummungsbefehl wie bei den Dämonen, sondern ein Auftrag zur Geheimhaltung. Jesus will nicht als außergewöhnlicher Wundertäter und Magier propagiert werden, sondern als Verkünder der Königsherrschaft Gottes, die schon jetzt eschatologisch die durch Krankheit gestörte Schöpfung heilt (vgl. Plin. nat. 17,267; weitere Texte bei Theißen 1974, 144 f.). Der Geheilte hier muss zunächst noch in der kultischen Frömmigkeit verbleiben. Er lässt sich von Jesus zum Priester schicken, der seine kultische Reinheit zu bestätigen hat, damit der Geheilte wieder von der Gemeinschaft als »rein« aufgenommen werden kann. Der Geheilte zeigt den Priestern seine Reinheit an und gibt ihnen Zeugnis von dem Vorgang. So jedenfalls muss der Leser die Leerstelle ergänzen, wenn er dem Geheilten für das Folgende die wiederhergestellte soziale Kompetenz zuerkennen will, andere aufzusuchen und ihnen etwas mitzuteilen. Gerade dieser Kontakt war ihm ja aufgrund des Aussatzes untersagt gewesen. Aber dieses Zeugnis wird dem Geheilten zum Selbstzweck. Gegen den Befehl Jesu verkündet er überall seine wunderbare Heilung und weckt damit falsche Erwartungen gegenüber Jesus. Die Tat Jesu findet nicht die erforderliche Nachfolge, sondern führt zum Missverständnis. Daher muss Jesus sich verbergen, ohne damit aber Erfolg zu haben; denn von überall strömt man zu ihm wie zuvor in Kafarnaum mit den unzureichenden Erwartungen auf unbegrenzt anhaltende, politisch machtvolle Wundertätigkeit. Das Schweigegebot für die Menschen findet sich auch noch in drei weiteren Heilungswundern: Mk 5,21-24a.35-43; 7,31-37; 8,22-26. Auch hier muss es jeweils den Zustrom der Menge aufgrund falscher Erwartungen verhindern und hat dieselbe Grenzfunktion im Hinblick auf ein Missverstehen der Wunder. Allerdings wird diese Grenze ständig übertreten.
Vertrauensglaube, Übertretung des Schweigegebots und die Sammelberichte Jesus wird in seiner Verkündigung und in seinen Taten als Wundertäter in ganz Galiläa und in den angrenzenden Gebieten offenbar. Daraus entstehen Konflikte. Die Heilung eines Gelähmten leitet den ersten Konflikt mit den Schriftgelehrten ein (Mk 2,1-12), eine weitere Heilung am Sabbat schließt die fünf galiläischen Streitgespräche mit Schriftgelehrten und Pharisäern ab (Mk 3,1-6). Die gebildeten Zeitgenossen einschließlich der Kernfamilie Jesu missverstehen die Wundervollmacht Jesu als das Werk der Dämonen und des Satans (Mk 3,20-35); der eigentliche Streitpunkt der Konflikte geht allerdings nicht über die Wunder, sondern über die neue Gesetzesauslegung Jesu mit der Vollmacht der angebrochenen Königsherrschaft Gottes (Mk 11,15-33). 197
Die Wundererzählungen im Markusevangelium
Das Volk erkennt ebenfalls nicht den symbolischen Offenbarungsgehalt der Wunder, so dass Jesus einigen Geheilten Schweigen auferlegt. Doch das Volk hat wenigstens einen Vertrauensglauben entwickelt. Das Schweigegebot muss daher von den Geheilten übertreten werden, auch wenn die Einsicht in die Notwendigkeit des Leidens des Wundertäters noch fehlt. Das unverständige, aber notwendige Übertreten sorgt für die vertrauensvolle, weitreichende Werbung für den Wundertäter (Koch 1975, 180-193). Alle Geheilten und das Volk erhalten durch die Übertretung die Chance, durch bedingungslose Nachfolge bis zum Kreuz vom Vertrauensglauben zum Bekenntnisglauben zu gelangen (Söding 1987, 251-280; Dormeyer 2002, 207-229). Jesus hat allerdings nicht alle Menschen geheilt, sondern nur eine begrenzte Zahl. Die Heilungen dienen als Symbole der verheißenen Herrschaft Gottes. Nach deren Ankunft beginnt der kosmische Friede wieder zu entstehen, werden die Krankheiten geheilt, wird die menschliche Gesellschaft nach dem Prinzip der Gottes- und Nächstenliebe strukturiert (Yarbro-Collins 1992, 39-72). Insbesondere die zwei folgenden Sammelberichte zeigen an, dass die Heilungen Jesu lange Zeit für Galiläa, Judäa und die heidnische Umgebung ein umfassendes Angebot bleiben (Mk 3,7-12; 6,53-56; Becker 2010). Nach dem Sammelbericht Mk 3,7-12 strömen viele Menschen aus Judäa mit der Hauptstadt Jerusalem und dem südlichen Teil Idumäa, aus Peräa, d. i. das Ostjordanland, das zum Herrschaftsgebiet des Tetrarchen von Galiläa, Herodes Antipas, gehört, und aus dem Gebiet der südphönizischen Küstenstädte Tyrus und Sidon nach Galiläa zu Jesus. Später wandert Jesus in das Gebiet des Südlibanon (Mk 7,24-31). Für den Evangelisten gehört dieses Gebiet zum Einzugsbereich der Verkündigung des Evangeliums in Galiläa (Mk 1,14 f.; Freyne 2005, 60-92). Die Betonung der Menge der Kranken in den Sammelberichten (Mk 1,32-34.39) wird so gesteigert. »Alle, die Krankheiten haben«, drängen sich aus ganz Palästina und Cölesyrien an Jesus heran, um ihn zu berühren (Mk 3,10). Aus der vertrauensvollen Bitte der einzelnen Kranken in den Therapien und Exorzismen wird jetzt ein bedrohlicher Massenauflauf, so dass Jesus auf ein Boot ausweichen muss. Das Wunderunverständnis der Menge steigert sich zu der Sucht, durch magisches Berühren des Wundertäters Heilung zu erlangen. Das gegnerische Missverständnis Jesu als dämonischer Magier (Mk 3,22-30) droht auf das Volk überzugreifen. Der Erfolg der Wunder tritt zwar ein, indem »viele«, die hier wieder »alle« meinen (vgl. Mk 1,32-34; 6,56), geheilt werden; doch es bleibt eine offene Leerstelle, ob die Heilung ein Berühren voraussetzt. Der Leser der nachfolgenden Einzelgeschichten wird nur bei der Heilung der blutflüssigen Frau einen Zusammenhang zwischen Berühren Jesu und Heilung erkennen können (Mk 5,24-30). Und das Nachfragen Jesu macht dort deutlich, dass das Heilen auch von seinem Zuspruch abhängt (Mk 6,56). Der Sammelbericht schließt mit dem Schweigegebot an die Dämonen ab (V. 11 f.). Auch hier muss der Leser ergänzen, dass Jesus die Dämonen ausgetrieben und die Besessenen geheilt hat. Zwischen den selbstständigen Sammelberichten (Mk 3,7-12 und 6,53-56) stehen sechs Wundergeschichten, die in zwei Blöcke zusammengelegt sind: Mk 4,35-41; 5,120.21-24.35-43.25-34 und Mk 6,30-44.45-52. Das angebrochene Heil der Königsherrschaft Gottes wird erweitert für den Bereich der Natur (Mk 4,35-41: Sturm auf dem See; 6,30-44: Speisung der Fünftausend; 6,45-52: Gang Jesu auf dem Wasser und Sturmstillung), für die Welt der Völker (Mk 5,1-20: Exorzismus in Gerasa), für den Bereich des Todes (Mk 5,21-24.35-43: Erweckung der Tochter des Jaïrus), für eine permanent kultisch unreine Frau (Mk 5,21-24.25-34). 198
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Außerdem sind die unselbstständigen Sammelberichte 5 (Mk 6,5) und 6 (Mk 6,13) eingefügt worden. Sammelbericht 5 zeigt den Unglauben des Heimatortes Jesu an (Mk 6,1-6). Es fragten die Nazarener beim öffentlichen Auftreten Jesu in der Synagoge erstens nach seiner Weisheit (sofffla sophia) und zweitens nach seinen Wundertaten (dun€mei@ dynameis, Mk 6,2). Im Kontext des gesamten Neuen Testaments und Alten Testaments erhalten die beiden Fragen ihre zeitgeschichtliche Bedeutungsauffüllung. Kommt die Fähigkeit zum Wundertun eventuell von Beelzebul, dem obersten der Dämonen? – so fragten bereits die Schriftgelehrten aus Jerusalem (Mk 3,22). Kommt die Weisheit eventuell auch von Dämonen als magisches Wissen? (Apg 8,13-25) – so fragte die Familie (Mk 3,20 f.). Die dritte Frage liefert dann die Begründung für die aufkommenden Zweifel, ist also lediglich eine rhetorische Scheinfrage: »Ist er nicht der Bauhandwerker, der Sohn der Maria und der Bruder von Jakobus, Joses, Judas und Simon? Leben nicht seine Schwestern hier unter uns?« – deren Namen Nazarener, nachösterliche Tradition und Evangelist leider nicht für so bedeutungsvoll halten, dass sie sie erwähnen (Mk 6,3). Jesus antwortet nicht direkt auf die einzelnen Vorwürfe. Mit Grund. Denn magische Weisheit verwendet Geheimwissen, hält den Beobachter und Hörer draußen, verweigert ihm die Teilhabe (Kollmann 1996, 61-118). Jesu Weisheit ist das Gegenteil: kreative Weiterführung der alttestamentlichen Offenbarung, Heilungen und Exorzismen in der Öffentlichkeit, diskussionsfreudige Gesprächsrunden wie die vorrabbinische Weisheitslehre, schulbildende Lehre wie die des alttestamentlichen Weisheitslehrers Jesus Sirach (Sir 38,24-38; 51,2330). So konfrontiert Jesus die Nazarener mit einem Gegenvorwurf. Er bezeichnet sich als Prophet und hält ihnen die Missachtung seiner umfassenden Ausübung von Prophetie vor (Mk 6,4). Jesus hält wie Elija Weisheitslehre, Wundertätigkeit und Prophetie bewusst nicht auseinander. In der eschatologischen Zeit der Gottesherrschaft verschmelzen diese Heilsfähigkeiten in ihm zu einem einzigen Konzept zur Heilung aller Menschen. Die Nazarener nehmen auch nicht an dieser komplexen Rollenvermischung Anstoß, sondern daran, dass Jesus diese Rollen beansprucht. Der universale Anspruch Jesu wird aber von den Nazarenern, vom Landesherrn Herodes Antipas (Mk 6,14-16) sowie von den gesamten antiken Stadtherrschaften missverstanden. Wer den anderen als Mitbürger nicht in seiner Entwicklung freigeben will, kann auch selber von der Entwicklung des anderen nicht profitieren. Jesus kann daher den Nazarenern keine Wunder zukommen lassen (Mk 6,5). Doch es handelt sich bei dieser Enthaltsamkeit nicht um die Rache des gekränkten Propheten, sondern um die Folge des Unglaubens. Der Unglaube in Nazaret ist jedoch nicht total. Einige vermögen sich aus dem undifferenzierten Chor der Verweigerer herauszulösen. Sie erkennen Jesu neue Fähigkeiten an und bringen ihm Vertrauen entgegen. So kann er ihnen die Hände auflegen und sie heilen. Auch Nazaret hat wie das übrige Galiläa und später Jerusalem seine Chance zur Veränderung, zur Umkehr nicht völlig vertan. Der Sammelbericht Mk 6,13 bringt den Erfolg der Wundervollmacht der Jünger. Sie hatten bereits bei ihrer Berufung die Vollmacht erhalten, »Dämonen auszutreiben« (Mk 3,15). Bei der Aussendung (Mk 6,7-13) wird diese Vollmacht erneuert. Nun dürfen sie von ihr Gebrauch machen und haben vollen Erfolg. Die Vollmacht zum Exorzismus wird noch ergänzt um die Vollmacht zur Heilung von Kranken. Die Salbung mit Öl wird zusätzlich als Unterstützung angegeben. Nach Ostern werden die Jünger die Wundervollmacht Jesu weiterführen. »Speziell die Erwähnung von Öl als Heilmittel deutet darauf hin, daß christliche Wundertäter neben magischen Dämonenaustreibungskenntnissen 199
Die Wundererzählungen im Markusevangelium
auch über pharmakologisch-medizinische Fertigkeiten verfügten und sich dabei vermutlich bestimmter Heilmittellehren der Antike bedienten« (Kollmann 1996, 319). Der selbstständige Sammelbericht Mk 6,53-56 steigert noch einmal das Berühren Jesu. Die Menschen strömen mit ihren Kranken weiter zu ihm und bitten ihn, dass die Kranken »wenigstens den Saum seines Gewandes berühren zu dürfen« (V. 55 f.). Jesus erlaubt hier die Berührung und heilt »alle«, die ihn berühren. Im Nachtrag zur Einzelgeschichte von der Heilung der blutflüssigen Frau bedeutet die Berührung die Somatisierung des Vertrauensglaubens, aber keine magische Kausaltechnik. Die weiteren Wundergeschichten zeigen, dass das Berühren keine Vorbedingung für die Heilung ist, sondern allein der Vertrauensglaube die Heilung ermöglicht. Bis zur Mitte des Markusevangeliums (Mk 8,27) folgen noch vier Wundergeschichten, von denen die ersten drei als Block in heidnischem Gebiet stattfinden und das Thema vom Heil für die Völker vertiefen (Mk 7,24-30.31-37; 8,1-10). Es schließt sich ein Streitgespräch der Pharisäer über ein »Zeichen (shme…on se¯meion) vom Himmel« an (Mk 8,10-12). Sie fordern von Jesus ein eindeutiges, apokalyptisches, kosmisches Zeichen (Mk 13,4). Es soll Jesu Wundervollmacht beweisen, ohne seiner Botschaft von der angebrochenen Königsherrschaft Gottes vertrauen zu müssen. Jesus weist diese Forderung als Unglauben zurück und gibt kein Zeichen. Umgekehrt gilt, dass nicht jede Wundertat und jedes kosmische Zeichen auf eine christologische Vollmacht zurückgehen müssen, sondern verführerische Werke von Pseudopropheten und -christussen sein können (Mk 13,22). Die vierte Wundergeschichte, eine Blindenheilung, ereignet sich in der Grenzstadt Betsaida der überwiegend heidnischen Tetrarchie des Philippus; sie bildet den Abschluss des galiläischen Hauptteils (Mk 8,22-26). Diese Blindenheilung bringt symbolisch die ambivalente Wirkung der Wunder- und Lehrtätigkeit Jesu zum Ausdruck und bereitet mit ihrer symbolischen Dimension auf den Mittelteil vor (Mk 8,22-26). Noch sind Jünger und Volk mit Blindheit über den wahren Weg Jesu ans Kreuz geschlagen, gleichzeitig vertrauen sie Jesus bedingungslos (Mk 8,27-33.34; van Iersel 1993, 167-185; Fritzen 2008, 271-276). Die heilende Wundertätigkeit hat im öffentlichen Wirken Jesu in Galiläa (Mk 1,168,26) mit insgesamt 15 Wundergeschichten ihren Höhepunkt. Der Mittelteil, der Gang nach Jerusalem (Mk 8,27-10,52), schließt sich mit zwei didaktisch ausgerichteten Wundern an (Mk 9,14-29; 10,46-52). Die Heilung des besessenen Jungen bringt eine intensive Diskussion über den Vertrauensglauben (Mk 9,14-29). Der Glaube bedarf des Vertrauens vonseiten des Menschen; dieses bleibt aber ständig bedroht (Mk 9,24). Die Unbedingtheit und Festigkeit des Vertrauensglaubens an Gott und seine Macht bleiben ein Geschenk Gottes (Mk 11,20-25). Er bewirkt letztlich, dass in Jesu Wunderheilungen und Exorzismen seine angebrochene Königsherrschaft erkannt und geglaubt wird. Es folgt das Schulgespräch über den »unbefugten Wundertäter« (Mk 9,38-41). Die Leserperspektive wird auf die jüdische Umwelt gelenkt, in der ebenfalls Wundertäter wirkten (vgl. QLk 11,19). Jesus erlaubt ihnen, ohne Nachfolge und Bekenntnis Dämonenaustreibungen in seinem Namen zu vollziehen (Mk 9,39). Es reicht aus, den christologischen Anspruch des Wundertäters Jesus und den Glauben seiner Anhänger zu respektieren (Mk 9,40 f.). Der Leser ist aufgefordert, sich von den Wundertaten im Namen Jesu entweder in den Vertrauensglauben des Volkes eingliedern zu lassen oder gar sich in den offenen Jüngerinnen- und Jüngerkreis berufen zu lassen. Eine zweite Blindenheilung (Mk 10,46-52) bereitet auf den 200
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Schlussteil des Evangeliums (Mk 11,1-15,47) vor. Zur Nachfolge Jesu bedarf es der Öffnung der Blindheit des Unglaubens (Trummer 1998, 91-103). Insgesamt versinnbildlichen die neun Heilwunder, vier Dämonenaustreibungen und fünf Naturwunder die eschatologische Fülle, die Jesu wirkmächtige Verkündigung der Gottesherrschaft bringt. Im Schlussteil erneuert Jesus nicht mehr das Wunder-Angebot für Jerusalem. Lediglich das fünfte Naturwunder, die Verdorrung eines Feigenbaums, findet vor den Jüngern statt (Mk 11,12-14). Dieses Naturwunder löst aber keine heilende, sondern eine drohende Symbolik aus, die nur für die Jünger erkennbar ist (Mk 11,20-25). Jesus kann in Jerusalem nicht mehr heilen, weil Jerusalem im Unterschied zu Galiläa den Vertrauensglauben an Jesu anfanghafte Realisierung der Königsherrschaft Gottes nicht aufzubringen vermag. Wie die gewalttätigen Weinbergpächter die Pacht verweigern (Mk 12,1-12), verdorrt der Feigenbaum als Symbol für die nicht zur Umkehr bereiten jüdischen Führer. Sie bleiben blind und taub gegenüber dem sichtbaren Anfang der Königsherrschaft Gottes (Mk 4,10-12; 12,10 f.) und verhindern so die Umkehr Jerusalems zu Jesus. Das Volk, das sich nach der Verhaftung Jesu von ihm abwendet (Mk 15,8), verspottet gemeinsam mit den jüdischen Führern den Gekreuzigten mit der Aufforderung zur Selbsthilfe durch das Wunder des Herabsteigens vom Kreuz (Mk 15,29-32). Jesus verweigert aber im gesamten Evangelium eine Selbsthilfe durch Wunder. So erleidet er ohne Gebrauch seiner Wundervollmacht den Kreuzestod. Einer der Gegner, der römische Leiter des Hinrichtungskommandos, findet dagegen als Erster zum öffentlichen Bekenntnis der Gottessohnschaft Jesu. Aufgrund seiner gesamten Praxis war Jesus der Sohn Gottes (Mk 15,39). Die christologische Grenze für das Wundergeheimnis entfällt jetzt. Wer den Weg Jesu bis zum Kreuz mitgeht und den gekreuzigten Jesus als Sohn Gottes bekennt, vermag die Wunder richtig zu verstehen und als Repräsentation der angebrochenen Königsherrschaft Gottes öffentlich zu verkünden. Die Herrlichkeit der Wunder und der schimpfliche Kreuzestod gehören in paradoxer Weise zusammen. Für die Dämonen bleibt aber das Schweigegebot bestehen, weil sie zur Umkehr unfähige übermenschliche Kräfte sind und ihr übermenschliches Wissen auch nach Ostern mit Verstummen und Vertreiben ferngehalten werden muss (Mk 9,28 f.; Apg 8,6 f.; 16,16-18; 19,11 f.). Für das Auftreten Jesu als Wundertäter und Christus gibt es eine Parallele in der griechisch-römischen Herrscherpropaganda. Seit Augustus richteten sich die Hoffnungen der römisch-griechischen Welt auf den regierenden Kaiser, er möge die Gesundheit und den Frieden des Reiches, das sind salus und pax romana, bewahren und für alle erfahrbar machen. Parallel zur Abfassungszeit des Markusevangeliums betätigte sich der neue römische Kaiser Vespasian (69-79), der Sieger des Bürgerkriegs 68-69 n. Chr., als Wundertäter. Er ließ sich in Alexandrien von seinen Freunden und von den ägyptischen Serapis-Priestern bereden, seine Erwählung zum Kaiser/Cäsar, die die Angliederung seiner Familie an die Familie seiner vergöttlichten Vorgänger (Cäsaren) bedeutet, durch charismatische Wundertaten zu legitimieren (Theißen 1999; Kügler 1997, 169-173; Ebner/Schreiber 2008, 176 f.). Doch nur Jesus von Nazaret und nicht die römischen Cäsaren vermag in seinen Wundertaten die Herrschaft des einen Gottes anbrechen zu lassen. Der mit Wunderkraft bevollmächtigte Jesus Christus wird zum kritischen Gegenbild der politischen Herrscher mit vorgetäuschtem Wundercharisma (Haehling 2008).
Detlev Dormeyer 201
Die Wundererzählungen im Markusevangelium
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Wunder im Markusevangelium Nr.
Mk-Faden
Titel
Parallelstellen
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Lk 4,33-36
2
1,29-31
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Mächtig in Wort und Tat (Exorzismus in Kafarnaum) Fieberfrei auf dem Weg Jesu (Die Heilung der Schwiegermutter des Petrus) Summarium Nicht nur rein, auch gesund (Heilung eines Aussätzigen)
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2,1-12
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3,1-6
3,7-12 3,20 f.22-30
6
4,35-41
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5,1-20
8
5,21-43
9
Mt 8,14 f.; Lk 4,38 f.
Mt 8,1-4; Lk 5,12-16; P.Egerton 2, Frgm. 1; P.Köln 255 Die Heilung eines Gelähmten und Mt 9,1-8; vieler Erstarrter Lk 5,17-26; (Die Heilung eines Gelähmten in Ka- Joh 5,1-18; farnaum) EvNik 6 Feiertagsarbeit? Mt 12,9-14; (Der Kranke mit der ›verdorrten Lk 6,6-11; Hand‹) EvNaz 4; EpAp 5,3 Summarium Der umstrittene Exorzist Q 11,14 f.17-22. (Jesu Macht über die bösen Geister) 24-26; Lk 11,14-23 Glaube in Seenot (Die Stillung des Sturms) Wessen Medium willst du sein? (Die Heilung des Besessenen von Gerasa) Glauben lässt Jesu Wunderkraft heilsam überfließen (Die Tochter des Jaïrus und die blutflüssige Frau) Ablehnung Jesu in seiner Heimat Summarium Brot und Fisch bis zum Abwinken (Die Speisung der Fünftausend)
10
6,1-6 6,5.13 6,30-44
11
6,45-53
Vom Winde verweht (Jesu Erscheinen auf dem See)
6,53-56
Summarium
Mt 8,23-27; Lk 8,22-25 Mt 8,28-34; Lk 8,26-39; EpAp 5,9 f. Mt 9,18-26; Lk 8,40-56; EvNik 7; EpAp 5,4-7
Mt 14,13-21; Lk 9,10-17; Joh 6,1-15; ActJoh 93 Mt 14,22-33; Joh 6,16-25; EpAp 5,11
davon kommentiert im Kompendium Mk 1,21-28; Lk 4,33-36 Mk 1,29-31; Lk 4,38 f. Hinführung Mk Mk 1,40-45; P.Egerton 2, Frgm. 1
Mk 2,1-12; Lk 5,17-26; Joh 5,1-18 Mk 3,1-6; Mt 12,9-14; EvNaz 4 Hinführung Mk Hinführung Mk; Q 11,14 f.17-22. 24-26; Lk 11,14-23 Mk 4,35-41; Mt 8,23-27 Mk 5,1-20; Mt 8,28-34 Mk 5,21-43; Mt 9,18-26; Lk 8,40-56 Hinführung Mk Hinführung Mk Mk 6,30-44; Mt 14,13-21; Lk 9,10-17; Joh 6,1-15 Mk 6,45-53; Mt 14,22-33; Joh 6,16-25 Hinführung Mk
203
Die Wundererzählungen im Markusevangelium Nr.
Mk-Faden
Titel
Parallelstellen
12
7,24-30
Mt 15,21-28
13
7,31-37
14
8,1-10
15
8,10-12 8,22-26
16
9,14-29
Es ist genug für alle da! (Die Heilung der Tochter der Syrophönizierin) Mit allen Sinnen leben! (Die Heilung eines Taubstummen) Der Mensch lebt nicht vom Brot allein, es darf noch Fisch dazwischen sein (Die Speisung der Viertausend) Summarium (Zeichenforderung) Sehen und Verstehen (Die zweiphasige Heilung des namenlosen Blinden) Vermögen und Vertrauen, Dämonie und Exorzismus (Die Erzählung vom besessenen Jungen) Der fremde Wundertäter
Mt 20,29-34; Lk 18,35-43; Joh 9,1-41; EvNik 6 Mt 21,18-22
Lk 22,35
9,38-40 17
10,46-52
18
11,12-14.2025
Bedingungslose Nachfolge heilt Blindheit (Die Heilung des blinden Bartimäus bei Jericho) Jesu Hunger nach Erfüllung der Zeit (Die Verfluchung des Feigenbaums)
15,29-32
Verspottung Jesu
204
davon kommentiert im Kompendium Mk 7,24-30; Mt 15,21-28
vgl. Mt 15,29-31
Mk 7,31-37
Mt 15,32-39
Mk 8,1-10
–
Hinführung Mk Mk 8,22-26
Mt 17,14-20(21); Lk 9,37-43a
Mk 9,14-29; Mt 17,14-20(21)
Lk 9,49 f.
Hinführung Mk Hinführung Lk Mk 10,46-52; Mt 20,29-34; Joh 9,1-41 Mk 11,12-14.2025; Mt 21,18-22 Hinführung Mk
Mächtig in Wort und Tat (Exorzismus in Kafarnaum) Mk 1,21-28 (21) Und sie gehen hinein nach Kafarnaum. Und sofort am Sabbat ging er in die Synagogenversammlung und lehrte. (22) Und sie gerieten außer sich über seine Lehre; denn er lehrte sie wie einer, der Vollmacht hat, und nicht wie die Schriftgelehrten. (23) Und sofort war in ihrer Synagogenversammlung ein Mensch mit unreinem Geist, und er schrie auf (24) und sagte: »Was (ist zwischen) uns und dir, Jesus, Nazarener? Du kamst, uns zu vernichten!? Ich kenne dich, wer du bist, der Heilige Gottes.« (25) Und Jesus fuhr ihn an und sagte: »Verstumme und komm heraus aus ihm!« (26) Und der unreine Geist zerrte ihn, und mit lauter Stimme schreiend kam er aus ihm heraus. (27) Und sie erschraken alle, so dass sie sich untereinander befragten und sagten: »Was ist dies? Eine neue Lehre mit Vollmacht!? Und den unreinen Geistern befiehlt er, und sie gehorchen ihm.« (28) Und sein Ruf ging hinaus sofort überall in die ganze Umgegend Galiläas.
Sprachlich-narratologische Analyse Die Erzählung in Mk 1,21-28 stellt eine äußerlich klar abgegrenzte narrative Einheit dar. Die voranstehende Berufungsszene ist mit der Notiz über die Nachfolge der beiden Zebedaiden (V. 20) inhaltlich abgeschlossen. Mehrere Indizien, nämlich der Ortswechsel vom See Gennesaret zur Synagogenversammlung in Kafarnaum, die Zeitangabe (am Sabbat) und das Auftreten neuer Erzählfiguren (Versammelte), markieren in V. 21 f. einen Neueinsatz, wenngleich aufgrund der nur indirekten Nennung Jesu und der Jünger mittels Proformen (V. 21) ein anaphorischer Bezug gegeben ist. In V. 28 bietet der Hinweis auf die Ausbreitung des Rufes Jesu in ganz Galiläa mit seinem Panoramablick einen klassischen Erzählschluss. Der neuerliche Ortswechsel in das Haus des Simon signalisiert in V. 29, dass eine neue Einheit beginnt. Insgesamt fügt sich der vorliegende Text einer größeren Erzählordnung ein, bei der einer eher privaten (Mk 1,16-20.29-31) jeweils eine öffentliche Begegnung mit Jesus (Mk 1,21-28.32-34) folgt. Mit Blick auf die innere Einheit fällt eine klare thematische Zweiteilung auf: Der eigentliche Exorzismusbericht beschränkt sich auf V. 23-28, während es in V. 21 f. allein um die Lehre Jesu geht. Dass der Exorzismusbericht in V. 23 mit derselben Wendung (»und sofort«) einsetzt wie die Lehrszene in V. 21, unterstreicht dessen eigenes Gewicht. Auch in narratologischer und grammatischer Hinsicht differieren die beiden Textpassagen. (1) In V. 21 f. wird die Handlung in komprimierter Form als szenisches Geschehnis dargeboten. Die Erzählzeit unterschreitet deutlich die erzählte Zeit. Die Mitteilungen über das Lehren Jesu erfolgen im Imperfekt. Die auftretenden Subjekte werden, wie bereits erwähnt, mittels Proformen nur indirekt benannt. Vom Handlungstyp her liegt eine Art »plot of revelation« (Marguerat/Bourquin 1999, 56 f.) vor: Auch wenn nicht die Er205
Die Wundererzählungen im Markusevangelium
langung einer bestimmten Erkenntnis seitens der Hauptfigur im Fokus steht, geht es gleichwohl um die Gewinnung von Wissen über die Hauptfigur, markiert doch die Einsicht in die Vollmacht der Lehre Jesu den erzählerischen Wendepunkt. (2) Die Erzählung in V. 23-28 erscheint dagegen als episodisch geprägte Handlungssequenz. Aufgrund der direkten Rede nähern sich hier erzählte Zeit und Erzählzeit an. Der exorzistische Akt wird im Aorist erzählt, die agierenden Subjekte werden explizit benannt. Vom Handlungstyp her liegt ein »plot of resolution« (Marguerat/Bourquin 1999, 56 f.) vor: Der erzählerische Wendepunkt liegt in der konfliktlösenden Aktivität der Hauptfigur, nämlich der Exorzierung des Besessenen. Eine gewisse Inkohärenz besteht darin, dass die Zeugen direkt nach der Dämonenaustreibung in V. 27 seltsamerweise zunächst ihr Erstaunen über die vollmächtige Lehre Jesu bekunden, bevor sie auf den Exorzismus reagieren. Ungeachtet dessen besitzen die Verse aber einen klar strukturierten Aufbau. In drei syntaktisch weitgehend parallel konstruierten Erzählstücken (V. 23 f.; V. 25; V. 27), die durchweg in wörtliche Rede münden, der jeweils eine Redeeinleitung vorausgeht, die aus einem Verb (schreien, anfahren, erschrecken) und einer Partizipform von lffgw (lego¯ – sagen) besteht, treten zunächst der Besessene bzw. der unreine Geist, dann Jesus und schließlich die Versammelten in den erzählerischen Fokus. Zwischen dem zweiten und dem dritten Stück ist in V. 26 der Bericht über den exorzistischen Erfolg eingeschaltet. Es lässt sich festhalten, dass Mk 1,21-28 weitgehend stimmig komponiert ist. So sind die Lehrszene und der Exorzismusbericht über die Konstanz von Ort (Synagogenversammlung in Kafarnaum) und Zeit (Sabbat) miteinander verknüpft. Auch hinsichtlich der Personen besteht mit Blick auf Jesus und die Versammelten Konstanz. Zusätzlich verklammert sind die beiden Teile über den äußeren Rahmen, insofern der Aussage über das »Hineingehen« Jesu nach Kafarnaum in V. 21 als Gegenbewegung das »Herausgehen« des Rufes Jesu in die Gegend Galiläas in V. 28 entspricht. Eine interne Klammer (inclusio) bildet das Erstaunen über die vollmächtige Lehre Jesu in V. 22 und 27. Blickt man auf die Erzählfiguren, lässt sich überdies eine den Text insgesamt verbindende konzentrisch-chiastische Struktur erkennen (Iwe 1999, 23): A: Jesus kommt zur Synagogenversammlung und lehrt; B: Die Versammelten geraten außer sich; C: Der Besessene/unreine Geist tritt auf; D: Jesus konfrontiert den unreinen Geist; C’: Der unreine Geist fährt aus; B’: Die Versammelten erschrecken; A’: Jesu Ruf geht ins Umland. Narratologisch fällt weiterhin auf, dass die Erzählfiguren überwiegend als »flat characters« gezeichnet sind, die, wenn überhaupt, nur wenige, stark typisierte Charakterzüge aufweisen. So werden die Versammelten als Augenzeugen ganz auf die Reaktion des Erstaunens reduziert. Die Schriftgelehrten begegnen gar nur als Hintergrundfiguren, deren Erwähnung allein dazu dient, spätere Konflikte vorzubereiten. Der Person des Besessenen gehen jegliche individuelle Konturen ab, tritt doch nur der einwohnende unreine Geist als Handlungsträger auf. Als »round character«, d. h. als Figur mit ausgeprägten Charakterzügen, begegnet lediglich Jesus. Auf seine besondere Persönlichkeit deuten nicht nur die Aussagen des unreinen Geistes (V. 24), die Erzählung stellt insgesamt Jesu einzigartige Vollmacht in Wort und Tat als Wesenszug heraus. Das Gesamtprofil der Person Jesu wird indes erst im weiteren Erzählverlauf des Evangeliums greifbar, wobei auffällt, dass sich darin kaum widersprechende oder verändernde Züge finden, wie dies für »round characters« eigentlich typisch ist (Rhoads 1982, 418). Mit Blick auf den erzählerischen Schauplatz ist bemerkenswert, dass der Wortwechsel Jesu mit dem unreinen Geist das diesseitig-lokale Setting sprengt und für den kosmisch-transzendenten Raum öffnet. 206
Mächtig in Wort und Tat Mk 1,21-28
Der Hinweis auf das Gekommensein Jesu in V. 24 dürfte sich jedenfalls kaum auf Jesu Herkunft aus Nazaret oder seine Ankunft in der Synagogenversammlung beziehen, sondern seine göttliche Sendung anzeigen (Gathercole 2006, 150-152). Ebenso markiert die Wir-Form der Äußerung des Dämons in V. 24 wohl nicht die Gemeinschaft des unreinen Geistes mit dem besessenen Mann oder den Versammelten, vielmehr dürfte sie auf die dämonische Welt weisen (Iwe 1999, 74). Ob die Vernichtungsaussage als Frage (Marcus 2000, 188) oder Feststellung (Hooker 1991, 64) zu nehmen ist, lässt sich nicht sicher entscheiden. In pragmatischer Hinsicht sind zahlreiche erzählerische Leerstellen zu notieren, deren Füllungen den Rezipienten obliegt: Fielen Jesu Ankunft in Kafarnaum und sein Besuch der Synagogenversammlung auf den selben Tag? Was lehrte Jesus dort? Wie drückten die Versammelten ihr Erstaunen aus? Wer war der Besessene und was passierte mit ihm nach dem Exorzismus? Staunten auch die Jünger über Jesus? Sollten sie als Zeugen des Geschehens gar auf ihre eigene exorzistische Praxis vorbereitet werden (Mk 3,15), um dergestalt als Vorbild für Exorzismen in der mk Gemeinde zu fungieren (Iwe 1999, 41.57; Twelftree 2007a, 101-128)? V. a. aber liegt es an den Rezipienten, die diversen Rollen Jesu als Lehrer, Exorzist, Heiliger Gottes zu integrieren und mit der bereits in 1,1 ausgewiesenen Identität als Messias und Gottessohn zu korrelieren. Zusammen mit dem fragenden Staunen der Zeugen baut sich hier bezüglich Jesu Identität eine Rätselspannung auf, die das gesamte Evangelium durchzieht. Darin deutet sich an, dass die Erzählung im Markusevangelium programmatische Bedeutung hat. Nicht von ungefähr begegnen hier viele Schlüsselbegriffe der mk Jesusdarstellung zum ersten Mal (Überblick bei Iwe 1999, 28 f.), ebenso jene typische Figurenkonstellation, bestehend aus Jesus (samt Jüngern), ins Erstaunen geratenden Menschen und schriftgelehrten Kontrahenten, die Jesu Agieren im Evangelium immer wieder rahmt (Iwe 1999, 273-316).
Sozial- und realgeschichtlicher Kontext Das am Nordwestufer des See Gennesarets gelegene Kafarnaum wurde im 19. Jh. archäologisch identifiziert und seit Ende der 1960er Jahre in mehreren Grabungen systematisch erschlossen (Jensen 2006, 169 f. mit Anm. 154). Während Josephus den Ort als Dorf (kwmffi ko¯me¯) bezeichnet (vit. 403), erscheint er in den Evangelien als pli@ (polis; Mk 1,33; Mt 9,1; 11,20; Lk 4,31). Der Begriff pli@ (polis) wird im Neuen Testament jedoch uneinheitlich gebraucht und kann auch für dörfliche Ansiedlungen stehen (vgl. Joh 7,42 mit Lk 2,4.11 zu Betlehem). In der archäologischen Forschung reduziert man die unter der Annahme einer Siedlungsfläche von 30 ha ehedem errechnete antike Einwohnerzahl von 12-15 000 (oder gar 25 000) Menschen inzwischen auf 600-1500 Einwohner, die sich auf eine Fläche von 6-10 ha verteilten (Claußen 2008, 238). Bei den Grabungen wurden keine Stadtmauern, imposanten Gebäude oder Fassaden, gepflasterte Straßen, Inschriften oder Luxusgüter gefunden; die meist einräumigen Innenhofhäuser der fraglichen Zeit waren einfacher Bauart (Crossan/Reed 2003, 103-111). Unklar ist, ob der Basaltfußboden, der unterhalb einer prächtigen, aus dem 4./ 5. Jh. stammenden Kalksteinsynagoge liegt, zusammen mit einigen Basaltwandresten als Relikt der in Mk 1,21; Lk 4,33; 7,5; Joh 6,59 erwähnten Synagoge zu identifizieren ist. Der Begriff sunagwgffi (synago¯ge¯) muss jedoch nicht zwingend ein Synagogengebäude 207
Die Wundererzählungen im Markusevangelium
bezeichnen, er kann auch für die (Gemeinde-)Versammlung, also eine Menschenschar, stehen (Apg 13,43). In Lk 7,5 ist indes explizit von der Stiftung eines Baus durch einen Hauptmann – der römischer Soldat oder Beamter des Herodes Antipas gewesen sein mag – die Rede. Einige Forscher leiten aus diesem literarischen und dem archäologischen Befund die Existenz eines großen Synagogengebäudes in Kafarnaum zur Zeit Jesu ab (Runesson/Binder/Olsson 2008, 29-32). Andere bleiben skeptisch, indem sie die genannten Basaltwände auf Häuser des 1. Jh. und die Notiz in Lk 7,5 auf eine Projektion des Lukas zurückführen (Crossan/Reed 2003, 116) oder allenfalls einen gepflasterten Versammlungsplatz für möglich erachten (Claußen 2008, 239). Letzte Sicherheit ist in der »Synagogenfrage« nicht zu gewinnen. Wie auch immer: Synagogenversammlungen dienten zumal der Schriftlesung, der Lehre und Diskussion (Claußen 2002, 213-218) und bildeten so den idealen Kontext für das Auftreten eines charismatischen Lehrers. Das sozioökonomische Profil Kafarnaums samt des Auskommens seiner Bewohner wird kontrovers diskutiert. Strittig ist v. a., ob der Ort an einem Arm der Via Maris, einer wichtigen Handelsroute, lag und davon wirtschaftlich profitierte (Charlesworth/Aviam 2008, 114-118; Duling 2000, 140 f.), ebenso, ob das in den 1980er Jahren entdeckte römische Badehaus statt ins 2. Jh. n. Chr. (Crossan/Reed 2003, 113) nicht doch in die Zeit vor 70 n. Chr. datiert (Charlesworth/Aviam 2008, 116). Vom archäologischen Gesamtbild her dürften die von Landwirtschaft und Fischerei lebenden Bewohner jedenfalls nicht allzu bemittelt gewesen sein (s. aber Jensen 2006, 172-175). Dazu scheint sich die klassische strukturfunktionalistische These zu fügen, nach der Besessenheit in vielen Kulturen ein schichtenspezifisches Phänomen ist, das v. a. bei Ausgebeuteten und Unterdrückten begegnet (Theißen 1990, 248). Doch ist hier Vorsicht geboten, da sich der soziale Status des in Mk 1 auftretenden Besessenen nicht bestimmen lässt. Auch die übrigen neutestamentlichen Berichte über Besessene (Überblick bei Strecker 2010) indizieren nicht eindeutig Unterschichtzugehörigkeit oder, wie dies der strukturfunktionalistische Ansatz ebenfalls nahe legt (Lewis 1996, 43-74), eine Mehrzahl von Frauen.
Traditions- und religionsgeschichtlicher Hintergrund Die Erzählung enthält viele geprägte Ausdrücke und Motive. Auffällig ist, dass Markus in V. 23.26.27 statt von einem Dämon (daimnion daimonion) von einem »unreinen Geist« (pne‰ma ⁄k€qarton pneuma akatharton) bzw. »unreinen Geistern« spricht. Auch wenn beide Begriffe im Evangelium austauschbar sind (3,15; 6,7.13; 7,25 f.), kommt dem Terminus »unreiner Geist« eigenes Gewicht zu. Blickt man auf das frühjüdische Zeugnis, wird ersichtlich, dass dabei nicht die Vorstellung leitend ist, ein Dämon würde unmittelbar Unreinheit auf Menschen transferieren. In der frühjüdischen Literatur (Jub, 1Hen) wurden unreine Geister vielmehr auf den getrennte Sphären vermischenden und darin unreinen Verkehr zwischen himmlischen und irdischen Wesen (Gen 6,1-4) zurückgeführt. Die Geister wurden mit Gefährdungen der religiösen Integrität Israels qua Exogamie und Götzendienst, mit Apostasie, Bedrohungen der religiösen Identität bei bestimmten Gruppen, aber auch mit ethisch unreinen Praktiken (Unzucht, Mord u. ä.) sowie physischem Leid assoziiert (Wahlen 2004, 24-67.171 f.). Man mag überlegen, ob die parallele Rahmung der Reinheitsdebatte in Mk 7,1-12 durch Exorzismen an jüdischen (1,21-28; 9,14-29) und nichtjüdischen Personen (5,1-20; 7,24-30) signalisiert, 208
Mächtig in Wort und Tat Mk 1,21-28
dass Reinheit für Markus nun in der Juden und Nichtjuden integrierenden Beziehung zu Jesus gründet (Wahlen 2004, 69-107.172 f.). Bemerkenswert ist sodann, dass die Worte des unreinen Geistes (V. 24) Jesus implizit in die Reihe der charismatisch-prophetischen Figuren des Judentums stellen. Zum einen klingt darin nämlich die Elija-Tradition an, findet sich doch in 3Kön 17,18LXX, der Begegnung Elias mit der Witwe in Sarepta, eine vergleichbare Koppelung der Abwehrfrage »Was ist zwischen uns (bzw. mir) und dir« mit einer Aussage über das Gekommensein eines Mannes Gottes (vgl. 4Kön 4,9 LXX: Elischa als heiliger Mann Gottes). Zum anderen mag in der doppelten Anrede Jesu als »Nazarener« und »Heiliger Gottes« ein die Samson-Tradition aufnehmendes Wortspiel vorliegen (Mußner 1960), insofern die Bestimmung Samsons als Nasiräer in Ri 13,7 und 16,17LXX im Codex Alexandrinus mit nazira…o@ qeo‰ (naziraios theou – Nasiräer Gottes), im Codex Vaticanus indes mit ¿gio@ qeo‰ (hagios theou – Heiliger Gottes) wiedergegeben wird. Von daher lässt sich der phonetisch an »Nasiräer« anklingende Herkunftsname »Nazarener« in der Koppelung mit »Heiliger Gottes« als Anspielung auf Jesu besondere nasiräisch-charismatische Kraft verstehen. Als messianischer Titel ist »Heiliger Gottes« in der jüdischen Tradition nicht belegt (s. aber 1Q30: Gesalbter der Heiligkeit), lediglich Aaron erscheint in Ps 106,16 als »Heiliger des Herrn«; im Neuen Testament begegnet der Titel nur noch in Joh 6,69 (s. aber auch Lk 1,35; Apg 3,14; 4,27.30; 1Joh 2,20; Offb 3,7). »Heilig« markiert in jedem Fall die Separation vom Profanen, von Unreinheit und Sünde (vgl. Lev 20,24-26; 1QS 9,5-9) und damit den größtmöglichen Kontrast zu dem unreinen Geist. Zu weit dürfte die These gehen, wonach die Worte des unreinen Geistes einen gegen Jesus gerichteten Abwehrzauber darstellen (Bauernfeind 1927, 3-18; Pesch 1984, 122): Eine eindeutig magisch-exorzistische Bedeutung der eher rechtlich geprägten Abwehrfrage (tffl m…n ka½ soffl ti he¯min kai soi) ist sonst nicht belegt (sie fehlt auch in Philo Deus 138; s. Bächli 1977), die Formel »Ich kenne dich, wer du bist« taucht in den antiken Zauberpapyri nicht in exorzistischen Kontexten als von Dämonen gebrauchte Beschwörungsformel auf, und Namensnennungen begegnen als magisches Mittel von Exorzisten, nicht aber von Dämonen (Scholtissek 1992, 97-102; Koch 1975, 56-61). Dass Exorzist und Dämon mit gleichen Mitteln kämpften, entspricht aber durchaus der Logik von Exorzismen (Theißen 1990, 96 f.), doch ist diese in antiken Quellen nur schwer eindeutig verifizierbar (Scholtissek 1992, 102 f.). Uneinigkeit besteht überdies hinsichtlich der Bedeutung des Verstummungsbefehls (V. 25). Dass dieser, wie häufig postuliert, zur antiken Exorzismustopik gehörte, ist anzweifelbar, da sich die vermeintlich einschlägigen Belege auf Fluchtafeln (defixiones) finden (PGM 7,396.966; 9,4), deren Objekt nicht Dämonen, sondern Menschen waren, die zudem nicht zum Schweigen gebracht, sondern »gefesselt« (fimo‰n phimoun), d. h. gegen ihren Willen dämonisch gelenkt werden sollten (Kollmann 1991). Ob es sich bei dem Verstummungsbefehl stattdessen um eine Verwerfung des Dämons als unwürdigen Zeugen, um einen Verweis auf seine Vernichtung, um eine Abwehr seiner Aussagen über Jesu übermenschliche Würde oder um den Bestandteil einer Geheimnistheorie handelt, nach der Jesu Identität nicht zu Lebzeiten offenbar werden darf, da sie sich erst von Kreuz und Auferstehung her erschließt, bleibt strittig. Klarheit besteht aber hinsichtlich des traditionsgeschichtlichen Hintergrundes der Bedrohung des Dämons durch Jesus in V. 25a. Das Verb ¥pitim€w (epitimao¯) nimmt die hebr. Vokabel tpc (g‘r) auf, die in der alttestamentlich-jüdischen Literatur das Drohen JHWHs gegenüber den Chaosmächten (Ps 17,12), seinen Feinden (Ps 119,21), Satan 209
Die Wundererzählungen im Markusevangelium
und den bösen Mächten markiert (Sach 3,2; 1QM 14,9 f.; 1QGenAp 20,28 f.). Jesus erscheint so als an Gottes statt agierender Dämonenbezwinger. Dazu fügt sich das Staunen über seine »Vollmacht«. Der markinische Gebrauch des Begriffs ¥xousffla (exousia) lässt sich indes nicht direkt aus der biblisch-jüdischen Tradition oder nichtjüdischen Quellen ableiten (Scholtissek 1992, 29-80.125-127). Die Verankerung der Vollmacht in Jesu Lehre und Handeln entspricht aber der antiken Wertschätzung einer Kongruenz von Wort und Tat. Von Homers Zeiten an galt die Einheit von Rede und Tat als erstrebenswertes Ideal, dessen Realisierung man zumal von Herrschern und Helden erwartete (Hom. Il. 9,443). So sagt Cyrus bei Herodot über Krösus, er habe sich »in Wort und Tat als ein königlicher Mann erwiesen« (1,90,1), Thukydides beschreibt Perikles als Mann »mächtig in Wort und Tat« (1,139,4) und Xenophon fordert die Harmonie von Rede und Tat für den Reiterführer (Hipp. 8,22; vgl. insgesamt Barck 1976; Parry 1981). Der beschriebene Befund ist Anlass für diverse Thesen zur Scheidung von Tradition und Redaktion (Scholtissek 1992, 88-93). Die Lehrszene (V. 21 f.) wird dabei i. d. R. als größtenteils redaktionelle Bildung des Evangelisten bestimmt und der Exorzismusbericht (V. 23-28) auf die Übernahme mündlicher Tradition zurückgeführt. Zahlreiche Einzelheiten sind jedoch umstritten, v. a. ob Markus in V. 27 das Syntagma »eine neue Lehre aus Vollmacht« einfügte und die voranstehende Frage, die mutmaßlich in der Tradition als Personfrage: »Wer ist dieser« (tffl@ ¥stin o˜to@ tis estin houtos) formuliert war, in die Sachfrage »Was ist dies« (tffl ¥stin to‰to ti estin touto) umwandelte (Pesch 1984, 188; anders Theißen 1990, 97). Strittig ist ebenso, ob V. 28 von Markus gebildet wurde (Koch 1975, 45 f.) oder – abgesehen von dem nachklappenden Genitiv t»@ Galilaffla@ (te¯s Galilaias) – dem Traditionsstück zugehörte (Kertelge 1970, 51).
Verstehensangebote und Deutungshorizonte Christologische Deutung: In der Perikope kommt der christologische Schwerpunkt des gesamten Evangeliums darin eindrücklich zum Ausdruck, dass hier nicht der Inhalt der Lehre oder das konkrete exorzistische Handeln Jesu, sondern die göttliche Identität seiner Person im Fokus steht, und dies in richtungsweisender Form. So findet sich in V. 24 das erste von insgesamt drei Zeugnissen eines sich am vollmächtigen Wirken Jesu festmachenden messianischen Wissens der Dämonen (vgl. 3,11; 5,7), dem dann in 8,31; 9,30-32 und 10,32-34 jene drei Weissagungen Jesu kontrastierend gegenübertreten, die seine Identität an Leid und Tod binden (Mittmann-Richert 2003, 486.489 f.). Zudem eröffnet die Frage in V. 27 einen ganzen Reigen vergleichbarer Fragen nach der Identität Jesu und entsprechender Antworten (4,41; 6,2 f.14-16; 8,27-30; 9,7; 10,47 f.; 14,61 f.; 15,39; vgl. Müller 1995). Hinzu kommt, dass hier paradigmatisch jene spezifische Koppelung von Titelchristologie und narrativer Christologie begegnet, die das Markusevangelium insgesamt prägt, weisen doch nicht nur die dämonischen Anreden Jesu als »Heiliger Gottes« und »Nazarener« (vgl. die Titelkombinationen in 1,1; 8,29.31; 14,61 f. u. ö.; s. Müller 1995, 143) auf Jesu besondere göttliche Identität, sondern ebenso nichttitulare christologische Indikatoren wie das Sendungs- (V. 24) und das Vollmachtsmotiv (V. 27 f.). Diese werden im Evangelium mehrfach neu aufgegriffen (Sendung: 1,38; 2,17; 10,45; 11,9 f.; 12,1-2; Vollmacht: 2,1-12.23-28; 11,27-12,12). Zudem fällt die offenkundige Differenz zwischen dem Wissen der Dämonen (V. 24) und dem Nichtwissen der 210
Mächtig in Wort und Tat Mk 1,21-28
Menschen (V. 27) auf. In ihr manifestiert sich jene für das Markusevangelium typische Spannung, die in der Forschung unter den Stichworten »Messiasgeheimnis« oder »Geheimnistheorie« diskutiert wird (Collins 2007, 170-172). Die christologische Bedeutung der Perikope offenbart sich in einigen weiteren Vernetzungen: So ist als Inhalt der in V. 22 genannten Lehre Jesu zweifellos die in 1,14 f. eingeführte zentrale Botschaft Jesu vom Anbruch der Basileia vorausgesetzt. Daraus erklärt sich die Bestürzung der Versammelten über die Neuheit und Vollmacht der Lehre (V. 22.27), zumal der Exorzismus den Anbruch der Basileia theatralisch vor Augen führt. Jesu exorzistischer Erfolg über den unreinen Geist gründet wiederum nicht zuletzt in seiner messianischen Geistausstattung in der Taufe (1,10), die sich zuvor bereits im Widerstand gegenüber den Versuchungen Satans bewährte (1,12 f.). Die in Mk 1,21-28 erstmals in Lehre und Tat öffentlich demonstrierte Vollmächtigkeit Jesu prägt maßgeblich auch sein weiteres Auftreten (2,10.28; 3,15; 6,7; 11,27-12,12; 13,34; s. Scholtissek 1992, 137). Dabei lässt sich ein kompositorischer Bogen von der Notiz über die Ausbreitung des Rufs Jesu in Galiläa in V. 28 hin zur Ankündigung der Begegnung mit dem Auferstandenen in Galiläa in 14,28; 16,7 erkennen. Dieser indiziert: »In der Exousia Jesu offenbart sich die in der Auferstehung unverrückbar bestätigte Messianität Jesu« (Scholtissek 1992, 119). Psychologische Deutungen konzentrieren sich auf die Besessenheitsschilderung und korrelieren sie mit psychischen Krankheitsbildern. So deutet Dieter Trunk das Auftreten des Besessenen in Mk 1,23 f. als Ausdruck latenter Aggressivität gegenüber dem Charisma und der religiösen Autorität des Umkehrpredigers Jesus. Vor dem Hintergrund jüngerer psychopathischer Angriffe auf Prominente erschließt er das Vorliegen einer BorderlineStörung (vgl. Trunk 1994, 206 f. mit Anm. 19). Gerd Theißen erblickt in dem theatralen Auftritt des Besessenen den verborgenen Hilferuf eines Histrionikers, einer Person, die mittels öffentlicher Aufmerksamkeit Zuwendung zu erlangen sucht. Auf dieser Linie deutet er das in Mk 1,34 formulierte Schweigegebot an Dämonen dann als eine im Dienst der Heilung stehende Abwehr der histrionischen Symptomatik (vgl. Theißen 2007b, 244 f.). Solche Deutungen, die Jesu Exorzismen letztlich als Therapien psychischer Erkrankungen fassen, ordnen das fremde Phänomen der Besessenheit zwar vertrauten medizinischen Denkmustern zu, doch sind sie angesichts der wenigen substanziellen Angaben im Text spekulativ. Retrospektive medizinische Diagnosen gelten als heikel (Potter 2005). Ferner gilt es zu sehen, dass Krankheit und Besessenheit in einigen Summarien über Jesu Wirken nicht einfach in eins gesetzt, sondern je für sich benannt werden (Mk 1,32.33; 3,10 f.; Lk 13,32). Die Berichte über Jesu Exorzismen und Therapien sind überdies als je eigenständige Gattungen mit unterschiedlicher Motivgestaltung voneinander abzuheben (Theißen 1990, 94-102). Soziopolitische Deutungen interpretieren das Auftreten der Besessenen und Jesu Exorzismen generell als politisch-symbolisches Protestverhalten bzw. als subversive Praxis sozial und ökonomisch Marginalisierter (Horsley 1987, 188-190; Hollenbach 1993; Guijarro 2002). Über die Jesusforschung hinaus wird dieser Deutungsansatz auch zur Erhellung der Erzählabsichten der Evangelisten herangezogen. So postuliert Ched Myers, Markus’ narrativer Strategie zufolge repräsentiere der unreine Geist in Mk 1,21-28 das schriftgelehrte Establishment. Der Exorzismus in der Synagoge bringe die Verwerfung dieses Establishments als einer die römische Herrschaft stützenden politischen und ideologischen Autorität zum Ausdruck, während dann der Exorzismus in Mk 5,1-20 die Autorität der militärischen Besatzung zurückweise (Myers 1988, 138.143.192-194). Her211
Die Wundererzählungen im Markusevangelium
man Waetjen meint gar, mit dem Auftreten des Besessenen in der Synagoge zeige Markus an, dass die Synagoge eine dämonisch beherrschte, inhumane, oppressive Institution sei. Der Exorzismus Jesu bedeute dementsprechend die Befreiung eines jüdischen Individuums aus dieser Entmündigung bewirkenden Institution (Waetjen 1989, 81 f.). Ohne soziopolitische Implikationen des Textes rundweg zu negieren, ist die These Waetjens kaum zu halten, zeichnet sich doch das Markusevangelium sonst nicht durch explizite Synagogenkritik aus. Ebenso ist Myers Versuch, die Bedeutung des Exorzismus in Mk 1,21-28 an den nur als Hintergrundfiguren eingeführten und nicht explizit prorömisch gezeichneten Schriftgelehrten festzumachen, problematisch. Aus kulturanthropologischer Perspektive lassen sich die geschilderte Besessenheit und Jesu exorzistische Aktivität als wirklichkeitstransformierende Performanzen verstehen. Die Besessenheit wird hier zumal in auffälligen somatischen Akten greifbar: im lauten Schreien (V. 23.26) und in Spasmen (V. 26). Besessenheit wird dergestalt nicht so sehr als innere Lenkung, denn als in der phänomenalen Wirklichkeit, nämlich im Körpererleben des Betroffenen und in der Wahrnehmung der Versammlung gründendes Geschehen dargestellt. Anders gesagt: Das dämonisch Böse kommt in Mk 1,23-28 in der körperlichen Entstellung erlebbar zur Aufführung. Jesu exorzistische Reaktion durchbricht diese Wirklichkeit. Durch den Exorzismus weicht die dämonische Wirklichkeit jener neuen Wirklichkeit der Basileia Gottes, die als Inhalt der Lehre Jesu in V. 21 f. vorauszusetzen ist (s. o.). In dieser Transformation der »Wirklichkeit« manifestiert sich eindrücklich Jesu Vollmacht in Wort und Tat (vgl. insgesamt Strecker 2002).
Aspekte der Parallelüberlieferung und Wirkungsgeschichte Dem ersten szenisch ausgestalteten Auftritt Jesu coram publico kommt auch bei den beiden synoptischen Seitenreferenten eine Signalfunktion zu, dies allerdings mit jeweils anderen Inhalten: Matthäus eröffnet Jesu öffentliches Agieren mit der Bergpredigt (5,17,29), Lukas setzt mit der programmatischen Antrittspredigt in Nazaret ein (4,16-21). Beide akzentuieren dergestalt Jesu Profil als Lehrer und bauen dieses Motiv im Evangelium weiter aus. Auch Markus weist das Lehren in seinem Evangelium als wichtige Praxis Jesu aus (10,1 u. ö.; s. Müller 1995, 150-156), gibt aber in Mk 1,21-28 von Anfang an deutlich zu verstehen, dass Jesu Lehre nicht isoliert von seiner wunderwirkenden, exorzistischen Kraft zu betrachten ist (vgl. 1,39; s. Achtemeier 1980). Matthäus ignoriert Mk 1,21-28 dagegen ganz. Er drängt überhaupt exorzistische und magisch anmutende Motive zurück. Dies belegen die Kürzungen der Aussagen über Dämonen in Mt 8,16; 12,15 f. gegenüber Mk 1,34; 3,11 sowie die Auslassungen der thaumaturgischen Heilungen Mk 7,33-37 und 8,22-26. Von daher wollte Matthäus den öffentlichen Auftritt Jesu wohl auch nicht mit einem Exorzismus eröffnen (weitere Einzelheiten bei Trunk 1994, 201212, bes. 204). Lukas rezipiert Mk 1,21-28 in 4,31-37. Er verortet die Szene freilich nach Jesu Antrittspredigt in Nazaret (4,16-30) und nimmt u. a. folgende Änderungen vor: Geographisch korrekt spricht er vom »Hinabgehen« nach Kafarnaum. Jesu Lehre und Exorzismus verknüpft er noch enger als Mk, indem er in beiden Vollzügen den lgo@ (logos) als wesentlich markiert (V. 32.36). Die Schriftgelehrten werden ignoriert, zumal die Lehrkonflikte erst später ab 5,17 folgen. Die ungewöhnliche Bezeichnung »Geist eines unreinen Dämons« (V. 36) hebt die Differenz gegenüber dem zuvor bereits 14-mal er212
Mächtig in Wort und Tat Mk 1,21-28
wähnten Heiligen Geist explizit heraus (Klutz 2004, 44). Die in das Dämonenwort eingefügte Interjektion ˛a (ea, V. 34) lässt die Konfrontation mit Jesus noch plastischer werden. Zugleich reduziert Lukas die Gewalt der von ihm nun ostentativ »in die Mitte« gerückten Dämonenausfahrt, indem er betont, sie sei ohne Verletzung geschehen (V. 35). Anfang des 3. Jh. berichtet Philostrat (vit. ap. 4,20), Apollonius von Tyana sei bei einem Lehrvortrag in Athen durch das Lachen eines wegen seines ungewöhnlichen Verhaltens stadtbekannten Jünglings unterbrochen worden, woraufhin er ihn musterte und den alsbald aufschreienden Geist erfolgreich mittels Bedrohung und Ausfahrtbefehl exorzierte. Ob die Vita Apollonii durch die Evangelien beeinflusst ist, bleibt strittig (Meier 1994, 580.604 mit Anm. 23 f.). Angesichts der Gründung der exorzistischen Vollmacht Jesu in der baptismalen Geistgabe (s. o.) sei abschließend notiert, dass spätestens ab dem 2. Jh. n. Chr. exorzistische Elemente im Taufritual begegnen (Clem. Al. exc. Theod. 77.83 f.; vgl. Sorensen 2002, 10-17.209-214).
Christian Strecker Literatur zum Weiterlesen J. C. Iwe, Jesus in the Synagogue of Capernaum. The Pericope and Its Programmatic Character for the Gospel of Mark. An Exegetico-Theological Study of Mk 1:21-28, Rom 1999. P.-G. Klumbies, Der Mythos bei Markus, BZNW 108, Berlin et al. 2001, 216-222. P. Müller, »Wer ist dieser?« Jesus im Markusevangelium, BThS 27, Neukirchen-Vluyn 1995, 2132. C. Myers, Binding the Strong Man. A Political Reading of Mark’s Story of Jesus, Maryknoll 1988. K. Scholtissek, Die Vollmacht Jesu. Traditions- und redaktionsgeschichtliche Analysen zu einem Leitmotiv markinischer Christologie, NTA 25, Münster 1992, 81-137.
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Fieberfrei auf dem Weg Jesu (Die Heilung der Schwiegermutter des Petrus) Mk 1,29-31 (Mt 8,14 f.) (29) Und sofort als sie aus der Synagoge hinausgingen, kamen sie in das Haus von Simon und Andreas (zusammen) mit Jakobus und Johannes. (30) Die Schwiegermutter Simons lag fiebernd danieder. Und sofort informieren sie ihn über sie. (31) Und als er herangetreten war, ergriff er die Hand und richtete sie auf. Und das Fieber verließ sie. Und sie diente ihnen.
Sprachlich-narratologische Analyse Die Wundergeschichte in Mk 1,29-31, die mit der Schwiegermutter des Petrus die erste weibliche Erzählfigur innerhalb des Markusevangeliums präsentiert, führt die Leserinnen und Leser von der Synagoge in Kafarnaum (Mk 1,21-28) in ein Haus dieses Ortes. Hier wie dort erweist sich Jesus als wundertätiger und vollmächtiger (Mk 1,27) Heiler, der sich unterschiedslos Mann (in der Öffentlichkeit) und Frau (im privaten Raum) zuwendet. Die kurze Erzählung lässt sich in drei Teile gliedern: Die recht breite Einleitung in V. 29 f. – durch das zweimalige »und sofort« (ka½ e'qÐ@ kai euthys) in V. 29a.30b gerahmt – stellt alle Personen wie auch den Handlungsort vor. Zudem werden Jesus und mit ihm die Leserinnen und Leser über die Situation im Haus informiert (V. 30). Dabei fällt auf, dass die Motivation für den Gang ins Haus zunächst unausgesprochen bleibt (Schenke 2005, 73) und daher kontextuell als Rückzug aus der durch die Wundertat Jesu aufgewühlten Öffentlichkeit verstanden werden kann (Mk 1,21-28). Die Heilung der Kranken scheint jedenfalls zunächst nicht angezielt zu sein. Im Zentrum der Erzählung steht V. 31ab, der durch einen internen Ortswechsel – Jesus tritt näher an die Kranke heran – von der Einleitung abgetrennt ist: Jesus, nur hier ist er allein das handelnde Subjekt, heilt die Kranke. Den Abschluss der Geschichte bilden die Versteile 31cd, die in zwei parallelen Sequenzen Reaktionen auf die Tat Jesu erzählen: Das Fieber verlässt die Frau, die ihrerseits reagiert, indem sie »ihnen« dient. Die sechs Erzählfiguren der Geschichte lassen sich zu drei Aktanten zusammenfassen, da die vier Begleiter Jesu zu einer Größe verschmelzen: Sie informieren Jesus über den Zustand der Kranken (V. 30), bitten aber eher nur indirekt um Heilung. Darin sind sie den vier Trägern eines Gelähmten in Mk 2,1-12 ähnlich. Die Heilung geht damit wesentlich auf die Initiative Jesu zurück, der die Rolle des Subjekts einnimmt. Ihm gegenüber steht als Objekt die passiv daliegende Schwiegermutter. Die Heilung bringt allerdings einen Rollenwechsel mit sich. Aus der liegenden Frau wird das handelnde Subjekt: Sie bedient (etwa bei Tisch) die Anwesenden. Dieser Rollenwechsel wird durch eine auffallende semantische Opposition gestützt. Gemeint sind die beiden Begriffe »daniederliegen« (kat€keimai katakeimai) und »dienen« (diakonffw diakoneo¯), die aus dem semantischen Feld, das von Verben der Bewegung geprägt ist, herausstechen. Beide Verben stehen in Opposition: Drückt das »Daniederliegen« die Passivität der Kranken am stärksten aus, so das »Dienen« ihre 214
Fieberfrei auf dem Weg Jesu Mk 1,29-31
Aktivität. Die Verben bilden zudem die einzigen Prädikate innerhalb von Sätzen, in denen die Schwiegermutter das grammatische Subjekt ist. Schließlich sind es nur diese beiden Verben, die im Imperfekt (die Form ˇgeiren [e¯geiren – aufrichten/erwecken] wird hier als Aorist verstanden) gebildet sind, wodurch die anhaltende Dauer von Krankheit und Dienst betont wird (duratives Imperfekt). Die im Zentrum der Perikope stehende Heilung vollzieht sich recht unspektakulär. Jesus tritt an die Kranke heran, ergreift ihre Hand und richtet sie auf (vgl. Mk 5,41; 9,27; zur Mehrdeutigkeit des Begriffs »aufrichten/erwecken« im Markusevangelium Venetz 2005, 70). Mehr geschieht auf der sichtbaren Ebene nicht. Weder von wunderwirkenden Worten, Gebeten oder heilenden Mitteln ist die Rede. All das ist offensichtlich nicht nötig, denn die Berührung führt – wohl als Kraftübertragung gedacht (vgl. Mk 5,30) – zur unmittelbaren Heilung. Der Text konstatiert, dass das Fieber die Frau verlässt. Als Beleg für die Heilung lässt sich der Dienst der Schwiegermutter verstehen, gleichsam der demonstrative Wiedereintritt in die Sphäre der Aktivität. Die Erzählung fügt sich nahtlos in ihren Kontext ein. Sie ist dabei durch die relative Einheit von Ort und Zeit mit der vorausgehenden Wundergeschichte wie auch mit dem anschließenden Heilungssummarium (Mk 1,32-34) verbunden. Denn Jesus bleibt bis zum Abend im Haus. An diesem Abend, in jüdischer Perspektive ist der Sabbat mit dem eigens erwähnten Sonnenuntergang (V. 32) beendet, kommt die ganze Stadt mit ihren Kranken und Besessenen zur gesondert erwähnten Tür des Hauses. Dort heilt Jesus und treibt Dämonen aus. Und auch wenn er noch in der Nacht Kafarnaum verlässt (Mk 1,3545), begegnet den aufmerksamen Leserinnen und Lesern das »Haus der Heilung« bald wieder. Schon in Mk 2,1 befindet sich Jesus wieder in diesem Haus und heilt vor großem Publikum – erneut wird die Tür des Hauses erwähnt (Mk 2,2; 1,33) – einen Gelähmten. Das Haus wird so zum zentralen Stützpunkt der Jesusgruppe in Kafarnaum, wird zum »Gemeindehaus«, zum Ort von Heilung und impliziter Lehre (vgl. Mk 9,33; Collins 1993, 5-18; Ebner 2008a, 26 f.; Klauck 1981, 60-62). Gattungskritisch betrachtet handelt es sich bei Mk 1,29-31 um eine Therapie. Aus dem Motivinventar für Wundererzählungen (Theißen 1998, 82 f.; Ebner/Heininger 2007, 73-75) werden der Auftritt des Wundertäters und einer Kranken realisiert, deren Notsituation (Fieber) charakterisiert wird. Die Information des Wundertäters durch die vier Schüler, die eine Doppelrolle als Begleiter des Wundertäters und (in dezenter Form) Stellvertreter der Hilfsbedürftigen spielen, leitet zum Zentrum der Wundergeschichte über. V. 31a kann dabei als Teil der szenischen Vorbereitung des Wunders verstanden werden: Jesus sondert sich vom Rest ab, indem er an die Kranke herantritt. Das Motiv der Berührung (V. 31b) macht die eigentliche Wunderhandlung aus. Umgehend folgen die Konstatierung des Wunders (V. 31c) und die Demonstration der Heilung durch die ehemals Kranke (V. 31d: Dienst). Sind diese Motive typisch, wenngleich auf das Allernotwendigste reduziert, so fällt im Sinne der Gattungsanalyse mindestens eine Leerstelle auf: Es fehlt jede Form von Reaktion (etwa Admiration oder Akklamation) durch die anwesenden Schüler, die ja unmittelbar vom Wundererfolg betroffen sind (auch ihnen dient die Geheilte), aber eigentümlich still bleiben.
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Die Wundererzählungen im Markusevangelium
Sozial- und realgeschichtlicher Kontext Die sozialgeschichtliche Lektüre des Textes führt in die Welt des Hauses und der Familie. »Haus« (o§kffla/o ko@ oikia/oikos) kann in der griechisch-römischen Antike mehr als nur ein Gebäude meinen. Es ist auch Ausdruck für einen ganzen Familien- und Sozialverband: Eltern und Kinder, Großeltern, Brüder und Schwestern, Verwandte, sogar Sklaven können zusammen ein »Haus« bilden (vgl. Klauck 1981, 15-20). Auch im Haus, das Jesus in Mk 1,29 betritt, lebt ein größerer Familienverband. Das Haus wird in der erzählten Welt – und um die (nicht allein um die historische Faktizität) geht es auch bei einer sozialgeschichtlichen Analyse des Textes – als Besitz der Brüder (Mk 1,16) Simon und Andreas bezeichnet und könnte ihnen als gemeinsames Erbe zugefallen sein. So lässt sich vermuten, dass der Vater dieser beiden bereits verstorben ist, jedenfalls wird er im Kontext der Berufung in Mk 1,16-20 nicht erwähnt – und zwar im Gegensatz zum Vater der beiden Zebedaiden (Mk 1,20). In diesem Haus lebt zudem die Schwiegermutter des Petrus (über weitere Bewohner erzählt der Text nichts). Sie im Haus ihres Schwiegersohns anzutreffen macht eigentlich nur Sinn, wenn sie Witwe ist und die Tochter des Paares, eben die Frau des Petrus, im Sinne des alttestamentlichen Elterngebots (dazu Jungbauer 2002) die Versorgung übernommen hat (alternative Analysen bei Gnilka 2008a, 85 mit Anm. 11; Gundry 2000, 89). Nur ist diese Sorge für die Mutter/Schwiegermutter durch die Hausgemeinschaft angesichts des andauernden Fiebers an das Ende ihrer Möglichkeiten gekommen. In dieser Situation springt Jesus gleichsam in die Bresche und lässt der Schwiegermutter das zukommen, was ihr kein Angehöriger des Hauses geben kann: Gesundheit und damit Reintegration in die aktive Hausgemeinschaft, zu der sich Jesus als heilbringender Gast gesellt. Mit der Fiebererkrankung präsentiert der Text eine weitere Realie. Fieber (vgl. Horn 1969; Gundert 2005) ist ein in der Antike verbreitetes, z. T. als lebensgefährlich bewertetes Krankheitssymptom, das als solches noch keine Rückschlüsse auf benennbare Krankheiten ermöglicht, sofern nicht Fieber selbst als eigene Krankheit verstanden wird. Als eine mögliche Ursache für den Ausbruch von Fieber gelten im antiken Volksglauben Dämonen (Kollmann 1996, 223). Reste einer solchen dämonischen Konnotation lassen sich vielleicht noch in Mk 1,31 ausmachen, wenn es heißt, dass das Fieber die Frau verlässt. Damit findet eine gewisse Personifikation des Fiebers statt (vgl. Mk 10,28 f.; 13,34; 14,50).
Traditions- und religionsgeschichtlicher Hintergrund Im Alten Testament, das eine Reihe von Wundergeschichten kennt (etwa die Heilung des Sohnes im Haus der Witwe von Sarepta aus der Elijatradition [1Kön 17]), aber von keiner einzigen Fieberheilung berichtet, ist vom Fieber (im Verbund mit anderen Leiden) v. a. als einer Strafandrohung Gottes die Rede (Lev 26,16; Dtn 28,22; Sir 40,9), die Gesetzesübertreter treffen kann. Dieser Zusammenhang von sichtbarer Fiebererkrankung und hintergründiger Schuldzuweisung findet sich in Mk 1,29-31 nicht. Hier ist Fieber keine (göttliche) Strafe, sondern eine heilbare Krankheit. Im Frühjudentum lässt sich hingegen eine Reihe von Fieberheilungen finden (zu Einzelheiten vgl. Horn 1969, 880-887). So kann der jüdische Gebetscharismatiker Chanina ben Dosa im Rahmen einer Fernheilung durch Gebet einen Jungen vom Fieber heilen (Kollmann 1996, 142-144.223; Gundry 2000, 90): 216
Fieberfrei auf dem Weg Jesu Mk 1,29-31
Einst erkrankte der Sohn Rabbi Gamliéls und er sandte zwei Schriftgelehrte zu Rabbi Chanina ben Dosa, dass er für ihn um Erbarmen flehe. Als dieser sie sah, stieg er auf den Söller und flehte für ihn um Erbarmen. Beim Herabsteigen sprach er zu ihnen: »Geht, das Fieber hat ihn verlassen.« (…) [Und] in jener Stunde verließ ihn das Fieber, und er bat (…) um Wasser zum Trinken (bBer 34b [Goldschmidt 1996]).
In die Welt der Götter und der Magie führen Fieberheilungen im hellenistisch-römischen Kulturraum. Diverse Arten von Amuletten (etwa die ausgerissenen Haare von Gekreuzigten; vgl. Plin. nat. 28,41,228 f.) sollen bei Fieber helfen; auch den Statuen von Heroen (Halbgöttern) wird ein besonderer Heilungserfolg bei Fieber zugeschrieben (vgl. kritisch Luc. philops. 18-20). V. a. im Westen des Imperium Romanum und speziell in Rom (Hauptheiligtum auf dem Palatin) wird zudem die Göttin Febris verehrt (Burke 1995, 2266-2271; Horn 1969, 889 f.). Sie ist die vergöttlichte Personifikation des Fiebers, im Besonderen des Malariafiebers. Als unheilbringende Gottheit zielt ihre kultische Verehrung darauf ab, sie zu deaktivieren. Überblickt man die religionsgeschichtlichen Kontexte insgesamt, so fällt auf, dass auf dem religiösen Markt viele Optionen vorhanden waren, um Fieber zu bekämpfen. Die markinische Geschichte fällt angesichts dieser Möglichkeiten schlicht aus. Wo andere Wundertäter intensiv beten oder magische Praktiken vollziehen, wo von Krankheit Bedrohte Amulette tragen, Statuen besuchen oder Febris verehren müssen, da kann Jesus aus eigener Kraft und mit minimalem Aufwand heilen. Das lässt sich als Überbietung und Zuspruch an die markinische Gemeinde, die vielleicht in Rom, also gleichsam im Bannkreis der Göttin Febris, zu verorten ist und auf Jesus als Retter setzt, verstehen.
Verstehensangebote und Deutungshorizonte Im Sinne einer historisierenden Deutung, die das Interesse an der möglichen Faktizität von Wundergeschichten ernst nimmt, wird nach dem historischen Haftpunkt für diese Erzählung gesucht. Ein solcher könnte darin bestehen, dass mit ihr die Erinnerung an eine historische Heilung der Schwiegermutter des Petrus durch Jesus bewahrt wird, die durch die spezifische Nennung einer sonst unbekannten Person an Plausibilität gewinnt und aufgrund des biographischen Interesses an der Figur des Petrus im frühen Christentum überliefert worden ist (vgl. mit unterschiedlichen Graden der historischen Gewissheit Gnilka 2008a, 83-85; Kollmann 1996, 222 f.; Pesch 1984a, 129.131). Tiefenpsychologische Exegese (Drewermann 2000, 202-209) versteht die Wundergeschichte als paradigmatische Erzählung eines Befreiungsprozesses aus den krankmachenden Zwängen des Alltags, des bürgerlich Normalen. Dieses scheinbar Normale ist für E. Drewermann in Wahrheit »ein völlig wahnsinniges ›Fieber‹« (Drewermann 2000, 206), an dem auch die Schwiegermutter des Petrus leide und das gerade im Anschluss an den Ausstieg des Schwiegersohnes aus dem gesellschaftlichen System, auf den die Schwiegermutter nur mit Ablehnung reagieren konnte, heftig um sich greife. Erst die direkte, befreiende Begegnung mit Jesus habe sie ihre Opposition zum scheinbar sorglosen Leben Jesu und seiner Anhänger überwinden lassen – eine Interpretation der Erzählung, die sich auch auf den Alltag heutiger Bibelleserinnen und -leser übertragen lässt und eine Identifikation mit der Schwiegermutter ermöglicht, wobei die tiefenpsycholo217
Die Wundererzählungen im Markusevangelium
gische Ausdeutung zugleich zum kritischen und befreienden Korrektiv für in Alltagssorgen Verstrickte werden kann. Sozialgeschichtlich arbeitende und gendersensible Exegetinnen und Exegeten, die zugleich die Erzählung im literarischen Horizont des ganzen Markusevangeliums lesen und im Blick auf ihre pragmatische Funktion befragen, betten die Geschichte in den Diskurs um Nachfolge und Schülerschaft im Markusevangeliums ein (vgl. etwa Fander 1990, 32-34; Hentschel 2007, 200-202; Schottroff 1994, 300 f.313). Ausgangspunkt ist der explizit formulierte »Dienst« der Frau (Mk 1,31). »Dienen« (diakonffw diakoneo¯) ist ein Leitwort im Markusevangelium und kennzeichnet, auch über die engere Bedeutung als Tischdienst hinaus, die von Jesus favorisierte Form der Nachfolge, der sich Frau und Mann unterschiedslos zu stellen haben (Mk 9,35; 10,43.45). Dienen ist daher keine spezifisch weibliche Form der Jesusnachfolge. Dienst und Nachfolge gehören für Markus aufs Engste zusammen. Im Text des Evangeliums wird dies explizit als gelingend allerdings nur von Engeln und Frauen (und indirekt natürlich Jesus) erzählt, wobei die Schwiegermutter die erste menschliche Erzählfigur ist, die dem dienenden Vorbild der Engel (Mk 1,13) wie selbstverständlich und ohne vorherige Belehrung durch Jesus folgt (vgl. Dschulnigg 2007, 83 f.; Schenke 2005, 73 f.). Ihr Dienst ist dabei Reaktion auf und nicht Bedingung für die Heilung. Dass ihr Dienst zudem auf Dauer angelegt ist und sie in die Jesusnachfolge eintritt (Fander 1990, 28, spricht von einer »Berufungslegende«), zeigt das verwendete Imperfekt an. Insofern wird man sich unter den summarisch genannten, die Kreuzigung betrachtenden Frauen (Mk 15,40 f.), die bereits in Galiläa Jesus auf seinem Weg nachfolgten und dienten, auch die Schwiegermutter vorstellen dürfen, die damit am Anfang und am Ende des Gesamttextes, in dessen Verlauf sie aus dem privaten Raum des Hauses in die Öffentlichkeit tritt, einen dezenten Auftritt hat. Und vielleicht ist es genau diese Schwiegermutter, die in Mk 3,34 von Jesus auch als »Mutter« bezeichnet wird, weil sie den Willen Gottes tut; so könnte man jedenfalls die auffallende Singularformulierung im Gegenüber zu den »Brüdern« verstehen, zumal sich Jesus ab Mk 3,20 wieder im Haus befindet (vermutlich ist eben das Haus in Kafarnaum gemeint; Gnilka 2008a, 148). In dieser Perspektive ist die geheilte und dienend nachfolgende Schwiegermutter ein Vorbild für die in der Jesusnachfolge stehenden Leserinnen und Leser des Textes (vgl. Kinukawa 1995, 136-139; Mörtl 2007) wie auch für die Erzählfiguren des Markusevangeliums, die sich in der Nachfolge versuchen und damit ihre liebe Not haben. Denn gerade den männlichen Schülern Jesu fällt es schwer, Nachfolge und Bereitschaft zum Dienst zusammenzudenken (vgl. Mk 10,35-45). Für sie zählt, wer der Größte in ihrer Runde ist (Mk 9,34) – und sie müssen von Jesus gesondert lernen, dass man, um Größter sein zu wollen, der Diener aller sein muss (Mk 9,35). Und es gibt wohl keinen besseren Ort in der erzählten Topographie des Markusevangeliums, um dies zu lernen, als im Haus in Kafarnaum, dem Ort dieser Belehrung (Mk 9,33).
Aspekte der Parallelüberlieferung und Wirkungsgeschichte Die Erzählung ist von Matthäus mit signifikanten Unterschieden in sein Evangelium (Mt 8,14 f.) übernommen worden (zur lukanischen Rezeption vgl. den entsprechenden Beitrag in diesem Band):
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Fieberfrei auf dem Weg Jesu Mk 1,29-31
Mt 8,14 f. (14) Und als Jesus in das Haus des Petrus kam, sah er dessen Schwiegermutter niedergeworfen und fiebernd. (15) Und er berührte ihre Hand, und das Fieber verließ sie. Und sie wurde aufgerichtet und diente ihm. Diese Heilungsgeschichte ist nun Teil des von Matthäus gebildeten Wundergeschichtenkomplexes (Mt 8 f.). Im Blick auf diesen neuen kompositionellen Ort trägt sie zur Charakterisierung Jesu als wirkmächtigem Messias für sein Volk bei, der fähig ist, alle Krankheiten und Schwächen zu überwinden (vgl. Münch, Hinführung Matthäus in diesem Band; vgl. auch Luz 2007, 7 f.17-19). Die Erzählung selbst wird von Matthäus durch Kürzungen und Änderungen der markinischen Vorlage derart umgestaltet, dass es v. a. zu einer Konzentration auf den Wundertäter kommt. Im Einzelnen streicht Matthäus beinahe die gesamte Einleitung aus Mk 1,29. Jesus geht allein in das Haus des Petrus, der gegen Markus durchgehend Petrus und nicht Simon genannt und als alleiniger Hausbesitzer stilisiert wird. Zum vollmächtigen Heiler Jesus passt auch, dass er auf einen Blick das Problem der Schwiegermutter »sieht« (Mt 8,14: e—den eiden – er sah; als Verb zusätzlich eingetragen). Eine Vermittlung durch andere ist nicht nötig (Mk 1,30b entfällt). Dezenter fällt schließlich auch der Heilvorgang aus. Das markinische Partizip »ergreifen«, dem immer auch der Charakter des sich Bemächtigens eigen ist, ersetzt Matthäus durch das sanfter wirkende Verb »berühren« (¿ptomai haptomai). Auch den Abschluss der Erzählung hat Matthäus variiert. Der singulären Stellung Jesu entsprechend, wird der Dienst der Schwiegermutter nur noch auf ihn bezogen. Dass hinter dem ganzen Wundergeschehen schließlich Gott selbst steht und der Wundertäter Jesus mit diesem rettenden Gott aufs Engste verbunden ist, macht die Erzählung in V. 15 durch die Verwendung des Verbs »sie wurde aufgerichtet« (in Mk 1,31 richtet Jesus die Frau auf) deutlich, eine Form, die man als theologisches Passiv (vgl. Mt 9,25; 14,2), das Gott verhüllt als eigentlichen Handlungsträger anzeigt, deuten kann (Fiedler 2006, 205 f.). Insgesamt ist die matthäische Version der Heilungsgeschichte ein Beispiel dafür, wie durch Kürzungen der Vorlage eine Konzentration auf den Wundertäter Jesus erfolgt – letztlich ein Mosaikstein in der Entwicklung zu einer höheren Christologie. Mit dieser frühen Wirkungsgeschichte der markinischen Erzählung kommt die Rezeption nicht an ihr Ende. Im Rahmen der gegenwärtigen römisch-katholischen Leseordnung wird der Text etwa anlässlich von Gottesdiensten mit Kranken und zur Krankensalbung genutzt. Hier setzt sich eine schon in der Alten Kirche bewährte Praxis fort, entsprechende Wundergeschichten Kranken im Rahmen von Heilungsversuchen vorzulesen (Kollmann 1996, 361) oder auch auf christliche Fieberamulette zu schreiben (Horn 1969, 906).
Markus Lau Literatur zum Weiterlesen J. G. Cook, In Defence of Ambiguity: Is There a Hidden Demon in Mark 1.29-31?, NTS 43 (1997), 184-208.
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Die Wundererzählungen im Markusevangelium
M. Fander, Die Stellung der Frau im Markusevangelium. Unter besonderer Berücksichtigung kultur- und religiongsgeschichtlicher Hintergründe, MThA 8, Alternberge 21990, 17-34. H. Kinukawa, Frauen im Markusevangelium. Eine japanische Lektüre, Luzern 1995, 136-139. B. Mörtl, Die Heilung der Schwiegermutter (Mk 1,29-31). Freude und Ärgernis?, in: J. Pichler/ C. Heil (Hg.), Heilungen und Wunder. Theologische, historische und medizinische Zugänge, Darmstadt 2007, 130-142. P.-B. Smit, Simon Peter’s Mother in Law Revisited. Or Why One Should Be More Careful With Mothers-In-Law, LectDiff 4/1 (2003).
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Nicht nur rein, auch gesund (Heilung eines Aussätzigen) Mk 1,40-45 (Mt 8,1-4 / Lk 5,12-16 / P.Köln 255) (40) Und es kommt zu ihm ein Aussätziger, der bittet ihn, fällt auf die Knie und sagt zu ihm: »Wenn du willst, kannst du mich reinigen.« (41) Und erbarmend streckte er die Hand aus, berührte ihn und sagt zu ihm: »Ich will; sei rein!« (42) Und sofort verließ ihn der Aussatz und er wurde rein. (43) Und Jesus drohte ihm und schickte ihn sogleich weg (44) und sagt zu ihm: »Sieh zu, dass du niemandem etwas sagst; sondern geh hin und zeige dich dem Priester und opfere für deine Reinigung, was Mose geboten hat, ihnen zum Zeugnis.« (45) Er aber ging fort und fing an, viel davon zu reden und das Wort bekanntzumachen, so dass er (sc. Jesus) nicht mehr öffentlich in eine Stadt gehen konnte; sondern er war draußen an einsamen Orten; doch sie kamen zu ihm von überall her.
Sprachlich-narratologische Analyse Ein Aussätziger (lepr@ lepros) kommt zu Jesus und bittet ihn kniefällig: Wenn du willst, kannst du mich rein machen. Dass der Kranke mit seiner Bitte überhaupt zu Jesus kommt, ist in den vorangehenden summarischen Notizen 1,34.39 begründet: Jesus hat bereits vielen Kranken geholfen und in ganz Galiläa unreine Geister ausgetrieben (1,23; vgl. 1,26 f.; 3,11; 5,2.8.13; 6,7; 7,25; 9,25); deshalb wird er von den Menschen gesucht (V. 37). Die Erzählung kann in zwei Teile geteilt werden. Die ersten drei Verse (V. 40-42) enthalten die gängigen Elemente einer Wundergeschichte (Begegnung des Kranken und des Wundertäters, Vertrauenswort / Bitte, Geste und Wort des Wundertäters, Feststellung des Heilerfolgs, vgl. Theißen 1990, 57-81): 40 40 40 41 41 42 42
Und es kommt zu ihm ein Aussätziger, der bittet ihn, fällt auf die Knie und sagt zu ihm: Wenn du willst, kannst du mich reinigen. Und erbarmend streckte er die Hand aus, berührte ihn und sagt zu ihm: Ich will; sei rein! Und sofort verließ ihn der Aussatz und er wurde rein.
Dieser erste Teil ist ganz auf die Begegnung des Aussätzigen mit Jesus konzentriert (die Jünger, die nach V. 36-38 bei Jesus sind, tauchen hier nicht auf). Das Kommen und Bitten des Aussätzigen sind im Präsens berichtet, die Reaktion Jesu im Aorist; das Verhalten Jesu in der Vergangenheit wird damit erzählend für gegenwärtiges Bitten geöffnet. Dass weder Ort noch Zeitpunkt der Begegnung erwähnt sind, unterstreicht den exemplarischen Charakter der Erzählung. Handlung und Rede der beiden Akteure sind eng auf221
Die Wundererzählungen im Markusevangelium
einander bezogen: Dem Kommen und Hinknien des Aussätzigen entsprechen das Ausstrecken der Hand und die Berührung durch Jesus, und auch die Bitte und die Antwort Jesu entsprechen sich in ihrer Zweiteilung (Ausdruck des Wollens, Reinigung) unmittelbar. Auf diese Weise entsteht eine kleine Handlungssequenz, die alle Nebenaspekte ausblendet und sich ganz auf die beiden Akteure konzentriert. Als Motivation für Jesu Handeln wird sein Erbarmen genannt (einige Handschriften lesen »wurde zornig«; die schwache Bezeugung spricht aber nicht für diese Lesart); dem entspricht, dass die Bitte um Heilung indirekt als Vertrauensaussage formuliert ist. Vorausgesetzt ist dabei, dass Jesus die Heilung bewirken kann, wenn er nur will. Die Bitte wird damit zur christologischen Aussage. Die Rahmung der kleinen Erzählung wird mit Hilfe der Begriffe Aussätziger V. 40 und Aussatz V. 42 geschaffen. Die planvolle Komposition kommt darin zum Ausdruck, dass der Mensch in V. 40 ausschließlich als Aussätziger gekennzeichnet wird: Die Erkrankung kennzeichnet den Menschen insgesamt; bei der Konstatierung der Heilung wird dagegen zwischen Krankheit und Mensch differenziert (und sofort verließ ihn der Aussatz). Dreimal ist von Reinheit die Rede: Der Kranke bittet (nicht um Heilung, sondern) um Reinheit, Jesus sagt sie zu, abschließend wird sie zusammen mit dem Verschwinden des Aussatzes festgestellt und in V. 44 ist von Reinigung (kaqarism@ katharismos) die Rede, das besonders in LXX die kultische Reinheit bezeichnet (Hauck 1938, 433). Ein Zusammenhang von Aussatz und Unreinheit ist offensichtlich vorausgesetzt: Aussatz verunreinigt und schließt den Befallenen aus der kultischen und der sozialen Gemeinschaft aus (s. u.). Dass die religiösen und sozialen Folgen der Erkrankung bei den Leser(innen) des Evangeliums als bekannt vorauszusetzen sind, zeigt sich an der Bitte des Aussätzigen um Reinigung und daran, dass eine Erklärung dieses Sachverhalts fehlt. Aber weder der Kranke noch Jesus selbst halten sich an die vorgeschriebene Distanzierung. Besonders die Berührung des Kranken durch Jesus (V. 41) steht im Gegensatz zum üblichen Verhalten. Dass Jesus sich durch die Berührung selbst verunreinigt, wird nicht erwogen. Markus geht vielmehr davon aus, dass umgekehrt die Reinheit Jesu die Unreinheit des Aussätzigen zum Verschwinden bringt (Berger 1988, 240: »offensive Reinheit«; vgl. bereits Thom. cat. Matt. 8,1). Hinter der passiven Formulierung »und er wurde rein« V. 42 steht letztlich Gott selbst. Deshalb wird nirgendwo im Neuen Testament berichtet, dass Jesus nach einem solchen Kontakt ein Reinigungsritual durchgeführt habe. Vielmehr kann die wiederhergestellte Reinheit in V. 42 konstatiert (obwohl dies nur einem Priester zusteht) und damit die Reintegration in die soziale und religiöse Gemeinschaft bereits angedeutet werden. Mk 1,40-42 setzt offenbar die gängigen Einschätzungen von Aussatz voraus und steht zugleich in Distanz dazu. Im zweiten Abschnitt (V. 43-45) schließen sich ein Schweigegebot und die Aufforderung an, sich einem Priester zu zeigen und das von Mose angeordnete Opfer zu bringen. Ob der Geheilte dieser Aufforderung nachkommt, bleibt offen. An das Schweigegebot hält er sich jedenfalls nicht (V. 45): Er geht weg und verkündet, was geschehen ist. Die Folge ist, dass Jesus sich nicht mehr unerkannt bewegen kann; zwar sucht er entlegene Orte auf, aber von überall her kommen Menschen zu ihm (unzutreffend Malina 2001, 161: Als nunmehr Unreiner könne Jesus sich nicht mehr in Siedlungen aufhalten):
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Nicht nur rein, auch gesund Mk 1,40-45
43 44
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Und Jesus drohte ihm und schickte ihn sogleich weg und sagt zu ihm: Sieh zu, dass du niemandem etwas sagst; sondern geh hin und zeige dich dem Priester und opfere für deine Reinigung, was Mose geboten hat, ihnen zum Zeugnis. Er aber ging fort und fing an, viel davon zu reden und das Wort bekanntzumachen, so dass er (sc. Jesus) nicht mehr öffentlich in eine Stadt gehen konnte; sondern er war draußen an einsamen Orten; doch sie kamen zu ihm von überall her.
Dieser Teil der Erzählung erweitert die konzentrierte erste Szene in verschiedener Hinsicht: Der Aktionsraum wird ausgedehnt (wegschicken, fortgehen V. 43.45, einsame Orte und »von überall her« V. 45), zusätzliche Handlungsträger tauchen auf (Priester V. 44, »sie« V. 45) und auch neue Handlungen kommen ins Spiel (opfern nach dem Gebot des Mose V. 44, das Wort bekanntmachen V. 45). Dabei sind sowohl im Vergleich mit der ersten Sequenz als auch innerhalb der Fortführung selbst einige Beobachtungen auffällig: – Gerade hat Jesus sich dem Geheilten zugewandt; jetzt spricht er ihn drohend an (¥mbrim”sqai embrima¯sthai wie in Mk 14,5 im Sinne von »anfahren«) und schickt ihn weg (das Verb ¥kb€llein ekballein ist mehrdeutig; es kann – wie in Mk 5,40 – wegschicken oder hinauswerfen bedeuten; hinauswerfen ist hier wegen der fehlenden Ortsangabe aber unwahrscheinlich; dass in Mt 8,31 u. ö. auch das Austreiben von Dämonen mit diesem Verb bezeichnet wird, spielt hier keine Rolle). – Die Aufforderung, sich dem Priester zu zeigen und das Opfer darzubringen, steht in einem gewissen Gegensatz zu dem Schweigegebot (das auffällig formuliert ist: sage niemandem nichts …). – Ob der Geheilte das Opfer bringt, bleibt offen. Für die soziale Reintegration des Geheilten wäre dies unter den Bedingungen der Mosetora jedoch unabdingbar. – Welche Bedeutung die Wendung »ihnen zum Zeugnis« hat, ist auf den ersten Blick nicht zu erkennen. – V. 45 schließt der Sache nach direkt an V. 44b an. Der Geheilte handelt in ausdrücklichem Widerspruch zu dem Gebot Jesu. Allerdings berichtet er nicht von seiner Heilung, sondern er »verkündigt« und »verbreitet das Wort«. Das Schweigegebot ist für die markinische Erzählkonzeption charakteristisch: Der unreine Geist in 1,24 erkennt in Jesus den Heiligen und Sohn Gottes (3,11) und soll davon schweigen (1,25; 3,12); der Aussätzige erfährt Heilung und wird zum Schweigen ermahnt (1,45); die Jünger erkennen Jesus als Christus (8,29), sollen aber nichts davon sagen; er wird ihnen als Gottessohn vorgestellt und wiederum sollen sie schweigen (9,79). Auf der anderen Seite halten verschiedene Bemerkungen fest, dass Jesu Ruf sich schnell verbreitet (1,28.45; 2,12 f.; 5,20). Mit diesen widersprüchlichen Hinweisen verfolgt Markus eine Erzählstrategie. Die Spannung kann so nicht stehenbleiben und tut es auch nicht: In 9,9 wird das Schweigegebot zeitlich begrenzt. Bis zur Auferstehung Jesu von den Toten sollen die Jünger schweigen, danach nicht mehr. Mit der Auferstehung tritt offenbar eine Än223
Die Wundererzählungen im Markusevangelium
derung ein, die das Schweigen überflüssig macht, weil sich erst von der Auferstehung her in vollem Umfang erschließt, wer Jesus ist und was er für die Glaubenden bedeutet. Die Einbindung in das Gesamtwerk zeigt sich auch darin, dass in Mk 1 bereits von Unreinheit die Rede war: Die Dämonen, die Jesus in 1,23.26 f. ausgetrieben hat und nach 3,11.30; 5,2.8.13; 6,7; 7,25; 9,25 noch austreiben wird, werden als unreine Geister (pneÐmata ⁄k€qarta pneumata akatharta) bezeichnet. Und es gibt noch weitere Parallelen zwischen 1,23-28 (34.39) und 1,40-45 (Kertelge 1970, 72): Dem Dämon wird das Schweigen befohlen (obwohl er schon gesagt hat, was er weiß 1,24 f.), Jesus treibt die Dämonen hinaus (wie er den Geheilten in 1,43 von sich wegtreibt) und der Ruf Jesu verbreitet sich trotz des Schweigegebots überall. Eine Heilung vom Aussatz wäre von der Mosetora her ohne Begutachtung durch einen Priester und ohne kultische Reinigung unvollständig. Die Aufforderung gehört deshalb folgerichtig zur Erzählung mit ihrem Akzent auf der Reinigung dazu. Das Schweigegebot ist insofern nicht tangiert, als der Priester lediglich die eingetretene Heilung zu konstatieren und für die Durchführung des Opfers zu sorgen hat. Auffällig ist aber die Wendung »ihnen zum Zeugnis«. »Sie« können nur die Priester sein (obwohl in V. 44 vom Priester im Singular die Rede ist), »ihnen zum Zeugnis« kann sich nur auf die Heilung und die Aufforderung Jesu beziehen, die Heilung begutachten zu lassen. Das Zeugnis beinhaltet dann sowohl die Anerkennung der Heilungsmacht Jesu als auch seine Treue gegenüber der Tora. Es geht also nicht um ein Belastungszeugnis gegen die Juden (Kertelge 1970, 68 f.; Pesch 1984a, 146), sondern um ein Zeugnis für Jesus. In der unmittelbar folgenden Erzählung von der Heilung eines Gelähmten wird die Treue Jesu zur Tora von seinen Gegnern aber in Frage gestellt (2,6 f.). Dass der Geheilte sich dem Gebot widersetzt und von dem Ereignis erzählt, gehört zur Konzeption des Schweigegebots. Er bringt aber nicht lediglich die Nachricht von einer wunderbaren Heilung unter das Volk, sondern wird zum Verkündiger Jesu. Dies zeigen die Verben, mit denen umschrieben wird, wie (und was) der Geheilte erzählt: verkündigen (khrÐssein ke¯ryssein, vgl. 1,14.39 und 3,14; 5,20; 13,10; 14,9) und das Wort ausbreiten (diafhmfflzein tn lgon diaphe¯mizein ton logon, vgl. 2,2; 8,32 und 4,1320.33) bezeichnen sowohl die Verkündigung Jesu als auch die sich daran anschließende christliche Verkündigung. Der Text setzt die gängige Haltung gegenüber Aussatz und Aussätzigen voraus. Gleichwohl ist eine Distanz zur Mosetora nicht zu übersehen: Weder der Kranke noch Jesus halten sich an das Kontaktverbot aus Lev 13 f., und die Feststellung der Reinheit erfolgt, bevor ein Priester den Geheilten begutachtet hat. Diese Ambivalenz provoziert zum einen die Frage nach der Bedeutung Jesu, zum anderen die nach der Geltung der Mosetora. Grundlegend ist, dass Jesus das vom Aussätzigen geäußerte Vertrauen ausdrücklich betätigt. Wie im Alten Testament Gott gebietet – und es geschieht (Gen 1; Ps 33,9 u. ö.), so wird es hier von Jesus ausgesagt: Er handelt in Vollmacht (vgl. 1,27). Indem er sich als Herr über die Krankheit erweist, steht er zugleich über dem Gegensatz rein vs. unrein. In textpragmatischer Hinsicht kommt in der Vertrauensäußerung des Aussätzigen ein Bekenntnis der frühen christlichen Gemeinden zum Ausdruck, das aber im Blick auf das Verhalten der Gemeinden selbst Fragen anstößt: Wie sollen sich die von Markus angesprochenen Christen gegenüber den Vorschriften der Tora verhalten, wenn sie sich am Handeln und der Verkündigung Jesu orientieren wollen? Wie sollen sie mit Kranken umgehen und wie das von der Tora geordnete Verhältnis von Aussatz und Unreinheit neu 224
Nicht nur rein, auch gesund Mk 1,40-45
definieren? Und wie können sie in der Nachfolge Jesu die Zugehörigkeit von Kranken zur religiösen und sozialen Gemeinschaft bewerten? Indem die Erzählung präsentisch einsetzt, um eine Episode aus dem Wirken Jesu zu erzählen, holt sie das vergangene Wirken Jesu in die Gegenwart der Leserinnen und Leser hinein und gibt ihnen einen Handlungsimpuls für ihr eigenes Verhalten den Kranken gegenüber.
Sozial- und realgeschichtlicher Kontext Der griechische Begriff lffpra (lepra) ist mit der modernen Bezeichnung Lepra nicht identisch. Die Lepra ist eine chronische Infektionskrankheit. Das verursachende Bakterium wurde erstmals durch den norwegischen Arzt Gerhard Armauer Hansen nachgewiesen, weshalb die Lepra auch Morbus Hansen genannt wird. Die verschiedenen LepraFormen unterscheiden sich durch die betroffenen Körperregionen und die Schwere des Verlaufs. Im Anfangsstadium ist eine Depigmentierung der Haut charakteristisch, diese Stellen werden dann durch die Zerstörung der versorgenden Nerven empfindungslos; hierdurch kommt es zu Verletzungen und Knotenbildung, die zu Entstellungen ganzer Körperregionen führen können. Alle Lepra-Arten werden durch Infektion übertragen, die Manifestationsrate ist aber eher gering. Die Inkubationszeit liegt meist zwischen 2-5 Jahren. Bei frühzeitiger Behandlung sind die Heilungschancen durch Antibiotika gut (Pschyrembel 2011, 911 f.). Bis in die Neuzeit herrscht große diagnostische Unsicherheit, wobei die falsch positiven Urteile überwiegen (Riha 2004, 7 f.10). Im Mittelmeerraum ist das Vorkommen der Lepra erst ab der hellenistischen Zeit gesichert (Nutton 1999; Bayer 1950). Möglicherweise ist sie im Zuge der hellenistischen Eroberungsfeldzüge in den Westen vorgedrungen, oder man sieht ihren Ursprung in Ägypten (z. B. Plin. nat. 26,7). Im griechischen Schrifttum wird sie wegen des äußeren Krankheitsbildes meist Elefantiasis genannt. Mit lffpra (lepra) ist bei den griechischen Schriftstellern dagegen ein weiter Bereich zwischen harmlosen Hautveränderungen und schwerwiegenderen Erkrankungen gemeint (zur Unterscheidung vgl. Isid. etymol. 4,8,11 f.). Aretaios (CD CMG 2,168 f.; 4,13) und Caelius Aurelianus (morb. chron. 4; zu den medizinischen Schriften der Antike Weissenrieder 2003, 4-56) beschreiben die Elephantiasis ausführlich. Als Ursache gelten Umwelteinflüsse, Blutstauungen oder ein Ungleichgewicht der Körperflüssigkeiten (Belege bei Weissenrieder 2003, 143 f.165). Caelius Aurelianus diskutiert verschiedene Therapieformen (4,1,3), referiert in 4,1,16 aber auch die Auffassung, dass man Erkrankte aus der Fremde töten und solche aus der eigenen Bürgerschaft verbannen und erst nach einer Besserung des Zustands zurückholen solle (ähnlich bereits Hdt. hist. 1,138); dies aber widerspreche dem menschenfreundlichen Charakter der Medizin. Erkenntnisse zur Übertragbarkeit gab es nur ansatzweise; wegen der langen Inkubationszeit war die Infektion schwer zu durchschauen (Nutton 1987). Auch die lffpra (lepra) genannten Hauterkrankungen werden in der Antike beschrieben: Galen. introd. 14, unterscheidet sechs verschiedene Arten; Philo (post. 47) bezeichnet mit dem griechischen Wort lepra einen »vielgestaltige und mannigfache« Symptomatik. Die Identifikation des biblischen Aussatzes mit der Lepra wurde erst von den Auslegern des Mittelalters vollzogen (so bei Johannes von Damaskus, vgl. Nutton 1999). 225
Die Wundererzählungen im Markusevangelium
Die Septuaginta verwendet das Wort lffpra (von lepr@ lepros – schuppig, schorfig) zur Übersetzung des hebräischen zara’at (von ptr sr‘ – schlagen). Damit wird eine ˙ Gruppe von Hauterkrankungen bezeichnet, zu denen morbus Hansen ursprünglich nicht gehört. Nach Lev 13 f. kann vptr sr‘t nicht nur Menschen, sondern auch Stoffe, Leder (13,47-59) und Häuser (14,37-54)˙befallen; der für die Lepra charakteristische Gefühlsverlust wird in Lev 13 nicht erwähnt und auch die mehrfache Beschreibung der erkrankten Haut als »weiß wie Schnee« passt nicht zur Lepra (Weissenrieder 2003, 134 f.). Aus diesen Gründen werden sr‘t / lepra heute überwiegend als Schuppenflechte (Psoriasis) ˙ und verwandte Erkrankungen der Haut (mit zunächst ähnlichen Symptomen wie bei der Lepra) verstanden. Wendungen wie »rohes Fleisch« in Lev 13,14 f. rechnen aber offenbar auch mit ernsthafteren Verläufen der Erkrankung. In neutestamentlicher Zeit kann man die Lepra deshalb nicht völlig ausschließen. Die lediglich auf äußerliche Phänomene beschränkte, unsichere Diagnostik erklärt jedenfalls, dass bereits harmlose Veränderungen der Haut unter den Verdacht einer leprösen Erkrankung geraten konnten. Im Alten Testament werden einige Fälle von zara’at beschrieben. Nach Num 12,10.12 befällt die Krankheit Mirjam wegen ihrer Kritik an Mose und sie wird »weiß wie Schnee« und »wie ein Totgeborenes«; Mose interveniert bei Gott und Mirjam wird nach siebentätiger Absonderung geheilt. In 2Chr 26,16-23 maßt König Usija sich an, im Tempel auf dem Räucheraltar zu opfern; er wird von Gott mit der Krankheit bestraft, muss abgesondert leben und später auch bestattet werden. 2Kön 5 erzählt die durch Elischa ermöglichte Heilung des Aramäers Naaman, während Elischas Diener Gehasi wegen seiner Habgier mit der Krankheit geschlagen wird. Wird bei dem Aramäer die Krankheit lediglich festgestellt, so hat sie in den anderen Fällen ihren Grund in einem Vergehen gegenüber Gott. Die Heilung Mirjams und Naamans erfolgt nicht durch medizinische Therapie, sondern geht auf Gott selbst oder eine prophetische Weisung zurück. In diesen Erzählungen kommen verschiedene Aspekte zum Vorschein: Die Krankheit befällt Menschen aufgrund einer Störung im Gottesverhältnis (vgl. Preuss 1992, 388 f.), sie macht (wie bei Mirjam und Usija) eine Absonderung erforderlich, Heilung ist möglich, kann aber nur von Gott kommen. Lev 13 f. überführt diese Aspekte in rechtliche Vorschriften. Die Krankheit bedarf genauer Beobachtung und der Einhaltung bestimmter Quarantänezeiten. Bei bestätigter Erkrankung ist die Aussonderung vorgeschrieben: »Wer aussätzig ist, soll zerrissene Kleider tragen und das Haar lose und den Bart verhüllt und soll rufen: Unrein, unrein! Und solange die Stelle an ihm ist, soll er unrein sein, allein wohnen, und seine Wohnung soll außerhalb des Lagers sein« (Lev 13,45 f.). Die Teilnahme am Kult und das Betreten des Tempels sind untersagt (Lev 13,4; vgl. 15,31). Sowohl die Feststellung der Erkrankung als auch eine mögliche Heilung müssen durch einen Priester bestätigt werden und erfordern ein Reinigungsritual. Die Vorschrift in 13,45 f. (vgl. die spätere Anwendung im Mischnatraktat Negaim) wird unterschiedlich streng ausgelegt. Rigoros war die Haltung der Qumran-Gemeinschaft: »Kein Mann, der mit irgendeiner Unreinheit des Menschen geschlagen ist, darf in die Versammlung Gottes eintreten« (1QSa 2,3 f.); am Endkampf gegen die Söhne der Finsternis darf »kein Hinkender oder Blinder oder Lahmer oder jemand, der ein dauerndes Gebrechen an seinem Fleische hat, oder einer, der geschlagen ist mit einer Unreinheit seines Fleisches«, teilnehmen (1QM 7,4 f.). Auch Josephus berichtet von einer rigorosen Interpretation der Mosetora (Bell. 5,6; Apion. 1,31; Ant. 3,11,3). Rabbinische Quellen zeigen dagegen besonders für ländliche Gegenden eine mil226
Nicht nur rein, auch gesund Mk 1,40-45
dere Praxis (Billerbeck 1926b, 751). Gleichwohl führte die Krankheit zu religiöser und sozialer Ausgrenzung: Die Erkrankten galten als tot (Num 12,12; Flav. Jos. Ant. 3,11,3), und eine Heilung kam einer Totenauferweckung gleich (Billerbeck, ebd.). Die Krankheit hat also eine medizinische und eine kultisch-religiöse Seite. Wegen der mit den Krankheitssymptomen verbundenen Ausgrenzung ist die Bezeichnung »Aussatz« deshalb der Sache nach angemessen. Weil eine Heilung nur von Gott kommen kann, wird die Beseitigung der Krankheit für die messianische Heilszeit erwartet. Im Neuen Testament belegen Mt 11,5 / Lk 7,22 / Mt 10,7 f. den endzeitlichen Charakter der Heilung
Traditions- und religionsgeschichtlicher Hintergrund Der Ausschluss von Aussätzigen aus der religiösen Gemeinschaft hängt mit der grundlegenden Bedeutung des Gegensatzes von rein vs. unrein für das alttestamentlich-jüdische Weltverständnis zusammen, das sich von vergleichbaren Phänomenen in der Umwelt des Alten und Neuen Testaments unterscheidet. In der Umwelt spielt kultische Reinheit eine unterschiedlich große Rolle (Ameling/ Heinze et al. 1999). In Ägypten wird der kultischen Reinheit, besonders der Priester, große Aufmerksamkeit gewidmet. Porphyrius referiert in abst. 4,6-8 den Bericht des ägyptischen Stoikers Chairemon aus dem 1. Jh. und die dort enthaltenen Reinheitsvorschriften (zurückgezogenes Leben, Reinigungsrituale, Speisevorschriften). Auch in Griechenland finden vor dem Betreten von Tempeln, vor Opfer und Gebet Reinigungsriten statt (Hom. Il. 6,266-269: »zum schwarzumwölkten Kronion ziemt es sich nicht, mit Blut und Schmutz besudelt zu beten«; weitere Belege bei Frenschkowski 2000, 899). Befleckung oder Unreinheit (mfflasma miasma) gelten als Störung der religiösen und gesellschaftlichen Ordnung, wobei u. a. Tod, Geburt, Menstruation, Geschlechtsverkehr und bestimmte Krankheiten als verunreinigend angesehen werden (Ameling/Heinze et al. 1999, 352). In der philosophischen Diskussion wird die ethische Interpretation von Reinheitsritualen zunehmend über die kultische gestellt. Dies ist schon bei Plato zu erkennen (Phaid. 67b.c) und tritt z. B. bei Cicero (n.d. 2,71) deutlich hervor: »Die beste und zugleich reinste, heiligste und frommste Götterverehrung besteht aber darin, dass wir sie stets mit lauterem und unverdorbenem Herzen und ebensolchen Worten anbeten«. Im Unterschied zu Reinheitsvorstellungen der Umwelt rückt Israel den Gegensatz rein vs. unrein ins Zentrum der Weltdeutung (Frenschkowski 2000, 900; Ego 2007). Der Tempel als Wohnort der Heiligkeit Gottes ist Ausgangspunkt der Reinheitsvorstellung. Alle Menschen, Tiere und Dinge, die in Kontakt mit dem Tempel kommen, müssen dieser Reinheit entsprechen (Lev 12,4.14; 15,31; Dtn 14,1 f.). An die Priester richten sich die Reinheitsforderungen in besonderem Maß (Lev 21 f.); sie sind es auch, die zwischen rein und unrein unterscheiden können (Lev 10,10; 20,25). Die Reinheitsterminologie kann man insofern als eine »Terminologie der Kultfähigkeit bezeichnen« (Paschen 1970, 42 f.). Vom Tempel her definieren sich abgestufte Bereiche von Reinheit, und zwar im Tempel selbst (vom Allerheiligsten bis zum Vorhof der Heiden) und dann im Blick auf Jerusalem, das jüdische Land und die heidnischen Gebiete mit ihren Göttern (Gen 35,2; Jer 2,23; 19,13, Ez 23,30; 36,25; Am 7,17). In exilischer und nachexilischer Zeit bekommt die Einhaltung von Reinheitsvorschriften eine doppelte Funktion: Innerjüdisch dient sie 227
Die Wundererzählungen im Markusevangelium
der Stärkung und Wahrung von Identität und im Umgang mit Außenstehenden zur Abgrenzung (Dan 1,8; Kreuzer 2000, 901). In der Prophetie und unter weisheitlichem Einfluss bekommt die kultische Reinheit einen ethischen Akzent (Jes 1,16; 6,5; Ps 18,21.25; 24,3-5), für den das »reine Herz« Ps 51,12 als Metapher dient. Unreinheit steht demgegenüber für Sünde und Vergehen (Klgl 1,8 f.; 4,15; Ez 14,11; 18,6.11.15; u. ö.). Auch im Diasporajudentum werden die Reinheitsvorschriften stärker ethisch akzentuiert. Ihre bleibende Geltung wird betont, die räumliche Distanz zum Tempel macht aber Interpretationen nötig, z. B. die allegorische Interpretation der Speisegebote (vgl. Philo spec. 4,100-109). Die äußere Reinheit wird zum Symbol der Reinheit des Herzens (Philo Mos. 2,138; spec. 1,257 f.), in TestXII ist Unreinheit Synonym für ethische Verfehlungen (TestLev 16,1-5; TestIss 4,4; TestBen 8,3 f.). Vor diesem Hintergrund kann die Isolation von Aussätzigen moralisch begründet werden. Unreinheit und Sünde sind auch in Qumran weitgehend synonym (1QH 11,11; 16,10 f.; 1QM 13,2.5). Hier werden die ursprünglich für die Priester vorgesehenen Reinheitsvorschriften auf die gesamte Gemeinschaft übertragen. Nur in der Gemeinschaft kann es Reinheit geben (1QS 3,4-6; 5,14-20). Die Frage nach rein und unrein wird hier zum zentralen theologischen Anliegen (1QSa 2,3-9; CD 6,17; 1QM 7,3-6). Die Entstehung von Krankheiten wird vielfach auf die Einwirkung von Dämonen zurückgeführt (Böcher 1970, 152). Gott selbst kann sich der Strafdämonen bedienen (Ps 38,3; Hi 6,4; 1Sam 16,14-23; 2Sam 24,15 f.; Jes 37,36). Unrein heißen die Geister, weil sie unrein machen (Mk 9,25; vgl. Sach 13,2). Vor allem Blindheit, Stummheit, Epilepsie und Aussatz werden mit dämonischen Einflüssen in Verbindung gebracht, aber auch das Fieber (vgl. im Neuen Testament Mt 12,22-24; 9,32 f. par.; Mk 9,17.25; Mt 10,8; Mk 1,29-31; Lk 4,29). In den Exorzismen Jesu erkannten seine Nachfolger messianische Zeichen (Mt 11,5; Lk 7,22). Und zum Auftrag Jesu an seine Jünger gehört dementsprechend die Vollmacht, Dämonen auszutreiben (Mt 10,8). An diesen Zeichen und diesem Auftrag orientierten sie sich, wenn sie die grundlegende Trennung von rein und unrein in Frage stellten.
Verstehensangebote und Deutungshorizonte Einige Unklarheiten in der handschriftlichen Überlieferung von Mk 1,40-45 haben zu der Überlegung geführt, dass die Erzählung in der vormarkinischen Tradition anders gelautet habe. Man rechnete in einer solchen redaktionsgeschichtlichen Auslegung mit zwei ursprünglich selbstständigen Fassungen der Wundergeschichte, von denen eine mit dem Schweigegebot, die andere mit dem Auftrag, zum Priester zu gehen, geendet habe (Lohmeyer 1967, 45), oder mit einer allmählichen Erweiterung der Erzählung (Bultmann 1995, 227); andere scheiden V. 45 aus der ursprünglichen Fassung aus (Pesch 1984a, 140 f.; Gnilka 2008a, 91), sehen V. 43 als sekundäre Dublette von V. 41 an (Kertelge 1970, 68) oder rechnen mit einer parallel zur Erzählung umlaufenden Erklärung (Theißen 1998, 148). Da das Schweigegebot und seine Übertretung in der mk Erzählkonzeption eine wichtige Rolle spielen und beides hier hervorgehoben ist, muss man in V. 43-45 mit einer redaktionellen Überarbeitung rechnen. Vermutlich endete die Erzählung mit der Aufforderung, sich dem Priester zu zeigen und das vorgeschrieben Opfer zu bringen. Auch die Wendung »ihnen zum Zeugnis« (mehrfach in LXX, vgl. Gen 31,44; Dtn 31,26; Jos 24,27) gehört vermutlich zum ursprünglichen Text. 228
Nicht nur rein, auch gesund Mk 1,40-45
Die übliche Verortung dieser und anderer Heilungserzählungen und Exorzismen in der frühchristlichen Missionspredigt (Gnilka 2008a, 91; Eckey 2008, 107) ist zutreffend, aber noch nicht hinreichend. Das frühe Christentum war attraktiv, weil es in Erinnerung an Jesus herkömmliche Grenzen in Frage gestellt und (zumindest teilweise) überwunden hat. Deshalb wurden die Geschichten nicht nur weitererzählt, um die Größe und Bedeutung Jesu herauszustellen. Sie dienten ebenso als Handlungsanweisungen für den Umgang mit Menschen, die am Rand oder außerhalb der religiösen und sozialen Gemeinschaft standen, sie wirkten »meinungsbildend und handlungsleitend« (von Bendemann 2007, 124). Symbolisch-existenziale Deutungen verstehen den Aussatz in einem übertragenen Sinn. Schürmann (Schürmann 2001, 274) sieht in dem Aussätzigen »ein Bild aller Unreinheit … So kann sich jede Art Unreinheit angesprochen fühlen und in gleicher Weise Jesus nahen«. Damit verwandt ist die psychologische Deutung: Drewermann (Drewermann 2000, 210) spricht von dem Aussätzigen, der sich selbst als ansteckende Gefahr betrachten muss, und wechselt unversehens in den Plural: »Einen jeden von uns hat man in gewisser Weise gelehrt, sich so zu sehen«. Das Wunder liegt für ihn dementsprechend v. a. darin, dass der Aussätzige den Mut findet, »die Gesetze zu vergessen« und auf Mitleid, Barmherzigkeit und Verstehen zu hoffen (a. a. O., 211). Die Stärke dieser Deutungen liegt darin, die Frage von rein und unrein unabhängig von der konkreten Krankheit ansprechen und den Text über die geschilderte Situation hinaus aktualisieren zu können. Ihre Grenze kommt in den Blick, wenn der Text benutzt wird, um Menschen oder Menschengruppen als unrein abzuqualifizieren (wie es in der Auslegungsgeschichte oft der Fall war; s. dazu unten). Die rezeptionsästhetische Auslegung van Iersels (van Iersel 1993, 108-116) fragt v. a. nach der Art und Weise, wie der Evangelist die Leserinnen und Leser lenkt und ihnen damit das Verstehen erschließt. Da sie von Anfang an wissen, dass Jesus von Gott als Sohn eingesetzt wurde (Mk 1,1.9-11), ergibt sich eine Spannung zum Geheimhaltungsgebot, das zudem auffällig übertreten wird; die dadurch entstehende Dissonanz zielt auf genaueres Verstehen, zu dem im weiteren Verlauf des Evangeliums angeleitet wird. Van Iersel deutet auch eine biblisch-theologische Deutung an: Was bei der Heilung Naamans durch Elischa in 2Kön 5,1-14 verwehrt blieb (nämlich die Berührung durch den Propheten V. 11), das tut Jesus hier und zeigt damit, dass er »auf den Spuren von Elija und Elischa wandelt …, aber dennoch … der Stärkere ist«. In sozialgeschichtlicher Perspektive beschäftigt man sich v. a. mit der Krankheit, ihrer Diagnose und Therapie und mit den Konsequenzen, die sie mit sich brachte. Hierher gehören der medizinhistorische Vergleich biblischer Texte mit der antiken Fachliteratur und v. a. neuere Versuche einer kulturanthropologischen Deutung. Krankheit und Heilung einerseits, Reinheit und Unreinheit anderseits sind nicht zeitlos identisch, sondern wandelbar. Die Haut als »sensible(r) Grenzbereich zwischen ›Innen‹ und ›Außen‹« (von Bendemann 2007, 110) erweist sich dabei als besonders beobachtetes Organ (während z. B. Magen- oder Kopfschmerzen in den neutestamentlichen Heilungsgeschichten keine Rolle spielen). V. a. werden Krankheit und Gesundheit im Rahmen bestimmter Verstehenskonzepte gedeutet. Sie betreffen zunächst die Entstehung von Krankheiten. Im jüdischen Kontext wird sie der (gelingenden oder misslingenden) Beziehung zwischen Mensch und Gott zugeordnet. Zeitgenössische Begründungen medizinischer Art aus der grie229
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chisch-römischen Umwelt (z. B. die Humorallehre) spielen keine nennenswerte Rolle. Lediglich volksmedizinische Kenntnisse sind nachweisbar (Wohlers 1999b, 72-78). Daraus ergibt sich ein anderer Umgang mit Krankheit: Während nach Aristoteles das Ziel der Heilkunst die Gesundheit ist (e.N. 1,1 1094a), die in der griechisch-römischen Medizin durch Diagnostik und Therapie in der Regel erreichbar erscheint (»therapeutischer Optimismus«, Wohlers 1999b, 76), werden im Judentum zur Zeit Jesu Krankheit und Unreinheit in einem religiösen Krankheitskonzept verbunden (Wohlers 1999b, 7275.76-86). Im Falle des Aussatzes geht es dabei v. a. um die Reinheit, die allerdings die Gesundung der Haut voraussetzt. Beides lässt sich nicht voneinander trennen (Weissenrieder 2003, 136). Die Ausleuchtung solcher Konzepte und Hintergründe macht zum einen die Fremdheit der in Mk 1,40-45 vorausgesetzten Weltsicht deutlich und zeigt zum anderen, dass dieser Text keinen Zustand, sondern einen Wandlungsprozess im Verständnis von Krankheit und besonders von Aussatz im frühen Christentum anzeigt. Vor diesem Hintergrund aber eröffnen sich neue Aktualisierungsmöglichkeiten für die eigene Gegenwart, wie z. B. eine Interpretation im Rahmen eines salutogenetischen Modells, das nicht an der Schilderung von Krankheitsbildern ansetzt, sondern nach der Ermöglichung und Erhaltung von Gesundheit fragt (von Bendemann 2007, 127 f.).
Aspekte der Parallelüberlieferung und Wirkungsgeschichte Die synoptischen Parallelen finden sich in Mt 8,1-4 und Lk 5,12-16. Matthäus 8,1-4 1 Als er aber von dem Berg herabstieg, folgten ihm viele Menschen. 2 Und siehe, ein Aussätziger kam heran, kniete vor ihm und sagte: »Herr, wenn du willst, kannst du mich reinigen.« 3 Und er streckte die Hand aus, berührte ihn und sagte: »Ich will, werde gereinigt.« Und sofort wurde der Aussatz gereinigt. 4 Und Jesus sagt zu ihm: »Sieh zu, dass du niemand (davon) sagst; geh vielmehr, zeige dich dem Priester und bring die Gabe dar, die Mose geboten hat, ihnen zum Zeugnis.«
Lukas 5,12-16 12 Und es geschah, als er in einer der Städte war, siehe (da war) ein Mann voller Aussatz; als er Jesus sah, fiel er auf das Gesicht, bat ihn und sagte: »Herr, wenn du willst, kannst du mich reinigen.« 13 Und er streckte die Hand aus, berührte ihn und sagte: »Ich will, werde gereinigt.« Und sofort verschwand der Aussatz von ihm. 14 Und er gebot ihm, niemand (davon) zu sagen, sondern »geh, zeige dich dem Priester und bring dein Reinigungsopfer dar, wie Mose geboten hat, ihnen zum Zeugnis.« 15 Das Wort aber verbreitete sich von ihm, und viele Menschen kamen zusammen um zu hören und geheilt zu werden von ihren Krankheiten. 16 Er aber ging weg an einsame Stätten und betete.
Beide Seitenreferenten greifen die Markusvorlage auf. Die Erzählungen stimmen im Kernbestand überein, werden aber in die jeweilige Erzählabfolge eingefügt und dabei leicht und z. T. übereinstimmend verändert. Matthäus platziert die Erzählung ans Ende der Bergpredigt und den Anfang mehrerer Wundergeschichten und schafft so einen engen inhaltlichen Zusammenhang von Lehre und Heiltätigkeit Jesu (vgl. 4,23-25; 9,35). Indem er die Markusvorlage kürzt, das Ge230
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spräch zwischen Bittsteller und Jesus und das dreifache »reinigen« aber beibehält, verstärkt er den Gesprächscharakter der Episode (Held 1975, 204). Ein Aussätziger tritt an Jesus heran, kniet vor ihm hin und spricht ihn (wie bei Lukas) mit kÐrio@ kyrios – »Herr« an. Matthäus verwendet die Kyrios-Anrede bei den Jüngern (8,25; 14,28.30; 16,22; 17,4; 18,21) und Kranken, die Jesus um Hilfe bitten (8,2.6.8; 9,28; 15,22.25.27; 17,15; 20,30 f.33), nicht dagegen bei Außenstehenden. Dies unterstreicht die Vertrauensäußerung »wenn du willst«. Die Reaktion Jesu entspricht im Wesentlichen der bei Markus, allerdings fällt das Erbarmensmotiv (und damit die emotionale Seite des Geschehens) weg. Wie der Ausätzige übertritt auch Jesus mit der Berührung des Aussätzigen das Kontaktverbot. Gleichwohl setzt V. 3 gegenüber Mk 1,42 einen anderen Akzent: Dort wird die Reinigung des Aussätzigen festgestellt, hier die Reinigung des Aussatzes, und die Erzählung endet mit der Aufforderung an den nun vom Aussatz Befreiten, sich dem Priester zu zeigen und das Opfer zu bringen. Die abschließende Wendung »ihnen zum Zeugnis« lässt sich in diesem Zusammenhang verstehen: Der Auftrag an den Geheilten bestätigt, dass Jesus gekommen ist, das Gesetz zu erfüllen (5,17).
Abb. 4: Das Bild aus dem Limburger Evangeliar, um 1000, stellt die Szene vor dem Hintergrund ummauerter Städte dar; dies stimmt mit der Lk-Fassung überein. Die Begleiter des Aussätzigen erinnern an Mt 8,1.
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Lukas knüpft nach einem Einschub in 5,1-11 wieder an den markinischen Erzählfaden an, dem er in 3,31-44 gefolgt ist. Er gibt Mk 1,40-45 mit einigen leichten Veränderungen wieder, die teilweise mit Matthäus übereinstimmen (Busse 1977, 106 f.; Neirynck 1974, 64-68; Ennulat 1994, 50-52). Auch hier wird die Begegnung mit dem »Mann voller Lepra« (damit ist von Anfang an zwischen dem Mann und der Krankheit differenziert) als ein Ereignis aus einer größeren Zahl ähnlicher Ereignisse in einer der jüdischen Städte vorgestellt (vgl. 4,43 f.; 5,17 f.). Er bittet Jesus um Heilung, wobei der Bittgestus (»auf sein Angesicht fallen« 5,12; vgl. Gen 17,3.17LXX; Lev 9,24LXX; Num 16,4LXX u. ö.) gesteigert ist. Die Bitte ist als Vertrauensäußerung formuliert und durch die Anrede »Herr« unterstrichen. Geste und Wort Jesu stimmen mit der markinischen Fassung überein (V. 13), allerdings entfallen die Motivation durch das Erbarmen, und die Verben drohen und wegschicken sind durch gebieten (paraggfflein parangelein) ersetzt. Die Krankheit weicht auch hier sofort, die Aufforderung, sich dem Priester zu zeigen, stimmt nahezu wörtlich mit Mk überein. Anders als dort verbreitet sich die Nachricht von dem Geschehenen ohne Zutun des Geheilten. Die Folge ist aber vergleichbar: Eine große Menge kommt (das Imperfekt rückt die Einzelepisode in einen größeren Kontext), um Jesus zu hören und Krankheiten heilen zu lassen (V. 15). Jesus aber zieht sich in die Einsamkeit zurück (zur komplementären Gegenbewegung Wolter 2008, 218) und betet (V. 16). Der Geheilte spielt nach der eingetretenen Heilung keine Rolle mehr. Die Heilung der zehn Aussätzigen in Lk 17,12-14 folgt einem vergleichbaren Schema, allerdings mit dem Unterschied, dass die Aufforderung, sich dem Priester zu zeigen, dort der Heilung vorausgeht, die dann auf dem Weg zum Tempel eintritt. Diese Umstellung ermöglicht es, die Rückkehr des einen Geheilten als besonderen Ausdruck seines Glaubens darzustellen. Das Codex-Papyrusfragment P.Egerton aus Ägypten wurde 1935 von Bell und Skeat veröffentlicht. Es enthält Evangelienüberlieferung und wird auf ca. 200 n. Chr. datiert. Erhalten sind ein Streitgespräch Jesu mit Gesetzeslehrern und Obersten des jüdischen Volkes, das in den Versuch übergeht, Jesus zu steinigen (mit Ähnlichkeiten zu johanneischen Texten), die Heilung eines Aussätzigen und die Frage nach der Steuer (mit Übereinstimmungen zur synoptischen Tradition) sowie ein bruchstückhaftes, sonst unbekanntes Wunder Jesu am Jordan. Der Textbestand der Heilung des Aussätzigen muss teilweise rekonstruiert werden (Text bei Aland 1990, 60; Übersetzung in Schneemelcher 1990, 84 f.). Der 1987 von Gronewald veröffentlichte Papyrus Köln 255 (Gronewald 1987) fügt am Schluss »und sündige nicht mehr« hinzu. P. Köln 255 … Und siehe, ein Aussätziger kommt zu ihm und sagt: »Lehrer Jesus, ich bin mit Aussätzigen gereist und habe mit ihnen in der Herberge gegessen, jetzt habe auch ich Aussatz bekommen. Wenn du es willst, werde ich rein.« Der Herr aber sagt zu ihm: »Ich will es, sei rein.« Und sofort verschwand die Leprakrankheit von ihm. Der Herr aber sagt zu ihm: »Geh, zeige dich den Priestern … und entrichte entsprechend des Reinheitsgebotes, wie es Moses befohlen hat (und sündige nicht mehr …).« Die teilweisen Übereinstimmungen mit der johanneischen bzw. synoptischen Tradition haben zu verschiedenen Theorien geführt: Man vertrat eine Abhängigkeit von Joh und erklärte die synoptischen Anklänge durch mündliche Tradierung (Dodd 1954); Jeremias 232
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(in Schneemelcher 1990, 82-85) dachte an eine freie Bezugnahme des Verfassers auf die vier kanonischen Evangelien; Crossan (Crossan 1985, 65-87) hält zumindest die Steuerfrage für älter als Mk 12,13-17 (so bereits Bell/Skeat 1935, 38); dies verweise auf mündliche und schriftliche Tradition neben der kanonisierten Überlieferung; Erlemann (Erlemann 1996) entdeckt hier das »missing link« zwischen synoptischer und johanneischer Tradition. Die Ergänzung »sündige nicht mehr« passt allerdings nicht in den Zusammenhang und widerspricht der Begründung am Anfang des Abschnitts. Die Rekonstruktion von Schmidt (Schmidt 1936) »Du suchst die Leprakranken auf und isst mit Zöllnern in der Herberge. Hab Erbarmen, mir geht es wie ihnen« geht davon aus, dass ein Reisen mit Leprakranken nicht möglich gewesen sei; den ersten Satz des Kranken auf Jesus zu beziehen ist aber vom Textbestand her nicht überzeugend. Der Text ist von den synoptischen Evangelien abhängig, und zwar am ehesten von Lukas (Neirynck 1974). Dafür spricht v. a. die Formulierung der Begründung: Der Bittsteller ist mit Aussätzigen gewandert (sunodeÐein synodeuein – mitgehen kommt im Neuen Testament nur noch in Lk 17,14; Apg 9,7 vor) und hat sich beim gemeinsamen Essen (sunesqfflein synesthiein – mitessen; nur noch in Lk 15,2; Apg 10,41; 11,3) in der Herberge (pandoce…on pandocheion, nur noch in Lk 10,34) angesteckt. Auch das Fallen auf das Angesicht lässt sich vergleichen (Lk 5,12), und die Aufforderung sich den Priestern zu zeigen, erinnert an die gleichlautende Aufforderung in Lk 17,14. Eine inhaltliche Verbindung besteht zwischen dem dankbaren Geheilten aus Samaria (17,16) und dem barmherzigen Samariter (10,30-37). Die Begründung in P.Egerton unterscheidet sich allerdings von den Synoptikern. Ursache für die Krankheit ist hier nicht Vergehen und Sünde, sondern ungewollte Ansteckung. Im Hintergrund wird ein anderes Krankheitskonzept erkennbar. Schon früh wird die Erzählung, v. a. der Aussatz, allegorisch (und in der Folge moralisch) gedeutet. Nach Origenes (lev. hom. 8,6-10) verweist der Aussatz der Haut auf den Aussatz der Seele (vgl. Thdt. quaest. 15,9). Methodius nimmt die Bestimmungen in Lev 13,14 als Grundlage einer christlichen Bußpraxis (vgl. Harnack 1892, 42); in de lepra 11,4, bezeichnet er Häretiker als aussätzig. Quodvultdeus kann sogar verschiedene Arten der Krankheit auf bestimmte häretische Gruppen aufteilen (Manichäer, Nestorianer, Donatisten etc.; Quodvult. prom. 2,6 = MPL 51,775). Beda Venerabilis (627-735), Matt. 8,3 (MPL 92,39) deutet dagegen Wort und Geste Jesu in Mt 8,2 f. auf die Häretiker (volo autem propter Photinum dicit, imperat propter Arrium, tangit propter Manichaeum / Ich bin hingegen der Meinung, dass er [sc. Jesus] wegen Photinus spricht, wegen Arius befiehlt, wegen der Manichäer berührt). Moralische Verfehlungen waren die Folge. Noch Hildegard von Bingen war der Auffassung, dass Aussatz von schwarzer Galle und diese wiederum durch Schlemmerei, Trunksucht oder sexuelle Ausschweifungen verursacht sei (Schipperges 1957, 95.243). Augustin (Simpl. App 4 = 120) versteht die Matthäusfassung der Erzählung im Zusammenhang mit der vorangehenden Bergpredigt: »aussätzig« ist, wer ihre Forderungen nicht einhält. Hieronymus (comm. in Matt. zu Mt 8,4 = MPL 25,50 f.) legt besonderen Wert auf den Glauben des Aussätzigen, der in seiner Bitte zum Ausdruck komme. Thomas von Aquin (cat. Matt. 8,1) sieht im Aussätzigen ein Bild für alle sündigen Menschen, Luther ein Beispiel für den Glauben, der ohne Verdienste allein auf Christus vertraut; im Gegenzug verbindet er die Mosetora fest mit der wörtlich und übertragen ver-
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standenen Krankheit: »Moses regiert im Siechaus, ich will bey Christo sein« (Predigt vom 23. 1. 1530). Eine andere Interpretationslinie zieht ethische Konsequenzen für den Umgang mit Kranken: Gerade weil den Aussätzigen die Gemeinschaft verweigert wird, soll man sich ihnen zuwenden. Gregor von Nazianz (or. 14,6,10) schreibt: »Ganz besonders müssen wir unser Herz denen öffnen, welche von der heiligen Krankheit zugrunde gerichtet worden sind, selbst an Fleisch, Knochen und Mark … zerfressen werden und von ihrem armseligen, schwachen, treulosen Körper verraten sind«. Gregor von Nyssa berichtet von Basilius (Greg. Nyss. laud. Bas. 63, MPG 36, 580), der Aussätzige wie Brüder umarmt und ein Hospital für sie eingerichtet habe. Nach Gregor von Turin (vit. 1,4, MPL 71,1014) hat der heilige Romanus Aussätzigen die Füße gewaschen und sie dadurch vom Aussatz geheilt. Der Arme, mit dem der heilige Martin den Mantel teilte, soll ein Aussätziger gewesen sein (Sulp. Sev. vit. 18, MPL 20,170). Nach seinem Testamentum 13 führt Christus Franz von Assisi unter die Aussätzigen, in der Franziskus-Legende wird Christus selbst als Leprakranker dargestellt. Die in vielen Städten gegründeten Leprosorien (z. B. das 1326 gegründete Leprosorium in Münster, www.lepramuseum.de) bieten den Erkrankten eine Existenzmöglichkeit. Diese Deutung nimmt besonders den handlungsleitenden Aspekt der Erzählung wahr und versucht, ihn auf jeweils gegenwärtige Verhältnisse zu übertragen.
Peter Müller Literatur zum Weiterlesen R. v. Bendemann, Christus der Arzt – Krankheitskonzepte in den Therapieerzählungen des Markusevangeliums, in: J. Pichler/C. Heil (Hg.), Heilungen und Wunder. Theologische, historische und medizinische Zugänge, Darmstadt 2007, 105-129. J. K. Elliott, The Conclusion of the Pericope of the Healing of the Leper in Mark 1:45, in: ders., New Testament Textual Criticism: The Application of Thoroughgoing Principles, Leiden 2010, 341-352. M. Frenschkowski, Art. katharós, Theologisches Begriffslexikon 1 (2000), 898-901.902-907. K. Kertelge, Die Wunder im Markusevangelium. Eine redaktionsgeschichtliche Untersuchung, StANT 23, München 1970, 62-75. V. Nutton, Art. Lepra, DNP 7 (1999), 72-73. R. Pesch, Die Erzählung von der Heilung eines Aussätzigen, in: ders., Jesu ureigene Taten? Ein Beitrag zur Wunderfrage, QD 52, Freiburg i. Br. et al. 1970, 52-113. T. Schramm, Der Markus-Stoff bei Lukas. Eine literarkritische und redaktionsgeschichtliche Untersuchung, SNTS.MS 14, Cambridge 1971, 91-99. K. Stock, La purificazione del lebbroso (Mc 1,40-45). Un dilemma fondamentale dell’opera di Gesù, in: E. Franco (Hg.), Mysterium regni, ministerium verbi (Mc 4,11; At 6,4). Scritti in onore di mons. Vittorio Fusco, Bologna 2001, 393-405. A. Weissenrieder, Images of Illness in the Gospel of Luke, WUNT 2/164, Tübingen 2001, 5456.308-328. M. Wohlers, Heilige Krankheit. Epilepsie in antiker Medizin, Astrologie und Religion, MThSt 57, Marburg 1999, 3-86.243-248.
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Die Heilung eines Gelähmten und vieler Erstarrter (Die Heilung eines Gelähmten) Mk 2,1-12 (Mt 9,1-8; EvNik 6) (1) Und als er nach Tagen wiederum nach Kafarnaum hineinging, hörte man, dass er im Haus ist. (2) Und es versammelten sich viele, so dass kein Platz mehr war, auch nicht bei der Tür, und er redete zu ihnen das Wort. (3) Und sie kommen und bringen zu ihm einen Gelähmten, getragen von vieren. (4) Und weil sie ihn nicht zu ihm bringen konnten wegen der Menschenmenge, deckten sie das Dach ab, wo er war, und gruben es auf und lassen die Trage herab, auf der der Gelähmte lag. (5) Und als Jesus ihren Glauben sah, sagt er zu dem Gelähmten: »Kind, vergeben sind deine Sünden.« (6) Es saßen aber etliche der Schriftgelehrten dort und überlegten in ihren Herzen: (7) »Was redet dieser so? Er lästert; wer kann Sünden vergeben außer einem – Gott?« (8) Und sogleich als Jesus in seinem Geist erkannte, dass sie so bei sich selbst überlegen, sagt er zu ihnen: »Was überlegt ihr dieses in euren Herzen? (9) Was ist leichter – zu dem Gelähmten zu sagen: ›Vergeben sind deine Sünden‹ oder zu sagen: ›Steh auf und nimm deine Trage und geh umher?‹ (10) Damit ihr aber wisst, dass der Sohn des Menschen Vollmacht hat Sünden zu vergeben auf der Erde, sagt er zu dem Gelähmten: (11) ›Ich sage dir, steh auf, nimm deine Trage und geh in dein Haus.‹« (12) Und er stand auf und nahm sogleich die Trage und ging hinaus vor allen, so dass alle außer sich gerieten und Gott priesen und sagten: »So etwas haben wir noch nie gesehen!«
Sprachlich-narratologische Analyse In Mk 2,1-12 liegt eine mythisch geprägte Erzählung vor. In ihr bilden der körperliche und der spirituelle Zustand der Personen, zu denen Jesus in Beziehung tritt, eine Einheit. Die Person des Gelähmten befindet sich ebenso wie die Pharisäer und Schriftgelehrten in einem Erstarrungszustand, der eine körperliche und eine geistig-geistliche Ausdrucksseite besitzt. Die Einbindung der Erzählung in den Gesamtzusammenhang des Markusevangeliums wird bereits aus dem Einleitungsvers 1 ersichtlich. Das Subjekt des Satzes wird in der 3. Person Singular des Personalpronomens – »er« – als bekannt vorausgesetzt. Jesus wird mit Selbstverständlichkeit als Protagonist der anschließenden Handlung eingeführt. Auch die Ortsangabe »Kafarnaum« beinhaltet einen Rekurs auf zuvor Erzähltes. Sie verweist auf die Begebenheiten aus Mk 1,21-38: die Vernichtung eines unreinen Geistes durch Jesus in der Synagoge von Kafarnaum (1,21-28), die Heilung der Schwiegermutter des Petrus (1,29-31), die summarisch mitgeteilte Heilung vieler Kranker und das Zum-Schweigen-Bringen einer großen Zahl von Dämonen (1,32-34) sowie Jesu Rückzug in die Einsamkeit und seinen Entschluss zum Aufbruch in benachbarte Ortschaften, um dort zu verkündigen. Der Bezug auf diese Aufsehen erregenden Begebenheiten macht die 235
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Verbreitung der Kunde von seinem Aufenthalt in einem Haus in Kafarnaum – insinuiert wird möglicherweise, dass es sich wie in 1,29 um das Haus der Familie des Petrus handelt – und das Zusammenströmen der Menschenmenge plausibel. Ein großes Auditorium bildet das Forum für Jesus, der den lgo@ (logos – Wort) verbreitet (V. 2). In dem Gedränge versuchen vier Männer, einen auf einer Bahre liegenden Gelähmten zu Jesus zu bringen. Unter erheblicher Anstrengung gelingt es ihnen, das Dach zu öffnen und die Trage vor Jesus herabzulassen. Dieser spricht dem Gelähmten, nachdem er optisch den Glauben der Träger konstatiert hat, die Vergebung seiner Sünden zu (V. 3-5). Die in V. 6 f. stumm vorgebrachte Kritik der Pharisäer und Schriftgelehrten bezieht sich auf die geistliche Handlung Jesu. Hätte Jesus den Gelähmten lediglich zum Gehen gebracht, wäre für seine Kritiker kein theologisches Problem entstanden. Besondere ärztliche Fähigkeiten hätten sie ihm durchaus zubilligen können. In der Sache stehen Jesu Gegner damit für einen mythoskritischen Einwand. Sie erwarten die Trennung von körperlicher und geistlicher Heilung. Jesus, der über die Gabe verfügt, in sie hineinzuschauen, geht auf ihren unausgesprochenen Vorwurf ein und nimmt ihn zum Anlass für eine Frage, die eine Alternative aufwirft (V. 9). Beide Hälften der Frage werden in Abhängigkeit von dem Verb »sagen« gestellt. Ist es leichter, das eine zu sagen oder das andere? Die Antwort hängt vom jeweiligen Standpunkt ab. Ist die Realität des Vollzugs der Sündenvergebung vorausgesetzt, dann ist dieser Akt, der Gott allein zukommt, der schwierigere. Nimmt man dagegen an, das Vergebungswort sei »nur« eine verbale Äußerung, deren Wirklichkeitsabdeckung niemand überprüfen kann, wird die Heilungskompetenz zum schwierigeren. In beiden Fällen gilt freilich: Wenn Jesus das eine von beidem vollziehen kann, sollte er auch das andere bewerkstelligen können. In der Erzählung tut Jesus parallel beides: Er sagt das eine (V. 5), und er sagt das andere (V. 11). Hat die formgeschichtliche Exegese in dieser Parallelführung nur eine Doppelung erblickt, die sie dazu verwendete, in V. 5 und V. 10 Einschnitte zwischen zwei Teiltexten auszumachen, so erscheint in der Gesamtinszenierung beides als Ausdrucksform von V. 2: »Er redetet zu ihnen das Wort« (vgl. Dormeyer 1974, 82). Jesu Handeln besteht darin, das eine mit dem anderen zu sagen und es dadurch zu bewirken. Sein Reden findet seinen Ausdruck in einem verbalen Handeln, das zugleich ein faktisches Tun ist. Insofern lautet die Antwort auf die Frage von V. 9: Unter dem Gesichtspunkt des tatsächlichen Geschehens gehören beide Handlungen als die zwei Seiten einer Medaille zusammen. Folglich sind sie als gleich schwer anzusehen. Aus der Perspektive des markinischen Jesus handelt es sich bei diesem Heilungsvorgang um ein einziges Gesamtgeschehen. Ein körperlich gelähmter Mensch, der sich im Rahmen der weltanschaulichen Voraussetzungen der erzählten Welt des Markusevangeliums durch seine Körperbehinderung in geistlicher Hinsicht in Frage gestellt fühlen muss, wird seiner intakten Gottesbeziehung vergewissert. Die Zusage der Sündenvergebung geht mit der körperlichen Wiederherstellung einher (V. 12a). Wie geistliche und körperliche Gesundheit in der Person des Gelähmten eine Einheit bilden und sich die eine Seite in der anderen abbildet, so stehen auch bei der Personengruppe der Pharisäer und Schriftgelehrten Körperliches und Geistliches in einem Korrespondenzverhältnis. Eingeführt werden die jüdischen Autoritäten unter Hinweis auf ihre Körperhaltung. Sie sitzen, und in ihrer Reglosigkeit bleiben sie zudem stumm. Mitgeteilt werden die Gedanken, die sie »in ihren Herzen« bewegen (V. 6), die Abwehr 236
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gegenüber dem, was Jesus redet, und die Disqualifizierung seiner Worte als Gotteslästerung. Ihre unausgesprochene Rückfrage, die der Leserschaft über die Erzählstimme zugänglich wird, ist ein Einwand gegen Jesu Verhalten: Wer kann Sünden vergeben außer einem, Gott (V. 7)? Sie bestreiten die Legitimität des Zuspruchs der Sündenvergebung durch Jesus. Wie gegenüber dem gelähmten Mann ist es Jesus, der Herzenskenner, der das Wort an sie richtet und die Kommunikation mit ihnen eröffnet (V. 8.9). Er knüpft an ihre Gedanken an und fragt sie laut nach der Begründung ihrer Haltung (V. 8). Bewegungslos und schweigend verharren Pharisäer und Schriftgelehrte in ihrer theologisch motivierten Abwehr. In ihrer Verhärtung kommen sie dem vor Jesus liegenden Paralytischen gleich. Inhaltlich nehmen sie die Position ein, Gott vor einem nach ihrer Auffassung unerlaubten Übergriff durch Jesus zu schützen. Die Erzählung stilisiert sie zu Hütern der korrekten »Dogmatik«. Geistige Haltung und körperliches Erscheinungsbild entsprechen einander. Wie im Falle des körperlich Gelähmten wird auch von keinem der geistig-geistlich erstarrten Adressaten, an die Jesus das Wort richtet, eine Antwort gegeben. In der gesamten Szene bis einschließlich V. 11 bleibt Jesus der Einzige, der spricht. Die Tatsache, dass die Erzählung mit V. 12b nach erfolgter Heilung des Gelähmten einen Fortgang nimmt, wird formgeschichtlich unter Hinweis auf einen gattungstypischen Zug erklärt. Hier liege der viel zitierte »Chorschluss« vor (Dibelius 1971, 54), der das zustimmende Urteil der Zuschauer zum Ausdruck bringe. Damit ist jedoch der inhaltliche Höhepunkt der Erzählung nicht hinreichend erfasst. Bultmann konnte sich mit der Aussage des Erzählers, demzufolge »alle« außer sich gerieten und Gott lobten, nicht abfinden. Nach seiner Auffassung sind die jüdischen Autoritäten hierbei nicht mitzudenken (Bultmann 1995, 12; ebenso Dormeyer 1999, 231). Hält man in formgeschichtlicher Logik V. 12 für den authentischen Abschluss der ehemals vermeintlich selbstständigen Wundergeschichte V. 1 (3)-5 plus 11 f., ist dem Endredaktor in der Tat vorzuhalten, nach der Integration von V. 6-10 hier die Formulierung nicht dem neuen Zusammenhang entsprechend angepasst zu haben. Erblickt man, gängigen Erzählgesetzen folgend, die Pointe der Erzählung in dem Schlussvers 12, dann mündet die als Einheit gestaltete Szene (vgl. Zimmermann 2009a, 241) in das gemeinsame Gotteslob von Kritikern wie Zuschauern (ebenso Dschulnigg 2007, 95). Sie vereinen sich im ekstatischen Lobpreis Gottes. Es ist Jesus gelungen, den Widerstand gegenüber dem lgo@ (logos) aufzulösen. Nicht erstaunen kann, dass der Gelähmte bei diesem Finale nicht mehr dabei, sondern vor aller Augen davongegangen ist. Denn er hat seine geistlich-körperliche Heilung bereits erhalten. An seiner Person hat sich das Geschehen entzündet, das in der Heilung der Kritiker Jesu seine Vollendung findet. Die Erzählung stellt die Personen spiegelbildlich einander gegenüber. Der reglose Mann auf der Tragbahre wird seines bestehenden heilen Gottesverhältnisses vergewissert; und diese Zusage geht mit der Wiedergewinnung seiner körperlichen Bewegungsfähigkeit einher. Zugleich wird die Ausgrenzung überwunden, der der Kranke als Sünder unterliegt (Zimmermann 2009a, 244). Die Pharisäer und Schriftgelehrten, die unter Hinweis auf ihre reglose Körperhaltung in die Handlung eingeführt und anschließend durch ihre innere Erstarrung als geistlich defizient charakterisiert werden, geraten in V. 12b schließlich ebenfalls in Bewegung – in körperlicher wie geistlicher Hinsicht. Auch sie erscheinen als Integrierte, die in eine lebendige Gottesbeziehung zurückgeholt wurden. 237
Die Wundererzählungen im Markusevangelium
Die zentrale Thematik von Erstarrung und Bewegung wird durch das Gegenüber zweier gegensätzlicher Verbsorten in der Erzählung unterstrichen. Dominieren in der rahmenden Passage V. 3-5 und 11 f. Verben der Bewegung und erzeugen Dynamik, stehen in den Versen 6-10 Verben der Ruhe im Vordergrund. Bei Beachtung der mythischen Strukturierung der Erzählung tritt rückblickend auch die Bedeutung der Lokalisierung des Erzählten hervor. Zu den Besonderheiten des Raumes in literarischen Texten gehört, dass es keine nicht-semantisierten Räume gibt. Der Raum steht immer im Zusammenhang mit den erzählten Figuren. Seine Präsentation folgt »den Regeln und Gesetzmäßigkeiten des Werkes« und ist mit Bedeutung behaftet. Die Interpretation fragt daher danach, was eine Raumangabe zur Charakterisierung der Personen und des dargestellten Geschehens beiträgt (Lahn/Meister 2008, 248-252, Zitat 248). Zu den besonderen Begleitumständen der in Mk 2,1-12 dargestellten Szene gehört die räumliche Umgebung. Das Geschehen spielt im abgeschlossenen Innenraum eines Hauses, das von außen nicht mehr zugänglich ist. Wegen der sich bereits am Eingang ballenden Menschenmenge ist kein regulärer Zutritt mehr möglich. Mit Mühe wird ein ungewöhnlicher Zugang über das Dach gebahnt. Die Handlung beginnt in einem Haus und führt mit dem Hinausgehen des geheilten Gelähmten ins Freie. Diese Raumkonzeption wirkt wie ein Spiegel des erzählten Geschehens. Die Erzählung handelt von der Verschlossenheit gegenüber dem lgo@ (logos) Jesu und davon, wie es Jesus gelingt, diese aufzubrechen, indem er einen Zugang zu den körperlich und geistlich gelähmten Personen gewinnt, die mit ihren verhärteten religiös-theologischen Überzeugungen in abgeschlossenen Denkgebäuden leben. Jesu Einsatz, durch den er den Gelähmten seiner im Rahmen des Tun-Ergehen-Zusammenhangs verloren geglaubten Gottesgemeinschaft vergewissert, und sein Zugehen auf die Schriftgelehrten, die sich in der Fixierung auf ihr Gottesbild verkapselt haben, ist für den begrenzten Zeitraum dieser Erzählung von Erfolg gekrönt. Auch Jesus hat sich analog dem Engagement der Träger einen Zugang zu den in ihren geistig-geistlichen Räumen lebenden gelähmten bzw. erstarrten Personen der Erzählung verschafft. Entsprechend führt die Perspektive am Schluss aus dem umschlossenen Raum in die offene Außenwelt. Bezeichnenderweise ist dabei das in V. 1 genannte Haupthindernis für den freien Zugang zu Jesus, die Zusammenballung vieler Menschen schon im Eingangsbereich, in V. 12 im Blick auf das Hinausgehen kein Thema mehr. Fazit: In Mk 2,1-12 vergewissert Jesus einen gelähmten Mann seiner bleibenden Gottesgemeinschaft und führt eine Gruppe von Menschen, die in ihrer Gottesvorstellung erstarrt sind, in eine lebendige Gottesbeziehung. Nicht die an den herausragenden Fähigkeiten Jesu orientierte personale Christologie, wie die Form- und Redaktionsgeschichte meinte, ist das Thema der Erzählung. Der erzählte Jesus von Mk 2,1-12 steht für die soteriologisch perspektivierte Theologie des Markusevangeliums. Die Christologie, die in der markinischen Jesusdarstellung ihren Ausdruck findet, ist von der Soteriologie geleitet.
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Die Heilung eines Gelähmten und vieler Erstarrter Mk 2,1-12
Sozial- und realgeschichtlicher Kontext Par€lusi@ (paralysis) impliziert von der Wortbedeutung her den Gedanken der Auflösung. Diese Art der Krankheit rührt nach antiker Vorstellung an die Sphäre des Todes. Die Bewegungsunfähigkeit aufgrund von Lähmung steht im Altertum für den Verlust von Kraft und Empfindung (vgl. Bolt 2003, 105 f.; Eckey 2008, 114). Die nur scheinbar nicht miteinander zu vereinbarenden Verben »abdecken« und »aufgraben« in V. 4 haben zu Debatten über die Dachform – hellenistisch-römisches Ziegeldach oder palästinisches Lehmflachdach – und in der Konsequenz über die Herkunft des Erzählers bzw. seine Kenntnisse der Wohnverhältnisse im ländlichen Raum Israels Anlass gegeben sowie zu dem wiederholten Versuch geführt, über die Scheidung von Tradition und Redaktion eine Verteilung auf zwei Textstufen vorzunehmen (Lührmann 1987, 57). Spekuliert wurde auch darüber, ob die Öffnung des Daches auf exorzistische Vorstellungen zurückgeht und dem Entweichen eines Krankheitsdämons Raum schaffen bzw. den regulären Zugang zum Haus vor ihm verbergen sollte (so seit Jahnow 1925, 155-158; bei Bultmann 1995, 237; Böcher 1972a, 72 f.; Gnilka 2008a, 97) bzw. ob auf diese Weise ein Eingang für Menschen geschaffen wurde, die als kultisch Unreine nicht die Schwelle überschreiten durften und daher von oben eingelassen werden mussten (vgl. Eckey 2008, 115).
Traditions- und religionsgeschichtlicher Hintergrund Die mythische Verknüpfung des menschlichen Schicksals mit numinosen Mächten und die Vorstellung der Einheit von Materiellem und Spirituellem stehen auch hinter dem für viele Kulturen des Altertums charakteristischen Tun-Ergehen-Zusammenhang. Die Denkfigur der Verknüpfung von Krankheit und Sünde geht von dem Grundgedanken aus, dass jedes Handeln entsprechende Konsequenzen nach sich zieht. Der Tat-Folge-Zusammenhang ist dadurch gewährleistet, dass jede menschliche Handlung einerseits weltimmanentes Geschehen ist und andererseits das Verhältnis zum Göttlichen berührt. Insofern das Tun die Gottesbeziehung tangiert, hängt auch das Ergehen von der Art des Gottesverhältnisses ab. Krankheit resultiert in diesem Kontext aus Sünde, d. h. einer spirituellen Verfehlung, und verweist auf Schuld vor Gott. Als Strafe begriffen macht sie die Notwendigkeit der Vergebung sichtbar. Gesundung setzt die Wiederherstellung einer heilen Gottesbeziehung voraus bzw. geht mit ihr einher (Klumbies 2001, 161-165). Die Alternative, ob Jesus unberechtigterweise das Recht der Sündenvergebung für sich in Anspruch genommen oder lediglich auf die Sündenvergebung durch Gott verwiesen hat (vgl. Malbon 2009, 152), verliert unter soteriologischer Perspektive insofern an Bedeutung, als die Zusage Jesu darauf zielt, den Gelähmten gegen den äußeren Anschein seiner bleibenden Gottesgemeinschaft zu vergewissern. Alttestamentlich wird die Verbindung von Heilungs- und Vergebungsmotiv in Ps 103,3 ausgesprochen: Gott ist der, »der dir alle deine Sünde vergibt, der alle deine Krankheiten heilt«. Im Falle der Heilung gilt Gott als der Arzt (Ex 15,26). Gegen die Aufweichung der Alleinzuständigkeit Gottes für Krankheit und Heilung wendet sich das Ressentiment aus Sir 38,15: »Wer gegen den sündigt, der ihn gemacht hat, möge in die Hände 239
Die Wundererzählungen im Markusevangelium
des Arztes fallen.« Neutestamentlich zeugen auch Joh 5,14; 9,2 und Jak 5,14 f. von der Nähe, die zwischen Krankheit und Sünde bzw. Heilung und Vergebung gesehen wurde. Jesus als kardiognðsth@ (kardiogno¯ste¯s – Herzenskenner) in Mk 2,8 besitzt eine Fähigkeit, die im Alten Testament Gott zugeschrieben wird. Als Gottesprädikat begegnet die Vorstellung in 1Sam 16,7; 1Kön 8,39; 1Chr 28,9; Ps 7,10; 44,22; 139,2-4; Spr 15,11; Jer 11,20; 17,9 f. außerdem in Sir 42,18-20 und PsSal 14,8. Das Vorherwissen ist eine Qualität auch hellenistischer Wundertäter (Philostr. vit. ap. 1,19; 4,18; 7,9). Im Neuen Testament wird das Theologumenon in Lk 16,15; Apg 1,24; 15,8; Röm 8,27; 1Thess 2,4 verwendet. Offb 2,23 bezieht es auf den Sohn Gottes. Der Terminus ¡ u @ to‰ ⁄nqrðpou (ho hyios tou anthro¯pou – der Sohn des Menschen) in V. 10 eröffnet ein breites Spektrum an Deutungsmöglichkeiten. Unter etymologischer Perspektive führt der Rekurs auf den hebräischen und aramäischen Sprachhintergrund zu einem möglichen Verständnis im Sinne von »ein menschliches Wesen«, »jemand«. Die Bezeichnung »der Sohn des Menschen« könnte dann im vorliegenden Zusammenhang als Umschreibung des Personalpronomens »ich« verstanden werden. Ihre Verwendung schütze davor, Jesus mit seiner Aussage als unbescheiden dastehen zu lassen. Der Terminus schließe das »Ich« in den größeren Zusammenhang einer Aussage über menschliche Wesen und deren Möglichkeiten ein. Als Kontext wird mit der Verwendung des Ausdrucks auch das Wort über den richtenden Menschensohn aus Dan 7,9 abgerufen (Collins 2007, 187-189). Form- und redaktionsgeschichtlich orientierte Exegese hat auf der Grundlage der Scheidung von Tradition und Redaktion die Gesamterzählung in Einzelteile zerlegt, diese aus ihrem vorliegenden Kontext herausgelöst, in postulierten historischen Situationen der Geschichte des frühen Christentums verankert und in ein chronologisches Nacheinander gestellt. Die Endfassung des Textes wurde im Zuge dieses Verfahrens aus der Geschichte des Wachstums der Vorstufen und Einzelzüge erklärt (zur Darstellung im Einzelnen vgl. Klumbies 2001, 222-225). Im Rahmen dieses Modells gelten V. 1 und 2 als Einleitung in die Gesamterzählung. Der exakte Anfang sei jedoch nicht mehr zu ermitteln, da Tradition und Redaktion zu einem unentwirrbaren Knäuel verstrickt seien. Mit V. 3 beginne die eigentliche Erzählung. Allerdings umfasse sie in ihrer ältesten Grundstufe nur die Verse 3 bis 5 bzw. 5a und die Verse 11 und 12. Unter dem Gattungsaspekt handele es sich um eine stilechte Wundergeschichte. In diese habe ein früher Bearbeiter, vermutlich im ältesten Stadium der auf die mündliche Überlieferung folgenden Verschriftung, die konfliktuöse Szene V. 5b-10 (so Taylor 1966, 191; Kee 1977, 35-37.54; Hultgren/Fuller 1979, 107 f.; Doughty 1983, 162 f.) bzw. V. 6-10 (so v. a. Pesch 1989, 156; Scholtissek 1992, 152-166; Klauck 1981, 235 f.; auch Meiser 1998, 139) hineinkomponiert. Für denkbar erachtet wird auch, dass dieser Überarbeitungsvorgang erst vom Evangelisten Markus als dem Endredaktor der Szene vorgenommen wurde. Gattungsmäßig sei der Einschub als ein Streitgespräch zu bezeichnen. Ihren Haftpunkt habe die Konfliktszene an dem ursprünglich frei umlaufenden Logion V. 10 gefunden. Insgesamt liegt nach form- und redaktionsgeschichtlicher Auffassung in Mk 2,112 eine aus ursprünglich drei Einzelteilen bestehende Form vor, die sukzessive weiterentwickelt (vgl. Gnilka 2008a, 95-102; Pesch 1984a, 149-162; Klumbies 2001, 222-224) und entweder bereits in einem vormarkinischen Stadium der Überlieferung zusammengestellt (so Bultmann 1995, 12 f.; Higgins 1959, 126.130 f.; Budesheim 1971, 191-194) 240
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oder von dem Endredaktor des Markusevangeliums in ihre Schlussfassung gebracht wurde (so Johnson 1977, 55; Minette de Tillesse 1968, 117 f.; Weiß 1989, 134 f.). Jeder einzelnen Stufe des Überlieferungsprozesses wird ein dazu passender »Sitz im Leben« zugeschrieben. Auf diese Weise wird eine idealtypische historische Situation im frühen Christentum imaginiert, die sich aus den Anforderungen der christlichen Verkündigung in den Jahrzehnten bis zur schließlichen Veröffentlichung der Gesamtschrift ergibt. Das Heilungswunder führe in die frühe missionarische Propaganda zurück (Kertelge 1970, 78.87; Schille 1967, 25). Diese habe versucht, Glauben unter Hinweis auf die außergewöhnlichen Fähigkeiten Jesu zu wecken. Das eingeschobene Streitgespräch spiegele die Auseinandersetzung mit Gegnern der christlichen Verkündigung wider. Möglicherweise habe das ehedem selbstständige Logion V. 10, das zentrale christologische Motive aufbewahre, die Bildung dieser nicht eigenständig »lebensfähigen« Zwischenszene inspiriert und sei in Verbindung mit dieser in die Wundererzählung eingeschoben worden. Die Endfassung dokumentiere den Abschluss der weiterentwickelten christologischen Reflexion der Überlieferung. Die Erzählung ziele darauf, die Vollmacht Jesu, des Menschensohnes, zur Vergebung der Sünden bereits auf Erden hervorzuheben. Für die Isolierung und Herauslösung von Mk 2,3-5b plus V. 11 und V. 12 aus dem Gesamtzusammenhang und die Identifikation der Erzählung als einer Wundergeschichte war die Überzeugung vom Vorliegen eines typischen Schemas ausschlaggebend. Durch den Vergleich mit motivisch ähnlich gelagerten Überlieferungen aus dem hellenistischen und jüdischen religionsgeschichtlichen Umfeld war die frühe Formgeschichte zu der Überzeugung gelangt, dass den Stoffen ein wiederkehrendes Muster unterlag. Es bestand aus den Elementen: 1) Exposition, 2) Begegnung der notleidenden Person mit dem Wundertäter, 3) Schilderung der Notlage, 4) Einleitung der Rettungsmaßnahme durch ein wunderwirkendes Wort oder einen wirksamen Gestus, 5) Feststellung des Erfolges, 6) Akklamation der Zeugen der Handlung, der so genannte »Chorschluss« (so seit Dibelius 1971, 54; mit Modifikationen auch Kahl 1994, 106 f.). Obwohl dieses Schema zur Formalbestimmung der betreffenden Erzählungen verwendet worden ist und beansprucht hat, eine Gattungsaussage vorzunehmen, besteht ein Handicap dieser Bestimmung darin, dass aus inhaltlichen Zügen auf die formale Gestaltung zurückgeschlossen wird und mit der schablonenartigen Anwendung des Schemas auf neue Überlieferungen das Raster sich selbst immer neu bestätigt. Der Preis für dieses Verfahren ist der Verlust der individuellen Züge der Erzählungen, die zugunsten der Schematisierung ausgeblendet werden. Zugleich wird bei der Anwendung dieses Verfahrens sichtbar, dass die scheinbar rein formalen Bestimmungen mit gravierenden inhaltlichen Vorentscheidungen befrachtet sind (s. u.). Die von der Idee des historisch zuzuordnenden Traditionswachstums geleitete form- und redaktionsgeschichtliche Exegese hat sich in der Regel von der rekonstruierten Grundstufe der Erzählung theologisch distanziert. Das darin enthaltene Jesusbild entspreche nicht dem christologischen state of the art. Jesus werde als qe…o@ ⁄nffir (theios ane¯r – göttlicher Mensch) dargestellt, der zu Zwecken der Missionspredigt in nichtchristlicher Umgebung als besonders qualifizierter Wunderheiler verkündigt wird. Dies sei zwar im Rückblick verständlich, werde aber bereits von der frühchristlichen Bearbeitungsstufe und insbesondere durch den Evangelisten Markus in eine andere Richtung gelenkt. Spätestens der Endredaktor habe eine Korrektur der frühen christologischen Fehlentwicklung vorgenommen (Weeden 1979, 238-242.253). Nicht der bloße Wunder241
Die Wundererzählungen im Markusevangelium
täter, sondern der vollmächtige Repräsentant Gottes, der die göttliche Sündenvergebung auf die Erde gebracht habe, stelle das kerygmatische Zentrum der Erzählung dar (V. 10). Die massive, geradezu als magischer Akt anzusehende Heilungstat würdige Jesus zum bloßen Mirakeltäter herab (Klein 1970, 54). Entsprechend sei es dem Einschub von V. 5b bzw. 6-10 zu verdanken, die Erzählung in sachgemäßer Weise zu ihrem christologischen Ziel geführt zu haben.
Verstehensangebote und Deutungshorizonte Liegt für die moderne Rationalität das Wunder in Mk 2,1-12 in der Wiederherstellung der Gehfähigkeit des Gelähmten, so geschieht in der mythischen Dimension das eigentlich Wundersame im Bereich des Numinosen: Dem Gelähmten wird die angesichts seines körperlichen Zustands nicht für möglich gehaltene bleibende Gottesgemeinschaft zugesagt; die erstarrten Pharisäer und Schriftgelehrten, die sich in ihre Gottesvorstellung eingeschlossen haben und diese verteidigen zu müssen glauben, werden in die unverhoffte Bewegung einer dynamischen Gottesbeziehung geführt. Die formgeschichtliche Behandlung der Wundergeschichten impliziert unausgesprochen die Anwendung eines wenig problematisierten Wunderbegriffs auf die Erzählungen. Im Regelfall gilt die Durchbrechung von Kausalzusammenhängen als das Kriterium für den Wundergehalt einer Szene. Den Bemessungsmaßstab gibt die Überlegung ab, ob die Erzählungen kompatibel mit einem naturwissenschaftlich-analytisch bestimmten Weltbild sind oder dessen Voraussetzungen durchbrechen. Die Unterscheidung wirkt sich insofern als folgenreich aus, als die Erzählungen anschließend auf ihre historische Vorstellbarkeit hin bewertet werden. Heilungswunder wie Exorzismen gelten in diesem Rahmen als möglich. Totenerweckungen sprengen das Vorstellbare. Auf neorationalistische Art wird zwischen denkbaren Wundern Jesu und unvorstellbaren Taten getrennt. »Leichte« werden von »schweren« Wundern unterschieden (vgl. die Kritik von Alkier 2001b, 10-13). Die Exponierung des Logions V. 10 zur Pointe der Gesamtkomposition hat zur Folge, dass der Höhepunkt der Erzählung nicht in dem Schlussvers 12, sondern bereits vor Ende der Szene gesucht wird (so etwa bei Koch 1975, 50). Dieses Vorgehen steht freilich im Widerspruch zu dem bei der Interpretation von Gleichnissen anerkannten Gesetz des Achtergewichts. Die Ursache für die Heraushebung des Logions in V. 10 liegt in einer methodischen und in einer theologischen bzw. christologischen Vorentscheidung. Beide Prämissen sind das Ergebnis theologiegeschichtlicher Entwicklungen im 19. und 20. Jh., die Einfluss auf die Auslegungspraxis genommen haben. Demnach ist den Worten im Munde Jesu ein zeitlicher und sachlicher Vorrang vor den Erzählungen über Jesu Taten einzuräumen. Diese Weichenstellung ist ein Erbe der liberaltheologischen Jesusforschung des 19. Jh. Bultmann und die Formgeschichtler des 20. Jh. behielten die Prämisse bei, und die christologisch bestimmte Exegese unter dialektisch-theologischem Einfluss übernahm sie. V. 10 liefert für beide Interessenslagen wichtige Anhaltspunkte: Zum einen handelt es sich um einen – ein hohes Alter suggerierenden – Ausspruch im Munde Jesu, zum anderen enthält er gebündelt drei theologisch gefüllte Substantive bzw. Begriffszusammenstellungen, denen unter christologischer Auslegungsperspektive besondere Dignität zukommt: Vollmacht, Menschensohn, Sündenvergebung. 242
Die Heilung eines Gelähmten und vieler Erstarrter Mk 2,1-12
Dass hier für beide ursprünglich konkurrierende theologische Richtungen das Zentrum der Perikope liegt, ließ die Hochschätzung von V. 10 breite Zustimmung finden. Neben der Preisgabe der Überzeugung, dass der Höhepunkt am Schluss einer Erzählung zu suchen ist, zieht die Erhebung von V. 10 zur Pointe der Endfassung im Rahmen der form- und redaktionsgeschichtlichen Exegese zwei weitere methodische Probleme nach sich. Das erste betrifft die Trennung zwischen Erzählstimme und Figurenrede. Die Figurenrede, zumal wenn es sich um Worte Jesu handelt, steht traditionell unter dem Präjudiz, sie lasse ein höheres Maß an historischer Authentizität erwarten. Die Erzählstimme wird demgegenüber traditionellerweise als eher sekundäre Sprachäußerung gewertet, der kommentierende Bedeutung zukomme. Das zweite Problem entsteht dadurch, dass die historisch auseinanderlegende Exegese die erzählte Welt, in der die Erzählfiguren ihren Aktionsraum besitzen, und die Erzählwelt, aus der die Erzählung als literarisches Produkt stammt, als zwei chronologisch zu unterscheidende Ebenen behandelt. Im Falle des Markusevangeliums werden auf diese Weise Inhalte, die in der Situation des beginnenden achten Jahrzehnts zu verorten sind, in historische Aussagen über die Jesuszeit um das Jahr 30 n. Chr. umgeformt. Der zugrunde gelegte Wunderbegriff speist sich aus den Axiomen eines modernen, aber auch bereits hellenistisch-aufgeklärten Weltbildes, für das die prinzipielle Unterscheidung zwischen Materiellem und Spirituellem und zwischen menschlichem Bereich und dem Numinosen konstitutiv ist. Für das Verständnis der Wundererzählungen im lukanischen Doppelwerk, das von hellenistisch-aufgeklärten Denkvoraussetzungen geprägt ist, erweist sich dieser Zugang als durchaus perspektivenreich. Im Umgang mit den von mythischen Prämissen durchdrungenen Wundererzählungen des Markusevangeliums droht er den Blick auf die Pointen jedoch gerade zu verstellen. Die generelle Anwendung des aufgeklärten Wunderbegriffs auf alle Evangelien hat zur Folge, dass die Exegese von Wundererzählungen sich auf dieser geistigen Grundlage offen oder unausgesprochen an dem Problem der Faktizität des erzählten Wunders abarbeitet. Neigt ein Teil der Untersuchungen dazu, die Basis der Erzählungen in einem pränarrativen faktischen Ereignis zu suchen, tendieren andere dahin, das Faktum zugunsten eines Kerygmas, also einer ihm beigelegten Bedeutung, soweit wie möglich zu relativieren (vgl. Luz 2007, 79-82). Erkenntnistheoretisch bildet in beiden Ausprägungen die Trennung zwischen Ereignis und Bedeutung den Hintergrund des Gedankens. Demgegenüber ist in Rechnung zu stellen, dass in dem vom Mythos geprägten Weltbild der Antike, das die Darstellung der Evangelien in Teilen bestimmt, gerade die wechselseitige Durchdringung von göttlicher und menschlicher Sphäre grundlegend ist. Die Welt wird nicht analytisch unter Absehung der göttlichen Wirksamkeit wahrgenommen. Vielmehr nehmen alle Geschehnisse auf der Erde und im zwischenmenschlichen Bereich ihren Ausgang bei Ereignissen im Bereich des Numinosen. Unter dieser Perspektive bilden die Einzelzüge in Mk 2,1-12, die analytisch-aufgeklärter Rationalität zufolge auseinanderlaufen, eine innere Einheit. Zur Unterscheidung von den klassisch als »Wundergeschichten« bezeichneten Erzählungen empfiehlt es sich für Stoffe, in denen wie in Mk 2,1-12 das eigentlich Wundersame in der Welt des Numinosen und der Durchbrechung der dort geltenden mythischen Regeln geschieht, von mythischen Sequenzen zu sprechen. Im Unterschied zu den Auslegungen, die das form- und redaktionsgeschichtliche Wachstumsmodell voraussetzen, stellt die Szene in V. 3-12 bei Beachtung der Verschrän243
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kungen, die auf die mythische Rationalität zurückzuführen sind, einen geschlossenen Erzählzusammenhang in zwei parallel laufenden Strängen dar. Beide Erzählfäden sind miteinander verknüpft. Der durch seine Behinderung körperlich bewegungsunfähige Mann, für den sich vier Personen einsetzen, wird von Jesus auf seine geistliche Verfassung angesprochen. Die Zusage, dass seine Sünden vergeben sind (V. 5b), demonstriert, dass es für den markinischen Jesus in dieser Szene um ein Krankheitsphänomen geht, das geistliche Ursachen besitzt. Die physische Lähmung des Mannes wird auf die ihr inhärente geistliche Dimension hin transparent gemacht. Zugrunde liegt die mythische Vorstellung, dass körperliche Erkrankung auf spirituelle Ursachen zurückzuführen ist. Der Zusammenhang von körperlichem Ergehen und geistlichem Tun wird bereits in V. 5a durch den Hinweis des Erzählers auf den im Umfeld des behinderten Mannes vorhandenen Glauben abgerufen. Im Positiven wie im Negativen gilt: Heilung wie Körperbehinderung setzt eine korrespondierende spirituelle Verfassung voraus. Die moderne rationale Überlegung, dass es sich bei diesem Glauben »nur« um das Vertrauen auf Jesu außergewöhnliche Heilungskräfte handele und ihm der christologische Vollsinn – jedenfalls in der Grundstufe der Erzählung – noch fehle, greift zu kurz: Mythisch strukturierte Wahrnehmung trennt nicht zwischen beidem; die auf den Heiler gerichtete Gewissheit äußert sich im Vertrauen auf dessen Kräfte. Im Verhältnis der Figurenrede zur Erzählerstimme ist für Mk 2,7-12 festzustellen, dass die Figurenrede im Dienst der Erzählerstimme steht. Sie befindet sich in Übereinstimmung mit den Darstellungsintentionen aller übrigen Aussagen. Der Erzähler lässt seine Figuren aussprechen, was ihm für die Richtung seiner Erzählung von Bedeutung ist. Hier gilt das Diktum Ricœurs: Der Erzähltext ist die »Rede eines Erzählers, der berichtet, was seine Figuren sagen« (Ricœur 1989, 150). Für die Beziehung zwischen erzählter Welt und Erzählwelt gilt, dass die Vorgänge aus der Zeit der Erzählwelt ihren Niederschlag in dem Bild von der erzählten Welt finden. Die Konstruktion der erzählten Welt ist von den Bedingungen der Erzählwelt her zu interpretieren. Mk 2,1-12 entfaltet die Auseinandersetzung um Sünde und Vergebung, um Glaube und Heilung als Erzählung über den Jesus der Zeit um das Jahr 30 n. Chr. Auf der Ebene des Markusevangeliums als eines literarischen Werkes der 70er Jahre fällt dieser Szene die Rolle einer ätiologischen Erzählung zu. Der Erzähler fundiert mit ihr eine theologische Überzeugung des beginnenden achten Jahrzehnts. Sein soteriologisch-christologisch gezeichneter Jesus führt hic et nunc Menschen in eine gelingende Gottesbeziehung, die diese aufgrund ihres Gottesbildes für verloren geglaubt oder die sich zum Schutz ihrer überkommenen Gottesvorstellung Jesus gegenüber verhärtet haben. Der christlichen Gemeinde des achten Jahrzehnts des 1. Jh. gilt Jesus als der Protagonist des Evangeliums, dem sie sich verpflichtet und das sie in seinem Auftreten begründet sieht. Unter der christlichen Erzählperspektive erscheint Jesus als ein Mensch, der normative Setzungen vornimmt. Gerade die Schlichtheit der ihm vom Erzähler in den Mund gelegten Selbstbezeichnung »Sohn des Menschen« wird zum adäquaten Ausdruck für die Besonderheit, die seine Person für den christlichen Erzähler und seine Gemeinde besitzt. Der Terminus dokumentiert und spiegelt darüber hinaus die rasante Entwicklung des Jesus-Christus-Glaubens wider, der aus unspektakulären Anfängen in der Lebensgeschichte Jesu zum hohen christologischen Bekenntnis der Gemeinde, deren Erzählwelt diese Jesusgeschichte entstammt, aufgestiegen ist.
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Aspekte der Parallelüberlieferung und Wirkungsgeschichte Mt 9,1-8 (1) Und er stieg in ein Boot und fuhr ans andere Ufer hinüber und kam in die eigene Stadt. (2) Und siehe, sie brachten ihm einen Gelähmten, der auf einer Trage lag. Und als Jesus ihren Glauben sah, sagte er zu dem Gelähmten: »Sei guten Mutes, Kind, vergeben sind deine Sünden.« (3) Und siehe, einige der Schriftgelehrten sagten im Stillen: »Dieser lästert.« (4) Und als Jesus ihre Überlegungen sah, sagte er: »Warum überlegt ihr Böses in euren Herzen? (5) Was ist denn leichter – zu sagen: ›Vergeben sind deine Sünden‹ oder zu sagen: ›Steh auf und geh umher‹ ? (6) Damit ihr aber wisst, dass der Sohn des Menschen Vollmacht hat, auf der Erde Sünden zu vergeben – da sagt er zu dem Gelähmten: ›Steh auf und nimm deine Trage und geh in dein Haus.‹« (7) Und er stand auf und ging weg in sein Haus. (8) Als das aber die Volksmengen sahen, gerieten sie in Furcht und priesen Gott, der den Menschen eine derartige Vollmacht gab. Die Matthäusversion der Perikope weist gegenüber der Markusvorlage einige Straffungen auf, wie sie für die matthäische Überlieferung von Wundererzählungen charakteristisch sind. Die ausführliche Schilderung der Menschenmenge in Mk 2,1 f. ist in Mt 9,1 ersatzlos gestrichen. Statt auf die Vielzahl der Anwesenden in einem Haus hebt die Matthäusfassung darauf ab, dass Jesus sich in seiner Heimatstadt befindet (9,1). Die Umstände, unter denen der Gelähmte laut Mk 2,3 f. zu Jesus gelangt, werden auf das bloße Faktum reduziert, dass »sie« – Menschen unbestimmter Anzahl – einen auf einer Trage liegenden Gelähmten zu Jesus brachten. Der Zusammenhang von Glaubensmotiv und Zuspruch der Sündenvergebung bleibt in 9,2 in Übereinstimmung mit der Markusvorlage stehen. Die Schriftgelehrten werden in 9,3 einzig als Träger der Aussage: »Dieser lästert« in die Handlung eingeführt. Alle näheren Ausführungen, insbesondere zu ihrer Körperhaltung, entfallen. Auch erspart es sich die Matthäusüberlieferung zu explizieren, worin der Gehalt der Schmähung besteht. Die Feststellung blasfhme… (blasphe¯mei – er lästert) spricht für Matthäus bereits vollständig für sich. Die Rückkoppelung der Vergebungsthematik an das Gottesverständnis unterbleibt. Bestand für die Leser des Markus immerhin noch Raum für die Überlegung, ob Jesus überhaupt das göttliche Recht zur Sündenvergebung für sich in Anspruch genommen hat und nicht eher nur die Sündenvergebung durch Gott selbst zugesagt hat, stellt die Matthäusfassung auf direktem Weg fest, dass Jesus sich mit dieser Aussage ein Problem einhandelt. Sein Blick in das Innere der Schriftgelehrten führt den matthäischen Jesus unmittelbar zu einem moralischen Urteil (9,4): »Warum überlegt ihr Böses in euren Herzen?« In der Formulierung der Alternativfrage nach dem Leichteren, dem Verweis auf die Vollmacht Jesu, der Aufforderung an den Gelähmten, aufzustehen, seine Trage zu nehmen und nach Hause zu gehen, folgt Mt 9,5 f. weitgehend Mk 2,9-11. Allerdings lässt der Matthäustext durch die Voranstellung der Wendung ¥p½ t»@ g»@ (epi te¯s ge¯s – auf der Erde) noch stärker als Mk 2,10 die Bedeutung der Sündenvergebung unter irdischen Bedingungen in der Gemeinde anklingen. Außerdem führt Mt 9,6 durch die Einfügung des Temporaladverbs totff (tote – da) eine chronologische Abfolge in die Handlung ein, die in der Markusvorlage mit ihrem Interesse an der Parallelführung der Handlungsstränge gerade nicht vorlag. Mt 9,7 lässt wie schon 9,5 den wiederholten Rekurs auf die 245
Die Wundererzählungen im Markusevangelium
Aufnahme der Trage weg. Der Geheilte geht nach Haus; dass dies »vor allen« geschah und »alle« außer sich gerieten, tilgt die Matthäusfassung und entledigt sich damit des Problems, ob die Schriftgelehrten hierin inkludiert zu denken sind oder nicht. Auch reduziert Matthäus das hohe Maß an Emotionalität durch die Streichung des ¥xfflstasqai (existasthai – außer sich geraten). Stattdessen wird wie bei der Kreuzigung und Auferweckung Jesu in Mt 27,54 und 28,4.8 die Furcht, die das Geschehen unter den Anwesenden auslöst, zum Movens für ihre anschließende Reaktion. Die Furcht verweist auf geschehene Offenbarung, und theologisch korrekt mündet die Erzählung in das Gotteslob. Dieses entzündet sich nun freilich gerade nicht an dem unerhörten Heilungsvorgang, sondern an der Vollmacht, die – über Jesus hinaus – als allen Menschen gegeben gefeiert wird. Signifikant für die matthäische Bearbeitung der Markusvorlage ist, dass Matthäus die Parallelführung sowohl des Handlungsstrangs als auch die von körperlicher und geistlicher Ebene auflöst und in eine zeitlich geordnete Abfolge zerlegt. Auf den körperlichen Defekt reagiert Jesus auf spiritueller Ebene mit der Zusage der Sündenvergebung, bezieht dafür den Widerspruch seiner Kritiker und lässt diese mit seinem souveränen Handeln quasi aus der Szene verschwinden. Jesus entscheidet die Machtfrage durch einen Erweis seiner Vollmacht für sich. Auch wenn damit offenbleibt, ob er auf diese Weise den Widerstand seiner Kritiker überwinden konnte, wird von einem solchen nichts weiter berichtet. Nur von dem Lobpreis der Menge erzählt V. 8. An Jesu Vollmacht, so die Pointe der matthäischen Erzählung, partizipieren die Christen, die in der Nachfolge Jesu ebenfalls solche ¥xousffla (exousia – Vollmacht) von Gott verliehen bekommen haben. Die Matthäus-Perikope erzählt die Geschichte der Herkunft des geistlichen Rechts zur Sündenvergebung in der Christengemeinde. EvNik 6 (1) Einer der Juden aber lief herbei und bat den Statthalter ums Wort. Der Statthalter sagt: »Wenn du etwas sagen willst, sage es.« Der Jude aber sagte: »Ich lag 38 Jahre auf einer Trage im Schmerz der Leiden danieder. Und als Jesus kam, wurden von ihm viele Dämonenbesessene und mit mannigfaltigen Krankheiten Daniederliegende geheilt. Und einige junge Männer hatten Mitleid mit mir, trugen mich mit der Trage weg und schafften mich zu ihm. Und als Jesus mich sah, erfasste ihn Erbarmen, und er sagte das Wort zu mir: ›Nimm dein Bett und geh umher.‹ Und ich nahm mein Bett und ging umher.« Die Juden sagen zu Pilatus: »Frage ihn, an welchem Tag es war, an dem er geheilt wurde.« Sagt der Geheilte: »An einem Sabbat.« Sagen die Juden: »Unterrichteten wir dich nicht so, dass er am Sabbat heilt und Dämonen austreibt?« Das Nikodemusevangelium bezieht sich motivisch auf die Heilung in Mk 2,1-12. Allerdings geschieht dies in Verfremdung und unter Verwendung anderer Motive sowie in deutlicher Verkürzung der markinischen Erzählung. Die in EvNik 6,1 überlieferte Szene dient im Kontext als Beleg für die Verteidigung Jesu durch Nikodemus vor Pilatus. Nikodemus behauptet, Jesus habe viele Zeichen und Wunder getan. Wie seinerzeit bei Mose seien diese Zeichen auf Gott zurückzuführen und nicht als Menschenwerk anzusehen (EvNik 5,1). Um die Aussage des Nikodemus zu stützen, meldet sich ein Jude zu Wort, der in Form einer Ich-Aussage vorbringt, dass er 38 Jahre lang unter Schmerzen bettlägerig gewesen sei. Dann hätten ihn einige junge Männer aus Mitleid samt seiner Bahre zu Jesus gebracht. Dieser habe ihn – ebenfalls aus 246
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Erbarmen – aufgefordert: »Nimm dein Bett und wandle«; und genau dieses habe er dann getan. Der lgo@ (logos) bezieht sich hier anders als in Mk 2,2 konkret auf den Heilungsbefehl. Nicht explizit ausgesprochen wird, dass es sich um eine Lähmung handelt. Die Zahl von 38 Jahren macht den Einfluss von Joh 5,1-18 auf die Szene deutlich (Joh 5,5). Dieser Eindruck findet seine Verstärkung dadurch, dass im Unterschied zur markinischen und matthäischen Fassung, aber in Übereinstimmung mit der johanneischen Überlieferung (Joh 5,9b–16) im Anschluss an die Heilung die jüdischen Ankläger Jesu erneut das Wort ergreifen und Jesus des Sabbatbruchs beschuldigen. Im Nikodemusevangelium dient die durch Jesus vollbrachte Heilung dazu, seine ihm von Gott verliehenen Fähigkeiten hervorzuheben. Er unterliegt jedoch weiterhin dem Vorwurf von jüdischer Seite, den Gotteswillen zu brechen – wie die Übertretung des Sabbatgebots zeige. Anders als in Mk 2,1-12 gelingt es Jesus nicht, den Widerstand seiner Gegner aufzulösen. Stattdessen hat die Widerstandslinie, die in Joh 5,17 f. artikuliert ist, in EvNik 6,1 einen Nachklang gefunden.
Paul-Gerhard Klumbies Literatur zum Weiterlesen S. Alkier, Wen wundert was? Einblicke in die Wunderauslegung von der Aufklärung bis zur Gegenwart, ZNT 7 (2001), 2-15. D. Dormeyer, Narrative Analyse von Mk 2,1-12, LingBibl 31 (1974), 68-89. A. Esselbach, Horizontalité/Verticalité: Deux dimensions de l’espace pour une mise en discourse de la foi (Le récit du paralytique – Mc 2,1-2,12), Sémiotique et Bible (2002), 21-37. O. Hofius, Vergebungszuspruch und Vollmachtsfrage. Mk 2,1-12 und das Problem priesterlicher Absolution im antiken Judentum, in: ders., Neutestamentliche Studien, WUNT 132, Tübingen 2000, 57-69. S. Kottek/M. Horstmanshoff (Hg.), From Athens to Jerusalem. Medicine in Hellenized Jewish Lore and in Early Christian Literature, Rotterdam 2000. U. Luck, Was wiegt leichter? Zu Mk 2,9, in: H. Frankemölle/K. Kertelge (Hg.), Vom Urchristentum zu Jesus, FS J. Gnilka, Freiburg i. Br. et al. 1989, 103-108. C.-H. Sung, Vergebung der Sünden. Jesu Praxis der Sündenvergebung nach den Synoptikern und ihre Voraussetzungen im Alten Testament und frühen Judentum, WUNT 2/57, Tübingen 1993, 208-221. F. Vouga, Maladie et péché, foi et guérison. Jésus, l’ami de Job ou l’ami de ses amis? (Mc 2,1-12 et Jn 9,1-12), in: E. Cuvillier (Hg.), Sola fide. Mélanges offerts à Jean Ansaldi, Actes et Recherches, Genève 2004, 35-52. R. Zimmermann, Krankheit und Sünde im Neuen Testament am Beispiel von Mk 2,1-12, in: G. Thomas/I. Karle (Hg.), Krankheitsdeutung in der postsäkularen Gesellschaft. Theologische Ansätze im interdisziplinären Gespräch, Stuttgart 2009, 227-246.
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Feiertagsarbeit? (Der Kranke mit der ›verdorrten Hand‹) Mk 3,1-6 (1) Und er (Jesus) ging wiederum in eine Synagoge. Dort war ein Mensch mit einer ausgezehrten Hand. (2) Und sie belauerten ihn, ob er ihn am Sabbat heilte, damit sie ihn verklagen könnten. (3) Und er sagte zu dem Menschen mit der ausgezehrten Hand: »Tritt vor in die Mitte!« (4) Und er sagte zu ihnen: »Ist es erlaubt, am Sabbat Gutes zu tun oder Böses, ein Leben zu retten oder zu töten?« Sie aber schwiegen. (5) Und als er sie ringsum zornig anblickte, wurde er betrübt über die Verhärtung ihres Herzens und sagte zu dem Menschen: »Strecke deine Hand aus!« Und er streckte sie aus; und seine Hand wurde wieder gesund. (6) Und die Pharisäer gingen hinaus und fassten sogleich einen Beschluss mit den Anhängern des Herodes, ihn umzubringen.
Sprachlich-narratologische Analyse Der Text Mk 3,1-6 will im Rahmen der markinischen Jesusgeschichte Antwort auf die Frage geben, ob es Jesus erlaubt ist, am Sabbat zu heilen. Er will ebenso klären, wie es zur Ablehnung Jesu seitens jüdischer Autoritäten gekommen ist. Es geht damit um Jesu Vollmacht, die zu Konflikten Anlass gibt. Formal erinnert der Text an Wundergeschichten und Streitgespräche, doch vermag selbst die Näherbestimmung als »Chrie« (Berger 2005, 140-152; vgl. 362-367; Mayer-Haas 2005, 203-205) oder »Normenwunder« (vgl. Theißen 1974, 114-120; s. auch ders./Merz 2001, 266 f.) allenfalls anzudeuten, dass hier etwas Eigenes geschaffen wurde. Die Strukturelemente verweisen auf eine Mischgattung aus Wundergeschichte und Chrie mit pragmatischem Anliegen. Diese Gattungen existieren im Wissensschatz der Rezipienten. Zudem spielen beim Versuch, den Text heute zu verstehen, religionsgeschichtliche Aspekte eine große Rolle. Der Abschnitt ist durch Orts- und Personenwechsel klar vom Kontext abgegrenzt. Dennoch ist er bei Markus eng mit dem vorangehenden Erzählstoff verknüpft, was sowohl durch die anklingenden Auseinandersetzungen – speziell um den Sabbat – als auch durch das p€lin (palin – wiederum) in V. 1 zum Ausdruck kommt, das den Besuch einer Synagoge als ein wiederholtes und damit für Jesus übliches Geschehen beschreibt. Wie zuvor in 1,21-28 und 1,29-31 wird die Heilung Kranker durch Jesus an einem Sabbat beschrieben. Doch wird dies nun nicht mehr mit Staunen über Jesu Vollmacht goutiert, sondern Jesu Handeln wird ab Kap. 2 auch als anstößig erfahren. Insofern setzt sich der Sabbatkonflikt aus der vorangegangenen Erzählung (2,23-28) fort, der jetzt durch die Anklage noch gesteigert wird. Der Text gliedert sich in eine Exposition (V. 1 f.), die in die Handlung und das Problem einführt, in eine Durchführung (V. 3-5), in der Jesu Handeln exemplarisch dargestellt wird, und einen kontrapunktischen Ausblick (V. 6), der den Blick auf die übergeordnete Erzählebene des Evangeliums lenkt. Weder wird Jesus im Eingang mit Namen genannt (zuletzt 2,19), noch erfolgt eine 248
Feiertagsarbeit? Mk 3,1-6
Identifikation der Gegnerschaft in V. 2 – dies geschieht erst nachträglich in V. 6. Die dortige Kennzeichnung als Pharisäer stimmt zwar mit 2,24 überein, doch setzt die Erweiterung um die Herodianer noch einen neuen Akzent. Signifikant ist, dass die Erkrankung mehrfach genannt wird, wobei der Kranke geradezu als »Mensch mit der ausgezehrten (vertrockneten) Hand« definiert wird. Die verwendeten Lexeme xhr@ (xe¯ros – vertrocknet, ausgezehrt) und xhrafflnw (xe¯raino¯ – austrocknen) lassen entweder eine Dehydrierung bzw. ein Verdorren assoziieren (vgl. Mk 4,6; 11,20 f.) oder sie sind im Kontext von Heilung entweder positiv (5,29) oder – wie hier – negativ mit dem Erstarren verbunden (9,18). Letzteres lässt an die Verhärtung der Herzen von V. 5 denken, auch wenn ein anderes Lexem Verwendung findet. Nur scheinbar beginnt dann in V. 3 das Heilungsgeschehen damit, dass Jesus den Kranken in die Mitte treten lässt. Dies bringt ihn in den Fokus der Aufmerksamkeit und impliziert größtmögliche Beachtung. Andererseits irritiert dies auch, insofern der Kranke zum Demonstrationsobjekt zu verkommen droht. Denn nicht die Heilung beginnt, sondern Jesus eröffnet mit einer Doppelfrage – wie sie in Lehrgesprächen üblich war – eine Diskussion. Allerdings geschieht dies auch nur scheinbar, denn der Charakter der Fragealternativen ist rhetorischer Natur und lässt keinen Disput zu. Vielmehr werden die heimlichen Anklageabsichten aus V. 2 entlarvt. Innertextlich wird im Logion von V. 4 daher weder der Kranke noch die Gemeinde, sondern die Gegnerschaft angesprochen – selbst wenn bis dahin nicht klar ist, wer dies eigentlich ist. Der Text trägt hier insofern apologetische Züge, wobei der Gegenangriff als die beste Verteidigung erscheint, denn die Gegner können nur schweigen. Die Jünger, die im vorangegangenen Konflikt im Blickpunkt standen, spielen jetzt keine Rolle. Jesus besitzt vordergründig die Handlungsinitiative. Er gibt die Anweisungen an den Kranken und durchschaut sogar die Gefühlslage der Gegner (vgl. 2,6.8). Emotional tief bewegt erfolgt dann die eigentliche Heilung (V. 5), die freilich nur in ihrem Erfolg festgestellt wird, indem der Kranke seine – so wörtlich – wiederhergestellte Hand auf Jesu Befehl hin austreckt (zum Gestus vgl. Derrett 1984, 179-182). Die in der exegetischen Diskussion bedeutsame Frage, ob Jesus hier manipulativ eingriff oder nur durch ein Wort heilt, entzieht sich insofern der Beantwortung, auch wenn die passive Formulierung ein Handeln Gottes andeutet. Aus der Tatsache, dass keine Heilhandlung im Text berichtet wird, lassen sich daher keine Schlüsse im Blick auf die Sabbatheilungsproblematik ziehen. Diskutiert wird generell die Erlaubtheit einer Heilung – nicht jedoch, ob eine Handlung vorliegt oder nicht (vgl. Theißen/Merz 2001, 329). Die eigentliche Pointe liegt daher in der Vollmacht Jesu, die auf eindrucksvolle und ebenso geheimnisvolle Weise durch die Heilung demonstriert wird. Dennoch hat die Heilung fatale Folgen, denn die Konfrontation endet in V. 6 mit dem Beschluss, Jesus umzubringen. Dies stellt die Pointe eines zweiten Handlungsstrangs dar, der mit den Gegnern und deren Handeln verbunden ist. Insgesamt treten in diesem Abschluss deutlich redaktionelle Absichten des Evangelisten hervor, der einen Spannungsbogen bis hin zur Passion errichtet. Hierbei kann sich eine markinische Gestaltung dieses Verses auch auf die Verwendung von Vorzugsvokabeln (e'qÐ@ euthys – sogleich), evtl. auch die seltene Verwendung der Herodianer und das sumboÐlion didnai (symboulion didonai – einen Beschluss fassen) stützen. Dennoch sollte nicht außer Acht gelassen werden, dass es Markus ein Anliegen ist, Jesu torakonformes Verhalten zu betonen.
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Dies zeigen die Heilungen von 1,32-34, die erst nach Sonnenuntergang stattfinden, und 1,40-45 unmittelbar vor dem Konflikt. Insgesamt ist der Text parataktisch durch die Aneinanderreihung mit kaffl (kai – und) oberflächlich sehr einfach und kohärent strukturiert. Dies wird durch die Verwendung der üblichen Erzähltempora einschließlich verschiedener Partizipien und des praesens historicum variiert. Dabei sticht der dreimalige Gebrauch des lffgei (legei – er sagt[e] V. 3.4.5) besonders hervor, insofern damit in der direkten Rede sowohl zwei Imperative verbunden sind, die den Kranken zum Handeln auffordern, als auch die zentrale Doppelfrage in V. 4, in welcher die Alternative am Schluss des Pentateuchs (Dtn 30,15.19) anklingt (vgl. Derrett 1984, 175-178; Queller 2010). Auffällig ist darüber hinaus die zweimalige Nebensatzbildung (durch na [hina – damit] in V. 2 und ˆpw@ [hopo¯s – auf dass] in V. 6), mit denen die Absichten der Gegner erfasst werden. Dadurch entsteht nach der situativen Beschreibung in V. 1 um das Logion in V. 4 ein konzentrisch aufgebauter Verlauf, in welchem sich Gegner (V. 2/5a) und Kranker (V. 3/5b) abwechseln. Dies wird mit einem gegenläufigen Akzent in V. 6 abgeschlossen. Von Leserlenkung lässt sich dabei nur insofern sprechen, als Sympathien und Antipathien eindeutig auf Jesus bzw. die Gegner verteilt sind und dadurch bestimmte Erwartungen geweckt werden. Dies wird durch die vielfältige und starke Kontrastierung (gut/ böse; Leben retten/töten; sprechen/schweigen; starr/ausstrecken) noch unterstützt. Der Kranke bleibt dagegen blass, macht er doch stets das, was Jesus ihm sagt.
Sozial- und realgeschichtlicher Kontext Unter dieser Perspektive interessiert zunächst die Erkrankung. Worin sie freilich besteht, bleibt unklar, da die Kennzeichnung deskriptiv ist. Dies war in der Antike üblich (vgl. 1Kön 13,4LXX; TestSim 2,12; der mitunter angeführte Text der dritten Stele von Epidauros [C 60.108; Herzog 1931, 32.138; dagegen LiDonnici 1995, 126] ist leider rekonstruiert) und deutet auf eine Art Atrophie bzw. eine Lähmung hin. Sie beeinträchtigt den Kranken wesentlich, doch ist sein Leben nicht unmittelbar bedroht (s. Kollmann, Krankheitsbilder in diesem Band; Seybold/Müller 1978, 125 f.). Evident ist jedoch, dass sich eine solche Krankheit v. a. in der erheblichen Minderung eigener Erwerbstätigkeit niederschlägt. Denn eine Erkrankung, die den uneingeschränkten Gebrauch der Hände unmöglich machte, zog meist die Angewiesenheit auf Hilfe und Almosen, oft auch Armut nach sich. Eine Verkrüppelung konnte zudem den Ausschluss vom Kult bzw. von Tätigkeiten, die kultische Reinheit voraussetzen, bedeuten (Lev 21,18; vgl. 1QSa 2,3-9; CD 15,16; 1QM 7,4). Nicht zuletzt trug die Tradition auch dazu bei, dass ein derartiges Geschick sogar als Strafe interpretiert wurde, wie 1Kön 13,46LXX und TestSim 2,11-14 zeigen. Weiterhin ist von Interesse, inwiefern in der Geschichte politische Implikationen mitschwingen. So spricht die Erwähnung der Herodianer in V. 6 (vgl. 12,13) durchaus dafür, auch wenn die Vorstellung einer festen Gruppe Fragen aufwirft. Herodianer hätten wohl kein großes Interesse an einem Sabbatkonflikt gehabt. Doch kann der Konflikt auch als ein Autoritätskonflikt begriffen werden, insofern Jesu Auftreten als eine Gefährdung des Anspruchs der Mächtigen verstanden wurde. Darüber hinaus kann die strikte Gegenüberstellung des Tötens und der Lebens250
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rettung im Jesuslogion V. 4 eine politische Bedeutungsnuance besitzen. Denn die Frage der Selbstverteidigung am Sabbat – d. h. auch des Tötens im Krieg – war ein großes Problem z.Zt. des Makkabäer-Aufstandes. Ließen sich die Frommen zunächst niedermetzeln, so stellt der Beschluss zur Selbstverteidigung am Sabbat (1Makk 2,29-48, bes. 41; Flav. Jos. Ant. 12,272-277) nach diesem Trauma eine wichtige und politisch höchst bedeutsame Entscheidung dar.
Traditions- und religionsgeschichtlicher Hintergrund Der Erzählplot setzt voraus, dass eine Heilung erfolgt ist. Diese wird primär mit der besonderen Autorität Jesu in Verbindung gebracht, wobei sich Jesu Verständnis des Sabbats nicht mit der Auslegung seiner Gegner in Einklang bringen lässt. Doch bleibt eine gewisse Ambivalenz und Deutungsbedürftigkeit der Aussagen Jesu bestehen, die in den Verständniskontext ihrer jüdischen Umwelt eingepasst werden müssen. Das Jubiläenbuch (Kap. 2 und 50) und Texte aus der Qumranbibliothek bieten die striktesten Aussagen zur Sabbatobservanz im frühen Judentum (vgl. CD 10,14-11,18 – bes. 11,13 f.16 f.; 4Q265 6,5-7). Der Bruch des Sabbats galt dabei zwar als ein todeswürdiges Vergehen (Ex 31,15; vgl. Jub 2,25.27; 50,8.12), doch wird über den Vollzug von Strafen auch in den Qumrantexten nichts berichtet. Am Sabbat soll man laut der Damaskusschrift z. B. nicht dem Vieh nachgehen, um es zu weiden, auch nicht Geburtshilfe leisten, ja nicht einmal einen Menschen, der in eine Zisterne fällt, soll man mit einer Leiter, einem Strick oder einem Gerät heraufholen. Denn dazu müsste man ja ein Hilfsmittel tragen bzw. holen. Nur die Kleider am eigenen Leib dürfen als Kletterhilfe verwendet werden (vgl. CD 11,16 f. mit 4Q265 6,6 f.; Döring 2008, 230). Zwar wird in CD damit ein Unterschied zwischen menschlichem und tierischem Leben gemacht, doch knüpfen die Texte Hilfeleistungen an enge Grenzen und die Gesetzesauslegung (Halakha) beginnt hier, kasuistische Züge anzunehmen. Von Heilungen sprechen diese Texte allerdings nicht, was ihre Vergleichbarkeit begrenzt. Jedoch zeigt sich, dass es frühjüdische Gruppen gab, welche lebensrettende Maßnahmen am Sabbat strikt regulierten, und dass keineswegs überall galt, dass Lebensgefahr das Sabbatgebot verdrängt. Hier unterscheidet sich die Qumrangemeinschaft, die ihre Ethik aus ihren priesterlichen Wurzeln speist, deutlich von den Pharisäern und den u. a. aus diesen hervorgegangenen Rabbinen, die meist sehr viel pragmatischer an ihre Entscheidungsfindung gingen. Erst bei den Rabbinen gibt es erheblich weitergehende Diskussionen. Ihnen ist primär daran gelegen, den biblischen Text – v. a. der Tora – so auszulegen, dass Tatbestände präzisiert und mögliche Ausnahmeregelungen festgelegt werden. Obwohl dies primär darauf angelegt ist, einen Sabbatbruch zu verhindern, scheute man sich nicht, gegenüber der biblischen Tradition erweiterte Regelungen zu treffen und konträre Meinungen festzuhalten. Für die Rabbinen steht dabei fest, dass Lebensgefahr das Sabbatgebot verdrängt und dass bestimmte Handlungen zur Rettung und Heilung möglich sind. So heißt es z. B. in mJoma 8,6: »Und weiter sagt Rabbi Matja ben Harash: Wer Halsschmerzen hat, dem ˙ darf man auch am Sabbat Medizin geben, weil er [möglicherweise] in Lebensgefahr ist, und jede Lebensgefahr bricht den Sabbat«. Weitere Regelungen finden sich z. B. in mShab
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2,5; 14,3 f.; 18,3; 19,1.5; 22,6; tShab 15[16],17 (vgl. Theißen/Merz 2001, 327-329; Doering 1999, 449). Auch wenn Heilungen am Sabbat nicht vor den Rabbinen thematisiert werden, lässt deren Sicht den Konflikt noch akuter erscheinen. Denn es ist deutlich, dass bei Jesu Heilungen nie Lebensgefahr für den Kranken bestand, weshalb aus rabbinischer bzw. pharisäischer Sicht sein Eingreifen am Sabbat keineswegs gerechtfertigt war. Deshalb erscheinen jedoch verschiedene Bemühungen, diesen Konflikt zu mildern, wenig überzeugend. Weder lassen sich Jesu Heilungen von dieser Konzession her verständlich machen (Dietzfelbinger 1978, 289), noch kann man sie so umdeuten, dass sie zu den magischen Praktiken – wie dem Flüstern über gefährlichen Dingen (z. B. tShab 7[8],23) – gerechnet werden können, welche die Rabbinen sogar am Sabbat erlaubten. Zudem zeigen sich die Rabbinen oft nur dort kulant, wo es sich um einen Mitnahmeeffekt einer alltäglichen Handlung handelt, nicht aber wenn ein Heileffekt bewusst angestrebt wird (Doering 2008, 232-234). Der Konflikt lässt sich auch nicht dadurch beheben, dass Heilungen nicht unter die 39 Handlungen fallen, die am Sabbat explizit verboten sind (mShab 7,2), oder dass man die Auffassung vertritt, es habe gar keine allgemein anerkannte Sabbat-Halakha gegeben, die Wunderheilungen verboten hätte (vgl. Mayer-Haas 2005, 212 f.; s. dazu auch Doering 1999, 449; ders. 2008, 232). Richtig dürfte vielmehr sein, dass der Konflikt gar nicht primär am Sabbatgebot hängt, sondern sehr viel grundsätzlicher die charismatische Vollmacht Jesu betrifft, die freilich im Konfliktpunkt Heilung am Sabbat fassbar wird. Insofern genügt keine Ausnahmeregelung, sondern Jesus vertritt ein grundsätzlich anderes Sabbatverständnis als seine Gegner (vgl. Dietzfelbinger 1978, 290). Eine letzte Möglichkeit, den Konflikt zu entschärfen, wird mitunter auch darin gesehen, die Authentizität der Szene und insbesondere des Logions zu bestreiten (vgl. Kahl 1998; s. auch Mayer-Haas 2005). Dies kann jedoch nicht pauschal geschehen. Viel spricht nämlich dafür, dass weder Jesu Heilungen am Sabbat erfunden wurden, noch dass die Konflikte (s. auch Lk 13,10-17; 14,1-6; Joh 5 [bes. 9b-18]; 7,22 f.; 9 [bes. 14-17]) fingiert sind. Da zudem keine Sabbatheilung aus der Gemeinde berichtet wird, ist eine nachträgliche Bildung wenig überzeugend (vgl. Doering 2008, 219). Zwar heißt das keineswegs, dass die Darstellung in Mk 3,1-5 historisch authentisch ist, sie bildet aber eine historische Wirklichkeit ab, denn es geht um einen typischen Aspekt, der Anhalt im Wirken Jesu hat und Anlass zu Auseinandersetzungen gab (vgl. Becker 1996, 373; Doering 1999, 443-445). Am ehesten steht man noch mit dem Logion auf historischem Grund (so eine Vielzahl von Exegetinnen und Exegeten, s. bes. Doering 1999, 450.453 f.; ders. 2008, 231 f.; anders Mayer-Haas 2005, 206 f.). Formal wie sachlich besteht eine Nähe zu dem ebenfalls grundsätzlich und nicht christologisch argumentierenden Wort in Mk 2,27.
Verstehensangebote und Deutungshorizonte Die Sabbatkonflikte stellen im Leben des geschichtlichen Jesus keine Quantité négligeable dar, sondern rücken in einer historisch-theologischen Perspektive in den Fokus des Interesses. Jesus hat zwar sicher den Sabbat geachtet, doch ist die Tradition glaubwürdig, dass er am Sabbat Heilungen vollzog und darin das Sabbatgebot aus der Sicht seiner Gegner 252
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übertrat. Die beiden Sabbatlogia in Mk 2,27 und 3,4 können hier zur weiteren Klärung beitragen. Das Wort in Mk 2,27: »Der Sabbat ist um des Menschen willen gemacht und nicht der Mensch um des Sabbats willen« unterscheidet sich von anderen jüdischen Argumentationen darin, dass nicht kasuistisch argumentiert wird, sondern grundsätzlich auf der Basis der Schöpfungsordnung. Dies übersteigt auch andere konzessive Äußerungen seitens der Rabbinen (vgl. MekhEx 31,13) bei Weitem (vgl. Becker 1996, 374 f.; Dietzfelbinger 1978, 295 f.). Dennoch erfährt es erst durch den Kontext eine Deutung in Richtung auf eine grundsätzliche Ablehnung des Sabbats, den es ursprünglich wohl nicht hatte. Es geht Jesus nicht um die generelle Nicht-Einhaltung des Sabbatgebots oder um eine Emanzipation vom Sabbat selbst (vgl. Becker 1996, 375), sondern um die Wiederherstellung der Schöpfung mit der Wunder-Kraft der ankommenden Königsherrschaft Gottes. Das Wort in Mk 3,4: »Ist es erlaubt, am Sabbat Gutes zu tun oder Böses, Leben zu retten oder zu töten?« ist dagegen schwerer zu verstehen – zum einen aufgrund seiner scheinbar kasuistischen Formulierung, die aber bereits in der Eröffnung einer Alternative jede Kasuistik aufbricht (vgl. Lohse 1973, 68 f.), und zum anderen aufgrund der Heilungsproblematik, die Jesu charismatische Autorität mit in die Argumentation einbezieht. Die Geschichte selbst wirkt stilisiert und deutet an, dass Jesus nicht nur ausnahmsweise am Sabbat geheilt hat. Die Argumentation gewinnt dadurch an Schärfe, dass dem Gutes-Tun bzw. der Lebensrettung nicht die Unterlassung, sondern dass BösesTun und Töten gegenübergestellt wird. Der Punkt, auf den es jedoch ankommt, ist, dass einer religiösen Sinnentleerung des Sabbats am Ende der Tage ein »neuer« Sinn gegenübergestellt wird. Dies korrespondiert gut mit Mk 2,27, da dort der Mensch und kein religiöser Selbstzweck in den Mittelpunkt des Sabbats gestellt wird. Der Sinn der Äußerung ist freilich nicht einfach Humanismus. Denn der Mensch ist nur deshalb im Mittelpunkt, weil Gott den Sabbat für den Menschen gemacht hat. Diese Struktur »Gott für den Menschen« scheint diesbezüglich der theologische Kern im Denken Jesu zu sein (vgl. Dietzfelbinger 1978, 296). Die Provokation ist in Mk 3,4 jedoch eindeutig größer, da gängige Sabbatpraxis in eine Reihe mit »Böses-tun« (vgl. Jes 56,2) und sogar dem »Töten« gestellt wird. Es kommt ein radikales Ethos zum Ausdruck, das die detaillierten Ausnahmeregelungen kritisiert, da sie das Wesentliche übergehen. Dies lässt sich gut in die Jesusüberlieferung einzeichnen (vgl. z. B. die Antithesen der Bergpredigt; Dietzfelbinger 1978, 288). Dennoch bleibt die Frage, warum Jesus am Sabbat heilt, obwohl dies angesichts der üblicherweise mit der Sabbatobservanz verbundenen Heils- und Erwählungserwartungen sehr provokant erscheinen musste. Hier wird man nochmals Mk 2,27 bemühen müssen. Einem jetzigen Usus wird dort ein ursprünglicher Sinn gegenübergestellt. Israel erblickte diesen seit alters im segnenden Ruhen Gottes nach seinen Schöpfungswerken. Sollte nicht von hierher auch angesichts der leidenden Kreatur eine Verbindungslinie zum Auftreten Jesu, seinem Denken, seiner Verkündigung und seinen Taten gezogen werden können? Denn, wenn der Hauptinhalt der Verkündigung die unmittelbare Nähe der Gottesherrschaft ist und wenn deren Nähe in seinen Exorzismen greifbar wird (Lk 11,20 par.), warum sollten dann nicht auch die Sabbatheilungen sinnfällig und zeichenhaft auf den bevorstehenden Akt eschatologischer Zurechtbringung und Heilung der geschundenen Kreatur hinweisen? Zwar kann das in V. 5 für das Heilungsgeschehen verwendete Verb ⁄pokaqfflsthmi (apokathiste¯mi – wiederherstellen) nicht schlechthin im Sinne 253
Die Wundererzählungen im Markusevangelium
eschatologischer Wiederherstellung interpretiert werden – es kommt auch in anderen, medizinischen und nicht eschatologischen Kontexten vor (vgl. TestSim 2,13) –, doch ist es ebenfalls mit der Vorstellung des endzeitlichen Wirkens des Elia verknüpft (vgl. Mk 9,12; s. auch 8,25 sowie Mal 3,23LXX). Insgesamt kann Jesu Handeln zwar nicht im Sinne eines königlichen oder priesterlichen messianischen Verständnisses interpretiert werden, doch existieren prophetische Salbungs- und Vollmachtstraditionen (vgl. 4Q521, dazu Becker 2007), die ein prophetisches Verständnis unterstützen. Hier spiegelt sich insofern die besondere Gestalt des »messianischen« Selbstbewusstseins Jesu, denn es geht um die Selbstdurchsetzung Gottes und seines ursprünglichen Willens, den Jesus als dessen Liebe zum Menschen (Gott für den Menschen) in unvergleichlicher Weise neu artikuliert und zum Ausdruck bringt (Dietzfelbinger 1978, 297). Warum, so könnte man schließlich noch anders fragen, sollte die Nähe der Gottesherrschaft, die sich in den Heilungen Jesu andeutet, gerade vom Sabbat ausgeklammert werden, der nach jüdischem Verständnis der Tag schlechthin ist, der für ein solches Geschehen prädestiniert erscheint. Insofern sind die Sabbatheilungen integraler Bestandteil der Mission Jesu und sie haben als zeichenhafte Handlungen Anteil an deren apokalyptisch-eschatologischem Charakter (vgl. Becker 1996, 376-378; Doering 1999, 455-457; ders. 2008, 236-241). In einer sozialgeschichtlichen Auslegungsperspektive hinterlässt der markinische Text im Blick auf den Kranken ein unbefriedigendes Gefühl. Denn es geht nicht um eine Krankenakte, in der ein Befund notiert wird, oder um Krankenhausdrill, bei dem man den Heilplan akkurat zu befolgen hat, sondern um ein sehr persönliches Schicksal. Dies zeigt sich darin, dass sich Jesus gerade dieses Kranken annimmt und ihm am Sabbat heilt. Bereits die früheste Auslegungstradition hat hier ein Defizit im Blick auf die markinische Darstellung gesehen, denn sie versucht, dessen Geschick transparenter werden zu lassen. Während Markus soziale Implikationen des Krankheitsbildes nicht einmal andeutet, gehen Lukas und das EvNaz in unterschiedlicher Weise darauf ein. So ergänzt Lukas, dass es sich um die rechte Hand handelt (Lk 6,6), und das EvNaz gibt sogar den Maurer-Beruf des Kranken an (EvNaz 4), um damit das sich durch die Erkrankung stellende soziale Problem hervorzuheben (vgl. dazu Frey in diesem Band). Dass an der markinischen Stilisierung derartige Korrekturen angebracht wurden, aber auch das Factum, dass die Schuldfrage im Blick auf den Kranken vollkommen ausgeklammert wird, sind Aspekte, die der frühchristlichen Tradition offenbar wichtig waren. Jesu Heilen durchbrach nämlich einen Zirkel, bei dem die Kranken zuvor allzu oft alleine gelassen wurden. Auch das Schweigen der Gegner ist hier bezeichnend, denn es bringt nicht nur ihre Hilflosigkeit gegenüber der Argumentation Jesu zum Ausdruck, sondern auch die gegenüber dem Kranken. Insgesamt macht dieser Zug nicht nur die spröde Darstellung bei Markus bunter, sondern er entspricht dem Anliegen Jesu, das hinter den Sabbatheilungen noch zu erkennen ist. Der weitere Verlauf der Geschichte zeigt zudem, dass die Wundergeschichten im Blick auf die Krankenpflege enorm wirksam geworden sind. Die Emotionen Jesu in V. 5 sind auf psychologische Implikationen hin nicht auswertbar, da es sich hierbei um traditionelle Ausdrucksformen handelt. Sie sind biblisch vorgeprägt und deuten Jesus im Sinne göttlicher Emotionalität (Derrett 1984, 178 f.). Hier zeigt sich, wie notwendig es ist, formale Strukturen traditionsgeprägter Narrativität zu beachten, da es andernfalls leicht zu Missverständnissen kommen kann (was bereits für Matthäus und Lukas Anlass war, entsprechende Emotionen zu streichen). 254
Feiertagsarbeit? Mk 3,1-6
Eigentümlich ist auch, dass der Kranke in der Geschichte emotional gar nicht vorkommt, selbst wenn es nicht an Versuchen fehlt, die Erkrankung psychologisch zu deuten, indem man sie mit hysterischen oder neurotischen Diagnosen in Verbindung bringt (Derrett 1984, 171-174). Das Fehlen scheint auch hier der Aussageintention geschuldet zu sein. Insofern tritt bei Markus eine Reflexion über den Kranken und sein Verhalten hinter den – v. a. im Gestus der ausgestreckten Hand – in der Tradition bereitgestellten Symbolgehalt zurück (Derrett 1984). Erst dort beginnt der Text zu sprechen, was jedoch entsprechend hörfähige Rezipienten voraussetzt. Bürstet man den Text daher einmal gegen den Strich, so bleiben noch die Gegner und der Umgang mit ihnen übrig. Sie sind ursprünglich unbestimmt und ihr Vorwurf ist wenig konkret. Ihre Identifikation mit Pharisäern ist zwar durchaus plausibel (vgl. Doering 1999, 447 f.), doch ordnet man die Gegner damit nur in eine Schublade ein, die ihre Maße primär aus dem Konflikt mit der frühen Christenheit erhält. Aus psychologischer Sicht lässt sich gegen die markinische Marginalisierung der Gegner freilich einwenden, dass hier eine gefährliche Isolierung erfolgt, wenn sie ohnmächtig schweigen und sich dies konsequent in einer Überreaktion zu entladen scheint. Bedenkt man nämlich das sich mit der Sabbatobservanz stellende Problem von einem kognitiv-psychologischen Ansatz her, der Religion als den Aufbau einer gedeuteten Welt begreift (vgl. Theißen 1993, bes. 38-49), so kann der Konflikt verständlicher werden. Denn es stehen sich zwei Deutungsansätze des Sabbats gegenüber, die beide dort ihre Stärke haben, wo sie die Dynamik der Entwicklung der Frage nach der Sabbatobservanz und die Antizipation des erwarteten Heils in ihre Auslegung einbeziehen. Umgekehrt werden beide dort problematisch, wo diese Dynamik in einem System von dogmatischen Aussagen zu erstarren beginnt, was meist mit dem Abbruch eines kritischen Dialogs einhergeht. Insofern ist aus jesuanischer Sicht nicht die Toraübertretung die entscheidende »kognitive Dissonanz«, die es zu minimieren gilt, sondern der gesamte Schöpfungszustand und v. a. das Leiden der Kreatur. Die hier sichtbar werdende Dynamik stellt eine massive Störung des traditionellen Gleichgewichts dar, bei der subjektiv die Autorität der Tora in Frage gestellt scheint, da nicht mehr der Gesetzesgehorsam, sondern eine eschatologisch motivierte Umkehr das Movens ausmacht. Neben den Heilungen stellt Jesu praktizierte Vergebung daher eine wichtige Veränderung in Richtung seines durch charismatische und auch mythische Aspekte gekennzeichneten Ansatzes dar, der flexibler auf die Nöte der Menschen einzugehen vermag. Insofern ist auch die Neubewertung der Kranken von großer Bedeutung. Einerseits treten einzelne Kranke in den Fokus des Interesses und andererseits sind sie nicht mehr Sünder, die zu Recht ihre Strafe erfahren, sondern heilbare und heilenswerte Menschen.
Aspekte der Parallelüberlieferung und Wirkungsgeschichte Die zuvor angesprochene Stilisierung des Textes zeigt sich nicht nur in der Sparsamkeit der Informationen über den Kranken und die Heilung, sondern auch in der Dominanz der Auseinandersetzung um die Heilungstätigkeit Jesu, die in V. 6 mit dem Tötungsbeschluss kulminiert. Es verwundert daher kaum, wenn gerade an dieser Stelle die anderen Synoptiker (Lk 6,6-11 und Mt 12,9-14) eigene Wege gehen, welche durch Ergänzun255
Die Wundererzählungen im Markusevangelium
gen und Erläuterungen, die z. T. weit über stilistische Korrekturen hinausreichen, Probleme der markinischen Darstellung zu umgehen suchen. Lukas identifiziert u. a. die Gegner von Beginn an als »Schriftgelehrte und Pharisäer«, die zudem an keinem Einzelfall, sondern der Regel (Streichung des a'tn [auton – ihn = den Kranken] aus Mk 3,2) interessiert sind. Weiterhin stellt er das Vorherwissen ihrer Gedanken dem Logion voran und macht daraus eine explizite Frage. Schließlich streicht er das Schweigen der Gegner wie deren und Jesu Seelenzustand und mildert den Tötungsbeschluss dadurch ab, dass die Gegner voll von Unverstand sind. Durch all diese Maßnahmen wird aus dem Sabbatkonflikt sehr viel deutlicher als bei Markus ein Wunder zur Demonstration der Herrschaft des Menschensohns (vgl. Busse 1979, 135-141; s. auch Bovon 2012, 271-277; Klumbies 1989). Matthäus dagegen verändert die Erzählung grundlegend, wobei er besonders das provokative, aber schwer verständliche Jesuslogion kürzt und zu einer Frage der Gegner macht, die Jesus dann durch ein Beispiel beantwortet (vgl. Lk 14,5). Mit dem Schluss a minore ad maius im Blick auf den Wert eines Menschenlebens entspricht dies der zeitgenössischen halakhischen Diskussion (vgl. CD 11,13 f.16 f.; 4Q265 6,5-7; tShab 14,3; bShab 128b; Doering 1997, 264-273; ders. 1999, 457-462), auch wenn damit der besondere Charakter dieses Jesuslogions ganz verloren geht (vgl. Starnitzke in diesem Band; s. auch Luz 2007, 236-242).
Michael Becker Literatur zur Weiterlesen M. Becker, Die »messianische Apokalypse« 4Q521 und der Interpretationsrahmen der Taten Jesu, in: J. Frey/M. Becker (Hg.), Apokalyptik und Qumran (Einblicke 10), Paderborn 2007, 237-303. C. Dietzfelbinger, Vom Sinn der Sabbatheilungen Jesu, EvTh 38 (1978), 281-298. L. Doering, Schabbat. Sabbathalacha und -praxis im antiken Judentum und Urchristentum, TSAJ 78, Tübingen 1999. Ders., Much Ado about Nothing? Jesus’ Sabbath Healings and their Halakhic Implications Revisited, in: ders./H.-G. Waubke/F. Wilk (Hg.), Judaistik und neutestamentliche Wissenschaft. Standorte – Grenzen – Beziehungen, FRLANT 226, Göttingen 2008, 217-241. W. Kahl, Ist es erlaubt, am Sabbat Leben zu retten oder zu töten? (Marc. 3:4). Lebensbewahrung am Sabbat im Kontext der Schriften vom Toten Meer und der Mischna, NT 40 (1998), 313-335. A. J. Mayer-Haas, »Geschenk aus Gottes Schatzkammer« (bSchab 10b). Jesus und der Sabbat im Spiegel der neutestamentlichen Schriften, NTA.NF 43, Münster 2003, bes. 192-216. K. Queller, »Stretch Out Your Hand!« Echo and Metalepsis in Mark’s Sabbath Healing Controversy, JBL 129 (2010), 737-758.
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Glaube in Seenot (Die Stillung des Sturms) Mk 4,35-41 (Lk 8,22-25) (35) An jenem Tag, als es Abend geworden war, sagt er zu ihnen: »Lasst uns zum jenseitigen Ufer hinüberfahren.« (36) Da ließen sie die Menge gehen und nehmen ihn, wie er war, im Boot mit. Auch andere Boote waren bei ihm. (37) Auf einmal erhebt sich ein heftiger Sturmwind, die Wellen warfen sich aufs Boot, so dass sich das Boot zusehends mit Wasser füllte. (38) Er selbst aber war im hinteren Teil des Schiffes auf dem Kopfkissen und schlief. Also wecken sie ihn und sagen zu ihm: »Lehrer, kümmert es dich nicht, dass wir umkommen?« (39) Da richtete er sich auf, befahl dem Wind und sprach zum See: »Schweig, gib Ruhe!« Und der Wind legte sich, und es trat völlige Stille ein. (40) Zu ihnen aber sagte er: »Warum seid ihr feige? Habt ihr noch keinen Glauben?« (41) Und da ergriff sie große Furcht, und sie sagten zueinander: »Wer ist dieser nur, dass ihm selbst der Wind und die See gehorchen?«
Sprachlich-narratologische Analyse Die Erzählung von der Stillung des Seesturms schließt unmittelbar an die vorangegangene Gleichnisrede Jesu (Mk 4,1-34) an und eröffnet – mit der Heilung des Besessenen von Gerasa (Mk 5,1-20), der blutflüssigen Frau (Mk 5,25-34) und der Auferweckung der Tochter des Jaïrus (Mk 5,21-24.35-43) – eine Reihe von vier Wundergeschichten, die räumlich mit Blick auf den See Gennesaret verbunden sind (Mk 4,35; 5,1.21). Kompositorisch lässt sich die Wundererzählung in vier Sequenzen untergliedern. Auf die Einleitung (Mk 4,35 f.) und die Schilderung der Situation (Mk 4,37 f.) folgt das eigentliche Wunder (Mk 4,39), das durch die eintretende Stille sogleich sinnlich wahrnehmbar wird und an das sich – mit der Frage Jesu und der Verunsicherung der Jünger – eine zweifache Reaktion (Mk 4,40 f.) anschließt. In der Forschungsgeschichte wurde die Erzählung verschiedenen Gattungen zugeordnet und als Exorzismus (Grundmann 1989, 137), Rettungswundererzählung (Theißen 1998, 107-111; Meier 1994, 928 f.), Naturwunder (Schmithals 1970, 56) oder Epiphaniegeschichte (Kertelge 1970, 93) verstanden. Jede Klassifikation hat etwas für sich, fängt entscheidende Aussagemomente ein und ergibt sich jeweils aus der besonderen Akzentuierung der Rolle einer der drei interagierenden Personen bzw. Gruppen: Jesus rettet die Jünger, indem er die dämonischen Naturmächte besiegt. Im Vorstellungskontext des Alten Testaments tut er damit, was allein JHWH vorbehalten war (vgl. Ps 65,8; 107,23-31), und lässt so seine gottgleiche Macht epiphan werden. Mit dem einleitenden Hinweis auf den Abend des Tages (Mk 4,35) fasst Markus das Reden und Tun Jesu zu einer festgefügten Einheit in einem prototypischen Tag zusammen. Die Verbindung zwischen Wort und Tat macht auch das Boot deutlich, das als 257
Die Wundererzählungen im Markusevangelium
bisheriger Ort der Lehre (Mk 4,1) nun zum Ort des Geschehens wird und in dem sich Jesus und die Jünger gemeinsam befinden (Mk 4,36). Die einbrechende Dunkelheit stellt die mehrere Stunden dauernde Überfahrt an das östliche Seeufer vor eine bedrohliche Kulisse und macht den einsetzenden Sturm umso beängstigender und die Lage der Jünger umso verzweifelter. Der Sturm bricht unvermittelt los (Mk 4,37) und wird anschaulich im Stil eines Augenzeugenberichts geschildert. Die verwendeten Verben und Zeitformen regen die Vorstellungskraft an und lassen die Darstellung sehr lebendig wirken. Das Präsens versetzt den Leser in die Gleichzeitigkeit des Sturms (gfflnetai ginetai – entstehen) und in das sich zusehends (ˇdh e¯de¯) mit Wasser füllende Boot, das in der passivischen Formulierung (gemfflzesqai gemizesthai – voll werden) als reiner Spielball der Fluten erscheint. Das Imperfekt ¥pffballen (epeballen – sie warfen sich) verleiht dem bedrohlichen Rhythmus und der andauernden Kraft der wieder und wieder auf das Boot schlagenden Wellen auch formal Ausdruck. Der Kontrast zu diesem Untergangsszenario könnte größer nicht sein: Während der Sturm selbst erfahrene Fischer in Todesangst versetzt, schläft Jesus bequem – das soll wohl der eigens gesetzte Hinweis auf das Kopfkissen deutlich machen – und von all dem unberührt im hinteren Teil des Schiffes (Mk 4,38). Die Formulierung (als coniugatio periphrastica a't@ Æn kaqeÐdwn autos e¯n katheudo¯n – er selbst schlief) mag dabei sogar auf »einen länger andauernden Zustand« hinweisen (Lindemann 2009, 73). Der Schlaf ist das Kontrastbild zur Angst der Jünger, die ums nackte Überleben kämpfen. Ihre Furcht äußert sich in ihrer vorwurfsvollen Frage (Mk 4,38), ob Jesus kein Interesse an ihrem Schicksal zeige. Die Frage ist Appell und Hilferuf, denn mit dem Gebrauch der Negation o' (ou) statt mffi (me¯) erwarten die Jünger eine positive Antwort (Meier 1994, 926) und fordern Jesus damit eigentlich zum Eingreifen auf. Jesus reagiert unmittelbar auf die Anrede der Jünger (Mk 4,39) und richtet sich auf (diegerqeffl@ diegertheis). Die veränderte Körperhaltung verleiht der Wunderhandlung auch den entsprechenden physischen Ausdruck. Ist die Erzählung sonst durchwegs im Präsens historicum bzw. im Imperfekt gehalten, stehen der Befehl Jesu und die Schilderung der Folgen im Aorist, der die Entschiedenheit des Wirkens und die Unabänderlichkeit des Ereignisses unterstreicht. Die verwendeten Verben für den zweifachen Befehl gehören zum sprachlich typischen Repertoire der Exorzismen Jesu (vgl. Mk 1,25; 3,12; 9,25): Wind und See sind dämonische Personifikationen der Elementarmächte, die durch das Wort Jesu bezwungen werden. Die markante Schlussformulierung fasst die erfolgte Wunderhandlung zusammen: An die Stelle des heftigen Sturmwinds (la…lav meg€lh ⁄nffmou lailaps megale¯ anemou) tritt völlige Stille (galffinh meg€lh gale¯ne¯ megale¯). Erst nachdem die Gefahr gebannt ist, wendet sich Jesus an die Jünger und hinterfragt ihre ängstliche Haltung. Das Adjektiv deil@ (deilos) lässt verschiedene Übersetzungsnuancen zu. Abgeleitet von dffo@ (deos – Furcht) kann damit die Todesangst, die Verzagtheit oder – gerade in der Sicht Jesu – auch die Feigheit der Jünger bezeichnet werden. Mit der zweiten Frage führt Jesus die Aufregung der Jünger auf den ihnen immer noch fehlenden Glauben zurück (Mk 4,40). Das Adverb opw (oupo¯ – noch nicht) nimmt auf den bisherigen Verlauf des Markusevangeliums Bezug: Nach allem, was die Jünger von Jesus schon gehört und gesehen haben, fehlt ihnen immer noch der Glaube. Nach dem großen Sturm und der großen Stille ergreift die Jünger am Ende große Furcht (Mk 4,41). Der See liegt ruhig. Die Jünger sind aufgewühlt. Ihre Reaktion ist typischer 258
Glaube in Seenot Mk 4,35-41
Teil der theologischen Gebärdensprache des Markusevangeliums. Im furchtsamen Erstaunen und Erschrecken (als figura etymologica ¥fobffiqhsan fbon mffgan ephobe¯the¯san phobon megan) spiegelt sich die Größe des transzendenten Geschehens. Die Erzählung klingt offen in der Frage nach der Identität Jesu aus, die – deutlich durch das Imperfekt ˛legon (elegon – er sagte) – schon im Lauf des Evangeliums nicht so schnell verstummt und durch die im zeitlosen Präsens gehaltene Bestätigung der Wunderhandlung (¢pakoÐei hypakouei – er gehorcht) auch in die jeweilige Jetztzeit der Adressaten hineinreicht. Wie die Jünger sind nun der Leser und die Leserin auf der Suche nach Antworten und auf den weiteren Verlauf des Evangeliums verwiesen.
Sozial- und realgeschichtlicher Kontext Die Erzählung vom Seesturm knüpft an die natürlichen Gegebenheiten des Sees Gennesaret an. Der See liegt gut 200 Meter unter dem Meeresspiegel in einem tiefen Becken am nördlichen Ende des Jordantals. An der westlichen und östlichen Längsseite wird er von Bergen – den Ausläufern des Libanon-Gebirges und den syrischen Höhenzügen – flankiert, die »wie gleichmäßig hohe Wände« (Dalman 1967, 129) nah am Ufer aufragen. Gerade nach warmen Tagen, wie die Zeitangabe in Vers 35 voraussetzt, kann der Wind vom galiläischen Hochland in den Talkessel einbrechen, sich als Fallwind zum See hin beschleunigen und über der 170 Quadratkilometer großen Wasserfläche mit geringen Reibungsverlusten ausbreiten. Unversehens und kraftvoll peitscht dann der Wind die Wellen des sonst ruhigen, aber bis zu 40 Meter tiefen Gewässers bedrohlich auf. Setzt man mit Mk 2,1 und Mk 5,1 eine Überquerung des Sees vom westlichen ans östliche Ufer voraus und veranschlagt dafür die maximale Breite des Sees von etwa 12 Kilometern, erscheint die Schilderung nicht unrealistisch: Ein plötzlich einsetzender Sturm, der auch ein Anschwimmen gegen die Wellen unmöglich macht, kann das vom rettenden Ufer bereits weit entfernte Fischerboot in ernsthafte Schwierigkeiten bringen. Eine Vorstellung von der Größe und Beschaffenheit des in der Erzählung vorausgesetzten Boots vermittelt ein Zufallsfund aus dem Jahr 1986. Nahe dem Kibbuz Ginnosar an der Nordwestseite des Sees Gennesaret wurden im Uferschlamm die Reste eines etwa 2000 Jahre alten Holzboots entdeckt (Riesner 1986, 135-137). Bei einer Höhe von 1,2 Metern, einer Breite von 2,3 Metern und einer Länge von 8,2 Metern dürfte das Boot etwa 15 Personen Platz geboten haben und mit zwei Paar Rudern, einem Steuerruder und einem Segel ausgestattet gewesen sein (Eckey 2006, 385; Wachsmann 1988, 31 f.). Der für den Aufenthaltsort Jesu im Boot verwendete Begriff prÐmna (prymna) bezeichnet zunächst einmal nur den hinteren Teil des Schiffs. Um eine bessere Sicht für den Steuermann zu ermöglichen und die Nutzfläche des Boots zu vergrößern, konnte die Heckplattform erhöht sein. Womöglich setzt die Erzählung den relativ geschützten Raum unter einem solchen Heckpodest voraus, der sich zur Lagerung von Gütern oder für Ruhezwecke nutzen ließ (Wachsmann 1988, 33). Das im Text – zumal durch den Gebrauch des Artikels – eigens hervorgehobene Kissen (t proskef€laion to proskephalaion) dürfte dabei nicht das Sitzkissen des Steuermanns, sondern das üblicherweise zum Ausruhen mitgeführte Kopfkissen bezeichnen.
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Die Wundererzählungen im Markusevangelium
Traditions- und religionsgeschichtlicher Hintergrund Über die Bootsfahrt, den plötzlich auftretenden Sturm, die wunderbare Rettung aus Wind und Wellen und die Bedrohlichkeit des Wassers ist Mk 4,35-41 mit dem breiten Strom griechisch-römischer wie alttestamentlich-frühjüdischer Rettungswundererzählungen motivisch verbunden. Eine direkte literarische Abhängigkeit lässt sich – trotz aller energischen Versuche – kaum wahrscheinlich machen. Doch auch ohne unmittelbar prägende Einflussnahme der einzelnen Traditionen kann ein Blick auf die Ähnlichkeiten und Unterschiede den besonderen Aussagewillen der Seesturmerzählung im Markusevangelium profilieren. Mancherorts wird in der hellenistisch-kaiserzeitlichen Literatur die Bewahrung in Seenot mit dem Erscheinen einer Gottheit – den Dioskuren (Hom. Hym. 33,8-17; Luc. nav. 9), dem Asklepios (Ael. Arist. or. 42,10) oder dem ägyptischen Gott Sarapis (Ael. Arist. or. 45,29.33) – verbunden (Pesch 1984a, 274) und damit als Transzendenzerfahrung beschrieben. Die Herrschaft über die Fluten des Meeres und der Mut gegenüber der stürmischen See gehören zur Fama politischer oder charismatischer Persönlichkeiten. So berichtet Cicero (Cic. Pomp. 48), dass den Vorhaben und Absichten von Pompeius »nicht nur die Bürger zustimmten, die Bundesgenossen Folge leisteten, die Feinde Gehör schenkten, sondern sogar Wind und Stürme günstig waren (etiam venti tempestatesque obsecundarint)«. Marcus Annaeus Lucanus (Ann. Luc. bell. civ. 5,508-677) und Dio Cassius (41,46,1-4) erwähnen jeweils eine Episode aus dem Leben von Julius Caesar, der sich selbstbewusst der bedrohlichen See stellen konnte, weil das Schicksal ihn und die gesamte Besatzung schützte. Mitten im Sturm fordert Caesar den furchtsamen Steuermann selbstbewusst zur Weiterfahrt auf: »Hab Mut, denn Du führst Caesar an Bord!« (Dio Cass. 41,46,3). Ähnlich soll Apollonius von Tyana mächtiger gewesen sein als der Sturm (Philostr. vit. ap. 4,13.15). Die Erzählungen unterstreichen den Wagemut, die Furchtlosigkeit oder die besondere Weisheit der einzelnen Personen und adeln rückblickend ihr Lebenswerk. In der Verfügungsgewalt über das widerstrebende Element Wasser spiegelt sich die besondere Gunst der Götter, die – wenn nicht der Person selbst wegen schon vorhanden – durch Bitten, Gebete, Beschwörungen oder sogar Menschenopfer erreicht werden konnte (vgl. Hdt. 7,191). Auch im alttestamentlich-jüdischen Traditionskontext erscheint das Meer als Chaosmacht: gewaltsam, unberechenbar und vom Menschen nicht zu beherrschen. Dahinter verbirgt sich die Erfahrung der zerstörerischen Naturgewalt, die dem guten Schöpfungswillen Gottes entgegensteht und mit widergöttlichen Mächten in Verbindung gebracht wird (Jes 27,1; Ps 74,13 f.; äthHen 60,7; 69,22). Nicht von ungefähr steigt in der so tief im alttestamentlichen Motivkosmos verwurzelten Offenbarung des Johannes ein Gott lästerndes Tier aus dem Meer (Offb 13,1). Am Ende steht die Erlösungsvision von der Vernichtung des Meeres (Offb 21,1). Das Meer ist Bild für den Feind (Ps 124,1-5), die Bedrohung des Lebens (Ps 32,6), die menschliche Hilflosigkeit oder den Tod (1QH 6,2224). Es ist hoheitliches Merkmal Gottes, über Wasser und Sturm zu gebieten und daraus zu retten (Jes 43,2; Ps 18,17 f.; 46,3 f.; 74,15; 89,10; 104,6-9; Hi 26,12; 38,8-11). Wenn Abraham Stille anstelle von Sturm bewirken kann, dann ist dies für Philo (congr. 93) Ausdruck der Macht Gottes. Der Talmud (jBer 9,13b) erzählt, dass ein jüdisches Kind zu JHWH betet, der daraufhin eine heidnische Schiffsbesatzung aus Seenot rettet. Nicht der Mensch, sondern Gott besitzt die Herrschaft über die stürmische See. Entsprechend 260
Glaube in Seenot Mk 4,35-41
wertet 2Makk 9,8 das Ansinnen Antiochus IV., den Wogen des Meeres gebieten zu wollen, als maßlose Arroganz. Wenn Pompeius trachtet, Herr über Erde und Meer zu sein, erkennt PsSal 2,29 darin die Gottvergessenheit des Herrschers. Vor diesem Hintergrund erschließt sich der profilierte Aussagewille von Mk 4,35-41: Wenn Jesus dem Wind befiehlt und die See zur Ruhe kommen lässt, dann tut er, was in einem alttestamentlichfrühjüdischen Verständnishorizont Gott vorbehalten war. In Jesu Wirken wird Gott epiphan (Pesch 1984a, 279). Gerade dies ist der markante Unterschied zur Jonaerzählung (Jon 1,1-16), die wegen der zweifellos vorhandenen ähnlichen Motive als direkte literarische Vorlage zur Seesturmerzählung begriffen wurde. Hier wie dort versetzt ein plötzlich auftretender Sturm (Jon 1,4 / Mk 4,37) die Seeleute in Angst (Jon 1,5 / Mk 4,38). Jona schläft im Inneren des Schiffes und muss erst geweckt werden (Jon 1,5 f. / Mk 4,38). Die wunderbare Rettung (Jon 1,15 / Mk 4,39) löst große Furcht bei den Betrachtern aus (Jon 1,16 / Mk 4,41). Dennoch wiegen die Unterschiede zu schwer, als dass von einer einfachen Jona-Typologie die Rede sein könnte. Der Sturm ist Folge der Flucht Jonas und eine Maßnahme Gottes gegen die Verweigerungshaltung des Propheten, während die Initiative zur Überquerung des Sees bewusst von Jesus ausgeht (Mk 4,35). Lassen sich der Rückzug und Schlaf Jonas als Verstärkungsmotive seiner Abwendung und Flucht verstehen, unterstreicht der Schlaf Jesu seine vom Sturm unberührte Souveränität. Das Wunder resultiert in Jon 1,14 aus der Hinwendung der Mannschaft zu JHWH im Gebet und dem Einlenken Jonas, der sich bereitwillig ins Meer werfen lässt (Jon 1,12.15). Dagegen bringt in Mk 4,39 Jesu Wort die Wende. Er wirkt das Wunder. Er ist nicht nur das Medium der Wirkmächtigkeit Gottes. Er steht im Zentrum der Erzählung, weil ihm der Wind und die See gehorchen. Damit wird eine soteriologische Grundaussage der alttestamentlichen Enzyklopädie Gottes auf Jesus übertragen, um die zentrale Frage nach seiner Identität zu beantworten.
Verstehensangebote und Deutungshorizonte Mit der besonderen Gewichtung der Person Jesu, der Rolle und Haltung der Jünger im Boot oder des offenen Symbolgehalts der Bilder von Sturm und Wellengang eröffnen sich unterschiedliche Interpretationshorizonte. Die Deutungsmöglichkeiten ergänzen sich wechselseitig und erschließen das vorhandene christologische, ekklesiologische und auch tiefenpsychologische Aussagepotential der Wundergeschichte. Die als Bekenntnis formulierte Schlussfrage fordert geradezu zur Auseinandersetzung mit der Person Jesu und zur christologischen Deutung des Wunders auf (Söding 1987, 445). Aus dem Staunen über das Wunder resultiert die Frage nach der Bedeutung des Wundertäters. Die Wundererzählung kommt dort an ihr Ziel, wo sie als Illustration des christologischen Anspruchs Jesu verstanden wird. Sie setzt das urchristliche Bekenntnis zu Jesus ins Bild. Anders als Caesar in seiner – letztlich doch scheiternden – Hybris (Plut. Caes. 38; Dio Cass. 41,46,4) beherrscht Jesus die Chaosmächte und rettet aus dem drohenden Untergang. Hier unterscheidet sich die Erzählung in ihrem christologischen Interesse von den antiken Sturmstillungstraditionen. Jesus ist kein vom Schicksal verwöhnter Held oder ein Sensationen wirkender Thaumaturg, dem Respekt oder Staunen oder politische Anerkennung gebühren (Strelan 2000, 178 f.). Das Wunder und seine Deutung fordern zur existentiellen Bindung auf: »Habt ihr noch keinen Glauben?« (Mk 261
Die Wundererzählungen im Markusevangelium
4,40). Die Erzählung nimmt den Leser an die Hand und führt ihn immer weiter in den Offenbarungsverlauf des Markusevangeliums hinein und immer entschiedener an die Frage heran, wer Jesus ist (Stein 2008, 246). Die hier gegebene Antwort nimmt schon vorweg, dass er mehr ist als Jona (vgl. Pesch 1984a, 269), als Johannes, als Elija oder sonst einer der Propheten (Mk 8,28). Ihm gehorchen Wind und See, d. h. im alttestamentlichen Motivkosmos: Hier ist kein anderer als Gott selbst am Werk. Ein ekklesiologisches Verständnis der Erzählung setzt beim Motiv des Boots an. Schon in einer dem Stammvater Naftali zugeschriebenen Vision aus der frühjüdisch-hellenistischen Literatur steht das »Schiff Jakobs« für das in Bedrängnis geratene Volk Israel (TestNaph 6,1-10). Tertullian (bapt. 12) versteht das Boot, in dem sich Jesus mit seinen Jüngern befindet, als Sinnbild für die Kirche, die sich durch die Fluten der Welt bewegt und im Gebet an den Herrn wendet. Im Boot kondensiert sich das Selbstverständnis der christlichen Gemeinde. Sie weiß sich um Jesus versammelt und von ihm herausgerufen, denn die Initiative zur Fahrt geht auf ihn zurück. Der Weg über das Meer symbolisiert wie im Zeitraffer den Weg der Jüngerschaft, der die Erfahrung der Gottesferne einschließt und die Anfechtung kennt (Kollmann 2011, 99). So kann das Bild des schlafenden Jesus jene irritierende Erfahrung der nachösterlichen Gemeinde oder die schon in den Psalmen betonte Not des Beters (Ps 10,1; 22,2 f.; 44,24 f.; 69,2-4; 102,2 f.) einfangen, dass Gott schweigt und abwesend scheint gerade im Abgrund menschlicher Not. Das Bild von Boot und Überfahrt ist damit offen für die verschiedensten Herausforderungen der Nachfolgegemeinschaft, die sie so plötzlich und peitschend stark wie der Sturm treffen können. Die frühe christliche Gemeinde mag eine Aktualisierungsmöglichkeit der Erzählung in der Tatsache erkannt haben, dass mit der Überfahrt an das östliche Seeufer (Mk 4,35) das Evangelium in dezidiert heidnisches Gebiet aufbricht. Lässt sich aus dem Sturm auch die Orientierungslosigkeit einer Gemeinschaft heraushören, die verunsichert vor dem Schritt in die Völkerwelt steht? Mit Blick auf den glücklichen Ausgang der Geschichte wird das Boot zum Hoffnungsspeicher und illustriert eine zeitlose Botschaft: Die Stabilität einer Gemeinde lässt sich nicht an der Beschaulichkeit der Fahrt erkennen, sondern an ihrer buchstäblichen Verankerung im Wort Jesu. Die Psalmen kleiden die unterschiedlichsten menschlichen Grenzerfahrungen ausdrucksstark ins Bild von Wellen, Wasser und Flut. Eine tiefenpsychologische Deutung der Seesturmerzählung geht von dieser Symbolkraft der Bilder aus. Nacht, Meer und Sturm werden als Chiffre für die Lebenssituation und innere Zerrissenheit des Menschen begriffen (dazu Drewermann 2000, 350-359). Schon in der griechischen Mythologie findet sich die Vorstellung, dass die Nacht aus dem Chaos geboren wurde und ihrerseits den Tod hervorbringt (Hes. theog. 123, 208 f.). Das Bild fängt die allgemein menschliche Erfahrung der besonderen Schutzlosigkeit und Bedrohung des Lebens in der Dunkelheit ein. In der von Finsternis umgebenen Fahrt über das Wasser erkennt der Mensch seine eigene Lebensreise. Mit an Bord sind die Furcht, die Machtlosigkeit gegenüber der ungefragt hereinbrechenden Katastrophe und das Gefühl, ins Bodenlose zu versinken. Das aufgewühlte Meer lässt sich aber auch als Bild für das eigene Herz verstehen: für die Stimmungen, die urplötzlich wechseln, die Abgründe, die sich auftun oder die Depressionen, die alles Handeln lähmen. Auf diesem Hintergrund fragt eine tiefenpsychologische Deutung nach der erlösenden Funktion der Wundererzählung. Gegen die Verdrängung fordert der anklagende Ruf der Jünger auf, die eigene Not nicht zu verstecken, sondern auszusprechen – voreinander und vor Gott. Der Angst der Jünger steht die Ge262
Glaube in Seenot Mk 4,35-41
lassenheit Jesu gegenüber. Der Blick auf ihn soll Vertrauen in einen Untergrund stiften, der trägt, auch wenn alles wankt. Ziel ist, »sich in Gott zu verankern und mitten im ›Sturm‹ das ›Schlafen‹ zu lernen« (Drewermann 2000, 358), denn es gibt Halt. Dem Schiff ist eine sichere Ankunft verheißen.
Aspekte der Parallelüberlieferung und Wirkungsgeschichte Gegenüber der Darstellung des Markusevangeliums zeichnet die Parallelüberlieferung der Seesturmerzählung in Lk 8,22-25 ein hoheitsvolleres Bild Jesu, glättet sprachlich die Markusvorlage und entschärft den vorwurfsvollen Ton des Gesprächs zwischen den Jüngern und ihrem Meister. Lk 8,22-25 (22) An einem jener Tage stieg er mit seinen Jüngern in ein Boot und sagte zu ihnen: »Lasst uns zum jenseitigen Ufer des Sees hinüberfahren.« So fuhren sie ab. (23) Während sie nun segelten, schlief er ein. Da stieß ein Sturmwind auf den See hinab, sie wurden überflutet und gerieten in Gefahr. (24) Sie wandten sich ihm zu, weckten ihn auf und sagten: »Meister, Meister, wir kommen um.« Er richtete sich auf und befahl dem Wind und den Wogen des Wassers. Da hörten sie auf, und es trat Stille ein. (25) Zu ihnen aber sagte er: »Wo ist euer Glaube?« Sie gerieten in Furcht, staunten und sagten zueinander: »Wer ist dieser nur, dass er selbst den Winden und dem Wasser befiehlt, und sie gehorchen ihm?« Die Erzählung steht relativ eigenständig im narrativen Verlauf des Lukasevangeliums. Eine präzise chronologische Einordnung, die im Markusevangelium die theologische Verbindung zwischen Lehre und Wirken Jesu verdeutlichte, fehlt. Lukas strafft die Erzählung und lässt einzelne Details – etwa den Aufenthaltsort Jesu im Heck des Schiffs, das Kopfkissen und den nicht weiter relevanten Hinweis auf die anderen Boote – weg. Der Fokus liegt auf den Jüngern. Über die Darstellung des Markusevangeliums hinaus hebt Lukas die Gefährlichkeit ihrer Lage (Lk 8,23), ihre Hinwendung zu Jesus (Lk 8,24) und ihre staunende Reaktion (Lk 8,25) eigens hervor. Der Schlaf Jesu wird unmittelbar vor dem Einsetzen des Sturms erwähnt und erscheint damit beinah als Grund der Bedrängnis: Der Wind setzt ein und die Not der Jünger beginnt gerade in dem Moment, da sie ihren Meister abwesend wähnen. Die anklagende Frage der Jünger in Mk 4,38 wird in der lukanischen Fassung zu einem bittenden Ausruf. Mit der Anrede Lehrer (did€skale didaskale) knüpft Markus an die vorausgegangene Schilderung der Lehre Jesu an. Die zweifache Anrede Meister (¥pist€ta epistata), die im Lukasevangelium ausschließlich von den Jüngern und meist im Kontext von Wundern gebraucht wird (Lk 5,5; 8,45; 9,33.49; 17,13), betont demgegenüber stärker die Autorität und die Verantwortung Jesu innerhalb der Jüngergruppe. Lukas gibt das Wunder selbst nicht als wörtliche Rede Jesu wieder. Die indirekte Schilderung der Wunderhandlung betont umso mehr die erhabene Macht Jesu, der ohne den doppelten Gebrauch eines Bannworts (Mk 4,39) mühelos Wind und Wellen gebietet. Die Zeichnung der Jünger ist positiver als in Mk 4,40 f. Ihnen fehlt der Glaube nicht generell, aber im Moment der Not versinkt er buchstäblich in den 263
Die Wundererzählungen im Markusevangelium
Fluten. Der Sturm wird zu einer Bewährungsprobe des Glaubens (Lk 8,25). Neben der Furcht ergreift die Jünger Staunen. In dieser ehrfurchtsvollen Reaktion auf das Geschehen deutet sich stärker als in Mk 4,41 schon eine Ahnung von der Identität Jesu an. Die spätere Wirkungsgeschichte der Seesturmerzählung ist zweifellos von der ekklesiologischen Deutung des Wunders bestimmt. Der Vergleich der Kirche mit einem Schiff gehört zum Grundrepertoire ekklesialer Metaphorik. Das Bild steht Pate für den architektonischen Begriff Kirchenschiff. Der Bau in Form eines Schiffskörpers und die Bezeichnung spiegeln das Selbstverständnis der christlichen Gemeinde wider, die sich auf ihrem Weg durch die Zeit um den Herrn versammelt weiß. Einen musikalischen Ausdruck erhält die ekklesiologische Interpretation etwa im Kirchenlied von Martin Gotthard Schneider »Ein Schiff, das sich Gemeinde nennt, fährt durch das Meer der Zeit« (EG 609) aus dem Jahr 1962. In der christlichen Sepulkralkunst findet Mk 4,35-41 bereits früh auch eine auf den einzelnen Gläubigen bezogene Interpretation. Auf einer Grabplatte der Calixtuskatakombe in Rom symbolisiert das Schiff die Lebensreise des Verstorbenen in den ewigen Hafen. Stellvertretend für die vielen Beispiele aus der bildenden Kunst sei auf das Gemälde von Rembrandt »Christus im Sturm auf dem See Gennesaret« aus dem Jahr 1633 und eine Miniaturmalerei aus dem Hitda-Codex verwiesen.
Abb. 5: Sturm auf dem Meer (Hitda-Codex, um 1020)
Das Boot – klein wie eine Nussschale – wird überragt vom Mast, der die Form eines Kreuzes hat. Die Stillung des Sturms und die Offenbarung am Kreuz ergänzen und erschließen sich – gut markinisch – wechselseitig. Damit ist in Szene gesetzt, was die Stundenliturgie der Kartage nach dem Hymnus Crux fidelis von Venantius Fortunatus (Ende 6. Jh. n. Chr.) vom Kreuz sagt: »Du, die Planke, die uns rettet aus dem Schiffbruch dieser Welt«. Das Bild gibt damit eine Antwort auf die offen gebliebene Frage der Jünger am Ende der Wundererzählung. Diese offene Frage bleibt der wirkungsgeschichtliche und 264
Glaube in Seenot Mk 4,35-41
stets aktuelle Anker für den Leser in der Geschichte. Sie öffnet die Bilderwelt des Wunders für den Betrachter und ruft erneut zur Antwort auf – je stürmischer die See, desto entschiedener.
Hans-Georg Gradl Literatur zum Weiterlesen D. S. du Toit, Der abwesende Herr. Strategien im Markusevangelium zur Bewältigung der Abwesenheit des Auferstandenen, WMANT 111, Neukirchen-Vluyn 2006, 88-96. R. Glöckner, Gott beherrscht die Empörung des Meeres – Jesus stillt den Sturm auf dem See (Mk 4,35-41), in: ders., Neutestamentliche Wundergeschichten und das Lob der Wundertaten Gottes in den Psalmen, Mainz 1983, 60-79. G. Kittel, »Wer ist der?« Markus 4,35-41 und der mehrfache Sinn der Schrift, in: C. Landmesser et al. (Hg.), Jesus Christus als die Mitte der Schrift. Studien zur Hermeneutik des Evangeliums, BZNW 86, Berlin et al. 1997, 519-542. A. Reichert, Zwischen Exegese und Didaktik. Die markinische Erzählung von der Sturmstillung (Mk 4,35-41), ZThK 101 (2004), 489-505. R. Strelan, A Greater Than Caesar. Storm Stories in Lucan and Mark, ZNW 91 (2000), 166-179. I. Wallis, Relating Mark’s »stilling of the Storm« Pericope (Mark 4.35-41) to Discipleship Today. An Experiment in Resurrection Faith, Theol. 111 (2008), 346-351.
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Wessen Medium willst du sein? (Die Heilung des Besessenen von Gerasa) Mk 5,1-20 (EpAp 5,9 f.) (1) Und sie kamen an das Jenseitige (s.c. Ufer) des Meeres in das Land der Gerasener. (2) Und nachdem er aus dem Boot herausgekommen war, sofort empfing ihn aus den Grabmälern ein Mensch in einem unreinen Geist. (3) Der hatte seine Behausung in den Grabstätten. Und sogar mit einer Kette vermochte ihn bisher noch keiner zu binden. (4) Denn oft war er mit Fußfesseln und Ketten gebunden worden, aber die Ketten wurden von ihm zerrissen und die Fußfesseln zerrieben, und niemand hatte die Kraft, ihn zu bändigen. (5) Und ununterbrochen bei Nacht und bei Tag krächzte er in den Grabstätten und auf den Bergen und schlug sich selbst mit Steinen. (6) Und als er Jesus von weitem sah, begann er zu rennen und huldigte ihm. (7) Und er krächzte mit lauter Stimme: »Was habe ich mit dir zu schaffen, Jesus, Sohn des höchsten Gottes? Ich beschwöre dich bei Gott: Quäle mich nicht!« (8) [Jesus] hatte ihm nämlich gesagt: »Komm heraus, du unreiner Geist, aus dem Menschen!« (9) Und er fragte ihn: »Welchen Namen hast du?« Und er sagt ihm: »Legion habe ich als Name, denn wir sind viele.« (10) Und er bat ihn vielmals, dass er sie nicht außerhalb des Landes verlege. (11) Es war aber dort bei dem Berg eine große Schweineherde beim Weiden. (12) Da baten sie ihn: »Ordne uns ab in die Schweine, damit wir in sie hineinfahren!« (13) Und er gab ihnen die entsprechende Order. Und die unreinen Geister kamen heraus und fuhren in die Schweine hinein, und der Trupp stürmte im Gleichschritt den Abhang hinab – in das Meer, so um die 2000, und sie ersoffen im Meer. (14) Und die sie weideten, ergriffen die Flucht und gaben Bericht in die Stadt und in die Höfe. Und es kamen die Leute, um zu sehen, was geschehen war. (15) Und sie kommen zu Jesus und betrachten den Besessenen, wie er dasitzt, mit einem Mantel bekleidet und besonnen, den, der die Legion gehabt hat. Und Furcht ergriff sie. (16) Und es erzählten ihnen diejenigen, die gesehen hatten, wie es mit dem Besessenen geschah – und die Sache mit den Schweinen. (17) Und da begannen sie, ihn zu bitten, aus ihren Gebieten wegzugehen. (18) Und als er ins Boot stieg, bat ihn der, der besessen gewesen war, dass er zusammen mit ihm sein dürfe. (19) Und er ließ ihn nicht, sondern sagt ihm: »Mach dich auf in dein Haus und zu den Deinen und berichte ihnen alles, was der Herr dir getan hat und sich deiner erbarmt hat.« (20) Und er ging weg und begann, in der Dekapolis zu verkünden, was ihm Jesus alles getan hat. Und alle ergriff Staunen.
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Wessen Medium willst du sein? Mk 5,1-20
Sprachlich-narratologische Analyse Die Erzählung vom so genannten Gerasener, der im Text als »Mensch in einem unreinen Geist« vorgestellt wird, ist eingebunden in die Wundergeschichtenreihe, die in Mk 4,35 mit der Sturmstillung beginnt und in Mk 6,56 mit einem Summarium endet. Topographisch handelt es sich um einen »Ausreißer« ans »andere Ufer«. Das wird in Mk 4,35 als Ziel angekündigt (»lasst uns an das Jenseitige gehen«) und in Mk 5,1, dem Beginn unserer Einheit, erreicht (»und sie kamen an das Jenseitige«, jeweils mit e§@ t pffran eis to peran). In Mk 5,21 kommt Jesus »wieder« zurück: »Und nachdem Jesus hinübergefahren war wieder an das Jenseitige« (e§@ t pffran eis to peran). Gemäß der theologischen Landkarte des Markusevangeliums wird am »anderen Ufer« die heidnische Welt lokalisiert; in unserer Erzählung sofort an der Schweineherde erkennbar, die dort weidet (Mk 5,11). Der kurze Ausreißer, bei dem nur für Jesus erzählt wird, dass er aus dem Boot ausund wieder einsteigt (V. 2.18), während die Jünger offensichtlich im Boot sitzen bleiben, steht unter einem denkbar schlechten Omen (bei der Überfahrt wäre beinahe die ganze Mannschaft untergegangen: Mk 4,38) und wird tatsächlich auch abrupt gestoppt (Jesus wird des Landes verwiesen: Mk 5,17). Trotzdem bleibt er nicht ohne Folgen. Als Jesus nämlich zum zweiten Mal in die Gegend der Dekapolis kommt (Mk 7,31), kennt man ihn und erhofft von ihm Hilfe: Man bringt einen Taubstummen zu ihm, damit er ihm die Hand auflegt (Mk 7,32). In der Logik des Erzähltextes muss das mit dem Gerasener zusammenhängen, den Jesus bei seinem ersten Aufenthalt von den Dämonen befreit hat. Von ihm heißt es nämlich in Mk 5,20, dass er in der Dekapolis verkündet (khrÐssein ke¯ryssein) habe, was Jesus ihm getan hat. Dazu jedoch konnte es nur kommen, weil Jesus – scheinbar völlig unbarmherzig – dessen Bitte abschlug, »zusammen mit ihm sein zu dürfen« (Mk 5,18), was im Kontext konkret bedeutet: mit ihm ins Boot zu steigen, wo die Jünger (noch immer) sitzen, und sich mit Jesus aus dem Staub zu machen. Aufgrund dieser Abweisung jedoch tut der Gerasener, was laut Mk 3,14 einmal das Kennzeichen all derjenigen ausmachen soll, die Jesus ausgewählt hat, »damit sie zusammen mit ihm seien«, nämlich: »damit er sie aussende zum Verkündigen (khrÐssein ke¯ryssein)«. Allerdings: Lange bevor Jesus diesen zweiten Schritt der Aussendung zur Verkündigung in die Tat umsetzt (Mk 6,7.12), hat der Gerasener – in der Chronologie des Markusevangeliums gelesen – wegen oder trotz seiner Abweisung ihn ohne Beauftragung bereits durchgeführt. Und dabei ist er auch noch ungehorsam, und zwar auf der ganzen Linie: Jesus trägt ihm auf, »in sein Haus und zu den Seinen zu gehen und ihnen zu berichten, was der Herr ihm getan hat« (Mk 5,19). Der Gerasener jedoch geht in die (ganze) Dekapolis und verkündigt (khrÐssein ke¯ryssein), was Jesus ihm getan hat. Also: Der Gerasener gründet keine Lokalgemeinde, sondern wird Wanderprediger für ein ganzes Territorium. Damit ist er der Promotor einer Filiale von Galiläa in der Dekapolis. Ganz anders als die zur Verkündigung Beauftragten, die es im Erzähltext dann doch nicht tun (vgl. Mk 14,50) und außerdem penetrant unverständig bleiben (vgl. Mk 6,52; 8,17), zeigt er auf Anhieb und ohne jegliche Belehrung theologischen Tiefblick: Für ihn ist »der Herr« niemand anderes als Jesus. Das entspricht 1:1 dem Plan Gottes, wie er im Prophetenwort von Mk 1,2 f. im Evangelium angekündigt wird. Dort sagt Gott zu (seinem Sohn) Jesus: »Siehe, ich sende meinen Boten vor dir her, der dir den Weg bereiten soll. Eine Stimme ruft in der Wüste: Bereitet dem Herrn den Weg!« Von diesem programmatischen Anfang her gelesen, entpuppt sich der Gerasener geradezu als ein zweiter Johannes der Täufer, als 267
Die Wundererzählungen im Markusevangelium
ein Bote, der dem Herrn den Weg bereitet – diesmal in der Dekapolis. Mehr kann man nicht erwarten! Anders gesagt: Die Verkündigungstätigkeit des Geraseners, der eigentlich keine Verkündigungslizenz hat, wird über das Prophetenwort in Mk 1,2 f. von Gott selbst legitimiert (anders Feneberg 2000, 144). Den Einzelzügen der Erzählung kommt man am bestem über eine Personenanalyse auf die Spur. Nach der szenischen Einleitung (V. 1) wird zunächst eine Interaktion zwischen Jesus und dem Gerasener erzählt (V. 2-13), in deren Zentrum ein Dialog steht (V. 7-12), der durch die referierte Erlaubnis in V. 13a inhaltlich abgeschlossen wird. Die Gesprächsteile erinnern stark an den Dialog im ersten Exorzismus des Markusevangeliums (Mk 1,23-26). Auch dort ist es ein »Mensch im unreinen Geist«, der die gleiche Abwehrformel als Dialogeröffnung »krächzt« (Mk 1,24: »Was haben wir mit dir zu tun?«/Mk 5,7: »Was habe ich mit dir zu tun?«) und Jesus mit einem ungewöhnlichen christologischen Titel anspricht (Mk 1,24: »Der Heilige Gottes«/Mk 5,7: »Sohn des höchsten Gottes«). Dient in Mk 1 die Exorzismuserzählung dazu, die Vollmacht der Lehre Jesu (Rahmenthema in V. 22.27) zu illustrieren, so wird in Mk 5 gezeigt, welche Auswirkung Jesu Rede auf den »Menschen im unreinen Geist« hat und wie andere darauf reagieren; genauer: wie davon erzählt wird und wie Menschen wiederum darauf reagieren (V. 14-20). Zum Einzelnen: Dem Dialog vorgeschaltet ist eine Rückblende (V. 3-5), der die Wiederaufnahme des Erzählgeschehens in V. 6 folgt. Die Auswirkung des Dialogs wird in V. 13 erzählt. Der Dialog selbst bringt ans Licht, was es mit dem »Menschen im unreinen Geist« auf sich hat: Man sieht und hört einen – und doch sind es viele (V. 9 f.). Der unreine Geist, in (!) dem der Mensch steckt (Burdon 2004, 162), ist eine ganze Legion! In der Rückblende von V. 3-5 wird also erzählt, was diese Legion mit dem Menschen anstellt: Sie macht ihn ungeheuer stark, so dass niemand ihn überwältigen kann (V. 3 f.); aber sie verursacht auch Autoaggression: Er macht sich kaputt (V. 5). Dass diese Autoaggression von der Geister-Legion hervorgerufen wird, in der der Mensch steckt, zeigt sich im folgenden Geschehen: Kaum hat die Geister-Legion auf Jesu Erlaubnis hin ihren sichtbaren Träger gewechselt, sitzt der Mensch plötzlich ganz besonnen da (V. 15), während die Autoaggression auf die Schweine übertragen wird: Sie stürzen sich in den Tod (V. 13). Der Dialog im Zentrum offenbart also nicht nur, was los ist, sondern er befreit zugleich den Menschen von seinem dämonisch-beherrschenden Ambiente. Die Städter, die in V. 14-17 die Interaktionspartner Jesu bilden, kommen verdeckt bereits im Rückblick V. 3-5 vor: Vergeblich wurde von ihrer Seite aus versucht, die Macht der Legion des »Menschen im unreinen Geist« zu bändigen. Als sie, herbeigerufen von den Schweinehirten (V. 14), den gleichen Menschen in völlig neuer Formation sehen: sitzend, bekleidet und besonnen, ohne Ketten, aber gebändigt, ergreift sie eine unspezifische göttliche Ahnung – wie in der vorausgehenden Perikope die Jünger im Boot (Mk 4,41): Sie fürchteten sich (V. 15). Als sie jedoch die Erzählung der Schweinehirten hören, bitten sie (parakalffw parakaleo¯) Jesus, das Land zu verlassen (V. 16 f.). Spiegelbildlich dazu verhält sich die Schlussszene mit Jesus und dem Gerasener (V. 18-20). Sie beginnt mit einer Bitte (V. 18: parakalffw parakaleo¯) – sie wird dem Gerasener abgeschlagen – und endet mit einer Erzählung: der Verkündigung des Geraseners in der Dekapolis. In diesem Fall kommen die Hörer zum Staunen. Sie wundern sich (qaum€zw thaumazo¯) über dessen Wundergeschichte (V. 20). Alles kommt also aufs Erzählen an! Obwohl die Reaktionen auf das Erzählte in den 268
Wessen Medium willst du sein? Mk 5,1-20
beiden Schlussszenen V. 14-17.18-20 konträr ausfallen, sind die Konditionen strukturell völlig gleich: Die Erzähler sind Augenzeugen, die Adressaten stammen aus der gleichen Gegend (die Hörer der Schweinehirten wohl aus der Stadt Gerasa, die Hörer des Geraseners wohl aus anderen Städten der Dekapolis) und sehen den vom Geschehenen Betroffenen jeweils mit eigenen Augen. Und doch reagieren sie konträr. An den Städtern jedenfalls wird gezeigt, dass die unbestimmte religiöse Ahnung erst durch die Erzählung der Schweinehirten zu einer definitiven Stellungnahme zu Jesus führt. Alles kommt aufs Erzählen an! Jesus hat zwar die Dämonen im Griff, nicht aber das, was über ihn erzählt wird – weder bei den Schweinehirten, noch beim Gerasener: Obwohl er eine klare Vorgabe bekommt, hält er sich – zum Glück! – nicht daran. Im Unterschied zum ersten Exorzismus in Mk 1 liegt der Schwerpunkt dieser zweiten Exorzismuserzählung auf der Skizzierung einer konträren Wirkungsgeschichte. In ein darauf bezogenes Aktantenschema gebracht ergibt sich: Augenzeugen (Schweinehirten/ Gerasener) erzählen am Geschehen nicht beteiligten Adressaten (Städter/Dekapolis) vom gleichen Ereignis (Heilung eines Besessenen). In einem Fall kommt es zur Ablehnung und Ausweisung Jesu, im anderen Fall zum Staunen. Diese im Erzähltext vorliegende Aktantenstruktur spiegelt die Adressatensituation des Evangeliums: Auch sie hören »nur« Erzählungen über Jesus, und das nicht einmal von Augenzeugen, sondern von Erzählern, die Erzähltes weitergeben. Und vermutlich hören sie auch unterschiedlich ausgerichtete Erzählungen. Wie sollen sie darauf reagieren? Wie können sie unterscheiden? Welcher Deutung sollen sie Glauben schenken? Aber vielleicht ist es gar nicht so schwer, sofern man der Analyse des Markusevangeliums folgt. Denn dann hat jede Deutung andere Konsequenzen. Man muss diese Konsequenzen im Blick haben, wenn man sich entscheiden will. Die Erzählung des Geraseners, nennen wir sie fama positiva, fokussiert auf Jesus und den Effekt seiner Handlung für den Gerasener (V. 20). Die Erzählung der Schweinehirten, nennen wir sie fama negativa, rechnet auf: was dem Besessenen geschieht – und die Sache mit den Schweinen (V. 16). In dieser Kombination geht es nicht nur um den Verlust der Schweineherde, sondern um die Geister-Legion, deren Macht man zwar nicht bändigen kann, mit der sich aber sozusagen in »geordneten Verhältnissen« ganz gut leben lässt: hier die Stadt, dort die Geister-Legion, draußen vor der Stadt, wo die Grabmäler sind. Nur das Krächzen des »Menschen im unreinen Geist« erinnert an die GeisterLegion vor der Stadt. Durch das Eingreifen Jesu hat sie sich selbst liquidiert. Der ehemals Besessene könnte in der Stadt Aufnahme finden. Die Verhältnisse müssten neu geordnet werden. Das wollen die Städter nicht. Besser: Die Schweinehirten beeinflussen durch ihre Erzählung die Städter, dass sie lieber Jesus ausweisen, als dass sie die Machtverhältnisse neu ordnen. Dass die Sache mit der Geister-Legion und den damit implizierten Machtverhältnissen auf sehr reale Hintergründe anspielt, kann auch der unbedarfte moderne Leser des Markusevangeliums erkennen, ohne dass er historische Wissensbestände nachschlagen muss. Er muss nur im Evangelium weiterlesen: Denn von einer Huldigung/Proskynese (V. 6) ist im Markusevangelium nur noch ein einziges weiteres Mal die Rede: als Spottgeste der römischen Soldaten gegenüber dem zum Tod verurteilten Jesus (Mk 15,19). Die zeitgeschichtliche Analyse wird diese Spur erhärten.
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Die Wundererzählungen im Markusevangelium
Sozial- und realgeschichtlicher Kontext »Legion« – der Name sagt alles. Im 1. Jh. n. Chr. gibt es im Mittelmeerraum wohl niemanden, der dabei nicht an die römische Truppeneinheit denkt, deren Größe für die Kaiserzeit mit etwa 5000 Mann angegeben wird (10 Kohorten zu je 480 Mann, die sich jeweils aus 6 Zenturien zu jeweils 80 Mann zusammensetzen: Gilliver 2003, 25). Legionen sind die Eroberungsmaschinen der römischen Herrschaft. Sind die Länder erst einmal unterworfen und unter Steuerpflicht gebracht, dann garantieren sie die so genannte pax Romana. Anders gesagt: Sie stehen als Drohkulisse überall einsatzbereit, wo es brennt (im 1. Jh. n. Chr. z. B. an der Parthergrenze in der Euphratregion Nordsyriens) und sorgen im Notfall für Ruhe und Ordnung. Die Bevölkerung muss für die Versorgung aufkommen und Transportmittel zur Verfügung stellen. Die Legionen leben vom Land und seinen Erträgen. Insofern reagiert unser Legion-Dämon völlig gattungsgemäß, wenn er Jesus darum bittet, nicht außer Landes verlegt zu werden. Einen »normalen« Dämon kümmert das Land nicht, er braucht ein biologisches Wirtstier, das unsere DämonenTruppe dann auch sofort erspäht: die Schweineherde. Und es gehört zu den besonders amüsanten Erzählzügen unseres Textes, dass im Zusammenhang mit diesem »Umzug« Vokabeln ausgewählt werden, deren Obertöne militärische Operationen imaginieren lassen (in der Übersetzung kursiviert). Dabei erscheint Jesus in der Rolle des Oberbefehlshabers (er gibt eine Order – ¥pitrffpein epitrepein bzw. ihm obliegt es, eine Legion zu verlegen – ⁄postffllein apostellein) und der Legion-Dämon als Truppe, die im Gleichschritt Richtung Abhang stürmt (¡rm”n horman). Dabei lassen sich entsprechende Belege insbesondere auch in Spättexten des Alten Testaments (2/4Makk) sowie bei Philo und Josephus finden (Derrett 1979, 5). Dass es ausgerechnet Borstentiere sind, auf die es der Legion-Dämon abgesehen hat, macht vermutlich einen besonderen Clou der Erzählung aus: Denn der Eber war eines der Wappentiere der legio X Fretensis, die spätestens 14 n. Chr. nach Syrien verlegt wurde, unter dem Oberbefehl des späteren Kaisers Vespasian an der Niederschlagung des Jüdischen Aufstands beteiligt war, unter seinem Sohn Titus Jerusalem belagert und nach dessen Fall dort als Ordnungsgarant ihr Hauptquartier bezogen hat (Dabrowa 1993, 11-21). Der Legion-Dämon verkörpert sozusagen in den neuen Wirtstieren sein eigenes Identifikationsmerkmal. Denn Feldzeichen haben nicht nur taktische Funktionen als Orientierungshilfen während des Kampfes, sondern auch hohen symbolischen Stellenwert und Repräsentationscharakter. So hat Augustus die Rückgabe der an die Parther verlorenen Feldzeichen 22 v. Chr. propagandistisch als Startsignal für das Goldene Zeitalter stilisiert. Nachdem die Symbole der Feldzeichen nicht nur auf Inschriften und Münzen, sondern auch auf dem Baumaterial einer Legion erscheinen, nämlich als Stempel auf den Ziegelsteinen, fungieren sie gleichzeitig als optischer Platzhalter für die Truppenpräsenz in einer bestimmten Region. Aus der Legionsziegelei in der Nähe Jerusalems sind entsprechend viele Artefakte erhalten (Barag 1967). Außer dem obligatorischen Eber und gelegentlich einem Stier hatte die legio X Fretensis noch weitere Symbole, deren ausgesprochen maritimer Charakter auffällt: Neptun, Kriegsschiff, Delfin. Unter den Fundorten sind Neapolis, Gadara und Samaria-Sebaste, also der weitere Einzugsbereich Palästinas, interessant (Klinghardt 2007, 35-41). Diese ausgesprochen maritime Symbolik hängt mit der ruhmreichen Geschichte der Legion zusammen: Aufgrund ihres erfolgreichen Einsatzes bei den für den späteren Kaiser Augustus entscheidenden Seegefechten 36 v. Chr. im Fretum Siculum, der Meerenge zwischen Italien und 270
Wessen Medium willst du sein? Mk 5,1-20
Sizilien, erhielt sie ihren Namen. Noch 100 Jahre später präsentieren sich die NachfolgerLegionäre mit dieser offensichtlich identitätsstiftenden Symbolik: als siegreiche Eber zu Wasser und zu Land. Mk 5,1-20 erzählt von der geordneten Selbstvernichtung dieser Fretensis-Dämonen-Legion in ihrem ureigensten Element: der See. Sollte man bei »Herde« (⁄gfflh agele¯, V. 13) als Oberton »Truppe von Rekruten« (Derrett 1979, 5) mithören, dann ergibt sich auch noch ein ironischer Unterton: Die sich als »alte Hasen« dünken, sind blutige Anfänger! Was hat die legio X Fretensis mit Gerasa und der Dekapolis zu tun? Im 1. Jh. relativ wenig. Aber auch das hat seinen guten Grund: Der Begriff und die Vorstellung einer »Dekapolis« als eines Zehn-Städte-Verbundes stammt aus dem späten 1. Jh. n. Chr. Das Markusevangelium gehört zu einem der frühesten Belege. Der römische Enzyklopädist Plinius (23/24-79 n. Chr.) zählt folgende Städte auf: Damaskus, Philadelphia, Raphana, Skythopolis, Gadara, Hippos, Dion, Pella, Gelasa [= Gerasa] und Kanatha (Plin. nat. 5,74). Die Auflistungen variieren jedoch, und die Städte können zu unterschiedlichen Zeiten jeweils anderen angrenzenden römischen Provinzen zugeschlagen werden, ohne den Status einer »Dekapolisstadt« zu verlieren. Zu Recht umstritten ist deshalb die Behauptung einer administrativen Sondereinheit der Provinz Syria unter einem ritterlichen Statthalter ab 90 n. Chr. (mit Bezug auf IGRR I 824: Isaac 1998, 313-321; Lichtenberger 2007, 238; skeptisch: Gebhardt 2002, 29). Klar dagegen ist die politische Stoßrichtung, die bei der Bezeichnung »Dekapolis« mitschwingt (Wenning 1994): Diejenigen Städte im Ostjordanland, die Pompeius 63 v. Chr. aus hasmonäischer Oberherrschaft »befreit«, d. h. der von ihm neu gegründeten Provinz Syria unterstellt hat, wehren sich im 1. Jh. erneut gegen jüdische Herrschaftsgelüste; diesmal gegen die erstarkende Macht der Herodianer. Durch Münzprägungen, auf denen sie die Zeitrechnung mit der »Befreiung« durch Pompeius beginnen lassen, erklären sie bewusst ihre Zugehörigkeit zur Provinz Syrien, unterstellen sich also dem römischen Kaiser – und demonstrieren damit gegenüber den Herodianern ihre »Autonomie«. Sie verlagern die internen Machtrangeleien auf eine höhere Ebene: transformiert als Konkurrenzkampf um die Gunst Roms (Ebner 2010, 409-417). Als der von den jüdischen Landesherren unter der Decke gehaltene interne Widerstand gegen Rom innerhalb ihrer eigenen Territorien als Aufstand offen ausbricht, wird das für die Städte des Ostjordanlandes erneut zum Impuls, eindeutig Flagge zu zeigen. Dabei spielen verschiedene Faktoren zusammen: Die Städte des Ostjordanlandes (wie die Städte der Küstenebene) sind aufgrund ihrer wechselhaften Geschichte multiethnisch geprägt. Neben den griechisch sprechenden Syrern leben Juden und Nabatäer bzw. Araber, deren Bevölkerungsanteile z. T. sehr hoch sind. In Zeiten des Aufstandes flammen alte Rivalitäten zwischen Juden und Syrern neu auf und können gleichzeitig als bewusste Parteinahme für Rom plakatiert werden. Dabei gibt es unterschiedliche Konstellationen: Übergriffe der griechischen Bevölkerung auf die jüdische und umgekehrt (Flav. Jos. Bell. 2,457-465.477-479). Aber es gibt auch Juden, die zur griechischen Stadtbevölkerung halten und dann gegen die von außen eindringenden Juden kämpfen. Oder Griechen, die denjenigen Juden, die wegen der prekären Sicherheitssituation die Stadt verlassen wollen, freies Geleit geben bis zu den »Landesgrenzen« (zu jeder Stadt gehört agrarisches Umfeld mit kleineren Dörfern und Höfen; vgl. Mk 5,14). Letzteres ist in Gerasa geschehen (Bell. 2,480). Ersteres in Skythopolis: An der Darstellung des Josephus ist aufschlussreich, dass die Städter trotz des Loyalitätsbekenntnisses der Juden 271
Die Wundererzählungen im Markusevangelium
auf Nummer sicher gehen: »Man wies sie an, sie möchten doch, sofern sie ihre Einmütigkeit bekräftigen und ihre Treue gegenüber den Fremdstämmigen (⁄lloeqne…@ alloethneis) beweisen wollten, mit ihren Familien in den Hain [außerhalb der Stadt] übersiedeln«. Als die heidentreuen Juden jedoch dort von den Städtern, die auch dem Frieden außerhalb der Stadt nicht trauen, nachts umstellt und angegriffen werden, rät der Anführer der Juden zum Selbstmord, tötet seine Familie und sich selbst (Bell. 2,466-476). Wenn im 1. Jh. n. Chr. von »Dekapolis« die Rede ist, dann wird damit einerseits die bewusste Abgrenzung ostjordanischer Städte von herodianisch-jüdischer Oberhoheit zum Ausdruck gebracht und andererseits die klare Loyalitätsbezeugung Rom gegenüber. Ein direktes römisches Engagement in Gerasa lässt sich erst ab 80 n. Chr. nachweisen, eine Truppenpräsenz bleibt auch danach fraglich. Klinghardt (Klinghardt 2007, 37) rechnet mit einer Vexillation (1000 bis 2000 Mann) der legio X Fretensis und könnte damit die Zahlenangabe von »ungefähr 2000« in Mk 5,13 einholen. Lau (Lau 2007) denkt an eine Anspielung auf einen überraschenden militärischen Erfolg am Anfang des Jüdischen Aufstandes; dabei wurden »etwa 2000« Römer niedergemacht, darunter auch Leute aus der legio X Fretensis (Flav. Jos. Bell. 2,499-506); Garroway (Garroway 2009, 62) zweifelt daran, ob normale Zeitgenossen über die präzisen Kopfzahlen römischer Militäreinheiten wirklich Bescheid wussten. Aber das ist für unseren Zusammenhang auch sekundär. In Mk 5 ist ja nicht von der legio X Fretensis an sich die Rede, sondern von deren dämonischer Besatzung. Und die findet in den Köpfen der Menschen statt. Nach antiker Auffassung »besetzen« Dämonen das Schaltzentrum ihres Wirtstiers und übernehmen fortan dessen Steuerung (Ebner 2007, 104-107). Deshalb ist von einem »Menschen in einem unreinen Geist« die Rede. Und deshalb spricht der Dämon auch lateinisch. Ethnologische Studien belegen, dass Besessene die Sprache der Unterdrückermacht sprechen (Theißen 1992b, 70 f.). Konkret: Pompeius hat die Städte des Ostjordanlandes von der jüdischen Oberherrschaft befreit. In Mk 5 befreit Jesus einen von der römischen Besatzung »besetzten« Menschen und wird anschließend von Städtern der Dekapolis »hinausgeworfen« – weil auch sie, ohne sich dessen bewusst zu sein, von der römischen Besatzung gesteuert werden?
Traditions- und religionsgeschichtlicher Hintergrund Die Schilderung des »Menschen im unreinen Geist« in Mk 5,3-5 erinnert auffällig an Jes 65,1-7: In Gärten Schlachtopfer darbringen, in Grabstätten schlafen, das Fleisch von Schweinen essen, auf den Bergen Räucherwerk darbringen und auf den Hügeln Schmähungen gegen Gott ausstoßen, das alles sind hier typische Kennzeichen für Juden, die ihrem Gott den Rücken kehren. Heidnische Opferpraktiken werden übernommen und unreine Orte nicht gemieden. Dass Jes 65,1-7 als literarischer Text eingespielt und assoziiert werden soll, darauf deutet eine terminologische Unebenheit in Mk 5: Für »Grab« steht in V. 2 mnhme…on (mne¯meion), in V. 3.5 dagegen mn»ma (mne¯ma). Von der Wortbedeutung her sind beide Termini gleich. In Jes 65,4 jedoch liest man: ¥n to…@ mnffimasin (en tois mne¯masin – in den Gräbern) – genau wie in Mk 5,3.5, also innerhalb der Rückblende. Außerdem ergänzt die LXX-Fassung von Jes 65,3 beim Thema Opferdarbringung die Adressaten: to…@ daimonffloi@ ˘ o'k ˛stin (tois daimoniois ha ouk estin – den Dämonischen, die nicht existieren). Damit werden die Fremdgötter in die Kategorie der Dämonen gestellt, wie es für die LXX typisch ist. 272
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Viele Markuskommentare gehen – trotz des Verweises auf Jes 65,1-7 – scheinbar selbstverständlich davon aus, dass mit der Darstellung Mk 5,3-5 »das Wesen des Heidentums veranschaulicht werden soll« (Gnilka 2008a, 203) bzw. der Besessene »heidnisches Unwesen« verkörpere (Pesch 1984a, 286); von einem »Besessenen unter den Heiden« (Feneberg 2000, 140) ist die Rede. Die Lesefolie Jes 65,1-7 rät jedoch eher, einen assimilierten Juden zu assoziieren (Dormandy 2000, 335 f.). Das passt auch viel besser zum Duktus der gesamten markinischen Jesusgeschichte, die ihren Helden erst nach der grundsätzlichen Klärung der Reinheitsfragen in Mk 7,1-23 ausdrücklich einer Heidin – 2Ellhnffl@ (Helle¯nis) begegnen lässt, der Syrophönizierin in Mk 7,24-30. Und das passt auch viel besser zur Situation in der Dekapolis während des Römisch-Jüdischen Krieges, wo es tatsächlich Juden gab, die nicht nur mitten unter den griechischsprachigen Syrern lebten, sondern sich den griechisch-paganen Städten so sehr zugehörig fühlten, dass sie im Extremfall gegen ihre eigenen »Brüder« zum Kampf angetreten sind. Wenn sie dann, wie in Skythopolis, doch ausgesondert und vor die Stadt verbannt wurden, dann blieb in verzweifelter Lage kein anderer Ausweg als der Freitod. Und dabei muss bedacht werden, dass all diese Zwangssituationen letztlich ausgelöst worden sind durch den Loyalitätsbezeugungsdruck Rom gegenüber, dessen Legionen zwar nicht vor Ort standen, aber in den Köpfen »spukten«, weil sie jederzeit einsatzbereit waren, sofern sich irgendwo auch nur der leiseste Verdacht auf Aufruhr oder Abfall regte. Die Darstellung des Exorzismus rekurriert in V. 7-9 (in auffälliger Parallelität zu Mk 1,23-26) auf gattungstypische Motive, die generell von der Vorstellung eines Kampfes zwischen Exorzisten und Dämon sowie dessen Überwältigung geprägt sind (Theißen 1998, 94-98): Abwehrformel, Beschwörung, Namenszauber, Apopompe und schließlich Epipompe (V. 12). Angelagert, literarkritisch gesprochen: bei der Weiterschreibung hinzugefügt, sind jedoch Motive, die eine ganz andere Sprache sprechen: Jesus wird empfangen (V. 2: ¢pant”n hypantan), vor ihm wird die Proskynese vollzogen (V. 6) und mit ihm wird verhandelt: Jesus wird um die Gewährung bestimmter Konditionen gebeten (V. 10.12). Das alles sind Motive, die im Zusammenhang mit einem adventus stehen, der feierlichen Einholung eines Statthalters oder Kaisers durch die Stadtbevölkerung: Die Repräsentanten der Stadt ziehen den Vertretern Roms entgegen und machen ihnen ihre Aufwartung (Lehnen 1997). In diesem Zusammenhang nimmt kr€zein (krazein – krächzen V. 7) die determinierte Bedeutung von »akklamieren« an (Chaniotis 2009, 201). Im Kontext von Kriegshandlungen kann der adventus als rituelle Ergebungsgeste eingesetzt werden, die dann gleichzeitig die Basis für Verhandlungen und die Bitte um schonenden Umgang mit der Bevölkerung bietet (vgl. etwa die Darstellung für Tiberias in Flav. Jos. Bell. 3,453-461, wo von proskune…n (proskynein – anbeten) im Rahmen der Vorverhandlungen die Rede ist; von ¢pant”n (hypantan – begegnen) im Blick auf die feierliche Einholung Vespasians unter Akklamationsrufen (weitere Beispiele: Bell. 3,3034: Sepphoris; 4,112-114: Gischala; 7,100-103: Antiochia; Lehnen 1997, 314-316). Auf diesem Hintergrund ergibt sich für den Duktus des Exorzismus in Mk 5: Die Dämonen, also die römische Macht, die das Denken und Handeln der Menschen »besetzt« und steuert, erkennt Jesus sofort als Sieger an und versucht, durch entsprechende rituelle Unterwerfungsgesten mit ihm in Verhandlungen zu treten. In den Horizont apokalyptischer Theologie gestellt, wird hier narrativ entfaltet, was die Grundübersetzung Jesu ausgemacht hat: Der Himmelskampf zwischen Gott und Satan ist bereits entschieden. Der Anführer der Dämonen, Satan, ist im Himmel 273
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bereits besiegt. Er ist gestürzt (vgl. Lk 10,18 und dazu nur: Theobald 2005). Zeitversetzt wird sich diese Niederlage auf Erden wiederholen – und zwar im Sturz der »kleinen Dämonen«, die man sich seit makkabäischer Zeit wie die militärischen Heere der Fremdherrschaft ebenfalls in Schlachtreihen gegliedert vorstellt (Maier 1976, 631). Sie haben ihren Rückhalt und ihre Führung im Himmel verloren. Die himmlische »Bindung« des Satans als Voraussetzung für die irdische »Ausraubung seiner Gefäße« wird in Mk 3,27 definitorisch auf den Punkt gebracht: »Niemand kann in das Haus des Starken hineingehen und seine Gefäße plündern, wenn er (1) nicht zuerst den Starken gebunden hat; (2) und dann wird er auch sein Haus ausplündern.« Die »Bindung« wird in der »Versuchungsperikope« Mk 1,12 f. als Sieg Jesu über den Satan dargestellt (Ebner 2007, 8692). Der zweite Akt des Anbruchs der Gottesherrschaft wird in Mk 5,2-13 narrativ entfaltet. Das »Ausrauben« wird als Selbstvernichtung dargestellt, die der »Sieger« Jesus lediglich noch erlauben muss: Die in ihrem Wappentier personifizierte Legion der römischen Besatzungsgeister stürmt geordnet – aber führungslos – in den Abgrund.
Verstehensangebote und Deutungshorizonte Drei Perspektiven sollen angedeutet werden: Die sozialgeschichtliche Auslegung von Mk 5,1-20 im Kontext von »Dekapolis-Erfahrungen« während des Römisch-Jüdischen Krieges propagiert eine Handlungsalternative zur zwanghaften Demonstration der RomLoyalität, die in der schwierigen multiethnischen Gemengelage der Dekapolis (und vermutlich auch der markinischen Gemeinde irgendwo im Römischen Reich) um der eigenen Sicherheit und des Friedens willen zu Absonderungen (Juden hier, Griechen dort) und Abschiebungsmanövern (vgl. V. 17) führen kann. Worüber sich die Menschen »wundern«, wenn ihnen der Gerasener alles erzählt, was Jesus ihm getan hat, ist dann schlicht und einfach: dass Jesus als Sohn des höchsten Gottes von diesem Besatzungsmachtdruck befreien kann. Besser: Die Besatzungsgeister selbst bezeugen in der Erzählung, dass bereits ein anderer das Sagen hat. Insofern hinken die Städter mit der Ausweisung Jesu, mit der sie Romtreue zeigen wollen, der Entwicklung hinterher. Die neue Königsherrschaft fasst bereits Fuß (V. 20) – durch eine »peaceful infiltration« (Garroway 2009; Dormandy 2000, 336; Lau 2007, 362-364). Wer im Markusevangelium weiterliest, stößt spätestens im Wegteil (Mk 8,27-10,52) auf die entscheidende konstruktive Gestaltungsalternative zur demonstrativen Romtreue: nämlich an den Strukturen einer Gegengesellschaft mitzubauen, wie sie in Mk 10,42-44 auf den Punkt gebracht werden. Im Horizont dieser Auslegung wird in Mk 5,1-20 die präsentische Eschatologie Jesu als Gemeindetheologie weitergeschrieben – und zwar eingezeichnet in konkrete gesellschaftspolitische Konflikte. Allzu leicht ausgesprochene und deshalb farblos gewordene Theologumena wie »Christus als Universalherrscher«, »Heilserfahrung« oder eben auch »präsentische Eschatologie« werden in die (historisch verankerte) Alltagsrealität zurückgeholt – und damit auch übertragbar für andere Zeiten. Die Deutung von Mk 5,1-20 als Missionslegende im Sinn des Beginns der christlichen Mission auf heidnischem Boden (Pesch 1972; Annen 1976) muss korrigiert – und neu fortgeschrieben werden: Auf der Folie von Jes 65,1-7 ist die Identifikationsfigur von Mk 5,1-20 ein assimilierter Jude, der in die Wirren der Mühlen zwischen Loyalität zu der Stadt, in der er lebt, und der Loyalität zu den eigenen Glaubensbrüdern gerät und aus 274
Wessen Medium willst du sein? Mk 5,1-20
dieser Zwangslage befreit wird, indem die Vision eines Zusammenlebens unter neuen Rahmenbedingungen in Aussicht gestellt wird. Die entscheidende Frage, die durch den narrativen Aufbau der Erzählung ins Zentrum rückt, ist deshalb: Für welche Seite lässt du dich als Medium gebrauchen? Verkündest du die Gesellschaftsvision Jesu und lässt dich davon anstecken (Gerasener)? Oder bleibst du ein Sprachrohr der jeweils herrschenden Großmacht samt der von ihr vorgeschriebenen Gesellschaftsordnung, deren Hauptkriterium für Anerkennung und Größe – so jedenfalls für das Imperium Romanum – Loyalität und Treue zum System sind? Dann gehörst du zu den Schweinehirten! Die tiefenpsychologische Deutung, wie sie Eugen Drewermann vorgeschlagen hat (Drewermann 2000, 360-365), hat inzwischen Schulbuchcharakter und bleibt attraktiv: der Gerasener als Paradigma einer gespaltenen Persönlichkeit, die unter innerer Zerrissenheit leidet und schizoid-paranoide Vorstellungen zeigt: Ich – das sind viele (vgl. Mk 5,9). Oder im Originalton: »Mein Ich – das ist ein Haufen von Komplexen (die Mutterbindung, die sexuelle Gehemmtheit, die oralen Schuldgefühle, die Riesenerwartungen und Ohnmachtsgefühle, der Vaterhaß und die kleinkindliche Sehnsucht nach Geborgenheit etc.), die alle irgendwie zusammenhängen und eine unheimliche Einheit bilden« (Drewermann 1990, 265). Die im wahrsten Sinne des Wortes therapeutische Hilfe Jesu besteht darin, diesen zerrissenen Menschen zum Eingeständnis seiner unverarbeiteten »Vielheit« zu bringen, ihn dann »die ganze ›Schweinerei‹ eines so zerstörerisch verinnerlichten Unlebens« sich entladen und austoben zu lassen – und zwar ohne die Aufsicht der Schweinehirten, die Drewermann als »die Kontrolle des Überichs« (Drewermann 1990, 269) interpretiert. Die rhetorisch eindrucksvoll ins Wort gesetzte Rede von der Persönlichkeitsspaltung hat tatsächlich Anhalt an unausgeglichenen grammatikalischen Strukturen (V. 10: »… er bat ihn, dass er sie nicht verlege …«) und Termini (V. 9: »Ich habe als Namen ›Legion‹«) im Erzähltext. Allerdings ist in der Perspektive einer historisch verorteten Psychologie nicht die Zerrissenheit bzw. die Spaltung der Persönlichkeit entscheidend, sondern ihr mentales »Total-Besetztsein«. Bei der exorzistischen Therapie geht es nicht eigentlich um das Ausleben von verdrängten Schattenseiten, ohne dass der Schweinehirt als »Überich« eingreifen kann, sondern die »Besatzung« wird regelrecht »abgespalten« und vernichtet (vgl. Mk 5,10-13). Psychotherapeutische Behandlung dagegen zielt gewöhnlich auf die Integrierung abgespaltener Persönlichkeitsteile ab (Merklein 1992, 1034). Die Therapie, die das Markusevangelium vorschlägt, besteht darin, in einen neu strukturierten Lebensraum einzutreten und ihn mitzugestalten. Bei aller Sympathie für die Aspekte, die Drewermanns psychologische Deutung benennen kann, bleibt am Ende doch die Frage stehen, ob der Erzähltext nicht stark zur Veranschaulichung psychotherapeutischer Praxis herhalten muss.
Aspekte der Parallelüberlieferung und Wirkungsgeschichte Jeweils unterschiedlich konturiert aufgenommen wird die Gerasener-Erzählung in Mt 8,28-34 und Lk 8,26-39 (vgl. dazu Vorholt zu Mt 8,28-34 in diesem Band). Innerhalb des Stakkato-Wunderkompendiums in EpAp 5, das 14 »Wunderfälle« in unterschiedlich geraffter Form aneinanderreiht, kommt der Gerasenerstoff im Mittelfeld des Interesses zu stehen: zwischen den Referaten derjenigen Wundererzählungen, in denen die Apostel,
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die fiktiven Autoren der Schrift, ihre eigene Rolle beleuchten können (z. B. blutflüssige Frau) und den eingliedrigen Typenaufzählungen (»die Tauben macht er hören«). EpAp 5 Und der Dämon Legion, den ein Mann hatte, begegnete Jesus, schrie und sagte: »Bevor der Tag unseres Verderbens herangekommen ist, bist du gekommen, um uns zu vertreiben.« Und der Herr Jesus schalt ihn und sprach zu ihm: »Gehe aus diesem Manne heraus, ohne ihm irgend etwas zuzufügen!« Und er ging in die Säue hinein und versenkte sie im Meer, und sie erstickten (Übersetzung nach Müller 2012, 1067). Allerdings interessiert nicht der Gerasener, sondern nur der Dämon namens Legion. Auf Jesu Auseinandersetzung mit ihm ist das Erzählreferat fokussiert. Der Mensch Jesus und der Dämon Legion stehen sich gegenüber. Das macht auch den Mehrwert gegenüber den unmittelbar zuvor genannten Heilungen von Besessenen aus. In antidoketischer Abwehr soll damit gezeigt werden, dass Jesus eben weder ein »Geist« noch ein »Dämon« ist, wie die Jünger in EpAp 11 zunächst befürchten (Hills 2008, 57). Das Referat konzentriert sich auf die typischen exorzistischen Kampfmotive, wobei Formulierungen v. a. aus Mk 1,24 f. und den synoptischen Parallelen einfließen: Jesus ist gekommen (vgl. Mk 1,24), um die Dämonen noch vor dem dafür festgesetzten Tag zu vertreiben (vgl. Mk 1,24; Mt 8,29). Sein Hauptaugenmerk liegt darauf, dass der Dämon dem Mann (!), über den keine weiteren Angaben gemacht werden, keinen Schaden zufügt (vgl. Lk 4,35). Entsprechend fährt der Dämon in die Säue, die er sich als Wirtstiere selbst wählt, um an ihnen seine Wut auszulassen: Er versenkt sie im Meer. Sowohl die Szene mit den Städtern als auch die Missionstätigkeit des Geraseners, also der gesamte zweite Teil des synoptischen Stoffes, wird ausgeblendet. Gemäß EpAp 30 steht die Verkündigungstätigkeit unter dem strikten Copyright der elf Apostel (vgl. EpAp 2), so dass schon Paulus nur als gelehriger Apostelschüler erträglich wird (vgl. EpAp 31-33).
Martin Ebner Literatur zum Weiterlesen C. Burdon, »To the Other Side«. Construction of Evil and Fear of Liberation in Mark 5.1-20, JSNT 27 (2004), 149-167. J. D. M. Derrett, Contributions to the Study of the Gerasene Demoniac, JSNT 3 (1979), 2-17. R. R. Dormandy, The Expulsion of Legion. A Political Reading of Mark 5:1-20, ET 111 (2000), 335-337. J. Garroway, The Invasion of a Mustard Seed. A Reading of Mark 5.1-20, JSNT 32 (2009), 57-75. R. Glöckner, Gott rettet von den »Pforten der Unterwelt« – Jesus heilt den Besessenen von Gerasa (Mk 5,1-20), in: ders., Neutestamentliche Wundergeschichten und das Lob der Wundertaten Gottes in den Psalmen, Mainz 1983, 80-104. M. Johnson, Mark 5:1-20. The Other Side, IBSt 20 (1998), 50-74. M. Klinghardt, Legionsschweine in Gerasa. Lokalkolorit und historischer Hintergrund von Mk 5,1-20, ZNW 98 (2007), 28-48. M. Lau, Die Legio X Fretensis und der Besessene von Gerasa. Anmerkungen zur Zahlenangabe »ungefähr Zweitausend« (Mk 5,13), Bib. 88 (2007), 351-364.
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Wessen Medium willst du sein? Mk 5,1-20
H. Merklein, Die Heilung des Besessenen von Gerasa (Mk 5,1-20). Ein Fallbeispiel für die tiefenpsychologische Deutung E. Drewermanns und die historisch-kritische Exegese, in: F. van Segbroeck et al. (Hg.), The Four Gospels 1992, FS F. Neirynck, BEThL 100, Leuven 1992, 1017-1037. R. Wenning, Die Dekapolis und die Nabatäer, ZDPV 110 (1994), 1-35. A. T. Wright, Evil Spirits in Second Temple Judaism. The Watcher Tradition as a Background to the Demonic Pericopes in the Gospels, Henoch 28 (2006), 141-159. R. Zimmermann, Auslegungskunst. Sehepunkte zur Wundererzählung vom Besessenen aus Gerasa (Mk 5,1-20), BN 152 (2012), 87-115.
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Glauben lässt Jesu Wunderkraft heilsam überfließen (Die Tochter des Jaïrus und die blutflüssige Frau) Mk 5,21-43 (21) Und nachdem Jesus in dem Boot wieder auf die andere Seite übergesetzt war, versammelte sich eine große Volksmenge bei ihm, und er war am See. (22) Und einer der Synagogenvorsteher namens Jaïrus kommt herbei, und fällt, nachdem er ihn gesehen hat, zu seinen Füßen nieder (23) und bittet ihn vielmals mit den Worten: »Mein Töchterchen liegt im Sterben. Komme und dann lege ihr die Hände auf, damit sie gerettet werde und lebe.« (24) Und er ging mit ihm weg. Und es folgte ihm eine große Volksmenge und drängte sich um ihn herum. (25) Und eine Frau, die sich seit zwölf Jahren im Zustand eines Blutflusses befand, (26) die vieles von vielen Ärzten erlitten hatte und die ihren ganzen Besitz ausgegeben hatte – und nichts nützte es ihr, sondern es ging ihr noch schlimmer –, (27) die davon gehört hatte, was um Jesus herum geschah, die war in der Menge von hinten herangekommen, und sie berührte sein Gewand. (28) Sie hatte sich nämlich gesagt: »Wenn ich auch nur seine Kleider berühre, werde ich gerettet werden.« (29) Und sofort vertrocknete die Quelle ihrer Blutung und sie wusste mit dem Körper: Sie ist von dem Leiden geheilt worden. (30) Und sofort als Jesus in sich die aus ihm herausfahrende Wunderkraft bemerkte, sagte er, wobei er sich in der Menge umdrehte: »Wer hat meine Kleider berührt?« (31) Und seine Jünger sagten zu ihm: »Du siehst die Menge, die sich um dich herum drängt, und du sagst: ›Wer hat mich berührt‹ ?« (32) Und er schaute sich um, um die zu sehen, die dieses getan hatte. (33) Aber die Frau – sich fürchtend und zitternd, darum wissend, was ihr geschehen war – kam und fiel vor ihm nieder und sagte ihm die ganze Wahrheit. (34) Er aber sagte zu ihr: »Tochter, dein Glaube hat dich gerettet. Gehe hin in Frieden und sei bleibend gesund von deinem Leiden!« (35) Noch während er redet, kommen welche vom Synagogenvorsteher und sagen: »Deine Tochter ist gestorben. Was bemühst du den Lehrer noch weiter?« (36) Jesus aber, der die Äußerung vernommen hatte, sagt zum Synagogenvorsteher: »Fürchte dich nicht! Glaube nur!« (37) Und er ließ nicht zu, dass ihn jemand begleitete außer Petrus und Jakobus und Johannes, der Bruder des Jakobus. (38) Und sie kommen in das Haus des Synagogenvorstehers. Und er nimmt die Aufregung und die heftig Weinenden und Klagenden wahr. (39) Und nachdem er hineingekommen ist, sagt er zu ihnen: »Was regt ihr euch auf und weint? Das Kind ist nicht gestorben, sondern schläft.« 278
Glauben lässt Jesu Wunderkraft heilsam überfließen Mk 5,21-43
(40) Und sie lachten ihn aus. Er aber, nachdem er alle hinausgeworfen hat, nimmt den Vater des Kindes und die Mutter und seine Begleiter mit sich und geht dort hinein, wo sich das Kind befand. (41) Und nachdem er die Hand des Kindes ergriffen hat, sagt er zu ihr: »Talitha kum«, was übersetzt heißt: »Mädchen, ich sage dir, stehe auf!« (42) Und sofort erhob sich das Mädchen und ging umher. Sie war nämlich zwölf Jahre alt. Und sie gerieten sofort völlig außer sich. (43) Und er befahl ihnen eindringlich, dass niemand davon wissen solle, und sagte, ihr solle zu essen gegeben werden.
Sprachlich-narratologische Analyse In Mk 5,21-43 liegt in gattungstheoretischer Hinsicht eine Erzählung vor. Sie ist eingebettet in die Großerzählung des Markusevangeliums, in welchem in chronologischer Sequenzierung und in räumlicher Abfolge Begebenheiten während des Wirkens Jesu seit seiner Taufe bis zu seiner Tötung und Auferweckung narrativ geschildert werden. Insofern wird auch in der vorliegenden Episode davon erzählt, was sich zu einer bestimmten Zeit und an einem bestimmten Ort im Hinblick auf den Protagonisten Jesus zugetragen hat. Das in 5,21-43 Erzählte lässt sich innerhalb des markinischen Gesamtzusammenhangs nach vorne und hinten hin eindeutig als Perikope abgrenzen. Vers 21a weist Ortsund Zeitmarker auf, die eine Veränderung gegenüber der unmittelbar vorangehenden, in sich thematisch geschlossenen Perikope »Heilung des Besessenen von Gerasa« (5,1-20) anzeigen: Der durch die Konjunktion »und« eingeleitete temporale Genitivus absolutus mit einem Verb der Bewegung im Aorist (ka½ diaper€santo@ to‰ 3Ihso‰ ¥n t† ploffl†w p€lin e§@ t pffran kai diaperasantos tou Ie¯sou en to¯ ploio¯ palin eis to peran – und nachdem Jesus in dem Boot wieder auf die andere Seite übergesetzt war) zeigt einen Ortswechsel des Protagonisten in chronologischer Abfolge an. Mittels des Temporaladverbs »wieder« wird Bezug genommen auf 4,35 und 5,1: Jesus befindet sich am See von Gennesaret, über den er vorher übergesetzt war, um von dort wieder zurück an das Westufer zu gelangen. Die Perikope Mk 5,21-43 ist in sich inhaltlich geschlossen: Vers 21 ist ein Überleitungsvers, der die folgende Szene zum einen zeitlich und örtlich verortet und sie zum anderen mit der Benennung der sich um Jesus herumgruppierenden Volksmenge vorbereitet. Die eingangs angeführte Mangelsituation in Bezug auf die Situation der Tochter des Bittstellers Jaïrus – sie ist sterbenskrank und er bittet Jesus um Hilfe (V. 23) – ist am Ende nach einer Intensivierung (V. 35: sie ist gestorben) aufgehoben: Die Tochter steht auf und geht umher; sie lebt also und ihr soll zu essen gegeben werden (V. 42 f.). In diese Erzählung (5,22-24.35-43) ist eine weitere in sich geschlossene Erzählung eingeschaltet: die Erzählung von der blutflüssigen Frau (V. 25-34). Auch sie beschreibt eine narrative Entwicklung von einer anfänglichen Mangelsituation (V. 25 f.: eine Frau hat eine über Jahre anhaltende Blutung) hin zur abschließenden Aufhebung dieser Mangelsituation (V. 29) und der Schilderung von Reaktionen auf das Geschehnis (V. 30-34). Beide Episoden (E1: V. 22-24.35-43 und E2: V. 25-34) sind eng aufeinander bezo279
Die Wundererzählungen im Markusevangelium
gen: E2 ereignet sich während eines Ortswechsels in E1, d. h. auf dem Weg Jesu vom Westufer des Sees Gennesaret hin zum Haus des Bittstellers Jaïrus. Die Jesus umgebende, ihn begleitende Volksmenge (V. 21b.24b) bereitet die Szene für das in E2 mitgeteilte Geschehen, denn die Frau berührt Jesus im Schutz jener Menge (V. 27.31). Umgekehrt wirkt auch das Geschehen von E2 auf das von E1 ein, denn durch Ersteres ergibt sich eine Verzögerung, die nach der Intention der Erzählung vielleicht den Grund für die Intensivierung der Mangelsituation in E1 darstellen soll – das Mädchen ist in der Zwischenzeit gestorben. Im Folgenden werde ich beide Episoden separat nach den vier Phasen des narrativen Schemas (vgl. Kahl 1994, 44-46) auf ihre Struktur hin analysieren, indem Handlungen auf ihre Funktionen hin befragt werden. Dieser Analyseschritt gibt mit der Herausarbeitung des narrativen Schwergewichts bereits einen wichtigen Hinweis auf Anliegen, die nach der Intention des Erzählers wesentlich sind. Das narrative Schema Mangelsituation
Vorbereitetheit
Haupthandlung
Reaktion
Beschreibung der Situation eines Subjekts, welches von einem erwünschten Objekt getrennt bzw. mit einem unerwünschten Objekt verbunden ist.
Beschreibung eines Vorgangs, durch den ein Subjekt willig bzw. fähig gemacht wird, die Mangelsituation aufzuheben.
Das willige und fähige Subjekte reagieren auf Subjekt versucht als ak- das Ergebnis der Haupttives Subjekt, durch eine handlung. Handlung die Mangelsituation aufzuheben.
Den Großteil der ersten Episode (V. 22-24.35-40) dieser Erzählung macht die Beschreibung der umzukehrenden Mangelsituation im Zusammenhang mit der Motivierung von Jesus aus: Der Synagogenvorsteher fungiert hier als Bittsteller. Seine Tochter liegt – zu Beginn der Episode – im Sterben (V. 23) und er möchte, dass sie »gerettet werde und lebe«. Der Synagogenvorsteher versucht, mittels zweier Handlungen Jesus dazu zu bewegen, sich seinen Wunsch zu Eigen zu machen: Er wirft sich Jesus vor die Füße und er bittet ihn mit vielen Worten, in die vorgeschlagene Rettungshandlung einzuwilligen (V. 22b.23). Die Ursache für die Situation, in der sich die Tochter befindet, wird weder an dieser Stelle noch im weiteren Verlauf benannt. Es wird auch nicht mitgeteilt, wie lange diese Situation schon andauert oder ob anderweitige Anstrengungen unternommen worden waren, der Tochter zu helfen. Ebenfalls wird nicht kommuniziert, mit welchem Wissen von Jesu Identität der Vater an ihn herantritt. Offensichtlich aber erwartet er, dass Jesus das anvisierte narrative Programm der Rettung zu erfüllen im Stande sein wird, und er schlägt bereits den Modus der Rettungshandlung vor: Jesus soll dem Mädchen die Hände auflegen, und dazu bedarf es der Überbrückung der räumlichen Distanz dorthin, wo sich das sterbenskranke Kind befindet (´na ¥lqn hina eltho¯n – damit du kommst, V. 23b). Die Umschreibung im Passiv »damit sie gerettet werde« (swq–» so¯the¯) lässt unbestimmt, in welcher Funktion exakt von Jesus Hilfe erwartet wird: als Träger einer numinosen Wundermacht oder als Mittler eines transzendent gedachten Träges einer numinosen Wundermacht, i. e. Gottes. Der Leser, die Zuhörerin der Erzählung erfährt an dieser Stelle auch – noch – nicht, wo exakt jener Ort ist: auf dem Feld, in einem Dorf, in einem Haus? 280
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Entsprechend der Bitte reagiert Jesus, und er macht sich mit dem Vater auf den Weg (V. 24a). Diese Reaktion legt die Deutung nahe, dass Jesus in das an ihn herangetragene Handlungsprogramm eingewilligt hat; eine mündliche Zusage wird indes nicht geschildert und so erfahren wir auch nicht, warum Jesus sich darauf einlässt. Die eingeschobene Episode von der Frau mit dem Blutfluss (V. 25-34) fungiert im Handlungsablauf der ersten Episode narrativ als retardierendes Moment: Jesus wird auf dem Weg aufgehalten. In der Zwischenzeit hat sich, wie aus V. 35 hervorgeht, eine Verschlimmerung der Situation ergeben: Nach Auskunft von hinzugekommenen Informanten, die zum Synagogenvorsteher gehören, erfährt dieser – und mit ihm die Leser(innen) und Hörer(innen) der Erzählung –, dass seine Tochter gestorben ist. Wieder liegt eine Leerstelle vor, die die Rezipienten der Passage auszufüllen haben: Es ist nämlich unklar, woher die Informanten dieses Wissen um den aktuellen Zustand der Tochter haben. Ob das Verb »kommen« impliziert, dass sie etwa vom Haus des Synagogenvorstehers herkommen, wo sie zu Zeugen des Sterbens des Mädchens wurden, bleibt offen. Aufgrund der neuen Situation halten sie es für unnötig, weiterhin den »Lehrer«, gemeint ist Jesus, mit der Angelegenheit zu behelligen, und sie unterbreiten dem Synagogenvorsteher diese ihre Meinung (V. 35b). In ihrer Haltung kommt zum Ausdruck, dass sie Jesus die Umkehrung der neuen Mangelsituation nicht zutrauen. Jener aber lässt sich durch diesen Vorschlag zur Unterbrechung des anvisierten Handlungsprogramms nicht von dem Unternehmen abbringen. Er reagiert zum einen damit, dass er den Synagogenvorsteher ermutigt: Er soll sich nicht fürchten und einfach glauben (V. 36). Zum anderen separiert sich Jesus mit dreien seiner Jünger (V. 37: Petrus, Jakobus und dessen Bruder Johannes) von der Menschenmenge, welche damit ihre Funktion für die Ausgestaltung des weiteren Verlaufs der Handlung verliert. Nur diese drei betreten mit Jesus – und offensichtlich mit dem Vater (vgl. V. 40) – das Haus des Synagogenvorstehers (V. 38a), und diese Personen werden dann nach Auskunft von V. 40 zusammen mit der Mutter die unmittelbaren Zeugen der Wundertat werden. Mit V. 37.38a ist die räumliche Distanz zum Subjekt, das sich in einer zu behebenden Mangelsituation befindet, beinahe überbrückt; denn das Mädchen befindet sich, wie die Leser und Hörer der Passage erst in V. 40a eindeutig erfahren, im Haus des Synagogenvorstehers. Bevor die für die Haupthandlung erforderliche unmittelbare Nähe zwischen Jesus als dem aktiven Subjekt und der Toten als dem Zustandssubjekt hergestellt wird, gilt es – nach V. 35 –, einen weiteren Widerstand zu überwinden (V. 38b-40a): Im Haus trifft Jesus auf weinende Frauen, die den Tod des Mädchens beklagen. Er hält ihre Aufregung für unnötig, wie aus seiner Anrede an sie in V. 39a hervorgeht, zumal – so Jesus in wörtlicher Rede – das Kind nicht gestorben sei, sondern schlafe (V. 39b). Die Frauen lachen ihn aus (V. 40a). Sie teilen seine Einschätzung der Lage nicht. Erst nachdem Jesus diese Frauen aus dem Haus hinausgeworfen hat (V. 40a), stellt er die unmittelbare räumliche Nähe zu dem Mädchen her (V. 40b). Damit ist die Haupthandlung, die in V. 41 erzählt wird, hinreichend vorbereitet. Sie besteht darin, dass Jesus die Hand des Kindes ergreift und er dem Mädchen daraufhin befiehlt, aufzustehen. Es sollte beachtet werden, dass das Motiv der Handergreifung wohl eine Ähnlichkeit, aber keine Identität mit der vom Synagogenvorsteher vorgeschlagenen Handlung der Handauflegung hat (vgl. V. 23). Die mögliche Signifikanz dieser Differenz wird unten traditionsgeschichtlich zu klären sein. Es handelt sich bei dem Motiv des Handergreifens aber auf keinen Fall um einen bloßen Gestus, mittels dessen Jesus dem Mädchen beim Aufstehen hilft. Die eingeschobene Episode von der Frau mit dem Blut281
Die Wundererzählungen im Markusevangelium
fluss klärt die Funktion dieser Handlung: Als intentionaler Akt dient diese Berührung offenbar der Übertragung der Jesus innewohnenden Wunderkraft (vgl. V. 30: dÐnami@ dynamis). Zusammen mit dem – in griechischer Transkription wiedergegebenen – in aramäischer Sprache ergehenden Befehl Jesu an das Mädchen aufzustehen, ereignet sich das Wundergeschehen. Die griechische Übersetzung des Befehls ist übrigens nicht völlig korrekt: »ich sage dir« stellt einen Zusatz dar. Der Erfolg dieser Handlung stellt sich unmittelbar und vollständig ein. Vers 42a schildert, dass sich das Mädchen »sofort« (e'qÐ@ euthys ist im Makusevangelium ein typisches Temporaladverb, das insbesondere im Zusammenhang mit Wundergeschehnissen begegnet und dort die außergewöhnliche Wendung einer Mangelsituation anzeigt) erhob und umherlief. Ihre spontane Lebendigkeit bringt anschaulich zum Ausdruck, dass sie lebt. Damit ist der Wunsch des Vaters, welcher die Handlung in Gang setzte, zur Erfüllung gekommen (vgl. V. 23: »damit sie gerettet werde und lebe«). Der nachgeschobenen Altersangabe – 12 Jahre – kommt u. a. (s. u.) offensichtlich (vgl. g€r gar – denn, nämlich) auch erklärende Funktion in Bezug auf das Motiv des Umherlaufens zu, d. h. das Mädchen ist alt genug, umherlaufen zu können. Im Anschluss an die spontane Wiederherstellung des Lebens des Mädchens wird in den V. 42b.43 von drei Reaktionen berichtet: Erstens heißt es von den sechs erwachsenen Anwesenden allgemein, dass sie sofort, d. h. aufgrund des Geschehens völlig außer sich bzw. »in große Ekstase« gerieten (V. 42b: ka½ ¥xffsthsan [e'q±@] ¥kst€sei meg€l–h kai exeste¯san [euthys] ekstasei megale¯). Trifft das auch auf Jesus zu? Diese Frage muss hier offen bleiben (vgl. aber präzisierend Lukas in 8,56, der hier nur an die Eltern denkt). Zweitens legt »ihnen« Jesus nachdrücklich (poll€ polla) nahe, dass niemand von dem Geschehen erfahren solle (V. 43a). Damit richtet sich Jesus – da es nicht anders spezifiziert ist – an die Eltern und die drei Jünger (konkreter Lk 8,65: die Eltern). Gleichzeitig wird hierdurch zum Ausdruck gebracht, dass es sich bei der Haupthandlung doch um eine Totenauferweckung gehandelt hat. Eben dies will Jesus – der Grund dafür wird nicht mitgeteilt – geheim gehalten wissen. Aus dieser Perspektive erschließt sich auch der Sinn von V. 39b: Jesus wollte mit seiner Aussage vor den klagenden Frauen verschleiern, dass er tatsächlich eine Tote auferwecken würde. Drittens fordert Jesus – wohl die Eltern – dazu auf, dem Mädchen zu essen zu geben. Auch damit wird bestätigt, dass es lebt und weiterleben soll – die Haupthandlung ist also zu einem erfolgreichen Abschluss gekommen. Der Fokus dieser Erzählung liegt nicht auf dem Wundergeschehen. Dieses wird in nur einem Vers (V. 41), der zwei Handlungen Jesu beschreibt, geschildert. Der größte Raum wird eingenommen durch die der eigentlichen Wunderhandlung vorangehenden Verse (V. 22-24.35-40). Sie dienen der Vorbereitung der Haupthandlung. Innerhalb dieser Phase ergibt sich in den V. 35-40 eine Verkomplizierung der Erzählung, ausgelöst durch die Nachricht von der Verschlimmerung der initialen Mangelsituation des Zustandssubjekts. Motivierte der Bittsteller in V. 23 Jesus dazu, in das Handlungsprogramm einzutreten, so kommt es hier zu einer bemerkenswerten Umkehrung: Nun motiviert Jesus – der vermeintliche Wundertäter! – in V. 36 den Bittsteller, indem er ihm Mut zuspricht und ihn dazu auffordert zu glauben. Der narrative Verlauf der zweiten Episode (5,25-34) hebt mit einer Zustandsbeschreibung an, die die Konjunktion eines Subjekts mit einem – aus der Perspektive dieses Subjekts, vgl. V. 28 – unerwünschten Objekt kommuniziert: Eine Frau ist seit 282
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zwölf Jahren mit einem (ständigen) Blutfluss verbunden (V. 25), wörtlich: Sie befindet sich im Blutfluss (oªsa ¥n «Ðsei a´mato@ ousa ev rhysei haimatos). Die Zustandsbeschreibung wird intensiviert durch die Schilderung vorangegangener vergeblicher Versuche einer Heilung durch Ärzte, was in einer Verschlimmerung ihrer Situation resultierte (V. 26): Die Frau ist seit zwölf Jahren krank und darüber hinaus völlig verarmt, d. h. sie kommt in einem Zustand äußerster Lebensnot zu Jesus. Verse 27-28 schildern die Vorbereitung des Vorgehens der Frau, das darauf abzielt, ihren Zustand zum Besseren zu verändern: Zu diesem speziellen Vorgehen motivierte sie offenbar eine Kenntnis der Geschehnisse, die sich um Jesus herum ereigneten (V. 27a), wörtlich: Sie hatte Dinge (t€ ta ergänze ich mit der ursprünglichen Lesart von Codex Sinaiticus, Codex Vaticanus u. a.) um Jesus gehört. Es wird nicht mitgeteilt, was genau sie über ihn gehört und was sie veranlasst hat, jetzt den Plan fassen lässt, heimlich im Schutz der Jesus umgebenden Menge seine Kleider zu berühren (V. 28). Sie verspricht sich von ihrem Vorgehen, gerettet zu werden (swqffisomai so¯the¯somai). Vers 29a schildert die Aufhebung der anfänglichen Mangelsituation: Aufgrund der Berührung von Jesu Gewand vertrocknet der Blutfluss sofort. Diese Zustandsveränderung realisiert die Frau, indem sie sich körperlich ihrer Heilung bewusst wird (V. 29b). Was genau sich ereignet hat, so dass die Wunderheilung geschehen konnte, kommt im Folgenden zur Sprache: Gleichzeitig mit der Frau erkennt Jesus, dass eine »Kraft« (dÐnami@ dynamis) aus ihm ausgefahren ist (V. 30a). Seine Frage an die Menge danach, wer seine Gewänder berührt hat, setzt offenbar eine chronologische und kausale Verbindung zwischen der Berührung und dem Ausfahren jener Kraft voraus. An dieser Stelle bleibt offen, worum es sich bei dieser dynamis handelt, wohin sie ausgefahren ist bzw. ob jetzt Jesus dieser »Kraft« verlustig gegangen sei. Auf pragmatischer Ebene werden die Leser(innen) wohl der Intention der Erzählung gemäß schlussfolgern, dass diese Kraft aufgrund der Berührung in die Frau gefahren ist – und zwar unwillkürlich und selbstständig, d. h. der Wille Jesu war nicht involviert. Damit hätte die Frau diese Jesus innewohnende Kraft geradezu »gezwungen« zu agieren, d. h. auf ihre Berührung zu reagieren. Nicht Jesus ist hier das aktive Subjekt der sich im Verborgenen vollziehenden Wundertat, sondern die dynamis. Sie hat offenbar die ersehnte Heilung bewirkt. Die in V. 31 kommunizierte, einleuchtende Rückfrage der Jünger auf Jesu Frage nach der Person, die seine Kleider berührte, bringt die Menschenmenge ins Spiel. Dieser Hinweis lässt auf pragmatischer Ebene das Besondere der Berührung durch die Frau erahnen – die Berührung wurde intentional vollzogen. Obwohl die Jünger Jesus bei der Beantwortung seiner Frage nicht zu helfen vermögen, ist ihr sich in V. 31 äußerndes Unverständnis somit pragmatisch hilfreich. Jesus aber versucht sich selbst zu helfen, indem er sich in der Menge nach der Person, die ihn berührte, umblickt (V. 32). Letztlich aber verhilft ihm in unerwarteter Weise (dff de – aber) die Frau zu einer Beantwortung seiner Frage, indem sie – offenbar motiviert durch sein Suchen – zu Jesus kommt (V. 33). Ihre Furcht und ihr Zittern sind in ihrem Wissen um »das, was ihr geschehen war«, begründet. Sie fällt vor Jesus nieder und erzählt ihm die ganze Wahrheit. Worum es sich bei Letzterem handelt, kann nur gemutmaßt werden: Die Deutung liegt nahe, dass sie Jesus von ihrer Situation und ihrer Berührungstat berichtet, d. h. was sie im Verborgenen getan hat, macht sie jetzt offenkundig. Das Motiv vom Niederfallen ist eine Unterwerfungsgeste. Im Kontext des Furchtmotivs dürfte es den Versuch einer Beschwichtigung angesichts einer zu erwartenden Bestrafung bzw. negativen Sanktionierung ihres Tuns durch Jesus darstellen. Jesus aber spricht die Frau in einer Weise an, die ihrerseits unerwartet ist (dff 283
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de – aber), indem er ihre Tat positiv bewertet (V. 34): Zunächst redet er sie als Tochter an. Implizit erscheint Jesus damit metaphorisch als ihr Vater, und durch diese Anrede wird eine enge Beziehung zwischen beiden Figuren angezeigt. Ihr Tun deutet Jesus als Ausdruck von Glauben, wobei Glaube hier nicht näher qualifiziert ist. Ihr Glaube wird als aktives Subjekt des im Verborgenen geschehenen Rettungshandelns gewürdigt: Er – weder Jesus noch die Kraft – hat sie gerettet, wobei das zugrunde liegende Verb (sffswken seso¯ken) im griechischen Perfekt auf das Resultat der Handlung abhebt: Die Frau ist jetzt gerettet. Als solche soll sie in Frieden weiterziehen und von ihrem Leiden bleibend geheilt sein. In dieser Episode steht die Handlung der Frau mit dem Blutfluss im Zentrum des geschilderten Geschehens, nicht etwa Jesu Wundervermögen. Dem entspricht die abschließende Würdigung der Kompetenz der Bittstellerin (ihr Glaube) durch Jesus, den – vermeintlichen – Wundertäter. In Mk 5,21-43 liegt eine Erzählung vor, in welcher zwei Episoden aus der Zeit des Wirkens Jesu geschildert werden, deren eine (»Die Frau mit dem Blutfluss«) in die andere (»Die sterbende Tochter des Jaïrus«) eingebettet ist, und die beide strukturell wie inhaltlich eng aufeinander bezogen sind. In beiden Episoden wird jeweils die wundersame Wiederherstellung von Leben in Gesundheit angestrebt und – durch die Involvierung von Jesus – auch erzielt. Der strukturelle Schwerpunkt beider erzählter Episoden liegt nach dem narrativen Schema auf der »Vorbereitetheit« der handelnden Personen, die eine Veränderung des jeweiligen unliebsamen Zustands herbeizuführen trachten. Diese Gewichtung wird inhaltlich bestätigt durch Reaktionen des aktiven Subjekts Jesus auf ihre jeweilige Vorbereitetheit, indem diese Funktion in beiden Fällen durch das Motiv Glauben aktualisiert wird, d. h. einmal durch eine positive Beurteilung eines vorliegenden Glaubens nach dem Wunderereignis (V. 34) und einmal durch die Ermutigung zum Glauben angesichts einer Erschwernis der bestehenden Mangelsituation vor dem Wunderereignis (V. 36). Mit dieser Fokussierung geht einerseits in strukturaler Hinsicht eine äußerst knappe Schilderung der jeweiligen Wunderhandlung einher und andererseits inhaltlich eine De-Fokussierung der Bedeutung des vermeintlichen Wundertäters, und zwar durch die folgenden Motive: a) die selbstständig wirkende Wunderkraft (dÐnami@ dynamis; V. 30), die dem »Wundertäter« wohl innewohnt, die aber unabhängig von seinem Willen »automatisch« auf die durch Glauben motivierte intentionale Berührung seitens der Kranken reagiert; b) die öffentliche Abweisung des Wunderaspekts durch den »Wundertäter« (V. 39b: »Das Kind ist nicht gestorben, sondern schläft«); c) die Aufforderung zur Geheimhaltung des im Verborgenen geschehenen Wunders (V. 43a). Unter Rekurs auf die Wunderheilungsthematik wird hier in zwei Varianten die Bedeutung des Glaubens als Voraussetzung des Heil- bzw. Gesundwerdens exemplifiziert. Das Glaubensmotiv wird im Übrigen in der sich unmittelbar anschließenden Perikope Mk 6,1-6a – unter einem negativen Vorzeichen – wieder aufgegriffen: In seiner Geburtsstadt Nazaret konnte (¥dÐnato edynato) Jesus unter Menschen, die nicht an ihn glaubten, sondern an ihm Anstoß nahmen (V. 3), keinen einzigen Wunderkrafterweis (dÐnami@ dynamis) erbringen (V. 5a, vgl. die Einschränkung dieser Aussage in V. 5b), so dass er sich über ihren Unglauben (⁄pistffla apistia) wunderte (V. 6a). 284
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Sozial- und realgeschichtlicher Kontext Die Erzählung Mk 5,21-43 ist am galiläischen Westufer des Sees von Gennesaret lokalisiert. Die griechische Umschrift des in aramäischer Sprache ergehenden Befehls Jesu an das Mädchen (V. 41) – taliqa koum talitha koum – ruft das Wirken Jesu in seiner Herkunftsregion in Erinnerung. Die Transkription ist nicht ganz korrekt, da der Imp. fem. Sg. im Aramäischen auf Jota ausgeht (vgl. die entsprechenden Verbesserungen in Codex Alexandrinus und anderen Codices). Es handelt sich dabei nicht um einen magischen Zauberspruch, wie in der Exegese zuweilen angenommen wurde: Zaubersprüche waren und blieben rätselhaft; der Ausspruch Jesu aber war den der Szene beiwohnenden Figuren verständlich, und als solcher begegnet er hier in Übersetzung (vgl. auch 7,34). Das Geschehen spielt sich mithin in einer Gesellschaft ab, die durch das Judentum geprägt ist. Darauf weisen auch die folgenden Merkmale hin: Bei dem Bittsteller handelt es sich um den Vorsteher einer Synagoge und sein Name Jaïrus (Jaïrus ist die latinisierte Wiedergabe des Griechischen) gründet im Hebräischen. Beim Synagogenvorsteher musste es sich weder um einen Schriftgelehrten noch um den Gemeindeleiter handeln. Seine Funktion bestand darin, den Ablauf der Versammlung am Sabbat zu organisieren und zu beaufsichtigen (vgl. Schürer/Vermes 1979, 434 f.). Auch die Stifter von Synagogen konnten mit diesem Titel belegt werden. Insofern konnte eine Synagoge auch mehrere Synagogenvorsteher haben (vgl. V. 22: »einer der Synagogenvorsteher«). Auf jeden Fall galt Jaïrus in seiner Gesellschaft als angesehene Persönlichkeit. Auf diesem Hintergrund ist es bemerkenswert, dass er als Synagogenvorsteher vor Jesus in aller Öffentlichkeit »auf die Füße fällt und ihn anfleht« (V. 22). Nicht nur in der Synagoge diente Jaïrus als Vorsteher, auch in seinem Haus nahm er als Mann in einer patriarchalischen Gesellschaft typischerweise die Machtposition ein – und in seinem Haus befindet sich seine Tochter auf dem Sterbebett. Die in der Erzählung namenlose Tochter ist zwölf Jahre alt. Im antiken Judentum hat sie damit das Alter der Heiratsfähigkeit erreicht (vgl. Urban 2005b, 26). Im Text wird sie dennoch nicht als junge Frau, sondern mit Diminutiva begrifflich als Töchterchen (V. 23: t qug€trin mou to thygatrion mou) bzw. als Kindchen (V. 41 f.) gefasst. Aufgrund dieser Verniedlichungsformen macht es durchaus Sinn, wenn Markus in V. 42 die Altersangabe nachschiebt, um verständlich zu machen, dass das Mädchen bereits laufen konnte (vgl. in ähnlicher Funktion die Altersangabe in der Epidaurosinschrift A1: Als nach fünfjähriger Schwangerschaft Kleo einen Sohn gebiert, wäscht er sich und läuft mit der Mutter umher).
Traditions- und religionsgeschichtlicher Hintergrund Die kunstvolle und sicher beabsichtigte, vielfältige Verwobenheit beider Episoden auf struktureller wie motivischer Ebene lässt die ältere exegetische Vermutung zweifelhaft erscheinen, wonach es sich hier um die nachträgliche Verkopplung zweier ursprünglich separat umlaufender Einzelerzählungen gehandelt hätte. Vielmehr dürfte die Erzählung – ganz abgesehen von der Frage nach einer möglichen Historizität des Erzählten – in der vorliegenden Form komponiert worden sein. Im fünften Kapitel des Markusevangeliums geht es um die Überwindung von ritu285
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eller und somit sozial relevanter Unreinheit, die Todesverfallenheit und gesellschaftliche Ausgrenzung und damit Berührungseinschränkungen bzw. bei Berührung die Einhaltung festgelegter Reinigungsriten anzeigt. Der Mann aus 5,1-20, der in Gräbern außerhalb der menschlichen Besiedlung haust, hat einen unreinen Geist (V. 8: t pne‰ma t ⁄k€qarton to pneuma to akatharton, vgl. V. 2). Die Themen Reinheit bzw. Heiligkeit vs. Unreinheit und Todesverfallenheit vs. Lebensrettung bilden den Subtext auch für Mk 5,21-43. Das Motiv der Berührung zwischen Jesus und der jeweiligen Unreinen erscheint in auffälliger Häufung und Variation: viermal mittels des Verbs »berühren« (¿ptesqai haptesthai), einmal mittels des Ausdrucks »die Hände auflegen« und einmal mittels der Wendung »die Hand ergreifen«. Innerhalb der hier vorausgesetzten jüdischen Enzyklopädie werden damit Toravorschriften bezüglich des Berührens in Bezug auf Frauen mit regelmäßigen oder unregelmäßigen genitalen Blutungen (Lev 12 und 15) und in Bezug auf Tote (Num 5,2; 9,6-23) aufgerufen. Weder die Frau mit den Blutungen noch Jesus hält sich an die Vorschriften, zumindest erwähnt Markus nicht, dass sich die Frau vor der Berührung die Hände gewaschen und nach ihrer Heilung die vorgeschriebenen Opfergaben an den Priester weitergeleitet hätte, und auch von Jesus wird nicht erzählt, dass er sich nach der Berührung des toten Mädchens abgesondert und gereinigt hätte. Damit werden gesellschaftliche, religiös begründete Konventionen unterlaufen. In einem Strang feministischer Exegese wird bestritten, dass in Mk 5 vorausgesetzt sei, dass die Frau mit den Blutungen innerhalb der Vorstellungswelt des antiken Judentums einen Tabubruch beging, indem sie Jesus heimlich berührte. Ulrike Metternich ist darin Recht zu geben, dass die für dieses Thema in Frage kommenden Quellentexte aus Lev, von Josephus und aus rabbinischen Quellen tatsächlich viel weniger eindeutig sind als es in der exegetischen Literatur zuweilen ungeprüft vorausgesetzt wird (vgl. Metternich 2000, 84-86). Zwar gilt eine Frau, wie sie in Mk 5,25-34 beschrieben wird, nach Lev 15,19-30 eindeutig als kultisch unrein, und dies trifft auch für die Zeit Jesu zu; aber in Lev 15 kommt nicht der Fall zur Sprache, der in Mk 5 vorausgesetzt wird, nämlich die Berührung einer Person durch eine Frau mit Genitalblutungen. Nur der umgekehrte Fall wird in Lev 15,19 (vgl. V. 25) erwähnt, d. h. die Berührung einer solchen Frau durch einen anderen Menschen. Als Argument für ihre Deutung, wonach in Mk 5 nicht impliziert sei, dass die Frau Jesus hätte verunreinigen können, verweist Metternich auf Lev 15,11. Dort heißt es im Kontext der Diskussion von Verunreinigungen von Männern durch genitalen Ausfluss (Lev 15,1-15) in Bezug auf einen solchen Mann: »Und wen er anrührt, ehe er die Hände gewaschen hat, der soll seine Kleider waschen und sich mit Wasser abwaschen und unrein sein bis zum Abend«. Das aber heißt: Hat sich ein aufgrund von Genitalausfluss als unrein ausgewiesener Mann vorher die Hände gewaschen, dann darf er jemand anderen berühren, ohne dass seine Unreinheit auf den anderen übergeht (Metternich 2000, 82 f.). Diese Regel wird sicherlich analog auch für Frauen mit Genitalblutungen gegolten haben. Wenn dem so ist, dann ist der Schlussfolgerung von Metternich zu widersprechen, wonach es in Mk 5 nicht um den Sachverhalt einer potentiellen Verunreinigung Jesu und um einen Tabubruch von Seiten der Frau ginge. Denn um diese aufgrund von Lev 15 in der Tat naheliegende Deutung des Geschehens auszuschließen, hätte es in Mk 5 einer Notiz bedurft, aus der hervorgeht, dass sich die Frau vorher ihre Hände gewaschen hat. Ein solcher Hinweis aber fehlt, und daraus ist zu schließen, dass in Mk 5 aus der Perspektive des Erzählers mit Hilfe einer – eventuell bewusst gesetzten – Leerstelle die innerhalb der Matrix des antiken Judentums nächst286
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liegende Deutung pragmatisch evoziert wird: Die Frau geht das Risiko ein, Jesus zu verunreinigen. Nach Zeugnissen des antiken Judentums hatten sich Frauen mit Genitalblutungen ausdrücklich vom Heiligtum des Tempels oder von priesterlichen Sakralhandlungen fernzuhalten (Metternich 2000, 98). Wenn es in Lev 12,4 heißt, dass eine solche Frau – hier im Fall von Wöchnerinnen – für einen gewissen Zeitraum nichts Heiliges berühren (pant@ gfflou o'c ¿vetai pantos hagiou ouch hapsetai) und auch nicht in das Heiligtum hineingehen darf, dann sind diese Bestimmungen in Bezug auf die markinische Schilderung der Berührung Jesu durch die als unrein geltende Frau zu würdigen. Mk 5,29 spielt mit »Quelle ihres Bluts« ( phg¼ to‰ a´mato@ a't»@ he¯ pe¯ge¯ tou haimatos aute¯s) deutlich auf Lev 12,7 an: Im dortigen Kontext heißt es in Bezug auf Wöchnerinnen, dass sie dem Priester nach einer gewissen Zeitspanne der Unreinheit Opfertiere zu bringen hatten, damit er diese als Ganzbrand- und Sündopfer darbringe. Dadurch entsühnte (¥xil€setai exilasetai) der Priester eine solche Frau und er reinigte sie auf diesem Weg »von der Quelle ihres Bluts« (kaqarie… a't¼n ⁄p t»@ phg»@ to‰ a´mato@ a't»@ kathariei aute¯n apo te¯s pe¯ge¯s tou haimatos aute¯s). Und auch von Frauen mit kontinuierlichem Blutfluss gilt nach Lev 15,28-30 – anders als von Frauen mit regulärer Menstruation (Lev 15,19-24) –, dass der Priester für sie u. a. ein Sündopfer darzubringen hatte mit dem Ziel der Entsühnung. Die Begrifflichkeiten Sündopfer und Entsühnung zeigen an, dass die Frau mit dem anhaltenden Blutfluss in Mk 5 nach alttestamentlich-jüdischem Verständnis sicher dem Verdacht ausgesetzt war, ihr Unheil gründe in der vorangegangenen Missachtung eines göttlichen Ge- oder Verbots. Und tatsächlich legt die markinische Bezeichnung ihrer Krankheit als Plage bzw. Geißel (V. 29 und 34: m€stix mastix) diese Deutung nahe. Mit dieser Begrifflichkeit wird in alttestamentlichen und antik-jüdischen Schriften insbesondere auf strafende Krankheitsschläge Gottes abgehoben, vgl. Ps 38,11LXX; 2Makk 7,37; 9,11; 1QapGen 20,16-17: »In jener Nacht sandte Gott der Allerhöchste ihm (dem Pharao) einen Plagegeist, der ihn und jeden Mann in seinem Haus plagte, einen bösen Geist«. Eine solche Frau war also mehrfach stigmatisiert: Als eine an einem anhaltenden blutigen Ausfluss Leidende war ihr Kontakt zu Mitmenschen gewissen Einschränkungen unterworfen und ihre Krankheit bezeugte ihre Sündhaftigkeit, und von einer solchen Person hielten sich Menschen tendenziell fern – nicht nur aus Angst vor Ansteckung, sondern auch aus Sorge, sich den Zorn Gottes zuzuziehen. In Ps 37,12LXX beklagt ein Kranker, der sich von Gott körperlich geschlagen weiß, sein Leid in Bezug auf Isolierung selbst innerhalb der Familie und des Feundeskreises: »Meine Freunde und meine Nächsten sind mir gegenüber hingetreten und haben sich hingestellt, und meine engsten (Angehörigen) haben sich in der Ferne hingestellt«. Selbst der in der Septuaginta für die Menstruation gebrauchte Begriff ˝fedro@ (he¯ aphedros) bezeichnet das getrennte Sitzen. Und in der aus der Zeit Jesu stammenden Tempelrolle heißt es in 11Q19 48,14b-17a: »Und in jeder einzelnen Stadt sollt ihr Plätze einrichten für jene, die geschlagen sind mit Aussatz und mit Ausschlag und mit Krätze, damit sie nicht in eure Städte kommen und sie verunreinigen; und auch für die Ausflussbehafteten und für die Frauen, wenn sie in ihrer Menstruationsunreinheit und in ihrer Gebärunreinheit sind, damit sie nicht Unreinheit verursachen in ihrer Mitte durch ihre sexuelle Unreinheit«. Auch wenn es sich hier um die radikale Sondermeinung einer Splittergruppe handelt, bezeugt sie doch die antik jüdische Tradition einer tendenziellen Absonderung von Frauen während der Menstruation; dies gilt umso mehr im Fall einer Frau mit anhaltenden Blutungen. 287
Die Wundererzählungen im Markusevangelium
Verstehensangebote und Deutungshorizonte Im Diskursuniversum des Markusevangeliums gilt Jesus als gottgesandter Menschensohn (vgl. Boyarin 2012, 25-70), der seit der Johannestaufe mit dem Geist (Gottes) ausgestattet und deshalb der Heilige Gottes (1,24: ¡ ¿gio@ to‰ qeo‰ ho hagios tou theou) ist, der über göttliche Autorität verfügt (1,22 und 27: ¥xousffla exousia) und dem göttliche Kraft innewohnt (5,30: dÐnami@ dynamis). Insofern begeht die Frau – im Deutehorizont des antiken Judentums – potenziell sogar einen besonders schwerwiegenden Tabubruch: Als Unreine berührt sie – ohne sich vorher ausdrücklich die Hände gewaschen zu haben – nicht nur einfach einen anderen Menschen und setzt ihn dem Risiko einer unwissentlichen Verunreinigung aus; sie berührt den Heiligen Gottes. Sie ist sich der Problematik ihrer Tat bewusst; deshalb geht sie heimlich vor und fürchtet sich, als sie entdeckt wird. Gleichzeitig kommt in ihrem Vorgehen zum Ausdruck, dass sie begriffen hat, welches göttliche Heilpotenzial Jesus innewohnt. Und tatsächlich verunreinigt nicht sie Jesus, sondern sie wird von der ihm innewohnenden Gotteskraft geheilt und damit gereinigt. Die Jesus durchdringende Reinheit ist ansteckender als jedwede Unreinheit. Die mk Umschreibung des Zustands der Frau – sie ist im Fluss des Blutes (V. 25: oªsa ¥n «Ðsei ousa en rhysei) – macht transparent, dass sich Markus eng an die Begrifflichkeit und Vorstellungswelt von Lev 15LXX anlehnt (vgl. V. 19 und 25) und nicht etwa an medizinische Termini der griechisch-römischen Welt (Belege vgl. Weissenrieder 2002, 77-81). Mit dieser Umschreibung wird zum Ausdruck gebracht, dass der Blutfluss nicht ein zu separierender Aspekt der Frau wäre, sondern sie befindet sich im Blutfluss, d. h. in einem größeren Geschehen, das sie nicht kontrollieren kann und das Lebensverlust bedeutet, denn das Leben wird im Blut lokalisiert (Lev 17,11). Wenn dieses als Plage bzw. Geißel aufgefasste Geschehen von Gott initiiert worden ist, dann kann es auch nur durch göttliche Kraft ungeschehen gemacht werden, und eben dies ereignet sich nach Auskunft von Mk 5,30. Was der Psalmbeter (Ps 37LXX) von Gott erhofft, den Herrn seiner Rettung (V. 23: kÐrie t»@ swthrffla@ mou kurie te¯s so¯te¯rias mou), nämlich die verhängte Plage (V. 18) aufzuheben, Heilung (—asi@ iasis) und Frieden (e§rffinh eire¯ne¯) zu verleihen (V. 4), exakt dies vollzieht sich für die Frau mit dem Blutfluss, als sie Jesus berührt: Sie ist gerettet, körperlich geheilt, die Plage ist beseitigt und ihr wird zugesagt, dass sie in Frieden/ Schalom ziehen kann. Dass damit die Wiederherstellung ihrer Gottesbeziehung impliziert ist, macht die Anrede »Tochter« durch Jesus (V. 34) transparent. Die Lokalisierung der dynamis, d. h. der Wunder wirkenden Macht Gottes in Jesus lässt keinen Zweifel daran, dass Jesus im Markusevangelium als Menschen- und Gottessohn eine Position einnimmt, die im Alten Testament und im antiken Judentum sonst nur Gott zugeschrieben wird (vgl. dazu jetzt Boyarin 2012; vgl. auch die Funktion Jesu bei der Sturmstillung in Mk 4,35-41). Jesus erscheint hier als innerweltlicher Träger göttlicher Wunderkraft. Deshalb muss er sich auch nicht an die vorgeschriebenen Reinigungsriten halten – weder aufgrund der Berührung durch die Frau noch durch die Berührung des toten Mädchens (vgl. zu Letzterem die Vorschriften in Num 19,14-22 und in 11Q19 49). Dieser Jesus kann nicht verunreinigt werden. Seine (subjectivus und objectivus) intentionale Berührung bewirkt Lebensrettung. Was die Frau mit dem Blutfluss erkannt hat, bleibt dem Aktanten des Bittstellers in Bezug auf die Rettung des Mädchens bis zur erfolgreichen Wiederbelebung verborgen. Sowohl Jaïrus als auch seine Leute konzeptionalisieren Jesus als Rabbi (vgl. V. 35) und sie 288
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erhoffen sich, dass er als Mittler göttlicher Wunderkraft (vgl. Kahl 1994, 111-113) in Erscheinung trete. Darauf verweist auch die geforderte Geste der Handauflegung (V. 23; vgl. dazu die beiden antik-jüdischen Belege: 2Kön 5,11LXX; 1QapGen 20,28 f.). Jesus aber ergreift in V. 41 die Hand des Mädchens und er befiehlt ihr, woraufhin sie sofort lebendig wird. Das »völlige Außer-sich-Geraten« der Zeugen dieses Ereignisses (V. 42) belegt, dass sie mit dieser Wendung nicht gerechnet hatten und erst jetzt der Präsenz des Göttlichen gewahr werden. Das im Neuen Testament im Allgemeinen und im Markusevangelium im Besonderen durch s†ðzein so¯zein bzw. im Passiv sðzesqai so¯zesthai angezeigte Rettungshandeln deckt ein weites Bedeutungsspektrum ab, welches die Implikationen von körperlichem Gesundmachen (qerapeÐein therapeuein und §€esqai iaesthai) übersteigt. Aktive Subjekte wie Gott, Jesus bzw. die göttliche Wunderkraft (dynamis) vermögen es, aus Sündenschuld, aus Todesverfallenheit, von Krankheit, Dämonenbesessenheit, ewiglicher Verderbnis, aus Lebensgefahr zu erretten. S†ðzein (so¯zein) kann dabei in Wunderheilungserzählungen durchaus mit Gesundmachen bzw. Heilen identifiziert werden (vgl. Lk 8,50; Apg 4,8-12); es erschöpft sich aber nicht in Heilungsprozessen (vgl. ebenfalls Apg 4,8-12). Vielmehr gilt: Die konkrete Heilung exemplifiziert unter konkreten alltagsweltlichen Umständen innerhalb der weiterbestehenden Brüchigkeit menschlicher Existenz das erwartete allumfassende Heil Gottes. Eben dieses ist impliziert, wenn Lukas in der Erzählung vom geheilten Samariter in 17,11-19 zwischen der Gesundung und der heilvollen Errettung differenziert. Es erscheint signifikant, dass es in den neutestamentlichen Wunderheilungserzählungen niemals heißt: Dein Glaube hat dich geheilt – etwa als Wiedergabe von qerapeÐein (therapeuein) oder §€esqai (iaesthai). Die Aussage »dein Glaube hat dich gerettet« (sffswken seso¯ken) stellt die Gesundung in den weiteren Zusammenhang des allumfassenden göttlichen Heilsgeschehens – dem Evangelium, wie es an und durch Jesus transparent wurde (vgl. zur Struktur dieser Aussage auch Röm 1,16: das Evangelium als Kraft Gottes [dÐnami@ qeo‰ dynamis theou], die Rettung [swthrffla so¯te¯ria] bewirkt für jeden, der glaubt [pisteÐonti pisteuonti]). In systematisch-theologischer Begrifflichkeit gesprochen: s†ðzein (so¯zein) im Neuen Testament eignet eine spezifisch theologisch-soteriologische Bedeutung. Sie ist nicht auf Gesundung zu beschränken, vgl. etwa Lk 7,50, wo Jesus der so genannten Sünderin, die ihn salbte, die Sünden vergibt und ihr zusagt: »Dein Glaube hat dich gerettet. Gehe hin in Frieden!« Sündenvergebung impliziert hier die Wiederherstellung einer intakten Gottesbeziehung als Voraussetzung intakter zwischenmenschlicher Beziehungen. Und eben dieser Aspekt von Rettung (swthrffla so¯te¯ria) wird durch den Zuspruch des Friedens in Lk 7,50 noch verstärkt, denn Frieden meint hier den Schalom Gottes. Eben dies gilt auch für die Erzählung von der Frau mit dem Blutfluss: Die vorher aufgrund ihrer Krankheit kultisch und in ihren sozialen Kontakten zumindest eingeschränkte, von den Ärzten als hoffnungsloser Fall aufgegebene, verarmte Frau ist durch die in sie fahrende Wunderkraft im allumfassenden Sinne wiederhergestellt: 1., sie ist körperlich geheilt und ihr Leben ist gerettet; 2., sie steht in einer heilsamen Gottesbeziehung, die vorher zumindest in Zweifel stand; und 3., sie ist in zwischenmenschliche Beziehungen re-integriert. Ihre intentionale Berührung Jesu nimmt alle drei Aspekte vorweg und aktiviert sie zugleich: Dadurch aktiviert sie die in Jesus innewohnende Wunderkraft, die dynamis; und der Gottes- und Menschensohn lässt sich von der ausgegrenzten unreinen Frau berühren und bekennt sich zu ihr unter Bezugnahme auf Familienmetaphorik. Das ist der Auftakt zu neuen 289
Die Wundererzählungen im Markusevangelium
Beziehungen zu Gott und zu ihren Mitmenschen. Durch ihre Tat bekommt sie mehr geschenkt, als sie ersehnte, eben den allumfassenden Schalom Gottes. Jesus als rettender Heiler balanciert neu aus, was aus dem Lot geraten ist, und das betrifft in dieser Erzählung ganz konkret den Körper der Frau als auch den Sozialkörper (vgl. Weissenrieder 2002, 85). Es wird auch die Überzeugung des Verfassers des Markusevangeliums transparent, wonach Jesus großzügig mit der Zusage von Heil, Heilung und Schalom umgeht: Er wertet die Tat der Frau als Ausdruck von Glauben, obwohl davon in ihrer Vorbereitung auf die Begegnung mit Jesus gar keine Rede ist. Jesus gesteht ihr – wie auch sonst – gewissermaßen den benefit of the doubt zu. Der katholische Theologe und Psychotherapeut Eugen Drewermann interpretiert die Perikope Mk 5,21-43 unter Rekurs auf tiefenpsychologische Einsichten, die insbesondere für psycho-somatische Vorgänge erhellend sein können. In seiner Analyse und Deutung bezieht Drewermann die beiden in Mk 5,21-43 geschilderten Episoden konsequent aufeinander: In beiden geht es um die Überwindung von Notlagen von Frauen; die Zahl 12 kommt hier und da vor; diese Zahl verweist in beiden Fällen auf Schwierigkeiten von Frauen in unterschiedlicher Lage, sich in einem patriarchalen System positiv mit der von ihnen erwarteten Gender-Rolle zu identifizieren; beide Wiederherstellungen geschehen im Verborgenen. Zwischen beiden Episoden besteht darüber hinaus eine »umgekehrt symmetrische Zuordnung« (Drewermann 1990, 280): Die Frau geht zu Jesus, um ihn zu berühren vs. Jesus geht zu dem Mädchen, um es zu berühren; dabei überwindet die Frau das Hindernis der sich um Jesus versammelnden Menge vs. Jesus vertreibt die zwischen ihm und dem Kind sich befindenden Trauergäste. All diese Motive deuten nach Drewermann darauf hin, dass den Leser- und Hörer(innen) der Erzählung hier intentional eine Lektüreanweisung an die Hand gegeben wird, wonach beide Episoden inhaltlich zusammen zu lesen sind: Das psychologische Geheimnis dieser Wundererzählung (…) besteht allem Anschein nach darin, daß man zu der Tochter des Jaïrus wirklich erst gelangen kann, wenn man die blutflüssige Frau von ihrer Unreinheit geheilt hat, und daß man umgekehrt die Heilung der blutflüssigen Frau im Grunde nur ›fortsetzen‹ kann, wenn man hinter ihr ein 12-jähriges Mädchen findet, das, unmittelbar am Beginn seines Reifens zur Frau, dem Tod sich näher fühlt als dem Leben; nicht nur literarisch, sondern vor allem psychisch sind beide Frauengestalten ineinander ›verschachtelt‹, indem beide ineinander leben: die Tochter des Jaïrus als die Kindheit der blutflüssigen Frau, und diese als tödliche Vision einer Zukunft, die man als Frau nur fliehen kann (Drewermann 1990, 295 f.).
Dem Mädchen diagnostiziert Drewermann eine hypnoide Starre, während die Frau unter einer Menorhagie leidet. Für beide Fälle können psychische Ursachen vermutet werden, die Drewermann ausführlich diskutiert. An dieser Stelle muss der Hinweis darauf genügen, dass sich nach Drewermann bei beiden Personen eine tiefgehende Angst im Zusammenhang mit ihrer Geschlechterrolle körperlich manifestierte. Eine Lösung der jeweiligen Symptomatik und Problematik ereignet sich aufgrund der körperlichen Begegnung mit Jesus »in einer äußersten Verdichtung seelischer Intensität« (Drewermann 1990, 290). Jesu Wärme, Hingabe- und Annahmebereitschaft sowie seine »tiefe Resonanz« bewirken »Wunder« von Heilung. Drewermann relativiert die Frage nach der Historizität dieser und anderer Erzählungen über wundersame Heilungen, die Jesus zugeschrieben werden. Entscheidend ist 290
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ihr symbolisches Verständnis »als verdichtete Gestaltbilder typischer Erfahrungen von Heil und Unheil in der Spannungszone zwischen Angst und Vertrauen« (Drewermann 1990, 308). Insofern sind sie für gegenwärtige Leser(innen) tiefenpsychologisch relevant. Das »Geheimnis aller Wunder Jesu ist es, daß der Mann aus Nazaret die Macht besaß, einzelne Menschen aus der Umklammerung ihres äußeren und verinnerlichten Milieus Gott zurückzugeben, auf daß nur der Allmächtige allein Macht habe über sie« (Drewermann 1990, 309). Drewermanns tiefenpsychologische Deutungen neutestamentlicher Wunderheilungserzählungen stellen einen beeindruckenden Versuch dar, im Neuen Testament beschriebene Krankheitszustände und Heilungsverfahren im Kontext gegenwärtiger Erkenntnisse der professionellen Psychologie plausibel und relevant zu machen. Die Ergebnisse seiner Analysen scheinen mir von besonderer Bedeutung zu sein – nicht nur für eine sich ganzheitlich verstehende Medizin, die auch die Dimension des Religiösen einbezieht, sondern auch für die kirchliche Praxis etwa in Bezug auf liturgische Praktiken der Individualsegnung von Kranken. Es sollte freilich nicht übersehen werden, dass die im Neuen Testament konstitutive Dimension des Wunders – als Verweis auf ein konkret sich manifestierendes Wirken Gottes – wie in der historisch-kritischen Exegese so auch in diesem tiefenpsychologischen Entwurf gewissermaßen wegrationalisiert wird. Dies bedarf der theologischen Reflexion, die allerdings auch nicht darüber hinwegsehen darf, dass es entscheidend darum geht, dass Menschen Heilung erfahren, wenn es denn sein soll – so oder so. Afrikanische Theologinnen haben feministisch-postkoloniale Deutungen der Perikope vorgelegt. Elizabeth Amoah, Religionswissenschaftlerin aus dem westafrikanischen Ghana, deutet die Erzählung von der blutflüssigen Frau im Kontext von Traditionen der Akan, der Ethnie, der sie angehört. Aufgrund der besonderen spirituellen Kraft, die dem Blut bei den Akan beigemessen wird, mussten sich vormals Frauen zur Zeit ihrer Menstruation vom Dorfleben fernhalten. Insofern stellen diese Regeln des Zusammenlebens im Vergleich zu den Forderungen von Lev 15 noch eine Verschärfung dar. Die Perikope ist deshalb von Bedeutung, weil sie von einer Frau zu erzählen weiß, die sich mutig über die religiösen Vorschriften hinwegsetzt, indem sie Jesus berührt, um geheilt zu werden. Diese Frauengeschichte ist inspirierend für alle Christen, aber sie bedeutet auch eine Herausforderung, da sie aktive Grenzüberschreitungen bestehender Gesetze und Regeln, die Menschen herabwürdigen, empfiehlt: »Wahre Erlösung wird wohl immer bestehende Gesetze und Regeln in Frage stellen. Aber es verlangt auch eine Anstrengung und Bewusstheit von der Person, die auf Erlösung hofft« (Amoah 1984, 9). Musa W. Dube, Neutestamentlerin aus dem südafrikanischen Botswana, nimmt in ihrer Deutung der Perikope eine postkoloniale Genderperspektive ein: Die blutflüssige Frau symbolisiert Mama Africa, die im 19. und 20. Jh. durch fremde kolonialistische Mächte und traditionelle patriarchale Strukturen beherrscht und ausgeblutet wurde. Selbst die Unabhängigkeit von fremden Mächten bedeutete keine Befreiung von destruktiven Herrschaftsansprüchen. Sie mündete nach Jahrzehnten der Unterdrückung durch einheimische Despoten in Heilsversprechen des Neo-Kolonialismus im so genannten Global Village, resultierend in neuen wirtschaftlichen Abhängigkeiten. Aber Mama Africa, jetzt mit HIV/AIDS infiziert, hält sich an den Ruf talitha kum, und sie setzt ihre Hoffnung auf den Heiler Jesus. Zu ihm, der kein Geld nimmt, streckt sie sich aus. Beide Interpretationsbeispiele aus Afrika stellen kontextualisierende Interpretatio291
Die Wundererzählungen im Markusevangelium
nen der Perikope dar. Sie aktualisieren in unterschiedlicher Konkretion das aus sozioökonomischer Ungerechtigkeit zur vollständigen Partizipation am Leben befreiende Potenzial der Erzählung von Mk 5,21-43.
Aspekte der Parallelüberlieferung und Wirkungsgeschichte Von den beiden synoptischen Seitenreferenten hat insbesondere Matthäus (9,18-26) seine Vorlage erheblich gekürzt und überarbeitet. Während Markus etwa an der Beschreibung des Leidenswegs der Frau mit dem Blutfluss und an der Betonung ihres Engagements gelegen war, hebt Matthäus stark ab auf die rettende Bedeutung Jesu. Die Erzählung dient hier dem Zweck, Jesus als messianischen Wundertäter zu präsentieren. Er nimmt in der Erzählung über weite Strecken die Rolle des alleinig handelnden Subjekts ein. Euseb berichtet in seiner Kirchengeschichte (h.e. 7,18) von einem Denkmal, das er selbst in Cäsarea Philippi gesehen hat, und zwar am Eingang eines Hauses, das der Frau mit dem Blutfluss gehört haben soll. Es handelte sich dabei um ein Ensemble von zwei einander zugewandten Bronzestatuen: Eine Frau kniet als Bittstellerin mit ausgestreckten Händen auf einem Bein nieder vor einer männlichen Figur, die ein Doppelgewand um die Schulter trägt und eine Hand in Richtung der Frau ausstreckt. Damit hätten – so Euseb – die vormaligen Heiden nach ihrem althergebrachten Brauch von Dankesgaben für Retter der heilenden Begegnung Jesu mit der Frau mit dem Blutfluss gedacht. Dieses Denkmal hatte zudem heilende Wirkung, denn eine fremdartige Pflanze, die zu Füßen der Jesusfigur wuchs und bis zum Saum (kr€spedon kraspedon) des Bronzegewands reichte, diente als Gegenmittel (⁄lexif€rmakon alexipharmakon) gegen jedwede Krankheit. Die Statue wie auch ihre Beschreibung durch Euseb stellen eine Interpretation der synoptischen Erzählung über die Frau mit dem Blutfluss dar, wonach der Fokus auf Jesus als Retter (swtffir so¯te¯r) zu liegen kommt. Die Funktion der Frau wird auf ihre Rolle als Bittstellerin, die vor Jesus auf die Füße fällt, reduziert. Damit wird eine Tendenz, die in der matthäischen Fassung gegenüber der markinischen Version bereits angelegt war, in der Antike weiter ausgezogen.
Werner Kahl Literatur zum Weiterlesen E. Amoah, The Women Who Decided to Break the Rules, in: J. S. Pobee/B. v. Wartenberg-Potter (Hg.), New Eyes for Reading. Biblical and Theological – Reflections by Women From the Third World, Genf 1986, 3 f. R. R. Beck, Nonviolent Story. Narrative Conflict Resolution in the Gospel of Mark, Maryknoll 1996, 75-79. M. R. D’Angelo, Gender and Power in the Gospel of Mark: The Daughter of Jairus and the Woman with the Flow of Blood, in: J. C. Cavadini (Hg.), Miracles in Jewish and Christian Antiquity. Imagining Truth, Notre Dame 1999, 83-109.
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Glauben lässt Jesu Wunderkraft heilsam überfließen Mk 5,21-43
E. Drewermann, Tiefenpsychologie und Exegese, Bd. 2: Die Wahrheit der Werke und der Worte. Wunder, Vision, Weissagung, Apokalypse, Geschichte, Gleichnis, Olten/Freiburg 61990, 277-309. M. W. Dube, Fifty Years of Bleeding. A Storytelling Feminist Reading of Mark 5:24-43, in: dies. (Hg.), Other Ways of Reading. African Women and the Bible, Atlanta/Genf 2001, 50-60. B. Kahl, Jairus und die verlorenen Töchter Israels, in: L. Schottroff/M.-T. Wacker (Hg.), Von der Wurzel getragen. Christlich-feministische Exegese in Auseinandersetzung mit Antijudaismus, Leiden 1996, 61-78. W. Kahl, New Testament Miracle Stories in their Religious-Historical Setting: A Religionsgeschichtliche Comparison from a Structural Perspective, FRLANT 163, Göttingen 1994. U. Metternich, »Sie sagte ihm die ganze Wahrheit«. Die Erzählung von der »Blutflüssigen« – feministisch gedeutet, Mainz 2000. C. Urban, Hochzeit, Ehe und Witwenschaft, in: K. Erlemann et al. (Hg.), Neues Testament und Antike Kultur, Bd. 2, Neukirchen-Vluyn 2005, 25-30.
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Brot und Fisch bis zum Abwinken (Die Speisung der Fünftausend) Mk 6,30-44 (ActJoh 93) (30) Und die Apostel versammeln sich bei Jesus, und sie berichteten ihm alles, was sie getan und gelehrt hatten. (31) Und er sagt ihnen: »Kommt, ihr selber für euch allein, an einen einsamen Ort und ruht ein wenig aus.« Denn es waren viele, die da kamen und gingen, und nicht einmal zum Essen fanden sie Zeit. (32) Und sie fuhren mit dem Boot weg an einen einsamen Ort für sich allein. (33) Und viele sahen sie abfahren und erkannten sie, und sie liefen zu Fuß aus vielen Städten dorthin und kamen ihnen zuvor. (34) Und als er ausstieg, sah er eine große Volksmenge und erbarmte sich ihrer, denn »sie waren wie Schafe, die keinen Hirten haben« (Num 27,17), und er begann sie vieles zu lehren. (35) Und als es schon spät geworden war, traten seine Jünger an ihn heran und sprachen: »Der Ort ist einsam und es ist schon spät. (36) Schicke sie fort, damit sie in die Höfe und Dörfer ringsum gehen und sich etwas zu essen kaufen!« (37) Er aber antwortete und sprach zu ihnen: »Gebt ihr ihnen zu essen!« Und sie sagen zu ihm: »Sollen wir hingehen und für zweihundert Denare Brot kaufen und ihnen zu essen geben?« (38) Er aber sagt ihnen: »Wie viele Brote habt ihr? Geht, seht nach!« Und da sie es wussten, sagen sie: »Fünf, und zwei Fische.« (39) Und er gebot ihnen, dass alle sich lagerten, Mahlgemeinschaft für Mahlgemeinschaft, im grünen Gras. (40) Und sie legten sich nieder, Abteilung neben Abteilung, zu hundert und zu fünfzig. (41) Und er nahm die fünf Brote und die zwei Fische, blickte zum Himmel auf, segnete und brach die Brote und gab sie seinen Jüngern, damit sie sie ihnen vorsetzten. Und die zwei Fische teilte er unter allen auf. (42) Und alle aßen und wurden satt. (43) Und sie hoben die Brocken auf, zwölf Körbe voll, auch von den Fischen. (44) Und es waren fünftausend Menschen, welche die Brote gegessen hatten.
Sprachlich-narratologische Analyse Die Erzählung erweist sich als planvoll gestaltete Einheit. Sie zerfällt kompositorisch in drei Szenen, nämlich Exposition (6,30-34), Hinführung zum Wunder (6,35-38) und eigentliche Wundererzählung (6,39-44). Sprachlich ist die Erzählung in der Vergangenheitsform (Aorist oder Präteritum) gehalten, wechselt aber an einzelnen Stellen in das Praesens historicum und weist zudem viele Partizipialkonstruktionen auf. Der Evangelist eröffnet das Erzählgeschehen mit einer ungewöhnlich langen Einleitungsszene (6,30-34), die der kunstvollen Einbettung des Speisungswunders in den Rahmen der markinischen Darstellung des Lebens Jesu dient. Mit der Notiz von der Rückkehr der Zwölf, die einen Rechenschaftsbericht über ihre Aktivitäten abgeben, schlägt Markus den Bogen zur vorangehenden Aussendungsrede (6,6b-13). Er nimmt den Erzählfaden von der Aussendung des Zwölferkreises wieder auf, der durch den dazwischen geschalteten Bericht von 294
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der Hinrichtung des Täufers während eines Banketts am Hof des Herodes Antipas (6,1429) unterbrochen worden war. Gleichzeitig wird nun mit der wunderbaren Speisung ein positiver Gegenentwurf zu dem vom verhängnisvollen Tod des Täufers überschatteten Festmahl des Tetrarchen geboten (Mackay 1997, 122). Die Bemerkung, dass die Jüngerschar angesichts der Bedrängnis durch die Volksmenge nicht einmal Muße zum Essen fand, lässt ein den Rezipienten des Markusevangeliums bereits bekanntes Motiv (3,20) erneut anklingen und leitet unmittelbar zu der Speisungsgeschichte über. Der Aufbruch in die Einsamkeit ist durch den Wunsch Jesu begründet, dem Zwölferkreis nach allen Strapazen etwas Ruhe und Erholung zu gönnen. Der unbestimmt bleibende einsame Ort liegt irgendwo am See Gennesaret. Er wird mit dem Boot angesteuert, ist allerdings auf dem Fußweg noch schneller erreichbar. Die Abfahrt des Bootes war der Volksmenge nicht verborgen geblieben, und als Jesus mit den Jüngern den Zielpunkt der Überfahrt erreicht, wird er dort bereits von den Menschenmassen erwartet. Damit sind die Pläne Jesu durchkreuzt und er erbarmt sich des Volkes als Hirte. Der Verweis auf die Lehre Jesu ist ein Vorzugsmotiv des Markus und ordnet das Wunder der Verkündigung nach. Als Hinführung zum Speisewunder schließt sich ein Dialog zwischen Jesus und den Jüngern in fünffacher direkter Rede an (6,35-38). Die Erwähnung der späten Stunde unterstreicht die intensive Belehrung des Volkes durch Jesus und motiviert das Hinzutreten der Jünger, die sich um das leibliche Wohlergehen der Menschenmenge sorgen. Auf die Anweisung Jesu, der Menschenmenge zu essen zu geben, reagieren die Jünger mit Unverständnis, wie es im Markusevangelium immer wieder der Fall ist. Ihre Frage impliziert, dass der Kauf von Brot im Wert von 200 Denaren ihre finanziellen Möglichkeiten bei weitem überschritten hätte. Ein Denar war der übliche Tageslohn für einen Arbeiter (Mt 20,2). Der Betrag von 200 Denaren ist im Blick auf die Brotpreise in der Lebenswelt Jesu für die Sättigung von 5000 Personen durchaus realistisch bemessen (Jeremias 1962, 138). Dass die Jünger eine üppige Reisekasse mit sich führten und tatsächlich über das notwendige Geld verfügten (Ehling 2004, 49-55), ist im Horizont des von Besitzlosigkeit und unbegrenztem Vertrauen auf die Fürsorge Gottes geprägten radikalen Ethos der Jesusbewegung (Mk 6,8 par.; Mt 7,25-34 par.) eher unwahrscheinlich. Im weiteren Erzählverlauf fordert Jesus die Jünger zur Feststellung auf, was sie an Lebensmitteln bei sich haben. Mit dem Verweis auf fünf Brote und zwei Fische steigt der Spannungsbogen, denn dieser Proviant hätte selbst für die Jüngerschaft kaum zur Sättigung ausgereicht, geschweige denn für eine Volksmenge von 5000 Menschen. Die eigentliche Wundererzählung (6,39-44) beginnt mit einer vorbereitenden Anordnung Jesu an die Jünger. Sie sollen dafür Sorge tragen, dass die Volksmenge sich gruppenweise zu Tischgemeinschaften anordnet. Der Vollzug des Wunders geschieht unauffällig durch die Gesten Jesu. Die Segens- und Austeilungshandlung Jesu an den fünf Broten und den zwei Fischen orientiert sich an der traditionellen jüdischen Mahlpraxis (vgl. Billerbeck 1928, 611-639). Der Blick zum Himmel signalisiert, dass der Lobpreis über der Speise den Charakter eines Gebets hat. Der von der Erzählung nicht mitgeteilte, stillschweigend vorausgesetzte Lobspruch über dem Brot lautet »Gepriesen sei, der da hervorbringt das Brot aus der Erde« (mBer 6,1). Der Fisch war als Beigabe zum Brot normalerweise von einem eigenen Segensspruch befreit. Mit dem Brechen des Brotes vollzieht Jesus den Eröffnungsritus jüdischer Mahlzeiten und ordnet die Verteilung der Lebensmittel durch die Jünger an. Die Feststellung, dass alle satt wurden, dient der Konstatierung des Wunders. Mit dem durch exakte Zahlenangaben untermauerten Verweis 295
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auf die Größe der speisenden Volksmenge und die dabei noch übrig bleibenden Nahrungsmittel erfährt das Wundergeschehen eine nochmalige Steigerung.
Sozial- und realgeschichtlicher Kontext Brot und Fisch zählten in der Lebenswelt Jesu zu den Grundnahrungsmitteln der Menschen. Galiläa war um die Zeitenwende aufgrund seiner hervorragenden geologischen und klimatischen Bedingungen ein ungeheuer fruchtbares Land. Der Getreideanbau war seit frühester Zeit der bedeutsamste landwirtschaftliche Produktionszweig Galiläas. Die weitläufigen Domänen mit ihren Getreidefeldern befanden sich entweder als »Königsland« unmittelbar in der Hand der einander abwechselnden Herrscher über Palästina, von denen das Land als Lehen an Freunde oder verdiente Beamte vergeben werden konnte, oder bildeten als Privatland den Grundbesitz bedeutender und einflussreicher Persönlichkeiten. Die Großgrundbesitzer führten auf ihren professionell bewirtschafteten Domänen oder auch fernab davon in der Stadt ein unbeschwertes Leben, während die Kleinbäuerinnen und Kleinbauern mit ihren Subsistenzwirtschaften, die überwiegend in den weniger begünstigten gebirgigen Lagen anzutreffen waren, um ihre Existenz kämpfen mussten. In vielen Fällen bestellten die Großgrundbesitzer den Boden nicht eigenhändig, sondern verpachteten ihn an Kleinbauern oder ließen ihn von Verwaltern mit Hilfe von Sklavinnen und Sklaven oder Tagelöhner(innen) gewinnbringend bewirtschaften. Das auf den Domänen angebaute Getreide gehörte zu den wichtigsten Exportgütern Galiläas. Die Hauptabnehmer waren die benachbarten hellenistischen Städte Tyrus, Sidon und Beirut. In Zeiten von Missernten und Nahrungsmittelknappheit zog die Landbevölkerung Galiläas bei den Verteilungskämpfen den Kürzeren, da die hellenistischen Städte finanzkräftig genug waren, um auch in solchen Situationen Getreide aufzukaufen (Theißen 1992b, 76-79). Mit Getreideprodukten, allem voran Gerstenbrot als dem im Vergleich zu Weizenbrot preiswerterem Essen der armen Leute (vgl. Flav. Jos. Bell. 5,427), wurde mehr als die Hälfte des täglichen Kalorienbedarfs gedeckt (Bösen 1998, 50). Die große Mehrheit der antiken Weltbevölkerung lebte vegetarisch, da Fleisch ein der Oberschicht vorbehaltener Luxusartikel war. Der Kern jeder Mahlzeit bestand aus Brot, wobei die Qualität des für die breiten Bevölkerungsschichten erschwinglichen Brotes im Allgemeinen schlecht war (Berger 1993, 62-66). Die dominante Rolle des Brots als Hauptnahrungsmittel spiegelt sich darin wider, dass im antiken Judentum der Begriff »Brotbrechen« gleichbedeutend mit »eine Mahlzeit abhalten« war. Brot wurde, außer in der Paschazeit, in der Regel aus Sauerteig hergestellt, der es länger haltbar machte und dem Befall durch Schimmel entgegenwirkte. Die dünnen Brotfladen im Durchmesser von 2050 cm wurden in Backöfen, aber auch in Glutasche, auf glühenden Steinplatten oder in eisernen Pfannen gebacken (Dalman 1964, 29-141). Fisch stellte neben Obst und Gemüse für die kleinen Leute eine willkommene Zukost zum Brot dar. Der See Gennesaret war in der Antike für seinen immensen Fischreichtum berühmt. Der Fischfang, die Fischverarbeitung und der Fischhandel zählten in neutestamentlicher Zeit zu den wichtigsten Erwerbsquellen der Menschen in Galiläa. Die getrockneten und mit Hilfe von Salz konservierten Fische, wie sie wohl in der Speisungserzählung als Reiseproviant vorausgesetzt sind, wurden auch in andere Regionen des östlichen Mittelmeerraumes exportiert. Am Westufer drängten sich auf einer Strecke von 296
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etwa zwanzig Kilometern mit Kafarnaum, Gennesaret, Magdala und Tiberias vier Städte dicht aneinander, deren Einwohner überwiegend vom Fischreichtum des Sees ihren Lebensunterhalt bestritten. Unter den Jüngern Jesu befanden sich mit den beiden Brüderpaaren Petrus und Andreas sowie Jakobus und Johannes vier gelernte Fischer, die bis zum Eintritt in die Nachfolge mit dem entbehrungsreichen und harten Fischfang ihre Existenzgrundlage sicherten. Durch den sensationellen Fund des so genannten Jesusbootes, das 1986 während einer Dürreperiode mit extrem niedrigem Wasserspiegel im Uferschlamm des Sees Gennesaret entdeckt wurde, haben wir eine konkrete Vorstellung von den Booten, wie sie in neutestamentlicher Zeit beim Fischfang zum Einsatz kamen (vgl. Kollmann 2009, 83-86).
Traditions- und religionsgeschichtlicher Hintergrund Die Geschichte von der wunderbaren Speisung ist das bekannteste Geschenkwunder Jesu. Geschenkwunder haben eine überraschende Bereitstellung materieller Güter zum Inhalt, die wie im Fall von Mk 6,30-44 durch eine Notlage motiviert sein kann, meist aber spontan mit demonstrativem Charakter erfolgt, um die Vollmacht des Wundertäters zu erweisen (vgl. Theißen 1998, 111-114). Die Speisungsgeschichte begegnet sechsmal in den Evangelien. Die allen Berichten zugrunde liegende Urtradition handelte davon, wie Jesus am See Gennesaret eine große Menschenmenge mit wenigen Broten und Fischen sättigte und noch Lebensmittel übrig blieben. Diese Tradition spaltete sich im Verlauf der Überlieferungsgeschichte in zwei Versionen auf, indem sie entweder als Speisung der 4000 (Mk 8,1-10 par.) oder als Speisung der 5000 (Mk 6,30-44 par.) erzählt wurde. Die Speisungsgeschichte weist einen alttestamentlich-jüdischen Traditionshintergrund auf. In der hellenistischen Literatur begegnet das Motiv der wunderbaren Bereitstellung von Speisen nur ganz vereinzelt, obwohl nach Darstellung des platonischen Philosophen Celsus ägyptische Magier in dieser Hinsicht Jesus in nichts nachstanden (Or. Cels. 1,68). Von Numa, dem legendären zweiten König Roms, wird erzählt, dass sich bei einem bescheidenen Gastmahl in seinem Haus die Tische aufgrund göttlichen Einwirkens plötzlich mit köstlichsten Speisen füllten (Plut. Num. 15,2 f.). Die magischen Papyri enthalten Instruktionen für die Rekrutierung eines Hilfsgeistes, der auf Befehl des Magiers Wein, Brot und andere Esswaren herbeischafft (PGM 1,103 f.). In alttestamentlichjüdischer Tradition gibt es dagegen eine Reihe von Speisevermehrungswundern, die unmittelbar mit Mk 6,30-44 vergleichbar sind. Ein motivgeschichtliches Vorbild für das Wunder Jesu ist die Manna- und Wachtelspeisung, durch die das Volk Israel während seiner Wüstenwanderung Nahrung in Fülle erhielt. Das Brotwunder des Elischa (2Kön 4,42-44) weist im Blick auf Aufbau und Handlungsablauf weitgehende Übereinstimmung mit dem neutestamentlichen Speisungsbericht auf. In der Elija-Elischa-Tradition begegnet zudem das Motiv einer wunderbaren Vermehrung von Mehl und Öl (1Kön 17,7-16; 2Kön 4,1-7). Von dem Charismatiker Chanina ben Dosa wird erzählt, wie er seiner Frau den leeren Backofen auf wunderbare Weise mit Brot füllte (bTaan 24b.25a). In der rabbinischen Tradition findet sich zudem die Legende, in der Zeit des Hohepriesters Simon des Gerechten habe im Tempel solcher Segen auf den beiden als Erstlingsgabe dargebotenen Broten und den Schaubroten gelegen, dass jeder Priester, der davon ein olivengroßes Stück aß, satt wurde und noch etwas übrig ließ (bJoma 39a). 297
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In der Erzählung von der Speisung der 5000 klingt über diese Parallelen hinaus eine Fülle weiterer jüdischer Traditionen an (Schenke 1983, 94-111; Aus 2010, 74-115). In der Art und Weise, wie Jesus das Brot segnet und bricht, spiegelt sich der Eröffnungsritus jüdischer Mahlzeiten wieder (bBer 46a). Im Erbarmen Jesu (Mk 6,34) ist Gottes gütiges Erbarmen gegenüber seinem Volk (Jes 54,8) gegenwärtig. Bei der Charakterisierung der Menge als Schafe ohne Hirten handelt es sich um ein wörtliches Zitat aus Num 27,17. Das auch in Joh 10 verarbeitete Motiv von Jesus als dem Hirten aktualisiert die Erwartung des Messias als Hirte Israels (Ez 34,23-31; PsSal 17,40). Die Betonung des grünen Grases (Mk 6,39) deutet in Verbindung mit dem Hirtenmotiv auf eine christologische Rezeption von Psalm 23 hin. Die Anordnung der Mahlgemeinschaften in Abteilungen von 100 und von 50 Personen erinnert an die von Mose in der Wüstenzeit vorgenommene Lagerordnung der Israeliten (Ex 18,25), die in den Qumranschriften im Kontext von Endzeit und messianischem Mahl von Bedeutung ist (1QSa 1,14 f.; 1,27-2,1; 2,11-22). Mit dieser besonderen Gruppierung der an der wunderbaren Speisung beteiligten Personen wird die Menge als endzeitliches Gottesvolk charakterisiert, das Jesus als messianischer Hirte nährt und erhält, wie es Gott bei der Wüstenwanderung gegenüber Israel getan hat. Die Bereitstellung unermesslicher Mengen von Nahrung ist in apokalyptischen Traditionen des antiken Judentums charakteristisch für die Endzeit, von der man glaubte, sie werde in Analogie zur paradiesischen Urzeit alle Dinge im Überfluss bereithalten (Kollmann 1990, 204). Die Entstehung der Erzählung von der wunderbaren Speisung verdankt sich einem Zusammenwirken mehrerer Faktoren. In alttestamentlich-jüdischer Tradition wurde das zukünftige Heil, unseren Vorstellungen vom Schlaraffenland vergleichbar, mit dem Bild üppigen Essens und Trinkens umschrieben (Jes 25,6). Jesus hat diese Zukunftshoffnungen in die Gegenwart hineingeholt, indem er die Gottesherrschaft nicht nur in den schillernden Farben eines großen Festmahls ausmalte (Lk 14,16-24), sondern auch deren Anbrechen durch seine Mahlgemeinschaften mit Zöllnern und Sündern zeichenhaft zum Ausdruck brachte. In dieser von Jesus erweckten und in tatsächlichen Mahlgemeinschaften umgesetzten Hoffnung auf eine im Anbruch begriffene neue Welt, in der materielle Nöte überwunden und alle Hungrigen satt werden, hat die Geschichte von der wunderbaren Brotvermehrung ihre Wurzeln. Historischer Haftpunkt dürfte eine Mahlgemeinschaft Jesu am See Gennesaret sein. Bei der Ausgestaltung zum Wunder hat dann das Beispiel des Elischa, der 100 Personen mit 20 Broten satt werden ließ (2Kön 4,42-44), eine strukturbildende Vorbildfunktion ausgeübt. Jesus wird als Wunderprophet und endzeitlicher Heilsbringer proklamiert, der die Tat des Elischa bei weitem überbietet, indem er mit weitaus geringeren Speisemengen eine ungleich größere Anzahl von Menschen zu sättigen vermag. Die von der Erzählung widergespiegelte Sehnsucht nach unbegrenzten Mengen von Brot und Fisch ist auch vor dem Hintergrund konkreter Hungersnöte zu sehen, wie sie beispielsweise für die vierziger Jahre des 1. Jh. bezeugt sind (Apg 11,28; Flav. Jos. Ant. 20,51.101; vgl. Aus 2010, 1 f.).
Verstehensangebote und Deutungshorizonte Die Erzählung von der Speisung der 5000 eröffnet eine Vielzahl von Interpretationshorizonten. Markus als erster uns bekannter Interpret der Geschichte stellt die Brotvermeh298
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rung in den Kontext des Jüngerunverständnisses (6,52; 8,14-21) und weist das Wunder damit in seine Schranken. Noch weniger als die Dämonenaustreibungen und Heilungen vermögen die Naturwunder klare christologische Erkenntnis zu vermitteln, wie sie sich erst vom Ende der Geschichte Jesu her erschließt. Zudem wird durch die kompositorische Anordnung der Speisungsgeschichten 6,30-44 und 8,1-10 im topographischen Rahmen des Markusevangeliums ein weiterer wichtiger Aspekt deutlich. Markus gibt seinem Lesepublikum mit den beiden Brotvermehrungen einen versteckten Hinweis auf den Ablauf der Missionsgeschichte, indem die in Galiläa spielende Speisung der 5000 die Zuwendung Jesu gegenüber Israel versinnbildlicht und die am Ostufer des Sees Gennesaret in der Dekapolis angesiedelte Speisung der 4000 auf die Heidenmission anspielt (vgl. Pesch 1984a, 356). In der neueren Geschichte der Wunderhermeneutik konkurrieren rationalistische, kerygmatische, eucharistische, sozialgeschichtliche und tiefenpsychologische Deutungsmuster von Mk 6,30-44. Der Rationalismus suchte ab dem Ende des 18. Jh. der vernunftbetonten philosophischen Wunderkritik Rechnung zu tragen, indem er den Speisungsbericht so interpretierte, dass er nicht in Widerspruch zur Naturgesetzlichkeit geriet. Er beruhe auf Tatsachen und habe nichts der Vernunft Widersprechendes an sich, soweit man nur die in der Bibel nicht genannten natürlichen Ursachen erkenne. Entweder rechnete man mit großen Mengen von Brot und Fisch, die in Höhlen deponiert waren und herumgereicht wurden, oder man ging davon aus, dass Jesus mit seinem Beispiel die Reichen zum Teilen ihrer mitgebrachten Speisevorräte mit den Armen animiert habe (vgl. Schweitzer 1984, 82.92). Auch in Gerd Theißens romanhaftem Werk »Der Schatten des Galiläers« werden im Dialog zwischen Andreas und Johanna rationalistische Deutungsmuster in den Raum gestellt. Wenn dank der finanziellen Unterstützung der Jesusbewegung durch reiche Frauen (Lk 8,3) plötzlich Essen im Überfluss vorhanden war, sei es den armen Leuten, die solche Mengen von Lebensmitteln nicht kannten, wie ein Wunder erschienen. Zudem hätten angesichts des Überflusses viele ihre Brotreserven ausgepackt und mit anderen geteilt, da sie keine Angst mehr zu haben brauchten, zu kurz zu kommen (Theißen 2007b, 167). Die kerygmatische Deutung des Speisungswunders wurde durch David Friedrich Strauß vorbereitet. Er erklärte die Wunder zu Mythen, die Jesus unter Rückgriff auf alttestamentliche Traditionen zum Erweis seiner Messianität zugeschrieben wurden. Die Entstehung von Mk 6,30-44 sah er durch biblische Vorbilder wie Ps 107,4-9 oder das Wachtel- und Mannawunder der Mosezeit, v. a. aber durch die Speisevermehrungswunder der Elija-Elischa-Tradition inspiriert (Strauß 1835/36, 217-219). Die Betrachtung der Wunder Jesu als ungeschichtliche Mythen, die als Produkt des urchristlichen Messiasglaubens nicht auf ihre Geschichtlichkeit befragt, sondern theologisch interpretiert werden wollen, war damit etabliert. Insbesondere in der Bultmann-Schule wurde das Speisungswunder kerygmatisch gedeutet. Es erzähle aus der Perspektive des Osterglaubens im übertragenen Sinn vom Hungerstillen und Sattwerden in der von Jesus als endzeitlichem Heilsbringer herbeigeführten neuen Welt Gottes. Brot und Fisch gelten vor diesem Hintergrund als »die das wahre Leben spendende Gottesspeise, die auch im Tod noch am Leben erhält, das faßbar und schmeckbar gewordene Wort des Erbarmers« (Schmithals 1979, 326). In eine ähnliche Richtung geht die eucharistische Deutung des Geschehens. Sie betrachtet Mk 6,30-44 als Kultlegende, die eine Rückprojektion der kirchlichen Mahlfeier 299
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in das Erdenleben Jesu biete, oder geht zumindest von einer späteren Übermalung des Speisungsberichts mit eucharistischen Motiven und kerygmatischen Sinnfüllungen aus, welche die Bedeutung des Abendmahls erschließen wollten (van Iersel 1964/65, 167-194; vgl. Heising 1966, 61-68). Der Speisungsbericht gilt in diesem Kontext als Glaubenszeugnis und lebendiges Bekenntnis der Gemeinde zu dem auferstandenen Christus, der auf wunderbare Weise in der Abendmahlsfeier präsent ist und geistliche Speise in Fülle gibt. Der sozialgeschichtliche Ansatz von Gerd Theißen betont dagegen, dass Wundererzählungen v. a. Hoffnungsgeschichten der kleinen Leute sind und nicht nur kerygmatisch »von oben« interpretiert werden wollen. Sie wirkten symbolisch der Not entgegen, ließen die Zuversicht den Sieg über die Resignation davontragen und spornten dazu an, im alltäglichen Leben die Negativität des Daseins auch durch praktische Handlungen zu überwinden. Indem sie Einspruch gegen die realen Verhältnisse erheben, auf die Überwindung von Not drängen und für eine alternative soziale Praxis werben, könnten Wundergeschichten Handlungsmöglichkeiten für die Gestaltung und Veränderung unserer Lebenswirklichkeit erschließen. Im Wunder zeigt sich demnach der Entwurf einer alternativen Lebenswelt, der nach Verwirklichung ruft. Dies gilt auch für Geschenkwunder wie die Speisung der 5000 (Theißen 1998, 114). Die Erzählung bringt die Sehnsucht nach genügend Lebensmitteln für alle Menschen zum Ausdruck und klagt ein, dass Hungernde satt werden müssen. Dies schließt handlungsorientierte Impulse für eine verantwortliche Gestaltung unserer Wirklichkeit mit ein. Die Speisung der 5000 ist ein Hoffnungsbild gegen die Verzweiflung und gleichzeitig ein Appell zur Bekämpfung des Hungers in der Welt. Schon in der liberalen Theologie des 19. Jh. wurde die Geschichte der Brotvermehrung als Aufforderung gelesen, den Besitz mit den Bedürftigen zu teilen. Tiefenpsychologische Wunderauslegung dringt durch die Oberfläche einer biblischen Geschichte hindurch, um die auf der Tiefenebene verborgenen psychischen Konfliktsituationen und Bilder der Hoffnung an das Tageslicht zu befördern. Sie vermag aus den neutestamentlichen Wundergeschichten zeitlos gangbare Wege der Befreiung von Angst, innerer Zerrissenheit und seelischer Erkrankung, hin zu einer stabilen, in ganzheitlicher Harmonie lebenden und dabei auch ihre Schattenseiten bewältigenden Persönlichkeit aufzuzeigen und damit die heilsame Wirkung des Evangeliums zur Geltung zu bringen. Eugen Drewermann zufolge hat Jesus die Menschenmenge am See Gennesaret mit der reinen Macht des Vertrauens »ernährt«, das die Angst überwindet und zu gelebter Mitmenschlichkeit befreit. Unser ganzes Leben sei von der Sorge um materielle Absicherung bestimmt, die blind mache gegenüber der Situation der anderen. Die Geschichte von der Speisung der 5000 durchbreche die Haltung der Selbstbezogenheit und öffne den Blick auf eine neue Form geschichtlichen Handelns, das sich den Nöten der Mitmenschen zuwendet. Wer im Vertrauen auf Gott solches wage, erhalte körbeweise zurück. Gleichzeitig enthält die Geschichte für Drewermann aber auch den Appell, sich in die Rolle der Empfangenden zu versetzen. Wenn wir all das, was der andere von seinem Leben in unsere Hände legt, von Herzen annehmen und als Geschenk des Segens zurückgeben, ereignet sich das Wunder der Verwandlung unserer Armut in den Reichtum Gottes (Drewermann 2000, 433-440; ders. 1994, 324-332). Für Rolf Kaufmann begegnet Jesus im Speisungswunder als stiller Rufer, der in der Tiefe unserer Psyche das zentrale Urbild des Ganzen und Heilen berührt, die Sehnsucht nach wahrem Leben stillt und uns in diesem Sinne am Speisungswunder teilhaben lässt (Kaufmann 1992, 107-114).
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Aspekte der Parallelüberlieferung und Wirkungsgeschichte Die älteste außerkanonische Rezeption des Speisungsberichts begegnet in der apokryphen Epistula Apostolorum, die sich als Brief der zwölf Apostel an die Kirchen in der gesamten Welt ausgibt und wohl um die Mitte des 2. Jh. in Ägypten entstanden ist. Dort wird in der Aufzählung der Wundertaten Jesu auch auf die Geschichte von der Speisung der 5000 Bezug genommen und eine allegorische Deutung der ausgeteilten Brote als Bilder für die unterschiedlichen Facetten des Glaubens geboten. Die fünf Brote symbolisieren den Glauben an Gott, Jesus Christus, den Heiligen Geist, die Kirche und die Vergebung der Sünden (EpAp 5). Während die Darstellung des Speisungswunders in der Epistula Apostolorum auf den Evangelienberichten beruht, findet sich in den apokryphen Johannesakten ein Brotvermehrungswunder Jesu mit eigenständigen Zügen (Schneemelcher 1989, 165). ActJoh 93 Wenn er aber einmal von einem der Pharisäer eingeladen war und der Einladung nachkam, gingen wir mit ihm. Und jeder von uns erhielt von denen, die (uns) eingeladen hatten, ein (ihm) zugemessenes Brot, wobei auch er eines erhielt. Das seinige aber segnete er und verteilte es unter uns, und von dem Wenigen wurde jeder von uns satt, und unsere Brote blieben ganz erhalten, so dass die, die ihn eingeladen hatten, in Entsetzen gerieten. Die Episode spielt im Haus eines Pharisäers, bei dem Jesus mit den Jüngern zu Tisch sitzt. Anders als im neutestamentlichen Speisungswunder, wo auch das Fischmotiv eine tragende Rolle einnimmt, ist allein von einer Brotvermehrung die Rede. Während bei der Speisung der 5000 ein Mangel herrscht und das Wunder darin besteht, dass die ausgeteilten Nahrungsmittel eine riesige Menschenmenge sättigen und am Ende noch etwas übrig bleibt, wird hier davon gesprochen, dass das Jesus zugemessene Brot auch noch zur Sättigung der Jünger ausreicht und diese dank des Wunders ihr eigenes Brot nicht anzutasten brauchen. Eine Notsituation ist somit nicht gegeben. Es geht allein um den Erweis der göttlichen Kräfte Jesu, wie die durch Entsetzen gekennzeichnete Reaktion der Augenzeugen des Geschehens am Ende unterstreicht. Diese Besonderheiten zeigen, dass es sich bei der apokryphen Geschichte um eine gegenüber der Speisung der 5000 eigenständige Wundererzählung handelt. Wirkungsgeschichtlich bedeutsam ist auch der Sachverhalt, dass man im 4. Jh. den Ort der wunderbaren Speisung glaubte identifizieren zu können und bald mit einem Kirchenbau versah. Die biblischen Angaben über die Brotvermehrung setzen ein einsam gelegenes Berggelände am Ufer des Sees Gennesaret voraus, in dessen Fußnähe sich Häuser und Dörfer befinden, und sind eigentlich zu dürftig, als dass sie eine eindeutige Lokalisierung des Geschehens zuließen. Recht früh sah allerdings die christliche Tradition in Tabgha (»Siebenquell«) nahe Kafarnaum den Ort des Speisewunders. Die Pilgerin Egeria, die dort um 383 haltmachte, berichtet in ihren Reiseerinnerungen: Nicht weit von dort (von Kafarnaum) sind Steinstufen zu erkennen, auf denen der Herr stand. Dort liegt oberhalb des Meeres eine Wiese mit viel Gras und vielen Palmen und nahe dabei sieben Quellen, von denen jede einzelne ununterbrochen fließt. Auf dieser
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Wiese sättigte der Herr das Volk mit fünf Broten und zwei Fischen. Und in der Tat, der Stein, auf den der Herr das Brot legte, ist nun zum Altar gemacht worden. Von dem Stein nehmen die, die kommen, kleine Stücke für ihr Heil; und es nutzt allen (FC 20, 336-339).
Die von Egeria beschriebene sakrale Gedenkstätte wurde bald durch ein Erdbeben zerstört. Bei archäologischen Ausgrabungen in 1911 und 1932 konnten Reste der im 5. Jh. an ihrer Stelle erbauten byzantinischen Basilika freigelegt werden, die später ebenfalls einem Erdbeben zum Opfer fiel und auf deren Grundmauern 1982 ein moderner Kirchenbau errichtet wurde (Kroll 2002, 241-248; Riesner 2003, 173 f.). Das bei den Ausgrabungen freigelegte prächtige Fußbodenmosaik der byzantinischen Brotvermehrungskirche mit der Abbildung des Brotkorbs und der beiden Fische ist zum bekannten Symbol der biblischen Geschichte geworden. In der kirchlichen Auslegungsgeschichte von Mk 6,30-44 par. (vgl. Gnilka 2008a, 263 f.; Luz 2007, 397-400) dominiert ein allegorisches und heilsgeschichtliches Verständnis der Wundererzählung, das bei den Zahlenangaben ansetzt. So werden etwa die fünf Brote auf die fünf Bücher Mose, die zwölf Körbe auf die zwölf Apostel, die beiden Fische auf Psalter und Propheten gedeutet, die Jesus in die neue geistliche Speise verwandelte. Daneben begegnen auch paränetisch akzentuierte Auslegungsmuster, die entweder die Speisung mit wenigen Broten und Fischen als Appell zu einem christlichen Leben in Bedürfnislosigkeit begreifen oder aber im Gegenteil in der Wundergeschichte eine Anleitung zum unbeschwerten Genuss der von Gott geschenkten Speisen sehen. Neuere Auslegungen von Mk 6,30-44 betonen stärker den sozialethischen Impuls des Speisungswunders und verstehen die Erzählung als »Teilungsgeschichte«. Jesus wollte nicht, dass die Menschen hungern, und so ist die Speisung der 5000 auch ein Protest gegen den Hunger in der Welt. In Predigten und religionspädagogischen Entwürfen wird die Speisung der 5000 oftmals in direkte Beziehung zu Hilfsaktionen wie »Misereor« oder »Brot für die Welt« gesetzt. Jugendliche hören aus der Erzählung durchaus einen ethischen Appell heraus und empfinden sie bei allen Vorbehalten gegenüber Wundergeschichten doch als einen Text, der in alltäglichen Situationen Relevanz für das eigene Handeln gewinnen kann (vgl. Reiß/Freudenberger-Lötz 2009, 51). In dem Fotoprojekt I.N.R.I von Serge Bramly und Bettina Rheims werden Evangelientraditionen, darunter auch die Speisung der 5000, mit Hilfe von professionellen Models aus der Modewelt in einer sinnlichen Ästhetik visualisiert, wie sie aus FashionKatalogen oder Lifestyle-Magazinen bekannt ist. Auf einem goldgelben Stoppelfeld steht ein weiß gekleidetes Paar mit Kleinkind unter einem Baum, um den Hunderte von Fischen durch die Luft fliegen (Bramley/Rheims 1998, 104f.). Die visuelle Verfremdung des Speisungswunders vermittelt ein ästhetisch höchst ansprechendes Bild der Idylle und Hoffnung. Der scharfe Kontrast zwischen der biblischen Geschichte und der sozialen Wirklichkeit gibt allerdings auch Anlass zu kritischer Rückfrage. Die Speisung der 5000 vermittelt die Zuversicht, dass bei Jesus alle satt werden. In weiten Teilen der Erde ist dies fernab aller Realität. Lothar Zenetti nimmt in seinem Gedicht »Gedenkstein in der Sahelzone« (Berg/Berg 1987, 21) diese Spannung auf und bezieht die Versuchungsgeschichte mit ein, wo Jesus sich in der Wüste weigert, auf Drängen des Satans mit der Verwandlung von Steinen in Brot seine Wunderkraft zur Schau zu stellen (Mt 4,4). Die literarische Verfremdung stellt die Selbstverständlichkeit, mit der die Wunder Jesu als Hoffnungsbilder gelten und zugleich Schauwunder als illegitim betrachtet werden, massiv in Frage. 302
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Zumindest versteckt ist der Aufruf hörbar, Täter des Wortes zu werden und an die Stelle des scheinbar abwesenden Jesus zu treten. Gedenkstein in der Sahelzone Hier gab es keine Speisung der Fünftausend. Keinen mit fünf Broten und zwei Fischen. Keine Hand, die segnete und austeilte. Keinen, der satt wurde. Keinen, der ein Wunder beschrieb. Nicht einmal einen, der aus Steinen Brot zu machen riet: Selbst der Satan blieb aus an diesem ganz gewöhnlichen Tag unter der gnadenlose Sonne der Wüste Sahel.
Bernd Kollmann Literatur zur Weiterlesen R. D. Aus, Feeding the Five Thousand: Studies in the Judaic Background of Mark 6:30-44 par. and John 6:1-15, Lanham et al. 2010. F. Avemarie, Der Schöpferkraft Jesu trauen. Ein Versuch über die Speisungswunder des Markusevangeliums, in: P. Dabrock/S. Keil (Hg.), Kreativität verantworten. Theologisch-sozialethische Zugänge und Handlungsfelder im Umgang mit dem Neuen, Neukirchen-Vluyn 2011, 61-79. M. Kiel, The Apocalyptic Significance of Mark’s First Feeding Narrative (6:34-44), Koinonia 18 (2006), 93-113. U. Luz (Hg.), Zankapfel Bibel. Eine Bibel – viele Zugänge, Zürich 1992. J. P. Meier, A Marginal Jew. Rethinking the Historical Jesus, Vol. 2: Mentor, Message, and Miracles, New York 1994, 950-967. L. Schenke, Die wunderbare Brotvermehrung. Die neutestamentlichen Erzählungen und ihre Bedeutung, Würzburg 1983.
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Vom Winde verweht (Jesu Erscheinen auf dem See) Mk 6,45-53 (45) Und sogleich nötigte er seine Jünger, ins Boot zu steigen und zum anderen Ufer nach Betsaida vorauszufahren, während er selber die Volksmenge entlässt. (46) Und nachdem er sie verabschiedet hatte, ging er auf den Berg, um zu beten. (47) Und als es Abend geworden war, war das Schiff mitten auf dem See und er allein auf dem Land. (48) Und weil er sah, dass sie beim Rudern Qualen erlitten – denn der Wind war gegen sie –, kommt er um die vierte Nachtwache zu ihnen, indem er auf dem See ging; und er wollte zu ihnen gelangen. (49) Sie aber – als sie sahen, dass er auf dem See geht – meinten, es sei ein Gespenst und schrien auf. (50) Denn alle sahen ihn und wurden erschüttert. Er aber redete sogleich mit ihnen und spricht zu ihnen: »Habt Zuversicht! Ich bin es. Fürchtet euch nicht!« (51) Und er stieg zu ihnen in das Boot und der Wind legte sich. Und sie entsetzten sich sehr, ja über die Maßen. (52) Denn sie waren nicht aufgrund der Brote verständig geworden, sondern ihr Herz war verhärtet. (53) Und als sie zum Land hinübergefahren waren, kamen sie nach Gennesaret und legten an.
Sprachlich-narratologische Analyse Die Erzählung in Mk 6,45-52 ist wie kaum eine andere Perikope im Markusevangelium eng mit dem unmittelbaren literarischen Kontext, insbesondere mit der vorangegangenen Speisungserzählung, verzahnt – dies macht der Rückbezug auf die Speisungserzählung in dem Erzählerkommentar von V. 52a (vgl. ferner den Bezug von V. 52b zu 8,1721) explizit deutlich. Die Verknüpfung der Erzählungen geschieht v. a. durch ihre räumliche und zeitliche Verzahnung. V. 45 f. bilden einen klassischen Nexus: Der Übergang zu einem neuen Ereignis wird wie häufig im Markusevangelium (vgl. z. B. 1,10.12.18.20 f., 6,27; 7,25) nur subtil durch ka½ e'qÐ@ (kai euthys, etwa: »und sogleich …« oder »und anschließend …«) signalisiert. V. 45a schafft die szenischen Voraussetzungen für die Erzählung in V. 47-51, während V. 45b-46a die Speisungserzählung zum Abschluss bringen: Erst hier wird die Forderung der Jünger in V. 36a, die Menge zu entlassen (⁄pluson a'toÐ@ apolyson autous), eingelöst (vgl. V. 45b: ⁄polÐei tn clon apolyei ton ochlon). Dabei ist zu berücksichtigen, dass V. 35 mit seiner zweifachen Erwähnung der vorgerückten Stunde (ka½ ˇdh ¯ra@ poll»@ genomffnh@ kai e¯de¯ ho¯ras polle¯s genomene¯s … ka½ ˇdh ¯ra pollffi kai e¯de¯ ho¯ra polle¯) nicht nur die Speisungserzählung, sondern auch die darauf folgende Rettungserzählung zeitlich verortet. Deren szenische Vorbereitung wird mit V. 46b zum Abschluss gebracht: Jesu Gang auf den Berg, um dort zu beten (vgl. 1,35; 14,35.39), versetzt ihn erst in die Lage, vom Berg aus die Jünger auf dem See zu beobachten (V. 48a). Reflektiert schon die szenische Vorbereitung die für Markus typische Erzählökonomie, so gilt dies umso mehr für die nun folgende Erzählung in V. 47-51: Mit nur 304
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wenigen Pinselstrichen zeichnet Markus ein komplexes Gemälde einer Notlage der Jünger Jesu. Die Beschreibung der Ereignisse unter besonderer Hervorhebung des Zeitverlaufes (V. 35ac.47a.48c) macht nämlich deutlich, wie die Lage sich dramatisch zuspitzt: Die Jünger fahren spätnachmittags ab (vgl. V. 35) und haben gegen Abend – also nur wenige Stunden später – schon etwa die halbe Strecke zurückgelegt. Sie befinden sich V. 47a zufolge in der Mitte des Sees (¥n mffs†w t»@ qal€ssh@ en meso¯ te¯s thalasse¯s). Um die vierte Nachtwache, d. h. am frühen Morgen zwischen 3 und 6 Uhr (also etwa 6-10 Stunden später!), haben sie Betsaida noch immer nicht erreicht, sondern leiden Qualen beim Rudern gegen den offensichtlich gewaltigen Gegenwind (V. 48b). Der Aussage, dass die Jünger sich mitten im See befinden (V. 47a), ist die explizite Feststellung, Jesus sei allein auf dem Land (V. 47b), zur Seite gestellt, um somit zu betonen, dass die Jünger allein, d. h. ohne Jesus, auf dem See unterwegs sind (so zu Recht Dechow 2000, 218; auch Fritzen 2008, 289 f.). Damit wird das vom Evangelisten entwickelte Motiv der heilvollen Gegenwart Jesu bei bzw. seiner unheilvollen Abwesenheit von seinen Jüngern (z. B. 2,19 f., 3,14, vgl. du Toit 2006, 25-67) subtil aufgegriffen. Diese sorgfältig komponierte Zeitstruktur im Zusammenspiel mit dem Anwesenheit-/Abwesenheit-Motiv zeigt, dass das Erzählgefüge auf V. 51ab zusteuert, denn mit der doppelten Feststellung in V. 51, dass Jesus zu den Jüngern ins Boot steigt (= Wiederherstellung der Gemeinschaft mit dem Gegenwärtigen, V. 51a) und dass (folglich!) der Wind sich legte (Beendigung der Bedrohung, V. 51b), löst sich die in V. 45-48 entwickelte Spannung auf einen Schlag. Erkennt man diese Struktur der Erzählkomposition, lässt sich eine Schwierigkeit beheben, die bei der Auslegung von Mk 6,48 auftritt. Zunächst ist zu beachten, dass das Partizip §dðn ido¯n (V. 48a) am besten kausal als Begründung für Jesu Gang übers Wasser zu lesen ist: »Weil er sah, dass sie beim Rudern Qualen erlitten …, kam er um die vierte Nachtwache zu ihnen« (pr@ a'toÐ@ pros autous). Das Kommen Jesu zu den Jüngern ist also dadurch begründet, dass Jesus ihre schwierige Situation erkannt hat, und zielt darauf, diese zu beheben, indem er sich zu ihnen begibt. Der geradezu en passant erwähnte Gang auf dem See (V. 48d) dient also der Wiederherstellung der Gemeinschaft und somit der Aufhebung der Gefahr (du Toit 2006, 104). Beachtet man, dass die Aussage »er kam … zu ihnen, indem er auf dem See ging« den unmittelbaren literarischen Kontext für den darauf folgenden Satz (ka½ ˇqelen parelqe…n a'toÐ@ kai ¯ethelen parelthein autous) bildet, wird sofort deutlich, dass die traditionelle, von der Vulgata abhängige Übersetzung »er wollte an ihnen vorübergehen« u. ä. der bisherigen Erzähllogik zuwiderläuft und somit die Kohärenz des Textes einer schweren Belastungsprobe aussetzt. Es ist darum auch nicht verwunderlich, dass in der form- und redaktionskritischen Forschung zahlreiche Exegeten versucht haben, anlässlich dieser behaupteten Inkohärenz eine Scheidung zwischen Tradition und Redaktion vorzunehmen: Die mutmaßliche narrative Unebenheit wurde zum Anlass genommen, den entstehenden Widerspruch als Folge der Verbindung eines Motivs einer Epiphaniegeschichte mit einer Rettungserzählung zu erklären, die der markinische Redaktor unausgeglichen stehen gelassen haben soll (so z. B. Bultmann 1995, 231; Dibelius 1971, 97, und zahlreiche Ausleger nach ihnen, z. B. Theißen 1998, 186). Obwohl das mehrdeutige Verb parffrcesqai parerchesthai auch die Bedeutung »vorbeigehen an« annehmen kann, macht der Kontext eine solche Interpretation an dieser Stelle äußerst unwahrscheinlich. Das Wort parffrcesqai parerchesthai muss hier am ehesten in seiner Bedeutung »erreichen«, »gelangen zu« (vgl. z. B. Dtn 2,8LXX; Num 305
Die Wundererzählungen im Markusevangelium
20,17LXX; 21,22LXX; Jud 3,26LXX; ferner Apg 16,8) verstanden werden (vgl. du Toit 2006, 97 f.; ferner LSJM bzw. BAA, s. v. parffrcomai parerchomai). Liest man V. 46-51a in Anbetracht dieser Überlegungen, ergibt sich hinsichtlich des Plots folgende kohärente Lösung: Jesus kam um die vierte Nachtwache – über das Wasser wandelnd – zu den Jüngern (pr@ a'toÐ@ pros autous), weil er von seiner Warte auf dem Berg merkte, wie stark der Wind ihnen zusetzte. Als er zu ihnen aufschließen wollte (ˇqelen parelqe…n a'toÐ@ e¯thelen parelthein autous), nahmen sie die Gestalt wahr, die da über das Wasser auf sie zukam, schrien auf (⁄nffkraxan anekraxan) und waren aufgebracht (¥tar€cqhsan etarachthe¯san), weil sie glaubten, dass ein Gespenst auf sie zuliefe (˛doxan ˆti f€ntasm€ ¥stin edoxan hoti phantasma estin). Die Not der Jünger steigert sich also: Haben sie schon unter dem gewaltigen Wind zu leiden, kommt auch noch die Bedrohung durch ein Gespenst dazu, die bei ihnen Angst auslöst (vgl. die Aufforderungen in V. 51df., zuversichtlich zu sein und sich nicht zu fürchten). Innerhalb des Erzählablaufes bildet die Einführung neuer Themen (Gespenst, Furcht der Jünger) in V. 49 f. also eine erzählerische Komplikation, die eine doppelte Funktion erfüllt: Zum einen erzeugt sie durch die Verzögerung des Erzählablaufes und die damit einhergehende narrative Spannung erhöhte Aufmerksamkeit beim Leser, zum anderen wird eine intratextuelle Verknüpfung der Erzählung mit dem an anderen Stellen im Evangelium verhandelten Thema von Furcht/Zuversicht hergestellt (vgl. bes. 4,40; 5,36). Diese zweifache Not der Jünger wird nun in V. 55 f. in zwei Schritten behoben: (1) Zunächst (V. 51c-f) spricht Jesus mit ihnen und fordert sie auf, zuversichtlich zu sein (qarse…te tharseite) und sich nicht zu fürchten (m¼ fobe…sqe me¯ phobeisthe). Das zwischen den beiden Imperativen stehende ¥gð e§mi ego¯ eimi hat die Funktion, den Aufruf zu Zuversicht bzw. Furchtlosigkeit zu begründen: Der Ausdruck »ich bin es« bedeutet hier etwa »derjenige, der zu euch kommt, bin ich, nämlich Jesus, den ihr ja kennt« (zur Deutung von ego¯ eimi als Offenbarungsformel s. u.), so dass Jesus durch seine Selbstidentifikation und die Zusicherung seiner Gegenwart der Angst der Jünger effektiv begegnet, weil dadurch die mutmaßliche Bedrohung durch ein Gespenst entfällt. Dadurch wird das markinische Thema »Zuversicht statt Angst« (vgl. bes. 4,40; 5,36) mit dem Motiv der Gegenwart Jesu verknüpft. (2) Dann steigt Jesus zu den Jüngern in das Boot (⁄nffbh pr@ a'to±@ e§@ t plo…on anebe¯ pros autous eis to ploion; Mk 6,51a) – damit wird die von V. 48c-e erzeugte Spannung gelöst (vgl. bes. das korrespondierende pr@ a'toÐ@ pros autous, V. 48c-51a)! Daraufhin legt sich der Gegenwind, der die Jünger schon die ganze Nacht quälte (vgl. V. 48), sofort (V. 51b: ka½ ¥kpasen ¡ ˝nemo@ kai ekopasen ho anemos = Mk 4,39!). Es handelt sich um einen kausalen Zusammenhang: Die Gegenwart Jesu bei den Jüngern genügt, um die Bedrohung des Windes zu beseitigen, womit das Ausgangsproblem der Erzählung, nämlich die Bedrohung durch den Sturmwind (V. 48ab), gelöst ist. In V. 48-55 liegt also eine sorgfältig strukturierte Ringkomposition (ABC-C’B’A’) vor: V. 48ab-51b (A-A’); 48c-e-51a (B-B’); 49-50ab-50c-g (C-C’). Die aufgezeigten Strukturmerkmale des Textes haben u. a. die lektürelenkende Funktion, Mk 6,45-52 in erster Linie als eine Erzählung über ein Sturmstillung und somit als Rettungserzählung (also analog zu Mk 4,35-41!, so schon EpAp 5,12; zu den Gemeinsamkeiten der beiden Erzählungen vgl. Dechow 2000, 217-226) zu lesen. In V. 51c-52 liegt der Abschluss der Erzählung vor. Er besteht zunächst in der Feststellung, dass die Jünger auf die Beruhigung des Windes mit völligem Entsetzen reagieren – sie sind außer sich (V. 51c, vgl. Mk 4,41). Sodann steuert der Erzähler zum Schluss eine 306
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Erklärung für dieses Jüngerverhalten bei, nämlich dass sie nicht aufgrund der Brote zur Einsicht gekommen seien. Offenkundig liegt hier ein Rückverweis auf die vorangegangene Erzählung von der Speisung der Fünftausend vor (Mk 6,30-44). Die intratextuelle Bezugnahme hat die Funktion jener Erzählung zu vergegenwärtigen. Berücksichtigt man die von der Speisungserzählung konnotierte alttestamentliche Motivik (vgl. dazu 3.), lässt sich der Erzählerkommentar in V. 52 so erklären, dass dem Erzähler zufolge die Jünger sich angesichts der Beruhigung des Windes entsetzten, weil sie nicht aufgrund der Speisung zu der Einsicht gelangt sind, dass Jesus (wie Mose) ein Bevollmächtigter Gottes ist, in dessen Handeln sich Gottes rettende, schöpferische Macht konkretisiert (liegt in Mk 6,52 o' gÞr sun»kan ou gar syne¯kan [denn sie waren nicht verständig geworden] eine Anspielung auf Ps 105,7aLXX vor?). Daraus ergibt sich auch, dass die Erzählung von Jesu Gang auf dem See als Analogie zu dem Geschehen am Schilfmeer gedacht ist. Mose, der von Gott dazu bevollmächtigt war, dem Meer zu gebieten (vgl. Ex 14,16.21 f.26 f.; Jes 63,11-14), rettete das Volk und führte es trockenen Fußes durch das Schilfmeer. Jesus agiert mit vergleichbarer Vollmacht: Ähnlich wie Mose mit dem Volk trockenen Fußes durch das Meer schreitet, geht Jesus zur Rettung der Jünger zu Fuß über das Wasser des Sees. Ähnlich wie Mose als Gottes Bevollmächtigter Israel vor der zerstörerischen Macht des Meeres bzw. des Windes bewahrt, schützt Jesu Präsenz die Jünger vor der Gewalt des Windes. Die Jünger, die trotz der Erfahrung der wunderbaren Speisung nicht zu dieser Einsicht gelangt sind, können also nur mit entsetzter Verblüffung auf Jesu Handeln reagieren, ist doch »ihr Herz verhärtet« (V. 52b). Diese Aussage legt eine proleptische intratextuelle Verknüpfung zu Mk 8,17-21 nahe, wo die Herzensverhärtung mit Hilfe von Jer 5,21 als ein Wahrnehmen ohne richtige Erkenntnis gezeichnet wird (vgl. du Toit 2006, 101-105). Entgegen der üblichen Perikopeneinteilung wird die Erzählung erst in V. 53 abgeschlossen: »Und nachdem sie zum Land übersetzt haben, kamen sie nach Gennesaret und legten an.« Klar ist, dass die Jünger – die ja nach Betsaida wollten (V. 45) – an einem ganz anderen Ort landeten, als sie vorhatten. Sie wurden regelrecht vom Winde verweht.
Sozial- und realgeschichtlicher Kontext Die Erzählung spielt am und auf dem See von Galiläa (Mk 1,16) bzw. Gennesaret, wie ein ortskundiger Leser schon aus der Erwähnung von Betsaida (V. 45) bzw. Gennesaret schließen kann. Der See ist im Jordan-Talgraben 200 m unter dem Meeresspiegel gelegen und hat eine Länge von bis zu 32 km und eine Breite von bis zu 12 km, eine Tiefe von bis zu 43 m (durchschnittlich 26 m). Da die Speisungserzählung nicht genau lokalisiert ist, gilt dies auch für den Beginn unserer Erzählung. Der literarische Kontext – Jesus ist in Galiläa: 5,21, 6,1.6 – legt jedoch nahe, dass die Ausgangsereignisse sich am Westufer des Sees abspielen, wahrscheinlich irgendwo nördlich von Tiberias. Die Referenzen der beiden Ortsbezeichnungen Betsaida (V. 45) und Gennesaret (V. 53) sind strittig: Bei Betsaida (nach Joh 1,44 dem Herkunftsort einiger Jünger Jesu, nämlich Andreas, Petrus, Philippus) handelt es sich am ehesten um eine Ortschaft in der Gaulanitis an der Nordseite des Sees am Ostufer des Jordans, einen Fischerort, der zur Zeit Jesu noch in Ufernähe gelegen haben muss (Arav 2006, 148-150.159-166). Aufgrund von Joh 12,21 hält sich jedoch hartnäckig die alternative These, Betsaida sei eine Ortschaft in der unmittelbaren Nähe von Kafar307
Die Wundererzählungen im Markusevangelium
naum gewesen. Bei dem in V. 53 erwähnten Gennesaret handelt es sich entweder um jene Landschaft Galiläas, die an die nordwestliche Küste des Sees grenzt, oder aber um einen ebenda gelegenen, gleichnamigen Küstenort (Ginnosar bzw. Kinneret). Bei dem in V. 45, 47, 51 erwähnten Boot (plo…on ploion, vgl. auch Mk 4,1; 4,355,2; 5,21) handelt es sich wahrscheinlich um ein Fischerboot (vgl. Mk 1,16-20). Reste eines solchen Bootes mit einer Länge von etwa 9 m, einer Breite von 2,5 m und einer Höhe von etwa 1 m wurden im Jahr 1986 im Uferschlamm entdeckt und aufwändig ausgegraben (Wachsman 2000; Charlesworth 2006b, 41 f.). Es war für vier Ruderpaare und ein Segel ausgelegt und konnte etwa 15 Personen befördern. Auffällig ist der geringe Tiefgang, der das Boot ungeeignet für hohen Wellengang macht. Die in der Erzählung dargestellten Windverhältnisse (vgl. ˝nemo@ anemos) entsprechen im Wesentlichen den geologischen bzw. meteorologischen Verhältnissen: Der See von Gennesaret, der fast ganz von hohen Gebirgshängen umringt ist, ist von Fallwinden geprägt, die durch die von den bis zu 500 m großen Höhendifferenzen bedingten Temperaturunterschiede erzeugt werden (Bitan 1981). Im Sommer entstehen ab Mittags immer stärker anwachsende westliche Fallwinde, die erst am späten Nachmittag bzw. frühen Abend allmählich abflauen und sich abends legen. Da die Landmassen sich nachts abkühlen, entstehen nachts erneut Fallwinde, die dann z. B. im Nordosten, von den Golanhöhen kommend, aus der entgegengesetzten Richtung wehen (Bitan 1981, 480 f.). Die Erzählung in Mk 6 scheint ein solches Szenario darzustellen: Die Jünger fahren bei abflauendem West- bzw. Südwestwind ab und machen zunächst (bis der Wind sich legt) gute Fortschritte gen Betsaida, bekommen es aber dann in der Nacht mit einem stürmischen Gegenwind aus Nordost zu tun. Einem ortskundigen Leser würde die Landung in Gennesaret signalisieren, wie weit das Boot vom Kurs abgekommen ist.
Traditions- und religionsgeschichtlicher Hintergrund In der form- und redaktionskritischen Forschung wurde parelqe…n parelthein als Element einer Gattung »Epiphanie (einer Gottheit)« betrachtet (so z. B. Bultmann 1995, 231; Dibelius 1971, 97; und zahlreiche Ausleger nach ihnen, z. B. Theißen 1998, 186). Dementsprechend legen Ausleger, die aufgrund von V. 48e die Erzählung als Epiphanieerzählung betrachten, ¥gð e§mi (ego¯ eimi Ich bin es!) gerne als Offenbarungsformel einer erscheinenden Gottheit aus (vgl. z. B. Theißen 1998, 103.247; Blackburn 1991, 150 f.), im vorliegenden Kontext als christologische Offenbarungsformel des über den Naturgewalten triumphierenden Gottessohnes bzw. göttlichen Menschen (qe…o@ ⁄nffir theios ane¯r). Als traditionsgeschichtlicher Hintergrund wird in der Regel die alttestamentliche Selbstoffenbarungsformel Gottes »Ich bin« angeführt, wie sie z. B. in der Form des Hebräischen ejea ’hjh in Ex 3,14 oder afe jna ’nj hw’ in Dtn 32,39; Jes 41,4; 48,12 (in der Septuaginta jeweils ¥gð e§mi ego¯ eimi) vorliegt (für eine umfassende Darstellung sowie kritische Auseinandersetzung mit der Forschung vgl. Williams 2000, 1-214). Anderen zufolge (so auch die Auslegung hier) handelt es sich in erster Linie um eine »Identifikations- bzw. Rekognitionsformel« (z. B. Dechow 2000, 225; ferner Pesch 1984a, 361 f., der allerdings einen doppelten Sinn, Identifikation und Offenbarung, erkennen will; ähnlich Williams 2000, 214-224). Der Gang eines Menschen über Wasser ist generell in der Antike selten (Zusammenstellung der wenigen Belege bei Luz 2007, 407.410) und hat insbesondere in der 308
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alttestamentlich-jüdischen Tradition keine Analogie. Generell ist der Gang über Wasser im alten Orient und der griechisch-römischen Welt Gott (vgl. Hi 9,8, 38,16, ferner Ps 77,20; Jes 43,16; OdSal 39,9 f.) bzw. Göttern (z. B. Schamasch, vgl. Gilgam. 10,71-77; vgl. ferner bes. Dio Crys. or. 3,30 f.) und ggf. Göttersöhnen bzw. Halbgöttern (Orion, Tityos, s. Luz, ebd.) vorbehalten. In der pythagoreischen Tradition wird die Fähigkeit Pythagoras und seinem Schüler Abaris zugeschrieben (Porph. vit. Phyt. 29; Iamb. vit. Pyth. 19,91), im indischen Kulturkreis Buddha und einigen seiner Jünger. In Mk 6,48 ist es naheliegend, die Fähigkeit Jesu, über Wasser zu gehen, als Ausdruck der Vollmacht Jesu zu verstehen, der als geistbegabter Bote bzw. Repräsentant Gottes stellvertretend dessen Macht über die bedrohliche Naturgewalten ausübt. Die Speisungserzählung in Mk 6,30-44, auf die in V. 52 Bezug genommen wird, weist eine Reihe von Motiven auf, die weitere Auskunft über die erzählerische Funktion der Erzählung von Jesu Erscheinung auf dem See geben. (1) Entscheidend sind das Zitat von Num 27,17b in V. 34 und die Anspielung auf Ex 18,21.25 in V. 39 f.: Beide beziehen sich auf die Wüstenwanderung und implizieren, dass Jesus – wie einst Mose – das Gottesvolk sammelt. Die Darstellung hat also zum einen die Funktion, Jesus mit Mose zu parallelisieren und ihn als vergleichbar mit Mose darzustellen. (2) Zum anderen wird die Vollmacht Jesu aufgezeigt. Als Hirte des Volkes (vgl. V. 39) nimmt er eine Aufgabe wahr, die traditionellerweise Gott zugeschrieben wird (vgl. z. B. Ps 23,1 f.; Jes 40,11; Jer 31,10). Zugleich wird dadurch die Analogie zu Mose weitergeführt, der in Jes 63,11 als Hirte bezeichnet wird. (3) Zum Dritten wird die Speisungserzählung als Rettungsgeschichte dargestellt (vgl. V. 34, ferner 8,1-3). In einer aussichtslosen Situation wird die Not der Menge behoben: In Jesu Handeln konkretisiert sich Gottes schöpferische Macht, so dass alle in Fülle zu essen bekommen. Abgesehen von diesen traditions- bzw. motivgeschichtlichen Fragen stellt sich die Frage nach der religionsgeschichtlichen Herkunft der Erzählung. Sie ist eng mit der traditionsgeschichtlichen Frage verknüpft: Sofern man nicht von einer »freien christologischen Bildung« (z. B. Pesch 1984a, 362 f.) zur Darstellung eines besonderen christologischen Profils ausgeht (z. B. Jesu Göttlichkeit, Jesu göttliche Vollmacht, Überbietung von Mose), gibt es in der Forschung zwei Lösungsvorschläge: (i) Hält man das Epiphaniemotiv traditionsgeschichtlich für ursprünglich, öffnet sich die Möglichkeit, die Erzählung als eine in das Leben des irdischen Jesus zurückverlegte Ostererzählung zu betrachten (vgl. Alsup 1975, 140 f. und 167-172). (ii) Neuerdings kommen kulturanthropologische Modelle zur Anwendung, um die Entstehung solcher Traditionen vor dem Hintergrund historischer Erfahrungen von außergewöhnlichen Bewusstseinszuständen der Jünger zur Lebzeit Jesu zu erklären (Malina 1999; Craffert 2008, 226 f.).
Verstehensangebote und Deutungshorizonte Die Erzählung von Jesu Erscheinen auf dem See ist wie keine andere Perikope im Markusevangelium auf vielfache Art eng mit dem literarischen Kontext verzahnt. Diese Kontextbezogenheit macht deutlich, dass eine von der Gesamterzählung isolierte Auslegung dem Text nicht gerecht würde. In der Rezeptionsgeschichte des Textes stand eh und je das Wunder vom Gehen auf dem Wasser und somit die Christologie, genauer: Hoheitschristologie in der Mitte des 309
Die Wundererzählungen im Markusevangelium
Interesses (s. u.). Solche hoheitschristologischen Deutungen stellten v. a. die Einzigartigkeit bzw. vermeintliche Göttlichkeit Jesu heraus. Das Wissen um die aufgezeigten religionsgeschichtlichen Parallelen impliziert jedoch, dass die Frage nach der Bedeutung dieses Motivs – der eigentlichen Fußangel dieses Textes für heutige Menschen! – sich heute ganz anders stellt als zu frühchristlichen Zeiten. Statt die Einzigartigkeit Jesu zu begründen, haben wir es aus heutiger Perspektive mit einer Konvergenz antiker religiöser Vorstellungen zu tun, so dass Jesus zu einem kontingenten Vehikel gewisser religiöser Erfahrungen wird, die auch ihn selbst transzendieren (so etwa Luz 2007, 412). Für die christliche bzw. christologische Besonderheit der Aussage des Textes über Jesus ist man jedoch auf den Gesamtkontext des Evangeliums verwiesen (vgl. auch Luz 2007, ebd.), das Jesu Rolle in Gottes Zuwendung an die Menschen darstellen will. Da Erzählungen in der Regel Identifikationsangebote für die Leser bereitstellen, ist die Auslegungsgeschichte mit mehr oder weniger symbolischen bzw. allegorischen Deutungen durchzogen, die der Erzählung einen symbolischen Gehalt zuschreiben, die eine aktualisierende Hermeneutik ermöglichen sollen. Dabei dienen v. a. die Jünger als Vehikel der Identifikation. Generell setzen solche Deutungen voraus, dass die erzählte Situation transparent für die Situation der Erstleser sowie heutiger Leser sei (z. B. Fritzen 2008, 289 und viele andere; kritisch dazu du Toit 2006, 323-331). Manche Ausleger, die sich bemühen, die vorliegende Textgestalt als einen vom Evangelisten kohärent gestalteten Text zu verstehen, aber das parelqe…n a'toÐ@ (parelthein autous) in V. 48 im Sinne von »an ihnen vorbeigehen« deuten, wählen als hermeneutischen Schlüssel eine pädagogische Symbolik dieser Begebenheit. Das Vorbeigehen Jesu wird dann als implizite Aufforderung verstanden, Jesus in Glauben nachzufolgen (van Iersel 1992), bzw. als pädagogischen Anreiz, die eschatologischen Möglichkeiten des Glaubens zu erkennen, zu ergreifen und entsprechend (mutig) zu handeln (Dechow 2000, 219-226; ähnlich Marshall 1989, 217; kritisch du Toit 2006, 98). Symbolische Deutungen, die die Erzählmotive der Not der Jünger sowie der Anbzw. Abwesenheit Jesu zum Ausgang der Deutung machen, deuten die Erzählung häufig im Sinne der situationellen Transparenz als Symbol für die Erfahrung der Abwesenheit Gottes bzw. des Gottessohnes, der der Evangelist allerdings entgegenhält, dass die Abwesenheit nie als völlige Verlassenheit wahrgenommen werden darf, sondern dass der Leser (den Jüngern analog) in Notsituationen Trost in dem Wissen um die machtvolle Nähe Gottes bzw. die Gegenwart des Gottessohnes finden kann (z. B. Fritzen 2008, 290 f.). Die intensive Verzahnung des Textes mit dem literarischen Kontext erfordert, die Geschichte als episodische Entfaltung und Konkretisierung bestimmter erzählerischer Motive des Evangeliums zu lesen. Die Tatsache, dass die Erzählung von der Speisung der 5000 und der Erscheinung auf dem See (6,30-52) auf die Herodeserzählung folgt (6,14-29), in der die Frage nach der Identität Jesu zentral ist (6,14-16), zeigt, dass das Motiv der Frage nach der Identität Jesu (vgl. auch 4,41!; ferner 1,27; 6,3; 8,27 f.) hier mitverhandelt wird. Darin liegt die Berechtigung jener (bes. form- und redaktionsgeschichtlichen) Deutungen, die das Offenbarungsmotiv und somit die Frage nach der Identität Jesu und somit die Christologie in die Mitte des Interesses stellen (z. B. exemplarisch für viele Pesch 1984a). Die vielfache Verzahnung des Textes mit dem Kontext zeigt zwar, dass das zentrale Motiv der heilvollen Präsenz Jesu bei den Seinen (du Toit 2006; Fritzen 2008), das generell in den Wundererzählungen, aber besonders in den Speise- und Bootserzählungen 310
Vom Winde verweht Mk 6,45-53
thematisiert wird, einen Schlüssel zum Verständnis des Textes bietet (s. o. 2.2). Eine konsequente Berücksichtigung des literarischen Kontextes zeigt aber auch, dass im Markusevangelium die heilvolle Gegenwart Jesu ein Kennzeichen der Vergangenheit war, wohingegen die Gegenwart der (Erst-)Leser als Zeit der unheilvollen(!) Abwesenheit Jesu dargestellt wird (du Toit 2006; Fritzen 2008). Diese narrative Konstellation erschwert es erheblich, mit Hilfe des Instruments der Situationsanalogie eine einfache symbolische Identifikationshermeneutik (s. o. 2.) zu betreiben (du Toit 2006, 323-331; anders Fritzen 2008, 363-378), sondern erfordert eine komplexe Hermeneutik, die die gesamte Symbolwelt der Erzählung berücksichtigt. Die folgenden Überlegungen zu einem Aspekt des Textes können als Beispiel für den vorgeschlagenen Weg dienen: Trotz der proleptischen Vergegenwärtigung der Herrschaft Gottes in den Taten Jesu, die Gottes endzeitliches Heil während der Zeit der Gegenwart Jesu geradezu handgreiflich erfahrbar macht (passim), und trotz der wiederholten Konkretisierung der Schöpfungsmacht Gottes dort, wo in der Begegnung mit Jesus Gott Vertrauen bzw. Glauben entgegengebracht wird (z. B. 5,34.35; 9,23 f.), haben sogar die Jünger als die ständigen Begleiter Jesu große Mühe, seine Bedeutung zu begreifen (z. B. 6,52; 8,1721) oder Glauben zu haben, d. h. im Vertrauen auf Gott zuversichtlich zu sein, statt Angst zu haben (z. B. 4,40; 6,49 f.!). Im Markusevangelium fällt Glauben also sogar unter den denkbar besten Bedingungen schwer, und er kann sogar bei Jesu engstem Vertrauten in Unglauben umschlagen (8,27-33; 14,29-31.66-72). Berücksichtigt man dies, lassen sich Jüngerunverständnis und -unglaube zugleich als Trost und Mahnung begreifen. Einerseits der Trost: Wenn schon unter der Bedingung der Gegenwart Jesu seinen Jüngern das Glauben nicht immer gelungen ist, gilt dies dann nicht umso mehr für jene, die unter den Bedingungen seiner Ferne glauben müssen? Werden nicht auch sie sich auf die Vergebungsbereitschaft Jesu verlassen dürfen (vgl. 2,10 und 16,7, wo Petrus wieder in den Jüngerkreis integriert wird)? Andererseits die Mahnung: Wenn sogar Jesu Vertrauter unter besten Glaubensbedingungen gestrauchelt ist, um wie viel mehr wird dann der Glaubende unter nicht idealen Bedingungen gefährdet sein (vgl. 4,14-19; 13,20; 14,27, ferner 3,28 f.)!
Aspekte der Parallelüberlieferung und Wirkungsgeschichte Parallelüberlieferungen zu der Erzählung gibt es in Mt 14,22-33 und Joh 6,16-21, wohingegen die Erzählung in Lk fehlt (dort beginnt im Anschluss an die Speisung der 5000 die so genannte große lukanische Lücke). Auffällig ist, dass der Zusammenhang »wunderbare Speisung – Seewandel – Reaktion der Menge / des Volkes« (Mk 6,32-56 par. Mt 14,13-36) auch in Joh 6,1-25 vorliegt. Die Tatsache, dass ferner Mk 8,1-30 par. Mt 15,32-16,20 und Joh 6,16-71 (mit der Ausnahme des markinischen Sonderguts 8,22-26 sowie des johanneischen Sonderguts 6,60-66) dieselbe Reihenfolge »wunderbare Speisung – Zeichenforderung – Gespräch über das Brot / die Speisung – Petrusbekenntnis« vorliegt, gibt – sofern man nicht die Abhängigkeit des Johannes von Markus annimmt (so etwa Mackay 2004) – Anlass zu der Vermutung, dass die Verknüpfung von Speisung und Seewandel Markus schon in einem vormarkinischen Überlieferungskomplex vorgelegen haben könnte. Dementsprechend ist dann mit der Möglichkeit älterer Formen der Überlieferung in der matthäischen und johanneischen Fassung zu rechnen (vgl. dazu z. B. Alsup 1975, 140 f. und 162-172). 311
Die Wundererzählungen im Markusevangelium
Folgt man der Zwei-Quellen-Hypothese und geht man davon aus, dass das Markusevangelium dem Verfasser des Johannesevangeliums vorlag, liegen die frühesten Rezeptionen der Erzählung in Mt 14,22-33 und Joh 6,16-21 vor. Beide Verfasser deuten die markinische Erzählung (mit Rückgriff auf Sonderüberlieferung?) um: Im Johannesevangelium ist trotz der Erwähnung eines starken Windes in V. 18 das Rettungsmotiv zugunsten des Epiphaniemotivs zurückgedrängt: Alles konzentriert sich auf die Erscheinung Jesu. Ebenso wird das markinische Leitmotiv der Wiederherstellung der Gemeinschaft bzw. Gegenwart Jesu (V. 50 f.) zugunsten einer Steigerung des Wunders (Joh 6,21) fallen gelassen. Der Verfasser des Matthäusevangeliums überarbeitete das Ende der Erzählung intensiv und ersetzte V. 51 f. mit der Erzählung von Petrus’ Gang auf dem See (14,28-31, vgl. Joh 21,7 f.) sowie von dem gemeinsamen Bekenntnis der Jünger im Boot zu Jesus als dem Gottessohn (14,32 f.). Dadurch wird das Jüngermissverständnis in V. 52 mitsamt dem Querverweis auf die Speisungserzählung mit dem Thema Glaube/Bekenntnis ersetzt, so dass die Erzählung ein ganz anderes Gefälle bekommt. In der weiteren Rezeptionsgeschichte der Erzählung lässt sich durchgehend eine folgenreiche Reduktion des Interesses auf das Mirakel des Gehens auf dem Wasser erkennen (so wird schon in EpAp 5,12 die ganze Erzählung auf die Worte reduziert: »Und weiterhin wandelte er auf dem Meer«). Dies ist insofern bemerkenswert, als das Motiv in der Erzählung selber nicht im Fokus steht, sondern lediglich en passant erwähnt wird (V. 48d, 49a) – somit wurde ein Nebenmotiv zum Dreh- und Angelpunkt der Deutung, wie auch die fest im christlichen kollektiven Gedächtnis verankerte Perikopenüberschrift Jesu Seewandel zeigt. In der Kunstgeschichte wurde diese Reduktion perpetuiert: Die Erzählung wird durchgehend als Seewandel Jesu rezipiert, und zwar fast ausschließlich in der Fassung des Mt als Geschichte von der Errettung des ertrinkenden Petrus (vgl. LCI 3, 546-550).
David du Toit Literatur zum Weiterlesen J. Dechow, Gottessohn und Herrschaft Gottes. Der Theozentrismus des Markusevangeliums, WMANT 86, Neukirchen-Vluyn 2000, 211-226. D. S. du Toit, Der abwesende Herr. Narrative und geschichtstheologische Strategien im Markusevangelium zur Bewältigung der Abwesenheit des Auferstandenen, WMANT 111, Neukirchen-Vluyn 2006, 88-109. W. Fritzen, Von Gott verlassen? Das Markusevangelium als Kommunikationsangebot für bedrängte Christen, Stuttgart 2008, 281-298. I. D. Mackay, John’s Relationship with Mark. An Analysis of John 6 in the Light of Mark 6-8, WUNT 2/182, Tübingen 2004. B. J. Malina, Assessing the Historicity of Jesus’ Walking on the Sea: Insights from Cross-Cultural Social Psychology, in: B. Chilton/C. A. Evans (Hg.), Authenticating the Activities of Jesus, NTTS 28/2, Leiden 1999, 351-371. B. M. van Iersel, Ka½ ˇqelen parelqe…n a'toÐ@. Another Look at Mk 6,48d, in: F. van Segbroeck et al. (Hg.), The Four Gospels 1992, FS F. Neirynck, BEThL 100, Leuven 1992, 1065-1076. C. H. Williams, I am He. The Interpretation of ’Anî Hû’ in Jewish and Early Christian Literature, WUNT 2/133, Tübingen 2000.
312
Es ist genug für alle da! (Die Heilung der Tochter der Syrophönizierin) Mk 7,24-30 (24) Von dort brach er auf und ging fort in das Gebiet von Tyrus. Er kehrte in ein Haus ein und wünschte, dass es niemand erfahre, aber er konnte nicht verborgen bleiben. (25) Vielmehr hörte sofort eine Frau von ihm, deren kleine Tochter einen unreinen Geist hatte, sie kam zu ihm und kniete zu seinen Füßen nieder. (26) Die Frau war eine Griechin, der Abstammung nach Syrophönizierin. Und sie bat ihn, dass er den Dämon austreibe aus ihrer Tochter. (27) Und er sprach zu ihr: »Lass zu, dass zuerst die Kinder gesättigt werden, denn es ist nicht richtig, das Brot der Kinder zu nehmen und den Haushunden hinzuwerfen.« (28) Sie aber antwortete und spricht zu ihm: »Herr, auch die Haushunde unter dem Tisch essen von den Brosamen der kleinen Kinder.« (29) Da sprach er zu ihr: »Wegen dieses Argumentes geh hin! Ausgefahren ist der Dämon aus deiner Tochter.« (30) Und sie ging fort in ihr Haus und fand das kleine Kind niedergestreckt auf dem Bett und den Dämon ausgefahren.
Sprachlich-narratologische Analyse Die Perikope ist zeitlich unbestimmt, aber die Ortsangabe und das Thema verknüpfen die Erzählung mit dem Kontext: Jesus verlässt das Gebiet um den See Gennesaret, wo er bislang gewirkt hat. Verben der Bewegung (Komposita von ˛rcesqai erchesthai – kommen) rahmen die Erzählung durch eine Inklusion und dominieren sie auch: Jesus geht fort und in die Region um Tyrus, die Frau kommt zu ihm, schließlich geht die Frau heim, der Dämon weg. Die Erzählung ist im Blick auf Ort und Zeit geschlossen. Mit dem zuvor erzählten Gespräch Mk 7,1-23 lose verknüpft ist sie durch das in der Bezeichnung »unreiner Geist« anklingende Thema der Reinheit (s. 7,19). Außerdem spielt auch die folgende Heilungserzählung (7,31-37) im nichtjüdischen Land, in der Dekapolis, allerdings auf der anderen Seite des Sees. Schließlich verbindet das Stichwort ˝rto@ (artos) »Brot« die Erzählung in der Komposition des Markus mit dem Makrokontext: Die Brotvermehrungserzählungen 6,35-44; 8,1-9 schildern, dass Brot in Überfülle da ist; es geht auch dort wie in 7,24 um das »Sattwerden« (cortasq»nai chortasthe¯nai 6,42; 8,8). Die Jünger/innen befürchten jedoch, selbst nicht genug Brot zu haben, und werden dafür gescholten (8,14-21). Der Kontext bietet also bereits Anhaltspunkte für eine symbolische Deutung des Brotes und evoziert die Frage: Reicht das Brot für alle? Die Exposition der Erzählung, V. 24-26, ist ausgesprochen lang und wirkt zunächst umständlich. Für die Exegese ist das in der Regel Grund, Tradition und Redaktion zu scheiden und V. 24 der Redaktion zuzuweisen (vgl. z. B. Fander 1990, 63-66; Mell 2009, 75-77). Doch alle Details sind wichtig: Jesus bricht auf, diesmal ohne Begleitung 313
Die Wundererzählungen im Markusevangelium
durch Jünger/innen. Er geht in die Fremde, aber nicht, um dort zu wirken, sondern er zieht sich vielmehr in ein Haus zurück; der Logik der Erzählung folgend, sollte man wohl an das Haus einer dort lebenden jüdischen Familie denken. Die folgende Begegnung kommt gegen Jesu Willen zustande. Es sucht ihn eine Frau auf, deren Name zwar – wie auch sonst im Markusevangelium die Namen von Frauen, die Jesus begegnen (s. 1,29-31; 5,21-24.35-43; 5,25-34; 14,3-9) – ungenannt bleibt, deren Herkunft (s. u.) hier aber herausgestellt wird, um zu betonen, dass sie keine Jüdin ist. Weitere Menschen, etwa Hausbewohner, werden nicht erwähnt, und auch das Kind, um das es eigentlich geht, ist nicht anwesend. So kommt es zu der für die Evangelienerzählungen ungewöhnlichen Situation eines Zwiegesprächs: In der Intimität eines Hauses begegnen sich der jüdische Mann Jesus und die Frau aus dem phönizischen Syrien. Die Frau fällt vor ihm nieder mit der in indirekter Rede wiedergegebenen Bitte, dass Jesus ihrer Tochter helfen solle. Denn diese habe einen »unreinen Geist« (pne‰ma ⁄k€qarton pneuma akatharton V. 25 – so in jüdischer Diktion, der Sichtweise Jesu entsprechend) bzw. einen »Dämon« (daimnion daimonion V. 26.29 f.). Die kurze Schilderung des Problems, die in Heilungserzählungen üblich ist (V. 26b), lässt einen Exorzismus erwarten. Das für einen solchen typische Vokabular begegnet allerdings nur marginal (vgl. neben den eben genannten Bezeichnungen noch ¥kb€llein ekballein – austreiben V. 26; ¥xffrcesqai exerchesthai – herauskommen V. 29 f.), und ein Kampf des Exorzisten mit dem Dämon fehlt (s. Mk 1,24-26; 5,6-13; 9,25 f.). Das liegt natürlich in der Logik des Erzählten, insofern es eine Fernheilung ist. Überdies lenkt es aber die Aufmerksamkeit der Lektüre vom Exorzismus auf den Dialog zwischen Jesus und der Frau, der nun »zeitdeckend« erzählt. Der Dialog tritt gewissermaßen an die Stelle des konfrontativen Gesprächs Jesu mit dem Dämon in anderen Exorzismen (s. Guttenberger 2004, 272 f.; zur Diskussion über die Gattungsbestimmung Strube 2000, 151-170). Zunächst überrascht V. 27b, die Zurückweisung der Heilungsbitte mit dem Imperativ ˝fe@ (aphes – lass). Eine Erschwernis ist zwar aus Heilungserzählungen auch sonst geläufig (Theißen 1998, 62). Doch die Hinderung des Heilungssuchenden liegt sonst im »setting« (Mk 2,4) oder bei den Umstehenden (Mk 10,48). Hier will sich Jesus selbst verweigern, und das steht im Mittelpunkt der Erzählung. (Analog kann Jesu Reaktion auf die Bitte des nichtjüdischen Hauptmanns Mt 8,7 nicht als Heilungszusage, sondern als verweigernde Frage verstanden werden.) Irritierend ist auch, dass zumindest auf der Textoberfläche Jesu Reaktion V. 27 mit dem Anliegen der Frau kaum etwas zu tun hat, war doch von »Brot« und »Hunden« gar nicht die Rede und verweigert Jesus doch mit dem Hinweis auf die Fürsorge für Kinder die Bitte der Frau um Heilung ihres Kindes. Die Frau allerdings antwortet im selben Sprachspiel, sie hat offenbar verstanden: Sinn ist der Aussage Jesu nur zu entnehmen, wenn man sie als metaphorische Bewertung der Situation und Erklärung seiner Weigerung versteht. Jesu Begründung der Abweisung V. 27 ist, wie das Präsens zeigt, von prinzipieller Bedeutung, und die Einleitung »es ist nicht gut« lässt eine ethische Maxime erwarten. Im Griechischen ist durch ein chiastisches Wortspiel die Alternative von Kindern und Hunden besonders herausgestellt. Die oppositionellen Verben »wegnehmen« und »zuwerfen« labe…n (labein) und balle…n (ballein) – überdies aus denselben Lauten gebildet (eine Parechese) – rahmen die Aussage um die Objekte »Kinder« und »Hunde«, die 314
Es ist genug für alle da! Mk 7,24-30
so als »Konkurrenten« nebeneinanderstehen. Die sentenzartige Sprache provoziert auch rhetorisch Zustimmung. Und so widerspricht die Frau auch nicht direkt. Ihre Antwort V. 28 ist durch eine auffällig lange Redeeinleitung und das Präsens lffgei (legei – sie sagt) hervorgehoben – nur dieses eine Mal lässt Markus eine Frau direkt zu Jesus sprechen. Die Frau zeigt Jesus mit der Kyrios-Anrede (zu deren Deutung s. u. zum historisierenden Deutungsansatz) ihren Respekt. Ihre Antwort präsentiert sich nicht als Widerspruch, sondern als Fortsetzung der Jesusrede. Dennoch wendet sie das Geschehen. Denn Jesu Reaktion V. 29 gibt diesen Worten der Frau besonderes Gewicht, und mit einem zweiten Imperativ, der nicht mehr abweisend, sondern ermunternd ist (und stilgemäß für Heilungswunder, s. Mk 1,44; 2,11; 5,19.34; 10,52 u. ö.), heißt er sie, sich auf den Heimweg zu machen. »Wegen dieses Argumentes« – so ist diÞ to‰ton tn lgon (dia touton ton logon) am besten zu übersetzen – ist der Dämon bereits aus der Tochter ausgefahren. V. 30 versetzt uns mit einem Sprung durch Zeit und Raum in das Haus der Frau. Aus ihrer Perspektive wird der Schluss erzählt: Sie findet ihr Kind auf das Bett geworfen, den Dämon ausgefahren; das wird im Perfekt dargestellt als bereits abgeschlossene Handlung. Die kuriose Formulierung am Schluss der Erzählung, als habe die Frau den ausgefahrenen Dämon vorgefunden, erklärt sich als wörtliche Wiederholung der Ankündigung Jesu V. 29. Diese Rekurrenz signalisiert, dass sich alles gemäß der Prophezeiung Jesu ereignet hat. Wie das Publikum in der Erzählung fehlt, so auch der typische Chorschluss, der oft eine theologische Bewertung des Erlebten impliziert (s. z. B. Mk 2,12; 7,37). Damit wird den Hörerinnen bzw. den Lesern die Rolle der Öffentlichkeit zugeschoben. Sie müssen selbst die metaphorisch-rätselhafte Argumentation entschlüsseln und deuten, was geschehen ist. Jesu Reaktion V. 29 besagt, dass der Dämon unmittelbar nach dem Einspruch der Frau ohne weiteren Ausfahrbefehl vertrieben wurde. Umso mehr stellt sich die Frage, was in dem Dialog ausgehandelt wurde. Das lässt sich erst aufgrund der realund sozialgeschichtlichen Aspekte erheben.
Sozial- und realgeschichtlicher Kontext Entsprechend der zwei Ebenen der Erzählung ist zu unterscheiden zwischen den im Erzählrahmen vorausgesetzten Realien (1) und dem im Dialog abgerufenen Alltagswissen (2). (1) Die Ortsangabe »im Gebiet von Tyrus« ist vage, jedoch in religiöser Hinsicht aussagekräftig: Die phönizische Stadt Tyrus und ihr Umland, zu dieser Zeit Teil der römischen Provinz Syrien (heute im Libanon), war multikulturell. Es gab neben phönizischen und griechischen auch jüdische Menschen (Belege für Letzteres bei Theißen 1992b, 69 f.). Der Ortsangabe korreliert die zur Zeit des Markus ungewöhnliche Bezeichnung der Frau als Surofoinfflkissa (Syrophoinikissa). Sie hebt die Abstammung aus dem syrischen Teil Phöniziens (im Unterschied zum libyschen) hervor und impliziert: Die Frau ist keine Jüdin. Die Beschreibung als »Griechin« (2Ellhnffl@ Helle¯nis) verweist überdies auf griechische Sprachkompetenz und Beheimatung in der hellenistischen Kultur (Theißen 1992b, 71-73). Im Hintergrund der Erzählung kann eine ethnisch-kulturelle Spannung 315
Die Wundererzählungen im Markusevangelium
zwischen Tyrus und seinem Umland einerseits und Galiläa andererseits stehen (Theißen 1992b). Die sozialen Verhältnisse der Frau werden nur angedeutet. Ihre Rolle lässt erkennen, dass sie keine Sklavin ist. Die Forschung streitet, ob sie, da Griechin und Hausbesitzerin, als Frau aus der Oberschicht beschrieben wird (so Theißen 1992b, 73-75) oder nicht (so Dannemann 1996, 101). Dass sie nicht über einen Ehemann oder Vater identifiziert wird, ist für Markus nicht ungewöhnlich. M. E. bleiben Rückschlüsse auf die sozialen Verhältnisse – schon gar auf historische – spekulativ (vgl. eine ausführliche Diskussion der Mutmaßungen bei Dannemann 1996, 93-101), denn in erster Linie dienen diese Aspekte zur narrativen Charakterisierung der Frau als eigenständigem Widerpart Jesu. (2) Die sozialgeschichtlichen Voraussetzungen der Metapher sind kurz zu skizzieren (vgl. dazu Poplutz zu Mt 15 in diesem Band; zu Details Mell 2009, 79-83). Sie nimmt Bezug auf die sozialen Verhältnisse in einem Haushalt: Da sind Kinder, die durch Brot, das Grundnahrungsmittel, gesättigt werden müssen. Das Jesuswort nennt sie tffkna (tekna von tfflktw tikto – gebären) und deutet damit nicht auf das geringe Alter hin, sondern auf die verwandtschaftliche Abstammung von hier nicht erwähnten, aber vorauszusetzenden Eltern. In der Antwort der Frau ist das bedeutungsvoll variiert: paidffla (paidia) sind kleine Kinder, unabhängig von ihrer Zugehörigkeit zu Erwachsenen. Und als paidfflon (paidion) wird – nota bene – zum Schluss auch die Tochter der Frau bezeichnet (V. 30). Im Haushalt leben auch Hunde (kun€rion kynarion als Haushund im Gegensatz zum »Straßenköter«), die da, wo kein Luxus herrscht, nicht am Essen der Familie teilhaben, sondern den Abfall erhalten, von Jesus aber als Konkurrenten um das Brot dargestellt werden. Es mag sein, dass die Leser/innen wissen, dass Brot in Galiläa auch darum knapp war, weil die Ernte von der reichen Stadt Tyrus aufgekauft wurde (so Theißen 1992b, 76-79). Dann weist die Metapher nicht nur auf religiöse, sondern subtil auch auf sozialökonomische Spannungen hin.
Traditions- und religionsgeschichtlicher Hintergrund Wiederum ist zu unterscheiden zwischen den Traditionen, auf die der erzählerische Rahmen anspielt (1), und denen, welche die Metapher voraussetzt (2). (1) Die Szene der Begegnung Jesu mit der Frau aus Syrophönizien kann für jüdische Leser/innen eine besondere Note haben, denn Frauen aus anderen Ländern werden in jüdischer Tradition besonders verdächtigt, Männer vom rechten Glauben abzubringen. Joseph ist das Beispiel für den jüdischen Mann, der sich nicht von der fremden Frau, »Potifars Weib«, verführen lässt und die ägyptische Priestertochter Aseneth erst heiratet, nachdem sie sich zum einen Gott bekehrt hat, denn »es ziemt sich nicht für einen Mann, der Gott verehrt …, eine fremde Frau zu küssen, die mit ihrem Mund tote Götzenbilder preist …« (JosAs 8,5). Nach Neh 13,26 zeigt sich z. B. am Niedergang Salomos, wohin die Verbindung mit ausländischen Frauen führt. Und wer sollte bei der Frau aus Syrophönizien nicht an Isebel denken? Die phönizische Prinzessin und Frau des Königs Ahab ist Beispiel für die schlimmen Folgen einer solchen Mesalliance, wurde doch unter ihrem Einfluss der Baalskult etabliert und Elia verfolgt (1Kön 16,31-33; 18 f.; s. Offb 2,20-23; vgl. genauer Guttenberger 2004, 327-331; dort weitere Literatur). 316
Es ist genug für alle da! Mk 7,24-30
(2) Das Verständnis des metaphorischen Dialogs und damit der gesamten Erzählung erschließt sich nach der hier vorgestellten Auslegung, wenn man die einzelnen Elemente der im Dialog skizzierten Szene, Kinder, Brot und Hunde, auch als traditionsbestimmte Metaphern wahrnimmt (mit Klauck 1986, 275-277; gegen Dannemann 1996, 104-106). »Kinder« bzw. »Sohn Gottes« beschreibt die Zugehörigkeit Israels bzw. der Frommen zu Gott (Dtn 14,1; 32,5.19; Jes 43,6; Hos 2,1; Weish 9,7; Röm 9,4, s. Klauck 1986, 276). Hunde gelten als unrein, und die Titulierung als »Hund« kann daher als Schimpfwort dienen. Wenn damit im Neuen Testament gegen andere Christen polemisiert wird (Phil 3,2; Offb 22,15), wird eine Tradition aufgenommen, steht »Hund« doch für Gottlose (Ps 22,17 u. ö.) und Feinde Israels (äthHen 90,4) und im rabbinischen Schrifttum für Nichtjuden (s. Billerbeck 1926a, 724 f.; vgl. Klauck 1986, 275 f.). Das Grundnahrungsmittel »Brot« ist Bildspender für verschiedene Bildempfänger und steht für eine göttliche, lebensnotwendige Gabe, sei es das Wort Gottes (Jes 55,1-3), die Weisheit (Sir 15,3), sei es Jesus selbst (Joh 6,35 u. ö.; vgl. Klinghardt/Staubli 2009, 71-73). Eine Festlegung darauf, dass das »Brot« hier für die Lehre steht (so ebd.), scheint allerdings verengend.
Verstehensangebote und Deutungshorizonte Im Mittelpunkt der Erzählung steht nicht die Tatsache, dass ein Mädchen von einem unreinen Geist besessen war und dieser ausfuhr, sondern das Zwiegespräch zwischen Jesus und der Frau. Doch auch der typischen Form eines Dialogs zwischen Jesus und einem Außenseiter bzw. eines Jesus-Apophthegmas entspricht die Erzählung nicht. Zwar hat Jesus das letzte Wort, aber nicht das entscheidende Argument, so dass man die Erzählung als »verlorenes Streitgespräch« lesen kann (vgl. Feldmeier 1994, 213-215). Was also geschieht im Dialog? Das ist umstritten (s. Strube 2000, 100-118). Der Dialog ist m. E. als Austausch metaphorisch formulierter Argumente zu analysieren (was dann je nach Deutehorizont [s. u.] unterschiedlich interpretiert werden kann). Jesus reagiert mit einer Metapher auf die Bitte der Frau. Bildempfänger ist die Situation, v. a. Jesu Weigerung, der Bitte der Frau zu entsprechen, Bildspender ist eine Essensszene im Haushalt. Metaphern können Analogieargumente in sich bergen, indem sie beanspruchen, dass die Logiken des Bildspenders analog für Verhältnisse des Bildempfängers gelten (genauer Pielenz 1993; Gerber 2005, 81-105). Jesu metaphorisches Argument ließe sich etwa so paraphrasieren: Ich kann mich nicht um deine Tochter kümmern, denn damit würde ich den jüdischen Menschen etwas vorenthalten, und das ist so falsch, wie wenn man das lebensnotwendige Brot den eigenen Kindern vorenthält und Hunden vorwirft. Wie in jeder alltagssprachlichen Argumentation werden auch hier Prämissen gesetzt, die nicht ausgesprochen werden. Wer die Stimmigkeit einer Argumentation prüfen will, muss deren Voraussetzungen bloßlegen. Genau dies tut die Frau in V. 28. Sie nimmt die Metapher auf, aber sie »knackt« das Argument, indem sie den Bildspender anders nuanciert. Jesu Metapher impliziert erstens und ganz offensichtlich die Wertung, dass Kinder, Nachkommen, vor Hunden zu versorgen sind und dass sich dies analog auf die Situation von Juden und Nichtjuden übertragen lässt. Das akzeptiert die vor Jesus kniende Frau, indem sie das Bild von Kindern und Hunden aufnimmt und sogar hierarchisiert: Die Hunde haben nur unter dem Tisch Platz. Doch in Jesu Argument ist eine 317
Die Wundererzählungen im Markusevangelium
zweite Prämisse versteckt: Wenn man den Hunden Brot geben will, muss man es den Kindern wegnehmen. Brot ist, so die Voraussetzung, eine knappe Ressource und muss daher den Kindern vorbehalten bleiben, damit diese satt werden können. Dieser Unterstellung jedoch widerspricht die Frau mit ihrer Anverwandlung der Metapher: Auch dann, wenn die kleinen Kinder essen, fallen Brosamen unter dem Tisch für die Hunde ab. Das Brot reicht auch für die Hunde, ohne dass Kinder hungern müssen. Während in Jesu Wort Kinder und Hunde als Konkurrenten aufeinandertreffen, stellt die Antwort der Frau Kinder und Hunde in eine Hierarchie, die ein Miteinander am Tisch zulässt. Das Argument mag eine Erfahrung abrufen, die Jesus ausgeblendet hat (so Dannemann 1996, 109; Mell 2009, 82 f.), und hat insofern Alltagsevidenz. Es »sticht« aber v. a. auf der Ebene des Bildempfängers. Das Heil ist keine knappe Ressource wie ein Brot, das man, um es den einen zuzuteilen, den anderen wegnehmen müsste. In der Speisung der Fünftausend wurde eben das erfahrbar: Das Brot reicht für alle, ja es bleibt sogar noch ein Rest (Mk 6,42 f.). Unterschiedliche Deutungen (eine monographische Forschungsgeschichte zum Vergleich so genannter feministischer und nichtfeministischer Auslegung bietet Strube 2000) werden hier exemplarisch und systematisiert vorgestellt nach den unterschiedlichen Identifikationsmöglichkeiten, die die Erzählung bietet: Man kann die Erzählung mitvollziehen aus der Sicht der Anhängerschaft Jesu (historisierend), sich als »Outsider« mit der syrophönizischen Frau identifizieren (die feministische Deutung) oder als Publikum nach der grundlegenden Bedeutung fragen (symbolische Deutung). Eine historisierende Deutung verfolgt das Geschehen aus der Sicht der Anhänger Jesu und erkennt darin die nachträgliche Legitimierung der Völkermission auf der Ebene der markinischen Redaktion. Denn die spätestens mit Paulus intensiv betriebene Evangelisierung der Heiden konnte sich nicht darauf berufen, dass Jesus selbst Nichtjuden gezielt aufgesucht habe. Die Erinnerung aus dem Leben Jesu bzw. eine später Jesus zugeschriebene Szene kann diese Lücke füllen, erzählt sie doch, dass Jesus überzeugt wurde, dass die Zuwendung zu nichtjüdischen Menschen seine eigentliche Sendung zum Volk Israel nicht in Frage stellt. Die markinische Redaktion unterstreicht das, folgt doch in 8,1-9 die Speisung der viertausend nichtjüdischen Menschen in der Dekapolis. Auf der Linie einer heilsgeschichtlichen Lektüre sind allerdings verschiedene Deutungen und Pointen zu unterscheiden. So gibt es etwa den Vorschlag, die Anrede Jesu als kÐrie (kyrie – Herr, V. 28) nicht nur als respektvolle Adresse an einen Höhergestellten zu verstehen, sondern als signifikantes christologisches Bekenntnis der Heidin. Denn mit kÐrio@ (kyrios) wird in der griechischen Bibel nicht nur der eine Gott apostrophiert, sondern im frühen Christentum auch Jesus, zum Ausdruck der Anerkennung seiner endzeitlichen Herrschaft (Röm 10,9; Phil 2,11; vgl. Mt 7,21). Versteht man die Anrede christologisch, dann kann diÞ to‰ton tn lgon (dia touton ton logon – »wegen dieses Wortes« V. 29b) bedeuten, dass Jesus sich aufgrund eines christologischen Bekenntnisses der Frau umstimmen lässt (vgl. bes. Fander 1990, 75-83, die die Frau deshalb als weibliches »Symbol der Völkerkirche« bezeichnet, a. a. O., 83; zur Diskussion ausführlich Strube 2000, 118-132). Die Erzählung legt allerdings ein solches Verständnis nicht nahe, da hier eine Nichtjüdin spricht und der christologische Kyrios-Titel auch sonst bei Markus keine Rolle spielt. Die Heilungsbitte und die Antwort der Frau setzen nicht die Erkenntnis voraus, dass Jesus der göttliche Herr ist, sondern nur, dass er über außerordentliche Kräfte verfügt. 318
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Nicht plausibel ist die Annahme, dass die markinische Redaktion V. 27b (»lass zuerst die Kinder satt werden«) eingefügt habe zur »Relativierung des absoluten heilsgeschichtlichen Anspruchs des Judentums« (so Fander 1990, 65 f., Zitat 66). Denn der Vorrang der Kinder wird von der Frau ja gerade nicht »widerlegt«. Ähnlich spricht auch Paulus vom prton (pro¯ton – zuerst) der Juden (Röm 1,16; 2,9 f.; vgl. Apg 13,46) und bezieht sich damit positiv auf die Erwählung Israels wie die Tatsache, dass die Evangeliumsverkündigung zuerst den jüdischen Menschen galt. Die Deutung der Szene als programmatischer Begründung der Heidenmission ist problematisch, weil die Ebene der Evangelisierung und Christusverkündigung gar nicht im Blick ist und von einer »Bekehrung« der von Hause aus polytheistischen Frau zum einen Gott Israels keine Rede ist. Das betont insbesondere Mell für die Interpretation einer von ihm rekonstruierten, Markus vorliegenden Erzählung, wobei er die Metapher anders als hier vorgestellt deutet: Während Jesus absichtsvolles Füttern von Hunden gemäß den Maximen des Haushaltens ausschließe, weise die Frau darauf hin, dass es unabsichtlich doch geschehe. »Als allmächtiger Hausvater seiner Schöpfung lässt Gott in seiner weisen Ökonomik des Menschenhauses auch nachrangig gesetzten Hausgliedern durch ein unbeabsichtigtes Handeln Segensglück zukommen« (Mell 2009, 88). Dann ist allerdings irrelevant, dass das entscheidende Argument nicht von Jesus, sondern von der Frau kommt. Eben sie aber zeigt, dass auch Menschen aus den Völkern Gottvertrauen haben und also der Zuwendung würdig sind. Eine befreiungstheologische Deutung sieht die Frau als Vorbild für Marginalisierte. Sie setzt an bei der Charakterisierung der Frau als Ausländerin (V. 26). Sie ist unerwünscht (V. 24b) und wird von Jesus abgewiesen (V. 27b). Wer dabei die Warnungen vor der »fremden Frau« im Ohr hat, hört das sogar doppelt: Als Frau und als Nichtjüdin sollte diese Frau sich Jesus nicht nähern. Gerade Menschen, die sich als Außenstehende sehen, lädt die Erzählung ein, dieser Frau als »Heldin« der Erzählung zu folgen. Denn die Erzählperspektive nimmt mit V. 25 ihren Blickwinkel ein, ja in V. 30 gerät Jesus ganz aus dem Fokus, und auch die Tochter, um deren Heilung es eigentlich geht, wird nur am Rande erwähnt. Dass die Frau hartnäckig bleibt und ein doppeltes Hindernis überwindet, wird mit dem Schluss der Erzählung als richtig sanktioniert. V. 29 würdigt das Argument der Frau, wie sonst niemandes in der Erzählung des Evangeliums (vgl. nur Mk 14,6-9). Nicht nur Schlagfertigkeit zeichnet die Frau aus (so oft notiert, vgl. zu solchen Beschreibungen Dannemann 1996, 85), sondern auch eine kluge Argumentation, wie sie im Evangelium sonst nur Jesus gelingt (s. 12,35-37). Die Frau hat eher als Jesus verstanden, wie reich das Heil Gottes ist, und so legt die Formulierung V. 29 nahe, dass dieses Argument, nicht Jesus den Dämon überwunden hat. Feministische Interpretationen, die die Marginalisierung von Frauen in der kirchlichen Tradition und Gesellschaft kritisieren, knüpfen hier an. Exemplarisch sei die Interpretation des Dialogs durch Dannemann genannt: Die Frau weise Jesus darauf hin, dass in ihrem Haushalt auch die Hunde satt werden, und kritisiere die Abwertung der Hunde. Ihr Verweis auf die Alltagswelt habe nicht nur hinweisenden Charakter, sondern in dieser Alltagsszene ereigne sich das Gottesreich (Dannemann 1996, 109). Auf der Ebene der markinischen Redaktion wird die Frau aus Syrophönizien zu einer Gegenfigur der Herodias: Während diese ihre Tochter instrumentalisiert, um das Haupt des Johannes des Täufers zu fordern, obwohl dieser sich gerecht verhält (6,17-29) und damit dem Motiv der intriganten Frau, die ihren Zugang zur Macht ausnutzt, ent319
Die Wundererzählungen im Markusevangelium
spricht (vgl. Dannemann 1996, 186), stemmt diese Frau sich gegen Widerstände, um ihre Tochter zu retten. Die namenlose Frau aus der Gegend von Tyrus wird aber auch zur Gegenfigur der Jüngerinnen und Jünger. Letztere sorgen sich um das Brot, statt auf die mit der Brotvermehrung erfahrene Gegenwart des Heils zu vertrauen (6,52; 8,16-21). Die Frauen in der Nachfolge Jesu verweigern sich aus Furcht dem Auftrag, die Auferstehungsbotschaft weiterzutragen, und schweigen (16,8), während die Frau aus Syrophönizien mit ihrem Reden geradezu Wirklichkeit verändert. Eine symbolisch-paradigmatische Deutung versteht die Erzählung als Plädoyer für die Ent-Grenzung des Heils. Eine solche Deutung legt der Dialog nahe, da er metaphorisch aushandelt, was zu tun ist. Brot verweist als vertraute Metapher, als Symbol auf das Heil, das über die Kinder hinaus auch den Hunden zukommt. Der unreine Geist steht für das Gefährdende, das ausgegrenzt werden soll. Die ganze Perikope lässt sich paradigmatisch lesen als Erzählung über Ausgrenzung und ihre Überwindung. Nicht nur die ökonomisch-religiösen Gegensätze werden überwunden (vgl. so z. B. Theißen 1992b), sondern auch das Vorurteil gegen Frauen. Wenn Jesu Zurückweisung der Frau gerechtfertigt schien, weil »bekanntermaßen« die intime Begegnung von Jude und Nichtjüdin den Gottesglauben gefährdet, so wird erzählt, dass sich die Verhältnisse umdrehen: Die Fremde bringt Jesus nicht von seinem Gott ab, sondern, im Gegenteil, sie belehrt ihn theologisch. Sie überzeugt ihn, dass die Befreiung eines nichtjüdischen Mädchens von einem unreinen Geist die Zuwendung zu den Kindern Israel nicht mindert. Zusammengehörigkeit »im Hause« kann neu bestimmt werden. Nicht mehr zwischen Jesus einerseits und der Frau und ihrer Tochter andererseits besteht die Grenze, sondern zwischen Jesus, den Kindern Israel und nichtjüdischen Menschen auf der einen Seite und dem Dämon auf der anderen Seite. Dass die Hierarchien bestehen bleiben, die Frau den niedrigen Platz des Hundes akzeptiert, ist für moderne Ideale von Integration und Egalität anstößig. Hierin ist die Erzählung nicht paradigmatisch, sondern historisch zu lesen: Gottes Erwählung, Jesu Wirken, das Evangelium galten »zuerst« Israel (vgl. auch Feldmeier 1994, 219-221 zum Recht der ersten Reaktion Jesu). Paradigmatisch ist die Erzählung schließlich auch damit, dass sie die Lesenden in einen Lernprozess einbezieht. Dies geschieht durch die beschriebene narrative Führung, v. a. dadurch, dass Jesus selbst, der sonst als »ideologischer Pol« der Erzählung stets das Richtige weiß und tut, hier derjenige ist, der überzeugt wird. Offenheit für das Fremde kann gewinnen, wer versteht, dass die Angst, nicht genug vom Brot, von den sozialen Segnungen etc. abzubekommen oder das Eigene, die »Leitkultur« durch Öffnung für Fremde zu verlieren, unnötig ist. In den wenigen kurzen Sätzen des Zwiegesprächs wächst zwischen Jesus und der fremden Frau durch deren Beharrlichkeit und Klugheit ein Einverständnis, das das Dämonische vertreibt. Wer das Pathos nicht scheut, mag das eigentliche Wunder darin finden, dass über die Grenzen hinweg Verständigung möglich wird.
Aspekte der Parallelüberlieferung und Wirkungsgeschichte In der Wirkungsgeschichte hat man sich v. a. mit der Rolle der Frau befasst. Während ihr Argument in älteren Auslegungen selten eine Rolle spielt, wird sie für eher weiblich konnotierte christliche Tugenden gerühmt: Sie stehe für vorbildliche Demut, da sie die Rolle 320
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des Hundes akzeptiere, oder für einen vorbildlichen Glauben, da sie gegen Widerstände diesen festhalte (so die reformatorischen Ausleger; vgl. Gnilka 2008a, 294; Luz 2007, 432 f.; für die Auslegung der letzten Jahrzehnte detailliert Dannemann 1996, 85-87; Strube 2000). Beide Deutungen sind sicher durch die viel bekanntere Version des Matthäusevangeliums geprägt, in der die Demut und der Glaube der Frau deutlicher herausgestellt sind (Mt 15,21-28, s. Poplutz zu Mt 15,21-28 in diesem Band). Feministische Auslegungen haben demgegenüber wie hier die Frau als »Theologin« herausgestellt (s. Dannemann 1996, 88-92). Wichtig scheint mir ein Aspekt: Die Großkirche hat sich bald als »heidenchristliche Kirche« identifiziert, die Syrophönizierin zur Christin erklärt und sich, das geschichtliche Prae der Juden vergessend, daran gestört, dass die Nichtjuden in dieser Erzählung unbestritten als Hunde bezeichnet werden. Statt hierin dem Vorbild der Frau, die den Vorrang Israels anerkennt, zu folgen, wurde diese Zuschreibung als nur vorläufig bewertet. Gern zitiert wird Hier. comm. in Matt. 4, ad loc. »O wunderbare Umkehrung der Dinge. Israel war einst Sohn, wir Hunde. Gemäß dem Gegensatz im Glauben wird die Zuordnung der Namen getauscht. Von jenen [sc. den jüdischen Menschen] heißt es später: Viele Hunde haben mich umgeben [Ps 22,17] und: Schaut auf die Hunde … [Phil 3,2]« (MPL 26, 110 f.). Auch Auslegungen des 20. Jh. flüchten sich z. T. unbedacht in Antijudaismen. Mittel, die Erzählung in das eigene »heidenchristliche« Weltbild einzupassen, sind, das Wort von den Kindern und Hunden dem historischen Jesus abzusprechen oder doch zumindest die Redeweise als einen Ausdruck von jüdischem Heilspartikularismus zu charakterisieren, den Jesus gerade nicht geteilt habe. Jesus, der Jude, wird so in einen Gegensatz zu einem »Judentum« gebracht, das über Stereotypen (»Heilspartikularismus«, »Gesetzlichkeit«) definiert wird. Das »zuerst« wird nicht als Signum des bleibenden Vorrangs Israels verstanden, sondern als rückblickendes Urteil, das für Markus bereits Geschichte sei; die Frau wird zum Gegenmodell für das verstockte Israel erklärt (Details und Einzelnachweise bei Strube 2000, 232-274). Dieserart Auslegungen zeigen, dass die Wirkungsgeschichte der Erzählung sie geradezu ihrer Pointe berauben kann: Der Erzählung zum Trotz fehlt das Vertrauen darein, dass es keiner Abgrenzungen bedarf, denn »es ist genug für alle da«.
Christine Gerber Literatur zum Weiterlesen I. Dannemann, Aus dem Rahmen fallen. Frauen im Markusevangelium. Eine feministische ReVision, Berlin 1996. R. Feldmeier, Die Syrophönizierin (Mk 7,24-30) – Jesu »verlorenes« Streitgespräch?, in: ders./ U. Heckel (Hg.), Die Heiden. Juden, Christen und das Problem des Fremden, WUNT 70, Tübingen 1994, 211-227. U. Mell, Das Brot der Hunde (Von Kindern und Hunden) – Mk 7,27f, in: R. Zimmermann et al. (Hg.), Kompendium der Gleichnisse Jesu, Gütersloh 2007, 347-351. Ders., Der Beitrag von Mk 7,24-30 zum christlichen Völkerevangelium im Kontext antiker Haushaltsführung, in: W. Kraus (Hg.), Beiträge zur urchristlichen Theologiegeschichte, BZNW 163, Berlin et al. 2009, 71-97.
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S. A. Strube, »Wegen dieses Wortes …«. Feministische und nichtfeministische Exegese im Vergleich am Beispiel der Auslegungen zu Mk 7,24-30, Theologische Frauenforschung in Europa 3, Münster 2000 (dort weitere Literatur). R. Wickramaratne Rebera, The Syrophoenician Woman: A South Asian Feminist Perspective, in: A.-J. Levine (Hg.), A Feminist Companion to Mark, Sheffield 2001, 101-110.
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Mit allen Sinnen leben! (Die Heilung eines Taubstummen) Mk 7,31-37 (31) Und als er wieder hinausging aus den Gebieten von Tyrus, kam er durch Sidon an das galiläische Meer, mitten in die Gebiete der Dekapolis. (32) Und sie bringen zu ihm einen Tauben und Stammelnden und bitten ihn, dass er ihm die Hand auflege. (33) Und er nimmt ihn von der Menge für sich beiseite, legte seine Finger in dessen Ohren und spuckte und berührte seine Zunge, (34) und zum Himmel aufschauend seufzte er und sagt zu ihm: »Ephphatha«, das heißt: »Öffne dich!« (35) Und sofort öffnete sich sein Hören, und die Fessel seiner Zunge wurde gelöst und er sprach richtig. (36) Und er befahl ihnen, dass sie es niemandem sagen sollten, je mehr er es ihnen aber befahl, desto mehr verkündigten sie es. (37) Und sie staunten über alle Maßen und sagten: »Alles hat er gut gemacht, und die Tauben macht er hören und die Stummen reden.«
Sprachlich-narratologische Analyse Mk 7,31-37 ist eine klassische Wundererzählung. Nach Gerd Theißen gehört sie zur Gattung der Therapien. Sie thematisiert die Heilung eines Einzelnen, um an dieser exemplarisch das heilende Handeln Jesu darzustellen, wie der Chorschluss in V. 37 zeigt (s. dazu auch den Sammelbericht über Jesu therapeutisches Wirken in Mt 15,30 f., der meist als synoptische Parallele angegeben wird). V. 31 markiert mit Hilfe der Orts- und Personenwechsel den Beginn eines neuen Erzählabschnitts, der mit der Nennung von Tyrus unmittelbar an die Erzählung in 7,2430 anschließt. Der Evangelist lokalisiert die Heilung in der Dekapolis am See Gennesaret, d. h. in überwiegend von Heiden bewohntem Gebiet. Damit ist der Ausgangspunkt für die folgende Erzählung von der Speisung der Viertausend am Ostufer des Sees Gennesaret in der Dekapolis (8,1-10) geschaffen. Dass es sich bei dem Reisenden um Jesus handelt, erschließt allein der Kontext. In 7,27 wird Jesus letztmals namentlich erwähnt; 7,31-37 formuliert pronominal. Nachdem mit V. 31 redaktionell die Szenerie hergestellt ist, setzt mit V. 32 die eigentliche Wundererzählung ein. Nach den Aoristformen des vorangehenden Verses wechselt die Erzählung zum historischen Präsens und verleiht dem Geschilderten Dynamik. In der Exposition bringen namenlose Helfer zu Jesus einen Kranken, dessen Leiden mit zwei Adjektiven beschrieben werden: Er ist taub und kann nur schwer sprechen. Letzteres ist im Neuen Testament ein Hapaxlegomenon; innerhalb der biblischen Schriften findet es sich nur noch in Jes 35,5LXX. In der zweiten Vershälfte folgt gattungstypisch die Bitte um Heilung, die sich hier in dem Anliegen äußert, Jesus möge dem Kranken die Hand auflegen. Die V. 33 f. beschreiben den Vorgang der Heilung unter Verwendung thaumaturgischer Motive. So schildert das mediale Partizip im Aorist die Absonderung des Kranken von der Menge, die hier eingeführt und in den V. 36 f. erneut erwähnt werden wird. Im 323
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Folgenden wird ein Geschehen zwischen Jesus und dem Kranken erzählt. Das ist bis zum Wunder wirkenden Wort Jesu von Gesten und Berührungen bestimmt, die antiken Heilpraktiken entsprechen. Hierbei variiert bei den Textzeugen die Reihenfolge des Handelns Jesu, bei dem er seine Finger in die Ohren des Kranken legt, spuckt und seine Zunge berührt. Die Verbformen im Aorist in V. 34 zeigen die Einmaligkeit und den punktuellen Aspekt des Ereignisses. Mit einem Partizip im Nominativ Singular aktiv wird ein Gebetsritus Jesu beschrieben, mit dem er sich zum Himmel wendet. Dieser ist fester Bestandteil der Wunderhandlung, wie (trotz sprachlicher Abweichung zu Mk) die Erzählung der Auferweckung des Lazarus in Joh 11,41 zeigt. Das Seufzen Jesu kann als unartikulierter Laut zwischen Geste und verbaler Äußerung eingeordnet werden. Es verweist, analog zu seinem Aufblick zum Himmel, auf das Woher seiner Kraft. Darauf folgend leitet das Verb im Präsens den verbalen Zuspruch Jesu an den namenlosen Kranken ein. Das Heilungswort Ephphatha ist eine griechische Transkription des aramäischen Verbs hvq pth im Itpa’al und musste schon für die Adressaten des Evangeliums übersetzt werden: »Öffne dich!« Als unmittelbare Folge des Wortes Jesu wird die Hörfähigkeit des Geheilten genannt, wie es das (textkritisch umstrittene) Adverb zum Ausdruck bringt. Anders als in V. 33 findet sich hier statt des Begriffs Ohr der Nominativ Plural von Gehör zur Bezeichnung der Sinnesorgane. In der zweiten Vershälfte wird, entsprechend dem zweifachen Leiden, auch noch die Heilung der Sprachstörung festgestellt. Sie schließt wie alle Sätze parataktisch mit der Konjunktion und an. Bildlich beschreibt der Text die Genesung als Vorgang, bei dem die Zunge von der Macht einer Fessel gelöst wurde, und verwendet hierfür erneut eine passive Verbform im Aorist. Das Ergebnis der Heilung ist dauerhaft, weshalb die wiedergewonnene Sprachfähigkeit des Mannes mit einem Imperfekt ausgedrückt wird. Seine Rede wird adverbial als richtig qualifiziert. V. 36 unterbricht den Erzählzusammenhang mit einem Schweigegebot, das übertreten wird. Paradoxerweise zieht gerade das Schweigegebot die lautstarke Verkündigung nach sich. Die Bewegtheit der Menschen angesichts des Wunders kann nicht verschwiegen werden. Ihr Erstaunen (V. 37) lässt sie Jesus in einem Chorschluss loben. Der Evangelist bedient sich dazu biblischer Anklänge an Gen 1,31 sowie Jes 29,18 f. und 35,5: Wie Gott die Schöpfung als gut bezeichnen konnte, erkennt nun die Menge um Jesus, dass er alles gut gemacht habe und sich in ihm die prophetische Verheißung bewahrheite, dass Taube hören und Stumme sprechen.
Sozial- und realgeschichtlicher Kontext Im Zentrum des Erzählabschnittes steht die Heilung eines Tauben, dem es nur mit Mühe gelingt, sich zu artikulieren. Unerwähnt bleibt, seit wann ihn die Taubheit begleitet und was der Grund für sein geschädigtes Gehör ist. Seine Sprachbehinderung wird nicht als Folge seines Taubseins benannt, sondern vor dem Hintergrund einer mythologisch-metaphorischen Vorstellungswelt dämonistisch als Besessenheit interpretiert. Diese wird metaphorisch als Fesselung der Zunge bezeichnet. Im antiken Volksglauben drückt Besessenheit einen Zustand des Menschen aus, in dem er von eigenständigen personalen Größen ergriffen wird (Neumann 2005, 71). Sie werden mit Dämonen und Totengeistern identifiziert. Lk 11,24-26 spricht hierbei von einem »unreinen Geist«, der den menschlichen Körper als Bleibeort nutzt, an dem er herrscht. Man nahm an, dass die 324
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Dämonen auf die verschiedensten körperlichen Funktionen destruktiv einwirkten, so dass Lähmungen und Stummheit (Mt 9,32; Lk 11,14), Blindheit (Mt 12,22), Epilepsie (Mk 9,14-27) und Persönlichkeitsstörungen mit Besessenheit (Lk 8,26-39) in Verbindung gebracht werden konnten. Körperöffnungen, wie Ohren, Nase und Mund, wurden als Einfallstore für Dämonen vorgestellt. Im Hintergrund steht wahrscheinlich die mythologisch gedeutete Erfahrung, dass Parasiten darüber in den Organismus gelangen können und den Menschen schwächen (Ebner 2004, 127). Die lukanische Darstellung der Erzählung vom Besessenen von Gerasa (Lk 8,26-39) macht deutlich, dass an ihr leidende Menschen unter Umständen gesellschaftlich isoliert leben mussten, weil sich das Zusammenleben aufgrund der Krankheitssymptome wie Nervosität, Geschrei oder unkontrollierbare Spastiken bei der Epilepsie schwierig gestaltete und bei den Außenstehenden Angst hervorrief. Der Taube und Stammelnde in Mk 7,31-37 hingegen ist zumindest sozial soweit integriert, dass er sich auf die Hilfe einiger Mitmenschen verlassen kann. Das wird dann auch an der Gruppe derer, die ihn zu Jesus bringen, sichtbar. Besessenheit führte also nicht zwangsläufig zum Ausschluss aus der Gesellschaft. Viele neutestamentliche Texte erzählen von Besessenen und fungieren darin als Spiegel der sozialen und geschichtlichen Situation eines Landes, das unter wechselnden Fremdherrschaften zahlreichen fremden politischen und kulturellen Einflüssen ausgesetzt war – Erfahrungen, die sich in der Wahrnehmung des Individuums und derartigen Krankheitsphänomenen konzentrierten und konkretisierten (Theißen 1998, 248). So heißen die unreinen Geister des Besessenen von Gerasa »Legion« und werden damit mit den römischen Besatzern identifiziert. Sofern behinderte Menschen in ihrer Arbeitsfähigkeit eingeschränkt waren, konnte ihre Krankheit finanzielle Nöte nach sich ziehen, so dass sie auf die Unterstützung durch ihre Mitmenschen angewiesen waren. Nach dem Zeugnis der Tora (Dtn 27,18) stehen Behinderte unter Schutz. Demgegenüber grenzte die Qumran-Gemeinschaft Kranke aus ihrer Versammlung aus und begründete dies mit der Gegenwart der heiligen Engel (1QSa 2,4-9). Ebenso verweigerte sie ihnen die Teilnahme am endzeitlichen Krieg gegen die Heiden und Frevler (1QM 7,4 f.) und untersagte ihnen den Priesterdienst (4QMMT; vgl. auch Lev 21,17-24). Zeugnisse, wie generell in der Gesellschaft mit Tauben umgegangen wurde, gibt es jedoch nicht. Die neutestamentliche Überlieferung fokussiert auf den Heilswillen Gottes, der sich in Jesu Zuwendung zu den Kranken Ausdruck verschafft und als Signum der angebrochenen Heilszeit und Erfüllung prophetischer Verheißungen gedeutet wird (s. o.).
Traditions- und religionsgeschichtlicher Hintergrund Mk 7,31-37 lässt einige Parallelen zu hellenistischen Wundererzählungen erkennen. Im Gegensatz zur übrigen neutestamentlichen Wunderüberlieferung, die nur von zwei weiteren Blindenheilungen erzählt, in denen Speichel angewendet wird (Mk 8,23; Joh 9,69), erwähnt der Erzählabschnitt den Einsatz von Heilmitteln und -techniken. Zu diesen gehören die Handauflegung, die Geheimhaltung des heilenden Vorgangs, die Berührung des Kranken durch den Wundertäter sowie der Einsatz seines Speichels, sein Aufblicken zum Himmel, das Seufzen und der Ausspruch Ephphatha. Die Erzählung vom Tauben und Stammelnden gehört zum Sondergut des Markus325
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evangeliums. Strukturelle Ähnlichkeiten weist sie zu der Blindenheilung in Mk 8,22-26 auf. Es ist denkbar, dass Mk 7,31-37 ursprünglich zusammen mit der Blindenheilung überliefert und erst vom Evangelisten getrennt wurde. Die Gruppe derer, die den Kranken zu Jesus bringen, bittet ihn, ihm die Hand aufzulegen. Ebendies bitten ihn die Helfer des Blinden in Mk 8,22. Anders als in unserem Erzählabschnitt wird dort auch ein zweifaches Handauflegen durch Jesus (8,23.25) berichtet, wohingegen in Mk 7,33 lediglich erzählt wird, Jesus habe die Finger in die kranken Ohren gelegt. Jenes Motiv begegnet auch in einer Überlieferung über Rabbi Chijja, den Älteren, den man für eine Manifestation des Propheten Elija hielt. Dieser soll einen Rabbi, der seit vielen Jahren unter Zahnschmerzen litt, geheilt haben, indem er seinen Finger auf den kranken Zahn legte (jKet 12,35a). Religionsgeschichtlich ist die Handauflegung weit verbreitet, und bei Markus ist sie eine häufiger vorkommende heilende Geste Jesu (3,10; 5,23). Sie dient der Kraftübertragung und lässt das erkrankte Organ wieder seine herkömmliche Funktion ausführen. Die Geste kann entweder von Göttern oder menschlichen Wundertätern angewandt werden. Die Inschriften aus Epidauros (4. Jh. v. Chr.) beispielsweise überliefern Handauflegungen des Asklepios. So soll einer unfruchtbaren Frau Asklepios im Tempel erschienen sein. Er berührte ihren nackten Körper mit der Hand, woraufhin sie einen Sohn gebar (IG IV 952,60-63). Plutarch (quaest. 4,1,3 663c) berichtet, dass der in Anatomie kundige Erasistratos von Kea pharmazeutische Mittel »Hände der Götter« (qen ce…ra@ theo¯n cheiras) nannte (Weinreich 1969, 1-45). Allerdings gewinnt die Bitte um Handauflegung in Mk 7,32 ihr spezifisches Profil nicht allein vor dem Hintergrund hellenistischer Wundererzählungen, klingt doch in ihr ebenso die alttestamentlich-jüdische Vorstellung von der Hand JHWHs als Ausdruck der Macht Gottes an. Diese manifestiert sich in Schöpfung und Erhaltung der Welt (Jes 45,12; Ps 8,7; Hi 12,9; 26,13), in Strafe (Ps 32,4; 39,11) sowie Heil und Hilfe (Jes 51,16); sie ist es, die Israel aus Ägypten führte (Ex 13,9; Dtn 4,34; 6,21). Der Psalmbeter erfährt durch die Hand und die Rechte JHWHs Rettung (Ps 138,7). Wenngleich das Alte Testament keine Heilungen durch Handauflegung überliefert, bezeugen die Qumran-Schriften, dass zumindest in Teilen des Judentums solche bekannt waren. Im Genesis-Apokryphon (ca. 200-150 v. Chr.) wird die Gefährdung der Ahnfrau Sara durch ihren Mann Abraham erzählerisch entfaltet, der sie beim Pharao Zoan als seine Schwester ausgegeben hatte. Auf ein Gebet Abrahams hin sendet Gott dem König einen Plagegeist, damit er Sarah fernbleibe. Jener bittet Abraham, ihm die Hände aufzulegen, damit er lebe. Nach Gebet und Handauflegung Abrahams wird dieser vom Plagegeist befreit (1QGenAp 20,22 f.29). Dass in Mk 7,32 die Bitte um Handauflegung von den Hilfesuchenden synonym für die Heilung als solche steht, zeigt, dass es sich um eine vertraute Geste im Heilungskontext handelt. Bevor Jesus die Heilung vollzieht, nimmt er den Kranken beiseite, um im Geheimen zu handeln. Die Absonderung des Kranken und die Geheimhaltung der Wundertechniken sind in der Umwelt des Judentums gut bezeugt. Im siebten Buch der Metamorphosen des römischen Dichters Ovid, die um die Zeitenwende entstanden sind, ist zu lesen, dass erst nach dem Weggang der Anwesenden ein Zauber zur Verjüngung vollzogen werden darf. Der Geheimnischarakter des Zaubers soll bewahrt werden (Ov. met. 7, 255 f.). Lukian erzählt in seinem Werk Philopseudes sive Incredulus (16) von einem Exorzisten aus Palästina, der die Kranken zur Heilung beiseite nimmt (paralamb€nw paralambano¯). Ebenso schreibt der Zauberpapyrus PGM 3,616 f. vor, den Schattenzau-
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ber, mit dem sich der Mensch seinen Schatten dienstbar machen soll, an einem einsamen Ort zu vollziehen. Dem Speichel wird in der Antike heilende Wirkung zugeschrieben, die sich sowohl der medizinischen als auch der apotropäischen Funktion des Speichels verdankt. Bereits die Inschriften von Epidauros (Epidaurische Iamata IG 10,51) überliefern, dass eine Frau im Schlaf von ihrer Stummheit geheilt wurde, indem der Gott ihre Zunge mit Speichel berührte. Eine dämonenbannende Funktion scheint dem Speichel bei der Anwendung durch Jesus zugeschrieben zu werden. Die Wendung »Fessel der Zunge« deutet auf eine Inbesitznahme des Kranken durch einen Dämon hin, der ihn seiner Fähigkeit zu sprechen beraubt hat. Dass Krankheiten dämonistisch gedeutet wurden, belegen u. a. Mk 9,17.25, wo von einem Jungen die Rede ist, der aufgrund eines Dämons stumm ist (vgl. auch Mt 9,32; Lk 11,14), sowie Mt 12,22, wo ein namenloser Stummer und Blinder als Dämonisierter bezeichnet wird. Die Fluchtafel SIG3 1175 führt die Fesselung der Zunge auf die Verwirklichung eines dämonischen Schadenszaubers zurück. Plutarch (mor. 438b) sowie der Zauberpapyrus PGM 13,242-244 machen Dämonen für die Stummheit verantwortlich. Der Zauberpapyrus hält wie Mk 7,31-37 fest, dass der Geheilte unmittelbar nach seiner Heilung wieder sprechen kann. Speichel kommt neben Mk 7,31-37 in der strukturell analog gestalteten Wundererzählung in Mk 8,22-26 zum Einsatz, in der ein Blinder sehend wird. Dass Speichel insbesondere bei Augenleiden eingesetzt wurde, berichten Tacitus (hist. 4,81,1-3), Sueton (Vesp. 7) und Dio Cassius (66,8) in einer Überlieferung, derzufolge ein Blinder Kaiser Vespasian gebeten habe, seine kranken Augen mit Speichel zu berühren. Plinius (ca. 23 v.-79 n. Chr.) informiert in seiner Naturkunde darüber, dass Speichel einen helfenden Effekt bei Dämonenbannungen entfalten bzw. Schaden abwehren soll, indem er auf Harn oder in den rechten Schuh gespuckt würde (nat. 28,38). Ebenso ermutigt Plinius: »Wir dürfen wohl glauben, daß auch Flechten und Ausschläge durch ständiges Bestreichen mit nüchternem Speichel bekämpft werden …« (nat. 28,37). Daneben überliefert Plinius die allgemeine pharmakologische Vorstellung, dass die medizinische Wirkkraft jedes Heilmittels gesteigert werde, wenn bei dessen Anwendung unter dreifachem Lobpreis der Götter ausgespuckt werde (nat. 28,36). Nach Plin. nat. 26,93 heilte eine Jungfrau Drüsenbeulen, indem sie Apollo dreimal anruft, dabei aber analog zu Mk 7,31-37 nicht allein ausspuckt, sondern den Kranken zudem mit der Hand berührt. Im Testamentum Salomonis (TestSal 7,3), einer Kompilation auf Salomo zurückgeführter Überlieferungen und exorzistischer Anthologien, ist es Salomo, der in Richtung des Dämons Lix Tetrax spuckt, um damit dessen zerstörerisches Auftreten zu beenden: Neben dem von Gott gegebenen Siegelring Salomos stoppt der Speichel sein gewalttätiges Auftreten gegenüber den Soldaten sowie das Aufwirbeln von Staubwolken. Bezwungen wird der Dämon letztlich durch Siegelung im Namen des Überwinderengels Azael. Die nachchristliche rabbinische Überlieferung führt im Babylonischen Talmud mehrfach eine Auseinandersetzung über Wirkung und Einsatz von Speichel in unterschiedlichen Kontexten. So wird im Traktat Shabbat (bShab 108b) die Frage verhandelt, ob man am Sabbat Wein und/oder Speichel als Heilmittel ins Auge geben dürfe. Die Anwendung von nüchternem Speichel im Auge wird gestattet. Im Traktat Baba Batra (bBB 126b) wird die Erbfolge bzw. das Erbrecht unter Söhnen verhandelt: Rabbi Hanina ˙ Festdiskutiert mit jemandem darüber, woran der Erstgeborene erkannt werden könne. stellbar, so die Antwort, sei dies anhand des Speichels, denn der Speichel des Erstgeborenen des Vaters könne heilen. Im Traktat Sanhedrin (bSan 101a) wird überliefert, dass 327
Die Wundererzählungen im Markusevangelium
Rabbi Johanan zufolge derjenige von der kommenden Welt ausgeschlossen werde, der über einer˙ Wunde flüstere, spucke und Ex 15,26 zitiere, weil dieser Vers den Gottesnamen nennt. Mit der alttestamentlich-frühjüdischen Tradition (Ps 121,1; Philo Mos. 1,190) kann der Aufblick Jesu zum Himmel als Gebetsritus verstanden werden, wie auch in Mk 6,41; 8,4. Entsprechend hellenistischen Wundererzählungen umfasst die Wunderhandlung am Tauben und Stammelnden ein aramäisches Zauberwort: Ephphatha. Die Verwendung fremdsprachiger Worte bei Wunderhandlungen kennt auch Lukian. Er nennt sie «»si@ barbarikffi (rhe¯sis barbarike¯; Luc. philops. 9). Origenes (Cels. 6,40) kennt den Gebrauch fremdsprachiger Formeln bei Dämonenbeschwörern, die aufgrund ihrer Fremdsprachigkeit allerdings ihre Wirkung verlören und weist die Anschuldigung Celsus’ zurück, Presbyter seien im Besitz von Büchern, die nichtgriechische Namen von Dämonen und Beschwörungsformeln enthielten, die den Menschen Schaden zufügen sollten. Plinius weiß, dass fremde und unaussprechliche Beschwörungsformeln gegen Brände und Krankheiten verwendet würden, um die Gottheit zu bewegen: Sogar die Wände beschreibt man gegen Brände mit Beschwörungsformeln. Es ist nicht leicht zu sagen, ob fremde und unaussprechliche Worte mehr den Glauben zunichte machen oder in der lateinischen Sprache überraschen und die dem Geist lächerlich erscheinen müssen, da er immer etwas Ungeheuerliches erwartet, was würdig ist, einen Gott zu bewegen oder gar einer Gottheit zu befehlen (Plin. nat. 28,20).
In Mk 7,31-37 hingegen wird das Wort Ephphatha ins Griechische übersetzt, damit es die Adressaten des Evangeliums verstehen. Gleiches ist im Achten Buch Moses, einem Bestandteil der griechischen Zauberpapyri, zu lesen. Dort wird die Bedeutung des Lobpreises von Helios in Hieroglyphenschrift mittels einer Transkription des Hebräischen auf Griechisch wiedergegeben (PGM 13,150-152.458 f.). Lukian (Alex. 13) kritisiert den Lügenpropheten Alexander, da er mit bedeutungslosen hebräischen und phönizischen Worten in seinen Predigten die unverständige Menge für sich gewinnen wolle. Mk 7,31-37 erweist sich somit als Wunderüberlieferung, die von unterschiedlichen Traditionsströmen geprägt ist und deren konstitutive Elemente und Motive in alttestamentlich-jüdischen und hellenistischen Vorstellungen wurzeln. Das Schweigegebot sowie der Chorschluss sind redaktionell.
Verstehensangebote und Deutungshorizonte Das gesamte Markusevangelium verfolgt die Absicht, Jesus als den Sohn Gottes darzustellen. Es versteht sich selbst als Evangelium vom Sohn Gottes (Mk 1,1) und findet seinen erzählerischen Höhepunkt im Bekenntnis des römischen Hauptmanns unter dem Kreuz: »Wahrhaftig, dieser Mensch war Gottes Sohn« (Mk 15,39). Die kontextuelle Interpretation verortet die Heilung des Taubstummen im Gesamtaufbau des Evangeliums. In ihr erkennen die staunenden Heiden in der Dekapolis den Beginn der Heilszeit nach Jes 35,5 f.: Wie dort Israel von JHWH Erkenntnis geschenkt werden wird, sollen im Markusevangelium die verhärteten Sinne der Jünger geöffnet werden (8,17). Diese öffnen sich in der personalen Begegnung mit Jesus, wie bei dem taubstummen Heiden in Mk 7,31-37 oder dem Blinden, der schrittweise zur Erkenntnis kommt (8,22-26). Es entspricht dem 328
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missionarischen Impetus des Evangeliums und seiner universalen Öffnung für die Völker, dass die Heiden in der Erzählzeit den Jüngern zuvorkommen und Jesus für sein Handeln loben. Erst nachdem die Jünger die Wunder miterlebt haben und immer wieder an der Identität Jesu gezweifelt haben, lässt sie der Evangelist im Munde des Petrus bekennen: »Du bist der Christus!« (8,29). Allerdings enthüllt sich Jesu Identität erst am Kreuz vollständig (9,9; 15,34); bis dahin ist Schweigen geboten, damit Jesus nicht auf einen Wundertäter reduziert wird (7,36). Mit dem Chorschluss in 7,37 möchte Markus zeigen, dass die Begegnung mit Jesus existentiell verändert und Menschen in Erstaunen und Verwunderung versetzt. Sie verkündigen Jesus als denjenigen, der dem Leben eine neue Qualität schenkt. Im Kontext des Markusevangeliums lüftet die Erzählung das Geheimnis um die Person Jesu und illustriert die Annahme des Evangeliums unter den Völkern. Eine weitere Facette kommt durch die sozialgeschichtliche Interpretation in den Blick, die die soziale und historische Realität der antiken Gesellschaft fokussiert (vgl. Theißen 1998). Die Wunderüberlieferung will demnach soziale Gegebenheiten überwinden und fordert neue Formen sozialen Miteinanders. Dabei beinhaltet Mk 7,31-37 gleich mehrere Motive, die eine sozialgeschichtliche Interpretation fruchtbar machen kann und die Erzählung für die Gegenwart sozialen Miteinanders aktualisiert. So kann nach Theißen die Erwähnung der »Menge« als Indiz dafür gelten, dass niedrigere Schichten zu den Hilfesuchenden gehörten. Zudem erkläre der Erzähler den Abbruch der Kommunikation des Kranken mit seiner Außenwelt mythisch dämonistisch. Damit bediene er sich einer allgemein akzeptierten Vorstellung als Ausdrucksform für empfundenen gesellschaftlichen und politischen Zwang, der ihn von seiner Lebenswelt entfremdete. Darüber hinaus kann die Lokalisierung der Erzählung im heidnischen Gebiet als Hinweis darauf verstanden werden, dass Gottes Zuwendung in Christus allen Menschen gilt, unabhängig ihrer ethnischen Herkunft und ihrer sozioökonomischen Situation. Die von Theißen postulierte Überwindung sozialer Konflikte durch Wundererzählungen lässt sich hier m. E. auch an der Verwendung des aramäischen Wortes Ephphatha illustrieren. Während Juden und Heiden innerhalb Palästinas Aramäisch verstehen konnten, übersetzt der Evangelist für einen Adressatenkreis außerhalb Palästinas. Zudem legt er den Heiden biblische Worte in den Mund, was ihre Integration in und Zugehörigkeit zum Volk Gottes ausdrücken könnte. Aus sozialgeschichtlicher Perspektive lädt die Erzählung ein, aus der Begegnung mit Jesus Heil und Heilung zu empfangen und Teil der Gemeinschaft derer zu werden, die auf ihn vertrauen. Ebenso ertragreich erweist sich eine tiefenpsychologische Deutung der Wundererzählung. So versteht Eugen Drewermann die Heilung als Abbild des menschlichen Selbstfindungsprozesses (Drewermann 2000, 492-501). Hierbei rückt der Taubstumme in den Fokus der Deutung. Seine Sprachlosigkeit wird vor dem Hintergrund gemachter Erfahrungen wie Ablehnung und Zurechtweisung gedeutet. Der taubstumme Junge wird zum Anwalt all derer, die »mundtot« gemacht werden, weil sie unbequeme Wahrheiten sagen. Er vertritt jene Menschen, deren Nöten niemand zuhören will und die als Last empfunden werden. Die Folgen hiervon sind Einsamkeit und Isolation, wie es das Schweigen des Taubstummen symbolisiert. Die Wundererzählung zeichnet Jesus als denjenigen, der sich dem Kranken zuwendet. Er eröffnet ihm einen geschützten Raum für eine persönliche Begegnung und findet eine Form der Kommunikation, die dem Taubstummen hilft: Er berührt ihn. Der Einsatz von Speichel dient dazu, dem Kranken Anteil 329
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an Jesu Sprachfähigkeit zu geben. Im Rahmen einer tiefenpsychologischen Deutung kann die Erzählung den Adressaten die Wertschätzung ihres Lebens durch Gott vermitteln und dazu ermutigen, einander diese Liebe weiterzugeben.
Aspekte der Parallelüberlieferung und Wirkungsgeschichte Die dämonenbannende Funktion des Speichels fand Aufnahme im Taufritual der Alten Kirche, wie es im Veroneser Palimpsest aus einer Kirchenordnung Hippolyts von Rom für den Beginn des 3. Jh. belegt ist. Der Katechumene spuckte, um den Teufel abzuwehren. Nach dem Erhalt der »Taufgnade« wird der wiederholte Sieg über den Teufel symbolisiert, indem der Glaubende den Speichel des durch die Taufe gereinigten Körpers in seiner Hand auffängt und damit das Kreuzzeichen über seinem Körper schlägt. In der christlichen Märtyrerakte des römischen Soldaten Dasius, der im Jahr 303 enthauptet wurde, ist in Anklang an dessen Taufe zu lesen, dass er der Welt abgeschworen und gegen den Teufel ausgespien habe, um sich dem gekreuzigten Christus zu verbinden. Der Mainzer Bischof Hrabanus Maurus (ca. 780-856) nennt in seiner Unterweisung der Kleriker (Hrban. inst. cleric. 1,27) die Benetzung der Nasenlöcher und der Ohren des Täuflings mit Speichel als konstitutives Element der Taufliturgie. Dabei solle das Wort Ephphatha als Bitte ausgesprochen werden, dass Christus dem Kind die Ohren für das Wort Gottes öffne. Das geschenkhafte Zum-Hören-Kommen der Wundererzählung wurde durch die Jahrhunderte hinweg rezipiert. Der Reformator Zwingli (1483-1531) erkannte darin das machtvolle Wirken des Wortes Gottes, das so lebendig und kräftig sei, dass ihm alle Dinge gehorchen müssten (Zwingli nach Brunnschweiler 1995, 122). Und Johannes Calvin (1509-1564) versteht die Erzählung als Ermutigung, dass unser Bitten ausreiche, um von Christus sowohl Sprache als auch Gehör geschenkt zu bekommen. In den Berührungen Jesu entdeckt er dessen Liebe zu den Menschen, die darin die Macht Gottes erkannten, durch die die Erinnerung an den Bund JHWHs erneuert wurde. Die Handauflegung symbolisiere die Weihe und begabe den Menschen mit dem Heiligen Geist (Calvin 1974, 47-49). Anfang der 1990er Jahre identifizierte Friedrich-Wilhelm Marquardt die Heilung des Taubstummen mit dem Pfingstfest als »Sprachereignis des Geistes« (Marquardt 1994, 324). Besonderes Augenmerk legt Marquardt auf die Bitte um Handauflegung und Jesu Berührungen des Kranken, die er als »Ostermotiv des neuen, todesfreien Lebens« bezeichnet (Marquardt 1993, 440). Jesus schenkt dem Menschen Anteil an seiner eigenen Lebenskraft und lässt diesem unvergängliches Leben zuteil werden. Das Wunder ereignet sich »außerhalb«, d. h. im vom Heiden bewohnten Gebiet. Es fordert daher auf, einen »Jesus-außer-Haus« (Marquardt 1990, 95 f.) oder eine Peregrinatio Jesu in die christologische Reflexion einzubeziehen. Dabei versteht er Jesus als Jude, der aufgrund seiner Zuwendung zu Juden, Heiden und Christen die Identität aller in Frage stelle und von ihnen als Fremder erlebt werde, der eine Krise des eigenen Selbstverständnisses auslöst. Dieses Verhalten Jesu negiere jeden Exklusivitätsanspruch und fordere dazu heraus, Jesu Wirken in anderen Religionen anzuerkennen. Hierin sieht Marquardt das extra nos unseres Heils, dass Jesu Zuwendung nicht allein seiner Kirche, sondern allen Menschen gelte.
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Mit allen Sinnen leben! Mk 7,31-37
Literatur zum Weiterlesen R. v. Bendemann, Auditus et Testamentum – Die Heilung des Tauben/Stummen in der Dekapolis (Mk 7,31-37), in: W. Härle et al. (Hg.), Systematisch Praktisch, FS R. Preul, MThSt 80, Marburg 2005, 55-69. Ders., Christus als Arzt. Krankheitskonzepte in den Therapieerzählungen des Markusevangeliums, (Teil I) BZ 54/1 (2010), 36-53; (Teil II) BZ 54/2 (2010), 162-178. P. Harlé, Ephphata (Mc 7,31-37), ETR 82 (2007/2), 267-270. F. L. Horton, Nochmals ˛ffaqa in Mk 7,34, ZNW 77 (1986), 101-108. K. R. Iverson, Gentiles in the Gospel of Mark, LNTS 339, London 2007, 57-67.77-82.177-186. G. Theißen, Die Wunder Jesu. Historische, psychologische und theologische Aspekte, in: W. H. Ritter/M. Albrecht (Hg.), Zeichen und Wunder. Interdisziplinäre Zugänge, Göttingen 2007, 30-52.
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Der Mensch lebt nicht vom Brot allein, es darf noch Fisch dazwischen sein (Die Speisung der Viertausend) Mk 8,1-10 (Mt 15,32-39)
(1) In jenen Tagen, als wieder eine große Volksmenge da war und sie nichts zu essen hatten, rief er die Jünger herbei und sagte zu ihnen: (2) »Ich habe Erbarmen mit der Volksmenge, denn schon drei Tage harren sie bei mir aus und haben nichts zu essen. (3) Und wenn ich sie ohne zu essen in ihr Haus entlasse, werden sie auf dem Weg schwach werden. Einige von ihnen sind von weither gekommen.« (4) Da antworteten ihm seine Jünger: »Woher wird jemand diese hier in der Wüste mit Broten sättigen können?« (5) Und er fragte sie: »Wie viele Brote habt ihr?« Sie aber sprachen: »Sieben.« (6) Und er befahl der Volksmenge, sich auf der Erde zu lagern. Und er nahm die sieben Brote, sprach das Dankgebet, brach und gab (sie) seinen Jüngern, dass sie sie vorlegten, und sie legten sie der Volksmenge vor. (7) Sie hatten auch wenige Fischlein. Und als er den Segen über sie gesprochen hatte, sagte er, auch diese vorzulegen. (8) Da aßen sie und wurden satt. Und sie hoben die übriggebliebenen Brocken auf, sieben Körbe. (9) Es waren aber ungefähr viertausend. Und er entließ sie. (10) Und sogleich stieg er in das Boot mit seinen Jüngern und kam in die Gegend von Dalmanuta.
Sprachlich-narratologische Analyse Die Speisung der Viertausend gehört zu den Geschenkwundern, für die ein spontanes, nicht durch Bitten ausgelöstes Handeln des Wundertäters, ein unauffälliger, aus den Folgen zu erschließender Wundervorgang und die überraschende Bereitstellung materieller Güter wie Brot, Fisch, Öl oder Wein im Überfluss charakteristisch sind (Theißen 1998, 111-113). Die Wundergeschichte beginnt mit einer Situationsangabe, die den Wundertäter, die hilfsbedürftige Volksmenge und die Jünger zusammenführt (V. 1). Dann geht sie in ein das Wunder vorbereitendes Gespräch Jesu mit den Jüngern über (V. 2-5), schildert das Mahl (V. 6 f.), stellt das Wunder fest und demonstriert es durch einen neuen Akt (V. 8-9a). Entlassung des Volkes und Bootsüberfahrt beenden die Szene (V. 9b-10). Die unbestimmte Zeitangabe »in jenen Tagen« (V. 1; vgl. 1,9) verbindet das Speisungswunder locker mit dem vorangehenden Heilungswunder (7,31-37), das in dem vorwiegend von Heiden bewohnten Gebiet der Dekapolis platziert ist (7,31). Da kein Ortswechsel berichtet wird, soll man sich auch 8,1-9 dort vorstellen, evtl. nicht weit entfernt vom Ufer des Sees Gennesaret (vgl. V. 10). Die andere situative Bemerkung, dass »wieder« (p€lin – palin) viel Volk da war und sie nichts zu essen hatten, erinnert an die erste Speisungsgeschichte (6,30-44), zu der es strukturelle Parallelen wie Speisung (6,3044/8,1-9), Überfahrt (6,45-51/8,13) und Jüngerunverständnis (6,52/8,14-21) gibt (vgl. Schenke 1983, 136-139). Jesus ergreift die Initiative und äußert in »pneumatischer Er332
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regung« (Theißen 1998, 67) sein Mitleid gegenüber dem Volk, das anders als in 6,34 nicht im Mangel eines das Volk führenden (messianischen) Hirten (vgl. Num 27,17; Ez 34,8.23 f.; PsSal 17,40 f.), sondern in der leiblichen Not des Volkes begründet ist: Es verweile schon drei Tage mit ihm, habe nichts zu essen und drohe auf dem Heimweg – einige seien von weither gekommen – schwach zu werden (V. 2 f.). Die kumulative Schilderung dieser Notsituation sowie der Umstand, dass man sich in der Wüste, fern der dörflichen Heimat und den Quellen des Broterwerbes befindet (V. 4; diff. 6,36), bereitet das folgende Wunder vor. Von der Speisung der Fünftausend her weiß man, dass Jesus für so viele Menschen rettend eingreifen kann und wird. Auch die Jünger Jesu haben die Erfahrung gemacht. Umso mehr erstaunt ihre zweifelnde Frage, woher jemand das Volk in der Wüste mit Brot sättigen könne (V. 4). Sie steht anstelle der skeptischen Frage der Jünger, für 200 Denare Brote einzukaufen (6,37). Markus lenkt hier wie dort – evtl. in ironischer Absicht (Fowler 1981, 95 f.) – auf das für ihn wichtige Motiv des Jüngerunverständnisses, das beide Speisungsgeschichten thematisch verbindet (s. u.). Die Durchführung des gemeinsamen Mahles erfolgt in enger Abfolge. Ohne eigenen Erkundungsgang können die Jünger die Frage Jesu »Wie viele Brote habt ihr?« sofort beantworten (V. 5 diff. 6,38). Statt fünf Brote (und zwei Fische) sind jetzt sieben Brote vorhanden. Jesus lässt mit gebietendem Wort (zu paraggffllw parangello¯ – befehlen, auffordern, vgl. 6,8) das Volk nicht gruppenweise auf grünem Gras (6,39 f.; vgl. Ps 23,2), sondern auf der Erde lagern (V. 6). Die Verwendung von ⁄napfflptw (anapipto¯ – sich zu Tisch legen, sich niederlegen; vgl. Lk 14,10) deutet auf ein Gastmahl hin, das Jesus gibt. Die an das Tun eines Hausvaters erinnernden Handlungen »Er nahm – dankte – brach – gab« (s. u.) lenken die Aufmerksamkeit auf das souveräne Handeln des Gastgebers, der die Brote durch die Jünger verteilen lässt (vgl. 6,41). Die Verteilung der wenigen »Fischlein«, über die Jesus ein eigenes Lobgebet spricht (e'logffw eulogeo¯), erfolgt erst nach dem Brotmahl, so dass das Fischmahl wie ein selbstständiger Vorgang erscheint (V. 7). Mit V. 8a wird die zweifelnde Frage der Jünger aus V. 4 beantwortet: »Sie aßen und wurden satt«. Das Einsammeln der Reste (sieben Körbe mit Brotstücken), die die anfänglichen Vorräte noch übersteigen, und die große Zahl der gesättigten Mahlteilnehmer (»ungefähr viertausend«) demonstrieren eindrücklich das Wunder (V. 8b-9a). Die Entlassung des Volkes (V. 9b) ermöglicht die anschließende gemeinsame Bootsüberfahrt der Jünger mit Jesus (diff. Mk 6,45), die zur folgenden Szene überleitet (V. 10).
Sozial- und realgeschichtlicher Kontext Die Speisung der Viertausend gehört zu den wenigen Erzählungen, die Jesus in heidnischem Gebiet wirken lassen (vgl. Mk 7,24-30.31-37). Die Dekapolis (griech. »Zehnstadt«), die auch den Schauplatz der Heilung des besessenen Geraseners (Mk 5,1-20/Lk 8,26-39) bildet, ist ein sich vorwiegend südöstlich des Sees von Gennesaret erstreckendes Gebiet griechischsprachiger Städte, die bis auf Skythopolis alle im Ostjordanland lagen. Das Gebiet wurde unter römischer Herrschaft (63 v. Chr.) zu einem griechischen Städtebund mit kommunaler Autonomie zusammengefasst. Nach Mk 5,20 ist Jesus dort bekannt geworden, und Mt 4,25 lässt Menschen aus der Dekapolis zu Jesus strömen, so dass die Zusammenkunft einer sich an Jesus hängenden Volksmenge aus der Dekapolis (V. 1) vorstellbar ist. Wegen der vorwiegend heidnischen Dekapolis wird die Menge nicht 333
Die Wundererzählungen im Markusevangelium
nur aus Juden, sondern auch aus Heiden bestehen, denn nach V. 3 sind einige von ihnen »von weither« (bzw. »aus der Ferne«) gekommen (vgl. Jos 9,6; Apg 2,39; 22,21; Eph 2,13.17). Das sich an das Wunder anschließende Ziel der Bootsüberfahrt, Dalmanuta, ist sonst unbekannt und läßt sich nicht sicher lokalisieren (Ost- oder Westufer, Magdala, Kafarnaum, Magedane¯ bei Gerasa [Eus. on. 134,20]?). Die handschriftliche und Parallelüberlieferung bietet eine Reihe von Varianten, die der Unsicherheit Rechnung trägt (Dalmunai, Magdala, Mageda; Magada[n]; vgl. Mt 15,39). Die gemeinsame Mahlzeit gehört zu den tragenden Sozialformen alltäglichen Zusammenlebens. Das Hauptnahrungsmittel des antiken Menschen ist das Brot, das zuweilen allgemein für Nahrung steht (Gen 3,19; 1Sam 20,34; Spr 6,8; Mt 6,11). Es wurde am Morgen in Form von runden Fladen für den täglichen Bedarf (Mt 6,11) gebacken. Für unterwegs nahm man sich Proviant in Reisetaschen mit (vgl. Mk 6,8; 8,14; Lk 9,3). Von daher erklärt sich, dass die Jünger Brote bei sich haben. Daneben sind Fische vorhanden, die hier als Nahrungsmittel (vgl. Lk 11,11) und Zukost zum Brot (vgl. Joh 21,5 prosf€gion prosphagion – Zukost, Fisch) dienen. Ein symbolischer Bezug der Fische auf die in der Wüste bereitgestellten Wachteln (Ex 16; Num 11), die nach Weish 19,11 f. aus dem Meer kommen sollen (Heising 1966, 51 f.), auf den »Fisch« Leviathan, dessen Fleisch beim messianischen Mahl verspeist wird (Hi 40,30; 2Bar 29,3 f.; bBB 75a), oder auf Christus (Schmithals 1979, 326) lässt sich nicht nachweisen (vgl. Körtner 1984, 28-31). Im Unterschied zu Mk 6,38.41 sind es nicht zwei Fische, sondern »wenige Fischlein«, also kleine Fische (§cqÐdion ichthydion ist Diminutiv von —cqu@ ichthys – Fisch). Der Effekt ist jedoch in beiden Geschichten ähnlich: Von wenig Fischfleisch können viele Leute gesättigt werden. Fisch gehörte bei den um den See Gennesaret siedelnden Menschen zur selbstverständlichen Existenzgrundlage. Der See Gennesaret galt als ein besonders bevorzugter Fangplatz (Flav. Jos. Bell. 3,508). In Magdala gab es eine fischverarbeitende Industrie, in der die Fische gepökelt wurden, die von den am Seeufer wohnenden Fischern gefangen wurden. Die jüdischen Reinheitsbestimmungen erlaubten nur Fische mit Flossen und Schuppen zum Verzehr (Dtn 14,9 f.; Lev 11,9-12; vgl. Mt 13,47 f.). Beim Mahl übt Jesus die Rolle des Hausvaters der versammelten Tischgemeinschaft aus. Das jüdische Gemeinschaftsmahl wurde durch den Mahlvorsitzenden mit dem Segensspruch »Gepriesen bist du, Herr, unser Gott, der Brot aus der Erde hervortreten lässt« eröffnet (mBer 6,1). Der Hausvater brach das Brot in Stücke, verteilte diese an die Tischgenossen und aß als Erster vom Brot (Billerbeck 1928, 620-622; vgl. Apg 27,35 f.). Dasselbe geschieht mit den Fischlein, über die Jesus ein eigenes Segensgebet spricht. Wegen der großen Menge und im Freien lagern beim Speisungswunder die Leute nicht an Tischen, sondern auf der Erde, und die Jünger übernehmen das Vorsetzen der Brote und Fische. Am Ende einer Mahlzeit wurden die Reste aufgesammelt, um zu verhindern, dass etwas verkommt (Billerbeck 1926a, 687 f.). Die Erinnerung an Jesu Mahlgemeinschaften mit Broten und Fischen hat sich neben den Speisungswundern auch in den Ostergeschichten wachgehalten (vgl. Lk 24,42 f.; Joh 21,1-14). Die Überbleibsel der Mahlzeit werden – wohl von den Jüngern (vgl. Mk 8,19 f.) – in sieben Körbe gesammelt. Körbe – aus Bast, Rohr, Binsen, Ruten, Stroh oder Stricken gefertigte Tragegeräte – wurden in verschiedenen Größen und Formen in Haus, Feld, Handwerk und Kult eingesetzt. Mk 6,43 erwähnt den festen Tragekorb (kfino@ kophinos), der nach Juvenal sat. 3,14; 6,542 für Juden typisch ist und offenbar mit jüdischer Praxis in Verbindung gebracht wurde (Liddell/Scott 1996, 988). In Mk 8,8/Mt 334
Der Mensch lebt nicht vom Brot allein, es darf noch Fisch dazwischen sein Mk 8,1-10
15,37 erscheint dagegen das Wort spurffl@ (spyris), das einen größeren, runden Flechtkorb bezeichnet, der für Speisereste, Fische oder Getreide benutzt wurde. Apg 9,25 bestätigt, dass ein solcher Korb auch großes und schweres Material aufnehmen konnte. Eventuell soll man in Mk 8 an eine große Menge von Überbleibseln der Mahlzeit denken und darin die Fülle des Heilswirkens Jesu untermalt sehen.
Traditions- und religionsgeschichtlicher Hintergrund Die Brotspeisungswunder Jesu erinnern an Mahlgemeinschaften Jesu und seiner Anhänger bei Brot und Fisch, wobei ein konkretes, bedarfsdeckendes Sättigungsmahl am See Gennesaret – evtl. auch unter Beteiligung vieler Menschen (Mk 6,34; 8,1 »eine große Menge«) – im Hintergrund stehen könnte. Vorbilder für Speisungswunder dieser Art liegen in der Elija-Elischa-Tradition bereit (1Kön 17,7-16; 2Kön 4,1-7; 4,42-44). Die größte Nähe – auch wegen der Jesus mit Elisa verbindenden Züge eines Propheten, Wundertäters und Lehrers sowie der zu Mk 6 und Mk 8 bestehenden formalen Parallele eines doppelten Speisungswunders in 2Kön 4,38-41.42-44 (vgl. Aus 2010, 19-44.169-171) – besteht zur Brotspeisung der 100 Männer durch Elisa a) in der Zählung vorhandener Brote (20 bzw. 7 Brote), b) im Dialog zwischen Wundertäter und Dienern bzw. Jüngern, die an der Sättigung der Menge zweifeln, c) im stillschweigenden Vollzug des Wunders und d) in der Demonstration des Wunders durch den Verweis auf die Sättigung der Menge unter Verbleiben von Resten. Die gemeinsamen Motive weisen darauf hin, »dass die Wundererzählung 2Kön 4,42-44 den neutestamentlichen Pendants als Vorbild diente, indem sie auf die erzählerische Ausgestaltung der neutestamentlichen Gattung ›Speisungsbericht‹ eine strukturbildende Funktion ausübte« (Kollmann 1990, 203). Die Speisungswunder Jesu stellen freilich eine Überbietung prophetischer Vollmacht dar (vgl. Mk 9,1-10; Mt 12,41; Aus 2010, 142-148; 166 f.), denn es werden nicht nur 100 Männer von 20 Broten, sondern 5000 bzw. 4000 Anwesende von fünf bzw. sieben Broten gesättigt. Solche Mengenangaben sind insofern von Bedeutung, da bestimmten Zahlen in der alten Welt ein symbolischer Wert beigemessen wurde. Die in unserer Geschichte begegnende Zahl »Vier« (und »Tausend« als runde Zahl) erinnert an die vier Himmelsrichtungen (vgl. Jes 11,12; Jer 49,36; Ez 7,2; 37,9; Dan 7,2; Apg 10,11; 11,5; Offb 7,1; 20,8) und steht für Vollkommenheit. Die Zahl »Sieben« steht für Fülle und Ganzheit (Gen 2,2f.; vgl. Ps 119,164; 4Makk 15,29; Mk 16,9; Mt 12,45; Lk 8,2; Offb 1,4.11.12.16.20; 2 f. u. ö.). Weitere Parallelen gibt es in der rabbinischen Überlieferung. Nach bJoma 39a haben Priester, die von den beiden Broten (Lev 23,17) und Schaubroten olivengroße Stücke erhielten, davon gegessen, wurden satt und ließen z. T. noch etwas übrig. In bTaan 24b.25a erfährt man von der beschämten Frau des Rabbi Chanina ben Dosa, die den Ofen voll Brot und Teig vorfindet, obwohl sie nichts hatte, um Brot zu backen. Im ersten Fall findet sich das Motiv der Sättigung und der verbleibenden Reste, im zweiten Fall kommt es zu einem überraschenden Geschenkwunder. Eine buddhistische Variante des Speisungswunders liegt im Ja¯takakommentar vor, »wonach Buddha einmal mit einem Brot, das ihm in seine Almosenschale gelegt worden war, seine 500 Jünger und dann noch alle Insassen eines Klosters gesättigt, aber trotzdem noch viel Brot übrigbehalten habe« (Clemen 1924, 237; vgl. Aus 2010, 140 f.). Wie in Mk 6,43 bleiben dabei 12 Körbe übrig. 335
Die Wundererzählungen im Markusevangelium
Verstehensangebote und Deutungshorizonte Die Deutung der markinischen Speisungsgeschichte hängt davon ab, welche innertextuellen oder intratextuellen Bezüge favorisiert werden. Frühere rationalistische oder politische Deutungen werden gelegentlich noch vertreten. Nach H. E. G. Paulus (1801, 266278) soll die freudige Verteilung der geringen Vorräte Jesu die andern veranlasst haben, ihre eigenen Vorräte aus der Tasche zu holen (vgl. Grassi 1991, 47 f. und Theißen 1986, 168 f. mit der zusätzlichen Annahme, Jesus habe von reichen Jesussympathisantinnen Unterstützung an Geld und Lebensmitteln erhalten [Lk 8,3]). R. Eisler (1930, 248-250) vertrat die Auffassung, Jesus wollte in Wiederholung des Mannawunders dem Volk in der Wüste ein Vorzeichen seiner politischen Befreiung geben. Dem stehen andere Auslegungsmodelle gegenüber: Die eucharistische Auslegung (van Iersel 1964/65, 173-178; Heising 1966, 61-71; Schenke 1983, 128-150) orientiert sich an den in der Eröffnung des Mahles gesetzten Parallelen zum christlichen Abendmahlsbericht (vgl. Mk 14,22 par.): Jesus nahm die Brote, dankte, brach sie und gab sie den Jüngern (Mk 8,6; vgl. 6,41; Joh 6,11.23). Im Zusammenhang mit dem ersten Speisungswunder und den in Mk 6,30-8,30 gehäuft vorkommenden Anspielungen auf das »Brot« (Mk 6,30-44.52; 7,2.5.27; 8,1-9.14-21) kann dieser – evtl. schon in einem vormarkinischen Stadium mit der Stofffolge Speisung, Überfahrt, Zeichenforderung und Petrusbekenntnis (vgl. Joh 6,1-71) überlieferte – Abschnitt als »Eucharistiekatechese« (L. Schenke) gedeutet werden, die ihre Entstehung und Ausformung in der nachösterlichen christlichen Abendmahlsfeier hatte, und zwar entweder »in a liturgy accompanying a eucharistic celebration« oder »as part of the edifying ›table-talk‹ when Christians gathered to eat together« (Collins 2007, 380). – Gegen eine Ableitung aus der christlichen Abendmahlspraxis sprechen jedoch gewichtige Gründe (vgl. Körtner 1984, 24-35; van Oyen 1999, 190-218). Der in Mk 6,41 erwähnte, beim Gebet nicht unübliche Aufblick Jesu zum Himmel (vgl. Ps 121,1; Lk 18,13; Joh 11,41; 17,1; Flav. Jos. Ant. 11,56), die Assistenz der Jünger sowie die Segnung und Austeilung der Fische haben im christlichen Abendmahl keine Entsprechung, umgekehrt fehlt in den Speisungswundern die für die Eucharistie konstitutive Austeilung des Trankes. Die Beschreibung des Tuns Jesu ist die übliche Geste des Hausvaters beim jüdischen Mahl (vgl. Apg 27,35). Auch Markus zeigt in seiner Interpretation der Speisungsgeschichten kein Interesse an der Abendmahlslehre, sondern am Jüngerunverständnis (Mk 8,14-21). Nicht auszuschließen ist freilich, dass in Mk 6,41; 8,6 (und Joh 6,11.23) »eucharistische Anklänge« mitgehört werden konnten. Die sozialgeschichtliche Auslegung (Theißen 1998, 114.229-297) zielt auf die pragmatische Funktion der Wundergeschichten als symbolische Handlungen mit Protestpotential. Geschenkwunder wie die Speisungsgeschichten formulieren aus der Sicht einfacher Menschen einen Einspruch »von unten« gegen menschliche Not und werben für eine gerechte Sozialpraxis, die sich nicht damit abfindet, dass es für zu viele zu wenig Brot gibt. Die sich in den Geschichten widerspiegelnde Grenzerfahrung materiellen Mangels wird durch das Erzählen Ernst genommen, transzendiert und auf das Überwinden konkreter Negativität hin ausgelegt. Die im Mangel an Brot zum Ausdruck kommende Sehnsucht nach der Fülle des Lebens enthält daher nicht nur einen wünschenswerten, sondern auch einen unbedingt-verpflichtenden Impuls (»heiliges Recht«) zur Überwindung konkreter Notlagen, angesichts derer sich einfache Menschen durch das Erzählen von Wundergeschichten Mut machen. 336
Der Mensch lebt nicht vom Brot allein, es darf noch Fisch dazwischen sein Mk 8,1-10
Die eschatologische Auslegung (Kollmann 1990, 204 f.) orientiert sich an der üppigen Bereitstellung von Nahrung, die über das notwendige Maß der Lebenserhaltung hinausgeht. Ein solcher durch wunderbare Vermehrung hervorgerufener Überfluss an Nahrung hat im alttestamentlich-jüdischen Vorstellungskomplex des eschatologischen Freudenmahles einen Anhalt, wonach für die Endzeit eine die urmenschliche Sehnsucht nach Brot und Sättigung erfüllende, der paradiesischen Urzeit entsprechende Menge an Gütern unter Beendigung von Hunger und Durst erwartet wird (Jes 25,6 f.; 49,10; 55,1; Jon 4,18; Am 9,13-15; Offb 7,16; 21,6; 22,17; 1Hen 10,8 f.; 2Bar 29,5 f.; Sib 3,744-750). Eine (vergleichsweise karg vorzustellende) Mahlzeit Jesu konnte in diesem Erwartungshorizont und unter Berücksichtigung des in Jesu Wirken erfahrenen Anbruchs des Gottesreiches als Vorwegnahme der himmlischen Freudenmahlzeit gedeutet werden (vgl. Mk 14,25; Mt 22,1-14/Lk 14,15-24). Mit dem Mahl Jesu erfüllt sich die auf Gott gerichtete Erwartung der Speisung der Hungrigen (Ps 146,7; Lk 1,53). Die Sättigung der Volksmenge nach »drei« hungrigen Tagen (Mk 8,2) kann ein Hinweis auf den helfenden Gott sein (vgl. Gen 40,13; Jos 1,11; Hos 6,2), der in seiner Güte Wunder an den Menschen vollbringt, »weil er die dürstende Seele sättigt und die Hungrigen mit Gütern erfüllt« (Ps 107,9). Die heilsgeschichtliche Auslegung stellt die sowohl für Juden wie auch für Heiden geltende Heilsfülle des Wirkens Jesu in den Mittelpunkt und versteht Mk 8,1-10 als »narrative Entfaltung, dass die Heiden von demselben Brot gesättigt werden wie die Juden (7,24-30)« (Klinghardt 2002, 197; vgl. Wefald 1995, 3-26; Salzmann 2009, 129-134). Diese Auslegung kann sich auf die Platzierung der drei aufeinanderfolgenden Erzählungen Mk 7,24-30; 7,31-37 und 8,1-10 in heidnischem Gebiet berufen (Tyrus, Dekapolis). Hatte bereits die Reinerklärung aller Speisen (Mk 7,1-23; vgl. V. 19) eine wichtige Grenze zwischen Juden und Nichtjuden aufgehoben und Mk 7,24-30 deutlich gemacht, dass die Verkündigung/Lehre, die für Juden ausreicht, auch Heiden »sättigt«, so vertieft Markus dieses Anliegen in Mk 8,1-10, indem er die Speisung auf heidnischem Boden und für Leute »von weither« stattfinden lässt (s. o.). Die Frage der Jünger in V. 4 »Woher wird jemand diese hier in der Wüste mit Broten sättigen können?« deutet an, dass die Jünger nicht aus quantitativen Gründen eine Speisung bezweifeln (»zu viele!«), sondern aus qualitativen: Für »diese (Heiden) hier« glauben sie keine Speise zu haben. Eine symbolische Deutung der die Ausmaße vom ersten zum zweiten Brotwunder verändernden Zahlenrelationen unterstreicht die Vorstellung einer auf Heiden überfließenden Fülle des Heilswirkens Jesu: Wie in Mk 6,43 die zwölf Körbe an die zwölf Stämme Israels erinnern (vgl. Mt 19,28; Apg 7,8; Offb 7,4-8; 12,1; 21,12) – der Begriff kfino@ (kophinos) ist assoziativ mit Juden verbunden (s. o.) –, so lässt sich die Zahl der sieben Brote und Körbe unter Verwendung der mit der Symbolzahl »sieben« angedeuteten Fülle und Ganzheit (vgl. Gen 2,2 f.; 4Makk 15,29; Mk 16,9; Mt 12,45; Offb 1,4.11.12.16.20; 2-3 u. ö.) auf die grenzenlose Fülle des Heilswirkens Jesu für (sieben) heidnische Völker deuten (vgl. Dtn 7,1; Apg 13,19 bzw. Gen 10 und Lk 10,1: »siebzig«). Eventuell ist mit der Zahl der »vier«(tausend) Gespeisten auch an die aus den vier Himmelsrichtungen (vgl. Jes 11,12; Jer 49,36; Ez 7,2; Dan 7,2; Offb 7,1; 20,8) kommende Menschenwelt gedacht (Heising 1966, 54; Pesch 1984, 404). Die sich in Mk 8,14-21 anschließende textimmanente Deutung der beiden Speisungswunder als Illustrationen des Jüngerunverständnisses (vgl. Mk 4,13b.40; 6,52; 7,17 f.; 8,14-21; 9,6.10.32; 10,32; 14,40b) verdeutlicht in diesem Sinne nicht nur die Erkenntnis, dass die Sorge um zu wenig Nahrung eine ständige Anfechtung für den Glauben ist (vgl. Mt 6,25-34), sondern noch mehr die den Jüngern verborgene Einsicht, dass 337
Die Wundererzählungen im Markusevangelium
Jesus seine Heilsgaben auch auf die Heiden überfließen lässt. Der Tadel, dass die Jünger jetzt »noch nicht« verstehen (Mk 8,17.21; vgl. 4,40), impliziert freilich, dass sie auf einem Weg sind, der später zu Begreifen und Verstehen führt, so dass die das Evangelium leitende Frage »Wer ist dieser?« (vgl. Mk 1,27; 4,41; 6,2 f.14-16; 8,27-30; 9,7; 10,47 f.; 14,61 f.; 15,39) zu einer Beantwortung führen wird. Dabei wird die »Erinnerung« an Jesu Worte und Taten, die Markus mit seiner Evangeliendarstellung anbietet, eine wichtige Rolle spielen (vgl. Mk 11,21; 14,9.72). Die notwendige Erinnerung an Jesu Wunder (Mk 8,18: »Und erinnert ihr euch nicht?«) soll die Jünger wie auch die Leser(innen) des Markusevangeliums in nachösterlicher Zeit zu vollem Verständnis über den Sohn Gottes und sein auch den Heiden zugutekommendes Heilswirken führen.
Aspekte der Parallelüberlieferung und Wirkungsgeschichte Mt 15,32-39 (32) Jesus aber rief seine Jünger herbei und sprach: »Ich habe Erbarmen mit dem Volk, denn schon drei Tage harren sie bei mir aus und haben nichts zu essen. Und ich will sie nicht ohne zu essen entlassen, damit sie nicht auf dem Weg schwach werden.« (33) Und die Jünger sprechen zu ihm: »Woher gibt es für uns in der Wüste so viele Brote, um eine so große Menge satt zu machen?« (34) Und Jesus sagt ihnen: »Wie viele Brote habt ihr?« Sie aber sprachen: »Sieben, und wenige Fischlein.« (35) Und er befahl dem Volk, sich auf der Erde zu lagern, (36) nahm die sieben Brote und die Fische, sprach das Dankgebet, brach und gab (sie) den Jüngern, die Jünger aber der Volksmenge. (37) Und sie aßen alle und wurden satt. Und sie hoben die übriggebliebenen Brocken auf, sieben Körbe voll. (38) Die aber gegessen hatten, waren viertausend Männer, ohne Frauen und Kinder. (39) Und er entließ die Volksmenge, stieg in das Boot und kam in das Gebiet von Magadan.
Das in Mt 15,32-39 par. erzählte Speisungswunder weicht in einigen Details von der Markusvorlage ab. Ort des Geschehens ist nicht mehr die heidnische Dekapolis, sondern »das Meer von Galiläa«, insbesondere der Berg, von dem aus Jesus Kranke heilt (Mt 15,29-31; zum Berg als Ort göttlicher Lehre vgl. Mt 5,1; 14,23; 17,1; 24,3; 28,16). An Heiden ist bei Mt nicht nur wegen der Verlegung des Ortes an das galiläische Meer (vgl. Mt 4,18; 13,1), sondern auch wegen der fortgelassenen Notiz, dass einige »von weither« kamen (Mk 8,3b), nicht mehr zu denken. Entsprechend ändert Mt die Frage der Jünger, von woher jemand »diese hier« (= Heiden) mit Broten sättigen könne (Mk 8,4), indem er aus einem qualitativen ein quantitatives Problem macht: »Woher gibt es für uns in der Wüste so viele Brote, um eine so große Menge (= Juden) satt zu machen?« (Mt 15,33). Von Mt 15,24 her weiß man bereits, dass Jesus nur zu den verlorenen Schafen des Hauses Israel gesandt ist, auch wenn es ausnahmsweise zur Begegnung mit Heiden kommen kann (Mt 8,28-34; 15,2128). Außerdem lässt Mt die der Speisung vorangehende Heilung des Taubstummen in der heidnischen Dekapolis (Mk 7,31-37) fort und bietet dafür ein Summarium von Krankenheilungen (Mt 15,29-31), das an das in Mt 11,1-5 (vgl. Jes 29,18 f.; 35,5 f.) beschriebene messianische Heilswerk Jesu für Israel erinnert. Der Preis des Gottes Israels in Mt 15,31 ist 338
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der Lobpreis, den Juden ihrem Gott entgegenbringen (vgl. 1Kön 1,48; 8,15.23.25 f.; 2Kön 19,15). In Kombination dieser Faktoren macht die ganze Einheit Mt 15,29-39 deutlich, dass Jesus als Retter Israels zu verstehen ist (vgl. Mt 1,21), der sich der Kranken und (in Hunger) Notleidenden in Israel »erbarmt« (Mt 15,32; zum Erbarmen Jesu vgl. weiter Mt 9,27.36; 14,14; 15,22; 17,15; 18,33; 20,34), während die markinische Tendenz einer auf Heiden überfließenden Heilsfülle Jesu verloren geht. Die Gestaltung von Mt 15,32-39 ist weitgehend der Speisung der Fünftausend in Mt 14,13-21 angeglichen. Die Fische gehören bereits zu den Vorräten (Mt 14,17/15,34; anders Mk 8,5). Das in Mk 8,7 gesondert berichtete Fischmahl entfällt, und Jesus spricht ein einziges Gebet über Brote und Fische (Mt 14,19/15,36). Die Mahlhandlung Jesu und die Beteiligung der Jünger in Mt 15,36 entspricht (bis auf das Aufblicken zum Himmel) Mt 14,19. Sättigungsmahl und Demonstration des Wunders in Mt 15,37 f. stimmen bis auf die verschiedenen Zahlen der Beteiligten und die Bezeichnung der Körbe mit Mt 14,20 f. überein. Es essen ausdrücklich »alle«, und Frauen und Kinder werden gegenüber Mk 8,9 hinzugefügt. Die parallele Gestaltung lässt darauf schließen, dass Mt kein besonderes Interesse an dem einzelnen Speisungswunder hatte. Es gilt nicht als Wunder an Heiden und wird auch nicht gegenüber der ersten Speisung gesteigert. Wie dort (Mt 14,17), hier (Mt 15,33) und in dem sich auf beide Speisungswunder beziehenden Jüngertadel Jesu in Mt 16,8 wird der »Kleinglaube« der Jünger thematisiert (vgl. Mt 6,30; 8,26; 14,31; 17,20). Dann lässt sich für Matthäus vermuten: »Er wollte die Speisungen nicht unterscheiden, sondern eher typisieren. Er wollte sagen: So, wie es in den vielen Krankenheilungen und in beiden Speisungen berichtet ist, hat Jesus immer und immer wieder an seinem Volk Israel gehandelt. So konkret, so körperlich hat er ihm geholfen« (Luz 2007, 442). Wirkungsgeschichtlich hat die Speisung der Viertausend im Unterschied zur Speisung der Fünftausend (Pilgerbericht der Egeria [4. Jh.]; byzantin. Brotvermehrungskirche mit dem bekannten Brot-Fisch-Mosaik in Tabgha nahe Kafarnaum) keine nennenswerten Spuren hinterlassen. In nachneutestamentlicher Zeit konnten Jesu Speisungswunder einerseits als Beweis des »sich von der Erde erhebenden«, auf irdische Nahrung verzichtenden göttlichen Wundertäters erzählt (ActJoh 93), andererseits in Konkurrenz zu heidnischen Wundertätern gestellt werden. Nach Or. Cels. 1,68 habe Celsus behauptet, ägyptische Wundertäter würden wie Jesus Speisungswunder vollbringen, doch handle es sich in Wirklichkeit nur um »kostbare Mahlzeiten und Tische mit Näschereien und Leckerbissen, die gar nicht wirklich vorhanden sind«. In der alten Kirche haben sich verschiedene allegorische und symbolische Auslegungen der Speisungswunder ausgeprägt, die die Erfahrungen und Bedürfnisse der Gemeinden widerspiegeln. Hierzu gehören die heilsgeschichtliche (Speisung von Juden und Heiden), die moralische (Jesus als Vorbild des Teilens), die soziale (Gottes Fürsorge für den Leib), die spirituelle (Brote und Fische als Symbol geistlicher Hilfe), die eucharistische (Danksagung und Brotbrechen als Hinweise auf das Abendmahl) und die ekklesiologische (die Jünger als Vorbild der die Güter Christi verteilenden Priester und Pfarrer) Deutung (vgl. Luz 2007, 397-400. 442 f.). Da dieser geistliche Lehrgehalt aber bereits an dem ersten Speisungswunder verdeutlicht wurde, verlor die Speisung der Viertausend das Interesse der Ausleger und wurde in alten Kommentaren oft übergangen (Luz 2007, 442).
Rainer Metzner 339
Die Wundererzählungen im Markusevangelium
Literatur zum Weiterlesen R. D. Aus, Feeding the Five Thousand. Studies in the Judaic Background of Mark 6:30-44 par. and John 6:1-15, Lanham et al. 2010. F. Avemarie, Der Schöpferkraft Jesu trauen. Ein Versuch über die Speisungswunder des Markusevangeliums, in: P. Dabrock/S. Keil (Hg.), Kreativität verantworten. Theologische und sozialethische Zugänge und Handlungsfelder im Umgang mit dem Neuen, NeukirchenVluyn 2011, 61-79. R. Eisler, Iesous basileus ou basileusas. Die messianische Unabhängigkeitsbewegung vom Auftreten Johannes des Täufers bis zum Untergang Jakobs des Gerechten. Nach der neuerschlossenen Eroberung von Jerusalem des Flavius Josephus aus den christlichen Quellen dargestellt, 2 Bde., Heidelberg 1929/30. R. M. Fowler, Loaves and Fishes. The Function of the Feeding Stories in the Gospel of Mark, SBL.DS 54, Chico 1981. J. A. Grassi, Loaves and Fishes: The Gospel Feeding Narratives, Collegeville 1991, 23-50. A. Heising, Die Botschaft der Brotvermehrung, SBS 15, Stuttgart 1966. M. Klinghardt, Boot und Brot. Zur Komposition von Mk 3,7-8,21, BThZ 19/2 (2002), 183-201. U. H. J. Körtner, Das Fischmotiv im Speisungswunder, ZNW 75 (1984), 24-35. B. Kollmann, Ursprung und Gestalten der frühchristlichen Mahlfeier, GTA 43, Göttingen 1990, 197-205. A. B. Salzmann, »Do you still not understand?« Mark 8:21 and the Mission to the Gentiles, BTB 39 (2009), 129-134. L. Schenke, Die wunderbare Brotvermehrung. Die neutestamentlichen Erzählungen und ihre Bedeutung, Würzburg 1983. B. van Iersel, Die wunderbare Speisung und das Abendmahl in der synoptischen Tradition (Mk VI 35-44 par., VIII 1-20 par.), NT 7 (1964/65), 167-194. G. van Oyen, The Interpretation of the Feeding Miracles in the Gospel of Mark, CBRA 4, Brüssel 1999. E. K. Wefald, The Separate Gentile Mission in Mark: A Narrative Explanation of Markan Geography, the Two Feeding Accounts and Exorcisms, JSNT 60 (1995), 3-26.
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Sehen und Verstehen (Die zweiphasige Heilung des namenlosen Blinden) Mk 8,22-26 (22) Und sie kommen nach Betsaida. Da bringen sie ihm einen Blinden und bitten ihn, dass er ihn berühren möge. (23) Und er ergriff die Hand des Blinden und führte ihn außerhalb des Dorfes. Und er spuckte in seine Augen und legte ihm die Hände auf und fragte ihn: »Siehst du irgend etwas?« (24) Und er blickte auf und sprach: »Ich sehe die Menschen so, als ob ich Bäume umhergehen sehe.« (25) Daraufhin legte er wiederum die Hände auf seine Augen. Da sah er scharf und war wiederhergestellt und vermochte alles deutlich zu erkennen. (26) Und er sandte ihn in sein Haus und sagte: »Du sollst nicht in das Dorf hineingehen!«
Sprachlich-narratologische Analyse Die Ortsangabe in Mk 8,22 hat anaphorischen Charakter. Mk 8,22-26 spielt in der Gegend, in die der zweite Evangelist bereits die Speisung der 5000 lokalisiert hat (vgl. Mk 6,45 ebenfalls nach einer Bootsfahrt). Einleitung und Exposition der dramatischen Episode schaffen Nähe zum Geschehen im erzählenden Präsens. Mk 8,22b wird vermeldet, dass der Kranke zu Jesus gebracht wird und dass »man« für ihn bittet (8,22). Es handelt sich im Griechischen um eine Konstruktion, die häufig im zweiten Evangelium begegnet: Im unpersönlichen Plural werden Gruppen unterschiedlicher Größe selektiert, welche die Leserschaft genauer konkretisieren soll. Leserinnen und Leser können im Fall von 8,22 an die Gemeinschaft der Familie, Nachbarschaft oder des Dorfes denken (vgl. Mk 8,23.26), die für den Blinden eintritt. Fokalisiert ist der Beginn im Aorist (8,23; »Spezialeffekt«): Jesus übernimmt hier die Rolle eines Blindenführers (s. u.). Wenn der Blinde aus dem Dorf herausgeführt wird, so bedeutet dies zunächst: Er betritt fremdes, für ihn damit gefährliches Terrain abseits der gewohnten Lokalitäten der täglichen Lebensumgebung. Der Blinde ist hier allein ohne Orientierung (vgl. Klgl 4,14 zum Umherirren »wie die Blinden«). Ihr besonderes narratives Profil erhält die Erzählung v. a. durch den zweiphasig strukturierten Heilvorgang. In Mk 8,23b.25a wird von einer doppelten Handauflegung berichtet. Durch die beiden Phasen der Therapie entsteht ein innerer Erzählrahmen, in den der Dialog mit dem Blinden eingeschaltet ist (8,23c.24). Vor der ersten Handauflegung, die nicht näher determiniert ist, wird in syndetischer Anbindung im Aorist zunächst vom »Spucken« Jesu berichtet. Anders als im Fall von Mk 7,33 ist hier deutlich, dass der Speichel direkt auf/in das erkrankte Organ auf- bzw. eingebracht wird. Syntaktisch hervorgehoben und mit durativ-iterativem Imperfekt eingeleitet, folgt in 8,23c eine Frage Jesu, die an antike Arzt-Patienten-Dialoge erinnert (vgl. Hippocr. epid. 1,11). Für das Verständnis des Verbs ⁄nablffpein (anablepein) in 8,24 gibt es zwei Grundmöglichkeiten: Entweder das Verb markiert die Wiedererlangung der Sehfähigkeit (Mt 11,5 par. Lk 7,22; Mk 10,51 f. par.; Apg 9,12.17 f.); oder es verweist darauf, dass der Blinde die 341
Die Wundererzählungen im Markusevangelium
Augen aufschlägt (vgl. Mk 16,4; Lk 21,1; Apg 22,13a). Da der vollständige Heilerfolg in Mk 8 an dieser Stelle noch nicht eintritt, ist die zweite Lesart die wahrscheinlichere. Der Blinde beantwortet die Frage Jesu in Selbstanamnese: »Ich sehe die Menschen so, als ob ich Bäume umhergehen sehe«. Erst der zweite Anlauf bringt dann den durchschlagenden Heilerfolg. Die zweite Handauflegung gilt dem kranken Organ selbst. Der Erzähler stellt den Erfolg in dreifacher Variation intensiv heraus: Am Beginn steht ein ingressiver bzw. inzeptiver Aorist (8,25: »scharf hinblicken«; nur hier bei Mk; vgl. Mt 7,5 par. Lk 6,42). Der effektive Heilerfolg wird sodann mit einem medizinischen terminus technicus fixiert: Der Kranke ist »wiederhergestellt« (vgl. z. B. Dioscur. mat. med. 1,64,4). Am Ende wird in durativem Imperfekt konstatiert, dass der ehedem Kranke nun im Unterschied zu seinen ersten Sehversuchen zu klarer Sicht befähigt ist (vgl. Mk 10,21.27; 14,67). Es entsteht so eine Sinnlinie des Sehens vom »Aufblicken« / »Heben der Augen« (8,24) über das »Hindurch-Schauen« (8,25) hin zum scharfen und deutlichen Sehen und Erkennen aller Dinge (zum Adverb »scharf« / »deutlich« vgl. Diod. Sic. 1,50). Damit kann der ehedem pflege- und führungsbedürftige Blinde mit einer zielgerichteten Sendung selbstständig entlassen werden (8,26).
Sozial- und realgeschichtlicher Kontext Augenleiden sind in der Antike in den Kulturen des Vorderen Orients häufig und vielfältig, was nicht zuletzt mit den klimatischen Bedingungen zusammenhängt. Dies spiegelt sich auch in literarischen Krankheitsstatistiken wider. Augenerkrankungen finden sich z. B. relativ häufig in den Heilinschriften von Epidauros (vgl. Herzog 1931, W 4, 9, 32, 40 u. a.); ähnlich breiten Raum nehmen sie etwa auch bei Artemidor ein (1,26.48; 2,36; 3,39; 5,9.44). Grundsätzlich beschreibt das Auge bzw. der Augapfel das Wertvollste und Teuerste eines Menschen. Im Hintergrund steht u. a., dass auch im philosophischen Denken des Hellenismus »Sehen« und Glück der Menschen engstens aufeinander bezogen sind (vgl. Arist. metaph. 1,1 980a; vgl. Plato Tim. 47 a-b; Soph. Oed. R. 1368). Bestimmte Augenerkrankungen waren bereits in der Antike durch chirurgische Eingriffe heilbar (vgl. hierzu Cels. med. 7,14; Schulze 2001, 63-65; Jackson 1996, 22282251; Künzl 2002, 77-84), viele Erkrankungs- und Verletzungsformen galten jedoch als nicht therapierbar. In besonderer Weise bedarf der Blinde der Aufmerksamkeit, Zuwendung, Unterstützung und Pflege durch Familienangehörige, darüber hinaus aber der Sippe, Gruppe oder Gemeinschaft im weiteren Sinn. Im glücklichen Fall ist dem Kranken ein besonders nahestehender Verwandter koordiniert (vgl. Eurip. Ant. 1683; vgl. Soph. Oed. R. 1321 f.). Auf seinen Wegen bedarf der Blinde eines Führers (vgl. Hom. Od. 8,106 f.; Soph. Ant. 989; Sen. ep. 50,3; Ri 16,26; vgl. Dtn 27,18; Hi 29,15). Gibt es im Altertum auch unterschiedliche Fälle reicher Blinder und eröffneten sich insbesondere im städtischen Kontext auch Möglichkeiten zur Professionalität etwa als Dichter und Musiker (vgl. Esser 1961, 96 f.), aber auch Jurist oder Lehrer – Diodotus erteilte nach Cic. tusc. 5,39,113 auch erblindet Geometrieunterricht, und Oppius Chares blieb auch erblindet ein Grammatiker (Suet. gramm. 3) –, so bedeutet Blindheit in der Regel wirtschaftliche Armut. Der blinde Bartimäus (Mk 10,46) ist wie der Blinde in Joh 9,8 ein Bettler. Blinde Sklaven galten als unbrauchbar. In der antiken Literatur wird der 342
Sehen und Verstehen Mk 8,22-26
blinde Bettler zum Topos. Arme und Blinde sind auch im Neuen Testament verschiedentlich in einem Atemzug genannt. In Lk 14,13.21 begegnen sie in der Gruppe der Bedürftigen, die als Ersatzgäste zum ›großen Mahl‹ geladen werden (vgl. Lk 7,22 die Blinden in einer Reihe mit den Toten; ähnlich Flav. Jos. Ant. 3,11,3; vgl. bNed 64b/Preuss 1992, 317 mit Anm. 9). Blinde Menschen evozieren Mitleid und Abscheu. Der entleerte Blick des Blinden bricht sich auch in typischen Masken, die im Theater gebraucht wurden (vgl. Esser 1961, 145; Lesky 1954, 443). Andererseits gilt Blindheit in der hellenistisch-römischen Antike vielfach im Vergleich mit anderen Krankheiten als das »anerkannte« Leiden. Blinden weicht man nach Ov. trist. 5,6,31 mit ebenso viel Respekt aus wie solchen, die die praetexta (Obergewand vornehmer Römer) tragen. Man schreibt Blinden eine potenzierte geistige Sehkraft zu. Blinde bleiben nicht im »äußeren« visuellen Wahrnehmen gefangen, ihr Erkennen, Begreifen und auch das Erinnern entsprechen vielmehr den erhabenen Möglichkeiten eines »inneren Sehens«. In diesem Zusammenhang sind die Seher-Gestalten der griechischen Mythologie anzuführen, unter denen der blinde thebanische Seher Teiresias hervorragt, der nach Apollodor (3,69 f.84 f.94.) mit Blindheit gestraft wurde, da er göttliche Mysterien preisgab (vgl. Plut. mor. 434c; Diod. Sic. 4,67). Noch in der Unterwelt vermag er Odysseus zu beraten (Hom. Od. 10,11). Weiter weiß man in der Antike von einer namhaften Zahl erblindeter Philosophen (Heraklit; Demetrios von Phaleron; Antipatros von Kyrene; Asklepiades von Eretria; zum Mythos von der Selbstblendung des Demokrit: Hdt. 9,93 f.; Cic. fin. 5,29,87; tusc. 5,39,113 f.). Die (spätere) Tradition der Blindheit des Homer basiert wahrscheinlich nicht auf historischem Wissen, sondern u. a. auf etymologischen Spekulationen (vgl. Hdt. vit. Hom. 1,3; Hom. Hym. 3,172 f.; Thuc. 3,104). Im frühen Judentum ist eine vergleichbar positive Wertung von Blindheit und Blinden insgesamt nicht festzustellen. Innerhalb der alttestamentlichen Literatur hält Ex 4,11LXX in rhetorischer Frage fest, dass Blindheit von Gott verhängt wird. Grundsätzlich kann darum nur er sie heilen (vgl. Spr 20,12; vgl. übertragen: Ps 145,8LXX). In der Androhung des Gerichts (in der griechisch-römischen Literatur wird Blindheit häufig für Augenvergehen verhängt; vgl. Plut. Alex. 3,2; Ov. ep. 1,1,53-58) kann das Geschlagenwerden mit »Unsichtbarkeit« im Sinne von Blindheit neben »Wahnsinn« und »Geistesverwirrung« stehen (Dtn 28,28 f.LXX). Nach Zeph 1,17 sollen die Menschen am Tag JHWHs aufgrund ihrer Sünde wandeln wie die Blinden. Nach Lev 21,18 gehört Blindheit in die Reihe derjenigen Krankheiten, die für den Priesterdienst untauglich machen (zur rabbinischen Rezeption von Lev 21,20: Preuss 1992, 301-308.319; vgl. 1Q28a 2,3b-22; 1QM 7,3b-6; zur Ungültigkeit der Ehe einer blinden Frau vgl. mKet 7,9; Preuss 1992, 300; zur Unbrauchbarkeit Blinder für das Richteramt: Preuss 1992, 319; vgl. Kollmann, Krankheitsbilder in diesem Band).
Traditions- und religionsgeschichtlicher Hintergrund Die Erzählung Mk 8,22-26 weist eine doppelte Traditionstiefe auf (s. u.). Sie erschließt sich in ihren Sinnpotentialen sowohl vor alttestamentlichen und frühjüdischen Hintergründen als auch in einem Zusammenhang zu nichtjüdischen hellenistischen Konzepten von Heilung. Zunächst ist festzuhalten, dass sich die frühchristlichen Blindentherapien als Teil 343
Die Wundererzählungen im Markusevangelium
der Makroerzählungen der Evangelien auf alttestamentliche eschatologische Verheißungen beziehen lassen. Vor dem Hintergrund alttestamentlicher Prätexte erscheinen die Blindenheilungen für bibelkundige Leserinnen und Leser als Vorzeichen einer neuen Welt ohne Leid und Krankheit. So gilt nach Jes 29,18LXX, dass »… an jenem Tag … die in Nebelgewölk befangenen Augen der Blinden sehen« werden (nach Schrage 1969, 281, übertragene Bedeutung). V. a. Jes 35,5LXX prognostiziert die künftige Öffnung der Augen der Blinden (vgl. den »Knecht« in Jes 42,18 f.LXX). In Jes 42,6 f.LXX erfährt der »Knecht« die Berufung zum »Licht der Völker«, der die blinden Augen öffnen soll (vgl. 43,8). Es ist kein Zufall, wenn dann Lukas und Matthäus ihre Blindenheilungsgeschichten auf der Basis von Jes 61,1 f.LXX explizit als messianische Taten deuten (Lk 4,18 f.; Mt 11,5 f.; vgl. Barn 14,7.9): »Der Geist des Kyrios ruht auf mir, weil er mich gesalbt hat, den Armen Frohbotschaft zu bringen, hat er mich gesandt, zu heilen die mit verwundetem Herz, zu verkündigen den Kriegsgefangenen Freilassung und den Blinden, dass sie wieder sehen können«. In Qumran (4Q521, Frg. 2 Kol II, Zeile 8: »… Gebundene löst, blinde [Augen] öffnet, G[ebeugte] aufrichtet …«; [übers. v. J. Maier]) ist diese Aussage, wie ursprünglich auch bei Jesaja, auf das Handeln Gottes bezogen. Dem zweiphasigen Verlauf der Heilung in Mk 8,22-26 ist in der Forschung häufig die Heilinschrift W 18 (Herzog 1931; A 18 LiDonnici 1995) von Epidauros verglichen worden: »Alketas von Halieis. Dieser war blind und sah einen Traum: Es träumte ihm, der Gott komme zu ihm und öffne mit den Fingern seine Augen, da habe er zuerst die Bäume in dem Heiligtum gesehen. Als es Tag geworden, kam er gesund heraus«. Beim Vergleich mit Mk 8 wird insbesondere darauf verwiesen, dass das Träumen in W 18 als Sehvorgang begriffen ist, dass Apollo/Asklepios im Traum eine manuelle Therapie vornimmt und dass die Heilung ebenfalls schrittweise erfolgt. Allerdings unterscheiden sich die Texte in ihrer Form und Funktion bei genauerer Analyse beträchtlich. Nicht nur fehlt in Epidauros die therapeutische Anwendung von saliva (Speichel). Vielmehr setzt die Heilinschrift im Griechischen keine »schrittweise« bzw. »stufenweise« Heilung voraus. D. h., es verhält sich nicht so, dass der Kranke vor dem Morgen nur vage oder unscharf sieht, die volle Heilung dann aber bei Tagesanbruch eintritt. Das Sehen der Bäume in Folge des Kommens des Gottes und seines Eingreifens erfolgt vielmehr im Traum und antizipiert qualitativ vollgültig die Heilung. Bezieht man andere Heilungen von Augenleiden ein (vgl. Herzog 1931, W 4, 9, 32, 40, 55, 65), so differieren die Krankheitsätiologien sowie die Therapien im Einzelfall erheblich. In den frühchristlichen Blindentherapien fallen zudem keine Kosten für die Patienten an (vgl. die Blindenheilung in der Epidaurosinschrift W 4, wo die Stiftung eines silbernen Schweines zur Bedingung gemacht ist; vgl. W 55 den Betrugsversuch bei der Votivgabe, der eine Straferblindung nach sich zieht).
Verstehensangebote und Deutungshorizonte Die Möglichkeit einer medizinischen Lektüre von Mk 8,22-26 fand in der form- und redaktionsgeschichtlichen Wunderforschung kaum Beachtung (vgl. von Bendemann 2010). Auffällig ist jedoch nicht nur die besondere Verbindung von manuellen Praktiken und anamnetischem Dialog in Mk 8,22-26. Vielmehr bedient sich Jesus in Mk 8 (anders als in Mk 10,46-52 u. a.) auch eines Medikamentes. Speichel wurde auch sonst in der 344
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Antike zur Behandlung von Augenleiden genutzt. Belege hierfür finden sich u. a. in der Naturkunde des Plinius (vgl. nat. 28,35-39: Flechten, Ausschläge sowie auch Augenentzündungen und Augenblutungen bzw. -vereiterungen [oculi cruentati; epiphora] werden mit Speichel erfolgreich behandelt). In der Tradition des Chanina ben Dosa, des bedeutendsten charismatischen Wundertäters im Frühjudentum, der wie Jesus aus Galiläa stammt, ist von der Heilkraft des Speichels eines Erstgeborenen die Rede (vgl. bBB 126b; vgl. jSota 1,16d; ARN 36 u. a.). Im apokryphen Tobitbuch therapiert Tobias die weißen Flecken in den Augen seines blinden Vaters erfolgreich mit der Galle des Fisches, der ihn im Tigris angegriffen hatte (Tob 11,11-13). Der Vorgang vollzieht sich als Umsetzung eines Engelauftrages (zu möglichen medizinischen Hintergründen der Heilung des Tobit mit Fischgalle: Preuss 1992, 309; Lesky 1954, 435; zur Unterscheidung verschiedener Augenleiden: Lesky 1954, 310 f.; zu einzelnen ocularia im Judentum: Kotelmann 1910, 386-404). Umstritten bleibt, um welche Art von »Medizin« es sich bei dem von Mk erzählten Wirken Jesu handelt und wie diese zu beschreiben ist (ältere Modelle bei Lesky 1954, 445). Der »Magie«-Begriff ist forschungsgeschichtlich belastet. Medizinhistorisch betrachtet, greift Jesus auf die so genannte »Dreckapotheke« zurück, die mit Kot, Urin und Speichel therapiert (vgl. Mk 7,31-37; die »Salbe« in Joh 9,6 aus Speichel und Erde bzw. Kot). Diese wurde bei der ärztlichen Praxis auf dem Land – im Unterschied zu den medizinischen Möglichkeiten der Stadt – allerdings auch von einem Mediziner wie Galen genutzt. In jüngerer Zeit wird die Episode Mk 8,22-26 in den Rahmen einer politisch-zeitgeschichtlichen Interpretation integriert, die im zweiten Evangelium eine durchgängige Auseinandersetzung mit der kaiserlichen Propaganda des Vespasian findet. Vespasian war ein homo novus, ohne Legitimität, seine Ernennung zum Cäsar basierte auf seinen militärischen Leistungen und war nicht unbestritten. Die vespasianische herrscherideologische Propaganda war ab dem Jahre 69 bestrebt, den homo novus Vespasian als Kaiser zu legitimieren. Hierfür wurden nicht allein heidnische Omina, nach denen aus dem Osten ein großer König aufstehen werde, propagandistisch auf Vespasian übertragen, sondern vielmehr auch jüdisch-messianische Hoffnungen aufgegriffen und instrumentalisiert. Der Absicherung der Legitimität der unverhofft erworbenen Kaiserwürde sind auch die Heilungsbemühungen des Vespasian zuzuordnen, die Tacitus, Sueton und Dio Cassius für dessen Alexandriaaufenthalt berichten (Tac. hist. 4,81; Suet. Vesp. 7,2 f.; Dio Cass. 66,8). Bei allen Verschiedenheiten der Berichte wird erkennbar: Der Kaiser wird von einem Blinden aus dem alexandrinischen Volk (der plebs) um Heilung gebeten; diese Erwartung hängt zugleich mit dem lokalen Serapiskult zusammen. Der taciteische Bericht reflektiert dabei den Abstand von wissenschaftlicher Medizin und »Laienmedizin«, die einen therapeutischen Effekt bei Behandlung mit Speichel (saliva; s. o.) erwartet. Der Kaiser konsultiert hierzu seine Fachärzte. Er folgt schließlich dem Wunsch des Kranken aus strategischen Gesichtspunkten, zur Vermehrung seines Ansehens (seiner gloria) als »Werkzeug der Gottheit« (vgl. die Rede vom »caelestis favor« und der »inclinatio numinum«). Denn, so Sueton, Vespasian fehlen zu diesem Zeitpunkt noch »auctoritas« und »maiestas« (Vesp. 7,2). Eine politisch-zeitgeschichtliche Lektüre von Mk 8,22-26 verweist demgegenüber darauf: Jesu »gloria« erfüllt sich anders als die des Vespasian im Leiden und Kreuz; zugleich geschieht sie im Rückzug von jeder Öffentlichkeit und im Verzicht auf Propaganda (vgl. Mk 8,26). In engem Verbund mit Mk 8,22-26 wird die folgende Episode des Petrusbekennt345
Die Wundererzählungen im Markusevangelium
nisses »in/bei den Dörfern von Cäsarea Philippi« als Teil einer Kritik des Markus an überzogenen und verfehlten Herrscherkonzepten interpretiert. Dem kommt besondere Bedeutung zu, da Mk 8,27-30 eine Gelenkstelle in der Makroerzählung markiert. Die Ortsangabe »Cäsarea Philippi« evoziert bei der Markusleserschaft ein Wissen um die engen Verflechtungen der römischen Eroberungsgeschichte Palästinas mit dem jüdischen Herrscherhaus der Herodäer. Cäsarea Philippi war Residenz des jüdischen Klientelkönigs Agrippa II., dem Nachfolger des Philippus. Die Schwester Agrippas, Berenike, verlobte sich mit Titus, dem Eroberer Jerusalems. Nach Josephus bewirtete Agrippa Vespasian im Spätsommer 67 in Cäsarea; Vespasian hält hier inne, bevor er in einem zweiten Feldzug nach Süden Richtung Jerusalem zieht. Schließlich feierten die Eroberer Galiläas, Vespasian und sein Sohn Titus, in Cäsarea Philippi im Winter 70 das »Iudaea capta«. Die markinische Jesusgeschichte erreicht also in Mk 8 einen Ort, der die entscheidende Zäsur zwischen der Unterwerfung Galiläas und der Eroberung Jerusalems durch die Römer markiert und zugleich mit dem triumphalen Sieg über ganz Judäa konnotiert ist. Dies beschreibt den Hintergrund für das verfehlte »Bekenntnis« des Petrus. Petrus übernimmt gewissermaßen die dämonische Sicht der Dinge, indem er mit seinem »Bekenntnis« in Cäsarea Philippi Jesus als königliche Gestalt Feldherren und Regenten wie Vespasian, Titus und Herodes Agrippa assoziiert. Im Sinne von Texten wie Mk 10,42-44 handelt es sich hierbei um ein korrekturbedürftiges, grundlegendes Missverständnis der Auffassung von der Messianität Jesu, welches der Überwindung und Heilung (vgl. Mk 8,22-26) bedarf. Sind derartige mögliche Bezüge im Erzählverbund von Mk 8 in der Tat sehr auffällig (vgl. Winn 2008; Heininger 2010 u. a.), so lässt sich der markinische Erzähltext insgesamt jedoch kaum als ein antiflavianisches Evangelium lesen. Antiroyale Lektüren des Mk folgen hier bisweilen einem systemimmanenten Zwang und schießen über das Ziel hinaus. Das zuletzt genannte Lektüremodell basiert im Ansatz auf älteren christologischen Interpretationen, die seit Langem die Schlüsselfunktion von Mk 8,22-26 im Erzählaufriss erkennen und sie mit der christologischen Leitfrage des zweiten Evangeliums verbinden. Markus formt eine inclusio zwischen 8,22-26 und 10,46-52. Dazwischen blickt die Erzählung auf die Erhöhungswirklichkeit Jesu voraus (vgl. 9,2-10) und stimmt diese auf die These des Leidens des Menschensohnes ab. Die rahmenden Blindenheilungen sind vom Evangelisten erzählerisch besonders eng auf seine Leserschaft abgestimmt: Diese wird auf ihr Sehverhalten und -vermögen angesprochen. Die überaus kunstvolle Erzählstrategie des Evangelisten in Mk 8 wird möglich, da in der Antike der Rede vom Schauen bzw. Sehen bzw. von Krankheiten, die das Sehen und Erkennen hindern, in vielfältiger Weise ein metaphorischer Sinn unterlegt wurde. »Sehen können« heißt in der antik-philosophischen Literatur soviel wie: wahrnehmen, beobachten, urteilen, lernen, verstehen, interpretieren, analytisch begreifen können etc. »Blindheit« wird umgekehrt zur Metapher für eine defiziente Auffassungsgabe, Unwissen, Verdunkelung des Verstandes und entsprechendes Fehlverhalten. Denn wer das Richtige, Gute und Anständige nicht »sehend« erfassen kann, der muss es auch handelnd verfehlen. Aristoteles setzt darum den Besitz/die Gabe der Sehfähigkeit mit dem richtigen Urteilsvermögen und der Wahl des in Wahrheit Guten in eins (Arist. e.N. 1114 b). Je nach zugrunde liegenden philosophischen Prämissen und nach der Zielsetzung dessen, was die jeweiligen Schüler lernen sollen, wird entsprechende »Blindheit« sehr verschieden gefüllt. »Blindheit« kann in fehlerhaften Schlüssen und unbeholfener Rede erkannt 346
Sehen und Verstehen Mk 8,22-26
werden. Sie kann im stoischen Kontext in der verfehlten Nachgabe gegenüber den Begierden und Leidenschaften bestehen (vgl. Epict. diss. 3,26,3 zur »Blindheit« als Ausdruck der Sorge um das je Nötige; vgl. diss. 1,18,6 f.; 2,20,37; 24,19). Sie kann in schlimmste politische Fehler und Gewalttaten münden. »Blindheit« hindert oder unterbindet auch die vera religio. Denn nach Plutarch ist der Verstand das Licht der Seele, welches die Schau Gottes eröffnet (quaest. 8,718e). Diese und ähnliche Formen metaphorischer Rede vom Sehen-Können bzw. umgekehrt von Blindheit hat sich vor und neben den frühen Christen (zur reichen Verwendung in der alten Kirche: Lesky 1954, 445 f.) besonders schon das griechischsprachige Judentum zu eigen gemacht. Besonders sind Belege bei Philo und in den TestXII anzuführen (zu den frühjüdischen Belegen: Schrage 1969, 284-286). Viele frühchristliche Aussagen schließen hier eng an. Ihre Besonderheit ist darin zu erkennen, dass »Sehen« und »Nicht-Sehen« sich nicht (allein) an vernünftig gewonnenen Lehren oder auch an der Tora bemessen, sondern vielmehr an der Frage, ob das Christusgeschehen in seiner Bedeutung erkannt und adäquat interpretiert wird und ob im Handeln der Christen die richtigen Folgerungen aus ihm gezogen werden (vgl. z. B. die Ethisierung des aktiv begriffenen Sehvorgangs in Lk 11,34). Markus verbindet die Blindenheilung in Mk 8,22-26 gezielt mit dem Tiefpunkt seiner Jüngergeschichte. Die Episode markiert eine narrative Schaltstelle des zweiten Evangeliums, an der das geforderte Rezeptionsverhalten des Weges des Menschensohnes zum Kreuz und zur Erhöhung zur Disposition steht. Am Umgang mit Brot, der in den vorausgegangenen Episoden immer wieder Thema war, zeigt die Szene der Jünger, die mit Jesus in einem Boot mit nur einem Brot über den See fahren, das eklatante Nicht-Sehen und Nicht-Verstehen der ersten und unmittelbaren Nachfolger Jesu. Im Anklang an Jer 5,21 und Ez 12,2 heißt es in Mk 8,17 f.: »Begreift ihr noch nicht und versteht ihr denn nicht? Habt ihr euer Herz verhärtet? Obwohl ihr Augen habt, seht ihr nicht, und obwohl ihr Ohren habt, hört ihr nicht? Und ihr erinnert euch nicht?« Innerhalb des Markusevangeliums wird hier auf Mk 4,12 zurückgegriffen, wo der Verstockungsbefehl aus der Berufungsvision des Jesaja zitiert ist (Jes 6,9; vgl. Zeph 1,17; Jes 43,8; 59,9 f.; CD 1,9; 16,2). Entscheidend ist jedoch, dass hier nicht wie in Mk 4,12 die Menge getadelt wird. Vielmehr sind es in Mk 8 die Jünger, die als ›blind‹ gelten und sich wie ›Outsider‹ verhalten, und das, obwohl sie mit Jesus in einem Boot sitzen (vgl. zuvor Mk 6,52). Die verschiedenen Verben des Schauens, Erkennens, Verstehens, Begreifens, Reflektierens und richtigen Interpretierens werden in dieser Episode vorbereitet, so dass die Blindenheilung auf ihnen aufbauen kann. Mk 8,22-26 erscheint so dem Nichtsehen und Nichtverstehen der Jünger gezielt kontrastiert. In dieser Konstellation wird die Blindenheilung zum vorgreifenden Ausdruck der Öffnung der ›Augen des Herzens‹. In der Zweiphasigkeit der Heilung in Mk 8,22-26 können Leserinnen und Leser den Gang der Makroerzählung in verschlüsselter Weise abgebildet finden: Auf der Schwelle zum Weg nach Jerusalem heißt »blind sein«, Jesus unabhängig von seinem tödlichen Ende her wahrnehmen zu wollen. Das Christusbekenntnis des Petrus (8,27) bleibt insuffizient, auch wenn es bereits Richtiges erfasst (von Mk 1,1 an ist Jesus für die Markusleser der Christus). Es bedeutet vielmehr soviel wie Menschen mit umherlaufenden Bäumen verwechseln. Erst vom Leiden und Kreuz her sieht man dagegen »gänzlich scharf«. Mk 8,22-26 wird in seinen metaphorischen Bezügen derart zu einem programmatischen Metatext, einem Text mit besprechender Funktion in Hinsicht auf die 347
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Gesamterzählung, die insgesamt ein sehr starkes Interesse an der Mobilisierung von Sehund Verstehenskräften ihrer Leserschaft zu erkennen gibt.
Aspekte der Parallelüberlieferung und Wirkungsgeschichte Sowohl Matthäus als auch Lukas haben Mk 8,22-26 nicht in ihre Erzählwerke adaptiert. Beide späteren Evangelien rezipieren auch nicht die erzähltechnisch wie in medizinischen Details eng vergleichbare Episode Mk 7,31-37. Damit sind zwei Geschichten, die gewissermaßen als lectiones difficiliores der Überlieferung auf mögliche medizinische Hintergründe und Zusammenhänge der Wunderwirksamkeit Jesu verweisen, nicht in die später einflussreicher als Markus gewordenen Großevangelien aufgenommen worden. Bei Lukas erfolgt die Streichung im Zusammenhang der so genannten »großen Auslassung« (Mk 6,45-8,26), die nach wie vor nicht befriedigend geklärt, jedenfalls nicht einfach als »Kürzung« zu verstehen ist, auch wenn sich für alle enthaltenen Einzelepisoden mehr oder minder plausible Gründe vermuten lassen, warum Lukas die entsprechenden Texte nicht zugesagt haben könnten. Im Fall von Mk 8,22-26 werden u. a. magische Konnotationen als Auslassungsgrund betont. Allerdings arbeitet dieses Argument vielfach mit einem problematischen und belasteten Magie-Begriff. Die Frage, ob Joh 9 für eine Leserschaft erzählt ist, die Mk 8 kennt, ist in der Forschung gegenwärtig umstritten. In Joh 9 ist der Kranke von Geburt an blind (vgl. auch EvNik 6,2). Die Heilung erfolgt an einem Sabbat und wird zu einer Demonstration der »Werke Gottes« in engstem Zusammenhang zur johanneischen Christologie, für die Jesus das »Licht der Welt« ist, an dem sich Glauben und Sehen/Verstehen exklusiv auszurichten haben. Die Blindenheilung wird Gegenstand einer Sequenz von Dialogen mit den Jüngern, den Eltern des Kranken, dem Geheilten und den jüdischen Gegnern. Erzählt Mk 8,22-26 von einer stufenweisen Heilung, so verdunkelt sich in Joh 9 das Bild, indem am Ende die Blindheit auf die pharisäischen Gegner Jesu übergeht (vgl. Joh 9,30 f.34.40 f.). Jesus öffnet so in der johanneischen Konzeption nicht nur die Augen, sondern führt seine jüdischen Widersacher zugleich in die Blindheit (vgl. Joh 12,40). Diese besondere und keineswegs unproblematische Hermeneutik wird nur unzureichend erfasst, wenn man in Joh 9 den so genannten Tun-Ergehen-Zusammenhang aufgehoben findet.
Reinhard von Bendemann Literatur zum Weiterlesen R. v. Bendemann, ›Many-Coloured Illnesses …‹ (Mk 1.34) – On the Significance of Illnesses in New Testament Therapy Narratives, in: M. Labahn/B. J. Lietaert Peerbolte (Hg.), Wonders Never Cease. The Purpose of Narrating Miracle Stories in the New Testament and its Religious Environment, LNTS 288, London/New York 2006, 100-124. K. Bergdolt, Art. Blindheit, in: K.-H. Leven (Hg.), Antike Medizin, München 2005, 165 f. E. Eve, Spit in your Eye. The Blind Man of Bethsaida and the Blind Man of Alexandria, in: New Testament Studies 54,1 (2008), 1-17. M. N. Keller, Opening Blind Eyes: A Revisioning of Mark 8:22-10:52, BTB 31 (2001), 151-157.
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A. Mpevo Mpolo, Genre, sens, position et fonction littéraire des récits marciens de surdi-mutité et de cécité (Mc 7,31-37; Mc 8,22-26; Mc 9,14-29; Mc 10,46-52). Critique de rédaction et analyse structurelle, EtB.NS 54, Paris 2004. P. Trummer, Daß meine Augen sich öffnen. Kleine biblische Erkenntnislehre am Beispiel der Blindenheilungen Jesu, Stuttgart et al. 21999.
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Vermögen und Vertrauen, Dämonie und Exorzismus (Die Erzählung vom besessenen Jungen) Mk 9,14-29 (14) Als er zu den Jünger(innen) kam, sah er eine große Menge um sie herum und Schriftgelehrte im Gespräch mit ihnen. (15) Gleich, als die ganze Menge ihn erblickte, ging ein Staunen durch sie. Sie liefen hin und grüßten ihn. (16) Er fragte sie: »Was besprecht ihr mit ihnen?« (17) Einer aus der Menge antwortete ihm: »Lehrer! Ich habe meinen Sohn zu dir gebracht. Er hat einen stummen Geist. (18) Immer, wenn er ihn packt, schmettert er ihn hin. Er schäumt, knirscht mit den Zähnen und trocknet aus. Ich habe mit deinen Jünger(innen) gesprochen, sie möchten ihn austreiben – und sie konnten nicht!« (19) Er gab ihnen zur Antwort: »O ihr Leute ohne Vertrauen! Wie lang werde ich bei euch sein?! Wie lang muss ich euch aushalten? Bringt ihn zu mir!« (20) Sie brachten ihn zu ihm. Sobald der Geist ihn sah, zerrte er ihn gleich hin und her. Er fiel auf die Erde und wälzte sich schäumend. (21) Er fragte seinen Vater: »Seit wann stößt ihm das schon zu?« Der sagte: »Von Kindheit an. (22) Oft hat er ihn auch ins Feuer und ins Wasser geworfen, um ihn kaputt zu machen. Aber wenn es dir möglich ist, hilf uns, hab Mitleid mit uns!« (23) Jesus sagte ihm: »Apropos ›wenn es dir möglich ist‹ : Wer Vertrauen hat, hat alle Möglichkeiten.« (24) Da rief der Vater des Kindes sofort: »Ich vertraue! Hilf meinem Mangel an Vertrauen!« (25) Jesus sah, dass die Menge zusammenströmte, und herrschte den unreinen Geist so an: »Du stummer und tauber Geist! Ich befehle dir: Geh aus ihm hinaus und nicht mehr in ihn hinein!« (26) Mit Geschrei und vielfachem Zerren ging er hinaus. Er wurde wie tot, so dass die Masse sagte: »Er ist gestorben.« (27) Jesus nahm seine Hand, richtete ihn auf – und er stand auf. (28) Als er ein Haus betreten hatte, fragten ihn seine Jünger(innen) privat: »Warum war es uns nicht möglich, ihn auszutreiben?« (29) Er sagte ihnen: »Diesem Typ ist’s nicht möglich hinauszugehen – außer durch Bittgebet!«
Sprachlich-narratologische Analyse Wer Markus bis 9,13 gelesen hat, kennt Jesus als Lehrer und Exorzisten. Von Anfang an wird er als erfolgreicher Exorzist geschildert (1,21-28; 5,1-20; 7,24-30), der jüdische und nichtjüdische Personen, Erwachsene und Kinder von den Dämonen befreit, die von ihnen Besitz ergriffen haben und sie beeinträchtigen. Die Exorzismen finden öffentlich, in der Einsamkeit oder mit Fernwirkung statt. Ausgetrieben werden einzelne Dämonen oder sehr viele auf einmal. Das Erzählmuster lässt große Variationen zu und illustriert Verallgemeinerungen (1,32-34; 3,7-12). Als man Jesus selbst als besessen behandeln will, stellt er Grundsätzliches über die tatsächliche Machtkonstellation fest: Wer Dämonen austreiben kann, steht ihnen gegenüber, ist ihnen nicht als Unterlegener ausgeliefert (3,20-30). Das Evangelium unterstützt eine Leseerwartung, die mit Jesus ein immer spekta350
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kuläreres, ausnahmslos erfolgreiches Wirken verbindet. 6,5 f. markiert eine Grenze: An mangelndem Vertrauen scheitern Jesu Möglichkeiten, von Beeinträchtigungen zu befreien. Er bewältigt das Scheitern durch Delegation der Macht, die er in der Erzählung bisher allein ausgeübt hat, an den Zwölferkreis (6,7-11; vgl. schon 3,14 f.). Verkündigung und Exorzismus werden nun von den Zwölfen wahrgenommen (also auch von Judas), und zwar erfolgreich (6,11 f.30). Dass die Jünger(innen) (zum weiblichen Anteil vgl. 15,40 f.), von denen die Zwölf eine Teilmenge bilden, in ihrem Exorzismusversuch 9,14-18 gescheitert sind, ist daher überraschend. Überraschungseffekte sind eine Strategie des Evangeliums überhaupt. In 9,14-29 sind sie verknüpft mit komplexen Erzählstrukturen, die den Adressat(inn)en hohe Aufmerksamkeit und Irritationsbereitschaft abfordern. 1. So viele verschiedene Personen und Gruppen begegnen in keiner anderen Wundererzählung: Jesus, die Jünger(innen), die Menge, Schriftgelehrte, einer aus der Menge, der zugleich Vater des besessenen Jungen ist, der Junge selbst und der unreine Geist, der ihn in Besitz nimmt. Diese Handlungsträger stehen in einem Netz von Beziehungen zueinander. 2. Die Kommunikationsverhältnisse der Erzählung sind nicht einfach zu durchschauen: – An wen richtet sich Jesu Frage V. 16? An die ganze Menge? Oder speziell die Schriftgelehrten? – An wen richtet sich Jesu Rede V. 19? An die Menge? An die Jünger(innen)? An Jünger(innen) und Menge? – Auf wen bezieht sich das »Wir« V. 22, dem Jesus helfen und dessen er sich erbarmen soll? Auf Vater und Sohn? Auf beide mitsamt der ganzen Menge? Die Jünger(innen) ein- oder ausgeschlossen? Und Jesus selbst ebenfalls (zu letzterem Aspekt vgl. 15,30 f.)? – Wer ist »der, der Vertrauen hat« V. 23? Jesus? Der Vater? Auch die Jünger(innen)? Auch die ganze Menge? 3. Auch die Kommunikationsstruktur ist alles andere als einfach: – V. 23 bezieht sich auf V. 22 zurück in Form der Metakommunikation: Ausdruck eines Kommunikationsproblems und zugleich Versuch, dieses Problem zu lösen. – V. 24 antwortet auf diesen Akt der Metakommunikation inhaltlich in paradoxer Weise. – V. 26 schildert mit der Äußerung »Er ist gestorben« ein Missverständnis, das in V. 27 nonverbal aufgelöst wird: Der Junge hatte nicht als Toter dagelegen, sondern wie ein Toter. – V. 28 f. bezieht sich, wiederum in Form von Metakommunikation, auf das Scheitern der Jünger(innen) V. 18 zurück. Die Antwort Jesu enthält mit dem Hinweis auf das Bittgebet eine produktive Klärung, die indes neue Irritation hervorrufen kann: Jesus jedenfalls hatte in der Exorzismuserzählung nicht gebetet. Hatte die Bitte des Vaters V. 22.24 eine solche Funktion, wie sie in V. 29 im Blick ist? 4. Vielleicht gar verwirrend wird es, wenn wir nach den Subjekten von Handlungen fragen: – V. 18 beschreibt zunächst die gewaltsame Wirkweise des Dämons – er schmettert den Jungen zu Boden – und anschließend die dreifache Wirkung auf den Sohn, der beim Schäumen (des Mundes), beim Aufeinanderschlagen der Zähne und beim Trocken-, Erschöpft- oder Starrwerden grammatisches Subjekt ist. 351
Die Wundererzählungen im Markusevangelium
– In V. 20b ist der Geist grammatisches Subjekt des Hauptsatzes: Er zerrt den Jungen hin und her. Doch wer fällt in der Fortsetzung zu Boden, wer wälzt sich und schäumt? Ist es der Junge? Ist es der Geist? (In 3,11 war von unreinen Geistern gesagt worden, dass sie vor Jesus zu Boden fallen.) Und vorher schon: Wer ist es, der Jesus sieht – der Geist (vgl. 3,11)? Der Junge? – Ein vergleichbares Problem stellt sich noch einmal in V. 26: Wer herausgeht, ist der Geist. Ist er zugleich das Subjekt des Schreiens oder des Hin- und Herzerrens? Schreit und zerrt der Junge? Oder – noch komplizierter – schreit der Junge und zerrt der Geist? Grammatisch möglich ist das alles. Da der Geist vom Jungen Besitz ergriffen hat, ist womöglich eine die Unschärfe auflösende, das Subjekt vereindeutigende Alternative hier unangemessen. In welchem Sinne kann der vom Geist beherrschte Junge überhaupt Subjekt sein? (Ähnliche Unschärfen ergeben sich in 1,23 f.; 5,2-13.) 5. Damit zusammen hängt die Frage: Was ist das eigentlich für ein Leiden, das in V. 18.20-22.25-27 beschrieben wird? 6. Kompliziert ist schließlich auch der Aufbau der Erzählung: Einleitung V. 14-17a, Exposition V. 17b-24, Mitte V. 25-27, Schluss V. 28 f. Was hier vorliegt, ist jedenfalls keine einfache Geschichte. Die Botschaften, die vermittelt werden sollen, sind weder formal noch inhaltlich in ein gängiges Schema einzupassen. Dass bei aller Komplexität die Aufmerksamkeit konzentriert bleibt, hängt am Einsatz der Leitworte Vertrauen (Glauben) und Vermögen (Können). Die »ganze Erzählung [ist] … (nach alttestamentlichem Vorbild) auf den zwei Motivworten ›glauben‹ und ›vermögen‹ aufgebaut …, die beide aufs nachdrücklichste Mal um Mal wiederholt werden, um dem Leser recht einzuprägen, daß er hier über das Verhältnis zwischen dem menschlichen Wesensstand ›glauben‹ und dem menschlichen Wesensstand ›vermögen‹ entscheidend belehrt werden soll« (Buber 1962, 661). In V. 18 war das Scheitern der Jünger(innen) festgestellt worden war. Jesus hatte daraufhin alle Anwesenden als »ungläubiges Geschlecht« charakterisiert (V. 19). Der Vater hatte Jesus in V. 23 bedingt das Vermögen zu helfen zugetraut: »Wenn du etwas vermagst …«. Statt dieser Bitte sofort zu entsprechen, greift Jesus in seiner Antwort genau diese Bedingung auf: »Apropos ›wenn es dir möglich ist‹ : Wer Vertrauen hat, hat alle Möglichkeiten«. Alles zu vermögen ist in der Bibel, auch bei Markus (10,27; 14,36), zunächst ein Gottesprädikat. Wenn das Menschenmögliche in der Geschichte immer auch die Durchsetzung von Ungleichheit, Beeinträchtigung und Gewalt ist (vgl. Gen 11,6), dann ist das, was der Gott Israels tut, wenn er das Menschenmögliche zuweilen durchbricht (wie z. B. das Wunder an Sara und Elisabet, s. Gen 18,14; Lk 1,37), Protest gegen bestehende Gewaltzusammenhänge und Beeinträchtigungserfahrungen. Nun ist in V. 23 nicht von Gott die Rede, sondern vom Glaubenden, Vertrauenden. Dem Glaubenden ist alles möglich, sofern er oder sie teilhat und Anteil bekommt am Vermögen der Gottheit, der alles möglich ist. Dass dem Glaubenden alles möglich ist, »gilt von ihm … nur für sein in den Bereich Gottes Hereingenommensein. Er hat nicht die Macht Gottes; wohl aber hat die Macht ihn: wenn und wann er sich ihr gegeben hat und ihr gegeben ist« (Buber 1962, 664). Wer aber ist mit »dem Glaubenden« gemeint? Da V. 23 eine Antwort auf V. 22 ist, muss »der Glaubende« zunächst auf Jesus bezogen werden – eine Beziehung, die nur da 352
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anstößig wird, wo Jesus als Glaubensgegenstand für unvereinbar gehalten wird mit dem Jesus, der von seiner Beziehung zum Gott Israels (vgl. Mk 10,18; 12,29) her Glauben und Vertrauen selbst vollzieht. Jesus als der Glaubende, der an Gottes Macht der Durchbrechung von Gewaltstrukturen partizipiert, ist hier nicht der aus allen anderen Herausgehobene. Seine Antwort vermeidet ein exklusives »Ich« und redet verallgemeinernd von »dem Glaubenden«. An der von Gott geschenkten Macht können auch andere teilhaben. Deshalb ist die Antwort des Vaters V. 24, der mit seinem Aufschrei »Ich glaube« das von Jesus Gesagte auf sich bezieht, allenfalls vordergründig ein Missverständnis. Neben der Selbstaussage des Vaters – »Ich glaube« – steht sofort das Eingeständnis seines Unglaubens, womit der Vater übrigens die verallgemeinernde Anrede Jesu an das »ungläubige Geschlecht« (V. 19) auch auf sich bezieht. Der harte Kontrast von Glauben und Unglauben, Vertrauen und Misstrauen oder Mangel an Vertrauen kann nicht quantifizierend aufgelöst werden – sei es zu Ungunsten des Glaubens, der dann doch nur ein vorläufiger, entwicklungsbedürftiger wäre, sei es zu Ungunsten des Unglaubens, der in seinem Gewicht dann ebenfalls nivelliert würde. Die Brücke zwischen Glaube und Unglaube schlägt der Ruf um Hilfe. Damit wird auch über die konkrete Erzählsituation hinaus etwas Allgemeineres gesagt: Als ob es je einen Glauben gäbe, der der Hilfe nicht bedürfte!
Sozial- und realgeschichtlicher Kontext Besessenheit setzt die Wirksamkeit von Geistern voraus, die von Personen Besitz ergreifen und durch ihre Wirksamkeit in und an den von ihnen in Besitz genommenen Personen diese mehr oder minder massiv beeinflussen – psychisch, körperlich, als handlungsfähige, bewusste Subjekte. Die Einflussnahme des Geistes oder der Geister kann permanent oder – wie hier – punktuell sein (V. 18 »wann immer«; V. 25 »oft«). In Besessenheit drückt sich ein Machtaspekt aus: Jemand wird von einer unsichtbaren Macht spürbar beherrscht und durch diese Herrschaft beeinträchtigt. Der Aspekt der Beeinträchtigung wird bei Markus mit der Kategorie der »Unreinheit« angesprochen (1,23; 3,30; 5,13; 9,25). Exorzismus ist eine Antwort auf Besessenheit. Andere Antworten wie rationale medizinische Behandlung, Zuschreibung eines gesellschaftlichen Sonderstatus u. ä. sind in vielen Gesellschaften neben dem Exorzismus möglich. Exorzismus ist Befreiung aus massiver Beeinträchtigung. Der Exorzist bzw. die in ihm wirkende Kraft wagt eine direkte Konfrontation mit dem unreinen Geist, zwingt diesen zur Unterwerfung und weist ihn aus der beeinträchtigten Person aus. Der Geist wird dabei nicht vernichtet, daher ist die Anweisung V. 9,25b nicht überflüssig (vgl. Q 11,24-26). Im Exorzismus prallen zwei einander ausschließende Arten von Geistern aufeinander: Dem unreinen Geist steht bei Markus der heilige Geist gegenüber (3,29 f.); ein unreiner Geist erkennt Jesus als den Heiligen Gottes an (1,23 f.). Worin besteht in Mk 9 die beeinträchtigende Wirkung des unreinen Geistes? In keiner anderen Wundererzählung der Evangelien wird das Leiden der beeinträchtigten Person so ausführlich beschrieben: Der Geist ist und macht zugleich stumm (V. 17.25) und taub (V. 25). Die Rede ist von Hinschmettern (V. 18), Schäumen (V. 18.20), knirschendem Aneinanderschlagen der Zähne (V. 18), Trocken-/Dürr-/Starr-Werden (V. 18), 353
Die Wundererzählungen im Markusevangelium
Hin- und Herzerren (V. 20, vgl. V. 26), Zu-Boden-Fallen (V. 20), Sich-Wälzen (V. 20), von Leiden seit der Kindheit (V. 21), von wiederholtem Hineintreiben in Feuer und Gewässer (V. 22), schließlich von Schreien (V. 26) und vom Daliegen wie ein Toter (V. 26). Diese Ausführlichkeit signalisiert starkes Interesse am Leidenden. Dass Jesus in V. 21 »wie bei der Erhebung einer Anamnese« (Hengel/Hengel 1959, 350) fragt, ist aufgefallen. Rufus von Ephesos (um 100) hat sich in einer eigenen Schrift (Quaestiones medicinales) mit den Fragen des Arztes an den Kranken befasst. Dass Jesus sich nicht an den Jungen selbst, sondern an dessen Vater wendet, deckt sich mit Erfahrungen, die in Rufus’ Anweisungen eingegangen sind. Auch inhaltlich entspricht die Frage Jesu dem, was Rufus empfiehlt. Das Leiden des Jungen ist ebenso häufig als Beschreibung eines epileptischen Anfalls verstanden worden, wie die Identifikation mit Epilepsie bestritten wurde. In Mk 9 ist nicht von Epilepsie die Rede, obwohl das Evangelium Krankheiten wie Fieber (1,30 f.), Lepra (1,40.42), Blutfluss (5,25) direkt beim Namen nennen kann. Ursache der Besessenheit ist ein unreiner Geist, die Therapie ein Exorzismus. Doch wie triftig ist die Identifikation des Leidens des besessenen Jungen als Epilepsie? Eine Durchsicht der einschlägigen medizinischen Fachliteratur der Antike zur Epilepsie zeigt zunächst mehr oder minder große Übereinstimmungen, so im Blick auf das Schäumen, das Aneinanderschlagen der Zähne, das Zu-Boden-Fallen, die Gefährdung in der Kindheit, gelegentlich auch im Blick auf das Hineinfallen in Gewässer. Auch unartikuliertes Schreien wird notiert, doch nur zu Beginn, nicht im weiteren Verlauf des Anfalls. Nicht begegnet ist mir das Sich-Wälzen des Patienten und das Phänomen der Taubheit. Ein Problem für sich ist das Trocken-/Dürr-/Starr-Werden V. 18, weil unklar ist, was damit gemeint ist. In der antiken Fachliteratur zur Epilepsie taucht das Wort (xhrafflnesqai xe¯rainesthai – austrocknen, dürr werden) im Zusammenhang eines Anfalls nicht auf; die Bedeutungsnuance, die am besten zu Epilepsie passen würde, »starr werden«, ist philologisch am schlechtesten abgesichert. Die Praxis Jesu V. 26 f. unterscheidet sich von dem, was sein Zeitgenosse Celsus (med. 3,23,2;) feststellt: Ein Epileptiker »stürzt bald unter klonischen Krämpfen, bald ohne diese nieder. Einige versuchen es, dergleichen Kranke ebenso wie die Lethargischen aufzuwecken; dies ist jedoch sehr überflüssig, weil nicht einmal ein Schlafsüchtiger durch dieses Mittel geheilt wird, und weil der Epileptische immer von selbst wieder zu sich kommt …« Fazit: Die Epilepsie-Diagnose passt weitgehend, aber nicht ganz. Entsprechendes gilt für die gelegentliche Alternativdiagnose Hysterie. Das Problem verschärft sich, weil unser Begriff von Epilepsie mit dem der Antike nicht deckungsgleich ist. Heutiger schulmedizinischer Umgang mit Epilepsie unterscheidet sich in Symptomatologie, Ätiologie, Diagnose und den dabei üblichen Klassifikationen ebenso wie in der Therapie gravierend vom Umgang antiker Mediziner mit dem, was sie »Epilepsie« nannten. So empfiehlt die Schrift De morbo sacro, oft als Beginn rationaler Beschäftigung mit Epilepsie charakterisiert, als eine Behandlungsmethode Opfer und Gebet zu den Göttern und Tempelschlaf (1,41). Nicht zuletzt liegt eine Differenz in den Menschen- und Weltbildern: Annahmen wie die Vier-Säfte-Lehre oder der Einfluss der Gestirne auf Auslösung und Verlauf epileptischer Attacken leuchten uns wenig oder nicht ein. Was gewönnen wir durch die Identifikation der Besessenheit von Markus 9 mit der Epilepsie? Was verlören wir dadurch? Wäre der Exorzismus, den Jesus vollzieht, dann 354
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mehr als eine Selbsttäuschung? Was würde aus dem Zusammenhang von Leiden und Leid verursachender Macht, aus der Konfrontation der Mächte, was aus dem Dialog über Glauben und Vermögen und dem Hinweis auf das Gebet? Es ist ratsamer, die eigene kulturelle und gesellschaftliche Distanz zu Markus 9 wahrzunehmen. Womöglich ist die Erinnerung an Zeiten hilfreich, in denen in unserer Gesellschaft Dämonie als Deutungsmuster für die Macht des Nationalsozialismus begegnet, und zwar bei ganz unterschiedlichen Gruppierungen. Je nach Lage und Perspektive konnte die Dämoniedeutung als Eingeständnis und Legitimation eigener Ohnmacht fungieren und Handlungsenergien binden oder aber Grauenvolles auf einen Begriff bringen und Protest und Widerstand mobilisieren. Bei zwei der vier markinischen Exorzismen sind die Besessenen Kinder (7,24-30; 9,14-29). Sie begegnen mehrfach als eine gefährdete, hilfsbedürftige Personengruppe. Die zwölfjährige Tochter des Jaïrus und seiner Frau wird vom Tod auferweckt (5,2124.35-43), die Tochter der syrophönizischen Frau von einem unreinen Geist befreit (7,24-30). In beiden Fällen und ebenso in 9,14-29 bemüht sich jeweils ein Elternteil um Hilfe für das Kind – was der von einigen Neuzeithistorikern vertretenen Ansicht widerstreitet, die in Elternliebe zu ihren Kindern ein spezifisch neuzeitliches Phänomen sehen. Neben heilungsbedürftigen Kindern kennt Markus Kinder als Aufnahmebedürftige (9,36 f.; vgl. 10,16), die in der Gemeinde Obdach finden sollen, also anscheinend obdachlos und/oder verwaist sind.
Verstehensangebote und Deutungshorizonte Was ist Besessenheit, was Dämonie, wie hilft ein Exorzismus? An dieser Frage arbeiten sich drei Auslegungstypen ab. Vormoderner Auslegungstyp: Bis ins 18. Jh. sind zentrale Aspekte der Erzählung unproblematisch: von Dämonen verursachte Besessenheit und Exorzismus. Besessenheit gilt als adäquate universale Deutung von Beeinträchtigung, Dämonie als kulturübergreifend zutreffende Deutung der Verursachung von Beeinträchtigung, Exorzismus als angemessener Umgang mit Besessenheit und Dämonen – für die biblische Welt ebenso wie für die jeweilige Gegenwartskultur der Auslegenden. In den Intellektuellenkulturen von der Spätantike bis zur frühen Neuzeit sind Existenz und Wirksamkeit von Dämonen unbestritten (Clark 1997), ebenso wie in den entsprechenden Volkskulturen. Das Wunder ist, weil von Christus bewirkt, beinahe eine Selbstverständlichkeit. Markus 9 ist Teil der als Einheit verstandenen Schrift und steht in einem synchronen Netz innerbiblischer Querbezüge. Die Evangelien werden als Harmonie gelesen, Differenzen ignoriert. Markus wird spät, ab dem 7. Jh., für sich ausgelegt. Die meisten Markus-Kommentatoren hatten auch Matthäus kommentiert und in der Auslegung von Mk 9 darauf verwiesen. Das prägt die Wahrnehmung von Markus 9: Der besessene Junge wird entsprechend Matthäus 17,15 als mondsüchtig verstanden. Die Wirkungsgeschichte bezieht sich weitestgehend auf die Matthäusfassung. Dem vormodernen Auslegungstyp liegt an unmittelbarer Applikation, an der Aktivierung unmittelbarer, auch allegorisch chiffrierter Deutungspotenziale innerhalb der Schrift, an der Einbeziehung aller. Wird Besessenheit mit Sünde gleichgesetzt, können sich alle damit identifizieren. Ausgeblendet sind Differenzen, nicht nur zwischen paralle355
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len Evangelientexten, auch zwischen Konzepten: Pagane und jüdische Dämonenkonzepte wurden im antiken Christentum transformiert (Identifikation paganer Gottheiten mit Dämonen, Identifikation der Dämonen mit den gefallenen Engeln), das christliche Dämonenkonzept im Spätmittelalter modifiziert (die Fiktion von Verträgen zwischen Menschen und Dämonen als Ansatzpunkt von Hexenverfolgung). Moderner Auslegungstyp: Was der Vormoderne selbstverständlich scheint, wird im 18. Jh. zum Problem. Der Aufklärung gilt Besessenheit als falsche Deutung von Beeinträchtigung. Die Existenz von Dämonen (und des mit ihnen oft identifizierten Teufels) wird unplausibel. Damit ist Exorzismus kein effektives Mittel zur Befreiung von Beeinträchtigung. Die Beeinträchtigung hat natürliche Ursachen, ist eine Geisteskrankheit (Farmer 1775, 92), die Intervention des Wundertäters kein Exorzismus, sondern eine Therapie. Der Christus exorcista wird zum Christus medicus, das Wunder – ein großes intellektuelles Problem für den Rationalismus – natürlich erklärbar (Farmer 1775, 107111). Die Kultur der Bibel wird von der Gegenwartskultur unterschieden, die Weltdeutung der Auslegenden zum Maßstab erhoben. Synoptische Differenzen werden wahrgenommen und literaturgeschichtlich erklärt, hinter dem ältesten schriftlichen Text überlieferungskritisch Vorstufen angenommen, die zum historischen Jesus führen. Letzterer wird zum theologischen Maßstab – sofern er mit der Weltdeutung der Gegenwart kompatibel ist: als Arzt, nicht als Exorzist. Angesichts moderner Christentumskritik wird das Christentum als kulturell höchststehende Religion verteidigt, der Umgang Jesu mit dem »Epileptiker« durch interkulturellen Vergleich als besonders human und uneigennützig hingestellt. Die Einzigartigkeit des Christentums (und Jesu) wird durch antijüdische Abwertungsstrategien konturiert: Was für das eigene Weltbild problematisch ist, wird auf das Judentum projiziert. Dem Judentum wird eine pauschale Deutung von Krankheit als dämonenverursacht, ein aggressiver Umgang mit Besessenen zugeschrieben. Die Erkenntnis der Differenz zwischen den biblischen Kulturen und der Gegenwartskultur wird mit dem Nichtverstehen (kognitiv und im Sinn von Akzeptieren) des von der eigenen Weltdeutung Abweichenden erkauft. Postmoderne Auslegungen müssten davon ausgehen, dass Besessenheit, Dämonie und Exorzismus in den Kulturen der Bibel und in vielen anderen Kulturen der Vergangenheit und Gegenwart plausible Deutungsmuster und funktionierende Umgangsweisen mit Beeinträchtigung sind, auch wenn sie in der Weltsicht der Auslegenden weder Erklärungspotenzial noch Praxisrelevanz haben. Inwieweit der aufgeklärte Rationalismus der Intellektuellenkultur, zu der ich gehöre, heute hegemonial oder auf dem Weg in eine Subkultur ist, bedürfte angesichts verbreiteter Annahme der Existenz von Geistern und darauf bezogener Praktiken in esoterischen und charismatischen Subkulturen der Überprüfung. Besessenheit und Exorzismus sind in vielen christlichen und nichtchristlichen Kulturen Afrikas, Asiens, Amerikas und Ozeaniens heute plausible Deutungsmuster. In der medizinischen Diagnose einer Beschreibung von Beeinträchtigung in einem kulturell und zeitlich weit entfernt entstandenen Text würde sich Zurückhaltung nahelegen. Die Transformationen des Epilepsiebegriffs (vgl. Temkin 1971) einschließlich der Verabschiedung von Epilepsie als geistiger oder seelischer Erkrankung zugunsten einer körperlichen Behinderung und das Wissen um divergente antike Epilepsiekonzepte in ein und derselben Kultur (vgl. Wohlers 1999b) führen zu Fragen wie: Welche Epilepsiekonzepte wurden von welchen Gruppen im antiken Mittelmeerraum des 1. Jh. vertreten? Welche insbesondere im Judentum Palästinas? Welche konkurrierenden Deutungsmuster 356
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und Praktiken gab es? Was bedeutet es, dass Stichwörter wie »Epilepsie« oder »Mondsucht« in Markus 9 nicht fallen? Für das Markusevangelium und seine Welt würde sich zeigen, dass Besessenheit eine mögliche kulturspezifische Deutung von Beeinträchtigung ist, dass es verschiedene Umgangsformen mit Besessenheit gab (5,2-4), dass mit verschiedenen Typen von Dämonen und differenzierten Praktiken ihnen gegenüber gerechnet werden konnte (9,28 f.). Exorzismus als eine Praktik im Umgang mit Beeinträchtigung wäre zu anderen Formen professionellen und nichtprofessionellen, anerkannten und umstrittenen Umgangs damit in Beziehung zu setzen. Der Christus medicus würde nicht in den Christus exorcista zurückverwandelt. Die Erzählung vom Jesus exorcista, einem aus einer uns fremden Kultur Stammenden, würde Fragen nach unserem Selbstverständnis aufwerfen. Unsere Identifikationsmöglichkeiten würden nicht auf eine Rolle in der Erzählung beschränkt werden. Das Wunder würde nicht als unverständlich ignoriert oder transformiert werden müssen: Die Erzählung könnte zumindest Verwunderung hervorrufen – nicht zuletzt angesichts dessen, dass der schließlich vollzogene, gelingende Exorzismus nur ein Teil der Antwort ist, die auf die komplexe Problemlage gegeben wird: Er ist eingebettet in ein Geflecht von Kooperation und Solidarität. Als kritische Solidarität betrachte ich schon das in V. 14 erwähnte Debattieren von Schriftgelehrten mit den Jünger(innen). In der Streitkultur des antiken Judentums dient Kontroverse dem Erkennen, Lernen und Tun des Gotteswillens. Voreingenommene Auslegung, nicht das Markusevangelium macht die Schriftgelehrten zu böswilligen Typen. Das Gotteslob aller in 2,12 schließt die Schriftgelehrten ein, 12,28-34 erzählt von Konsens und Sympathie zwischen einem Schriftgelehrten und Jesus. Jesu Solidarität erweist sich darin, dass er sich in die laufende Debatte einmischt, auf die öffentliche Bloßstellung der Jünger(innen) V. 18 öffentlich reagiert, und zwar so, dass er seinerseits nicht auch wieder Einzelne vor allen bloßstellt (dass Jesus Beschämung vermeidet, betont nachdrücklich Chrys. hom. 57,3) und sie schließlich im engeren Kreis angesichts ihres Scheiterns belehrt. Mit dem besessenen Jungen solidarisch zeigt sich nicht nur der hartnäckige Vater, sondern die anwesende Menge insgesamt. Sie nimmt an der Klärung des Scheiterns der Jünger(innen) ebenso Anteil wie an der dann doch noch gelingenden Austreibung des Geistes. Die Menge ist es, die von Jesus aufgefordert wird, den Jungen herbeizubringen, und die Gesamtheit der Anwesenden ist auch im Blick, wenn der Vater bittet: »Wenn du etwas vermagst, hilf uns, indem du Mitleid mit uns hast!« (V. 22) Die Menge nimmt damit in einer derart intensiven Weise am Geschick des Jungen Anteil, dass sie selbst durch das Wirken des unreinen Geistes mit beeinträchtigt worden ist und mit dessen Vertreibung auch ihr geholfen wird. Individualisierendes Verständnis solcher Beeinträchtigung wäre hier eine Verkürzung. Entsprechendes gilt für das Vertrauen: Auch dies und sein Pendant, das Misstrauen, ist überindividuell verstanden. Nicht das Vertrauen des Jungen, sondern das des Vaters ist für den Exorzismus von Bedeutung. Nicht den Jünger(innen) allein, sondern allen Anwesenden wird in V. 19 Misstrauen bescheinigt. Dadurch, dass das Vertrauen Jesu und das des Vaters zusammenwirken, im Eingeständnis der aus dem Misstrauen resultierenden Hilfsbedürftigkeit überhaupt erst zusammenwirken können, kommt Befreiung hier nicht nur für einen Einzelnen zustande.
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Aspekte der Parallelüberlieferung und Wirkungsgeschichte Im 3. Jh. unterscheidet Origenes (comm. in Matt. 13,6) die durch unreine Geister verursachte Besessenheit von Mk 9 und Mt 17 von der auch als »Mondsucht« bezeichneten Epilepsie, die von den Ärzten auf natürliche Ursachen zurückgeführt wird. Ihnen zufolge ist Epilepsie bedingt durch das Auftreten bestimmter feuchter Strömungen im Kopf; »das Feuchte bewege sich im Kopfe, nach einer gewissen Sympathie mit dem Lichte des Mondes, das selbst eine feuchte Natur habe«. Während Origenes eine gewisse Reserve gegenüber der Deutung des Leidens von Mk 9 als Epilepsie zeigt, wird diese Identifikation bei anderen spätantiken christlichen Autoren vollzogen, wobei als Ursache stets Dämonen namhaft gemacht werden. An die Stelle von Dämonen tritt seit dem Mittelalter der Teufel. Nach den Debatten des 17./18. Jh. um die Frage, ob Epilepsie zumindest auch durch Teufel und Hexen verursacht werden könne (Temkin 1971, 220-223), gewann die Annahme an Boden, es handle sich um eine natürlich verursachte Epilepsie, die Jesus, sei es ohne, sei es mit Durchbrechung der Naturgesetze, geheilt habe (Temkin 1971, 223).
Martin Leutzsch Literatur zum Weiterlesen M. Buber, Zwei Glaubensweisen, in: ders., Werke, Bd. 1: Schriften zur Philosophie, München/ Heidelberg 1963, 651-782, bes. 661-666. R. Degenhardt (Hg.), Geheilt durch Vertrauen. Bibelarbeiten zu Markus 9,14-29, München 1992. O. Hofius, Die Allmacht des Sohnes Gottes und das Gebet des Glaubens. Erwägungen zu Thema und Aussage der Wundererzählung Mk 9,14-29, in: ders., Exegetische Studien, WUNT 223, Tübingen 2008, 3-23. B. Kollmann, Jesus und die Christen als Wundertäter. Studien zu Magie, Medizin und Schamanismus in Antike und Christentum, FRLANT 170, Göttingen 1996, 209-215. A. Lindemann, Jesus und das epilepsiekranke Kind. Zur Auslegung der Wundererzählung Mk 9,14-29, in: ders., Die Evangelien und die Apostelgeschichte. Studien zu ihrer Theologie und zu ihrer Geschichte, WUNT 241, Tübingen 2009, 93-108. A. Mpevo Mpolo, Genre, sens, position et fonction littéraire des récits marciens de surdi-mutité et de cécité (Mc 7,31-37; Mc 8,22-26; Mc 9,14-29; Mc 10,46-52). Critique de rédaction et analyse structurelle, EtB.NS 54, Paris 2004. M. Wohlers, Heilige Krankheit. Epilepsie in antiker Medizin, Astrologie und Religion, MThSt 57, Marburg 1999.
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Bedingungslose Nachfolge heilt Blindheit (Die Heilung des blinden Bartimäus bei Jericho) Mk 10,46-52 (Lk 18,35-43) (46) (Sequenz 1): Und sie kommen nach Jericho. Und als er herausgeht von Jericho, er und seine Schüler und eine beträchtliche Volksmenge, saß der Sohn von Timäus, Bartimäus, ein blinder Bettler, an der Straße. (47) (Sequenz 2): Und als er hörte, dass es Jesus, der Nazarener, ist, begann er zu schreien und zu sagen: »Sohn Davids, Jesus, erbarme dich meiner!« (48) (Sequenz 3): Und viele fuhren ihn an, dass er schweige; der aber schrie um vieles mehr: »Sohn Davids, erbarme dich meiner!« (49) (Sequenz 4): Und stehenbleibend sprach Jesus: »Ruft ihn!« Und sie rufen den Blinden, sagend ihm: »Hab Mut, steh auf, er ruft dich!« (50) (Sequenz 5): Der nun, wegwerfend seinen Mantel, aufspringend, kam zu Jesus. (51) (Sequenz 6): Und antwortend ihm, sprach Jesus: »Was willst du, soll ich dir tun?« Der Blinde nun sprach zu ihm: »Rabbuni, dass ich wieder sehe!« (52) Und Jesus sprach zu ihm: »Geh! Dein Glaube hat dich gerettet.« (Sequenz 7) Und sofort sah er wieder und folgte ihm auf dem Weg.
Sprachlich-narratologische Analyse V. 46: Erzählereignis (= Sequenz) 1 bahnt eine Begegnung Jesu mit einem blinden Bettler namens Bartimäus an. Auf diese einleitende Sequenz folgen sechs weitere Ereignisse. Die Sequenzen sind konzentrisch aufgebaut. Den Mittelpunkt bildet V. 49 als Sequenz 4. Der Tempuswechsel vom Präsens ins Präteritum markiert dort den Höhepunkt der Handlung. Das einleitende »und« in Sequenz 1 schließt an das vorangegangene Gespräch Jesu
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Die Wundererzählungen im Markusevangelium
mit seinen Schülern vom Herrschen und Dienen an. Dieser schlichte additive Anschluss ist für den markinischen Erzählstil typisch. Typisch ist auch der Tempuswechsel vom Präsens ins Präteritum in V. 46 und V. 49. Das Praesens historicum rückt das vergangene Ereignis ganz nahe an die Gegenwart heran, das Präteritum ist die gewöhnliche Sprechhaltung für Erzählungen von Vergangenem. Es hält mit nur einer Unterbrechung, und zwar in der Mitte in V. 49 mit dem erneuten Wechsel ins Präsens (sie rufen), für den weiteren Verlauf der Erzählung an. Die gesamte Szene wird in der entspannten Sprechhaltung des Erzählens in der Vergangenheit geboten und erhält am Anfang und in der Mitte durch den Tempuswechsel in die Gegenwart zusätzliche Spannung. Untypisch ist hingegen das ereignislose Hineingehen und Herausgehen Jesu aus Jericho. Die Angabe dieses Ortes im Jordangraben an der Straße nach Jerusalem schließt die Ortsangaben ab, die ab der Mitte des Markusevangeliums (Mk 8,27) den Mittelteil des Evangeliums als Wanderung gliedern (Mk 8,27-10,52); ab Mk 11,1 geht es nur noch um Jerusalem und seine Umgebung. Beim Herausgehen Jesu zeigt sich allerdings, dass auch Jericho ein Heilungswunder benötigt. Denn das Sitzen eines blinden Bettlers am Straßenrand ist ein deutlicher Hinweis darauf, dass sich der Ort noch im Ungleichgewicht befindet. Der Gegensatz von Bewegung und Nicht-Bewegung durchzieht die ganze Erzählung (Kirchschläger 1992, 1110). Jericho hat noch nicht wie die Ortschaft Kafarnaum am Anfang des Wirkens Jesu (Mk 1,21-34) die Heilung seiner Kranken durch Jesus erfahren. Und nun verlässt Jesus, der schon jetzt die Kräfte der Königsherrschaft Gottes anbrechen lässt (Mk 1,14-34), mit seinem Schülerkreis und einer großen Volksmenge den Ort, ohne dass er um eine heilvolle Handlung gebeten wurde. Die namentliche Nennung des Bettlers Bartimäus ist für Wundergeschichten selten und gibt der Erzählung einen biographischen Klang (nur noch in Mk 5,21-43; Bultmann 1995, 228). Die Übersetzung von Bartimäus stellt den Versuch dar, den Eigennamen als aramäische Bildung zu etymologisieren. Bar-Timäus soll aramäisch Sohn des Timäus bedeuten, so dass der Name zum Pendant des Davidssohn-Titels Jesu wird. V. 47: Der blinde Bartimäus ist für neue Informationen auf sein Gehör angewiesen. Sein Hören, dass der Nazarener Jesus als Mittelpunkt einer Volksmenge vorübergeht, eröffnet Sequenz 2. Bartimäus ergreift nach dem Hören die Initiative und schreit zu Jesus. Dialoge beherrschen nun die Szene. Wie in einer »antiken, herrscherlichen Audienz« bittet Bartimäus um Gehör und Erbarmen (Eckstein 1996, 41). Es fällt zum ersten Mal im Markusevangelium der Sohn-Davids-Titel. Er wird in der folgenden Sequenz 3 wiederholt. Beide Male bleibt er ohne Erläuterung. Erst das spätere Gespräch über die Davidssohnschaft (Mk 12,35-37) stellt klar, dass Jesu hoheitlicher Beiname Christus (Mk 1,1) nicht von dem biographischen Hoheitstitel Davidssohn abhängt. Während die Nazarener der Herkunft Jesu aus dem Davidshaus mit Weisheit und Wunderkraft misstrauen (Mk 6,1-6), vertraut der blinde Bettler dieser Herkunft und erbittet für sich bedingungslos das Erbarmen des davidischen eschatologischen Messias Jesus (Mills 1990, 100). Der Schrei des Bettlers wird allerdings von Jesus zunächst überhört. Der Vertrauensglaube des Bettlers wird auf die Probe gestellt. Er muss jetzt wie bei einer Audienz beharrlich weiter betteln, um vom hoheitsvollen Davidssohn erhört zu werden (Mk 11,20-25). V. 48 Sequenz 3: Viele aus der Menge und der Schülergruppe verlangen von Bartimäus Schweigen. Der Grund wird nicht genannt. Der Leser muss ergänzen, dass der blinde Bettler Bartimäus als unwürdig für eine Begegnung mit dem Davidssohn Jesus erachtet wird. Bereits kurz vorher hatten die Schüler versucht, Kinder von Jesus fernzuhalten (Mk 360
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10,13-16). Der um Rat bittende Reiche dagegen wird nicht an der Begegnung mit Jesus gehindert (Mk 10,17-31). Bei dieser Wanderung (Mk 8,27-10,52) wird das neue Thema verhandelt, ob alle menschlichen Personen gleich berechtigt sind, mit Jesus Kontakt aufzunehmen. Bartimäus beharrt auf seinem Vertrauen zur Kontaktherstellung und wiederholt den Schrei um Erbarmen. Noch immer bleibt eine direkte Antwort Jesu aus. V. 49 Sequenz 4: Der Mittelpunkt der Erzählung ist erreicht. Jesus reagiert auf die beiden Schreie von Bartimäus, indem er stehen bleibt. Dann ruft er die Gegner von Bartimäus indirekt zur Umkehr auf. Er dreht die Aggression seines Schülerkreises und der Menge zu einer konstruktiven Einstellung um, indem er sie auffordert, ihrerseits Bartimäus zu rufen und sein Schreien nicht mehr zu unterdrücken. Die Ausführung des Rollenwechsels der Menge vom Gegner zum Helfer wird im Präsens geboten. Schülerkreis und Menge erweisen sich nun als echte Helfer, indem sie die Überbringung des Rufes mit dem Zuspruch von Mut auffüllen. Gemeinsam mit dem jetzt berufenen Bartimäus werden sie später beim Einzug in Jerusalem die Davidsherrschaft Jesu bejubeln (Mk 11,1-11). V. 50 Sequenz 5: Das vertrauensvolle Handeln des Blinden wird knapp und anschaulich geschildert. Er wirft seinen Mantel ab, springt auf und erreicht Jesus. Das Hapaxlegomenon Auf-Springen entspricht dem tiefen Wunsch nach Auf-Blicken-Können, das zusätzlich die Bedeutung von Wieder-Sehen-Können hat (V. 51 f.). Der Blinde setzt alles auf eine Karte, sowohl sein kärgliches Eigentum, das er ohne Bewachung verlässt, als auch seine Gesundheit, da er ohne Hilfe auf Jesus zueilt. V. 51-52a. Antike Heilungsgeschichten, wie sie z. B. auf den Tafeln des AsklepiosHeiligtums von Epidauros stehen, haben eine typische Form: 1. Art des Leidens, 2. Heilender Eingriff, 3. Feststellung des Heilerfolgs (Weiser 1992, 36-40). Diese Form strukturiert auch die neutestamentlichen Heilungsgeschichten (Bultmann 1995, 233-247; Dormeyer 1993, 166-170). V. 46-50 haben bisher nur eine überlange Einleitung mit den Motiven Art des Leidens und Begegnung des Kranken mit dem Wundertäter gebildet. Sequenz 6 bringt den heilenden Eingriff. Der Wundertäter Jesus redet den Kranken an (Mk 3,3). Singulär ist die Frage nach dem Willen des Kranken; sie betont die Willensstärke von Bartimäus. Dieser antwortet formgerecht mit der Bitte um Wiederherstellung der Sehkraft. Statt Davidssohn wählt er die singuläre aramäische Anrede «abbounffl (rabbouni – mein Lehrer/Erhabener; nur noch Joh 20,16), die den für Markus üblichen hebräischen Titel «abbffl (rabbi – Lehrer/Erhabener; Mk 9,5; 11,21; 14,45) oder den noch häufigeren griechischen Titel did€skalo@ (didaskalos – Lehrer; Mk: 12-mal) ersetzt. Die Anrede wird vom Evangelisten nicht übersetzt. Er setzt voraus, dass griechische Hörer(innen) den hoheitsvollen Klang des aramäischen, hebräischen und griechischen Titels kennen (Gnilka 2008b, 111). Jesu vollmächtige Lehre hat von Anfang an in Wort und Wundertat die Kräfte der Gottesherrschaft wirksam werden lassen (Mk 1,21-28 u. ö.). Es folgt die Antwort Jesu mit einem Wort, das untypisch kein performatives Heilungswort, sondern eine konstatierende Feststellung ist, und zwar die der Rettung aufgrund des Glaubens (so auch Mk 5,34). Der einleitende Befehl Geh nimmt nur indirekt auf die Blindheit Bezug. Außerdem fehlt die Heilungsgeste. Bestätigt Jesus die neue Zugehörigkeit von Bartimäus zur angebrochenen Königsherrschaft Gottes aufgrund des Vertrauensglaubens, ohne die physische Sehkraft wiederherzustellen? V. 52b Sequenz 7: Die abschließende Sequenz schafft Klarheit. Der Blinde erhält formgerecht sofort die Sehkraft wieder (Eibisch 2009, 67). Das Verb ⁄nablffpw (anablepo¯ – aufsehen, wieder sehen) steht im Aorist, der die abgeschlossene Wiederherstel361
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lung anzeigt. Als Abschluss, als Teil 3, fehlt allerdings wieder die Reaktion des Volkes. Stattdessen wird zum ersten und einzigen Male im Markusevangelium eine Wunderheilung mit der Nachfolge verbunden. Bartimäus hat schon jetzt Anteil an der Königsherrschaft Gottes gewonnen und kann daher neu aufbrechen zur Nachfolge. Mit der Heilung des Bartimäus schließt der Evangelist die Heilwunder und Exorzismen Jesu ab. Im Jerusalem-Teil (Mk 11,1-15,47) findet nur noch vor den Schülern das Naturwunder der Verdorrung eines Feigenbaumes statt (Mk 11,12-14). Jerusalem fehlt der Vertrauensglaube an eine heilende Wundertätigkeit Jesu im Namen Gottes (Mk 3,22-30). Insgesamt fällt an der Heilungsgeschichte von Bartimäus auf, dass sie nur wenige Gattungselemente der klassischen Wundergeschichte im Epidauros-Stil enthält. Es geht in der überlangen Einleitung neben dem Heilungswunsch um die neuen Themen Glauben und Zulassung zur rettenden Herrschaft des eschatologischen, messianischen Davidssohnes Jesus. Bei der Heilung selbst werden auch diese neuen Themen zum positiven Abschluss gebracht. Der wieder sehend gewordene Bettler Bartimäus folgt aus eigenem Antrieb Jesus, ohne von diesem zurückgewiesen zu werden (anders Mk 5,1-20). Bartimäus begleitet Jesus auf dem Weg in die Passion. Jesus und Bartimäus beherrschen die Erzählung. Sie bieten als Hauptfiguren Identifikation an (Eckey 2008, 352). Der blinde und verarmte »Sohn des Timäus« findet durch seinen starken Vertrauensglauben und sein beharrliches Schreien Heilung und Befreiung von seinem alten Status (vgl. Mk 11,20-25). Als Nebenfiguren ermöglichen auch die Schüler und das Volk die Identifikation. Sie wollen zunächst mit Unverständnis die Hoheit des Davidssohnes Jesus schützen, lassen sich dann aber von Jesus zu einer neuen Sichtweise umkehren. Denn der Davidssohn Jesus und seine Gefolgschaft haben wie der alttestamentliche König und sein Hof in Stellvertretung Gottes für das ganze Volk zu sorgen, insbesondere für die Behinderten und Armen (2Sam 12,1-5; 2Kön 6,24-31). Nach Ostern rufen die Anhänger Jesu gerade diese in die Nachfolge Jesu. Volk als Begleiter Jesu steht 38-mal im Markusevangelium. Es ist eine unbestimmte Großgruppe, die in unterschiedlicher Zusammensetzung Jesus ständig auf seinen Wanderungen begleitet und die Botschaft Jesu mit Vertrauensglauben aufnimmt. Bei der Wanderung Jesu nach Jerusalem hat die begleitende Gruppe die gleiche Intention wie Jesus, in Jerusalem das Paschafest zu verbringen (Mk 14,1-2). Diese Gruppe bereitet ihm mit den Schülern unmittelbar nach der Blindenheilung einen königlichen Einzug in Jerusalem (Mk 11,1-11), der besonders nach Ostern als Opposition zu kaiserlichen Einzügen (adventus) verstanden werden kann.
Sozial- und realgeschichtlicher Kontext Der Name des Geheilten, die Ortsangabe der Heilung und der Titel «abbounffl (rabbouni) gehören in das palästinensische Judenchristentum. Timäus hingegen ist ein gängiger griechischer Name, bekannt durch den platonischen Dialog Timäus. Die Etymologie von Bartimäus wirkt künstlich und nachträglich, weil das aramäische tb (br – Sohn) mit einem griechischen Namen kombiniert wird. Ursprünglich wird Bartimäus ein rein aramäischer Eigenname gewesen sein (Pesch 1984b, 170). Jericho, etwa 250 m unter dem Meeresspiegel gelegen, ist eine Oase mit reichhaltigen Quellen und daher ein von alters her besiedelter Wohnplatz im südlichen, wüsten362
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artigen Teil des Jordangrabens. Die ausgegrabenen Ruinen von Befestigungsmauern auf dem Tell es Sultan reichen bis ins 9. Jt. zurück und umfassten eine der ältesten Städte der Welt. Tell bedeutet ein aus den Resten alter Siedlungen entstandener Schutthügel im Unterschied zum geologisch gewachsenen Berg. In hasmonäischer und herodianischer Zeit werden von den Herrschern wegen des durchgängig warmen Klimas nicht an diesem Schutt-Tell, sondern am Ausgang des Wadi Quelts prächtige Winterpaläste errichtet (Schwienhorst-Schönberger 1995). Plantagen von Dattelpalmen und Balsambäumen sorgen für das Aufblühen des Ortes. In neutestamentlicher Zeit ist der Ort Hauptsitz einer von fünf Toparchien, die Gabinius nach der Eroberung des jüdischen Palästina durch Pompejus (63 v. Chr.) als Verwaltungzentrum mit je einem Gerichtshof (Synhedrion) für Palästina eingerichtet hat (Flav. Jos. Bell. 1,170 par. Ant. 14,91). Die Entfernung zum hoch gelegenen Jerusalem (675-765 m) beträgt etwa 24 km, also eine Tageswanderung (vgl. Mk 11,1-11; Lk 10,25-37). Herodes I. hatte Jericho mit einem Hippodrom (Flav. Jos. Bell. 1,659), einem Theater (Flav. Jos. Ant. 17,161) und einem Amphitheater (Flav. Jos. Bell. 1,666; Ant. 17,194) wie eine griechische Stadt ausgestattet. Ab seinem Sohn Archelaos und den römischen Präfekten nach ihm wurde Jericho Grenzstadt von Judäa. Zur Zeit Jesu trieb der wohlhabende Oberzöllner Zachäus die Steuern der Toparchie und die Grenzzölle ein (Lk 19,1-10). Jericho muss eine wohlhabende Stadt gewesen sein. Soziale Randgruppen waren in neutestamentlicher Zeit sowohl in der Präfektur Judäa als auch im gesamten römischen Weltreich vielfach auf Almosen oder Bettelei angewiesen. Besonders die Behinderten der Unterschicht waren nicht in der Lage, durch eigene Arbeit als Tagelöhner den Lebensunterhalt zu verdienen. So waren viele Blinde auf Bettelei angewiesen (Anth. Graec. 19b). Angeborene Blindheit galt als unheilbar (Hippocr. 9, 46). Dagegen kennen die Asklepios-Heiligtümer Blindenheilungen, und die hippokratischen Ärzte konnten leichte Augenkrankheiten heilen (Herzog 1931, 95-97). Doch es galt: »Heilung eines Blinden war nur als Wunderheilung oder aber überhaupt nicht vorstellbar« (Schrage 1969, 273). Der in V. 50 explizit erwähnte Mantel ( m€tion himation) des Blinden diente als Sammelstelle für Münzen und andere Almosen; gleichzeitig war er der einzige Besitz, der bei kalter Witterung Wärme spenden konnte; er durfte nicht gepfändet werden (Dtn 24,12 f.; Mt 5,40). So bringt das Zurücklassen des Mantels bereits unmissverständlich das Vertrauen zum Ausdruck, dass der Blinde ein neues Leben vor sich sieht. Weder die frühjüdische Armenfürsorge noch die griechischen Wohltäter wollten und konnten alle Armen versorgen; dagegen entwickelte die Urgemeinde das frühchristliche Ideal der Gütergemeinschaft zumindest für die Gemeinde (Apg 2,42-47; 4,32-37). Es blieb ein Ärgernis, dass wohlhabende Städte wie Jerusalem mit dem Tempelschatz und Jericho mit seinem gewinnbringenden Export von Balsam und Datteln die Behinderten nicht versorgen konnten (Joh 9,1-12; Apg 3,1-10). Die Botschaft Jesu ist eindeutig, dass auch die Bettler in die angebrochene Königsherrschaft Gottes berufen sind.
Traditions- und religionsgeschichtlicher Hintergrund Im Alten Testament wird zwar das Almosengeben als gute Tat gefordert (Dtn 15,7-11; Jes 58,7), aber das Bettlerleben gilt wegen des weisheitlichen Tun-Ergehen-Zusammenhangs als Strafe Gottes (Ps 109,10; Hi 20,10) und als Schande (Sir 40,28-30; Mayer-Ernst 2003, 363
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1,183). Daher war es für die Jesus-Gemeinde eine Problemfrage, ob Bettler aufgenommen werden sollen. Blindheit gilt als besonders schwere Krankheit und wird wie die Taubstummheit direkt von Gott verhängt: »Wer hat dem Menschen den Mund gegeben und wer macht taub oder stumm, sehend oder blind? Doch wohl ich, der Herr!« (Ex 4,11). Sie kann von Gott als Strafe angedroht werden (Dtn 28,28 f.; bTaan 21a). Deutlicher als bei Bartimäus wird dementsprechend von den Pharisäern die Blindheit als Sünde angesehen: »Sie antworteten und sprachen zu ihm: In Sünden bist du ganz geboren und belehrst uns? Und sie warfen ihn hinaus nach draußen« (Joh 9,34). Nach dem Frühjudentum wird Blindheit auch von den Dämonen verursacht (bShab 108b; 109a). Gott wiederum kann jederzeit die Blindheit aufheben (Ps 146,8). Die Heilung von Blindheit führt den Katalog der Krankenheilungen für die Zeit nach dem Weltgericht an (Jes 35,5 f.). Dieser Katalog formt u. a. in der Logienquelle die Antwort Jesu über seine Wunder: »Geht hin und meldet Johannes, was ihr saht und hörtet: Blinde sehen wieder, Lahme gehen umher, Aussätzige werden gereinigt und Taube hören, Tote werden erweckt, Armen wird (ein Evangelium) verkündet« (Q 7,22b). Die eschatologische Zeit hat mit den Heilungswundern Jesu begonnen. Auf die davidische Weisheit und Wunderkraft (1Sam 16,14-23; Flav. Jos. Ant. 8,44-49; TestSal 1 f.), die sich im messianischen Davidssohn erfüllen werden (Jes 9; 11), spielte schon die staunende Nachfrage der Nazarener bei Jesu Besuch in der Heimat an; doch diese Möglichkeit führte nicht zum Glauben (Mk 6,1-6; Pesch 1984a, 371 f.; Dormeyer 2002, 248-258). Davidssohn wurde erst in rabbinischer Zeit zum üblichen Titel des erwarteten, eschatologischen Messias. Doch zur Zeit Jesu wurde er schon in den pseudepigraphischen Psalmen Salomons gebraucht (PsSal 17,21; Billerbeck 1926a, 525). Der Ruf um Erbarmen ist sowohl aus den alttestamentlichen Psalmen bekannt (Ps 6,3; 9,14; 41,5.11; 123,3) als auch in der Antike üblich (Flav. Jos. Ant. 11,64; Pesch 1984b, 171). So verstärkt Jesus die alttestamentliche Botschaft von der Fürsorge Gottes für die Blinden, Armen und Bettler mit seiner selbstgewählten Armut, seiner Wunderheilung von blinden Bettlern und seiner Zuwendung zu den Bettlern, insbesondere mit dem Gleichnis vom armen Lazarus und reichen Prasser (Lk 16,19-31; Leonhardt-Balzer 2007). Von den Schülern verlangt Jesus ebenfalls völlige Besitzlosigkeit, so dass sie zum Überleben auf Betteln und Aufnahme in die Häuser anderer angewiesen sind (Mk 6,7-13; Q 10,4-12). Blindheit ist im Alten Testament auch Metapher für Unglauben oder Glaubensschwachheit (Zef 1,17; Jes 59,9 f.). Im Neuen Testament geht diese Metaphorik weiter, u. a. in Jesu Wort von den blinden Blindenführern (Q 6,39) und in Jesu Polemik gegen die Pharisäer aufgrund seiner Blindenheilung (Joh 9,35-41). Für hellenistische Hörer tritt Jesus mit der Blindenheilung in Konkurrenz zum Heilgott Asklepios. Dieser vermochte es ja, z. B. in Epidauros, eine Vielzahl von Blinden zu heilen (Wunder W 4.9.11.18.20.22.32.40.55.65.69.74; Herzog 1931, 95). Allerdings werden neben heilbaren Sehstörungen Heilungen erzählt, die auch für die Antike völlig unmöglich sind (Herzog 1931, 95-97). Asklepios wird darin für den Christen von Jesus übertroffen, dass dessen Wundervollmacht die neue Schöpfung schon jetzt uneingeschränkt für alle Kranken anbrechen lässt. Sogar der Kaiserkult erhebt ausnahmsweise unter Vespasian den Anspruch, dass der Kaiser aufgrund göttlicher Vollmacht einen Blinden heilen kann. Zur Legitimation 364
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seiner Proklamation als Princeps und neuer Cäsar lässt sich Vespasian von den Priestern des Serapeions in Alexandrien zur Heilung von zwei Kranken bereden, und zwar von einem Blinden und einem Mann mit gelähmter Hand (Tac. hist. 4,81; Suet. Vesp. 7,2 f.; Dio Cass. 66,8). Die erfolgreiche Heilung beider wird von den beobachtenden Ärzten als göttliche Vollmacht gedeutet: »Vielleicht sei dies der Wunsch der Götter und der Fürst sei zu einem göttlichen Dienst auserkoren« (Tac. hist. 4,81; Übers. Sontheimer; Becker 2006, 395 f.). In seiner weiteren Regierungszeit übt Vespasian allerdings keine Wundertätigkeit mehr aus. Er bleibt mit diesen beiden Heilwundern für den Kaiserkult singulär (von Haehling 2008, 232-236). Jesus hingegen verbleibt dauerhaft im Besitz der Wundervollmacht der angebrochenen Königsherrschaft Gottes. Der Name Bartimäus und der Ort Jericho bilden den ursprünglichen Haftpunkt der Blindenheilung. Diese kann »die historische Erinnerung an die Heilung eines blinden Mannes namens Bartimäus auf dem Weg nach Jericho aufbewahrt« haben (Gnilka 2008b, 111). Dibelius hingegen sieht als ursprünglichen Kern ein Paradigma »von Jesu Erbarmen mit einem namenlosen Blinden … ohne Porträt und ohne Schilderung der Heilung, mit alleinigem Nachdruck auf dem Erbarmen Jesu und dem Glauben des Blinden« (Dibelius 1971, 50). Dass der Name Bartimäus erst später hinzugewachsen ist, wird mit der Ortsüberlieferung der Schülerschaft eines Bartimäus aus Jericho erklärt (ebd.). Doch warum wird auf diesen Bartimäus eine Blindenheilung übertragen und mit einem alten Paradigma von Jesu Erbarmen mit einem Blinden kombiniert? Es geht Dibelius darum, eine existentiale Interpretation von Jesu Zuwendung zu den Blinden schon in den Anfang der Traditionsbildung zu verlegen. Gegen eine solche existentiale Traditionsbildung spricht aber der Katalog der Wundertaten Jesu Q 7,22 f. Von Anfang an bedeutet Jesu Zuwendung zu Blinden, Lahmen, Aussätzigen, Tauben und Toten die eschatologische Erneuerung der Schöpfung durch Heilungen der Krankheiten. Doch Dibelius hat richtig gesehen, dass die Besonderheit der Bartimäus-Geschichte darin besteht, dass die Wundergeschichte nur fragmentarisch erzählt und mit einem Paradigma von der Bitte um Erbarmen und Nachfolge verbunden ist. Ob es zwei Stufen der Überlieferung gab, und zwar als erste Stufe den biographischen Kurzbericht von der Heilung des Schülers Bartimäus, vergleichbar mit der knapp erzählten Wundergeschichte von der Heilung der Schwiegermutter des Petrus (Mk 1,29-31), und als zweite Stufe die Verbindung mit dem Paradigma von der Nachfolgebitte oder ob die beiden Erzählstränge sich nicht mehr trennen lassen, muss offenbleiben. Als redaktioneller Zusatz bleibt nur noch die Überarbeitung der Einleitung V. 46. Es legt sich nahe, V. 46b (Und als er herausgeht …) für eine redaktionelle Auffüllung zu halten, so dass V. 46a.c (Und sie kommen nach Jericho. [Es] saß der Sohn von Timäus …) die ursprüngliche Einleitung gebildet hat. Fraglich ist, ob der Schluss V. 52d (und folgte ihm auf dem Weg) vom Evangelisten stammt (Gnilka 2008b, 109) oder der Tradition zugehört. Nach Koch ist lediglich auf dem Weg redaktionell hinzugefügt (Koch 1975, 131). Denn welchen Sinn hat die zentrale, wiederholte Bitte um Erbarmen über den Heilungswunsch hinaus? Es geht doch um die ständige Gemeinschaft mit Jesus und die Aufhebung von diskriminierendem Betteln, so dass die Nachfolge aufgrund der Gattung Nachfolgebitte und des theologischen Themas Erbarmen zum alten Schluss gehören muss. Insgesamt hat der Evangelist der überlieferten Szene eine einheitliche sprachliche Gestaltung gegeben, die sich nahtlos in die Gesamtanlage des Evangeliums einfügt.
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Verstehensangebote und Deutungshorizonte Die Bartimäus-Geschichte bietet eine Reihe von Ansatzpunkten für die historische Rückfrage. Die historische Deutung bezieht sich zu Recht auf den traditionsgeschichtlichen Kern, selten auf die Endgestalt der Geschichte (so Pesch 1984b, 174 f.). Roloff und Meier halten die Heilung des blinden Bartimäus durch Jesus für historisch plausibel (Roloff 1970, 121-124; Meier 1994, 690). Sie setzen voraus, dass Jesus Augenleiden heilen konnte. Der Vergleich mit den Blindenheilungen in Epidauros und mit der Dreckapotheke von Wanderärzten ermöglicht eine solche Annahme (vgl. die Heilung des Blinden von Betsaida Mk 8,22-26); allerdings bleibt es unsicher, ob der historische Jesus über die eschatologische Exorzismusgewalt hinaus medizinisch-therapeutische Fähigkeiten eines Wanderarztes besessen hat (von Bendemann 2007, 123-130). Wohl »deutet alles daraufhin, daß Mk 8,22-26 christlichen Wundercharismatikern als Krankenheilungsanleitung diente« (Kollmann 1996, 236). Die fragmentarische Heilungsdarstellung bei Bartimäus stellt dagegen keine Vorlage für christliche Wanderärzte dar. Als historischer, biographischer Kern bleibt möglich, dass beim späteren Gemeindemitglied Bartimäus in Jericho eine »psychogene Sehstörung« vorlag und Jesus diese mit einem charismatischen Wort geheilt und den Geheilten in die Nachfolge gerufen hat (vgl. Kollmann, Krankheitsbilder in diesem Band). Dann hat bereits der vorösterliche Jesus mit der Verkündigung der Königsherrschaft Gottes Heilwunder bewirken können, wie es später in der Urgemeinde Paulus, den Aposteln und den Charismatikern gelang (2Kor 12,12; 1Kor 12,9). Die existentiale Deutung knüpft an Dibelius an: »Wer Gott ehrt, indem er um die eigene Blindheit für das Göttliche weiß und sich im Blick auf das eigentliche Leben als Bettler versteht, der ›sitzt am Weg‹ des Heils und wird bald auf diesem Weg unterwegs sein« (Schmithals 1979, 473). Dieser metaphorischen existentialen Auslegung gemäß besteht das Wunder am Schluss nicht in der Heilung der leiblichen Blindheit, sondern in der Nachfolge von Bartimäus als wahrhaft Sehender und Bettler um den Reichtum der Gnade Gottes (a. a. O., 477; ähnlich Trummer 1998, 113 f.; Fink 2000, 199-201). Die existentiale Auslegung wird dem Hauptduktus dieser Heilungserzählung durchaus gerecht. Doch es muss im Zusammenhang mit anderen Wundergeschichten auch auf die damalige Leserrezeption verwiesen werden, die wie Bartimäus in der Geschichte somatische Heilungsvorgänge und Aufhebung von sozialer Marginalisierung erwartete. Die redaktionsgeschichtliche Deutung geht wie die existentiale Deutung von der metaphorischen Bedeutung von Blindheit aus, ordnet aber diese Symbolik in die realistisch erzählte Welt einer Blindenheilung ein. Die ältere Redaktionsgeschichte sah zwar die antike Realistik als mythologischen Störfaktor an, der entmythologisiert werden musste: »Die Wunder Jesu haben im Markusevangelium die Tendenz, sich selbst überflüssig zu machen« (Kertelge 1970, 206). Zu Recht wurde aber herausgehoben, dass Glaube und Nachfolge die zentralen Motive des Redaktors sind. Die Heilung selbst ist eine Konzession an die damalige Wundergläubigkeit und darf nicht als historischer Bericht interpretiert werden. Es bleibt das Defizit, die überschießenden Erzählzüge zu interpretieren und deren Weltbild und Wundererwartung auch für die heutige Zeit als Glaubensmöglichkeit zu erschließen. Die symbolisch-narratologische Deutung: Die jüngere Redaktionsgeschichte, die narratologische Erzählanalyse und die sozialgeschichtliche Exegese stellen hingegen die bleibende Symbolik von Wundergeschichten heraus. Die Symbolik schafft eine Doppel366
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kodierung. Es erfolgt sowohl auf der Ebene der realistisch erzählten Welt als auch auf der metaphorischen Ebene des Glaubens eine Heilung. Der Evangelist hat zwei Blindenheilungen an zentraler Stelle seines Evangeliums eingesetzt: Mk 8,22-26 als Abschluss des galiläischen Teils (Mk 1,16-8,26) und Mk 10,46-52 als Abschluss des Mittelteils (Mk 8,27-10,52). Die Blindenheilungen bedeuten symbolisch die Öffnung der Augen sowohl für die leibliche Gesundheit als auch für den Glauben an Jesus als den Bringer der endzeitlichen Königsherrschaft Gottes (Fritzen 2008, 276-281). Im galiläischen Teil war Jesus trotz seiner neuen Lehre in Worten und Taten, insbesondere in Wundern (Mk 1,2128), nicht voll verstanden und von seinen gelehrten Gegnern abgelehnt worden. In der ersten großen Rede, der Gleichnisrede (Mk 4,1-34), gibt Jesus dann dem Zwölferkreis und dem begleitenden Volk eine Theorie dazu. Er greift das alttestamentliche Motiv von der Verstockung der Hörer durch Gott auf (Jes 6,9 f.), das bereits Paulus zur Erklärung des Unglaubens Israels herangezogen hatte (2Kor 3,14; Röm 11,8.25). Von sehen (blffpw blepo¯) und aufschauen/wieder sehen (⁄nablffpw anablepo¯) spricht daher das Markusevangelium 21-mal. Beide sind immer mit einem Akt der Deutung verbunden. Nur die, die glaubend mit Jesus bis zum Kreuz ziehen, ihn bekennen (Mk 15,39) und so Anteil am Mysterium der angekommenen Gottesherrschaft erlangen, werden die Gleichnisse und die anderen Worte und Taten voll verstehen. Bei der Warnung vor den Pharisäern und vor Herodes, die der Blindenheilung in Betsaida unmittelbar vorausgeht (Mk 8,14-21), wiederholt Jesus das Verstockungsmotiv (Jes 6,9 f.; Jer 5,21): »Augen habend seht ihr nicht, und Ohren habend hört ihr nicht? Und ihr erinnert euch nicht:« (Mk 8,18). Anschließend erfolgt die erste Blindenheilung. Wie der Blinde nur stufenweise sein Augenlicht wiedererhält, so bedarf auch der Glaube einer Weiterentwicklung (Trummer 1998, 91-103). Er muss vom Vertrauensglauben an den Wundertäter Jesus sich steigern zur unbedingten Nachfolge Jesu und zum Bekenntnis der Gottessohnschaft des leidenden Christus am Kreuz. Die zweite Blindenheilung veranschaulicht dann mit Bartimäus diese Steigerung zur Nachfolge und zum Bekenntnis der hoheitsvollen Davidssohnschaft. Bartimäus erfährt am Anfang nur den gewöhnlichen, vom Heimatort Nazaret (Mk 1,9) abgeleiteten Beinamen Jesu: Nazarhn@ (Nazare¯nos). Der Evangelist nennt diesen Beinamen 4-mal (Mk 1,24; 10,47; 14,67; 16,6), Lukas nur 2-mal (Lk 4,34 par. Mk 1,24; 24,19); ansonsten fehlt er im Neuen Testament. Im Markusevangelium hat er nur hier und in der Schlussbotschaft des Engels (Mk 16,6) einen ehrenden Klang. Der Dämon (Mk 1,24) und die Magd des Hohepriesters (Mk 14,67) gebrauchen ihn abwertend. Bartimäus hingegen erweitert den Beinamen um den bekennenden Hoheitstitel Davidssohn. Er hat wie die Nazarener von der Weisheit und den Wundertaten Jesu gehört (Mk 6,1-6) und führt diese im Unterschied zu den Nazarenern auf die biographische Herkunft Jesu aus dem Davidshaus zurück. Der Gemeinde des Markus muss die vorpaulinische Glaubensformel bekannt gewesen sein, dass Jesus als »Nachkomme Davids« geboren ist (Röm 1,3; Wong 2012, 87). In Jesus erfüllt sich die Erwartung auf einen eschatologischen, davidischen Messias (Jes 9; 11). Wie bei den Nazarenern verdunkelt aber auch hier bei den Schülern und dem Volk die Blindheit des Unglaubens die wahre Fülle des Titels. Sie meinen, dass der davidische Messias Jesus nicht für die Behinderten und Bettler gekommen ist; denn beide Behinderungen können als Sündenstrafe Gottes verstanden werden, und eine gerechte Gemeinde hat Sünder zu meiden. Schüler und Volk wiederholen das pharisäische Vorurteil gegen Sünder (Mk 2,13-17). Der Auftrag Jesu an die Umstehenden hebt deren 367
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Blindheit auf. Sie erkennen sofort, dass Jesu Vollmacht und Hoheit auch und gerade für die Behinderten, Armen und Bettler gilt. Bei der Begegnung mit Jesus zeigt sich der Blinde frei von der Blindheit des Glaubens. Er ergänzt den Davidssohn-Titel um den Lehrertitel. Im Mittelpunkt der Bitte um Erbarmen steht die Lehre Jesu von der angebrochenen Königsherrschaft Gottes. Zu ihr gehört die Wiederherstellung der Schöpfung mit leiblicher Gesundheit. Diese Wiederherstellung kann allerdings in nachösterlicher Zeit ausbleiben (Mk 9,14-29). Aber auch dann gilt der Zuspruch der Rettung aufgrund des Glaubens. Solange Jesus selbst wirkt, zeigt sich die Rettung in der anfänglichen Wiederherstellung der Schöpfung. Der Blinde erhält sein Augenlicht wieder, wie es das Prophetenbuch Jesaja für die Endzeit angekündigt hat (Jes 35,5 f.). Außerdem wird die soziale Armut aufgehoben. Der Katalog Q 7,22 erfüllt sich. Der arme Bettler Bartimäus wird Mitglied des Kreises Jesu und erhält Anteil an dessen Selbstversorgung (Mk 10,28-31). Er braucht nicht mehr zu betteln und folgt ohne die Blindheit des Unglaubens und ohne leibliche Blindheit nach. Nachfolge von Armen bleibt aber auch mit leiblicher Blindheit möglich.
Aspekte der Parallelüberlieferung und Wirkungsgeschichte Matthäus und Lukas übernehmen die Bartimäusgeschichte von Markus (Mt 20,29-34; Lk 18,35-43). Beide streichen den Eigennamen Bartimäus und seine nicht überzeugende Etymologie. An seine Stelle setzt Matthäus zwei Blinde, während Lukas bei einem anonymen Blinden bleibt. Beide lassen den ereignislosen Durchzug durch Jericho aus. Matthäus spricht in der Einleitung V. 26 nur vom Herausgehen aus Jericho, das Jesus und zusätzlich der Zwölferkreis vollziehen (a'toffl autoi – sie; als Weiterführung von Mt 20,24-28); nur die Volksmenge folgt. Der Zwölferkreis wird von der Abwehr der Blinden entlastet. Nur das Volk bleibt der pharisäischen Abwehr von Sündern weiterhin verhaftet. Matthäus kürzt auch das Folgende. Das Volk wird von Jesus nicht zum Rufen der Blinden eingesetzt und kann daher auch nicht umkehren. Das Hören der zwei Blinden und ihr doppelter Ruf um Erbarmen mit dem Sohn-Davids-Titel bleiben hingegen erhalten. Der zweite Ruf erhält den Zusatz kÐrie (kyrie – Herr). Der Kyrios-Titel ist mehrdeutig. Er ist sowohl Ehrenbezeichnung als auch Hoheitstitel für den erhöhten Jesus Christus sowie Hoheitstitel für Gott. Hier ist kÐrio@ (kyrios) Ehrenbezeichnung und ersetzt daher im folgenden Gespräch der beiden Blinden mit Jesus den ursprünglichen Rabbouni/LehrerTitel (V. 32 f.). Das Gespräch selbst verläuft wie in der Vorlage. Doch für die Wunderhandlung Jesu verzichtet Matthäus auf das Wort von der Rettung durch Glauben, das er allerdings bei der Heilung der Frau mit Blutfluss beibehält (Mt 9,22), und führt stattdessen die Heilgeste der Berührung der Augen neu ein. Der Schluss ist wieder gleich der Vorlage. Insgesamt hat Matthäus die Szene auf das Geschehen zwischen Jesus und den beiden Blinden konzentriert. Der Heilgestus unterstreicht, dass Jesus nicht nur eine metaphorische Heilung, sondern auch eine leibliche Heilung bewirkt. Denn die Symbolik der angekommenen Königsherrschaft Gottes umschließt beides.
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Bedingungslose Nachfolge heilt Blindheit Mk 10,46-52
Lk 18,35-43 (35) Es geschah, als er sich Jericho näherte: Ein Blinder saß an der Straße und bettelte. (36) Er hörte die durchziehende Volksmenge und erkundigte sich, was dies sei. (37) Sie nun meldeten ihm: »Jesus, der Nazoräer, geht vorbei.« (38) Und er rief und sagte: Jesus, Sohn Davids, erbarme dich meiner!« (39) Und die Vorangehenden fuhren ihn an, dass er schweige, aber er schrie um vieles mehr: »Sohn Davids, erbarme dich meiner!« (40) Jesus aber blieb stehen und befahl, dass er zu ihm geführt werde. Als er nahekam, fragte er ihn: (41) »Was willst du, das ich dir tun soll?« Der sprach: »Herr, dass ich wieder sehe!« (42) Und Jesus sprach zu ihm: »Sieh wieder! Dein Glaube hat dich gerettet.« (43) Und auf der Stelle sah er wieder, folgte ihm nach und verherrlichte Gott. Und das ganze Volk sah es und gab Gott Lob.
Lukas arbeitet Anfang und Schluss zu einer formgerechten Wundergeschichte aus. Der Blinde erkundigt sich bei der Volksmenge über deren Zusammensetzung und erhält zutreffend Auskunft. Lukas wandelt hier den Beinamen Nazarener (Nazarhn@ Nazare¯nos, Lk 4,34; 24,19) in Nazwra…o@ (Nazo¯raios – Nazoraier) ab, den er dann in der Apostelgeschichte beibehält. Der Sinn dieser rätselhaften Abwandlung ist umstritten (Bovon 2001, 258). Matthäus vemeidet Nazarhn@ (Nazare¯nos) und gebraucht dafür 2-mal Nazwra…o@ (Nazo¯raios). Er spielt mit der Veränderung auf das Nasirat von Simson an (Mt 2,23; Ri 13,1-7). Allerdings müsste der Beiname dann Nazira…o@ (Naziraios) lauten. So bleibt diese Erklärung eine nachträgliche Etymologie. Nazoraier ist eine frühe Variante von Nazarener, die unterschiedslos von Lukas verwandt wird (Bösen 1998, 115117). Für die Mitte der Geschichte hält sich Lukas eng an die Vorlage, veranschaulicht aber deutlicher das Hören. Das Wort von der Rettung durch Glauben wiederum wird unverändert als gnomisches Herrenwort übernommen, aber zusätzlich mit dem Heilungsbefehl »Sieh wieder« eingeleitet. Am Ende trägt Lukas den bei Markus fehlenden Chorschluss nach und lässt Bartimäus in das Lob des Volkes miteinstimmen. Für die heutige Rezeption dieser Geschichte eignet sich das perspektivische Lesen, das in Interaktion mit einer Rolle geschieht. Jochum-Bortfeld setzt es im Unterricht ein. Er wählt die sozialgeschichtliche Deutung der Bartimäusgeschichte als Zugang: »Dass Jesus hier einen Blinden heilt, zielt nicht so sehr auf das Handicap des Nicht-Sehen-Könnens ab, vielmehr bricht Jesus in dieser Geschichte die erniedrigende Bewertung von Bettlern durch die antike Gesellschaft auf und schafft dadurch dem Leben des Bartimäus eine völlig neue Perspektive« (Jochum-Bortfeld 2006, 97). Da die Rolle des Bartimäus das herausstechende Identifikationsangebot ist, sollen die Schüler(innen) der 5. Klasse eine Nacherzählung aus der Perspektive dieser Rolle bringen. Die Schüler fühlen sich sowohl mit eigenen Erfahrungen in die ausgegrenzte Situation des blinden Bettlers ein, betonen aber andererseits auch seine leibliche Heilung von der Blindheit. Wundergeschichten sind konkrete Utopien, die existentiale, sozialgeschichtliche und symbolische Impulse und Hoffnungen für die Gegenwart aussenden, sie aber nicht mit der Erfahrung der Gegenwart identisch setzen.
Detlev Dormeyer
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Die Wundererzählungen im Markusevangelium
Literatur zum Weiterlesen P. J. Achtemeier, »And he followed him«: miracles and discipleship in Mark 10:46-52, Semeia 11 (1978), 115-145. H.-J. Eckstein, Markus 10,46-52 als Schlüsseltext des Markusevangeliums, ZNW 87 (1996), 3350. B. Geupel/D. Dormeyer/K. Horngacher, Asklepios und Psychotherapie – Die Imaginationsreise ›Gepäck ablegen‹ als Beispiel einer Verbindung zwischen Asklepios-Kultur mit der hypnotherapeutischen und systemischen Arbeit, systema 26 (2012), 79-89. R. v. Haehling, Der römische Kaiser – ein Wunderheiler?, in: L. Hauser/F. R. Prostmeier/C. Georg-Zöller (Hg.), Jesus als Bote des Heils. Heilsverkündigung und Heilserfahrung in frühchristlicher Zeit, FS D. Dormeyer, SBB 60, Stuttgart 2008, 226-237. C. Jochum-Bortfeld, »Alle Menschen haben mich verachtet, ausgeschimpft und geprügelt« – Fünftklässler nähern sich dem Bettler Bartimäus (Mk 10,46-52), in: G. Büttner/ M. Schreiner (Hg.), »Man hat immer ein Stück Gott in sich«. Mit Kindern biblische Geschichten deuten, Jahrbuch für Kindertheologie, Sonderband 2: Neues Testament, Stuttgart 2006, 95-106. W. Kirchschläger, Bartimäus – Paradigma einer Wundererzählung (Mk 10,46-52 par), in: F. van Segbroeck et al. (Hg.), The Four Gospels 1992, FS F. Neirynck, BEThL 100, Leuven 1992, 1105-1123. B. Kollmann, Die Heilung des blinden Bartimäus (Mk 10,46-52) – ein Wunder für Grundschulkinder, ZNT 7 (2001), 59-67. J. Leonhardt-Balzer, Wie kommt ein Reicher in Abrahams Schoß? (Vom reichen Mann und armen Lazarus) – Lk 16,19-31, in: R. Zimmermann et al. (Hg.), Kompendium der Gleichnisse Jesu, Gütersloh 2007, 647-661. N. Mette, Befreiende Bibellektüre. Eine Herausforderung für die hiesige Bibeldidaktik – am Beispiel der Bartimäus-Perikope (Mk 10,46-52), in: G. Lämmermann et al. (Hg.), Bibeldidaktik in der Postmoderne, FS K. Wegenast, Stuttgart 1999, 219-227.
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Jesu Hunger nach Erfüllung der Zeit (Die Verfluchung des Feigenbaums) Mk 11,12-14.20-25 (12) Und am folgenden Tag, als sie hinausgingen von Betaniën, hungerte ihn. (13) Und als er von ferne einen Feigenbaum sah, der Blätter hatte, kam er, ob er wohl etwas an ihm fände, und wie er zu ihm kam, fand er nichts außer Blätter. Es war nämlich nicht die Zeit der Feigen. (14) Und antwortend sprach er zu ihm: »Bis in Ewigkeit soll von dir niemand mehr eine Frucht essen.« Und seine Jünger hörten es. … (20) Und als sie in der Frühe vorbeikamen, sahen sie den Feigenbaum, vertrocknet von den Wurzeln her. (21) Und Petrus, der sich erinnerte, sagt zu ihm: »Rabbi, sieh, der Feigenbaum, den du verflucht hast, ist vertrocknet.« (22) Und antwortend sagt Jesus zu ihnen: »Habt Glauben an Gott. (23) Amen, ich sage euch, dass jeder, der diesem Berg sagt: ›Werde emporgehoben und werde geworfen ins Meer‹, und wenn er in seinem Herzen nicht zweifelt, sondern glaubt, dass geschieht, was er sagt, dann wird es ihm sein. (24) Darum sage ich euch: Alles, worum ihr betet und bittet, glaubt, dass ihr es erhaltet, und es wird euch zuteil. (25) Und wenn ihr hintretet zum Beten, vergebt, wenn ihr etwas gegen jemanden habt, damit auch euer Vater in den Himmeln euch eure Verfehlungen vergibt.«
Sprachlich-narratologische Analyse Die kleine Geschichte von der Verfluchung des Feigenbaums Mk 11,12-14 steht unmittelbar nach Jesu Einzug in Jerusalem 11,1-11, mit dem die markinische Passionserzählung einsetzt. Sie ist Jesu einzige Wundertat während seiner letzten Lebenstage in und um Jerusalem. Jesus, der von Betfage und Betaniën aus in Jerusalem einzieht, in den Tempel geht und sich, wie Markus wohl im Hinblick auf die Tempelaktion betont, »ringsum alles ansieht« (11,11), kehrt abends nach Betaniën zurück, um am folgenden Tag wieder zum Jerusalemer Tempel zurückzukehren, nun nicht bloß schauend, sondern handelnd, indem er die Verkäufer im Tempel hinaustreibt und die Tische der Geldwechsler umstößt (11,15). Die inhaltliche Verzahnung der Fluchepisode mit der Tempelaktion ist erzählerisch auch dadurch gegeben, dass das Ergebnis der Verfluchung des Feigenbaums erst nach Jesu Auftreten im Tempel geschildert wird (11,20). Die Feststellung des Petrus, dass der Feigenbaum verdorrt sei, leitet über zu einer Jüngerbelehrung Jesu über Glauben und Vergebungsbereitschaft (11,23-25). Die Szene von der Verfluchung des Feigenbaums findet auf dem Weg Jesu zwischen Betaniën und Jerusalem statt. Zeitlich erstreckt sich die Geschichte von der Verfluchung über den Verlauf von zwei Tagen (vgl. V. 12 t–» ¥paÐrion te¯ epaurion – am folgenden Tag, V. 19 ¤vff opse – abends, und V. 20 prw pro¯i – frühmorgens). Die Figurenkonstellation von 11,12-14 ist durch das Gegenüber von Jesus und dem Feigenbaum bestimmt. Die 371
Die Wundererzählungen im Markusevangelium
Jünger Jesu werden in einer Partizipialwendung nur beiläufig als Begleiter Jesu erwähnt. Die Schlussnotiz, dass sie das Fluchwort Jesu über den Baum mithörten, kennzeichnet sie als Zeugen, die aus Handlung und Wort Jesu offensichtlich die richtigen Schlüsse ziehen sollen, womit sie als Brücke zum Leser fungieren. Eine Schlüsselrolle nimmt der Feigenbaum ein, der Jesus, wie man fast meinen möchte, als handelnde und leidende Person gegenübersteht. Wie zahlreichen Menschen begegnet Jesus hier einem Feigenbaum. Die Bemerkung, dass Jesus hungerte (nicht die Jünger!), dürfte keine historische Reminiszenz sein, sondern dient lediglich als Aufhänger der Geschichte. Der hungernde Jesus sieht den Feigenbaum, geht auf ihn zu, um Früchte zu suchen, findet aber keine. Wie in der Berufungsgeschichte Mk 2,14 geht es um eine Begegnung, in der Jesus die Initiative ergreift und von seinem Gegenüber etwas erwartet. Ziel ist es hier wie dort, zu suchen, um zu finden (2,17; 11,13). Der Feigenbaum soll nach der Erwartung Jesu ähnlich wie der Zöllner Levi Frucht bringen. Die Begegnung gipfelt in einem Wort Jesu, mit dem er den Feigenbaum »antwortend« direkt anspricht, um ihn fehlender Früchte wegen verflucht. Vor dem Hintergrund von 2,17a und zahlreicher Heilungswunder Jesu straft Jesus mit dem Feigenbaum auch die Lesererwartung. Formkritisch lässt sich das Wort Jesu an den Feigenbaum als unbedingte Unheilsankündigung oder, da das Unheil sehr bald eintrifft, als Verfluchung bestimmen. Die zeitlich unbegrenzte Terminierung »bis in Ewigkeit« und die fehlende conditio für die Verwünschung untermauern die Autorität Jesu. Zur Optativform f€goi (phagoi – man möge essen) und der Nähe zu den Klage- und Weherufen vgl. unten.
Sozial- und realgeschichtlicher Kontext Besonders der Satz »denn es war nicht der kair@ (kairos – die Zeit) der Feigen« gibt Anlass, nach den naturgegebenen Eigenschaften des Feigenbaums zu fragen. Die Sentenz Mark Aurels, dass »im Winter Feigen suchen Torheit sei« (Marc. Aurel. 11,33), legt nahe, dass die Suche Jesu nach Feigen auch dem antiken Leser merkwürdig vorgekommen sein wird. Die zahlreichen antiken und rabbinischen Quellen ergeben ein komplexes Bild mit einer wenig einheitlichen Terminologie (vgl. Böttrich 1997, 337-339, mit weiterer Lit.). Wachstum und Ertragszeiten hängen wesentlich von Klima und Baumsorte ab. So sind etwa 100 Feigenarten bekannt, die zwei- oder auch dreimal im Jahr Ertrag bringen. Der Feigenbaum kann nicht nur zur Hauptreifezeit im Sommer Frucht tragen, sondern schon im Frühjahr. Diese mit den ersten Blättern heranreifenden und im Mai oder Juni zur Vollreife gelangenden Früchte gelten als besonders wohlschmeckend. Legt man diese botanische Gegebenheit der Geschichte zugrunde, wird die Motivation Jesu begreiflich, an einem Baum, der im Frühjahr schon Blätter treibt, nach ersten Früchten zu schauen.
Traditions- und religionsgeschichtlicher Hintergrund Eine theologische Symbolik lässt sich mit einer ganzen Reihe von Motiven der kleinen Geschichte verbinden, allererst mit dem Feigenbaum. Insbesondere alttestamentliche Propheten greifen darauf zurück (Telford 1980, 128-175). In Mi 7,1-6 leitet der Prophet seine Drohrede über Israel mit den Worten ein: »Weh mir! Es geht mir wie nach der 372
Jesu Hunger nach Erfüllung der Zeit Mk 11,12-14.20-25
Obsternte, wie bei der Nachlese im Weinberg: Keine Traube ist mehr da zum Essen, keine von den Frühfeigen, die mein Herz begehrt« (weitgehender Vergleich mit Mk 11 bei Robin 1961/62, 276-281). Nach Jer 8,13 will Gott Feigen ernten, findet aber keine und bestellt daher Verwüster für den fruchtlosen Baum. Die Verbindung der markinischen Feigenbaumgeschichte mit der Tempelreinigung lässt auch an Jer 7 denken, die Tempelrede des Propheten, aus der Mk 11,17 zitiert (Jer 7,11; Doeve 1954/55, 297-308). Das Zorneswort über »die Feldbäume und die Früchte des Bodens« (Jer 7,20) ist allerdings zu allgemein gehalten, als dass ein Bezug zum markinischen Feigenbaumfluch wirklich nahe läge. Wichtiger ist, dass der Feigenbaum im Alten Testament häufig als Metapher für Segen und Wohlergehen oder in der Umkehrung für das Strafgericht Gottes über das Land dient (Joel 1,7; Am 4,9; Hos 2,14; Jes 28,4; Jer 5,17; 8,13 u. ö.). Der Feigenbaum wird zwar mit Ausnahme von Joel 1,7 nicht direkt als Metapher für Israel gebraucht, doch ist die Vernichtung des Feigenbaums ein Bild für das Gericht über Israel als Gottesvolk. Eine dezidiert eschatologische Note eignet dem Bild des Feigenbaums in Mk 13,28-29 und Lk 13,6-9, allerdings mit unterschiedlicher Akzentsetzung. So ist der Blätter treibende Feigenbaum in Mk 13, wo er ausdrücklich als parabolffi (parabole¯ – Parabel) empfohlen wird, Zeichen der nahen und sicher hereinbrechenden Endzeit (Dormeyer 2007, 370 f.). In Lk 13 dagegen ist der Feigenbaum ohne Ertrag, weswegen ihm eine Frist zum Fruchttragen gesetzt wird, nach der sich sein Schicksal entscheidet. Bleibende Unfruchtbarkeit brächte ihm Vernichtung (Gruber 2007, 582-585). Die direkte »Ansprache« und Verfluchung des Baumes lässt auch an einen magischen Hintergrund und die Gattung der antiken Fabel denken, die Spuren auch im jüdischen Raum hinterlassen haben (von Gemünden 1993, 43-45). Besonders die Achikarfabel (syrAch 135) und die der Jotamfabel nachempfundene Rangstreitfabel der Bäume (EstR 25) bringen eine ethisch-religiöse Fragestellung zum Ausdruck, in der der rechte Gottesbezug thematisiert wird. Eine Beeinflussung der markinischen Baumgeschichte ist allerdings kaum wahrscheinlich. Auch auf pagane Vorstellungen ist hinzuweisen. In der Antike allgemein verbreitet ist die Verbindung von Bäumen mit Herrschern und deren Einflussbereich (Telford 1991, 264-304). Im Symbolkodex des römischen Kaiserkults galt das Wachsen von Bäumen als gutes Omen, ihr Welken als schlechtes für das Herrscherhaus (Plut. Rom. 20,5-7). Besondere Verehrung genoss die ficus Ruminalis, unter der Romulus und Remus von einer Wölfin gesäugt sein sollen. Ihr Absterben auf dem Comitium 58 n. Chr. wurde als unheilvolles Vorzeichen betrachtet (Tac. ann. 13,58). Insofern Auftreten und Basileia-Verkündigung Jesu im Markusevangelium fast durchgehend vor der Folie römischer Machtansprüche lesbar sind, macht es daher Sinn, den Fluch über den Feigenbaum als eschatologischen Herrschaftswechsel zu lesen (von Gemünden 1993, 48 f.). Die kontextuell und traditionsgeschichtlich motivierte eschatologische Symbolik des Feigenbaums wird auch von dem Begriff des kair@ (kairos) unterstützt (Giesen 1976, 105). Dieser kann den naturgesetzlichen Zeitpunkt der Feigenreife, ebenso aber eine eschatologisch qualifizierte Zeit bezeichnen. Für Markus ist der kair@ (kairos) die Zeit der Entscheidung und der Umkehr zum Glauben (1,14 f.; 13,33), weiter die Zeit, in der Gott von den Weinbergpächtern die Früchte einfordert (12,2). Mit Jesu letzten Tagen in Jerusalem ist der kair@ (kairos) der Entscheidung für oder wider Jesus gekommen. Für den Feigenbaum, der (noch) keine Früchte trägt, ist es aber zu spät. 373
Die Wundererzählungen im Markusevangelium
Verstehensangebote und Deutungshorizonte Hermeneutisch entscheidend sind offenbar das rätselhafte Sätzchen, dass kein kair@ (kairos) für Feigen war (V. 13), und das nicht weniger rätselhafte Fluchwort Jesu über den Feigenbaum. Will dies noch historisch gelesen sein oder hat der Erzähler eine symbolische Aussage im Sinn? (1) Die Annahme von Frühfeigen am Baum macht die Suche Jesu nach Früchten verständlich, erklärt aber noch nicht den Erzählkommentar über den fehlenden Kairos. Dieser wird daher meist als Glosse bestimmt. Danach könnte er die Funktion gehabt haben, das ursprünglich nicht zur Passionsgeschichte gehörende Geschehen in diese einzuordnen (Smith 1960, 315-327; zu weiteren Deutungen vgl. Hiers 1968; Romaniuk 1975; Cotter 1986). Nicht leicht ist auch die Deutung des Fluchwortes. Als Fluch- und Strafwunder gelesen ist die Geschichte inhaltlich und gattungsmäßig singulär in der synoptischen Jesusüberlieferung. So hält Jesus in Lk 9,51-56 Abstand zu einer Strafaktion, wie sie seine Jünger im Falle der Samariter wünschen. Diskutiert wird daher eine Rückübersetzung des griechischen Textes Mk 11,14 ins Aramäische, die von der Beobachtung ausgeht, dass eine traditionsgeschichtliche Verwandtschaft zwischen alttestamentlichen Fluchformeln und alttestamentlichen Weherufen besteht (Schottroff 1969, 112-120) und sprachlich von der Doppeldeutigkeit der aramäischen Wendung lfkaj al l’ j’kwl (nicht wird essen oder nicht soll essen) motiviert ist. Das Wort Jesu an den Feigenbaum könnte so als eine Klage über Jerusalem verstanden werden (Cortès 1968, 60). Erster Zeuge dieser Lesart wäre Lukas, der die Feigenbaumgeschichte durch die Klage ersetzt hätte (Lk 19,41-44). Im Licht der nahenden Ereignisse könnte Jesus also der noch nicht Frucht tragende Feigenbaum genügt haben, um die nun kurz bevorstehende Stunde der Entscheidung ins Bewusstsein seiner Jünger zu rücken: »Nun, so wird niemand mehr von dir Frucht essen können«. Die Unvereinbarkeit Jesu mit einem Fluchwort ist allerdings keineswegs zwingend. Das Bild des allzeit friedfertigen Heilands durchziehen auch andere Töne. In der Logientradition sind Weherufe über Ortschaften überliefert (Lk 10,13-15 par. Mt 11,21-23) und besonders im Markusevangelium wird Jesus als zornig (3,5), ablehnend (7,27; 8,33) und ungeduldig (9,19) vorgestellt. K. Berger, der die Feigenbaumgeschichte mit Mk 2,23-28; 11,1-6 und 14,3-11 zusammenstellt, spricht von einem »nicht titular begründbaren und schlechthin ärgerlichen Anspruch Jesu« (Berger 1994, 50). Vorsicht gegenüber einem domestizierten Jesusbild ist auch aus Sicht der Religionsgeschichte geboten, deren Befund einer vorschnellen Ethisierung der Machtwirkung einer Gottheit und ihres Repräsentanten entgegensteht (Speyer 1984, 136). Eine ethische Rationalisierung des göttlichen Handelns muss dort ihre Grenzen erkennen, wo eine theologia negativa mit Betonung der absoluten Andersartigkeit Gottes im Recht bleibt. Der Sitz des Feigenbaumwortes im Leben Jesu ist sicher zuerst im Rahmen seiner Sendung und Reich-Gottes-Verkündigung zu suchen, der wesentlich ein prophetischer und eschatologischer Horizont eignet, welcher auf eine symbolische Deutung der Feigenbaumgeschichte verweist. Viel Plausibilität besitzt die Deutung der Verfluchung als eine prophetische Zeichenhandlung zur Ansage des Gerichts (Münderlein 1963, 88-104; Trautmann 1980, 337-343). Es fehlt zwar ein Deutewort, doch scheint dieses nicht unbedingt notwendig, da zumindest den Jüngern als den Zeugen des Geschehens die von dem 374
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Vollmachtsanspruch Jesu gestellte Entscheidungssituation seines Jerusalemer Aufenthaltes deutlich gewesen sein dürfte (vgl. die Berufung des Elischa 1Kön 19,19-21). Der vielfältige symbolisch-semiotische Horizont kann schon für die Intention Jesu bestimmend gewesen sein. So können die Früchte des Feigenbaums für den Glauben Israels stehen, insbesondere für die jüdischen Instanzen, die Jesus in Jerusalem nach dem Leben trachten. Das Verdorren des Baumes kann aber auch einen Machtwechsel im Kontext des römischen Machtanspruchs anzeigen. (2) Die markinische Rezeption und Redaktion verstärkt das symbolische Verständnis der Geschichte als performative Gerichtsankündigung durch ihre kompositionelle Verknüpfung mit der Tempelreinigungsszene und der Winzerparabel (12,1-12). Ob der Evangelist den Feigenbaum eindeutig identifiziert wissen wollte – mit dem Tempel, mit Jerusalem, mit Israel oder mit einem Teil davon (Kienle 1991, 17-25) –, muss offen bleiben, da die Bildsemantik keine eindeutige Zuordnung erlaubt. Die von der markinischen Synchronie intendierte Sinnrichtung wird dadurch bestimmt, dass der Erzähler die Verfluchung des Feigenbaums trotz seiner engen Verzahnung mit Jesu Protest gegen den Tempelkult nicht allein als mahnendes Gerichtszeichen vorstellt, sondern in der nachfolgenden Jüngerbelehrung als trostvolles Glaubenszeichen aufbaut. Damit bricht er dem Bild vom unnachgiebigen, ja grausamen Gerichtspropheten Jesus die Spitze. Nicht das drohende Strafgericht, sondern der Zuspruch eines Berge versetzenden Glaubens und der Versöhnung Gottes hat das letzte Wort. Inwieweit der Evangelist mit der Verfluchung des Feigenbaums die Brücke vom wundertätigen Herrn der Natur (4,39 u. ö.) zum gekreuzigten Messias schlägt, mag offen bleiben. (3) Auch einer heutigen kerygmatisch-theologischen Auslegung bietet das Stichwort »Glauben« einen guten hermeneutischen Schlüssel für diese alles in allem doch eher abständige Wundergeschichte. Die Aufforderung Jesu »Habt Glauben an Gott« (˛cete pfflstin qeo‰ echete pistin theou 11,22) fordert damals wie heute in gleicher paränetischer Strenge dazu auf, den messianischen Anspruch Jesu als Herzenssache (¥n t–» kardffla en te¯ kardia 11,23) zu bedenken und mit Glauben, Bittgebet und Versöhnungsbereitschaft zu beantworten. Diese Jüngerbelehrung macht im Kontext der Tempelperikope deutlich, dass nun die Gemeinde Jesu Christi der Ort des Gebetes und der Sündenvergebung ist. Insbesondere der von Jesus artikulierte wunderwirkende Gottesglaube ist ekklesiologisch transparent. Der von jedem »Christgläubigen« geforderte Bekehrungsglaube, wie er in den markinischen Berufungsgeschichten vorausgesetzt ist, geht hier mit einem unbedingten Vertrauensglauben einher, der in dem Gott Jesu den mächtigen Lenker von Welt und Geschichte findet.
Aspekte der Parallelüberlieferung und Wirkungsgeschichte Der erste Rezipient der Feigenbaumgeschichte ist der Evangelist Matthäus. 21,18-22 nimmt zwei wichtige Änderungen vor. Die Tempelreinigung trennt nicht mehr den Fluch von der Feststellung der Verdorrung, sondern steht der Feigenbaumgeschichte voran. Die Verdorrung geschieht nicht irgendwann später, sondern »auf der Stelle« (paracr»ma parachre¯ma 21,19). Weiter hat Mt den änigmatischen Begründungssatz von dem fehlenden Kairos für Feigenfrüchte ausgelassen. Zusammen mit dem Wechsel von der Optativzur Konjunktivform (gffnhtai gene¯tai statt f€goi phagoi) in dem Fluchwort entsteht so 375
Die Wundererzählungen im Markusevangelium
eine Steigerung in der Zielstrebigkeit Jesu und im Wunderhaften der Szene. Die erstaunte Rückfrage der Jünger, die Augenzeugen des Mirakels sind, führt zu einer engen erzählerischen Verknüpfung mit den Worten vom Berge versetzenden Glauben. In der Auslegungsgeschichte dominiert bis in die Neuzeit eine symbolische Auslegung, die den Baum als Typos oder Metapher für Israel versteht (Gnilka 2008b, 125126). Der Gegenwart freilich drängen sich verstärkt schöpfungstheologische Fragen auf. So wird der verdorrte Feigenbaum zur Mahnung an eine Welt, die von Gott nichts mehr erwarten mag, dafür lieber selbst an die Natur Hand anlegt, um sie auszubeuten und als menschliche Lebensgrundlage zu vernichten. Wie nie zuvor scheint das biblisch-prophetische Zeichen des verdorrten Feigenbaums auch angesichts weltweiter, apokalyptische Ausmaße annehmenden Naturkatastrophen Wirklichkeit geworden.
Rainer Schwindt Literatur zum Weiterlesen C. Böttrich, Jesus und der Feigenbaum Mk 11:12-14,20-25 in der Diskussion, NT 39 (1997), 328-359. D. Dormeyer, Mut zur Selbstentlastung (Von der selbstständig wachsenden Saat) – Mk 4,26-29, in: R. Zimmermann et al. (Hg.), Kompendium der Gleichnisse Jesu, Gütersloh 2007, 318327. S. E. Dowd, Prayer, Power, and the Problem of Suffering: Mark 11:22-25 in the Context of Markan Theology, SBL.DS 105, Atlanta 1988. P. v. Gemünden, Die Verfluchung des Feigenbaums Mk 11,13 f.20 f., WuD 22 (1993), 39-50. M. Gruber, Gerichtskonsequenz oder Gnadenchance? (Der unfruchtbare Feigenbaum), in: R. Zimmermann et al. (Hg.), Kompendium der Gleichnisse Jesu, Gütersloh 2007, 579586. W. R. Telford, The Barren Temple and the Withered Tree. A redactional-critical analysis of the Cursing of the Fig-Tree pericope in Mark’s Gospel and its relation to the Cleansing of the Temple tradition, JSNT.S 1, Sheffield 1980.
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III. Die Wundererzählungen im Matthäusevangelium
Hinführung Quellenlage und Textauswahl Geschichten über den Wundertäter Jesus kommen Matthäus aus seiner Überlieferung breit gestreut zu. Er kennt sie – die Zwei-Quellen-Theorie vorausgesetzt – aus seinen beiden Hauptquellen, dem Markusevangelium und der Redenquelle Q. Darüber hinaus bietet das Evangelium drei Wundergeschichten ohne Parallelen in der synoptischen Überlieferung. Ein genauerer Blick zeigt: Von den 18 Wundererzählungen, die das Markusevangelium nach der Zählung des Kompendiums kennt, hat Matthäus 15 übernommen. Es fehlen der Exorzismus in Kafarnaum (Mk 1,21-28) und die Heilung eines Blinden in Betsaida (Mk 8,22-26). Diese zweite Geschichte, die intensive, an magische Praktiken erinnernde Manipulationen Jesu am Kranken schildert, übergeht auch Lukas. Zudem wird die Heilung eines Tauben und Stummen aus Mk 7,31-37 zu einem Summarium umgestaltet (Mt 15,2931). Zur Erklärung wird einerseits vermutet, Matthäus habe die Wundergeschichten in Mk 7,31-37 und 8,22-26 ausgelassen, weil er theologische Leitgedanken seiner Wunderinterpretation (Christologie, Glaube, Jüngerschaft) in ihnen nicht wiederfinden konnte (Held 1975, 198 f.). Andere verstehen die Auslassungen im Zusammenhang mit dem Zurückdrängen dämonischer und magischer Motive, das auch an anderen Stellen nachgewiesen werden kann (Böcher 1988, 18-21; Kollmann 2011, 128). Zwei Wundergeschichten, die gewöhnlich der Redenquelle Q zugeordnet werden, hat Matthäus über Markus hinaus mit Lukas gemeinsam. Die längere von beiden – über die Heilung des Jungen eines Hauptmanns in Kafarnaum (Mt 8,5-13) – ist auch aus dem Johannesevangelium bekannt. Die andere Wundergeschichte aus Q ist hinsichtlich des erzählten Ereignisses, ein Exorzismus, sehr knapp (Mt 12,22-30). Der Schwerpunkt liegt auf einem Streitgespräch über den Ursprung der exorzistischen Macht Jesu (›Beelzebul-Kontroverse‹). Dieses Streitgespräch, nicht aber den vorausgehenden Exorzismus, kennt in einer Variante auch das Markusevangelium (Mk 3,22-30). Matthäus hat in seinem Text Q-Überlieferung und Mk-Überlieferung miteinander verwoben. Unter den Geschichten ohne synoptische Parallelen fällt Mt 9,27-34 auf. Die hier erzählten Heilungen von zwei Blinden und einem stummen Besessenen machen einen eigentümlich gedoppelten Eindruck, da große Ähnlichkeiten zur Heilung der beiden Blinden in Jericho (Mt 20,29-34) bzw. zum Exorzismus eines anderen stummen (und blinden) Besessenen (Mt 12,22-30) bestehen. In erzählerischer Hinsicht sind Mt 9,2731 und 9,32-34 je eigenständige Wundergeschichten. Wird nach den Quellen gefragt, so gehen viele Kommentare davon aus, der Evangelist habe die anderen beiden Geschichten als Vorlagen verwendet und Mt 9,27-34 neu geschaffen. Matthäus hätte dann – verkürzt gesprochen – Wunder Jesu »erfunden«, d. h. Ereignisse im Rahmen seiner literarischen Gestaltung des Evangeliums fingiert. Die dritte Erzählung (Mt 17,24-27) dürfte Matthäus aus seinem Sondergut zugekommen sein. Sie hat eine außerkanonische Parallele in EpAp 12 f. Näheres dazu im Rahmen der Besprechung dieses Textes. Insgesamt liegen im Matthäusevangelium also – nach der Zählung des Kompendiums – 20 Wundergeschichten vor. Hinzu kommen summarische Erwähnungen des Wunderwir379
Die Wundererzählungen im Matthäusevangelium
kens Jesu sowie Texte, die v. a. in Gesprächen zwischen Figuren der Evangeliumserzählung das Wunderwirken Jesu reflektieren. Eine Auswahl von 14 der 20 Wundergeschichten wird im Folgenden analysiert und interpretiert. Dazu gehören selbstverständlich die Sonderguttexte. Für die weiteren Texte waren verschiedene Kriterien leitend: (1) große Eigenständigkeit im Vergleich mit den Parallelen – oder aus diachronischer Perspektive formuliert: intensive redaktionelle Bearbeitung durch Matthäus; (2) das Ziel, in einer gewissen Breite die Motive resp. Untergattungen von Wundergeschichten abzudecken: Heilungen, Exorzismen, Normenwunder, Geschenkwunder, u. a.; (3) das Ziel, die verschiedenen Wunderkompositionen, die Matthäus geschaffen hat, zu repräsentieren. Den Summarien und reflektierenden Texten soll im Rahmen dieser Hinführung ein knapper, orientierender Blick gelten.
Form der Wundergeschichten Matthäische Wundergeschichten zeigen einen charakteristischen Erzählstil, d. h. sie haben in gewissem Rahmen eine für das Evangelium typische sprachliche Form. Eine Reihe wichtiger Beobachtungen auf diesem Feld hat Heinz Joachim Held in seiner 1960 erstmals veröffentlichten Dissertation zu »Matthäus als Interpret der Wundergeschichten« gemacht (Held 1975, 155-234). Sie sind von anderen weitergeführt worden (Theißen 1998, bes. 175-189; Hull 1974, 116-141). – Matthäus zeigt, wie bei anderen Textgruppen seines Evangeliums auch, eine formelhafte Erzählweise: So sind z. B. die Einleitungen der Geschichten wiederholt mit prosffrcomai (proserchomai – herankommen) und prosfffrw (prosphero¯ – herbeibringen) und in charakteristischen Partizipkonstruktionen formuliert; am Schluss findet sich mehrfach die Feststellung, der Kranke sei geheilt »von jener Stunde an« (Mt 8,13; 9,22; 15,28; 17,18); in thematisch ähnlichen Situationen und Geschichten begegnen parallele Formulierungen (Mt 8,14 und 9,28; 8,24 und 14,24; 8,25 und 14,30; 14,18 und 17,17). – Die Personenkonstellation ist häufig auf das Gegenüber von zwei Personen konzentriert. – Das Gespräch steht im Mittelpunkt sehr vieler Wundergeschichten. – Wiederholungen und Stichwortverbindungen innerhalb der Wundergeschichte stellen sachliche Zusammenhänge heraus (z. B. in Mt 8,2 f.: »wollen«, »rein werden« oder in Mt 14,28 f.: »kommen«). In den Heilungsgeschichten gewinnen Held zufolge die letzten drei Merkmale ein besonderes Profil. Er versteht den durch die Stichwortbrücken angezeigten Zusammenhang in den Heilungsgeschichten als narrative Entfaltung des Kerngedankens »wie du geglaubt hast, so soll dir geschehen« (Mt 8,13; vgl. 9,29; 15,28). Jesus reagiert auf den in der Bitte laut werdenden Glauben, nimmt ihn auf und entspricht ihm in seinem Handeln. Das zeigt der Erzähler durch die Wiederholung der Formulierungen an. Die Konzentration der Personenkonstellation auf das Gegenüber von Bittsteller und Jesus sowie v. a. das Gespräch entsprechen dieser Pointe, indem sie den vertrauensvoll bittenden Glauben der Hilfesuchenden und seine Aufnahme durch Jesus sichtbar machen (zum bittenden Glauben auch Theißen 1998, 140 f.). Held erkennt in der Umgestaltung zum Gespräch eine Annäherung der Heilungs380
Hinführung
erzählungen an die Gattung Paradigma (nach Dibelius) bzw. Apophthegma (nach Bultmann) und beurteilt dies als charakteristisches Formmerkmal matthäischer Heilungsgeschichten. Aber nicht nur bei den Heilungen, sondern auch bei anderen Wundern sieht er eine Angleichung an den Stil des Paradigmas oder Apophthegmas, z. B. in der Jüngerbelehrung in Mt 21,18-22 oder in den Gesprächszenen der »See-Wunder« (Mt 8,23-27; 14,22-33). Ein Wunder ist für Matthäus »nicht um seiner selbst willen wichtig …, sondern auf Grund der verkündigten Aussage, die es enthält. … Darin zeigt sich positiv gesehen ein lehrhaftes Bemühen des Evangelisten« (Held 1975, 199). Gerd Theißen bestätigt in seiner Studie die Beobachtungen von Held zur formelhaften Erzählweise, widerspricht aber ihrer Interpretation als Umformung der Wundergeschichten hin zum Paradigma/Apophthegma. Sie blieben Wundergeschichten; die Formelhaftigkeit sei vielmehr Zeichen der formalen Abrundung und Geschlossenheit der Geschichten und ihres stärker episodalen Charakters (Theißen 1998, 202 f.). Hier zeichnen sich Grundfragen zum Verständnis (nicht nur) der matthäischen Wunderüberlieferung ab: Welchen theologischen Rang haben diese Geschichten als Erzählungen über Dinge, die Jesus getan hat? Und in welchem Verhältnis stehen die Geschichten über Wundertaten zur Wortüberlieferung? In redaktionskritischer Perspektive fällt auf, dass Matthäus seine markinischen Vorlagen in vielen Fällen erheblich kürzt – oder wie Theißen formuliert: auf eine einfachere Kompositionsstruktur reduziert. Diese Kürzungen sind als Konzentration der Geschichten auf ein bestimmtes sachlich-theologisches Thema hin zu verstehen und – auf diesem Wege – als Mittel zur Interpretation der Wundergeschichten durch Matthäus zu bewerten (Held 1975, 158-182; Theißen 1998, 176-180). Leitend ist dabei sicher ein christologisches Interesse. So ist beispielsweise die stark bearbeitete Erzählung von der Austreibung der Dämonen in Gadara (Mt 8,28-34 par. Mk 5,1-20) auf den Gedanken konzentriert, dass Jesus die Dämonen überwindet. Das bei Markus darüber hinaus sichtbare Interesse am Besessenen, etwa an seiner Not oder seinem Wunsch, Jesus nachzufolgen, tritt völlig zurück. Welche weiteren theologischen Themen durch die von Kürzung oder Straffung gekennzeichnete Bearbeitung herausgestrichen werden sollen, ist umstritten (z. B. Glaube oder Jüngerschaft). Häufiger wird auch vermutet, Matthäus tilge gezielt magische und dämonologische Züge in den Geschichten (z. B. Hull 1974, 116-141; Böcher 1988; Trunk 1994). Das Motiv der »Ent-Dämonisierung« und »Ent-Magisierung« dürfte einerseits wiederum mit der Christologie zusammenhängen: Jesus wirkt mit der überlegenen Vollmacht seines Wortes; das Interesse am Ringen mit dem Dämon und an den dabei nötigen Mitteln ist gering, statt Austreibungen von Dämonen werden Heilungen von Besessenen erzählt (vgl. Böcher 1988, 22; Trunk 1994, 236-238). Andererseits wird eine Abgrenzung des Matthäus gegen bestimmte Kreise in seiner Gemeinde vermutet, die sich durch prophetisch-charismatisches Auftreten, Wunder und Exorzismen profilieren (vgl. Mt 7,21-23; dazu Böcher 1988, 22-24 und vor allen Trunk 1994, 213229; 238 f.). Soll Jesus zudem auch gegen den von außen geäußerten Verdacht der Magie in Schutz genommen werden (vgl. Trunk 1994, 229-235; Kollmann 2011, 128)? Dieser Vorwurf wird Jesus z. B. im Talmud (bSan 43a) oder vom Christentumskritiker Celsus (Or. Cels. 1,38 u. ö.) gemacht und könnte auch im Umfeld des Matthäusevangeliums bekannt gewesen sein. Die Tendenz zu kürzen schließt allerdings keineswegs gezielte interpretierende Einschübe in die Erzählungen aus. Das wohl markanteste Beispiel ist die Einfügung der Petrusszene in die Seewandel-Erzählung, die so verstärkt zu einer Jünger- und Nachfolge381
Die Wundererzählungen im Matthäusevangelium
Geschichte wird (Mt 14,22-33, hier V. 28-31); weitere Beispiele sind Zusätze in zwei Wundergeschichten, durch die Matthäus die Israel-Heiden-Thematik verdeutlicht (Mt 8,11 f. und 15,23 f.).
Komposition Matthäus verdichtet nicht nur das erzählte Geschehen in den einzelnen Wunderberichten, er konzentriert offenbar auch die ihm bekannten Wundergeschichten in bestimmten Passagen seines Evangeliums; sie erscheinen hier zwar jeweils verbunden mit anderen Texten, aber doch auffällig gehäuft. Ein genauerer Blick zeigt, dass über eine bloße Häufung hinaus von einer Komposition der Wundergeschichten zu größeren Einheiten auszugehen ist. (Eine Übersicht zur Komposition einschließlich der Summarien und besprechenden Texte bei Fiederlein 1988, 31-33; vgl. auch Knoch 1993, 539-543.) Sehr markant geschieht dies zum ersten Mal in den Kapiteln 8-9 (zu Mt 8-9 monographisch zuletzt Vledder 1997; Pasala 2008). Vor diesen Kapiteln wird das Wunderwirken Jesu zwar bereits erwähnt (4,23 f.), es finden sich aber noch keine ausgeführten Wundererzählungen. Die Wundergeschichten in Kapitel 8-9 erscheinen als Gegenstück zur ersten großen Lehrrede Jesu in Mt 5-7, der so genannten ›Bergpredigt‹. Dieser Eindruck entsteht nicht allein, weil Matthäus im Anschluss an die Rede nun gehäuft Wundergeschichten erzählt. Hinzu kommt die Rahmung von Kapitel 5-9 durch zwei sehr ähnlich formulierte Summarien in 4,23 und 9,35, die beide Blöcke wie eine Klammer zusammenzuschließen scheinen. Die Beobachtung der beiden Blöcke – Rede und Wundergeschichten – führt zu zwei weitergehenden Fragen. Die erste richtet sich auf die Struktur von Kapitel 8-9: Gibt es einen planmäßigen Aufbau? Die Vorschläge gehen von verschiedenen Beobachtungen aus und führen zu sehr unterschiedlichen Ergebnissen (vgl. Davies/Allison 1991, 1-4). Für die Vorschläge spielen einerseits interne Kriterien eine Rolle: die Zahl und die Gruppierung der Wundergeschichten selbst sowie die Texte, mit denen sie in Kapitel 8-9 verbunden sind. Hinsichtlich der Zahl ist umstritten, ob 9,18-26 als eine Wundergeschichte zu zählen ist oder als zwei, ob also insgesamt neun oder zehn Wundergeschichten vorliegen. Das Material aus Mt 8-9, das sich nicht dem Wunderwirken Jesu widmet, ist thematisch überwiegend dem Thema Jüngerschaft/Nachfolge zuzuordnen. Andererseits werden Gliederungsprinzipien an die Rede angelegt und darin wiedergefunden, die von »außen« gewonnen sind: aus dem Kontext von Kapitel 8-9 (z. B. eine an 4,15 orientierte geographische Gliederung, ein Aufbau in Analogie zur Bergpredigt Kapitel 5-7) oder aus dem literaturgeschichtlichen Umfeld (etwa ein Bezug zu den zehn Wundern des Mose in Ägypten [Ex 7-12], ein Aufbau nach dem Muster eines antiken Dramas). Es gibt auch den Versuch, Teile der Kapitel jeweils mit bestimmten Themen zu verknüpfen (insbes. Christologie, Jüngerschaft, Glaube). Diese Idee von H. J. Held wurde wiederholt aufgegriffen und variiert, hat aber zu keinem konsensfähigen Ergebnis geführt. Die zweite Frage richtet sich auf die kompositionelle Funktion der Kapitel 8-9 in ihrem Kontext. Durch das Gegenüber zu Mt 5-7 legt sich der Gedanke nahe, Matthäus wolle hier nach der ersten großen Lehrrede Jesu nun exemplarisch auch dessen Handeln zeigen (z. B. Schniewind 1968, 36; Grundmann 1990, 110). Das Wirken Jesu in Wort und (Wunder-)Tat ist im nachfolgenden Evangelium dann die Voraussetzung für die Aussen382
Hinführung
dung der Jünger, die nach dem Vorbild Jesu das nahe Himmelreich verkünden, Dämonen austreiben und Kranke heilen (Kapitel 10). Später knüpft auch die Frage des Täufers Johannes, ob Jesus »der Kommende« sei, an das in Mt 8-9 Erzählte an: Sie wird durch die Nachricht von »den Taten des Christus« (11,2) ausgelöst und von Jesus mit Verweis auf seine Heilungen und Totenerweckungen beantwortet (11,5). Dass sich aus einer solchen christologischen Lektüre der Sinn von Mt 8-9 erschließt, ist allerdings keineswegs unumstritten. Alternativ oder ergänzend wird ins Spiel gebracht, die Komposition sei ekklesiologisch ausgerichtet und erschließe sich erst, wenn erkannt werde, dass hier Themen der Gemeinde, ihre Existenz und Situation im Blick sind und behandelt werden (Burger 1973; Luz 1987; Vledder 1997). Begründet wird diese auf die Kirche transparente Deutung mit der redaktionellen Bearbeitung der einzelnen Wundergeschichten durch Matthäus und mit der Komposition von Mt 8-9 (s. u.). Die weiteren »Wunderblöcke« sind weniger auffällig, scheinen aber dennoch mehr zu sein als zufällige Häufungen: Kapitel 12 zeigt sich steigernde Konflikte um Jesus. Matthäus bietet in diesem Kapitel passend zwei Wundergeschichten, in denen das Wunder Anlass zu Streitgesprächen bietet (12,9-14; 12,22-30), zudem ein thematisch abgestimmtes Summarium (12,15-21) sowie eine Zeichenforderung der Pharisäer, die Jesus zurückweist (12,38-42). Nach der Gleichnisrede über das Himmelreich in Kapitel 13 greift die fragende und ablehnende Reaktion der Menschen in Jesu Heimatstadt Nazaret (13,5358, insbes. V. 54: »Woher hat dieser die Weisheit und die Machttaten?«) nicht nur die Rede, sondern auch die Konflikte um sein Wunderwirken noch einmal auf. Jesus tut dort wegen des Unglaubens nur wenige Wunder (13,58). Das Thema Konflikte und Anfeindungen gegen Jesus hält danach weiter an. Jesus reagiert darauf mit Rückzug (14,13; 15,21; 16,4). Die Gegenbewegung zu diesem Rückzug ist die Zuwendung Jesu zur Volksmenge, die ihm trotz seiner Rückzugsbewegung weiter nachfolgt. Diese Zuwendung wird in den Summarien (14,34-36; 15,29-31), aber auch in den beiden Speisungswundern (14,13-21; 15,32-39), deren Empfänger jeweils die Volksmenge als ganze ist, sichtbar. Das Thema »Zuwendung zur Volksmenge« spiegelt (und problematisiert) auf ihre Art schließlich auch die Heilung der Tochter einer kanaanäischen Frau, die Jesus zunächst verweigert mit dem Argument, er sei zu den verlorenen Schafen des Hauses Israel gesandt (15,21-28). In Mt 16,5-12 nimmt Jesus in seinen Worten mehrere Szenen der zurückliegenden Abschnitte seit 14,13 noch einmal auf (nämlich die Seewandel-Erzählung [über das Stichwort Kleinglaube], die beiden Streitgespräche mit den Pharisäern und die beiden Speisungswunder) und ebnet zugleich den Weg zum Petrusbekenntnis in 16,13-20. Auch dies spricht für gezielte Kompositionsarbeit des Evangelisten.
Summarien und besprechende Texte Nicht nur die einzelnen Wundergeschichten, auch die Summarien und die besprechenden Texte, d. h. Texte, in denen über das Wunderwirken Jesu geredet und reflektiert wird, leisten einen Beitrag zum matthäischen Bild des Wundertäters Jesus und zur theologischen Deutung der Wunder Jesu im Matthäusevangelium. Summarien füllen Lücken der erzählten Zeit zwischen jenen Szenen des Wirkens Jesu, die der Erzähler näher betrachtet. Sie raffen größere Zeiträume und Ereigniszusam383
Die Wundererzählungen im Matthäusevangelium
menhänge der erzählten Zeit auf wenige Sätze zusammen und können auf diese Weise Akzente im Bild dessen, was Jesus üblicherweise und regelmäßig tut, setzen. Sofern sie dabei Erzählmotive aufgreifen, die auch in den Wundergeschichten selbst vorkommen, tragen sie im Zusammenwirken mit den Wundergeschichten zur Typisierung des Bildes vom Wundertäter Jesus bei (vgl. Theißen 1998, 205-207). In dieser Funktion stellen die matthäischen Wunder-Summarien Folgendes heraus: Die Summarien bestätigen den Eindruck stereotyper Erzählweise. Matthäus wiederholt auch hier Formulierungen, einige kommen in fast allen Summarien vor. Die Wundersummarien des Matthäusevangeliums sind genauer als Heilungssummarien zu kennzeichnen. Mit einer Ausnahme ist stets davon die Rede, dass Jesus »heilt« (qerapeÐw therapeuo¯). Ein Summarium ist stattdessen passiv und mit dem Verbum dias†ðzw (diaso¯zo¯ – pass.: gerettet/gesund werden) formuliert (14,36). Nur einmal wird »heilen« durch »mit dem Wort Geister austreiben« ergänzt (8,16), sonst steht es stets allein, um Jesu Tun zu bezeichnen. Jesus heilt Krankheit in jeder Form. Matthäus verwendet meist allgemeine Ausdrücke, um das Kranksein und die Gebrechen der Menschen zu beschreiben: Krankheit (nso@ nosos), Schwäche (malakffla malakia), krank sein (kak@ ˛cw kako¯s echo¯), schwach/krank (˝rrwsto@ arro¯stos). Manchmal werden symptomorientierte »Diagnosen« genannt: je zweimal Blinde, Lahme, je einmal Besessene, Mondsüchtige, Gelähmte, Verkrüppelte, Stumme. Blinde und Lahme bilden nicht nur bei Matthäus ein Paar (noch 11,5; vgl. 18,8 f.), sondern auch sonst in der biblischen Literatur (2Sam 5,6-8; Ijob 29,15; Jer 31,8 u. ö.) und können prototypisch für Menschen mit Krankheiten und Gebrechen stehen (vgl. Balz 1992, 1177 f.). Die Summarien zeigen ein umfassendes Heilen Jesu. Wiederholt wird explizit betont, Jesus heile jede Krankheit und jede Schwäche bei denen, die zu ihm kommen oder gebracht werden (4,23; 8,16; 9,35; 12,15; 14,35 f.). Dabei erwecken die Summarien den Eindruck von Massenaufläufen. Sehr häufig begegnet in den Summarien die große Volksmenge (cloi polloffl ochloi polloi), die Jesus »nachfolgt« (4,25; 12,15; 14,13; 19,2; vgl. 20,29). Jesus heilt die Kranken aus ihrer Mitte; manchmal entsteht sogar der Eindruck, das heilende Wirken gelte der Menge insgesamt (12,15-21; 19,1 f.). Wenn der Terminus »große Volksmenge« fehlt, ist von »vielen« die Rede oder wird anders der Eindruck erweckt, Jesus habe breiten Zulauf von Menschen (14,34-36), wende sich ihnen in umfassender Weise zu (9,35). Wer sind nun genau die Adressaten dieses Heilens Jesu? Das erste Summarium verwendet den theologisch besetzten Begriff la@ (laos – Volk), der an das Gottesvolk Israel denken lässt (4,23). Trotz einiger »Grenzüberschreitungen« dürfte dies insgesamt richtig sein (vgl. zum Problem Giesen 1988, 84-97). Im Hintergrund dieses umfassenden Heilens von allen Krankheiten und Schwächen im Volk könnte Dtn 7,15 stehen, wo das fürsorgende Handeln angekündigt wird, das Gott dem Volk Israel zukommen lassen wird, wenn es einst im verheißenen Land lebt. Akzente setzt Matthäus aber nicht nur durch das, was in mehreren Summarien gleich oder ähnlich ist; in etlichen Fällen sind auch die Einzeltexte im Hinblick auf die Wunder Jesu und ihr Verständnis bei Matthäus bemerkenswert. Eine Einzelexegese aller Texte ist im Rahmen dieser Hinführung nicht leistbar. Hinweisen will ich zum einen auf das Motiv des Mitleids oder Erbarmens, das nach 9,36 und 14,14 Jesus dazu bewegt, sich den Menschen zuzuwenden. Die Zuwendung wird realisiert, indem er die Jünger aussendet, um Dämonen auszutreiben und »jede Krankheit und jede Schwäche« zu heilen 384
Hinführung
(10,1), bzw. indem er selbst die Kranken heilt (14,14). Hier ergibt sich ein wichtiger Baustein zum Bild des Wundertäters Jesus bei Matthäus, das sich in den Wundergeschichten mit der Sicht des heilenden Jesus als »Sohn Davids« verbindet (20,29-34; vgl. 9,27; 12,23). Zum anderen nutzt Matthäus in zwei Fällen die Summarien, um ein Erfüllungszitat einzubringen, also aus der Erzählerperspektive das Wunderwirken Jesu zu kommentieren (8,17; 12,17-21). Durch beide Erfüllungszitate wird das Wirken Jesu im Lichte des jesajanischen Gottesknechtes gedeutet (Jes 53,4 bzw. 42,1-4). Als solcher »nimmt« und »trägt« er nach 8,17 »unsere« Schwachheit und Krankheit – und d. h. für Matthäus wohl: Er bringt Schwachheit und Krankheit fort aus der Mitte des Volkes Israel (Schnackenburg 1991, 212 f.). Schwieriger ist das Zitat aus Jes 42,1-4 in Mt 12,18-21 zu deuten. (18) Siehe, mein Knecht [oder: Kind], den [das] ich erwählt habe, mein Geliebter, an dem meine Seele Wohlgefallen hat. Ich werde meinen Geist auf ihn legen, und das Recht wird er den Völkern verkünden. (19) Nicht streiten noch schreien wird er, und nicht hören wird man auf den Gassen seine Stimme. (20) Geknicktes Rohr wird er nicht zerbrechen und glimmenden Docht wird er nicht auslöschen, bis er das Recht zum Sieg geführt hat. (21) Und auf seinen Namen werden Völker hoffen.
Auf den ersten Blick besteht unmittelbar eine Korrespondenz zwischen der Tatsache, dass Jesus auf die Todfeindschaft der Pharisäer mit Rückzug aus der Öffentlichkeit reagiert (12,14-16), und dem Zitatteil V. 19. Da das Zitat jedoch viel zu lang erscheint, wenn es nur um diesen einen Vers ginge, werden Versuche unternommen, auch die anderen Teile des Zitats (V. 18 und 20-21) in die Interpretation einzubeziehen. Im Kontext des Matthäusevangeliums lassen sich sowohl der Geist, den Gott auf seinen Knecht bzw. sein Kind legt (pa…@ païs kann beides heißen), als auch sein Auftrag im Hinblick auf die Völker (V. 18) sehr gut mit dem matthäischen Jesus verbinden, insbesondere mit der Tauferzählung am Anfang und der Jüngeraussendung zur Mission unter den Völkern am Ende des Evangeliums (3,16 f.: Sohn, Geist, geliebter, Gefallen finden bzw. 28,19: Völker). Die Beschreibung seines Auftretens (V. 19 f.) wird z. B. im Sinne von gütigem, erbarmungsvollem Heilswirken aufgefasst (Schnackenburg 1991, 219) oder auf Geduld, Gewaltlosigkeit, Friedfertigkeit, Güte und Liebe Jesu gedeutet (Luz 2007, 247). Bietet das Reflexionszitat damit eine Gesamtdeutung des Wirkens Jesu, in die das Wunderwirken Jesu einbezogen werden kann? Auch dieses ist von Mitleid und Zuwendung zum Volk Israel geprägt, geschieht kraft des Geistes Gottes (vgl. 12,28), ruft den Widerstand der Gegner Jesu hervor und wird auf ein Wirken Jesu über die Grenzen Israels hinaus transparent (vgl. 8,5-13; 15,21-28). Die kompositionelle Funktion von 4,23-25 und 9,35-38 ist oben schon angesprochen worden. Das beachtliche Summarium Mt 15,29-31 wird im Zusammenhang mit Mk 7,31-37 analysiert. Das letzte der Heilungssummarien platziert Matthäus dann markant im Tempel von Jerusalem (21,14), so dass das Wunderwirken Jesu im Matthäusevangelium bis an diesen zentralen Ort Israels reicht. Im synoptischen Vergleich der Summarien mit Markus ist knapp zu notieren: Die 385
Die Wundererzählungen im Matthäusevangelium
stereotypen Elemente sind in vielen Fällen redaktionell. Und: Matthäus schafft mehrere Summarien neu (14,14; 15,29-31; 21,14) oder bringt das Heilen Jesu in Summarien ein, die dies bei Markus nicht enthalten (Mt 9,35 diff. Mk 6,6; Mt 19,1-2 diff. Mk 10,1). Zu den Summarien kommen die besprechenden Texte hinzu. Besprochen und reflektiert wird dort das Wunderwirken Jesu v. a. durch Figuren der erzählten Welt. Der Erzähler des Evangeliums selbst hält sich mit Kommentierungen sehr zurück. Eine Ausnahme sind die beiden Erfüllungszitate in den Summarien (s. o.). Besprechende Texte tauchen im Evangelium verstärkt ab Kapitel 10 und 11 auf. Kapitel 10 nimmt im Rahmen der Aussendungsrede das heilende und exorzistische Wirken der Jünger in den Blick, zu dem Jesus sie bevollmächtigt (10,1). Thematisiert wird in diesem Zusammenhang die Frage nach den Adressaten von Verkündigung und Wunderwirken der Jünger; sie sind zu den verlorenen Schafen des Hauses Israel gesandt und ausdrücklich nicht zu Heiden und Samaritern (10,5 f.). Der weitere Verlauf der Rede deutet an, dass die Jünger mit ihrem Tun auch auf Ablehnung stoßen werden. Beides, die Adressatenfrage wie die Reaktion der Menschen, spielt auch im Hinblick auf den Wundertäter Jesus eine Rolle. Ab Kapitel 11 begegnen dann Auseinandersetzungen mit dem und Stellungnahmen zum Wunderwirken Jesu (vgl. Theißen 1998, 210 f.). Der Blick der Menschen, die Zeugen der Wunder Jesu sind, richtet sich dabei vielfach auf seine Person, d. h. auf den Wundertäter. Ob Jesus der »Kommende« sei, lässt der Täufer Johannes ihn fragen (11,2 f.) und Jesus antwortet ihm mit Verweis auf die Heilungen und Totenerweckungen, die er vollbringt (11,5); selig sei, wer an ihm, Jesus, keinen Anstoß nehme (11,6). Die Volksmenge fragt sich, ob Jesus der Sohn Davids ist (12,23). Herodes hält ihn für den auferstandenen Täufer (14,1 f.). Auch jene, die fordern, »wir wollen von dir (⁄p so‰ apo sou) ein Zeichen sehen«, oder die Jesus am Kreuz verspotten, weil er anderen geholfen hat und sich nun selbst nicht helfen kann (27,42), verraten diesen Blick, der wegen der Wunder auf die Person Jesu gerichtet ist. Immer wieder zeigt sich jedoch, dass hinter der Frage nach der Person Jesu letztlich die Frage nach der Macht steht, die in ihm und durch ihn wirksam ist. Die Gedanken der Pharisäer, Jesus treibe Dämonen in der Macht Beelzebuls aus (12,24), oder die Frage der Menschen in Nazaret »Woher hat er dies alles?« (13,56) machen es explizit (vgl. 21,23 nach 21,14-16). Auch in der Forderung nach einem Zeichen »vom Himmel« (16,1), mit dem Jesus sich legitimieren solle, klingt diese Perspektive an. Im Spiegel der besprechenden Texte zeigt sich dabei: Die Wunder Jesu müssen im Zusammenhang der Königsherrschaft Gottes und des von ihm gewirkten eschatologischen Heils verstanden werden. Für die Exorzismen und in Erwiderung auf den Beelzebul-Vorwurf spricht Jesus dies deutlich aus: »Wenn ich im Geist Gottes die Dämonen austreibe, ist also das Reich Gottes zu euch gekommen« (12,28). Auch bei der Aussendung der Jünger steht der Auftrag, Dämonen auszutreiben und Kranke zu heilen, unmittelbar neben dem Befehl, das nahe Himmelreich zu verkünden (10,7 f.). An weiteren Stellen wird der Zusammenhang indirekt sichtbar. Jesus antwortet etwa auf die beiden Zeichenforderungen mit dem Vorwurf, hier fordere ein »böses und ehebrecherisches Geschlecht« ein Zeichen (12,39; 16,4). Ehebruch gehört in das Metaphernfeld, das in der biblischen Sprache den Bund zwischen JHWH und seinem Volk beschreibt (Hos 3,1; Ez 16,38; 23,45 u. ö.). Auf eine Anfrage an ihn selbst antwortet Jesus also mit einem Vorwurf, der auf das Gottesverhältnis zielt. Nach 11,21 hätten die Machttaten Jesu in den 386
Hinführung
Städten Galiläas ein Umkehren (metanoffw metanoeo¯) auslösen sollen (vgl. 11,20-24 insgesamt) – eine Vokabel, die in den Zusammenhang der Reich-Gottes-Verkündigung gehört (3,2; 4,17). Die Anklänge an jesajanische Formulierungen in der Antwort auf die Täuferfrage (Mt 11,5: Jes 26,19; 35,5 f.) oder die Seligpreisung der Jünger, weil sie Ohrenund Augenzeugen (!) jenes Geschehens werden, das Propheten und Gerechte ersehnt haben (13,16 f.), lassen ebenfalls an einen Zusammenhang zwischen dem gegenwärtigen Wunderwirken Jesu und dem von Gott gewirkten eschatologischen Heil denken (vgl. Giesen 1988). Im Rahmen der matthäischen Wundergeschichten spielt der Glaube eine zentrale Rolle. In den besprechenden Texten kommen die Stichworte »glauben« (pisteÐw pisteuo¯) oder »Glaube« (pfflsti@ pistis) nicht vor, nur einmal in 13,58 das negative »Unglaube« (⁄pistffla apistia). Dieser Befund könnte kennzeichnend sein. Die besprechenden Texte sind für Matthäus augenscheinlich ein wichtiges Mittel, um auch die Kehrseite des Zusammenhangs von Glaube und Heilung zu zeichnen. Wo die vertrauensvolle Zuwendung zu Jesus fehlt, kommt die sonst so betont allen geltende Zuwendung Jesu nicht an ihr Ziel (vgl. 13,58), dort wird die heilvolle Nähe zerstört, die zwischen dem Messias und seinem Volk besteht (11,6; 12,30; 16,4), und es droht das Gericht (11,20-24; 12,31-37.41 f.).
Zur theologischen Deutung der Wunder Jesu im Matthäusevangelium In den vorausgehenden Überlegungen sind schon wichtige Bausteine für das theologische Verständnis der Wunder Jesu im Matthäusevangelium sichtbar geworden. Es gilt nun, sie etwas zu bündeln und zumindest ansatzweise mit den Wundererzählungen zu verknüpfen. Damit soll die Auslegung der Einzeltexte weder festgelegt noch begrenzt, sondern ein Gesamtblick auf das Verständnis der Wunder Jesu im Matthäusevangelium umrissen werden. Das christologische Bild des Wundertäters Jesus im Matthäusevangelium ist in seinem Grundzug spannungsvoll zwischen zwei Polen angelegt. Einerseits zeigen sich hier zweifellos Macht und Vollmacht Jesu: Auf sein Wort hin weichen Krankheit (8,8 f.13), Sturm (8,26 f.) oder Dämonen (8,32). Magischer Mittel bedarf er nicht. Er heilt alle Krankheiten im Volk. Sein Wirken ruft Staunen oder Erschrecken hervor (8,27.33; 9,8; 14,33) und zieht breite Massen an. »Noch nie geschah so etwas in Israel« (9,33). Die Begegnung mit der Macht ruft die Frage nach ihrem Ursprung hervor: Hinter dem Wunderwirken Jesu steht die Macht Gottes. Andererseits ist das Wunderwirken mindestens ebenso deutlich Ausdruck der barmherzigen Zuwendung Jesu zum Volk. Das machen die Summarien in ihrer Schilderung der Interaktion Jesu mit dem Volk und mit ihrem Grundverständnis des Wunderwirkens Jesu als Heilen sichtbar, das fangen die Wundergeschichten z. B. mit dem Betonen der Bitte und ihrer Erhörung oder mit Geschenkwundererzählungen ein, deren Adressat die Volksmenge ist (14,13-21; 15,32-39). Summarien und Wundergeschichten gemeinsam ist das Motiv des Mitleids oder Erbarmens (mit verschiedenen Vokabeln ausgedrückt in 9,27.36; 14,14; 15,22.32; 17,15; 20,30.31; vgl. Held 1975, 246-252). Die Wunder Jesu sind Ausdruck seiner Sendung zu den verlorenen Schafen des Hauses Israel (15,24; vgl. 9,35-10,1). Der Macht Jesu und seiner Zuwendung, die in den Wundern sichtbar werden, entsprechen auf der Seite der Adressaten Glaube und Nachfolge, aber auch Unglaube und 387
Die Wundererzählungen im Matthäusevangelium
Konflikte. Glaube wird zunächst und v. a. in den Wundergeschichten selbst thematisiert – explizit (8,10.13.26; 9,22.28; 14,31 u. ö.) oder durch narrative Elemente wie z. B. die Betonung des Dialogs zwischen Jesus und den Hilfesuchenden oder metaphorisch deutbare Blindheit (9,27-31; 20,29-34). Das Thema Nachfolge spiegelt sich seltener in den Wundergeschichten (20,34, vgl. 8,15), ist durch die Jesus nachfolgende Menge in den Summarien sowie teilweise durch den Kontext, in dem die Wundergeschichten stehen (v. a. Mt 8-9), präsent. Dem Themenfeld Konflikte sind bestimmte Wundergeschichten (z. B. 9,1-8.32-34, 12,9-14.22-30; vgl. auch 8,11-12; 21,18-22[?]) und v. a. die erzählte Reaktion auf das Wunderwirken Jesu zuzuordnen. Die verschiedenen Antworten auf die Wunder Jesu sind zumindest teilweise auf die Leserinnen und Leser hin transparent. Das gilt insbesondere für die Modelle des Vertrauens-, Gebets- oder Kleinglaubens, die Matthäus in den Wundergeschichten anbietet (s. u.). Die theologische, christologische und heilsgeschichtliche Dimension der Reaktionen auf die in Jesus geschehenden »machtvolle[n] Zeichen der messianischen Heilszeit« (Giesen 1988, 104) erschließen v. a. die besprechenden Texte von der Täuferfrage über die Beelzebul-Kontroverse, die Zeichenforderungen oder die Seligpreisung der Jünger bis zur Vollmachtsfrage und zur Verspottung Jesu am Kreuz. Selig ist, wer an Jesus keinen Anstoß nimmt (11,6), sondern glaubt und sich durch Jesu Zuwendung heilen lässt. Die beschriebene Polarität von Macht und Zuwendung spiegelt sich auch in den christologischen Titeln, die im Umfeld des Wunderwirkens begegnen. An einzelnen Stellen erscheint Jesus in Wundergeschichten als Sohn Gottes; hier klingt der Machtaspekt an, etwa wenn ihn von Dämonen Besessene (8,29) oder die Jünger nach seinem Gang über den See (14,33) so anreden. Ähnlich bringt die »Herr«-Anrede in Wundergeschichten die Autorität und Macht Jesu zum Ausdruck, mag hier auch die Verwendung zwischen respektvoller Anrede und Hoheitstitel schwanken (vgl. z. B. 8,6.25; 9,28; 14,28.30). Die Zuwendung verbindet sich besonders mit der Anrede Jesu als Sohn Davids (9,27; 12,23; 15,22; 20,30 f.; vgl. Konradt 2007, 41-52). Matthäus schätzt den Titel (vgl. nur 1,1), nur einmal hat seine Verwendung in den Wundergeschichten eine Parallele im Markusevangelium (Mk 10,47 f.). Der Titel markiert Jesus als den heilenden Messias des Volkes Israel (zur Diskussion um den Hintergrund der Verbindung Duling 1978; Baxter 2006; Konradt 2007, 43-45) und korrespondiert mit den zahlreichen Szenen, die die Zuwendung Jesu zur Volksmenge und ihren Kranken zeigen. Höhepunkt und Abschluss bilden die Heilungen des Davidssohnes im Jerusalemer Tempel (21,14 f.), dem »Haus« Gottes (21,13) und religiösen Zentrum des Volkes Israel. Daneben ist auch die Zuordnung des heilenden Jesus zum Knecht Gottes beachtlich (Schnackenburg 1991). Sie nimmt sowohl den Gedanken der Zuwendung (v. a. 8,17) als auch die Konflikte um Jesu Taten in den Blick (v. a. 12,17-21). In ihrer Deutung der Konflikte ist die GottesknechtMotivik auch noch einmal für die Sicht des machtvollen Wundertäters Jesus relevant. Im Vergleich zum Markusevangelium fällt das Zurücktreten des Geheimnismotivs im Matthäusevangelium auf. Es dient bei Markus der Zuordnung des Wunderwirkens zum Verständnis Jesu als dem gekreuzigten Messias und wehrt einer triumphalistischen Sicht des Wundertäters. Aus dem Zurücktreten bei Matthäus kann nicht geschlossen werden, der mächtige Christus gewinne Oberhand. Vielmehr ordnet Matthäus das Wunderwirken in die Konfliktgeschichte, die am Kreuz endet, ein: Es wird in das Licht der Texte vom heilwirkenden, friedfertigen, leidenden Gottesknecht/-kind gestellt (vgl. Kollmann 2011, 127); der helfende Messias und Davidssohn wird am Kreuz verspottet (27,38-44). 388
Hinführung
Wichtig ist im Hinblick auf die matthäische Christologie schließlich die Frage, in welchem Maße der Wundertäter Jesus zugleich der Erhöhte und inmitten der nachösterlichen Gemeinde Gegenwärtige ist (vgl. 18,20; 28,20; zum Immanuel-Motiv Luz 1993, 42-46), der nicht nur in der Vergangenheit, sondern auch jetzt noch den Kranken Heilung schenkt (vgl. Held 1975, 252-257; Luz 2007, 67 f.). Das leitet über zu einem weiteren Kerngedanken der Interpretation matthäischer Wundergeschichten. In verschiedener Hinsicht wird in der Forschung vorgetragen, dass die matthäischen Wundergeschichten eine besondere Transparenz auf die Gegenwart der Leserinnen und Leser des Evangeliums besitzen (vgl. Luz 1987; 2007, 65-68). Der Gedanke kommt auf verschiedenen Ebenen zum Tragen. Zunächst lässt sich für einzelne Wundergeschichten aufzeigen, dass sie die Jünger und ihren Glauben ins Zentrum rücken, so dass sie Modelle für die Jüngerinnen und Jünger späterer Generationen werden. Prominenteste Beispiele sind die beiden »See-Geschichten« (8,23-27; 14,22-33). Heinz Joachim Held (1975, 272-276) hat darüber hinaus den bittenden Glauben der Notleidenden, den Matthäus in vielen Heilungsgeschichten in den Vordergrund stellt, als Muster für den Gebetsglauben der Christinnen und Christen gelesen. Hier werden grundlegende Formmerkmale der matthäischen Wundergeschichten (die Konzentration auf das Gegenüber von Jesus und Bittsteller, die Betonung des Gesprächs zwischen ihnen und das Hervorheben des Zusammenhangs zwischen Bitte und folgendem Geschehen durch Stichwortwiederholungen) zum Ansatzpunkt einer »transparenten« Lektüre. Besonderes Gewicht hat die Frage der Transparenz für die Jünger resp. die Kirche im Hinblick auf Mt 8-9. Sehr pointiert ist von einer »Gründungslegende der christlichen Kirche« gesprochen worden (Burger 1973, 287). In diesem Fall spielt über die genannten Transparenzsignale hinaus auch die Komposition des Matthäusevangeliums eine wesentliche Rolle, um die Durchsichtigkeit herzustellen: Matthäus verbindet Wundergeschichten in Kapitel 8-9 mit Texten zum Thema Nachfolge und bindet sie durch die Rahmung in 4,23 und 9,35 mit der Bergpredigt zusammen (Mt 5-7), deren Thema die bessere Gerechtigkeit der Jüngerinnen und Jünger Jesu (5,20), d. h. die Lebensführung der Christen ist. Weiter bringt das Evangelium die Gegenwart der Gemeinde ins Spiel, indem Jesus seine Jünger aussendet, Kranke zu heilen und Dämonen auszutreiben (10,1). Die Anweisungen der Aussendungsrede (Mt 10,5-42) machen dabei deutlich: Hier ist keineswegs nur oder in erster Linie an die Jüngerinnen und Jünger der ersten Generation gedacht (vgl. auch Mt 17,19 f.). Schließlich sind auch jene Wundergeschichten, die eine Heilung von Nichtjuden erzählen (8,513; 15,21-28), Elemente der Transparenz, insofern sie als Vorschein der Mission und des von Jesus kommenden Heils unter den Völkern gelesen werden können, die die Abschlussperspektive des Matthäusevangeliums bilden (Mt 28,16-20). Die verschiedenen Formen der Transparenz sind durch die matthäische Immanuel-Christologie, d. h. durch den Leitgedanken, dass Jesus das personifizierte Mit-Sein Gottes mit den Menschen nicht nur war, sondern bleibend ist, unterfangen.
Christian Münch
389
Die Wundererzählungen im Matthäusevangelium
Grundlegende Literatur zu den Wundererzählungen im Matthäusevangelium O. Böcher, Matthäus und die Magie, in: L. Schenke (Hg.), Studien zum Matthäusevangelium, FS W. Pesch, Stuttgart 1988, 11-24. G. Bornkamm, Jesu Vollmacht in seinen Taten (Mt 8,1-9,43), in: ders., Studien zum Matthäusevangelium, hg. v. W. Zager, WMANT 125, Neukirchen-Vluyn 2009, 243-288. C. Burger, Jesu Taten nach Matthäus 8-9, ZThK 70 (1973), 272-287. H. Giesen, Jesu Krankenheilungen im Verständnis des Matthäusevangeliums, in: L. Schenke (Hg.), Studien zum Matthäusevangelium, FS W. Pesch, Stuttgart 1988, 79-106. R. Glöckner, Überlieferung und Deutung der Wunder Jesu im Matthäusevangelium, Praedica Verbum 89 (1984), 289-300. H. J. Held, Matthäus als Interpret der Wundergeschichten, in: ders./G. Bornkamm/G. Barth, Überlieferung und Auslegung im Matthäusevangelium, WMANT 1, Neukirchen-Vluyn 71975, 155-287. J. M. Hull, Hellenistic magic and the synoptic tradition, SBT 2/28, London 1974. U. Luz, Die Wundergeschichten von Mt 8-9, in: G. F. Hawthorne/O. Betz (Hg.), Tradition and Interpretation in the New Testament, FS E. E. Ellis, Grand Rapids/Tübingen 1987, 149165. S. Pasala, The »Drama« of the Messiah in Matthew 8 and 9. A study from a communicative perspective, EHS XIII.866, Bern 2008. R. Schnackenburg, »Siehe da mein Knecht, den ich erwählt habe« (Mt 12,18). Zur Heiltätigkeit Jesu im Matthäusevangelium, in: L. Oberlinner/P. Fiedler (Hg.), Salz der Erde – Licht der Welt. Exegetische Studien zum Matthäusevangelium, FS A. Vögtle, Stuttgart 1991, 203222. D. Trunk, Der messianische Heiler. Eine redaktions- und religionsgeschichtliche Studie zu den Exorzismen im Matthäusevangelium, HBS 3, Freiburg i. Br. 1994. E.-J. Vledder, Conflict in the miracle stories. A socio-exegetical study of Matthew 8 and 9, JSNT.S 152, Sheffield 1997.
390
Wunder im Matthäusevangelium Nr. Mt-Faden
Titel
Parallelstellen
4,23-25
Summarium
1
8,1-4
Nicht nur rein, auch gesund (Heilung eines Aussätzigen)
2
8,5-13
Glaube und Fernheilung (Der Hauptmann von Kafarnaum)
Mk 3,10-11; Lk 6,17b-19 Mk 1,40-45; Lk 5,12-16; P.Egerton 2, Frgm. 1; P.Köln 255 Q 7,1-10; Lk 7,1-10; Joh 4,46-54
3
8,14 f.
Heilung der Schwiegermutter des Petrus Summarium
8,16 f. 4
8,23-27
5
8,28-34
6
9,1-8
7
9,18-26
8 9 10
11
12
Schiffbruch im Kleinglauben (Die Stillung des Sturms) Böses flieht (Die Heilung der Besessenen von Gadara) Die Heilung eines Gelähmten und vieler Erstarrter (Die Heilung eines Gelämten)
Mk 1,29-31; Lk 4,38 f. Mk 1,32-34; Lk 4,38-42 Mk 4,35-41; Lk 8,22-25 Mk 5,1-20; Lk 8,26-39 EpAp 5,9 f. Mk 2,1-12; Lk 5,17-26; Joh 5,1-18 EvNik 6 Mk 5,21-43; Lk 8,40-56; EpAp 5,4-7; EvNik 7 vgl. Mk 10,46-52; 3,22 vgl. Q 11,14-26; Lk 18,35-43; 11,14 f.
Auch Frauen sind Wunder wert (Die Heilung der blutflüssigen Frau und Auferweckung der Tochter eines Synagogenvorstehers) 9,27-34 Begegnungen mit dem Davidssohn oder vgl. 20,29-34; Vertrauen macht sehend 12,22-24 (Die Heilung zweier Blinder und eines Stummen) 9,35 Summarium Mk 6,6b; Lk 8,1 10,1.8 Sendung der Jünger Mk 6,7; Lk 9,1 f. 11,5 Antwort auf die Täuferfrage Lk 7,22 11,20-24 Weherede über Städte in Galiläa Lk 10,13-15 12,9-14 Schau den Menschen an! Mk 3,1-6; (Der Kranke mit der ›verdorrten Hand‹) Lk 6,6-11; EvNaz 4 EpAp 5,3 12,15-21 Summarium Mk 3,7-12; Lk 6,17-19 12,22-30 Der umstrittene Exorzist Q 11,14 f.17-22. vgl. 9,32-34 (Jesu Macht über die bösen Geister) 24-26; Lk 11,14-23; vgl. Mk 3,22-30
davon kommentiert im Kompendium Hinführung Mt Mk 1,40-45; P.Egerton 2, Frgm. 1
Q 7,1-10; Mt 8,5-13; Lk 7,1-10; Joh 4,46-54 Mk 1,29-31; Lk 4,38 f. Lk 4,38 f. Mk 4,35-41; Mt 8,23-27 Mk 5,1-20; Mt 8,28-34 Mk 2,1-12; Lk 5,17-26; Joh 5,1-18 Mk 5,21-43; Mt 9,18-26; Lk 8,40-56 Mt 9,27-34
Hinführung Mt Hinführung Mt Hinführung Mt Hinführung Mt Mk 3,1-6; Mt 12,9-14; EvNaz 4 Hinführung Mt Q 11,14 f.17-22. 24-26; Lk 11,14-23; Hinführung Mk
391
Die Wundererzählungen im Matthäusevangelium Nr. Mt-Faden 12,38-42 12,43-45
13,16 f. 13,53-58 14,1f. 13
14,13-21
14
14,14 14,22-33
15
14,34-36 15,21-28
16
15,29-31 15,32-39
17 18
19
16,1-4 16,5-12 17,14-20 (21) 17,24-27 19,1f. 20,29-34 vgl. 9,27-31
21,14 20
21,18-22
21,23-27 27,38-44
392
Titel
Parallelstellen
Zeichenforderung (Jona-Zeichen)
Lk 11,16.29-32 vgl. Joh 6,30 Gleichnis von der Rückkehr des unreinen Lk 11,14-23 Geistes Seligpreisung der Jünger, die Augen- und Lk 10,23f. Ohrenzeugen sind Jesus in seiner Vaterstadt Mk 6,1-6a Lk 4,16.22.24 Urteil des Herodes über Jesus Mk 6,14-16 Lk 9,7-9 Jesus sättigt ganz Israel Mk 6,30-44; (Die Speisung der Fünftausend) Lk 9,10-17; Joh 6,1-15; EpAp 5,14 f. Summarium Lk 9,11 Jenseits der Komfortzone Mk 6,45-52; (Jesu Erscheinen auf dem See) Joh 6,16-25; EpAp 5,11 Summarium Mk 6,53-56 Das Heil an den Rändern Israels Mk 7,24-30 (Die kanaanäische Frau) Summarium Mk 7,31-37 Der Mensch lebt nicht vom Brot allein, es Mk 8,1-10 darf noch Fisch dazwischen sein (Die Speisung der Viertausend) Zeichenforderung Mk 8,11-13 Unverständige Jünger Mk 8,14-21 Warum nicht gleich so? Mk 9,14-29 (Heilung eines mondsüchtigen Jungen) Lk 9,37-43a Steuersünder mit Angellizenz EpAp 5,12 f. (Die Zahlung der Tempelsteuer) Summarium Mk 10,1 Erhellende Begegnung Mk 10,46-52; (Die Heilung von zwei Blinden bei Lk 18,35-43; Jericho) Joh 9,1-41; EvNik 6 Summarium vgl. Mk 11,15-19; vgl. Lk 19,45-48 Der verdorrte Feigenbaum und das Bitt- Mk 11,12-14.20-25 gebet (Die Verfluchung eines Feigenbaums) Vollmachtsfrage Mk 11,27-33; Lk 20,1-8 Verspottung Jesu Mk 15,29-32; Lk 22,35-43
davon kommentiert im Kompendium Hinführung Mt Q 11,14 f.17-22. 24-26 Lk 11,14-23 Hinführung Mt Hinführung Mt Hinführung Lk Hinführung Mt Mk 6,30-44; Mt 14,13-21; Lk 9,10-17; Joh 6,1-15 Hinführung Mt Mk 6,45-52; Mt 14,22-33; Joh 6,16-25 Hinführung Mt Mk 7,24-30; Mt 15,21-28 Mk 7,31-37 Mk 8,1-10
Hinführung Mt Hinführung Mt Mk 9,14-29; Mt 17,14-20(21) Mt 17,24-27 Hinführung Mt Mk 10,46-52; Mt 20,29-34; Joh 9,1-41 Hinführung Mt Mk 11,12-14.20-25; Mt 21,18-22 Hinführung Mt Hinführung Mt
Glaube und Fernheilung (Der Hauptmann von Kafarnaum) Mt 8,5-13 (5) Als er [Jesus] aber nach Kafarnaum hineinkam, trat ein Hauptmann zu ihm, bat ihn (6) und sprach: »Herr, mein Junge liegt zu Hause gelähmt und leidet schreckliche Qualen.« (7) Und er [Jesus] sprach zu ihm: »Ich soll kommen und ihn heilen?!« (8) Da antwortete der Hauptmann und sprach: »Herr, ich bin nicht wert, dass du unter mein Dach gehst, aber sprich nur ein Wort, und so wird mein Junge gesund. (9) Denn auch ich bin ein Mensch unter Befehlsgewalt und habe unter mir Soldaten; und ich sage zu einem: ›Geh hin!‹, und er geht, und zu einem anderen: ›Komm her!‹, und er kommt, und zu meinem Sklaven: ›Tu das!‹, und er tut es.« (10) Als Jesus das aber hörte, war er erstaunt und sprach zu denen, die ihm nachfolgten: »Amen, ich sage euch, bei keinem in Israel habe ich solchen Glauben gefunden. (11) Aber ich sage euch: Viele werden von Osten und Westen kommen und sich zu Tisch setzen mit Abraham und Isaak und Jakob im Himmelreich, (12) aber die Kinder des Reichs werden hinausgestoßen in die äußerste Finsternis; da wird Heulen und Zähneknirschen sein.« (13) Und Jesus sprach zum Hauptmann: »Geh, so wie du geglaubt hast, soll dir geschehen.« Und sein Junge wurde in derselben Stunde gesund.
Sprachlich-narratologische Analyse Die Erzählung berichtet von der Begegnung zwischen einem Juden und einem Heiden, einem Offizier in der römischen Besatzungsarmee und einem Mann des unterstellten Volkes. Im Galiläa des 1. Jh. lässt diese Konstellation alles andere als eine glückliche Begegnung erwarten. Aber die zweite Wundergeschichte in einer Reihe von Wundererzählungen nach der Bergpredigt (Mt 5-7) enthält vieles, das eigentlich unerwartet, sogar erstaunlich ist. In dieser Wundergeschichte – eine von zwei, die Matthäus und Lukas miteinander, aber nicht mit Markus gemeinsam haben und die der wahrscheinlich traditionsgeschichtlich verwandten Geschichte in Joh 4,46b-54 ähnlich ist (Hagner 1993, 203; Landis 1994, 53-56) – kommt Jesus in die Stadt Kafarnaum und ein Hauptmann, d. h. ein Kommandant einer Hundertschaft ( katntarco@ hekatontarchos), tritt zu ihm mit einer Bitte. Überraschend und sofort beeindruckend ist einerseits, dass ein Kommandant als Bittsteller auftritt, und andererseits, dass ein Heide einen Juden um Hilfe bittet. Ob der Kommandant ein Syrer ist (so Grundmann 1990, 251), bleibt unklar, aber sicherlich handelt es sich um einen heidnischen Kommandanten, möglicherweise aus den Wachund Schutzeinheiten der Söldnertruppe des Herodes Antipas (Flav. Jos. Ant. 17,198; 18,113 f.; vgl. Luck 1993, 107; Sherwin-White 1963, 123 f.). Anders als bei Lukas werden keine vom Hauptmann gesandten Ältesten der Juden erwähnt, ebenso wenig seine Liebe für das jüdische Volk, die durch den Bau einer Synagoge zum Ausdruck kam (vgl. Lk 7,35). Somit wird dem Leser schlicht eine Begegnung zwischen Jesus und einem Heiden 393
Die Wundererzählungen im Matthäusevangelium
präsentiert. Zur Form der ganzen Erzählung bemerkte Lohmeyer, »mit solchen knappen Worten wird ein Zwiegespräch eingeleitet, das von einer fast dramatischen Kürze und Fülle ist« (Lohmeyer 1967, 157). Dieses Gespräch beginnt sofort in V. 6. Der Kommandant spricht Jesus als kÐrie (kyrie – Herr) an, eine Anrede, die in den Heilungsgeschichten mit Jesu majestätischer ¥xousffla (exousia – Vollmacht, Authorität) verknüpft ist (Davies/Allison 1991, 20). Er teilt mit, dass sein pa…@ (païs) zu Hause gelähmt liegt (b€llomai ballomai – »geworfen« als Idiom für krank liegen; vgl. Mk 7,30; Lk 16,20; Offb 2,22). pa…@ kann entweder »Sohn« oder »Diener« bedeuten. In Joh 4,51 bedeutet es »Sohn« (u @ hyios), wie V. 50 zeigt und in Lk 7,7 »Diener« (do‰lo@ doulos, vgl. V. 2). Mit der Übersetzung »Junge« wird versucht, einen gewissen Doppelklang beizubehalten (so auch Schniewind 1968, 108). Dieser Sohn oder geschätzte Diener leidet schreckliche (dein@ deino¯s nur hier bei Matthäus) Qualen, was auf eine bedrängte Lage verweist, auch wenn nicht von einer lebensgefährlichen Krankheit wie in Lk 7,2 und Joh 4,47.49 die Rede ist. Interessanterweise erwähnt der Hauptmann hier nur den Zustand seines Jungens und bittet nicht direkt um seine Heilung. Es ist nicht ganz eindeutig, ob die Antwort Jesu auf diese Bitte Zustimmung impliziert oder als eine etwas verwunderte Frage zu deuten ist. Wahrscheinlich ist sie wegen des betonten ¥gð (ego¯ – ich) und der verwandten Geschichte in Mt 15,21-28, wo Jesus die Bitte der Heidin ablehnt, als »questioning exclamation« (Nolland 2005, 355) oder »erstaunte Frage« (Bornkamm 2009b, 252) zu verstehen (Gnilka 1986, 301; Lohmeyer 1967, 157 Anm. 3; Luz 2007, 12). Somit wird dem Hauptmann – und dem Leser – bewusst gemacht, wie ungehörig aus jüdischer Sicht die Bitte um einen Besuch im Haus eines Heiden ist (France 2007, 314; vgl. Joh 18,28; Apg 10,28 f.). Wiederum anders als bei Lukas, wo jetzt vom Hauptmann gesandte Freunde zu Wort kommen, antwortet der Hauptmann selbst. Erneut mit kÐrie (kyrie) beginnend, spricht er von seiner Unwürdigkeit (vgl. die Worte des Mose in Ex 4,10LXX). Jesus soll nicht unter sein Dach kommen, sondern nur ein Wort sprechen, wodurch sein Junge gesund würde. In der Syntax sind einige Elemente bemerkenswert. Die Voranstellung des Possessivpronomens mou (mou – mein) könnte »mein Dach« betonen, möglicherweise in Resonanz mit dem betonten ¥gð (France 2007, 314; anders BDF § 473[1]). Der eher ungebräuchliche Dativus instrumentalis lg† (logo¯ – durch ein Wort) hebt lgo@ (logos) heraus und zeigt, etwas unerwartet, dass es nicht Jesu Präsenz und Handeln, sondern nur ein gesprochenes Wort sein soll, das diese Heilung bewirkt. Außer in einem Zitat aus Jesaja 6,10 (Mt 13,15) verwendet Matthäus nur hier und in 15,28, wo es sich ebenfalls um die Motivverbindung von Heiden und Heilung handelt, das Verb §€omai (iaomai – heilen). Vers 9a ist oft in der Literatur besprochen worden, da der Text die Deutung zulässt, Jesus stehe wie der Hauptmann unter Befehlsgewalt (Burchard 1993, 281-283; Zuntz 1945, 183 f.). Möglich, aber umstritten, ist, dass hier eine falsche Gräzisierung einer aramäischen parataktischen Konstruktion stattgefunden (so Jeremias 1956, 26 Anm. 98; Black 1967, 159) und die Lesart im Syrus Sinaiticus (»ein Mann, der Befehlsgewalt hat«) ein vermeintlich aramäisches Original treuer überliefert hat. Es ist aber V. 9b, der die argumentative Last trägt (France 1977, 259). So wie die Worte des Hauptmanns das erwünschte Ergebnis erbringen, kann ein Heil zusprechendes Wort Jesu die eigentliche Heilung bewirken. Die Worte des Hauptmanns bewirken ein Resultat – er gibt einen Befehl, und er wird ausgeführt. Darauf liegt das Augenmerk. In diesem Zusammenhang 394
Glaube und Fernheilung Mt 8,5-13
bringt der Hauptmann im Text seinen Glauben zum Ausdruck, dass ein Wort Jesu die ¥xousffla (exousia – Vollmacht) hat, Wunder zu vollbringen, d. h. dass Gottes vollmächtiges Wort Jesus zugeordnet wird. Als Jesus diese Aussage hört, ist er »erstaunt« (¥qaÐmasen ethaumasen). In den Evangelien wird nur in dieser Perikope (Mt 8,10//Lk 7,9) und in Mk 6,6 von Jesu Staunen berichtet. In unserer Erzählung ist er aufgrund des Glaubens, demgegenüber in Mk 6,6 wegen des fehlenden Glaubens erstaunt. Normalerweise wird bemerkt, wie andere aufgrund der Worte oder Taten Jesu erstaunt sind (vgl. Mt 8,27; 9,33; 15,31; 21,20; 22,22; 27,14). Das Staunen, das sonst meist vom Wundertäter ausgelöst wird, ist an dieser Stelle das Staunen des Wundertäters selbst. Das wahrscheinlich matthäische »Amen« leitet Worte ein, welche jetzt an die Volksmenge gerichtet sind, die ihm nach der Berpredigt folgt (vgl. Mt 8,1.10). Dies bedeutet, Jesus spricht nicht mehr mit einem heidnischen Hauptmann, sondern mit Juden. Zudem stellt diese neue Gesprächsausrichtung eine Art »Geschichte innerhalb der Geschichte« dar (Nolland 2005, 356). Die Worte »bei keinem in Israel« kann man auf der Textebene als »bei keinem von euch« deuten (Burchard 1993, 285) und somit sehen, dass Jesus nicht abstrakt über Israel spricht, sondern ganz konkret die Juden im Blick hat, mit denen er in Kontakt gekommen ist. Zudem wird hier nicht ein allgemeiner Vergleich mit Israel angestellt, der ausdrückt, so ein Glaube sei generell in Israel nicht zu finden (vgl. Lk 7,9), sondern in dieser »radikalisierten Form« (Grundmann 1990, 252) wird gesagt, dass kein Einziger in Israel gefunden werden konnte, der solch einen Glauben hatte. Hier ist also nicht nur Jesu Staunen verwunderlich, sondern auch der Grund für dieses Staunen: Jesus hat bei dem Hauptmann einen größeren Glauben gefunden als bei allen Juden in Palästina. Dieser Glaube des Hauptmanns, der nicht nur den Glauben an Jesu Vollmacht zum Inhalt hat, sondern auch den Glauben daran, dass diese Macht für ihn, einen nicht zu Israel Gehörenden, eingesetzt werden kann, führt zu einem matthäischen Einschub in V. 11-12 (vgl. Lk 13,28 f.). Anders gesagt: Das scharfe Wort in V. 10b bereitet das Logion in V. 11 f. vor (Giesen 2011, 65). V. 11 f. heben einen Kontrast zwischen zwei Gruppen hervor. Es sind einerseits »viele«, die aus dem Osten und Westen kommen werden, um mit den Patriarchen im Himmelreich zu Tisch zu sitzen. Das »von Osten und Westen kommen« wird im Alten Testament oft verwendet, um die Rückführung der Diaspora-Juden zu bezeichnen; der Kontext bei Matthäus hat allerdings einen Heiden im Blick, weswegen sich dieses Logion hauptsächlich auf Heiden bezieht (v. infra, vgl. Bird 2006, 448-454). Aus dieser Sicht repräsentiert der Hauptmann den Anfang einer Strömung, Heiden zum eschatologischen Mahl zuzulassen (Hagner 1993, 206) – die Anwesenheit Abrahams, Isaaks und Jakobs zeigt, dass dieses Mahl kein alltägliches ist (vgl. ShemR 25,8; bPes 119b). Andererseits werden die Kinder des Reichs, in diesem Kontext ganz klar Juden, hinausgestoßen in die äußerste Finsternis, einen Ort voll »Heulen und Zähneknirschen«. Diese matthäische Lieblingswendung verweist auf die eschatologische Verurteilung (vgl. Mt 13,42.50; 22,13; 24,51; 25,30). Es wird hier nicht eindeutig ausgedrückt, warum die Kinder des Reichs hinausgestoßen werden, aber durch die rahmende Erzählung und die Verbindung mit Jesu Wort über den Glauben des Hauptmanns wird deutlich, dass Gottes Volk nicht mehr durch Abstammung, sondern durch Glauben konstituiert wird (Charette 1992, 69 f.; France 2007, 319; Giesen 2011, 67). Somit wird bei Matthäus das Thema des Glaubens ins Zentrum gerückt. 395
Die Wundererzählungen im Matthäusevangelium
Es scheint, als ob der Hauptmann und der kranke Junge durch diese »Erzählung innerhalb der Erzählung« ganz vergessen worden wären, doch kehrt V. 13 zu beiden zurück. In diesem Vers wendet sich Jesus wieder dem Hauptmann zu, verabschiedet ihn mit ˜page (hypage – geh!; vgl. Mt 8,4.32 und 9,6) und kündigt an, dass ihm geschehe, so wie er geglaubt hat. Mit dieser »performative utterance« spricht Jesus das Wort, durch das der Junge gesund wird. Wegner bemerkt zu Recht, dass »zwischen der Bitte des Befehlshabers [v. 8] und ihrer Erhörung durch Jesus eine deutliche Entsprechung besteht« (Wegner 1985, 265). Wie in der Begegnung mit der Kanaaniterin (vgl. Mt 15,28) spricht Jesus hier zum Schluss erneut über den Glauben, was eine inclusio mit V. 10 bildet. Die Worte des Stamms pist- sind somit als Rahmung des Worts in V. 11 f. besonders wichtig und unterstreichen noch einmal, wie zentral der Glaube in der matthäischen Form dieser Wundergeschichte ist (vgl. Bornkamm 2009b, 256). Matthäus erzählt abschließend nur noch, dass der Knecht »in derselben Stunde« gesund wurde, ein Ausdruck, den Matthäus in ähnlicher Form auch anderswo für die sofortige Heilung verwendet (vgl. Mt 9,22; 15,28; 17,18). So gelangt man an das Ende dieser Geschichte, was auch durch das Weitergehen zum Haus des Petrus in V. 14 kenntlich gemacht wird, mit dem die nächste Wundergeschichte beginnt.
Sozial- und realgeschichtlicher Kontext In Kommentaren zum Matthäusevangelium wird oft bemerkt, dass in Mt 8-9 Menschen geheilt werden, die sich am Rand der jüdischen Gesellschaft befinden oder die ohne Macht oder Status sind. In diesen Kapiteln werden ein Aussätziger, Besessene, ein Gelähmter, eine unreine Frau, zwei Blinde usw. geheilt. In dieser Wundergeschichte ist es der Junge eines heidnischen Hauptmanns. In der Umwelt des Evangeliums kannte man »vermutlich den katntarco@ im Sinn von Centurio, der Rom oder allenfalls Vasallenkönigen diente und in der Regel kein Jude war« (Burchard 1993, 278). In der römischen Armee besetzten Centurionen »untergeordnete Befehlspositionen und wiesen gegenüber dem höheren Offizierskorps eine Besonderheit auf: sie waren nämlich Berufssoldaten« (Le Bohec 2009, 46). Innerhalb des Ranges gab es viele Abstufungen, aber allgemein führte jeder Centurio »unter Mithilfe eines Optio [der vom Centurio ausgewählte Stellvertreter] seine Männer in den Kampf und ließ sie exerzieren« (Le Bohec 2009, 46). Ein Centurio leistete mindestens zwanzig Jahre Dienst und im Durchschnitt verbrachte er dreieinhalb Jahre in einer Garnison. Obwohl ein »Hauptmann« in der neutestamentlichen Zeit ein Offizier in einer Besatzungsarmee war, der die Juden als Volk unterstellt waren, werden verschiedene »Hauptmänner«, so wie in dieser Wundergeschichte, positiv dargestellt (vgl. Mk 15,39; Lk 7,5; Apg 10 u. ö.). Allerdings geht auch aus vielen Quellen hervor, dass Rom und die so genannten Heiden von vielen in Israel negativ bewertet wurden (vgl. Jub 30; 1QM 15; 4Esr 7). Deswegen dürfte diese Geschichte beim antiken Leser ein gewisses Staunen hervorgerufen haben, denn es ist ausgerechnet der Glaube eines heidnischen Hauptmanns, der Jesus selbst erstaunt. Hier und in Mt 15,21-28 scheint Jesus sich anfänglich zu weigern, einem Heiden bzw. einer Heidin zu helfen, entscheidet sich dann aber doch wegen ihres erstaunlichen Glaubens, ihren Wunsch zu erfüllen. Obwohl das Hindernis in den Beziehungen zwischen Juden und Heiden z. B. durch Jesu Worte »Ich bin nur gesandt zu den verlorenen Schafen des Hauses Israel« 396
Glaube und Fernheilung Mt 8,5-13
(Mt 15,24) deutlich erkennbar ist, wird diese Gebundenheit durch den Glauben überwunden. Aus der matthäischen Fassung geht nicht eindeutig hervor, ob es sich um einen »Sohn« oder einen »Sklaven« handelt. Entscheidet man sich für die letztere Deutung, wird ein Element der antiken Sklaverei in dieser Perikope sichtbar. In der Wirtschaft und in den Haushalten der Antike spielten Sklaven eine wichtige Rolle. Es gab verschiedene Formen »persönlicher Unfreiheit« und »verminderter Rechtsfähigkeit«, aber trotzdem waren Sklaven der Antike nicht rechtlos (Köster 1980, 57 f.). Oft hatten sie Eherechte, Vermögensrechte und konnten auch bedingt als Zeugen vor Gericht zugelassen werden. Die wirtschaftliche Stellung der Sklaven war unterschiedlich und hing »stark von ihrer Bildung, ihrem Beruf und ihren Fähigkeiten ab« (Köster 1980, 59). Viele Sklaven übten Tätigkeiten im Haushalt aus, was möglicherweise auch für den Jungen des Hauptmanns zutraf. Im Zusammenhang mit Mt 8,5-13 sind antike Belege bemerkenswert, die eine »Zuneigung und ein echtes Mitgefühl [für einen privaten Sklaven] fassbar« machen (Hengstl 2004, 122). Ein gutes Beispiel, aber womöglich nicht sehr üblich, ist Ciceros Mitgefühl für Tiro, wenn er z. B. schreibt »Dein [Tiros] Zustand macht uns große Sorge … Sieh bitte zu, daß Du wieder gesund wirst und so bald wie möglich frisch und munter bei uns erscheinst« (Cic. fam. 16,23[8]; Kasten 1989, 927.929). Aristoteles erklärt einerseits, man könne keine Freundschaft mit einem Sklaven qua Sklave haben, denn »hier ist keinerlei Gemeinsamkeit … Der Sklave ist ein lebendes Werkzeug und das Werkzeug ein lebloser Sklave«; aber anderseits, obwohl ein Sklave nur ein beseeltes Werkzeug ist, ist es aber doch möglich, eine Freundschaft auf der gemeinsamen Basis des Menschseins aufzubauen (Arist. e.N. 8,13; Dirlmeier 1983, 186).
Traditions- und religionsgeschichtlicher Hintergrund Die Untersuchung einer rekonstruierten Q-Form und der lukanischen Version dieser Erzählung werden anderswo in diesem Band durchgeführt (vgl. Hüneburg zu Q 7,1-10 und Popp zu Lk 7,1-10 in diesem Band). Deshalb werden an dieser Stelle hauptsächlich der Hintergrund der matthäischen Form der Perikope in den Blick genommen und insbesondere V. 11-12 untersucht. Von Bedeutung jedoch ist, dass in V. 8 nur Matthäus im Vergleich zu Lukas das Wort mnon (monon – nur; vgl. Lk 7,7) kennt, womit möglicherweise gezeigt werden soll, mit welcher Leichtigkeit Jesus seine Macht ausüben kann (Davies/Allison 1991, 23). Die Heilung durch ein Wort findet sich auch in Ps 107,20 und bei Lact. inst. 4,15. Interessant ist zudem, dass die Konstruktion in V. 9 einer bei Epiktet ähnlich ist: Derjenige, der König Agamemnon spielt, sagt »geh« mit dem Resultat »ich gehe« und »komm« mit der Folge »ich komme« (poreÐou … poreÐomai. ˛rcou. ˛rcomai. poreuou … poreuomai. erchou. erchomai; Epict. diss. 1,25,10). In V. 11 f. verbindet das Logion die endzeitliche Völkerwallfahrt zum Zion und die eschatologische Mahlzeit, bei der das »schockierende Novum« darin besteht, dass auf einmal viele Heiden am Tisch der Erzväter Israels sitzen und damit eigentlich die jüdische Erwartung auf den Kopf gestellt wird (Zeller 1972, 87). Die Verbindung von Wallfahrt, Reich Gottes und eschatologischem Mahl ist ebenfalls neu (Gnilka 1986, 303). Obwohl sich die Prolepse in V. 11 f. auf keine bestimmte Stelle der Literatur des Alten Testaments oder der Zeit des Zweiten Tempels bezieht, finden sich verschiedene Parallelstellen der 397
Die Wundererzählungen im Matthäusevangelium
einzelnen Elemente in diesen Corpora. Wie schon oben erwähnt, wird das Kommen »von Osten und Westen« im Alten Testament im Bezug auf die Rückführung der Juden aus der Diaspora verwendet (vgl. Ps 107,3; Jes 43,5 f.; 49,12; Sach 8,7; Bar 5,5). Somit wird die Inklusion der Heiden durch alttestamentliche Bilder präsentiert, welche die Sammlung Israels schildern (France 1977, 261). Die »Völkerwallfahrt« findet man an vielen Stellen, z. B. Jes 2,2 f.; 60,4; Jer 3,17 und Sach 8,20-22. Das eschatologische Festmahl wird in Texten wie Jes 25,6-8 dargestellt: »Der Herr der Heere wird auf diesem Berg für alle Völker ein Festmahl geben mit den feinsten Speisen, ein Gelage mit erlesenen Weinen, mit den besten und feinsten Speisen, mit besten, erlesenen Weinen. Er zerreißt auf diesem Berg die Hülle, die alle Nationen verhüllt, und die Decke, die alle Völker bedeckt. Er beseitigt den Tod für immer. Gott, der Herr, wischt die Tränen ab von jedem Gesicht. Auf der ganzen Erde nimmt er von seinem Volk die Schande hinweg. Ja, der Herr hat gesprochen«. Auch die »äußerste Finsternis« und das »Heulen und Zähneknirschen« sind in antiken, besonders apokalyptischen Texten zu finden. Die Finsternis als Bild der eschatologischen Verurteilung liest man in Weish 17,21; Tob 14,10; PsSal 14,9 und 1Hen 103,8 u. ö. Der Ärger und der Unmut der Gottlosen, der das Zähneknirschen auslöst, wird in Ps 112,10 beschrieben. Bemerkenswerterweise ist das Drohwort in V. 12 nicht nur ein Ausdruck christlicher Polemik gegen Israel oder das Judentum – Ähnliches findet man schon in einem Teil der alttestamentlich-prophetischen Tradition (z. B. Am 3,1; Mi 3,12).
Verstehensangebote und Deutungshorizonte Die Formkritik ordnet die Erzählung einer »Mischgattung« zu, denn formgeschichtlich zeigt sie nicht nur Elemente einer Wundergeschichte, sondern auch die eines Apophthegmas. Dibelius etwa argumentiert, dass zur »Erzählung« vom Hauptmann eine ähnliche Beobachtung gemacht werden kann wie bei der Versuchungsgeschichte, nämlich: »Die Evangelisten sind es, die den erzählenden Anfang und den erzählenden Schluß schufen, jeder auf seine Art« (Dibelius 1971, 245). Deswegen spricht Dibelius in Anführungszeichen von einer »Erzählung« – nur durch den Evangelisten kommt überhaupt eine Geschichte zustande, denn Ausgangspunkt und Zentrum der Überlieferung ist das Wort Jesu über den Glauben in V. 11 f. Bultmann sieht hier ebenfalls eine Geschichte, die nicht »als Wundergeschichte« erzählt wird, sondern, aufgrund der Konzentration auf das Gespräch, eher »im Stil des Apophthegmas« geformt ist (Bultmann 1995, 70). Es sind diese gesprochenen Worte, die für eine kerygmatische Deutung besonders wichtig sind. Da die Betonung in der Erzählung auf dem Glauben des Hauptmanns liegt, wird hier hervorgehoben, wie durch das unbegrenzte Vertrauen »zu diesem [Jesu] Wort, das schafft, was es sagt«, die wahre Gotteskindschaft zustande kommt (Luck 1993, 108). Zudem wird die Erfüllung der Bitte des Hauptmanns »zur Verheißung an die Gemeinde, die vom Bestand ihres Herrn lebt«, und gibt dadurch dem Leser Mut zum eigenen Glauben (Luz 2007, 17). Durch diesen Glauben ruft Jesus, über Israel hinaus, die Völker der Welt und bringt auch sie zum Tisch Abrahams, Isaaks und Jakobs. Alle Glaubenden bekommen dort einen Platz. Was für Lukas eher die Geschichte eines guten und demütigen Heiden war, ist für Matthäus eine paradigmatische Erzählung für die Erweiterung des Reiches Gottes und die Einbeziehung all derjenigen, die 398
Glaube und Fernheilung Mt 8,5-13
keine Israeliten sind, in das Evangelium des jüdischen Messias – nämlich durch den Glauben (France 2007, 310). Aus sozialgeschichtlicher Perspektive sieht man in dieser Geschichte einen Hauptmann, der einerseits durch seine Bitte einen tiefen Glauben bezeugt, aber andererseits auch eine Besatzungsmacht repräsentiert. R. P. Brown argumentiert, eine »Lähmung« könne ein psychosomatischer Protest gegen die Imperialmacht sein (Brown 1983, 366368). Wenn es sich um einen Sklaven handelt, der von Jesus geheilt wird, so wird er zwar gesund, aber nicht von seiner Versklavung befreit. Somit könnte die Heilung als eine Unterstützung des Imperiums verstanden werden, obwohl man im Kontext eigentlich auch eine kurzfristige Umkehr des Schadens, den die Imperialmacht zufügt, und eine Heilung, die auf die Erwartung des zukünftigen Reiches Gottes deutet, sehen kann (Carter 2004, 200 f.). Dieses Reich schafft Hoffnung für die Unterdrückten und ist insbesondere für diejenigen bestimmt, die sich am Rande der Gesellschaft befinden, d. h. für »cultural nobodies« (Carter 2004, 203). Weiterhin gibt es eine Auslegung aus dem Bereich »sexuality and gender studies«, die einer ganz anderen Linie folgt. In einem 2004 erschienenen Aufsatz argumentieren Jennings und Liew, dass die Deutung der weit überwiegenden Mehrzahl der Exegeten an zwei Stellen irre. Zum einen sei pa…@ (païs) weder als »Sklave« noch als »Sohn« zu verstehen. Stattdessen werde mit diesem Wort der »boy-love« oder »boy-favorite« des Hauptmanns, d. h. der Junge in einem päderastischen Verhältnis, identifiziert (Jennings/Liew 2004, 468-478). Zum anderen habe das, was der Hauptmann in V. 8 f. sagt, nichts mit dem Verhältnis zwischen Juden und Heiden (V. 8) zu tun und seine Aussage drücke auch nicht eine Anerkennung der Autorität und Vollmacht Jesu (V. 9) aus. Vielmehr werde die Angst des Hauptmanns davor deutlich, dass Jesus, der durch die Bitte des Hauptmanns sein Schirmherr geworden ist, sein Haus betreten und ihn in diesem päderastischen Verhältnis ersetzen könnte. Der Hauptmann fürchte also, dass Jesus, als Schirmherr, ihm sein »boy-love« wegnehmen könnte. Somit seien die Worte des Hauptmanns im Sinne eines Missverständnisses der Identität Jesu und als Ausdruck seiner Autoritätsvorstellungen, welche Jesus nicht teile, zu verstehen (Jennings/Liew 2004, 484486). Deswegen sei Jesu Staunen nichts Positives und zeige nicht an, dass Jesus mit all dem, was der Hauptmann sagt, übereinstimmt. Es sei sogar eher der Fall, dass Jesus mit seinem Staunen ein »Entsetzen« ausdrücke und durch seine Fernheilung die Vorstellungen des Hauptmanns umstoßen wolle (Jennings/Liew 2004, 488). Laut Jennings und Liew basiert der Glaube, den Jesus lobt, nicht auf dem, was der Hauptmann selbst eigentlich glaubt. Stattdessen wird ein »Glaube« gelobt, der sich im Handeln des Hauptmanns ausdrückt. Der bittende Hauptmann hat sich Jesus unterstellt und sich für einen Geliebten erniedrigt und es ist dieses Vorgehen, das Jesus anerkennt (Jennings/Liew 2004, 489492).
Aspekte der Parallelüberlieferung und Wirkungsgeschichte Wirkungsgeschichtlich ist V. 9 interessant, denn die dort ausgedrückte Stellung zur Autorität wurde in verschiedenen Kreisen unterschiedlich gedeutet und hat somit unterschiedliche Wirkungen. Obwohl man die Aussage des Hauptmanns, laut dem üblichen Verständnis des Nestle-Aland-Texts, als »auch ich bin ein Mensch unter Befehlsgewalt« 399
Die Wundererzählungen im Matthäusevangelium
verstehen kann und dadurch Jesus ebenfalls unter Befehlsgewalt sieht, versteht z. B. Johannes Chrysostomus den Satz folgendermaßen: »Du bist Gott, ich [der Hauptmann] ein Mensch. Ich bin Untertan, Du nicht. – Wenn also ich, ein untertäniger Mensch, solche Macht besitze, dann umso mehr er [Jesus], der Gott ist und niemandem untertan« (Or. lev. hom. 26,4; Baur 1915, 129). Andererseits überliefert Irenäus von Lyon, dass die »Gnostiker« an dieser Stelle den Hauptmann als den Demiurgen verstanden haben, der, den Soter jetzt erkennend, zu ihm eilte und sagte: »Auch ich habe Soldaten und Knechte in meiner Gewalt und was ich befehle, das tun sie«. Dieses Weltregiment wird der Demiurg »bis zum erforderlichen Zeitpunkt führen, v. a. aus Eifer für die Kirche« (Iren. haer. 1,7,4; Brox 1993, 173). Diese Stelle wird auch tropologisch (d. h. bildlich oder allegorisch) von Johannes Cassianus verwendet, um den perfekten Verstand darzustellen. Die Worte »geh hin«, »komm her« und »tu das« werden verwendet um zu zeigen, was der perfekte Verstand mit jeweils guten oder schlechten Gedanken macht (Cass. coll. 7,5,1). Der Inhalt der V. 11 f. wird oft in Diskussionen zwischen Christen und Juden aufgegriffen, so z. B. schon von Justin dem Märtyrer in seinem Dialog mit dem Juden Tryphon 140, wo er diese Worte zitiert um zu zeigen, dass das ewige Königreich nicht an all die leiblichen Nachkommens Abrahams gegeben wird. Ähnlich interpretiert auch Augustinus in seiner Auslegung des 47. Psalms im Hinblick auf Ps 47,10. Eindeutig ist jedenfalls, dass diese Wundergeschichte in der kirchlichen Lehre hauptsächlich verwendet wird, um den Glauben des Hauptmanns hervorzuheben. In Mt 8,13 findet man z. B., laut Ebeling, »den unmittelbaren biblischen Quellort von Luthers Axiom: ›Glaubst du, so hast du‹« (Ebeling 1989, 497). Dieses Axiom erscheint immer wieder in einer am 18. Juni 1534 gehaltenen Predigt, die sich besonders auf Mt 8,13 bezieht (Luther 1910, 451-461). Das Wort zum Hauptmann, »Geh, so wie du geglaubt hast, soll dir geschehen«, betonte Luther die ganze Predigt hindurch, denn: »Also (spricht er [Jesus]) wil ich dich recht leren mich kennen und treffen, wie dir solle geholffen werden, nemlich, wenn du nur gleubest« (Luther 1910, 452). Das Wort Jesu zum Hauptmann wird für Luther somit ein Wort über die, aus seiner Sicht, zentrale Botschaft des Evangeliums, in der Gott zum Gläubigen sagt: »Das ist mein kind, den wil ich nicht inn die helle stossen, sondern den himel geben, Denn wie er gleubt, so sol im geschehen« (Luther 1910, 458). Zudem sind die Worte des Hauptmanns in Mt 8,8 in die kirchliche Liturgie aufgenommen worden, wo sie eine zentrale Rolle in der Heiligen Kommunion spielen. Im eucharistischen Mahl der heutigen römisch-katholischen Kirche bringt, nachdem der Hauptzelebrant den Gläubigen das eucharistische Brot gezeigt hat und das Wort Johannes des Täufers »Seht das Lamm Gottes« (Joh 1,29) ausgesprochen hat, die ganze Versammlung ihre »Demut vor dem Herrn zum Ausdruck mit den Worten des Hauptmanns von Kapharnaum ›Herr, ich bin nicht würdig‹ (Mt 8,8)« (Schumacher 2009, 88). Auch in der evangelischen Kirche werden die Worte aus Mt 8,8 mit einem Verweis »Lateinische Liturgie 10. Jh.« im Gesangbuch als Gebet zum Abendmahl angeboten (Evangelisches Gesangbuch 1997, 820 [s. 1250]). Somit sind diese Worte für viele Christen, auch im heutigen Zeitalter, nicht nur bekannt, sondern auch Worte, die gewissermaßen ihren eigenen Glauben zum Ausdruck bringen.
Dieter T. Roth 400
Glaube und Fernheilung Mt 8,5-13
Literatur zum Weiterlesen M. F. Bird, Who Comes from the East and the West? Luke 13.28-29/Matt 8.11-12 and the Historical Jesus, NTS 52 (2006), 441-457. G. Bornkamm, Jesu Vollmacht in seinen Taten (Mt 8,1-9,34), in: ders., Studien zum MatthäusEvangelium, hg. v. W. Zager, WMANT 125, Neukirchen-Vluyn 2009, 243-288. C. Burchard, Zu Matthäus 8,5-13, ZNW 84 (1993), 278-288. W. Carter, Matthew at the Margins: A Socio-Political and Religious Reading, JSNT.S 204, Sheffield 2000. H. Giesen, Jesus und die Nichtjuden. Aufgezeigt an der Überlieferung der Wundererzählungen vom Knecht des Hauptmannes von Kafarnaum (Lk 7,1-10 par. Mt 8,5-13), in: U. Busse/ M. Reichardt (Hg.), Erinnerung an Jesus. Kontinuität und Diskontinuität in der neutestamentlichen Überlieferung, FS R. Hoppe, BBB 166, Göttingen 2011, 51-69. D. Zeller, Das Logion Mt 8,11f/Lk 13,28f u. das Motiv der »Völkerwallfahrt«, BZ 15 (1971), 222237; 16 (1972), 85-93.
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Schiffbruch im Kleinglauben (Die Stillung des Sturms) Mt 8,23-27 (23) Und als er [Jesus] in das Boot stieg, folgte ihm seine Jüngerschar. (24) Und da geschah es: Plötzlich entstand ein großes Beben auf dem Meer, so dass das Boot unter den Wellen begraben wurde. Er selbst aber schlief. (25) Sie traten zu ihm, weckten ihn und sagten: »Herr rette uns doch! Wir sterben!« (26) Jesus entgegnete ihnen: »Wie feige ihr seid, Kleingläubige!« Dann stand er auf, brüllte die Winde und das Meer an – und es entstand eine große Stille. (27) Die Leute aber gerieten ins Staunen: »Was ist das nur für einer, dass sogar die Winde und das Meer ihm gehorchen?«
Sprachlich-narratologische Analyse Eingefügt in den matthäischen Wundergeschichtenkomplex von Mt 8-9 erweist sich Mt 8,23-27 als sehr sorgfältig inszeniert und eng verwoben mit dem näheren Textkontext: Unter Aufnahme der Stichwörter »nachfolgen« (V. 19.22) und »Jüngerschar« (V. 21) aus den vorausliegenden Nachfolgelogien (Mt 8,19-22) lässt Matthäus die Sturmstillungserzählung in V. 23 mit den Worten beginnen »Und als er [Jesus] in ein Boot stieg, folgte ihm seine Jüngerschar« und aktualisiert sie gegenüber Mk unter dem Aspekt der Nachfolge (grundlegend dazu: Bornkamm 1975, 48-53). Das narrative Handlungsprimat in Bezug auf die Seefahrt ist ganz auf Jesus gerichtet: Schon in V. 18 (vor den Nachfolgelogien) befiehlt Jesus die Überfahrt; diese setzt dann mit V. 23 ein, wobei Jesus zuerst einsteigt und die Jüngerschar ihm nachfolgt; beendet wird die Überfahrt – ohne die Erwähnung der Jüngerschar – in V. 28 mit den Worten »als er ans andere Ufer … kam« (vgl. auch Mt 9,1). Warum die Jünger auf dieser Seefahrt nicht mehr mit Jesus im Boot sitzen, sondern gewissermaßen Schiffbruch erleiden, soll die folgende Auslegung zeigen. Im Anschluss an W. Kahls Gliederungsmodell für Wundergeschichten (Kahl 1994) lassen sich folgende vier Erzählphasen in Mt 8,23-27 finden: 1.) Lack: In Mt 8,23-24 wird erzählt, wie die Akteure durch ein großes Beben in Gefahr geraten, während sie in einem Boot auf dem Wasser sind. Das große Beben stellt den Mangel (= lack) dar, mit dem sich die Jüngerschar auf der narrativen Ebene konfrontiert sieht, wobei die Folge für die im Boot Sitzenden – eingeleitet durch »so dass« – plastisch beschrieben wird. 2.) Preparedness: In diese Phase gehören alle Handlungen, die auf die Aktivierung eines Subjektes zielen, welches fähig und willig ist, die negative Ausgangssituation aufzuheben. Durch seine Jünger geweckt, die sich mit der Bitte um Rettung an ihn wenden, wird Jesus als der Protagonist eingeführt, der die Mangelsituation aufheben kann (Mt 8,25-26a). Ganz im Gegensatz zum Vorwurf der markinischen Jünger (vgl. Mk 4,38), äußert die matthäische Jüngerschar in V. 25 eine Bitte. »Eine Bitte rechnet (…) damit, daß der Gebetene den Wunsch erfüllen kann, traut ihm also ein Können zu« (Alkier/ Dressler 1998, 175). Doch nicht nur in der geäußerten Bitte um Rettung zeigt sich ein 402
Schiffbruch im Kleinglauben Mt 8,23-27
Zutrauen in Jesu Wunder wirkendes Handeln, auch die Anrede »Herr« (kÐrie kyrie in V. 25) unterstreicht dies, denn sie ist mehr als nur eine respektvolle Anrede bei Mt. Es ist die Anrede, die Jesus als wundertätigem Heiland zuteil wird (z. B. Mt 8,2.6.8; 15,22.25; 17,15; 20,30.31). 3.) Performance: In dieser Sequenz wird erzählt, wie der bestehende Mangel behoben wird. Die Aufhebung der Mangelsituation in V. 26b-27 fokussiert gänzlich auf die Handlungen Jesu: Er steht auf und stillt den Sturm durch sein exorzistisches Anschreien (vgl. Mt 17,18). Das Entstehen der großen Stille zeigt an, dass die Winde und die Wellen nicht nur sprachfähige Akteure in der matthäischen Erzählwelt sind, sondern dass Jesu Aktion zur Aufhebung der Mangelsituation führt. Die Stille, die Jesus bewirkt, erhält dasselbe Adjektiv wie das den Mangel hervorrufende Beben. Die Erzählung läuft vom »großen Beben« (seism@ mffga@ seismos megas in V. 24) hin zur »großen Stille« (galffinh meg€lh gale¯ne¯ megale¯ in V. 26). 4.) Sanction: In diese Phase wird die Reaktion auf die Handlung des Protagonisten dargestellt. Diese wird gerade nicht von der im Boot sitzenden Jüngerschar gegeben, sondern geschieht gewissermaßen aus dem »Off« in Form einer erstaunten Frage »der Leute«, was das für einer ist, dem Wind und Wellen gehorchen. Überschießend zu dieser narrativen Strukturierung ist Mt 8,26a, wo Jesus der Jüngerschar ihre Feigheit und Kleingläubigkeit vorwirft. Gerahmt vom »großen Beben« (als lack) und der »großen Stille« (als performance) wird in V. 26a der Kleinglaube gescholten, wodurch die Differenz der »Größen« betont wird (groß vs. klein). Bei ¤ligpisto@ (oligopistos – kleingläubig) handelt es sich um ein Lieblingswort des Matthäus, das insgesamt 5-mal zu finden ist (vgl. 6,30; 8,26; 14,31; 16,8 sowie ¤ligopistffla oligopistia – Kleinglaube in 17,20) und ausschließlich im Munde des matthäischen Jesus immer als Vorwurf an die Jüngerschar Verwendung findet. Kleinglaube ist in der matthäischen Erzählwelt die verkannte und verfehlte Identität zwischen »wissen« und »tun« (gegen Barth 1975, 106), wobei es um ein Wissen um die Macht und Anwesenheit des kÐrio@ (kyrios – Herr) geht. Die Jünger verfehlen dieses Wissen, weil sie Jesu Schlaf als seine Abwesenheit deuten, die Rettung unmöglich macht. Auf semantischer Ebene arbeitet die Erzählung mit einem nautischen Bildfeld: Boot, großes Beben, Wellen, Winde und Windstille, auch der Ruf nach Rettung entstammt diesem Bildfeld (vgl. Apg 27,20.31; 27,44). Jedoch konnotieren viele der genannten Begriffe innerhalb der matthäischen Erzählwelt zusätzliche Bedeutungen, die über ein nautischen Bildfeld hinausgehen: Das »Boot« ist ausgewiesener Ort der Jüngerberufung (Mt 4,18-22). Das »Beben« wird in Matthäus verwendet, um ein Geschehen des endzeitlichen Auferstehungshandelns zu markieren (vgl. bes. Mt 28,2; sodann Mt 24,7; 27,54). Auch das Verb »retten« findet Verwendung bei endzeitlichen Bedrängnissen (vgl. Mt 24,22) in Bezug auf die Jesus Nachfolgenden. Das Wort »Herr« kann den Anruf an den Auferstandenen bedeuten (vgl. Mt 7,21-23; 14,28.30). Viele der verwendeten Begriffe erweisen sich als semantisch transparent, um das Verhältnis von Jesus als dem Auferstandenen zu den ihm Nachfolgenden zu erhellen: Die negativen Qualitäten der Jüngerschar, betont durch deren Feigheit und Kleinglaube, fungieren als Negativfolie für den Entwurf einer idealen Jüngerschaft im Sinne der Nachfolge (Brown 2002, 145). Die Leser(innen) sind aufgefordert, darüber nachzudenken, warum die Jesus nachfolgende Jüngerschar scheiterte und im Kleinglauben Schiffbruch erlitt. Die Frage, die »die Leute« am Schluss der Erzählung stellen, nämlich was das für einer 403
Die Wundererzählungen im Matthäusevangelium
ist, dem die Winde und Wellen gehorchen, leistet in dieser Hinsicht ein Doppeltes: Sie beendet die intime Gesprächssituation zwischen Jesus und der Jüngerschar und eröffnet eine öffentliche Gesprächssituation. Die angemessene Beantwortung dieser öffentlichen Frage entscheidet sich nun im Wissen und Handeln der Leser(innen).
Sozial- und realgeschichtlicher Kontext Während der »See Gennesaret« und auch die realgeschichtlichen Hintergründe zu antiken Booten auf dem See in der Auslegung zu Mk 4,35-41 zur Sprache gekommen sind, fokussiert dieser Abschnitt auf sozialgeschichtliche Aspekte der antiken Seefahrt. Das »Meer« bzw. der »See« fungiert in der Antike als naturgegebene Grenze des Raumes (vgl. Schulz 2005). Als eine Grenze ist das Meer immer auch eine Sphäre der Unberechenbarkeit und Gesetzlosigkeit. Die Schifffahrt stellt deshalb für die Menschen in der Antike eine große Herausforderung dar, wie schon Pittakos formuliert: »Das Land ist sicher, auf das Meer ist kein Verlass« (Capelle 1968, 66). Wer zu anderen Ufern aufbrechen wollte, musste also Räume und deren Grenzen durchqueren. In dieser Funktion war die Schifffahrt in der griechisch-römischen Antike immer auch eine Grenzverletzung (vgl. zum grenzüberschreitenden Charakter der Seefahrt: Hor. carm. 1,3,21-26; Luca. 3,193196; Sen. Med. 301-328; 616 f.; Colum. praef. 1,8). Die Sturmstillungsgeschichte ist vor diesem Hintergrund auch als Grenzverletzungsgeschichte zu lesen (vgl. Pilch 2000, 8184, der diesen Aspekt für die Heilungsgeschichten in Mt 8 f. hervorhebt). Geriet ein Boot in Seenot, gab es kaum Handlungsmöglichkeiten. Die Menschen der Antike erfuhren sich als subjectum, als Unterworfene. Präventiv wurde deshalb darauf geachtet, dass kein Passagier »gottlos« mitreiste, weil man annahm, dass Schiffbruch droht, wenn ein Gottloser dabei ist (vgl. z. B. Eurip. Electr. 1355; Theophr. char. 25,2; Petron. satyr. 114,5). Wenn nun trotzdem die reale Gefahr eines Sturmes auftrat, gab es zwei Handlungsoptionen: Eine sah ein pars-pro-toto Opfer im Sinne einer Gewinn- und Verlustrechnung vor. Ein Teil der Ladung konnte über Bord geworfen werden, um das Schiff vor dem Kentern zu bewahren (vgl. z. B. Aisch. A. 1008-1019; Athen. deipn. 2,5; Jon 1,5). Auch einen mitreisenden Passagier zu opfern, um das Schiff zu retten, ist eine mögliche Variante dieser Handlungsoption (vgl. z. B. Verg. Aen. 5,815; 835-871; Jon 1,11-15). Eine zweite Möglichkeit, um Gefahr auf See abzuwenden, war eine Gabendarbringung im Sinne von »Ich gebe, damit du weggehst« (lat. do ut abeas; von Harrison 1927, 134-138 für das »apotropäische Opfer« geprägt). Um die unberechenbaren Naturgewalten zu beruhigen, waren mehr oder weniger aufwendige Opfer notwendig, wie Valerius Flaccus in Arg. 1,184-226, 657-680 zu berichten weiß. Mit Blick auf die matthäische Sturmstillungserzählung ist es nun gerade bemerkenswert, dass keine dieser Handlungsoptionen aktualisiert wird. Vielmehr gibt es Rettung, ohne dass etwas dafür gegeben werden muss. In textpragmatischer Hinsicht lenkt die Erzählung die mit den antiken Codes vertrauten Rezipient(innen) weg von der eigenen »Machbarkeit« einer immer nur im Möglichen verbleibenden Rettung hin zur Potenz der voraussetzungslosen Rettungsgewissheit.
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Schiffbruch im Kleinglauben Mt 8,23-27
Traditions- und religionsgeschichtlicher Hintergrund Von Plato bis zu Dio Chrysostomus zählen die Trias von Staatslenkung/Gemeinwesen, Krankheit und Seenot zu den größten Gefahren, in denen die in Not geratenen Menschen um Rettung bitten (vgl. Plato Tht. 107a.11; nom. 12,961d; Dio Chrys. or. 32,18). Und es wundert nicht, wenn erfolgreiche menschliche Retter des Gemeinwesens in Personalunion Zuschreibungen anderer Retterkompetenzen erhielten. Cicero weiß in seiner Lobrede De Imperio Cn. Pompei Oratio 48 rühmend über Pompeius zu berichten, dass nicht nur die Feinde sich ihm unterwarfen, sondern auch »Wind und Wetter zu Willen war« (vgl. auch D.L. Epedoc. 8,59; im Sinne einer Anmaßung: 2Makk 9,8; eine Sammlung von SeeRettungsgeschichten ist zu finden bei Cotter 1999, 133-151). Wer die Bitte um Rettung äußert, ist nicht in der Lage, sich selbst zu helfen. Er oder sie ist auf jemanden angewiesen, der über die Macht verfügt, die Rettung herbeizuführen. Wenn den Rettungsbedürftigen nun Rettung zuteil wird, sei es durch menschliche oder göttliche Intervention, dann – so heißt es immer wieder – wird davon berichtet, dass die intervenierende Macht als Rettung sichtbar und erfahrbar wird. Sprachlich ausgedrückt wird diese wunderbare Intervention der rettenden Macht in Verbindung mit der Wortgruppe »aufscheinen«, »erscheinen«, »aufleuchten«, »leuchtend« (vgl. dazu Lührmann 1971, 185-199). Vor diesem Hintergrund wirkt Jesu Schlaf wie eine ironische Überschreibung gegenüber diesen Rettergestalten: Als Schlafender, genauer gesagt als anwesender Abwesender, ist seine rettende Macht wirksam. Religionsgeschichtlich interessant sind deshalb – neben dem Vergleich mit Jona (vgl. hierzu den Beitrag von Gradl zu Mk 4,35-41), mit TestNaph 6,3-9 oder mit Ps 107,23-30 – Erzählungen, die vom Schlaf der rettenden Macht erzählen. Unter Aufnahme der Motivik vom Schlaf Gottes als Zeichen göttlicher Souveränität in Texten aus der Umwelt des Alten Testaments (vgl. Batto 1987) wird dieser Topos im Alten Testament aktualisiert unter dem Aspekt der geäußerten Bitte an JHWH, zu erwachen und den in Not Seienden zu Hilfe zu kommen, um ihren Mangel zu beheben (Ps 44,23-25; vgl. auch 35,23; 59,4). Besonders Ps 44,24 »Wache auf, Herr! Warum schläfst du? Werde wach und verstoße uns nicht für immer!« spielte in der Liturgie des 2. Tempels eine prominente Rolle und wurde täglich rezitiert. In Jes 51,9-10 soll JHWH aufwachen und es wird erinnert an seine Macht über das Meer (vgl. Ps 18,16; 65,8; 74,13-14; 89,10; 106,9). In Ps 46 wird JHWH um Hilfe angerufen, weil er die Macht (LXX dÐnami@ dynamis) hat, aber v. a. weil er der »Herr … mit uns« ist (vgl. Ps 46,8.12) auch bei Bedrohung (vgl. Ps 46,2 mit Mt 8,24). Vor dem Hintergrund dieser Texte ist die matthäische Sturmstillungserzählung als eine Reaktualisierung der Rettermacht JHWHs zu verstehen, die nicht nur Jesu Handeln in Kontinuität zum rettenden Handeln JHWHs zu verstehen gibt, sondern bedingt durch die mit dem Partizip ¥gerqeffl@ (egertheis – erweckt) in Mt 8,26 verbundenen Konnotationen, das Auferweckungshandeln Gottes an Jesus, als über die konkrete Notsituation hinaus dauerhaft zugesagte Antwort auf die Bitte »Wach auf, Herr!« verstanden werden kann.
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Die Wundererzählungen im Matthäusevangelium
Verstehensangebote und Deutungshorizonte Zu den prominentesten Deutungen gehört die ekklesiologische: Die im Boot vereinte Jüngerschar ist ein Bild für die Kirche, die als Gemeinschaft Nöten und Gefahren in der Welt ausgesetzt ist (vgl. Best 1981, 230-234). Die Verzweiflung dieser Gemeinschaft findet Ausdruck in dem Gebetsschrei (Mt 8,25), mit dem sie ihren Herrn um Rettung anruft. Indem sich Jesus als der Helfer seiner Kirche zeigt, kann sich die Jüngerschar ihrer Rettung und der des Bootes gewiss sein. Das Bild der Gemeinschaft in Not erweist sich als offen für existential gefärbte Symbolisierungen, welche die Erzählung als eine Angststillungsgeschichte zu verstehen geben. Die ekklesiologische Deutung hat nicht nur eine lange Wirkungsgeschichte (s. dazu den nächsten Abschnitt), sondern genießt auch innerhalb eines redaktionsgeschichtlichen Ansatzes große Plausibilität. Die Vertreter(innen) der Redaktionsgeschichte kommen auch zu dem Ergebnis, dass »die Sturmfahrt der Jünger mit Jesus und die Stillung des Sturmes auf die Nachfolge und damit auf das Schifflein Kirche« (so für viele: Bornkamm 1975, 51) zu deuten sei, aber erst über den langen Weg der Anwendung der historisch-kritischen Methodenschritte. Besonders der synoptische Vergleich mit der markinischen Vorlage bringt die entscheidende Einsicht: Gegenüber Markus fällt die geänderte kontextuelle Einordnung von Mt 8,23-27 auf. Durch Wiederaufnahme des Wortes »nachfolgen« in Mt 8,23 wird die Sturmstillung ganz eng mit den zwei Ernstfällen der Nachfolge in Mt 8,19-22 verbunden. Dass dies nicht zufällig geschieht, sondern der Intention des Autors entspricht, beweist der erzählerische Rahmen. Denn der Befehl, ins Boot zu steigen und ans jenseitige Ufer zu fahren, wird noch vor den Nachfolgesprüchen in Mt 8,18 gegeben. So wird Mt 8,18-27 zu einer großen erzählerischen Einheit und die matthäische Sturmstillungserzählung mit Blick auf das Thema Nachfolge aktualisiert (viele Kommentare behandeln daher Mt 8,18-27 als zusammenhängende Perikope, z. B. Luz 2007, 20 f.; Fiedler 2006, 207). Untermauert wird die ekklesiologische Deutung durch weitere literarkritisch gewonnene Feststellungen: Gegenüber der markinischen Vorlage erweist sich die matthäische Erzählung deutlich gestrafft, Jesu wundertätiges Tun rückt bei Matthäus gegenüber Markus in den Hintergrund. Statt des Vorwurfs der markinischen Jünger äußert die matthäische Jüngerschar die Bitte um Rettung an ihren »Herrn«, die die Form eines Bekenntnisses hat. Gegenüber Markus tadelt Matthäus die Jüngerschar, bevor er den Sturm stillt, und benutzt dabei das matthäische Lieblingswort »Kleingläubige«. So zeigt sich die matthäische Sturmstillungserzählung als durch die theologischen Absichten ihres Autors stilisiert, der sie »zum Kerygma … der Not und Herrlichkeit der Nachfolge« (Bornkamm 1975, 53) hin ausgestaltet hat. So wirkmächtig diese ekklesiologische Deutung unter Einschluss einer »nautischen Daseinsmetaphorik« (Blumenberg 1988, 9) ist, so erschließt sich sowohl vor dem Hintergrund der bisherigen Ausführungen als auch unter Einbeziehung der matthäischen Gesamterzählung vielmehr ein christologisch-soteriologisches Verständnis: Innerhalb der matthäischen Narration ist der Clou, dass Rettung unter den Bedingungen der Abwesenheit gedacht werden muss. Das Evangelium gibt sich für die Leser(innen) als eine Erzählung von der anwesenden Abwesenheit Jesu zu erkennen. Während für die Zeit der Leser(innen) einerseits gilt, Jesus ist »nicht mehr da, er ist auferweckt« (vgl. Mt 28,6), gibt sich das gesamte Evangelium andererseits als eine Erzählung von »Gott mit uns« zu verstehen. An drei signifikanten Stellen wird dies thematisiert: Zu Beginn der Erzählung 406
Schiffbruch im Kleinglauben Mt 8,23-27
(1,22 f.) ist es der Immanuel, der Gott mit uns; in der Mitte – kurz vor der Passion – heißt es: »Wo zwei oder drei in meinem Namen versammelt sind, bin ich mitten unter ihnen« (18,20); am Schluss sind die letzten Worte des Evangeliums: »Und siehe, ich bin bei euch alle Tage bis zum Ende des gegenwärtigen Zeitalters« (28,20). Die Leser(innen) des Evangeliums werden so vergewissert, dass Rettung möglich ist, weil Jesus, der Herr, als der »Gott mit uns« auch unter den Bedingungen seiner Entzogenheit wirksam ist. Das antithetisch auf Jesu Schlaf (V. 24) bezogene Aufstehen (V. 26; ¥gerqeffl@ egertheis) ist dasselbe Wort, das in Mt 28,6 verwendet wird. Gleichsam als Auferweckter (vgl. Fiedler 2006, 211) stillt Jesus, nachdem er der Jüngerschar ihre Feigheit und ihren Kleinglauben vorgeworfen hat, den Sturm. Unter Einbeziehung traditionsgeschichtlich wirksamer Bildfelder zur Rettermacht JHWHs und der narrativen Inszenierung einer in der Begegnung mit dem »Auferweckten« versagenden Jüngerschar werden die Leser(innen) mit aller Dringlichkeit aufgefordert, die Frage in Mt 8,27 zu beantworten. Diese fragt nicht nach der Person, sondern nach ihrer Beschaffenheit – nach ihrer Qualität. Es ist die Qualität des Auferweckten, der als anwesender Abwesender Rettung bringt.
Aspekte der Parallelüberlieferung und Wirkungsgeschichte Wie kaum eine andere Wundergeschichte verfügt die matthäische Sturmstillungserzählung über eine reiche Wirkungsgeschichte, bei der das Meer und das Schiff als große gegeneinanderstehende Bilder christlicher Existenz in ihrer andauernden »Ausgesetztheit« zwischen Gefahr und ihrer Überwindung entfaltet werden. Während bei den griechischen Kirchenvätern das Schiff ein Bild für die christliche Existenz generell ist (vgl. Goldammer 1941, 80), verbindet es sich in den christlichen Texten des Abendlandes mit der spezifischeren Vorstellung einer christlichen Gemeinschaft. In mannigfaltigsten Variationen wird das »Schiff der Kirche« zu einem Topos, der von Tertullian (vgl. Tert. bapt. 12) bis zur Neuzeit wiederkehrt (ausführlich: Rahner 1964). So schreibt Hippolyt von Rom am Anfang des 3. Jh. n. Chr. in seiner Demonstratio de Christo et Antichristo 59: »Das Meer ist die Welt, in der die Kirche wie ein Schiff auf dem Meere vom Sturme umgeworfen wird, aber nicht untergeht; denn sie hat bei sich den erfahrenen Steuermann Christus« (vgl. Aug. serm. 75,2). Luther spricht vom Schiff der Taufgnade (das identisch ist mit dem der Christenheit), welches von Gott eingesetzt, unversehrbar ist, man kann aus ihm fallen und qua gratia in es zurückkehren (Luther, De captivitate [WA 6] 527.529). Noch Eichendorffs Gedicht »Schiff der Kirche«, welches auf die politischen Ereignisse von 1848 bezogen ist, bedient sich dieser Bildersprache, ebenso das Lied »Ein Schiff, das sich Gemeinde nennt«. Im Sinne einer Lebensreise stehen christliche Gemeinschaft und Erfahren Gottes in der Zeit zentral. Der Mast eines Schiffes und die quer gegen ihn stehende Segelstange wurden in christlichen Texten rasch ein Bild für das Kreuz (z. B. Ambr. explan. 43,7). In innovativer Weise konnte innerhalb der Bilderwelt vom »Schiff der Kirche« auch die Erzählungen vom großen antiken Seefahrerheld Odysseus christlich überschrieben werden. Die Möglichkeit dazu bot der zwölfte Gesang der Odyssee, wo berichtete wird, wie sich Odysseus an den Mast des Bootes binden lässt, um dem lockenden Gesang der Sirenen zu entgehen. Maximus von Turin betont, dass auch die Christen »die lockenden Gefahren der Welt mit ver407
Die Wundererzählungen im Matthäusevangelium
klebten Ohren durchsegeln (…). Denn der Mastbaum des Kreuzes lässt den Menschen, der an ihn gebunden ist, sicher in die Heimat gelangen« (Hom. Od. 49, Cr. Dom. 1). Dass mit dem Bild vom Schiff der Kirche nicht ausschließlich eine intakte bzw. »nur« von äußeren Einflüssen bedrohte Gemeinschaft gemeint war, zeigt S. Brants »Das Narrenschiff« (1494). Hier wird die römisch-katholische Kirche als ein Schiff voll Narren beschrieben und das Bild vom Schiff der Kirche kommt in einem gemeinschaftskritischen Sinn zur Anwendung. Vollends preisgegeben wird das Bild einer christlichen Gemeinschaft, die im gleichen Boot sitzt, im Song »Seeräuber-Jenny« aus Bertolt Brechts »Dreigroschenoper« (uraufgeführt 1928 in Berlin). In dem Lied werden die Herrschaftsstrukturen der Gesellschaft, in der die »Herren« über das Abwaschmädchen Jenny befehlen, umgekehrt. Das Bild des Kanonenschiffes, das Jenny befehligt, hält Gericht ab über die Menschen und tötet diese dann ausnahmslos. Jenny, von der es im Text heißt: »Und die wissen noch immer nicht, wer ich bin« (vgl. Mt 8,27), befehligt ein Schiff, das kein Kreuz Christi an Bord hat, sondern Kanonen. Statt Nachfolge und Rettungsperspektive gibt es erbarmungsloses Gericht. Der Song bricht mit allen konventionellen Bildprogrammen, die das Schiff auf eine christliche Gemeinschaft ausdeuten, und warnt zugleich, die überlieferten Bildwelten frag- und diskussionslos zu übernehmen.
Kristina Dronsch Literatur zum Weiterlesen G. Bornkamm, Die Sturmstillung im Matthäusevangelium, in: ders./G. Barth/H. J. Held, Überlieferung und Auslegung im Matthäusevangelium, WMANT 1, Neukirchen-Vluyn 71975 [= 11960]), 48-53. J. K. Brown, The Disciples in Narrative Perspective: The Portrayal and Function of the Matthean Disciples, Academia Biblica 9, Atlanta 2002, bes. Kap. 3 und 5. P. F. Feiler, The stilling of the storm in Matthew. A response to Günther Bornkamm, JETS 26 (1983), 399-406. K. Goldammer, Navis Ecclesiae. Eine unbekannte altchristliche Darstellung der Schiffsallegorie, ZNW 40 (1941), 76-86. H. J. Held, Matthäus als Interpret der Wundergeschichten, in: ders./G. Bornkamm/G. Barth, Überlieferung und Auslegung im Matthäusevangelium, WMANT 1, Neukirchen-Vluyn 71975, 155-287, bes. 189-192.
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Böses flieht (Die Heilung der Besessenen von Gadara) Mt 8,28-34 (28) Und als er an das jenseitige Ufer in das Land der Gadarener gekommen war, liefen ihm zwei von Dämonen Besessene entgegen, die aus den Gräbern herauskamen. Sie waren sehr gefährlich, so dass niemand vorbeigehen konnte auf jenem Weg. (29) Und siehe, sie schrien und sagten: »Was haben wir mit dir zu tun, Sohn Gottes? Bist du vor der Zeit hierher gekommen, um uns zu quälen?« (30) Es war aber fern von ihnen eine Herde von vielen Schweinen, die weidete. (31) Da baten ihn die Dämonen und sagten: »Wenn du uns austreibst, schick uns in die Herde der Schweine!« (32) Und er sagte zu ihnen: »Geht!«. Da fuhren sie aus, hinein in die Schweine; und siehe, die ganze Herde stürzte sich hinab von dem Abhang in den See, und sie kamen im Wasser um. (33) Die Hirten aber flohen, gingen weg in die Stadt und berichteten alles, auch das von den Besessenen. (34) Und siehe, da kam die ganze Stadt hinaus, um Jesus entgegenzulaufen; und als sie ihn sahen, baten sie ihn, dass er aus ihrem Gebiet weggehe.
Sprachlich-narratologische Analyse Im Anschluss an die Bergpredigt Jesu (Mt 5-7) erzählt Matthäus zehn Heilungsgeschichten (Mt 8-9), die als vollmächtige Taten den messianischen Worten Ausdruck verleihen. Die Mitte des Wunderzyklus’ markiert als fünfte von zehn Narrationen die Heilung zweier Besessener in Gadara (Mt 8,28-34), die die christologische Pointe des voranstehenden Seewunderberichts (Mt 8,23-27) aufnimmt und im Sinne einer Antwort auf die von dort her im Raum stehende Frage »Was ist das für einer, dass ihm sogar die Winde und der See gehorchen?« (Mt 8,27) entfaltet. Stichworte verbinden die Perikope mit den benachbarten Heilungserzählungen und unterstreichen den einheitlichen Charakter (V. 28: daimonizmenoi daimonizomenoi – Besessene vgl. Mt 8,16; V. 31: ¥kb€llw ekballo¯ – austreiben vgl. Mt 8,16; V. 32: ¢p€gw hypago¯ – [weg-]gehen vgl. Mt 8,4.13; V. 34: §dnte@ idontes – sehend vgl. Mt 9,8). Anfang und Ende der Heilungsgeschichte Mt 8,28-34 sind jeweils durch einen Ortswechsel gekennzeichnet. Der Duktus der Erzählung läuft nur indirekt auf Jesus zu. Als handelnder Protagonist begegnet er zwar zu Beginn (V. 28) und im Zentrum (V. 32), doch erst im Spiegel der geschilderten Reaktion der Besessenen (V. 29), der Dämonen (V. 31), der Hirten (V. 33) und der Einwohner der Stadt (V. 34) zeigt sich, wie sehr Jesus die zentrale Figur der Narration ist. Dem entspricht ihr chiastischer Aufbau, der sich durch mehrere Inklusionen um die Mitte V. 32 herum gruppiert: ¢pant€w (hypantao¯ – entgegenlaufen) / ¢p€nthsi@ (hypante¯sis – Begegnung, V. 28b/34a); daimonizmenoi (daimonizomenoi – Besessene, V. 28b/33b); bskw (bosko¯ – weiden) / bskonte@ (boskontes – Hirten, V. 30/ 33a); ⁄gfflh (agele¯ – Herde, V. 30.31b/32c) (vgl. Luz 2007, 31). 409
Die Wundererzählungen im Matthäusevangelium
Der Schauplatz der Handlung bleibt im Ungefähren. Über ihn wird gesagt, dass er am »anderen Ufer« des Sees im »Gebiet von Gadara« liegt (V. 28). Der Fortgang der Erzählung lässt vermuten, dass sich die Episode in Hanglage am direkten Ufer des Sees abspielt (vgl. V. 32). In unbestimmter Weise ist schließlich auch von einer »Stadt« die Rede, die in der Nähe liegt (V. 33 f.). Dass es dort offenkundig Schweineherden gibt, ist für die von Matthäus vorgenommene Lokalisierung der Ortschaft nicht unerheblich. Als Judenchrist, der in Schweinen allererst unreine Tiere erkennt (vgl. Lev 11,7), ist er sich sicher, dass sich diese Episode nicht im Heiligen Land abgespielt haben kann. Dennoch korrigiert er entsprechend seiner geographischen Kenntnis die markinische Vorlage und wählt die nur zehn Kilometer vom galiläischen See entfernte Handelsstadt Gadara (mit ihrem bis an den See reichenden Stadtgebiet) – anstelle des weitaus ferner gelegenen Gerasa (so Mk 5,1) – als Handlungsort (vgl. Luz 2007, 32). Die nur schemenhafte Skizzierung der Szenerie stereotypisiert den Text und öffnet ihn für die Aktualisierung durch den Leser. Sie konzentriert zudem alle Aufmerksamkeit auf die Handlung, für die das räumliche Gegenüber von Ufer und See bzw. von Oben und Unten zum Realsymbol der Gegensätzlichkeit zwischen der Sphäre des lebensbejahenden Heilswirkens Jesu einerseits und lebensfeindlicher Unheilsmächte andererseits wird. Der gefährliche und unbegehbare Weg (V. 28) versinnbildlicht die Komplikation der Erzählung. Diese wird überwunden durch das vollmächtige Wirken Jesu, in dem sich die machtvolle Dynamik des Heilswillens Gottes artikuliert. Er bewirkt die Befreiung zweier Besessener, die durch den tödlichen Hinabsturz der Schweineherde besiegelt ist. Indem Matthäus die erschrockenen Hirten davonlaufen und den Menschen der Stadt das Geschehene berichten lässt (V. 33), verbindet er die Exorzismus-Szene mit dem Aspekt antwortender Reaktion. Die Stadt und ihre Bewohner stehen nicht nur in ihrer Zuschauerfunktion, sondern auch mit der erzählten Reaktion für das Leben der Welt, die sich angesichts der Machttat Jesu mit der Wirklichkeit Gottes konfrontiert sieht. Diese Konfrontation ruft im Horizont des gesamten Matthäusevangeliums zur Entscheidung für oder gegen das Reich der Himmel und seinen Repräsentanten Jesus.
Sozial- und realgeschichtlicher Kontext Matthäus lokalisiert die Heilung der beiden Besessenen im Gebiet von Gadara. Die Stadt Gadara (G€dara), arabisch Umm Qais, liegt ca. 10 km südöstlich des Sees von Gennesaret. Mit Damaskus, Philadelphia, Raphana, Sythopolis, Hippos, Dion, Pella, Gerasa und Kanatha zählt die Handelsstadt zur Dekapolis. Die Städte sind (mit Ausnahme Raphanas) archäologisch identifiziert (vgl. Wenning 2005, 145). 63 v. Chr. hatte Pompeius die von den Hasmonäern eroberten Städte der ehemaligen seleukidischen Koile Syria ihren alten Bewohnern zurückgegeben und sie als autonome Städte der Provinz Syrien zugeordnet. Allein Gadara nutzte das Recht freier Münzprägung. In der Antike galt es als Zentrum griechisch-römischer Kultur, aus dem bekannte Philosophen, Rhetoren und Dichter hervorgingen. Die Bevölkerung der Dekapolis bestand überwiegend aus arabisch-semitischen Gruppen, die sich zunehmend hellenisierten. In den näher zum Jordan gelegenen Städten gab es zudem jüdische Bevölkerungsanteile (vgl. Wenning 2005, 146). Einer Notiz des antiken Historiographen Flavius Josephus (Flav. Jos. vit. 42) zufol410
Böses flieht Mt 8,28-34
ge grenzte das Gebiet von Tiberias an das von Gadara und Hippos. Weil der See die Grenze zu Hippos bildete, muss nicht ausgeschlossen werden, dass das Gebiet von Gadara am Südufer bis an den See reichte. Festzuhalten bleibt, dass Matthäus die Heilung der Besessenen außerhalb des Heiligen Landes, auf heidnischem Gebiet verortet. Dass Jesus auch dort Wunder wirkt, ist im Horizont des Matthäusevangeliums kein Zufall, sondern dem matthäischen Anliegen geschuldet, das Jesus-Ereignis sowohl in Verwurzelung mit der Geschichte Israels als auch in universaler Ausrichtung zu beschreiben. J. D. M. Derrett hebt unter Berufung auf Expertenmeinung hervor, dass das in Mt 8,32 skizzierte Verhalten der Schweineherde als »utterly unpiglike« einzustufen sei: Wenn Schweine in Panik geraten, fliehen sie – entgegen der Suggestion von V. 32 (»die ganze Herde«) – nicht in Formation (Derrett 1979, 5 f.). Außerdem sind sie des Schwimmens mächtig (so Klinghardt 2007, 35 Anm. 33). So transportiert die Schilderung der Reaktion der Herde weniger authentisch biologische, denn militärische Züge. Zu denken sei eher an eine in geschlossener Formation chargierende Kavallerieeinheit (Klinghardt 2007, 35). Verstärkt durch den Blick auf die markinische Vorlage (Mk 5,1-20) des matthäischen Heilungswunders von Gadara, wo Jesus den Besessenen nach seinem Namen fragt und dieser sich ihm auch noch als »Legion« vorstellt (Mk 5,9), wurde des Öfteren diskutiert, ob in der sich vom Ufer hinabstürzenden Schweineherde eine militärisch-politische Anspielung zu sehen sei (vgl. dazu Lau 2007, 354-356). In Betracht käme v. a. die in Verwaltungs- und Stabilisierungsmaßnahmen im Raum der Dekapolis involvierte, an der Eroberung Galiläas 67 n. Chr. und der Zerstörung Jerusalems (70 n. Chr.) maßgeblich beteiligte römische Legio X Fretensis. Die Legion war nach Ende des jüdischen Krieges in Palästina allgegenwärtig. Optische Präsenz erzielte sie v. a. durch eine Vielzahl von Legionsstandarten und -symbolen, insbesondere durch Münzprägungen und Zierstempel. Hauptsymbol dieser römischen Kerntruppe war ein Eber (vgl. Barag 1967, 247-250). Münzen der Legion und Gegenprägungen können für alle Phasen der Truppenpräsenz verifiziert werden (Klinghardt 2007, 38). Daneben können aber auch maritime Symbole mit der Legio in Verbindung gebracht werden (vgl. Klinghardt 2007, 40 f.). G. Theißen (Theißen 1992b, 117 f.) und M. Klinghardt (Klinghardt 2007, 41-43) sehen dadurch die argumentative Grundlage gegeben, um – zumindest in der markinischen Fassung der Schweinesturzepisode – eine antirömische Karikatur und Widerstandspropaganda zu erkennen. So passgenau die Hypothese erscheint, so wenig kann sie am Ende erklären, weshalb die Episode in der Dekapolis und nicht vielmehr auf der Westseite des Sees im jüdischen Mutterland spielt. Eine politische Ausrichtung der Heilungsgeschichte Mt 8,28-34 erscheint unwahrscheinlich.
Traditions- und religionsgeschichtlicher Hintergrund Von den beiden Besessenen wird erzählt, dass sie aus Gräbern hervorkamen und sehr gefährlich waren (Mt 8,28). Im Hintergrund der Notiz steht die traditionelle rabbinische Vorstellung, wonach Gräber, Friedhöfe und Orte des Todes bevorzugte Aufenthaltsorte unreiner Dämonen sind (vgl. Böcher 1970, 74 f.). Wer in oder an einer Begräbnisstätte haust, gilt als von Sinnen und besessen (Ter 1,4ob, 23). Den Aspekt der Gottferne bringt 411
Die Wundererzählungen im Matthäusevangelium
auch Jes 65,4 mit dem Wohnen in Gräbern in Zusammenhang. Matthäus dient dieser Hinweis nicht nur dazu, das Ausmaß der Verunreinigung und Verdammnis der Besessenen zum Ausdruck zu bringen. Er schafft darüber hinaus einen Kontrast zu Jesus, den die Besessenen ausdrücklich als Sohn Gottes bekennen (Mt 8,29). In Jesus leuchtet die Herrlichkeit Gottes auf, die alles Finstere und Dämonische überwindet (vgl. Ps 71,20). Der Besuch Jesu in Gadara scheint also von grundsätzlicher Art zu sein; die Erzählung will in der Perspektive des Matthäusevangeliums nicht als eine punktuelle Episode gelesen werden, sondern als ein christologisch fundiertes – und gerade darin programmatisches – Exemplum, das statuiert wird. Es fällt auf, dass es der ausdrückliche Wunsch der Dämonen ist, in eine Schweineherde verbannt zu werden (Mt 8,31). Dadurch wird die Aufmerksamkeit des Lesers auf die zuvor erwähnten Schweine gelenkt (Mt 8,30). Aus biblischer Perspektive ist die Fokussierung brisant. Lev 11,7 f. und Dtn 14,8 klassifizieren Schweine als unrein und verbieten, ein totes Schwein zu berühren und Schweinefleisch zu essen. Die Mischna spricht später sogar ein Verbot der Zucht von Schweinen aus (mBQ 7,7). Weil das Alte Testament dem grundsätzlichen Verbot keine weitere Begründung folgen lässt, können mehrere Verbots-Motive in Betracht kommen. Aus religiöser Sicht könnte die Verbannung des Schweins dadurch begründet sein, dass es heidnischen Religionen als Kulttier diente. Ein moralisch hergeleitetes Verdikt könnte aus dem vermeintlich unreinen Lebensstil der Tiere resultieren. Auch medizinische (Schutz vor Trichinose) oder ökologische (Nahrungskonkurrent des Menschen) Gründe können eine Rolle spielen (Heil 2000, 336). Vor diesem Hintergrund erweist sich die dezidierte Nähe, in die die Heilungsgeschichte Mt 8,28-34 die Dämonen und die Schweine rückt (vgl. nur V. 31), als Stilmittel zur disqualifizierend-abgründigen Charakterisierung des Dämonischen. Dass die Schweine in den See stürzen und dort umkommen (V. 32), stellt eine spektakuläre Demonstration der Vertreibung des Bösen dar und gehört als solche zur Topik von Exorzismen (vgl. Mk 9,22). Ihre inhaltliche Konkretion ist insofern von Bedeutung, als das Wasser im mythologischen Horizont der Bibel immer auch ein Sinnbild der Chaosmächte darstellt (vgl. Gen 6-9; Jes 54,9 f.; vgl. Goppelt 1969, 315. 319; Zenger 1994, 1007 f.). Die Wasser der Meerestiefe sind sprechendes Bild für tödliche Gefahr (Ps 69,3). Der Meeresgrund liegt biblischer Vorstellung entsprechend dem Scheol nicht fern (Jon 2,6 f.). Die Dämonen stürzen also in den sie vernichtenden und somit ihnen gebührenden Untergang. Antiheidnische Polemik ist durchaus gewollt: Das Heidentum trägt seinen Untergang in sich und betreibt ihn sogar selbst (Merklein 1992, 1029). Die Dämonen werden in all diesen Konnotationen zum Inbegriff des Heidnischen.
Verstehensangebote und Deutungshorizonte Die jüngere Auslegungsgeschichte der Wundererzählung Mt 8,28-34 par. legt im Wesentlichen drei Perspektiven der Deutung frei. Prominent (allerdings im Blick auf die markinische Vorlage) vorgetragen (Drewermann 1990; 2000) und kontrovers diskutiert (Lohfink/Pesch 1987; Schnackenburg 1988; Rebell 1989) wurde ein tiefenpsychologisches Verstehensmodell. Daneben gibt es zahlreiche Arbeiten, die sich der exegetisch-theologischen Analyse widmen (Luz 2007, 30-34;
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Nolland 2005, 372-378). Auch eine geistliche Interpretation auf Basis der Ergebnisse theologischer Reflexion erscheint weiterführend. Eine tiefenpsychologische Auslegung der Heilungsgeschichte setzt bei den Besessenen an, die als an sich selber leidend und von quälenden Gegensätzen zerrissene Menschen betrachtet werden. Die Gräber, in denen sie sich aufhalten, sind ein Bild der Daseinszerstörung eines Menschen, der – wenngleich innerlich längst gestorben – doch physisch weiterleben muss. Die in der Frage »Was haben wir mit dir zu tun, Sohn Gottes? Bist du hierher gekommen, um uns (…) zu quälen?« (Mt 8,29) aufscheinende Verfolgungsangst weist auf die Grundproblematik des Menschseins hin, dass das Selbst des Menschen inmitten seiner Angst der eigenen Zerrissenheit schutzlos und unentrinnbar ausgesetzt ist (Drewermann 1990, 254). Zum Vorschein kommt ein ewiger Teufelskreis aus Egozentrik und Selbsthass (Drewermann 1987, 363). Dieses Dilemma zeichnet sich auch im Verhalten der Besessenen Jesus gegenüber ab: Sie bitten ihn nicht um Erlösung, sondern grenzen sich ab. Hinter dem Paradox kämpferischer Anhänglichkeit an das eigene Leid steht die Angst vor der eigenen Wahrheit (Drewermann 1990, 260). Heilung aus solch verzweifelter Lage gibt es nur, wenn die Besessenen die Dämonen, die in ihnen Wohnung genommen haben, in einer enormen Orgie aggressiver Zerstörung nach außen abgeben können (Drewermann 1990, 268). Die Bitte der Dämonen, in die Schweine fahren zu dürfen (Mt 8,31), und die Erlaubnis, die Jesus gewährt (Mt 8,32), können vor diesem Hintergrund tiefenpsychologisch eingeholt werden: »Die ganze ›Schweinerei‹ eines so zerstörerisch verinnerlichten Unlebens« muss sich entladen bis zum Ende (Drewermann 2000, 364). Insofern solches Abreagieren gegen die Aufsicht der Schweinehirten geschieht, identifiziert E. Drewermann diese mit der Kontrollinstanz des ÜberIchs (Drewermann 1990, 269). In der Bitte der Städter, Jesus möge ihr Gebiet verlassen (Mt 8,34), sieht er eine Solidarisierung mit den Dämonen, so dass von einem Kampf zwischen Jesus und den Mächten der Finsternis gesprochen werden kann, in dem sich ein grundsätzlicher Konflikt zwischen Angst und Glaube verdichte, den es je neu auszutragen gelte (Drewermann 1990, 272). Jesus ist der Therapeut. Die Geschichte von der Heilung der Besessenen wird so zur Einladung an jeden Menschen, zu sich selbst zu finden und sein eigenes Wesen zurückzugewinnen (Drewermann 1990, 276). Die theologische Interpretation der Heilungserzählung, die den matthäischen Ursprungssinn zu eruieren sucht, muss die Ergebnisse der tiefenpsychologischen Deutung zwar kritisch prüfen, aber nicht kategorisch zurückweisen. Es erscheint ihr sogar legitim, das neutestamentliche Phänomen der Besessenheit als Zustand personaler Zerrissenheit aufzufassen (Merklein 1992, 1032 f.; Berger 1991, 71-73). Über das tiefenpsychologisch herausgearbeitete Moment des inneren Abreagierens verinnerlichter Ängste und Konflikte hinaus betont die theologische Analyse der Heilungserzählung v. a. die Dynamik der Abspaltung und Vernichtung des Dämonischen aus der Wirkmacht Jesu heraus. So wird v. a. das christologische Potential der Geschichte beleuchtet. Mt 8,28-34 folgt in seiner Struktur der vorgegebenen Topik des Exorzismus. Eigene matthäische Akzentuierungen bewegen sich auf der Ebene übergeordneter Topoi narrativer Christologie. Zu beobachten ist neben einer Tendenz zur heilsgeschichtlichen Generalisierung, die in Jesus das Ende jeder Form von Dämonenherrschaft gekommen sieht, die – der spezifisch matthäischen Grundüberzeugung folgende – Betonung der universalen Verkündigungspraxis Jesu. 413
Die Wundererzählungen im Matthäusevangelium
Dargestellt wird der grundsätzliche Machtwechsel, der sich mit dem Auftreten Jesu, des verheißenen Messias, vollzogen hat. Der Vorwurf der Besessenen, Jesus komme »vor der Zeit«, sie zu quälen (V. 29), zeigt, dass mit Jesus die eschatologische Endzeit angebrochen ist (vgl. auch Mt 12,28; anders Luz 2007, 32: »Eine ganz simple präpositionale Wendung mit dem Sinn ›vorzeitig‹. Die Dämonen wollten einfach noch etwas am Leben bleiben«). Weil die Botschaft von der Nähe der Herrschaft Gottes den ganzen Menschen anspricht, ist dort, wo sie beginnt, kein Platz mehr für Krankheit und Besessenheit. Eine Rolle mag hier auch die durch frühjüdische Schriften belegte Vorstellung spielen, dass Gott dem Teufel nur eine begrenzte Frist seines Wirkens einräumt (vgl. 1Hen 16,1; Jub 10,8). Die dämonische Welt, die sich eine lebensfeindliche und zerstörerische Herrschaft schuf, muss vor dem vollmächtigen Repräsentanten des Evangeliums vom Leben weichen. Die von Dämonen Besessenen haben diese unüberbietbare, heilsgeschichtlichsoteriologische Wesenhaftigkeit und Bestimmung Jesu mit sicherem Gespür erfasst und in der Anrede »Sohn Gottes« (Mt 8,29) christologisch adäquat zum Ausdruck gebracht. Jesus spricht in der Geschichte nur ein einziges Mal (Mt 8,32). Aber sein Wort ist das entscheidende Wort. Es hat wirkende Kraft. Die Dämonen werden an den – gemäß jüdischem Weltbild – ihnen zukommenden Ort in der Tiefe der Unterwelt verbannt und zugleich ihrer Macht beraubt (vgl. Ps 71,20; Jub 5,6-8; 1Hen 10,4 f.). D. A. Hagner (Hagner 1993, 228) trifft vor diesem Hintergrund eine problematische Unterscheidung und betont, dass die Schweine, nicht die Dämonen, umkommen. Die Pluralwendungen Mt 8,32fin stehen dieser Deutung jedoch entgegen. Matthäus weiß, dass der Machtwechsel, den Mt 8,28-34 narrativ in Szene setzt, in einer noch ablaufenden Zeit unter eschatologischem Vorbehalt steht. Insofern ist diese Episode auch ein Ausblick als Geschichte der kommenden Welt. Das in Jesus erfahrene Erbarmen wird zur heilsamen Hoffnung aller Glaubenden (Merklein 1992, 1036). Die geistliche Deutung, etwa im Modell der Lectio divina, betont das Moment der Begegnung mit Jesus. Sie ereignet sich zwischen den Besessenen und Jesus (Mt 8,29), aber auch zwischen den Bewohnern der Stadt und ihm (Mt 8,34). Beide Besessene erkennen nicht nur die radikale Feindschaft zwischen den Mächten der Unterwelt und der Wirklichkeit Gottes, sondern auch die besondere Würde Jesu. Was Menschen verborgen bleibt, ist dem scharfen Verstand des Widergöttlichen längst offenbar (Trilling 1963, 195). Jesus ist der Sohn Gottes. Als solchem eignet ihm Vollmacht, selbst Dämonen zu befehlen. Er ist aber auch der Heiland – der, in dessen Nähe Menschen seelisch und körperlich heil und gesund werden können. Die Freude am Exorzisten und Therapeuten Jesus wächst, wenn darauf geachtet wird, wie sorgsam er mit den Kranken und Besessenen umgeht. Jesus löst Fesseln. Er befreit von Unheil und Unterdrückung. In ihm bringt sich Gott selbst zur Sprache und zum Ausdruck, von dem es heißt, dass er selbst die Liebe (1Joh 4,8) und ein Freund des Lebens (Weish 11,26) ist. Die Leute aus der Stadt nehmen entsetzt und verängstigt wahr, was geschehen ist – und fordern Jesus auf, ihr Gebiet zu verlassen. Die Begegnung mit dem Heiligen und der Wirklichkeit Gottes löst Angst aus. Sie ruft zur Entscheidung, zur Nachfolge und zur Umkehr. Wer die Wundererzählung von Gadara hört oder liest, bleibt eingeladen, sein eigenes Verhältnis zu diesem Gottessohn Jesus zu bedenken.
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Aspekte der Parallelüberlieferung und Wirkungsgeschichte Die Erzählung von der Heilung der Besessenen von Gadara gehört zur synoptischen Tradition und ist damit dreifach überliefert: vgl. Mk 5,1-20; Lk 8,26-39. Schon in vorsynoptischer Tradition dürfte die Geschichte mit der voranstehenden Überlieferung von der Rettung aus Seenot verbunden gewesen sein (vgl. die redaktionelle Verzahnung Mk 5,1; Mt 8,28; Lk 8,26). Die Heilungsgeschichte Mt 8,28-34 fällt im Vergleich zur markinischen Vorlage Mk 5,1-20 (und im Unterschied zu Lk 8,26-39) knapper aus. An die Stelle der Dekapolisstadt Gerasa (Mk 5,1) tritt nun Gadara. Die Verlagerung könnte der Erzählpragmatik geschuldet sein: Soll die Schweineherde in den See stürzen (Mt 8,32), setzt dies eine relative Ufernähe voraus. Gerasa liegt jedoch ca. 55 km vom See Gennesaret entfernt im Ostjordanland, Gadara dagegen nur ca. 10 km mit einem bis an den See reichenden Stadtgebiet. Aus nur einem Besessenen werden zwei (ähnlich Mt 9,27; 20,30). Vielleicht hat die strukturelle Verwandtschaft, die sich zwischen Mk 5,1-20 und Mk 1,23-28 abzeichnet, Matthäus veranlasst, die erste Perikope wegzulassen und die zweite zusammenfassend mit Referenz auf zwei Besessene nachzuerzählen (Merklein 1992, 1026 mit Anm. 57). Die Schilderung der Besessenheit (Mk 5,3-5) fällt ebenso weg wie die Dialoge zwischen Jesus und den Dämonen wegen ihres Namens (Mk 5,9). Stattdessen teilt Matthäus mit, die beiden Besessenen seien so gefährlich gewesen, dass niemand den dort vorbeiführenden Weg habe benutzen können (Mt 8,28). Die Reaktion der Stadtbewohner (Mk 5,15-17) wird im Matthäusevangelium auf eine kleine Notiz gekürzt (Mt 8,34), das Gespräch zwischen Jesus und dem Geheilten (Mk 5,18 f.) entfällt sogar ganz. Matthäus erzielt durch diese Reduktionen den Effekt, dass die durch Jesus gewirkte Überwindung der dämonischen Unheilsmacht klar im Zentrum der Erzählung steht. O. Böcher (Böcher 1988, 18) sieht in den matthäischen Kürzungen und Weglassungen sogar ein Indiz für die Abneigung des Evangelisten gegenüber dämonischen Einflüssen und magischen Abwehrriten. Zutreffender dürfte das Urteil U. Lucks (Luck 1993, 113) ausfallen, der in Mt 8,28-34 gerade die Macht Jesu über das Dämonische herausgestellt sieht.
Robert Vorholt Literatur zum Weiterlesen M. Konradt, Israel, Kirche und die Völker im Matthäusevangelium, WUNT 215, Tübingen 2007, 59-63. S. Pasala, The »Drama« of the Messiah in Matthew 8 and 9. A Study from a communicative perspective, Bern 2008, 158-164. D. Trunk, Der messianische Heiler. Eine redaktions- und religionsgeschichtliche Studie zu den Exorzismen im Matthäusevangelium, Freiburg 1994, 103-140.
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Auch Frauen sind Wunder wert (Die Heilung der blutflüssigen Frau und die Auferweckung der Tochter eines Synagogenvorstehers) Mt 9,18-26 (EpAp 5,4-7; EvNik 7)
(18) Während er [Jesus] ihnen dieses erzählte, siehe, da kam ein Vorsteher, warf sich vor ihm nieder und sagte: »Meine Tochter ist gerade eben gestorben; aber komm und lege ihr deine Hand auf, so wird sie wieder lebendig«. (19) Da stand Jesus auf und folgte ihm mit seinen Jüngern. (20) Und siehe, eine Frau, die seit zwölf Jahren an unstillbaren Blutungen litt, näherte sich von hinten und berührte die Quaste seines Gewandes, (21) denn sie sagte sich: »Wenn ich nur sein Gewand berühre, so werde ich geheilt werden«. (22) Als Jesus sich aber umwandte, sah er sie und sagte: »Sei guten Mutes, Tochter! Dein Glaube hat dich geheilt«. Und die Frau war von jenem Moment an geheilt. (23) Und als Jesus in das Haus des Vorstehers kam und die Flötenspieler und die Menge der lärmenden Leute sah, (24) sagte er: »Geht weg! Das Mädchen ist nicht gestorben, sondern es schläft«. Da lachten sie ihn aus. (25) Als aber die Leute hinausgetrieben waren, ging er hinein und ergriff das Mädchen bei der Hand. Da stand es auf! (26) Und diese Neuigkeit verbreitete sich in der ganzen Gegend.
Sprachlich-narratologische Analyse Der Text Mt 9,18-26 gehört zur Gattung der Heilungswunder (Therapien). Ungewöhnlich ist die Kombination zweier separater Wundererzählungen: Erst wird Jesus gebeten, die verstorbene Tochter eines Vorstehers wieder lebendig zu machen; auf dem Weg zum Haus des Vorstehers heilt er allerdings zunächst eine Frau von unstillbaren Blutungen, bevor er anschließend das tote Mädchen auferweckt. Diese Verschränkung ist in struktureller Hinsicht einmalig im Genre neutestamentlicher Heilungswunder. Um dieses Phänomen zu erklären, ist die Vorlage in Mk 5,21-43 zu erwähnen (s. den Beitrag v. W. Kahl in diesem Band), die sich in vielerlei Hinsicht von der matthäischen Version unterscheidet. Bedeutsam ist v. a., dass nach Mk 5,22 f. der Vater des Mädchens – ein Synagogenvorsteher namens Jaïrus – Jesus zunächst nur um eine Heilung bittet, denn seine Tochter ist zwar schwer krank und liegt in den letzten Zügen, aber sie lebt noch. So ist Eile geboten, und Jesus macht sich sofort auf den Weg. Trotz dieser Problemanzeige lässt er sich durch die andere Frau, die sich ihm nähert und ihn von hinten berührt, aufhalten. Diese Erzählung ist folglich als retardierendes Element in die andere eingeschoben und steigert die Spannung: Wird Jesus am Hause des Jaïrus rechtzeitig eintreffen? Die Vorlage in Mk 5,21-43 hat damit zwei Plots, wobei der zweite den ersten klar übertrifft, denn eine Erweckung von den Toten darf als »mehr« gelten als eine Krankenheilung. Der zweite Plot wird durch das Intermezzo in Mk 5,25-34 erzählerisch geschickt akzentuiert; die Zusam416
Auch Frauen sind Wunder wert Mt 9,18-26
mengehörigkeit der beiden kombinierten Erzählungen liegt also in der narrativen Strategie begründet. Matthäus übernimmt sie aus seiner Vorlage. Sein vorrangiges Interesse an Jesus als demjenigen, der Menschen aus jeglicher Not erretten kann, führt allerdings dazu, dass er die ausführliche Schilderung menschlichen Leidens sowie Details der Wunder deutlich kürzt und z. T. auch ändert. So ist ihm zufolge die Tochter des Vorstehers von Anfang an tot. Jesus macht sich zwar auch hier sofort auf den Weg zu dessen Haus. Dennoch verliert die zweite, eingeschobene Erzählung ihre retardierende Funktion; Jesus wird durch die andere Frau wohl aufgehalten, angesichts der bereits verstorbenen Tochter ist aber keine Eile mehr geboten. Beide Episoden stehen durch ihre Verschränkung also auch im Matthäusevangelium in Beziehung (Anderson 2001, 35), obwohl spezifische Gründe dafür nicht mehr ersichtlich sind. Gleichwohl wird den Rezipientinnen und Rezipienten durch das Intermezzo vermittelt, wie intensiv die Heilungstätigkeit Jesu war. Ähnliches geht auch aus verschiedenen Wundersummarien hervor (Mt 4,23-25; 12,15 f.). Die kombinierten Wundererzählungen sind als narrative Einheit vom Kontext abgegrenzt. Sie beginnen in Mt 9,18 mit einer einleitenden Bemerkung im Genitivus absolutus: »Während er [Jesus] ihnen dieses erzählte …«. Sie schließen mit diesen Worten an die vorhergehende Belehrung der Johannesjünger an, und zwar konkret an Jesu Doppelwort vom Flicken auf dem Kleid und vom Wein in den Schläuchen. Im Gegensatz zur markinischen Vorlage stellt also Matthäus einen expliziten Bezug zwischen beiden Szenen her. Damit ist die anfängliche Szene im Haus des Zöllners Matthäus lokalisiert. Dort lag Jesus zu Tische (V. 10), um erst zu den Pharisäern (V. 12 f.) und dann zu den Jüngern des Täufers zu sprechen (V. 15-17). Abgeschlossen wird die Erzählung der kombinierten Wunderhandlungen gattungstypisch durch eine Bemerkung über den Eindruck, den Jesu Aktivität bei den Leuten in der Gegend hervorrief: Die Nachricht sprach sich bald herum (Mt 9,26; vgl. V. 31). Verschiedene sprachliche Elemente lassen die kombinierten Wundererzählungen als Einheit erscheinen. Beide ineinander verwobenen Szenen fangen jeweils mit dem Wort §doÐ (idou – siehe) an (Mt 9,18.20). Dieses erscheint in vielen erzählenden Perikopen des Matthäusevangeliums, um zur Visualisierung der geschilderten Ereignisse einzuladen (vgl. 8,2.24.29.32.34; 9,2.3.10.18.20.32). Außerdem verleiht die dreimalige Wiederholung des Stichworts s†ðzw (so¯zo¯ – retten/heilen) speziell der zweiten Szene (9,20-22) sprachliche Kohärenz. Schließlich kommen für Matthäus typische Sprachelemente vor, so das Verb »herbeikommen« (9,20) und die Formulierung »von jenem Moment an« (9,22; wörtlich: »von jener Stunde an«; s. auch 8,13; 15,28; 17,18; vgl. Münch, Hinführung Matthäus). Die zentrale Figur der kombinierten Wundererzählungen ist Jesus, der sowohl die Heilung der an Blutungen leidenden Frau als auch die Auferweckung des verstorbenen Mädchens bewirkt. Beachtung verdient jedoch der Aspekt, dass die Initiative in beiden Fällen von anderen Personen ausgeht, die sich Jesus nähern, wenn auch in ganz unterschiedlicher Weise. So geht der Vater des verstorbenen Mädchens öffentlich auf Jesus zu und erweist die gebotene Ehrfurchtsbekundung, indem er sich vor ihm niederwirft. Dann formuliert er sein Anliegen, indem er konkret um Handauflegung bittet (Mt 9,18), worauf Jesus später bei der eigentlichen Auferweckung eingeht (V. 25). Auch die an Blutungen leidende Frau geht aus eigenem Entschluss zu Jesus. In ihrem Fall wird von dieser Absicht aber nicht als direkte Rede, sondern in Form eines Selbstgesprächs berichtet (V. 21). Die Frau nähert sich Jesus denn auch heimlich »von hinten« (V. 20) und berührt 417
Die Wundererzählungen im Matthäusevangelium
die Quaste seines Gewandes. In seinem Zuspruch nimmt Jesus dann aber das geheime Anliegen der Frau auf, woraufhin diese geheilt wird; Matthäus betont also eine derartige Glaubensinitiative. So wird diese Erzählung zum »Paradigma des matthäischen Glaubensverständnisses. Glaube ist etwas Aktives, ein Wagnis unbegrenzten Vertrauens auf Jesus (vgl. 14,28 f.)« (Luz 2007, 53; vgl. auch Anderson 2001, 37). Abgesehen davon werden in dieser Erzählung noch weitere Personen erwähnt: die Jünger, die aber nirgends in die Ereignisse eingreifen (Mt 9,19), Menschen am Haus des Vorstehers (V. 23) und schließlich die zum Leben erweckte Tochter des Vorstehers. Da in sonstigen Wundertherapien im Matthäusevangelium bevorzugt Männer geheilt werden (Ausnahmen: 8,14 f.; 15,21-28), sorgt der Umstand, dass hier vor der Totenerweckung bereits eine Frau geheilt wurde, für personelle Kohärenz. Auch Frauen sind also Wunder wert. Diese Kohärenz ist zudem darin explizit, dass Jesus die Frau in seinem Zuspruch als qug€thr (thygate¯r – Tochter, 9,22) anredet, worin eine auffallende Parallele zur »Tochter« (V. 18) des Vorstehers besteht. (Demgegenüber lässt Matthäus das Alter der Tochter aus. In der markinischen Vorlage besteht auch anhand dieses Aspekts – Jesus heilt eine seit zwölf Jahren an Blutungen leidende Frau und erweckt ein zwölfjähriges Mädchen – Kohärenz zwischen beiden ineinander verschachtelten Wundererzählungen.) Damit liegen in Mt 9,18-26 verschiedene für das Matthäusevangelium charakteristische Erzählelemente vor: Im Augenblick des eigentlichen Wunders konzentrieren sich beide Erzählungen jeweils auf das Gegenüber von Jesus und der kranken Frau (V. 22) bzw. dem verstorbenen Mädchen (V. 25); Matthäus ändert dazu die Vorlage, der zufolge drei seiner Jünger sowie die Eltern des Mädchens bei der Auferweckung präsent sind (Mk 5,37.40). Durch den Verlauf der geschilderten Ereignisse werden Erwartungen der Rezipient(inn)en bei der Heilung der an Blutungen leidenden Frau erfüllt. Erwähnt wurde bereits, dass Jesus aufgrund des Verlaufs der Erzählung des Matthäusevangeliums als Heiler bekannt ist, denn er hat in seiner vorherigen Wirksamkeit einen Aussätzigen, den Diener eines Zenturio, die Schwiegermutter des Petrus, zwei Besessene und einen Gelähmten geheilt. Deshalb war auch die Heilung der an Blutungen leidenden Frau zu erwarten. In diesem Aspekt mag die Zuversicht dieser Akteurin begründet sein, die sich allein von der Berührung des Gewandes Jesu Heilung erhofft (9,21). Die Bitte, eine verstorbene Person aufzuerwecken, war demgegenüber umso überraschender, denn ein solches Wunder hatte Jesus noch nicht vollbracht. Aufgrund seiner Erwartungshaltung kann der Vorsteher neben der an Blutungen leidenden Frau zu einem weiteren Vorbild für unerschütterlichen Glauben an Jesus werden.
Sozial- und realgeschichtlicher Kontext Im Rahmen der jeweils knappen Vorstellung der Figuren in Mt 9,18-26 fehlen Informationen über die Ursachen der Krankheit der Frau bzw. des Todes des Mädchens. Das impliziert, dass weder das Krankheitsbild der Frau noch der Tod des Mädchens auf Sünde, und zwar v. a. auf eigenes Verschulden zurückgeführt werden (Zimmermann 2010a, 15 f.). Beide Erzählungen stehen also in einer Tradition, die einen strengen Tun-ErgehenZusammenhang diesbezüglich hinterfragt (s. auch Joh 9,2 f.; vgl. dazu Kollmann, Krankheitsbilder in diesem Band, Abschnitt »Religiöse und kultische Implikationen«). Weiterführende Fragen speziell nach den medizinischen Ursachen der Vorfälle sind 418
Auch Frauen sind Wunder wert Mt 9,18-26
auf Mutmaßungen angewiesen. Das Krankheitsbild der an unstillbaren Blutungen (Metrorrhagie) leidenden Frau kann auf verschiedene Weise erklärt werden (vgl. Stare zu Lk 8,40-56 in diesem Band). Mögliche Ursachen umfassen neben Schwangerschaft und Menstruation auch diverse Krankheiten und Verletzungen. Bei aller Verschiedenheit haben diese Krankheitsbilder allerdings weitreichende Konsequenzen in physischer und sozialer Perspektive: Obwohl Matthäus viele Einzelheiten der individuellen Leidensgeschichten auslässt, erwähnt er, dass die Blutungen seit zwölf Jahren anhalten (9,20), folglich chronisch geworden sind. Diese Information lässt auf körperliches Siechtum der Frau schließen und impliziert die lebensbedrohliche Qualität ihrer Krankheit. Als sie sich Jesus nähert, kämpft sie möglicherweise um ihr Leben. Gleichzeitig machen ihre Leiden sie zu einer geächteten Person in der antiken jüdischen Gesellschaft (mehr im folgenden Abschnitt). Im Gegensatz zu dieser Leidensgeschichte liegen weniger Informationen bezüglich der Tochter des Vorstehers vor. Da sie nach Mt 9,18 nicht in den letzten Zügen liegt (wie in Mk 5,23), könnte ihr Tod auch abrupt ohne längere Krankheitsphase eingetreten sein. Damit ist die Ursache für ihren Zustand nicht auf Krankheiten eingeschränkt; möglich wäre z. B. ebenso ein Unfall.
Traditions- und religionsgeschichtlicher Hintergrund Die kombinierte Erzählung Mt 9,18-26 handelt von zwei »Töchtern«. Verbinden noch weitere Aspekte die beiden Personen? Das verstorbene Mädchen symbolisiert in ganz eigener Weise das Schicksal der seit zwölf Jahren an Blutungen leidenden Frau. Beide gelten gemäß der Tora als am9i5 (tame3), übersetzt meist als »unrein«. In diesem Zustand befand sich eine Frau zunächst während ihrer Monatsblutungen: »Wenn eine Frau ihre Periode hat, so soll sie sieben Tage als unrein gelten. Wer sie anrührt, der wird unrein bis zum Abend. Und alles, worauf sie liegt, solange sie ihre Periode hat, wird unrein und alles, worauf sie sitzt, wird unrein. Und wer ihr Lager anrührt, der soll seine Kleider waschen und sich mit Wasser abwaschen und unrein sein bis zum Abend« (Lev 15,1921). Ein analoger Zustand konnte allerdings auch außerhalb dieses Zeitraums eintreten: »Wenn aber eine Frau eine lange Zeit Blutungen hat, zu ungewöhnlicher Zeit oder über die gewöhnliche Zeit hinaus, so wird sie unrein, solange sie diese hat; wie zur Zeit ihrer Periode, so soll sie auch da unrein sein. Jedes Lager, worauf sie liegt die ganze Zeit ihrer Blutungen, soll gelten wie ihr Lager während ihrer Periode. Und alles, worauf sie sitzt, wird unrein wie bei der Unreinheit während ihrer Periode« (Lev 15,25-26). Was impliziert der Zustand der »Unreinheit« nach frühjüdischem Verständnis? Beiden Tora-Bestimmungen zufolge breitet sich Unreinheit durch unmittelbaren und mittelbaren physischen Kontakt aus (Erbele-Küster 2008, 61 f.). Dieser Zustand hat allerdings nur für einen begrenzten Zeitraum Bestand. Eine als am9i5 (tame3) geltende Person ist von der Teilnahme am Kult, also vom Gottesdienst, ausgeschlossen. Sie muss sich aufgrund der »ansteckenden« Natur ihrer Befindlichkeit auch von reinen Personen fernhalten, damit diese nicht gleichfalls vorübergehend am9i5 (tame3) werden. Das kann nach den Ansichten mancher frühjüdischer Gruppierungen zu Forderungen führen, dass Frauen während ihrer Monatsblutungen gemeinsam mit Aussätzigen in speziell aus419
Die Wundererzählungen im Matthäusevangelium
gewiesenen Orten innerhalb der Stadt zu verweilen haben (11QT 48,13-17). Mitunter galt eine Frau mit unstillbaren Blutungen gar als »Schmutz« (Love 2002, 97). Zu betonen ist jedoch, dass am9i5 (tame3) mit »unrein« nicht unbedingt angemessen wiedergegeben wird. Diese Übersetzung leitet sich eher von ⁄k€qarto@ (akathartos – unrein) aus der LXX ab, ihrerseits bereits eine Interpretation des masoretischen Textes. Der Begriff am9i5 (tame3) ist jedenfalls nicht gleichbedeutend mit »schmutzig«; erwägenswert ist deshalb z. B. eine Wiedergabe mit »kultunfähig« (Erbele-Küster 2008, 49-52 u. ö.). Der mit am9i5 (tame3) benannte Zustand eines Menschen ist denn auch natürlich, unvermeidbar und gilt nirgends in der Tora als Sünde (Klawans 2006, 53 f.). Wie aber wird Blut allgemein eingeschätzt? Im Frühjudentum gilt es keineswegs durchgängig als »unrein«; vielmehr symbolisiert es zunächst Leben (Gen 9,5; Lev 17,11), und das Blut der Wöchnerin wird bezeichnenderweise »Blut ihrer Reinigung« (Lev 12,4 f.) genannt. Das Schächtblut von Opfertieren gilt sogar als heilig; durch Applikation, also direkten physischen Kontakt im Rahmen von Sühneritualen, weiht es Personen (Lev 8,30) und Kultgegenstände (Ex 29,36 f.; Lev 16,18 f.; vgl. Eberhart 2002, 229-288; ders., 2007, § 2.1.). Diese Sicht der »Macht« von Blut gilt nicht nur weitgehend für den ganzen Alten Orient, sondern auch für andere Kulturräume (Love 2002, 91). Sie lässt sich noch heute etwa bei den First Nations Nordamerikas (»Indianern«) beobachten, die Menstruationsblut als »very powerful medicine« (Buck 2001, 14) bezeichnen können. Aufgrund dieser besonderen Qualität ist Blut allerdings tabu. Im Opferkult Israels darf Schächtblut nur für die in der Tora vorgeschriebenen Applikationsriten verwendet werden; der Rest ist der profanen Verwendung zu entziehen und am Brandopferaltar auszuschütten (Lev 1,5; 4,7). Menschliches Blut darf nicht vergossen werden (Gen 9,6). Blutverlust war deshalb gefürchtet, denn blutige Verletzungen oder chronische Blutungen können zu Siechtum und evtl. zum Tode führen. Wenn vor diesem Hintergrund die traditionell-jüdische Einschätzung von Blut bzw. Blutungen in einem anderen Licht erscheinen mag, so hat das spezifische Leiden dennoch für die Frau, die Jesus Mt 9 zufolge begegnet, weitreichende Konsequenzen. Was auch immer die Ursachen ihres Krankheitsbildes sind, sie gilt bei jeglicher Form von physischem Kontakt als ansteckend. Deshalb ist sie de facto von der sozialen Gemeinschaft ausgeschlossen. Sie hätte deswegen weder Jesus noch die Quaste seines Gewandes (V. 20) berühren dürfen, denn sie hätte ihn in beiden Fällen kontaminiert (Luz 2007, 52). Dabei sind der Tora zufolge gerade die Quasten ein Ausdruck der Gesetzestreue jüdischer Männer: Nach Num 15,38 f. sollten die Israeliten für sich »und ihre Nachkommen Quasten machen an den Zipfeln ihrer Kleider und blaue Schnüre an die Quasten der Zipfel tun. Und dazu sollen die Quasten euch dienen: Sooft ihr sie anseht, sollt ihr an alle Gebote des Herrn denken und sie tun …«. Solche Bräuche wurden noch zur Zeit der Urchristen gepflegt (Mt 23,5). Greifen also in der Erzählung Mt 9,20-22 die Bestimmungen der Tora, denen zufolge Jesus durch die Berührung der Frau kultunfähig geworden wäre? Es kommt aber anders: Nicht ihre Kultunfähigkeit geht auf Jesus über; vielmehr wird die Frau von ihrem langjährigen Leiden geheilt (Ilan 1996, 105). Dass Jesus traditionelle Vorstellungen zum Thema Reinheit anfragt, ist auch in seiner lehrhaften Unterweisung manifest (vgl. Mt 15,1-20). Die Heilung, welche nach der Vorlage in Mk 5,30 auf eine gleichsam unwillkürliche Kraft Jesu zurückgeht, könnte durchaus den Anschein einer magischen Aktion erwecken. Gegen ein solches Verständnis lässt Matthäus die Kraft 420
Auch Frauen sind Wunder wert Mt 9,18-26
unerwähnt (Bromley 2005, 2.9 f.). Stattdessen macht er durch den von Markus übernommenen Ausspruch Jesu klar, dass die Frau durch ihren Glauben gerettet wird (Mt 9,22). Auch wenn Jesus hier redet und ihr die Heilung zuspricht, so fällt doch auf, dass die Initiative gänzlich von der Frau ausgeht. Das gilt erstens für ihre Idee, sich auf den Weg zu Jesus zu machen, und zweitens für ihre – wie gesagt gegen die Tora gerichtete – Annäherung an Jesus »von hinten« (9,20) sowie die Berührung der Quaste an Jesu Gewand. Damit siegen am Ende dieser Episode nicht ansteckende Kultunfähigkeit und Ausgrenzung, sondern Heil und Integration. Beides resultiert aus der Begegnung mit Jesus. Dass speziell die Ausgrenzung ein Ende hat, vermittelt schon die Anrede Jesu: Er bezeichnet die Frau als »Tochter« (V. 22), stellt sie also in eine Beziehung zu sich selbst, durch die wohl auch ihr kindliches Vertrauen gewürdigt wird. Ähnliches gilt für die Tochter des Vorstehers. Als Jesus an dessen Haus eintrifft, ist sie tot. Nach der Tora gelten auch Leichname als am9i5 (tame3), und dieser Zustand breitet sich ebenfalls auf Menschen aus, die Leichname berühren (Num 5,2; 9,6; 19,10-22; s. auch Hag 2,13). Dennoch folgt Jesus dem Vorschlag des Vorstehers, dem Mädchen seine Hand aufzulegen (Mt 9,18). Ein zweites Mal innerhalb kurzer Zeit hat Jesus also direkten physischen Kontakt mit einer Person, die als am9i5 (tame3) gilt; überhaupt wird die Berührung von Kranken und Behinderten zu einem Charakteristikum seiner Heilungspraxis (9,29; 14,36). Ein zweites Mal bleibt die zu erwartende Kontamination aus; stattdessen erwacht das Mädchen zum Leben. Insofern legen sich die Episoden der Heilung der an Blutungen leidenden Frau und der Auferweckung des Mädchens gegenseitig aus (Haber 2003, 186). Heilung und neues Leben entsprechen sich. Die Auferweckung ist nach Darstellung des Matthäusevangeliums zwar das erste Wunder Jesu dieser Art, sie hat aber auffallende Ähnlichkeiten mit zwei Wundern alttestamentlicher Propheten: Elija und Elischa erwecken jeweils die verstorbenen Söhne zweier Frauen, nämlich der Witwe in Sarepta (1Kön 17,17-24) und der Schunemiterin (2Kön 4,18-37; vgl. dazu auch Stare zu Lk 8,40-56 in diesem Band). Beide Wundererzählungen erwähnen dabei körperliche Berührungen (1Kön 17,21; 2Kön 4,34 f.). Jesus wird durch diese Analogien in die Tradition großer Propheten des Alten Testaments gestellt. Allerdings ist Jesus in der neutestamentlichen Tradition mehr als jene. Deshalb bleiben im Petrusbekenntnis Elija, Jeremia oder andere Propheten letztlich negative Bezugsgrößen für seine Identität (Mt 16,14). Mit ihm ist vielmehr das messianische Zeitalter angebrochen; er ist »Christus, der Sohn des lebendigen Gottes« (V. 16). Diese Einsicht ist auf einen v. a. den Schwächsten der Gesellschaft zugänglichen Erfahrungswert gegründet, weil »Jesus dem Tod in allen seinen Erscheinungsformen der Lebensminderung und Lebenszerstörung entgegentritt« (Feldmeier/Spieckermann 2011, 394). Darauf macht Jesus in seiner Antwort auf die so genannte Täuferanfrage aufmerksam: »Blinde werden sehend und Lahme gehen, Aussätzige werden gereinigt und Taube hören, Tote werden auferweckt und Armen wird das Evangelium verkündigt« (Mt 11,5; vgl. Jes 42,18; 61,1 sowie 4Q 521). In der Wundertätigkeit Jesu, deren Höhepunkt die Auferweckung von Toten ist, manifestiert sich ein wesentlicher Aspekt des Evangeliums.
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Die Wundererzählungen im Matthäusevangelium
Verstehensangebote und Deutungshorizonte Zwei Frauen werden in den kombinierten Erzählungen in Mt 9,18-26 von Jesus geheilt bzw. vom Tode auferweckt. Dass eine Deutung aus feministischer Perspektive (mit Nachdruck vertreten in Levine 2001) auf jeden Fall Relevanz hat, vermittelt der Titel dieses Beitrags. Schwangerschaft und Menstruation sind als mögliche Ursachen des Krankheitsbildes der an Blutungen leidenden Frau insofern bemerkenswert, als sie einerseits spezifisch weiblich, also »Frauenangelegenheit« sind. Andererseits betreffen sie den Bereich der Reproduktion, der für die Akzeptanz von Frauen im Frühjudentum von besonderer Wichtigkeit war: »… what makes a feminist reading of this story so significant is that the narrative specifically concerns Jesus’ ministry to women with women’s issues« (Haber 2003, 191). Lassen sich aus feministischer Perspektive evtl. auch Gründe für die Kombination beider Heilungswunder finden? Erstaunlich ist zunächst, dass das bis dato größte Wunder im Duktus des Matthäusevangeliums einem Mädchen gilt. Allerdings wird dieses der Erzählung zufolge in keiner Weise initiativ: Da es tot war, wendet sich der Vater an Jesus und bittet ihn, seine Tochter aufzuerwecken. Nach dem Wunder wird zwar erwähnt, dass sich die Neuigkeit von der Auferweckung in der Gegend verbreitete (Mt 9,26), nicht aber, dass das Mädchen selbst seine Erfahrung weitererzählt habe. Diese Passivität wird durch die eingeschobene Erzählung von der Heilung der an Blutungen leidenden Frau gleichsam korrigiert, die ganz auf ihre eigene Initiative hin zu Jesus geht und das Heilungswunder durch ihre Berührung von hinten selbst initiiert. Erstaunlich ist, dass Jesus diese Rollenverteilung akzeptiert. Er kritisiert die Frau nicht (Zimmermann 2010a, 12), sondern spricht ihr Mut zu und macht zudem durch den Ausspruch: »Dein Glaube hat dich geheilt« (V. 22) explizit, dass ihre Rettung in ihrer eigenen Initiative begründet ist. Damit durchbricht er bestehende patriarchalischen Sozialnormen und fördert die Emanzipation der geheilten Frau, die sich nun neu in die Gesellschaft integrieren kann. In traditions- bzw. redaktionsgeschichtlicher Deutung ist umstritten, inwiefern im Hintergrund von Mt 9,18-26 ein Konflikt mit frühjüdischen Normen zu vermuten ist. So wird darauf hingewiesen, dass weder die an Blutungen leidende Frau noch die verstorbene Tochter im Text explizit als »unrein« bezeichnet werden; das Heranziehen diverser Reinheitsbestimmungen der Tora sei deshalb nicht gerechtfertigt. Es gehe vielmehr vorrangig um Jesu Wunder, und darauf habe sich die Exegese zu beschränken (Levine 2001, 71-77). Eine solche Auffassung lässt sich anhand von Beobachtungen zum theologischen Profil des Matthäusevangeliums unterstützen: Dieses ist sowohl durch Hochachtung der Tora (Mt 5,17-19) als auch allgemein durch seine Nähe zum Judentum geprägt. Allerdings bleiben bei der so skizzierten Position selbst einige Aspekte der Perikope Mt 9,18-26 außer Acht. Gegen seine Vorlage fügt Mt diese in einen anderen Kontext ein, auf den er durch den einleitenden Satz »Während er [Jesus] ihnen dieses erzählte …« (V. 18) ausdrücklich hinweist. Damit liegt ein Hinweis auf Jesu Doppelwort vom Flicken auf dem Kleid und vom Wein in den Schläuchen vor (V. 16 f.), das zwar schwierig zu deuten ist, aber offenbar die Unvereinbarkeit von Altem und Neuem vermitteln will. Worauf bezieht sich das? Das Doppelwort nimmt die Problematik auf, die seit der Berufung des Matthäus im Raum steht (9,9-13). Beim anschließenden Gastmahl nehmen die Pharisäer Anstoß an dem Umstand, dass Jesus mit Zöllnern und Sündern Mahlgemeinschaft hält (V. 11). Auch diese Vorbehalte sind ohne Zweifel durch traditionelle jüdische – also 422
Auch Frauen sind Wunder wert Mt 9,18-26
»alte« – Vorstellungen geprägt, denen zufolge gerechte Menschen den Umgang mit Sündern zu meiden hätten. Jesus teilt diese Vorstellung aber offensichtlich nicht und handelt nach »neuen« Maximen: Er geht davon aus, dass seine Präsenz inmitten solcher Menschen einen heilsamen Effekt hat (V. 12). Ebenso wenig sieht Jesus die Notwendigkeit, traditionellen jüdischen – also »alten« – Bräuchen zufolge zu fasten. Seine Jünger folgen »neuen« Bräuchen und fasten wenigstens vorläufig nicht. Wenn die nun folgenden kombinierten Wundererzählungen in V. 18 mit einem expliziten Bezug auf diese Szenen und Aussagen Jesu versehen werden, liegt es nahe, dass auch sie auf Inhalte der jüdischen Tradition Bezug nehmen. Daher ist es angemessen, Bestimmungen der Tora zu berücksichtigen, um die Begegnung Jesu mit der an Blutungen leidenden Frau und der verstorbenen Tochter, die beide als am9i5 (tame3) gelten, zu deuten. Dann ist evident, dass Jesus traditionellen Reinheitsgeboten nach Lev 15,19-21.25 f. und Num 5,2; 9,6 neue Umgangsformen mit Menschen, die nicht zuletzt religiös ausgegrenzt sind, gegenüberstellt. Unter weiteren Deutungshorizonten zu Mt 9,18-26 ist z. B. der persönliche oder psychologische wenig plausibel, da Matthäus, wie bereits ausgeführt, die in seiner markinischen Vorlage vorgefundene Darstellung menschlicher Leiden und Gefühle stark reduziert. Hingegen steht aus christologischer Perspektive eindeutig Jesus im Vordergrund als derjenige, bei dem Heil (vgl. das Stichwort s†ðzw so¯zo¯ – retten/heilen in 9,20-22) und neues Leben erfahrbar werden. Auf Seiten der Menschen ist Glauben an Jesus gefragt, und zwar speziell an seine Fähigkeit, in ausweglosen Situationen helfen zu können. Menschen mit solchem Glauben können Jesus als einen von Gott autorisierten Heiler erfahren, der im Matthäusevangeliums erstmals auch die ultimative Herausforderung annimmt und einen toten Menschen auferweckt. Mit diesen Wundern konkretisiert sich das Evangelium, das in besonderer Weise den Schwächsten und Ärmsten der Gesellschaft gilt. Jesus kann durch solche Wunder als Christus erkannt und verehrt werden: Während etwa bei Markus Jesu Wesen den Menschen vor Kreuzigung und Auferstehung verborgen bleibt, deutet Matthäus durch die Verwendung des Wortes proskunffw (proskyneo¯ – sich niederwerfen, anbeten, 9,18) an, dass Jesus göttliche Verehrung gebührt.
Aspekte der Parallelüberlieferung und Wirkungsgeschichte Die Perikope Mt 9,18-26 fällt durch ihren gerafften, nur die nötigsten Informationen bietenden Erzählstil auf. Damit steht sie in deutlichem Kontrast zur markinischen Vorlage: Die matthäische Version enthält nur 8 Verse und 140 Wörter – im Gegensatz zu 22 Versen und 377 Wörtern in Mk 5,21-43 (auf Grundlage von NTG 1993). Die matthäische Version ist gegenüber der markinischen Vorlage also um mehr als die Hälfte gekürzt. Die umfangreichsten Kürzungen betreffen die in der markinischen Vorlage sehr ausführlich geratene Beschreibung der Leiden der an Blutungen leidenden Frau (Mk 5,26), der Schilderung ihrer Heilung (5,29-31), der Darstellung, wie sie sich danach zögerlich Jesus offenbart (5,33), sowie der Vorbereitung der Auferweckung des Mädchens (5,37-39). Außerdem sei noch auf folgende Kürzungen hingewiesen: Aus der Personenbezeichnung »einer der Synagogenvorsteher« in Mk 5,22 wird in Mt 9,18 »ein Vorsteher/Oberer«, also ggf. »ein höherer Beamter« (Luz 2007, 52). Damit liegen bei Matthäus keine Anklänge an ein religiöses Amt vor. Besonders auffällig ist ferner, dass Matthäus den Namen des Mannes auslässt. Dennoch wird die Episode in der Lutherübersetzung von 1984 und in der 423
Die Wundererzählungen im Matthäusevangelium
Elberfelder Übersetzung mit »(die) Auferweckung der Tochter des Jaïrus« überschrieben. Daran ist zu kritisieren, dass der Vorsteher von Matthäus nirgends namentlich identifiziert wird; er bleibt ebenso anonym wie seine Tochter. Die Überschrift bezieht den Namen also aus den synoptischen Parallelen. Warum fällt bei Matthäus der Name des Mannes aus? Durch diese Änderung wird er im Vergleich zum Mädchen – in 9,18 ausdrücklich als »Tochter« bezeichnet – weniger hervorgehoben. Beide sind nun anonym, doch wird beiden wenigstens eine soziale Abhängigkeit, nämlich dem Vater beruflich und dem Mädchen familiär, zugeordnet. Die Auferweckung des toten Mädchens ist als solche zwar aus der markinischen Vorlage übernommen worden. Sie fügt sich jedoch in redaktionskritischer Perspektive in das theologische Programm des Matthäus, für den sich in Jesus speziell die Gerechtigkeit Gottes manifestiert. Es geht hier also nicht nur um die Verkündigung einer Botschaft, sondern um ungleich mehr: um den »Vollzug der Gerechtigkeit an denen …, die zu Unrecht leiden« (Luck 1993, 120). Diese Heilung ereignet sich im Zuge der allmählichen Reduzierung der Anzahl der Aktanten: Als Jesus am Haus des Vorstehers ankommt, sind dort – traditionellen jüdischen Trauerpraktiken entsprechend – viele Menschen, nämlich u. a. Flötenspieler und Klagende, versammelt. Sein Hinweis, das Mädchen schlafe nur, könnte im Sinne jüdischer Apokalyptik verstanden werden, der zufolge gerechte Menschen vor der Auferstehung tatsächlich »schlafen« (Jes 26,19; Dan 12,2; vgl. Luck 1993, 121). Wahrscheinlicher ist aber, dass Jesus seine Aussage nur auf diese Person bezieht und indirekt auf seine Macht über den Tod anspielt (Luz 2007, 54). Die Bemerkung wird allerdings von den Menschen nicht verstanden und mit Gelächter quittiert. Daraufhin wirft Jesus sie kurzerhand hinaus. So findet er sich mit dem toten Mädchen allein im Haus; bereits erwähnt wurde, dass Mt 9,25 im Gegensatz zu Mk 5,37 noch nicht einmal Jesu Jünger bei der Heilung assistieren lässt. In exklusiver und unmittelbarer Begegnung mit Jesus ereignet sich also die Heilung. Erneut ist eine Auslassung gegenüber der markinischen Vorlage auffallend: Der auf Aramäisch überlieferte Ausspruch Jesu »Talita kum! – das heißt übersetzt: Mädchen, ich sage dir, steh auf« (Mk 5,41), der evtl. als magische Formel hätte verwendet werden können, bleibt unerwähnt. Eine Parallelüberlieferung vermutlich aus der Mitte des 2. Jh. findet sich in der apokryphen Schrift Epistula Apostolorum, die heute nur durch vierzehn äthiopische Handschriften (keine vor dem 15. Jh.) vollständig überliefert ist (vgl. Müller 2012, 1063). Es ist interessant, dass hier inmitten einer dichten Abfolge von Wunderberichten die Kombination mit der Auferweckung des Mädchens fehlt, obgleich auch von Totenerweckungen allgemein die Rede ist (EpAp 5,2). Die Wundergeschichte von der blutflüssigen Frau zeigt hier nicht nur Eigenständigkeit, sondern wird auch in einer – im Vergleich zu den anderen Erzählreferaten – auffälligen Breite wiedergegeben: EpAp 5,4-7 Und die Frau, welche zwölf Jahre an Blutfluß litt, berührte den Saum seines Gewandes und ward sofort gesund; und indem wir nachdachten und uns wunderten über die Wundertat, welche er vollbrachte, sagte er zu uns: »Wer hat mich berührt?« Und wir sagten zu ihm: »O Herr, das Menschengedränge hat dich angerührt.« Und er antwortete und sagte zu uns: »Ich habe gemerkt, daß eine Kraft von mir ausgegangen ist.« Zu der Zeit trat vor ihn jenes Weib und antwortete ihm und sagte zu ihm: »Herr,
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Auch Frauen sind Wunder wert Mt 9,18-26
ich habe dich berührt.« Und er antwortete und sagte zu ihr: »Gehe, dein Glaube hat dich gesund gemacht« (Übersetzung Müller 2012, 1066 f.). Ähnlich wie bei Mk 5,25-34 und Lk 8,43-48 sind (abweichend bei Mt) die Szene der heimlichen Berührung und der daran anschließende Dialog hervorgehoben. In EpAp 5,4-7 wird dies sogar dahingehend ausgedehnt; die Jünger merken nun, dass ein Wunder geschehen ist, während in den kanonischen Erzählungen nur der Leser/die Leserin eingeweiht werden. Auffällig ist weiterhin, dass die sonst einheitliche Anrede »Tochter« hier fehlt. Verweise auf die kombinierte Wundererzählung finden sich aber auch in außerkanonischen Texten. Die Pilatusakten (ca. 4. Jh.) handeln von Jesu Gerichtsverhandlung vor Pilatus, bei der Nikodemus mit Hinweis auf die Wundertätigkeit rät, Jesus freizulassen, daher aber verdächtigt wird, dessen Jünger zu sein (EvNik 5). Daraufhin sprechen verschiedene Juden vor und bezeugen, wie Jesus sie von diversen Krankheiten und Gebrechen geheilt hat (EvNik 6); hier liegen Bezüge auf mehrere neutestamentliche Wunderheilungen vor. EvNik 7 fährt wie folgt fort: EvNik 7 Und eine Frau mit Namen Bernike schrie von weitem und sagte: »Ich litt an Blutungen und berührte den Saum seines Gewandes, und die Blutungen, die zwölf Jahre angedauert hatten, hörten auf.« Da sagten die Juden: »Wir haben ein Gesetz, eine Frau nicht zum Zeugnis zuzulassen.« Aufschlussreich ist, dass als höchste Stufe der Wundertätigkeit Jesu im Anschluss nicht die Auferweckung der Tochter des Vorstehers erwähnt wird, sondern die Auferweckung des Lazarus (Joh 11). Ein vergleichbares Wunder an einem erwachsenen Mann zählt erkennbar mehr als an einem Mädchen.
Christian Eberhart Literatur zum Weiterlesen G. D. Buck, Healing story. A bold woman in the crowd, Consensus 27/2 (2001), 11-25. C. Eberhart, Art. Sühne (AT), WiBiLex (2007) (http://www.wibilex.de/). A.-J. Levine, Discharging responsibility. Matthean Jesus, biblical law, and hemorrhaging woman, in: dies. (Hg.), A feminist companion to Matthew, Feminist companion to the New Testament and Early Christian Writings 1, Sheffield 2001, 70-87. S. L. Love, Jesus heals the hemorrhaging woman, in: W. Stegemann/B. J. Malina/G. Theißen (Hg.), The social setting of Jesus and the Gospels, Minneapolis 2002, 85-102 (deutsch: Jesus der Heiler der blutflüssigen Frau im Matthäusevangelium. Eine sozialwissenschaftliche Untersuchung, in: W. Stegemann/B. J. Malina/G. Theißen [Hg.], Jesus in neuen Kontexten, Stuttgart 2002, 86-97). R. Zimmermann, Heilsame Berührungen. Die Heilungswunder Jesu im Neuen Testament, Bibel heute 182 (2010), 12-16.
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Begegnungen mit dem Davidssohn oder Vertrauen macht sehend (Die Heilung zweier Blinder und eines Stummen) Mt 9,27-34
(27) Und als Jesus von dort weiterging, folgten ihm zwei Blinde, die schrien und sagten: »Hab Erbarmen mit uns, Sohn Davids.« (28) Als er aber ins Haus kam, traten die Blinden an ihn heran. Und Jesus fragt sie: »Vertraut ihr darauf, dass ich dieses tun kann?« Sie antworten ihm: »Ja, Herr.« (29) Da berührte er ihre Augen und sagte: »Gemäß eurem Vertrauen soll euch geschehen.« (30) Da wurden ihre Augen geöffnet. Und Jesus fuhr sie an und sagte: »Seht zu, dass es niemand erfährt.« (31) Aber nachdem sie weggegangen waren, machten sie ihn in der ganzen Gegend bekannt. (32) Und als sie hinausgingen, siehe, da brachte man einen stummen Menschen zu ihm, der von einem Dämon besessen war. (33) Und als der Dämon ausgetrieben war, redete der Stumme. Und die Volksmenge staunte und sagte: »Noch nie wurde so etwas in Israel gesehen.« (34) Aber einige Pharisäer sagten: »Mit dem Anführer der Dämonen treibt er die Dämonen aus.«
Sprachlich-narratologische Analyse Die Erzählung von der Heilung zweier Blinder und eines besessenen Stummen schließt den Zyklus von Wundergeschichten ab, den Matthäus in den Kapiteln 8 und 9 seines Evangeliums auf die Bergpredigt (Mt 5-7) folgen lässt. Innerhalb der matthäischen Konzeption folgt damit auf die Verkündigung des Gottesreiches im Wort die Verkündigung in der Tat des Messias Jesus. Mit der vorangehenden Erzählung von der Heilung der blutflüssigen Frau und der Auferweckung der Tochter des Jaïrus ist Mt 9,27-34 durch einige Motive verknüpft. So treten sowohl die an Blutfluss leidende Frau (9,20 f.) als auch die beiden Blinden (9,27 f.) aktiv an Jesus heran, um sich Heilung zu erwirken, und in beiden Fällen hebt Jesus dieses Vertrauen als Grund der erfolgten Heilungen hervor (9,22.29). Sowohl die Auferweckung der Tochter des Jaïrus als auch die Heilung in 9,27-31 finden in einem Haus statt und in beiden Erzählungen wird die Kunde von Jesu Wirken anschließend in der ganzen Gegend verbreitet (9,26.31). Abgegrenzt wird die Erzählung Mt 9,27-34 von der vorangehenden und von der nachfolgenden Perikope jeweils durch einen Ortswechsel. Es folgt in 9,35 ein zusammenfassender Bericht über weitere Heilungen Jesu. Anschließend werden in der Aussendungsrede in Mt 10 auch die Jünger zu Heilungen bevollmächtigt (10,1). Mt 9,27-34 erzählt zwei Heilungsgeschichten, die einerseits voneinander völlig unabhängig sind und andererseits als zeitlich unmittelbar aufeinander folgend geschildert werden. So schließt Matthäus die Blindenheilung in 9,31 mit der Notiz über die Bekanntmachung Jesu durch die Geheilten eindeutig ab (vgl. 9,26). Anschließend leitet er jedoch die Hei426
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lung des Stummen in 9,32 mit einer erneuten Bezugnahme auf die geheilten Blinden ein: Während diese hinausgehen (Partizip Präsens), wird der Stumme zu Jesus gebracht. Beide Heilungsgeschichten werden sehr knapp erzählt und enthalten einige Leerstellen, die von den Leserinnen und Lesern zu füllen sind. Mt 9,27-34 ist ohne direkte synoptische Parallele, jedoch weist die Blindenheilung in den Versen 27-31 große Ähnlichkeiten mit der Blindenheilung bei Jericho auf (Mk 10,46-52; Lk 18,35-43; Mt 20,29-34); die Heilung des stummen Besessenen in den Versen 32-34 ähnelt Lk 11,14 f. und enthält deutliche Dopplungen mit der Erzählung vom Exorzismus eines anderen stummen (und blinden) Besessenen in Mt 12,22-24. Räumlich ist die Wundererzählung bestimmt von den gegensätzlichen Ortsangaben »draußen« auf der Straße und »drinnen« im Haus. Welches Haus dabei gemeint ist, wird nicht näher erläutert, möglicherweise ist an das Haus des Petrus gedacht (8,14; Fiedler 2006, 222). Jedenfalls verweist die Angabe darauf, dass Jesus sich noch immer in »seiner Stadt« (9,1), also Kafarnaum (4,13), befindet (Wiefel 1998, 186). Die Räume »drinnen« und »draußen« haben je ihre eigene Konnotation: »Draußen« ist eine große Öffentlichkeit gegeben, »drinnen« findet die intime Begegnung zwischen Jesus und den um Heilung bittenden Blinden in Form eines in wörtlicher Rede erzählten Dialogs statt. Eine mögliche Erklärung dafür, dass Jesus erst im Haus und nicht schon draußen auf der Straße auf die beiden Blinden reagiert, bietet das harsche Schweigegebot, das Jesus der Blindenheilung folgen lässt. Der Erzählbogen bewegt sich von draußen (Bitte der Blinden um Erbarmen) nach drinnen (Gespräch und Heilung der Blinden) und wieder nach draußen (die ehemals Blinden gehen aus dem Haus hinaus, die Volksmenge nimmt das zweite Wunder zur Kenntnis und staunt). Eine Leerstelle besteht in Bezug auf den Ort der Heilung des besessenen Stummen. Es wird nicht spezifiziert, ob der Stumme zu Jesus nach »drinnen« ins Haus gebracht wird oder ob Jesus mit den ehemals Blinden das Haus verlassen und sich nach »draußen« begeben hat. Für die zweite Möglichkeit spricht, dass kein Gespräch Jesu mit dem besessenen Stummen erzählt wird, also der Moment einer intimeren persönlichen Begegnung fehlt und die Volksmenge bei der Heilung anwesend zu sein scheint. Die Hauptperson der Wundererzählung ist Jesus. An ihn treten zunächst aktiv handelnd zwei blinde Menschen heran, folgen ihm und bitten um sein Erbarmen. Die Anrede »Sohn Davids« wird von Matthäus betont, indem er sie – anders als die Vorlage Mk 10,47 – emphatisch ans Ende des Satzes stellt. »Sohn Davids« ist für Matthäus ein wichtiger Christustitel, der sich v. a. in Erzählkontexten findet, in denen Jesus als Heilung und Rettung bringender Wundertäter im Blick ist (z. B. 12,23; 15,22; 20,30 f.; 21,15; Baxter 2006, 38-41; s. u.). Während diese Anrede und die Bitte an sich also schon ein Vertrauen der Blinden in Jesus implizieren, reagiert Jesus auf ihre Bitte zunächst nicht. Die Kommunikation bleibt, solange sich die handelnden Personen »draußen« auf der Straße befinden, also einseitig. Erst nachdem die Blinden ihm nach »drinnen«, ins Haus, gefolgt sind, richtet Jesus seinerseits das Wort an sie und es kommt zu einem echten Gespräch. Als Antwort auf ihre Bitte um Erbarmen fragt Jesus die Blinden nach ihrem Vertrauen. Die Übersetzung von pisteÐw/pfflsti@ (pisteuo¯/pistis) mit »vertrauen/Vertrauen« bringt deutlicher als die meistens gewählte Wiedergabe mit »glauben/Glaube« zum Ausdruck, dass es hier nicht um einen abstrakten Glauben an etwas geht, sondern um ein Beziehungsgeschehen zwischen den Hilfe suchenden Blinden und Jesus als demjenigen, von dem die Hilfe erhofft wird. Das wird deutlich auch in der merkwürdig un427
Die Wundererzählungen im Matthäusevangelium
spezifischen Formulierung der Frage Jesu: »Vertraut ihr darauf, dass ich dieses tun kann?« Das Demonstrativpronomen to‰to (touto – dieses) hat genau genommen kein Bezugswort. Von Heilung bzw. Öffnung der Augen war in der Bitte um Erbarmen nicht ausdrücklich die Rede und wird auch im folgenden Dialog nicht explizit gesprochen. Das Gespräch zwischen Jesus und den Blinden hat nur ein Thema: das Vertrauen in Jesu Person. Dieses wird von den Blinden bestätigt, indem sie ihm in ihrer kurzen Antwort einen weiteren Hoheitstitel zusprechen: »Herr« (kÐrio@ kyrios). Auch in der knappen Schilderung des eigentlichen Heilungsakts, der aus einer Geste (Berührung der Augen) und einem Wort Jesu besteht, wird das Vertrauen als Grund dessen, was den Blinden nun widerfährt, hervorgehoben. Erst V. 30, der den Erfolg der Heilung kurz konstatiert, benennt die Öffnung der Augen als das, worum es auch im vorigen Gespräch schon ging. Der Dialog zwischen Jesus und den Blinden in 9,28 bekommt ein besonderes Gewicht, indem er im historischen Präsens erzählt wird, während für das übrige Geschehen die Vergangenheitsform Aorist verwendet wird. Nachdem die geheilten Blinden weggegangen sind, treten plötzlich neue Figuren im Erzählgeschehen auf. Keine dieser Personen wird jedoch näher beschrieben. Der Empfänger des zweiten Wunders ist, anders als die Blinden, völlig passiv. Er wird von anderen, nicht näher benannten Menschen zu Jesus gebracht und als stumm und von einem Dämon besessen charakterisiert. Dass dieser Dämon die Ursache seiner Sprachunfähigkeit ist, wird in V. 33 deutlich. Was der Geheilte sagt, als er wieder reden kann, wird nicht erzählt. Anders als von den Blinden gibt es von ihm keine wörtliche Rede und seine Beziehung zu Jesus wird nicht thematisiert. Außer dem stummen Besessenen sind nun eine »Volksmenge« und einige Pharisäer anwesend, was überraschend ist, da die Handlung zeitlich unmittelbar auf die zuvor erzählte Blindenheilung zu folgen scheint. Es wird dadurch der Anschein erweckt, dass die Menschenmenge die ganze Zeit vor dem Haus auf Jesus gewartet hat. Die Volksmenge und die Pharisäer kommentieren die Heilung und bestätigen dadurch das Wunder. Sie erfüllen damit dieselbe Funktion wie das auf die Blindenheilung folgende Schweigegebot, das, – anders als für Markus – für Matthäus keine eigenständige christologische Bedeutung mehr hat, sondern dazu dient, die große öffentliche Wirkung der Wundertaten Jesu herauszustellen. Die Heilung des Stummen wird noch knapper geschildert als die Heilung der Blinden. Auffällig ist, dass dabei diverse für Wundergeschichten typische Elemente (Theißen 1998, 57-81) fehlen: Es wird keine Bitte geäußert, der Heilungsakt selbst nicht beschrieben, weder eine Geste noch ein Wort des Wundertäters werden überliefert und auch das in der vorigen Geschichte zentrale Vertrauensmotiv fehlt gänzlich. Lediglich der Heilungserfolg wird festgestellt, und zwar im Passiv (»als der Dämon ausgetrieben war«); dass der Exorzismus durch Jesus erfolgt, ist allein aus dem Kontext zu schließen. Die äußerst knappe Schilderung der Heilung zielt ganz auf die Reaktion hin, die der Exorzismus hervorruft. Diese ist zwiegespalten. Zum einen bestätigt die unvermittelt auftretende Volksmenge durch ihr Staunen die Größe und Ungewöhnlichkeit des Wunders, zum anderen erheben Pharisäer den Vorwurf, Jesus stehe mit einer widergöttlichen Macht im Bunde (vgl. Mk 3,22; Mt 12,24; Lk 11,14 f.; eine ausführliche Antwort Jesu auf diesen Vorwurf folgt in Mt 12,25-30; Lk 11,17-23). Indirekt bestätigen damit auch sie das geschehene Wunder, bestreiten sie ja nicht das Faktum des erfolgreichen Exorzismus. Der Vorwurf lautet jedoch, Jesus habe den Dämon nicht mit Gottes Hilfe vertrieben, sondern mittels einer anderen, fremden Macht, die hier als »Anführer« bzw. »Oberster« der Dä428
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monen bezeichnet wird. Hinter dem Vorwurf steht damit der grundlegende Streit um die Vollmacht Jesu (Ebner 2006, 74 f.). Die beiden Heilungswunder, die in Mt 9,27-34 erzählt werden, ergänzen sich durch ihre unterschiedlichen Schwerpunktsetzungen. Bei der Blindenheilung wird, v. a. durch den in wörtlicher Rede erzählten Dialog zwischen Jesus und den um Heilung Bittenden, die persönliche, von Vertrauen in sein Wohlwollen und in seine Macht geprägte Beziehung zu Jesus als Grund der Wunderheilung betont. Die anschließende Erzählung vom Exorzismus verzichtet dagegen sowohl darauf, einzelne Personen, die Motive ihres Handelns und ihre Beziehung untereinander näher zu skizzieren, als auch darauf, die Wunderhandlung selbst überhaupt zu beschreiben. Sie zielt stattdessen ganz auf die große öffentliche Wirkung der Wunder Jesu ab, die deren Größe bestätigt.
Sozial- und realgeschichtlicher Kontext Krankheit und Behinderung sind nicht auf rein körperliche Phänomene beschränkt, sondern betreffen den Menschen ganzheitlich. Zwar gab es im antiken Israel eine gute Fürsorge für kranke und behinderte Menschen: Sich um sie zu kümmern, gehörte zu den unbedingt gebotenen Liebestaten (vgl. Mt 25,36). Auch in Mt 9,32 wird der Stumme von anderen Menschen zu Jesus gebracht, verfügt also offensichtlich über ein soziales Netz. Doch verhinderte das nicht, dass ein solches Leiden auch zur sozialen Isolation führen oder einen Menschen zum Betteln zwingen konnte (z. B. Joh 5,7; Mk 10,46). Auch wo das nicht der Fall war, hatten Blindheit und Stummheit eine einschränkende oder belastende Auswirkung auf die sozialen Beziehungs- und Kommunikationsmöglichkeiten der Betroffenen (vgl. Kollmann, Krankheitsbilder in diesem Band). Der Text verbindet bei dem dritten zu Heilenden seine Stummheit mit der Besessenheit durch einen Dämon. Krankheitsphänomene, über deren Ursachen man keine Kenntnisse besaß, wurden in der Antike auf Dämonen zurückgeführt. Nach dieser Vorstellung befindet sich der kranke Mensch in der Macht eines Dämons, der die Kontrolle über ihn übernimmt. Das kann verschiedene Auswirkungen haben, unter anderen eben den Verlust der Stimme bzw. die Sprachunfähigkeit des Besessenen. Erst durch die Vertreibung des Dämons gewinnt der Mensch die Kontrolle über sich selbst zurück. Die Vertreibung des Dämons geschieht durch eine größere Macht, die der Exorzist herbeiruft. Vor dem Hintergrund dieser Vorstellung ist auch der Vorwurf der Pharisäer in Mt 9,34 zu verstehen, der davon ausgeht, dass die höhere Macht, die in Jesus wirkt, eine widergöttliche ist. Bei den Exorzismen Jesu ist immer an einen Machtwechsel gedacht (Ebner 2006, 73-77; Ebner 2004, 143). Der menschenfeindliche Dämon, der die besessene Person einschränkte, wird vertrieben durch die Macht des menschenfreundlichen Gottes, in dessen anbrechendem Reich der geheilte Mensch wieder »ganz« und »heil« sein kann (Mt 12,28; Lk 11,20; vgl. Poplutz, Dämonen in diesem Band). Als Gegner Jesu treten in Mt 9,34 Pharisäer in Erscheinung. Diese sind im ganzen Matthäusevangelium seine vorrangigen Konfliktpartner (vgl. insbesondere Mt 12 und 23). Im Dauerstreit zwischen Jesus und pharisäischen Schriftgelehrten verarbeitet Matthäus den Konflikt um die Person und die Vollmacht Jesu, der gerade in seiner judenchristlichen Umgebung virulent ist und zum Bruch der christusgläubigen Juden und Jüdinnen mit ihren nicht-christusgläubigen Geschwistern führt. Der Pharisäismus war 429
Die Wundererzählungen im Matthäusevangelium
dasjenige der zeitgenössischen »Judentümer«, dem Jesus und seine Jüngerinnen und Jünger am nächsten standen, weshalb er von allen frühjüdischen Gruppierungen im Neuen Testament die größte Rolle spielt. Die Lehre der Jesusbewegung stimmte in vielen Punkten mit pharisäischen Positionen überein (Hochschätzung der mündlichen Lehre, Bemühung um eine gottgefällige Lebensweise im Alltag, Streben nach Gerechtigkeit, hoher Stellenwert des Gebets, Glaube an die Auferstehung der Toten, friedvoller, Gewalt ablehnender Widerspruch gegen die römische Fremdherrschaft; vgl. z. B. Mk 12,18-27 par.; Apg 23,68; Flav. Jos. Ant. 13,288-298; 18,12-15; Bell. 2,162-166; Fiedler 2006, 24-29; Heiligenthal 2005, 30 f.). Matthäus nimmt die grundsätzliche Autorität der pharisäischen Schriftgelehrten ernst, ringt aber ebenso ernsthaft mit ihnen um die für ihn unabdingbare Anerkennung der göttlichen Vollmacht Jesu. Die jüdische Gemeinde warf dem entstehenden Christentum vor, die Verehrung Jesu als Messias und Gottessohn verstoße gegen das erste Gebot. Dieser Vorwurf schlägt sich auch in der Reaktion der Pharisäer auf den Exorzismus Jesu in 9,34 nieder. Matthäus bedient sich dabei der rhetorischen Mittel einer innerjüdischen Gegnerpolemik. Wenn diese im heidenchristlichen Kontext späterer Zeiten mit einem klaren Machtgefälle zwischen weltweiter Kirche und jüdischer Gemeinde pauschalisierend nachgesprochen wird, generiert und transportiert sie gefährliche Antijudaismen. Um dies zu vermeiden und deutlich zu machen, dass auch der Glaube Jesu und seiner Anhängerinnen und Anhänger auf der Grundlage pharisäischer Schriftauslegung und Frömmigkeit fußt, übersetze ich in Mt 9,34 o Farisa…oi (hoi Pharisaioi) nicht mit »die Pharisäer«, sondern mit »einige Pharisäer«.
Traditions- und religionsgeschichtlicher Hintergrund Die Anrede »Sohn Davids« (u @ Dauffld hyios David) aus dem Munde der beiden Blinden in 9,27 stellt Jesus und sein Heilungshandeln in den Deutungshorizont alttestamentlicher Heilshoffnungen. Ausgehend von der Verheißung 2Sam 7,12-16, die David einen Nachkommen verspricht, dessen Thron ewigen Bestand haben wird (s. auch Jes 9,5 f.), erwartete das antike Judentum einen davidischen Messias, der Israel befreien und das Königreich Davids wiederherstellen wird (vgl. u. a. PsSal 17,21-33). Anhand diverser Erfüllungsmotive und alttestamentlicher Schriftzitate (z. B. Mt 1,23 mit Jes 7,14; Mt 2,5 f. mit Mi 5,1; Mt 21,4 f. mit Sach 9,9) stellt Matthäus Jesus als diesen königlichen Messias dar. Bereits Mt 1,1 führt Jesus als »Sohn Davids, Sohn Abrahams« ein, Stammbaum und Kindheitsgeschichte stellen ihn in die Genealogie König Davids. Jesus wird – trotz der Empfängnis durch den heiligen Geist – über die väterliche Linie zum Nachkommen Davids, indem Josef ihn als seinen Sohn annimmt und damit quasi adoptiert (1,6-20). »Sohn Davids« ist bei Matthäus, anders als bei Markus und Lukas, auch der Titel, mit dem die Menge den in Jerusalem einziehenden Jesus begrüßt (21,9). Mt 22,41-46 diskutiert ausdrücklich die Identifikation des Messias mit dem Davidssohn sowie sein Verhältnis zu David und zu Gott. Hierbei wird deutlich, dass für Matthäus das Bekenntnis zu Jesus als dem Sohn Davids mit dem Bekenntnis zu seiner Gottessohnschaft zusammengehört. Am häufigsten jedoch begegnet der Titel »Sohn Davids« im Matthäusevangelium in Geschichten, die Jesus als heilenden Wundertäter schildern (12,23; 15,22; 20,30 f.; 21,14 f.). Durch die Verwendung in diesen Kontexten werden die politischen Aufgaben 430
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des Davidssohns (z. B. die Befreiung von Fremdherrschaft) zugunsten seiner Charakterisierung als Wunderheiler zurückgedrängt. Eben die wunderbaren Heilungen sind nach Mt 11,4 f. die Kennzeichen des Messias. Auch damit werden frühjüdische Endzeiterwartungen aufgegriffen. Die Heilung der Blinden und der Stummen gehört zu den Ereignissen, die für die eschatologische Heilszeit konstitutiv sind (z. B. Jes 29,18; 35,5 f.: »Dann werden die Augen der Blinden geöffnet und die Ohren der Tauben werden aufgetan. Dann wird der Lahme springen wie ein Hirsch und jubeln wird die Zunge des Stummen […]«; Jes 61,1LXX; Ps 146,8; 4Q521 2,2: »Er [sc. Gott] befreit die Gefangenen, er öffnet die Augen der Blinden, er richtet die Nie[dergebeugten] auf«). Da diese Taten jedoch nicht die genuine Aufgabe des davidischen Messias sind, gibt es in der Forschung den Vorschlag, den matthäischen »Davidssohn« mit dem leiblichen Sohn König Davids, Salomo, zu identifizieren (Davies/Allison 1991, 135 f.; Novakovic 2003, 96-109). Salomo wird in frühjüdischen Traditionen manchmal als Exorzist beschrieben (Flav. Jos. Ant. 8,45; vgl. Busch 2006b, 3-6). Da die Belege aber – außer in der christlichen Schrift »Testament Salomos« (TestSal) aus dem 4. Jh. (Busch 2006b, 20) – eher spärlich sind und es keinerlei Hinweise auf Heilungstätigkeiten Salomos jenseits von Exorzismen gibt, scheint es unwahrscheinlich, dass Matthäus den heilenden Jesus als Salomo darstellen will. Viel wahrscheinlicher verbindet Matthäus in seiner Darstellung Jesu als Davidssohn unterschiedliche jüdische Endzeiterwartungen miteinander zu einer eigenständigen Konzeption. In Mt 8,17 werden die Krankenheilungen Jesu mit dem Zitat aus Jes 53,4 gedeutet, wo es über den leidenden Gottesknecht heißt: »Fürwahr, unsere Krankheiten hat er getragen und unsere Schmerzen auf sich genommen«. Nach Jes 42,7 gehört es zu den Taten des Gottesknechts, »die Augen der Blinden zu öffnen«. Für Matthäus ist der Davidssohn der heilende Gottesknecht, der die für die eschatologische Zeit erwarteten Wunder vollbringt (Luz 2007, 59-61). Dass der Davidssohntitel in 9,27 gerade aus dem Munde blinder Menschen kommt, ist nicht ohne Bedeutung. Metaphorisch stellt Matthäus die Blinden, die erund bekennen, wer Jesus ist, der Blindheit der Pharisäer gegenüber, die seine Messianität bestreiten (Mt 15,14; 23,16-26; vgl. auch Joh 9,39-41). Damit steht er in einer verbreiteten Tradition, die mit Blindheit (teilweise in Verbindung mit Stummheit) im übertragenen Sinn Unverständigkeit oder Unkenntnis bezeichnen konnte (z. B. Jes 42,18-20; 43,8: »Lass das blinde Volk hervortreten, das doch Augen hat«; Jes 56,10; Philo her. 76: »Sieh hinauf – zur Beschämung des blinden Geschlechts der gewöhnlichen Menschen, das verblendet ist, aber zu sehen meint«).
Verstehensangebote und Deutungshorizonte Die theologische (christologische) Auslegung (Held 1975, 234-284) spricht den matthäischen Wundererzählungen eine lehrhafte Funktion innerhalb der Christologie zu. Schon die Zusammenstellung der Wunder Jesu in den Kapiteln Mt 8 und 9 ist Teil der matthäischen Christologie, indem sie Jesus als heilenden Messias der Tat präsentiert, nachdem er in der Bergpredigt Mt 5-7 als Gerechtigkeit lehrender Messias des Wortes charakterisiert wurde. Mit Bedacht steht am Ende dieses Wunderzyklus in 9,32-34 die Erzählung von der Heilung eines stummen Besessenen. Sie ist so knapp gehalten, weil von Jesu Dämonenaustreibungen bereits vorher ausführlicher und eindrucksvoller die Rede war (Mt 431
Die Wundererzählungen im Matthäusevangelium
8,28-34). Mt 9,32-34 zielt dagegen ganz auf die Reaktionen ab, die der Exorzismus hervorruft. Am Ende der Sammlung der Wundertaten Jesu steht diese kurze Perikope als ein Lehrstück darüber, wie man sich zur Wundertätigkeit Jesu verhält. Die zweifache Reaktion auf das Wunder durch die Menge einerseits und »die« Pharisäer andererseits in 9,33 f. thematisiert ausdrücklich die Frage der Christologie, die auch für alle vorangegangenen Wunder relevant ist. Dabei ist »in dem Jesus der matthäischen Wundergeschichten in Wahrheit der auferstandene Herr der Kirche gemeint« (Held 1975, 252) und dieser wird für die nachösterliche Gemeinde charakterisiert. Indizien dafür finden sich auch in der Erzählung von der Heilung zweier Blinder in 9,27-31. So reden die Blinden in Vers 28 Jesus mit kÐrio@ (kyrios – Herr) an, einem Titel also, den die christliche Gemeinde für den Auferstandenen verwendet. Auch bei der Bittformel »hab Erbarmen mit uns« (¥lffhson m”@ elee¯son he¯mas) in V. 27 handelt es sich um einen gängigen Gebetsruf (z. B. Ps 6,3; 27,7; 57,2; Jes 33,2; Sir 36,1; Luz 2002b, 82 f.). Die Blinden in der Erzählung stehen somit paradigmatisch für Christinnen und Christen, die sich im Gebet bittend an den Auferstandenen wenden. Ein besonderes Gewicht liegt dabei auf dem Glauben, der Jesus entgegen gebracht wird – in 9,29 heilt Jesus nicht durch ein Machtwort, sondern hebt den Glauben der Blinden hervor. Es handelt sich um einen aktiven und beharrlichen Glauben, der sich die Erhörung der Heilungsbitte durch Hindernisse hindurch – Jesus ignoriert die Bitte der Blinden in 9,27 zunächst – erkämpft. In der Erzählung von den Blinden, die Jesus bittend anrufen und daraufhin Heilung erlangen, erfährt die christliche Gemeinde nach Ostern demnach, wie sie im gläubig-bittenden Gebet und der Hoffnung auf Erhörung dem wundertätigen Heiland begegnen kann. »Der Glaube verhält sich zu dem Wunder wie die Bitte zu ihrer Erhörung« (Held 1975, 269). Die kerygmatische Auslegung (Luz 2007, 64-68) bestätigt zwar die christologische Funktion der matthäischen Wundererzählungen, betont aber gleichzeitig, dass ihre Bedeutung sich nicht in theologischen Lehrsätzen erschöpft, die von dem konkreten, beschriebenen Geschehen zu trennen sind. Vielmehr erzählen die Wunder als Teil der Jesusgeschichte, wie der christliche Glaube in Israel gestiftet wurde, und zwar durch das gnädige und barmherzige Handeln Jesu als »Gott mit uns« (Immanuel; vgl. Mt 1,23). Dabei ist wichtig, dass die meisten Wundererzählungen von Heilungen handeln, d. h. Menschen erfahren in konkreten Notsituationen Rettung. Ein Schlüsselwort für das Verständnis der matthäischen Heilungsgeschichten ist das Wort »Erbarmen« (˛leo@/¥leffw eleos/eleeo¯), das sich auch in der Bitte der Blinden in Mt 9,27 findet. Von Hos 6,6 und Ex 34,6 her ist »Erbarmen« charakteristische Eigenschaft Gottes und in den Heilungserzählungen wird geschildert, wie diese gnädige Zuwendung Gottes in Jesus Menschen zuteil wird. Diese Grunderfahrung macht die Wunder »transparent« (Luz 2007, 65 f.) für die christliche Gemeinde. Die Wunder sind Vorbild für die eigenen Erfahrungen von Christinnen und Christen. Zum einen geschehen im direkten Sinne auch in der nachösterlichen Gemeinde Wunderheilungen (laut Mt 10,1.8 gehören diese zum Auftrag der Nachfolger und Nachfolgerinnen Jesu), zum anderen können die Wunder metaphorisch als Gründungsgeschichte der Gemeinde gelesen werden. Die Blinden in Mt 9,27-31 tun das, was Jüngerschaft in ihrem Kern ausmacht: Erstens folgen sie Jesus nach – das Wort ⁄kolouqffw (akoloutheo¯ – nachfolgen), das in 9,27 auf die Blinden angewendet wird, bezeichnet an diversen anderen Stellen des Evangeliums die Nachfolge der Jünger und Jüngerinnen Jesu, die ihre gewohnte Umgebung verlassen, um mit ihm mitzuziehen (z. B. 4,20.22.25). Und zweitens machen sie »ihn« (also die Person Jesu Christi und nicht pri432
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mär die eigene Heilung) weitläufig bekannt, üben also die Verkündigungstätigkeit aus, die vorrangige Aufgabe der Jüngerinnen und Jünger ist (z. B. 10,7; 28,19 f.). In den Wundern kann die christliche Gemeinde erkennen, dass sie selbst sich Gottes gnädigen Taten verdankt. Wer sich in die Nachfolge Jesu begibt, wird ganzheitlich sehend, so wie den Blinden in Mt 9,27-31 durch Jesus die Augen geöffnet werden. Für die tiefenpsychologische Auslegung (Drewermann 1990, 239-246) liegt die überzeitliche Bedeutung der Wundergeschichten in ihrer psychologischen Aussagekraft. Der stereotype Ablauf der neutestamentlichen Wundererzählungen – von der Schilderung auswegloser menschlicher Not zur jedes Mal erfolgenden Rettung durch den eingreifenden Wundertäter – lässt die Historizität des Erzählten zunächst sehr unwahrscheinlich wirken. Plausibel werden die erzählten Wunder dieser Deutung nach erst, wenn sie unter psychologischen Gesichtspunkten betrachtet werden. Die in den Wundergeschichten behandelten Krankheitsphänomene sind psychosomatisch bzw. tiefenpsychologisch zu verstehen. Blindheit und Stummheit sind unter dieser Perspektive »Ausdrucksformen einer inneren Einstellung« und »Fehlverarbeitungen schwerer Ängste« (Drewermann 1990, 241). Sie sind Symptome einer starken Daseinsangst. Durch diese Interpretation bekommen die biblischen Heilungserzählungen eine unmittelbare und direkte Bedeutung für ihre Leser(innen) zu jeder Zeit. Es wird deutlich, dass sie nicht einmalige vergangene Notsituationen und Ausnahmephänomene schildern, sondern von allgemein menschlichen Leiden und Nöten handeln. Sie erzählen von Ängsten, die Menschen krank machen, und von dem Vertrauen, das die Erkrankten benötigen, um wieder gesund werden zu können. Ausschlaggebend ist bei dieser Auslegung die Beobachtung, dass das Vertrauens- bzw. Glaubensmotiv wie in Mt 9,27-31 in vielen Heilungsgeschichten eine tragende Rolle spielt. Hierbei ist nicht das Für-Wahr-Halten eines theologischen Lehrsatzes gemeint, sondern ein grundlegendes Vertrauen, das als heilende Kraft ebenso fundamentalen zerstörerischen Ängsten entgegentreten kann. Dabei gilt dieses Vertrauen nicht eigentlich dem Wundertäter Jesus, sondern Gott selbst, der in und durch Jesus wirkt. Der Wundertäter ist somit Mittler zwischen »den Mächten des Göttlichen und dem Herzen des Menschen« (Drewermann 1990, 240). Die Erzählungen von Jesu Heilungswundern sind zeitlich verdichtete Beschreibungen von Therapie- und Heilungsprozessen, die sich über einen langen Zeitraum erstrecken können. Jesus nimmt gegenüber den kranken und Not leidenden Menschen die Rolle des Therapeuten ein, wendet sich ihnen zu und hilft ihnen damit, zu sich selbst zu finden. Die Heilung ist somit zu verstehen als die Befreiung von fundamentaler Angst, die geschieht, indem Jesus dem von der Angst beherrschten Menschen ein Vertrauen auf Gottes Macht vermittelt, das die Macht der Angst zu überwinden vermag. Insofern stehen theologische und psychologische Interpretation der Heilungswunder für Drewermann nicht im Widerspruch zueinander. Die Wundergeschichten erzählen von Ängsten, die in jedem Menschen schlummern und die ihn daran hindern, zu seinem eigentlichen Leben zu finden; der Glaube umgekehrt besitzt zufolge der Wundererzählungen allein die Kraft, Menschen wieder zu sich selbst zurückzuführen. Gottfindung und Selbstfindung verhalten sich in den Wundererzählungen daher zueinander wie Grund und Folge, wie Wesensursprung und Erscheinung (Drewermann 1990, 245).
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Die Wundererzählungen im Matthäusevangelium
Aspekte der Parallelüberlieferung und Wirkungsgeschichte Die Blindenheilung Mt 9,27-31 enthält inhaltliche und sprachliche Parallelen zu der Blindenheilung bei Jericho aus Mk 10,46-52, die auch Lk 18,35-43 und Mt 20,29-34 darstellen. Insbesondere finden sich die Anrede Jesu als »Sohn Davids« und die Bitte um Erbarmen auch schon in Mk 10,47 f. Allerdings stellt Matthäus den für ihn wichtigen Titel »Davidssohn« betont an das Satzende. Er verstärkt außerdem das Motiv des Vertrauens, das für die Erzählung Mt 9,27-31 bestimmend ist und in der markinischen Vorlage nur in der Feststellung Jesu »Dein Vertrauen hat dich gerettet« nach der Heilung vorkommt (Mk 10,52). Anders als in der markinischen Erzählung sind in Mt 9,27-31 außer den Blinden und Jesus keine weiteren Personen anwesend. Zudem spielt die Geschichte nicht in Jericho, sondern in Kafarnaum und die Heilung geschieht nicht draußen, sondern im Hausinneren. In Mk 10 heilt Jesus den Blinden nur durch ein Wort, während Mt 9,29 die Berührung der Augen hinzufügt. Dass Matthäus aus dem einen Blinden der Vorlage zwei macht, entspricht der Verdopplung des Besessenen in Mt 8,28. Die Zweizahl erleichtert die Typisierung der Geheilten und entspricht zudem dem Plural der Aussage in 11,5: »Blinde sehen …« (Luz 2007, 58). Der Exorzismus Mt 9,32-34 samt dem Vorwurf, Jesus treibe die Dämonen mit Hilfe ihres Herrschers aus, hat seine Vorlage in Q 11,14 f. (vgl. Lk 11,14 f.). Aus dieser Vorlage hat Matthäus auch die anwesende Volksmenge übernommen, die im Kontext von Mt 9 überraschend unvermittelt auftritt, da die vorige Erzählung den Eindruck erweckte, Jesus sei mit den Blinden allein im Haus. Dass Matthäus den Vorwurf, Jesus stehe mit dem Teufel im Bunde, den in Lk 11,15 »einige« aus der Menge äußern, »den Pharisäern« in den Mund legt, ist Teil seiner Pharisäerpolemik (vgl. z. B. Mt 3,7; 5,20; 12,2.14; 15,12). Wie die Blindenheilung Mt 9,27-31 in 20,29-34 so hat der Exorzismus 9,32-34 eine innermatthäische Parallele in 12,22-24. Die Frage, warum Matthäus beide Wundergeschichten doppelt erzählt, lässt sich nicht eindeutig beantworten (zu verschiedenen Deutungsmöglichkeiten vgl. Münch zu Mt 20,29-34 in diesem Band). Dublettenbildungen sind innerhalb der synoptischen Tradition aber nicht ungewöhnlich. Die Zusammenstellung der beiden Heilungswunder am Ende von Kapitel 9 ist jedenfalls matthäische Redaktion und Teil des vom Evangelisten komponierten Erzählzusammenhangs Mt 8 f., der die Wundertaten des heilenden Messias Jesus schildert.
Dorit Felsch Literatur zum Weiterlesen W. Baxter, Healing and the »Son of David«: Matthew’s Warrant, NT 48 (2006), 36-50. A. Fuchs, Die Agreements der Blindenheilung. Mk 10,46-52 par Mt 20,29-34/9,27-31 par Lk 18,35-43, in: G. Hotze/E. Spiegel (Hg.), Verantwortete Exegese. Hermeneutische Zugänge – Exegetische Studien – Systematische Reflexionen – Ökumenische Perspektiven – Praktische Konkretionen, FS F. G. Untergaßmair, Vechtaer Beiträge zur Theologie 13, Berlin 2006, 145-154. H. J. Held, Matthäus als Interpret der Wundergeschichten, in: ders./G. Bornkamm/G. Barth, Überlieferung und Auslegung im Matthäusevangelium, WMANT 1, Neukirchen-Vluyn 71975, 155-287, bes. 234-284.
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Begegnungen mit dem Davidssohn oder Vertrauen macht sehend Mt 9,27-34
M. Konradt, Israel, Kirche und die Völker im Matthäusevangelium, WUNT 215, Tübingen 2007, 41-52. G. Theißen, Vom Davidssohn zum Weltherrscher. Pagane und jüdische Endzeiterwartungen im Spiegel des Matthäusevangeliums, in: M. Becker/W. Fenske (Hg.), Das Ende der Tage und die Gegenwart des Heils. Begegnungen mit dem Neuen Testament und seiner Umwelt, FS H.-W. Kuhn, Leiden et al. 1999, 145-164.
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Schau den Menschen an! (Der Kranke mit der ›verdorrten Hand‹) Mt 12,9-14 (9) Und als er von dort fortging, kam er in ihre Synagoge. (10) Und siehe, ein Mensch, der eine vertrocknete Hand hatte! Und sie befragten ihn und sagten: »Ist es erlaubt, am Sabbat zu heilen?«, um ihn anzuklagen. (11) Er aber sagte zu ihnen: »Wer unter euch wird ein Mensch sein, der ein einziges Schaf hat, und wenn dieses am Sabbat in eine Grube hineinfällt, wird er es nicht ergreifen und hinaufziehen? (12) Um wie viel nun unterscheidet sich ein Mensch von einem Schaf! Deshalb ist es erlaubt, am Sabbat Gutes zu tun.« (13) Da sagt er zu dem Menschen: »Strecke deine Hand aus!« Und er streckte sie aus, und sie war wieder hergestellt, gesund wie die andere. (14) Die Pharisäer aber gingen hinaus und fassten einen Beschluss gegen ihn, um ihn zu vernichten.
Sprachlich-narratologische Analyse Der Text ist zweiter Teil eines größeren Zusammenhanges, der über Jesu Verhältnis zum Sabbat handelt, eingeleitet mit dem Ortswechsel in 12,1. Der Satz vor Beginn dieser Perikope »Denn Herr des Sabbats ist der Menschensohn« (12,8) verbindet die beiden Teile. In dem vorausgehenden Text 12,1-8 sticht eine Aussage Jesu hervor, die vielleicht für das Verständnis von 12,9-14 wichtig sein könnte: »Größeres als der Tempel ist hier« (12,6, mit Bezug auf die Tempelpriester, die am Sabbat ebenfalls im Tempel arbeiten dürfen). Die Perikope beginnt mit einem erneuten Ortswechsel, diesmal in die Synagoge. Nach hinten wird der Text durch den Fortgang der Kontrahenten und den Tötungsbeschluss in V. 14 abgegrenzt. Der dritte Ortswechsel in V. 15 signalisiert dann wiederum einen neuen Zusammenhang. Vom formalen Aufbau her handelt es sich um ein Streitgespräch, in das die Wunderheilung eingebunden ist. In diesem Rahmen hat die Heilung also den Sinn, die Autorität Jesu gegenüber seinen Gegnern herauszustellen. Dass Matthäus sich bei der Darstellung der Gegner Jesu und ihres Tötungsbeschlusses abweichend von Markus auf die Pharisäer konzentriert (vgl. V. 14 in Verbindung mit V. 2), entspricht seinem großen Interesse an ihnen auch an anderen Stellen (vgl. 3,7; 9,11; 23,1-36). Thematisch ist durch dieses Arrangement die Heilung untrennbar mit der Sabbatfrage und der Stellung Jesu zum Sabbat verbunden. Zur Behandlung dieser Frage ergänzt Matthäus an zentraler Stelle des Abschnittes in 12,11+12a gegenüber Markus eine Argumentation über ein in die Grube gefallenes Schaf. Das Motiv des gefährdeten Schafes wird in 18,12-14 noch einmal aufgenommen, dort allerdings im Vergleich zu 99 anderen, während hier betont wird, dass es das einzige Schaf des Eigentümers ist. Die gleiche Argumentation wie in Mt 12,11 f. findet sich zwar in anderem Zusammenhang, aber zur gleichen Thematik der Sabbatheilung, auch bei Lukas. Sie bezieht sich dort allerdings in 13,15 auf Ochsen und Esel und in 14,5 auf Sohn und Ochsen. Während in Lk 14 Mensch 436
Schau den Menschen an! Mt 12,9-14
und Tier bei der Rettung aus dem Brunnen am Sabbat argumentativ gleichgesetzt sind, wird in Mt 12,11 f. ihr Verhältnis zueinander im Sinne eines, allerdings nicht vollständig ausgeführten, Schlusses a minore ad maius dargestellt: Wenn man schon ein Tier am Sabbat aus der Grube zieht, um wie viel mehr muss dann am Sabbat ein Mensch geheilt werden. Das »mehr« fehlt jedoch im Text und wurde erst von späteren Handschriften ergänzt. Dieses Argument ist eingebunden in einen Dialog mit den missgünstigen Pharisäern in V. 10b und 12b. Das Gespräch ist wiederum gerahmt durch die Beschreibung der Erkrankung des Menschen in V. 10a und dessen Heilung in V. 13. Der Text ist damit konsequent in Form einer Ringkomposition aufgebaut: – Kommen Jesu (V. 9) und Fortgang der Pharisäer (V. 14), – Beschreibung der Krankheit des Menschen (V. 10a) und deren Heilung (V. 13), – polemische Frage der Pharisäer (V. 10b) und Antwort Jesu (V. 12b), – Beispiel vom Schaf (V. 11) und Bezug auf den Menschen (V. 12a). Damit wird die gesamte Argumentation auf die Hervorhebung der Besonderheit des Menschen in V. 11 und 12a fokussiert. Textpragmatisch erzeugt die Formulierung »und siehe, ein Mensch« in V. 10, die sich in den Paralleltexten nicht findet, große Aufmerksamkeit. Mt bringt das an alttestamentliche Texte anknüpfende »siehe« an zahlreichen Stellen (z. B. in den Heilungsgeschichten 8,2; 9,2.20.32), hier in Bezug auf den Menschen mit der gelähmten Hand jedoch ohne Verb. Der Anfang von V. 10 spricht den Leser zu Beginn der eigentlichen Erzählung direkt an und enthält im Grunde genommen schon die programmatische Kernaussage des Textes: Schau den Menschen an! Nimm seine Not wahr und relativiere von dort her andere Gebote und Regeln! Die viermalige Bezeichnung »Mensch« auf verschiedenen Erzählebenen in V. 10, 11, 12 und 13 verstärkt diese anthropologisch konzentrierte Grundaussage des Textes. Die eigentliche Heilung wird nicht klar beschrieben, sie ist offenbar durch die Worte Jesu »Strecke deine Hand aus« geschehen (so Davies/Allison 1991, 321). Die Anrede des Kranken wird hier im Gegensatz zum Rest der Geschichte im Präsens wiedergegeben. Damit wird der Vorgang im Erzählfluss hervorgehoben. Die Heilung nur durch Worte ohne irgendwelche Handlungen muss nicht als Arbeit und damit als Bruch des Sabbatgebotes betrachtet werden (Flusser 1968, 47). Sie ist hier nicht mit bestimmten Gesten verbunden wie z. B. der ausgestreckten Hand Jesu, mit der er in Mt 8,3 den Aussätzigen geheilt hat. Auch die Auseinandersetzung mit Geistern oder Dämonen spielt keine Rolle. Die Heilung wird erst dadurch offenbar, dass der Betroffene seine Hand ausstreckt. Der Aorist des Verbs weist darauf hin, dass die Gesundung schon (unmerklich) eingetreten ist. Die Formulierung £@ ˝llh (ho¯s he¯ alle¯ – wie die andere) zeigt, dass der Mensch zur Integrität gefunden hat: Eine Hand ist wie die andere. Der Schwerpunkt der Darstellung der Heilung liegt damit auf der öffentlichen Zurschaustellung der Gesundheit und Integrität des Menschen.
Sozial- und realgeschichtlicher Kontext Der Ausdruck »vertrocknet« (xhr€n xe¯ran) in V. 10 ist ein traditionelles Bild für eine Lähmung, die auf eine Auszehrung des Körpers zurückgeführt wird, gewissermaßen auf das Fehlen vitaler Körpersäfte an dieser Stelle. Der Begriff weist jedoch darauf hin, dass die »Vertrocknung« wie bei Pflanzen auch behoben werden kann (vgl. dazu Bonnard 437
Die Wundererzählungen im Matthäusevangelium
1970, 175). Der hier beschriebene Mensch leidet also unter einer gelähmten Hand, vielleicht auch unter einer Art Muskelatrophie (so Luck 1993, 147). Das ist zunächst eine Krankheit, die aber in ihren entsprechenden Bewegungseinschränkungen und sozialen Folgen auch zur Behinderung werden kann (s. Ruwe/Starnitzke 2009a, 40-41). So kann die Lähmung einer Hand dazu führen, dass die Erwerbstätigkeit nicht mehr möglich ist und dies Verarmung oder sogar Existenzbedrohung zur Folge hat. Der hier dargestellte Mensch scheint aber sozial zumindest nicht so sehr isoliert zu sein, dass er nicht in die Synagoge gehen könnte. Für die konkrete Frage der Rettung eines in Not geratenen Tieres am Sabbat, die Jesus im Zusammenhang der Heilung thematisiert, gibt es verschiedene mögliche Antworten. Denkbar wäre z. B., es den Sabbat über in der Grube zu versorgen (vgl. Billerbeck 1926a, 629). In der essenischen Damaskusschrift heißt es: »Niemand darf einem Vieh am Tag des Sabbats Geburtshilfe leisten. Wenn es in eine Grube oder in eine Zisterne (ein Junges) geworfen hat, soll man es am Sabbat nicht herausholen« (CD 11,13 f., zitiert nach Gnilka 1986, 448). Aber der Hinweis, dass es sich um das einzige Schaf handeln soll, verstärkt zumindest die Plausibilität der Antwort Jesu. Die schlussfolgernde Zusammenfassung in V. 12, dass es am Sabbat erlaubt sei, Gutes zu tun, bezieht sich sowohl auf das Tier als auch auf den Menschen.
Traditions- und religionsgeschichtlicher Hintergrund Das im Text von Jesus angeführte zentrale Argument für die Heilung des Gelähmten ist, dass er ein Mensch ist und deshalb besondere Wertschätzung verdient. Dies wird durch die konzentrische Anordnung der gesamten Perikope auf V. 11 und 12a hin gestützt. Die Gegenüberstellung von Mensch und Schaf mit dem impliziten Schluss a minore ad maius erinnert an die Aussagen der beiden Schöpfungsberichte Gen 1-3, die den Menschen gegenüber Tieren und anderen Lebewesen herausheben. Er wird dort besonders charakterisiert durch seine Fähigkeit, andere Geschöpfe zu beherrschen (Gen 1,26-28); außerdem z. B. durch das Tragen von Kleidung (vgl. Gen 3,7), was dort als Folge der menschlichen Fähigkeit zur Selbstreflexion verstanden wird. Auch die in der Perikope aufgeworfene Frage nach der Einhaltung des Sabbat verweist auf die Schöpfungstradition. Im ersten Schöpfungsbericht Gen 1,1-2,4a ist der Sabbat das Ziel der Schöpfung Gottes (Gen 2,3). Interessant ist in diesem Zusammenhang auch das im Dekalog in Dtn 5,14 f. entfaltete Verständnis des Sabbatgebotes: Die Israeliten sollen mit ihrem ganzen Haus einschließlich der Tiere den Sabbat halten, weil sie an ihre Befreiung aus der Knechtschaft in Ägypten denken sollen. Auf dem Hintergrund dieser Befreiungstradition kann man fragen, ob man ein Tier am Sabbat in einer Grube gefangen sitzen lassen kann. Wenn in Mt 12,10 Jesus von den Pharisäern gefragt wird, ob es erlaubt sei, am Sabbat zu heilen, dann widerspricht das wohl der pharisäischen Auffassung (anders Fiedler 2006, 250). Die Frage bezieht sich zurück auf V. 2, wo ebenfalls die Pharisäer Jesus angreifen, und verweist gleichzeitig auf das Ende in V. 14, wo sie seinen Tod beschließen. Nach ihrer Meinung ist das Heilen am Sabbat nur bei drohender Lebensgefahr erlaubt (so Billerbeck 1926a, 623). Bei der hier dargestellten Situation handelt es sich nicht um eine akute Notlage, weil der Gelähmte sicherlich schon seit längerer Zeit mit dieser Erkran438
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kung gelebt haben dürfte. Es entspricht aber gemäßigten jüdischen Traditionen, gegenüber Kranken gewisse Handlungen wie Besuche oder Gebete auch am Sabbat zuzulassen, wie es etwas später z. B. für die Schule Hillels tradiert ist, anders als in der Schule Schammais (vgl. Billerbeck 1926a, 630). Das Verständnis von Krankheit ist in biblischen Texten ambivalent. Gerade im konkreten Falle einer Handlähmung kann dies als göttliche Strafe verstanden werden (s. z. B. 1Kön 13,4-6, vgl. auch TestSim 2,11-14). Krankheit kann aber auch als Ermöglichung der Wirksamkeit Christi in den Blick kommen, wie es Paulus in 2Kor 12,9 beschreibt: »Viel lieber will ich mich also in meinen Krankheiten rühmen, damit die Kraft Christi bei mir einziehe« (s. Ruwe/Starnitzke 2009b, 320). Die Mt 12,9-14 dargestellte Heilung weist offenbar eher in diese Richtung. Die Krankheit des Gelähmten bietet gerade die Voraussetzung dafür, um Jesu Souveränität und Macht gegenüber Krankheiten und damit mittelbar auch gegenüber seinen Gegnern zu zeigen.
Verstehensangebote und Deutungshorizonte Eine historisierende Deutung bietet Joachim Gnilka in seinem Matthäuskommentar. Er erblickt zum einen im Todesbeschluss der Pharisäer in V. 14 »eine gewisse biographische Note« (Gnilka 1986, 447). Zum anderen erkennt er in der am Liebesgebot orientierten Darstellung der Perikope eine Übereinstimmung mit den Anliegen des historischen Jesus: »Am Sabbat ist Heilen durchaus erlaubt, Barmherzigkeit ist vonnöten, nicht Opfer. Diese Entscheidung traf E (sc. der Evangelist) in völliger Übereinstimmung mit dem Geist und der Praxis Jesu. Heilungen am Sabbat, die Jesus zweifelsohne gewirkt hat, müssen sich in seinem Wirken noch provokanter dargestellt haben als in den Berichten über sie« (Gnilka 1986, 449). Gnilka nimmt also eine pointiert ausgeprägte Positionierung des historischen Jesu gegenüber dem Sabbat an, die im Laufe der Überlieferung durch die Evangelien abgeschwächt wurde. »Die Schärfe seines Standpunktes ist besonders in dem einen Wort erkennbar, das Mt aus redaktionellen Gründen nicht mehr übernommen hat: ›Ist es erlaubt, am Sabbat Gutes zu tun oder Böses zu tun, ein Leben zu retten oder zu töten‹ (Mk 3,4). Hier ist das Unterlassen des Guten mit dem Tun des Bösen gleichgesetzt« (ebd.). Aus der Schärfe und Originalität dieses Wortes, »das nur zu ihm paßt« (ebd.), schließt Gnilka also auf eine authentische Herkunft der Erzählung aus dem Leben Jesu (als Gegenposition vgl. dazu Fiedler 2006, 249 f.). Ulrich Luz interpretiert den Text in redaktionskritischer Perspektive als Erinnerung der matthäischen Gemeinde an die eigene Geschichte in Israel. Für ihn ging es Jesus »um eine Herausforderung überkommener religiöser Identität, (…) ja um eine Provokation im Namen der Liebe«. Er verweist dabei auf Eduard Lohse, für den der Sabbat grundlegend für die Identität Israels ist (Lohse 1964, 8). Jesus habe in der Darstellung des Matthäus deshalb bewusst am Sabbat geheilt, um dieser Identität eine neue entgegenzusetzen. Deshalb sei er nach Darstellung des Matthäus auch dafür von den Israeliten unter der Führung der Pharisäer getötet worden. Den »Provokationen der Liebe durch Jesus« verdanke also die christliche Gemeinde ihre Identität (Luz 2007, 241, anders Fiedler 2006, 250). Mit seiner tiefenpsychologischen Deutung nimmt Eugen Drewermann den von Jesus geheilten Menschen näher in den Blick. Er versteht die Lähmung der einen Hand als 439
Die Wundererzählungen im Matthäusevangelium
Ausdruck der inneren Gespaltenheit des Menschen. »So kann es buchstäblich sein, dass Menschen ›halbiert‹ existieren müssen, aufgespalten zwischen ihrem Bewußtsein und ihrem Unbewußten, ja es mag im Einzelfall vorkommen, dass, wie im vorliegenden Beispiel, sogar in die Körperhälften hinein sich polarisiert, was an Widersprüchen in ihren Köpfen haust« (Drewermann 1994, 224). Er beschreibt in diesem Zusammenhang die Erkrankung als organische Äußerung einer psychischen inneren Spannung, die bis hin zu Lähmungserscheinungen führen kann, ohne dass die Organe dabei grundsätzlich krank sein müssen. Für Drewermann steht auch die Thematisierung des Gesetzes anhand der Sabbatfrage in unmittelbarem Zusammenhang mit diesen psychosomatischen Phänomenen. Damit soll verdeutlicht werden, dass »die gesamte schriftgelehrte Auskunftei in sich selbst krankmachend sei« (Drewermann 1994, 226, Hervorhebung im Original). Anstatt Menschen aufgrund der Befolgung oder Nichtbeachtung bestimmter Gebote voneinander zu unterscheiden, geht es Jesus nach Drewermann darum, die Gemeinschaft zwischen ihnen wiederherzustellen. Das ermögliche dann auch die inneren Heilungsprozesse: »Die heilende Integration der Psyche ist nichts anderes als die Integration der Menschen untereinander« (Drewermann 1994, 230). Bonnard entwickelt in seinem Kommentar eine von theologischer Anthropologie geprägte Interpretation. Er sieht, anknüpfend an Adolf Schlatter, im Text einen Gegensatz zwischen der Orientierung am Wert des Eigentums in der traditionellen Ethik und am Wert des Menschen bei Jesus aufgebaut. Das Beispiel des Schafes erläutert den wertschätzenden Umgang von Menschen mit ihrem Eigentum. Matthäus sei dann in seiner Darstellung des Wunders entschieden an der besonderen Bedeutung des Menschen interessiert. Jesu Worte und Handeln zeigen: Die Dringlichkeit, einem Menschen zu helfen, ist weitaus größer einzuschätzen als das Interesse an der Rettung eines Teiles des persönlichen Eigentums (Bonnard 1970, 176: »dans cette activité de salut la priorité est donée à l’homme«). Diese Interpretation deckt sich mit verschiedenen Beobachtungen aus der sprachlich-narratologischen Analyse. Durch die Wunderheilung Jesu und seine damit zusammenhängende Argumentation soll die Besonderheit dieses kranken und behinderten Menschen und damit zugleich des Menschen an sich hervorgehoben werden, programmatisch zusammengefasst am Anfang von V. 10: »Siehe, ein Mensch!« Denkwürdig ist in diesem Zusammenhang, dass der Mensch ausgerechnet an seiner Hand erkrankt ist, die als Symbol für das Festhalten am Privatbesitz gedeutet werden kann. Das starke anthropologische Interesse der Perikope wird auch deutlich durch die viermalige Verwendung der schlichten Bezeichnung »Mensch« (V. 10.11.12.13) auf den verschiedenen Erzählebenen sowie durch die konzentrische Komposition, die die Unterscheidung zwischen Tier und Mensch in V. 11 und 12a mit einem Schluss a minore ad maius ins Zentrum stellt.
Aspekte der Parallelüberlieferung und Wirkungsgeschichte Das Problem des Heilens am Sabbat wird im judenchristlichen Kontext anknüpfend an den Matthäustext auch im apokryphen Hebräerevangelium behandelt. Es »hat wohl auch von einer Heilung erzählt, die Jesus am Sabbath vorgenommen (sic). Nach Hier. comm. in Matt. 12,17 hat es die Perikope Mt 12,9-13 enthalten. Aber unverkennbar ist das Bestreben, den Herrn zu entschuldigen. Nur die rührende Bitte des jüdischen Bruders, 440
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einem als unwürdig schmerzlich empfundenen Zustand ein Ende zu machen, veranlasst ihn, einzugreifen« (Bauer 1909, 352; ausführlicher zum Text Frey zu EvNaz 4 in diesem Band). Besonders im Mittelalter ist die Wundererzählung gern heilsgeschichtlich oder christologisch gedeutet worden. »Die erstorbene Hand symbolisiert den Sündenfall« (Luz 2007, 242). Die ausgestreckte Hand des geheilten Mannes verweist in dieser Sicht auf die ausgestreckte Hand Jesu am Kreuz, durch die Vergebung von den Sünden möglich geworden ist (ebd., mit Verweis auf Hieronymus, Strabo und Thomas v. Aquin).
Dierk Starnitzke Literatur zum Weiterlesen G. Barth, Das Gesetzesverständnis des Evangelisten Matthäus, in: G. Bornkamm/G. Barth/H. J. Held (Hg.), Überlieferung und Auslegung im Matthäusevangelium, WMANT 1, Neukirchen 71975, 54-154. L. Doering, Schabbat. Sabbathalacha und -praxis im antiken Judentum und Urchristentum, TSAJ 78, Tübingen 1999, 457-461. E. Ottenheijm, Genezen als goed doen. Halachische logica in Mt 12,9-14, Bijdragen 63 (2002), 335-366. W. Reinbold, Matthäus und das Gesetz. Zwei neue Studien, BZ 50 (2006), 244-250. B. T. Viviano, The historical Jesus and the biblical and Pharisaic sabbath (Mark 2:23-28 parr; Luke 13:10-17; 14,1-6; Matt 12:11-12), in: ders., Matthew and his world. The gospel of the open Jewish Christians studies in biblical theology, NTOA 61, Fribourg 2007, 102133. Y.-E. Yang, Jesus and the Sabbath in Matthew’s gospel, JSNT.S 139, Sheffield 1997, 195-213.
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Jesus sättigt ganz Israel (Die Speisung der Fünftausend) Mt 14,13-21 (13) (Es) hörend aber, entwich Jesus von dort in einem Boot an einen einsamen Ort für sich; und hörend (es), folgten die Volksmengen ihm zu Fuß von den Städten. (14) Und aussteigend sah er eine große Volksmenge, und er wurde ergriffen über sie, und er heilte ihre Kranken. (15) Als es aber Abend geworden war, kamen zu ihm die Schüler, sagend: »Einsam ist der Ort und die Stunde schon vorübergegangen; entlasse die Volksmengen, damit sie weggehend in die Dörfer sich kaufen Speisen.« (16) [Jesus] aber sprach zu ihnen: »Nicht nötig haben sie wegzugehen, gebt ihnen ihr zu essen!« (17) Die aber sagen ihm: »Nicht(s) haben wir hier außer fünf Brote und zwei Fische.« (18) Der aber sprach: »Bringt mir sie hierher!« (19) Und befehlend, dass die Volksmengen sich hinlegten auf das Gras, nehmend die fünf Brote und die zwei Fische, aufschauend zum Himmel, segnete er, und brechend gab er den Schülern die Brote, die Schüler aber den Volksmengen. (20) Und (es) aßen alle und wurden gesättigt, und wegtrugen sie das Übriggebliebene der Stücke, zwölf volle Körbe. (21) Die Essenden aber waren etwa fünftausend Männer, ohne Frauen und Kinder.
Sprachlich-narratologische Analyse Die Speisung der Fünftausend ist deutlich vom literarischen Kontext getrennt. Der Textabschnitt beginnt mit einem Ortswechsel in V. 13 (»von dort« ! »Boot« ! »einsamer Ort«) und einem Personenwechsel (Schüler ! Volksmenge [V. 13]). In V. 15 wird zudem eine neue Zeitangabe (Abend) eingefügt. Nach der Erzählung über das Martyrium des Täufers (14,1-12) wechselt der Erzähler mit diesen Textsignalen zu einer Wundererzählung. Auch das Ende der Texteinheit ist durch einen erneuten Ortswechsel deutlich abgegrenzt, der wie zu Beginn in 14,13 durch eine Bootsfahrt erreicht wird (V. 13: ¥n ploffl†w en ploio¯ – in einem Boot; V. 22: e§@ t plo…on eis to ploion – ins Boot). Während in V. 13 der Ort die Einsamkeit war (e§@ ˛rhmon tpon kat3 §dfflan eis ere¯mon topon kat idian – an einem einsamen Ort für sich), wechselt Jesus nun zum anderen Ufer (V. 22: e§@ t pffran eis to peran – zum Gegenüber). Im Zentrum der Brotvermehrungserzählung steht die Volksmenge (durchgehend clo@ ochlos – Volksmenge), während in der nachfolgenden Seewandelerzählung die Jünger Jesu und besonders Petrus die Hauptrolle einnehmen. Der Wechsel zur neuen Handlung geschieht abrupt (V. 22: e'qffw@ eutheo¯s – sogleich). Auch wenn am Ende des Textabschnitts kein erneuter Gattungswechsel stattfindet, so ist dennoch eine Differenzierung durch die Art des erzählten Wunders möglich. Es findet ein Wechsel von einem Geschenkwunder zu einer Epiphanieerzählung statt. Der Text ist vermutlich nicht kohärent. V. 14 enthält ein Wundersummarium, das nicht gattungstypisch für Geschenkwunder ist und nur hier vorkommt. In dem von 442
Jesus sättigt ganz Israel Mt 14,13-21
G. Theißen (Theißen 1998) zusammengetragenen Wunderarsenal ist es daher nicht aufgenommen. Dennoch ist V. 14 gut eingebunden in den Kontext, was auf gelungene matthäische Redaktion hinweist. Ein Blick auf die Vorlage des Markus zeigt, dass das Summarium ein Spezifikum des Matthäus ist; Markus stellt dagegen Jesus als Lehrer dar. Es ist möglich, dass Matthäus Sondergut oder aber ein markinisches Summarium ein zweites Mal einbaut. Aus synchroner Sicht hat das Summarium die Funktion eines retardierenden Moments. Die Gliederung der Erzählung lässt erkennen, dass insbesondere die expositionellen Motive stark ausgebaut sind (vgl. auch das Wunderarsenal von G. Theißen). In ihnen spielen die Jünger Jesu eine zentrale Rolle, indem sie helfen, das Wunder mit vorzubereiten. Im Unterschied zur markinischen Parallele werden sie nicht als unverständig geschildert. Auch wenn sie nicht die Hauptakteure im Text sind, so sind sie neben Jesus die einzigen Akteure, von denen eine wörtliche Rede überliefert ist. Dabei fällt auf, dass sie v. a. die negative Ausgangssituation und damit die Notlage verbalisieren. Sie betonen die Einsamkeit des Ortes und die fortgeschrittene Zeit (V. 15d) sowie den Mangel an Lebensmitteln (V. 17b: 5 Brote, 2 Fische). Sie fordern daher Jesus auf, die Volksmenge zu entlassen, damit diese sich in den Dörfern Speisen kaufen kann (V. 15e-h). Die erwidernde Bitte Jesu (V. 16bc), die Menschenmenge doch selbst zu versorgen, beantworten sie mit dem Hinweis auf den Mangel (V. 17b). Die Speisung der Fünftausend gehört zur Untergattung der Geschenk- oder Vermehrungswunder. Dazu gehören im Neuen Testament zudem die Hochzeit zu Kana (Joh 2,1-12) und der wunderbare Fischfang (Lk 5,1-11 – vgl. besonders V. 6; Joh 21,1-14 – vgl. besonders V. 6.11). In allen drei Vermehrungserzählungen geschieht das Wunder als Antwort auf den Gehorsam dem Wort Jesu gegenüber (Lk 5,4: Fahrt hinaus ins tiefe Wasser und werft eure Netze zum Fang aus!; Joh 2,5: Was er euch sagt, das tut!; 21,6: Werft auf die rechte Seite des Bootes das Netz, und finden werdet ihr). Die Brotvermehrung bezieht zwar die Jünger in das Geschehen ein, jedoch geschieht das Wunder hier nach dem Segen Jesu über das Brot, dem Brechen und Austeilen des Brotes. Während die drei anderen Vermehrungswunder ein Wunder des Gehorsams auf das wirkmächtige Wort Jesu sind, bleiben die Jünger bei der Brotvermehrung in der Rolle von Mitbeteiligten am Geschehen. Allen Geschenk- oder Vermehrungswundern gemeinsam ist zudem der vorausgehende Mangel, der aus menschlicher Anstrengung nicht zu beheben ist. Das Wunderhafte der Erzählungen besteht daher in der Zuwendung Gottes/Jesu in einer menschlichen Notlage, in der es am Nötigsten fehlt. Auffällig ist, dass es in allen Erzählungen von Geschenk- oder Vermehrungswundern nicht um individuelle Nöte geht, sondern um das Überleben der Gemeinschaft des Gottesvolkes. Die göttliche Überfülle stiftet und erhält die Gemeinschaft der Glaubenden. Damit haben diese Wundererzählungen eine immanent ekklesiologische Dimension. Eine Analyse der Verben macht deutlich, dass Verben der Sinneswahrnehmung sehr sparsam eingesetzt werden. Nur Jesus wird als Sehender charakterisiert: Er sieht die große Volksmenge, die ihm folgt und Heilung ersehnt (V. 14: e den eiden – sah) und er schaut vor dem Segnen der Brote und Fische zum Himmel auf (V. 19: ⁄nablffva@ anablepsas – aufschauend). Zudem wird er als ein Hörender dargestellt (V. 13); nachdem er vom Begräbnis Johannes des Täufers hört, bricht er zu einem einsamen Ort auf. Nur von
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Die Wundererzählungen im Matthäusevangelium
13a b c d 14a b c 15a b c
16a
17a 18a 19a b c d e f g 20a b c d 21a b
(Es) hörend aber, entwich Jesus von dort in einem Boot an einen einsamen Ort für sich; und hörend (es), folgten die Volksmengen ihm zu Fuß von den Städten. Und aussteigend sah er eine große Volksmenge, und er wurde ergriffen über sie, und er heilte ihre Kranken. Als es aber Abend geworden war, kamen zu ihm die Schüler, sagend: d »Einsam ist der Ort und die Stunde schon vorübergegangen; e entlasse die Volksmengen, f damit, g weggehend in die Dörfer, h sie sich kaufen Speisen.« [Jesus] aber sprach zu ihnen: b »Nicht nötig haben sie wegzugehen, c gebt ihnen ihr zu essen!« Die aber sagen ihm: b »Nicht(s) haben wir hier außer fünf Brote und zwei Fische.« Der aber sprach: b »Bringt mir sie hierher!« Und befehlend, dass die Volksmengen sich hinlegten auf das Gras, nehmend die fünf Brote und die zwei Fische, aufschauend zum Himmel, segnete er, und brechend gab er den Schülern die Brote, die Schüler aber den Volksmengen. Und (es) aßen alle und wurden gesättigt, und wegtrugen sie das Übriggebliebene der Stücke, zwölf volle Körbe. Die Essenden aber waren etwa fünftausend Männer, ohne Frauen und Kinder.
Feinstrukturierter Text Mt 14,13-21
Jesus, dem Hauptakteur, sagt der Textabschnitt, dass er ein Hörender und Sehender ist. Seine Sinne sind offen für das Geschehen und die Nöte der Menschen. Die Volksmenge wird als Hörende beschrieben: Sie hört von Jesu Rückzug zu einem einsamen Ort und wird zu seinen Nachfolgern (V. 13). Die jeweilige Sinneswahrnehmung – Hören der Volksmenge und Sehen Jesu – führt zur heilsamen Begegnung beider Parteien, die ihren leibhaftigen Ausdruck in Heilung (V. 14) und Sättigung (V. 20 f.) findet. Bewegung kennzeichnet die Handlung stärker als Dialoge. 444
Jesus sättigt ganz Israel Mt 14,13-21
Von der Volksmenge wird folgende Handlungsfolge erzählt: folgen – essen – [gesättigt werden]. Aus ihrer anfänglichen aktiven Bewegung der Jesusnachfolge kommt sie am Ende zur Ruhe und wird gesättigt. Ihre äußere Unruhe und anschließende Ruhe sind zugleich Ausdruck für ihre äußere und innere (Un-)Ruhe. Die Erzählung verdeutlicht anhand der Bewegungsverben, dass sich ihr Aufbruch aus dem Mangel lohnt und zur Fülle in der Gegenwart Jesu führt. Es fällt auf, dass Matthäus die Volksmenge in dieser Erzählung durchgehend als clo@ (ochlos – Volksmenge) (4,25; 5,1; 7,28; 8,1.18; 9,8.23.25.33.36 u. ö. – besonders dicht in Mt 14-15) bezeichnet und den theologischen Begriff des la@ (laos – Gottesvolk) (1,21; 2,4.6; 4,16.23; 13,15; 15,8; 21,23; 26,3.5.47; 27,1.25.64 – besonders häufig in der Passionserzählung), den er für das Gottesvolk verwendet, hier vermeidet. Dennoch ist die Dimension des Gottesvolkes in der Zwölfzahl der Brotkörbe (V. 20), die an die Zahl der Stämme Israels erinnert, und der Anzahl der beim Mahl anwesenden Männer (V. 21), die auf die Lagerordnung beim Exodus anspielt, deutlich herausgearbeitet. Die Bewegung der Jünger ist sparsamer: Sie kommen zu Jesus, um ihn auf die Not der Menschenmenge aufmerksam zu machen, und tragen am Ende die Brotkörbe weg. Ihnen kommt zudem die Rolle der verbalen Kommunikation zu. Sie eröffnen das Gespräch mit Jesus (V. 15) und betonen den Mangel an Speisen (V. 17). Damit haben sie eine Mittlerrolle inne, die Jesus mit der Menschenmenge verbindet. Vom Hauptakteur Jesus werden verschiedene Bewegungen erzählt, die ihn in der Komplexität seiner Identität und Sendung kennzeichnen: Er entweicht, um Zeit in der Einsamkeit mit sich allein zu verbringen (V. 13: kat3 §dfflan kat idian – für sich); dazu steigt er aus dem Boot aus (V. 14: ¥xelqðn exeltho¯n – herauskommend). Er lässt sich von den Menschenmengen, die ihm nachfolgen, von Mitleid ergreifen (V. 14: ¥splagcnfflsqh esplanchnisthe¯) und heilt (¥qer€peusen etherapeusen) die Kranken (to±@ ⁄rrðstou@ tous arro¯stous). Schließlich vollzieht er Handlungen über die vorhandenen Speisen, die für die übermäßige Fülle sorgen: Er nimmt (V. 19: labðn labo¯n), bricht das Brot und gibt es (kl€sa@ ˛dwken klasas edo¯ken) seinen Jüngern. Die Bewegungsverben lassen Jesus als einen Menschen erscheinen, der sowohl die Einsamkeit als auch die Menschenmengen aushalten kann. Der Kontrast beider Lebensformen bereitet ihm keine Probleme, er ist balanciert. Zudem heilt er Menschen und sättigt sie, d. h. er geht auf die unterschiedlichen Bedürfnisse der ihn Suchenden ein und antwortet angemessen. Die Erzählung arbeitet außerdem mit Kontrasten zwischen Mangel und Fülle, die das Wundersame der Erzählung verdeutlicht: Der einsame Ort, an dem Jesus sich aufhält, steht in scharfem Kontrast zu den Menschenmengen, die ihm aus den Städten nachfolgen. Nicht nur die Einsamkeit des Ortes, sondern auch die vorgerückte Abendstunde und die geringen Vorräte stehen in scharfem Kontrast zur Fülle der Sättigung so vieler Menschen am Ende. Die logistische Unfähigkeit der Jünger, die vielen Menschen zu verköstigen, und ihr Rat, diese in die umliegenden Dörfer zu schicken, kontrastiert das wundersame Geschehen. Während die Jünger unfähig sind, das Wunder zu wirken, gelingt es dem Wundertäter allein durch das Nehmen der Brote, das Aufschauen zum Himmel, Segnen und Brechen der Brote. Dem aufmerksamen Leser wird der Bezug zur Abendmahlserzählung dabei deutlich sein; Mt 26,26 wird in 14,19 fast wörtlich antizipiert. Die Brotvermehrungserzählung erhält durch das Handeln Jesu einen deutlichen eucharistischen Bezug, auch wenn hier der Wein, der Ausdruck von Jesu Sterben und Blutvergießen am Kreuz ist, fehlt. Der Mahlcharakter und die Sorge Jesu für die Menschen wer445
Die Wundererzählungen im Matthäusevangelium Verben der Bewegung*
Verben der Sinneswahrnehmung
Verben des Sprechens
V. 13a hörend V. 13b entwich V. 13c hörend V. 13d folgten V. 14a aussteigend V. 14a sah V. 14b wurde ergriffen V. 14c heilte V. 15b kamen V. 15c sagend V. 16a sprach V. 17a sagen V. 18a sprach V. 19a befehlend V. 19b sich hinlegten V. 19c nehmend V. 19d aufschauend V. 19e segnete V. 19f brechend V. 19f gab V. 20a aßen V. 20b wurden gesättigt V. 20c wegtrugen * Legende: Jesus Jünger Volksmenge
Verbanalyse den durch die Fokussierung auf das Brot und den Fisch ins Zentrum gerückt und zugleich wird das letzte Mahl Jesu vorbereitet.
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Jesus sättigt ganz Israel Mt 14,13-21 Mt 14,19
labðn (labo¯n – nehmend) – ˝rtou@ (artous – Brote) kaffl (kai – und) – e'lghsen (euloge¯sen – segnete) – kl€sa@ (klasas – brechend) – to…@ maqhta…@ (tois mathe¯tais – den Schülern)
Mt 26,26 labðn (labo¯n – nehmend) – ˝rton (arton – Brot) – kaffl (kai – und) – e'logffisa@ (euloge¯sas – segnend) – ˛klasen (eklasen – brach) – to…@ maqhta…@ (tois mathe¯tais – den Schülern)
Das Austeilen des gebrochenen Brotes wird durch die Jünger Jesu vorgenommen – auch das ist ein logistisches Wunder der Fülle. 12 Jünger teilen an 5000 Männer plus Frauen und Kinder aus. Das Wegtragen der 12 Körbe mit Brotresten ist ein weiteres Indiz für das Wundersame der Handlung. Was mit den zwei Fischen passiert, verrät der Erzähler nicht. Im Zentrum der Erzählung steht die Brotvermehrung. Das entscheidende Transfersignal, der Wendepunkt der Erzählung, ist die Antwort Jesu auf die Aufforderung seiner Jünger, die Menschenmenge wegzuschicken (V. 16: Nicht nötig haben sie [o' crefflan ˛cousin ou chreian echousin] wegzugehen, gebt ihnen ihr zu essen!). Das Substantiv creffla (chreia – Bedarf) gehört zum semantischen Feld des Besitzes. Es bezeichnet näher einen Bedarf oder einen Mangel. Noch vor dem eigentlichen Wunder erfährt der Leser hier, dass die Menschenmenge entgegen dem Augenschein keinen Mangel hat. Das Transfersignal macht damit auf eine andere Bedeutungsebene aufmerksam: Es geht nicht um den materiellen Mangel der Menschenmenge. Sie sind ihm nicht aus den Städten nachgefolgt, weil sie unter Hunger und materieller Not gelitten haben. Vielmehr suchen sie seine Nähe und sein Heil, indem sie ihm nachfolgen. Mangel Jesus – einsamer Ort (V. 13.15) Ort
Volksmenge – aus den Städten (V. 13d) Wegschicken der Volksmenge in die Dörfer (V. 15)
Zeit
Abend (V. 15)
Speisen
5 Brote, 2 Fische (V. 17.19) Fülle
Speisung
Sättigung aller (V. 20)
Speise
12 Körbe voll mit Resten (V. 20)
Menschen
5000 Männer, plus Frauen und Kinder (V. 21)
Kontrast Mangel – Fülle
Sozial- und realgeschichtlicher Kontext Getreide gehört in der antiken Mittelmeerwelt zu den Grundnahrungsmitteln, aus dem ein Getreidebrei hergestellt oder aber Fladenbrot (mazza) aus Gerstenmehl (kriqfflno@ krithinos: vgl. Joh 6,9.13; Offb 6,6) und Wasser als Hauptnahrungsmittel gebacken wurde. Zudem kannte man im römischen Kulturraum Brot aus Gerstenmehl, das besonders von Armen und Sklaven verzehrt wurde. Die Form war rund und flach, zudem bereits für das Brechen vorgekerbt (meist vierfach). Besondere Brotsorten waren mit Anis gewürzt 447
Die Wundererzählungen im Matthäusevangelium
oder aber besonders geformt (Kringel). Weizenbrot war aufgrund der höheren Kosten nicht so weit verbreitet. Unterschieden werden kann zwischen gesäuertem, ungesäuertem und wenig gesäuertem Brot. Das Brot wurde mit einer Zukost verzehrt, zu der Gemüse, Oliven, Käse etc. gehörten. Fisch ist aus der Mittelmehrwelt nicht wegzudenken, zumal er ein preisgünstiges Lebensmittel war und in allen gesellschaftlichen Schichten gegessen wurde. Brot wurde in Körben (koffflno@ kophinos: vgl. Mt 14,20; 16,9; Mk 6,43; 8,19; Lk 9,17; Joh 6,13) oder Beuteln (pffira pe¯ra: vgl. Mt 10,10 par. Mk 6,8 par. Lk 9,3; 10,4; 22,35 f.) aufbewahrt. Das Verbot Jesu bei der Aussendung seiner Jünger, einen Beutel mitzunehmen, bezieht sich demnach auf die Vorratshaltung von Brot. In der Erzählung von der Brotvermehrung geht es also nicht um überflüssigen Luxus, sondern um die von Jesus geschenkte Fülle des für das Leben Notwendigen (vgl. die Brotbitte im Vaterunser Mt 6,11). Betont werden der Geschenkcharakter und die Fülle. Von Beuteln zur Aufbewahrung des Brotes für unterwegs ist in dem Textabschnitt nicht die Rede. Das Wunder kann daher nicht im Teilen allfällig mitgebrachten Brotes liegen. In der Antike bewegten sich Menschen zumeist zu Fuß, mit Hilfe von Lasttieren oder aber auf Schiffen bzw. Booten fort. Zu Fuß konnte am Tag eine Strecke von ca. 30 km zurückgelegt werden. Man reiste bei Tageslicht und möglichst in Reisegruppen, um räuberische Überfälle besonders in abgelegenen Gebieten zu vermeiden (vgl. Lk 10,25-37). Der Rückzug Jesu allein in die Einsamkeit weist auf seine Furchtlosigkeit hin. Aus der Bitte der Jünger Jesu (V. 15), die Volksmengen zurückzuschicken, lässt sich entnehmen, dass sie spontan und daher ohne Lasttiere und Proviant Jesus gefolgt sind. Antikes Leben spielte sich v. a. in den Dörfern ab, auch wenn die Städte besonders durch ihre Bekanntheit und ihre Bedeutung herausstechen. In den Dörfern wurde durch die landwirtschaftliche Produktion und die lokalen Märkte die ökonomische Grundlage auch für die Städte erwirtschaftet. Im Kontrast zu einsamen Gegenden ermöglichte es die Dorfstruktur Reisenden, eine Übernachtungsgelegenheit (Herberge: kat€luma katalyma; pandoce…on pandocheion) zu finden und Nahrungsmittel auf den Märkten zu kaufen. Die Brotvermehrungserzählung ist in einer einsamen Gegend am See Gennesaret lokalisiert. Es handelt sich dabei um das Hauptwirkungsgebiet Jesu, den Norden des Landes, Galiläa (besonders am Nordwestufer des Sees Gennesaret). Dieser Landstrich wird noch einmal in Untergaliläa, Obergaliläa und den nördlichen Jordangraben mit See Gennesaret strukturiert. Im Letztgenannten wird die Erzählung des Matthäus zu verorten sein. Es ist ein fruchtbares Gebiet, in dem der Regen dazu beiträgt, die Vegetation vielfältig zu entwickeln. Wein, Getreide und Obstbäume sind hier ebenso wie Fischerdörfer zu finden. Durch Fernstraßen war die Region gut in den Binnen- und Außenhandel angebunden. Galiläa war aber nicht nur dörflich und ländlich geprägt, sondern es gab auch Städte – wie etwa Sepphoris oder Tiberias – mit großer sozialer, wirtschaftlicher und politischer Bedeutung. Die Bevölkerung in Galiläa lässt sich allen sozialen Schichten zuordnen; im Neuen Testament bekannt sind Synagogenvorsteher, Zöllner, Soldaten, Tagelöhner, Schriftgelehrte, Eigentümer, aber auch sozial Benachteiligte wie Kranke, Bettler und Dirnen. Die hohe Steuer war ein Problem, das schnell zur Verarmung und Landflucht führen konnte. Die Brotvermehrungserzählung gibt demnach einen guten Einblick in das Leben der Menschen in Galiläa zur Zeit Jesu: In ihrem Mangel an zum Leben Notwendigem haben 448
Jesus sättigt ganz Israel Mt 14,13-21
Menschen in Jesus einen Hoffnungsträger gesehen, dem man auch in die Einsamkeit gefolgt ist und der ihre Sehnsüchte erfüllte.
Traditions- und religionsgeschichtlicher Hintergrund Die Brotvermehrungserzählung bei Mt 14,13-21 (wie auch Lk 9,10-17; Joh 6,1-15) ist in erster Line hinsichtlich des theologischen Inhalts als auch des Kontextes von ihrer Parallele Mk 6,30-44 geprägt. Neben diesem Speisungswunder, das von der Sättigung von 5000 Männern plus Frauen und Kindern, 5 Broten und 2 Fischen als Vorrat und 12 Körben mit Brotresten ausgeht, haben die Evangelien eine zweite Tradition überliefert, in der von der Sättigung von 4000 Menschen, von 7 Broten und ein paar Fischen als Vorrat und 7 Körben Brotresten die Rede ist (Mk 8,1-9; Mt 15,32-39). Es stellt sich daher traditionsgeschichtlich die Frage, ob dabei zwei getrennte Ereignisse überliefert werden. Diesen Eindruck erwecken die Erzählungen bei Markus und Matthäus; beide sind getrennt voneinander überliefert und durch Rückbezüge miteinander verknüpft. Die neutestamentlichen Vermehrungserzählungen sind bereits durch alttestamentlich-jüdische Traditionen vorgeprägt. Dazu lassen sich folgende Überlieferungen anführen: Der Brotvermehrungserzählung liegt der Ablauf eines jüdischen Gemeinschaftsbzw. Festmahls zugrunde, bei dem der Hausvater das Brot nimmt, es segnet, bricht und an die Anwesenden austeilt. Die Rolle des Hausvaters übernimmt in den Vermehrungserzählungen Jesus. Das jüdische Gemeinschaftsmahl ist zudem eine irdisch feiernde Vorwegnahme des eschatologischen Gast- oder Hochzeitsmahls, das von den Propheten des Alten Testaments verheißen und von den Apokalyptikern aufgegriffen wird (Jes 25,6; äthHen 62,13 f.; syrBar 29,4-8). Die Dimension des Wunderbaren geht auf alttestamentliche Speisungswunder zurück, wie sie in den Königsbüchern von den Propheten Elija und Elischa überliefert werden. Durch den Propheten Elija wird bei der Witwe von Sarepta (1Kön 17,8-16) ein Vermehrungswunder in einer Zeit der Dürre bewirkt. Aus einer Handvoll Mehl und einem Rest Öl wird ein nicht leer werdender Mehltopf und ein nicht versiegender Ölkrug. Der Prophet Elischa bewirkt ein Brotvermehrungswunder (2Kön 4,42-44) für einen Mann aus Baal-Schalischa. Aus einem Erstlingsbrot, 20 Gerstenbroten und Schrotkorn wird der Hilfesuchende von Elischa befähigt, 100 Menschen zu nähren. Das Wunder der Überfülle wird durch die übrigbleibenden Reste am Ende festgestellt (V. 44). Die neutestamentlichen Brotvermehrungserzählungen übertreffen das Wunder des Elischa erheblich. Damit wird Jesus als Messias vorgestellt, der die alttestamentlichen Propheten überbietet. Neben den beiden durch Propheten bewirkten Vermehrungswundern erinnern die neutestamentlichen Brotvermehrungserzählungen an das Manna beim Exodus der Israeliten. Der Einfluss der Exodustradition (Ex 16; Weish 19,11 f.; Ps 78,11-32) ist hier deutlich: Während der Geber des Manna im Alten Testament JHWH ist, übernimmt Jesus in den Evangelien diese Rolle. Die Mannaerzählung ist ebenso wie die Verheißung des eschatologischen Gast- oder Hochzeitsmahls eine Antizipation des endzeitlichen Manna (Dtn 18,15-18). Die in der markinischen Vorlage erwähnte Mahlordnung, die auf die Lagerord449
Die Wundererzählungen im Matthäusevangelium
nung in der Wüstenzeit Israels zurückgeht (Ex 18,13-27: Abteilungen zu 1000, 100, 50, 10; CD 12,1 f.; 1QS 2,21 f.; 1QM 4,3 f.; 1QSa 1 f.) und damit auf die Endzeit und das endzeitliche Messiasmahl hinweist, fehlt bei Matthäus. Dadurch und durch das Auslassen der Austeilung der Fische als Speise kommt der Bezug zur Einsetzung der Eucharistie deutlicher zum Ausdruck. Das Speisungswunder zeichnet Jesus als Heilsbringer aus, der die alttestamentlichen Propheten Elija und Elischa übertrifft. Damit werden die Heilstaten JHWH aus der Vergangenheit, insbesondere aus der Exodustradition, sowohl wiederholt und erneuert als auch überboten. Da die Wüstenzeit als besondere Heilszeit verstanden wurde, ist der Schauplatz der Erzählung erneut die Einsamkeit (14,13: e§@ ˛rhmon tpon eis ere¯mon topon). Vermehrungswunder sind nur schwer zu verstehen, da sich die dargestellte Überfülle der täglichen Erfahrung durch Analogie nur schwer erschließt. Betont man jedoch die messianische Dimension der Erzählung, so ist die Überfülle geradezu das Kennzeichen der liebevollen und erbarmenden Zuwendung Jesu zu seinem Volk, das in Kontinuität zum Handeln Gottes im Alten Testament steht. Das Erbarmen Jesu (Mt 14,14) geht auf alttestamentliche Prätexte zurück (Ps 136,10-16; Jes 54,7 f.; Mi 7,20). Das Erbarmen Jesu setzt JHWHs Erbarmen fort, das er seinem Volk in der Geschichte immer wieder erwiesen hat. Die Symbolsprache in dieser Wundererzählung ist auffällig stark und vom Alten Testament geprägt. Während die Zahl »Zwölf« an die Stämme Israels erinnert, verweist die »Fünftausend« auf verschiedene kriegerische Ereignisse und die Formierung der militärischen Gruppen (Ri 20,45: Israeliten töten 5000 Benjaminiter; 1Makk 4,1: Gorgias stellt ein Heer mit 5000 Mann auf; 1Makk 4,28.34: Lysias hat ein Söldnerheer mit 5000 Reitern; 2Makk 12,10: Araber greifen mit 5000 Reitern Judas an). Mit der Zahlensymbolik wird so an die Geschichte des Volkes Israel erinnert. Mit den fünf Broten spielt Matthäus vermutlich auf die fünf Bücher Mose an, die ein zentrales Prinzip seiner Kompositionstechnik sind. Es sei an die fünf Redekomplexe des Evangeliums erinnert, die auf den Pentateuch anspielen. Die Kindheitserzählung in Mt 1-2 ist zudem in Anlehnung an die Kindheitserzählung des Mose komponiert. Addiert man die fünf Brote zu den zwei Fischen, so ergibt sich die biblisch signifikante Zahl »Sieben«, mit der Fülle und Vollkommenheit ausgedrückt wird. Matthäus nimmt alttestamentliche und markinische Traditionen in seiner Speisungserzählung auf und akzentuiert sie neu. Jesus wird als Heiland der Menschen geschildert, der in Sorge um die Hungerleidenden eingreift. Die Souveränität Jesu und die Vorwegnahme der Abendmahlsüberlieferung lassen das eucharistische Verständnis deutlich zum Vorschein kommen (Abend; zentraler Gestus: Bereitung und Austeilung des Brotes; Streichung der Austeilung der Fische). Im Unterschied zu Markus reagieren die Jünger mit Verständnis; sie sollen ihre Vorräte austeilen. Sie speisen das Volk mit ihren Vorräten und haben so Anteil an der Speisung. Matthäus weist ihnen eine Mittlerfunktion zu: Sie sind Fürsprecher des Volkes und Vermittler des Gebens Jesu an das Volk. Die matthäische Erzählung von der Speisung der 5000 wird ihren Sitz im Leben im urchristlichen Gemeinschaftsmahl gehabt haben.
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Jesus sättigt ganz Israel Mt 14,13-21
Verstehensangebote und Deutungshorizonte Eine Form (römisch-katholischer) allegorischer Auslegung (Origenes, Hieronymus) versteht das Brot als Tora. Diese heilsgeschichtliche Deutung versteht die Speisung als geistliche Speisung des neu versammelten Gottesvolkes, dem die Tora (5 Brote) und die Propheten (2 Fische) in neuer Weise geschenkt werden. Diese symbolische Deutung legt sich insbesondere bei der Brotvermehrungserzählung nahe, deren historischer Hintergrund und Korrelationsfähigkeit zum Alltagsgeschehen undeutlich bleiben. Der Text mit seiner stark biblisch gefärbten Symbolsprache lädt zudem zu einer symbolischen Deutung ein. Das Wundersummarium, in dem vom Mitleid Jesu die Rede ist, das zur Heilung der Kranken (V. 14: to±@ ⁄rrðstou@ a'tn tous arro¯stous auto¯n) führt, ist parallel und gleichgewichtig zur Sättigung der Menschenmenge zu verstehen. Heilen und Lehren sind die beiden großen Taten des matthäischen Jesus, der sich darin als der Immanuel (1,23; 28,20) erweist. Vieles spricht daher dafür, der allegorischen Deutung zuzustimmen, die in den Broten die Tora erkennt. Diese wird nun an die Menschen durch die Jünger ausgeteilt. Der Bezug zur Abendmahlsüberlieferung ist damit nicht aufgehoben; der urchristliche Gottesdienst bestand von Beginn an aus Wortgottesdienst und Mahlfeier. Eine lange Geschichte hat auch die moralische Deutung der Brotvermehrung als Teilungswunder (Johannes Chrysostomus, Martin Luther, Ernesto Cardenal). Diese Verstehensmöglichkeit betont den anfänglichen Geiz der Jünger, die aufgefordert werden, ihre Vorräte mit dem Volk zu teilen. Die Überfülle an Brot und das Wundersame der Erzählung ist damit jedoch nicht erklärt. Diese Deutung versteht die Erzählung vielmehr als moralischen Appell an die Hörer(innen) bzw. Leser(innen), es den Jüngern gleichzutun. Die Brotvermehrungserzählung wird damit zu einer moralischen Erzählung, die zu sozial-karitativem Tun auffordert. Eine in Predigt und Katechese häufig anzutreffende Variante dieser moralischen Deutung geht davon aus, dass die anwesende Volksmenge ihre Brotvorräte zunächst zurückhält und anschließend teilt. Diese Interpretation verkennt, dass die Volksmenge nur Empfänger der Brotvermehrung ist. Ihre Handlung beschränkt sich auf das Hören, (Jesus) Folgen und Essen bzw. Gesättigt-Werden. Die Jünger werden in das Sättigungsgeschehen eingebunden, indem ihnen von Jesus Verantwortung übertragen wird (V. 16). Die vorgestellte katechetische »Lösung« entspricht ganz einer rationalistischen Deutung, die das Wunder dem modernen Weltbild anpasst. Sie übersieht jedoch, dass der Hauptakteur der Handlung Jesus ist. Das Wunder besteht nicht im Teilen von zurückgehaltenen Vorräten, sondern in der Sättigung von Menschenmengen durch Jesus. Eine soziale Deutung (Erasmus) versteht das Vermehrungswunder als göttliche Sorge für das leibliche Wohl des Menschen. Damit entfaltet die Erzählung die Vaterunserbitte um das tägliche Brot. Diese sozialgeschichtliche Deutung nimmt die Not der Volksmenge in den Blick und betont die Marginalisierung der vielen Menschen, die unter Hunger und Krankheit (V. 14) leiden. Die eucharistische Dimension (Ambrosius, Bas van Iersel) nimmt v. a. die Parallele zu Mt 26,26 ernst. In der Kirchengeschichte entsteht diese Deutung erst im Zuge der Gegenreformation. Sie führt zu grundlegender Kritik seitens der evangelischen Exegese. Insbesondere Matthäus fokussiert die Erzählung auf die Handlung Jesu, indem er die markinischen Details, die auf die Lagerordnung beim Exodus hinweisen, sowie das Aus451
Die Wundererzählungen im Matthäusevangelium
teilen der Fische als ergänzendes Nahrungsmittel weglässt. Dadurch wird die Parallele zur Abendmahlsüberlieferung deutlicher herausgearbeitet. Eine christologisch-eschatologische Deutung (s. a. Thomas von Aquin) nimmt besonders die Volksmengen in den Fokus. Die Dimension des Wunders besteht demnach in der Überfülle, die ein Vorgeschmack der messianischen Heilszeit für das Volk Gottes ist. Damit wird die prophetische Tradition des Alten Testaments aufgenommen und weitergeführt (vgl. z. B.: Jes 35,5-7); Brot und Wein in Fülle sind neben der Heilung von Krankheit Kennzeichen für den Anbruch der Endzeit. Der Text offenbart an keiner Stelle, wie das Wunder geschieht. Es bleibt als Geheimnis gewahrt. Entscheidender für den Erzähler sind der Hauptakteur Jesus sowie die überreiche Sättigung der vielen Menschen. Die Jünger spielen in der matthäischen Variante eine positive Rolle als Mitakteure des Geschehens. Die Volksmenge ist ganz in der Rolle der Empfänger beschrieben.
Aspekte der Parallelüberlieferung und Wirkungsgeschichte In der Wirkungsgeschichte der Brotvermehrungserzählung kann man zwischen östlicher und westlicher Exegese unterscheiden. Während die östliche Exegese die familiären Zusammenhänge (V. 21) positiv herausstellt, werden Frauen und Kinder in der westlichen Exegese bis ins Mittelalter aus der Erzählung förmlich ausgeklammert, da sie als unwürdig galten; dies ändert sich erst im 16. Jh. Künstlerische Darstellungen der Wundererzählungen sind sehr zahlreich (vgl. das Mosaik der Brotvermehrungskirche in Tabgha am See Gennesaret).
Abb. 6: Mosaik der Brotvermehrungskirche in Tabgha
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Jesus sättigt ganz Israel Mt 14,13-21
Seltener ist die bildliche Verbindung mit der sowohl in der markinischen und matthäischen als auch in der johanneischen Komposition sich anschließenden Seewandelerzählung. Die aufgeführten verschiedenen Deutungshorizonte (ekklesiologische, soziale, eucharistische) sind mit dem matthäischen Textverständnis vereinbar; die Wirkungsgeschichte weicht damit nicht wesentlich von der Erzählerintention ab. Sie sind miteinander verbunden und ergänzen einander. Von Markus unterscheidet sich die matthäische Variante durch Kürzung um die deutlichen Bezüge zur Exodustradition (Lagerordnung), dem Verlorensein der Volksmenge ohne Hirten und dem Fehlen des Austeilens der Fische. Lukas und Johannes bewahren diesen markinischen Akzent. Im Johannesevangelium ist zudem ein Bezug zu Ps 23 (grünes Gras) und zum anderen die Paschatheologie stärker herausgearbeitet. Das Wunder wird dort als Zeichen verstanden.
Beate Kowalski Literatur zum Weiterlesen A. Heising, Die Botschaft der Brotvermehrung, SBS 15, Stuttgart 1966. F. Neirynck, The Matthew-Luke Agreements in Mt 14,13-14 / Lk 9,10-11 (par. Mk 6,30-34), EThL 60 (1984), 25-44. H. Patsch, Abendmahlsterminologie außerhalb der Einsetzungsberichte, ZNW 62 (1971), 210231. R. Pesch, Leben für alle. Das Wunder der Brotvermehrung, Frankfurt 1998. E. Repo, Fünf Brote und zwei Fische, SNTU.A 3 (1978), 99-113. L. Schenke, Die wunderbare Brotvermehrung. Die neutestamentlichen Erzählungen und ihre Bedeutung, Würzburg 1983. J. M. van Cangh, La multiplication des pains et l’eucharistie, LeDiv 86, Paris 1975. B. van Iersel, Die wunderbare Speisung und das Abendmahl in der synoptischen Tradition, NT 7 (1964/1965), 167-194.
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Jenseits der Komfortzone (Jesu Erscheinen auf dem See) Mt 14,22-33 (22) Und sofort nötigte er die Jünger, in das Boot zu steigen und ihm ans andere Ufer vorauszufahren, während er die Menge wegschickte. (23) Und nachdem er die Menge weggeschickt hatte, stieg er für sich auf einen Berg um zu beten. Am Abend war er allein dort. (24) Das Boot aber war schon viele hundert Meter vom Land entfernt, bedrängt von Wellen, denn es war Gegenwind. (25) In der vierten Nachtwache aber kam er zu ihnen, indem er auf dem See ging. (26) Als die Jünger ihn auf dem See gehen sahen, erschraken sie, meinten: »Es ist ein Gespenst!« und schrien vor Angst. (27) Aber sofort sprach Jesus sie an und sagte: »Fasst Mut, ich bin es! Habt keine Angst!« (28) Petrus antwortete ihm: »Herr, wenn du es bist, befiehl mir, auf dem Wasser zu dir zu kommen!« (29) Er aber sagte: »Komm!« Und Petrus stieg aus dem Boot, ging auf dem Wasser und kam zu Jesus. (30) Als er aber den starken Wind sah, bekam er Angst und begann zu sinken. Er schrie: »Herr, rette mich!« (31) Sofort streckte Jesus die Hand aus, hielt ihn fest und sagte zu ihm: »Du Vertrauensschwacher, warum hast du gezweifelt?« (32) Und als sie ins Boot stiegen, legt sich der Wind. (33) Aber die im Boot fielen vor ihm nieder und sagten: »Du bist wirklich Gottes Sohn!«
Sprachlich-narratologische Analyse Die Geschichte, in der Jesus und Petrus auf dem Wasser des Sees gehen, ist der Schlussteil eines längeren Abschnitts: In 14,1 f. wird von der Reaktion des Herodes Antipas, des Herrschers in Galiläa, auf Jesus berichtet. Er nimmt an, Jesus sei der wieder auferstandene Täufer, den er hingerichtet hat, wie in einer Rückblende erzählt wird (14,3-12). Als Reaktion auf diese bedrohliche Situation fährt Jesus über den See (14,13), vollbringt in einer einsamen Gegend Heilungen (14,14) und speist mehr als 5000 Menschen (14,1521). Der Seewandel geschieht auf der Rückfahrt. In 14,34-36 folgt ein weiteres Heilungssummarium wieder in bewohnten Gebieten am Westufer des Sees, ab 15,1 geht es um ganz neue Fragen mit neuen Gesprächspartnern. Die Erzählung vom Seewandel beginnt mit einer relativ ausführlichen Einleitung in die Situation (14,22-24), bietet dann zwei Hauptteile, die einmal von Jesus und der Jüngergruppe (14,25-27), einmal von Petrus und Jesus (14,28-31) handeln, und bringt am Ende die gesamte Situation zu einem Abschluss (14,32 f.). Die Einleitung schildert zunächst eine Trennung zwischen Jesus und der Jüngergruppe, die sich beide in unterschiedlichen Situationen befinden: Jesus bleibt alleine an Land, während er seine Jüngerinnen und Jünger über den See vorausgeschickt hat. Er befindet sich abends auf einem Berg im Gebet, die Jüngergruppe hat weit entfernt vom Ufer Schwierigkeiten mit Wellen und Wind. Diese Trennung besteht den Großteil der Nacht, erst zur Zeit der vierten und
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Jenseits der Komfortzone Mt 14,22-33
letzten Nachtwache (3-6 Uhr morgens) kommt Jesus zur Gruppe und geht dabei auf dem See. Dieses bemerkenswerte Ereignis wird in 14,25 durch die Erzählstimme einfach festgestellt, während in 14,26 der Blick von der Jüngergruppe im Boot aus auf Jesus gerichtet ist. Durch diese doppelte Erwähnung wird der erste Höhepunkt der Erzählung betont, zudem spiegelt sich das Ungewöhnliche des Geschehens in der Reaktion der Betroffenen. Die anfängliche Trennung zwischen Jesus und der Gruppe ist in der folgenden Beruhigung (14,27) aber noch nicht aufgelöst, es findet eine weitere Phase der Annäherung statt, die von Petrus initiiert wird: Er bittet darum, dass Jesus ihn auf dem Wasser zu sich kommen lässt (14,28). Die Einleitung dieser Bitte mit »wenn du es bist, …« knüpft an die Selbstvorstellung Jesu an (»ich bin es«). Bemerkenswert ist, dass Petrus ausdrücklich um einen Befehl Jesu bittet. Obwohl Petrus also die neue Szene einleitet und im Inhalt seiner Bitte von sich aus auf Jesus zugehen will, wird die zentrale Rolle Jesu noch untermauert. Der folgende Gang des Petrus auf dem Wasser ist trotz seiner Schwierigkeiten eine weitere Annäherung zwischen Petrus als Vertreter der Gruppe und Jesus – bis dahin, dass Jesus ihn festhält und so am Sinken hindert (14,29-31). Wirklich aufgehoben ist die Trennung schließlich, als beide ins Boot treten, und zwar nicht nur räumlich, denn das Bekenntnis zeigt auch eine innere Verbundenheit (14,32 f.). In dieser Erzählung finden eigentlich drei verschiedene wundersame Ereignisse statt, die aber nicht alle die Kriterien einer Wundererzählung im Sinne des Kompendiums erfüllen. Zum einem wird der Sturm gestillt, der für die Gruppe im Boot in 14,24 und noch einmal verstärkt für Petrus in 14,30 bedrohlich ist. Der Wind hört auf, als Jesus und Petrus ins Boot treten. Hier findet also eine wahrnehmbare Veränderung statt, die aber nur am Rande eine Rolle spielt. Jesus handelt nicht gegenüber dem Wind, wirkt also nur indirekt als Wundertäter. Das bewundernde Staunen am Ende ist vermutlich eher durch den Seewandel und die Rettung des Petrus ausgelöst. Zweitens lässt sich fragen, ob der Seewandel Jesu eine Wundererzählung bildet. Hier ist etwas zu sehen, das Staunen und Erschrecken auslöst, allerdings ist es kaum eine Handlung des Wundertäters an Menschen, Sachen oder Natur, die diese verändert. Vielmehr werden die Fähigkeiten Jesu an ihm selbst deutlich. Es ist also eine Wundererzählung, in der er gleichzeitig Subjekt und Objekt der Handlung ist, ein Grenzbereich, der vielleicht eher als Epiphanie zu bestimmen ist, als die Erscheinung von etwas Göttlichem, das hier im Menschen Jesus sichtbar wird (vgl. Madden 1997, 87 f.; Theißen 1998, 102 f.). In der vorliegenden Erzählung bei Matthäus steht dieser Aspekt aber nicht im Zentrum, mehr als um das Wesen der Person Jesu geht es um seine Beziehung zu den Jüngerinnen und Jüngern. Eine klare Wundererzählung ist schließlich der Gang von Petrus auf dem Wasser. Hier handelt Jesus als Wundertäter an Petrus, indem er ihn ruft und später festhält und ihm so das Gehen auf dem Wasser ermöglicht. Das Wunder erfolgt also in Etappen: einmal durch einen verbalen Befehl, einmal durch das Ausstrecken der Hand und Ergreifen des Petrus. Eine Notlage liegt nur im zweiten Fall vor, als Jesus Petrus vor dem Versinken bewahrt. Am Anfang erfüllt Jesus einfach den Wunsch des Petrus, der einzige konkret genannte Anlass ist dabei die Bestätigung seiner Identität (»wenn du es bist …«). Dieser Satz kann als Ausdruck des noch vorhandenen Zweifels des Petrus verstanden werden, den Jesus dadurch zerstreuen soll, dass er auch Petrus ermöglicht, auf dem Wasser zu gehen. Sachlich besteht bei dieser Deutung eine Verwandtschaft zu den Zeichenforderun455
Die Wundererzählungen im Matthäusevangelium
gen von Außenstehenden, die Jesus sonst aber ablehnt (Mt 12,38-42; 16,1-4; vgl. Paul 2005, 56). Im Bedingungssatz könnte allerdings auch das schon vorhandene Vertrauen des Petrus ausgedrückt sein: Weil er Jesus erkennt, äußert er den weitergehenden Wunsch (vgl. Oberlinner 2007, 94). Inhaltlich scheint mir das plausibler zu sein, denn der Wunsch des Petrus setzt viel Zutrauen zu Jesus voraus, während bei einer reinen Bestätigung der Identität Jesu mehr Distanz des Petrus zu erwarten wäre. Festzuhalten ist aber, dass das Wunder zunächst nicht auf eine Notlage reagiert. In der Erzählung sind Jesus, die Jüngergruppe und Petrus handelnde Personen. Zwischen Petrus und der Gruppe gibt es allerdings keinerlei Interaktion, es kommt nur entweder Petrus oder die Gruppe als Gegenüber Jesu vor. Petrus sollte deshalb als Repräsentant der Gruppe aufgefasst werden, der nur als Einzelperson genannt ist, weil dies aus erzählerischen Gründen nötig ist, nicht weil er ein eigenes Profil und eine Position hat, die ihn von der Gruppe unterscheidet (vgl. Bornkamm 2009a, 381). Für diese Deutung spricht, dass Petrus in 14,28 stellvertretend für die ganze Gruppe auf Jesu Ansprache reagiert, während in 14,33 die ganze Gruppe auf die Szene und damit auch auf Jesu Rede an Petrus antwortet. Sie vertreten sich so gegenseitig. Ein Ansatz für ein Gegenüber liegt nur in 14,32 f. vor: Jesus und Petrus steigen ins Boot, »die im Boot« fallen vor ihm nieder. Hier ist die Gruppe anders als bisher bezeichnet – gehört Petrus, der gerade ins Boot gestiegen ist, zu denen im Boot? (Nach Scott 2000, 101 ist er hier möglicherweise nicht eingeschlossen, sondern legt sein Bekenntnis erst in 16,16ab.) Vermutlich hat die offenere Formulierung aber eher den Sinn, auch die Lesenden einzuschließen oder einen Chorschluss zu erzielen. Petrus ist nicht mehr im Blick, sondern wieder in der Gruppe verschwunden. Ebenso spielt die Gruppe während des Seewandels des Petrus keine eigene Rolle, sondern ist sozusagen mit Petrus zusammen auf dem Wasser unterwegs. Dieses Verhältnis zwischen Petrus und der Jüngergruppe lässt sich auch durch das Gesamtbild des Petrus im Matthäusevangelium bestätigen. Petrus ist der erste und wichtigste Jünger (so bei der Berufung in Mt 4,18 f. und bei der Auflistung der Zwölf in 10,2); er ist Sprecher der Gruppe, indem er Fragen und Meinungen stellvertretend für alle ausdrückt (so bei Nachfragen in 15,15; 18,21 f.; 19,27 oder beim Bekenntnis in 16,16) und auch sein Versagen bei der Passion steht beispielhaft für alle. Er steht aber der Jüngergruppe weder gegenüber, indem er eine Aufgabe an ihr hat, noch weist er Eigenschaften auf, die ihn von ihr unterscheiden und trennen. Selbst die Verheißung und Vollmachtsübertragung nach seinem Bekenntnis (16,17-19) scheint Petrus stellvertretend für die Gruppe zu erhalten, der ja wenig später ebenfalls ausdrücklich die Macht zum Binden und Lösen gewährt wird (18,18). Es ist also sinnvoll, beim Seewandel trotz des erzählerischen Wechsels in den Personen Petrus und die Gruppe nicht als zwei handelnde Charaktere, sondern als einen einzigen zu betrachten. Im Zentrum der Geschichte steht die Hauptperson Jesus, von dem alle Handlungen ausgehen und der auch räumlich den Bezugspunkt bildet. Er initiiert am Anfang die Trennung zwischen sich und der Jüngergruppe (14,22 f.), er kommt dann wieder zu ihnen (14,25), seine Selbstidentifikation ist der Anlass für den Wunsch des Petrus, den er zu sich kommen lässt und festhält, schließlich steigt er zur Gruppe ins Boot. Die anfängliche Trennung wird also überwiegend durch sein Kommen wieder aufgehoben, das durch das Entgegengehen des Petrus – auf Befehl Jesu – nur kurz unterbrochen ist. Von der Jüngergruppe sind nur an zwei Stellen eigene Aktivitäten berichtet, die jeweils direkte Reaktionen auf Jesus sind (14,27.33). Selbst in 14,24, wo es um ihren Kampf mit dem 456
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Wind geht, ist nicht die Gruppe Subjekt der Aussage, sondern das Boot. Petrus ist etwas aktiver, er äußert einen Wunsch, geht auf dem Wasser, fürchtet sich, ruft um Hilfe und steigt schließlich mit Jesus ins Boot. Bis auf die durch den Wind ausgelöste Angst sind alle seine Tätigkeiten direkt auf Jesus bezogen bzw. mit ihm verbunden. Obwohl die Ereignisse stark auf Jesus konzentriert sind, trägt die Darstellung zu einer Identifikation mit der Jüngergruppe bei. Dies wird besonders in 14,26 deutlich, wo sich die Erzählperspektive ändert: Während die Erzählung überwiegend die Perspektive eines außenstehenden Erzählers einnimmt, geht an dieser Stelle der Blick mit der Jüngergruppe auf Jesus und bietet dabei einen Einblick in ihr Innenleben (Gedanken, Gefühle). Eine solche interne Fokussierung von den Jüngerinnen und Jüngern auf Jesus ist in den Evangelien sehr selten (vgl. aber Mt 28,17). Die neutrale Perspektive überwiegt bei weitem, hin und wieder folgt die Erzählung dem Blick Jesu auf andere Figuren, gerade im Zusammenhang von Wundern. Z. B. wird in Mt 14,14 die Position Jesu eingenommen und seine Gefühle werden geschildert (er sieht die Menge und hat Mitleid). Die Fokussierung auf Jesus hebt diesen Abschnitt von anderen Wundererzählungen ab und verweist auf eine Verwandtschaft mit Epiphanien/Erscheinungen. Die geringe Bedeutung der Rettung der Gruppe durch die Sturmstillung in der Erzählung des Matthäus wird dagegen dadurch bestätigt, dass ein Motiv Jesu für sein Eingreifen wie in Mk 6,48, also seine Perspektive, fehlt. (Vgl. zur Verbindung der verschiedenen Motive in der markinischen Fassung Collins 1994, 211; du Toit zu Mk 6,45-52 in diesem Band; zur Fokussierung in Seewandelgeschichten mit etwas anderen Ergebnissen Marguerat 2009, 94 f.)
Sozial- und realgeschichtlicher Kontext Der See Gennesaret bzw. das galiläische Meer (so die Benennung bei Matthäus und Markus) ist ca. 20 km lang und bis zu 12 km breit. Das westlich des Sees gelegene Galiläa gehört zur Zeit von Jesu Wirken zum Herrschaftsbereich von Herodes Antipas, nordöstlich schließt die Tetrarchie von Philippus an und im Südosten das Gebiet der Dekapolis. Der See ist also eine Grenze, durch die Überquerung ist ein Wechsel in ein anderes Herrschaftsgebiet möglich. Das Zentrum des Wirkens Jesu liegt am Nordwestufer des Sees (u. a. Kafarnaum), vermutlich ist diese Gegend auch der Ausgangspunkt für die Fahrt über den See in 14,13, obwohl der zuletzt identifizierte Ort des Wirkens in Mt 13,54 Nazaret ist. Das Ziel ist ein nicht näher benannter einsamer Ort. Diese Fahrt ist im Zusammenhang bei Matthäus – anders als im Markusevangelium – eine direkte Reaktion auf die latente Bedrohung durch Herodes Antipas: Jesus hört, dass dieser ihn für den wiederauferstandenen Johannes hält (14,2). Die Rückblende auf den Tod des Johannes macht deutlich, wie gefährlich das sein könnte (14,3-12). Der so motivierte Aufbruch (14,13; vgl. die ähnliche Situation in 12,15) scheint also zu bedeuten, dass Jesus das Gebiet des Antipas verlässt und sich vermutlich an die Nordostseite des Sees in den Herrschaftsbereich des Philippus begibt. Das ist nicht unbedingt eine Überquerung des Sees in ganzer Breite, sondern möglicherweise nur ein relativ kurzes Stück; Kafarnaum z. B. liegt schon an der Grenze. Die Rückfahrt erfolgt dann in die Gegend Gennesaret (14,34), das meint vermutlich Gennesar an der Westküste zwischen Kafarnaum und Tiberias (vgl. Gnilka 1988, 17; Luz 2007, 413: Ebene nördlich von Magdala). Es ist also eine Rückkehr in das Gebiet des 457
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Antipas, aber in eine Gegend außerhalb von größeren Orten. Dass sich die Situation entspannt hätte, wird aber nirgendwo angedeutet. Geschildert wird nicht eine Bedrohungssituation und ihre Auflösung, sondern durch den erzählerischen Zusammenhang stehen die beiden Episoden von der Speisung und vom Seewandel unter dem Schatten dieser politischen Bedrohung, und gerade ihr ermutigendes und tröstendes Potential sollte in diesem Zusammenhang gesehen werden (vgl. zu einer politischen Lektüre des Matthäusevangeliums im Kontext des römischen Reiches, Carter 2004). In beiden Geschichten spielt die Jüngergruppe eine besondere Rolle, und es liegt nahe, die Bedrohung auf ihre spätere Situation zu beziehen, was die fehlende Lösung am Ende erklären würde. Am See Gennesaret können wegen der Tallage des Sees und großen Temperaturunterschieden zwischen Wasser und Land heftige Fallwinde auftreten (genauere Erklärung bei du Toit zu Mk 6,45-52 in diesem Band). Im Winter sind Stürme aus westlicher und südlicher Richtung möglich (vgl. Nun 2001, 52). Beides könnte den Gegenwind der Geschichte erklären; es ist jedoch auffällig, dass die Fahrtrichtung in der Darstellung des Matthäus vermutlich von Ost nach West und damit genau andersherum als in der Vorlage des Markusevangeliums erfolgt, jeweils bestehen jedoch Schwierigkeiten mit Gegenwind. Dies spricht dafür, den Gegenwind eher im übertragenen Sinne denn als ein meteorologisches Phänomen zu betrachten.
Traditions- und religionsgeschichtlicher Hintergrund Es gibt eine Vielzahl von Belegen aus der Antike, in denen das Gehen auf dem Wasser wie auf Land als eine Fähigkeit von Göttern, die Menschen unmöglich ist, angesehen wird (vgl. Berg 1979, 72 f.). Entsprechend wird solches Tun Göttern oder Göttersöhnen zugeschrieben, z. B. Euphemos, dem Sohn von Europa und Poseidon: »Jener konnte auch über die Wellen des bläulichen Meeres schreiten und feuchtete nicht die eilenden Füße, er netzte nur die Sohlen, dahingetragen auf flüssigem Pfade« (Arg. 1,182-184; vgl. Apollod. Bib. 1,4 ebenfalls über einen Sohn des Poseidon; Iamb. vit. Pyth. 19,91; Porph. vit. Pyth. 29 für Pythagoras bzw. seinen Schüler Abaris; weiter Stellen bei Collins 1994, 214223; Luz 2007, 407). Der Versuch kann aber auch Zeichen von Anmaßung und Überheblichkeit sein, so wirft Flavius Josephus dem Caligula vor, dass er sich für einen Bruder von Jupiter hält, göttliche Verehrung verlangt und dabei Anzeichen von Wahnsinn zeigt: So ließ er, weil ihm die Schifffahrt von Puteoli in Campanien bis nach der gleichfalls in Campanien liegenden Küstenstadt Misenum zu lästig war, und er überhaupt als Herr des Meeres von diesem dieselbe Unterwürfigkeit wie von der Erde beanspruchen zu können glaubte, von einem Vorgebirge zum anderen dreißig Stadien weit das Meer überbrücken und fuhr sodann zu Wagen über den ganzen Meerbusen, da, wie er meinte, diese Art, den Weg zurückzulegen, eines Gottes würdiger sei (Flav. Jos. Ant. 19,1,1; vgl. 2Makk 5,21 über Antiochus IV.).
Gehen auf Wasser wird auch als schlichtweg unmöglich angesehen und ist Anlass für Spott (Luc. philops. 13; ver. hist. 2,4). In diesem Kontext gelesen weist der Seewandel Jesus als ein göttliches Wesen / einen Gottessohn aus. Im Alten Testament hat natürlich allein Gott derartige Fähigkeiten und Vollmach458
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ten; von einem Gehen auf dem Wasser im engeren Sinne ist allerdings nur in Hi 9,8LXX (»Er allein breitet den Himmel aus und geht auf den Wogen des Meers«) die Rede, es handelt sich nicht um ein zentrales Motiv (vgl. Luz 2007, 407 f.; Berg 1979, 84; Klatt 1982, 171). Wichtig ist aber die göttliche Kontrolle über das Meer, die sich z. B. in der Schöpfung und beim Exodus zeigt (vgl. Collins 1994, 212 f.) und im Element der Sturmstillung wiederkehrt. Für die Rolle des Petrus gibt es aber in diesem Zusammenhang kein Vorbild, obwohl Aus (vgl. Aus 1998, 98-101) versucht, Parallelen zwischen Petrus, der als erster Jünger aus dem Boot aussteigt, und Nachschon, dem Anführer des Stammes Juda, der einigen rabbinischen Quellen zufolge als Erster in das Rote Meer geht, aufzuzeigen. Die Übereinstimmungen betreffen aber gerade den entscheidenden Punkt, das Gehen auf dem Wasser, nicht. Der Seewandel des Petrus passt auch deshalb nicht in das antike Schema, weil bei ihm nicht eigene Fähigkeiten, sondern die Unterstützung Jesu entscheidend ist. Die Episode lässt sich einerseits als eine Anteilhabe an Jesu göttlicher Macht interpretieren, die Petrus hervorhebt, wobei die Erzählung aber auch die Grenzen seiner Möglichkeiten deutlich macht. Andererseits kann sein Wunsch, auf dem Wasser zu gehen, als Überheblichkeit verstanden werden, obwohl die Bitte von Jesus gewährt wird. Eine nahe sachliche Parallele liegt in der indischen Jataka-Überlieferung in der Erzählung von dem Tugendvorzug vor (Jataka 190, Übersetzung aus Dutoit 1909, 130): Dies erzählte der Meister, da er im Jetavana verweilte, mit Beziehung auf einen gläubigen Laienbruder. – Als nämlich dieser gläubige, bekehrte edle Schüler eines Tages nach dem Jetavana ging, kam er am Abend an das Ufer der Aciravati. Der Fährmann aber hatte sein Schiff an das Ufer gezogen und war weggegangen, um die Predigt zu hören. Als nun jener an der Furt kein Schiff sah, trat er, von freudigen Gedanken an Buddha getrieben, auf den Fluß. Seine Füße sanken im Wasser nicht ein; er ging wie auf festem Boden. Als er aber in die Mitte gelangt war, sah er die Wellen. Da wurden seine freudigen Gedanken an Buddha schwächer und seine Füße begannen einzusinken. Doch er erweckte wieder stärkere freudige Gedanken an Buddha und ging weiter auf der Oberfläche des Wassers.
Das zitierte Stück stammt aus dem Einleitungsabschnitt des Jataka 190. Insgesamt sind 547 Jataka überliefert, die einer festen Form folgen (vgl. Hinüber 1996, 55 f.): Eine Szene aus dem Leben des Buddha ist der Anlass, dass dieser von einer Geschichte aus einem seiner früheren Leben berichtet, deren zentrales Stück ein Ausspruch in Versform bildet. Als Abschluss werden dann die beteiligten Personen identifiziert. In Jataka 190 gelangt der Schüler zu Fuß über den Fluss und erzählt dem Meister später davon. Dieser bestätigt seine Erfahrung durch eine Geschichte aus einem früheren Leben: Ein Barbier tritt zusammen mit einem Buddhaschüler (Laienbruder) eine Seereise an, sie erleiden Schiffbruch, stranden auf einer einsamen Insel und werden von dort mit Hilfe von mythischen Schlangenwesen und einer Meergottheit (der Buddha in seinem früheren Leben) gerettet. Der Barbier profitiert dabei von der Tugend des Schülers, der trotz Hunger auf das Töten und Essen von Tieren verzichtet und dem deshalb die Rettung eigentlich gilt, der dem Barbier aber daran Anteil gewährt. Auf diese Situation bezieht sich der Ausspruch des Buddha: Sieh, wie der Glaube, wie die Tugend, wie Selbstverleugnung Früchte trägt! Der Schlangenfürst in Schiffsgestalt fährt jetzt den gläub’gen Laienbruder.
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Mit Weisen nur tut euch zusammen, mit Weisen schließet Freundschaft nur; durch das Zusammensein mit Weisen fand seine Rettung der Barbier.
Im Hauptteil des Jataka spielt also die Perspektive des Barbiers eine wichtige Rolle, der gerettet wird, nicht weil er selber besondere Fähigkeiten und Tugenden hat, sondern weil er sich dem Buddhaschüler angeschlossen hat. Bei diesem wiederum führt das Festhalten an der Lehre auch unter widrigen Umständen zu einer wunderbaren Rettung, die ihm aber anders als dem Schüler der Eingangsszene nicht selbst besondere Fähigkeiten verleiht. Entsprechend enthält der Vers den Aufruf zu solcher Tugend und zum Anschluss an diejenigen, die sie leben. Es besteht hier m. E. eine gewisse Spannung zur Einleitungsszene, in der der Schüler alleine durch seine Gedanken an Buddha übermenschliche Fähigkeiten entwickelt, dies ist nicht die Gesamtbotschaft des Jataka. Der Wasserwandel des Schülers illustriert eher den buddhistischen Gedanken, dass bestimmte magische Kräfte (neben Wasserwandel auch Fliegen und anderes) durch Meditation erlangt werden können und den Fortschritt auf dem Weg zur Erleuchtung anzeigen (Klatt 1982, 182 f.; Klatt 1990, 24). Die Parallelen zum Seewandel des Petrus liegen in der Eingangsszene, in der wie bei ihm ein Schüler durch die Verbindung zu seinem Lehrer zum Gehen auf Wasser fähig ist. Gemeinsam ist beiden Geschichten auch das zeitweise Versinken durch den Blick auf die Umgebung; die Rettung liegt allerdings in der indischen Geschichte im Schüler selbst, der sich wieder auf die Gedanken an Buddha konzentriert, während bei Petrus Jesus direkt helfend eingreift. Die Struktur der Szenen ist so trotz dieses Unterschieds und der Abweichungen in Einzelheiten sehr ähnlich (vgl. Stehly 1977, 435 f.). Die Nähe ist hier viel größer als zu den Wasserwandelepisoden der griechisch-römischen Antike oder weiteren aus der buddhistischen Tradition (dazu vgl. Klatt 1982, 184.194 f.). Es wird deshalb immer wieder vermutet, dass eine traditionsgeschichtliche Beziehung zwischen den Erzählungen besteht, und zwar wird meist ein Einfluss der indischen Überlieferung auf das Matthäusevangelium angenommen (so Klatt 1982, 143-199 zum Seewandel insgesamt, 194 f. zur Matthäus-Geschichte; Stehly 1977, 436). Da aber die Jataka-Geschichten erst im 5. Jh. n. Chr. in der vorliegenden Form belegt sind, ist trotz einer möglichen längeren mündlichen Überlieferung (dazu Klatt 1990, 52 f.) auch ein umgekehrter Einfluss denkbar. Dafür spricht m. E., dass die Ähnlichkeiten nicht im Hauptteil und im zentralen Ausspruch bestehen, sondern nur in der Eingangsszene, die vermutlich nicht den ältesten Teil der Erzählung bildet. Gut möglich ist allerdings auch eine Unabhängigkeit der Geschichten. Beide basieren v. a. auf der allgemein-menschlichen Unfähigkeit, auf dem Wasser zu gehen, und auf den universalen Motiven von Rettung und Vertrauen. Trotzdem ist der Vergleich hilfreich, insbesondere um das zeitweise Versinken des Petrus zu verstehen. In Jataka 190 betont dieser Gedanke m. E. v. a., dass es grundsätzlich für Menschen unmöglich ist, auf Wasser zu gehen. Das zeitweise Einsinken bedeutet also kein Scheitern, sondern rückt erzählerisch in den Vordergrund, wie außergewöhnlich die Fähigkeit des Schülers ist, und wiederholt zugleich, wodurch (nämlich durch die Gedanken an Buddha) sie ermöglicht wird. Ähnlich wird auch bei Petrus durch sein Einsinken doppelt deutlich, dass er sein Laufen auf dem Wasser allein Jesus verdankt, der ihm zu460
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nächst den Befehl dazu gibt (14,29) und ihn dann festhält (14,31). Eine besondere Schwäche des Petrus bedeuten seine Schwierigkeiten nicht, und ganz ähnlich wie der Buddhaschüler wendet er sich erfolgreich dem zu, der ihm helfen kann. Ein Unterschied liegt aber in der jeweiligen Haltung: Für Petrus ist allein das Vertrauen auf Jesus entscheidend, für ihn bzw. für die Jüngergruppe, für die er in der Erzählung steht, bedeutet Nachfolge eine durch Jesus als Person und seine Lehre geprägte Existenz, die unabhängig von eigenen Fähigkeiten ist. Solch Glauben und Vertrauen versucht die Geschichte insgesamt zu stärken. Beim Buddhaschüler ist dagegen eine Konzentration der Gedanken entscheidend, die wohl eine gewisse Übung voraussetzt, und sein Wasserwandel zeigt seine Fortschritte auf dem Weg zur Erleuchtung. Im Zusammenhang des Jataka insgesamt ist ein konkretes asketisches Verhalten gefordert. Anders als in Mt 14 geht es im Jataka 190 zudem um die Fähigkeiten einer individuellen Person.
Verstehensangebote und Deutungshorizonte Zunächst einmal stellt sich die Frage, ob die Erzählung von Seewandel des Petrus eigentlich ein erfolgreiches Wunder oder die Geschichte eines Scheiterns ist. Oberlinner betont das Scheitern, das er aber nicht als Versagen des Petrus ansieht, sondern als zeitweisen Entzug des Beistands Jesu, der das ganze Geschehen bestimmt (vgl. Oberlinner 2007, 95 f.). M. E. ist das Wunder aber klar erfolgreich, Jesus als Wundertäter lässt Petrus auf dem Wasser zu sich kommen, rettet ihn zwischendurch und am Ende steigen beide ins Boot. Petrus geht wie gewünscht auf dem Wasser. Das Befehlswort Jesu und seine Wirkung sind in 14,29 geschildert. Das drohende Versinken in 14,30 hebt das wunderbare Gehen des Petrus nicht auf, sondern unterstreicht es eher noch. Petrus bekommt also das, was er sich wünscht, auch wenn damit Schwierigkeiten verbunden sind. Die Geschichte vom Seewandel legt eine christologische Deutung nahe. Mit seinem Gehen auf dem Wasser zeigt Jesus eine göttliche Fähigkeit und Macht, die am Ende sinnvoll in seiner Bezeichnung als Sohn Gottes zusammengefasst wird. In der matthäischen Darstellung steht das »Wesen« Jesu allerdings nicht im Vordergrund, viel wichtiger ist seine Beziehung zur Jüngergruppe und zu Petrus. Betont werden nicht Jesu unzweifelhafte Eigenschaften und Fähigkeiten, sondern dass er auf die Jüngergruppe zukommt und dass er – wie exemplarisch an Petrus gezeigt – ihnen eigene Vollmacht gibt und rettend eingreift. Jesus ist bei ihnen, und zwar in einer Situation mitten im Sturm auf dem See, in der das eigentlich gar nicht möglich ist und jedenfalls nicht erwartet wird. Die Verheißung des Mit-Seins, die im Matthäusevangelium schon am Anfang Jesu Sendung charakterisiert (Mt 1,23) und am Ende bekräftigt wird (28,20), ist in der Erzählung vom Seewandel anschaulich erlebbar. Wie beim Missionsbefehl am Ende des Matthäusevangeliums ist dieses Versprechen der Unterstützung mit hohen Erwartungen an die Jüngerinnen und Jünger verbunden. Ihnen wird eine Aufgabe gestellt – Jesus befiehlt die Fahrt über den See, den Gang des Petrus auf dem Wasser und am Ende den Aufbruch zur Mission –, die ihre eigenen Kräfte bei Weitem übersteigt. Die Erzählung schildert in solcher Situation, wie Jesus sich den Jüngerinnen und Jüngern gerade in ihrer Schwäche helfend zuwendet und sie über sich hinauswachsen lässt. Dies führt unmittelbar zur wichtigsten und häufigsten, nämlich der ekklesiologischen Deutung der Geschichte. Sie lässt sich aus der Perspektive der Jüngergruppe oder 461
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individueller aus der des Petrus als Beschreibung des Lebens in der Nachfolge Jesu lesen. Schon die Erzählperspektive der Geschichte lädt zur Identifikation mit der Jüngergruppe ein. Die einzelnen Elemente der Erzählung weisen über die konkrete Situation hinaus und sind transparent für eine spätere und allgemeinere Anwendung auf die Gemeinde in der Nachfolge: So werden die Schwierigkeiten mit dem Wind in 14,24 mit basanfflzw (basanizo¯ – bedrängen, quälen) bezeichnet, das eher an menschliches Leid auch speziell durch politische Verfolgung denken lässt (vgl. Luz 2007, 406; Carter 2004, 309). Der Hilferuf des Petrus ebenso wie das Sohn-Gottes-Bekenntnis am Ende sind so formuliert, dass die Lesenden auch unabhängig von der Situation auf dem See einstimmen können. Auch die Spannung zwischen Vertrauen und Orientierung an Jesus und Schwäche und Ablenkung durch äußere Schwierigkeiten, die im Seewandel des Petrus sichtbar werden, kann gut eine spätere Situation widerspiegeln. Wie auch sonst im Matthäusevangelium ist das Vertrauen der Jüngerinnen und Jünger dadurch begrenzt, dass sie zweifeln (dist€zw distazo¯, nur zwei Vorkommen in Mt 14,31; 28,17) und kleingläubig/vertrauensschwach (¤ligpisto@ oligopistos) sind, darin bilden sie die spätere Gemeinde ab. Es geht nicht mehr um die erste Entscheidung für oder gegen Jesus, sondern um die Bewährung des schon vorhandenen Glaubens (vgl. Bornkamm 2009a, 382). Schließlich passt die für die Erzählung zentrale Trennung zwischen Jesus und der Jüngergruppe klar in die nachösterliche Zeit, in der die Gemeinde auf sich allein gestellt ist und ohne die direkte Anwesenheit Jesu auskommen muss – und trotzdem auf seine Unterstützung vertrauen kann. Die ekkesiologische Deutung ist schon durch die Erzählung von der Sturmstillung (Mt 8,23-27) vorbereitet, in der die Erlebnisse der Jüngergruppe ebenfalls transparent für das Leben in der Nachfolge sind (vgl. Dronsch zu Mt 8,23-27 in diesem Band). Auch dort ist Jesus zunächst nicht anwesend, weil er schläft, der Hilferuf klingt wie ein Gebet und der Jüngergruppe wird vorgeworfen, dass sie sich angesichts der äußeren Bedrohung als kleingläubig/vertrauensschwach (¤ligpisto@ oligopistos) erweist. Zur Identifikation trägt zudem die besondere Rolle des Petrus bei, dessen Schwanken zwischen Mut und Angst, zwischen Gefahr und Rettung bis heute anspricht. Wichtig ist dabei aber, dass er Teil der Gruppe ist und bleibt, eine zu individuell-psychologische Deutung seines Verhaltens ist von der Erzählung nicht gedeckt. Er wird nicht als eine Einzelperson mit besonderem Charakter dargestellt, der dann für sein Vertrauen und seinen Mut gelobt und/oder für seinen Übermut oder seinen Zweifel kritisiert werden kann, sondern in ihm wird veranschaulicht, was für die ganze Gruppe gilt. Dadurch erübrigt sich die Frage, ob er nicht besser wie die anderen im Boot geblieben wäre. Petrus und die Gruppe vertreten sich gegenseitig, sie zeigen nicht alternative Verhaltensweisen, zwischen denen die Lesenden wählen könnten. Bei einer konsequent ekklesiologischen Deutung gehören alle Elemente der Erzählung zur Existenz der Gemeinde: Nicht nur die Abwesenheit Jesu, Angst, Rettung und Bekenntnis, sondern auch das Verlassen des sicheren Bootes auf den Ruf Jesu hin bestimmen sie. Auch wenn sich in Petrus grundlegende religiöse Erfahrungen erkennen lassen (vgl. Luz 2007, 411 f.), scheint mir darauf nicht der Schwerpunkt zu liegen, die Erzählung beschreibt spezifischer, wenn auch bildlich, das Leben der Nachfolgenden als Gruppe und Gemeinde (vgl. Kratz 1974, 101) – und die mit ihm verbundene Unbequemlichkeit. Schließlich hat die Erzählung durch den größeren literarischen Kontext auch eine politische Dimension. Die Fahrt über den See und zurück mit Speisung und Seewandel steht unter dem Schatten der Bedrohung durch Herodes Antipas, die nicht aufgelöst 462
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wird. Die Frage, wie die Nachfolgegruppe unter feindlicher Herrschaft lebt, ist damit explizit gestellt (vgl. Carter 2004, 36-49 zur Lektüre des Matthäusevangeliums im Kontext römischer Herrschaft). Während die Speisung in einem Schutzraum stattfindet und die Fürsorge Jesu und die Abwendung von materieller Not zeigt, geschieht der Seewandel bei der Rückkehr in die Bedrohungssituation. Vielleicht lässt sich der Gegenwind, mit dem die Jüngergruppe kämpft, dabei auch als äußerer oder innerer Widerstand interpretieren. Jedenfalls zeigt die Erzählung, dass trotz vermeintlicher Trennung mit der Anwesenheit und dem Beistand Jesu jederzeit gerechnet werden kann. Seine Macht steht der des Herodes Antipas gegenüber, den Nachfolgenden wird eine klare Alternative zur vorhandenen Herrschaft geboten (vgl. Carter 2004, 45 f.). Gerade die Petrusepisode – die ebenso wie die Veranlassung der Fahrt durch die Bedrohung durch Herodes zur matthäischen Redaktion gehört – wird so konkreter: Das Wagnis des Glaubens oder besser das Wagnis des Lebens in Jesu Gemeinde, auf das er sich einlässt, ist nicht nur eine innerliche Sache, sondern bedeutet, sich ganz praktischen Gefahren auszusetzen und politisch Position zu beziehen. Die Erzählung wird so zu einer Ermutigungsgeschichte, die gar nicht direkt auf Herodes eingeht und sich mit ihm auseinandersetzt, aber sich der rettenden Zuwendung Jesu versichert und außerdem ungeahnte Fähigkeiten freisetzt. An Petrus zeigt sich, dass auf Jesu Befehl hin und mit seiner Unterstützung alles möglich ist – aber auch, dass das Leben in der Nachfolge alles andere als komfortabel ist.
Aspekte der Parallelüberlieferung und Wirkungsgeschichte Erzählungen vom Seewandel Jesu liegen auch Mk 6,45-52 und Joh 6,16-21 vor. Die matthäische Fassung unterscheidet sich von beiden durch die Episode vom Seewandel des Petrus. Durch diese Besonderheit sowie viele weitere Einzelheiten sind bei Matthäus stärker als in den Parallelen die Jüngerinnen und Jünger und ihr Verhältnis zu Jesus Thema; eine ekklesiologische Deutung wird besonders nahegelegt. Mk 6 bildet, in Übereinstimmung mit der Zwei-Quellen-Theorie, die Hauptquelle für die Erzählung des Matthäus. Fraglich ist, ob die Petrus-Episode eine redaktionelle Bildung des Matthäus ist (so Kratz 1974, 92; Oberlinner 2007, 89 f.) oder ob hier eine ursprünglich unabhängige Tradition verarbeitet ist (so Gnilka 1988, 12; mit Vorsicht Luz 2007, 405 f.). M. E. lässt sich der Abschnitt gut als Erweiterung durch Matthäus erklären, während eine eigenständige Überlieferung schwer vorzustellen ist, weil der Seewandel des Petrus für sich keine abgeschlossene Erzählung bildet. Jedenfalls ist eine Rekonstruktion nicht möglich. Das Lukasevangeliums enthält keine Erzählung vom Seewandel Jesu. Ein Element, nämlich die Begegnung mit Jesus, bei der dieser von den Jüngerinnen und Jüngern für ein Gespenst gehalten wird, findet sich aber in einer Ostererscheinung (Lk 24,36-53). Eine weitere Ostergeschichte, Joh 21,1-14, bietet eine Episode von Petrus, der auf dem See das Boot verlässt (vgl. Luz 2007, 405; Paul 2005, 54; Madden 1997, 105). In Joh 21 ist die Jüngergruppe erfolglos mit Fischen beschäftigt, während Jesus zunächst unerkannt am Ufer des Sees steht, für einen reichhaltigen Fang sorgt und daraufhin durch den geliebten Jünger identifiziert wird. Auf diese Identifizierung hin springt Petrus ins Wasser (Joh 21,7), erreicht wohl schwimmend das Ufer und zieht das Netz mit den Fischen an Land (21,9). Es folgt ein gemeinsames Mahl aus Brot und Fisch. Trotz der strukturellen Gemeinsamkeiten (Trennung zwischen Jesus und Jüngergruppe, schwierige Identifizie463
Die Wundererzählungen im Matthäusevangelium
rung Jesu, Verlassen des Bootes durch Petrus, um zu Jesus zu kommen; außerdem jeweils eine enge Verbindung mit einer Mahlgeschichte) sind die Unterschiede erheblich, eine Verarbeitung der Matthäus-Erzählung in Joh 21 lässt sich wohl ebenso wenig nachweisen wie eine mögliche gemeinsame Quelle (Gnilka 1988, 12 rechnet mit einer mündlichen Ostertradition als Quelle beider Texte, verzichtet aber auf eine genauere Rekonstruktion). Deutlich werden aber die engen Verbindungen zwischen Seewandel und Ostererscheinungen, die schon innerhalb des Matthäusevangeliums aufgefallen sind (Verbindung zu Mt 28,16-20 durch den Blick der Jüngergruppe auf Jesus, das Stichwort zweifeln und das Mitsein Jesu). Der Vergleich zeigt auch, dass in Mt 14 keine Petrus-kritische Geschichte vorliegt, anders als in Joh 21 stützt sich sein Alleingang auf eine ausdrückliche Aufforderung Jesu und macht sowohl die Fähigkeiten des Petrus als auch die rettende Zuwendung Jesu zu ihm sichtbar. Eine kurze Erwähnung findet der Seewandel in ActPetr 7, wo Petrus in einer Predigt in Rom die Sendung Jesu erklärt, für die er Zeuge ist (»… hat der allmächtige Gott, von Mitleid bewegt, seinen Sohn in die Welt gesandt, wobei ich zugegen gewesen bin. Und ich bin über die Wasser gewandelt, wofür ich selbst Zeuge bleibe; ich bekenne, daß ich dabei gewesen bin, als er damals in der Welt durch Zeichen und alle Wunder, die er getan hat, gewirkt hat …«). Sein eigener Seewandel steht dabei am Anfang zusammen mit den Zeichen und Wundern Jesu, die seine Göttlichkeit belegen. Ausführlich geht Petrus dann auf seine Verleugnung ein und beklagt seinen schwachen Glauben und die Anfechtungen des Teufels. Der Seewandel des Petrus (der Text muss nicht emendiert werden zu Jesus als Subjekt, vgl. Schneemelcher 1989, 265) zählt hier also als Machterweis Jesu; er wird, anders als die Verleugnung, von Petrus nicht selbstkritisch rezipiert, obwohl gerade der Vorwurf des Zweifels und des schwachen Glaubens dies möglich machen würde.
Judith Hartenstein Literatur zum Weiterlesen G. Bornkamm, Petrus bei Matthäus, in: ders., Studien zum Matthäusevangelium, hg. v. W. Zager, WMANT 125, Neukirchen-Vluyn 2009, 379-395. W. Carter, Matthew and the Margins. A Socio-Political and Religious Reading, London/New York 2004, 308-312. A. Y. Collins, Rulers, Divine Men, and Walking on the Water (Mark 6:45-52), in: L. Bormann (Hg.), Religious Propaganda and Missionary Competition in the New Testament World, Essays Honoring Dieter Georgi, NT.S 74, Leiden et al. 1994, 207-227. L. Oberlinner, Können Wunder schiefgehen? Zur Petrus-Episode in der Seewandelgeschichte Mt 14,22-33, in: J. Pichler/C. Heil (Hg.), Heilungen und Wunder. Theologische, historische und medizinische Zugänge, Darmstadt 2007, 85-104.
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Das Heil an den Rändern Israels (Die kanaanäische Frau) Mt 15,21-28 (21) Und Jesus kam von dort heraus und entwich in die Gebiete von Tyrus und Sidon. (22) Und siehe! Eine kanaanäische Frau aus jener Umgegend kam heraus, schrie und sagte: »Erbarme dich meiner, Herr! Sohn Davids! Meine Tochter ist schlimm von einem Dämon besessen!« (23) Er aber antwortete ihr nicht ein Wort. Da traten seine Jünger hinzu und baten ihn, indem sie sagen: »Entlass sie, denn sie schreit hinter uns her!« (24) Er aber antwortete und sprach: »Ich wurde nur zu den verlorenen Schafen des Hauses Israel gesandt!« (25) Sie aber kam und fiel nieder vor ihm und sagte: »Herr, hilf mir!« (26) Er aber antwortete und sprach: »Es ist nicht gut, das Brot der Kinder zu nehmen und es den Hündchen hinzuwerfen!« (27) Sie aber sprach: »Ja, Herr! Doch auch die Hündchen essen von den Brocken, die vom Tisch ihrer Herren fallen!« (28) Da antwortete Jesus und sprach zu ihr: »O Frau, groß ist dein Glaube! Es soll dir geschehen, wie du willst!« Und geheilt wurde ihre Tochter von jener Stunde an.
Sprachlich-narratologische Analyse Der Perikope geht eine innerjüdische Debatte Jesu mit den aus Jerusalem kommenden Pharisäern und Schriftgelehrten über die Auslegung der jüdischen Reinheitsvorschriften voraus (Mt 15,1-20). Sofort nach dieser Auseinandersetzung entweicht Jesus in die Gegend von Tyrus und Sidon, d. h. in heidnisches und damit »unreines« Gebiet. Dieses »Entweichen« wird mit Hilfe des Verbs ⁄nacwrffw (anacho¯reo¯) ausgedrückt, das bei den Leser(innen) des Matthäusevangeliums als narratives Signal eine Art déjà-vu-Effekt auslöst und sie an bereits erzählte »Rückzüge« Jesu (4,12; 12,15; 14,13), seiner Familie (2,14.22) und anderer Figuren (2,12 f.; auch 9,24; später dann 27,5) angesichts bedrohlicher Entwicklungen erinnert (vgl. dazu Metzner 2003, 258-268; Good 1990, 1-12). Auffällig ist, dass Jesu Rückzüge nur im ersten Hauptteil des Evangeliums (1,1-16,20) stattfinden und damit in literarischer Hinsicht ein retardierendes Moment darstellen, während der zweite Hauptteil (16,21-28,20) diesbezüglich eine Leerstelle zu verzeichnen hat. Das ist kein Zufall, sondern unterstreicht eindrucksvoll, dass Jesus mit seinem Weg nach Jerusalem zutiefst dem göttlichen Heilsplan entspricht: Er »muss« (de… dei, 16,21) ins Leiden und in den Tod gehen und tut dies zielgerichtet und ohne jegliches – auch nur partielles – »Entweichen«. Ihren Abschluss findet die Perikope durch die fast schon fluchtartig wirkende Rückkehr Jesu aus dem nichtjüdischen Gebiet, das er erst in Mt 15,20 betreten hatte: »Und Jesus ging von dort fort und kam an das Meer von Galiläa. Und er stieg auf den Berg und setzte sich dort« (15,29). Damit wird deutlich, dass die der kanaanäischen Frau gewährte Heilung in heidnischem Land noch keine generelle Wirksamkeit Jesu in diesem Gebiet nach sich zieht. Doch wenn man den Plot des gesamten Evangeliums in den Blick 465
Die Wundererzählungen im Matthäusevangelium
nimmt, offenbart sich, dass die Frau eine über die Einzelepisode hinausreichende Figur mit Signalcharakter ist. Sie greift voraus auf das, was Jesus selbst erst als Auferstandener kundtun wird: die Sendung zu »allen Völkern« (28,19 f.). Damit wird die Frau für den Verlauf des Evangeliums zu einer richtungsweisenden Gestalt (vgl. Luz 2003, 57 f.). Die gesamte Erzählung ist streng dialogisch ausgerichtet und durch wiederkehrende Elemente klar strukturiert (vgl. Davies/Allison 1991, 541): V. 22 V. 23a V. 23b V. 24 V. 25 V. 26 V. 27 V. 28
Bitte der Frau Jesu Antwort (»Er aber antwortete ihr nicht ein Wort.«) Bitte der Jünger Jesu Antwort (»Er aber antwortete und sprach …«) Bitte der Frau Jesu Antwort (»Er aber antwortete und sprach …«) Bitte der Frau Jesu Antwort (»Da antwortete Jesus und sprach zu ihr …«)
Erst mit der letzten Antwort kommt Jesus der Bitte der Frau nach und erfüllt ihren Heilungswunsch. Die dramaturgische Linie des Dialogs verläuft von der ersten Verweigerung jedweder Kommunikation (15,23a) über die beiden inhaltlich abwehrenden Antworten (15,24.26) bis hin zur letzten positiven Reaktion (15,28). Für die Leser(innen) erweckt diese Darstellung durchaus den Eindruck, dass die Frau nicht zuletzt durch ihre Hartnäckigkeit Jesus zu einer Heilung »überredet«, für die er sich aufgrund seiner Sendung zu den »Schafen des Hauses Israels« (10,6; 15,23) eigentlich nicht zuständig fühlt (so beispielsweise Heil 1991, 544). Nimmt man jedoch die Anlage des gesamten Evangeliums in den Blick, scheint Matthäus den Ton eher auf den »großen Glauben« der Frau zu legen, der vor der Folie der Sendung Jesu zu Israel hervorgehoben wird und Jesus als Heilsbringer auch für die Völker erkennt (so beispielsweise Konradt 2004, 404; s. u. Deutungshorizonte). In erzählerischer Hinsicht wird die Wundererzählung durch den dominierenden Dialog dabei stark zurückgedrängt. Als eigentliche Protagonistin erscheint die kanaanäische Frau (O’Day 2004, 117 f.), die alle Erzähleinheiten maßgeblich bestimmt, und sowohl durch ihr Verhalten als auch durch ihre Worte Repliken Jesu und seiner Jünger hervorruft. Man kann die Perikope entsprechend den verschiedenen Redeakten in drei Abschnitte gliedern. Dabei setzt die wörtliche Rede in allen Abschnitten jeweils mit einem Imperativ ein: (I)
V. 22-23a
(II)
V. 23b–24
(III) V. 25-28
Die kanaanäische Frau und Jesus (Imperativ: »Erbarme dich meiner, Herr! Sohn Davids!«) Die Jünger und Jesus (Imperativ: »Entlass sie, denn sie schreit hinter uns her!«) Die kanaanäische Frau und Jesus (Imperativ: »Herr, hilf mir!«)
Im ersten Abschnitt reagiert Jesus auf das Flehen der hinter ihm herlaufenden Kanaanäerin mit ignorierendem Schweigen, so dass keine Kommunikation zustande kommt. Dieses Schweigen mag auch seine Jünger ermuntert haben, Jesus im zweiten Abschnitt inständig zu bitten (vgl. die Imperfekt-Form ƒrðtoun e¯ro¯toun, 15,23), die Frau fort466
Das Heil an den Rändern Israels Mt 15,21-28
zuschicken. Damit ziehen sie eine klare Grenze um sich und Jesus, was angesichts ihres genuinen Sendungsauftrags, Kranke zu heilen und Dämonen auszutreiben (Mt 10,1.7), zunächst verwundert. Dieses Mal gibt Jesus eine Antwort – wem genau, ist nicht exakt zu bestimmen – und begründet sein abwehrendes Verhalten mit einem heilsgeschichtlichen Argument: Er und seine Jünger sind nicht für die Belange von Nichtjuden zuständig, denn Jesus ist der erwartete Messias Israels und nicht der Messias der Heiden (Mt 15,24: »Ich wurde nur zu den verlorenen Schafen des Hauses Israel gesandt«; vgl. 10,6: »Geht hinzu vielmehr zu den zugrunde gerichteten Schafen des Hauses Israel!«). Die Beharrlichkeit der Frau, die wie die Beharrlichkeit der Jünger durch Imperfekt-Formen unterstrichen wird (˛krazen ekrazen – sie schrie, 15,22; prosekÐnei prosekynei – sie fiel nieder, 15,25), führt dazu, dass die Kommunikation nicht gänzlich abbricht. Und so findet im dritten Abschnitt schließlich ein Gespräch zwischen der Frau und Jesus statt, welches wesentlich dem Argument der Kanaanäerin in 15,27 zu verdanken ist: Sie bestätigt mit ihrem »Ja, Herr!« ausdrücklich Jesu Einwand aus 15,24.26, dass er als der »Haus-Herr« im »Haus Israel« nur dessen »Kinder« mit Brot versorgen wird, womit sie die noch geltende heilsgeschichtliche Differenz zwischen Israel und den Völkern akzeptiert (Konradt 2007, 67 f.). Doch zugleich insistiert sie darauf, dass unbeschadet dieser vorrangigen Versorgung der »Kinder Israels« doch etwas für die »Hunde«, die hier transparent für die Heiden sind (s. u. Traditions- und Religionsgeschichte), übrig bleiben sollte. Dieses »Übrigbleiben von Brot« kann die Leserinnen und Leser durchaus an die Speisungserzählung Mt 14,13-21 erinnern, wo nach der Tischgemeinschaft Jesu mit dem Volk Israel zwölf volle Körbe mit Brot eingesammelt werden. Eine weitere Erinnerungslinie wird zur Erzählung vom Hauptmann von Kafarnaum (Mt 8,5-13) gezogen, deren Parallelführung bis in die sprachlichen Formulierungen hineinreicht: Beide Bittstellenden sind Nichtjuden, beide treten als Stellvertretung für einen Angehörigen auf, d. h. sie wollen die Heilung nicht für sich selbst erwirken, und beide Male endet es damit, dass Jesus den Bittstellenden »großen Glauben« attestiert und die Heilung gewährt (8,10; 15,28; dazu Poplutz 2008, 90 f.).
Sozial- und realgeschichtlicher Kontext Der Schlüssel zum Verständnis der Episode liegt in der Figurenzeichnung der Bittstellerin. Die Frau wird ohne Namensnennung und ohne die übliche Identifikation durch männliche Verwandte (Ehemann, Bruder, Vater) als gun¼ Cananaffla (gyne¯ Chananaia, 15,22), als »kanaanäische Frau« bezeichnet. Canana…o@ (Chananaios) war zur Zeit des Matthäus vermutlich die Selbstbezeichnung der Phönizier, was erklären könnte, weshalb Matthäus die markinische Vorlage, die die eher »westliche« Bezeichnung »Syrophönizierin« (Surofoinfflkissa Syrophoinikissa, Mk 7,26) wählt, durch die in seinem Raum übliche »einheimische« Bezeichnung ersetzt (Luz 2007, 432 f.). Bedeutungsvoller ist jedoch, dass im Zusammenspiel mit der Lokalisierung der Perikope in »den Gebieten von Tyrus und Sidon« negative biblische Assoziationen wachgerufen werden (s. u. Traditions- und religionsgeschichtlicher Hintergrund). Auf diese Weise betont Matthäus den Gegensatz zwischen Israel und Kanaan, dem heidnischen Land, das die Israeliten in Besitz nahmen, und von dessen Tradition sie sich stets zu distanzieren suchten (Trunk 1994, 148). Geographisch gesehen grenzt das Gebiet der phönizischen Küstenstädte »Tyrus 467
Die Wundererzählungen im Matthäusevangelium
und Sidon« an den Norden Galiläas. Die Bevölkerung war zum größten Teil heidnisch, es gab aber auch jüdische Siedlungen (vgl. Flav. Jos. Bell. 2,588; vit. 372; Theißen 1992b, 69-82; vgl. auch Gerber zu Mk 7,24-30 in diesem Band). Ob Jesus tatsächlich in das Gebiet hineingeht, wie der Kontext m. E. voraussetzt, ist sprachlich nicht eindeutig formuliert (Mt 15,21 f.; Belege der verschiedenen Positionen bei Konradt 2007, 64 Anm. 257). Die kanaanäische Frau legt ein auffallend souveränes und kluges Verhalten an den Tag und ist die erste weibliche Figur, die im Matthäusevangelium in direkter Rede zu Wort kommt. Sie ergreift von sich aus die Initiative (»sie kam heraus«) und macht Jesus mit Nachdruck auf ihr Anliegen aufmerksam (»sie schrie«), das sie argumentativ (»ja, Herr, doch …«) und mit Gesten (»sie fiel nieder vor ihm«) unterstützt. Ob und welche Rückschlüsse dieses Verhalten auf ihren sozialen Status in ihrer Heimat zulässt, kann nicht eindeutig geklärt werden. Doch die Frage, ob sich eine einfache, mediterrane Frau in der Antike einem Mann gegenüber so verhält wie die Kanaanäerin, scheint berechtigt zu sein (Lawrence 2003, 271-273; Wainwright 1998, 86). Weitergehende Rückschlüsse auf ihre familiäre oder wirtschaftliche Stellung sind jedoch Spekulation. Bereits bei Homer (z. B. Hom. Il. 5,476) ist die griechische Bezeichnung für Hund (kÐwn kyo¯n) anzutreffen, der als Haustier bei allen antiken Kulturvölkern bekannt ist (Richter 1979, 1245). Der Hund fungiert als Wach- und Jagdhund und kann sogar in der Schlacht eingesetzt werden (Schreiber 2001, 170 f.). Diese den Menschen unterstützenden Aufgaben des Hundes werden metaphorisch mit Treue (Hom. Od. 17,291-323; Plin. nat. 8,143 f.) und Klugheit (Xen. oec. 13,8), d. h. mit durchweg positiven Konnotationen in Verbindung gebracht. Doch im Orient, in Griechenland und in Italien gab es auch massenweise streunende, verwilderte und aggressive Hunde, die sich von Straßenabfällen und Kadavern ernährten und von den Menschen gefürchtet wurden. In diesem Zusammenhang kann der Hund als Symbol für das Niedere, Gemeine und für die gierige Angriffslust dienen (vgl. Hom. Il. 13,623; 8,299; Sophoc. El. 1388). Aufgrund letztgenannter Attribuierungen wurde »Hund« beispielsweise zum Beinamen des provokativ agierenden Antisthenes und zur Bezeichnung der Philosophenschule der »Kyniker« (Schreiber 2001, 171). Die kleine Parabel von den Hündchen, die den zentralen Dialog zwischen der Kanaanäerin und Jesus prägt, greift mit der Diminutivform (kun€rion kynarion) nicht auf wilde Straßenhunde oder scharfe Wachhunde zurück, sondern auf so genannte Haushunde, die z. T. etwas kleiner gewachsen waren. Eine Aussage über ihr Alter im Sinne von »jungen Hunden« geht damit nicht einher. Die Haushunde wurden von den Speiseresten und Abfällen ernährt, die die Mitglieder des Hausstandes oder der Familie nicht mehr benötigten (vgl. Quint. inst. 8,3,22; Philostr. vit. ap. 1,19; JosAs 10,13; 13,8). Der Vergleich der kanaanäischen Frau, der bei der Verwendung des Begriffs »Hund« (kÐwn kyo¯n) weitaus drastischer ausfallen würde, wird durch den Begriff »Hündchen« abgemildert und der Grad der Abwertung dadurch relativiert (Schreiber 2001, 175 f.). Dies entspricht ganz der Intention des Matthäus (s. u. Deutungshorizonte). Der eigentliche Anlass für die stellvertretende Intervention der Kanaanäerin ist die Not ihres Kindes, welches selbst nicht auftritt. Diese Not wird umschrieben als »schlimme dämonische Besessenheit« (15,23). Die einzelnen Symptome der Besessenheit der Tochter werden nicht genannt, so dass die gesamte, stark in den Hintergrund gedrängte Wunderhandlung eher den Charakter einer Heilung als eines Exorzismus ausweist (Trunk 1994, 468
Das Heil an den Rändern Israels Mt 15,21-28
149; vgl. Poplutz, Dämonen in diesem Band). Dies wird dadurch bestätigt, dass im Gegensatz zur markinischen Vorlage nicht von einer expliziten Ausfahrt des Dämons gesprochen wird, sondern von einer Heilung: »Und geheilt wurde ihre Tochter von jener Stunde an« (15,28). Die Heilung selbst ist als Fernheilung zu bestimmen (vgl. auch Mk 7,24-30; Mt 8,5-13 par.; Lk 17,11-19; Joh 4,46-54; bBer 34b) und wird durch den wunderwirkenden Zuspruch Jesu »O Frau, groß ist dein Glaube! Es soll dir geschehen, wie du willst!« (15,28) bewirkt. Da die als Besessenheit deklarierte Krankheit der Tochter in sozialer Hinsicht mit Ausgrenzung und Stigmatisierung einherging, welche möglicherweise die gesamte Familie betraf, bedeutete ihre Genesung die Wiederaufnahme in die Gemeinschaft (Mattila 2002, 106).
Traditions- und religionsgeschichtlicher Hintergrund Die Lokalisierung der Perikope in der »Gegend von Tyrus und Sidon« ist ein Biblizismus, den Matthäus durch die Ergänzung von »Sidon« über die markinische Vorlage Mk 7,24 hinaus gezielt evoziert. Der Ausdruck ruft zwiespältige Assoziationen wach (Jackson 2002, 35-41): Positiv gesehen gelten die Einwohner von Tyrus und Sidon als geschickte Handwerker und gute Kaufleute, die es zu Wohlstand gebracht haben und den Königen Israels oftmals hilfreich zur Seite standen (2Sam 5,11 f.; 1Chr 14,1 f.; 22,4; 2Chr 2; Jos 11,8; 1Kön 17; Ri 18,7; auch 2Sam 24). Doch die negativen Assoziationen, die im Wesentlichen damit zusammenhängen, dass die Bewohner von Tyrus und Sidon fremden Göttern anhängen, überwiegen: Sie gelten als Feinde Israels (Jes 23; Jer 25,22; 27,3; Ez 26-28; Joel 4,4; Sach 9,2-4; Jdt 2,28; 1Makk 5,15). Diese negative Linie setzt Matthäus gezielt fort, was ein weiterer synoptischer Vergleich sichtbar macht (vgl. auch Mt 11,2022, wo Tyrus und Sidon in einem Atemzug mit den sündigen Städten Chorazin und Betsaida genannt werden): Während Mk 3,7 f. davon spricht, dass Jesus große Volksmengen aus Galiläa, Judäa, Jerusalem, Idumäa und von »jenseits des Jordans aus der Gegend von Tyrus und Sidon« nachfolgten, lässt Matthäus Tyrus und Sidon (ebenso wie Idumäa) bewusst aus und fügt dafür die Dekapolis hinzu: »Und es folgten ihm große Volksmengen nach von Galiläa und der Dekapolis und Jerusalem und Judäa und von jenseits des Jordan« (Mt 4,25). Da auch in der Gegend von Tyrus und Sidon Jüdinnen und Juden siedelten, macht dies nur Sinn, wenn man annimmt, dass »Matthäus in biblischer Perspektive einen Umriss des Siedlungsgebiets der zwölf Stämme, des biblischen g» 3Israffil (vgl. 2,20 f.), zeichnet […], womit Matthäus zugleich auf das Motiv der Restitution Israels anspielen dürfte« (Konradt 2007, 54). Anders ausgedrückt: Matthäus streicht hier die in biblischer – nicht in zeitgeschichtlicher Perspektive! – »heidnischen Gebiete« und unterstreicht damit die primäre Sendung Jesu zu seinem eigenen Volk: Der Anspruch der Wiederherstellung der zwölf Stämme Israel ist dem eingeprägt. In derselben Fluchtlinie liegt die »Umbenennung« der Syrophönizierin (Mk 7,26) in eine Kanaanäerin (Mt 15,22), denn auch Kanaan und die Kanaanäer wecken aufgrund der biblischen Tradition stereotype negative Assoziationen (Gen 24,3; Ex 23,23 f.; 33,2; Dtn 20,17 f.; Ri 1,1-10; dazu Jackson 2002, 70-82). Jeder Nicht-Jude konnte dementsprechend abfällig als »Kanaanäer« bezeichnet werden: »›Canaanite‹ is instead an all-encompassing designation or metaphor for any foreigner to Judaism, whether by race, religion 469
Die Wundererzählungen im Matthäusevangelium
or trade. For that matter, anything historically reminiscent as contemptible to the Jews could be called ›Canaanites‹« (Jackson 2002, 83 f.). Die Kanaanäerin ruft Jesus mit der Vertrauensäußerung »Herr« und »Sohn Davids« an. »Herr« (kÐrie kyrie) ist die Anrede Jesu, die von Jüngern und Hilfesuchenden, aber auch von Außenstehenden verwendet werden kann (Mt 8,6.8). Zugleich klingt die Sprache der Psalmen an: Die Wendung »Erbarme dich meiner, Herr!« (Mt 15,22) erinnert beispielsweise an Ps 6,3LXX, während der Hilferuf Mt 15,25 ein Nachhall von Ps 108,26LXX (109,26 MT) ist: »Hilf mir, Herr, mein Gott!« Möglicherweise sind die Klagepsalmen sogar formgebend für den gesamten Redeakt der Kanaanäerin (so O’Day 2004, 118-125): Sie formuliert ihre Bitte (»Erbarme dich meiner!«) an die Adresse Jesu (»Herr! Sohn Davids«) und spricht ihre Klage aus (»Meine Tochter ist schlimm von einem Dämon besessen!«). Im zweiten Angang beginnt sie mit der Anrede (»Herr!«), worauf die Bitte folgt (»Hilf mir!«) und sich eine Begründung anschließt (»Doch auch die Hündchen essen …«). Mit der zweiten Anrede »Sohn Davids« akzeptiert die kanaanäische Frau, dass Jesus eigentlich nicht für sie zuständig ist. Denn als »Sohn Davids«, der in der Davidsstadt Betlehem geboren wurde (Mt 2,6, vgl. 1Sam 17,12.58; 20,6), ist er der rechtmäßige und erwartete königliche Messias für Israel (Mt 1,1; 2,1-12) und wird folgerichtig zunächst sein eigenes Volk aufrichten (Mt 4,23; 10,6). Im Matthäusevangelium bezieht sich die heilende Tätigkeit des Davidssohns v. a. auf Blinde (9,27-31; 12,22-30; 20,29-34), was durchaus metaphorisch verstanden werden kann: »Der Messias Israels hilft Israels Blindheit auf« (Luz 2007, 60). Auch wenn der Titel vorchristlich belegt ist (PsSal 17,21), waren es v. a. jüdische Christusgläubige, die mit dem Bekenntnis »Sohn Davids« (Röm 1,3) ausdrückten, dass sie die Erwartungen ihres Volkes, die sich auf den endzeitlichen DavidNachkommen richteten, mit Jesus von Nazaret verknüpften. Die Schaf- bzw. Herdenmetapher zur Bezeichnung des Gottesvolkes Israel ist im Alten Testament und in der frühjüdischen Literatur breit belegt (Num 27,17; 2Sam 24,17; Jes 40,11; 63,11; Jer 23,1-4; Mi 7,14; Sach 9,16; 10,2 f.; Ps 78,52; ApkEl 42,8: »Er wird richten die Hirten des Volkes. Er wird sie fragen nach der Herde der Schafe«; LAB 28,5: »Wird etwa der Hirte seine Herde für nichts verderben … ?« u. ö.; dazu HunzikerRodewald 2001). Im Matthäusevangelium korrespondiert die Rede von den »verlorenen Schafen des Hauses Israel« (15,24) mit der Darstellung Jesu als davidisch-messianischer Hirte, der sein Volk »weiden« wird (2,6: Zitat aus Mi 5,1; 2Sam 5,2; vgl. auch Mt 9,36; 26,31). Traditionsgeschichtlich ist die Hirtenfunktion des davidischen Messias ein geläufiges Bild (Mi 5,2; Ez 34,23). In PsSal 17,40 heißt es beispielsweise: »Gewaltig in seinen Werken und mächtig durch Gottesfurcht, indem er die Herde des Herrn weidet in Treue und Gerechtigkeit, und er wird nicht zulassen, dass (einer) unter ihnen ermüde auf ihrer Weide«. Im Alten Testament und im Frühjudentum kann »Hund« (kÐwn kyo¯n; hebr. bl8K8 keleb) wertneutral oder sogar positiv zur Bezeichnung von Haus-, Wach- und Jagdhunden verwendet werden (Ri 7,5; Tob 5,17; 11,4; TestJob 9,3; TestJud 2,6; dazu Schreiber 2001, 171; Michel 1938, 1100-1104) oder auch einfach einen Straßenhund bezeichnen (Spr 26,17). In den meisten Fällen trägt »Hund« jedoch pejorativen (abwertenden) Charakter, was damit zu tun haben mag, dass sich Wildhunde an Kadavern zuschaffen machten und man die Leichen von Verrätern oder Verbrechern den Hunden zum Fraß vorwarf 470
Das Heil an den Rändern Israels Mt 15,21-28
(Flav. Jos. Ant. 15,289). Hunde galten somit als schändliche und unreine Tiere (Hor. ep. 1,2,23-26): Die Hunde sollen jemanden fressen (1Kön 14,11; 16,4; 21,23 f.; 2Kön 9,10), Hunde ›sollen dein Blut lecken‹ – so Elija zu Ahab, dem König von Israel –; Hunde, die fortschleppen, erfüllen nach Jer 15,3 das Gericht am Volk. Ijob 30,1 beschreibt die Gesellschaft von Hirtenhunden als für den Menschen abwertend. Koh 9,4 bedient sich einer deutlichen Reihenfolge von Löwe und Hund. Spr 26,11 verwendet das Sprichwort ›Der Hund kehrt zu seinem Auswurf zurück‹ als Bild für den Toren, der seine Torheit wiederholt, und qualifiziert damit dessen Verhalten negativ (Schreiber 2001, 171 f.).
Die negativen Konnotationen des Begriffs »Hund« wurden somit auf Personen oder Personengruppen übertragen. Während im Alten Testament »Hund« die Geringschätzung eines anderen Menschen (2Kön 8,13; 1Sam 24,15) oder die Selbsterniedrigung der eigenen Person meinen kann (1Sam 17,43; 2Sam 9,8) und im äthiopischen Henochbuch »Hunde« als Deckname für die Feinde Israels fungiert (1Hen 90,4), wird der Begriff im Neuen Testament eher im Kontext der Ketzerpolemik (Phil 3,2; Offb 22,15; vgl. Did 9,5) verwendet (Klauck 1978, 275 f.). Dieser breite Befund macht deutlich, dass »Hunde« nicht einfach eine pauschale Metapher für die »Heiden« ist, sondern in erster Linie eine Abgrenzung und Abwertung thematisiert: Dass dies, wie in Mt 15,26 f., tatsächlich die Heiden meinen kann, ist davon nicht berührt.
Verstehensangebote und Deutungshorizonte Der Dialog der Kanaanäerin mit Jesus, der den Exorzismus in den Hintergrund treten lässt, setzt verschiedene Deutungshorizonte frei, von denen exemplarisch zwei skizziert werden sollen (zur historisch-heilsgeschichtlichen, befreiungstheologischen und symbolisch-paradigmatischen Deutung vgl. Gerber zu Mk 7,24-30 in diesem Band). Zunächst zur heilsuniversalistischen Deutung. Liest man das Matthäusevangelium als »universale Jesusgeschichte« (Poplutz 2011), fügt sich dem Mt 15,21-28 als eine Schlüsselstelle ein. Denn in Mt 15,24 wird die Exklusivität der Sendung Jesu zu Israel, die auch für die Jünger Geltung hat (10,5 f.), geradezu programmatisch formuliert: Jesus ist »nur zu den Schafen des Hauses Israel gesandt« (15,24). Zugleich wird diese Exklusivität durch die Argumentation der kanaanäischen Frau aufgebrochen, welche signifikant auf das vorausweist, was Jesus als Auferstandener kundtun wird: die Öffnung des Heils auch für die Völker (28,19 f.). Entscheidend ist, dass die Kanaanäerin Jesus zwar als den Messias Israels erkennt (»Sohn Davids«, 15,22) und die heilsgeschichtliche Vorrangstellung Israels anerkennt, aber zugleich argumentiert, dass dieses Heil auch auf die Heiden ausstrahlt (Konradt 2007, 68 f.). Damit akzeptiert sie, dass der Messias Israels auch den Heiden Heil bringt: Bei der Tischgemeinschaft Jesu mit den »Kindern Israels« fallen Brocken für die »Heiden« ab, was die »Sättigung« der Kinder in keiner Weise mindert. Dabei liegt in der matthäischen Version der Erzählung der Akzent auf dem Herrn (kÐrio@ kyrios), der dem Mahl vorsteht und das Brot austeilt, und nicht so sehr auf dem Brot als einem »Besitz« der Kinder (so aber Mk 7,27). Diese Akzentverlagerung in Mt 15,27 bewirkt, »dass das Heil nicht ›statisch‹ – eben als Besitz –, sondern ›relational‹ als ›den ver471
Die Wundererzählungen im Matthäusevangelium
lorenen Schafen‹ gewährte Gabe in den Blick kommt und damit zugleich die ›Heiden‹ nicht Anteil an etwas erhalten, was Israel ›gehört‹ (die Brocken der Kinder), sondern Jesus gibt« (Konradt 2007, 69 f.). Gerade weil die Frau das letztlich universale Ziel der Sendung Jesu erkennt, nennt er ihren Glauben »groß« (15,28) – auch wenn die Heilung an Heiden im matthäischen Erzählablauf zunächst Episode bleibt. Man kann aber festhalten, dass die Heilungserzählung symbolisch auf den Gang der Heilsgeschichte verweist (Luz 1993, 86). Dabei steht die kanaanäische Frau nicht als einzige Figur im matthäischen Plot für den anvisierten Heilsuniversalismus, sondern ist im Kontext anderer Heid(inn)en zu betrachten, die aus der großen Masse der galiläischen und judäischen Jüdinnen und Juden, mit denen Jesus in Kontakt tritt, hervorstechen (Saldarini 1994, 68-75). Zu nennen sind die vier alttestamentlichen Frauen im Stammbaum Jesu – Tamar (Mt 1,3, vgl. Gen 38), Rahab (Mt 1,5, vgl. Jos 2), Rut (Mt 1,5, vgl. Buch Rut) und Batseba (Mt 1,6, vgl. 2Sam 11) –, zu nennen sind aber auch die Magier aus dem Osten (Mt 2,1-12), der römische Zenturio von Kafarnaum (8,5-13) oder der Hauptmann und seine Kohorte in Jerusalem unter dem Kreuz (27,54). Sie alle sind zwar Randfiguren, die nur episodal auftreten, aber sie beleuchten wie Spotlights die gesamte Konzeption des Matthäusevangeliums (Poplutz 2008, 80-100). Als Figuren durchbrechen sie die eng gezogenen Grenzen religiöser oder ethnischer Zugehörigkeit, indem sie als Außenstehende erkennen und anerkennen, dass Jesus der davidische Messias ist. Zwar impliziert diese Erkenntnis noch keine Nachfolge, aber sie weist voraus auf den offenen Schluss des Evangeliums, nämlich die eschatologische Vollendung und die universale Mission (28,19 f.). Die feministische und postkoloniale Deutungslinie macht den in den Hintergrund verbannten und oftmals vollständig verdrängten Blick auf die kanaanäische Frau und ihre Tochter stark (z. B. Wainwright 1998, 84-92; dies. 2004, 126-137; Mattila 2002, 104-117). Durch die Kombination verschiedener narrativer Elemente wird die ganze Episode in jeder Hinsicht zu einer »Grenzgänger-Erzählung«: Nicht nur begegnen sich die Frau und Jesus geographisch gesehen außerhalb ihrer jeweiligen Heimat (»Jesus kam von dort heraus …«, 15,21; »sie kam heraus …«, 15,22), die Jesus jedoch massiv als das Kernland seiner Sendung abzugrenzen versucht (15,24), sondern die Heilung geschieht auch als Fernheilung. Da dämonische Besessenheit mit Unreinheit, Ausgrenzung und Stigmatisierung konnotiert ist, werden durch diese Konstruktion die Fremdheit und der Abstand zwischen Jesus und der Frau deutlich akzentuiert: Die Bittstellerin ist in religiöser, ethnischer und kultureller Hinsicht eine Außenstehende (Wainwright 2006, 153). Dass sie darüber hinaus ohne die Erwähnung männlicher Verwandter eingeführt wird und somit außerhalb der üblichen patriarchalen Familienstrukturen steht, kommt erschwerend hinzu. Deutet man dann noch die Bezeichnung der Frau als »Kanaanäerin« aufgrund der biblischen Tradition negativ, erscheint sie in keiner Hinsicht als eine angemessene Gesprächspartnerin Jesu: »Moreover, given Israel’s struggle with temple prostitution assimilated from Canaanite religious ritual, Canaanite women have a strong connection with prostitiution and sexual sin in Jewish biblical tradition« (Corley 1993, 166). Auf diesem Hintergrund erscheint der Dialog zwischen den beiden Hauptfiguren als subversiv, denn Jesus verlangt keine religiöse Konversion der Frau und thematisiert keine genderspezifische Hierarchie zwischen ihnen: »rather a dialogue exists between equals in relational power« (Mattila 2002, 112). Dies wurde besonders in der feministisch-postkolonialen Exegese hervorgehoben und fruchtbar gemacht (z. B. Kwok 1995, 71-83). Eine andere feministische Lesart deutet die Verwendung liturgischer Sprache 472
Das Heil an den Rändern Israels Mt 15,21-28
durch die Kanaanäerin (»Erbarme dich meiner, Herr!«, 15,22) auf die Partizipation der Frauen im liturgischen und theologischen Leben der matthäischen Gemeinde. Die sich dagegen formierende Opposition schimmere im negativen Vergleich mit den Hündchen durch, wohingegen Jesus selbst durch die Gewährung der Heilung diese legitimiere (Wainwright 1991, 226-228). Der besonders »große Glaube«, den Jesus der Frau attestiert und der der eigentliche Grund für die Heilung der Tochter ist, bekommt dabei eine besondere Bedeutung – und zwar umso expliziter, wenn man diesen mit dem »Kleinglauben« der Jünger kontrastiert (Mt 8,26; 14,31). Für die vorliegende Perikope heißt das: »Faith which transcends cultural and religious boundaries does not necessarily break them, but as here, opens up a new inclusive reality« (Mattila 2002, 115).
Aspekte der Parallelüberlieferung und Wirkungsgeschichte In den Pseudo-Klementinen wird die namenlose kanaanäische Frau »Justa« genannt, was dem Bedürfnis Rechnung trug, die Erzählungen über Jesus glaubwürdiger erscheinen zu lassen (Ps.-Clem. Hom. 2,19; vgl. 3,73; 4,1; 13,7; Ps-Clem. Hom. 2,20 f.). In allegorischer Weise deutete Hilarius die Kanaaäerin als Proselytin, die stellvertretend für ihr Kind, d. h. für die Heiden, bittet (Hilar. 15,3; Luz 2007, 431, dort weitere Auslegungen; vgl. zu weiteren Aspekten Gerber zu Mk 7,24-30 in diesem Band).
Uta Poplutz Literatur zum Weiterlesen G. S. Jackson, Have Mercy on Me. The Story of the Canaanite Woman in Matthew 15.21-28, London/New York 2002. M. Konradt, Die Sendung zu Israel und zu den Völkern im Matthäusevangelium im Lichte seiner narrativen Christologie, ZThK 101 (2004), 397-425. G. O’Day, Surprised by Faith. Jesus and the Canaanite Woman, in: A.-J. Levine/M. Blickenstaff (Hg.), A Feminist Companion to Matthew, Cleveland 2004, 114-125. S. Schreiber, Cavete Canes! Zur wachsenden Ausgrenzungsrelevanz einer neutestamentlichen Metapher, BZ.NF 45 (2001), 170-192. D. Trunk, Der messianische Heiler. Eine redaktions- und religionswissenschaftliche Studie zu den Exorzismen im Matthäusevangelium, HBS 3, Freiburg i. Br./Wien 1994, 140-155. C. Usarski, Jesus und die Kanaanäerin (Matthäus 15,21-28). Eine predigtgeschichtliche Recherche, PThe 69, Stuttgart 2005. E. M. Wainwright, Not without my Daugther. Gender and Demon Possession in Matthew 15.2128, in: A.-J. Levine/M. Blickenstaff (Hg.), A Feminist Companion to Matthew, Cleveland 2004, 126-137.
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Warum nicht gleich so? (Heilung eines mondsüchtigen Jungen) Mt 17,14-20(21) (Lk 9,37-43a) (14) Und als sie zu der Menge gekommen waren, ging ein Mann auf ihn zu, fiel vor ihm auf die Knie (15) und sagte: »Herr, erbarme dich meines Sohnes: Er ist mondsüchtig und leidet schwer, denn oft fällt er ins Feuer und oft ins Wasser. (16) Ich habe ihn zu deinen Jüngern gebracht, doch sie konnten ihn nicht heilen.« (17) Da antwortete Jesus und sagte: »O du ungläubige und verkehrte Generation, bis wann soll ich bei euch bleiben? Wie lange soll ich euch ertragen? Bringt ihn her zu mir!« (18) Und Jesus bedrohte ihn, und der Dämon fuhr aus ihm aus und der Junge wurde von dieser Stunde an gesund. (19) Darauf kamen die Jünger zu ihm, als sie allein waren, und sagten: »Warum konnten wir ihn nicht austreiben?« (20) Er sagt ihnen: »Wegen eures geringen Glaubens; denn wahrlich, ich sage euch: Wenn ihr Glauben habt wie ein Senfkorn, werdet ihr zu diesem Berg sagen: ›Geh von hier nach dort hinüber!‹, und er wird hinübergehen, und nichts wird euch unmöglich sein.« (21) (»Aber diese Art fährt nicht aus, außer durch Beten und Fasten.«)
Sprachlich-narratologische Analyse Die Erzählung besteht aus einer Exposition (17,14-16), der Heilung (17,17 f.) und der Diskussion mit den Jüngern (17,19 f.), wobei der Schlussvers (V. 20) der Gipfelpunkt ist. Er ist nicht von Markus übernommen, sondern von Matthäus eingefügt (Luz 2001, 405). Vers 21 findet sich nicht in den ältesten Handschriften. Es liegt deshalb nahe, dass er nachträglich von der Markusparallele aus eingetragen wurde, um die Texte zu harmonisieren. Der Kontext der Erzählung ist von entscheidender Bedeutung. Die Erzählung findet sich unmittelbar nach Jesu Rückkehr von dem Berg, auf dem die Verklärung stattgefunden hat und Jesus von Gott vor Petrus, Jakobus und Johannes als sein Sohn benannt wurde (17,1-8). Bei dem Abstieg erfolgt eine Diskussion mit den Jüngern über das Kommen des Elija (17,9-13). Die Verbindung der Heilung mit diesen Perikopen wird durch das einleitende »und« in V. 14 deutlich. Jesus ist kaum wieder unter den Menschen, da wird er sofort mit der Bitte des besorgten Vaters konfrontiert. Es gibt keinen sanften Übergang von der Verherrlichung zum Alltag. Der Offenbarung Jesu als Sohn Gottes vor ausgewählten Jüngern wird auf menschlicher Ebene der Unglaube der zurückgebliebenen Jünger gegenübergestellt. Dass auch Petrus, Jakobus und Johannes von Jesus über Johannes den Täufer als wiedergekommener Elija aufgeklärt werden müssen, zeigt, dass sie keine größere Einsicht haben als die anderen Jünger. Auch hat Jesus ihnen verboten, vor seiner Auferstehung von der Verklärung zu erzählen. So sollte es eigentlich nicht überraschend sein, wenn die Jünger, die nicht an dieser Offenbarung Teil hatten, auch nur unvollkommen Jesu Werk erfüllen können. Die deutliche Frustration Jesu über den Unglauben der Anwesenden in seinem Ausruf in V. 17 ist überraschend. Vor dem Hintergrund der Offenbarung, die den drei auserwählten Jüngern und den Lesern zuteil ge474
Warum nicht gleich so? Mt 17,14-20(21)
worden ist, ist der Unglaube der Jünger somit Unwissen um Jesus. Das wird auch durch die unmittelbar auf die Heilung folgende zweite Leidensankündigung deutlich (17,2223), die zum einen zeigt, dass der Unglaube der Jünger sich nicht nur auf Gott erstreckt, sondern auf seinen Sohn, und zum anderen andeutet, dass dieser Unglaube an das Kreuz führt. Die gesamte Schilderung der Verklärung und der Fragen der Jünger nach Elija auf dem Rückweg, ihrer Unfähigkeit, Dämonen auszutreiben und ihre Trauer über die Ankündigung von Jesu Tod und Auferstehung zeigen, dass sie weder Jesu Herkunft, noch seine Bestimmung verstanden haben. Jesus zeigt in der Heilung des Jungen seine Macht über die Dämonen und gleichzeitig stellt er durch die Leidensankündigung diese Macht unter das Vorzeichen des Kreuzes. So ist wahrer Glaube erst nach Jesu Auferstehung möglich, das zeigt sich auch schon in Jesu Ausruf in V. 17, wie lange er noch bleiben soll: Die »ungläubige und verkehrte Generation« ist primär auf die Jünger gerichtet, die zwar über Jesu Tod und Auferstehung belehrt worden sind (16,21), die wahre Bedeutung jedoch nicht verstanden haben (16,22 f.). Ihnen gegenüber haben die Leser einen hermeneutischen Vorsprung, was die Deutung Jesu angeht. Der drastische Ausruf Jesu über seine Gegenwart ist gleichzeitig ein Weckruf für die Gemeinde des Matthäusevangeliums, von diesem Wissensvorsprung Gebrauch zu machen. Die Erzählung beginnt mit »und«, was die Verbindung zu dem Abstieg vom Berg schafft. Die Verbindung zum Vorhergehenden wird dadurch verstärkt, dass in 17,9 der Beginn des Abstiegs mit Jesu Schweigegebot in paralleler Weise mit einer ähnlichen Partizipialkonstruktion (Genitivus absolutus) gebildet ist. Demgegenüber ist das Subjekt des Hauptsatzes in V. 14 der Vater des kranken Jungen. Jesus selbst wird erst namentlich in V. 17 genannt. So wird nicht nur durch den Ortswechsel – von der Abgelegenheit des Berges zur Menge im Tal –, sondern auch durch den Subjektswechsel mit der Einführung einer neuen Hauptperson eine Zäsur geschaffen. Es geht hier anfangs nicht um Jesus oder Gott, sondern der Vater mit seinem kranken Jungen steht zunächst im Mittelpunkt. Die Erzählung wird von der Bitte des Mannes geprägt, auch wenn der Vater als der Bittsteller nach Ende der Bitte in 17,16 nicht noch einmal erwähnt wird, und auch der Sohn nach seiner Heilung in V. 18 gänzlich vergessen ist. Bezeichnend ist die Frage der Jünger in V. 19, warum sie den Dämon nicht austreiben konnten, die das Problem ohne Blick auf den leidenden Jungen formuliert. Demgegenüber beschreibt der Vater die Lage seines Sohnes ohne Rückgriff auf dämonische Mächte, allein im Blick auf die Belastung und die Gefahr, die die Krankheit für den Jungen darstellt. Im Gegensatz zu der Vorlage der Erzählung in Mk 9,14-29, in der die gesamte Erzählung von der Beschreibung des Problems bis zur Heilung ein klassischer Exorzismus ist, schildert der Vater bei Matthäus den Anfangsbefund ohne Rückgriff auf Dämonenglauben: Er verweist auf die Anfälle, nicht auf ihre Ursache. Das Verb selhni€zomai (sele¯niazomai – mondsüchtig sein) hat im Griechischen keinen direkten Bezug auf Besessenheit, sondern beschreibt die Anfälle eher aus der Sicht ihrer Regelmäßigkeit. So bietet die erste Ausrichtung der Erzählung keine Hinweise auf einen Dämonenkampf, sondern eine medizinische Diagnose. Matthäus trennt sich nicht vollständig von seiner Vorlage, denn die Beschreibung der Heilung folgt dem Muster von Exorzismen: In V. 18 erfolgt wie selbstverständlich die Heilung durch die Austreibung eines Dämons, doch bleibt der Dämon hier im Gegensatz zu anderen Exorzismen, die mit Geschrei und lautstarken Äußerungen der Dämonen verbunden sind, wortlos. Jedoch wird dies auch im Gegensatz zu Mk 9,17.25 nicht eigens betont. 475
Die Wundererzählungen im Matthäusevangelium
Der kranke Junge ist, abgesehen von der Beschreibung seiner Krankheit (17,15 f.), nie Subjekt eines Satzes, sondern immer Objekt des Wirkens der anderen: Jesus verlangt, ihn herzubringen (17,17), er bedroht »ihn«, wobei erst im zweiten Teil des Verses deutlich wird, dass es sich nicht um den Jungen, sondern um den Dämon handelt, da sich das Personalpronomen sowohl auf den Jungen als auch auf den Dämon beziehen kann und der Dämon vor der »Bedrohung« nirgends erwähnt worden ist (17,18). Mit der Bemerkung, dass der Junge von da an gesund war, verschwindet er aus der Erzählung. Der Dämon wird in 17,19 noch einmal Objekt der Nachfrage der Jünger, tritt jedoch danach hinter die Diskussion um den Glauben der Jünger zurück. So überraschend er auftritt und so schnell er wieder verschwindet, ist der Dämon doch keine Nebenfigur. Die anschließende Diskussion mit den Jüngern kreist nicht darum, weshalb die Jünger das Kind nicht heilen, sondern weshalb sie den Dämon nicht austreiben konnten (17,19 f.). Das wird durch den in den späteren Textzeugen hinzugefügten V. 21 noch verstärkt, in dem noch einmal der Dämon Gegenstand der Worte Jesu ist. In der Erzählung sind somit eine Vielzahl von Akteuren miteinander verwoben und lösen einander ab: der Vater und sein Sohn mit ihrer medizinischen Notlage, die Jünger, die ihnen nicht helfen können, und der Dämon, der aller menschlichen Heilkunst trotzt. Dabei liegt die erzählerische Gewichtung eher auf der Seite der Jünger als auf der des Vaters oder des Jungen. Dennoch ist die einzige die ganze Erzählung durchgehend anwesende Person Jesus selbst: Er ist der Adressat der Bitte des Vaters und mit seinen Worten endet die Diskussion mit den Jüngern. Es zeigt sich schon sprachlich im Aufbau der Erzählung, dass die Glaubensproblematik um ihn kreist und in ihm wurzelt. Es geht hier nicht nur um ein Aufzeigen der Macht Gottes, sondern um die Möglichkeiten des Glaubens. So ist die Erzählung keine ›klassische‹ Wundererzählung. Im Gegensatz zu dem Grundmuster der Wundererzählung wird hier weder Staunen noch Irritation der Zeugen berichtet, sondern die Irritation Jesu über den Unglauben der Jünger (17,17), ein Kontrast zu seinem Staunen über den Glauben des Hauptmanns, noch bevor dessen Sohn geheilt wurde (Mt 8,10). Anstelle eines zu erwartenden Schlusses über die Wirkung der Heilung auf die Betroffenen oder Zuschauer springt die Erzählung in 17,18 sofort in die Diskussion über die Unfähigkeit der Jünger, den Jungen zu heilen. Die Verwunderung besteht nicht darüber, dass Jesus den Dämon austreiben kann, sondern dass die Jünger es nicht konnten. Die Erzählung hat nicht das Zeugnis über Jesus zum Ziel – das wird vorausgesetzt (so sind die Jünger schon in Mt 10,5-8 zur Verkündigung und zum Heilen ausgesandt worden). Die Erzählung bezweckt, bei den Lesern die Erwartung hervorzurufen, dass solche Taten dem Glaubenden möglich und selbstverständlich sind. Dass dieser Anspruch den Lesern ein Problem war, zeigt sich daran, dass 17,21 von späteren Textzeugen eingefügt wurde, um den Grund für die Unfähigkeit der Jünger anzugeben. Ursprünglich endet die Erzählung mit der Betonung der Macht des Glaubens. Die Spannung, die durch die Unfähigkeit der Jünger zu heilen aufgebaut wird, muss von den Lesern selbst in ihrem Leben durch Erfüllung der Worte Jesu aufgelöst werden, an ihnen vollzieht sich die wahre Heilung. Im Text selbst bleibt die Spannung bestehen, indem er nicht mit dem in einer Wundererzählung zu erwartenden Chorschluss, sondern mit dem Spruch vom Senfkorn endet (17,20), einer Variante vom Gleichnis vom Senfkorn. Der Wechsel in der Form wird durch den Gebrauch des historischen Präsens zur Einleitung des Spruches vom Berge versetzenden Glaubens noch einmal betont. Dass es um eine 476
Warum nicht gleich so? Mt 17,14-20(21)
Lehre über den Glauben und nicht um eine Beschreibung einer wundersamen Heilung geht, zeigt sich auch daran, dass die »Erzählung« größtenteils aus direkter Rede besteht. Die Lesererwartung wird durch das Oszillieren der Erzählung zwischen Wunder und Gleichnis in eine neue Richtung gelenkt. Wie in einem Gleichnis wird der Leser schon zu Beginn der Erzählung mit einem alltäglichen Geschehen – einem kranken Jungen – konfrontiert. Die Heilung in Form eines Exorzismus bricht mit der erstellten Erwartung und stellt die Krankheit des Jungen in einen unvorhergesehenen Zusammenhang, den von Glaube und Unglaube, göttlichen und widergöttlichen Mächten. Die Erzählung beschreibt die Heilung nicht aus der Perspektive des Unglaubens, sondern des Glaubens, und die Verwunderung resultiert nicht aus Zweifel an Jesu Vollmacht, sondern aus Überraschung über den Mangel an Glauben bei den Jüngern. Das Problem des Jungen, durch den Exorzismus als dämonischen Ursprungs erwiesen, ist zwar grundsätzlich schwerwiegender als die vom Vater gegebene Beschreibung einer einfachen Krankheit erwarten lässt, aber die Erzählung gibt nicht nur eine Lösung durch den Exorzismus Jesu, sondern eröffnet die Erwartung, dass nicht nur Jesus selbst diese Heilung vollbringen kann, sondern dass jeder wahrhaft Glaubende die Macht hat, dieselbe Wirkung hervorzurufen. So geht es in der Erzählung nicht um Jesu Vollmacht, Wunder zu vollbringen, sondern um die Macht der Glaubenden. Der Verzicht auf die Beschreibung des Krankheitsverlaufs über Begriffe der Besessenheit führt somit dazu, dass die glaubende Gemeinde in alltäglichen Problemen das Wirken widergöttlicher Mächte wahrnehmen und über ihren Glauben an die Macht Gottes in Jesus bekämpfen kann. Es ist möglich, dass die nicht-dämonische Beschreibung der Krankheit auch eine Erklärung für die Unfähigkeit der Jünger zu heilen ist. Narrativ würden so die Leser zu der Erkenntnis des dämonischen Ursprungs der Krankheit geführt, eine Erklärung, die den Jüngern bei ihrem Heilungsversuch nicht zur Verfügung stand. Demnach wäre der Unglaube der Jünger nicht nur bezogen auf Jesus, sondern Unverständnis des wahren Hintergrundes der Krankheit in ähnlicher Weise, wie den am Fuß des Berges gebliebenen Jüngern das Verständnis des vollen Ausmaßes der Bedeutung von Leben, Tod und Auferstehung fehlt. Das Ergebnis des fehlenden Wissens ist der ›Kleinglaube‹ der Jünger, eine besondere Vorstellung bei Matthäus für eine Haltung (stets bezogen auf die Jünger), die an der Oberfläche haften bleibt, die wahren Zusammenhänge nicht erkennt und durch mangelndes Vertrauen auf Jesus scheitert (8,23-27: Stillung des Sturms; 14,22-33: Petrus zweifelt und versinkt im Wasser; 16,5-12: die Jünger missverstehen den »Sauerteig der Pharisäer«). Die Leser erhalten so zusätzliche Information zur Interpretation göttlichen und widergöttlichen Wirkens in ihrer eigenen Welt.
Sozial- und realgeschichtlicher Kontext Matthäus schildert die Symptome der Krankheit zunächst ohne Verweis auf dämonische Besessenheit, und bis Jesus den Dämon austreibt, bleibt das Problem ein medizinisches. Der Begriff »mondsüchtig sein« ist in der Antike der Begriff für Epilepsie, da er nach antiker Vorstellung auf die Zeiträume zwischen den Anfällen verweist. So erwähnen Galen (dieb. decr. 9,903) und Lukian, dass die Episoden bei zunehmendem Mond auftreten. (Von einer Frau, die keine Heiratschancen hat, heißt es: »Denn zu ihrem fatalen Äußeren kam noch, daß sie, wie es hieß, mit zunehmendem Mond gewöhnlich schlimme Anfälle 477
Die Wundererzählungen im Matthäusevangelium
bekam«, Luc. tox. 24). Epilepsie wurde in der Antike von einigen Ärzten, wie Hippokrates, auf natürliche Ursachen zurückgeführt (morb. sac. 1), im Volksglauben jedoch als Zeichen dämonischer Besessenheit gesehen (Hengel/Hengel 1959, 350-352). Das soll nicht heißen, dass Matthäus im Rahmen von rationalistischen Krankheitsdeutungen argumentiert, sondern die profane Beschreibung der Krankheit, verbunden mit der Zweideutigkeit in der antiken Diagnose der Epilepsie, bereitet das Missverständnis und den ›Kleinglauben‹ der Jünger vor. So liegt der Grund dafür, dass die Jünger nicht in der Lage sind, den Jungen unter diesen Umständen zu heilen, darin, dass sie die wahre Ursache der Krankheit nicht erkennen. Sie gehen das Problem als Krankheit an und versagen als Ärzte. Diese Auslegung greift zudem eine weitere antike Überzeugung auf, denn die Vorstellung von der Unfähigkeit der Ärzte war weit verbreitet. Das Wort vom Arzt, der sich selbst helfen soll (Lk 4,23), ist kein Einzelfall. Im Judentum gibt es zahlreiche Hinweise auf eine tief liegende Skepsis gegenüber den Fähigkeiten der Ärzte, Menschen zu helfen. Schon im alten Israel wurde dem König Asa vorgeworfen, dass er Hilfe für seine erkrankten Füße nicht von Gott, sondern von den Ärzten gesucht hatte (2Chr 16,12). Diese Haltung hält sich bis in spätere Zeiten. So bemerkt Tobias Vater (Tob 2,10), dass auch die Ärzte nichts gegen sein Augenleiden ausrichten konnten. Auch Sirach (10,10; 38,115) hält zwar die Ärzte für notwendig, jedoch nur für wirksam im Rahmen der Macht Gottes. Selbst der welterfahrene Philo stellt die Macht Gottes zur Heilung der Unfähigkeit der Ärzte gegenüber. Er kritisiert die, »die sich in beide Richtungen wenden«: »Da sie nie fest auf den rettenden Gott vertrauen, fliehen sie zuerst zu den Hilfsmitteln, die die geschaffenen Dinge geben: Ärzte, Kräuter, Heilmischungen, strenge Diäten, und all die anderen Hilfsmittel, die von der sterblichen Art benutzt werden« (sacr. 70). Auch von der blutflüssigen Frau in Mk 5,26 heißt es, sie habe viel zu leiden gehabt von den Ärzten und dabei ihr ganzes Vermögen verloren. Aufgrund von Unkenntnis der Anatomie und Krankheitsursachen war der Ärztestand in der Antike meist machtlos und hat zu der Verbreitung der Überzeugung geführt, dass zum einen viele Krankheiten durch Dämonen verursacht würden, zum anderen die Heilung durch Gott erfolge (Hengel/Hengel 1959, 331-339). Dementsprechend wäre die matthäische Darstellung der Heilung ein weiterer Beleg dieser Überzeugung, dass die wahre Heilung nicht über medizinisches Können, sondern nur über die Macht Gottes erfolgen kann. Ein alltägliches Krankheitsbild wird über Rekurs auf widergöttliche Mächte interpretiert und die Heilung entsprechend nicht auf irdischer, sondern auf himmlischer Ebene gesucht. Die Verbindung von Dämonen und Epilepsie ist auch in bGit 70a belegt. Dort findet sich die Überzeugung, dass Dämonen, die auf dem Abort lauern, einen Menschen noch eine halbe Meile weit begleiten können und bei zu frühem sexuellen Verkehr dafür sorgen können, dass Kinder mit Epilepsie geboren werden (Chilton/Bock/Gurtner 2010, 276). Hier wird ausdrücklich eine Verbindung zwischen Besessenheit und den Symptomen von Epilepsie hergestellt. Auch zeigt sich, dass die Schuld für diese Not nicht notwendigerweise bei den Kindern gesucht wird, sondern in der Unachtsamkeit der Eltern. Eine ähnliche Vorstellung steht mit großer Wahrscheinlichkeit hinter der Markuserzählung mit ihrem Verweis auf den Glauben des Vaters, jedoch wird eine Schuld des Vaters bei Matthäus gänzlich ausgeblendet. Die Heilung beruht ausschließlich auf dem Glauben dessen, der heilt.
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Warum nicht gleich so? Mt 17,14-20(21)
Traditions- und religionsgeschichtlicher Hintergrund Die Erzählung verbindet eine Vielzahl von Motiven und Traditionen. Im narrativen Kontext mit der Verklärung eröffnet das Thema des Unglaubens der am Fuß des Berges Gebliebenen einen Bezug auf die Rückkehr Moses vom Berg nach seiner Begegnung mit Gott und der Übergabe der Gebote (Ex 32). Mose findet die Israeliten beim Götzendienst des goldenen Kalbs vor, Jesus muss feststellen, dass die zurückgebliebenen Jünger nicht genug Glauben haben, um einen Dämon auszutreiben. Bei beiden haben die von Gott Erwählten versagt. In beiden Erzählungen folgt auf die Feststellung des Versagens ein Wutausbruch des Mittlers. Doch Gott verstößt bei beiden die Seinen nicht. Die Erwartung ist, dass im Gegensatz zu denen, die am Fuß des Berges zurückgeblieben sind, das Gottesvolk (Israel in Ex, die Gemeinde im Mt) aufgrund der von dem jeweiligen Mittler überbrachten Lehre (Mose oder Jesus) in der Lage ist, Gott die Treue zu halten. Aufgrund dieser Einsicht wird bei Matthäus die glaubende Gemeinde Teil der Sendung Jesu, die die Gottesherrschaft bringt, indem sie sich nicht von dem äußeren Anschein beirren lässt, sondern die wahren Ursachen widergöttlicher Ereignisse wahrnimmt und durch die Stärke ihres Glaubens die Macht der Dämonen beendet (vgl. Poplutz, Dämonen in diesem Band). Der Änderung in der Ausrichtung der Erzählung vom Glauben der Angefochtenen in der markinischen Vorlage (Mk 9,14-29) zum Glauben der Heilenden bei Matthäus entspricht die Einfügung des Wortes vom Glauben, der Berge versetzt, das nicht in der markinischen Vorlage enthalten ist. Das Bild vom Berge Ebnen, Ausreißen oder Wegschaffen durch die Macht Gottes kommt in verschiedenen jüdischen Traditionen vor, so in Jes 40,3-5; 49,11; Sach 14,10 (vgl. Jes 54,10). Das Gottesgericht lässt Berge wie beim Dreschen zerkleinert werden (Jes 41,15) oder vor dem Zorn Gottes erzittern (Jes 5,25). In unterschiedlichen Anwendungen dient das Bild bei den Rabbinen dazu, etwas gänzlich Unmögliches auszudrücken (Billerbeck 1926a, 759), so dass sich für Matthäus die Bedeutung ergibt, dass der Glaube das scheinbar Unmögliche schafft (Luz 2001, 409). Jes 40,3-5 gibt dem Spruch bei Matthäus jedoch noch eine präzisere Ausrichtung: Für Gott sollen Berge geebnet und Täler erhöht werden, damit er aus dem Exil zurückkehren kann. Vor diesem Hintergrund geht es bei dem Versetzen der Berge durch den Glauben nicht um eine willkürliche Machtdemonstration, sondern um die Beseitigung von Widerständen gegen die Ankunft Gottes. Das Wort vom Glauben »wie ein Senfkorn« in 17,20 ist ein Bildwort, das die Größe des Senfkorns in ähnlicher Weise zum Beispiel nimmt, wie das Gleichnis vom Senfkorn (Mt 13,31 f.). Das Gleichnis betont, dass das Senfkorn »das kleinste unter den Samenkörnern« ist, das dennoch zu einem Baum wird, in dem Vögel nisten, es weist somit auf das Wachstumspotential des Korns hin (Gäbel 2007, 333). Demgegenüber bleibt in 17,20 die Größe des Korns der entscheidende Vergleichspunkt: Selbst ein so kleiner Glaube hat die Macht, Berge zu versetzen. Im Erzählungskontext bietet dieses Wort einen Kontrast mit dem Mangel an Glauben bei den Jüngern, die noch nicht einmal einen Dämon austreiben können. Doch der Schwerpunkt liegt auf dem Aspekt der Möglichkeit, nicht der Unfähigkeit: Die Erwartung ist, dass es diesen wirkmächtigen Glauben gibt. Die medizinische Beschreibung der Krankheit in Mt 17,14-20 gegenüber der übernatürlichen Art der Heilung erlaubt es, alltägliche Ereignisse als Wirkungen höherer Mächte wahrzunehmen. Der Glaube ist ein Grundmotiv der Wundererzählungen, nicht 479
Die Wundererzählungen im Matthäusevangelium
nur in den neutestamentlichen Texten, sondern auch in der heidnischen Antike: Es geht dabei um die Frage, ob man Wunder für möglich hält. So erwähnt Cleomedes in Lukians Philopseudes (2. Jh. n. Chr.), dass er früher Wunder für gänzlich unmöglich hielt, dann jedoch durch die eigene Wahrnehmung eines Besseren belehrt wurde (vgl. Luc. philops. 13). In demselben Kontext betont Tychiades auf den Vorwurf, seine Skepsis gegenüber Wundern sei ein Zeichen von Unglauben an die Götter (pisteÐein pisteuein – glauben), dass er die Götter sehr wohl ehre (sffbein sebein – verehren), dass jedoch ihre Heilungen durch Ärzte und Medizin geschähen (Theißen 1998, 133-135). So befindet sich die Wunderdarstellung des Matthäus mit ihrer oszillierenden Darstellung der Heilung vor dem Hintergrund einer antiken Debatte um die Hintergründe von Krankheit und Heilung. Vor dem paganen Hintergrund resultiert der Glaube aus dem Wunder. Dadurch, dass man das Wunder sieht, kommt man zu der Überzeugung, dass wundersame Dinge möglich sind. Bei Matthäus ist der Glaube der Jünger Voraussetzung für das Wunder. Dennoch führt auch das erfolgreiche Wunder Jesu dazu, dass die Leser an die Möglichkeit der Wunderheilung glauben, um dann ihrerseits die Macht zu erhalten, Berge zu versetzen. So spielt die Erzählung mit den Lesererwartungen und bezieht die Leser konkret in die Erzählung mit ein. Der vollständige Abschluss des Wunders geschieht erst durch die Ermächtigung der Leser. Somit deutet Matthäus den Glaubensbegriff aus dem markinischen Original um: Die markinische Frage nach dem Glauben des Vaters des Kranken stellt er in den antiken Kontext der Frage nach dem Glauben der Zeugen und der grundsätzlichen Frage, inwieweit man auf die Macht Jesu vertraut (Theißen 1998, 140), insbesondere ob man den Jüngern diese Tat zutraut. Aufgrund des Gegensatzes von Misserfolg der Jünger und Erfolg Jesu sollen dann die Glaubenden dazu befähigt werden, selbst Wunder zu vollbringen. In diesem Zusammenhang ist die fehlende Akklamation eine Öffnung des Horizonts dieser Erzählung auf die Leser hin, denn schon in den nichtchristlichen Aretalogien gehört die Akklamation dem mündlichen Rahmen an (Theißen 1998, 154-174). So verschiebt sich der Schwerpunkt von der Frage nach der Vollmacht Jesu zum Vollbringen von Wundern auf die nach der Vollmacht der Leser.
Verstehensangebote und Deutungshorizonte Eine historisierende Deutung hat im Blick auf die deutlichen Änderungen der markinischen Vorlage wenig Sinn (gegen Sterling 1993, 492 f.). Es geht hier nicht um die Beschreibung eines historischen Ereignisses. Die Erzählung hat kein großes Interesse daran aufzuzeigen, dass Jesus Wunder vollbringen kann. Dieser Schluss wird als gegeben vorausgesetzt, insbesondere im Kontext der Verklärung. Das Interesse richtet sich vielmehr auf die Jünger und dann wiederum auf die, die ihnen nachfolgen. Gleichzeitig ergibt sich eine anti-rationalistische Auslegung in Polemik gegenüber antiken Rationalisierungsversuchen von Wundern. Dem Versuch, Exorzismen als Heilungen durch die Macht der Medizin zu deuten, wird hier eine Deutung entgegengestellt, die über die Vorstellung des ›Kleinglaubens‹ die Unfähigkeit und Oberflächlichkeit einer rein rationalen Weltsicht aufzeigt, die nicht auch den Menschen in seinem Gesamtzusammenhang zwischen Himmel und Erde wahrnimmt. Dass Jesus den Dämon austreibt, obwohl zuvor nie von einer Besessenheit die Rede war, zeigt auf, dass die Krank480
Warum nicht gleich so? Mt 17,14-20(21)
heitssymptome des Menschen nicht nur die physische, sondern ganzheitlich die psychische und metaphysische Ebene betreffen. Auch wenn heutzutage die dämonische Deutung von Krankheiten in der westlichen Welt nur selten noch Zustimmung findet, ist die moderne Konfrontation zwischen »Apparatemedizin« und ganzheitlichen Ansätzen eine aktuelle Parallele des antiken Konflikts. Dennoch ginge eine einseitige Identifizierung mit moderner Medizin und ganzheitlicher Therapie an der Aussageabsicht des Textes vorbei, die sich ganz auf die Macht des Glaubens an Jesus richtet. Diese Betonung der heilenden Macht des Glaubens ist eine Überzeugung, die gerade heute im westlichen Christentum auf Widerstand stößt im Blick auf die Erfahrung, dass der Glaube bei vielen Krankheiten eben nicht hilft. Hier wird man die Erzählung in ihrer Fremdheit wahrnehmen und anerkennen müssen, dass die frühchristlichen Gemeinden wohl Heilungen praktizierten (Wohlers 2001, 49 f.). Gleichzeitig ist nach antiker Vorstellung jedoch das dämonische Wirken nicht nur auf Krankheiten beschränkt. Dämonen schränken menschliches Leben auf allen Ebenen ein: Von physischer und psychischer Gesundheit, über soziale Kontakte bis zum religiösen Verhältnis zu Gott wirken sie schädigend. Die Symptome sind auch den modernen Menschen bekannt, und eine ganzheitliche Überwindung dieses Einflusses durch den Glauben an Gott lässt sich auch dem modernen Menschen plausibel machen. Formgeschichtlich zeigt die Erzählung, wie schon dargestellt, Grundzüge der Wundererzählung in der Beschreibung der Not, der Bitte um Hilfe und der Austreibung des Dämons mit der Beschreibung des Erfolgs der Heilung. Die Wunderbeschreibung selbst nimmt die Mitte zwischen Therapie und Exorzismus ein (Theißen 1998, 94-102). Während die Schilderung der Notlage einer Therapie entspricht, stellt die Beschreibung der Austreibung einen deutlichen Exorzismus mit Bedrohung und Vertreibung des Dämons dar, auch wenn ein ausdrückliches Gespräch zwischen Jesus und dem Dämon fehlt. Ähnlich kurz ist die matthäische Version der Geschichte vom Besessenen in Gadara (8,2834), was darauf schließen lassen könnte, dass Matthäus magischen und exorzistischen Elementen kritisch gegenübersteht (Luz 2001, 407). Jedoch bleibt die dämonische Erklärung der Krankheit bestehen, wird in gewisser Weise durch die Plötzlichkeit der Einführung des Dämons noch betont. So scheint der Dämon für Matthäus eher selbstverständlich zu sein (zu Dämonen im Matthäusevangelium s. o. Einleitung); in jedem Fall ist er keine Hauptperson, und seine Überwindung bildet nicht der Hauptgegenstand der Erzählung, sondern das Wunder mündet in die Verkündigung durch Bildrede. Die Betonung des Ausrufes Jesu und die Diskussion mit den Jüngern stellen die Wundertat Jesu in den Kontext der Gemeindepredigt und eröffnen die Möglichkeit einer theologisch-kerygmatischen Auslegung. In das Grundraster der Wundererzählung ist eine Diskussion mit den Jüngern eingewoben, die mit Jesu Ausruf über das nutzlose Geschlecht beginnt und mit dem Wort vom Senfkorn-Glauben, der Berge versetzt, endet. Somit oszilliert die Aussage der Erzählung zwischen Vorwurf an die Jünger und Aufmunterung der Leser zum wirkmächtigen Glauben. Es ist deutlich, dass der Erzähler erwartet, dass eine solche Glaubenswirkung in seiner Gemeinde möglich ist, jedoch ist anzunehmen, dass auch die Machtlosigkeit der Jünger Erfahrungen der Gemeinde widerspiegelt (Murphy/O’Connor 1968, 14 f.). Insofern spricht die Erzählung ein sehr modernes Problem an: die Frage, in welcher Weise sich der Glaube niederschlägt. Die Auslegung lässt sich jedoch nicht auf die Alternative von charismatischem und rationalistischem Glauben beschränken. Durch eine Betonung des Vorwurfs an einen nicht-charismatischen Glauben werden die Möglichkeiten verschenkt, die in dem aufmunternden Ende liegen. 481
Die Wundererzählungen im Matthäusevangelium
Die Auslegung der Perikope kann auf keinen Fall behaupten, dass alle Glaubenden heilen können müssen, oder sie haben keinen wahren Glauben. Jesu Bild vom Berge versetzen ist kein medizinisches Bild, sondern öffnet den Blick der Glaubenden auf die Möglichkeiten der Macht Gottes. Das Bild vom Berge versetzenden Glauben zeigt nicht nur die überwältigende Macht des Glaubens, es ist auch nicht ein Beispiel für eine verschwenderische, sinnlose Machtdemonstration. Im Zusammenhang des Jesajaworts vom Berge ebnen für die Ankunft Gottes (Jes 40,4) bekommt die Dämonenaustreibung eine offenere Ausrichtung. Vor der Macht des Schöpfers gibt es kein Hindernis. So ist das Wort Jesu wohl auch auf die Überwindung jeder widergöttlichen Macht hin zu denken. Die Erzählung betont, dass der Glaube wirksam sein muss, jedoch gibt sie nicht unbedingt vor, in welcher Weise das geschehen muss. Grundsätzlich geht es darum, mit welchem Selbstvertrauen die Glaubenden auftreten. Das Vertrauen auf Christus befähigt dazu, sein Werk fortzusetzen und in der Welt die machtvolle Gegenwart Gottes zu repräsentieren. Wichtig ist, dass der Glaube für die Menschen zur Besserung wirkt, nicht dass er sich unbedingt in rituellen Exorzismen zeigt. Die Dämonen der Neuzeit sind vielseitig und lassen sich nicht abschließend definieren. Jede Liste zeugt eher von dem Standpunkt dessen, der sie erstellt, als dass sie Allgemeingültigkeit beanspruchen könnte. Beispiele erstrecken sich jedoch von Globalisierungsfolgen, Ausbeutung aller Art bis zu der Rolle der Frau oder der Kinder, von Vereinsamung, Zukunftsangst bis zu Hoffnungslosigkeit, von Fundamentalismus jeden Ursprungs bis zu den speziell religiösen Formen der Besessenheit, die andere Glaubensformen verteufeln. So ist die Neuzeit nicht ärmer an ›Dämonen‹ als die Antike. Die Erzählung fordert zu einem selbstbewussten Stand gegen jede Art von widergöttlicher Macht auf, die den Menschen in seinem Verhältnis zu sich selbst, seinen Mitmenschen und zu Gott einschränkt. Im Kontext der Verherrlichung Jesu, der Verweise auf Kreuz und Auferstehung in Jesu Ausruf in 17,17 und der auf die Perikope folgenden Leidensankündigung ist die wahre Dämonenaustreibung in der Überwindung des Unglaubens und Zweifels zu suchen: Der Bruch zwischen dem ersten Teil der Erzählung mit der Bitte des Vaters, in der mit Vater und Sohn die notleidende Welt im Mittelpunkt steht, und der Schlussdiskussion Jesu mit den Jüngern wird über den Ausruf in V. 17 überbrückt, der sich nicht nur an die Jünger, sondern auch an die Leser der Erzählung richtet. Die Perikope besteht größtenteils aus direkter Rede mit ständig wechselnden Gegenübern, die wahre Heilung erfahren die Leser, da sie mit Jesus zusammen die einzige Konstante in der Erzählung sind. So ist Jesu Ausruf über den Unglauben der Generation in seiner Unverbundenheit mit dem narrativen Kontext nicht nur als Einbeziehung der Leser, sondern als Anrede der Leser und Bedrohung des Dämons des Unglaubens in den Lesern selbst zu sehen. Es ist in diesem Zusammenhang kein Zufall, dass dieser bedrohende Ausruf in der Frage, wie lange Jesus noch bei der »ungläubigen Generation« bleiben soll, auf der narrativen Ebene auf das Kreuz anspielt. Der wahre Exorzismus geschieht an den Lesern, die Jesu gesamtes Leben, Tod und Auferstehung vor Augen haben. Die Heilung zeigt sich dann, indem die Leser selbst befähigt werden, durch ihren Glauben Berge zu versetzen.
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Aspekte der Parallelüberlieferung und Wirkungsgeschichte Die Erzählung bei Matthäus basiert in ihren Grundzügen wie auch in der Verortung im narrativen Ablauf des Evangeliums nach der Verklärung auf der Heilung des besessenen Jungen in Mk 9,14-29 (vgl. Leutzsch zu Mk 9,14-29 in diesem Band), doch hat Matthäus seine Vorlage deutlich überarbeitet. Im Markusevangelium werden die Symptome des Jungen eindeutig als Besessenheit beschrieben. Hier ist die Hauptausrichtung der Erzählung die Austreibung eines Dämons. Matthäus vermeidet zu Beginn diese Begrifflichkeit ganz, auch wenn er grundsätzlich Symptome übernimmt (die Krankheit schüttelt den Jungen und wirft ihn in Feuer und Wasser). Jedoch lässt Matthäus die markinische Einleitung (Mk 9,14-17a) weg und übernimmt von 9,20-25a nur die Symptome aus 9,22; auch werden die Symptome bei Matthäus gebündelt in einer einzigen Rede des Vaters geschildert. Die Heilung aus Mk 9,25b-27 ist auch deutlich gekürzt (Luz 2001, 405), die Beschreibung des Exorzismus ist weniger ausführlich und erfolgt ohne wörtliche Anrede des Dämons. Umso auffallender ist die Beibehaltung des Ausrufs Jesu über die ungläubige Generation, der Jesu einzige wörtliche Reaktion auf die Bitte des Vaters und die Feststellung des Fehlschlags der Jünger bleibt. Die Frage nach dem Glauben des Vaters (»Ich glaube, hilf meinem Unglauben«, Mk 9,23 f.) mit ihrer Anerkennung des Zweifels in allem Glauben wird von Matthäus gänzlich weggelassen und das Hauptaugenmerk auf den mangelnden Glauben der Jünger gerichtet, denn ein solcher Ausruf erscheint im Kontext des Matthäus zu sehr als Zeichen eines zu schwachen Glaubens. Der Blick wendet sich vom Glauben derer, die Hilfe brauchen, zu dem der glaubenden Gemeinde. Die Wundererzählung findet sich auch bei Lukas: Lk 9,37-43a (37) Es geschah aber, nachdem sie am nächsten Tag von dem Berg heruntergekommen waren, kam ihnen eine große Menschenmenge entgegen. (38) Und siehe, ein Mann aus der Menge rief: »Meister, ich bitte dich, nach meinen Sohn zu sehen, denn er ist mein einziger Sohn, (39) und siehe ein Geist packt ihn und er schreit plötzlich auf und reißt ihn hin und her mit Schaum und lässt kaum von ihm ab, wobei er ihn aufreibt. (40) Und ich habe deine Jünger gebeten, dass sie ihn austreiben sollten, und sie konnten es nicht.« (41) Jesus antwortete und sprach: »O du ungläubige und verkehrte Generation, bis wann werde ich bei euch bleiben und euch ertragen? Bringe deinen Sohn hierher.« (42) Und als er zu ihm kam, riss ihn der Dämon und zerrte ihn. Aber Jesus bedrohte den unreinen Geist und heilte den Jungen und gab ihn seinem Vater wieder. (43) Aber alle waren überwältigt von der Größe Gottes. Lukas lässt etwa dieselben Teile der Markusperikope (Mk 9,14-29) weg wie Matthäus, gibt jedoch dem Wunder eine andere Ausrichtung: auf die Heilung durch das Wort Jesu. Insbesondere die markinische Diskussion über den Glauben des Vaters fehlt bei beiden. Das könnte durch unabhängige Redaktionsarbeit der beiden verursacht sein, jedoch sind die Übereinstimmungen dafür zu detailliert und zahlreich, so dass die Erklärung für das Fehlen entweder in einer älteren (eventuell mündlichen) Version von Markus oder einer kürzeren, vereinfachten deuteromarkinischen Rezension liegt (Luz 2001, 405-407). Im Unterschied zu Matthäus wird der Dämon von Anfang an eingeführt, und im Gegensatz zu Markus (und auch Matthäus) ist er nicht stumm, sondern führt dazu, dass der Junge 483
Die Wundererzählungen im Matthäusevangelium
aufschreit. Lukas hat auch einen Chorschluss, in dem sich die Anwesenden von den Taten Jesu beeindruckt zeigen. So bietet Lukas eine klassische Wundererzählung. Bei ihm liegt der Schwerpunkt der Erzählung in dem Kontrast zwischen der Unfähigkeit der Jünger und der Macht Jesu. Im Gegensatz dazu liegt bei Matthäus der Gipfelpunkt in der Macht des Glaubens. Im Lauf der Interpretationsgeschichte steht die matthäische Version im Schatten der bewegenden Schilderung des Markus mit dem Ausruf des Vaters. Interesse zeigen die Kommentatoren lediglich am matthäischen Wort vom Senfkorn, das in der Rezeptionsgeschichte unterschiedlich aufgenommen wird: Augustin sieht den Schwerpunkt nicht auf der Größe, sondern in seinem scharfen Geschmack (Joh. tract. 40,8 = FC 88,131), doch wird das Senfkorn z. B. in Lk 17,6 als Beispiel für etwas, das sehr klein und doch wirkmächtig ist, gesehen (Luz 2001, 409).
Jutta Leonhardt-Balzer Literatur zum Weiterlesen H. Aichinger, Zur Traditionsgeschichte der Epileptiker-Perikope Mk 9,14-29 par Mt 17,14-21 par Lk 9,37-43a, SNTU.A 3 (1978), 114-143. J. Delorme, Signification d’un récit et comparaison synoptique (Marc 9,14-29 et parallèles), in: ders., Synoptic Gospels, Louvain 1993, 531-547. F. Hahn, Jesu Wort vom bergeversetzenden Glauben, in: ders., Studien zum Neuen Testament. Band I: Grundsatzfragen, Jesusforschung, Evangelien, hg. v. J. Frey/J. Schlegel, WUNT 191, Tübingen 2006, 305-325. [Erstveröffentlichung: ZNW 76 (1985), 149-169]. O. Printz, Quelques réflexions sur l’épilepsie à partir des récits de la guérison de l’enfant épileptique: Marc 9,14-29 et les récits parallèles de Matthieu 17,14-21 et Luc 9,37-43, RHPhR 82 (2002), 391-400. G. Sterling, Jesus as Exorcist. An Analysis of Matthew 17:14-20: Mark 9:14-29: Luke 9:37-43a, CBQ 55 (1993), 467-493. J. Zmijewski, Der Glaube und seine Macht. Eine traditionsgeschichtliche Untersuchung zu Mt 17,20; 21,21; Mk 11,23; Lk 17,6, in: ders./E. Nellessen (Hg.), Begegnung mit dem Wort, FS H. Zimmermann, BBB 53, Bonn 1980, 81-103.
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Steuersünder mit Angellizenz (Die Zahlung der Tempelsteuer) Mt 17,24-27 (EpAp 5,12 f.) (24) Als sie aber nach Kafarnaum hineingingen, traten die (Männer), die die Didrachmen einnehmen, an Petrus heran und fragten: »Euer Lehrer zahlt nicht die Didrachmen?« (25) Er sprach: »Doch.« Und als er in das Haus hineinging, kam ihm Jesus zuvor und sprach: »Was meinst du, Simon? Von wem nehmen die Könige der Erde Zölle oder Steuer? Von ihren Söhnen oder von den Fremden?« (26) Als er antwortete: »Von den Fremden«, sprach Jesus zu ihm: »Somit sind die Söhne frei. (27) Damit wir ihnen aber kein Ärgernis bieten, geh an den See, wirf den Fischhaken aus und den ersten Fisch, der heraufkommt, nimm heraus; und wenn du sein Maul öffnest, wirst du einen Stater finden. Diesen nimm und gib ihn ihnen für mich und dich.«
Sprachlich-narratologische Analyse Mt 17,24-27 ist in den Erzählkontext der umfassenden Makro-Erzählung des Wirkens Jesu in und um Galiläa (Mt 4,17-18,35) eingebunden, zugleich ist die Perikope deutlich durch sprachliche Indizien als in sich geschlossene Mikro-Erzählung markiert. Sie steht zwischen der zweiten Leidensankündigung (Mt 17,22 f.) und der Thematik des Standes der Jünger im Reich Gottes (Mt 18,1-5), die die ›Gemeinderede‹ (Kap 18) einleitet. Wie andere Texte des matthäischen Sondergutes, die Petrus eine zentrale Rolle als Sprecher des Jüngerkreises zukommen lassen (Mt 14,28-31; 15,15; 16,17-19; 18,21), situiert Matthäus die Perikope im Bereich der Kapitel 14-18 (vgl. Bauckham 1986, 226 f.). Der Aufenthaltsort in Galiläa (V. 22 f.) wird in V. 24 für die folgende kurze Szene auf Kafarnaum spezifiziert. 3En ¥keffln–h t–» ¯ra (en ekeine¯ te¯ ho¯ra – zu jener Stunde) in Mt 18,1 deutet auf Kontinuität hinsichtlich des lokalen wie temporalen Aspektes, indiziert aber zugleich die Einleitung der folgenden Szene. Die Erzählung gliedert sich in zwei Sequenzen (V. 24-25a; V. 25b-27). Beide eröffnen mit einer narrativen Einleitung paralleler Struktur: jeweils wird ¥lqntwn / ¥lqnta (elthonto¯n / elthonta – hineingehend) + e§@ (eis – in) + Verb im Aorist gefolgt von pr (pro – zu) + Subjekt + e pan / lffgwn (eipan / lego¯n – sagend) und jeweils einer Dialogfolge zwischen Petrus und einem Gegenüber (Davies/Allison 1991, 737). Mt 17,24-27 besteht – ausgenommen diese jeweils die Sequenzen einleitenden narrativen Elemente der heterodiegetisch-extradiegetischen Erzählinstanz – ausschließlich aus Rede und Gegenrede, in V. 24-25a zwischen Petrus und den Steuereintreibern, in V. 25c-27 zwischen Petrus und Jesus. Im Zentrum der story stehen die handelnden Hauptfiguren Jesus und Petrus, die keine explizite Charakterisierung erfahren, da sie aus dem Erzählkontext der Makro-Erzählung als bekannt vorausgesetzt werden. Die erste Sequenz in V. 24-25a führt in das setting der Perikope ein, d. h. sie lokalisiert die Szene in Kafarnaum, dem Wohnort der beiden Hauptfiguren Jesus und Petrus (vgl. Mt 4,13), sie führt eine der Hauptfiguren, Petrus, sowie die Hintergrundfiguren, die 485
Die Wundererzählungen im Matthäusevangelium
Steuereintreiber, ein und erschließt über einen kurzen Dialog zwischen den Figuren die zentrale Frage der Perikope, die Frage nach der Zahlung der Didrachmensteuer durch Jesus und seine Anhänger. Das setting verweist den Leser auf eine Institution des antiken Palästina, die den Konfliktpunkt der Perikope darstellt. Anhand des Dialogs (die negative Frage der Steuereintreiber; die positive Antwort des Petrus) werden bereits zwei Handlungsmöglichkeiten für die folgende Erzählung angelegt (negativ/positiv). In der zweiten Sequenz in V. 25b-27 wird der Dialog über die Zahlung der Steuer fortgesetzt, jedoch wechselt die Lokalität – die Szene spielt in einem Haus – und die zweite Hauptperson, Jesus, wird eingeführt. Der Einstieg in die themenbezogene Argumentation erfolgt über eine rhetorische Frage an Petrus, die zu einem z. T. auf impliziten Sinnlinien basierenden Gleichnis überleitet: Die explizite Reihung »König – lässt Steuern einziehen – Königssöhne sind frei« steht der impliziten »Gott – lässt Steuern einziehen – Kinder Gottes sind frei« gegenüber, die allein aus der Aussage in V. 26b erschlossen werden kann und die der Bildseite des Gleichnisses die Deutung zuführt. Die Argumentation gipfelt in dem Spitzensatz Jesu in V. 26b von der Freiheit der »Söhne«, der durch die Variation der Verben der Kommunikation sprachlich hervorgehoben wird – die Dialoge werden 5-mal durch lffgw (lego¯ – sagen) eingeleitet, in V. 26 variiert der Verfasser mit fhmffl (phe¯mi – sagen) und deutet die Klimax der dialogischen Argumentation an (vgl. dazu Davies/Allison 1991, 745). Dies legt eine Interpretation der Perikope im Hinblick auf eine religiöse Steuer nahe (vgl. dazu z. B. Flav. Jos. Ant. 18,312, wo die Tempelsteuer als Steuer t† qe† to¯ theo¯ – für Gott bezeichnet wird). Die Konstellation der dialogischen Darstellung ermöglicht es, eine weitgehende Isochronie zwischen Erzählzeit und erzählter Zeit herzustellen, die den Leser unmittelbar an der dramatischen Szene teilhaben lässt und dem nur vorhergesagten Wunder den Charakter des unmittelbar Erlebten zukommen lässt. Die implizite Ellipse des Weges von Petrus’ Gespräch mit den Steuereintreibern zum Haus und der Fortsetzung des Dialogs mit Jesus steigert die Geschwindigkeit der Erzählung. Dadurch wird die Aufmerksamkeit von den in Zeitraffer berichteten narrativen Einheiten auf die szenisch und zeitdeckend erzählte, gewichtigere Texteinheit des Lehrgesprächs gelenkt. Dennoch verdient die proleptische Darstellung des Wunders besondere Beachtung: Das Ereignis ist im narrativen Modus dargestellt, das Wunder wird kurz beschrieben. Auf der Ebene des Erzählaktes baut diese Form der Erzählerrede eine Distanz zwischen Leser und erzähltem Ereignis auf, die im Gegensatz zur Unmittelbarkeit des vorausgehenden Dialogs steht und die Bedeutung des Wunders im Rahmen der Szene abwertet. Die Textpragmatik basiert daher auf argumentativen Spannungen im dialogischen Text, die den Leser mehrfach irreführen: Die definitive Antwort des Petrus in V. 25a kontrastiert mit Jesu Frage tffl soi doke…; (ti soi dokei – Was meinst du?) und veranlasst den Leser dazu, die Antwort des Petrus zu hinterfragen. Das weitere Gespräch scheint diese Reaktion zunächst zu bestätigen, doch durch die Ankündigung der Steuerzahlung in V. 27 erweist sich Petrus doch als im Recht (vgl. dazu Garland 1987, 205) – jedoch auf einer anderen Ebene. Der Dialog in V. 25b–27 ermöglicht dem Leser ein neues, argumentativ begründetes Verständnis der positiven Antwort des Petrus: Die Steuer wird nicht bezahlt, weil dies gefordert wird, sondern freiwillig – weil kein Ärgernis geboten werden soll (vgl. Frankemölle 1997, 246 f. zur Textkohäsion durch das semantische Feld von skandalfflzw [skandalizo¯ – ärgern/empören, zu Sünde/Abfall verführen]). Diese überraschenden Wendungen halten die Aufmerksamkeit des Lesers durch die wiederhol486
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te implizite Aufforderung zur persönlichen Stellungnahme und fördern seine Bereitschaft, auf die vorgeschlagene Lösung der Steuerfrage einzugehen. Diese Lösung wird durch die lehrhafte Argumentation in V. 25b-27 vorbereitet und durch die rahmenden wunderhaften Elemente gestützt: V. 25b verweist auf Jesu wundersames Wissen hinsichtlich des vorausgehenden Gesprächs zur Problematik der Steuerfrage, in V. 27c.d wendet sich die Perikope proleptisch einem Wunder zu, das auf Jesu Vorauswissen hinsichtlich eines wunderhaften Geschehens basiert. Obgleich das Wunder in V. 27 nur angekündigt, aber nicht konstatiert wird, obgleich kein Wundertäter genannt wird, ist die Ausfüllung dieser Leerstelle durch den Leser aufgrund des in V. 25 bestätigten Vorauswissens Jesu in Bezug auf die Diskussion um die Steuerfrage bereits positiv angelegt. In V. 25b-27 steht das Lehrgespräch im Fokus, das Wunder stellt nicht den Höhepunkt der Perikope dar, sondern ihren »wirkungsvolle[n] Abschluß« (Dautzenberg 1991, 228). Mt 17,24-27 weist nicht das übliche Motivrepertoire einer Wundererzählung auf (vgl. Theißen 1998, 57-89). Der Handlungsverlauf ist chronologisch dargestellt, V. 2425a dienen der Einleitung in die Problemsituation, der Spannungsbogen wächst im sich linear entwickelnden Dialog zwischen Jesus und Petrus bis zum Höhepunkt in der Aussage der Freiheit der Söhne (V. 26), V. 27 schließt das Lehrgespräch ab, in V. 27c.d durch ein in Form eines zeitlichen Vorausgriffs berichteten Wunders, das der Bestätigung der These dient. Die erste Sequenz weist Charakteristika eines Streitgesprächs auf, die zweite Sequenz gleicht einem Lehrgespräch, V. 27 berichtet die Ankündigung eines Wunders, d. h. enthält eine Sonderform der Wundererzählung. Es könnte mit Hilfe der Sprechakttheorie von einem durch Sprache vollbrachten Wunder (z. B. in Analogie zu Mt 8,5-13) ausgegangen werden; v. a. aufgrund der Motive des Phantastischen jedoch kann in V. 27 auch formal von einem Wunder gesprochen werden, das implizit durch V. 25b als konstatiert gilt. In der Forschung wurde die Frage, ob die Erzählung eine Wundergeschichte ist, unterschiedlich beantwortet: R. Bultmann rechnet Mt 17,24-27 zu den biographischen Apophthegmen, konzediert jedoch eine Zusammensetzung der Perikope aus einem Schulgespräch und einer legendenhaften Wundergeschichte (Bultmann 1995, 34 f.). M. Dibelius sieht die Perikope als eine paradigmatische Erzählung, die sekundär durch Einfügung legendarischer Motive in Form einer Novelle gefasst wurde (Dibelius 1971, 97.103). K. Berger betrachtet Mt 17,24-27 als Chrie in Form eines Gleichnisses, die kritisch geltende Werte hinterfragt, aber zudem wunderhafte Elemente aufweist (Berger 1984, 80-93). G. Theißen klassifiziert V. 27 als Normenwunder, d. h. als wundersames Ereignis, das dazu dient, eine Norm zu begründen (Theißen 1998, 319; vgl. allg. Dautzenberg 1991, 224-227). R. Bauckham zieht zunächst einen Vergleich zwischen Mt 17,24-27 und den Streitgesprächen, die in einem, die vorausgehende Diskussion bestätigenden Wunder gipfeln (z. B. Mk 2,1-12 par.; Mk 3,1-6 par.). Im Unterschied zu Mt 17,24-27 wird jedoch in diesen Perikopen das Wunder explizit berichtet (vgl. Bauckham 1986, 225). Das Wunder in Mt 17,27 kategorisiert Bauckham als Geschenkwunder in Analogie zu z. B. Speisungswundern (Mt 14,13-21; 15,32-39), dem Weinwunder (Joh 2,1-11) oder dem Fischzug (Joh 21,1-14), wo ebenfalls durch das Wunder eine alltägliche Notsituation aufgehoben wird (Bauckham 1986, 233-235). Als das formal Spezifische an Mt 17,27 kann somit gelten, dass das Wunder zwar angekündigt, dessen Erfüllung jedoch nicht berichtet wird.
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Sozial- und realgeschichtlicher Kontext Fischfang und Landwirtschaft (v. a. Getreide, Öl, Wein) stellten die Lebensgrundlage in den Dörfern um den See Gennesaret dar (Zangenberg 2003c, 99). Der bedeutendste lokale Wirtschaftszweig war die Fischerei sowie die Weiterverarbeitung des Fisches durch Einsalzen (Fortner/Rottloff 2003, 130-132). Fischer waren wahrscheinlich Kleinunternehmer, die einen Familienbetrieb unterhielten und gegen Zahlung von Abgaben an die römische Besatzungsmacht von ihrem Fang lebten (vgl. Herz 2005, 194). Der Fisch in Mt 17,27 gibt der Perikope somit Lokalkolorit – die ersten Jünger waren von Beruf Fischer (Mt 4,18-22), Jesus und seine Anhänger hielten sich häufig am See Gennesaret auf. Die Münze im Fisch, ein Stater – das Äquivalent der tyrischen und antiochenischen Silbertetradrachme bzw. zweier Didrachmen (Tellbe 2005, 26) – konnte zwei Steuerpflichtigen zur Begleichung der Didrachmen-Steuer dienen; eine Didrachme entsprach etwa zwei Tagelöhnen (vgl. Fiedler 2006, 299 f.). Obgleich im zivilen Steuerwesen (v. a. in Ägypten) eine Steuer in Höhe von zwei Drachmen belegt ist (vgl. Davies/Allison 1991, 739 f.) und die Frage der Stellung zur Staatsmacht (vgl. z. B. Röm 13,1-7; 1Petr 2,13-17) sowie auch explizit die Frage nach säkularen Steuern im Neuen Testament mehrfach aufgenommen wird (vgl. z. B. Mt 22,15=22 par.), scheint durch den Kontext der Bezug auf religiöse Zusammenhänge und Steuern angelegt: V. 25 spricht so betont von »Königen der Erde«, dass naheliegt, die Söhne in 17,26 als Söhne eines anderen, himmlischen Königs, d. h. als Söhne Gottes zu verstehen. Dennoch ist umstritten, um welche religiöse Steuer es sich in Mt 17 handelt, da sowohl für die Tempelsteuer wie für den fiscus Iudaicus die Höhe von zwei Drachmen belegt ist (vgl. z. B. Flav. Jos. Bell 7,218). Von nachexilischer Zeit an bis zur Zerstörung des Jerusalemer Tempels (70 n. Chr.) ist die Tempelsteuer als eine Abgabe für den Unterhalt des Tempelkultes literarisch belegt. Neh 10,33 f. spricht von einer Selbstverpflichtung des Volkes, jährlich 1⁄3 Schekel für den Unterhalt des Tempels zu zahlen. Ex 30,11-16 hingegen spricht grundlegend von einer Abgabe für jeden Mann ab zwanzig Jahren, ½ Schekel ist (wahrscheinlich einmalig) als Lösegeld für sein Leben an den Tempel zu zahlen. Eine jährliche Steuer zum Unterhalt des Tempels wird in 2Chr 24,4-10 erwähnt. In persischer und hellenistischer Zeit war der jeweilige Herrscher für die Kultusausgaben verantwortlich (vgl. Esr 6,8-12; 7,15-18; 2Makk 33,3). mSheq 8,8 beschreibt in rabbinischer Zeit rückblickend die jüdische Tempelsteuer als eine Abgabe von ½ Schekel = einer Didrachme, die jeder männliche Jude ab zwanzig Jahren jährlich an den Tempel zu zahlen hatte. In der neueren Forschung werden vermehrt Texte aus Qumran (4Q59 2,6 f.: einmalig) sowie rabbinische Quellen (mSheq 1,4; MekhEx 19,1; bMen 65a) herangezogen, die aufweisen, dass nicht eindeutig war, wann und in welchem Umfang die Tempelsteuer für alle Juden (einschließlich Freigelassene und Proselyten) verbindlich und jährlich zu zahlen war. Es ist anzunehmen, dass die Steuer seit der Mitte des 1. Jh. v. Chr. für alle männlichen Juden ab 20 Jahre obligatorisch wurde (vgl. Flav. Jos. Ant. 14,110; 18,312; Philo spec. 1,77; mSheq 1,3-6), jedoch ist umstritten, ob diese Angaben ideologisch oder als tatsächliche Praxis zu bewerten sind (vgl. Tellbe 2005, 20-24; Horbury 1984, 278-282; zu religiösen Abgaben allgemein vgl. Stenger 1988, 147-232). Die Tempelsteuer scheint in römischer Zeit in Palästina wie in der Diaspora erhoben worden zu sein; sie ist somit als »significant Jewish boundary marker defining Jewish identity« (Tellbe 2005, 20) zu betrachten. In dem Verständnis, dass die Quellenlage die Tempelsteuer als ein umstrittenes Thema ausweist, kann die Perikope 488
Steuersünder mit Angellizenz Mt 17,24-27
Mt 17,24-27 als ein Beitrag zur antiken Diskussion um die Auslegung des jüdischen Gesetzes hinsichtlich der Frage der Tempelsteuer verstanden werden (vgl. Horbury 1984, 285). Die Tempelsteuer wurde nach der Tempelzerstörung 70 n. Chr. in den fiscus Iudaicus überführt, eine Kopfsteuer, die von allen jüdischen Männern und Frauen zwischen drei Jahren und sechzig Jahren, Freien und Sklaven, wahrscheinlich auch Proselyten an Rom für den Wiederaufbau des Tempels für den siegreichen Jupiter Capitolinus zu zahlen war (Flav. Jos. Bell. 7,218; Dio Cass. 66,7,2; vgl. Schürer/Vermes 1986, 271 f.; Davies/ Allison 1991, 743). Der fiscus Iudaicus betrug ebenfalls zwei Drachmen, so schreibt Josephus: »Jährlich hatten sie zwei Drachmen an das Kapitol zu entrichten, entsprechend der Steuer, die sie vorher an den Jerusalemer Tempel zahlten« (Flav. Jos. Bell. 7,218). Obgleich der fiscus die römische politische, ökonomische und religiöse Souveränität betonte und von jüdischer Seite als Demütigung und Stigma empfunden wurde, brachte die Zahlung dieser Steuer – wie vormals die Tempelsteuer – zugleich die Loyalität zum jüdischen Glauben zum Ausdruck und mag daher auch in Hinblick auf die Trennung des Christentums vom Judentum (»the parting of the ways«) eine bedeutende Rolle gespielt haben (vgl. Tellbe 2005, 24 f.; Heemstra 2010, passim, bes. 190-211; Carter 2001, 134-136). Die Mehrheit der Exegeten interpretiert v. a. aufgrund des Arguments, dass die Perikope einen religiösen Kontext voraussetzt, die Didrachmen- als Tempelsteuer (vgl. z. B. Bauckham 1986; Davies/Allison 1991; Keener 2009 u. a.). Sieht man in den neutestamentlichen Texten einen subversiven Widerstand gegen das Imperium Romanum auf literarischer Ebene, kann dagegen für eine Deutung im Sinne des fiscus Iudaicus argumentiert werden (seit Cassidy 1979 z. B. Carter 2001). Andere Exegeten halten beide Interpretationen für möglich (vgl. z. B. Fiedler 2006; Frankemölle 1997; Chilton 1990). M. E. scheint letztere Option gerade im Hinblick auf die Tradierung der Perikope sinnvoll: Vor der Verschriftlichung mag die Tradition allein die Problematik der Tempelsteuer fokussiert haben, mit der Rezeption im Matthäusevangelium nach 70 n. Chr. kommt der Aspekt des fiscus hinzu, eventuell sogar das gesamte Spektrum der direkten wie indirekten Steuern, die seit der Besetzung Palästinas 63 v. Chr. an Rom zu zahlen waren und die terminologisch in den in Mt 17 verwendeten Begriffen tfflo@ (telos – Zoll) und k»nso@ (ke¯nsos – Steuer) abgedeckt werden (vgl. Stenger 1988, 9-146 – auch zur Situation seit dem 3. Jh. v. Chr.; Alpers 2005, 178; Carter 2001, 134-136; Bruce 1984, 251-254) – der Text gibt dem gesamten Spektrum der Interpretationen statt (vgl. dazu auch Carter 2003; ähnlich Chilton 1990). Die Terminologie ist dem römischen Steuersystem entnommen – z. B. k»nso@ (ke¯nsos – Steuer) für die Provinzsteuer, ¥leÐqero@ (eleutheros – frei) für die Befreiung von Steuer (vgl. z. B. Plut. mor. 568a; 1Esr 4,49 f.; Keener 2009, 445). Diese Termini sollen hier nicht vertieft berücksichtigt werden, da die dem Kontext der römischen Besteuerung entnommene Terminologie im Rahmen der parabolischen Argumentation Jesu auftritt, der thematische Fokus jedoch nicht auf dem Gleichnis und den säkularen Steuern, sondern auf der implizierten Ebene der religiösen Steuersituation liegt.
Traditions- und religionsgeschichtlicher Hintergrund Vers 27 greift auf das Motivrepertoire der legendenhaften Erzählung zurück. Direkte traditionsgeschichtliche Parallelen finden sich in der griechischen Literatur z. B. bei Herodot 489
Die Wundererzählungen im Matthäusevangelium
3,40-42, wo Polykrates, auf Anraten eines Freundes, seinen wertvollen Siegelring ins Meer wirft: Aber am fünften oder sechsten Tag danach begegnete ihm Folgendes: Ein Fischer, der einen großen und schönen Fisch gefangen hatte, wünschte, ihn dem Polykrates zum Geschenk zu geben; er brachte ihn daher zu der Tür des Polykrates und erklärte, er wünsche, vor denselben zu kommen; als ihm dies gewährt wurde, übergab er den Fisch mit den Worten: »O König, ich habe diesen Fisch gefangen und hielt es nicht für recht, ihn auf den Markt zu bringen, obwohl ich von meiner Hände Arbeit lebe, sondern er schien mir deiner und deiner Herrschaft würdig; so bringe ich ihn nun dir zum Geschenk.« Polykrates freute sich über diese Worte, und erwiderte ihm Folgendes: »Du hast recht wohl daran getan und verdienst einen doppelten Dank für deine Worte wie für dein Geschenk: darum laden wir dich zur Tafel.« Der Fischer, der dies hoch anschlug, begab sich sofort nach Hause. Inzwischen zerschnitten die Diener den Fisch und fanden in seinem Bauch den Siegelring des Polykrates. Sobald sie ihn aber gefunden und herausgenommen hatten, brachten sie ihn voll Freude zu Polykrates, übergaben ihm den Siegelring und erzählten, auf welche Weise man ihn gefunden hatte. Diesem aber kam gleich in den Sinn, dass dies eine göttliche Fügung war (Hdt. 3,42,1-3; Adaption der Übersetzung von F. C. J. Bähr, Die Musen des Herodot von Halikarnass, Stuttgart 1863, 3,39).
Das legendenhafte Motiv des »Rings des Polykrates« – ein wertvoller Gegenstand wird zunächst verloren und daraufhin in einem Fisch wiedergefunden (vgl. dazu Meyer 1937) – ist von der Antike bis heute Element zahlreicher Mythen und Märchenerzählungen. In verschiedenen Motivkombinationen wird das Motiv des »Ring des Polykrates« in der rabbinischen Literatur in Erzählungen des Verlierens und Wiederfindens (vgl. z. B. Bet Ha-Midrasch 2,86 f.), des Verlierens durch den einen und Findens durch einen anderen (vgl. bShab 119a) sowie des Findens allein (vgl. z. B. KohR 11,1; bBB 113b; GenR 11,4; vgl. auch Billerbeck 1926a, 675) rezipiert. Obgleich erst nach der Entstehung des Matthäusevangeliums niedergeschrieben, ist vorauszusetzen, dass diese legendenhaften Motive in der jüdischen Tradition verankert waren, bevor sie in die rabbinische Literatur aufgenommen wurden. Wie in der griechischen Literatur betonen die rabbinischen Erzählungen das Motiv der Belohnung; das Wiedergefundene ist von hohem Wert und befindet sich im Bauch des Fisches, während die matthäische Fassung – wie der vorausgehende Lehrdialog – die göttliche Fürsorge fokussiert, die Münze, die im Maul des Fisches gefunden wird, deckt gerade den alltäglichen Bedarf der bedürftigen Menschen (Bauckham 1986, 238-242; vgl. auch Murcia 2010, 365-368). Mt 17,24-27 weist somit Parallelen zu jüdischen und hellenistischen Literaturformen und Erzählstilen auf, lehnt sich an traditionelle Motive und Formen der legendenhaften Literatur an; die expliziten Unterschiede weisen jedoch darauf hin, dass die Tradition selbstständig rezipiert und auf den lehrhaften Kontext der Worte Jesu appliziert wird (vgl. Horbury 1984, 274). Dabei werden legendenhafte, magische und phantastische Elemente nicht abgewertet, sondern im Rahmen der Verkündigung nutzbar gemacht (vgl. auch Tuzlak 2007, 285-292). Da die Kürze der matthäischen Darstellung in V. 27 in sich keine Deutungsmöglichkeiten des Wunders bietet, kann der Leser das Wunder nur im Bezug auf den unmittelbaren literarischen Kontext des vorausgehenden theologischen Lehrgesprächs und der dort verwendeten Motive und Topoi interpretieren. Eine Deutungshilfe kann dabei das im Neuen Testament traditionelle Semantem §cqÐ@ (ichthys – Fisch) bieten, das im Mat490
Steuersünder mit Angellizenz Mt 17,24-27
thäusevangelium eine dezidiert positive Konnotation trägt: In der Fischnetzparabel (Mt 13,47-50) spielt das Motiv des Fisches auf die Jünger als Menschenfischer an und dient der metaphorischen Beschreibung des Himmelreiches bzw. des eschatologischen Gerichtes – diese Parallele wäre in Hinsicht auf die symbolischsemiotische Deutung von Mt 17 fruchtbar zu machen. Mt 7,10 assoziiert die Gabe von Fisch durch Gott mit dessen väterlicher Liebe und Fürsorge, in den Speisungswundern (Mt 14,13-21; Mt 15,32-39) figuriert Fisch prominent als Gabe in Not, die Gottes Fürsorge und Allmacht kennzeichnet. Der Fisch steht somit im matthäischen Kontext symbolisch für die Gabe Gottes, die den materiellen Bedürfnissen der Jünger Genüge tut (vgl. dazu Carter 2001, 141). Auch in Mt 17,24-27 birgt das Fischmaul eine Münze, die den finanziellen Bedürfnissen gerade genügt. In Rückbindung auf den theologischen Dialog ist das Wunder als Fürsorge Gottes für seine Kinder zu deuten, die Ausnahme von der Steuer wird dadurch ebenso legitimiert wie Jesu Entscheidung, die Steuer dennoch freiwillig zu zahlen. Der Verfasser bedient sich somit sowohl legendarischer Formen und Motive der nichtchristlichen Tradition wie des in der christlichen Tradition häufig gebrauchten Bildfeldes der Fischerei, die er im Kontext seiner Argumentation innovativ verknüpft.
Verstehensangebote und Deutungshorizonte Aufgrund ihrer formalen Diversität und Einzigartigkeit im Rahmen neutestamentlicher Wundererzählungen kommen der Perikope unterschiedlichste Deutungshorizonte zu: Die rationalistische Deutung, vertreten z. B. durch H. E. G. Paulus, J. Jeremias und D. F. Strauss, deutet V. 27 als verschlüsselte Anweisung Jesu an Petrus, einen Fisch zu fangen, diesen auf dem Markt zu verkaufen und den Erlös als Tempelsteuer zu geben. Die symbolisch-semiotische Deutung versteht Jesu Auftrag metaphorisch, d. h. der Auftrag betrifft »une ›pêche aux donateurs‹« (Murcia 2010, 387) – Petrus soll als »Menschenfischer« einen Konvertiten gewinnen, der die Steuer bezahlen kann (ähnlich Eisler 1921). Diese Interpretation mag durch die geprägte Terminologie gestützt werden, da der Fisch durch das Verb »heraufkommen, hinaufsteigen« (⁄nabafflnw anabaino¯) charakterisiert wird, das spätestens in der altkirchlichen Tradition in enger Verbindung zur Motivik von Tod und Auferstehung sowie zur Taufe steht (vgl. z. B. Herm sim 9,16,2; Barn 11,11). Die (kerygmatisch-)theologische und ethische Deutung, die in der Exegese vorwiegend vertreten wird, zielt auf die theologische Kernaussage des Wunders, die im Rückbezug auf den Dialog als die Fürsorge Gottes für seine Kinder gelten muss. D. h. sowohl die Freiheit der Söhne von der Steuerpflicht wie auch die Einhaltung der Konventionen, die einen partiellen Verzicht auf diese christliche Freiheit bzw. ein verantwortungsvolles Ausleben der persönlichen Freiheit in Rücksicht auf den Nächsten darstellt, wird durch das Wunder sanktioniert (vgl. z. B. Bauckham 1986; Frankemölle 1997; Garland 1987; Keener 2009). Eine religionssoziologische Deutung betont aufgrund der postulierten Freiheit von der Tempelsteuer die matthäische Relativierung des jüdischen Kultgesetzes und das durch die Argumentation von Mt 17,24-27 beschleunigte Fortschreiten der Trennung zwischen Judentum und Christentum (parting of the ways). Der argumentative Kontext gibt vor, dass eine Steuer thematisiert wird, die im Namen Gottes erhoben wird, es sich also um eine Steuer im religiösen Zusammenhang handeln muss (vgl. Bauckham 1986, 491
Die Wundererzählungen im Matthäusevangelium
219; vgl. Flav. Jos. Ant. 18,312: t† qe† to¯ theo¯ – für Gott). Interpretiert man den Topos der Sohnschaft auf dem Hintergrund des eschatologischen Verständnisses der Gotteskindschaft der Christen (vgl. z. B. Mt 18,1-5), die von der Tempelsteuer befreit sind, da Christus als Lösegeld für alle gestorben ist (vgl. oben Ex 30,11-16), und interpretiert man den Topos in Assoziation mit dem paulinischen Gedanken der Gemeinde als Tempel Gottes (1Kor 3,16 f.), liest sich der Text als Distanzierung vom Tempelkult und als Kritik am Tempel und seinen Institutionen. Da die Tora keine exakte Regelung vorgibt, kann die Diskussion der Frage der Tempelsteuer nicht als bloße Kontradiktion des Gesetzes, vielmehr aber als Ansatz zu einer Tempelkritik gewertet werden, die in der Tempelreinigung (Mt 21,12-17) explizite Fortsetzung erfährt (vgl. dazu Davies/Allison 1991, 739-741). Hier wird die Stellung der Jesusbewegung und der frühen Christengemeinden zwischen fundamentaler christlicher Freiheit einerseits und Solidarität mit dem Judentum andererseits im Hinblick auf die Steuerfrage nachgezeichnet und der Beginn einer Auseinanderentwicklung von frühem Christentum und Judentum angezeigt (vgl. z. B. Tellbe 2005; Heemstra 2010). Die sozialgeschichtliche-(befreiungstheologische) Deutung, die häufig in Verbindung mit einer historisch-politischen Deutung der biblischen Texte steht, deutet die Zusage der Sohnschaft und die gleichzeitige Beibehaltung der Konformität mit den Steuervorschriften als subversive Reaktion der Jesusanhänger auf die politische Unterdrückung im Palästina des 1. Jh. Durch das Fischwunder versorgt Gott seine Kinder mit dem erforderlichen Betrag für ihren Steuerbeitrag und unterwandert damit die bestehende Steuerhoheit (fiscus Iudaicus): Rome imposes tax to assert its supremacy and to subjugate, humiliate, and punish. The story of the fish, though, shows the tax to be subject to God’s power and sovereignty. […] Paying it [the tax, S. L.] also invokes, for those with eyes to see, God’s sovereignty. That is to say, paying the tax becomes a subversive not a subjugating act, a defiant act that relativizes and undermines what the tax is supposed to reinforce: Rome’s absolute power and control of its subject’s reality (Carter 2001, 142).
Ähnlich Mt 5,38-42 handelt es sich um die Vermittlung einer neuen Wahrnehmungsweise, die an den äußeren Umständen – wie der Besatzung und Unterdrückung durch die Römer – nichts ändert, die jedoch die innere Einstellung des Einzelnen und somit seine Realität verändert (vgl. dazu auch Scott 1990). Für Mt 17,24-27 bedeutet dies: Das Wunder kann im Rückbezug auf diesen unmittelbaren literarischen Kontext des theologischen Lehrgesprächs so gedeutet werden, dass dem Leser ein neuer Status als Kind Gottes zugesprochen wird. Aufgrund dieses Status kommt ihm eine neue Sichtweise auf die Realität zu, die es ihm ermöglicht, aus der Opferrolle (Akzeptieren der negativen Zustände) in die Rolle des souverän Agierenden (freiwilliges Zahlen der Steuer) zu wechseln (vgl. Horsley 2004). Das theologische Zentrum dieser Deutungsansätze liegt in der Gottesbeziehung und dem Gottesverständnis. Daraus ergeben sich ethische, politische, religionssoziologische und sozialgeschichtliche Folgerungen, die im Text angelegt und als mögliche Deutungsansätze anzuerkennen sind. Während die beiden erstgenannten Deutungshorizonte versuchen, die Problematik der legendenhaften Elemente durch rationale Deutung oder Metaphorisierung zu eliminieren und im Zuge dessen die spezifische Darstellungsform der Wunderankündigung vernachlässigen, nehmen die weiteren Deutungsmöglichkeiten 492
Steuersünder mit Angellizenz Mt 17,24-27
diese Aspekte als Verstehensangebote auf und betonen dadurch die Diversität des Textes, der keine textinterne Deutungsvorgabe oder Einschränkung kenntlich macht.
Aspekte der Parallelüberlieferung und Wirkungsgeschichte Die Perikope Mt 17,24-27 ist dem matthäischen Sondergut zuzurechnen, eine literarische Parallele ist aber der apokryphen frühchristlichen Literatur zu entnehmen. Die Epistula Apostolorum (Mitte 2. Jh. n. Chr.) rezipiert im 5. Kapitel (EpAp 5) umfassend kanonische Jesuswunder. Zwischen dem Seewandel (Mt 14,23-36; Mk 6,47-56/Mk 4,35-41 par.) und der Speisung der Fünftausend (Mt 14,17-21; Mk 6,35-44; Joh 6,1-14) findet sich eine Fassung des matthäischen Fischwunders: EpAp 5,12 f. Und als wir, seine Jünger, keinen Denar hatten, sagten wir zu ihm: »Meister, was sollen wir machen hinsichtlich des Steuereinnehmers?« Und er antwortete und sagte zu uns: »Einer von euch werfe die Angel, die Reuse, in die Tiefe und ziehe einen Fisch heraus, und er wird in ihm einen Denar finden. Und gebt ihn dem Steuereinnehmer für mich und für euch!« (nach Schneemelcher 1990, 209). EpAp 5 lässt eine spezifische Abhängigkeit von der matthäischen Redaktion der Erzählung erkennen, da beide Texte das Wunder nur ankündigen. Es scheint daher unwahrscheinlich, dass EpAp 5 eine von Mt 17 unabhängige Tradition wiedergibt. Die Textfassung in EpAp 5 unterscheidet sich jedoch markant von der matthäischen Fassung, da nur die zweite Sequenz rezipiert wird. Der Text erfährt dadurch eine dezidierte Umakzentuierung: Obgleich das Wunder nicht berichtet wird, steht es in EpAp 5 gegenüber der Lehre im Zentrum der Perikope – die Steuerthematik rückt somit in den Hintergrund. Die Münze, die als Denarius benannt wird, verweist auf eine Neuverortung der Erzählung im Kontext säkularer Steuern (vgl. Einfluss von Mk 12,15 par.). Einerseits ist eine gegenüber Matthäus stärkere Rezeption der legendarischen Motivik zu erkennen – die Münze findet sich z. B. nicht mehr im Fischmaul, sondern im Fisch –, andererseits charakterisiert die Textzusammenstellung mit dem folgenden Speisungswunder in EpAp 5 sowie die Parallelität der (eine Notlage kennzeichnenden) Einleitungsformeln beider Texte, das Fischwunder als Geschenkwunder (vgl. dazu Bauckham 1986, 235 f.; Davies/ Allison 1991, 747). Von besonderer wirkungsgeschichtlicher Bedeutung ist die reformatorische Auslegung und Instrumentalisierung des Textes hinsichtlich der Zwei-Reiche-Lehre: Versteht man die Didrachmen als staatliche Steuer, so lässt sich Jesu Argumentation so deuten, dass Christen sich zwar »nicht de jure, aber de facto« dem Staat unterzuordnen und der Steuerpflicht nachzukommen haben (vgl. WA 38,667; ähnlich Zwingli und Calvin).
Susanne Luther
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Literatur zum Weiterlesen R. J. Bauckham, The Coin in the Fish’s Mouth, in: D. Wenham/C. Blomberg (Hg.), Gospel Perspectives. The Miracles of Jesus, Sheffield 1986, 219-252. W. Carter, Paying the Tax to Rome as Subversive Praxis: Matthew 17:24-27, in: ders., Matthew and Empire. Initial Explorations, Harrisburg 2001, 130-144. G. Dautzenberg, Jesus und der Tempel. Beobachtungen zur Exegese der Perikope von der Tempelsteuer (Mt 17,24-27), in: L. Oberlinner/A. Vögtle (Hg.), Salz der Erde – Licht der Welt, Stuttgart 1991, 223-238. D. E. Garland, The Temple Tax in Matthew 17:24-25 and the Principle of not Causing Offence, in: M. A. Powell/D. Bauer (Hg.), Treasures New and Old. Recent Contributions to Matthean Studies, Atlanta 1996, 69-91. T. Murcia, Le statère trouvé dans la bouche d’un poisson (Matthieu 17,24-27), RB 117 (2010), 361-388. W. Stenger, ›Gebt dem Kaiser, was des Kaisers ist … !‹ Eine sozialgeschichtliche Untersuchung zur Besteuerung Palästinas in neutestamentlicher Zeit, BBB 68, Frankfurt a. M. 1988. M. Tellbe, The Temple Tax as a Pre-70 CE Identity Marker, in: J. Ådna (Hg.), The Formation of the Early Church, WUNT 183, Tübingen 2005, 19-44. A. Tuzlak, Coins out of Fishes: Money, Magic, and Miracle in the Gospel of Matthew, SR 36 (2007), 279-295.
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Erhellende Begegnung (Die Heilung von zwei Blinden bei Jericho) Mt 20,29-34 (29) Und als sie aus Jericho herausgingen, folgte ihm eine große Volksmenge. (30) Und siehe: Zwei Blinde, die am Weg saßen und hörten, dass Jesus vorbeigeht, schrien und sagten: »Erbarme dich unser, [Herr,] Sohn Davids!« (31) Die Volksmenge aber fuhr sie an, dass sie schwiegen. Die aber schrien lauter und sagten: »Erbarme dich unser, Herr, Sohn Davids.« (32) Und stehenbleibend rief Jesus sie und sagte: »Was wollt ihr, soll ich euch tun?« (33) Sie sagen ihm: »Herr, dass unsere Augen sich öffnen.« (34) Voll Mitleid aber berührte Jesus ihre Augen und sogleich sahen sie wieder und folgten ihm.
Sprachlich-narratologische Analyse Folgt man dem Erzählbogen des Matthäusevangeliums, so war Jesus in Mt 19,1 von Galiläa nach Jerusalem aufgebrochen, wo er sterben und auferstehen soll (vgl. 16,21). Der nähere, vorausgehende Kontext der Wundergeschichte ist – neben der nochmaligen Ankündigung des Leidens- und Todesgeschicks Jesu – durch Perikopen zur Jüngerschaftsund Nachfolgethematik bestimmt. Zuletzt ging es um das Herrschen und Dienen und um den Menschensohn, der nicht gekommen ist, um sich dienen zu lassen, sondern um zu dienen und sein Leben als Lösegeld für die Vielen hinzugeben (20,20-28). Im nachfolgenden Kapitel 21 wird Jesus dann tatsächlich Jerusalem erreichen. Mit der Erzählung vom Einzug nach Jerusalem samt anschließender Tempelreinigung hat unsere Perikope die Stichworte »Sohn Davids« und »Blinde« gemeinsam (21,9.14 f.). Unsere Heilungserzählung ist also möglicherweise als Ende der Einheit »auf dem Weg nach Jerusalem« oder als Übergang vom Weg zur Ankunft in der Stadt zu lesen. Bei aufmerksamer Lektüre des Matthäusevangeliums fallen Parallelen in der Erzählung, ihren Themen, ihrer Wortwahl, ihrer Personenkonstellation usw. zwischen Mt 20,29-34 und Mt 9,27-31 auf. Sie gehen deutlich über die Neigung des Matthäus zu stereotyper Erzählweise hinaus, die auch sonst zum Eindruck von Ähnlichkeiten zwischen Wundergeschichten führen kann. Die folgende Analyse wird deshalb immer wieder auch einen Seitenblick auf diese erste Blindenheilung des Matthäusevangeliums werfen. Jesus wird zu Beginn der Erzählung zunächst gar nicht namentlich genannt, sondern nur mit Personalpronomen erwähnt, was eine unmittelbare Fortführung des vorausgehenden Geschehens signalisiert. Der Name »Jesus« fällt explizit erst im Zusammenhang mit den beiden Blinden, die ihn vorübergehen hören. So wird noch deutlicher, dass ihre Reaktion sich auf ihn bezieht und von seiner Gegenwart ausgelöst wird. Das Gegenüber von Jesus und den Blinden bestimmt die folgende Erzählung. Nicht nur im synoptischen Vergleich – die markinische wie die lukanische Parallele wissen nur von einem Blinden (Mk 10,46; Lk 18,35) – taucht die Frage auf, weshalb es zwei Blinde sind. Matthäus scheint solche Paare zu schätzen, im Vergleich mit den ande495
Die Wundererzählungen im Matthäusevangelium
ren Evangelien sind sie aber ungewöhnlich (noch: zwei Blinde in der ersten Blindenheilungserzählung Mt 9,27-31; zwei Besessene in Gadara Mt 8,28, anders Mk 5,2; Lk 8,27). Was bewirkt das Paar in narratologischer Hinsicht? Die Zweizahl und das Fehlen eines Namens lassen die Szenen unspezifischer, unpersönlicher, weniger individuell erscheinen. Erleichtert dies die Typisierung (Luz 2007, 58)? Manchmal wird der Einfluss volkstümlichen Erzählens vermutet (mit Bultmann 1995, 343-346) oder die Absicht, das Glaubensbekenntnis zum Herrn und Davidssohn durch zwei Zeugen besonders hervorzuheben (Schweizer 1976, 260). Jesus wird augenscheinlich zum einen von seinen Jüngern begleitet (vgl. V. 29: »sie«), die aber im Weiteren keine Rolle spielen, zum anderen von »viel Volk« (clo@ polÐ@ ochlos polys; V. 29). Die Volksmenge spiegelt im Hinblick auf das Vorausgehende die große Wirkung wider, die Jesus erzielt. Sie ist eine feste narrative Größe im Evangelium, wobei ihre genaue Funktion und Pragmatik in der Forschung diskutiert wird (potentielle Jünger, Bild der Kirche, Repräsentant des Volkes Israel, … ; vgl. Poplutz 2008, 101-139). Im Fortgang unserer Erzählung wird die Volksmenge als »Hinderer« auftreten (ähnlich Mt 9,23-25). Die erschwerte Annäherung der Bittsteller an den Wundertäter gehört zur Erzählmotivik von Wundergeschichten (vgl. Theißen 1998, 62 f.). Die Handlung der Heilungserzählung kommt in Gang durch das Rufen der Blinden. Sie reden Jesus als »Sohn Davids« und »Herr« an und erflehen sein Erbarmen (V. 30 f.; in einigen alten Handschriften fehlt ›Herr‹ im ersten Anruf [V. 30], vielleicht ist es in Analogie zu V. 31 nachträglich eingefügt worden). Als ihnen Widerstand begegnet, führt dies zu verstärktem Rufen (V. 30 f.). Die Abfolge steigert die »Spannung«, ist v. a. aber Ausdruck der Beharrlichkeit und insofern des Glaubens der Bittsteller. Die Formulierung des Rufs klingt vertraut, die einzelnen Begriffe tauchen (z. T. kombiniert) in anderen Wundererzählungen auf (vgl. bes. Mt 9,27 f.; 15,22; 17,15). Einige Autoren hören aus dem Ruf »Erbarme dich unser, Herr, Sohn Davids« auch einen Anklang an liturgischen Formeln heraus (z. B. Grundmann 1990, 447; Davies/Allison 1997, 107). Der vorübergehende Jesus bleibt stehen und ruft die beiden. Die Frage Jesu, was er ihnen tun solle, sowie die Antwort darauf sorgen dafür, dass die Bitte um das Öffnen der Augen explizit wird. Anders als in 9,27 f. ist nicht der Glaube der Blinden Gegenstand des Dialogs. Der Vollzug der Heilung und die abschließende Reaktion werden dann denkbar knapp notiert. Durch den Erzähler hervorgehoben wird das Mitleid als Handlungsmotiv Jesu (splagcnisqeffl@ splanchnistheis – Mitleid habend/voll Mitleid). Es korrespondiert in der Sache mit dem Ruf nach Erbarmen (V. 30 f.: ¥lffhson elee¯son – erbarme dich; dazu Held 1975, 246.250 f.); Erbarmen wird mehrfach als Beweggrund Jesu genannt, wenn er sich dem Volk heilend oder nährend zuwendet (Mt 9,36; 14,14; 15,32). Die Heilung selbst geschieht stumm, ohne begleitendes Wort, durch Berühren – eine auch für Matthäus typische Heilgeste (Mt 8,3.15; 9,29 vgl. 9,20 f.; 14,36). Die Blinden können sogleich wieder sehen. ›Sogleich‹ (e'qffw@ eutheo¯s) ist der einzige dezente Hinweis des Erzählers, dass hier höchst Erstaunliches geschieht. ⁄nffblevan (aneblepsan) ist im Kontext wohl im Sinne von »wieder sehen« zu verstehen (wie in Mt 11,5), könnte prinzipiell aber auch aufblicken meinen (vgl. Mt 14,19): zu Jesus, der vor den beiden steht, zum ›Herrn‹ und ›Sohn Davids‹. So verstanden würde der Blick auf den Wundertäter zurückgelenkt (noch einmal anders Trummer 1998, 30: aufblicken, da sie nun eine Perspektive erkennen können). Die Blinden folgen Jesus nach, einzig diese Reaktion wird erzählt. Was die Volks496
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menge oder die Jünger tun und sagen, bleibt unklar, fokussiert wird allein das Nachfolgen. Nachfolge als Reaktion ist in matthäischen Heilungs- und Wundererzählungen fast einmalig. Es lässt sich ihr allenfalls das Dienen der Schwiegermutter des Petrus an die Seite stellen (Mt 8,15; vgl. Fiedler 2006, 321). Allerdings sind einige matthäische Wundergeschichten als »Nachfolgegeschichten« lesbar (Mt 8,23-27; 14,22-33; vgl. Held 1975, 189-195) und es finden sich in die Wunderkapitel Mt 8-9 Passagen zum Thema Jüngerschaft und Nachfolge eingewoben (Mt 8,18-22; 9,9-13.14-17). Matthäus erzählt – sparsam und konzentriert – zweifellos eine in vielen Motiven typische Wundergeschichte (vgl. Davies/Allison 1997, 105). Die Momente des Staunens oder des irritierenden Wirkens göttlicher Macht nimmt er allerdings sehr zurück. Viele Elemente, die dies unterstreichen könnten, fehlen in der Erzählung: eine breite Schilderung der ausweglosen Not, eine spektakuläre Demonstration der Heilung, Staunen des Publikums. Stattdessen gibt er knapp, aber deutlich Einblick in den Beweggrund des Handelns Jesu: Mitleid. Die Erzählung ist mit verschiedenen Mitteln stark auf die Begegnung zwischen den Blinden und Jesus fokussiert. Besonderes Gewicht liegt dabei auf dem in wörtlicher Rede wiedergegebenen Dialog, dem der Erzähler vergleichsweise viel Erzählzeit einräumt.
Sozial- und realgeschichtlicher Kontext Die Wundererzählung setzt ein mit einer Ortsangabe: Jericho. Dass Blinde an den Ausund Eingängen der Stadt sitzen und betteln, leuchtet ein. Insofern fügt sich die Ortsangabe gut zum folgenden Geschehen. Trotzdem erscheint der Hinweis, Jesus verlasse Jericho, etwas unmotiviert, da vorher von der Stadt nicht die Rede war. Setzt Matthäus das Wissen voraus, dass sie auf dem Weg nach Jerusalem liegt (ausführlicher zur Stadt Jericho Dormeyer zu Mk 10,46-52 in diesem Band)? Dann könnte die Nennung der Stadt zur Einordnung in die Bewegung auf Jerusalem zu dienen, die seit Mt 16,21 im Blick ist: Jesus geht nach Jerusalem, wo er sterben und von den Toten auferstehen wird (Mt 20,17.18; 21,1.10; 23,37; vgl. Frankemölle 1997, 299). Unabhängig davon wird durch die Nennung das Geschehen jedenfalls im Wirken Jesu verortet und verankert, als Teil der Erinnerung an das irdische Wirken Jesu präsentiert. Blind zu sein gilt in der Antike als ein schweres Schicksal, das belegen biblische und jüdische (Tob 7,6 f.; MTeh 146,5 zu Ps 146,8) wie pagane Texte (Sophoc. Oed. R. 1368; Luc. ind. 2; Cic. tusc. 5,38,111). Aus den Quellen lässt sich ein Eindruck von den Auswirkungen der Blindheit auf das Leben von Menschen gewinnen (vgl. Kollmann, Krankheitsbilder in diesem Band, außerdem Lesky 1954; Schrage 1969, 271-275). All diese Auswirkungen malt Matthäus kaum aus. Dem Hinweis, die beiden Blinden säßen am Wegrand, kann man vielleicht entnehmen, dass sie ihren Lebensunterhalt erbetteln mussten, wie es bei Blinden nicht selten der Fall war; anders als seine Vorlage (Mk 10,46) verwendet Matthäus das Stichwort ›Bettler‹ jedoch nicht. Ihr Schreien wird (auch) Ausdruck der Not sein. Insgesamt jedoch lässt der Erzähler jedes Bemühen, den Blick der Leser(innen) auf das Leid der Blinden zu lenken, vermissen. Aus der Zurückhaltung zu folgern, die Not sei nicht wichtig, ginge jedoch in die falsche Richtung. Matthäus hält ausdrücklich fest, wie Jesus aus Mitleid handelt (V. 34). Die Not der Menschen ist der Bezugspunkt, ohne den das heilende Handeln Jesu nicht zu verstehen ist. 497
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Blindheit ist in der Antike mit menschlichen Möglichkeiten weitgehend nicht therapierbar. Blindenheilungen sind prototypische Wunderheilungen, insofern sie sich ganz der Macht von Göttern – bzw. im biblischen Raum: des einen Gottes – verdanken (vgl. Tac. hist. 4,81; weitere Belege und Beispiele bei Schrage 1969, 273-275). In narratologischer Hinsicht ist das Wunderbare des erzählten Geschehens wenig betont, mit der Tatsache einer Blindenheilung kommt jedoch fraglos Gottes Macht und Handeln ins Spiel.
Traditions- und religionsgeschichtlicher Hintergrund In der paganen wie der biblischen Literatur gibt es eine ausgeprägte metaphorische Verwendung des Blindseins. Im paganen Umfeld wird sie v. a. »für den Bereich von Erkenntnisvermögen u[nd] Verstandesfunktion verwendet« (Schrage 1969, 276). Leidenschaften können blind machen, die Liebe oder der Reichtum. In der biblischen Literatur wird Blindheit metaphorisch mit der Wirkung von Bestechung (Ex 23,8) oder allgemein von Schlechtigkeit, Schuld und Sünde (Weish 2,21, Jes 59,10; vgl. 1QS 4,9-11), mit mangelnder Erkenntnis Gottes, des Gesetzes oder Jesu Christi (CD 1,9; Röm 2,19; 2Kor 4,4; 2Petr 1,9) oder mit Unglaube (Jes 6,9 f.; Joh 12,39 f.) verbunden (zur Motivik insgesamt Lesky 1954, 442; Schrage 1969, 275-286.291-294). Auch Matthäus ist solche Metaphorik geläufig: – Mt 4,12-17 wird der Beginn des Wirkens Jesu in Galiläa mit einem Schriftwort aus Jes 8,23-9,1 gedeutet, das von einem Volk spricht, welches im Finstern saß und ein großes Licht sah. – Mt 13,13-17 spricht mit Rekurs auf Jes 6,9 f. von einem Volk, das nicht sieht (und hört und versteht), im Gegenüber zu den Jüngern, die für ihr Sehen seliggepriesen werden. Im Kontext geht es zunächst um das Verstehen und Nicht-Verstehen der Gleichnisse Jesu (vgl. Mt 13,10-13), das allerdings symptomatisch für die grundsätzliche Annahme und Ablehnung Jesu und seines Wirkens steht (vgl. 13,14-17). – Mt 15,14 und 23,16-26 wirft Jesus den Pharisäern (und Schriftgelehrten) vor, blinde Führer zu sein, weil sie – im Gegensatz zu Jesus – die Schrift nicht richtig verstehen und folglich auch nicht lehren können. Die Matthäus-Stellen lassen sich nicht ohne Weiteres auf einen Nenner bringen. Sie thematisieren jedoch alle mit Hilfe bildlicher Rede von Blindsein, Sehen und Nicht-Sehen direkt oder indirekt die Sendung Jesu zum Volk und die Reaktion der Menschen auf seine Person und sein Wirken. Unabhängig von metaphorischer Rede ist für den motivischen Hintergrund der Blindenheilungen bei Matthäus auch Mt 11,5 wichtig. Dort verweist Jesus in der Antwort auf die Täuferfrage, ob Jesus der sei, der kommen soll, unter anderem darauf, dass die Blinden sehen, und nimmt so in Anspielung auf prophetische, v. a. jesajanische eschatologische Verheißungen (Jes 29,18; 35,5; 42,7 sowie 61,1LXX) in Anspruch, das endzeitliche Heil breche in seinem Wirken an. Die Blinden, das zeigen auch die Summarien, gehören zu den prototypisch Hilfsbedürftigen und Notleidenden im Volk, denen die Zuwendung Jesu gilt (vgl. die Einleitung zu den Wundergeschichten im Matthäusevangelium). Mit dieser Zuwendung lassen sich auch die beiden Anreden der Blinden gut verbinden: Sohn Davids und Herr. Beide kommen mehrfach in Wundergeschichten vor. Mit 498
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der Anrede »Sohn Davids« wird Jesus als der Messias des Volkes Israel identifiziert, der nach geläufiger Tradition als Nachkomme (»Sohn«) Davids gilt. (Der traditionsgeschichtliche Hintergrund von »Sohn Davids« wird im Zusammenhang von Mt 9,2734 besprochen; vgl. außerdem Baxter 2006; Konradt 2007, 18-51.) Der messianische Titel »Sohn Davids« wird von Matthäus bevorzugt in Wundergeschichten verwendet (angeregt durch Mk 10,47 f.?) und zeigt im Umkehrschluss: Das heilende Wirken ist für Matthäus ein wesentliches Moment des messianischen Wirkens Jesu in seinem Volk. Die Herr-Anrede bringt in besonderer Weise die Autorität und Macht Jesu zum Ausdruck, wobei im Rahmen des Evangeliums nicht ganz geklärt werden kann, wie diese Macht genauer zu bestimmen ist: Ist »Herr« nur höfliche Anrede an den Höhergestellten? Ist Jesus »Herr« als der endzeitliche Heilbringer? Schwingt gar göttliche Macht mit in dieser Anrede? (zur Diskussion vgl. Münch 2004, 197 f.)
Verstehensangebote und Deutungshorizonte Ein erster Auslegungstypus deutet die Wundererzählung v. a. von ihrer kontextuellen und kompositionellen Funktion her. Ausgangspunkt ist die Beobachtung, dass der Text in einer End- oder Übergangsposition steht, im Vorfeld des Einzugs nach Jerusalem. Zudem werden die anderen Texte im Evangelium herangezogen, die auf den Bildspender »blind sein/ nicht sehen können« rekurrieren, sowie die Themen, die dieses Bildfeld einspielt: die Beziehung Jesu zum Volk Israel und die Frage nach Annahme und Ablehnung seines Wirkens. Nach Ulrich Luz ist es die Funktion der Erzählung im Makrokontext, zum übergreifenden Erzählfaden mit dem Thema ›Das Wirken des Messias in seinem Volk‹ zurückzulenken, nachdem zwischenzeitlich (seit Mt 16,21) die Entstehung der Jüngergemeinde – also die Kirche – Thema war. So bereite der Evangelist die feindlichen Reaktionen auf Jesus vor, von denen dann in den Folgekapiteln erzählt wird (Luz 2012, 169 f.). Hubert Frankemölle akzentuiert in seiner Deutung denselben Motivbogen noch stärker christologisch: Menschen können Jesus auf dem Weg nach Jerusalem in Passion und Tod nur nachfolgen (20,17-19), wenn sie ihre Blindheit im Vertrauen auf Jesus Immanuel überwinden und dadurch jene symbolische Dimension der Wirklichkeit, die von Gott in Jesus Immanuel angeboten wird, akzeptieren. Er ist gemäß der Rezeption von Jes 8,23-9,1 in 4,15 f. das Licht für ›das Land Sebulon und das Land Naftali, die Straße am Meer, das Gebiet jenseits des Jordans, das heidnische Galiläa‹ (15), in ihm als dem Irdischen (die Vergangenheitsform dürfte bewusst stehen) ›hat das Volk, das im Dunkeln lebte, ein helles Licht gesehen, denen, die im Schattenreich des Todes sitzen, ist ein Licht erschienen‹ (16) (Frankemölle 1997, 300 f.).
Was bei Frankemölle anklingt, wird von anderen ins Zentrum der Deutung gerückt: das Thema Nachfolge. Textlich macht es sich zunächst am Schlussvers der Erzählung fest, in dem sich eben das auffällige Stichwort »nachfolgen« findet. Das Thema lässt sich einerseits wieder mit dem Kontext verknüpfen. Die Blinden erscheinen dann als Gegenbild zu den gegenüber dem Leiden Jesu und ihrer eigenen Leidensnachfolge »blinden«, uneinsichtigen Jünger in Mt 20,17-28 (vgl. Fiedler 2006, 321). Auch der Ort der Erzählung – unmittelbar vor dem Einzug nach Jerusalem, wo Jesus sterben wird – macht bei dieser 499
Die Wundererzählungen im Matthäusevangelium
Deutung Sinn. Das Verständnis als Nachfolgegeschichte lässt sich andererseits mit Elementen aus der Erzählung selbst weiter stützen, auch unabhängig vom Kontext: Jesus geht vorüber (par€gein paragein) wie bei der Berufung des Zöllners Matthäus (Mt 9,9); die Erzählung konzentriert sich auf die Begegnung zwischen ihm und den Blinden; er selbst ruft sie – anders als in Mk 10,49 ohne Vermittlung durch Jünger. Die Besonderheit dieser Berufungserzählung liegt in der Verknüpfung mit einer Heilung: Der Mensch muss befreit werden von der Blindheit, bevor er in die Nachfolge treten kann (zu dieser Deutung Gnilka 1988, 195 f.). Stärker sozialgeschichtlich akzentuiert Warren Carter. Er liest die Kapitel 19-20 insgesamt im Hinblick auf die Schwellen- und Übergangssituation, in der sich die Leser(innen) des Evangeliums befinden und die durch das Hören auf den Nachfolgeruf Jesu einerseits und das Warten auf die neue Welt, die bei seinem Wiederkommen in vollem Maße errichtet wird, andererseits aufgespannt wird. Zu dieser Situation gehört das Marginalisiertsein durch die Umwelt, so dass sich die Leser(innen) in den außerhalb der Stadt am Wegrand sitzenden, von der Menge zurückgewiesenen, nach Jesus rufenden, von ihm geheilten und ihm nachfolgenden Blinden in besonderer Weise wiederfinden können (Carter 1994, 194-203, bes. 198-203). Einige der skizzierten Deutungen haben durchaus christologische Aspekte, daneben gibt es pointiert christologische Interpretationen. Sie machen sich einerseits am doppelten Hilferuf der Blinden mit seinen beiden Hoheitstiteln fest und andererseits an der Tatsache, dass Jesus diesen Ruf voll Mitleid erhört und den Bittenden seine Hilfe tatsächlich zuteil wird. Matthias Konradt stellt den Davidssohn-Titel und seine messianischen Implikationen in den Vordergrund und sieht Jesus v. a. als den Hirten Israels gezeichnet (Konradt 2007, 41-51; vgl. auch Baxter 2006). Walter Grundmann schaut stärker auf das dialogische Begegnungsgeschehen, das hier erzählt wird, und sein Ergebnis: »Entscheidend ist die Zusage: Wer Jesus in seiner Not um Erbarmen anruft, findet in ihm den sich erbarmenden Helfer« (Grundmann 1990, 447 Anm. 8; vgl. Schweitzer 1976, 261). Man wird diese Zusage nicht auf das irdische Wirken Jesu beschränken können, sie ist vielmehr transparent auch für das Gebet der Christen späterer Generationen – mag der Gedanke an liturgische Formeln im Hintergrund des Hilferufs nun berechtigt sein oder nicht (vgl. Davies/Allison 1997, 105.107). Auch wenn mit Jericho ein bestimmter, identifizierbarer Ort genannt wird, bietet der matthäische Text fast keinen Ansatzpunkt für die historische Rekonstruktion eines bestimmten Ereignisses. Sowohl für sich betrachtet wie im Vergleich mit der synoptischen Parallele Mk 10,46-52 wirft die matthäische Erzählung die Frage auf, ob und in welchem Sinne der Evangelist am zugrunde liegenden Ereignis überhaupt interessiert war. Die knappe Erzählweise und das Fehlen individueller Züge sind in der Analyse notiert worden. Der synoptische Vergleich zeigt, dass Matthäus wahrscheinlich den Namen Bartimäus getilgt und aus dem einen Blinden zwei gemacht hat. Die Form der Jesus-Memoria, die Matthäus in unserer Erzählung bewahrt, richtet sich ganz offensichtlich nicht darauf, ein bestimmtes, konkretes Ereignis zu erinnern. Joachim Gnilka beschreibt es als Entwicklung hin zu einem Gemälde. »Das geschichtliche Ereignis wird nicht aufgelöst, aber tritt zurück zugunsten eines Bildes, das im Bild gesucht werden muss« (Gnilka 1988, 195).
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Aspekte der Parallelüberlieferung und Wirkungsgeschichte Der matthäische Text ist – die Zwei-Quellen-Theorie zugrunde gelegt – als Bearbeitung einer markinischen Vorlage zu betrachten. Nicht nur der Wortlaut der Erzählung stimmt in vielen Punkten mit Mk 10,46-52 überein, auch der kompositionelle Ort im Evangelium ist derselbe (Schlussstellung vor dem Einzug nach Jerusalem). Innerhalb des Matthäusevangeliums gibt es aber auch auffallende Parallelen zu Mt 9,27-31, so dass immer wieder die Frage diskutiert wird, ob man nicht von einer Dopplung der Geschichte durch Matthäus ausgehen muss und – falls das bejaht wird – warum Matthäus das tut. Die Lage wird dadurch noch etwas komplexer, dass Matthäus Mk 8,22-26, eine weitere Blindenheilung, auslässt. Mit dieser ausgelassenen Erzählung hat unsere Geschichte Dinge gemeinsam, die in der unmittelbaren Vorlage Mk 10,46-52 nicht vorkommen: (1) Die Bezeichnung mma (omma) für das Auge wird im Neuen Testament nur in Mk 8,23 und Mt 20,34 verwendet. (2) Die Heilung geschieht in beiden Geschichten durch eine Berührung, von der Mk 10,46-52 jedoch nichts erzählt. Dort geschah die Heilung auf ein Wort Jesu hin – was Matthäus sonst eigentlich bevorzugt. Der Befund kann einerseits in seiner diachronischen Entwicklung interpretiert werden. Heinz Joachim Held etwa stellt in redaktionskritischer Perspektive die beiden matthäischen Blindenheilungen neben Mk 10 und erkennt in der Textentwicklung von Mk 10 über Mt 20 bis Mt 9 einen Weg hin zur idealen Szene, in der das Wesen des zum Wunder gehörenden Glaubens zum Ausdruck kommt (Held 1975, 212 f.). Hubert Frankemölle liest Mt 20 neben Mt 9 und unter Verzicht auf eine diachronische Perspektive. Während Mt 9 mehr auf den menschlichen Glauben schaue, sieht er in Mt 20 durch die Variationen der Erzählung stärker den Jesus Immanuel hervorgehoben, der sich den Menschen voll Erbarmen zuwendet (Frankemölle 1997, 298 f.). In der Rezeptionsgeschichte wird naheliegenderweise die zu metaphorischen Deutungen anregende Heilung von Blindheit fruchtbar gemacht – bis hinein in die religionsdidaktische Reflexion von Blindenheilungserzählungen (z. B. Pfeifer 2002, 47-119; allerdings ausgehend von Joh 9). Daneben richtet die Auslegungsgeschichte das Augenmerk auf die Umstände der Heilung: Jesus geht vorüber, bleibt stehen und wendet sich zu; die Blinden ergreifen die Gelegenheit zur Begegnung, die ihnen Heilung und Nachfolge ermöglicht. Mittels einer allegorischen Deutung wird diese Begegnung mit dem »Vorübergehenden« in heilsgeschichtlicher Perspektive für die Menschwerdung des Gottessohnes durchsichtig gemacht, die den Menschen überhaupt erst Begegnung und Glaube ermöglicht (vgl. Luz 2012, 170 f.). Für Matthäus charakteristisch ist die Zweizahl der Blinden; sie wird manchmal ebenfalls allegorisch gedeutet, z. B. auf Juda und Israel, die beiden Teile des auf den Messias wartenden Gottesvolkes, oder auf die aus Juden und Heiden sich zusammensetzende Kirche. In der bildenden Kunst wird vereinzelt tatsächlich die Heilung der zwei Blinden dargestellt (z. B. in der Wieskirche in Steingaden oder in Sant’Apollinare Nuovo, Ravenna). Deutlicher tritt so hervor, dass das Sehendwerden in der Begegnung mit Jesus nicht nur ein Einzelgeschick ist, sondern allen offensteht. Zudem ist die bei Matthäus – abweichend von Mk 10,46-52 – erzählte Berührung der Augen für die bildliche Darstellung ein ansprechendes Element, das häufig vorkommt.
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Literatur zum Weiterlesen W. Carter, Households and Discipleship. A Study of Matthew 19-20, JSNT.S 103, Sheffield 1994, 194-203. H. J. Held, Matthäus als Interpret der Wundergeschichten, in: ders./G. Bornkamm/G. Barth, Überlieferung und Auslegung im Matthäusevangelium, WMANT 1, Neukirchen-Vluyn 71975, 155-287, bes. 207-213. M. Konradt, Israel, Kirche und die Völker im Matthäusevangelium, WUNT 215, Tübingen 2007, 18-51, bes. 41-51 P. Trummer, Daß meine Augen sich öffnen. Kleine biblische Erkenntnislehre am Beispiel der Blindenheilungen Jesu, Stuttgart et al. 1998.
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Der verdorrte Feigenbaum und das Bittgebet (Die Verfluchung eines Feigenbaums) Mt 21,18-22 (18) Als er aber am Morgen zur Stadt hinaufstieg, bekam er Hunger. (19) Und als er einen einzelnen Feigenbaum am Weg sah, ging er zu ihm und fand außer Blättern nichts an ihm. Und er spricht zu ihm: »Nie mehr soll aus dir eine Frucht hervorgehen bis in Ewigkeit!« Und der Feigenbaum verdorrte unverzüglich. (20) Und als die Jünger (dieses) sahen, wunderten sie sich und sagten: »Wieso ist der Feigenbaum unverzüglich verdorrt?« (21) Jesus aber antwortete und sagte ihnen: »Amen, ich sage euch: Wenn ihr Glauben habt und nicht zweifelt, werdet ihr nicht nur die Sache mit dem Feigenbaum tun. Sondern wenn ihr diesem Berg sagt: ›Heb dich empor und stürze dich ins Meer!‹, wird dies geschehen. (22) Und alles, worum ihr im Gebet bittet, werdet ihr empfangen, wenn ihr glaubt.«
Sprachlich-narratologische Analyse Der Verweis auf die Stadt (Jerusalem) in 21,18 hat wohl anaphorischen Charakter. Das Matthäusevangelium hat ein besonderes Interesse an Jerusalem, was sich nicht nur kataphorisch durch Jesu Tod am Kreuz in Jerusalem anzeigt, sondern durch zahlreiche Hinweise im gesamten Evangelium entwickelt (2,1 f.; 3,5 u. ö.). In besonderer Dichte begegnet uns Jerusalem in Kap. 21: In 21,1 erfahren wir, dass sich Jesus Jerusalem »nähert«, in 21,10, dass er in Jerusalem »einzog«, in 21,18a, dass er »zur Stadt hinaufstieg« und in 21,23 begibt er sich erneut in den Tempel. Die Angabe in V. 18 ist umso bemerkenswerter, als Markus den Aufbruch mit Betaniën verbindet; nicht so Matthäus. Die »Stadt« wird eigens erwähnt, mit Namen wird Jerusalem in 21,18-22 aber nicht benannt (s. unter »Verstehensangebote«). Ihr besonderes narratives Profil erhält die Erzählung durch die zweiphasige Anordnung als Doppelperikope: Wie in 21,1-11 (Vorbereitung und Einzug nach Jerusalem) und 21,12-17 (Tempelreinigung mit Heilungen und Reaktionen der Hohepriester und Schriftgelehrten), so liegt auch in V. 18-22 eine Doppelperikope vor, die Verfluchung des Feigenbaumes (V. 18 f.) und das anschließende Jüngergespräch über den Glauben (V. 2022). Und wie in den vorangehenden Perikopen, die z. B. durch Heilungen einen wunderhaften Aspekt erhalten, enthält diese Erzählung Aspekte einer Wundererzählung (wunderwirkendes Wort; Konstatierung, Demonstration; Admiration; Theißen/Merz 2001, 266: Strafwunder). Die Erzählung unterscheidet sich jedoch von anderen matthäischen Wundergeschichten insofern, dass sie keine metaphysische Dimension beansprucht (Luz 2012, 23). Während die beiden vorangehenden Erzählungen ihre theologische Prägung durch ein biblisches Zitat erhalten, fehlen diese eindeutigen Zitatanklänge in den Versen 18-22. Im ersten Teil der Erzählung ergeht ein Fluch Jesu gegen den Feigenbaum (»Nie mehr soll aus dir eine Frucht hervorgehen …«; V. 19c), der in der Feststellung mündet, dass der Feigenbaum »unverzüglich verdorrt« (V. 19d). Das unverzügliche Verdorren 503
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wird von den Jüngern wörtlich wiederholt und mit der Frage nach der Ursache verbunden, denn der Fluch Jesu war lediglich darauf gerichtet, dass der Baum keine Früchte mehr tragen würde, nicht dass er verdorre. Auch sonst zeigt Matthäus ein besonderes Interesse am Fruchtbringen (Mt 3,8.10; 7,16-20; 12,33; 21,19-21 und Mt 21,43) und bezeichnet Früchte als gut (Mt 3,10; 7,17.18.19; 12,43), schlecht (7,17) und faul (12,33). So verwundert es auch nicht, dass Matthäus unterstreicht, dass der Baum nur Blätter hat (mnon monon; Mt 21,19). Abhängig vom Motiv des Fruchtbringens ist der Gerichtsgedanke (Mt 3,10; 7,16; 12,34; 15,13; 21,41), der in Bezug auf den Feigenbaum darin besteht, dass dieser bis in Ewigkeit keine Frucht bringen wird: Neben »nie mehr« (o' mhkffti ou me¯keti) und »in Ewigkeit« (e§@ tn a§na eis ton aio¯na) wird der Aorist Konjunktiv verwendet (gffnhtai gene¯tai; Krämer 2008, 375; statt Mk 11,14 Optativ). Auf die hyperbolische Konkretisierung seines Fluches geht Jesus gar nicht ein, sondern verdeutlicht den Fluch durch den vom Berge-versetzenden-Glauben (V. 21b). Liegt demnach eine Überbietung der Wundergeschichten vor, im Sinne vom »leichteren« zum »schwereren« Wunder (so Fiedler 2006, 327)? Und wem gilt die Strafe? Israel, der Stadt, dem Volk oder einzelnen jüdischen Gegnern? Zunächst ist in der Forschung umstritten, ob sich die Leserlenkung in diesem Abschnitt auf Israel kapriziert (Luz 2012, 23), oder ob sich die Leserlenkung auf die Jünger beschränkt. Im Kontext der Feigenbaumerzählung werden neben den Jüngern auch Volksscharen genannt (21,8), die Jesus unterstützen, sowie von Jesus geheilte Blinde und Lahme und ihm zujubelnde Kinder (21,15). Als Opponenten werden Hohepriester, Schriftgelehrte, Älteste und Pharisäer (21,15.23.45) im Kontext der Geschichte erwähnt. Demnach sind immer einzelne religiöse Gruppen und deren Führung angesprochen, jedoch nie ganz Israel. Die Volksmengen werden vielmehr als »Schafe, die keinen Hirten haben« (9,36), charakterisiert (Frankemölle 1997, 303). Eine Ablösung Israels durch Jesus und die Kirche wird jedenfalls explizit nicht angesprochen. Als handelnde Personen sind demgegenüber Jesus und die Jünger in diesem Abschnitt mehrfach belegt. Gegen die These, dass sich die Leserlenkung rein auf die Jünger kapriziert, lassen sich drei Aspekte vorbringen: (1) Die Erzählungen bei Markus und Matthäus (Mk 11,12-14; Mt 21,18-19; sowie auch Lk 13,6.9) stimmen in der Abfolge der Verben dahingehend überein, dass Jesus hungerte, kam, nichts fand und sagte (Indikativ bei Matthäus). Doch während im Markusevangelium die Jünger das Subjekt des Satzes sind, indem sie hörten (ˇkouon e¯kouon), wird im Matthäusevangelium der Baum zum Subjekt des Satzes: Dieser verdorrte (¥xhr€nqh exe¯ranthe¯, Aorist Passiv). (2) Nicht nur die Jünger werden von Jesus angesprochen, sondern auch der Baum (¥k sou ek sou – von dir). (3) Zudem verwendet Matthäus den Begriff »unverzüglich« (paracr»ma parachre¯ma), das bei Matthäus ein Hapaxlegomenon ist, während er sonst e'qÐ@ (euthys – schnell) verwendet; dies mag sich nur dadurch erklären, dass paracr»ma eine Unverzüglichkeit einer Handlung auszudrücken vermag (jetzt sofort!) (Telford 1980). Sodann ist die Frage, ob sich die Leserlenkung auf die Frage nach dem richtigen Beten richtet (V. 20-22), das sich dann an die Glaubenden wendet. Damit würde ein Schema aufgenommen, das auch in der weiterführenden Erzählung grundlegend ist: Der erste Teil wendet sich an Gegner und der zweite Teil an die Glaubenden (Luz 2012, 24). Doch dies ist so plausibel nicht, denn auf der Textebene sind lediglich die Jünger anwesend.
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Sozial- und realgeschichtlicher Kontext Die Erzählung spielt im Frühjahr, kurz vor dem Paschafest. Da der Feigenbaum zu den blattwechselnden Bäumen gehört, verliert er im Winter seine Blätter und treibt im Frühjahr neu aus; auch die Frühjahrsfeigen setzen ihren Reifungsprozess fort, doch ist eine erste Frucht wohl erst im Mai zu erwarten (ausführlich zuletzt Böttrich zu Mk 1997, 337339). Realgeschichtlich ist zudem der Terminus bemerkenswert, der Verdorren ausdrückt, ¥xhrammffnhn (exe¯rammene¯n) in V. 19 und 20 (gemeinsam mit Markus). Der Begriff begegnet neben direkten Verweisen auf diese Stelle bei den Kirchenvätern und den weiterführenden historischen Erläuterungen des christlichen Historikers Oribasius verstärkt in medizinischen Quellen, so in der medizinischen Schrift des Corpus Hippocraticum De victu (Hippocr. vict. 21.7) oder aber in Galens Locis affectis (Galen. loc. aff. 8,172; meth. med. 10,410; simpl. med. 12,146.147.294). Die Quellen sprechen von einem Austrocknen des Körpers, indem die Hitze im Körper überwiegt und dem Verdorren eines Körperglieds oder Organs aufgrund dieses Säfteungleichgewichts im Körper (Weissenrieder 2010, 280). De mulieribus des Corpus Hippocraticum kennt beispielsweise das Vertrocknen der Milch in der Brust einer stillenden Mutter. Doch nicht nur antike medizinische Quellen bezeugen das physiologische Verständnis von Verdorren (¥xhrammffnhn exe¯rammene¯n). Das Neue Testament gibt an weiteren Stellen Zeugnis vom Vertrocknen eines Körperteils, nämlich bei der Heilung der »verdorrten Hand« am Sabbat (Lk 6,8) und vom Trocknen des Blutflusses der blutflüssigen Frau (Mk 5,29 par.). Dass auch im Gleichnis vom Sämann (xhrafflnw xe¯raino¯) für das Austrocknen der Saat in der Sonnenglut vorkommt (Mk 4,6 par.), das gleichzeitig ja auch eine Personifikation des Menschen durch eine Frucht zugrunde legt, zeigt, dass die neutestamentlichen Autoren durchaus mit der changierenden Bedeutung des Begriffs vertraut waren. Besonders auffallend ist ¥xhrammffnhn (exe¯rammene¯n), da in der Septuaginta und auch in zahlreichen antiken Quellen vom Verdorren einer Pflanze mit dem Verb katerrÐhken (katerrye¯ken, Jer 8) ausgedrückt wird, das ein Vertrocknen einer Pflanze meint. Demnach könnte die Verwendung des Begriffs »verdorren« xhrafflnw (xe¯raino¯) darauf hinweisen, dass Jesus hier den Feigenbaum als menschlichen Körper anspricht und somit personifiziert. War der Feigenbaum als Personifikation auch im 1. Jh. verständlich?
Traditions- und religionsgeschichtlicher Hintergrund Die nächstliegende Möglichkeit für Analogien des Feigenbaums ist der alttestamentliche Hintergrund. Doeve (Doeve 1954/55) zieht die Linie von der Tempelreinigung zu dem Motiv des Feigenbaums. Die Erzählung des Feigenbaums sei als Erfüllung der Worte Gottes in Mi 7,1-7 und Jer 7,20 zu deuten. Der Zorn Gottes gegen Jerusalem sei schon ausgebrochen und somit die Verfluchung ein eschatologisches Faktum. Fraglich ist jedoch, ob die Belege im Judentum auch eschatologisch gedeutet wurden. Andere Forscher wie Münderlein (Münderlein 1964/65, 89-91) oder Giesen (Giesen 1976) versuchen, das 505
Die Wundererzählungen im Matthäusevangelium
Motiv des Feigenbaums besonders anhand Jeremia verständlich zu machen. Als zentraler Text wird meist auf Jer 8,13 verwiesen, der im Kontext von Jeremias Klage über den Tempel steht: »… es gibt weder Weintrauben am Weinstock, noch Feigen (s‰ka syka) am Feigenbaum (pl. ¥n ta…@ suka…@ en tais sykais); sogar die Wurzeln sind verdorrt (katerrÐhken katerrye¯ken)«. Die Kombination der Motive – die vergebliche Suche nach Feigen und der verdorrte Feigenbaum – legen eine Verbindung zu Jeremia in der Tat nahe. Dass der verdorrte Feigenbaum aber die Zerstörung des Tempels und Jerusalems (so Doeve 1954/55; Münderlein 1964/65, 103 f.) oder gar die Verwerfung ganz Israels (Giesen 1976, 99; Gnilka 1988, 212-214) versinnbildliche, das keine Frucht hervorbringe und deshalb alle Privilegien als Gottesvolk verliere, dafür gibt es in Mt 21,18-19 keine Hinweise. Sollte der »verdorrte Feigenbaum« demnach als Gerichtsbild verstanden werden, das dann in Mt 21,18 f. wiederum nur aktualisiert worden wäre? Dann käme nur die folgende Deutung in Frage: Die Jünger sind mitverantwortlich für die Katastrophe, die sich durch das symbolische Verdorren des Feigenbaums andeutet, denn diese würden dann als Zweifelnde und Ungläubige gebrandmarkt werden, deren Bitte von Gott nicht gehört würden. Zudem erklärt diese Deutung das physiologische Verständnis des Begriffs »verdorren/vertrocknen« nicht. Daneben begegnet uns der Feigenbaum in der römischen Antike zudem in Bezug auf Gründungsmythen Roms, die uns über Romulus und Remus weitergegeben werden. Der Feigenbaum steht demnach für Rom und ihre Gründungsväter (schon Frazer 1910, 318). In den visuellen Quellen begegnen wir den Zwillingen Romulus und Remus unter dem Feigenbaum, dem ficus ruminalis, sitzend, wie sie auf eine wundersame Weise von der Lupa Romana gesäugt werden (Weissenrieder 2010, 265-274). Besonders häufig begegnet uns diese Figurenkonstellation auf Münzen, die wir ab dem 3. Jh., insbesondere aber von Augustus an, belegt finden.
Abb. 7: Denarius von Sestio Pompeio Festulo, 135-126 v. Chr.
Die Kombination von nährender Wölfin, geretteten Zwillingen und Feigenbaum sind so dominant, dass alle nachfolgenden Bildverbindungen an dieser Aussage teilnehmen. Dies gilt in besonderem Maße auch für die Feigenbäume, die im 1. Jh. n. Chr. das Forum Romanum und dessen Umgebung geprägt haben. Dass der Gründungsmythos auch in 506
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Palästina und Syrien bekannt gewesen ist, belegen zahlreiche visuelle Quellen (Weissenrieder 2010, 27-279). Der nährende Aspekt steht in dieser Bildtradition im Zentrum und wird visuell durch die Wölfin und den Feigenbaum repräsentiert. Die Benennung des Feigenbaums als ficus Ruminalis beruht entweder auf der etymologischen Verbindung von Ruminalis bzw. rumis, der weiblichen Brust, oder auf dem toponymischen Zusammenhang mit dem etruskischen Rum, d. h. der Göttin Roma. Die Verbindung von Roma und dem Stadtgründer Romulus liegt auch durch die Münzprägungen nahe, da zahlreiche Münzen, die den Feigenbaum mit Romulus und Remus auf dem Reverse abbilden, auf dem Obverse eine auf dem Thron sitzende Roma oder den Kopf derselben zeigen. Besonders bezeichnend ist freilich die Inschrift auf der Reversseite der Münzen: ROMA. Mit diesem Titel werden demnach sowohl die Göttin als auch die Gruppe um den Feigenbaum bezeichnet. Obgleich dem Feigenbaum eine nährende Funktion zugeschrieben wird, ist eines auffällig: An keiner einzigen Stelle im visuellen Bildprogramm werden die Früchte des Baumes abgebildet. Neben Abbildungen des Feigenbaums finden sich zudem zahlreiche antike Quellentexte mit z. T. verwirrenden Angaben über mehrere Feigenbäume, die fast ausschließlich an zentralen Orten auf dem Forum Romanum platziert waren, und die im kulturellen Gedächtnis der Einwohner eine zentrale Rolle gespielt haben dürften. Livius (1,4,5), Plinius (nat. 15,20,77) oder auch Plutarch (Rom. 3,5-4,1; fort. Rom. 320c-e) verbinden den ficus Ruminalis mit der Stelle, an der die Zwillinge gerettet und genährt wurden, und verweisen auf den Palatin in der Nähe des Lupercal. Dass diese Botschaft von der Gleichsetzung des Feigenbaums mit Rom allgemein verständlich war, zeigt sich besonders daran, dass es Geschichtsschreibern wie Tacitus erwähnenswert erschien, zu beschreiben, dass eben dieser heilige ficus Ruminalis im Jahre 58 n. Chr. plötzlich seine Blätter verlor und verdorrte, so dass man ihn fällte (Tac. ann. 13,58). Dass dieses nicht nur von den einfachen Leuten als beunruhigendes Zeichen wahrgenommen worden ist, zeigt sich daran, dass nun ein weiterer Feigenbaum auf dem Forum, der so genannte ficus Curtia, als ficus Ruminalis verehrt wurde und zudem einige neue Münzprägungen aus dem Jahre 58 belegt sind, die den Feigenbaum zeigen (Weissenrieder 2010, 276). Dieser Zeitraum gibt uns einen konkreten Anhaltspunkt, der die Erzählung des Feigenbaums historisch plausibel machen kann. Die Feigenbaumtradition in Rom kann demnach ebenso wie die alttestamentlichen Stellen das Vertrocknen des Feigenbaums als Zeichen für eine Strafhandlung Gottes erklären, hat aber über diese hinaus weitere Vorteile: Erstens deutet man den Feigenbaum für das 1. Jh. n. Chr. in einem spezifischen Lokalkolorit, und zweitens kann man den Hintergrund der Erzählung in der Frage nach dem Gründungsvater und die Nähe des Feigenbaums zum Tempel zeigen.
Verstehensangebote und Deutungshorizonte Entsprechend den zwei Ebenen der Erzählung kann man in der metaphorisch-paradigmatischen Deutung unterscheiden zwischen der im »Strafwunder« vorausgesetzten Identifizierung mit dem Feigenbaum als anthropologischer Metapher und dem im Dialog über das Bittgebet mit den Jüngern paradigmatisch entwickelten Lernprozess mit den
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Die Wundererzählungen im Matthäusevangelium
Jüngern. Grundlegend für diese Interpretation ist, dass man diesen Text als exemplarischen Text für eine Jüngerbelehrung deutet. Gottes Handeln an Israel, seinem störrischen Volk, wird in biblischen Texten über die Metapher unfruchtbarer Bäume beschrieben. So heißt es in Ps 105,33: »Er zerschlug ihren Weinstock und Feigenbaum und knickte in ihrem Gebiet die Bäume um«. Und in Jer 8,13 hören wir, dass Gott »keine Traube am Weinstock, keine Feige am Feigenbaum findet« und das Laub verwelkt ist. Zuletzt hat Frankemölle darauf hingewiesen, dass »verdorren« in diesem Zusammenhang als »anthropologische Metapher« zu deuten sei. In diese Richtung können auch die Ergebnisse der sozialgeschichtlichen Analyse ausgewertet werden, die eine Personifizierung des Feigenbaums nahelegen: Der verdorrte Baum kann metaphorisch für einzelne Menschen, Menschengruppen oder -typen stehen, die einen mangelnden Glauben aufweisen (von Gemünden 1993, 141; Frankemölle 1997, 319). Jesu symbolisches Handeln, das im Gebet gründet, ist somit Vorbild für den Glauben jedes einzelnen Jüngers. Paradigmatisch ist die Erzählung in dem Sinne, dass die Lesenden in den Lernprozess des Betens (proseucffi proseuche¯) und Bittens (a§tffw aiteo¯) einbezogen werden. Beide Begriffe werden in der vorliegenden Perikope unterschieden. Während das Gebet auf eine gegenseitige Verbindung mit Gott verweist (m. E. nur an Gott in Mt 21,22; sonst an Jesus; anders: Frankemölle 1997), ist die erhörende Bitte einseitig. Kreuzigung und Auferstehung Jesu sind – im Gegensatz zum Markusevangelium – nicht Voraussetzung für das Gebet (Ostmeyer 2006, 238 f.; Cullmann 1994, 75). Anders als Markus kennt Matthäus jedoch unterschiedliche Abstufungen des Glaubens. So nennt er »Kleingläubigkeit« (Mt 6,30; 8,26; 14,31; 16,8) oder auch Senfkorn-Glaube (Mt 17,20) sowie einen bedingungslosen Glauben (z. B. 6,7-8; 7,7-11; 18,19-20). Die Feigenbaum-Perikope bietet das Gegenstück zu dem Kleinglauben der Jünger, wie sie uns beim Scheitern der Heilung des so genannten mondsüchtigen Knaben in Mt 17,20 begegnet: Was die Jünger im Glauben erbitten, werden sie erhalten (V. 22). Dies ist im Matthäusevangelium nicht singulär: Dreimal wird Gläubigen die Erhörung ihrer Bitten zugesichert: In Mt 7,11 wird denjenigen, die den Vater bitten, Gutes verheißen. In Mt 18,19 wird die Bitte in einem Rechtsstreit thematisiert, wobei sie nicht im Namen Jesu vorgebracht werden muss. Und in Mt 21,22 wird schließlich die Bitte syntaktisch dem Gebet untergeordnet, wodurch sich zudem eine inhaltliche Abhängigkeit ergibt. Anders als Mk 11,24 steht die Bitte hier nicht gleichberechtigt neben dem Gebet. Die Vergangenheitsform »dass ihr bereits empfangen habt« impliziert, dass im Gebet Erhörung miteingeschlossen ist (Cullmann 1994, 28). Im Gebet ordnet sich die Bittende dem Willen Gottes unter (Mt 21,22) und bittet darum, dass sich in ihrer Bitte Gottes Wille vollzieht (Feldmeier 1987, 63). Demnach ist die »richtige« Bitte der Modus des Gebets, das Gebet selbst jedoch zeigt die Beziehung zu Gott an. Schon früh wurde die Form eines Strafwunders bezweifelt, denn ein solches wäre nicht nur in der synoptischen Tradition singulär. Zudem weist es auch keinen einleuchtenden Grund für eine Strafe innerhalb der Erzählung auf (Fiedler 2006, 327). Und schon früh hat man auf alttestamentliche Forschung verwiesen, die herausgearbeitet hat, dass der Modus des Fluches zwischen Wunsch und Feststellung changiert. W. Schottroff hat überzeugend gezeigt, dass die Tendenz des Fluchwortes ursprünglich ein Wirkwort aus dem Bereich der Magie war und später dem Gottesglauben unterstellt wurde und somit eine Bitte um Fluch wurde (Schottroff 1969, 112-120). Fluchworte sind mit den 508
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Weheworten verwandt, sie beklagen jedoch meist einen schon vorhandenen Verlust. Ein Wehewort ist mehr als pädagogisches Wort zu deuten, das eine Warnung vor den Folgen ausspricht. Manche Exegeten vermuten daher, dass die Leserlenkung ursprünglich auf ein Bedauern und eine Klage Jesu gerichtet gewesen sei, das Jesus auf aramäisch gesprochen habe (Bartsch 1962), wobei man die Ursprünge bei Markus als Wort der Klage liest, die diese Geschichte dann auch stärker in die Passionsgeschichte einzureihen vermag. Der Fluch reflektiert die Perspektive der nachösterlichen Gemeinde (Böttrich 1997, 348), die das Wehewort in die Passionsgeschichte einträgt und später in ein Fluchwort übersetzt. Homi K. Bhabha hat die postkoloniale Literaturtheorie besonders durch seine Arbeiten zu Narration und »Nation« bereichert und den Begriff der DissemiNation geprägt (Bhabha 1990; ders. 2000). DissemiNation weist auf die Ambivalenzen innerhalb einer Kultur, »Nation« oder Identität hin. Für die Interpretation unserer Passage könnte man diesen Begriff möglicherweise fruchtbar machen, indem man den Feigenbaum als Symbol für den Gründungsmythos Roms wahrscheinlich macht: Rom als Weltmacht beruft sich auf ihren Ursprung und damit auf eine kontinuierliche Geschichte, welche alle Völker mit Rom verbinden solle, wozu sicherlich der Gründungsmythos von Romulus und Remus und die damit verbundenen nationalen Symbole wie der Feigenbaum gehören. Diese muss sich eine Gesellschaft immer wieder ins Bewusstsein rufen und dadurch bestätigen. Dass das zentrale Symbol für den Gründungsmythos, der Feigenbaum auf dem Forum Romanum, im Jahre 58 verdorrt ist und man daraufhin nicht nur einen anderen Feigenbaum umpflanzte, sondern mit Münzprägungen dieser Symbolkraft des Verdorrens von Rom entgegentreten wollte (s. o.), kann man als Evidenz dafür bewerten, dass man die Symbolkraft Roms unter Nero als gefährdet ansah und diesem Eindruck entgegenwirken wollte. Nun ist es nach Bhabha aber durchaus möglich, das nationale Symbol in Frage zu stellen. In der sprachlich-narrativen Analyse ist aufgefallen, dass die Stadt in Mt 21 nicht benannt ist. Das Fehlen des Städtenamens ermöglicht es, die Geschichte auf Rom auszuweiten. Nachdem nun in der Erzählung Jesus zunächst festgestellt hat, dass der Feigenbaum nichts als Blätter und keine Früchte für den Hungernden trägt, spricht Jesus den Feigenbaum an, was durch »von dir« (¥k so‰ ek sou) deutlich wird. Demnach kann man vermuten, dass der Feigenbaum als personifiziertes Emblem des Stadtgründers Roms angesprochen ist. Diese Vermutung bestätigt sich durch eine weitere Beobachtung: Nur bei Matthäus findet sich in 21,15 ein Hinweis auf Jesus, den Sohn Davids, der uns wiederum auf den Stammbaum und die Geburt Jesu Mt 1,17.20 und auf 2,2 (»neugeborener König der Juden«) verweist. Der Gründungsmythos Roms wird durch einen neuen Gründungsmythos hinterfragt, der Jesus, der Sohn Davids, ist. Der Missionsbefehl mag dieses Argument noch vertiefen, indem er »alle Völker« (28,19: p€nta tÞ ˛qnh panta ta ethne¯) einbezieht. Demnach könnte man die Erzählung über den Fluch des Feigenbaumes als eine politisch konnotierte Erzählung lesen, die gerade nicht das Gericht über Israel verkündigt, sondern das über die unterdrückende Macht Rom. Bhabha spricht in diesem Zusammenhang von nationalen Gegen-Geschichten, die das auf Einheit basierende Konzept Roms erschüttern (Bhabha 2000, 205-244).
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Die Wundererzählungen im Matthäusevangelium
Aspekte der Parallelüberlieferung und Wirkungsgeschichte In der Wirkungsgeschichte hat man sich v. a. mit der Deutung des Feigenbaums und der Rolle des Gebets befasst. Traditionell wird das Strafwunder über den Feigenbaum als zeichenhafte Ankündigung des Gerichts über Jerusalem, Israel (und den Tempel!) gedeutet. Man ordnet nicht nur das Bild des Feigenbaums religionsgeschichtlich in die Gerichtsklage über Israel bei Jeremia ein, sondern man liest auch die im Kontext stehenden Gerichtsparabeln und deren Erwähnung der Früchte (21,43) zusammen mit dem Strafwunder. Diese antijudaistische Lesart hat sich schon früh durchgesetzt. In jüngerer Zeit wird jedoch verstärkt versucht, die Rolle der Jünger in der Erzählung zu betonen, die auch die Leserlenkung verändert (s. dazu die narratologische Analyse von Telford 1980; Frankemölle 1997; Fiedler 2006; Böttrich 1997). Daneben ist für die Wirkungsgeschichte auch die Thematik des Jüngergesprächs ernst zu nehmen. In diesem nämlich wird das Gebet thematisiert. Doch auch dieser Aspekt der Erzählung gilt heute als nicht weniger problematisch, denn sich in Fragen der Welt von Gott abzuwenden, erweist sich säkular als folgenlos und dies ist wiederum theologisch folgenreich: Es zwingt zunächst dazu, das Gebet in Relation zur Grundsituation des Menschen als Gegenüber Gottes zu deuten und nicht von einer Bitte in einer existenziellen Notsituation her (s. Ausführungen zur Hermeneutik). Grundlegend ist der Gedanke, dass Gott sich vom Menschen berühren lassen will. Neutestamentlich führt uns dies zu Gottes Schweigen im Getsemanigebet: Gott hat sich selbst in seiner Menschwerdung der Erfahrung des Schweigens und des Todes ausgesetzt und zeigt gerade darin den zentralen Aspekt des Bittgebets: Gott hat sich in Jesus selbst diesem Schweigen ausgesetzt und das Bittgebet ist der »intensivste Ausdruck des Menschen, dass diese Verdunkelung ihn nicht bestimmen möge« (so ausführlich Striet 2010, 107-123).
Annette Weissenrieder Literatur zum Weiterlesen H. Giesen, Der verdorrte Feigenbaum – Eine symbolische Aussage? Zu Mk 11,12-14.20f., BZ 20 (1976), 95-111. W. R. Telford, The barren temple and the withered tree. A redaction-critical analysis of the Cursing of the Fig-Tree pericope in Mark’s Gospel and its relation to the cleansing of the temple tradition, JSNT.S 1, Sheffield 1980. A. Weissenrieder, The Didactics of Images: The Fig-Tree in Mark 11:12-14, 20-21, in: A. Weissenrieder/R. C. Coote (Hg.), The Interface of Orality and Writing: Seeing, Speaking, Writing in the Shaping of New Genres, WUNT 260, Tübingen 2010, 260-282.
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IV. Die Wundererzählungen im Lukasevangelium
Hinführung Quellenlage und Textauswahl Der Verfasser des lukanischen Doppelwerks aus Evangelium und Apostelgeschichte beginnt seine Schrift mit dem Hinweis auf die Verarbeitung von unterschiedlichen Quellen (Lk 1,1-4). Auch im Blick auf die Wunderüberlieferung lässt sich die Einarbeitung vorausliegender Texte erkennen, wobei man auf der Basis der Zwei-Quellen-Theorie (s. dazu Schnelle 2011, 185-218) Texte aus der Markustradition, aus der Logienquelle Q sowie Sondergut-Texte unterscheiden kann. Lukas weist im Evangelium 20 Einzelperikopen auf, die man gemäß unserer Gattungsdefinition (s. Einleitung) den Wundererzählungen zurechnen kann. Nach der Zählung des Kompendiums verzeichnet das Markusevangelium 18 Wundererzählungen, von denen Lukas nur 12 übernimmt. Im Lukasevangelium fehlen der Seewandel Jesu (Mk 6,45-52), die Heilung der Tochter der syrophönizischen Frau (Mk 7,24-30), die Heilung eines Tauben in der Dekapolis (Mk 7,31-37), die Speisung der Viertausend (Mk 8,1-10) sowie des Blinden bei Betsaida (Mk 8,22-26) und schließlich die Verfluchung des Feigenbaums (Mk 11,12-14). Abgesehen von Mk 11 stehen diese Wundererzählungen in der so genannten »großen Auslassung« (Mk 6,45-8,26), d. h. einer abweichend von Matthäus nur in Lukas auftauchenden Lücke gegenüber dem Markus-Stoff, die gewöhnlich mit der Hypothese erklärt wird, dass Lukas eine abweichende Fassung des Markus vorlag. Man wird deshalb die Auslassungen nicht theologisch oder redaktionell überbewerten dürfen (so Knoch 1993, 75). Auch die Vermutung, dass seine Auslassungen aufgrund einer kritischen Haltung gegenüber magisch anmutenden Manipulationen vollzogen wurden (insb. zu Mk 7,31-37; Mk 8,22-26) sollte nicht aus der entsprechenden Auslassung der Blindenheilung bei Betsaida (Mk 8,22-26) bei Matthäus abgeleitet werden, zumal Lukas sogar ein gesteigertes Interesse an Berührungen zeigt (s. u.). Entsprechend hätten sich auch Markustexte wie z. B. die Betonung der Berührung des Gewandsaums (Mk 6,53-56) oder die Heilung der heidnischen Syrophönizierin gut in die lukanische Wunderkonzeption einfügen lassen. Eine theologisch motivierte Reduktion scheint lediglich bei der Verfluchung des Feigenbaums (Mk 11,12-14) gegeben zu sein, denn dieses singuläre Strafwunder würde eine klare Spannung gegenüber der programmatischen Bedeutung von Wundern als Zeichen der Heilszeit bei Lukas erzeugen (s. u.). Bei zwei Wundererzählungen, die nur bei Matthäus und Lukas überliefert sind, rechnet man mit einer Herkunft aus der Logienquelle Q. Die Fernheilung des Sklaven eines Zenturios bei Lk 7,1-10 (par. Mt 8,5-13*) wird ausführlich erzählt, während Lk 11,14-26 (par. Mt 9,32-34; 12,22-30) eher pauschal von einer Dämonenaustreibung berichtet, an die sich eine Auseinandersetzung über die Legitimität dieses Tuns anschließt (= Beelzebul-Nachgespräch). Lukas hat die meisten Sondergut-Wunder, wobei der wunderbare Fischfang eine literarische Parallele bei Johannes aufweist: 1) Fischfang (Lk 5,1-11; vgl. Joh 21,1-11) 2) Erweckung des Jungen von Naïn (Lk 7,11-17) 3) Heilung der verkrümmten Frau (Lk 13,10-17) 513
Die Wundererzählungen im Lukasevangelium
4) Heilung eines Wassersüchtigen (Lk 14,1-6) 5) Heilung der zehn Aussätzigen (Lk 17,11-19) 6) Heilung des Ohrs des Sklaven (Lk 22,50 f.) Ob Lukas hierbei auf eigene Quellen zurückgreift oder auch redaktionell Wundererzählungen kreiert (so die Vermutung von Kollmann zu Lk 14,1-6 und 17,11-19, vgl. Kollmann 2011, 129), entzieht sich der Nachprüfbarkeit.
Komposition und redaktionelle Bearbeitung Lukas verarbeitet seine Quellen bekanntlich in großen und kleineren Blöcken. So spricht man von der kleinen (Lk 6,20-8,3) und großen Einschaltung (Lk 9,51-19,27; wobei Lk 18,15-43 wiederum Mk 10,13-52 folgt). Der zweite Block wird auch inhaltlich als »Reisebericht« benannt. Auch die Blockbildung von Wundererzählungen bei Markus bleibt erhalten: Als Beispiel dieser Kompositionstechnik mag die Wundersequenz in Lk 8 gelten, die durch die Zeitangabe »an einem der Tage« (¥n mi” tn mern en mia to¯n he¯mero¯n) in Lk 8,22 zusammengehalten wird. Es folgen vier verschiedene Arten der Wundertätigkeit Jesu: (1) Naturwunder: Sturmstillung (Lk 8,22-25), (2) Exorzismus bzw. Dämonenaustreibung: Gerasener (Lk 8,26-39), (3) Heilung: Rettung der blutflüssigen Frau (Lk 8,43-48) und (4) Totenerweckung: Auferweckung der Tochter des Jaïrus (Lk 8,40-42.49-56). Hinsichtlich der Gattungsdiskussion wird hier erkennbar, dass Lukas unterschiedliche Handlungen Jesu an Menschen und Natur zusammensieht, also eine Art Gattungsbewusstsein zu erkennen gibt. Möglicherweise kann man in der Reihe sogar eine qualitative Steigerung der Wundertätigkeit Jesu wahrnehmen. Allerdings werden die Wundererzählungen nicht auf einzelne Blöcke in der Makroschrift begrenzt, sondern durchziehen das ganze Evangelium. Die Wundererzählungen begegnen, abgesehen von den Kindheitsgeschichten, in allen Teilen der Schrift. Auch wenn das aus Markus bekannte Gefälle zwischen Galiläa und Jerusalem erhalten bleibt, ist bemerkenswert, dass auf dem Weg fünf Wunder lokalisiert werden und in Jerusalem immerhin eines (Lk 22,50 f.). Während das galiläische Chorazin die wunderbaren Handlungen Jesu nicht würdigt (Lk 10,13), jubeln die Jerusalemer Jesus bei seinem Einzug gerade auch wegen der Wundertaten (dun€mei@ dynameis; Lk 19,37) zu. Die Platzierung im Plot der Gesamtschrift wirkt auch auf die Gestaltung der Einzelperikopen ein. So wird etwa die Verknüpfung von Wort und Tat (s. u.) ebenso wie zwischen Krankheit und Dämonologie gleich zu Beginn programmatisch eingeführt. Könnte man schon bei Mk 1,31 im Erzählen vom »Verlassen des Fiebers« einen dezenten Hinweis auf einen dämonischen Ursprung sehen (vgl. dazu Lau zu Mk 1,29-31 in diesem Band), so wird bei Lukas das Fieber beschworen, bevor es ›ausfährt‹ (Lk 4,38-39). Ferner ist mehrfach von einem »Krankheitsgeist« die Rede (Lk 13,11; vgl. 9,42, s. u.). Die Vernetzung von Rahmenplot und Einzelperikope wird auch bei der Heilung der zehn Aussätzigen deutlich. So etwa wird bei der im Reisebericht platzierten Wundererzählung das Weg-Motiv zentral herausgearbeitet (Lk 17,11: beim Gehen; V. 14: Geht; V. 14: beim Fortgehen [werden sie rein]; V. 19: aufstehend geh!, vgl. dazu Ostmeyer zu Lk 17,11-19 in diesem Band). Grundsätzlich kann man von einer Intensivierung und Präzisierung der Wunder sprechen: So ist z. B. das Fieber der Schwiegermutter des Petrus bei Lukas ein »hohes 514
Hinführung
Fieber« (Lk 4,38 im Gegensatz zu Mk 1,30), die verdorrte Hand wird als »rechte Hand« präzisiert (Lk 6,6 im Gegensatz zu Mk 3,1), die kranken Kinder sind die »einzigen« (monogenffi@ monogene¯s, Lk 8,42 im Gegensatz zu Mk 5,23; Lk 9,38 im Gegensatz zu Mk 9,17). Beim Hauptmann von Kafarnaum wird die Distanz der Fernheilung insofern gesteigert, als nicht nur kein Kontakt zwischen dem Kranken und Jesus zu Stande kommt (so Q; Mt), sondern auch der Kontakt zwischen dem Hauptmann und Jesus noch durch Mittelsmänner (Gesandte; Diener) verhindert wird (Lk 7,1-10). Klar erkennbar wird das Interesse an Wundern auch durch Lk 22,50 f.: Obgleich die Gewaltszene bei Jesu Gefangennahme in allen Evangelien erzählt wird (Mk 14,47; Mt 26,51; Joh 18,10), wird nur im Lukasevangelium das durch einen Jünger abgeschlagene Ohr des Knechts des Hohepriesters von Jesus geheilt. Die kompositionelle Sorgfalt lässt sich auch an vielen Einzelaspekten nachweisen: So zeigt sich nicht nur die konsequente narrative Einlösung der Messiaszeichen in der Antrittspredigt (s. u.), auch der programmatischen Anknüpfung an Elija und Elischa (Lk 4,25-27) folgen Erzählungen, die eben diese Kontinuität Jesu zu den Propheten im Einzelnen belegen: Der Witwe von Sarepta (Lk 4,25 f.; vgl. 1Kön 17,1.9-24) entspricht die Witwe von Naïn (Lk 7,11-17), dem Verweis auf den Feldhauptmann Naäman (Lk 4,27; vgl. 2Kön 5,1-14) wird in chiastischer Anordnung die Erzählung des Hauptmanns (Lk 7,1-10) zugeordnet. Wie die beiden Propheten überschritt auch Jesus mit seinem rettenden Handeln die Grenzen Israels (Severino Croatto 2005, 451-455). In einem ähnlichen Verhältnis von Ankündigung und Umsetzung kann die Wiederaufnahme des Motivs des Kraftflusses in Lk 8,44-47 aus dem Summarium Lk 6,19 gelesen werden. Lk 7,1-10 wird kompositionell auch durch die Stellung im Anschluss an die Feldrede (Lk 6,17-49) hervorgehoben und kann zugleich auch als das Zentrum von sieben Heilungserzählungen in Galiläa betrachtet werden (5,1-9.17; 5,12-16.17-26; 6,6-11; 7,1-10.11-17; 8,26-39.40-56; s. Popp zu Lk 7,1-10). Lukas setzt ferner die Paarbildung von Markus fort (s. Dormeyer, Hinführung Markus; ferner Wolter 2008, 20 f.), nicht wie bei Matthäus durch Verdoppelung der Handlungsfiguren, sondern durch paarweise Zuordnung der Perikopen. So kann man z. B. eine Verknüpfung von Lk 4,31-37 mit Lk 4,38-41 mit komplementärer Intention erkennen: Exorzismus und Heilung, öffentlicher (Synagoge) und privater Raum (Haus), dort der aussätzige Mann, hier die fieberkranke Frau. Auch die zwei Totenerweckungen (s. u.) zeigen diese Tendenz (Tochter – Sohn; Vater – Mutter etc.). Eine gewisse Komplementarität kann ferner in den beiden aufeinanderfolgenden Sondergutwundererzählungen Lk 13,10-17 und Lk 14,1-6 erkannt werden (Frau – Mann), die mit Sabbatkonflikt und der durch eine rhetorische Frage eingeleiteten Parabel zum Rind (Lk 13,15; 14,5) eine Ähnlichkeit aufweisen. Paarbildungen zeigen sich aber auch über größere Spannungsbögen hinweg: So könnte man in der Anordnung der Aussätzigenheilungen am Anfang und Ende von Jesu Wunderwirksamkeit (Lk 5,12-16 und Lk 17,11-19) eine bewusste Inclusio vermuten, bei der zugleich ein Weg von der Heilung an Israel hin zu den Samaritanern erkennbar wird. Bezieht man das lukanische Doppelwerk in die Betrachtung mit ein, so kann man auch hinter den heilenden und rettenden Schlusswundern (Lk 22,51: Ohr; Apg 27: Schiffbruch, dazu Pichler 2007, 179-202) oder zwischen der ersten erzählten Heilung der Schwiegermutter des Petrus (Lk 4,38 f.) und der letzten erzählten Heilung des Vaters des Publius (Apg 28,7 f.), also an komplementären Elternteilen, die jeweils an Fieber erkrankt waren, eine bewusste konzeptionelle Zuordnung vermuten. 515
Die Wundererzählungen im Lukasevangelium
Redaktionelle Arbeit zeigt sich schließlich auch an der kompositionellen Verknüpfung von Einzelperikopen. Nach der im Anschluss an E. Lämmert von G. Theißen in die Wunderredaktion eingebrachten Systematik kann man fünf Möglichkeiten der verbindenden Komposition unterscheiden (vgl. Theißen 1998, 199): Gelegentlich findet sich am Anfang oder Ende einer Wundererzählung ein Zeitanschluss (Lk 4,42: »als Tag wurde«; 5,27); Orts- (Lk 4,38; 19,1) und Geschehensanschluss (Lk 9,43) werden nur vereinzelt aus den Vorlagen übernommen, auch der Motivationsanschluss, d. h. die Überleitung durch eine handelnde Person, spielt keine nennenswerte Rolle. Nach Theißen dominiert für Lukas hingegen die Zustandseinleitung, indem stereotype Einleitungsformeln (besonders ka½ ¥gffneto kai egeneto – und es geschah) verwendet werden.
Formen und Themen der Wundergeschichten Versucht man, die Wundererzählungen nach Themen und Gegenstandsbereichen zu unterscheiden, so dominieren die zwölf Heilungswunder (9 bei Mk): Lk 4,38-41; 5,12-16; 5,17-26; 6,6-11; 7,1-10; 8,43-48; 9,37-43; 13,10-17; 14,1-6; 17,11-19; 18,35-43; 22,50 f. Verschiedene häufige und auch eher seltenere Krankheitsbilder und körperliche Schädigungen werden dabei benannt: Fieber (4,38-41), Blindheit (18,35-43), Lähmung (5,1726), Taubstummheit (9,37-43), Aussatz (5,12-16; 17,11-19), Blutfluss (8,43-48), Wirbelsäulenverkrümmung (13,10-17), Wassersucht (14,1-6) sowie eine verdorrte Hand (Lk 6,6-11) oder ein abgehauenes Ohr (Lk 22,50 f.). Die Krankheit des Sklaven des Zenturios wird nicht näher benannt (Lk 7,1-10). Nehmen wir die geheilten Personen in den Blick, so werden meist Männer geheilt, allerdings auch drei Frauen (Schwiegermutter des Petrus 4,38-41; blutflüssige Frau 8,43-48; verkrümmte Frau 13,10-17); in Lk 7,1-10 wird von einer Fernheilung berichtet, die gegenüber der Vorlage dadurch gesteigert wird, dass weder Kranker noch direkter Bittsteller mit Jesus in direktem Kontakt stehen; Lk 17,1119 erzählt von einer Kollektivheilung an zehn Aussätzigen, die als Brücke zu den zahlreichen Summarien (Lk 4,40 f.; 5,15; 6,17-19; 7,21-22; 8,2; 13,32; 19,37, s. u.) betrachtet werden kann, bei denen z. T. regelrecht Massenheilungen erwähnt werden. Lukas berichtet von drei Exorzismen, die jeweils aus den uns bekannten Quellen übernommen werden (Exorzismus in Kafarnaum: Lk 4,31-37 par. Mk 1,21-28; Dämonenaustreibung des Geraseners Lk 8,26-39 par. Mk 5,1-20; Dämonenaustreibung mit Beelzebul-Vorwurf Lk 11,14-26 par. Q 11,14-26). Darüber hinaus lässt sich aus dem Summarium Lk 8,1-3 schließen, dass bei Maria von Magdala eine Austreibung von sieben Dämonen stattgefunden hat (Lk 8,2), auch wenn dies nicht in Einzelheiten erzählt wird. Daneben werden auch bei der Heilung des stummen Jungen (Lk 9,37-43) und der verkrümmten Frau (Lk 13,10-17) jeweils ein »unreiner Geist« (Lk 9,42, vgl. 9,39) bzw. ein »Krankheitsgeist« (Lk 13,11) für die Krankheiten verantwortlich gemacht, so dass man mit gewissem Recht von fünf erzählten Exorzismen im Lukasevangelium sprechen kann. Das Interesse des Lukas an Dämonenaustreibungen (dazu Kirchschläger 1981) wird schließlich durch die Nennung von Exorzismen in Summarien (Lk 4,40 f.; 6,18; 7,21 s. u.), der Macht der Siebzig über Dämonen (Lk 10,17.20) wie auch durch die Erzählung vom ›fremden Exorzisten‹ (Lk 9,49 f.) demonstriert. Allein der Begriff daimnion (daimonion – Dämon) begegnet bei Lukas weit häufiger als in anderen Evangelien (Lk: 23-mal, vgl. Mk: 11-mal; Mt: 11-mal; Joh: 6-mal). 516
Hinführung
Einzig im Lukasevangelium finden sich zwei Totenerweckungen: die Erweckung des Sohns einer Witwe von Naïn (Lk 7,11-17) im Sondergut und die aus Markus bekannte Erweckung der Tochter des Synagogenvorstehers Jaïrus (Lk 8,40-56). Der überwältigende Fischfang (Lk 5,1-11) und die Speisung der Fünftausend (Lk 9,10-17) können nach der Terminologie von Theißen als »Geschenkwunder« bezeichnet werden, während mit der Stillung des Seesturms (Lk 8,22-25) eine einzige Wunderhandlung an der Natur erzählt wird, was Bultmann bekanntlich ein »Naturwunder« (Bultmann 1995, 230-233) nannte. Das Strafwunder des Feigenbaums fehlt bei Lukas.
Das Wundermotiv außerhalb einzelner Erzählungen und die Summarien Von Wundern ist bei Lukas nicht nur in ausgeformten Einzelperikopen die Rede, sondern auch in vielen Summarien, Repliken oder bei den Aussendungsreden. Obgleich Lukas einige Summarien bereits von Markus übernommen hat (so z. B. Lk 4,40 f. par. Mk 1,32-34; Lk 5,15 par. Mk 1,39; Lk 6,17-19 par. Mk 3,7-12), kann man zu Recht in den Summarien auch die theologische Handschrift des Evangelisten erkennen (mit Kirchschläger 1981, 159-212.229-260). Jesus wird als Wundertäter inszeniert, und das von seinem ersten öffentlichen Auftreten in der Heimatstadt Nazaret (Lk 4,16-30) an bis zur Gefangennahme in Getsemani (Lk 22,50 f.), außerdem in überleitenden summarischen Versen (s. u.) bis hin zu den Rückverweisen der Apostelgeschichte, die bei der reduzierten Zusammenfassung der Botschaft Jesu ebenfalls auf die Wunder Bezug nehmen (Apg 2,23; 10,38; 13,23). Antrittspredigt und Täuferanfrage können dabei programmatisch die Bedeutung der Wunder im heilsgeschichtlichen Gesamtrahmen vor Augen führen (anders Tuckett 1982, 347, der in Lk 4,16-30 »pre-Lucan material« vermutet). Jesus liest nach Lukas bei seinem Auftritt in der Synagoge in Nazaret die Heilsverheißung des Jesaja (Lk 4,18-21): Das Evangelium des Gesalbten für die Armen (˛crisffn me e'aggelfflsasqai ptwco…@ echrisen me euangelisasthai pto¯chois – er salbte mich zu verkündigen den Armen eine frohe Botschaft, Lk 4,18 nach Jes 61,1 f.) wird durch eine dreifache Befreiungsbotschaft konkretisiert. Der Freiheitszuspruch für Gefangene und Zerschlagene rahmt die Nachricht an die Blinden, dass sie sehen sollen (ka½ tuflo…@ ⁄n€blevin kai typhlois anablepsin – den Blinden Sehvermögen). Im Zentrum des Armenevangeliums steht also eine Heilung. Jesus legt das Prophetenwort präsentisch aus: Heute ist es erfüllt (Lk 4,21), und zwar in seiner Person. Die Anwesenden wundern sich über diese Worte der Gnade (¥qaÐmazon ¥p½ to…@ lgoi@ t»@ c€rito@ ethaumazon epi tois logois te¯s charitos, Lk 4,22). Man könnte zwar mit Blick auf die sich anschließende Arzt-Parabel Lk 4,23 (vgl. Esch-Wermeling 2007, 523-531) auch eine metaphorische Deutung der Blindenpassage für möglich halten. Eine solche Tiefensemantik der Krankheitsbilder ist für Lukas grundsätzlich plausibel (so Weissenrieder 2003). Doch schon der nachfolgende Verweis auf Wundertaten von Elija und Elischa (Lk 4,25-27; vgl. Poirier 2009) und v. a. die spätere Täuferfrage lassen keinen Zweifel, dass gerade die konkreten Wundertaten Jesu von Lukas als Zeichen der Heilszeit betrachtet werden. Nach Lk 7,20-22 lässt Johannes der Täufer aus dem Gefängnis heraus fragen, ob Jesus »der Kommende« (¡ ¥rcmeno@ ho erchomenos) sei. Jesus antwortet:
517
Die Wundererzählungen im Lukasevangelium
(22) Geht hin, und meldet Johannes, was ihr gesehen und gehört habt: ›Blinde sehen wieder‹, Lahme gehen umher, Aussätzige werden gereinigt und ›Taube hören, Tote werden erweckt‹, Armen wird ein Evangelium verkündet; (23) und selig ist, wer immer nicht Anstoß nimmt an mir. (Lk 7,22-23)
Die Predigt der »frohen Botschaft an die Armen« nimmt unmittelbar auf die Antrittsrede in Nazaret (Lk 4,21) Bezug. Die dort genannte Blindenheilung ist aber nur der Auftakt für die unterschiedlichen Wundertaten, die nun geschehen. Das Summarium nennt die Heilung von Lahmen, Aussätzigen und Tauben und fügt sogar die Totenerweckungen an. Dass dies jedoch nicht mehr nur gepredigtes Wort ist, macht Lukas unmissverständlich durch einen vorgeschalteten – und gegenüber der Q-Vorlage (vgl. Mt 11,2-6) eingefügten – Satz deutlich: »In jener Stunde heilte er viele von Krankheiten, Geißeln und bösen Geistern, und vielen Blinden schenkte er zu sehen« (Lk 7,21). Ferner gehen dem Dialog zwei Wundererzählungen unmittelbar voraus (Lk 7,1-10.11-17). Jesus verkündigt nicht nur, sondern handelt auch. Heilungen geschehen, die Boten des Täufers werden unmittelbar Zeugen dieser Wundertaten, in die Lukas auch die Exorzismen eingliedert. Im Verlauf des Evangeliums werden Einzelgeschichten für jede einzelne dieser Wunderaspekte erzählt: Lahme gehen (Lk 5,17-26), Tote werden erweckt (Lk 7,11-17), Taube hören (Lk 11,14-20), Aussätzige werden rein (Lk 5,12-16; 17,11-19) und schließlich wie eine Abrundung zu Lk 4 wird auch Blinden das Augenlicht zurückgegeben (Lk 18,35-43). Das für Lukas auch hier erkennbare Bemühen um geschichtliche Referenzialität steht keineswegs im Widerspruch zu seiner »heilsgeschichtlichen« Konzeption von Verheißung und Erfüllung. Wie in Lk 4 bleiben die Formulierungen von Lk 7,22 ganz auf die alttestamentliche Verheißung des Propheten Jesaja bezogen, wie die nachfolgende Tabelle erkennbar werden lässt: LXX
Lk 7,22
Jes 42,18: o kwfoffl ⁄koÐsate ka½ o tufloffl ⁄nablffvate §de…n Hört, ihr Tauben, und schaut her, ihr Blinden, dass ihr seht!
tuflo½ ⁄nablffpousin,
Jes 35,5.6 (vgl. Jes 29,18): tte ⁄noicqffisontai ¤fqalmo½ tufln ka½ ta kwfn ⁄koÐsontai tte le…tai £@ ˛lafo@ ¡ cwl@ ka½ tran¼ ˛stai glssa mogil€lwn Dann werden die Augen der Blinden aufgetan und die Ohren der Tauben werden hören. Dann wird springen wie ein Hirsch der Lahme, und die Zunge der Stummen wird frohlocken.
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Blinde sehen, cwlo½ peripato‰sin, Lahme gehen, lepro½ kaqarfflzontai Aussätzige werden rein ka½ kwfo½ ⁄koÐousin, und Taube hören.
Hinführung LXX Jes 26,19: ⁄nastffisontai o nekroffl ka½ ¥gerqffisontai o ¥n to…@ mnhmeffloi@ ka½ e'franqffisontai o ¥n t–» g–» Die Toten werden auferstehen und auferweckt werden die in den Gräbern und freuen werden sich die in der Erde. Jes 61,1: e'aggelfflsasqai ptwco…@ ein Evangelium zu verkündigen den Armen
Lk 7,22 nekro½ ¥gefflrontai, Tote stehen auf,
ptwco½ e'aggelfflzontai‡ Armen wird ein Evangelium verkündigt.
Das mit Jesus in geschichtlichen Zusammenhängen konkret gewordene Heil ist kein anderes als das von den Propheten verkündigte Heil. Auch die übrigen Summarien bringen Aspekte der lukanischen Wunderkonzeption auf den Punkt: So wird von Beginn an die Zusammengehörigkeit von Wort und Tat (mit Achtemeier 1975, 550; Kollmann 2011, 131: Lukas lässt »Wort und Wunder zu gleichberechtigten Beweisen für Jesu Vollmacht werden«) wie auch der beiden zentralen Bereiche Heilungen und Exorzismen betont (Lk 4,31-44; vgl. 13,32). Auf die vollmächtige Lehre (V. 31 f.) werden die beiden markinischen Wunder von der Dämonenaustreibung in der Synagoge (V. 33-37) und Heilung der Schwiegermutter des Petrus (V. 38-39) erzählt. Es fügt sich ein längeres Summarium an (V. 40-41), das in chiastischer Reihenfolge die beiden Einzelwunder mit Kollektivwundern fortsetzt. So werden zunächst Kranke gebracht, dann mit Dämonen Besessene. Trotz der vielen Leidenden wird betont, dass Jesus »jedem Einzelnen von ihnen« (¡ dþ n½ k€st†w a'tn ho de heni hekasto¯ auto¯n) die Hände auflegt und sie heilt. Dass es Lukas gerade auch auf diese manuellen Hand(!)lungen (vgl. ce…r he¯ cheir – »die Hand« in Lk 4,40; 5,13; 8,54; 13,13), ja auf die Berührung ankommt, wird auch in vielen Einzelperikopen herausgestellt (vgl. ¿ptomai haptomai – »berühren« in Lk 5,13; 6,19; 7,14; 8,44-47; 22,51). Die Wundertaten des Messias besitzen für Lukas eine globale Bedeutung. Wie bereits im Summarium von Lk 5,15 die Menge des Volks (cloi polloffl ochloi polloi – wörtl. viele Volksmengen) zusammenkommt, um zu hören und geheilt zu werden, so hebt das Summarium von Lk 6,17-19 gleich mehrfach (2-mal polÐ@ polus – viel/groß, 3-mal p€@ pas – alle/ganz) die quantitative und geographische Bedeutung der Wunder Jesu hervor: Lk 6,17-19 (17) Und nachdem er mit ihnen hinabgestiegen war, stellte er sich auf einen ebenen Platz, und eine große Menge seiner Schüler und eine große Menge des Volkes von ganz Judäa und Jerusalem und der Meeresküste von Tyrus und Sidon (18) kamen, um ihn zu hören und geheilt zu werden von ihren Krankheiten; und die von unreinen Geistern Geplagten wurden geheilt, (19) und die ganze Volksmenge versuchte ihn zu berühren, weil eine Kraft von ihm ausging und er alle heilte. Diese entgrenzende und schließlich sogar weltweite Bedeutung der Wundertaten wird besonders an den Aussendungsreden ablesbar. Bei der Aussendung der Zwölf überträgt 519
Die Wundererzählungen im Lukasevangelium
Jesus »Kraft und Vollmacht« auf die Jünger (˛dwken a'to…@ dÐnamin ka½ ¥xousfflan edo¯ken autois dynamin kai exousian – er gab ihnen Kraft und Vollmacht), damit sie Dämonen beherrschen und Krankheiten heilen können (Lk 9,1 f.), was sie auch sogleich umsetzen (Lk 9,6). Auch die siebzig Apostel werden bei ihrer Aussendung zur Krankenheilung beauftragt (Lk 10,9: qerapeÐete to±@ … ⁄sqene…@ therapeuete tous … astheneis) und erfahren die Macht über Dämonen (Lk 10,17.20), was gewissermaßen das spürbare Zeichen der Verkündigung der Gegenwart des Reiches Gottes ist. Dass dieses Heil nicht an den Grenzen Israels Halt machen kann, wird immer wieder betont. Dabei kann an vorliegende Texte angeknüpft werden, wie bei der Heilung des Sklaven des Hauptmanns (aus Q 7,1-10), der für seinen in Israel einzigartigen Glauben gerühmt wurde (Lk 7,9). Wie sehr diese Entgrenzung für Lukas bereits von Anfang an programmatisch ist, wird wiederum im Anschluss an die Antrittspredigt in Nazaret sichtbar: Der Konflikt mit den Nazarenern entzündet sich an der Zeichenforderung, die von Lukas über einen galiläischen ›Kleinkrieg‹ (Kafarnaum; Nazaret) hinaus durch die prophetische Rückbindung an die Elija-Elischa-Tradition auf die Ebene der Heidenwelt ausgeweitet wird. Es waren ausgerechnet die tyrische Witwe und der syrische Hauptmann, denen das Wunder der Propheten zuteil wurde. Erst jetzt werden die Nazarener wütend (Lk 4,28 f.) und verweisen Jesus seiner Heimat. Die hier bereits angelegte Ausweitung des Evangeliums von Jesus auf die Apostel als Heilsbotschafter sowie von Israel auf die Heiden als Heilsadressaten findet im zweiten Teil des lukanischen Doppelwerks dann breite Entfaltung. In der Apostelgeschichte bildet die Wundertätigkeit der Apostel, insbesondere von Paulus und Petrus, eine wesentliche Säule einer weltweiten Heidenmission (s. Wunderkompendium Bd. 2, Kollmann, Hinführung Apostelgeschichte). Die christologische Fokussierung der lukanischen Wundertheologie führt nicht zu einem zentripetalen, sondern zu einem zentrifugalen Missionskonzept, bei dem die Wundertätigkeit von Jesus auf die Jünger übergeht und gerade so die Wirksamkeit und geschichtliche Konkretion der Evangeliumsbotschaft in alle Welt unterstützt.
Das Wunderkonzept im Lukasevangelium Lukas als Arzt, Historiker oder Theologe? In der Einleitungswissenschaft wird die seit dem Kanon Muratori (200 n. Chr.) vertretene These diskutiert, dass der Verfasser des dritten Evangeliums »Lukas, der Arzt« (Kol 4,14) gewesen sei (Schnelle 2011, 283-286; vgl. Hengel 1984, 60; Thornton 1991, 341). Für die Wundererzählungen würde man dann vermuten, dass im Lukasevangelium ein besonderes Interesse an medizinischem Wissen, Krankheitsbildern bzw. Heilungspraktiken vorhanden sei (so Hobart 1882, tendenziell auch Weissenrieder 2003, 329-374). Trotz der hohen Anzahl an Heilungswundern ist der Textbefund hier allerdings negativ. Die Sachinformationen zu den Krankheiten zeigen kaum Fachvokabular, wohl aber das typische Bemühen des dritten Evangelisten um eine »korrekte fachsprachliche Idiomatik« (Wolter 2008, 7) und verraten daher keine vertiefte Kenntnis im Bereich antiker Heilkunst. Mehr Beachtung verdient hingegen die Debatte um Lukas als Historiograph, die in jüngerer Zeit insbesondere im Anschluss an die Apostelgeschichte geführt wurde (Frey/ 520
Hinführung
Rothschild/Schröter 2009). Dass Lukas sich immer wieder bemüht, durch Referenz auf Quellen und Daten historische Zuverlässigkeit und Arbeitsweisen zu demonstrieren, steht außer Frage. Es wäre allerdings verfehlt, würde man in dieses Bemühen ein modernes oder gar positivistisches Geschichtsverständnis einlesen. Mit Recht wurde darauf hingewiesen, dass antike Historiographen durchaus freier mit Datenmaterial umgehen konnten (Backhaus 2007, 1-29; Dormeyer 2009, 1-33). Die geschichtliche Referenzialität ist bei Wundererzählungen allerdings nicht ausgeprägter als sonst im Evangelium. Stilelemente, die durch Methoden der historiographischen Narratologie (dazu Zimmermann 2011g, 427-443) auf geschichtliche Ereignisse hin befragt werden könnten, finden sich nicht in vermehrtem Maße. Nur vor dem Hintergrund eines naiven Positivismus muss eine solche Bemerkung abwertend klingen. Es bleibt anzuerkennen, dass der Evangelist in seinem Bemühen um historische Zuverlässigkeit gerade auch auf Wunder Jesu rekurriert (Plümacher 2004a, 41). Allerdings sollte man sich hüten, daraus extreme Ableitungen zu vollziehen, sei es, dass allen Wundererzählungen im Sinne von Korrespondenzwahrheitspostulaten Ereignisse zugeordnet würden, sei es, dass aufgrund der fiktionalen Elemente pathetischer Geschichtsschreibung jegliche Ereignisreferenzialität mit Verdacht belegt oder gar bestritten wird. Als Beispiel sei auf die Lokalisierung der Erweckungserzählung in Naïn (Lk 7,11-17) verwiesen. Die konkrete Namensnennung erhöht die historische Plausibilität; allerdings liegt das archäologisch zugeordnete Naïn/Nen (Zwickel 2003, 955) in der Jesreelebene in der Nähe von Schunem, wo Elischa wirkte (2Kön 4,8-32), ist also ebenso auch einem traditionsgeschichtlichen Interesse geschuldet. Dem Erzählmodus des Lukasevangeliums folgend kann man festhalten, dass Wunder als geschichtliche Ereignisse betrachtet werden. Das mag genügen. Die Konkretion des Geschichtlichen steht aber für Lukas in einem theologischen und konkret »heilsgeschichtlichen« Zusammenhang. Die Geschichte dient der Theologie und nicht umgekehrt. Wer hingegen die Wahrheit der lukanischen Theologie von der Faktizität der erzählten Ereignisse abhängig macht, kehrt das hermeneutische Interesse des Lukas gerade um. Fragen wir, worin dieses theologische Wunderkonzept besteht (dazu umfassend Busse 1977, 337-450, der eine christologische, theologische und soteriologische Dimension unterscheidet), so können die anhand der Summarien bereits benannten Aspekte vertieft werden: Die programmatische Rede Jesu in Nazaret vom »Evangelium der Armen« (Lk 4,18-22) wird innerhalb der Wundertätigkeit derart umgesetzt, dass sich Jesus besonders den Marginalisierten und Außenseitern zuwendet. Neben der expliziten Heilung von drei Frauen ist auch die Erweckung bei Naïn letztlich eine Zuwendung an die Witwe, deren Überleben ohne den einzigen Sohn gefährdet war. Auffällig häufig wendet sich Jesus auch Kindern zu: Der Sohn der Witwe (Lk 7,11-17) oder die Tochter des Synagogenvorstehers werden vom Tod erweckt, der taubstumme Junge (Lk 9,37-43) wird geheilt. Auch beim Sklaven des Zenturios wird man an einen jüngeren Mann denken können, ferner wird der Diener des Hohepriesters geheilt (Lk 22,50 f.). Frauen, Kinder und Sklaven sind in der sozialen Hierarchie Außenseiter und Marginalisierte. Narrativ wird diese Hinwendung zu den Randgestalten insofern zur Darstellung gebracht, als auch innerhalb der einzelnen Erzählungen oft Nebenfiguren (minor characters) die heilende und helfende Zuwendung Jesu erfahren. So besteht etwa nur eine mittelbare Beziehung zu Hauptfiguren der Makro-Erzählung (z. B. die Schwiegermutter des Petrus), häufiger treten Fürsprecher der Personen auf (Zenturio für Sklave; Jaïrus für seine Tochter; Vater für seinen Jungen), der Wassersüchtige tritt aus dem Hin521
Die Wundererzählungen im Lukasevangelium
tergrund in den Kreis der Gäste (Lk 14,1-6). Dass diese Hinwendung zu den Armen nicht nur verbaler oder spiritueller Art ist, wird besonders durch die Hervorhebung des Haptischen wahrnehmbar: Das Auflegen der Hände, die Berührung (s. o.), ja selbst der materiale Kraftfluss (Lk 6,19; vgl. ferner in Lk 8,46) sind wesentlicher Bestandteil lukanischer Wunderdarstellung.
Wundertermini: Geist und Kraft Mit dem Terminus dÐnami@ (dynamis – Kraft) wird zugleich ein Leitbegriff lukanischer Theologie und Christologie mit der Wunderthematik verwoben. Die Heilsereignisse werden von Beginn an mit der Kraft des Höchsten (Lk 1,35) bzw. der Propheten (Lk 1,17) ausgestattet und schließlich wird Jesus als Menschensohn mit Kraft in Erscheinung treten (Lk 21,26 f.; vgl. 22,69; Apg 10,38). Diese Kraft ist es, in der Jesus dann auch Wunder wirken kann, indem sie böse/unreine Geister unterwirft (Lk 4,36) und Heilung bringt (Lk 5,17: ka½ dÐnami@ kurfflou Æn e§@ t §”sqai a'tn kai dynamis kyriou ¯en eis to iasthai auton – und die Kraft des Herrn war in ihm zu heilen, vgl. 6,19; 8,46). So können die Wunder Jesu dann auch pauschal als »Kraft-Taten« bezeichnet werden (Lk 10,13; 19,37; vgl. Apg 2,22). Wie Jesus und zuvor bereits die Propheten Kraftträger waren, so kann diese Kraft Gottes auch auf die Jünger und Apostel übergehen, die damit bereits bei ihrer Aussendung befähigt werden, Geister auszutreiben und zu heilen (Lk 9,1 f.) und auf Schlangen zu treten (Lk 10,19). Das lukanische Kraftkonzept ist eng mit der Geistvorstellung des dritten Evangelisten verbunden. Kraft und Geist (pne‰ma pneuma) werden vielfach in einem Atemzug genannt (Lk 1,17; 1,35) und in ähnlicher Weise übertragen bzw. empfangen (Lk 24,49; Apg 1,8) und sogar in der Genitivverbindung »Kraft des Heiligen Geistes« (dÐnami@ to‰ pneÐmato@ dynamis tou pneumatos vgl. Lk 4,14) direkt syntaktisch verknüpft. Religionsgeschichtlich hatte man zwischen einem worthaften Geistkonzept im Judentum und einem substanzhaften Kraftkonzept aus der heidnischen Umwelt (ägyptische und hellenistische Tradition, vgl. Preisigke 1980, 214-246) unterschieden, die bei Lukas in einer spezifischen, aber distinkten Weise verknüpft worden seien (Hull 1974, 105-109). Die Zusammenschau von Geist und Kraft sei für Lukas immer eine Kombination zweier ursprünglich getrennter Bereiche, wobei Geist der (jüdischen) Prophetie und Kraft der heidnischen Wunderkonzeption zuzuordnen sei. Wenn das lukanische Kraftkonzept materiale Züge zeige (vgl. der Kraftfluss in Lk 8,46, vgl. Preisigke 1980, 210215), stelle das etwa nach Preisigke eine »grobsinnliche, aus heidnischer Zeit in das frühe Christentum hinübergleitende Anschauung« (Preisigke 1980, 246; auch Hull 1974, 105) dar. Die Wundertätigkeit Jesu würde für Lukas »nicht ein einziges Mal auf den Geist zurückgeführt« (Schweizer 1959, 405), sondern vollständig durch die »dÐnami@ Jesu« (ebd.) verursacht, eine Auffassung, die von vielen Exegeten aufgegriffen und auf Dämonenaustreibungen ausgeweitet wird, wie Turner referiert: »the Spirit is never directly associated with exorcisms« (Turner 1991, 127). Als Hauptargumente werde auf die Platzierung von Mk 3,28-30 aus der Beelzebul-Kontroverse, d. h. einem exorzistischen Kontext, hin zu Lk 12,10, d. h. einem bekenntnisorientierten Kontext, verwiesen. Auch die angebliche Ersetzung von »Geist Gottes« (Q/Mt 12,28) durch »Finger Gottes« (Lk 11,20) als Kraft der Dämonenaustreibung sei zu beachten. Turner widerlegt jedoch akribisch die Argumente für diese angebliche Distanzierung der pne‰ma (pneuma – Geist)522
Hinführung
Vorstellung und der Wundertheologie innerhalb lukanischer Theologie (Turner 1991, 129-152). Stattdessen zeigt er m. E. zu Recht, dass gerade der Geist der Prophetie als »power of preaching, and as miraculous power of e. g. healing and exorcism« (Turner 1991, 152) erfahren wurde. Kraft und Geist werden in der lukanischen Wunderkonzeption gerade zusammengeführt. Entsprechend kann auch die »Konkurrenz der Geister« betrachtet werden. Die Rede vom »unreinen Geist« als Verursacher von Krankheit und Besessenheit übernimmt Lukas bereits von Markus (Mk 1,23; 5,20; vgl. Lk 6,18; 8,29; 9,42; Apg 5,16; 8,7), spricht aber ferner vom »bösen Geist« (t pne‰ma t ponhrn to pneuma to pone¯ron, s. Lk 7,21; 8,2; vgl. Apg 19,12-16), wobei Lk 11,24 und Lk 11,26 einen synonymen Gebrauch von »unrein« und »böse« erkennen lassen. Ferner verwendet Lukas die Formulierung vom »Geist eines unreinen Dämons« (Lk 4,33: pne‰ma daimonfflou ⁄kaq€rtou pneuma daimoniou akathartou). Das elaborierte Konzept vom Heiligen Geist bei Lukas ist nun nicht nur ein Alternativprogramm, sondern wird gerade auch mit der Wundertätigkeit verbunden. Indem Jesus Menschen von bösen und unreinen Geistern befreit, können sie offen – und sogar im materialen Sinne – frei für den Geist Gottes werden. Das vermutlich bereits aus der Logienquelle stammende Idiom der Austreibung durch den »Finger Gottes« steht deshalb nicht im Gegensatz zum »Geist Gottes« (Mt 12,28), sondern setzt mit dem »starken Anthropomorphismus« (s. Böttrich zu Lk 11,14-23 in diesem Band) das fein-sinnliche Konzept der Berührung in Heilskonkretion um. Die Wunderkraft ist aber keine andere als die Kraft des Heiligen Geistes.
Wunder und (Propheten-)Christologie Wie Lk 11,14-23 unmissverständlich ins Gedächtnis ruft, polarisierte die Wundertätigkeit Jesu. Die erinnernden Wundererzählungen dienen entsprechend als Darstellungsmedium polarisierender Konflikte. Wird den einen Heil sinnlich erfahrbar nahegebracht, so ist die ungewöhnliche Handlung für andere gerade ein Stein des Anstoßes. Dies mögen die drei Heilungen am Sabbat beispielhaft vor Augen führen (Lk 6,6-11; 13,10-17; 14,1-6). Da die körperlichen Gebrechen jeweils nicht lebensbedrohlich sind und auch die Sabbatthematik eigengewichtig angesprochen wird (Lk 6,9; 14,3-5), kann man erkennen, dass es in den Wundererzählungen nicht nur um die Zuwendung zu Notleidenden geht. Sie sollen zugleich theologische Grundfragen der Rolle Jesu und seiner Verkündigung klären. Dies wird auch bei der Christus-Frage des Täufers (Lk 7,20-23 s. o.) zentral herausgestrichen. Die Wundertätigkeit gibt Antwort auf die Frage, wer Jesus ist: »Luke understood the miracles to have the capacity to validate Jesus« (Achtemeier 1975, 553). Es ist innerhalb der Lukasforschung zwar umstritten, ob der Propheten-Titel, der mit Lk 7,16.39; 9,8.19; 13,13; 22,64 und 24,19 textimmanent gegeben ist, vom Evangelisten in einer würdigenden (Nebe 1989, 204 f.; O’Toole 2004, 29-54) oder kritischen Weise (Schnider 1973, 259; Verheyden 2010, 204) bei der Entfaltung seiner Christologie verwendet wird (zum Überblick Verheyden 2010). Allerdings dürfte kaum zu bestreiten sein, dass die lukanische Wunderkonzeption an die alttestamentliche Prophetie anknüpft (vgl. Lk 7,16; Busse 1977, 485; kritischer Achtemeier 1975, 562). Jesus zitiert Prophetenworte, die besonders die Heilsverheißung an Taten binden (Lk 4,18; 7,22). In der narrativen Entfaltung der Jesusgeschichte wird diese Wort-Verkündigung dann mit Handlungen verknüpft, die in konkreter Weise einlösen, was verheißen ist (anders Achtemeier 523
Die Wundererzählungen im Lukasevangelium
1975, 561: »Fulfillment of prophecy by the miracles of Jesus does not seem to be one of [special Lukan emphases])«. Obgleich das Bekenntnis der Emmausjünger noch defizitär ist, so besagt es doch in würdigender Weise, dass Jesus als »Prophet, mächtig in Worten und Taten« (Lk 24,19) gesehen werden kann und auch soll. Allerdings macht der Evangelist auch unmissverständlich klar, dass Jesu »Sendung den Auftrag eines Propheten übersteigt« (Schnider 1973, 259). Dies gilt auch hinsichtlich der Wunder. Der lukanische Jesus vollbringt Taten wie Elija und Elischa, aber mehr als diese. Die in der alttestamentlichen Prophetie angelegte Ausweitung des Heils über die Horizonte Israels hinaus, wird ins Grenzenlose gesteigert und auf alle Welt ausgedehnt. Jesus ist ein eschatologischer Prophet, der »endzeitliche ›Erfüllung‹ bringt (…). Dies ergibt sich (…) auch aus seinen ›Krafttaten‹, die den Sieg über die Macht des Bösen und die Wiederherstellung der guten Schöpfung Gottes zeichenhaft andeuten« (Hengel/Schwemer 2007, 544 f.). Die Gabe des Heilens ist Jesus (von oben) gegeben, wie der Evangelist an mehreren Stellen ausdrücklich erwähnt (Lk 5,17; 6,19; Apg 10,38). Jesus wirkt aber nicht nur aus der Kraft Gottes heraus (Lk 5,17) wie Propheten und Apostel, sondern wird selbst im Bild des Menschensohns zur Rechten der Kraft gestellt (Lk 22,69; vgl. Apg 2,33; 7,55 f.), also unmittelbar in dem Bereich Gottes verortet. »Jesus ultimately is identified, explicitly or implicitly, as the Lord and Christ, even as the Son of God« (Verheyden 2010, 204). Die Dämonen haben dies schon früh erkannt, wie es summarisch in Lk 4,41 formuliert wird: »Es kamen Dämonen aus vielen heraus, die schrien und sagten: ›Du bist der Sohn Gottes.‹ Und er fuhr sie an und ließ sie nicht reden, weil sie wussten, dass er der Christus sei«. Das Schweigegebot hat eine pragmatische Funktion für die Leser. Sie sollen das Bekenntnis nicht den Dämonen überlassen (Lk 5,12-16). Die »großen Taten« (Lk 8,39) führen vielmehr zu einer eigenen, wesentlichen Einsicht über den Wundertäter: Das heilende und helfende Handeln Jesu ist nichts anderes als das Handeln Gottes, wie es Lukas im Anschluss an die Rettung des Geraseners formuliert: ¥pofflhsen ¡ qe@ epoie¯sen ho theos – Gott hat gehandelt (Lk 8,39, vgl. Mk 5,19: ¡ kÐrio@ ho kyrios – der Herr). Dies schließt nicht aus, dass auch bei Lukas die Geheilten, Jünger und Volk den Weg Jesu zum Kreuz mitgehen müssen (anders Betz 1968, 130: »Luke […] accomodates the death and resurrection of Jesus to the christology of the miracle stories«). Mit Jesu letzten Worten erfahren sie aber einmal mehr, dass Jesu Handauflegungen (s. o.) und Dämonenaustreibung mit dem Finger Gottes (Lk 11,20) in Gottes Hand eingebettet war und bleibt (Lk 23,46). Die Wundererzählungen stehen somit in der Funktion von Christuserkenntnis und Christusglauben (mit Achtemeier 1975, 560: »miracle-stories can serve as the basis for faith in Jesus«). Was auf der Ebene des Plots bereits inszeniert ist, dass nämlich Wunderereignisse zur Jüngerberufung führen (vgl. Lk 5,1-11, abweichend von Mk 1,16-20) gilt dann auch für die Wundererzählung und ihre Rezipienten. Die Lesenden sollen letztlich einstimmen in das Loben Gottes, der in Christus handelt. Entsprechend enden auch viele Wundererzählungen mit dem für Lukas typischen Lobpreis Gottes (dox€zw doxazo¯ Lk 5,25 f.; 7,16; 13,13; 17,15.18; 18,43). Die Wundererzählungen sind deshalb für den dritten Evangelisten nichts anderes als Manifestationen der »zur Erfüllung gekommenen Ereignisse« (Lk 1,1), in denen sich der »Weg des Heils« (Apg 16,17) gegenwärtig realisiert (Feldmeier 2009, 301-304).
Ruben Zimmermann 524
Hinführung
Grundlegende Literatur zu den Wundererzählungen im Lukasevangelium P. J. Achtemeier, The Lucan Perspective on the Miracles of Jesus, JBL 94 (1975), 547-562. U. Busse, Die Wunder des Propheten Jesus. Die Rezeption, Komposition und Interpretation der Wundertradition im Evangelium des Lukas, FzB 24, Stuttgart 1977. S. R. Garett, The Demise of the Devil. Magic and the Demonic in Luke’s Writings, Minneapolis 1989. M. Hüneburg, Matthäus und Lukas als Erben der Wunderüberlieferung von Q, Leqach 1 (2001), 137-150. W. Kirchschläger, Jesu exorzistisches Wirken aus der Sicht des Lukas, ÖBS 3, Klosterneuburg 1981. H. Klein, Exkurs: Therapie und Iatrie bei Lk, in: ders., Das Lukasevangelium, KEK 3/1, Göttingen 2006, 329. T. Klutz, The Exorcism Stories in Luke-Acts. A Sociostylistic Reading, SNTS.MS 129, Cambridge 2004. O. Knoch, Die Eigenart der Wunderüberlieferung im Evangelium des Lukas, in: ders., Dem, der glaubt, ist alles möglich. Die Botschaft der Wundererzählungen der Evangelien, Stuttgart 2 1993, 74-78. B. Kollmann, Lukas, in: ders., Neutestamentliche Wundergeschichten. Biblisch-theologische Zugänge und Impulse für die Praxis, Stuttgart 32011, 129-132. M. Turner, The Spirit and the Power of Jesus’ Miracles in the Lucan Conception, NT 33 (1991), 124-152. A. Weissenrieder, Images of Illness in the Gospel of Luke, WUNT 2/164, Tübingen 2003.
525
Wunder im Lukasevangelium Nr.
Lk-Faden
Titel
Lk 4,18-21
Jesaja-Weissagung (Antrittspredigt in Nazaret) Arzt-Parabel Gewaltige Befreiung vor einem Synagogenpublikum (Exorzismus in Kafarnaum) Heilende Macht daheim (Die Heilung der Schwiegermutter des Simon Petrus) Summarium
1
4,23 4,33-36
2
4,38f.
4,40 f.
3
5,1-11
4
5,12-16
5
5,15 5,17-26
Summarium Hindernisse überwinden (Die Heilung eines Gelähmten)
6
5,31 6,6-11
Summarium Feiertagsarbeit? (Der Kranke mit der ›verdorrten Hand‹)
7
6,17-19 7,1-10
Summarium Fern – schnell – gut (Der Hauptmann von Kafarnaum)
8
7,11-17
9
7,21 f. 8,2 8,22-25
10
8,26-39
11
8,40-56
Auferstanden in Naïn (Auferweckung des Sohnes einer Witwe aus Naïn) Summarium (zur Täuferanfrage) Summarium (zu Jüngerinnen) Glaube in Seenot (Stillung des Seesturms) Wessen Medium willst du sein? (Die Heilung des Besessenen von Gerasa) Im Stress Wunder wirken (Die Heilung der blutenden Frau und die Auferweckung der Tochter des Jaïrus)
12
526
Einmal Fischer, immer Fischer? (Der wunderbare Fischfang) Nicht nur rein, auch gesund (Heilung eines Aussätzigen)
Parallelstellen
davon kommentiert im Kompendium Hinführung Lk
Mk 1,21-28
Hinführung Lk Mk 1,21-28; Lk 4,33-36
Mk 1,29-31; Mt 8,14-17
Mk 1,29-31; Lk 4,38 f.
P.Egerton 2, Frgm. 1 Hinführung Lk; P.Egerton 2, Frgm. 1 Joh 21,1-14 Lk 5,1-11; Joh 21,1-14 Mk 1,40-45; Mk 1,40-45; Mt 8,1-4; P.Egerton 2, P.Egerton 2, Frgm. 1 Frgm. 1 Hinführung Lk Mk 2,1-12; Mk 2,1-12; Mt 9,1-8; Lk 5,17-26; EvNik 6 Joh 5,1-18 Hinführung Lk Mk 3,1-6; Mk 3,1-6; Mt 12,9-14; Mt 12,9-14; EvNaz 4; EvNaz 4 EpAp 5,3 Hinführung Lk Q 7,1-10; Q 7,1-10; Mt 8,5-13; Mt 8,5-13; vgl. Joh 4,46-54 Lk 7,1-10 Lk 7,11-17
Mk 4,35-41; Mt 8,23-27 Mk 5,1-20; Mt 8,28-34; EpAp 5,9f. Mk 5,21-43; Mt 9,18-26; EvNik 7; EpAp 5,4-7
Hinführung Lk Hinführung Lk Mk 4,35-41; Mt 8,23-27 Mk 5,1-20; Mt 8,28-34 Mk 5,21-43; Mt 9,18-26; Lk 8,40-56
Die Wundererzählungen im Lukasevangelium Nr.
Lk-Faden
Titel
9,1.6
Heilungsauftrag der Jünger (V. 1) und Bestätigung (V. 6) im Rahmen der Aussendung der Zwölf Die ignoranten Wundertäter (Speisung der Fünftausend)
13
9,10b-17
14
9,37-43(a)
10,9 10,13 15
16
11,14-23
11,16.29-32
Zeichenforderung (Jona-Zeichen)
13,10-17
Umgekehrter Hexenschuss: Keine Heilung ohne Kontext (Heilung einer gekrümmten Frau am Sabbat) Summarium (Dämonen und Heilungen) Der unstillbare Durst nach Heilung (Die Heilung eines Wassersüchtigen am Sabbat) Wandel auf dem Weg des Heils (Die zehn Aussätzigen) Bedingungslose Nachfolge heilt Blindheit (Die Heilung des blinden Bartimäus bei Jericho)
13,32 17
14,1-6
18
17,11-19
19
18,35-43
19,37 20
Vermögen und Vertrauen, Dämonie und Exorzismus (Heilung eines redelosen Jungen) Heilungsauftrag bei der Aussendung der Siebzig Wehe über den Unglauben in Chorazin trotz der Wundertaten Feindliche Übernahme (Jesu Macht über die bösen Geister)
22,50 f.
Jubel beim Einzug in Jerusalem zu den Wundertaten Ein Schwertstreich für Jesus (Die Heilung des Ohrs des hohepriesterlichen Dieners)
Parallelstellen
davon kommentiert im Kompendium Hinführung Lk
Mk 6,30-44; Mt 14,13-21; Joh 6,1-15
Mk 6,30-44; Mt 14,13-21; Lk 9,10b-17; Joh 6,1-15 Mk 9,14-29; Mt 17,1420(21) Hinführung Lk
Mk 9,14-29; Mt 17,14-20(21)
Hinführung Lk Q 11,14 f.17-22. 24-26; Mk 3,20 f.22-30; Mt 9,32-34; Mt 12,22-30 Mt 12,38-42 vgl. Joh 6,30
Q 11,14 f.17-22. 24-26; Lk 11,14-23
Hinführung Lk Lk 13,10-17
Hinführung Lk Mt 12,11
Lk 14,1-6
Lk 17,11-19 Mk 10,46-52; Mt 20,29-34; vgl. 9,27-31; Joh 9,1-41
Mk 10,46-52; Mt 20,29-34; Joh 9,1-41 Hinführung Lk Lk 22,50 f.
527
Gewaltige Befreiung vor einem Synagogenpublikum (Exorzismus in Kafarnaum) Lk 4,33-36 (33) Und in der Synagoge war ein Mann, der den Geist eines unreinen Dämons hatte und er schrie laut: (34) »Ah! Was ist zwischen uns und dir, Jesus von Nazaret? Bist du gekommen, um uns zu vernichten? Ich weiß, wer du bist: der Heilige Gottes!« (35) Und Jesus wies ihn zurecht und sagte: »Schweig und komm aus ihm heraus!« Und der Dämon warf ihn mitten unter sie und kam aus ihm heraus, ohne ihn zu verletzen. (36) Und Erstaunen kam über alle und sie sagten zueinander: »Was ist das für ein Wort? Er gebietet den unreinen Geistern mit Autorität und Macht und sie fahren aus!«
Sprachlich-narratologische Analyse Lk 4,33-36 – Der Exorzismus in dieser Passage ist die erste Episode dieser Art, die im Lukasevangelium erzählt wird. Sie erhält durch die einleitenden (Lk 4,31 f.) und abschließenden (4,37-38a) Verse einen narrativen Rahmen. Der Kontext des Handelns Jesu ist seine Lehre in der Synagoge in Kafarnaum an einem Sabbat (4,31.33a). Diese Notiz über den religiösen Kontext wird durch die Beschreibung der Reaktion derer, die Jesus lehrt, verstärkt: Sie sind erstaunt über das, was sie hören; sie erkennen, dass Jesus »mit Autorität« spricht. Die Wirkung der Lehre Jesu auf die in der Synagoge Versammelten setzt sich in der Wirkung des Exorzismus fort, nach dem »Erstaunen« über sie alle kam, so dass sie wieder, dieses Mal untereinander, feststellen, dass er mit »Autorität« die unreinen Geister austreibt (4,36). Die Gesamtwirkung der Lehre Jesu und des Exorzismus in der Synagoge führt daher dazu, dass sein Ruf an jeden Ort in der Region (4,37) dringt – vermutlich wird hier Bezug auf Galiläa genommen. 4,33a – Die Gegenwart Jesu in der Synagoge löst die Reaktion eines bösartigen, in einem Menschen wohnenden Wesens aus. Der Text bezeichnet dieses Wesen als »Geist eines unreinen Dämons«. In dieser Bezeichnung für die böse Macht führt Lukas verschiedene Termini zusammen, die später im Evangelium wieder aufgenommen werden (»Geist« – 6,18; 7,21; 8,2.29; 9,31.38; 11,24; 13,11; vgl. Apg 19,12 f.15 f.; »unrein« – 6,18; 8,29; 11,24; »Dämon« – 4,41; 7,33; 8,2.27.30.33.35.38; 9,1.42.49; 10,17; 11,14.15.18. 19.20; 13,32). Dies zeigt auf, dass der Evangelist eine Vielzahl äquivalenter Bezeichnungen verwendet (vgl. auch »böser Geist« – 7,21; 8,2; vgl. Apg 19,12-13.15-16; »unreiner Geist« – 6,18; 8,29; 11,24; »Geist der Schwachheit« – 13,11). 4,33b – Jesu Gegenwart in der Synagoge löst bei dem unreinen Geist eine heftige Reaktion aus. Er »schreit laut« (wörtlich: »er schrie mit einer lauten Stimme« ; Mk 1,23 spricht nur davon, dass der Geist schrie und greift erst den lauten Schrei in V. 26 auf, um den Erfolg des Exorzismus aufzuweisen). Obgleich die heftige Reaktion des Dämons
529
Die Wundererzählungen im Lukasevangelium
nicht direkt durch Jesus hervorgerufen wird, nimmt der Text an, dass Jesu Lehre eine Konfrontation mit dem Bösen herausfordert. 4,34 – Der Schrei des unreinen Geistes in V. 33 ist nicht nur ein lautes Geräusch. In V. 34 setzt der Text voraus, dass dieses Geräusch während der kurzen Rede, die aus zwei rhetorischen Fragen (vgl. unten a und c) und zwei Aussagen über Jesu Identität (vgl. unten b und d) besteht, anhält. (a) Die ersten Worte des Dämons formen eine Frage: »Was ist zwischen uns und Dir?« (wörtlich: »Was uns und dir?«). Zwei Aspekte können hier hervorgehoben werden: Erstens verwendet der Dämon das Pronomen der 1. Person Plural (uns). Durch diese Formulierung werden die Worte des unreinen Geistes nicht aus seiner eigenen Perspektive als individuelle dämonische Macht gesprochen; vielmehr repräsentiert er andere derartige Geister, vielleicht sogar die dämonischen Mächte insgesamt. Die vorliegende Erzählung darf daher nicht für sich allein betrachtet werden. Vielmehr beschreibt und kennzeichnet sie Jesu Wirken als eine Konfrontation mit der dämonischen Welt in einem größeren Rahmen. Zweitens ist die rhetorische Macht der Frage zu berücksichtigen. Anstatt Informationen zu erfragen, erkennt der unreine Geist mit einem ironischen Unterton an, dass Jesu Wirken die Vernichtung der unreinen Geister einschließt und drückt die Hoffnung aus, dass seine Zeit noch nicht gekommen sei. Jesu Wirken kann doch wohl nicht zu ihrer letztendlichen Vernichtung führen! (b) Die Anrede, die der Geist für Jesus verwendet, »Jesus von Nazaret«, wird titularisch verwendet (Lk 18,37; 24,19; Apg 2,22; 6,14; bes. 10,38 – »Jesus von Nazaret … heilte alle, die unter der Macht des Teufels waren«; 22,8; 26,9), obgleich sie nicht die ganze Bedeutsamkeit Jesu beschreibt. Als einleitende Form der Anrede weist sie auf, wer Jesus ist und fungiert als Hinführung zu der Erkenntnis des Dämons, wer Jesus wirklich ist (»der Heilige Gottes«). (c) »Bist du gekommen, um uns zu vernichten?« Wie in der einleitenden Frage verwendet der Geist die erste Person Plural. Diese zweite Frage ist – wie die erste – eine rhetorische Frage, obgleich sie nicht die Hoffnung wiederholt, dass Jesus nichts mit der dämonischen Welt zu tun haben möge. Die Frage spezifiziert die Aufgabe Jesu als nichts Geringeres als die Vernichtung aller dämonischen Wesen. Jedoch wird nicht deutlich, dass eine derartige Vernichtung im Rahmen des Exorzismus stattfinden wird (vgl. unten zum traditionsgeschichtlichen Hintergrund). (d) »Ich weiß, wer du bist: der Heilige Gottes!« Diese zweite Kennzeichnung ist spezifischer im Bezug auf die Funktion Jesu: Sie bezeichnet Jesus als vollkommen heilig (rituell rein) und in diesem Zustand als von Gott bevollmächtigt zu Handlungen, die die dämonische Welt zerstören. Die Betonung, dass Jesus ›heilig‹ sei, steht in schroffem Kontrast zu der Bezeichnung des dämonischen Geistes als ›unrein‹. Diese beiden halachischen Zustände stehen in Konflikt miteinander, denn Jesu Vorrangstellung als »der Heilige« hebt hervor, dass er und der Dämon sich in unterschiedlichen sozialen Umgebungen bewegen; der unreine Geist ist nicht legitimiert, sich in Jesu Gegenwart aufzuhalten. In Lk 4,41, dem Summarium der exorzistischen Tätigkeit Jesu, bezeichnen die Dämonen Jesus als »Sohn Gottes«, als sie aus vielen Menschen ausfahren. In der vorliegenden Erzählung, in der der Dämon explizit als ›unrein‹ gekennzeichnet wird, ist der Titel »der Heilige« für Jesus, der vom Dämon selbst gegeben wird, mit Bedacht gewählt. Insgesamt betrachtet bewirkt die kurze Rede des Dämons Unterschiedliches: Erstens wird die Rede in einem Ton vorgebracht, der Jesus dazu herausfordert zuzugeben, wer er ist. In der zweiten Frage wird er z. B. geradezu dazu aufgefordert, der Identifikation durch den Dämon als »der Heilige Gottes« zuzustimmen. Zweitens vermittelt der 530
Gewaltige Befreiung vor einem Synagogenpublikum Lk 4,33-36
Dämon nicht nur seine eigene Erkenntnis, sondern die der dämonischen Welt, dass ihre endgültige Vernichtung unausweichlich ist. Dämonen existieren als Wesen, die bereits besiegt wurden. Drittens stellt das Bekenntnis des Dämons, der Jesus als den Heiligen Gottes erkennt, diesen Lehrer als denjenigen heraus, der eine entscheidende Rolle in der Vernichtung der dämonischen Welt spielen wird. Dieser Aspekt ist signifikant, da er Jesu Wirken innerhalb des kosmologischen Kampfes zwischen Gott und den Mächten des Bösen auf Seiten Gottes verortet. Jesu Gegenwart in der Synagoge im Auftrag Gottes ist von einer Größenordnung, die den existierenden Konflikt demaskieren und ihn den Menschen in Kafarnaum offenlegen kann. 4,35a – Jesu Befehl »Schweig (wörtlich: sei still) und komme aus ihm heraus!« stellt einen wirkungsvollen Akt der Kontrolle über die dämonische Rede dar. Der Schweigebefehl negiert nicht die Wahrheit dessen, was der Dämon geschrien hat; Lukas und seine Leser hätten dem zugestimmt, dass Jesus in der Tat »Jesus von Nazaret« und »der Heilige Gottes« ist, der Vernichter der dämonischen Welt. Jesu exorzistischer Befehl untergräbt jedoch das Recht des Dämons, weiterzusprechen und in Verhandlungen mit Jesus zu treten. Der Dämon ist faktisch (durch die Autorität, die Jesus verliehen ist) bereits besiegt und daher ist jedwede Verhandlung über seinen aktuellen Zustand oder den endgültigen Ausgang sinnlos. 4,35b – »Und der Dämon warf ihn mitten unter sie und kam aus ihm heraus, ohne ihn zu verletzen«. Im Unterschied dazu besagt Mk 1,26 einfach und weniger anschaulich »der unreine Geist schrie mit einer lauten Stimme (vgl. Lk 4,33) und kam aus ihm heraus«. Die heftige Wirkung des Dämons auf die Person wird im Lukasevangelium betont («…van rhipsan – werfend; Mk verwendet ein anderes Verb: spar€xan sparaxan – reißend). Der Begriff »werfen« wird im Lukasevangelium nur hier für die Beschreibung dessen verwendet, was die dämonische Macht einer Person zufügen kann (ansonsten werden, wie in Mk 1,26, spar€ssw sparasso¯ – reißen[vgl. Lk 9,39], suspar€ssw sysparasso¯ – zusammenreißen und «ffignumi rhe¯gnymi – zerreißen[Lk 9,42] verwendet). Die gesteigerte zerstörerische Macht des Dämons im Lukasevangelium im Vergleich zur markinischen Parallele wird noch übertroffen durch die Hervorhebung der Macht, durch die Jesus den Geist unter Kontrolle bringt; obgleich der Geist den Mann niederwirft, ist er doch unfähig, ihm Schaden zuzufügen. Ungeachtet der Frage des Dämons in 4,34 und der dadurch implizierten Rolle Jesu als des Vernichters der Dämonen führt der Exorzismus nicht zu einem entsprechenden Ergebnis. Der unreine Geist wird, wie in den meisten Fällen in den synoptischen Evangelien, unter Kontrolle gebracht und aus den Menschen ausgetrieben, aber nicht durch Jesus vernichtet (vgl. bes. Lk 11,24-26 par. Mt 12,43-45 mit leicht abweichender Gewichtung). Der Dämon fährt aus, aber die Zeit der Vernichtung der Dämonen durch Jesus ist noch nicht gekommen; dennoch ist es signifikant, dass die Dämonen erkennen, dass dieser Ausgang unvermeidlich ist. 4,36 – Die Autorität der Rede Jesu erweist sich nicht nur in seiner Lehre in der Synagoge (4,32), sie manifestiert sich auch in der Sprache, die wirkungsvoll die dämonische Macht unter Kontrolle bringt. Der Exorzismus hebt daher nicht nur hervor, was Jesus für Menschen tut, die unter der schädlichen Wirkung der bösen Macht leiden, er hat auch eine bestätigende Funktion im Hinblick auf Jesu Lehre (Lukas lässt die Menschen zueinander sagen: »Was ist das für ein Wort? Er gebietet den unreinen Geistern mit Autorität und Macht und sie fahren aus!«) 531
Die Wundererzählungen im Lukasevangelium
Durch die erfolgreiche Durchführung des Exorzismus zeigt Jesus seine von Gott verliehene Autorität auf, so dass die Menschen in Erstaunen seine Autorität erneut anerkennen (vgl. V. 32). Die Ausbreitung der Nachricht über ihn in der Region (V. 37) bezieht sich nicht nur auf diesen spezifischen Vorfall. Die Feststellung und Verkündigung der Autorität Jesu über »unreine Geister« verleiht der vorliegenden Episode einen repräsentativen Charakter für diesen Aspekt des Wirkens Jesu.
Sozial- und realgeschichtlicher Kontext Es wäre falsch, den Diskurs über einen Mann, der vom »Geist eines unreinen Dämons« besessen ist, welcher seine Präsenz durch Schreie (V. 33) und das Niederwerfen seines Opfers (V. 35) anzeigt, als antikes Äquivalent dafür zu verstehen, was heute als psychische Erkrankung oder als bloßer epileptischer Anfall bezeichnet wird. Interpretationsansätze, die den Text auf diese Weise zu entmythologisieren versuchen, vernachlässigen das apokalyptische Weltbild, innerhalb dessen die dämonischen Mächte verstanden wurden (vgl. dazu den traditions- und religionsgeschichtlichen Hintergrund).
Traditions- und religionsgeschichtlicher Hintergrund Jesu Ausfahrbefehl »komm heraus!« und das Ausfahren des Dämons aus der Person, die sprachlich der markinischen Textfassung entsprechen, sind typisch für die synoptische Beschreibung der Relation zwischen dämonischen Geistern und dem menschlichen Körper (Mk 1,34; 3,15.22.23; 6,13; 9,18.28; Mt 7,2; 8,16.31; 9,33.34; 10,1.8; 12,24.26. 27bis.28; 17,19; Lk 9,40.49; 11,14.15.18.19bis.20; 13,32): e§sffrcesqai eiserchesthai (»eintreten«; Mk 3,27; 5,12.13; 9,25; Mt 12,29; Lk 8,30.32.33; 22,3) und, wie in dieser Passage (V. 35 f.), ¥xffrcesqai exerchesthai (»herauskommen«; Mk 5,13; 7,29.30; Mt 12,43; Lk 4,41; 8,2.33; 11,14.24). Dämonische Mächte werden somit nicht primär als den Menschen von außen angreifend verstanden. Vielmehr bestimmt der Diskurs, der sich auf die Innerlichkeit des dämonischen Bösen im Menschen richtet, den Exorzismus als eine Handlung, die das Innere nach außen holt. Derartige Sprache ist in der jüdischen Tradition vor der Jahrtausendwende sehr selten und findet sich v. a. in Texten wie Tobit (3,8; 6,8.14 f.; 8,2), im Genesis-Apokryphon (1Q20 20,16-29), in den Apokryphen Psalmen (11Q11 5,2) und den Lieder des Maskil (4Q510 1,4-6 par. 4Q511 10,1-3; 4Q511 8,4; 35,6-9; 48f.51,2,2 f.). Gleichzeitig wird die Präsenz von Geistern im Menschen in Texten vorausgesetzt (jedoch nicht explizit beschrieben), die auf deren schädliche Wirkung auf den menschlichen Körper rekurrieren (vgl. z. B. 1Q20 20,16-29 und weiterhin Jub 10,714; Zwei-Geister-Lehre 1QS 4,20 f.); mehrere Schriften beziehen sich auf den Ein- und Ausgang der Dämonen (4Q560 1,1,3 f.; Fragment zu Hautkrankheit im Damaskus Dokument in 4QDa 6,1,5-7 par. 4Q269 = 4QDd 7, 4Q272 = 4QDg 1,1 f. und 4Q273 = 4QDh 4,2; und besonders der Verweis auf Salomos Fähigkeit, Exorzismen durchzuführen in Flav. Jos. Ant. 8,42-49). Während diese Texte durch sprachliche Parallelen die Vorstellung des dämonischen Ein- und Ausgangs belegen, findet sich ein theologischer Rahmen für das Verständnis der Natur und der Stellung der dämonischen Mächte in Texten der frühen Henochtradition, besonders im Buch der Wächter (1Hen 6-16 und Buch der Riesen). 532
Gewaltige Befreiung vor einem Synagogenpublikum Lk 4,33-36
Hier wird der Mythos der rebellischen Gottessöhne erzählt, die sich mit menschlichen Frauen verbinden (vgl. Gen 6,1-4); besondere Bedeutung kommt deren großer Nachkommenschaft zu (die »mächtigen Menschen«, »Menschen von Ansehen« und »Nephilim« genannt werden, Gen 6,4). Die Riesen, die die Erde in vorsintflutlicher Zeit verwüsten und vernichten (1Hen 7,3-5; 4Q531 1), werden bestraft, als Gott in Reaktion auf die Klagen und Schreie der menschlichen Seelen, die von den Riesen getötet wurden, interveniert (1Hen 8,4-9,11; vgl. 4Q530 1,1,4 f.). Diese Strafe führt zum physischen Tod der Riesen; als Wesen, die halb Engel, halb Mensch sind, kann ihre Vernichtung aber nur teilweise erfolgen. Nach der Sintflut leben sie als unkörperliche Geister weiter, die ihre ehemalige körperliche Existenz wiederzuerlangen streben (vgl. 1Hen 15,3-16,1). Zwei Aspekte dieser Ätiologie sind von Bedeutung für das Verständnis von Lk 4,33-36. Erstens sind die Geister der Riesen »unrein« (vgl. 1Hen 10,9, wo der griechische Codex Panopolitanus sie als mazereous = hebr. mamzerim, »illegitime« Wesen bezeichnet), da sie aus der sexuellen Vereinigung zwischen der himmlischen und der irdischen Sphäre hervorgingen, die Gott nicht duldet (1. 15,3-10; Verweise auf die »Geister der mamzerim« in den Rollen von Qumran gehen auf den Mythos der Riesen zurück, vgl. Lieder des Maskil nach 4Q510 1,5; 4Q511 35,7; 48f.51,2 f. und 4Q444 2,1,4). Zweitens ist die Beobachtung wichtig, dass die Erzählungen, die in der jüdisch-apokalyptischen Tradition Gen 6,1-4 fortschrieben, das Böse personifizieren und ihm ein Bewusstsein seines eigenen Untergangs zuschreiben. Die Erzählung des Buchs der Riesen z. B. ist hier von besonderer Relevanz: Da unreine Geister aus den Riesen hervorgehen, ist es von Bedeutung, dass die Handlung der Geschichte den Blick auf die Erkenntnis der Riesen richtet, dass ihre Strafe nicht rückgängig gemacht werden kann. Entgegen ihren Hoffnungen auf Gnade (ähnlich der Gnade, die ihre Väter, die Engel, ersuchten, vgl. 1Hen 12,1-14,7) müssen sie erkennen, dass sie Mächte sind, die faktisch bereits besiegt sind und deren Zeit bemessen ist. Ihre letztendliche Vernichtung steht fest.
Verstehensangebote und Deutungshorizonte Wenn angenommen wird, dass die oben dargelegte jüdisch-apokalyptische Tradition das Weltbild beeinflusste, das für die Rezeption dieses und anderer Berichte von Exorzismen in den synoptischen Evangelien vorausgesetzt werden kann, so ist einigen Aspekten des Wirkens Jesu eine neue Bedeutung zuzuschreiben, ohne dass die Erzählungen vorschnell entmythologisiert werden müssten. Die Welt der Dämonen wird – auch wenn sie mit Jesus selbst konfrontiert wird – durch Exorzismen nicht zerstört oder vernichtet (Der Besessene von Gerasa stellt hier einen interessanten Aspekt heraus [vgl. Mk 5,1-20 par. Mt 8,28-34, Lk 8,26-39]. Während die markinische Fassung aufzeigt, dass die Schweineherde [nicht die dämonischen Geister] im See ertrinken [Mk 5,13], verweist nur der griechische Text der matthäischen Version [8,32] darauf, dass die Dämonen im Wasser starben). Zunächst werden die Dämonen an einen Ort verlagert, an dem sie kontrolliert werden können. Diese Darstellung der Exorzismen als Relokalisierung der dämonischen Wesen anstatt ihrer Vernichtung stellt die Exorzismen, sogar die Exorzismen Jesu, in einem realistischeren Licht dar. Denn sogar im Rahmen des Wirkens Jesu bleibt das Böse, das Teil der menschlichen Erfahrung ist, eine beständige Realität. Weiterhin zeigen die Exorzismen der Evangelien auf, wie es der Standpunkt des 533
Die Wundererzählungen im Lukasevangelium
Glaubens ermöglicht, die Wirkungen des Bösen auf den Menschen in der Gegenwart einzuschränken. Die Grundlage dafür ist – in der jüdisch-apokalyptischen Tradition wie in den Evangelienberichten – die Zuversicht, dass in einer zukünftigen eschatologischen Wirklichkeit (1) das Böse vollständig aufgehoben wird und (2) sowohl Individuen wie die gesamte Menschheit Wohlergehen erfahren werden. Somit ist festzuhalten: Obgleich nach dem Verständnis der Evangelien »das Dämonische« nicht vollständig aufgehoben werden kann, wird doch eine strikte Unterscheidung vertreten zwischen dem Bösen und dem, was den Menschen wesensmäßig ausmacht. Jedwede Art von Problemen greifen daher die Würde des Menschen nicht an. Wird die exorzistische Tradition vor dem Hintergrund der jüdischen Apokalyptik gelesen, so kann sie in einen konstruktiven Dialog mit der Arbeit von Fachleuten im Bereich psychischer Erkrankungen treten. Die antiken Traditionen, die zwischen der menschlichen Natur in ihrer Wesenheit und den Problemen, die ihr anheimgestellt sind, differenzieren, vertreten die Position, dass man Dämonen nicht beseitigen kann, da sie Teil dessen sind, was eine Person ausmacht. Sobald man dies jedoch akzeptiert, ergeben sich Möglichkeiten, die Gegenwart zu bewältigen und in Frieden mit den Dämonen zu leben. Während der psychotherapeutische Ansatz, der auf medikamentöse Behandlung von psychischen Erkrankungen baut, das menschliche Handeln in Hinsicht auf die Besserung sehr betont, differenziert die exorzistische Tradition deutlicher zwischen dem, was eine Person ist, und dem, was sie tut. Diese Perspektive, die die Bedeutung des menschlichen Handelns allerdings nicht vollkommen vernachlässigt (vgl. Lk 11,24-26), schafft mehr Raum für die Möglichkeit, dass jemand nicht immer schuldig für eigene Probleme ist. Ein weiterer Aspekt der hermeneutischen Reflexion liegt in der Erkenntnis, die diese Geschichte der bösen Macht zuschreibt. Eine personifizierte Macht der Unterdrückung, die einen Menschen versklavt und kontrolliert, ist sich über Jesu Identität bewusst und weiß um ihren letztendlichen Untergang. Die Exorzismen der Evangelien, für die Lk 4,33-37 ein Paradebeispiel darstellt, personifizieren das Böse. Diese Sichtweise erklärt sich nicht einfach auf der Grundlage dessen, dass die Texte ein sehr differentes Weltbild im Gegenüber zu unserer heutigen westlichen Kultur widerspiegeln. In theologischer Perspektive bietet die Personifikation des Bösen und das Bewusstsein, das dadurch vermittelt wird, die Möglichkeit, die grundlegende Hoffnung und Glaubensüberzeugung zu artikulieren und zu bestärken, dass das Böse, obwohl seine Macht über das menschliche Leben groß ist, die Realität nicht bestimmt und letztlich nicht bestimmen wird.
Aspekte der Parallelüberlieferung und Wirkungsgeschichte Die synoptische Parallele von Lk 4,33-36 findet sich in Mk 1,23-27. Verglichen mit der markinischen Fassung ist die Darstellung bei Lukas sehr viel anschaulicher. Gegenüber Markus schreit der unreine Geist zu Beginn des Aufeinandertreffens mit Jesus (V. 33; vgl. Mk 1,23) und wirft den Mann mitten unter die Versammelten, bevor er ihn verlässt (V. 35; vgl. Mk 1,26). Der lukanische Text betont gegenüber der markinischen Fassung durch eine Zufügung die Kontrolle Jesu über das Wohlergehen des Mannes: Das gewalttätige Verhalten des Dämons lässt den Mann nicht zu Schaden kommen. Die Ansicht, dass Dämonen aus den Riesen entstanden sind, ist nicht nur in der oben genannten jüdischen Literatur bezeugt, sondern findet sich auch in der frühchrist534
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lichen Tradition. Hier ist besonders auf folgende Texte zu verweisen: Justin, 2 apol. 5; Testament Salomos (5,3; 17,1), die Pseudo-Clementinen (8,12-18: Riesen werden als »Bastarde« und »Dämonen« bezeichnet), Tertullians Apologie (22), die Institutionen des Lactanz (2,15) sowie Commodians Instructionen (3).
Loren T. Stuckenbruck Literatur zum Weiterlesen L. T. Stuckenbruck, The Origins of Evil in Jewish Apocalyptic Tradition: The Interpretation of Genesis 6:1-4 in the Second and Third Centuries B.C.E., in: C. Auffarth/L. T. Stuckenbruck (Hg.), The Fall of the Angels, Themes in Biblical Narrative 6, Leiden 2004, 87-118. Ders., Jesus’ Apocalyptic Worldview and His Exorcistic Ministry, in: J. H. Charlesworth/G. S. Oegema (Hg.), Pseudepigrapha and Christian Origins. Essays from the Studiorum Novi Testamenti Societas, Jewish and Christian Texts in Context and Related Studies 4, London 2009, 68-84. A. T. Wright, The Origin of Evil Spirits: The Reception of Genesis 6:1-4 in Early Jewish Literature, WUNT 2/198, Tübingen 2005. A. Yoshiko Reed, The Trickery of the Fallen Angels and the Demonic Mimesis of the Divine: Aetiology, Demonology, and Polemics in the Writings of Justin Martyr, Journal of Early Christian Studies 12 (2004), 141-171.
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Heilende Macht daheim (Die Heilung der Schwiegermutter des Simon Petrus) Lk 4,38 f. (38)aEr aber machte sich auf, verließ die Synagoge und kam in das Haus des Simon. bDort lag die Schwiegermutter Simons mit starkem Fieber, cund sie baten ihn für sie. (39)aUnd er trat über sie, bfuhr das Fieber an. cUnd es verließ sie. dUnd sogleich stand sie auf und wartete ihnen auf.
Sprachlich-narratologische Analyse Der Textabschnitt knüpft an Jesu Lehrtätigkeit und Dämonenaustreibung in der Synagoge von Kafarnaum (Lk 4,31-37) an. Die beschriebene Handlung ist von dieser vorhergehenden Erzählung abhängig. Sie nimmt deren Handlungslogik auf, verlagert und ergänzt jedoch das Setting in komplementärer Weise um weitere Aspekte: dort die Dämonenaustreibung, hier die Krankenheilung; dort der öffentliche Rahmen in der Synagoge, hier die private Situation im Haus; dort der besessene Mann, hier die fieberkranke Frau. Die Bestimmung der an der Handlung beteiligten Personen ist, über Jesus und die Schwiegermutter des Simon Petrus hinaus, schwierig. Wird Jesus von den Zeugen seiner Tat in der Synagoge (vgl. 4,32) begleitet? Haben sie ihn in das »Haus« (o ko@ oikos) des Simon geführt? Wer spricht schließlich die Heilungsbitte in V. 38d aus, etwaige Begleiter(innen) oder doch die »Hausherrin« (dffspoina despoina) und deren Dienerschaft? Erschwerend kommt hinzu, dass an dieser Stelle des Evangeliums – bei einer linearen Lektüre – noch keine Person mit dem Namen Simon eingeführt wurde. Der Inhalt des Evangeliums wird also bei den Leser(innen) vorausgesetzt. Anders als im Markusevangelium wird Jesus in der vorliegenden Erzählung des Weiteren noch nicht von Jüngern begleitet (vgl. Mk 1,16-31). Die Berufung der ersten Jünger folgt erst in den Versen 5,1-11 – hier (anscheinend aus dramaturgischen Gründen) zusammengezogen mit derjenigen Simons (Wilckens 1970, 220 f.). Im Kontrast zu Markus stellt die lukanische Dramaturgie diesem Zusammentreffen einen geschlossenen Abschnitt des Wirkens Jesu als Wundertäter und Prediger voran (Lk 4,31-37.38 f.40.41-44). Von diesem Abschnitt ist die vorliegende Erzählung ein wichtiger und interessanter Teil. Durch Ortswechsel (V. 38) und Zeitangabe (V. 40) ist die Erzählung um das schwere Fieber der Schwiegermutter des Simon Petrus deutlich gegen die anderen Heilungsgeschichten des Abschnittes abgegrenzt. Diese relative Geschlossenheit wird durch die umschließende Stellung des Verbs »aufstehen« (⁄nfflsthmi aniste¯mi) zusätzlich hervorgehoben. In der knappen Erzählweise erfahren die Leser(innen) nach der Ortsangabe (V. 38a) sogleich, was im Hausstand des Simon Petrus nicht stimmt. Die Schwiegermutter Simons leidet an einem schlimmen Fieber (puret@ mffga@ pyretos megas; 4,38b), das vom Verfasser des Evangeliums in genauer Kenntnis zeitgenössischer medizinischer Terminologie benannt wird (Schenk 1992, 137). Die anwesenden Personen – seien es die Synagogenbesucher oder Mitglieder des Hausstandes – (wie auch die Leser[innen]) wis536
Heilende Macht daheim Lk 4,38 f.
sen durch die vorhergegangenen Ereignisse bereits von der Macht Jesu und sind von dieser augenscheinlich beeindruckt. Sie haben gesehen, vielleicht auch gehört, dass Jesus mit schwerwiegenden Umständen wie einer Besessenheit (Lk 4,33-37) umgehen kann. Eine Erläuterung des Leidens der Schwiegermutter des Simon Petrus scheint von daher nicht mehr notwendig, jedoch ein Bitte an den machtbegabten Jesus. Die fragende »Bitte« (ƒrðthsan e¯ro¯te¯san; V. 38c) galt im neutestamentlichen Judentum als eine bedeutungsvolle, häufig spontane Form des Gebetes. Gemeinschaften und Einzelpersonen suchten mit ihr verschiedene Anliegen direkt vor Gott zu bringen. Gefühlte Gottesnähe und die Hoffnung auf eine sofortige Intervention gingen mit ihr ebenso einher wie ein geringer Vorbereitungsaufwand (Untergaßmair 1997, 56 f.). Die stellvertretend für die erkrankte Frau von den nicht näher bestimmten Personen in V. 38c an Jesus herangetragene Bitte, lässt sich vor dem Hintergrund dieses semantischen Signals als sprachliche Kontaktaufnahme mit Gott begreifen, was auch der Bittethik in Lk 11,5-13 entspricht. Diese Hoffnung auf Gebetserhörung einlösend, tritt Jesus an das Lager der Leidenden heran (Schürmann 1969, 251 f.) und heilt das Fieber (4,39bc). Der Prozess der Heilung wird dabei nicht wie ein übliches Heilungswunder erzählt (Weinreich 1969; von Bendemann et al. 2005, 65). Vielmehr wird es im Sprachduktus einer Dämonenaustreibung konzeptionalisiert (V. 39, vgl. Lk 4,35). Jesus gebietet dem personifizierten Fieberleiden kraft seiner Stimme Einhalt, es verlässt die kranke Frau und sogleich kann sich diese wieder erheben. Im Kontrast zu medizinischen Heilungen bedarf es nicht einmal einer Erholungszeit, wie es das Aufwarten (das eine eigene theologische Bedeutung hat) in 4,39d anzeigt.
Sozial- und realgeschichtlicher Kontext Fiebererkrankungen galten in den meisten Gesellschaften der Antike als eigene Krankheit und nicht wie heute als ein Symptom einer anderen Erkrankung (Riede 2003, 360). Es wurde als eine ernsthafte und v. a. unberechenbare Gefährdung gedeutet, die ihre Ursache in natürlichen und übernatürlichen Dingen haben konnte; der umgebenden Luft, den schädlichen Ausdünstungen von Wasser und Erde, krankhaften Dispositionen innerer Organe, Dämonen und Geister (Weiß 1959, 956 f.). Bereits die dem griechischen Heiler Hippokrates von Kos zugeschriebenen Schriften des Corpus Hippocraticum empfehlen für Fiebererkrankungen unterschiedlichen Grades verschiedene Heilmethoden (Hippocr. epid. 6, 14 [5, 247 L.]; vgl. Galen. diff. febr. 1 [7, 275 K.]; Alex. Aphr. febr. 18 [1, 93 I]; Alex. Aphr. febr. 17 [1, 93 I]). Einen sehr ausführlichen Leitfaden zum Thema Fieber verfasste beispielsweise Aulus Cornelius Celsus im ersten nachchristlichen Jahrhundert. Viele der von ihm angegebenen medizinischen Heilmethoden sind uns noch heute geläufig. So beispielsweise die periodische Stirnbefeuchtung und der Wadenwickel (Cels. med. 3,3-17). Darüber hinaus waren magische Praktiken in der Form von Amulett-, Schutz- und Abwehrzaubern sowie aktive und passive Wunderheilungen durch herumziehende Heiler weit verbreitet (Plin. nat. 28,41.228 f.; vgl. Weiß 1959, 956; Horn 1969, 881-886). Im 1. und 2. Jh. n. Chr. entwickelte sich um diese Praktiken ein Amalgam von Frömmigkeit und kommerzieller Heilungskultur. In kritischer Reflektion dessen lässt etwa der Satiri537
Die Wundererzählungen im Lukasevangelium
ker Lucian von Samosata seinen Heroen Momus in der Götterversammlung Folgendes zum anwesenden Apollo sprechen: Daher kommt es denn auch, dass du, Apollo, dein Ansehen verloren hast, und dass ein jeder Stein und ein jeder Altar, der mit Öl begossen, bekränzt und von irgendeinem Taschenspieler, deren es jetzt so viele gibt, bedient wird, Orakel von sich gibt. Es ist so weit gekommen, dass die Bildsäule des Athleten Polydamus zu Olympia und des Theagenes zu Thasos das Fieber vertreibt (…) (Luc. deor. conc. 12).
Die sprachliche Aufforderung an das Fieber, einen kranken Körper zu verlassen, wie sie in Lk 4,38 f. vorliegt, steht aufgrund ihrer Unmittelbarkeit auf einer anderen Stufe als die soeben veranschaulichten Praktiken. Wirksame Heilungen, die mit einem Befehl an die Krankheit einhergingen, galten in der gesamten antiken Welt – jedoch insbesondere den Kulturen der Levante – als soteriologisches Machtzeichen (von Bendemann et al. 2005, 64). Nur in besonderer Weise gesegneten Wundertätern, die ihre Macht bereits bewiesen hatten, war es nach allgemeiner Überzeugung möglich, ein starkes Fieber, dem nicht selten ein dämonischer Ursprung zugeschrieben wurde, zu heilen. Sie wirkten in den meisten Interpretationen als von Göttern wie Asklepios und Serapis gesandte (wortwörtliche) Heilsbringer (vgl. Weinreich 1969; Lehmann 2006). Entsprechende Vorstellungen gab es auch in der jüdisch-heidnischen Mischkultur, in deren Kontext der Verfasser des Lukasevangeliums sein Evangelium schrieb (s. u.). Die Rolle der Schwiegermutter eines Mannes in antiken Gesellschaften, insbesondere im neutestamentlichen Judentum zu bestimmen ist aufgrund einer eher schlechten Quellenlage nicht ganz leicht. Fest steht jedoch, dass die Mutter des Ehemannes nach dem Tod des eigenen Mannes in das »Haus« ihres Sohnes einkehren konnte (Rut 1,8). Hier konnte sie mitunter sogar eine herausragende Stellung einnehmen, worauf insbesondere die allgemeine Wertschätzung der Mutter im Alten Testament verweist, die sich mit der Fürsorgepflicht des Mannes verbinden konnte (Gen 1,26 f.; 2,18-24; vgl. Sand 1997, 125). Insbesondere in den alttestamentlichen Weisheitstexten wird die Mutter eines Mannes nicht selten als selbstbewusste und weise Beraterin konzeptionalisiert (vgl. 2Sam 14,1-20; 1Kön 2,13-23; 15,9-14; Spr 31,1-9). Eine Vorstellung, die wahrscheinlich auch im neutestamentlichen Judentum erhalten blieb. Die Mutter der Frau war im Haushalt eines Mannes hingegen eine Seltenheit, denn weder im Alten Testament noch in der jüdischen Literatur finden sich entsprechende Belegstellen. Ihre Anwesenheit in Lk 4,38-39 muss von daher mit besonderen Lebensumständen erklärt werden. Eine mögliche sozialgeschichtliche Interpretation dieses Sachverhaltes ist es, dass es sich bei ihr um eine Witwe handelt, die von Simon Petrus und seiner namentlich nicht genannten Frau in die eigene Hausgemeinschaft aufgenommen wurde. Mit dieser Fürsorgehandlung konnten beide ihren jeweiligen sozialen Rollen als »Hausherr« (pater familias) bzw. »Hausherrin« in idealer Weise entsprechen (vgl. Urban 2005a, 17-21). Eine Situation, die wahrscheinlich auf beiderseitigen Nutzen angelegt war. Die Schwiegermutter und Witwe konnte in der Hausgemeinschaft ihrer Tochter auf rechtlichen Schutz und Fürsorge im Krankheitsfall hoffen. Krankenpflege galt als eine der Hauptaufgaben der despoina (vgl. Xen. oec. 7,20-43; Arist. oec. 1343b-1259b1; zum prekären Status von Witwen im alttestamentlichen Kontext: Ps 146,9 s. Urban 2005a, 18; vgl. Kollmann 538
Heilende Macht daheim Lk 4,38 f.
2006b, 45-50). Die Hausgemeinschaft konnte schließlich von einer weiteren erfahren Arbeitskraft profitieren. Der in Lk 4,38 f. geschilderte Krankheitsfall kann vor diesem Hintergrund als eine Probe dieser Zweckgemeinschaft gesehen werden, die bei fortgesetzter Krankheit ein Scheitern der Gemeinschaft bedeuten könnte. Das Auftreten Jesu verspricht nun Wiederherstellung der Leistungsgemeinschaft in zweierlei Hinsicht. Einerseits wird die Leistungsfähigkeit der Schwiegermutter wiederhergestellt, andererseits wird die Unfähigkeit der Leidenslinderung der Hausherrin beseitigt. Des Weiteren eröffnet die Heilung auch eine weitere Handlungsdimension, auf die weiter unten noch eingegangen werden soll.
Traditions- und religionsgeschichtlicher Hintergrund Die Heilung des Fiebers der Schwiegermutter des Simon Perus kann in der Form, wie sie in der vorliegenden Erzählung entfaltet wird, in den Kontext der soteriologischen Vorstellungswelt einer jüdisch-heidnisch geprägten Mischkultur eingeordnet werden, an die sich der Verfasser des Lukasevangeliums höchstwahrscheinlich richtete (vgl. Schnelle 2005, 289-292). Jesus hat bereits in der vorhergehenden Erzählung seine Macht vor einem großen Publikum bewiesen (vgl. Lk 4,31-37) und treibt nun ein Fieberleiden mit Hilfe von entsprechenden Worten der Macht aus (vgl. die Formulierung in Lk 4,35). Er handelt dabei einerseits in Analogie zu einem hellenistisch-römischen Wunderheiler. Andererseits verweist der weitere Textkontext, in dem Jesus bereits als »Heiliger Gottes« bezeichnet wurde, auf Vorstellungen aus der alttestamentlichen Prophetie (Lk 4,34), die in einer gewissen Spannung zur Proklamation der Gottessohnschaft in Lk 4,3.9 steht. In den Schriften der alttestamentlichen Prophetie war nur von dem Gott Israels Heilung zu erwarten (Ex 15,26). Dieser, so die Synthese beider Vorstellungen, wirkt nun durch Jesus. Eine religionsgeschichtliche Perspektive auf Fieberheilungen, die – wie in der vorliegenden Erzählung – als Dämonenaustreibungen geschildert werden, ermöglicht darüber hinaus deren Verortung im Kontext von Reinigungsritualen (vgl. Balz 1995). Zu dieser Ansicht tragen unter anderem einige Praktiken aus der Wissenskultur des rabbinischen Judentums bei. Hier wird beispielsweise ein vom Fieber verunreinigter und mutmaßlich von Geistern besessener Körper (P.Oxy 8,924,2 f.) durch religiöse, magische, medizinische und hygienische Praktiken gereinigt und erneuert. Ein Auszug aus dem (babylonischen) Talmudtraktat Gittin soll Letzteres verdeutlichen: Wer Rindfleisch mit Rüben gegessen und darauf bei Mondschein in der Nacht zum vierzehnten oder fünfzehnten [des Monates] in der Jahreszeit Tammuz geschlafen hat, wird von Fieber befallen. (…) Was heißt Fieber? R. Elezar erwiederte: »Feuer in den Knochen (…) – Welches Mittel gibt es dagegen?« Abbjje erwiderte: »Mutter sagte mir: ›Alle Mixturen sind drei, sieben oder zwölf [Tage zu wiederholen], folgende aber so lange, bis er genesen ist; alle Mixturen [nehme man] auf leeren Magen, folgende aber, nachdem man gegessen und getrunken hat, im Aborte gewesen, herausgekommen ist und die Hände gewaschen hat. Er knete eine Handvoll Honigspeise aus Linsen mit einer Handvoll altem Wein, esse dies, wickle sich in das Laken und schlafe ein; niemand darf ihn aufwecken, bis er von selbst aufsteht. Nachdem er aufgestanden ist, lege er das Laken ab, sonst kehrt es zu ihm zurück‹« (bGit 70a).
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Die Wundererzählungen im Lukasevangelium
Insgesamt war die Heilung des Fiebers im Judentum, wie es des Weiteren das Buch Nedarim zum Ausdruck bringt, letztendlich (und trotz dämonischer und anderer Übergriffe in der Endphase des Lebens) immer in den Händen Gottes. Parallelen zu der Erzählung in Lk 4,38 f. sind in dieser Vorstellung deutlich zu erkennen: Bei Hananja (…) war es ein (…) Feuer, und jeder konnte es löschen, das [Fieber] des ˙ Kranken aber ist ein himmlisches, und wer kann es löschen? (…) Sobald des Menschen Ende heranreicht, hat jeder Gewalt über ihn, denn es heißt: Und wer mich trifft, wird mich töten. Rabh entnimmt dies aus folgendem Schriftverse, vor deinem Gerichte standen sie heute, denn alle sind deine Knechte (bNed 41a).
Verstehensangebote und Deutungshorizonte Der Titel des vorliegenden Beitrages (Heilende Macht daheim) fasst ein wesentliches Verständnisangebot des Textes zusammen. Die heilende Macht Gottes, vertreten durch Jesus, tritt auch im häuslichen Kontext auf. Sie ist nicht an eine repräsentative Öffentlichkeit, wie sie in einer Synagoge zu finden ist, gebunden. Vielmehr kann sie Menschen auch dort begegnen, wo sie sich mit ihren Ängsten, Nöten und Gebrechen oftmals alleine gelassen fühlen, in den eigenen vier Wänden. Hier kann sie wirksam werden, hier kann sie erneuern und zu neuen Wegen führen. Diesbezüglich legt die vorliegende Wundererzählung zwei Deutungen nahe: eine christologische, die sich in der alttestamentlichen Prophetie orientiert, sowie eine hiermit im Zusammenhang stehende anthropologisch-ekklesiologische. In dem gesamten Textabschnitt ist Jesus die handelnde Person. Er ist es, der die Synagoge verlässt und in das Haus des Simon aufbricht und dort ein Heilungswunder kraft seiner Worte vollbringt. Er handelt hierbei in seiner Funktion als »Heiliger Gottes« und durchbricht den leidbeladenen und gefahrvollen Zustand, in dem sich ein Mensch befindet (vgl. Lk 4,31-37). Das angemessene menschliche Verhalten – vertreten durch die im Text nicht spezifizierten Personen – ist gegenüber der durch den »Heiligen Gottes« vermittelten Macht Gottes die »Bitte« bzw. »Fürbitte« (»und sie baten ihn für sie« [Lk 4,38c]). Einerseits erscheint es, dass der Verfasser des Lukasevangeliums seinem Christusbild hiermit eine Facette hinzufügen wollte, die komplementär zu der Gleichsetzung von Vater und Sohn verstanden werden kann, denn Gott antwortet auf Bitten und Fürbitten durch seinen Sohn. Andererseits bereitet die vorliegende Stelle darauf vor, dass im weiteren Verlauf des Evangeliums Jesus selbst – im Sinne einer urchristlichen Gebetspraxis – zum Gebetsadressaten erhöht scheint und relativiert diese (Lk 17,15 f.; 24,52 f.; Untergaßmair 1997, 57). Somit ergibt sich als ekklesiologische Konsequenz, dass die gemeinsame »Bitte« und das Bitten für andere Menschen (gleich ob im öffentlichen Raum oder im privaten Kontext) ein grundlegendes Element christlicher Gotteszuwendung ist, das jedoch immer wieder zu reflektieren ist (vgl. Reinmuth 2006, 114 f.). Der katholische Theologe Franz Georg Untergaßmair merkt diesbezüglich an, dass ein solches reflektiertes Gebetsverständnis noch heute für eine christliche Existenzweise existentiell ist. Interessant ist, dass in seiner Aussage alle zu bedenkenden Elemente der Erzählung in Lk 4,38 f. wiederkehren: 540
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Es (sc. das bittende Gebet) wird bestimmt vom Verhältnis zum Erhöhten und zum Vater sowie von der Verheißung des göttlichen Heilsvorhabens mit dem Menschen. Vom Menschen wird die gläubige Annahme dieser Heilsoffenbarungen und ein willenskonformes (…) Verhalten beim Gebet erwartet. Solches Bitten/Gebet bedeutet den Abschied von Zaubern, Magie und Aberglauben. Es lehnt eine Gebetsvorstellung im Sinn einer innermenschlichen Reflexion ab und geht von einem personalen transzendenten göttlichen Gegenüber aus, das nach wie vor wirkmächtig das Heil der gesamten Schöpfung will (Untergaßmair 1997, 57).
Im Hinblick auf diese Aussagen zeigt sich auch modernen Leserinnen und Lesern, dass Jesus in Lk 4,38 f. nicht als zaubernder Wunderheiler (wie sie beispielsweise von Lukian persifliert wurden), sondern in der Vollmacht Gottes an seiner Gemeinde handelt. Hinsichtlich der Verständnisangebote und Deutungshorizonte, die die Erzählung bietet, gilt es, noch etwas Weiteres anzumerken, das mit der in Vers 4,39d auftauchenden Vokabel (bei Tisch) »aufwarten« bzw. »dienen« (diakonffw diakoneo¯) verbunden ist. Die geheilte Frau, die anscheinend keiner Regeneration bedurfte, bereitete Jesus und den weiteren anwesenden Personen nach ihrer Heilung umgehend ein Mahl. Diese Handlung lässt sich (nicht nur auf einer semantischen Ebene) als Gottesdienst oder Nachfolge interpretieren. Die Frau, die eben noch als unproduktiver Teil einer Hausgemeinschaft vorgestellt wurde, hat durch das Wort des »Heiligen Gottes« nicht nur Gesundheit, sondern auch neue Handlungsoptionen erhalten. Sie vollzieht Handlungen, die eigentlich der Hausherrin oblagen, und stellt sich so außerhalb der Gemeinschaft, jedoch nur, um in eine größere Gemeinschaft, diejenige der entstehenden Kirche hineinzuwirken. Die Erzählung um die Schwiegermutter des Petrus berichtet also auch etwas über die ekklesiale Kompetenz von Frauen in frühchristlichen Gemeinschaften (vgl. Mörtl 2002).
Aspekte der Parallelüberlieferung und Wirkungsgeschichte Die analysierte Textstelle hat eine sehr reichhaltige Wirkungsgeschichte, die unter anderem künstlerische, psychologische, feministische und literarische Auseinandersetzungen umfasst (vgl. Drewermann 2000; Kruse 1989; Mörtl 2002). An dieser Stelle soll lediglich auf ein Beispiel aus dem Bereich der narrativen Theologie eingegangen werden. Ingeborg Kruse hat innerhalb ihres Erzählungsbandes Mädchen wach auf! Frauengeschichten aus dem Neuen Testament (1989) die Geschichte um die Heilung der Schwiegermutter des Simon Petrus literarisch aufgenommen und geschickt in einen erzählerischen – um die inneren Sichtweisen der dargestellten Frau bereicherten – Kontext eingebunden. Die in Lk 4,38 f. stumm bleibende Frau (deren soziale Situation in der vorliegenden Auslegung zunächst als prekär charakterisiert wurde) erhält so eine eigene Stimme und Geschichte und wird (im Kontrast zu ihrer Passivität in Lk 4,38) als starke und unabhängige Person beschrieben, für die die Nachfolge Christi auch im örtlich gebundenen, dörflichen Rahmen Realität werden kann. In der Geschichte Kruses fungiert sie so gleichsam als Diakonisse oder Kirchenvorsteherin. Im Folgenden einige Auszüge: Manchmal begleitete sie ihren Schwiegersohn auf den See hinaus. Das Boot lag nahe am Haus, sie brauchte nur die wenigen Schritte zum Wasser zu gehen. Ihr Schwiegersohn stieg dann vor ihr ein, räumte die Netze, Angeln und Fischkästen ein wenig zur Seite, wischte den Tau von der Bank und reichte ihr die Hand, damit sie sich auf ihn stützen
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Die Wundererzählungen im Lukasevangelium
konnte; mit der anderen Hand hielt sie sich am Bootsrand fest. So gelangte sie, ein wenig unbeholfen, aber unbeschadet, in das Boot. Sie fischte zu ihrem Vergnügen und solch eine Bootsfahrt unternahm sie nicht jeden Tag. Diese Frau war nicht wie irgendeine. Sie war tatkräftiger und aufgeschlossener als alle anderen Frauen im Dorf. Sie stellte Jesus und seinen Freundinnen und Freunden ihr Haus zur Verfügung und nahm viele Gäste auf. (…) Seitdem Jesus in ihrem Haus wohnte, klopften viele Hilfsbedürftige an ihre Tür. Reiche, Arme, Kranke, Gesunde, Sünder und Gerechte kamen und baten um Rat und Hilfe. Der ganze Ort schien manchmal vor ihrer Haustür versammelt zu sein, und er half ihnen allen. Wenn Jesus sich zurückzog, suchten sie ihn so lange, bis sie ihn gefunden hatten, und sei es in der Nacht. (…) Wenn die Fischfrau (sc. die Schwiegermutter des Simon Petrus) von den großen und kleinen Leuten erzählt, die in ihrem Haus ein- und ausgegangen sind, dann wird deutlich, wie sehr sie es genossen hat, an allem teilzunehmen. Und sie selbst? Kommt sie auch vor in ihren Jesusgeschichten? Ob sie wohl auch persönlich betroffen war von dem, was er in ihrem Haus und in ihrem Heimatort Kapernaum getan hat? Wenn man sie das fragte, dann würde sie einen Augenblick ihre vielbeschäftigten Hände in den Schoß legen, »Weiß Gott!« sagen und erzählen, wie er ihr das Leben gerettet hat (Kruse 1989, 67-70).
Dominik Mahr Literatur zum Weiterlesen H. Balz, Heil und Heilung im Neuen Testament, in: K. Hoheisel/H.-J. Klimkeit (Hg.), Heil und Heilung in den Religionen, Wiesbaden 1995, 99-115. J. D. M. Derrett, Getting on top of a demon (Luke 4:39), EvQ 65 (1993), 99-109. B. Kollmann, Frauenrollen und Frauenleiden in antiken Heilungswundern. Einblicke aus der Gender-Perspektive, in: B. Heininger/R. Lindner (Hg.), Krankheit und Heilung. Gender – Religion – Medizin, Berlin 2006. I. Kruse, Mädchen wach auf! Frauengeschichten aus dem Neuen Testament, Stuttgart 1989. B. Mörtl, Die Schwiegermutter des Petrus. Die ekklesiale Kompetenz von Frauen nach Mk 1,2931. Eine feministisch-theologische Untersuchung, Graz 2002.
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Einmal Fischer, immer Fischer? (Der wunderbare Fischfang) Lk 5,1-11 (1) Es geschah aber, als die Volksmenge auf ihn eindrang und das Wort Gottes hörte – und er selbst stand am See Gennesaret –, (2) da sah er zwei Boote, die am See standen. Die Fischer aber waren ausgestiegen und wuschen die Netze. (3) Er stieg aber in eines der Boote, das Simon gehörte, und bat ihn, vom Land ein wenig wegzufahren. Als er sich aber gesetzt hatte, lehrte er vom Boot aus die Menge. (4) Als er aber aufgehört hatte zu reden, sagte er zu Simon: »Fahre hinaus ins Tiefe und lasst eure Netze hinunter zum Fang.« (5) Und Simon antwortete und sagte: »Meister, die ganze Nacht hindurch haben wir uns abgemüht und nichts gefangen. Auf dein Wort aber werde ich die Netze hinunterlassen.« (6) Und als sie das getan hatten, fingen sie eine große Menge Fische, ihre Netze aber begannen zu reißen. (7) Und sie winkten den Genossen in dem anderen Boot, damit sie kämen und ihnen fangen hülfen. Und sie kamen und füllten die beiden Boote, so dass sie zu versinken begannen. (8) Als aber Simon Petrus das sah, fiel er zu den Füßen Jesu nieder und sagte: »Geh hinaus von mir, denn ich bin ein sündiger Mann, Herr.« (9) Denn Schrecken hatte ihn ergriffen und alle, die bei ihm waren, über den Fang der Fische, die sie gefangen hatten; (10) ebenso aber auch Jakobus und Johannes, Söhne des Zebedäus, die Simons Gefährten waren. Und zu Simon sagte Jesus: »Fürchte dich nicht. Von nun an wirst du Menschen fangen.« (11) Und als sie die Boote an Land gezogen hatten, verließen sie alles und folgten ihm. Anmerkung: Die mehrdeutigen Formulierungen in V. 6 f. sind im Deutschen nicht adäquat wiederzugeben. Oft wird konativ übersetzt: »so dass sie zu zerreißen drohten« bzw. »so dass sie fast sanken« o. ä. Entsprechend suchen Einfügungen wie par€ ti (para ti) »fast« u. ä. in V. 7 (Codex Bezae u. a.) jene Eindeutigkeit zu schaffen, die dem kürzeren griechischen Wortlaut fehlt. Aber »[d]ie Ansetzung des Gebrauches de conatu beruht lediglich auf der beim Übersetzen in andere Sprachen notwendigen oder erwünschten Verdeutlichung, während im Griechischen die richtige Auffassung gewöhnlich dem Zusammenhang überlassen wird« (Schwyzer/Debrunner 1959, 259; ähnlich Kühner/Gerth 1898, 140). Vgl. die sprachlich unkorrekte, aber treffende Wiedergabe bei Bovon 2012, 228: Die Netze waren »am Zerreißen«, die Boote waren »am Sinken«.
Sprachlich-narratologische Analyse Nach der Ortsangabe Lk 4,44 (Judäa) setzt 5,1 mit der Erwähnung des Sees Gennesaret (in Galiläa) neu ein. V. 1-11 spielen am selben Ort, V. 12 markiert mit einem Ortswechsel einen Neueinsatz. Im Übergang zu 5,1 überrascht die Nennung von Judäa als Wirkungsraum in 4,44 (manche Handschriften »korrigieren« das). Die Ortsangaben weisen der Erzählung ihre 543
Die Wundererzählungen im Lukasevangelium
Stellung in der lukanischen Jesusgeschichte an, die als Weg nach Jerusalem und in der Fortsetzung von Jerusalem nach Rom (Apg) wesentlich räumlich gegliedert ist. Denn von 2,32 an sind ganz Israel und die Völkerwelt der Horizont des Wirkens Jesu. Wenn Lk in 4,14 f. generalisierend ganz Galiläa nennt und in V. 43 f. noch darüber hinaus greift, ruft er damit diese seit 2,32 bekannten Dimensionen in Erinnerung. Das bricht die räumlich und zeitlich kohärente Handlungsfolge auf, die sich sonst von 4,14 bis 9,51 (Aufbruch aus Galiläa) konstruieren ließe, und richtet den Anfang des öffentlichen Wirkens Jesu, das seit 4,14 erzählt wird, auf den weiteren Horizont der Jesusgeschichte aus. In der Begegnung mit den ersten Jüngern tritt dieses Wirken in ein neues Stadium. Denn sie werden in der Fluchtlinie von Lk 2,32 die Sendung Jesu weitertragen (Apg 1,8). In diesen Rahmen gefügt, wird der wunderbare Fischfang zum Paradigma ihres späteren Wirkens. Mehrere Querverbindungen verankern unsere Erzählung im näheren Kontext: Mit dem Haus Simons und seiner Schwiegermutter wird das spätere Gegenüber Jesu in 4,38 f. bereits indirekt eingeführt (dass Simon die Heilung der Schwiegermutter miterlebt, wird nicht gesagt; er selbst tritt erst in 5,3 auf). Weiter erfahren wir hier, was Simon, von Boot und Netz abgesehen, zurücklassen wird, denn mit betontem »Alles« greift 5,11 über Boote, Netze und Fang hinaus und schließt Haus und Familie ein. Eine weitere intratextuelle Verbindung stiftet der Gegensatz zwischen dem Hineingehen Jesu in Simons Haus 4,38 und dessen Aufforderung »geh hinaus von mir« 5,8. Profiliert wird dieser Gegensatz durch die Reaktion der Menge auf Jesu Wirken in 4,42: Sie will ihn nicht weggehen lassen. Doch Simons Reaktion in 5,8 findet ihre Entsprechung im Verhalten der Synagogenbesucher in Nazaret, die Jesus aus ihrer Stadt hinauswerfen, worauf er sich entfernt (4,29 f.). Jesu Wirken ruft Emotionen (qum@ thymos – Zorn 4,28; q€mbo@ thambos – Erschrecken 4,36; 5,9) und gegensätzliche Reaktionen, Annahme und Ablehnung, hervor (vgl. 2,34). Sein Wirken provoziert, denn der Anspruch erfüllter Verheißung und die Überschreitung der Grenzen Israels (4,21.25-27) sprengen, ebenso wie die Überfülle des geschenkten Fangs (5,6-10a), die Erwartungen. Im Wortfeld um »Kommen, Hineingehen, Hinauswerfen, Weggehen, Aufhalten« zeichnen sich Nähe und Distanz, Annahme und Ablehnung ab (4,29 f.38.42). Unsere Erzählung wird das in 5,3.8.11 weiterführen, wie sie auch die Abfolge der beiden Aspekte des Wirkens Jesu, Wort und Tat (4,14-32/3341), mit V. 1-3/4-11 aufgreift und verbindet. In V. 1-11 sind zwei Handlungssequenzen verbunden, die auf den ersten Blick disparat scheinen. Die Handlung in V. 4-11 ließe sich auch ohne die Belehrung der Menge in V. 1-3 einleiten. Die Menge, in V. 1 noch vor Jesus erwähnt und Adressatin seines Wirkens bis V. 3, taucht in V. 4-11 nicht mehr auf; was aus ihr wird, erfahren wir nicht. Der Neuansatz in V. 4 scheint unvermittelt. Geht es in V. 1-3 um das Hören auf das Wort Gottes bzw. das Lehren Jesu, so in V. 4-11 um Netze, Boote und Fischfang. Stehen einander in V. 1-3 Jesus und eine gesichtslose Menge gegenüber, so entfaltet sich in V. 4-11 ein Gegenüber zweier Protagonisten (die Fischer neben Simon bleiben Randfiguren). Ist V. 1-3 eine reine Erzählung, so wird die Handlung in V. 4-11 durch die Dialoge V. 4 f.8.10b vorangetrieben. Dennoch lassen sich die Einheit stiftenden Elemente benennen. Auf der Ebene des Personeninventars ist das (neben Jesus) Simon, der von V. 3-10 die Erzählung prägt. Er ist es, der die Beziehung zwischen Jesus und der Menge zwar nicht vermittelt, aber dadurch, dass er sein Boot zur Verfügung stellt, ihre Fortführung ermöglicht. Er ist es, der Jesus mit den anderen Fischern in Verbindung bringt. Die Worte Jesu, die allen Fischern 544
Einmal Fischer, immer Fischer? Lk 5,1-11
gelten, sind doch an ihn allein gerichtet. Der Wechsel vom Singular zum Plural in V. 4 stellt nur heraus, dass Simon die anderen Fischer repräsentiert, so dass Jesus durch Simon mit ihnen kommuniziert. Daher stört auch die Erwähnung des zweiten Bootes in V. 7 – vorbereitet in V. 2 – die Einheit der Handlung nicht. Auch auf der Ebene des Wortund Motivbestandes sind die Teile der Erzählung miteinander verklammert. Fischer, Boote und Netze kommen im Anfangs- (V. 2 f.), Mittel- (V. 4-7) und Schlussteil (V. 11) vor. Mit dem Stichwort »Wort« («ffima rhe¯ma) und der Reaktion Simons V. 5 ist auch das für V. 1-3 prägende Wortfeld »Wort Gottes, Lehren, Hören« in V. 4-11 verankert, wie umgekehrt die Welt der Fischer und der in V. 4-10 hervortretende Protagonist Simon bereits in V. 2 f. eingeführt werden. V. 11 schließlich stellt die Eingangsszene von V. 1 – Jesus, die Fischer und die Boote befinden sich am Ufer – wieder her. Lk 5,1-3.4-11 will demnach nicht als Szenenfolge, sondern als strukturierte Einheit gelesen werden, deren Teile aufeinander verweisen: V. 4-11 inszeniert mit der Welt der Fischer den Bildspendebereich für die Bildrede des Menschenfängerwortes; V. 1-3 inszeniert mit der lehrenden Zuwendung zur Menge die »Sachebene« dieses Bildwortes. Der Spannungsbogen der Erzählung entfaltet sich in vier Schritten. Vier Probleme und ihre Lösungen werden geschildert, die zunächst mühelos gelingen, aber zunehmend schwerer fallen. Zwei Dialoge, in denen Jesus und Simon je einmal mit Anrede und Antwort zu Wort kommen (V. 4 f.8.10b), treiben die Zuspitzung voran: 1. Zunächst findet Jesus im Boot einen Standort für seine Verkündigung (V. 1-3). 2. Sodann behebt er den Mangel der Fischer (V. 4-7). Dabei erhebt sich bereits ein Einwand, doch Simon lässt sich ohne weiteren Zuspruch auf das Wort Jesu ein (V. 5) – ein erster, noch vorläufiger Vertrauenserweis. 3. Der folgende Schritt beginnt mit der Gefährdung der Netze durch den großen Fang; das Problem wiederholt sich in gesteigerter Form, als auch das herbeigerufene zweite Boot (die Personen darin bleiben blass) in Gefahr gerät. 4. Auf den überreichen Fischfang und die Gefährdung von Netzen und Booten reagiert Simon mit Erschrecken und Abwehr. Er redet Jesus in V. 5 respektvoll mit ¥pist€ta (epistata – Meister) an, in V. 8, gesteigert, mit religiös konnotiertem kÐrie (kyrie – Herr). Dennoch bleibt die Situation zunächst zugespitzt. Dass Wundertäter und »sündiger Mann« in einem Boot beisammenbleiben, scheint unmöglich. Darin erreicht die Erzählung einen krisenhaften Höhepunkt, der auf die Lösung durch das Wort Jesu (V. 10b) hinführt. Den Verlauf des Spannungsbogens spiegelt das Verhältnis von erzählter Zeit und Erzählzeit. Beides ist in der wörtlichen Rede V. 4 f.8.10b etwa identisch, während die Handlungssequenzen V. 1-3 und V. 6 f.11 extrem beschleunigt erzählt werden. Dagegen kommt der Handlungsverlauf in dem auf die emotionale Reaktion der Fischer fokussierten Abschnitt V. 9.10a kurzzeitig zum Stillstand. Durch den Einschub dieser Verse zwischen Wort (V. 8) und Antwort (V. 10b) wird die Dehnung der erzählten Zeit im Erzählvorgang abgebildet. Erst der Zuspruch Jesu bringt die Handlung wieder voran. Die erzählerische Funktion seiner Worte spiegelt die erzählte Wirksamkeit seines Wortes. Der beschriebene Spannungsbogen entsteht durch die Abfolge der wunderhaften Elemente der Handlung, welche die Erzählung, ausgehend von einer gewöhnlichen Mangelerfahrung, bis zur religiös konnotierten Krisensituation und ihrer Lösung vorantreiben. Zunächst wendet das in V. 4-7 erzählte Geschenkwunder die Not nach der vergeblichen Mühe einer Nacht. Unauffällig, ohne Bitten der Empfänger, ohne Gebet oder andere Praktiken des Wundertäters, wird es bewirkt, ohne dass die Gabe mit Freude, Dank oder Lob gewürdigt würde (Theißen 1990, 111-114). Gewiss stellt die Tageszeit 545
Die Wundererzählungen im Lukasevangelium
das Besondere des erfolgreichen Fangs heraus. Alles Gewöhnliche sprengt jedoch erst die Überfülle, die ins Bedrohliche umschlägt und damit über ein Geschenkwunder hinausführt. Die Netze beginnen zu reißen, die Boote zu versinken (V. 6 f.). Die ambivalente Schilderung der Gefahrensituation lässt den Ausgang noch offen (konative Übersetzungen verdecken das). Die Gefährdung führt zu widerstreitenden Reaktionen, Anerkennung und Abwehr des Wundertäters (V. 8-10a). Prägend sind hier zunächst Merkmale von Epiphanien (vgl. Theißen 1990, 102-107; Fletcher-Louis 1997, 34-38.222 f.; Wolter 2008, 214): Simon fällt vor Jesus nieder, er erkennt die Hoheit Jesu und bringt das in der kyriosAnrede zum Ausdruck; er bekennt sich selbst als Sünder; Schrecken erfasst ihn und die anderen Fischer. Das Sündenbekenntnis bezieht sich nicht auf ein besonderes Verschulden. Es erwächst, wie der Weheruf eines Jesaja (Jes 6,5), aus dem Erschrecken (q€mbo@ thambos) angesichts des Heiligen, das als Gefährdung menschlicher Sündhaftigkeit und Unzulänglichkeit erfahren wird. Ähnliche Züge finden wir in Berufungen; so bei Mose (Ex 3,2-6), Jesaja (Jes 6) und Ezechiel (Ez 1,28). Auch Motive von Engelserscheinungen wie Num 22,31; Ri 13,6.20; Lk 1,11-13 können wir heranziehen. Diese Gemeinsamkeiten verweisen darauf, dass es auch in Lk 5,1-11 um Berufung und Sendung, um die Ausrichtung einer Botschaft geht (Berger 2005, 372 f.). Nicht zufällig spricht der Erzähler daher von »Simon Petrus« (V. 8) und verweist damit auf die Verleihung des Beinamens Petrus (6,14) und auf die besondere Stellung Simons im Apostelkreis (6,13-16). Die abwehrenden Worte »geh hinaus von mir« (V. 8) erinnern zudem an Mk 5,17 par., die Bitte der Gerasener, Jesus möge sie verlassen, nachdem sein Wirken zum Verlust ihrer Schweineherde führte. Mit Booten und Netzen gefährdet die von Jesus geschenkte Fülle die Produktionsmittel, die ein Leben als Fischer erst ermöglichen (s. u. Sozial- und realgeschichtlicher Kontext). Das Wunder sprengt die gewöhnlichen Verhältnisse, das alltägliche Leben ist bis hin zu seinen ökonomischen Grundlagen in Frage gestellt. Das ruft Ablehnung hervor (Theißen 1990, 81). An Epiphanien schließt dagegen wieder der Zuspruch Jesu »fürchte dich nicht!« an (V. 10b). Er zeigt das Ende der Gefährdung an. Zugleich verweist das anschließende Menschenfängerwort auf die neue Existenz, in die Simon und »die mit ihm« (V. 9) eintreten sollen, und knüpft damit an die erwähnten Züge von Berufungserzählungen an. An die Stelle einer Berufung tritt hier jedoch ein einfacher Aussagesatz, der mitteilt, was geschehen wird. Der Verzicht auf jede Aufforderung stellt die Unwiderstehlichkeit des Wortes Jesu heraus, das sofort in Kraft setzt, was es ankündigt. Die Antwort der Adressaten braucht nicht eigens erwähnt zu werden. V. 11 setzt sie stillschweigend voraus. Die Boote sinken nicht – und doch geht eine Lebensform zu Ende. Das betonte »Alles« in V. 11 schließt neben Booten und Netzen Haus und Angehörige (4,38 f.) ein. Der reiche Fang bleibt am Ufer liegen. Ist also bei Lukas aus der Fischfangerzählung eine Erzählung vom Beginn der Nachfolge und Sendung der Jünger geworden? Das stimmt und stimmt doch auch nicht. Geht man vom Wort- und Motivbestand aus, ist es umgekehrt: Grundlegend ist die Fischfangerzählung. Das zeigt sich in der Einsetzung von »Menschenfängern«. Als Bildspendebereich dient die Welt der Fischer. Was aber »Fischer«- oder »Fänger«-Sein heißt, unterliegt einer Transformation. Der reiche Fang wird zur Verheißung missionarischen Erfolgs. Die Rede von Fischern, Netzen und Fischfang erfährt eine Bedeutungserweiterung. Sie nimmt die Jünger- und Verkündigungsthematik in sich auf. Die Handlung unserer Erzählung entfaltet sich aus dem Stillstand heraus. Von 546
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Jesus und den Booten heißt es zu Anfang, dass sie stehen (V. 1 f.). Es ist Jesus, der zuerst sich, dann, durch sein Wort, Fischer und Boote in Bewegung setzt (V. 3-7). Zweimal weist Simon den von Jesus ausgehenden Impuls zurück (V. 5.8). Am Ende aber folgen die Fischer Jesus (V. 11). War es in 4,14-44 er allein, der kam und ging, aufgenommen und abgelehnt wurde, so nimmt er sie nun in seine Bewegung hinein.
Sozial- und realgeschichtlicher Kontext Aristoteles (hist.), Plinius (nat.), Oppian (hal.) und Aelian (nat.) beschreiben Fische und andere Meerestiere (Hünemörder 1998); die Halieutika-Literatur, die Fischarten und Fangtechniken schildert, spiegelt die Bedeutung von Fischfang und Fischwirtschaft (Rostovtzeff 1955, 941 f.; Wuellner 1967, 16-20). Fisch ist in der antiken Mittelmeerwelt ein wichtiges Nahrungsmittel, als billige Kost der Armen wie als teurer Luxus der Reichen (Sigismund 2005, 32). Die Armen essen ihn mit Brot oder Bohnen, doch große Fische gelten als Luxusspeise (Gutsfeld 1998). Die Deipnosophistai des Athenaios sowie das unter dem Namen des Apicius überlieferte Kochbuch beschreiben Fischspeisen der begüterten Oberschicht (Gutsfeld 1998; Wilkins 2005): Kräutersauce zu gegrilltem Fisch. Beliebigen Fisch ausnehmen, waschen, grillen. Pfeffer, Kümmel, Koriandersamen, Laserwurzel [laseris radicem], Oregano, Raute mahlen, verreiben. Essig angießen, Dattel, Honig, eingekochten Most, Öl zugeben, mit Brühe würzen. In eine Pfanne geben, erhitzen; nach dem Aufkochen über den gegrillten Fisch gießen, mit Pfeffer bestreuen und servieren (Apic. coq. 10,1,1).
Auch in der rabbinischen Tradition spielt Fisch als Nahrung, nicht zuletzt in Saucen und Laken, eine große Rolle; mit Wein kann er als königliche Mahlzeit gelten (Krauss 1966, 110-112). Lev 11,9-12 verbietet den Genuss von Fischen ohne Flossen und Schuppen. Die rabbinische Tradition hat daran weitere Differenzierungen geknüpft (mAS 2,6; bAS 34b, 39a). Durch Salz wird der Fisch haltbar gemacht und kann als Handelsgut ausgeführt werden. Beliebt ist Fischsauce, die, in Amphoren gefüllt, ebenfalls ein wichtiges Handelsgut darstellt (Curtis 1991; ders. 2005; Ejstrud 2005). Zu Fischfang, -verarbeitung und -handel kommen die Herstellung von Booten, Netzen und Keramikgefäßen und der Handel mit Salz. So ist die Fischwirtschaft ein wesentlicher ökonomischer Faktor. Rechtliche und finanzielle Einzelheiten der Verpachtung und Besteuerung von Fischfang und -handel im Galiläa des 1. Jh. sind nicht bekannt. Wir müssen uns mit Analogien behelfen. Hellenistisch-römische Quellen vermitteln einen Eindruck vom Spektrum der Möglichkeiten (Dumont 1977; Hanson 1997; Bekker-Nielsen 2010). Im ptolemäischen Ägypten ist die Fischwirtschaft ein Staatsmonopol, wie behördliche Aufzeichnungen zeigen (P.Tebt. 3,701 [3. Jh. v. Chr.], hier Z. 38-47). Für Fischer haben wir im Ägypten dieser Zeit mit Steuern von 25 % vom Fang zu rechnen (Rostovtzeff 1955, 231 f.246; Taubenschlag 1955, 664-666). Sie stehen im Dienst des Staates. So erhalten zwei Fischer für ein Netz 50 Drachmen, die sie aus ihrem Anteil am Fang erstatten müssen (Z. 86-90). Während 70 Thrissae (kleine Fische) für 20 Drachmen verkauft werden, werden den Fischern bei der Bezahlung ihrer Netze für 200 Thrissae 20 Drachmen angerechnet. Lohn wird ihnen von der Verwaltung bezahlt (Z. 150-152). Weder handeln sie selbstständig, noch verfügen sie über ihre Produktionsmittel. 547
Die Wundererzählungen im Lukasevangelium
Abb. 8: Fischer in ihren Booten auf dem See Gennesaret (1925)
Im römischen Reich werden die Fischereirechte vom Staat teils verpachtet, teils aber auch den herkömmlichen Inhabern wie Städten oder Tempeln belassen (Rostovtzeff 1931, 312). So liegen auch in Ägypten die Fangrechte für öffentliche Gewässer unter römischer Herrschaft beim Staat, der sie durch Beamte vergibt (P.Oxy. 3268 [2. Jh. n. Chr.]). Doch auch private Eigentümer verpachten Fischereirechte. Manche verpflichten sich, für Netze, Boote und Fischer zu sorgen. Letztere sind also unselbstständige Beauftragte, so in P.Oxy. 3269 (3. Jh. n. Chr.): […] unter der Bedingung, dass du mit einem Anteil von einem Viertel auch in dem Teich [?] an denselben [Schleusen-] Toren fischst [?], so dass die Verpächter die übrigen drei Viertel haben, da sie die Netze, Boote und Fischer stellen. Für das alles haben wir die vereinbarte Pacht an Ort und Stelle in bar vollständig erhalten, so dass er [sic] den Fischfang ungehindert ausüben kann […].
Die Aufgabe, Fischer zu stellen, kann dem Pächter zufallen. Nach P.Oxy. 3267 (1. Jh. n. Chr.) teilen sich die Vertragspartner den Aufwand der Ausrüstung und den Fang. Auch nach P.Oxy. 3270 (4. Jh. n. Chr.) haben die Pächter neben der Bezahlung Netze und Fischer zu stellen. Die Pacht – 14 Talente und 3000 Silberdrachmen – lässt auf die Kapitalkraft der Investoren schließen. Andere Dokumente nennen bescheidenere Summen. Ein Anbieter ist nach P.London inv. 2143 (2. Jh. n. Chr., Parássoglu 1987) bereit, für 240 Drachmen jährlich Fischereirechte von einem privaten Besitzer zu pachten und zusätzlich 30 Krüge Fischsauce und 6 Krüge Fisch zu liefern; Netze und anderes Gerät will er »für mich selbst« stellen. Ähnliche Summen finden wir in P.Turner 25 und P.Wisc. 6 (Rea 1973). In P.Oxf. 12/P.L.Bat. 3a, 12 (2. Jh. n. Chr.) geht es um gemeinsame Wahrnehmung von Fischereirechten; ein Vertragspartner will ein Viertel der Pacht aufbringen und den entsprechenden Anteil der Arbeit übernehmen. Dafür verlangt er 25 % vom Überschuss. Kommen hier Fischer zu Wort, so treten sie als – teils gemeinschaftlich handelnde – Pächter auf. Ob die dabei erwähnten Netze und anderen Geräte im Privatbesitz sind, 548
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Abb. 9: Boot mit Segeln und Rudern (Detail aus einem Modaik in einer Stadtvilla in Magdala, 1. Jh. n. Chr.)
erfahren wir nicht. Fischerboote werden besteuert, ein Tempel verzeichnet in P.David 1/ P.L.Bat. 17,1 (2. Jh. n. Chr.) Einnahmen daraus. Fischpreise lassen sich schwer beziffern, doch scheinen Fischprodukte in der Regel billig zu sein (Curtis 1991, 170-175; ders. 2005, 43). P.Oxy. 3495 (2. Jh. n. Chr.), eine Liste von Einnahmen, verzeichnet (Netz-)»Würfe« an 21 Tagen; es sind pro Tag 3 bis 11 Würfe, davon meist je ein nächtlicher. Notiert wird der Wert (oder die Besteuerung?) eines jeden Wurfes, der 1-2 Drachmen, aber auch bis zu 80 Drachmen betragen kann. Der Gesamtwert für die Zeit der Aufzeichnungen liegt (mit Unsicherheiten und Ungenauigkeiten) bei etwa 1600 Drachmen. Leider erfahren wir nicht, ob es sich um die Einnahmen der Fischer oder eines Fischereiinspektors handelt und wieviele Fischer beteiligt sind. Einnahmen von Fischereiinspektoren dokumentieren P.Osl. 89-91 (2. Jh. n. Chr.); die Beamten müssen alle 5 Tage Rechnung legen. Eine Fischerei-»Genossenschaft« eigener Art lernen wir schließlich in P.Oxy. 2243 (31 n. Chr.) kennen: Ein Inhaber von Fischereirechten führt Klage über Fischer, die widerrechtlich in seinen Gewässern fischten. Fisch im Wert von 1 Talent Silber sei ihm gestohlen worden, dazu hätten die Fischer ihn bedroht. Werfen wir einen Blick auf Zusammenschlüsse von Fischern: In Ägypten verpflichten sie sich, keine »heiligen Fische« zu fangen; offenbar lokal mit Ältesten und einem Sekretär organisiert, legen sie gemeinsam einen Schwur ab (PSI 901, 46 n. Chr.). In Parion am Hellespont ist eine Fischereigilde belegt, deren Mitglieder in hierarchischer Gliederung nach Ämtern und Funktionen aufgeführt werden (IGSK 25,5, unbestimmtes Datum, Kaiserzeit). Das setzt, ebenso wie ein Bericht Aelians (nat. 15,5) über Thunfisch-Fang in Pontus (70 Fischer in 5 großen Booten), eine umfangreiche arbeitsteilige Organisation voraus, die über die in den Evangelien geschilderten Verhältnisse hinausführt. Die Weiheinschrift eines Fischereizollhauses am Hafen von Ephesus (IGSK 11,1, 19 [54-59 n. Chr.]) nennt die Mitglieder einer Fischereigilde mit ihren jeweiligen Beiträgen zum Bau. Fischer und Fischhändler von bescheideneren wie größeren Mitteln 549
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Abb. 10: Fischer im Boot (Grabstele von der Insel St. Jacques, Frankreich, 1./2. Jh. n. Chr.)
sind hier zusammengeschlossen; sie errichten das öffentliche Gebäude aus eigenem Vermögen. Es dient der Besteuerung des Fischfangs, der in die Stadt gebracht wird (Horsley 1989, 95-114). Der niedrige soziale Status der kleinen Hersteller von bzw. Händler mit Salzfisch und Fischsauce ist in der hellenistisch-römischen Welt sprichwörtlich (Curtis 1991, 152154). Der Gewinn bleibt hauptsächlich bei wenigen Reichen. Aus Pompeji ist uns ein Produzent von und Händler mit Fischsauce, A. Umbricius Scaurus, bekannt. Er und seine Familie kommen nicht nur zu Reichtum, den eine luxuriöse Villa dokumentiert, sie steigen auch gesellschaftlich auf, was in den Ämtern des städtischen cursus honorum Ausdruck findet (Curtis 1991, 157 f.). Für die Wirtschaft Galiläas sind Fischfang, -verarbeitung und -handel ein wesentlicher Faktor. Josephus lobt das fruchtbare Land um den See Gennesaret, dessen Wasser und die verschiedenen Fischarten darin (Flav. Jos. Bell. 3,506-521). Er spricht, vielleicht übertrieben, von 230 Booten allein aus Magdala/Taricheai (Bell. 2,635, vit. 163-165). Der Fischfang wird mit Angelhaken, Spießen oder Zugnetzen vom Land aus, mit Wurfnetzen im Flachwasser oder mit verschiedenen Netzen von Booten aus betrieben (Dalman 1939, 346-363; Nun 2001, 25-40; vgl. Bekker-Nielsen 2010, 188-193). In Lk 5,2.4-6 sieht Nun (Nun 2001, 40 f.33-36) ein so genanntes Spiegelnetz vorausgesetzt. Ein 1986 gefundenes Bootswrack aus dem See Gennesaret (1. Jh. v./n. Chr.) ist 8,2 m lang und 2,3 m breit; es hatte vermutlich einen Mast und vier Ruder. So können auch die Boote der Jünger Jesu ausgesehen haben (Nun 2001, 119-131; Cohn 2003). Rings um den See finden sich antike Hafenanlagen, ferner Schiffsanker, Netzbeschwerer und Angelhaken in großer Zahl (Nun 2001, 57-99.132-165). Plinius schreibt (nat. 9,23, vgl. Arist. hist. 8,19), Fisch fange man am besten vor Sonnenaufgang; das ist in Lk 5,5 vorausgesetzt. Die wirtschaftliche Lage der Fischer am See lässt sich nur annähernd bestimmen. Vermutlich werden die Fischereirechte am See Gennesaret als Regal des Landesherrn verpachtet (Galiläa gehört zur Zeit Jesu zum Herrschaftsbereich des Tetrarchen Herodes Antipas). Dabei sind Großpächter und lokal agierende Unterpächter anzunehmen. Fischer oder Gruppen von Fischern mögen als unter Vertrag genommene Arbeitskräfte, doch auch als Kleinpächter wirken. Zum Familienverband können Lohnarbeiter hinzukommen. Netze und Boote mögen von Auftraggebern gestellt werden; sie mögen auch 550
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Abb. 11: Bootswrack aus dem See Gennesaret (1. Jh. v./n. Chr.)
– etwa im Familienverband – im Besitz mancher Fischer oder von ihnen gepachtet sein. Wie Simon nach Lk 4,38 (gegen Mk 1,29) alleiniger Besitzer eines Hauses ist, so ist er nach Lk 5,3 Bootsbesitzer; dagegen scheinen er und sein Bruder in Mk 1,16 vom Ufer aus zu fischen, während Zebedäus und seine Söhne ein Boot haben und von Tagelöhnern unterstützt werden (Mk 1,20). Von Letzteren ist in Lk 5,1-11 nicht die Rede, dagegen sind hier zwei Boote vorausgesetzt, und die Zebedaiden Jakobus und Johannes sind Simons koinwnoffl (koino¯noi – Gefährten, V. 10), während V. 7 von mfftocoi (metochoi – Genossen) spricht. Beides kommt in den Papyri im Sinne von »Geschäftspartner« vor, kann aber auch unspezifisch gebraucht werden. Die Begriffe sind hier synonym; man sollte sie nicht zu eng fassen. Eine förmliche Geschäftspartnerschaft wird hier nicht beschrieben (Horsley 1981, 84 f.; ders. 1983, 18 f.; Wolter 2008, 215). Wer als Mitglied einer Art Genossenschaft oder eines kleinen Familien-»Unternehmens« Boote und Netze besitzt und Arbeiter einstellen kann, ist besser gestellt als ein abhängiger Tagelöhner, der am Existenzminimum lebt (Freyne 2004, 52; Voigt 2008, 70-74). Zwar erwähnt Josephus (vit. 66) eine »aufrührerische Schar (st€si@ stasis) von Matrosen (naÐtai nautai) und Besitzlosen«. Dennoch ist im Blick auf die Fischer nicht pauschal von sozialer Entwurzelung und Deklassierung zu sprechen, ebenso wenig aber von mittelständischem Unternehmertum. Reste von Wohnhäusern in Kafarnaum lassen auf bescheidene, doch nicht ärmliche Existenzen schließen (die es gewiss auch gab). Hier, in Jesu »eigener Stadt« (Mt 9,1), hat Simon nach Lk 4,38 das oben erwähnte Haus (in Mk 1,29 das Haus der Brüder 551
Die Wundererzählungen im Lukasevangelium
Abb. 12: Fischer im Boot und Fische im Fischernetz (Mosaik auf dem Bassinboden eines Zierbrunnens in der »Maison de la Cascade«, Utica [Tunesien], 2. Hälfte 2. Jh. n. Chr.)
Simon und Andreas), in dem er mit seiner Schwiegermutter (demnach auch mit seiner Frau) wohnt. Wir dürfen uns das Haus einer Großfamilie vorstellen, wie es für die in Kafarnaum gefundenen Reste so genannter Hofhäuser typisch ist, die über Wohn- und Arbeitsräume, Höfe, Lager und Stall verfügen (Breytenbach 1999, 80-85; Zangenberg 2003c, 100-102; zu et-Tell Fortner/Rottloff 2003, 139). Wer es sich leisten kann, erwirbt auch hier Importware wie Glas, Schmuck oder Feinkeramik, denn Kafarnaum ist, wie andere Orte am See, an den antiken Fernhandel angeschlossen (Fortner/Rottloff 2003, 130.135-137; dies. 2003, 141-143; Zangenberg 2003c, 101-103). Es gibt hier eine Zollstation (Mk 2,1.13 f.), die, nahe der Grenze der Fürstentümer des Herodes Antipas und des Philippus gelegen, auch der Abfertigung von Passagieren, Waren (und Fischfang?) am See dienen mag. Dass der »Zöllner« bzw. Steuerpächter Levi auch Fischereirechte verpachtet, wie gelegentlich angenommen, muss Vermutung bleiben. Mit Zöllen und Steuern füllt Herodes Antipas seine eigene Kasse und entrichtet Abgaben an die Römer (Habbe 1996, 58-62; Stegemann/Stegemann 1997, 111-117; Ebner 2004, 50-54). Zusätzlich 552
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zahlt die jüdische Bevölkerung Galiläas Abgaben an den Tempel in Jerusalem und die Priester (Freyne 1998, 275-297). Bei Großpächtern bzw. Maklern von Fischereirechten, bei Fabrikanten und Großhändlern von Fischprodukten sowie beim Fiskus verbleibt der größte Teil des ohnehin begrenzten Gewinns. Das spiegelt sich einerseits in der umfangreichen Bautätigkeit des Herodes Antipas in Tiberias, Sepphoris u. ö. (Pastor 1997, 131135; Ebner 2004, 54 f.), andererseits in einem Ort wie Magdala/Taricheai, dem von Strabo (geogr. 16,2,45) erwähnten Hauptort der Fischverarbeitung am Westufer des Sees. Die Anlage des Ortes und der Villen, die sich hier finden, setzen eine Oberschicht voraus (Zangenberg 2003b, 95 f.), die durch die Fischwirtschaft zu Reichtum kommt, wie wir es auch bei A. Umbricius Scaurus in Pompeji sahen.
Traditions- und religionsgeschichtlicher Hintergrund Für den wunderbaren Fischfang gibt es weder in den kanonisch gewordenen Schriften Israels noch in der frühjüdischen oder der paganen Tradition eine direkte Parallele. Dass Pythagoras Fischern beim Einholen des Netzes die Zahl der gefangenen Fische voraussagt (Porph. vit. Pyth. 25), ist ein Fall unerklärlichen Vorherwissens; der Fang selbst hat nichts Außergewöhnliches. Dennoch greifen das Menschenfischer- bzw. -fängerwort und der Vergleich von Menschen mit Fischen auf geprägte Bilder und Motive zurück. Im Rahmen der Gerichtsbotschaft Jeremias (vgl. 16,1-13) ist davon die Rede, dass Gott Fischer und Jäger aussenden wird (Jer 16,16), welche die Israeliten finden und ins Exil wegführen sollen, um ihnen ihre Sünden zu vergelten (V. 17 f.). Von Gottes Handeln sieht sich auch der Beter der Loblieder vom Toten Meer betroffen, der in 1QH 13 (früher 5),5-18 zu Wort kommt. Trotz seiner Schuld hat Gott ihn gerettet, als er, noch unwissend, Löwen, Fischern und Jägern ausgesetzt war (1QH 13 [früher 5],7 f.), die Schuldigen und Frevlern nachstellen: Du versetztest mich in Grauen mit vielen Fischern, die (ihr) Netz ausspannen auf Wasserflächen und nach Unrechts-Söhnen jagen. Dort hast Du zum Gericht mich hingestellt und wahren Rat in meinem Herzen gefestigt […]. Und du sperrtest den Löwen das Maul, deren Zähne schwertgleich und deren Fangzähne speerspitzenartig […] Denn in der Not meiner Seele hast Du mich nicht verlassen und mein Geschrei gehört […] (1QH 13,8-12; Übersetzung Maier 1995, 77 f.).
Jer 16,16 ist aufgenommen; der Sinn des Bildes aber verschiebt sich: Löwen, Fischer und Jäger erscheinen hier als feindliche Mächte, welche die sündigen Menschen bedrohen und vor denen Gott rettet. Ähnlich, doch gesteigert begegnet das Bild in 1QH 11 (früher 3),26 und in 1QH 10 (früher 2),29. Im Endkampf zwischen Gott und Belial sind feindliche Mächte entbunden, die Verderben und Tod wirken. Nur Gott kann vor ihren Fallen und Netzen bewahren. Hier wird Jer 16,16 in den Zusammenhang einer Bildersprache gestellt, in der, wie in den Psalmen, Jäger, Fallen und Netze für Feindmächte stehen, welche den Beter bedrohen (vgl. Ps 10,9; 31,5; 91,3; 141,9 f. u. ö.): Was bin ich, […] wenn alle Verderbens-Fallen sich öffnen, sich ausspannen alle die Frevel-Jagdgarne und ein Fangnetz Böser auf Wasserfläche(n) […]. (1QH 11,26; Übersetzung Maier 1995, 71).
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Die Wundererzählungen im Lukasevangelium
Abb. 13: Jesus als Fischfänger und Fisch (Abbildung aus einem koptischen Zauberpapyrus)
Eine ähnliche Verwendung des Bildfeldes, doch nun im Rahmen gnostisch-dualistischen Denkens, bietet, wohl im späten 2. Jh. n. Chr., AuthLog 29,3-31,24: Die Menschen gleichen Fischen, denen Fischer mit Netzen nachstellen. Der Teufel ist der Fischer, der die Menschen wie mit einem Haken mit leiblichen Begierden fängt (Valantasis 2001). Eine andere Perspektive eröffnet dagegen die nachexilische Fortschreibung der Botschaft Jeremias. Hier ist der Gerichtsankündigung Jer 16,16-18 in V. 14 f. eine Heilsansage vorangestellt, die sich auf die Sammlung Israels aus der Diaspora und die Rückführung ins verheißene Land bezieht. In V. 19-21 folgt ein Ausblick auf die Zuwendung der Völker zu dem einen Gott Israels, die im Kontext als Reaktion auf die Sammlung Israels verstanden sein will (Rudolph 1968, 112 f.). Liest man V. 16-18 mit V. 14 f.1921, dann sind Gericht und Exil eine Durchgangsphase zu neuem heilvollem Handeln Gottes, das den Exodus überbieten wird und auf die Völkerwelt ausgreift. Die »Fischer« und »Jäger« des V. 16 erscheinen in diesem Kontext dann als Instrumente des göttlichen Heilswillens, der auf die Sammlung und Neukonstitution des Gottesvolkes, ja auf universale Anerkennung des einen Gottes zielt. In der Fluchtlinie dieser Fortschreibung werden Mk 1,17 und Lk 5,10b als soteriologische Neu- bzw. Umdeutung des Fischer- und Jägerwortes Jer 16,16 verständlich. Als Feinde des Gottesvolkes (der Fische) sind die Fischer dagegen in Hab 1,14 f. vorgestellt. bAS 3b deutet das dahin, dass die Tora das Wasser sei, in dem die Fische (Israeliten) leben. Dieselbe Erklärung bietet bBer 61b. Auch hier mag Hab 1,14 f. im Hintergrund stehen; die »böse Regierung« (Rom) habe das Torastudium verboten, doch dürfe man sich davon nicht abbringen lassen. Eine weitere Verwendung des Bildfeldes finden wir bei Diogenes Laertius. Nach D.L. vit. 8,36 wurde dem Pythagoras nachgesagt, er jage Menschen. Gemeint ist das Gewinnen von Schülern. In diesem Sinne erscheint das Wort noch vit. 4,16 f.: Polemos sei durch das Hören eines Lehrvortrags »erjagt« worden, d. h. zur Philosophie gekom554
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men. Schon Plato vergleicht den Sophisten in wenig schmeichelhafter Weise mit dem Angler (soph. 221a-222a). Und bei Petron (satyr. 3) sagt der Rhetoriklehrer Agamemnon: […] So auch ein Lehrer der Beredsamkeit. Hat er nicht, gleichsam ein Fischer, jenen Köder an die Haken gehängt, von dem er wusste, die Fischlein würden danach streben, er verweilte ohne Hoffnung auf einen Fang auf seiner Klippe.
Eine solche Konvention mag ein Hintergrund des Sprachgebrauchs in JosAs 21,21 sein. Die Ägypterin Aseneth sagt von ihrem Bräutigam Joseph, er habe sie gefangen, ergriffen wie einen Fisch. Ihre Zuwendung zu Joseph ist zugleich eine Abwendung von Sünde und Idolatrie und eine Hinwendung zum Gott Israels. Das Bild vom Fisch- bzw. Menschenfang zielt hier auf die Gewinnung von Schülern und Anhängern (Berger/Colpe 1987, 31). Vergleichbar ist ARN 40 (ed. Goldin 1955, 166); dort werden Qualitäten von Schülern mit Fischsorten verglichen. Eine Aufteilung auf innovative »positive« und traditionelle »negative« Konnotationen wird der Wandlungsfähigkeit des Bildfeldes, der Freiheit der Fortschreibungen und der Vielfalt intertextueller Lektüren, die sie eröffnen, nicht gerecht. Das Menschenfischer- bzw. -fängerwort verdichtet in der Bildfeldtradition vorgegebenes Sinnpotential in einer einleuchtenden neuen Metapher, die galiläische Fischer zu personifizierten Gleichnissen der von Jesus ausgehenden Sendung und der Sammlung des Gottesvolkes macht.
Verstehensangebote und Deutungshorizonte Die Übereinstimmungen mit der Ostererzählung Joh 21,1-14 (s. u. zur Parallelüberlieferung) und die Epiphanie-artigen Elemente unserer Erzählung haben zu der Annahme geführt, in Lk 5,1-11 sei eine Erscheinung des Auferstandenen ins irdische Leben Jesu zurückprojiziert worden (Kollmann 1996, 277-279). Das Menschenfängerwort lässt sich in dieser Perspektive als österliche Beauftragung der Jünger verstehen (Klein 1967). Angesichts der Korrespondenz zwischen dem Wort Jesu und der vorangehenden Handlung nimmt Busse (Busse 2006) an, die Fischfangerzählung sei sekundär als Illustration zum Menschenfischer- bzw. -fängerwort hinzugetreten. Das stellt einen wesentlichen Aspekt unserer Erzählung heraus: Sie ist erzählte Worttheologie. Nicht umsonst treiben Dialoge die Handlung voran. Die Anrede durch Jesus provoziert zu Nachfolge und Zeugnis; sein Wort erweist sich als wirkmächtig und vertrauenswürdig. Auffällig ist das gleichsam biographische Interesse der Erzählung an der Person des Simon/Petrus. Sie verankert sein späteres Wirken und seinen Ehrennamen im Beginn seines Jüngerseins und dieses in der Beauftragung durch Jesus (vgl., in katholischer Perspektive, Schürmann 2000, 264-266). Seine führende Position im Jüngerkreis wird ebenso herausgestellt wie die Bedeutung dessen für die Einheit der Gemeinde/Kirche. Das ist neben Lk 5,1-11 in weiteren neutestamentlichen Traditionen, so Joh 21,1-19, bezeugt; daneben stehen andere Tendenzen (Lampe 2003; Hengel 2006). Zugleich blickt die Erzählung mit dem Motiv des reichen Fangs auf das Wachstum der Kirche voraus. So gelesen, bietet sie der durch Simon gesammelten und repräsentierten Gemeinde mit dem
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Die Wundererzählungen im Lukasevangelium
Abb. 14: Ichthys-Gemme
»Boot« ein Bild an, in dem diese sich wiederfinden und an dem sie ablesen kann, dass sie der Fürsorge Jesu trauen darf (Berger 2010, 200-204). Sozialgeschichtliche Exegese fragt nach den konkreten Lebensumständen der Menschen am See (Hanson 1997; Hanson/Oakman 1998, 99-129; Horsley 2007, 52-54) und verortet Jesu Wirken nicht selten vor dem Hintergrund wirtschaftlicher und politischer Instabilität (Theißen 1993; Herzog 2007). Doch ist pauschale Rede von Entwurzelung und Deklassierung nicht angebracht. Reste der materiellen Kultur sprechen für einen bescheidenen Wohlstand der Fischer, was Härten der Existenz und die Möglichkeit der Verarmung nicht ausschließt (Hübner/Zangenberg 2009, 147 f.). Wer über Boote und Netze und damit über Produktionsmittel verfügt, lebt oberhalb des Existenzminimums. Das Zurücklassen von »allem« – Boote, Netze, Fang und Familie – stellt einen radikalen Bruch dar, der die neuen Nachfolger Jesu ebenso wie die im Haus zurückbleibenden Angehörigen (4,38 f.; Hengel 2006) wirtschaftlicher Unsicherheit aussetzt. Die für das Voranschreiten der Erzählung konstitutiven wunderhaften Elemente erweisen sie als Wundergeschichte (anders Busse 2006, 113). Diese lässt sich jedoch nicht einer einzelnen »Gattung« von Wundererzählungen zuweisen. Vielmehr sind gerade die wunderhaften Züge beziehungsreich und mehrdeutig; sie differenzieren sich im Fortgang der Handlung so aus, dass die Bedeutung tragenden Elemente – Versorgung mit dem Lebensnotwendigen, Begegnung mit dem Heiligen, Gefährdung des Lebens und seiner ökonomischen Grundlage, Abwehr und Distanzierung, Zuspruch und Sendung zum Zeugnis – jeweils aus neuen Aspekten des Wundergeschehens erwachsen. Simon bekennt sich als Sünder, die Fischer treten in die Sendung Jesu ein. Der reiche Fang, der Abwehr und Erschrecken auslöst, wird damit durchsichtig auf die Wirkung der künftigen Verkündigung. Das Wunder ist das wirksame Wort. 556
Einmal Fischer, immer Fischer? Lk 5,1-11
Aspekte der Parallelüberlieferung und Wirkungsgeschichte Eine Erzählung vom wunderbaren Fischfang ist nicht nur in Lk 5,1-11, sondern, in einer abweichenden Fassung, auch in Joh 21,1-14 enthalten. Die Gemeinsamkeiten liegen in der Handlungssequenz: Ein erster Fischzug war erfolglos. Jesus fordert auf, das Netz erneut auszuwerfen; die Fischer tun es. Der Fang ist überreich. Simon/Petrus ist in herausgehobener Weise das Gegenüber Jesu. Jeweils kommt es zu einer besonderen Ermächtigung/Beauftragung des Simon/Petrus (bei Joh erst in V. 15-17). Johannes verbindet die Erzählung mit der österlichen Szene einer Begegnung mit dem Auferstandenen beim Mahl (V. 4 f.9 f.12 f.), Lukas verknüpft sie mit Berichten von der Predigt Jesu vom Boot aus (V. 1-3) und von der Einsetzung zum Menschenfänger (V. 10bf). Das Material findet er in Mk 3,9; 4,1; 1,16-20 (Pesch 1969; Bovon 2012, 228 f.; Frenschkowski 1997, 257259.264). Anders als bei Markus hat Jesus nach Lukas bereits vor der Begegnung mit den Fischern am See in Kafarnaum und sogar im Hause Simons gewirkt. Im Unterschied zu Mk 1,17 wird in Lk 5,10b nur Simon angesprochen. Darin wirkt die an ihm interessierte traditionelle Fischfang-Erzählung nach. Dennoch fügt Lukas unter dem Einfluss der Markus-Parallele (1,19 f.) weitere Fischer ein, die Jesus folgen. Andreas (Mk 1,16) übergeht er. In Lk 5,10b sagt Jesus, Simon werde Menschen fangen, in Mk 1,17 spricht er von »Menschenfischern«. Vielleicht stehen dahinter zwei verschiedene Übersetzungen (»Jäger« und »Fischer«) des aramäischen Wortes djr (zjd) (Dalman 1939, 359; Hengel 1968, 85). Nach Lukas wird Simon sogleich (»von nun an«) in Dienst genommen, Markus blickt auf eine künftige Tätigkeit als »Menschenfischer« voraus. In Mk 1,20 lassen die Berufenen den Vater Zebedäus und die Tagelöhner sowie das Boot zurück, in Lk 5,11 »alles«. Das Profil der lukanischen Fassung zeigt sich in der Einbindung in die galiläischen Anfänge Jesu, in der Zuspitzung auf Simon/Petrus, in der Einbindung der traditionellen Jüngerberufung in das als Geschichte krisenhafter Gefährdung erzählte Fischfangwunder und im Verlassen von »allem«, was Haus und Familie einschließt. Nicht zwingend die lukanische Fassung, wohl aber die darin bewahrte Form der Tradition ist vorausgesetzt, wenn Joh 21,11 gegen Lk 5,6 betont, die Netze seien nicht zerrissen, was vermutlich auf die Einheit der Kirche hinweist (Wilckens 1998, 324; Culpepper 2006, 401 f.). Ebenfalls bei Joh (21,9-13) ist die traditionelle Fassung der Erzählung durch die Verbindung mit einer österlichen Fischmahlzeit eucharistisch aufgeladen (Culpepper 2006, 396-401). Die Führungsstellung des Simon/Petrus, hinter den die anderen Fischer zurücktreten, wird in Joh 21,15-17 durch die Beauftragung zum Weiden der Schafe Jesu betont. Ein Beispiel der Schriftrezeption im 2./3. Jh. ist der im Codex Bezae (D) überlieferte Text. Eine seiner Varianten in Lk 4,44-5,11 wurde (zu 5,7) schon erwähnt. Nur zwei weitere seien genannt: In V. 10 liest D »ich werde euch zu Menschenfischern machen« und nähert den Wortlaut damit an Mk 1,17 an. In V. 11 behält D das für die lukanische Fassung wichtige p€nta (panta – alles) bei, gibt ihm aber einen neuen, eingeschränkten Sinn, indem er es mit den Worten p€nta katffleivan ¥p½ t»@ g»@ (panta kateleipsan epi te¯s ge¯s – sie ließen alles auf der Erde zurück) lediglich auf Boote, Netze und Fische bezieht. Das bricht der lukanischen Formulierung die Spitze ab, gleicht sie aber an Mk 1,18.20 an. Der freie Umgang mit dem Text ist ungewöhnlich, die »kanonische« Lektüre, die sich darin niederschlägt, charakteristisch für die Schriftrezeption der frühen Kirche. Tertullian bezeichnet (bapt. 1) die Christen als im Wasser (der Taufe) geborene 557
Die Wundererzählungen im Lukasevangelium
kleine Fische. Ähnlich sagt Clemens, ein Fischer solle bei der Wahl eines Siegels bedenken, dass der Apostel die Kinder aus dem Wasser (der Taufe) heraufgezogen habe (Clem. Al. paid. 3,59,2, vgl. 3,52,2). Der Logos ist der Fischer der Sterblichen, der heilige Fische aus feindlicher Flut hervorlockt (3,101,3). In den koptisch-manichäischen Herakleides-Psalmen (PsB II 187, 11-29) wird der Hirtendienst Mariamme¯ (Maria Magdalena) anvertraut; sie ist die »Netzwerferin«, welche die Elf fing (PsB II 192, 21 f.), die, vom Verräter überredet, ihre Netze niedergelegt hatten, mit denen sie Menschen fingen (Richter 1994, 36-59.211 f.; Nagel 1995). Augustinus (hom. 122 f.) findet in Lk 5,1-11 die zeitliche, in Joh 20,30-21,19 die himmlische Kirche dargestellt. Die Fische im reißenden Netz stehen für die Menschen in der von Spaltungen betroffenen Kirche, während in den 153 großen Fischen im unzerstörten Netz die Erwählten in der vollendeten Kirche dargestellt sind (Theobald 2008). Luther erkennt in der lukanischen Erzählung die Versorgung mit weltlichen und geistlichen Gütern: Gott gibt Nahrung und spendet Trost durch die apostolische Predigt (Mühlhaupt 1953, 60-67).
Georg Gäbel Literatur zum Weiterlesen T. Bekker-Nielsen, Fishing in the Roman World, in: ders./D. Bernal Casasola (Hg.), Ancient Nets and Fishing Gear. Proceedings of the International Workshop on »Nets and Fishing Gear in Classical Antiquity: A First Approach«, Cádiz/Aarhus 2010, 187-203. G. Blaskovic, Die Erzählung vom reichen Fischfang (Lk 5,1-11; Joh 21,1-14), in: S. Schreiber/ A. Stimpfle (Hg.), Johannes aenigmaticus. Studien zum Johannesevangelium für Herbert Leroy, BU 29, Regensburg 2000, 103-120. C. Böttrich, Petrus. Fischer, Fels und Funktionär, BG 2, Leipzig 2001. U. Busse, Begegnung mit dem Wort nach Lk 5,1-11, in: R. Bieringer et al. (Hg.), Luke and his Readers, FS A. Denaux, BEThL 182, Leuven 2005, 113-129. J. Engemann, Art. Fisch, Fischer, Fischfang, RAC 7 (1969), 959-1097. G. Fassbeck et al. (Hg.), Leben am See Gennesaret, Mainz 2003. K. C. Hanson, The Galilean Fishing Economy and the Jesus Tradition, BTB 27 (1997), 99-111. M. Nun, Der See Genezareth und die Evangelien. Archäologische Forschungen eines jüdischen Fischers, Gießen/Basel 2001. R. Pesch, Der reiche Fischfang: Lk 5,1-11, Jo 21,1-14. Wundergeschichte, Berufungserzählung, Erscheinungsbericht, Düsseldorf 1969.
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Hindernisse überwinden (Die Heilung eines Gelähmten) Lk 5,17-26 (17) Und es geschah an einem der Tage, als er lehrte und Pharisäer und Gesetzeslehrer dabeisaßen, die aus allen Dörfern Galiläas und Judäas und aus Jerusalem gekommen waren, und die Kraft des Herrn ihn dazu drängte zu heilen: (18) Siehe, da brachten Männer auf einer Liege einen Menschen, der gelähmt war. Und sie versuchten, ihn hineinzutragen und vor Jesus hinzulegen. (19) Aber wegen der vielen Menschen fanden sie keinen Zugang. Deshalb stiegen sie auf das Dach und ließen ihn mitsamt der Liege durch die Ziegel hinab, genau vor Jesus hin. (20) Und als er ihr Vertrauen sah, sprach er: »Mensch, deine Sünden sind dir vergeben!« (21) Die Schriftgelehrten und Pharisäer begannen zu diskutieren und sagten zueinander: »Wer ist das, dass er solche Lästerungen wagt? Wer kann Sünden vergeben außer Gott allein?« (22) Jesus aber merkte, was sie überlegten, und antwortete ihnen: »Was überlegt ihr in euren Herzen? (23) Was ist einfacher – zu sagen: ›Deine Sünden sind dir vergeben‹, oder zu sagen: ›Steh auf und geh umher‹ ? (24) Damit ihr erkennt, dass der Menschensohn auf der Erde Vollmacht hat, Sünden zu vergeben«, sprach er zu dem gelähmten Menschen: »Steh auf, nimm deine Liege und geh in dein Haus!« (25) Und sofort stand er vor ihnen auf, nahm die Liege, auf der er gelegen hatte, ging fort in sein Haus und lobte Gott. (26) Da gerieten alle außer sich: Sie lobten Gott und wurden von Furcht erfüllt und sagten: »Heute haben wir wunderbare Dinge gesehen!«
Sprachlich-narratologische Analyse Vers 17 präsentiert Jesus als bedeutenden Lehrer. Das Ende von V. 17 kündigt dann jedoch an, dass eine Heilungserzählung folgt. Die jüdischen Autoritäten verschwinden zunächst aus dem Blickfeld. Vers 18 beschreibt die Notlage, um die es bei der Heilung geht: Männer bringen einen Gelähmten, den sie zu Jesus bringen wollen. Die Spannung steigt in V. 19: Die Männer können den Gelähmten wegen der vielen Leute nicht zu Jesus bringen. Aber sie wissen sich zu helfen. Damit wechseln Ort und handelnde Personen: Das weitere Geschehen spielt sich nicht mehr draußen, sondern drinnen im Haus ab. Handelnde Personen sind Jesus sowie die Schriftgelehrten und Pharisäer aus V. 17. Jesus deutet die Anstrengungen der helfenden Männer als Zeichen ihres Vertrauens in ihn und stellt fest: »Mensch, deine Sünden sind dir [von Gott] vergeben« (V. 20). Er schließt den Gelähmten also in das Vertrauen 559
Die Wundererzählungen im Lukasevangelium
seiner Helfer ein. Die Aussage Jesu erregt den Widerspruch der Schriftgelehrten und Pharisäer. Sie werfen Jesus Gotteslästerung vor. Damit eröffnet der Erzähler einen neuen Spannungsbogen. Jesus muss ihnen zeigen, dass er tatsächlich die göttliche Vollmacht hat, Sünden zu vergeben. Die außerordentlichen Fähigkeiten Jesu äußern sich zunächst darin, dass er die Gedanken der Schriftgelehrten und Pharisäer lesen kann. In der Frage, die Jesus an seine Kontrahenten richtet, führt er nun Sündenvergebung und Krankenheilung zusammen (V. 23). Wie auch immer man die Frage im Einzelnen versteht, sie hat die narrative Funktion, die Krankenheilung als Legitimation für die Sündenvergebung auszuweisen: Wer die Vollmacht hat, Kranke zu heilen, hat auch die Vollmacht, Sünden zu vergeben (V. 24a). Nun wendet sich Jesus wieder dem Gelähmten zu und fordert ihn dazu auf aufzustehen, sein Bett zu nehmen und nach Hause zu gehen. Dass der Geheilte dieser Aufforderung sogleich nachkommen kann (V. 25), zeigt: Ihm sind seine Sünden tatsächlich vergeben. Die doppelt notvolle Ausgangslage (Krankheit und Schuld) hat sich in ihr Gegenteil verkehrt. Die Menge reagiert auf diese Manifestation göttlicher Vollmacht mit Furcht und Lobpreis (V. 26). Verben der Bewegung verbinden sich in dieser dramatischen Erzählung ausschließlich mit den Trägern (V. 18 f.) und dem Geheilten (V. 25). Jesus, die Schriftgelehrten und Pharisäer verharren an demselben Ort. Während die einen handeln, reden die anderen. Jesus tut, indem er den jüdischen Autoritäten Paroli bietet und den Gelähmten von Schuld und Krankheit befreit, beides. Die Unterscheidung von drinnen und draußen, gekoppelt mit der Problematik, von draußen nach drinnen zu gelangen, wird im Mittelteil der Erzählung in abgewandelter Form aufgenommen (Weissenrieder 2003, 324): Die Schriftgelehrten und Pharisäer denken bei sich, »drinnen« in ihren Köpfen, Jesus aber kann aufgrund seiner göttlichen Vollmacht »von draußen« eindringen und ihre Gedanken lesen. Der Text kombiniert ein Heilungswunder mit einem Streitgespräch. Heilungswunder
Streitgespräch Einleitung (V. 17)
Exposition (V. 18-20a)
Ausgangssituation (V. 18-20) Kritik der Kontrahenten (V. 21) Reaktion des Protagonisten (V. 22-24a)
Zentrum (V. 24b) Finale (V. 25-26)
In der Forschung ist umstritten, welche Seite das größere Gewicht hat: Ist das Streitgespräch der Wundererzählung untergeordnet, weil es »nur« den Anlass für die Wunderhandlung darstellt (Dibelius 1971, 64-65), oder ist umgekehrt die Wundererzählung dem Streitgespräch untergeordnet, weil sie »nur« dazu dient, die Vollmacht zur Sündenvergebung zu legitimieren (Wolter 2008, 220)? Müller charakterisiert den Text als »Apophthegma«, also als eine Erzählung, die ganz auf den Ausspruch Jesu in V. 24 hin gestaltet ist (Müller 1998, 65). Da in diesem Vers sowohl von der Sündenvergebung die
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Hindernisse überwinden Lk 5,17-26
Rede ist, als auch die Wundertat vollzogen wird, ist diese Ansicht mit beiden vorher skizzierten Positionen vereinbar. Die Erzählung spielt mit den Erwartungshaltungen ihrer Leser. Eine erste Irritation erfolgt in V. 17: Vorgestellt wird der lehrende Jesus. Es folgt aber keine Lehrrede, sondern der Erzähler kündigt uns eine Heilungserzählung an. Die Heilung betrifft niemanden unter den Zuhörenden, sondern wir hören nun von ganz neuen Personen. Leserinnen des Lukasevangeliums wissen von vornherein: Jesus kann den Gelähmten heilen – er hat ja bereits einen Besessenen (4,31-37), die Schwiegermutter des Petrus (4,3839), viele Kranke (4,40-41) und einen Aussätzigen (5,12-16) gesund gemacht. Aber hier taucht nun ein unerwartetes Problem auf: Die Träger können nicht zu Jesus gelangen. Dabei muss der Leser selbst ergänzen, dass sich Jesus – und mit ihm die Schriftgelehrten und Pharisäer – in einem Haus befinden. Die Lösung des Problems ist überraschend und stellt das Vertrauen der Männer unter Beweis. Nun steht einer Heilung nichts mehr im Weg. Aber es folgt zunächst keine Heilung, sondern eine Sündenvergebung. Sicherlich wussten die damaligen Leser um den Zusammenhang von Krankheit und Sünde, Heilung und Sündenvergebung (s. u.). Aber hier geht es doch zunächst um zwei getrennte Vorgänge (vgl. Wolter 2008, 222). Der Gelähmte liegt auch nach dem Ausspruch Jesu zunächst noch auf seiner Bahre. Zur Heilung bedarf es einer eigenen sprachlichen Handlung. Allerdings stellt Jesus eine Verbindung zwischen Heilung und Vergebung her. Die Heilung erfolgt, »damit ihr erkennt, dass der Menschensohn hier auf der Erde Vollmacht hat, Sünden zu vergeben« (V. 24). D. h.: Aus der bloßen Zusage der Vergebung können die Pharisäer und Schriftgelehrten dies offensichtlich nicht erschließen. Sie brauchen – so wird man wohl schlussfolgern dürfen – einen sichtbaren Beweis, denn sie können – anders als Jesus (V. 22) – nicht in die Menschen hineinsehen. Die Erzählung zeichnet sich durch den Wechsel zwischen Erzählkommentar und Wiedergabe der Figurenrede aus. Die erste Wiedergabe direkter Rede erfolgt mit der Anrede Jesu an den Gelähmten (V. 20): »Mensch, deine Sünden sind dir vergeben!« Darauf entspinnt sich ein Dialog zwischen Jesus einerseits und den Schriftgelehrten und Pharisäern andererseits. In V. 24 wechselt die Erzählung überraschend aus der Wiedergabe der direkten Rede Jesu in die Rede über Jesus (»sprach er zu dem gelähmten Menschen«). Sprecher ist nun also wieder der Erzähler, Adressaten sind die Lesenden. Dieser Übergang gibt der voraufgehenden Rede eine zweite Bedeutungsnuance: Zunächst versteht man die Worte als Fortsetzung der Rede Jesu an die Schriftgelehrten und Pharisäer. Die Formulierung »sprach er« kann aber auch dazu führen, dass der Leser die Anrede »damit ihr erkennt« (V. 24) nicht mehr (nur) als Anrede Jesu an die jüdischen Autoritäten, sondern auch als Anrede des Erzählers an seine Adressaten – also als Erzählkommentar – versteht. Eine ähnliche Doppeldeutigkeit findet sich bereits in der Anrede »Mensch« (V. 20): Sie gilt zunächst dem Gelähmten, ist aber transparent für die Adressaten, ja für die Menschen allgemein. Diese Transparenz einer Figur für die Menschen allgemein gibt es vielleicht nicht nur bei dem Gelähmten, sondern auch bei Jesus. Sutter Rehmann übersetzt Lk 5,24 mit: »Damit ihr wisst, dass Menschen Vollmacht haben, auf dieser Erde Sünden zu vergeben …« (Sutter Rehmann 2006, 1936). Sie begründet diese Übersetzung so: »›Menschensohn‹ wird nicht als Hoheitstitel Christi verstanden, sondern als Ausdruck, der Menschen, ob Mann oder Frau, als Gegenüber Gottes anspricht« (Sutter Rehmann 2006, 561
Die Wundererzählungen im Lukasevangelium
2316). Alle Menschen können als Gegenüber Gottes seine Vergebung vermitteln. In der matthäischen Parallele zu Lk 5,26 (Mt 9,8) wird dieser Aspekt expliziert, wenn es heißt: »… lobten Gott, der den Menschen solche Macht gegeben hat«.
Sozial- und realgeschichtlicher Kontext Der Kranke auf der Bahre ist offenbar vollständig gelähmt. Er ist nicht (mehr) in der Lage, sich seinen eigenen Lebensunterhalt zu verdienen, und ist abhängig von der Fürsorge anderer. Zum Glück hat er Freunde, die ihm engagiert helfen. Das unterscheidet ihn von dem Gelähmten am Teich Betesda, der sich darüber beklagt, dass niemand ihn an den Teich bringt, damit er durch das Wasser gesund werde (Joh 5,1-18). Offenbar gab es Orte, die für ihre Heilkraft berühmt waren, an denen sich »viele Kranke, Blinde, Lahme, Ausgezehrte« (Joh 5,4) sammelten. Die Helfer des Gelähmten aus Lk 5 bringen den Kranken jedoch nicht an einen solchen Ort, sondern zu Jesus, von dem sie sich Heilung versprechen. Andere neutestamentliche Wundererzählungen zeigen, dass Kranke aus der Gemeinschaft ausgeschlossen und isoliert wurden (z. B. Lk 8,27). Die Aussätzigen aus Lk 17,12-19 müssen sich nach ihrer Heilung den Priestern zeigen, um wieder in die Gemeinschaft aufgenommen zu werden. Einen Ausschluss setzt auch die Erzählung in Lk 5 durch die Barriere zwischen »drinnen« und »draußen« in Szene. Hier sind es die Freunde, die für den Kranken die materielle Barriere überwinden. Jesus reißt durch Heilung und Sündenvergebung die Barrieren zwischen dem Gelähmten und der Gemeinschaft sowie zwischen ihm und Gott (vgl. Lk 15,21) nieder.
Traditions- und religionsgeschichtlicher Hintergrund Die Verknüpfung einer Heilungsgeschichte mit einem Streitgespräch über die Vollmacht zur Vergebung der Sünden liegt traditionsgeschichtlich nahe. Psalm 103 preist Gott als denjenigen, der »dir all deine Schuld vergibt und alle deine Gebrechen heilt«. Der darin implizierte Zusammenhang von Krankheit und Sünde sowie von Heilung und Vergebung wird im Hiobbuch kritisch reflektiert und prägt in unterschiedlichen Schattierungen auch Teile des Neuen Testaments. In Joh 5,14 ist ein direkter Zusammenhang von Krankheit und Sünde impliziert, wenn Jesus zu dem Geheilten sagt: »Sündige von nun an nicht mehr, damit dir nicht etwas noch Schlimmeres zustoße«. In Joh 9,2 begegnet eben diese Überzeugung bei den Jüngern: Sie unterstellen dem Blindgeborenen, dass entweder er oder seine Eltern gesündigt haben müssen. Hier verneint Jesus explizit diesen »Tun-Ergehen-Zusammenhang« (9,3). Lk 5,17-26 steht zwischen diesen beiden Positionen: Sündenvergebung und Heilung werden durch die Verknüpfung von Wundererzählung mit Streitgespräch in ein enges Verhältnis gesetzt: Darin, dass der Menschensohn wundersam heilen kann, zeigt sich, dass er auch Sünden vergeben kann. Aber durch die Sündenvergebung wird der Gelähmte nicht »automatisch« körperlich gesund. Dazu bedarf es einer eigenen Wundertat. Gedankenlesen, d. h. das Erkennen der Gedanken, die nicht wie bei uns heute im Kopf, sondern im Herzen verortet werden, gehört im Alten Testament zu den spezifischen Kennzeichen Gottes. Berühmt ist der Psalmvers: »Ich sitze oder stehe auf, so weißt 562
Hindernisse überwinden Lk 5,17-26
du es; du verstehst meine Gedanken von ferne« (139,2; vgl. auch 1Sam 16,7; 1Kön 8,39; Ps 94,11). Dass Jesus weiß, was die Pharisäer und Schriftgelehrten denken, zeigt also bereits seine göttliche Vollmacht. Dies entspricht der Funktion, die dem noch ungeborenen Jesus von Simeon zugesprochen wird: »damit die Gedanken aus vielen Herzen enthüllt werden« (Lk 2,35).
Verstehensangebote und Deutungshorizonte Eine historisierende Auslegung fragt nach dem Wirklichkeitsstatus und der Referenz des Erzählten. Wenn die Wundertat die Vollmacht der Sündenvergebung gegenüber den Pharisäern und Schriftgelehrten legitimieren soll, muss sie genauso »wirklich« sein wie das Streitgespräch. Am Ende – so sagt es der Text – geraten »alle« außer sich und preisen Gott. Auch die Pharisäer und Schriftgelehrten müssen offenbar das Wunder als »Beweis« für die Vollmacht Jesu akzeptieren. D. h.: Der Text schreibt dem Wunder denselben Wirklichkeitsstatus zu wie dem Streitgespräch. Beide gehören zu den – von Augenzeugen beglaubigten – Ereignissen, die der Prolog als »zuverlässigen Grund der Lehre« ankündigt (1,1-4). Betrachtet man die Vorlage für die lukanische Erzählung, fällt allerdings auf, dass der Evangelist das Geschehen an seine eigene Umgebung anpasst. Aus einem Flachdachhaus mit Lehm und Flechtwerk macht er ein Ziegelhaus. »Lk hat den Mk-Bericht gelesen und sich plastisch vorgestellt, was die Leute getan haben. Da in seiner Umgebung die Häuser mit Ziegeln gedeckt sind, erzählt er, dass die Freunde zunächst ein Loch in das Ziegeldach machen« (Klein 2005, 176). Der Evangelist hält sich also nicht sklavisch an seine Vorlage. Dem »Wirklichkeitsstatus« seiner Erzählung tut das offenbar keinen Abbruch. »Es geht Lk also nicht nur um den Bericht über Geschehenes, wie er in Lk 1,1 festhält, sondern ebenso um seine Deutung und Bedeutung« (Klein 2005, 185). Bei einer theologischen Deutung stellt sich die Frage, wie der Erzähler des Lukasevangeliums die Wunderheilung im Verhältnis zur Sündenvergebung gewichtet. In Lk 5,30-32 parallelisiert der Evangelist Gesunde mit Gerechten und Kranke mit Sündern. So wie die Gesunden keinen Arzt brauchen, sondern die Kranken, gilt für den lukanischen Jesus: »Ich bin nicht gekommen, um die Gerechten zu rufen, sondern [um] die Sünder zur Umkehr [zu rufen]« (vgl. Lk 15,7). Jesus entspricht also einem »Arzt für Sünder«. In diesem Zusammenhang ist die »Antrittspredigt« von Jesus in Nazaret, seinem Heimatort, erhellend (Lk 4,16-30). Ähnlich wie in der Erzählung vom Gelähmten weiß Jesus, was seine Zuhörer denken, und er spricht sie darauf an: »Bestimmt werdet ihr mir diese Parabel sagen: Arzt, heile dich selbst!« D. h.: Jesus soll nicht nur in Kafarnaum (vgl. Lk 4,31-37), sondern auch in seinem Heimatort Gutes tun. Doch der lehnt die Aufforderung mit dem Hinweis darauf ab, dass ein Prophet in seiner Heimat sowieso nichts gelte. Kommt hierin »eine Wunderkritik des Evangelisten zum Ausdruck, die jeglichen Missverständnissen bezüglich der Taten Jesu entgegentreten will?« (Esch-Wermeling 2007, 523). Dann könnte man auch in der Parallelisierung von Gesunden mit Gerechten und Kranken mit Sündern (Lk 5,30-32) eine Überbietung sehen: Letztlich geht es nicht um die Heilung von Krankheit, sondern um die Vergebung der Sünden. Für die Erzählung von der Heilung des Gelähmten würde das heißen: Auch hier lässt sich ein wunderkritischer Ton ausmachen: Jesus setzt zwar bei seinen Gesprächspartnern die Verknüp563
Die Wundererzählungen im Lukasevangelium
fung zwischen Sündenvergebung und Heilung voraus, aber er lässt sich nur deshalb darauf ein, um die Herrlichkeit Gottes zu zeigen (25 f.). Die Sündenvergebung ist übergeordnet und letztlich maßgeblich. Die Wundertat selbst würde damit abgewertet, sie ist lediglich Zeichen für das Eigentliche. Allerdings fällt auf, dass Jesus sich von den Pharisäern und Schriftgelehrten dazu »hinreißen« lässt, ein Wunder zu vollbringen, um seine Herrlichkeit zu zeigen, nicht aber von den Menschen in Nazaret. Warum? Vielleicht kommt hier ein Aspekt zum Tragen, der Wunderheiler und Arzt verbindet: »… eine solche Konzentration auf die eigene Person [wie sie sich in der Aufforderung durch die Nazarener zeigt] verletzt die Grundkonstante ärztlicher Berufung ebenso wie diejenige der göttlichen Gesandtschaft: die Sorge um andere Hilfsbedürftige« (Esch-Wermeling 2007, 528). Wesentlich wäre dann die Hinwendung zu den Bedürftigen – als Arzt, als Wunderheiler oder als der, der die Sünden vergibt.
Aspekte der Parallelüberlieferung und Wirkungsgeschichte Die Erzählung hat in Mk 2,1-12 ihre Vorlage und in Mt 9,1-8; Joh 5,8-9a und EvNik 6 weitere Parallelen, die in der Auslegung zu Mk 2,1-12 besprochen werden.
Hanna Roose Literatur zum Weiterlesen C. Butt/H. Roose, Hindernisse überwinden: Heilung eines Gelähmten, KatBl 135 (2010), 268271. R. Pesch, Die Erzählung von der Heilung eines Aussätzigen, in: ders., Jesu ureigene Taten? Ein Beitrag zur Wunderfrage, QD 52, Freiburg i. Br. et al. 1970, 52-113. A. Weissenrieder, Images of Illness in the Gospel of Luke, WUNT 2/164, Tübingen 2003, 314328.
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Fern – schnell – gut (Der Hauptmann von Kafarnaum) Lk 7,1-10 (1) Nachdem er all sein Reden vollendet hatte vor den Ohren des Volkes, kam er hinein nach Kafarnaum. (2) Der Diener eines Hauptmanns aber war krank und lag im Sterben; der war ihm kostbar. (3) Als er aber von Jesus hörte, sandte er zu ihm Älteste der Juden und ließ ihn bitten, zu kommen und seinem Diener das Leben zu retten. (4) Als diese bei Jesus ankamen, baten sie ihn inständig, indem sie sagten: »Er ist würdig, dass du ihm dies gewährst. (5) Denn er liebt unser Volk und die Synagoge hat er selbst für uns gebaut.« (6) Da ging Jesus mit ihnen. Als er nicht mehr weit von dem Haus entfernt war, sandte der Hauptmann Freunde und ließ ihm sagen: »Herr, bemühe dich nicht. Ich bin nämlich nicht wert, dass du unter mein Dach eingehst. (7) Darum habe ich mich auch nicht selbst für würdig erachtet, zu dir zu kommen. Aber sprich ein Wort, so wird mein Junge genesen. (8) Denn auch ich bin ein Mensch, unter Kommandogewalt gestellt, und habe unter mir Soldaten, und sage zu diesem: ›Geh!‹, so geht er, und zu einem anderen: ›Komm!‹, so kommt er, und zu meinem Diener: ›Tu dies!‹, so tut er es.« (9) Als Jesus dies hörte, staunte er über ihn und – zu der ihm folgenden Volksmenge gekehrt – sprach er: »Ich sage euch: Nicht einmal in Israel habe ich so großen Glauben gefunden.« (10) Und als die Gesandten in das Haus zurückgekehrt waren, fanden sie den Diener gesund.
Sprachlich-narratologische Analyse Die Erzählung ist sorgfältig strukturiert (Löning 1997, 214 f.; Gowler 2003, 102): V. 1 V. 2 V. 3-5 V. 6a V. 6b-9 V. 10
Erste Überleitung Exposition Erste Sequenz Zweite Überleitung Zweite Sequenz Schluss
Anfang und Ende sind klar markiert. Der mit der temporal gebrauchten Konjunktion ¥peidffi (epeide¯ – nachdem) lukanisch eingeführte Erzählbeginn leitet von der Feldrede (6,17-49) zur Heilungsgeschichte über (V. 1). Nach der Wunderfeststellung (V. 10) setzt eine neue Heilungserzählung ein (V. 11-17). Unsere Geschichte startet mit Jesu Eintreffen (e§sffrcomai eiserchomai V. 1) in Kafarnaum. Diese Aktion des Protagonisten löst eine Kettenreaktion aus. Der eigentliche Held der Handlung wird mit dem ersten Wort der Exposition als 565
Die Wundererzählungen im Lukasevangelium
Genitivobjekt eingeführt: Der Diener eines Hauptmanns einer Hundertschaft ( katont€rch@ hekatontarche¯s V. 2) liegt im Sterben. Er wird als ›kostbar‹ (˛ntimo@ entimos) spezifiziert. Die Art seines Leidens wird ungewöhnlicherweise nicht näher beschrieben. Die erste Sequenz (V. 3-5) beginnt damit, dass der Kommandant und Jesus korreliert werden: Als er von dessen Ankunft in Kafarnaum hört (⁄koÐw akouo¯ V. 3a; vgl. ⁄koffi akoe¯ V. 1), wird er sofort reaktiv. Er beauftragt ›Älteste der Juden‹, um Jesus um sein Kommen zu bitten. Das Wortspiel mit Simplex (˛rcomai erchomai V. 3b) und Kompositum (e§sffrcomai V. 1) unterstreicht die Bedeutung des Kommens Jesu. Der Zenturio traut ihm zu, seinen Diener ›durchzuretten‹ (dias†ðzw diaso¯zo¯ V. 3b). Die Abordnung führt den Auftrag mit Nachdruck aus (V. 4). Sie fügt eine Begründung an (g€r gar V. 5), warum der Hauptmann der Hilfe Jesu würdig ist (˝xio@ axios V. 4): Er stiftete aus Liebe zum Volk eine Synagoge. Mit dem Lexem ˛qno@ (ethnos V. 5) ist das jüdische Volk gemeint (vgl. Joh 11,48; Apg 10,22; 26,4). Synonym sind la@ (laos V. 1), clo@ (ochlos V. 9) und 3Israffil (Israe¯l V. 9). Die jüdische Delegation findet mit ihrer Petition positive Resonanz: Jesus geht mit (V. 6a). Die zweite Sequenz (V. 6b–9) beginnt mit einem überraschenden Wechsel der Personenkonstellation. Als zweite Figurengruppe werden ›Freunde‹ eingeführt (fffllo@ philos, V. 6c). Die – im Unterschied zu den Ältesten nicht als Juden identifizierten – geschickten ›Freunde‹ haben die Funktion, Jesus vom Haus des Heiden fernzuhalten. So wird erneut der Aspekt der vermittelten Begegnung akzentuiert. Als sich Jesus nähert (V. 6b), übermitteln sie ihm in wörtlicher Rede die Heilungsbitte des Hauptmanns (V. 6d–8). In der Anrede ›Herr‹ (V. 6d) artikuliert sich in Heilungsgeschichten die Ehrfurcht vor dem in der Sphäre Gottes lokalisierten vollmächtigen Jesus (vgl. Roth zu Mt 8,5-13 in diesem Band). In diesem raumsemantischen Denkmuster ist Jesus ›oben‹ und der Hauptmann ›unten‹. Er erachtet sich nicht für wert ( kan@ hikanos), dass Jesus unter (¢p hypo; vgl. V. 8) sein Dach einkehrt (e§sffrcomai eiserchomai V. 6d; vgl. V. 1). Mit dieser inferioren Haltung wird retrospektiv begründet (di dio V. 7a), warum sich der Zenturio auch nicht für würdig gehalten hat (⁄xiw axioo¯), in unmittelbaren Kontakt mit dem haushoch übergeordneten Heiler zu kommen (˛rcomai erchomai V. 7; vgl. V. 3). Das lukanische Hapax ⁄xiw ist intratextuell mit dem wortstammverwandten ˝xio@ (axios – wertvoll, V. 4) verbunden: Der wegen seiner Liebe zum jüdischen Volk für würdig Erachtete schätzt sich selbst in Beziehung zu Jesus als unwürdig ein. Er traut ihm die Fähigkeit zur grenzüberschreitenden Fernheilung zu. Dabei setzt er auf die Macht des Wortes (lgo@ logos V. 7b; vgl. «ffima rhe¯ma V. 1a). Der instrumental zu verstehende Dativ lg†w (logo¯) weist es als probatestes Mittel aus: Ein Machtwort genügt zur ›Gesundung‹ des Dieners (§€omai iaomai V. 7c). Er wird emphatisch am Versende mit der persönlichen Bezeichnung ›mein Junge‹ klassifiziert. Während der Erzähler durch die Bezeichnung ›Sklave‹ (V. 2.3.10) den Status und die Funktion akzentuiert, betont die Erzählfigur mit ›mein Junge‹ die emotionale Beziehung (Wolter 2008, 272). Die Begründung (g€r V. 8a; vgl. V. 5) für das Zutrauen in die Fernheilungsmacht Jesu knüpft beim Hauptmann selbst an: ›Auch er‹ ist ein Mensch, der einer ¥xousffla (exousia) unterstellt ist. Seine auf dieser Unterordnung basierende Befehlsgewalt wird durch eine Dreifachsequenz von Befehl und Ausführung eindrücklich zu Gehör gebracht:
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Fern – schnell – gut Lk 7,1-10
»Geh!, so geht er« »Komm!, so kommt er« »Tu dies!, so tut er es.« Was der Kommandant anordnet, geschieht ohne jedes Wenn und Aber. Wie ihm unbedingte Befehlsgewalt durch die Teilhabe an der ihn beauftragenden kaiserlichen ¥xousffla (exousia) zukommt, so übt der Kyrios (vgl. V. 6) seine performative Wortmacht durch die Partizipation an der göttlichen ¥xousffla aus. Die Leserinnen und Leser wissen schon seit der ersten Kafarnaumepisode (4,32.36; vgl. 5,24), dass Jesus mit dieser ¥xousffla ausgestattet ist (Wolter 2008, 272). Deshalb vermag er, wozu der die militärische Macht Roms verkörpernde Hauptmann nicht fähig ist. Die emotionale Reaktion des Verehrten stellt den Höhe- und Wendepunkt der Erzählung dar: Das Gehörte (⁄koÐw akouo¯; vgl. V. 3) versetzt Jesus in Staunen (qaum€zw thaumazo¯ V. 9a). Das lukanische Vorzugsverb qaum€zw bezieht sich hier auf ihn als Subjekt, während es in Wundererzählungen sonst im Admirationsmotiv die Reaktion auf ihn bezeichnet (Bertram 1967, 36-39; Annen 1992, 332-334). Jesus bestaunt den Hauptmann. Die Konstruktion qaum€zw mit Akkusativ der Person begegnet nur hier im lukanischen Doppelwerk (Wegner 1985, 210). Anschließend wendet sich Jesus dem ihm nachfolgenden Volk zu (strfffw strepho¯ V. 9b). Das immer auf ihn als Subjekt bezogene Partizip Aorist strafeffl@ (strapheis) intoniert an allen sieben Stellen einen Höhepunkt (7,9.44; 9,55; 10,23; 14,25; 22,61; 23,28). Die Jesusrede wird mit autoritativem »Ich sage euch« eingeleitet. Das gattungsmäßig zu erwartende Heilungswort bleibt aus. Stattdessen steht der beispielhafte ›Glaube‹ (pfflsti@ pistis) des Heiden im Blickpunkt. Jesus verleiht seinem Staunen Sprache, so großen Glauben nicht einmal in Israel gefunden zu haben (V. 9c). Damit ehrt er den heidnischen Hauptmann und beschämt die nachfolgende jüdische Menge (Gowler 2003, 115). Die zweite Wendung wird wiederum durch ein Spiel mit Simplex (strfffw V. 9b) und Kompositum (¢postrfffw hypostrepho¯ V. 10a) verbalisiert: Die Gesandten wenden sich dem Haus (vgl. V. 6) ihres Freundes zu und konstatieren die Gesundung des Dieners (¢giafflnw hygiaino¯ V. 10; vgl. §€omai iaomai V. 7). Durch die Wiederaufnahme des Verbs ›finden‹ aus V. 9 werden Glaube und Wunder auch lexematisch korreliert (Busse 1977, 150). Mit der Feststellung der wunderbaren Wende endet die Geschichte. Der Diener wurde vom Tod zum Leben ›hindurchgerettet‹. Das Verb dias†ðzw (diaso¯zo¯ V. 3) erweist sich als Schlüsselwort der gesamten Episode (Busse 1992, 753). Die vermittelte Begegnung mit Jesus hatte unmittelbare heilvolle Folgen: Fern – schnell – gut.
Sozial- und realgeschichtlicher Kontext Der römische ›Hundertschaftsführer‹ ( katont€rch@ hekatontarche¯s V. 2.6; vgl. 23,47) gehörte zur unteren Offiziersschicht der Miliz des Herodes Antipas (Gowler 2003, 106109). In dieser nach römischem Vorbild hierarchisch organisierten Streitmacht partizipiert der untergebene Offizier an der Macht seiner Vorgesetzten (Bovon 2012, 351). Die Figurenkonstellation in unserer Erzählung ist ein Musterbeispiel dafür, dass das Leben in der Antike ohne die Einbettung in ein familiäres oder Patron-Klient-Netzwerk undenkbar war (Popp 2010, 68): 567
Die Wundererzählungen im Lukasevangelium
Die in den Text eingeschriebene mitfühlende Zuneigung zu privaten Sklaven (V. 2.7) ist mehrfach belegt (dazu Roth zu Mt 8,5-13 in diesem Band). Der pagane Kommandant stand mit ›Ältesten der Juden‹ (V. 3) in einer PatronKlient-Relation (Gowler 2003, 109-120). Bei dieser Personengruppe handelt es sich um ehrenwerte und entsprechend einflussreiche Mitglieder der jüdischen Gemeinschaft mit Leitungsfunktion (Claußen 2002, 273; ders. 2005, 203). Der Titel ›Älteste der Juden‹ ist auch in den Esraschriften im Kontext des Tempelbaus zu finden (2Esr 6,7 f.14). Die Jerusalemer Theodotosinschrift (CIJ 1404) verweist auf Älteste, die bei der Gründung der Synagoge mitverantwortlich waren (Corsten 2004, 129 f.; Crüsemann/Öhler 2009, 11). In Kafarnaum konnte unter einem Gebäude eine Konstruktion aus dem 1. Jh. n. Chr. gefunden werden (Claußen 2005, 205). Weiheinschriften bezeugen die Synagogenstiftung durch Nichtjuden (Bovon 2012, 348; Wolter 2008, 271). Die Vernetzung mit ›Ältesten der Juden‹ und die Darstellung als Synagogenstifter lassen den paganen Kommandanten nicht nur als Patron, sondern auch als ›Gottesfürchtigen‹ erscheinen. Aus dieser Gruppe stammten die meisten Neubekehrten des frühen Christentums (Bovon 2012, 348; Wolter 2008, 271). Zum sozialen Netz des Hauptmanns gehörten auch ›Freunde‹ (V. 6). Die im lukanischen Doppelwerk besonders bedachte Beziehungsform der Freundschaft (z. B. Lk 11,5-13; Apg 10,24) wird auch in der frühjüdischen und griechisch-römischen Literatur intensiv reflektiert (Scholtissek 2004, 415-422; Kreuzer/Schottroff 2009, 167-170).
Traditions- und religionsgeschichtlicher Hintergrund In der hellenistischen Wertewelt, in der sich der Zenturio bewegte, hatte das Gegenüber von Ehre und Scham paradigmatische Relevanz (Malina/Neyrey 1993, 25-65; Gowler 2003, 109-116). Der Offizier ehrte öffentlich die Wirkmacht des Wortes Jesu und wurde selbst von dem Geehrten mit einem Ehrenwort anerkannt (Malina/Neyrey 1993, 58). Die römische Welt war von militärischer Macht geprägt. Strikter Befehlsgehorsam (vgl. V. 8) war für die römische Armee unabdingbar (z. B. Flav. Jos. Bell. 2,577 f.). Die unmittelbare Umsetzung des Angeordneten dokumentiert auch folgende Passage aus der Pagenerzählung des ersten Esrabuches (1Esr 4,7-10aLXX): Wenn der König die Krieger zu töten heißt, töten sie; heißt er freizulassen, lassen sie frei; heißt er zu schlagen, hauen sie; heißt er zu verwüsten, verwüsten sie; heißt er aufzubauen, bauen sie auf; heißt er auszurotten, rotten sie aus; heißt er zu pflanzen, pflanzen sie. Und sein ganzes Volk und seine Streitkräfte gehorchen.
Der Transfer auf die fernheilende Wortmacht Jesu stellt zugleich den Anschluss an die performative Kraft des Wortes im alttestamentlich-jüdischen Denken her (s. Belege bei Hüneburg zu Q 7,1-10 in diesem Band). Fernheilungserzählungen sind auch in der rabbinischen Literatur belegt (Billerbeck 1924, 441; Eckey 2006, 334 f.). Als weitere Intertexte unserer Erzählung kommen im kontextuellen Zusammenspiel mit 4,25-27 und 7,11-17 1Kön 17,8-24 und 2Kön 5,119 in Betracht (Gowler 2003, 92 f.103-105). Elija und Elischa wandten sich bevorzugt der sidonischen Witwe und dem syrischen Feldhauptmann zu (4,25-27). Wie diese beiden jüdischen Propheten überschritt auch Jesus mit seinem rettenden Handeln die Grenzen 568
Fern – schnell – gut Lk 7,1-10
Israels. Entsprechend umfasst der traditions- und religionsgeschichtliche Befund die alttestamentlich-jüdische und griechisch-römische Kultur.
Verstehensangebote und Deutungshorizonte Das breite kulturgeschichtliche Wissen, das der Text bei den Leserinnen und Lesern abruft, fördert – in Verbindung mit der Figurenkonstellation und der Israelsemantik – deren Nachdenken über die Relation von Juden und Heiden. Durch die heilungserzählerisch nicht notwendige Näherbestimmung der Beauftragten als ›Älteste der Juden‹ (V. 3) wird das Thema ›Israel und die Völker‹ intoniert (Wolter 2008, 270). Auf textexterner Ebene wird heidenchristlichen Leserinnen und Lesern verdeutlicht: Das an sie adressierte Wort der Rettung bedurfte der jüdischen Vermittlung (Löning 1997, 217 f.). Wie ihr Vorbild stehen sie vor der Herausforderung, an Jesus zu glauben, ohne ihn zu sehen (vgl. Joh 20,29). Entsprechend ist das Hören in unserer Erzählung eminent wichtig (V. 3.9). Erstaunlicherweise wird am Beispiel eines paganen Berufssoldaten das die Grenzen Israels überschreitende Wirken Jesu illustriert. Er ist der erste pagane Offizier vor Ostern, der modellhaft die rettende Kraft Jesu erfährt. Bei einem Schriftsteller wie Lukas ist es nicht zufällig, dass unter dem Kreuz ein zweiter Soldat mit dem militärischen Rang
katont€rch@ (hekatontarche¯s) auftritt (23,47). Auch seine Geschichte ist heilvoll mit der Jesus-Christus-Geschichte verwoben (Löning 2006, 267). Der Zenturio Kornelius ist der erste Heide, dem nach Ostern durch petrinische Vermittlung der Zugang zum Heil und damit zur Kirche eröffnet wird (Apg 10,1-11,18). Aus christologischer Perspektive verdient die an Jesus als Kyrios ausgerichtete Unwürdigkeit des Hauptmanns Aufmerksamkeit (V. 6-8). Diese Beschreibung lädt seine Worte ebenso mit impliziter Christologie auf wie die Begründung seiner Befehlsgewalt: Jesus verdankt seine Wirkmacht der ¥xousffla (exousia) Gottes (Wolter 2008, 272). Auch unter anthropologischem Aspekt ist die adäquate Selbsteinschätzung des Kommandanten aufschlussreich. Der mit militärischer Macht und Vermögen Versehene ist nicht anmaßend, sondern nimmt an Jesus Maß (V. 6-8). In Relation zu ihm hält er sich für unwürdig (V. 6 f.). Aus intratextueller Sicht steht er mit dieser Einstellung v. a. dem Täufer nahe, der sich nicht für würdig erachtet, Jesus die Schuhriemen zu lösen ( kan@ hikanos 3,16-7,6). Alleinstellungsmerkmal des Kommandanten ist sein Glaube an die grenzüberschreitende Wirkmacht des Wortes Jesu (V. 6-9). Dieses unbedingte Anerkennungsvertrauen ist so außergewöhnlich, dass sogar Jesus staunt und es als einzigartig in Israel würdigt (V. 9). Darin liegt die Pointe der Erzählung. Das eigentliche Wunder ist nicht die physische Heilung, sondern der Glaube des Kommandanten. Von rezeptionsästhetischer Relevanz ist die offene Frage, wer das abschließend konstatierte Wunder generierte (V. 10). Die Auffüllung dieser narrativen Lücke obliegt der Imagination der Leser(innen) (Wolter 2008, 273). Auf jeden Fall ist der Hauptmann mit seinem Glauben am Heilungsgeschehen maßgeblich beteilt. Auch heute wird Glaube im religiösen und psychologischen Sinn als Heilungsfaktor medizinhistorisch und sozialwissenschaftlich-empirisch ernst genommen (Schmidt 2002, 39-58; Schott 2011, 9-13; Signori 2011, 93). Aus ethischer Perspektive ist der unmittelbare Anschluss unserer Erzählung an das 569
Die Wundererzählungen im Lukasevangelium
Ende der Feldrede aufschlussreich. Der wortfamiliäre Konnex zwischen ⁄koffi (akoe¯ V. 1) und ⁄koÐw (akouo¯ V. 2) bringt zu Gehör: Der Heide entspricht dem am Ende der Feldrede entworfenenen Idealbild des glaubwürdigen Menschen, der von Jesus hört und adäquat handelt (6,47-49). Er verkörpert die vorbildliche Liasion von Glaube und Liebe, die beispielhaft in der Synagogenstiftung sichtbar wird (Bovon 2012, 349). Sie kann in Querverbindung mit der auch an Soldaten adressierten Täuferrede (vgl. 3,14) als würdige Frucht der Umkehr angesehen werden (˝xio@ axios 3,8-7,4). Aus kulturanthrologischer Sicht führt sie zu »acquired honor« (Malina/Neyrey 1993, 28.49). Ehrenwert ist auch, dass der Zenturio sein soziales Netzwerk (Älteste der Juden; Freunde) in den Dienst der Rettung seines Dieners stellt. Die Annahme einer homoerotischen Beziehung zu ihm ist übrigens ohne Anhalt am Text (Wolter 2008, 269 f.; vgl. dagegen Gowler 2003, 116-119).
Aspekte der Parallelüberlieferung und Wirkungsgeschichte Der Zenturio in unserer Erzählung kann als intratextuelle Repräsentation des impliziten Lesers betrachtet werden. Römische Soldaten mussten also nicht ihren Beruf aufgeben, um zur christlichen Gemeinde gehören zu können (vgl. Apg 10). Soldatsein und Bekenntnis zu Jesus Christus wurden demzufolge im Frühchristentum nicht als prinzipiell unvereinbar betrachtet (Brennecke 1997, 45-100). Auch der über den Glauben des Hauptmanns staunende Jesus (V. 9) hat immer wieder Verwunderung ausgelöst. So fragte sich Calvin, wie Jesus, der Sohn Gottes, sich wundern konnte (Bovon 2012, 351). Lukas jedenfalls hatte kein Problem damit, Jesus als Staunenden zu porträtieren (vgl. Mt 8,10). In der johanneischen Parallelüberlieferung fehlt dieser Aspekt (Joh 4,46-54).
Thomas Popp Literatur zum Weiterlesen D. B. Gowler, Text, Culture, and Ideology in Luke 7,1-10. A Dialogic Reading, in: ders./L. G. Bloomquist/D. F. Watson (Hg.), Fabrics of Discourse, FS V. K. Robbins, Harrisburg 2003, 89-125. K. Löning, Das Geschichtswerk des Lukas, Bd. 1: Israels Hoffnung und Gottes Geheimnisse, Stuttgart 1997, 214-218. M. Wolter, Das Lukasevangelium, HNT 5, Tübingen 2008, 267-273.
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Auferstanden in Naïn (Auferweckung des Sohnes einer Witwe aus Naïn) Lk 7,11-17 (11) Es begab sich einige Zeit später, da ging er in eine Stadt namens Naïn, seine Jüngerinnen und Jünger und eine große Menschenmenge begleiteten ihn. (12) Als er sich dem Stadttor näherte, siehe – sie trugen einen Toten hinaus. Er war der einzige Sohn seiner Mutter und sie war Witwe. Eine große Menschenmenge aus der Stadt war bei ihr. (13) Als der Kyrios (Herr) sie sah, hatte er tiefes Mitleid mit ihr und sprach zu ihr: »Weine nicht mehr!« (14) Er trat an die Bahre heran und berührte sie. Diejenigen, die sie trugen, blieben stehen und er sprach: »Junger Mann, ich sage dir, steh auf!« (15) Da setzte sich der Tote auf und begann zu sprechen und Jesus gab ihn seiner Mutter zurück. (16) Alle wurden von Ehrfurcht ergriffen und lobten Gott und sprachen: »Ein großer Prophet ist unter uns auferstanden und Gott hat sein Volk besucht.« (17) Und dieses Wort über ihn verbreitete sich in Judäa und im ganzen Umland.
Sprachlich-narratologische Analyse Die Erzählung Lk 7,11-17 ist in sich abgerundet; sie beginnt mit einem klaren Neueinsatz: »einige Zeit später« und endet mit dem Hinweis auf die Weitergabe der Geschehnisse. Die Geschichte kann in vier Schritten gelesen werden: 1. Die Einführung (V. 11-12) schafft Raum für eine neue Szene, benennt die Situation, den genauen Ort und alle am Geschehen beteiligten Personen. 2. Der Wunderbericht bildet die Mitte der Geschichte (V. 13-15), gefolgt von 3. der Admiration und Akklamation des Volkes (V. 16), und 4. der Ausbreitung der Geschehnisse (V. 17). Fast durchgängig ist das Erzähltempus der Aorist. Die Auferweckung in Naïn ist im Lukasevangelium eingebettet in das Auftreten Jesu in Galiläa (Lk 4,14-9,50), ein Zeitraum, der mit der ersten Predigt Jesu in Nazaret beginnt und mit dem Verweis auf seine Weiterreise nach Jerusalem endet. Lk 7,11-17 schließt an die vorangehende Heilung des Knechtes eines Hauptmanns von Kafarnaum an (Lk 7,1-10). Lukas verknüpft beide Geschichten in chronologischer, aber zeitlich unbestimmter Form. Mit dem Auftakt »es begab sich« (V. 11) ist ein Vokabular gewählt, das an den Sprachgebrauch der Septuaginta anschließt und bei den Leser(innen) einen assoziativen Raum eröffnet, der an das Hören der Heiligen Schriften erinnert. Der gesamte Text hat eine erzählerische Besonderheit: Er lenkt die Aufmerksamkeit der Lesenden in einem ständigen Wechselspiel hin und her, von einer einzelnen Person zu der Menschenmenge und zurück, ein Tanz zwischen Singular und Plural. So nähert »er« sich in V. 11 der Stadt, dann erst werden die vielen Menschen erwähnt, die ihm folgen. Dasselbe Spiel geschieht in V. 12. Zuerst fällt der Blick auf die Witwe und dann auf die Menge, die sie begleitet. Dann fokussiert sich der Blick wieder auf Jesus, die Mutter und den Sohn, so dass die Menschen, die die Bahre tragen, kaum noch wahrgenommen wer571
Die Wundererzählungen im Lukasevangelium
den, aber im nächsten Moment treten die einzelnen Personen wieder aus dem Brennpunkt heraus und werden hinein genommen in die jubelnde Menschenmenge. Lk 7,11 richtet den Blick zunächst auf Jesus, der sich auf den Ort Naïn hinbewegt, dann auf die Jünger(innen) und eine weitere unbestimmte Menschenmenge, die ihm folgt. Zur gleichen Zeit bewegt sich gegenläufig aus dem Ort heraus ein Trauerzug. Mit der Wendung »siehe« weckt der Text die Aufmerksamkeit der Leserinnen und Leser und lenkt den Blick auf einen Leichnam (V. 12). Der Tote wird als einziger Sohn seiner Mutter eingeführt und diese als Witwe. Damit wird die große Not der Mutter greifbar, denn mit dem Tod des Sohnes ist ihre Lebensgrundlage in Gefahr (s. u.). In der hebräischen Bibel kann der Verlust des »einzigen Sohnes« als stehender Begriff verwendet werden, um den Abgrund der Trauer zu beschreiben (Am 8,10; Jer 6,26; Sach 12,10, s. Harbarth 1977, 37 Anm. 104). Töchter oder andere Familienmitglieder werden nicht erwähnt. Doch auch als Witwe ist die Mutter nicht allein. Eine große Menschenmenge aus der Stadt ist mit ihr unterwegs. Diese unbestimmt bleibende Menge, die die Frau begleitet, wird mit derselben griechischen Vokabel clo@ (ochlos) bezeichnet, mit der auch die Menschenmenge um Jesus herum in V. 11 beschrieben wird. Die Aufforderung »siehe« in V. 12 wird aufgenommen in dem Hinsehen Jesu in V. 13. Er, der die Frau sieht, wird hier als kÐrio@ (kyrios) bezeichnet. Lukas verwendet den Begriff kÐrio@ (kyrios) 104-mal, weitaus mehr als alle anderen Evangelien und kann damit Gott oder Jesus meinen. Es ist eine lukanische Besonderheit, schon vor Kreuz und Auferstehung von Jesus als kÐrio@ (kyrios) zu sprechen (vgl. Lk 7,19; 10,1.39.41; 11,39; 12,42; 13,15; 17,5.6; 18,6; 19,8; 22,61). Viele dieser kyrios-Stellen finden sich im lukanischen Sondergut, so dass einige Exegeten vermuten, Lukas könnte diesen Gebrauch von kÐrio@ (kyrios) vorgefunden haben. Andere dagegen nehmen an, Lukas selbst habe eine Affinität zum kyrios-Begriff und habe diesen in das ihm vorliegende Textmaterial eingetragen. Wenn Lukas in V. 13 Jesus als kÐrio@ (kyrios) bezeichnet, dann schwingt mit, dass mit diesem Begriff eben auch Gott gemeint sein kann. Die LXX gibt den Gottesnamen (JHWH) mit kÐrio@ (kyrios) wieder – in Jesus nähert sich die Gottheit Israels und besucht ihr Volk (V. 16). Der kÐrio@ (kyrios) ist unterwegs, sieht hin, hat Mitleid und spricht die Frau an. Hinter dem griechischen Verb splagcnfflzomai (splanchnizomai), das mit »Mitleid haben« oder »es jammert jemanden« wiedergegeben werden kann, steht das dazugehörige Substantiv spl€gcnon (splanchnon) das »Eingeweide« meint, entweder die wertvollen Eingeweide, wie Herz, Leber, Lunge oder Niere von Opfertieren, oder auch menschliche Eingeweide (vgl. Köster 1964, 548-553). Das Äquivalent zu splagcnfflzomai (splanchnizomai) in der hebräischen Sprache ist wht rhm und assoziiert wh8t• raehaem, den Mutterschoß, der gleichzeitig auch der Ort des Mitgefühls und Erbarmens ist (vgl. Wehn 1999, 76). Gottes Zuwendung zu seinem Volk kann in der Hebräischen Bibel auch mit diesem mutterschößigen Erbarmen beschrieben werden (z. B. Hosea 11,8; vgl. Schroer/ Straubli 2005, 63-66). Das Ergriffensein Jesu kann kaum intensiver in Sprache gefasst werden. In Lk erscheint dieses Verb des mitfühlenden Betroffenseins zwei weitere Male, jeweils in einer Gleichnisrede Jesu und jeweils an prominenter Stelle. So »jammert es« den Samaritaner, als er auf seinem Weg einen Menschen sieht, der unter die Räuber gekommen war (Lk 10,33) und »es jammert« den Vater der Anblick seines verlorenen Sohnes, der ihm halb verhungert entgegenkommt (Lk 15,20). In beiden Gleichnissen sind das Hinsehen und das Sich-berühren-lassen von der Notlage des Gegenübers der Wende572
Auferstanden in Naïn Lk 7,11-17
punkt der Geschichte. Weil einer hinsieht, sich erschüttern lässt und erbarmend aktiv wird, bahnt sich die Befreiung aus der ausweglos erscheinenden Situation an. In Lk 7,13 handelt »er«, der kyrios/Jesus selbst aus diesem mitfühlenden Erbarmen heraus und öffnet den Raum für einen Neuanfang. Die grammatikalische Struktur von V. 13 weckt die Aufmerksamkeit, jetzt beginnt eine wörtliche Rede mit einem Imperativ Präsenz: »Weine nicht!« Der kyrios/Jesus beendet die Tränen, so wie auch in der Hebräischen Bibel der kyrios die Tränen trocknet (Jes 25,8; 65,19-20; Jer 31,15). Die Reaktion der Witwe wird nicht erwähnt. Die erzählerische Perspektive ist auf die Bahre gerichtet: »Er« berührt die Bahre, und die Träger bleiben sofort stehen (V. 14). Der Trauerzug hält an, der Weg zum Grab hin ist beendet. Das auf den ersten Blick unscheinbar wirkende Wort »berühren« hat einen besonderen Stellenwert in den neutestamentlichen Heilungsgeschichten. Das griechischen Verb ¿ptomai (haptomai) kommt in den synoptischen Evangelien fast ausschließlich in Heilungsgeschichten vor, immer werden diese Berührungen absichtlich herbeigeführt oder gesucht (vgl. z. B. Lk 5,13 par.; Lk 8,44-48 par., Lk 22,51, Mt 8,1; Mt 9,29). Eine solche Berührung ist von einem besonderen Glanz erfüllt, mit einer göttlichen Kraftübertragung verbunden und meint immer mehr als ein einfaches Anfassen oder als eine zufällige Geste (vgl. dazu Metternich 2000, 210 f.). In der Aktivform bedeutet es: ein Feuer anzünden, eine Licht entfachen (Lk 8,16; 11,33; 15,8; 22,55). Im griechischen Wortfeld des Verbs schwingt ein überspringender Funke von Energie mit. Die Verwendung dieser Vokabel signalisiert, dass sich mit und in dieser Berührung ein Raum göttlicher Wirksamkeit eröffnet. In diese Situation hinein spricht Jesus ein weiteres Mal in wörtlicher Rede. Er wendet sich an den auf der Bahre Liegenden mit einer fast feierlichen Anrede: »Junger Mann, ich sage dir, steh auf!« (vgl. Mk 5,41, Joh 11,43). Aufstehen, ¥gefflrw (egeiro¯, hier passivisch), hat die Bedeutungsbreite von sich vom Boden erheben, aufstehen und auferstehen mit neuer Kraft. Bezieht sich dieses Verb auf Jesus und seine Auferweckung, wird es in der deutschen Sprache meist mit auf-er-stehen wiedergegeben: »Er ist auferstanden« (Lk 24,6 par., Lutherbibel 1984). Erscheint aber dasselbe griechische Verb in einer Heilungsgeschichte und bezieht sich auf einen zu heilenden Menschen, wird es mit »aufstehen« ins Deutsche übersetzt, z. B. Mt 8,15; Mk 2,12. Die beiden Buchstaben »er« zwischen »auf« und »stehen« wirken, so formuliert es Sutter Rehmann bildlich, wie eine »Glaswand« zwischen der Auferstehung Jesu und dem Aufstehen von Männern, Frauen und Kindern (Sutter Rehmann 1997, 225-241). Das griechische Verb ¥gefflrw (egeiro¯) verbindet Auferstehungs- und Heilungsgeschichten. Es transportiert eine Auf-er-stehungserfahrung, in der Gotteskraft wirkt. Es geht um mehr als um die Wiederherstellung der vorher gelebten Normalität. Sofort nach der Anrede durch Jesus wird der Tote handelndes Subjekt: Er »erhebt sich«, »setzt sich auf« (⁄nakaqfflzw anakathizo¯). Dieses Verb begegnet im Neuen Testament nur noch in Apg 9,40. Der Sohn der Witwe setzt sich auf und redet. Was er gesagt hat, überliefert der Text nicht, allerdings verbindet Lukas mit lalffw (laleo¯) ein Sprechen, das mit der Erfahrung von Gottesnähe verknüpft (vgl. Lk 1,19; 24,6) ist. Mit der zweiten Satzhälfte von V. 15 richtet sich der Blick auf die Aktivität Jesu. Sein Name wird hier erstmals in dieser Geschichte genannt. Die Interaktion zwischen ihm und der Mutter steht im Zentrum: »Jesus gibt ihn seiner Mutter zurück«. Wie die Witwe in Naïn auf die Auferweckung ihres Sohnes reagiert, erfahren wir nicht. Diese 573
Die Wundererzählungen im Lukasevangelium
Auslassung gibt den Blick auf die Menschenmenge frei, die voller Furcht und Gotteslob ist (V. 16). Das Ergriffensein von Ehrfurcht ist ein immer wiederkehrendes Motiv in Heilungsgeschichten (z. B. Lk 1,12; 1,65; 5,26; 8,37) und in Auferstehungsgeschichten (vgl. Mk 5,33; 16,8) und ist mit dem Wissen um Gottesnähe verbunden ist. Der Dank für die Heilung richtet sich daher nicht an Jesus, sondern an Gott (zweimal qe@ [theos] in V. 16). Auch in anderen Heilungsgeschichten findet sich die gleiche Struktur. Wo Menschen durch und in der Begegnung mit Jesus geheilt werden, loben sie Gott selbst (vgl. Lk 5,25; 13,13; 17,15; 18,43). Gott wird dafür gedankt, dass er sein Volk sammelt, heilt, tröstet. Die Bedeutsamkeit dieses Gotteslobes wird innerhalb der Erzählung noch hervorgehoben, indem der Lobpreis der jubelnden Menge in wörtlicher Rede (V. 16) wiedergegeben wird. Diese Beobachtung ist umso bemerkenswerter, da in der gesamten übrigen Erzählung allein Jesus wörtliche Rede zugestanden wird. Die Stimme des Volkes deutet das Erlebte mit einer bekenntnishaften Formulierung: »Ein großer Prophet ist unter uns auferstanden und Gott hat sein Volk besucht« (V. 16). Die Formulierung »Gott hat sein Volk besucht« nimmt das Gotteslob des Zacharias wörtlich auf (Lk 1,68.78). Für die zu Beginn der Erzählung unbestimmten Menschenmengen um Jesus und um die Frau herum, die beide als clo@ (ochlos) bezeichnet wurden, wechselt die Begrifflichkeit; sie werden in ihrem Jubel vereint zum Gottesvolk, la@ (laos). Mit dem Begriff la@ (laos) kennzeichnet Lk das Volk in seiner Gottesbeziehung (vgl. Lk 1,17; 2,32; 7,29; 18,43). Damit reflektiert die sprachliche Ebene einen Wandlungsprozess. Diejenigen, die zunächst eher zufällig anwesend waren, werden, berührt durch das Erlebte, selbst mitverwandelt (vgl. auch die Transformation der Menge bei der Blindenheilung in Jericho Lk 18,35-43). Jesus wird als »großer Prophet unter uns« bezeichnet und so in die Prophetentradition und in sein Volk eingeordnet. Im Duktus der Erzählung ist dieses lobende Bekennen von herausragender Bedeutung. Es interpretiert das Geschehene und lädt ein, in das Gotteslob mit einzustimmen. In der Auslegung von Lk 7,16 wird die Bezeichnung »Prophet« für Jesus kontrovers diskutiert (s. u.), auf der Ebene der Erzählung ist davon nichts zu spüren. In Gegenteil, der Prophet selbst wird als Auf-er-standener wahrgenommen. Hinter der Übersetzung: »ein Prophet ist unter uns auferstanden« steht wiederum das griechische Verb ¥gefflrw (egeiro¯, vgl. V. 14). Gott hat einen Propheten auf-er-stehen lassen (vgl. Ri 5,7; 10,1.3LXX). Sprachlich kann also sowohl Jesus, als auch der junge Mann als auferstanden, aufgestanden, auferweckt verstanden werden. Mit Lk 7,17 schließt die Erzählung mit dem Motiv der Ausbreitung ab. Weitergeben wird das Wort lgo@ (logos) über »ihn«. Mit dieser Formulierung bleibt es der Interpretation überlassen, ob »das Wort über ihn« die Auferweckung des Toten, die Auferweckung »eines großen Propheten unter uns« oder den Jubel des Volkes meint, dass sein Gott nahe ist. Im Folgenden (V. 18-23) steht die Frage des Johannes im Raum: »Bist du der Kommende, oder sollen wir auf einen anderen warten?« Als Antwort verweist Jesus auf den Jubel des Volkes: »Arme bringen frohe Botschaft!« (Lk 7,22 so die Übersetzung von Sutter Rehmann in Bibel in gerechter Sprache).
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Auferstanden in Naïn Lk 7,11-17
Sozial- und realgeschichtlicher Kontext Die Auferweckung des jungen Mannes im Lukasevangelium hat sich in einer Stadt namens Naïn ereignet. Weitere Informationen über diesen Ort können nicht aus den biblischen Schriften gewonnen werden, da der Ortsname Naïn im gesamten biblischen Textbestand nur ein einziges Mal hier in Lk 7,11 erscheint. Die meisten Kommentare identifizieren Naïn mit einem noch heute existierenden Dörfchen Ne¯n, das an der südlichen Grenze Galiläas liegt, südwestlich des Berges Tabor und an der nördlichen Seite des Berges Dschelel dahi. Dort verläuft eine Straße, die vom See Gennesaret herkommend zur Hochebene Jesreel führt (Bovon 2012, 360). Damit liegt dieser Ort in der Nähe von Schunem, wo der Prophet Elischa wirkte (2Kön 4,8-37). Wie Naïn in damaliger Zeit aussah, ob es ein Stadttor und eine Stadtmauer hatte, wie es die Erzählung in Lk 7,12 vorauszusetzt, ist archäologisch nicht nachgewiesen (Schürmann 1969, 399). Jedenfalls ist Naïn etwa 10 km von Nazaret und etwa 40 km von Kafarnaum entfernt (vgl. auch Wolter 2008, 274). Wenn diese Angaben einer möglichen Rekonstruktion des in Lk 7 beschriebenen Reiseweges zugrunde gelegt werden, wären Jesus und seine Anhängerschaft schon 8-9 Stunden zu Fuß unterwegs, ehe sie von Kafarnaum herkommend in Naïn eintrafen. Das Schicksal der Frau, der Jesus in Naïn begegnet, wird mit wenigen, aber aussagekräftigen Worten skizziert. Sie ist Witwe und sie hat ihren einzigen Sohn verloren. Dass die weinende Mutter eine Witwe war, konnte Jesus wahrscheinlich schon an ihrer Kleidung erkennen. Die hebräische Bibel geht davon aus, dass verwitwete Frauen spezielle Witwenkleidung trugen (Gen 38,14.19; Jdt 10,3) und dies wahrscheinlich auch über einen längeren Zeitraum. Nicht nur ein Wechsel der Kleidung, sondern auch eine andere Art der Körperpflege, bei der das Salben mit Öl wegfällt, scheint zum Witwenstatus gehört zu haben (2Sam 14,2) (vgl. Schottroff 1999a, 145). Obwohl es in Palästina auch reiche Witwen gab, war die große Menge verwitweter Frauen der Armut und der Schutzlosigkeit ausgeliefert. »Witwen und Waisen« stehen in der Hebräischen Bibel fast als ein Synonym für Armut und Hilfsbedürftigkeit (Ex 22,21; Ps 94,6; Jes 1,17; Jer 7,6, Sach 7,10). Starb ihr Mann, war eine Witwe oft in großer wirtschaftlicher Not, besonders dann, wenn sie keine erwachsenen Söhne hatte, in deren Haushalt sie aufgenommen werden konnte. Wenn ein Rückzug in die eigene Herkunftsfamilie nicht mehr möglich war, gab es für noch gebärfähige Frauen die eventuelle Möglichkeit, eine so genannte Leviratsehe mit einem Bruder ihres Mannes einzugehen. Das erste Kind aus dieser Beziehung galt dann noch als Nachfahre des Verstorbenen (Dtn 25,5 f.). Wie oft solche Schwagerehen tatsächlich eingegangen wurden, ist offen. Jedenfalls scheint dies keine Option für die Witwe in Naïn gewesen zu sein. Sie war offensichtlich eine alleinerziehende Mutter, die nun ihren einzigen Sohn zu Grabe tragen muss. Mit dem Tod des Sohnes verliert die Frau nicht nur ein geliebtes Kind, sondern auch einen männlichen Familienangehörigen, der ihr wirtschaftlich und rechtlich beistehen könnte. Witwen hatten nur eine eingeschränkte Rechtsfähigkeit, so waren sie z. B. vom Erbrecht ausgeschlossen (Schottroff 1999a, 153.155). Selbst wenn auch die biblischen Schriften immer wieder appellieren, Witwen und Waisen nicht zu bedrücken (Ex 22,21, Jes 1,17; Sach 7,10), ja Gottes Schutz ihnen und ihren Kindern in ganz besonderem Maße zugesprochen wird (Ps 68,8), stößt dies bei den Mächtigen ganz offensichtlich oft auf taube Ohren (Psalm 94,6; Ez 22,7). In was für einer verzweifelten Situation sich eine verwitwete Frau wiederfinden konnte, lässt 575
Die Wundererzählungen im Lukasevangelium
das Gebot, einer Witwe ihr Kleid nicht als Pfand wegzunehmen, nur erahnen (Dtn 24,17). Um ihr Überleben zu sichern, wurde Witwen das Armenrecht zugestanden, auf Äckern Nachlese zu halten und bei der Ernte übersehene Oliven und Weintrauben einzusammeln (Dtn 24,17; Maier/Lehmann 2009, 667 f.). Als Jesus der Witwe in Naïn begegnete, hat er vielleicht sofort intuitiv das Ausmaß ihrer Verzweiflung und ihre prekäre Zukunftsaussichten erfasst und verstanden. Die Frau ist auf dem Weg, ihren Sohn zu beerdigen. Nach jüdischer Sitte wurden die Toten an demselben Tag begraben, an dem sie gestorben waren. Die Trauernden beweinten ihre Verstorbenen mit einer Totenklage (Gen 23,2; 2Sam 11,26). Es kann vermutet werden, dass es Frauen gab, die das Singen von Klageliedern in besonderem Maße gelernt hatten und damit die Fähigkeit besaßen, die Trauerfeierlichkeiten musikalisch auszugestalten. So heißt es z. B. in Jer 9,19: »Lehrt eure Töchter klagen, und eine lehre die andere dies Klagelied«. In der Mischna (Ket 4,4) werden neben Klagefrauen auch Flötenspieler erwähnt, die für eine Trauerfeier herbeigerufen werden (vgl. Bieberstein 2004, 58). Starb ein Familienmitglied, zerrissen die Angehörigen als Zeichen ihrer Trauer ihre Kleider (Gen 37,34). Heute gibt es nach jüdischem Brauch für das Zerreißen der Kleidung vorgeschriebene Regeln. Stirbt ein Elternteil, wird auf der linken Seite des Gewandes ein senkrechter Riss vorgenommen, für andere Angehörige auf der rechten Seite vom Hals. Dieser Riss darf eine vorgeschriebene Zeit nicht vernäht werden, in der Regel sieben Tage oder dreißig Tage, wenn ein Elternteil verstorben ist. Der Riss in der Kleidung symbolisiert den Riss im Herzen der Hinterbliebenen (Simon 2004, 31). Die Hebräische Bibel erwähnt auch, dass Männer als Zeichen der Trauer ihren Kopfbund ablegten, die Schuhe auszogen und den Bart verhüllten (Ez 24,17), sich wund ritzten oder kahl schoren (Jer 16,6). Trauernden wurde ein spezielles Trauerbrot und ein »Trostbecher« (Jer 16,7) gereicht. Der Brauch, Hinterbliebene in der Zeit ihrer Trauer mit Lebensmitteln zu versorgen, besteht bis heute. Nach Lk 7,12 bewegt sich die Menge der Trauernden aus der Stadt heraus. Beerdigungen fanden damals immer außerhalb der Stadtmauern statt. Die Verstorbenen wurden gewaschen und in schlichte Tücher eingeschlagen. Der Leichnam wurde in der Regel auf einer Bahre oder seit dem 1. Jh. v. Chr. auch in einem Holzsarg zum Bestattungsort getragen (Zangenberg 2010, 123). In welcher Weise der junge Mann in Naïn getragen wurde, wird von den Übersetzungen unterschiedlich interpretiert. Das griechische Wort sor@ (soros) bedeutet eigentlich »Sarg«. Innerhalb des Neuen Testaments wird dieser Begriff einmalig nur hier benutzt, so dass keine Parallelstellen zur Interpretationshilfe herangezogen werden können. Da die meisten Exegeten und Exegetinnen davon ausgehen, dass üblicherweise die Toten auf Bahren getragen wurden, und auch der Ablauf der Geschichte dafür spricht, dass der Tote sich sogleich aufrichten kann, erscheint in vielen Übersetzungen das Wort »Bahre«, wofür auch ich mich entschieden habe. Aber es könnte sich eventuell auch um einen offenen Sarg gehandelt haben (so Schottroff 1999b, 267). Beigesetzt wurden die Toten in der Regel in Felsenhöhlen, die kunstvoll in das Gestein hineingeschlagen wurden oder in anderen geeigneten Höhlungen. In vielen Felsenhöhlen befanden sich mehrere Steingrabkammern, die so genannten »kokhim« (Kloner 2007, 61 f.). Jede dieser Kammern wurde in den Felsen hineingehauen und bot mit etwa 2 m Tiefe, 50 cm Breite und etwa 65 cm Höhe genug Raum für einen Leichnam. Eine solche Grabkammer wurde in der Regel mit einem rechteckigen Stein verschlossen und versiegelt. Eher selten waren diese Verschlusssteine rund und konnten gerollt wer576
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den. Ein Leichnam blieb so lange in dieser Grabkammer, bis der Verwesungsprozess abgeschlossen war. Nach etwa einem Jahr wurde dann die Höhle geöffnet und die Knochen eingesammelt und an einem extra dafür bestimmten Platz gesammelt. Dieser Brauch klingt auch in der Formulierung an, dass jemand »zu seinen Vätern versammelt wird« (Gen 25,8; Dtn 32,50; 2Kön 22,20) (Kloner 2007, 108). Neben dieser Bestattungsart gab es auch Senkgräber. Ein bis zu 2 m tiefer Schacht wurde in die Erde getrieben, in dem der Leichnam versenkt wurde. Der Begräbnisort wurde dann mit Steinen abgedeckt und zugleich gekennzeichnet (Zangenberg 2010, 124 f.).
Traditions- und religionsgeschichtlicher Hintergrund Inwiefern hellenistische nicht-biblische Traditionen sich in der Gestaltung der Erzählung von Lukas entdecken lassen, ist in der Auslegungsgeschichte von Lk 7,11-17 breit diskutiert worden. Dass neutestamentliche Wundergeschichten auf dem Hintergrund von und in Konkurrenz zu hellenistischen Wundererzählungen entstanden sind, hat die formgeschichtliche Gattungsforschung herausgestellt. So war z. B. Bultmann der Meinung, alle ausführlich geschilderten Wundergeschichten seien in den hellenistischen Gemeinden entstanden und hätten das Ziel, die Bedeutsamkeit Jesu zu betonen, ihn hervorzuheben gegenüber hellenistischen Wundertätern, den so genannten qeio½ ⁄ndrff@ (theioi andres – göttliche Männer). Wegen ihrer erzählerischen Nähe zu Lk 7,11-17 wird in der formgeschichtlichen Analyse immer wieder die Heilung einer Verstorbenen durch den Wundertäter Apollonius von Tyana zum Vergleich herangezogen, der im 1. Jh. n. Chr. wirkte. In der Schrift: »Das Leben von Apollonius von Tyana« (Philostr. vit. ap. 4,45), hat Philostratos (2. Jh. n. Chr.) folgende Begebenheit festgehalten: Es wird auch folgendes Wunder erzählt: Ein Mädchen war am Tage seiner Hochzeit gestorben, so schien es wenigstens, und der Bräutigam folgte bereits jammernd der Bahre und klagte, dass seine Ehe so gänzlich unerfüllt geblieben sei. Aber auch ganz Rom trauerte mit ihm, da das Mädchen aus einer vornehmen Konsularenfamilie stammte. Als nun Apollonios dem Trauerzug begegnete, sagte er: »Legt die Bahre nieder! Ich will euren Tränen über das Mädchen ein Ende machen.« Zugleich fragte er nach dem Namen des Mädchens. Die Menge glaubte nun, er werde eine Trauerrede halten, wie sie so üblich sind bei solchen Anlässen, um den Jammer zu beschwören. Er jedoch berührte nur die Tote, sprach einige unverständliche Worte und erweckte so das Mädchen aus dem Scheintode. Dieses begann wieder zu sprechen und kehrte ins Elternhaus zurück wie Alkestis, als sie von Herakles ins Leben zurückgerufen worden war. Als ihm die Verwandten ein Geschenk von fünfzehn Myriaden machen wollten, sagte er, sie sollten es dem Mädchen als Mitgift geben. Ob er nun noch einen Lebensfunken an ihr wahrgenommen hatte, der den Ärzten verborgen geblieben war – man erzählt sich nämlich, Zeus habe Tau auf sie fallen lassen und von ihrem Antlitz sei ein Dunst aufgestiegen –, oder ob er das erloschene Leben wieder zurückgerufen und angefacht hatte, dies vermag ich nicht zu ergründen, und auch die Anwesenden hätten es nicht ermitteln können (zitiert nach Mumprecht 1983, 457-459).
Zwischen dieser Erzählung und Lk 7,11-17 gibt es Parallelen: Der Wundertäter begegnet einem Trauerzug, er ergreift die Initiative, die Bahre wird angehalten, die verstorbene Person wird wieder lebendig und beginnt zu sprechen. Ganz unterschiedlich sind aber die Rahmenbedingungen: hier ein einfacher junger Mann aus einem galiläischen Dorf 577
Die Wundererzählungen im Lukasevangelium
und dort eine junge Römerin aus bestem Hause. Bei Philostratos spricht der Wunderheiler geheimnisvolle Worte, die junge Frau wird vom Scheintod erweckt. Es fehlen gänzlich der Jubel und das Gotteslob des Volkes, die für die neutestamentlichen Heilungsgeschichten konstitutiv sind. Stattdessen bieten die reichen Verwandten des Mädchens Apollonius Geld für seine Dienste an. Obwohl es tatsächlich eine Reihe von Motivähnlichkeiten zwischen beiden Erzählungen gibt, ist eine direkte literarische Abhängigkeit letztendlich nicht nachweisbar (vgl. Harbarth 1977, 185 f.). Dennoch ist diese Geschichte ein Beispiel für eine Ähnlichkeit und eine eventuelle gegenseitig Beeinflussung zwischen der hellenistischen und der biblischen Wundertradition. Sehr viel deutlicher sind in Lk 7,11-17 die Anklänge an die prophetische Tradition der biblischen Schriften zu erkennen. Die Auferweckung des jungen Mannes in Naïn erinnert an die Totenauferweckungen durch die Propheten Elija (1Kön 17,17-24) und Elischa (2Kön 4,8-24). Die Auferweckung des Sohnes der Schunemiterin durch Elischa ereignete sich in Schunem, einem Ort nicht weit von Naïn entfernt. Während hier die räumliche Nähe zur Auferweckung in Naïn auffällt, besteht inhaltlich und sprachlich eine größere Nähe von Lk 7,11-17 zu der Elijaerzählung in 1Kön 17. Wie Jesus auf seinem Weg eine Witwe am Stadttor von Naïn antrifft, so trifft Elija am Stadttor von Sarepta ebenfalls eine Witwe an (1Kön 17,10). Beide Frauen haben einen Sohn. Unterschiedlich ist, dass der Sohn der Witwe in Naïn bei Beginn der Erzählung bereits verstorben ist, während der Sohn der Witwe in Sarepta erst im Verlauf der Erzählung verstirbt. In beiden Fällen aber wird das verstorbene Kind zum Leben erweckt und seiner Mutter wiedergegeben. Die Wendung in Lk 7,15: »er gab ihn seiner Mutter zurück« findet sich in wörtlicher Übereinstimmung mit der griechischen Wiedergabe von 1Kön 17,23 im Text der Septuaginta (3Kön 17,23LXX). Eine weitere Parallelität ist, dass der Heiler als eine Person mit besonderer göttlicher Kraft erkannt wird. Die Frau in Sarepta nennt Elija einen »Mann Gottes« und die staunende Menge in Lk 7,16 bezeichnet Jesus einen »großen Propheten«. Durch beide fließt Gottes heilende Kraft, die das Wunder der Auferweckung ermöglicht. Lk 7,11-17 ist sicherlich nicht als eine auf Jesus gemünzte Nacherzählung von 1Kön 17 zu werten, aber eine Anspielung auf die Elija-Elischatradition ist offensichtlich. Schon in der ersten Predigt Jesu wird im Lukasevangelium eine Parallele zwischen Jesu Auftreten in Nazaret und dem Wirken Elijas in Sarepta hergestellt (Lk 4,25-26). Elija ist der wohlbekannte Prophet mit dessen Wiedererscheinen das sehnsuchtsvoll erwartete Kommen des Gottesreiches verbunden wurde (Mal 3,23). Jesus nicht nur in diese prophetische Tradition einzuordnen, sondern ihn sogar als »großen« Propheten zu titulieren, muss die Frage nach seiner Identität nach sich ziehen und die Hoffnung wecken, wann nun die Zeit des Gottesreiches beginnt. Folgerichtig schließt sich die Frage der Johannesjünger an: »Bist du, der da kommen soll, oder sollen wir auf einen anderen warten?« (Lk 7,20b). Kurz: Die erzählerische Ausgestaltung von Lk 7,11-17 mit ihrer Motivähnlichkeit zu hellenistischen Wundergeschichten und ihrer Bezugnahme auf die Hebräische Bibel bietet den Leserinnen und Lesern vielfältige Möglichkeiten, auf dem Hintergrund ihrer je eigenen Traditionen, die Bedeutsamkeit der Auferweckung in Naïn zu erfassen. Die Erzählung ist lukanisches Sondergut und hat folglich keine Parallele in anderen Evangelien. Eine vorlukanische Textfassung von Lk 7,11-17 zu rekonstruieren ist immer wieder versucht worden (vgl. Harbarth 1977, 111), muss aber aufgrund der Quellenlage einen hypothetischen Charakter behalten. 578
Auferstanden in Naïn Lk 7,11-17
Verstehensangebote und Deutungshorizonte Die Auferweckung in Naïn bietet vielfältige Anknüpfungspunkte für eine Interpretation. Aus einer kergymatisch-theologischen Position heraus wird die Bedeutsamkeit der Person Jesu ins Zentrum der Auslegung gestellt. Lk 7,11-17 schildert, wie viele andere Wundergeschichten, dass Jesus mit göttlicher Kraft ausgestattet ist und Heilung bringt. Damit zeigt diese Geschichte, dass hier »der allmächtige Herr über den Tod« herrscht (Bovon 2012, 358). Wie wenige andere Wundergeschichten eröffnet Lk 7,11-17 eine christologische Diskussion innerhalb der Exegese. Die doppelte Bezeichnung Jesu als kyrios (7,13) und als großer Prophet (7,16) bietet hierfür genügend Anlass. Wie schon erwähnt, kann mit kyrios sowohl Gott als auch Jesus bezeichnet werden. Ob dies als ein »Titel« im engeren Sinn des Wortes zu betrachten ist und damit zugleich als fest geprägte christologische Bezeichnung gewertet werden sollte, steht zur Debatte. Die Anrede kyrios ist im Sprachraum der damaligen Welt eine höfliche Anrede für Menschen, die Respekt, Autorität und Macht hatten. Einige Exegeten vermuten, dass Lukas die Titulierung kyrios für Jesus in die Erzählung Lk 7,11-17 bewusst eingetragen habe, um den Jubelruf des Volkes, Jesus sei ein »großer Propheten«, zu korrigieren (vgl. z. B. Schürmann 1969, 401). Demzufolge hätten die bei der Heilung Anwesenden »nur die halbe Wahrheit« erkannt (Wolter 2008, 276). Es besteht offensichtlich eine Spannung zwischen der Tatsache, dass Lukas Jesus immer wieder in die prophetische Tradition einordnet und dies durchaus als eine positive Bezugnahme erscheint (Lk 4,24 f.; 9,7 f.; 9,19; 24,19; vgl. auch Apg 3,22; 7,37) und einer exegetischen Bewertung, die die Bezeichnung Jesu als Propheten für ein eher unvollständiges Bekenntnis halten (so auch Nebe 1989, 81.110). Für die eigene Auseinandersetzung mit Lk 7,11-17 ist gerade auf diesem Hintergrund der weitere Kontext der Erzählung wegweisend, denn es folgt ja in Lk 7,18-23 die Frage der Johannesjünger, wer Jesus sei. Die Antwort Jesu ist keine Definition seiner Person, sondern ein Verweis auf das, was an Heilwerden geschieht (Lk 7,22; vgl. Jes 29,18; 35,5.6). Damit lenkt Jesus den Blick auf die messianische Praxis, die da lebendig wird, wo Menschen geheilt, aufgerichtet werden und selbst die frohe Botschaft weitertragen (vgl. Schottroff 2009, 30). Das Lob der Menschen in V. 16: »Ein großer Prophet ist unter uns auferstanden und Gott hat sein Volk besucht« verknüpft den Jubel über das Kommen Jesu mit der Erfahrung des Heilwerdens des Volkes. Beide Aspekte verbinden sich in dem »Wort über ihn« (V. 17). Damit regt die Erzählung dazu an, ein christologisches Konzept zu entwerfen, das die Heilungserfahrungen des Volkes einschließt. Nicht allein aus einem feministisch theologischen Interesse heraus kann die Auferweckung in Naïn aus der Perspektive der Witwe als Frauengeschichte gelesen werden, denn das Schicksal dieser Frau steht im Fokus der Erzählung. Die verzweifelte Lage der Witwe ist Anlass für das heilende Handeln Jesu. Sie ist es, die Jesu Aufmerksamkeit erregt; ihr Schicksal erweckt sein Mitleid; ihr gibt er ihren Sohn lebendig zurück. Deshalb plädiert Beate Wehn dafür, die Erfahrung der Frau ins Zentrum der Auslegung zu stellen und in ihren »getrockneten Tränen« die Nähe Gottes zu erkennen (Wehn 1999, 73). Es ist diskutiert worden, ob das Lukasevangelium insgesamt als besonders frauenfreundlich zu bewerten sei, da es von allen Evangelien die meisten Frauengeschichten enthält, von denen viele, wie Lk 7,11-17, lukanisches Sondergut sind (Lk 1,39-56; 7,36-50; 10,38-42; 13,10-17; vgl. Petzke 1990, 254; Seim 1994, 250). Auch die Jüngerinnen werden früh im Evangelium namentlich genannt (Lk 8,1-3). Das Lukasevangelium bietet von allen Evan579
Die Wundererzählungen im Lukasevangelium
gelien nicht nur die meisten Frauengeschichten, sondern erwähnt auch am häufigsten Frauen, die Witwen sind (Lk 2,36-38; 4,25-26; 7,11-17; 18,1-8; 20,47; 21,2-4). Von 26 Belegen für das griechische Wort cffira (che¯ra – Witwe) innerhalb des Neuen Testamentes befinden sich allein 20 im lukanischen Doppelwerk (vgl. Standhartinger 2007, 145 f.). Witwen erscheinen bei Lukas oft als Frauen, die eine besondere Gottesbeziehung haben, wie z. B. die hochbetagte Hanna, eine prophetisch begabte Frau (Lk 2,36-38), die mit »Fasten und Beten« Gott dient und jubelt, als Jesus von seinen Eltern in den Tempel getragen wird. Jesus selbst wird das Almosengeben einer Witwe als vorbildlich herausheben (Lk 21,2-4) und in einem seiner Gleichnisse die Ausdauer und Hartnäckigkeit einer Witwe als nachahmenswert darstellen (Lk 18,1-8). Witwen haben in der Vergangenheit die Zuwendung Gottes erfahren (Lk 4,25-26) und benötigen diese auch als Schutz gegenüber denen, die ihre materielle Grundlage bedrohen (Lk 20,47). Mit diesen Erwähnungen von Witwen, ihrer Frömmigkeit, ihrer prophetischen Begabung, ihrer spirituellen Kraft, ihrer Bereitschaft, von ihrem Wenigen abzugeben, ihrer Widerstandskraft, ihrer Rechtlosigkeit und ihrer wirtschaftlich bedrohlichen Lage erlaubt das Lukasevangelium einen eindrücklichen Blick auf die Lebenssituation von Witwen in der damaligen Zeit. Sutter Rehmann spannt den Verstehenshorizont weiter. Wird die Hebräische Bibel als Referenzrahmen für Lk 7,11-17 wahrgenommen, dann geht es um mehr als um das individuelle Schicksal einer Person. »Es ist kein Einzelschicksal eines speziellen Individuums, das hier erzählt wird, sondern ein exemplarisches Schicksal, in dem jahrhundertealtes Weinen und Entbehren sichtbar werden« (Sutter Rehmann, unveröffentlicht). Die weinende, klagende Frau, die ihre Kinder verloren hat, ist mit der Gestalt der Mutter Zion zu vergleichen, der Stadt Gottes, die wie eine Witwe trauert und um ihre getöteten Kinder weint (Klgl 1,1.16). Lk 7,11-17 lebt von der »oszillierenden Mitlektüre der LXX«, so Sutter Rehmann, denn wie in der Hebräischen Bibel die verwaiste Mutter Zion getröstet (Jes 40,1-2) wird, so wird die Witwe in Naïn getröstet. »Die Gottheit Israels (kyrios) kommt zu ihrem Volk, sie kommt durch ihre Propheten, sie kommt in ihren Kindern und Dienern zu den Armen Israels« (merkte Sutter Rehmann an, unveröffentlicht). Auch im vierten Esrabuch erscheint das Leid des jüdischen Volkes in der Vision einer Frau, die um das Leben ihres Sohnes weint (Sutter Rehmann 1998, 453). So gelesen wird Lk 7,11-17 durchlässig für das rettende Handeln Gottes an seinem Volk, und der Kommentarsatz, dass »Gott sein Volk besucht hat« (V. 16b), erscheint in einem weiteren Horizont. Eugen Drewermann bietet mit seiner tiefenpsychologischen Auslegungsweise eine ganz eigene Deutungsvariante zu Lk 1,11-17 an. Obwohl ihm die ökonomische Gefährdung von Witwen bewusst ist, stellt er seiner Deutung ein Fallbeispiel einer schwer depressiven Frau voran, die sich nach einer Scheidung an ihr einziges Kind klammert und diesem jegliche Möglichkeit zu einem eigenständigen Leben nimmt, ja es bis in den Suizid treibt. Die unerbittliche Liebe der Mutter wird zur »Todeskammer« (Drewermann 2009, 487). Unter diesem Druck, so Drewermann, entwickele der Sohn einen »deutlich spürbaren Selbsthaß«, »geheime Selbstverachtung« und »Selbstzerstörungstendenzen« (Drewermann 2009, 490). Folgerichtig gibt Drewermann Lk 7,11-17 die Überschrift: »Erdrückt von der eigenen Mutter«. Dieses tödliche Beziehungsdrama sieht Drewermann durch das Handeln Jesu aufgelöst, indem dieser zunächst das Weinen der Mutter und damit ihre Trauerattacken gegenüber ihrem Sohn beendet (V. 13: Weine nicht!) und da580
Auferstanden in Naïn Lk 7,11-17
nach den jungen Mann in ein eigenständiges Leben erweckt (V. 14: Steh auf!). In der neutestamentlichen Geschichte gibt Jesus den Sohn seiner Mutter unmittelbar nach der Heilung zurück (V. 15). In der Realität einer von Drewermann entworfenen Konfliktbeziehung wäre zunächst eine Therapie oder Trennung nötig, um ein eventuelles Zusammenleben erneut zu ermöglichen. Drewermann verlässt mit seinem tiefenpsychologischen Deutungsansatz den Bezug zum historischen Kontext von Lk 7,11-17. Ob seine Auslegung hilfreich für die Lösung von möglichen Konflikten zwischen einem Jugendlichen und einer alleinstehenden Mutter ist, muss im Einzelfall geprüft werden. Eine Auslegung von Lk 7,11-17 wird auch das Auferstehungsvokabular in V. 14-16 in die Interpretation einbeziehen. Wie oben erwähnt, wird der junge Mann zum Auf-erstehen gerufen (V. 14) und das vom Gotteslob erfüllte Volk jubelt, ein großer Prophet sei »auf-er-standen« (V. 16). Neben Jesus und der Mutter rückt nicht nur der auferweckte Sohn ins Blickfeld, sondern ebenso das ganze Volk, das in der Heilung des jungen Mannes weit mehr als ein individuelles Gesundwerden erkennt. In und durch Jesus wird Gottes heilende und aufrichtende Kraft für das ganze Volk greifbar und nahe. Diese Gewissheit wird nach Judäa und ins ganze Umland weitergetragen. Die Wundergeschichte kann so als eine multidimensionale und facettenreiche Auferstehungsgeschichte gelesen werden. Sie sendet auf mehreren Ebenen gleichzeitig (vgl. Metternich 2006). Das Auf-er-stehen des Einen wird zum Aufstehen aller, die dieses Geschehen miterleben. Das Wirken Jesu auf dem Hintergrund der prophetisch-messianischen Verheißung der biblischen Schriften zu verstehen (vgl. z. B. Dtn 18,15) bindet Lk 7,11-17 ein in die sehnsuchtsvoll erwartete Befreiung des ganzen Volkes von Armut, Hunger und Unterdrückung (vgl. Jes 35, Ps 126). Die Weitergabe der Erzählung will Leser(innen) zum eigenen Jubel und Auferstehen ermutigen und wird so zum Evangelium, zur frohen Botschaft.
Aspekte der Parallelüberlieferung und Wirkungsgeschichte Obwohl sich für Lk 7,11-17 keine direkten Parallelüberlieferungen im Neuen Testament finden, kann diskutiert werden, ob der Verfasser des Lukasevangeliums die Heilung des Sohnes der Witwe von Naïn in bewusst gewählter Parallelität und Doppelstruktur der Heilung eines Knechtes des Hauptmanns von Kafarnaum folgen lässt (Lk 7,1-10), wie z. B. Drewermann es vermutet (Drewermann 2009, 479). In der exegetischen Literatur werden allerdings weitaus häufiger die Ähnlichkeiten zwischen Lk 7,11-17 und der Auferweckung der Tochter des Jaïrus herausgestellt (Lk 8,40-42.49-56) (vgl. Weissenrieder 2003, 293). In Lk 8,41 wird Jesus zwar gebeten, in das Haus des Jaïrus zu kommen, anders als in Naïn, wo die Begegnung zufällig zu Stande kam. Dennoch sind die Überschneidungen frappant: In beiden Fällen handelt es sich um das einzige Kind (Lk 8,42), Jesus fordert die Anwesenden auf, nicht mehr zu weinen (Lk 8,52), und das verstorbenen Mädchen, sich zu erheben. Auch hier begegnet wieder das griechische Verb ¥gefflrw (egeiro), das die Bedeutungsbreite von aufstehen und auferstehen beinhaltet (s. o.). Die Auferweckung zu Naïn ist sicherlich nicht so oft wie andere biblische Geschichten künstlerisch dargestellt worden. Es findet sich allerdings eine Darstellung des Jünglings, der aus den Tüchern gewickelt wird, an einem römischen Friessarkophag (um 400 n. Chr. Bildfund: Schwab 2003, 780). Im 17. Jh. wurde die Auferweckung in Naïn einige Male künstlerisch aufgegriffen. So stellten der italienische Maler Giovanni Antonio 581
Die Wundererzählungen im Lukasevangelium
Pellegrini (1675-1741) und der Barockmaler Martino Altomonte (1659-1745) Jesus und den sich gerade erhebenden Jüngling ins Zentrum eines ihrer Bilder. Anders dagegen ist das Bild von David Teniers d. J. (1610-1690) gestaltet, das er dem Renaissancemaler Paolo Veronese (1528-1588) nachgezeichnet hat. Hier kniet vor Jesus und den Jüngern im Zentrum des Bildes eine in helle Gewänder gekleidete schöne junge Frau, deren Anblick nicht an eine klagende Witwe denken lässt. Der sich aufsetzende Jüngling verschwindet fast am linken Bildrand. In neuerer Zeit (1986) hat der Bildhauer Hans Brockhage sich des Themas angenommen und eine moderne Plastik aus Eichenholz geschaffen, die einen liegenden Körper andeutet. (Alle Bilder sind im Internet abrufbar.) Um 1829 wurde der »Jüngling von Naïn« von Carl Grüneisen als Oratorium inszeniert und von Peter Joseph von Lindpainter musikalisch ausgestaltet. Dieses kleine Werk befindet sich in der Librettosammlung der Bayrischen Staatsbibliothek und ist digital erschlossen. Lk 7,11-17 wird in diesem Oratorium als Hoffnung für die Auferstehung der Toten besungen (S. 7): Jüngling, steh auf! Ich sag’ es Dir. O Wort voll Trost und Segen! O Wort voll Kraft! So ruft auch mir Mein Heiland einst entgegen. Und aus des Grabes finstrer Macht Geh’n wir lobpreisend dann zum Licht, Und neue, sel’ge Zukunft lacht Aus des Erlösers Angesichte.
Ulrike Metternich Literatur zum Weiterlesen U. Metternich, Aufstehen und Heilsein – Die Entdeckung der dynamis, BiKi 2 (2006), 67-72. W. Schottroff, Die Armut der Witwen, in: F. Crüsemann/R. Kessler (Hg.), Gerechtigkeit lernen. Beiträge zur biblischen Sozialgeschichte, Gütersloh 1999, 134-164. A. Standhartinger, Witwen im Neuen Testament, in: A. M. v. Hauff (Hg.), Frauen gestalten Diakonie, Bd. 1: Von der biblischen Zeit bis zum Pietismus, Stuttgart 2007, 141-154. L. Sutter Rehmann, Erinnert euch an die Frau Lots! Relecture der Hebräischen Bibel in den Evangelien als synthethisch-kritisches Projekt, unveröffentlicht. B. Wehn, Getrocknete Tränen einer Witwe – Zeichen der Nähe Gottes. Evangelium nach Lukas 7,11-16, in: C. Janssen/B. Wehn (Hg.), Wie Freiheit entsteht. Sozialgeschichtliche Bibelauslegungen, Gütersloh 1999, 73-79. J. Zangenberg, Bestattungssitten und Gräber in Palästina zur Zeit Jesu, in: J. Schefzyk/W. Zwickel (Hg.), Judäa und Jerusalem – Leben in römischer Zeit, Stuttgart 2010, 122-125.
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Im Stress Wunder wirken (Die Heilung der blutenden Frau und die Auferweckung der Tochter des Jaïrus) Lk 8,40-56
(40) Als aber Jesus zurückkehrte, nahm ihn die Menge freundlich auf; denn alle waren ihn erwartend. (41) Und siehe, es kam ein Mann, dem der Name Jaïrus war, und dieser war ein Vorsteher der Synagoge, und fallend zu den Füßen Jesu bat er ihn, in sein Haus hineinzukommen, (42) weil er eine einzige Tochter von etwa zwölf Jahren hatte und sie im Sterben lag. Während er aber hinging, erdrückten ihn die Volksmengen fast. (43) Und eine Frau seiend im Fluss des Blutes seit zwölf Jahren, welche für Ärzte den ganzen Lebensunterhalt verbrauchte (und) nicht von irgendjemandem geheilt werden konnte, (44) hinkommend von hinten berührte den Saum seines Gewandes, und sogleich blieb der Fluss ihres Blutes stehen. (45) Und Jesus sagte: »Wer ist der mich Berührende?« Weil aber alle es abstritten, sagte Petrus: »Meister, die Mengen umringen dich und drängen.« (46) Jesus aber sagte: »Jemand hat mich berührt, denn ich habe eine von mir ausgehende Kraft gespürt.« (47) Die Frau aber sehend, dass sie nicht verborgen blieb, kam zitternd und niederfallend vor ihm. Sie erzählte vor dem ganzen Volk, aus welchem Grund sie ihn berührt hatte und wie sie sogleich geheilt worden war. (48) Er aber sagte zu ihr: »Tochter, dein Glaube hat dich gerettet; gehe in Frieden!« (49) Noch als er redete, kommt einer vom Synagogenvorsteher sagend: »Deine Tochter ist gestorben; bemühe den Lehrer nicht weiter!« (50) Jesus aber, hörend es, antwortete ihm: »Fürchte dich nicht, glaube nur, und sie wird gerettet werden!«
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Die Wundererzählungen im Lukasevangelium
(51) Kommend aber in das Haus, ließ er niemanden mit ihm hineingehen außer Petrus und Johannes und Jakobus und den Vater des Mädchens und die Mutter. (52) Alle aber weinten und betrauerten es. Er aber sagte: »Weint nicht mehr, denn es ist nicht gestorben, sondern schläft!« (53) Aber sie lachten ihn aus wissend, dass es starb. (54) Er aber ergreifend seine Hand, rief sagend: »Mädchen, steh auf!« (55) Und sein Geist kehrte zurück, und sogleich stand es auf, und er ordnete an, man solle ihm zu essen geben. (56) Und seine Eltern entsetzten sich. Er aber gebot ihnen, niemandem das Geschehene zu sagen.
Sprachlich-narratologische Analyse Die Heilung der blutenden Frau und die Auferweckung der Tochter des Jaïrus (Lk 8,4056) gehören zu den Wundern, die das öffentliche Wirken Jesu von Anfang an bereits in Galiläa und seiner Umgebung charakterisieren (Lk 4,14-9,50). Unmittelbar zuvor berichtet Lukas noch von zwei anderen Wundern Jesu, nämlich von der Stillung des Seesturms (Lk 8,22-25) und von der Heilung des Besessenen im Land der Gerasener (Lk 8,26-39). Die Zeitangabe »an einem der Tage« (Lk 8,22), die diesen vier Wundern Jesu vorausgeht, macht es möglich, dass sich diese Wundersequenz an demselben Tag bzw. in einer zusammenhängenden Zeitspanne ereignet. In dieser Sequenz kommen vier verschiedene Arten der Wundertätigkeit Jesu vor: (1) Naturwunder (Lk 8,22-25), (2) Dämonenaustreibung (Lk 8,26-39), (3) Heilung (Lk 8,43-48) und (4) Auferweckung (Lk 8,40-42.49-56). In der Auferweckung zeigt sich eine qualitative Steigerung der Wundertätigkeit Jesu. Lk 8,40-56 beinhaltet zwei Wunder Jesu und zugleich zwei »rettende« Begegnungen Jesu mit Frauen. Die Erzählungen sind ineinander verschachtelt. So lässt sich Lk 8,40-56 in drei Teile gliedern: 1. Teil (A): Lk 8,40-42 Jesus und der für seine Tochter bittende Jaïrus 2. Teil (B): Lk 8,43-48 Jesus und die blutende Frau (Heilung) 3. Teil (A’): Lk 8,49-56 Jesus und die Tochter des Jaïrus (Auferweckung)
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Der 1. Teil (A): Jesus und der für seine Tochter bittende Jaïrus in Lk 8,40-42 Nach der Rückfahrt über den See aus dem Land der Gerasener wird Jesus von allen erwartet und von der Volksmenge freundlich empfangen (V. 40). Das wird nur bei Lukas besonders akzentuiert. Nach dem weiten Blick auf die Empfangssituation fokussiert der erste Teil der Erzählung eine bestimmte Begegnung mit Jesus (V. 41 f.). Dabei wird eine neue Person, ihre Initiative und ihr Anliegen an Jesus nur mit einem Satz eingeführt. Diese Person ist der Synagogenvorsteher Jaïrus. Der gräzisierte hebräische Name Jaïrus bedeutet »Gott möge erleuchten« (vgl. Num 32,41; Dtn 3,14; Jos 13,30) oder »Gott möge erwecken« (vgl. 1Chr 20,5) (vgl. Wolter 2008, 325). Er, ein Synagogenvorsteher und damit eine religiöse Autorität, fällt öffentlich vor den Augen der versammelten Volksmenge zu den Füßen Jesu und bittet ihn, in sein Haus hineinzukommen. Noch in demselben Satz folgt die Begründung seiner Bitte. Denn seine »einzige«, »zwölfjährige« Tochter liegt im Sterben (vgl. Lk 9,38: der »einzige« Sohn einer Mutter, der Witwe von Naïn). In ihrem Alter ereignet sich normalerweise der Übergang vom Mädchen zu Frau. Sie befindet sich dagegen im Sterben. Das Verhalten des Jaïrus zeigt, dass er stellvertretend für seine Tochter zu Jesus kommt und sich von ihm die Möglichkeit der Rettung aus der akuten Lebensgefahr erhofft. Der Text erzählt nicht, was Jaïrus bisher von Jesus erfahren hat. Die Tatsache, dass sich eine religiöse Autorität in der Öffentlichkeit an Jesus wendet und von ihm Hilfe und Rettung erwartet, hebt die Autorität und die Vollmacht Jesu hervor. Das inständige »Bitten« (parakalffw parakaleo¯ im Imperfekt!) des Jaïrus bewegt Jesus. Ohne Worte macht er sich mit ihm auf den Weg (V. 42). Beim Gehen wird er durch die Volksmenge gehindert. Wie in V. 40 kommt auch hier die Gesamtsituation in den Blick. Wie dort alle auf ihn warten, wird er hier von vielen fast erdrückt. Dieses Beispiel zeigt, wie das Wirken Jesu in der Öffentlichkeit großes Interesse auslöst. Gleichzeitig ist er dadurch in der Öffentlichkeit fast ununterbrochen mit »Stresssituationen« konfrontiert. Die Leser(innen) interessiert hier, wie Jesus mit solchen Situationen umgeht und welche Prioritäten er in seinen Reaktionen (Worten und Taten) setzt.
Der 2. Teil (B): Die heilende Begegnung Jesu mit der blutenden Frau auf dem Weg zur Tochter des Jaïrus in Lk 8,43-48 Mit V. 43 wird der Blick von der Menge auf eine bisher unbekannte Person und ihre Beziehung zu Jesus gelenkt. Verdichtet – nur in einem einzigen Satz – werden sowohl die Person, ihre Handlung und sogar die anschließende Heilung dargestellt. Diese Person steht in einem gewissen Kontrast zu Jaïrus: Sie ist eine Frau, ihr Name wird nicht angegeben. Ihre Leidensgeschichte scheint aussichtslos zu sein: Sie leidet seit zwölf Jahren unter Blutungen und bereits so lange sucht sie vergeblich Hilfe bei Ärzten, obwohl sie für ihre Heilung ihr ganzes Vermögen, aber auch sich selbst und ihr Leben riskiert (vgl. Trummer 1991, 104). Die Zeitdauer von »zwölf Jahren« verbindet die blutende Frau mit der zwölfjährigen im Sterben liegenden Tochter des Jaïrus. Trotz der zwölfjährigen Misserfolge verliert sie die Hoffnung auf die Heilung nicht. Diese sucht sie nun bei Jesus. Sie selbst ergreift die Initiative und kommt (anders als Jaïrus) von hinten durch die Menge zu ihm und berührt den Saum seines Gewandes (V. 44). Noch in demselben Satz erwähnt Lukas, dass der Fluss ihres Blutes sofort stehen bleibt. Weder ein Wort noch ein Augen585
Die Wundererzählungen im Lukasevangelium
kontakt zwischen Jesus und der Frau noch das Niederfallen vor Jesus gehen dieser Berührung wie auch der Heilung voraus. Der Kontrast zwischen der zwölfjahrelangen Krankheitssituation und der sofortigen Heilung nach der Berührung des Saums des Gewandes Jesu ist an dieser Stelle besonders auffällig. Jesus reagiert sofort und fragt, wer ihn berührt hat (V. 45). Innerhalb dieser Erzählung sind das die ersten Worte Jesu. Die Frage Jesu ist für die Anwesenden unverständlich. So sagt Petrus: »Meister, die Mengen umringen dich und drängen« (V. 45). Die Antwort Jesu zeigt jedoch, dass er diese eine Berührung von vielen anderen deutlich unterscheidet. Nicht mehr in Form einer Frage, sondern einer Feststellung unterstreicht er, dass ihn jemand berührt hat. Er bringt auch den Beweis: »Jemand hat mich berührt, denn ich habe eine von mir ausgehende Kraft gespürt« (V. 46). Das Wahrnehmen Jesu wird auch durch das Personalpronomen »ich« (¥gð ego¯) hervorgehoben. Die Berührung der Frau löst die »Kraft« (dÐnami@ dynamis) in Jesus aus. Durch ihre Berührung entsteht zwischen der blutenden Frau und Jesus eine gegenseitige Beziehung, die nur sie wahrnehmen. Die Gegenseitigkeit dieser Beziehung besteht auch bezüglich der Aktivität. Zuerst ist die Frau aktiv, indem sie den Saum seines Gewandes »berührt« (¿ptw hapto¯). Anschließend wird Jesus bzw. die von ihm ausgehende »Kraft« an der Frau aktiv. Die Frau wird geheilt. Ihre Heilung wird jedoch von anderen Menschen noch nicht wahrgenommen. Die unmittelbare Reaktion der Frau wird in V. 47 mit fünf Verben – mit drei Partizipien (»sehend«, »zitternd« und »niederfallend«) und zwei finiten Verben (»kommen« und »erzählen«) – dargestellt: Sie sieht, dass sie nicht verborgen bleibt. Sie kommt zitternd und niederfallend vor Jesus. Diesmal kommt sie nicht mehr von hinten, sondern wie vorher Jaïrus begegnet sie nun Jesus von vorne. Sie bricht aus der Menge aus, kommt zu Jesus und fällt vor ihm nieder. So bringt sie ihre hohe Wertschätzung seiner Person gegenüber zum Ausdruck. Anschließend erzählt sie »vor dem ganzen Volk« (nur bei Lukas), aus welchem Grund sie Jesus berührt hat und wie sie sogleich geheilt worden ist. Dadurch ist sie nicht nur eine von Jesus geheilte Person, sondern auch seine Zeugin und Verkünderin. Ihre Heilung wird nun der Öffentlichkeit bekannt. In V. 48 kommt es noch zu einer Steigerung. Jesus spricht die Frau vor dem ganzen Volk als »Tochter« (qug€thr thygate¯r) an. Dadurch integriert er sie wieder in die Gesellschaft (vgl. Kollmann, Krankheitsbilder in diesem Band). Die vorher am Rand lebende namenlose Frau wird nun öffentlich als »Tochter« von Jesus anerkannt. Jesus würdigt sie und nennt ihren »Glauben« (pfflsti@ pistis) – und nicht seine eigene Kraft – als entscheidenden Grund ihrer Rettung: »Dein Glaube hat dich gerettet«. Durch diese Worte lenkt Jesus auch die Aufmerksamkeit der Leser/innen in die Tiefe des Geschehens. Nicht das Berühren allein löst die Heilung aus, sondern der Glaube der Frau. Ihr Vertrauen auf Jesus, von dem ihre Berührung getragen ist, hat sie gerettet. Es fällt auf, dass Jesus von der »Rettung« (das Verb s†ðzw so¯zo¯) der Frau und nicht von ihrer Heilung spricht. Er entlässt die Frau mit einem Imperativsatz: »Gehe in Frieden!« (V. 48). Dadurch wünscht er ihr den »Frieden« (e§rffinh eire¯ne¯) im Sinn vom hebr. Wort »Frieden« (wylU5 sˇa¯lôm), das der ganzheitliche Heilsbegriff schlechthin ist.
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Im Stress Wunder wirken Lk 8,40-56
Der 3. Teil (A’): Die zum Leben auferweckende Begegnung Jesu mit der Tochter des Jaïrus in Lk 8,49-56 Während Jesus noch mit der geheilten Frau redet, wird der Blick der Leser/innen wieder zur Notsituation des Synagogenvorstehers Jaïrus gelenkt. Denn diese verschärft sich inzwischen dramatisch. Einer seiner Leute »kommt« (historisches Präsens), vermittelt ihm die traurige Meldung und die daraus folgende Aufforderung: »Deine Tochter ist gestorben, bemühe den Lehrer nicht weiter!« (V. 49). Noch bevor Jaïrus darauf reagiert, »antwortet« ihm Jesus mit einer anderen Aufforderung und einer Zusage: »Fürchte dich nicht, glaube nur, und sie wird gerettet werden!« (V. 50). Jaïrus wird von Jesus »nur« / »allein« / »einzig« (mnon monon) zum »Glauben« (das Verb pisteÐw pisteuo¯) aufgefordert. Die Zusage, die Jaïrus bekommt, enthält das Verb »retten« (s†ðzw so¯zo¯). Der Zusammenhang von Glaube und Rettung ist den Leserinnen und Lesern bereits aus der vorausgehenden Heilung von der blutenden Frau bekannt. Für Jaïrus ist diese Antwort Jesu noch eine große Herausforderung, nämlich in seiner dramatischen Situation zu glauben und sich auf die hoffnungsvollen Worte Jesu einzulassen. Ob Jaïrus sofort glaubend die Zusage Jesu annimmt, berichtet der Text nicht. Jedenfalls setzt er den Weg mit Jesus fort. Jesus kommt in dessen Haus und lässt nur drei seiner Jünger und die Eltern des Kindes mit ihm hineingehen (V. 51). Hier wird die Souveränität und die Autorität Jesu unterstrichen: Er bestimmt, wer mit ihm in das Haus bzw. zur Tochter des Jaïrus hineingehen darf. Auffällig ist, dass hier nicht mehr von Jaïrus als Synagogenvorsteher die Rede ist, sondern von Jaïrus als Vater des Kindes. Es werden auch beide Elternteile, der Vater und die Mutter, erwähnt. In der Absonderung der Kleingruppe kann man eine Parallelität zur Intimität Jesu mit der blutenden Frau sehen. Die öffentliche Situation wird jeweils narrativ auf eine intime Zweierbeziehung bzw. Kleingruppe reduziert. Lukas hebt hervor, dass »alle« um die Verstorbene weinen und trauern. Jesus fordert sie auf, nicht mehr zu weinen, mit der Begründung: »Denn es [das Mädchen] ist nicht gestorben, sondern schläft« (V. 52). Aufgrund dieser Worte wird er von den Anwesenden ausgelacht. Er lässt sich nicht entmutigen. Er ergreift die Hand der Verstorbenen und ruft: »Mädchen, steh auf!« (V. 54). Die Verben »ergreifen« (kratffw krateo¯) und »aufstehen« (¥gefflrw egeiro¯) können symbolisch als Hinweise auf die bevorstehende Auferweckung des Mädchens verstanden werden. Die Verstorbene wird von Jesus direkt angeprochen (Vokativ »Mädchen« – pa…@ he¯ païs). Die Worte Jesu gehen sofort in Erfüllung. Dabei legt Lukas einen besonderen Akzent auf die Beschreibug der Auferweckung. Denn nur er erwähnt, dass der »Geist« (pne‰ma pneuma) des Mädchens zurückkehrt (V. 55). Sogleich »steht« es »auf« (hier das Verbum ⁄nfflsthmi aniste¯mi). Das Erste, was Jesus nach diesem Wunder anordnet, ist, dass man dem Mädchen zu essen geben soll. Die Eltern, vor deren Augen das Wunder geschieht, entsetzen sich. Sie reagieren ähnlich wie die von Jesus geheilte Frau. So erzählt die Bibel auch sonst von Menschen, die die Nähe des lebendigen Gottes erfahren. Die Erzählung endet mit einem Schweigegebot, das Jesus den Anwesenden erteilt (V. 56). Das ist die letzte von insgesamt sechs Aufforderungen Jesu in Lk 8,49-56, die auch seine Souveränität und Autorität zeigen.
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Die Wundererzählungen im Lukasevangelium
Sozial- und realgeschichtlicher Kontext Im Zusammenhang mit der blutenden Frau ist das Krankheitsbild des »Blutflusses« wie auch seine sozialen Auswirkungen auf die betroffene Person zu thematisieren. Zum Krankheitsbild des »Blutflusses« ( «Ðsi@ to‰ a´mato@ he¯ rhysis tou haimatos) finden sich bereits in antiken medizinischen Texten (z. B. der Hippokratiker, Soranus, Caelius Aurelianus, Plinius) unterschiedliche Deutungen. Hauptsächlich werden vier Erklärungsmuster erwähnt: »(1) Blutfluss als Folge des Aufbrechens der Venen … (2) Blutfluss als Folge von Verletzung, Zersetzung und Aufreißen des Gewebes … (3) Blutfluss als Folge einer heftigen Bewegung in der Schwangerschaft … (4) Blutfluss im Zusammenhang mit regulärem weiblichen Blutfluss« (Weissenrieder 2002, 78 f.). Auch die heutige Medizin kommt zum Ergebnis, dass bei einer chronischen Dauerblutung, so genannte Metrorrhagie, verschiedene Krankheiten vorliegen können, wie z. B. Polypen-, Myomoder Karzinombildungen. Weiter kann eine solche Blutung psychosomatisch durch endokrine Störungen ausgelöst werden; es geht um »dysfunktionelle uterine Blutung (DUB)« (Schiffer 2001, 194). Die Nicht-Kohärenz zwischen biologischem und sozialem Geschlecht und damit die Identitätskrise spielt dabei eine wichtige Rolle. Bezüglich der Behandlung des »Blutflusses« bzw. der chronischen Dauerblutung ist zu erwähnen, dass diese zur Zeit Jesu hauptsächlich vermögenden Frauen möglich war, jedoch ohne Garantie auf die Heilung; denn immer wieder und v. a. »bei einer organisch bedingten Dauerblutung wird aber auch die beste damalige Behandlungsmethode keine Hilfe gebracht haben« (Metternich 2000, 191 f.). Die chronischen Blutungen, die bereits mehrere Jahre vorkommen, können zu einer Abschwächung und sogar zum Tod der betroffenen Person führen. Nach zwölf Jahren dieser Krankheitsbelastung muss sich die Frau in Lk 8,43-48 körperlich dem Tode nahe befinden. Sie ist im Alltag mit dieser Situation durch und durch belastet und eingeschränkt. »Die inneren Belastungen werden durch äußere verstärkt und sichtbar gemacht: Die hygienischen Möglichkeiten waren zur damaligen Zeit eingeschränkt, so dass die Charakteristika des Blutes die Krankheit auffallen ließen: die rote Farbe, das Fließen und Tropfen, der Geruch, das Verkleben und Eintrocknen, die Flecken« (Rofner 2004, 26). Durch ihre auch für die Umgebung belastende Krankheit wird sie von Menschen gemieden und dadurch aus der Öffentlichkeit immer mehr ausgeschlossen. Diese soziologische Tendenz wird zusätzlich durch die traditions- und religionsgeschichtlichen Faktoren verstärkt. In der Charakterisierung der Tochter des Jaïrus ist ihr Alter nicht nur anthropologisch, sondern auch sozialgeschichtlich interessant. Das talmudische Eherecht kennt: das minderjährige Mädchen (bis 12 Jahre), das »mündige« Mädchen (12-12 ½ Jahre) und das »volljährige« Mädchen (mindestens 12 ½ Jahre und ein Tag) (ausführlicher dazu s. Zimmermann 2001, 240 f.).
Traditions- und religionsgeschichtlicher Hintergrund Bezüglich der Blutungen bzw. des »Blutflusses« der Frau sind traditions- und religionsgeschichtlich die Bestimmungen für die Frau in Lev 15,19-30 zu berücksichtigen. Auch die sprachliche Analyse bestätigt den Verweis auf Lev, denn der Begriff »Blutfluss« («Ðsi@ to‰ a´mato@ rhysis tou haimatos) kommt nur in Lev 15,(19).25; 20,18LXX und innerhalb 588
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des Neuen Testaments nur in der hier behandelten Erzählung (Lk 8,43-48 par.) vor. In Lev 15 handelt es sich um die Reinheitsthematik. Denn die Reinheit wird für die Begegnung mit Gott, dem Heiligen, vorausgesetzt. Weiter schützt sie die gesellschaftliche Ordnung und bewahrt die Identität Israels in Zeiten der Diaspora. »Besonderen Reinheitsvorschriften (Lev 11-15) unterliegen alle zentralen Lebensvollzüge des Menschen, da sie durch Verunreinigungen (Blutfluss, Körperausfluss, Berührung einer Leiche) gefährdet sind« (Seidl 1999, 1011). Der Ausfluss des Blutes wird dem Bereich der Unreinheit zugeordnet. Demgegenüber gilt das Blut selbst (aber nicht sein Ausfluss!) im Judentum als Sitz des Lebens (Lev 17,11) und ist deswegen heilig. Sowohl durch reguläre Menstruationsblutungen (Lev 15,19-24) als auch durch anormale Blutungen (Lev 15,25-27) wird eine Frau auch kultisch unrein bzw. kultunfähig (vgl. Radl 2003, 567 f.; Erbele-Küster 2010, 347-374). Da die Frau in Lk 8,43-48 unter anormalen Blutungen leidet, gilt sie nach Lev 15,25-27 als unrein und sie überträgt die Unreinheit weiter. Eine Wiedererlangung der Reinheit ist möglich, aber erst wenn die Blutungen aufhören und die Reinheitsbestimmungen befolgt werden. Bei der Frau in Lk 8,43-48 hören die Blutungen jedoch bereits zwölf Jahre nicht auf. Dadurch gilt sie schon zwölf Jahre als unrein. Sie darf das Heiligtum nicht betreten und ist vom Kult ausgeschlossen. Sie wird aus dem öffentlichen wie auch aus dem religiösen Leben ausgegrenzt. Diesem traditions- und religionsgeschichtlichen Hintergrund wird in Lk 8,43-48 innovativ begegnet. Weder wird die Frau als »unrein« bezeichnet noch nimmt Jesus Rücksicht auf die Reinheitsvorschriften. Nicht die Unreinheit, sondern die sofortige Heilung der Frau wird festgestellt. Jesus spricht sie als »Tochter« an und würdigt ihren Glauben: »Tochter, dein Glaube hat dich gerettet; gehe in Frieden!« (Lk 8,48). Statt Ausgrenzung (durch Unreinheit) betont Jesus den rettenden Glauben der Frau und ihre Integration durch die Zulassung der Berührung und die intime Familienmetapher. Sie kann nun als Geheilte in Frieden gehen und wieder leben. Die Option Jesu gilt den Menschen, besonders Kranken, Ausgegrenzten und Notleidenden. Er distanziert sich von religiösen Traditionen und Bestimmungen, wenn sie die Menschen mehr unterdrücken als befreien. Auf diese Weise können die Menschen durch ihn Heil und Rettung erfahren, auch dort, wo sie nicht mehr zu erwarten sind. Die Auferweckung der Tochter des Jaïrus (Lk 8,40-42.49 f.) kann den Auferweckungserzählungen, in denen der Wundertäter zur verstorbenen Person gerufen wird, zugeordnet werden (vgl. Radl 2003, 563; Wolter 2008, 324). Zu dieser Gattung gehören auch folgende biblische Erzählungen: die Auferweckung des Sohnes einer Witwe in Sarepta durch Elija (1Kön 17,17-24), die Auferweckung des Sohnes der Schunemiterin durch Elischa (2Kön 4,18-37), die Auferweckung des Lazarus durch Jesus (Joh 11,1-44) und die Auferweckung der Tabita durch Petrus (Apg 9,36-42). Für Lk 8,40-42.49 f. sind v. a. Verweise auf 1Kön 17,17-24 bedeutend. Diese Stelle wird bereits innerhalb der für die Sendung Jesu programmatischen Nazaretperikope erwähnt (Lk 4,26), wobei die Tatsache hervorgehoben wird, dass kein Prophet in seiner Heimat anerkannt wird. Wie in Lk 8 wird auch Elija in 1Kön 17 zu einer bereits verstorbenen Person gerufen, und auch dort kommt es zum Auferweckungswunder. Dabei wird in 1Kön 17,22 hervorgehoben, dass das Leben in den Knaben zurückkehrt. Vergleichbar unterstreicht Lukas und nur er die Auferweckung der Tochter des Jaïrus mit der Angabe, dass ihr Geist zurückkehrt (Lk 8,55; vgl. Radl 2003, 572). Anders als beim Auferwe589
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ckungswunder des Elija geht in Lk 8 weder ein so intensiver und mehrfacher körperlicher Kontakt noch ein Gebet dem Wunder voraus, sondern lediglich das Ergreifen der Hand des Mädchens und v. a. das Wort Jesu. Dieses erweist sich als Kraft-/Machtwort, das den lebensspendenden Geist zum Wirken bewegt. Denn unmittelbar auf das Wort Jesu erfolgt das Wunder der Auferweckung. Insgesamt ist die Textkomposition von Lk 8,40-56 (par.), nämlich die Kombination beider Wunderzählungen in Form der Verschachtelung bzw. des Sandwichs, wie auch die damit verbundene Dynamik (von der Heilung zur Auferweckung) und die Verwebung beider Texte, innerbiblisch eine Innovation. Mit Hilfe dieser literarischen Technik wird die Dichte des öffentlichen Wirkens Jesu dargestellt. Dabei zeigt sich, dass er niemanden übersieht (auch wenn die blutende Frau von hinten zu ihm kommt) und sich sogar mehreren leidenden Menschen gleichzeitig persönlich widmet.
Verstehensangebote und Deutungshorizonte Die christologische Deutung konzentriert sich in beiden Erzählungen v. a. auf Jesus und die Charakterisierung seiner Person: Jesus ist die Person, an die sich die Menschen in äußersten Notsituationen wenden – für sich selbst (z. B. die blutende Frau) oder für andere (z. B. Jaïrus für seine Tochter). Von ihm wird die Heilung erwartet. Er lässt sich von der Not der Menschen – sowohl der Frauen als auch der Männer – bewegen. Der Mensch, seine Heilung / Auferweckung und sein Heil, hat für Jesus Priorität. Dafür ist er bereit, auch anders als von ihm aufgrund der religiösen Traditionen erwartet zu handeln. Die Begegnung mit ihm bringt die Heilung. Er heilt ganzheitlich, auch von der sozialen und religiösen Ausgrenzung. In der Vollmacht Gottes kann er sogar das Auferweckungswunder wirken. Nicht die Berührung allein, sondern den Glauben der Frau, der hinter dieser Berührung steht, anerkennt Jesus als entscheidenden Grund für ihre Rettung. Zu einem solchen Glauben fordert er die Menschen auf, auch Jaïrus angesichts des Sterbens und des Todes seiner Tochter. Mit Wundern, auch mit denen in Lk 8, offenbart Jesus zeichenhaft das Geheimnis seiner Person: Er ist der Gesalbte Gottes, auf dem der Geist des Herrn ruht und der gesandt ist, in Worten und Taten die Frohbotschaft zu verkünden (vgl. Lk 4,18; Jes 61,1). Seine messianische Sendung kann allerdings, wie das Schweigegebot in Lk 8,56 andeutet, auch zu Missverständnissen führen. Erst nach seinem Tod und seiner Auferstehung kann die Person Jesu richtig begriffen werden. Die Tatsache, dass Lk 8,40-56 gegenüber Mk 5,21-43 beide Erzählungen und damit auch die Darstellungen der beiden Frauengestalten strafft, führt dazu, dass Lk 8,4056 in der feministischen Exegese eher kritisch und spärlich interpretiert wird (z. B. ohne Erwähnung im gesamten Kompendium Feministische Bibelauslegung, 1998). [Lk] ging es einzig und allein um den Wundertäter Jesus … deswegen schmälerte er die Selbständigkeit und Handlungsfähigkeit der blutflüssigen Frau; das Besondere und Einzigartige ihrer Person geht verloren – sie wird zu einer Frau unter vielen, die von Jesus geheilt werden (siehe Lk 8,2 f.) … ein Interesse an der Darstellung Jesu als Frauenbefreier läßt er [Lk] nicht im geringsten erkennen (Melzer-Keller 1997, 284).
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Meine Analyse des lukanischen Textes kommt zu anderen Ergebnissen auch unter dem feministischen Gesichtspunkt. Die christologische Ausrichtung des Textes schmälert die Frauengestalten in dieser Textkomposition nicht. Denn zwei Frauen erfahren in diesem Text die Befreiung: die eine von ihrem langjährigen Leid und ihrer sozial-religiösen Ausgrenzung und die andere sogar vom Tod. Auch Lukas lässt die blutende Frau souverän handeln. Denn nach zwölf Jahren Leidensweges ergreift sie selber die Initiative und kommt strategisch intelligent überlegt – von hinten und ohne Worte – zu Jesus. Lukas stattet diese Frau noch mit einer wichtigen Aufgabe aus, nämlich mit dem »Verkündigungsauftrag« (Trummer 1991, 108). Nur nach Lukas wird die geheilte Frau zur Verkünderin Jesu »vor dem ganzen Volk« und durch ihren »rettenden Glauben« zum Vorbild für den Synagogenvorsteher Jaïrus, der auch zum »rettenden Glauben« für seine Tochter angerufen wird. Fazit: Die christologische und die frauenspezifische Ausrichtung laufen in diesem Text komplementär und nicht konträr. Frauenspezifisch ist unter anderen die Zeitangabe »zwölf Jahre«, die beide Frauen verbindet (Lk 8,42.43). Die Tochter des Jaïrus steht im Alter von zwölf Jahren am Übergang von der Kindheit zum Frausein. So lange wie das Leben des Mädchens dauert bereits das Leid der blutenden Frau. In der Begegnung mit Jesus wird beiden Frauen der Übergang zu neuem Leben und zu neuem Frausein geschenkt. Tiefenpsychologisch kann die Verschachtelung der Erzählung in Lk 8,40-56 folgenderweise begriffen werden, »wenn man die Tochter des Jaïrus und die blutflüssige Frau als zwei Seiten in ein und derselben Person, als zwei Aspekte ein und derselben Problemstellung auffaßt« (Drewermann 2009, 574; genauere Ausführungen 572-598).
Aspekte der Parallelüberlieferung und Wirkungsgeschichte Alle Synoptiker berichten in Form der Verschachtelung von der Heilung der blutenden Frau und der Auferweckung der Tochter des Jaïrus (Mt 9,18-26; Mk 5,21-43; Lk 8,4056). In Bezug auf Mk 5,21-43 sind bei Lukas »beide Erzählungen gestrafft, aber nicht substantiell verändert« (Eckey 2006, 395; vgl. Radl 2003, 565; Wolter 2008, 323). Nur bei Lukas wird in einem einzigen Satz (Lk 8,43-44) sowohl die zwölfjährige leidvolle Situation der Frau als auch ihre sofortige Heilung in der Begegnung mit Jesus zur Sprache gebracht. Durch diese verdichtete Erzählweise wird dieser Kontrast besonders akzentuiert. Wie Markus erwähnt auch Lukas die unmittelbaren Reaktionen der Frau nach der Heilung (Zittern, das Kommen und das Niederfallen vor Jesus – wie zuvor Jaïrus). Jedoch allein nach Lukas legt die geheilte Frau anschließend ihr Zeugnis für Jesus in der Öffentlichkeit bzw. »vor allem Volk« (Lk 8,47) ab und wird zur Verkünderin Jesu. Eine wichtige Gemeinsamkeit aller Synoptiker ist, dass Jesus die Geheilte »Tochter« nennt und ihren Glauben hervorhebt. Den Zusammenhang zwischen dem Glauben und der Rettung bringt nur der lukanische Jesus auch in der parallel laufenden Erzählung über die Tochter des Jaïrus (Lk 8,40-42.49-56) zur Sprache. Die Frau, die bereits von ihren Blutungen geheilt ist, wird durch ihren rettenden Glauben zum Vorbild für Jaïrus. Jesus allein (Matthäus) bzw. in der Anwesenheit der Eltern des Kindes und der drei Jünger (Markus und Lukas) ergreift die Hand des Kindes (alle drei Synoptiker) und ruft das Mädchen (Markus und Lukas). Sofort geschieht das Auferweckungswunder! Das Mädchen steht auf. Nur Lukas berich591
Die Wundererzählungen im Lukasevangelium
tet, dass der »Geist« (pne‰ma pneuma) des Mädchens zurückkehrt. Dadurch unterstreicht er das Auferweckungswunder noch stärker als Markus und Matthäus. Die Erwähnung des Geistes erinnert auch an die untrennbare Verbindung Jesu mit dem Heiligen Geist (vgl. Lk 3,22; 4,18). Bei Markus und Lukas verordnet Jesus, dass dem Mädchen zu essen gegeben wird. Die Reaktion der Anwesenden ist das Entsetzen (Markus und Lukas). Es folgt der Auftrag Jesu, niemandem etwas zu erzählen (Markus und Lukas). Dagegen geht bei Matthäus die Kunde über dieses Ereignis in das ganze Land. Zur Wirkungsgeschichte s. die Beiträge in diesem Kompendium zu den synoptischen Parallelen von Lk 8,40-56: Mk 5,21-43 (Kahl) und Mt 9,18-26 (Eberhart). Eine persönliche Aktualisierung und zugleich allegorische Auslegung der Heilung der blutenden Frau findet sich bei Trummer (1991, 135-153). Die ineinander verschachtelten Heilungs- und Auferweckungswunder in Lk 8,4056 enthüllen auch den gegenwärtigen Leserinnen und Lesern Jesus und seinen Umgang mit »Stresssituationen« bei seinem öffentlichen Wirken. Seine sensible Wahrnehmung, persönliche Zuwendung und Veränderung der Notsituationen der Betroffenen haben trotz »Stress« die wirksame Priorität bei ihm. Unabhängig von Geschlecht (Frau, Mann) und Alter (Kind, Erwachsene[r]) finden Menschen bei Jesus die ganzheitliche Heilung und das neue Leben. Die blutende Frau und die Tochter des Jaïrus gehen uns mit ihren Erfahrungen voraus.
Mira Stare Literatur zum Weiterlesen D. H. Bromley, The Healing of the Hemorrhaging Woman: Miracle or Magic?, Proceedings Eastern Great Lakes and Midwest Biblical Societies 25 (2005), 1-20. G. LeMarquand, An Issue of Relevance. A Comparative Study of the Story of the Bleeding Woman (Mk 5:25-34; Mt 9:20-22; Lk 8:43-48) in North Atlantic and African Contexts, Bible and Theology in Africa 5, New York et al. 2004. B. A. Paschke, The Mystery of the Vanishing Sources: How New Testament Scholars Superfically and Uncritically Identified the Ancient Background of Luke 8:43-48, Acts 5:15, and Acts 19:12, BN 129 (2006), 71-87. P. Trummer, Wer hat mich berührt? (Lk 8,45). Jesusbegegnung einmal anders, CPB 113 (2000), 25-29. A. Weissenrieder, Die Plage der Unreinheit? Das antike Krankheitskonstrukt »Blutfluss« in Lk 8,43-48, in: W. Stegemann/B. J. Malina/G. Theißen (Hg.), Jesus in neuen Kontexten, Stuttgart 2002, 75-85. R. Zimmermann, Heilsame Berührungen. Die Heilungswunder Jesu im Neuen Testament, in: Bibel Heute 182 (2010), 12-16.
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Die ignoranten Wundertäter (Die Speisung der Fünftausend) Lk 9,10b-17 (10) Nachdem aber die Apostel zurückgekehrt waren, erzählten sie ihm (begeistert), wie Großes sie getan hatten. Er aber nahm sie auf und zog sich mit ihnen allein zurück zur Stadt, die Betsaida genannt wird. (11) Nachdem die Menge das erkannt hatte, folgten sie ihm nach und als er sie aufgenommen hatte, redete er zu ihnen eindringlich über die Königsherrschaft Gottes, und die es nötig hatten, Heilungen zu empfangen, machte er gesund. (12) Der Tag aber begann sich zu neigen. Die Zwölf traten heran und sie sagten ihm: »Schick die Menge weg, damit sie in die umliegenden Dörfer und Höfe gehen, einkehren und Nahrung finden mögen, da wir hier an einem öden Ort sind.« (13) Er aber sagte zu ihnen: »Gebt ihr ihnen zu essen.« Die aber sagten: »Uns sind nicht mehr als fünf Brote und zwei Fische zur Hand, außer wir gingen und kauften für das ganze Volk Speise.« (14) Es waren nämlich etwa 5000 Männer. Er sagte aber zu seinen Jüngern: »Lasst sie lagern in Gruppen zu je fünfzig.« (15) Und sie machten es so und ließen alle lagern. (16) Nachdem er aber die fünf Brote und zwei Fische genommen hatte, sah er hinauf in den Himmel, segnete sie und brach (sie) und gab (sie) den Jüngern, um sie der Menge zu reichen. (17) Und sie aßen und alle wurden satt, und es wurde aufgesammelt das ihnen Übriggebliebene: Zwölf Körbe an Brotstücken.
Sprachlich-narratologische Analyse Die sprachliche Analyse des Textausschnittes Lk 9,10-17 stellt die Auslegung dieser Perikope vor ein erstaunliches Ergebnis: Nirgendwo im Text wird dieser Textausschnitt terminologisch als »Wundergeschichte« markiert. Die übliche Wunderterminologie – Paradoxon, Krafttat, Zeichen etc. – findet sich mit Blick auf die Speisung der 5000 nicht. Noch erstaunlicher ist es, dass die pragmatische Analyse zu demselben Ergebnis führt. Es wird keine Reaktion auf die erzählten Ereignisse geschildert, niemand gerät außer sich, erstaunt, erschrickt, lobt oder preist angesichts des Erlebten. Dass dieser Textauszug aus dem Lukasevangelium als Wundergeschichte empfunden wird, verdankt sich wohl der Diskrepanz zwischen den zuhandenen Nahrungsmitteln – fünf Brote und zwei Fische – und der damit gesättigten Menge – etwa 5000 Männer. Es bleiben sogar noch zwölf Körbe voll Brocken an Brot über, Fisch allerdings nicht. Die Klassifizierung als »Wundergeschichte« erfolgt aufgrund eines Schlussfolgerungsaktes: Wenn mit fünf Broten und zwei Fischen 5000 Männer satt werden und 12 Körbe Brotbrocken übrigbleiben, dann muss man sich schon wundern. Es ist ja nicht von Riesenbroten und Walfischen die Rede. Für die fünf Brote hätte ja wohl ein Körbchen gereicht: Also muss sich die vorhandene Nahrungsmenge auf eine erstaunliche Art und Weise vermehrt haben – scheint das Lukasevangelium zu behaupten. 593
Die Wundererzählungen im Lukasevangelium
Analysieren wir den Anfang der Perikope narratologisch, stellt er sich nicht als Textanfang, sondern als Fortsetzung des Gesamttextes des Lukasevangeliums dar und gibt dem Leser damit die pragmatische Anweisung, sich an das zuvor Gelesene zu erinnern: »Nachdem aber die Apostel zurückgekehrt waren« (9,10a). Ohne den vorhergehenden Textverlauf zu kennen, erschließt sich der Textausschnitt der Speisungsgeschichte nämlich nicht. Wir werden noch sehen, dass dies in gleicher Weise auch für den darauffolgenden Textverlauf gilt. Der hier zu interpretierende Textausschnitt Lk 9,10-17 ist Teil des Textes des Lukasevangeliums. Die Plausibilität dieses Textausschnittes wird durch die im Text des Lukasevangeliums als Ganzem erles- und erschließbaren narrativen, semantischen und pragmatischen Zusammenhänge erreicht. Hermeneutisch kann man daraus lernen, dass es zu wenig Sinn ergibt, die so genannten »Wundergeschichten« aus ihren Makrotexten – hier das Lukasevangelium – herauszureißen, denn nur innerhalb der Textverflechtungen mit dem Gesamttext wird der jeweilige Mikrotext in der Fülle seiner Sinndimensionen verstehbar und plausibilisierbar. Konkret: Der Beginn unserer Perikope verweist auf das Vorhergehende und setzt es als Leserwissen voraus. Wer die Speisungsgeschichte im Lukasevangelium verstehen will, muss also wissen, wer die zurückkehrenden Apostel sind, woher sie zurückkommen, und was sie gerade getan haben. Aus der Perikope selbst lässt sich lediglich erschließen, dass es etwas Großartiges gewesen sein muss, denn die Apostel »erzählten […] ihm (begeistert), wie Großes sie getan hatten« (9,10b). Der Textabschnitt 9,1-6 gibt die nötigen Informationen, um die Euphorie der zurückgekehrten Apostel zu begreifen: Jesus »rief die Zwölf zusammen und gab ihnen Kraft (dÐnami@ dynamis) und Vollmacht (¥xousffla exousia) über alle bösen Geister und dass sie Krankheiten heilen konnten und sandte sie aus, zu predigen das Reich Gottes und die Krankheiten zu heilen« (9,1f.). 9,6 bescheinigt den Zwölfen, dass sie diesem Auftrag gerecht geworden sind, also selbst getan haben, was sie an Jesus vorher gesehen hatten: das Reich Gottes predigen und Krafttaten – wir würden mit unserem restringierten theologischen Sprachcode der Gegenwart sagen: Wunder vollbringen. Kein Wunder, dass sie diese machtvolle Erfahrung Jesus unbedingt sofort mitteilen müssen – sozusagen von Wundertäter zu Wundertäter – und so finden wir denn doch noch einen terminologischen Hinweis auf »Wunder« in unserem Textabschnitt: »Wie Großes« Jesus »getan hat« (ˆsa ¥pofflhsen hosa epoie¯sen) wird nämlich von Jesus in Bezug auf die so genannte »Heilung des Besessenen von Gerasa« in 8,39c gesagt und nun nehmen die zurückgekehrten Apostel dasselbe für sich in Anspruch: ˆsa ¥pofflhsan (hosa epoie¯san), »wie Großes sie getan haben.« Jesus reagiert darauf folgendermaßen: »Er aber nahm sie auf und zog sich mit ihnen allein zurück zur Stadt, die Betsaida genannt wird« (V. 10). Jesus nimmt sie an und bescheinigt ihnen damit, ihrem Auftrag gerecht geworden zu sein. Er weiß, dass so etwas Kraft kostet (vgl. Lk 6,19; 8,46), und deswegen gönnt er ihnen nun die nötige Ruhe, wie er sich auch selbst immer wieder nach vollbrachten Machttaten zurückzieht (vgl. z. B. 5,16, vgl. auch 9,18). Nachdem der Erzähler des Evangeliums die Machttaten der zwölf Apostel bereits in 9,6 kommentierend bestätigt hatte, bestätigt Jesu Verhalten diese nun innerhalb der Erzählung. Aber wie so oft durchkreuzt die Menge das Bedürfnis nach Ruhe: »Nachdem die Menge das erkannt hatte, folgten sie ihm nach, und als er sie aufgenommen hatte, redete er zu ihnen eindringlich über die Königsherrschaft Gottes, und die es nötig hatten, Hei594
Die ignoranten Wundertäter Lk 9,10-17
lungen zu empfangen, machte er gesund. Der Tag aber begann sich zu neigen« (9,1112a). Jesus übernimmt nun wieder die Rolle des Lehrers und Arztes. Von den Aposteln wird hier nichts gesagt. Der Tag ist fast zu Ende. Sind die vom Lehren und Wundertun ermüdeten Apostel zur Ruhe gekommen? Jedenfalls werden sie in 9,12b wieder aktiv. Ihr Lehr- und Wundererfolg scheint sie sehr selbstbewusst gemacht zu haben, denn sie treten nicht als Weisung empfangende Jünger, sondern als selbstmächtig agierende Apostel an Jesus heran und maßen sich sogar an, ihn über die Situation zu belehren und ihm sein Handeln vorzuschreiben: »Schick die Menge weg, damit sie in die umliegenden Dörfer und Höfe gehen, einkehren und Nahrung finden mögen, da wir hier an einem öden Ort sind.« Damit kehren sie das Meister/ Lehrer – Jünger/Schüler Verhältnis um. Jesus reagiert auf diese Handlungsanweisung mit einer Gegenanweisung: »Gebt ihr ihnen zu essen« (9,13a). Die zum Wunderhandeln befähigten Apostel stimmen Jesus aber nicht zu, indem sie etwa sagten: »Ach ja, haben wir ganz vergessen, dass wir ja mit Wunderkraft und Vollmacht begabt wurden (vgl. Lk 9,1): Machen wir also gerne.« Vielmehr ignorieren sie ihre eigene Krafterfahrung und damit zugleich die Weisungsbefugnis ihres Meisters/Lehrers. Trotzig und mit einem gehörigen Maß an Zynismus entgegnen sie: »Uns sind nicht mehr als fünf Brote und zwei Fische zur Hand, außer wir gingen und kauften für das ganze Volk Speise« (9,13b). Und der Erzähler fügt hinzu: »Es waren nämlich etwa 5000 Männer« (9,14a). Der Zynismus ergibt sich aus der bereits vorgeschrittenen Tageszeit und mehr noch aus den erheblichen Kosten, die entstünden, wenn eine so große Menge mit gekauften Speisen beschenkt werden sollte. Die aufmerksamen Leser aber wissen ja, dass die Apostel kein Geld bei sich hatten. Und sie wissen vielmehr noch, dass die Jünger wissen, dass Jesus weiß, dass sie kein Geld dabei haben, war es doch seine eigene Anweisung (vgl. 9,3)! Jesus geht aber nicht auf die zynische Argumentationstaktik der ignoranten Wunderapostel ein, vielmehr gibt er ihnen eine weitere Anweisung und 9,15 zeigt auf, dass sich die Apostel nun ganz und gar auf die Anweisung Jesu einlassen, egal was sie dabei denken, und dementsprechend werden sie erst jetzt wieder in unserem Textabschnitt als »Jünger«, bzw. »Schüler« (maqhtaffl mathe¯tai) bezeichnet. Ihre Bezeichnung als »die Zwölf« in 9,12 wird nun als Übergangsterm lesbar: »Er sagte aber zu seinen Jüngern: Lasst sie lagern in Gruppen zu je fünfzig. Und sie machten es so und ließen alle lagern« (9,14bf.). Jesu Wort formt aus der unstrukturierten Menge das geordnete Volk Gottes. Zu diesem Zeitpunkt wissen die Jünger noch nicht, dass die Ausführung dieser Handlungsanweisung dazu führen wird, dass sie der Menge zu essen geben werden: »Nachdem er aber die fünf Brote und zwei Fische genommen hatte, sah er hinauf in den Himmel, segnete sie und brach (sie) und gab (sie) den Jüngern, um sie der Menge zu reichen« (9,16). Genau an dieser Handlungsfolge werden ihn auch die beiden Jünger auf dem Weg nach Emmaus wiedererkennen (vgl. Lk 24,30f.) Die Jünger verhalten sich endlich als Jünger und machen nun, was Jesus ihnen als Antwort auf ihre anmaßende und ihre eigene Kraftbegabung ignorierende Aufforderung, die Menge wegzuschicken, entgegnete. Sie verteilen die ihnen zuhandenen fünf Brote und zwei Fische. Allerdings sind es nicht mehr dieselben Brote und Fische. Jesus hat seinen Blick in den Himmel gerichtet, Brot der Erde und Fisch des Meeres gesegnet und das Brot gebrochen. Himmel, Erde und Meer sind in dieser Segenshandlung verknüpft worden (vgl. Delorme 1979) und nun nicht mehr lediglich zuhanden, sondern zum Ort der Begeg595
Die Wundererzählungen im Lukasevangelium
nung aller Dimensionen der vom Gott Israels wunderbar geschaffenen Wirklichkeit geworden. Himmel, Erde und Meer sind nun in der Fülle der Materialität von gesegnetem Brot und Fisch verbunden. Diese neue Qualität der Materie wird im letzten Vers des Textausschnittes aber nicht nur symbolisch markiert, sondern auch materiell sanktioniert: »Und sie aßen und alle wurden satt, und es wurde aufgesammelt das ihnen Übriggebliebene: zwölf Körbe an Brotstücken« (9,17). Für den aufmerksamen Leser erfüllt sich damit, was durch Marias Lobgesang in 1,53 und durch Jesu Rede in 6,21a angekündigt wurde: Die Hungernden werden satt. Die Überfülle des Brotes ist aber nicht nur ein Hinweis auf diese eschatologische Dimension der Perikope, sondern auch ironische Kritik der Erfahrungsklugheit der Zwölf: Zwölf Körbe bleiben übrig, je einer als Denkzettel für die ignoranten zwölf Wunderapostel, die die Ignoranz des Volkes Israel seinem wundermächtigen Gott gegenüber in die Geschichte des Christentums einschreiben. Jedes von klügelnden Auslegern an die Szenerie hintergründig herangetragene Stückchen Brot, sei es in Höhlen vorbereitend verborgen, oder von netten reichen Damen bescheiden unter die Menge gemischt, würde die Erzählung des Lukasevangeliums zerstören! Die so verfahrenden Ausleger entsprechen den klugen Zwölf, die die hungernde Menge wegschicken wollen und nicht der die erfahrungsgesättigte Gewohnheit des Alltäglichen durchkreuzenden Logik des Evangeliums.
Sozial- und realgeschichtlicher Kontext Die Beantwortung der Frage, ob es sich bei der Speisung der 5000 um eine realgeschichtliche Begebenheit handelt, entzieht sich der Möglichkeit der Beantwortung seriöser historischer Forschung. Nicht nur ist die Quellenbasis zu schwach, weil die Quellen (Markus, Matthäus, Lukas, Johannes) literaturgeschichtlich zusammenhängen und es keine von ihnen unabhängige Bezeugung einer Massenspeisung von Zuhörern Jesu von Nazaret gibt. Mit dieser notwendigen Feststellung, die sich gleichermaßen gegen historisierende wie metaphorisierende Wunderauslegungen wendet, werden aber keineswegs sozialund realgeschichtliche Forschungen überflüssig. Das Gegenteil ist der Fall. Um die Geschichten besser verstehen zu können, ist es von großem Interesse, das relevante enzyklopädische Wissen zur Zeit der Produktion des Textes soweit wie möglich zu rekonstruieren (vgl. Alkier 2010, 146f.). Realgeschichtlich auffällig ist bereits die große Zahl der bewirteten Männer. Eine Gruppe von 5000 ist noch heute und mehr noch in der Antike und insbesondere gerade auch in den Evangelien eine beeindruckende und Aufsehen erregende Gruppengröße. An keiner anderen Stelle der Evangelien wird eine so hohe Zahl versammelter Menschen genannt. Sie repräsentieren nicht lediglich eine große beliebige Menge, sondern das durch Jesu Wort geformte Volk Gottes. Ihre von Jesus angeordnete Lagerung in Gruppen lässt zudem militärische Assoziationen zu. Sozialgeschichtlich ist weiter zu berücksichtigen, dass der Text keine Auskunft über die Sozialstruktur der bewirteten 5000 Männer gibt. Ob sie arm oder reich, gebildet oder ungebildet waren und bestimmten jüdischen Gruppen zugehörten, spielt für den Text keine Rolle. Es wird auch, anders als in den Parallelen, nicht gesagt, ob Frauen und Kinder dabei waren. 596
Die ignoranten Wundertäter Lk 9,10-17
Dass die Apostel/Jünger kein Geld dabei hatten, sollte auch nicht für eine Armutsromantik der Jesusbewegung herhalten. Sie nehmen auf Weisung Jesu kein Geld mit, d. h. sie hatten Geld, das sie aber nicht mitnahmen (vgl. Lk 9,3). Die Jesusanhänger, wie sie im Lukasevangelium geschildert werden, sind von wenigen Ausnahmen abgesehen nicht sozial auffällig. Sie sind weder besonders arm noch besonders reich. Auch die Assoziation von der Speise »Fisch« zu einigen Jüngern, deren Beruf die Fischerei war, deutet nicht auf arme Leute hin. Fischereirechte mussten nämlich erworben werden. Wer ein eigenes Boot und ein eigenes Netz bzw. andere Fischfanggeräte besaß, gehörte nicht zur armen Unterschicht, sondern zählte eher zu den Wohlhabenden. Als ein solcher wohlhabender Fischer, der ein eigenes Boot besitzt, wird in Lk 5,3, Simon Petrus dargestellt und dann wohl auch die Zebedäussöhne Jakobus und Johannes in 5,10. Wenn es dann in 5,11 heißt: »Und sie brachten die Boote an Land und verließen alles und folgten ihm nach«, so muss man sich klar machen, dass sich hier keine armen Tagelöhner aus einem ausbeutenden Lohnverhältnis befreien, sondern wohlhabende Kleinunternehmer ihren Betrieb zurücklassen. Fisch war ein schichtenunspezifisches Grundnahrungsmittel. Es gab eine regelrechte Fischindustrie in Betsaida, das übersetzt »Fischhausen« heißt. Hier wurden Fischsaucen produziert, die als Delikatesse bis nach Rom gehandelt wurden. »Seltene Fischarten dürften genauso wie sonst im Mittelmeerraum raffiniert zubereitet und als Delikatesse hoch geschätzt worden sein. Daneben war Fisch als die praktisch einzige erschwingliche Beikost für ärmere Bevölkerungsschichten ein ungemein wichtiger Eiweißlieferant. Selbst im religiösen Bereich spielte Fisch als begehrte Sabbatspeise eine bedeutende Rolle (bBez 16,1; bShab 119a)« (Zangenberg 2001, 58).
Traditions- und religionsgeschichtlicher Hintergrund Lukas findet den Textabschnitt der Speisung der 5000 und den der 4000 in seinen beiden Vorlagen, dem Markus- und dem Matthäusevangelium, vor. Er streicht die Speisung der 4000 und passt die Speisung der 5000 in sein Evangelium ein. Darin ist ihm das Johannesevangelium gefolgt. Ein Vergleich mit den Parallelüberlieferungen wird zu einem Sinn generierenden Erlebnis, wenn man nicht nur die verschiedenen Fassungen der Textabschnitte miteinander vergleicht, sondern sie in ihrer Funktionalität und Beziehungsreichhaltigkeit im jeweiligen Makrotext untersucht. Markus etwa nutzt den Zwischenraum der von ihm erzählten Speisungsgeschichten zur Verschärfung des Jüngerunverständnisses. Sie machen zwischen der Speisung der 5000 und der der 4000 keinen Lernfortschritt, was Jesus zornig werden lässt und den Jüngern den Vorwurf der Verstockung einbringt (vgl. Mk 6,30-8,21). Da Lukas diese Jüngerzeichnung aber aus seinen beiden Vorlagen – dem Markusevangelium und dem Matthäusevangelium – nicht übernimmt, ja sie an zahlreichen Stellen erheblich korrigiert, braucht er auch die zweite Speisungsgeschichte nicht. Angesichts seiner Neukonzeption des Jüngerbildes ist die implizite Kritik an der Ignoranz der gesonderten Gruppe der Apostel ihrer eigenen Krafterfahrungen gegenüber durch die lukanische Fassung der Speisung der 5000 bemerkenswert. Die Speisungserzählung veranlasst intertextuelle Assoziationen mit alttestamentlichen Texten. Die Exoduserzählung plausibilisiert die wunderbare Speisung durch Gott, denn Gott gibt den aus Ägypten geflohenen Israeliten nicht nur sein Wort, sondern auch 597
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so viel Speise, dass alle satt werden (vgl. Ex 16,1-36). Auch das Lagern zu je fünfzig verdankt sich wohl der intertextuellen Verknüpfung mit der Exodusüberlieferung (vgl. Ex 18,21-26) und macht es als Formation des Volkes Gottes verstehbar. Auch Psalmen bringen mittels Erinnerung an die Exoduserzählungen Gott als Geber von Nahrung zur Sprache (vgl. Ps 78,21-29). Gott als wunderbarer Geber von Speise gehört nicht zuletzt auch zum Geschichtenrepertoire der Elia- und Elisatraditionen (vgl. 1Kön 17,8-16; 2Kön 4,42-44). Solche Traditionen wurden im 1. Jh. n. Chr. bis ins erste Drittel des 2. Jh. n. Chr. von einer ganzen Reihe von messianischen Bewegungen aufgenommen, die sich vor, während und nach Jesus immer wieder in großen Massen um einen als Messias deklarierten Heilsbringer geschart haben, von dem zumeist in Anknüpfung an die Exodustradition die politische Restauration des Königreiches Israels erwartet wurde. Die Zahl der 5000 symbolisiert daher eine große, beachtliche Menge, deren angeordnete Gruppenlagerung durchaus auch militärische Assoziationen wie bei anderen messianischen Bewegungen eröffnet. Die religionsgeschichtliche Phase messianischer Bewegungen im antiken Judentum reicht bis zur folgenreichen Proklamation Bar Kochbas zum Messias.
Verstehensangebote und Deutungshorizonte Häufig wird die Speisungsgeschichte als Aufforderung zum Teilen verstanden. Auf diese Weise wird sie etwa in den meisten Schulbüchern zum Religionsunterricht aufbereitet. Das ist schön und trifft sicher auch einen pragmatischen Effekt, den dieser Textausschnitt motiviert. Die Reduktion auf eine Ethik des Teilens verfehlt aber die theologische Dimension dieses Abschnitts, die maßgeblich auf einer Theologie des ansprechbaren Gottes beruht, dem man danken und den man bitten kann und zwar nicht nur für bzw. um das je eigene »Seelenheil«, sondern auch für bzw. um das tägliche Brot, ja sogar das Brot für viele. Aber wie kann man diese Sättigung von 5000 hungrigen Männern denken, ohne sie in den Bereich eines märchenhaften Geschenkwunders abzutun, von dem etwa das Grimmsche »Tischlein deck Dich« erzählt? Immerhin beansprucht Lukas, in der Manier eines antiken Historikers, »alles von Anfang an sorgfältig erkundet« und »in guter Ordnung« aufgeschrieben zu haben, um Theophilus und mit ihm allen Gottesfreunden und Gottesfreundinnen durch die Lektüre des Lukasevangeliums als Ganzem »den sicheren Grund der Lehre« erfahrbar zu machen (vgl. Lk 1,1-4). Ein Märchenerzähler wollte der Verfasser des Lukasevangeliums sicher nicht sein und schon gar nicht wollte er das »Märchen von Jesus, dem Scharlatan, und seinen reichen Damen« erzählen. Die Antwort gibt das Lukasevangelium selbst, wenn wir uns an seine wohlüberlegte »gute Ordnung« halten. Auf Bitten der Jünger lehrt Jesus sie »zu beten, wie schon Johannes seine Jünger lehrte. Da sagte er zu ihnen: Wenn ihr betet, so sprecht: Vater! Dein Name werde geheiligt. Dein Reich komme. Unser tägliches Brot gib uns Tag für Tag« (Lk 11,1b–3). Die Speisung der 5000 hungrigen Männer mit den gesegneten Broten und Fischen nimmt in Anspruch, dass Gott dieser Bitte Jesu nachgekommen ist. Der theologisch-hermeneutische Schlüssel des Aufbrechens der Ignoranz der zum Wunder befähigten Apostel wird kurz nach dem »Vater unser« unmissverständlich formuliert: »Bittet, so wird euch ge598
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geben, sucht, so werdet ihr finden, klopft an, so wird euch aufgetan, denn wer da bittet, der empfängt, und wer da sucht, der findet, und wer da anklopft, dem wird aufgetan« (11,9). Und wenn wir weiterlesen, finden wir auch einen Kommentar zu den Fischen: »Wo ist unter euch ein Vater, der seinen Sohn, wenn der ihn um einen Fisch bittet, eine Schlange für den Fisch biete?« (11,11). Das Gleichnis vom bittenden Freund ordnet das Lukasevangelium als narratives Argument genau zwischen dem »Vater unser« und der soeben zitierten Zuversicht des Bittens an: »Und er sprach zu ihnen: Wenn jemand unter euch einen Freund hat und ginge zu ihm um Mitternacht und spräche zu ihm: Lieber Freund, leih mir drei Brote, denn mein Freund ist zu mir gekommen auf der Reise und ich habe nichts, was ich ihm vorsetzen kann […] Und wenn er schon nicht aufsteht und ihm etwas gibt, weil er sein Freund ist, dann wird er doch wegen seines unverschämten Drängens aufstehen und ihm geben, soviel er bedarf« (Lk 9,5-8). Es gibt noch viele Perikopen im Lukasevangelium, die die Plausibilität der so genannten »Speisung der 5000« im Rahmen des Diskursuniversums des Lukasevangeliums unterstreichen, konkretisieren und vertiefen können. Den theologischen Schlüssel zur Plausibilisierung der Wunder Jesu und seiner Apostel in der lukanischen Erzählung insgesamt finden wir als wörtliche Rede des Protagonisten: Jesus »aber sprach: Was bei den Menschen unmöglich ist, das ist bei Gott möglich« (Lk 18,27). Man kann insgesamt sagen, dass die symbolische und damit auch die ethische Funktion der Erzählungen, die der restringierte Code gegenwärtiger westlicher Theologie mit dem unscharfen umbrellaterm »Wundergeschichte« meint zusammenfassen zu können, im Rahmen der jeweiligen Diskursuniversen der biblischen Texte nur belastbar ist, wenn das Erzählte als erfahrenes Ereignis plausibilisiert und so rezipiert wurde. Die rationalistische Wundererklärung von H. E. G. Paulus bis Gerd Theißen rechnet hingegen stets mit einem Trick und/oder einer Täuschung: In der Variante Gerd Theißens (Theißen 2010, 168) unterstützen reiche Frauen den scheinbaren Wundertäter Jesus und schenken ihm nicht nur ihre Zeit, sondern auch materielle Unterstützung. Die reiche Johanna erzählt: »Wenn ich oder andere ihm Lebensmittel schicken, Brote, Fische und Früchte, und meine Leute holen sie plötzlich heraus, dann erscheint es der Menge wie ein Wunder. Diese armen Leute haben oft noch nie so viel Lebensmittel auf einmal gesehen. Wenn man so will, geschieht auch tatsächlich ein Wunder.« Die im männlichen Blick dieser rationalistischen Ausleger natürlich völlig bescheidenen und lediglich dezent im Hintergrund agierenden reichen Damen wurden von der Menge gar nicht bemerkt und so schrieben sie das Geschenk dieser üppigen Sättigung Jesus zu und überzeichneten ihn als Wundertäter. Diese rationalistische Wundererklärung zahlt allerdings einen sehr hohen Preis für ihre Entwunderung der Speisungsgeschichte: Aus Jesus wird auf diese Weise nämlich kein Schamane, wie seit einiger Zeit gelegentlich zu lesen ist, sondern ein Scharlatan, der sich mit fremden Federn schmückt. Die Theißensche Wunderuntergattung »Geschenkwunder« (vgl. Theißen 1998) erhält schon dadurch einen schalen Beigeschmack. Der Deutehorizont der Speisung der 5000 sollte nicht rationalistisch, sondern theologisch abgeschritten werden durch die intertextuelle Verknüpfung mit Texten, die den kommunizierenden barmherzigen und gerechten Gott Israels thematisieren, also insbesondere durch alttestamentliche und weitere neutestamentliche Texte, aber auch durch weitere Texte aus dem Bereich jüdischen und christlichen Schreibens. Wer dem 599
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Jesus der lukanischen Speisungserzählung nachfolgen will, der wende sich vertrauensvoll bittend für das eigene Brot und für das der anderen an Gott, auch und gerade dann, wenn die eigenen Möglichkeiten begrenzt sind. Sicher kann man nicht mit Wundern rechnen, denn sie entziehen sich dem Mach- und Kalkulierbaren. Gerade darin begrenzen sie den totalitären Anspruch kausaler Wirklichkeitserklärung, die stets zu einer Ideologie des Machbaren führt. Das an Gott adressierte und die erlebten Grenzen übersteigende je eigene Danken und Bitten bricht die Geschlossenheit stillgestellter Erfahrung auf. Das Gebet erzeugt die Aufmerksamkeit für die Möglichkeiten neuer, kontingenter Erfahrungen, die nicht zum Ersatz politischen Handelns führen, dieses vielmehr im Horizont dankbaren und bittenden geschöpflichen Lebens motivieren und orientieren können. Für wen und worum bitte ich, bitten wir? Wofür danke ich, wofür danken wir gemeinsam? Das vertrauende Bitten wäre allerdings missverstanden, wenn es als Ersatz politischen Handelns eingesetzt würde. Auf diese Weise geriet es sogar immer wieder in den Gebrauch zynischer Machtausübung, die bestehende Unrechtsstrukturen damit verfestigte, dass die materiellen Bedürfnisse der Notleidenden an Gott abgeschoben wurden. Hier wurden insbesondere die christlichen Kirchen immer wieder schuldig. Deshalb sind als Gegenbewegung dazu materialistische und postkoloniale Bibelauslegungen von hohem ideologiekritischen Wert.
Aspekte der Parallelüberlieferung und Wirkungsgeschichte Semiotisch-kritische Wunderauslegung zielt zunächst darauf, die Weltsicht des Textes zu rekonstruieren. Ihre Leitfrage lautet: Wie stellt der Text die Ereignisse dar, damit sie innerhalb seines Diskurses Plausibilität erreichen? Die Welt, wie sie der Text setzt und voraussetzt, wird in der semiotisch-kritischen Exegese in Anlehnung an das mathematischlogische Konzept des »universe of discourse« Diskursuniversum genannt. Auf dieser textgesteuerten Basis geraten dann auch weitere Kontexte in den Blick, seien es andere Texte, deren Zusammenlesen mit dem zu interpretierenden Text neue Texterschließungen ermöglichen (Intertextualität), oder auch andere Zeichen – wie Münzen, Inschriften, Gebäude, Gebrauchsgegenstände – die politische, wirtschaftliche, juridische, mediale, sozialgeschichtliche, medizingeschichtliche oder religionsgeschichtliche Dimensionen des auszulegenden Textes erhellen können (Intermedialität). (Vgl. zu diesen hermeneutischen und methodologischen Fragen und Konzepten Alkier 2010, 104-184, insbes. 139148.) Immer noch zu wenig wird von der neutestamentlichen Wissenschaft die Rezeption der biblischen Geschichten in Filmen, Popmusik und Neuen Medien als wissenschaftliche Aufgabe begriffen. Dabei erreichen diese künstlerischen Interpretationen viel mehr Menschen als wissenschaftliche Auslegungen oder Sonntagspredigten. Sie spiegeln nicht nur Auslegungstrends wieder und reflektieren damit den Zeitgeist auch der Bibelwissenschaften, sondern tragen auf eigene Weise zu diesem Diskurs bei. So ließe sich der Neorealismus Rosselinis auf interessante Weise mit dem Neorationalismus Gerd Theißens vergleichen, um den Zeitgeist der 70er Jahre des 20. Jahrhunderts zu erkunden, der die Wunderdebatte bis heute weitgehend bestimmt. Rossellinis Film Der Messias (Frankreich und Italien 1975) entstand in einer Reihe 600
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von biographischen Dokumentarfilmen Rosselinis u.a zu Ludwig XIV., Sokrates und Augustin. Das Diskursuniversum seines Jesusfilms erzeugt – wie Theißens Roman Der Schatten des Galiläers – den Anspruch auf historische, nachstellbare Wirklichkeit. Den dokumentarischen Filmbildern entspricht der außerordentlich sparsame Einsatz der Musik. Nur an wenigen Stellen wird eine einfache, melancholische Flötenmelodie eingeblendet, die die Einfachheit und Klarheit der Bilder unterstreicht. An einer noch geringeren Zahl von Stellen, etwa beim Kindermord in Betlehem, gibt es synthetische Klangeffekte, die das Geschehen begleiten. Natürliche Flötenmelodie, verbunden mit den Protagonisten, und synthetische Klangeffekte, verbunden mit den Antagonisten, verknüpfen die jeweils mit ihnen verbundenen Sequenzen. Die dokumentarischen Realismus simulierenden Bilder und die Einfachheit konnotierende Flötenmusik harmonieren mit den Sprechweisen der Reich-Gottes-Verkündigung, die im Mittelpunkt des Filmes steht. Die diesbezüglichen Äußerungsakte zeichnen sich durch ein ruhiges und gleichmäßiges Sprechtempo und unpathetische Tonlagen aus. V. a. bei den Reich-Gottes-Gleichnissen, die nicht nur Jesus, sondern auch Maria und einige Jünger vortragen, sind die Sprechenden mit einer einfachen handwerklichen Tätigkeit beschäftigt. Durch die Inszenierung der Äußerungsakte wird der Äußerungsinhalt bestimmt: Es handelt sich um eine einfache, ungekünstelte, alltagsbezogene, gemeinschaftsbildende, für alle verstehbare und eindeutige Wahrheit, die in Opposition zu allen religiösen und politischen Herrschaftsideologien steht. In diesem dokumentarischen Diskursuniversum wirkten Wunderdarstellungen wie ein Fremdkörper. Rossellini verzichtet konsequent darauf. Lediglich die Speisungsgeschichte wird dargestellt, aber in das dokumentarische Diskursuniversum integriert. Die Inszenierung der Speisung der 5000 erhält dadurch paradigmatischen, rationalistisch entwundernden Wert für den Umgang mit Wundergeschichten. Ohne Worte teilt Jesus nach der Bergpredigt Brote an die Jünger aus, die diese an die Menge weitergeben. Der bibelkundige Zuschauer erkennt die Wundergeschichte der Speisung der 5000, die aber in Rosselinis Inszenierung gerade wegen der Unterdrückung der Kommunikation Jesu mit Gott zur kausal erklärbaren Teilungsgeschichte transformiert wird. Durch den weitgehenden Verzicht auf Wundergeschichten steht Jesus als ein weiser Lehrer im Mittelpunkt des Geschehens, der sich gegen die Unterdrückung und für ein Miteinanderleben von Menschen einsetzt und heldenhaft für seine Überzeugungen in den Tod geht. Die wunderbare Botschaft vom schöpfungsmächtigen, barmherzigen und gerechten Gott, der alles neu machen wird und den am Kreuz hingerichteten Jesus als Anfang der neuen Schöpfung bereits in sein göttliches Leben hinein auferweckt hat, geht in den entwundernden Transformationen biblischer Rede von Gott und seinem Sohn verloren.
Stefan Alkier Literatur zum Weiterlesen U. Busse, Die Wunder des Propheten Jesus. Die Rezeption, Komposition und Interpretation der Wundertradition im Evangelium des Lukas, Stuttgart 1977, 232-248. A. Farrer, Loaves and Thousands, JThS 4 (1953), 1-14.
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Die Wundererzählungen im Lukasevangelium
R. H. Hiers, The Bread and Fish Eucharist in the Gospels and Early Christian Art, Perspectives in Religious Studies 3 (1976), 21-48. I. de la Potterie, Les sens primitif de la multiplication des pains, in: J. Dupont (Hg.), Jesus aux origines de la Christologie, Leuven 1989, 303-329. B. van Iersel, Die wunderbare Speisung und das Abendmahl in der synoptischen Tradition (Mk VI 35-44 par., VIII 1-20 par.), NT 7 (1964), 167-194.
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Feindliche Übernahme (Jesus und die bösen Geister) Lk 11,14-23 (14) Und er war dabei, einen Dämon auszutreiben, der war stumm. Es geschah aber, als der Dämon ausgefahren war, dass der Stumme zu reden begann. Und die Volksmenge staunte. (15) Einige von ihnen aber sprachen: »Durch Beelzebul, den Obersten der Dämonen, treibt er die Dämonen aus!« (16) Andere aber forderten von ihm, um ihn zu prüfen, ein Zeichen vom Himmel. (17) Er aber, als er ihre Gedanken sah, sprach zu ihnen: »Jede Königsherrschaft, die mit sich selbst uneins ist, wird verwüstet, und ein Haus fällt über das andere Haus her. (18) Wenn aber auch der Satan mit sich selbst uneins ist, wie kann seine Königsherrschaft dann noch Bestand haben? Denn ihr behauptet ja, dass ich durch den Beelzebul die Dämonen austreibe! (19) Wenn ich aber durch den Beelzebul die Dämonen austreibe – durch wen treiben sie dann eure Söhne aus? Deshalb werden sie selbst eure Richter sein! (20) Wenn ich aber durch den Finger Gottes die Dämonen austreibe, dann ist schon die Königsherrschaft Gottes zu euch gelangt. (21) Wenn der Starke bewaffnet seinen eigenen Palast bewacht, befindet sich seine Habe in Sicherheit. (22) Wenn ihn aber ein Stärkerer überfällt und besiegt, nimmt er ihm seine ganze Bewaffnung weg, auf die er vertraut hatte, und verteilt seine Beute. (23) Wer nicht mit mir ist, ist gegen mich. Und wer nicht mit mir sammelt, zerstreut.«
Sprachlich-narratologische Analyse Der Konflikt um die exorzistische Legitimation Jesu, dem von seinen Kontrahenten magische Praktiken vorgeworfen werden, erscheint bei Lukas als Teil des so genannten »Reiseberichtes« bzw. der »central section« (Noël 2004). Über die genaue Abgrenzung wie über die Intention dieser Phase zwischen der galiläischen Wirksamkeit Jesu und seinem Auftreten in Jerusalem ist viel und kontrovers diskutiert worden (von Bendemann 2001). Sicher lässt sich nur sagen, dass der Evangelist zwischen den Grundlegungen im Galiläateil und den Polarisierungen im Jerusalemteil hier mit dem beziehungsreichen Motiv des Weges spielt und damit v. a. eine Reihe von Entscheidungen verbindet. Die Themen, die zwischen Lk 9,51-19,40 zur Sprache kommen, haben exemplarischen Charakter und sind insbesondere transparent für den Weg der christlichen Gemeinde durch die Zeit. In lockerer Folge reihen sich kurze Episoden, Logien, Gleichnisse oder Streitgespräche aneinander und bilden dabei größere thematische Einheiten, die man am ehesten als »erzählerische Sammelbecken« (Wolter 2008, 16) bezeichnen kann. Im Umfeld von Lk 11 geht es um die Frage des Vertrauens auf Gott. In 11,1-13 entwirft der Evangelist in didaktischer Prägnanz einen Gebetskatechismus, der mit dem Vaterunser beginnt und der am Schluss in die Bitte um heiligen Geist einmündet. Daran schließt 603
Die Wundererzählungen im Lukasevangelium
11,14-28 mit einem Gegenbild an: Die Realität unreiner Geister unterstreicht die Bitte von 11,13; zwar ist ihre Macht durch Jesus bereits gebrochen, doch wo Gottes Geist nicht auch vollständig von einem Menschen Besitz ergreift, bleibt ihr Einfluss weiterhin zu fürchten. Das Stichwort eines »Zeichens« aus 11,16 liefert schließlich den Anlass, die Frage der göttlichen Legitimation Jesu in 11,29-32 mit dem Hinweis auf das »Jonazeichen« erneut zu thematisieren. Ihrer Form nach ist die ganze Einheit von Lk 11,14-28 eine »Chrie« bzw. genauer ein »Streitgespräch«. Die Wunderthematik kommt hier weniger in Gestalt einer Erzählung als in Gestalt einer Besprechung zum Zuge. Der Exorzismus, mit dem in 11,14 alles beginnt, wird in äußerster Dichte skizziert: Individuelle Details fehlen; im Mittelpunkt steht v. a. der stumme Dämon; von dem namenlosen Besessenen hingegen erfährt man gerade einmal, dass er nach erfolgter Heilung wieder redet; die Handlung selbst wird knapp konstatiert; für die Reaktion der Menge genügt das Faktum, dass »sie staunten«. Aus diesem Staunen erwächst nun aber ein sorgfältig konzipiertes Streitgespräch, das von 11,15-23 reicht. 11,14 bietet lediglich den Anlass, denn für »einige von ihnen« löst der Exorzismus nicht Bewunderung, sondern Kritik aus. Sie unterstellen Jesus, dass er sich dämonischer Hilfe bediene. Angesichts eines jüdischen Publikums, das auf der Erzählebene durchgängig vorausgesetzt ist, wiegt eine solche Unterstellung schwer und kann nicht unwidersprochen bleiben. Im Verlauf des Streitgespräches erzählt der lukanische Jesus drei kurze Gleichnisse. Anders als in vergleichbaren Situationen argumentiert er hier nicht mit Schriftbelegen, sondern bedient sich metaphorischer Rede. Zunächst erscheinen die Kontrahenten als zwei Gruppen, die unterschiedliche Positionen formulieren: a. die einen unterstellen, dass Jesus die Dämonen mit Hilfe ihres Herrschers Beelzebul austreibe, b. die anderen fordern ein Zeichen vom Himmel. Die Unterstellung der einen bestreitet rundheraus die göttliche Legitimation des Wundertäters und führt sie auf magische Fähigkeiten zurück; die Forderung der anderen schließt sich dieser Linie zwar an, lässt aber die Bereitschaft erkennen, sich durch ein »Zeichen vom Himmel« doch noch umstimmen zu lassen. Wie auch in anderen Fällen ist das »Streitgespräch« kein wirklicher Dialog: Jesus, der »ihre Gedanken sah« (vgl. etwa Lk 5,22; 6,8; 9,47), antwortet mit einem Monolog. Das ganze Szenario legt immerhin nahe, dass beide Äußerungen (Unterstellung und Forderung) in der Menge vernommen und diskutiert werden. Jesus kann die in V. 15 von »einigen« ausgesprochenen Worte in V. 18 zitieren und damit auf breites Verständnis hoffen. Er weist jedoch nur den Vorwurf zurück, mit Beelzebul im Bunde zu sein. Auf die Zeichenforderung geht er erst in dem folgenden Streitgespräch 11,29-32 ein. Sein Monolog besteht im Kern aus zwei Gleichnissen (V. 17 und V. 21 f.), die mit dem Bildfeld innenpolitischer Konflikte bzw. mit der Sicherung von Besitz spielen: Eine Herrschaft, die sich selbst bekämpft, geht unter; ein Starker kann nur beraubt werden, wenn ihn ein Stärkerer zuvor überwindet (Ruf 2007; Merz 2007). Die Übertragung soll deutlich machen: Die Dämonen pfuschen einander nicht ins Handwerk, wohl wissend, dass sie sich damit nur selbst schaden würden; um dämonische Mächte zu besiegen, bedarf es einer stärkeren Macht als nur ihresgleichen. Am Schluss des ersten Gleichnisses und seiner Übertragung gibt Jesus dann den Vorwurf zurück: Er ist ja nicht der einzige jüdische Exorzist! Müsste die Unterstellung dämonischer Hilfe dann nicht auch allen anderen, offenbar doch akzeptierten jüdischen Exorzisten gleichermaßen gelten? Schließlich werden beide Gleichnisabschnitte mit markanten Logien abgeschlos604
Feindliche Übernahme Lk 11,14-23
sen. 11,20 konstatiert, dass sich Jesus nicht des Dämonenherrschers, sondern des »Fingers Gottes« bedient – und dass darin bereits der Anbruch der Gottesherrschaft sichtbar wird. 11,23 bringt die Beziehung zu Jesus auf ein schlichtes Entweder-Oder: Es gibt nur Zustimmung oder Ablehnung, aber keine indifferente, abwartende Haltung. Der folgende Abschnitt 11,24-26 liefert – erneut in Gestalt metaphorischer Sprache (Labahn 2007) – eine Art Ergebnissicherung nach. Denn die Befreiung aus dämonischer Besessenheit, die nicht durch deren Obersten, sondern allein durch Gottes Macht erfolgen kann, bleibt stets der Gefahr eines Rückfalls ausgesetzt. Dazu wird der Mensch als Behausung des »unreinen Geistes« verstanden, der im Falle eines Wohnungsleerstandes den Dämon geradezu einlädt, mit Verstärkung wieder zurückzukehren. Dieses Anliegen geht über die Unterstellung der Kontrahenten aus 11,15 hinaus und vertieft ganz allgemein die Problematik von Besessenheit sowie der Nachhaltigkeit von Heilungen. Zu ihrem endgültigen Abschluss gelangt diese große Einheit jedoch erst in 11,2728: Den kritischen Tönen wird jetzt eine positive Stimme entgegengestellt. Eine Frau formuliert aus ihrer gynozentrischen Perspektive eine Seligpreisung der Mutter Jesu (des Schoßes, der ihn trug, und der Brüste, an denen er sog). Das aber bedeutet nichts anderes als die Würdigung des Wundertäters selbst. Der bestätigt diese Worte auch, modifiziert sie jedoch sofort, indem er sie weitergibt: »Selig sind diejenigen, die Gottes Wort hören und bewahren.« Lukas setzt damit einen bewussten Kontrapunkt – und folgt zugleich einer Motivlinie, die schon in 2,34 beginnt: Das Auftreten Jesu löst Widerspruch und Zustimmung gleichermaßen aus – und fordert eine Positionierung. Auch in dem Exorzismus von 11,14 kann man entweder dämonische Kräfte oder Gottes Geist am Werk sehen. Nirgends sonst im Lukasevangelium wird die Legitimation des Wundertäters Jesus grundsätzlicher thematisiert als hier. Hauptakteur in dieser Erzählung ist Jesus, dessen Identität sich aus dem großen Erzählzusammenhang ergibt. Er allein handelt und hat auch die längsten Redeanteile. In dem einleitenden Exorzismus (V. 14) bleibt der stumme Dämon als sein Gegenüber ebenso farblos wie der Besessene; über beide wird verfügt; im Blick auf den Geheilten findet lediglich dessen wiedergewonnene Sprachfähigkeit Erwähnung. Jesu »Ich« dominiert in V. 18-20 und V. 23; er ist auch der Erzähler aller drei Gleichnisse. Eine eigene Stimme erhalten nur noch die Kontrahenten (V. 15 f.). Zum Schluss spricht jene unbekannte Frau aus dem Volk ihre Seligpreisung aus (V. 27); das letzte Wort behält wiederum Jesus (V. 28). Aus der Volksmenge treten zwei Sprechergruppen besonders hervor (»einige von ihnen«; »andere«), deren erste noch einmal auf ihre »Söhne« hin angesprochen wird; alle weiteren Anreden adressieren diese erste Gruppe. Der Rest der Volksmenge wird einfach als anwesend mitgedacht. Trotz ihres besprechenden Charakters ist die gesamte Einheit von einer eigentümlichen Dynamik geprägt. Das hat v. a. mit eine Reihe von Verben zu tun, die für Aktivität stehen: Wie ein roter Faden durchzieht das Verb »austreiben / hinauswerfen« den Text (6x), das gleich zu Beginn in Gestalt einer cunjugatio periphrastica eingeführt wird: Jesus erscheint, »als er dabei war, einen Dämon auszutreiben«; er wird gleichsam im Vollzug einer charakteristischen Tätigkeit vorgestellt. Der gewaltsame Ton, der diesem Verb anhaftet, kehrt in der Bildwelt der folgenden Gleichnisse wieder: Da wird Spaltung betrieben, verwüstet, übereinander hergefallen, besiegt, weggenommen oder Beute verteilt. Doch auch die Kontrahenten Jesu sind aktiv: Während die Volksmenge nur staunt, äußert die eine Gruppe ihre Kritik, die andere fordert und prüft bzw. versucht ihn. Das 605
Die Wundererzählungen im Lukasevangelium
Logion in V. 20 thematisiert die Ankunft der Gottesherrschaft, die sich im Sieg über die Dämonen durch den »Finger Gottes« bereits vollzieht; das Logion in V. 23 handelt davon, Position zu beziehen – in der Metaphorik von sammeln und zerstreuen. In einer solchen sprachlichen Gestaltung spiegelt sich wider, dass »Besessenheit« kein statischer Zustand, sondern ein Geschehen voller Dynamik ist – von der Besitzergreifung durch den Dämon über seine Machtausübung bis hin zu seiner Vertreibung. Die kritischen Einwände der Kontrahenten erfolgen im Rahmen eines Streitgespräches stilgemäß. Ihnen geht schon eine lange Reihe von Konfrontationen, Prüfungen oder Fangfragen voraus. Neu ist jedoch an dieser Stelle die Thematik: Die Wundertätigkeit als solche gerät auf den Prüfstand. Es geht inzwischen nicht mehr nur darum, ob durch eine Heilung auf blasphemische Weise göttliche Vollmacht beansprucht oder ob der Sabbat verletzt wird, sondern um die Sache der Heilung selbst. Zwar ist deren Erfolg unbestreitbar, aber die Mittel werden in Zweifel gezogen. Jesus gerät durch seine Exorzismen in ein Zwielicht, das auch andere Heiler bevölkern. Damit wird auf der Erzählebene zunächst Jesus selbst, durch seine Reaktion aber auch das fiktive Publikum herausgefordert. Diese Herausforderung überträgt sich dann auf das spätere Hör- und Lesepublikum des Streitgespräches, das nun Position beziehen muss – bei der Unterstellung der einen (V. 15), bei der Forderung der anderen (V. 16), bei der Argumentation Jesu (V. 17-23) oder bei der Seligpreisung der Frau aus dem Volk (V. 27).
Sozial- und realgeschichtlicher Kontext Stumm sein ist in der Antike ein Gebrechen mit weitreichenden Folgen für alle sozialen Beziehungen. Wer sich nicht durch Worte verständlich machen kann, ist aus der Kommunikation ausgeschlossen bzw. kann nur eingeschränkt daran teilnehmen. Anders als im Falle von Blindheit bleibt immerhin die Möglichkeit einer Erwerbstätigkeit erhalten, so dass der Stumme nicht automatisch auch ein Armer ist, der auf Bettelei und Almosen angewiesen wäre (Stegemann 1981). In Lk 11,14 wird nur der Verlust der Sprachfähigkeit benannt; in anderen Erzählungen erscheinen die Betroffenen hingegen als stumm und taub (z. B. Mk 7,31-37). In der rabbinischen Literatur gibt es eine Diskussion darüber, welche körperlichen Einschränkungen kultunfähig machen; in der Regel gilt das nur für die Kombination von Stumm- und Taubheit (Billerbeck 1926a, 526). Dass man gerade die Sprachlosigkeit als Blockade ansonsten ja sichtbar vorhandener Sprechorgane auf eine dämonische Verursachung zurückführen konnte, liegt auf der Hand. Heilungen Stummer lassen sich auch außerhalb der biblischen Überlieferung belegen; um nur zwei zu nennen: In Epidauros wird ein stummer Knabe während des Opfers geheilt (Herzog 1931, 97); Rabbi (um 110) heilt nach bChag 3a durch Gebet zwei stumme Schüler in der Synagoge (Billerbeck 1926a, 526). In der Erzählung Lk 11,14-23 wird ganz selbstverständlich die Existenz von Exorzisten verschiedener Provenienz vorausgesetzt. Wenigstens zwei Typen treten dabei in Erscheinung: Der erste, den Jesus für sich in Anspruch nimmt und den er auch den in V. 19 genannten jüdischen Exorzisten zugesteht, bedient sich der Macht Gottes; der zweite, der Jesus von seinen Kontrahenten unterstellt wird, arbeitet mit der Beschwörung des Dämonenfürsten Beelzebul. Die Bandbreite dürfte indessen im 1. Jh. n. Chr. noch weit-
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aus größer gewesen sein. Im Rahmen eines Weltbildes, das Krankheit weitgehend als dämonisch verursacht ansah, war der Bedarf an Exorzisten groß. Wenn Jesus von Nazaret Exorzismen vollzog, dann ließ er sich damit bekannten Typen zuordnen. Nicht, ob ein solches Verfahren überhaupt möglich sei, war dabei die Frage, sondern in wessen Vollmacht bzw. mittels welcher Kräfte oder Techniken es durchgeführt wurde. Der Einwand der Kontrahenten in V. 15 f. wirft genau diese Frage auf. In den Gleichnissen V. 17 f. und V. 21 f. wird eine Bildwelt sichtbar, die sich aus der Alltagswirklichkeit der hellenistisch-römischen Welt speist. Wer Macht hat, setzt sie auch ein; wer über die entsprechende militärische Stärke verfügt, tritt auch als Usurpator auf. Das Recht des Stärkeren bestimmt das politische Geschehen. Ehre lässt sich zudem allein dadurch gewinnen, dass man einem anderen dieselbe mit Erfolg streitig macht (Malina 1993, 40-66). Wer sich selbst und seine eigene Machtposition schwächt, bietet sich hingegen seinen Konkurrenten als willkommenes Opfer an. Die großen altorientalischen Staaten wie auch die Diadochenreiche sind v. a. aufgrund innenpolitischer Wirren untergegangen. Wer politisch bestehen will, muss interne Krisen vermeiden. Das ist eine allgemein akzeptierte und völlig plausible Sicht der Dinge. Ihr entspricht in heutiger Zeit am ehesten das Phänomen der »feindlichen Übernahme«, wenn ein Investor die Aktienmehrheit eines konkurrierenden Unternehmens erwirbt und dasselbe dann – meist gegen die Interessen von Management und Betriebsrat – in direkter Verhandlung mit dem Eigentümer aufkauft. Wer dazu in der Lage ist, handelt auch so. Ansonsten besteht die Gefahr, selbst zum Objekt einer feindlichen Übernahme zu werden.
Traditions- und religionsgeschichtlicher Hintergrund Die Schärfe des Vorwurfs, den Jesus zu parieren unternimmt, bemisst sich an der Identität des Dämonenfürsten: Wer ist »Beelzebul«? Dieser merkwürdige Name hat eine semitische Vorgeschichte (Herrmann 1999). Karriere macht er jedoch erst durch seine polemische Anwendung auf Jesus, die zum Ausgangspunkt einer differenzierten christlichen Rezeptionsgeschichte wird (Gaston 1962). Klar erkennbar steht hinter der griechischen eine hebräische Namensform, die mit »Baal« gebildet ist. In 2Kön 1,2-18 erscheint ein »Baal Zebub« (Vulgata: Beelzebub) als Stadtgott von Ekron, den König Ahasja als Orakel befragen lässt; in dieser Form wäre der Name mit »Baal bzw. Herr der Fliege« zu übersetzen, was schon die LXX in 2Kön 1,2 und Josephus in Ant. 9,19 so verstehen; Symmachus indessen korrigiert zu »Beelzebul«. Dass »Baal Zebub« eine Verballhornung ist, liegt auf der Hand. Die Form »Zebul« indessen würde eine plausiblere Erklärung gestatten: Entweder könnte der Name dann vom Ugaritischen her »Baal der Erhabene« heißen, oder Hebräisch »Baal bzw. Herr des Hauses / der Wohnstatt / des Tempels / des Himmels« bedeuten; beide Aspekte korrespondieren einander im Blick auf eine herausragende, übergeordnete Position. Ansonsten lässt sich die Gottheit »Beelzebul/-bub« nicht mehr belegen; ihre Rekonstruktion in der Beschwörungsformel 4Q560 bleibt unsicher (Penney/Wise 1994). Im Neuen Testament kommt der Name ausschließlich im Rahmen der Beelzebulkontroverse vor. Der einzige weitere Beleg in Mt 10,25 (im Kontext der Aussendungsrede) erweist sich dafür als besonders aufschlussreich: »Wenn sie den Hausherrn Beelzebul betitelt haben, um wie viel mehr seine Hausgenossen!?« Der Kontext legt auch hier 607
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eine Bedeutung des Namens im Sinne von »Hausherr« nahe: Beelzebul wäre dann wie schon in Ugarit in seiner Eigenschaft als »Herr der Götter / der Erde / der Unterwelt« verstanden (MacLaurin 1978); der Vergleichspunkt liefe über die Beziehung zum Tempel und zu Jesu Anspruch, in ganz neuer Weise Herr gerade dieses Hauses zu sein. Eindeutig wird die Charakterisierung dann aber erst durch das beigefügte Epitheton: »Oberster der Dämonen« (Mk 3,22; Mt 12,24; Lk 11,15). Wer auch immer dieser »Baal Zebul« einmal religionsgeschichtlich gewesen sein mag – in jüdischer Perspektive kann er keine andere Vorrangstellung beanspruchen als bestenfalls über die Dämonen. Hier liegt auch das Proprium des synoptischen »Beelzebul«: Sein Name selbst ist frei von allen kakophonen Nebentönen; als »Oberster / Herrscher der Dämonen« besetzt er eine respektable Position, die ihn den widergöttlichen Mächten zuordnet. In der Schwebe bleibt die Beziehung zwischen »Beelzebul« und »Satan«. Einerseits drängt sich der Gedanke einer Identifikation auf, denn in der apokalyptischen Tradition gibt es genügend Belege, die das Heer der Dämonen und widergöttlichen Kräfte der Herrschaft Satans unterstellen. Zudem zieht auch die Übertragung des folgenden Gleichnisses (V. 18) die Herrschaft Satans als Analogon heran. Andererseits stellt sich die Frage, warum Lukas die Kontrahenten Jesu dann nicht gleich den Vorwurf einer satanischen Vollmacht erheben lässt: Klingt das »Synonym« Beelzebul vielleicht weniger radikal? Schwebte ihm eben doch so etwas wie eine Zuordnung zweier unterschiedener Größen vor? Oder fühlte er sich nur unterschiedlichen Traditionen verpflichtet, die er unausgeglichen nebeneinander stehen ließ? Da das Neue Testament noch keine ausgeführte Dämonologie kennt, muss diese Frage offenbleiben. Die Beelzebulkontroverse erscheint als Momentaufnahme eines Prozesses, der sich noch in seinem Anfangsstadium befindet. In der Folge schließt sich die christliche Dämonologie dann eng an Lk 11,14-23 par. an und versteht »Beelzebul« als einen von vielen Namen des »Teufels«. Im Testament Salomos (4. Jh.) fungiert »Beelzebul« durchgängig als Fürst der Dämonen, der dem weisen König nach und nach alle seine Untergebenen ausliefern muss (Busch 2006b). Auch die Kirchenväter nehmen in diesem Sinne auf ihn Bezug (z. B. Hipp. haer. 6,34,1; Or. Cels. 8,25). In den Zauberpapyri findet sich bislang nur ein Beleg (Reitzenstein 1904). Ausgehend von der synoptischen Beelzebulkontroverse wird der Name schließlich zum Ausdruck jener Seite der widergöttlichen (satanischen) Macht, die für die Beschwörung ihresgleichen zuständig ist. Gegen die Unterstellung solcher Hilfe beruft sich Jesus in dem Logion 11,20 auf die Macht Gottes. Das geschieht mittels einer bemerkenswerten Wendung: »Wenn ich aber mit dem Finger Gottes die Dämonen austreibe … !« Mt 12,28 schreibt an dieser Stelle »mit dem Geist Gottes«, was auch für Lukas durchaus passend wäre – immerhin lässt er den vorausgehenden Gebetskatechismus (11,1-13) in die Bitte um »heiligen Geist« einmünden! Es muss demnach gute Gründe geben, an dieser Stelle einen derart starken Anthropomorphismus zu verwenden. Die Metapher von der Hand Gottes, die helfend eingreift, ist in der religiösen Sprache Israels fest etabliert (Kieffer/Bergmann 1997). Die Rede vom »Finger« indessen ruft in diesem Zusammenhang noch einmal ein ganz bestimmtes intertextuelles Spiel auf (Woods 2001). Von den vier Belegen, die sich dafür in der LXX finden lassen (Ex 8,15; 31,18; Dtn 9,10; Ps 8,4), kommt nur der erste in Frage – dies jedoch umso deutlicher. Er steht im Kontext jener Erzählung von den ägyptischen Plagen (Ex 7,14-11,10), in der Mose und Aaron immer wieder mit den ägyptischen Zauberern konfrontiert sind. In 8,12-27 lässt Gott Stechmücken über Ägypten kommen: 608
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Aaron schlägt mit seinem Stab in den Staub der Erde, der sich dadurch in die Insekten verwandelt; die ägyptischen Zauberer, die es ihm nachzumachen versuchen, scheitern jedoch und bekennen gegenüber dem Pharao: »Das ist Gottes Finger!« Aus dem Wortlaut wird nicht ganz klar, ob sie damit das Wunder als solches oder speziell den Stab des Aaron meinen (van der Horst 1979), doch der Zusammenhang ist unmissverständlich: In Aaron wirkt Gott auf unmittelbare Weise, während die ägyptischen Zauberer keine auch nur annähernd vergleichbare Macht auf ihrer Seite haben. Vor der Überlegenheit Gottes verblassen alle magischen Kräfte, für die gerade die Ägypter in der alten Welt berühmt waren. »Gottes Finger« fungiert somit als Metapher einer solchen unüberbietbaren, durch keine Technik und keine Formel einzuholenden Macht.
Verstehensangebote und Deutungshorizonte Unverkennbar fängt die Beelzebulkontroverse Erinnerungen ein, die zu einer historisierenden Deutung Anlass geben könnten. Immerhin spiegelt sich darin ein Stück Außenwahrnehmung wider, die sich weniger an den Worten als an den Taten Jesu festmacht. Gerade aufgrund seiner Exorzismen musste es naheliegen, ihn dem ganzen weitläufigen Bereich von Magie und Zauberei zuzuordnen. Den Vorwurf, mit Beelzebul im Bunde zu sein, hätte die frühe Christenheit kaum erfunden. Vielmehr ist er wohl so fest in der Überlieferung verankert gewesen, dass man sich mit ihm zwangsläufig auseinandersetzen musste. Markus und die Logienquelle nehmen ihn auf; Mt 10,25 kolportiert ihn unabhängig; Matthäus und Lukas geben der Tradition aus Q noch einmal neues Gewicht. Dass man Jesus für besessen hielt, weiß unabhängig von der synoptischen Tradition auch noch Johannes zu berichten (7,20; 8,48-52; 10,20 f.). In der späteren antichristlichen Polemik lebt das Bild von »Jesus dem Magier« fort: Justin der Märtyrer oder Origenes fühlen sich davon im 2./3. Jh. noch massiv herausgefordert (Kollmann 1996, 179-181); die rabbinische Tradition schwenkt ganz auf diese Linie ein (Schäfer 2010); selbst in der jüngsten Diskussion findet die Magierthese noch immer Anhänger (Smith 1981). Dies alles kommt nicht von ungefähr, sondern haftet an den zahlreichen Exorzismen, die man im Auftreten Jesu wahrnahm. Zu klären bleibt dann lediglich, welchen Typos genau der historische Jesus in diesem Spektrum verkörperte – wobei alles dafür spricht, ihn als charismatischen Wundertäter zu verstehen (Vermes 1993; Trunk 1994). Diesen Akzent setzt auch die literarische Verarbeitung des Beelzebulvorwurfs in Lk 11,14-23. Zugleich ist diese Kontroverse von grundlegenden christologisch-theologischen Interessen bestimmt. Letztlich geht es auch hier unter dem Eindruck irritierender Erfahrungen um die Frage: »Wer ist denn dieser?« (Mk 4,41 / Mt 8,27 / Lk 8,25). Die Antwort bedient sich daraufhin eines Kontrastes: Nicht mit der Macht der Dämonen, sondern »mit dem Finger Gottes« bewirkt Jesus Taten, in denen sich die Ankunft der Gottesherrschaft manifestiert. Der Vorwurf der Gegner wird insofern produktiv gemacht, dass er dazu verhilft, im Gegenzug die wahre Identität Jesu umso klarer hervortreten zu lassen. Gott, der durch Jesus Befreiung von allen Bindungen bewirkt, ist derselbe, der schon sein Volk »mit starker Hand und ausgerecktem Arm« (Dtn 5,15) aus der Sklaverei in Ägypten befreit hatte. Hier liegt der Hauptakzent. Die Kontroverse dreht sich nicht um dämonologische Fragen, sondern um die Einheit des Handelns Jesu mit dem Handeln Gottes. Denn wenn der lukanische Jesus seine Exorzismen in genau jener Macht Gottes vollzieht, 609
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die seinerzeit schon den Pharao in die Knie gezwungen hat, dann müssen die unterstellten magischen Praktiken mit Hilfe eines Beelzebul ebenso lächerlich wirken wie die Hilflosigkeit der ägyptischen Zauberer. Der »Finger Gottes« führt jedoch nicht nur die ganze Vergeblichkeit jener Konkurrenz vor Augen, von der in Ex 7-11 so eindrücklich erzählt wird. Ohne dass hier Definitionen von Magie oder Zauber im Unterschied zu göttlichen Krafttaten formuliert werden müssten, wird klar: Es gibt unterschiedliche Arten von Exorzismen. Sie unterscheiden sich durch die Macht, die dabei am Werk ist. Dafür aber kommt nur eine einzige Alternative in Frage – nämlich Gott oder die Dämonen. Nicht zufällig endet das Streitgespräch in V. 23 mit einem Logion, dessen Ton auf ein striktes Entweder-Oder gestimmt ist: »Wer nicht mit mir ist, ist gegen mich. Und wer nicht mit mir sammelt, zerstreut«. Ganz am Rande klingt noch ein weiteres, hermeneutisch belangvolles Motiv an: Gerade die Heilung Blinder, Tauber und Stummer erweist sich immer wieder als transparent für die Eröffnung neuer Gotteserkenntnis (Herrmann 1961). Der Stumme wird in die Lage versetzt, seine Befreiungserfahrung weiterzusagen, auch wenn die kurze Fassung des Exorzismus in Lk 11,14 dafür keinen Raum mehr lässt. Alles Gewicht liegt auf dem Gedanken der Gegenwart des Heils im Auftreten Jesu: Seine Exorzismen, mit denen die Macht Satans gebrochen wird, sind Zeichen der anbrechenden Gottesherrschaft. Dem Logion von Lk 11,20 (»Wenn ich aber durch den Finger Gottes die Dämonen austreibe, dann ist schon die Königsherrschaft Gottes zu euch gelangt«) treten andere wie Lk 10,18 (»Ich sah den Satan wie einen Blitz vom Himmel fallen«) oder 17,21 (»Die Königsherrschaft Gottes ist mitten unter euch«) zur Seite. Wo Befreiung aus Bindungen erfolgt, ist Gott schon gegenwärtig. Solche theologischen Aussagen haben eine unmittelbare Relevanz für die Lebenswirklichkeit derer, die mit Jesus von Nazaret bzw. dem auferstandenen Christus konfrontiert sind. Deshalb vermag gerade die sozialgeschichtliche Exegese hier noch einmal neue Aspekte wahrzunehmen (Guijarro 2002): »Besessenheit« ist mehr als nur ein Krankheitsphänomen. Sie lässt sich ebenso als Ventil oder Symptom sozialer Konflikte begreifen, als Fluchtversuch aus unerträglichen oder ausweglos gewordenen Verhältnissen – die damit jedoch gerade nicht verändert, sondern weiter zementiert werden. Wenn Jesus aus solcher »Besessenheit« herausführt, legt er damit zugleich deren Ursachen frei. Das trägt ihm die Feindschaft derer ein, die für Unrecht und Armut die Verantwortung tragen und die deshalb an der Ausgrenzung unangepassten Verhaltens interessiert sind. Folgerichtig versuchen sie, nun auch Jesus gesellschaftlich zu isolieren. Eines der wirksamsten Mittel ist dazu nach wie vor die negative Etikettierung, in diesem Falle mit dem im jüdischen Kontext schwerwiegenden Vorwurf dämonischer Bindungen. Jesus selbst soll damit den Besessenen gleichgestellt und mit ihnen ausgegrenzt werden. (Re-)Integration aber ist gerade das Anliegen, von dem die Exorzismen Jesu bestimmt sind. Ihre größte theologische Brisanz hat sich die Beelzebulkontroverse jedoch dort bewahrt, wo es um die Wirklichkeit des Bösen in der Welt geht, was in psychologisch-symbolischen Deutungsansätzen besonders betont wird. Menschen finden sich in Bindungen und Zwängen vor, die ihre sozialen Beziehungen beeinflussen. Die Angst vor Dämonen im Sinne körperloser, fratzenhafter Geister ist dabei dem Gespür für transpersonale, auf irrationale Weise wirkende Mächte gewichen. Das Dämonische hat einen neuen Ort in psychischen, selbstzerstörerischen Strukturen, in unberechenbaren Fanatismen oder im Zynismus totalitärer Systeme und Ideologien gefunden. Auch Befreiungsangebote sind 610
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entsprechend vielfältig und tragen unterschiedliche Namen. Wenn das Evangelium Befreiung von all jenen Mächten verspricht, die Menschen binden, dann befindet es sich zunächst als ein Angebot unter vielen auf dem kaum noch überschaubaren »Markt religiöser Möglichkeiten«. Vom äußeren Erscheinungsbild her sehen die Exorzismen Jesu den Dämonenaustreibungen konkurrierender Wundertäter zum Verwechseln ähnlich. Auch die Verkündigung des Evangeliums von Jesus Christus gerät immer wieder in eine Grauzone, in der die Grenzen zu anderen Heilsangeboten verschwimmen. Umso notwendiger erscheint deshalb die Vereinfachung, das klare Entweder-Oder der Beelzebulkontroverse (11,23), die eindeutige Orientierung, aber auch die verlässliche Einordnung in eine längst bewährte Glaubenstradition (11,20). Die Realität des Bösen bzw. des dämonisch Ungreifbaren wird nicht geleugnet. Aber sie verliert in der Zugehörigkeit zu Christus ihr angsteinflößendes Potential. Das lässt sich freilich auf rationalem Wege nur begrenzt vermitteln; auch die metaphorische Sprache der Gleichnisse vermag hier nur Teilaspekte zu erfassen. Entscheidend bleibt das Bekenntnis, das sich positioniert (11,23) und das die riskante Vorleistung des Vertrauens wagt. Nicht etwa die neutrale Haltung (11,24-26), sondern nur die entschiedene Zugehörigkeit, durch die Gottes Geist im Menschen »Wohnung nimmt«, klärt das Zwielicht und die undurchschaubare Gemengelage obskurer Mächte auf. Insofern gewinnt die Beelzebulkontroverse – speziell im Anschluss an die Gebetsparänese von Lk 11,13 wie auch im Gesamtkontext der Jesusüberlieferung überhaupt – eine starke paränetische Ausrichtung.
Aspekte der Parallelüberlieferung und Wirkungsgeschichte Die Überlieferung der Beelzebulkontroverse erweist sich als ausgesprochen komplex. Mit ihrer Erörterung lässt sich leicht eine ganze Monographie füllen (Fuchs 1980). Über die grundlegenden Sachverhalte aber besteht weitgehend Konsens. Die Episode geht auf zwei Fassungen zurück: Entweder handelt es sich dabei um Markus und Deutero-Markus, womit sich die minor agreements erklären ließen (Ennulat 1994), oder es handelt sich um eine Doppelüberlieferung in Markus und Q, was insgesamt einfacher zu verstehen ist. Mk 3,22-30 vertritt eine eigenständige Fassung; Lk 11,14-23 par. Mt 12,22-32 repräsentieren im Wesentlichen Q; Mt 9,32-34 zeigt größere Nähe zu Q als zu Markus und stellt eine weitere Variation dar. Mk 3,22-30 entwirft ein Bild von komprimierter Dramatik. Alle Konzentration gilt dem Streitgespräch; selbst ein einleitender Exorzismus ist dafür als »Aufhänger« entbehrlich. Jene Schriftgelehrten, die hier aus Jerusalem nach Galiläa gekommen sind (3,22), eröffnen die Kontroverse ohne Umschweife. Durch den Kontext erhält ihr Vorwurf jedoch noch einmal eine ganz besondere Schärfe: Gerade hatte Markus in 3,21 erzählt, dass die Angehörigen Jesus zu ergreifen suchen, weil sie der Auffassung sind: »Er ist verrückt!«; daran schließen sich die Schriftgelehrten unmittelbar an und setzen noch eins drauf: »Er hat den Beelzebul!« Für sie ist Jesus nicht nur »wie von Sinnen«, sondern buchstäblich »besessen« (vgl. auch Mt 10,25). Die Schriftgelehrten gehen offensichtlich davon aus, dass ihm seine Besessenheit dazu verhilft, selbst als Exorzist zu wirken – oder präziser: Der Oberste der Dämonen, der sich in ihm festgesetzt hat, benutzt seinen »Wirt« zu einem Theater, das die Zuschauer über die wahren Hintergründe täuschen soll – wären da nicht jene Aufklärer in Gestalt der Jerusalemer Fachleute. Lukas und Mat611
Die Wundererzählungen im Lukasevangelium
thäus verschieben an dieser Stelle den Akzent deutlich: Während Jesus nach Auffassung der Schriftgelehrten bei Markus selbst Opfer ist und instrumentalisiert wird, gestehen ihm die Kontrahenten bei Matthäus und Lukas fraglos die Rolle des Handlungssouveräns zu, der sich der Macht des Dämonenfürsten eindrucksvoll zu bedienen vermag. Es handelt sich dabei eben nur um die falsche Macht, deren Hilfe ein frommer Jude strikt zurückzuweisen hat. Mt 9,32-34 erscheint als Teil einer kombinierten Heilungsgeschichte (Mt 9,27-34), die der Aussendungsrede (Mt 10,5-11,1) vorausgeht. Jesus kehrt in einem Haus ein, das zum Ort beider Heilungen wird und so deren Zusammengehörigkeit herstellt. Zwei Blinde, die ihn bereits auf dem Weg als »Sohn Davids« angerufen hatten, werden zu ihm gebracht. Als sie geheilt hinausgehen, bringt man einen stummen, besessenen Menschen herein. Der nun folgende knappe, aller Details entbehrende Exorzismus entspricht genau jenem kurzen Bericht, mit dem die Beelzebulkontroverse in Q beginnt. Während die anwesende Menge staunt: »Noch nie ist so etwas in Israel geschehen!«, formulieren die Pharisäer den bekannten Vorwurf: »Durch den Fürsten der Dämonen treibt er die Dämonen aus!« Der Name Beelzebul selbst fällt hier nicht, wird aber schon bald in einem Logion der Aussendungsrede eingeführt werden, das sich vermutlich auf diese Episode zurückbezieht (10,5): »Wenn sie den Hausherrn Beelzebul betitelt haben, um wie viel mehr seine Hausgenossen!?« Auf der Erzählebene verhallt der Vorwurf in 9,34 zunächst unwidersprochen. Jesus zieht lehrend und heilend weiter, um schließlich auch seine Schüler in diese Tätigkeit einzubeziehen. Man wird sich aber dieses Vorwurfs erinnern, wenn er in Mt 12 im Zusammenhang der Beelzebulkontroverse erneut zur Sprache kommt. Mt 12,22-32 bietet auf der Basis von Q im Wesentlichen das gleiche Streitgespräch wie Lk 11,12-23. Dabei gibt es jedoch einige Besonderheiten. Am auffälligsten ist, dass Matthäus nach dem Vorbild von Mk 3,22-30 die ganze Einheit mit der Warnung vor Blasphemie gegen den Geist Gottes enden lässt. Das erscheint hier jedoch sehr viel stimmiger, weil zuvor vom Geist Gottes als der maßgeblichen Gegengröße zu Beelzebul schon die Rede war: »Wenn ich aber durch den Geist Gottes die Dämonen austreibe …«; statt des »Fingers Gottes« (Lk 11,20) gewinnt der »Geist Gottes« in diesem Zusammenhang eine geradezu unverzichtbare Funktion. Der einleitende Exorzismus wird hier etwas ausführlicher geschildert. Er zeigt Jesus nicht wie bei Lukas schon mitten in seiner Tätigkeit, sondern lässt den Besessenen im Stil einer ordentlichen Eröffnung erst herbeigebracht werden. Dieser ist (über Lukas hinaus) blind und stumm – und wird folglich auch von beiden Gebrechen geheilt. Wie schon in 9,34 sind es auch hier dezidiert Pharisäer, die nun den Vorwurf erheben: »Dieser treibt die Dämonen nicht anders aus als durch Beelzebul, ihren Obersten!« Die Zeichenforderung einer zweiten Gruppe (Lk 11,16) vermisst man bei Matthäus, weil er die Überlieferung vom Jonazeichen in einen anderen Zusammenhang einordnet. Insofern kann Jesus auch unmittelbar mit dem ersten Gleichnis reagieren, wenngleich auch hier die Überlegungen der Pharisäer den Anknüpfungspunkt bieten. Deutlicher malt Matthäus das Bild eines Bürgerkrieges aus und spitzt seine Übertragung ähnlich wie Mk 3,23 zu (»wenn Satan den Satan austreibt«). Das zweite Gleichnis orientiert sich ebenfalls stärker an Mk 3,27. Grundsätzlich aber stoßen auch für ihn die exorzistische Kraft Jesu und die exorzistischen Fähigkeiten magischer Provenienz als unvereinbare Gegensätze aufeinander.
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Feindliche Übernahme Lk 11,14-23
Abb. 15: Begegnung der Heere Heinrichs IV. und Heinrichs V. an den Ufern des Regen. Detail im Bilderzyklus der ›Chronik‹ Ottos von Freising (ca. 1140)
Die weitere Rezeption der Kontroverse von Lk 11,14-23 par. in der christlichen Theologie bleibt begrenzt. Sie entzündet sich v. a. an jener Unterstellung, dass der Geistträger mit dämonischen Kräften im Bunde sei. Denn ganz offensichtlich eignet sich eine solche Beelezebul-Polemik hervorragend, um politische oder religiöse Gegner als gegengöttliche Größen anzuprangern. Zwei Beispiele müssen hier genügen. In der Chronik Ottos von Freising (12. Jh.) wird der Konflikt zwischen Kaiser Heinrich IV. und seinem Sohn Heinrich V. unter Bezugnahme auf Lk 11,17 par. Mt 12,25 gedeutet: »Jede Königsherrschaft, die in sich selbst gespalten ist, muss zugrunde gehen«. Eine beigefügte Illustration zeigt zwei berittene Trupps, die aufeinander zusprengen; Heinrich IV. trägt das Adlersymbol im Wappen, ein Ritter aus dem Heer seines Sohnes aber präsentiert eine Fliege auf dem Schild! »Beelzebub« (nach der Vulgata der »Fliegenherrscher«) symbolisiert also die entscheidende Triebkraft für die Spaltung der Reichseinheit, was der Illustrator aus dem Bibeltext kundig aufzunehmen versteht (Huth 1994). Etwa 350 Jahre später verfasste Martin Luther 1537 ein Flugblatt, das als Teufelsbrief fingiert ist und Rom die Schuld an der Kirchenspaltung zuspielt: »Beelzebub an die Heilige Bepstliche kirche. Wir, Beelzebub, Fürst aller Teuffel, gewaltiger Herr und regent uber alle Kinder des unglaubens, Entbieten Bapst, Cardinelen, Bisschöven und allen der Bepstlichen Kirche geliedern, unsern getrewen unterthanen, Unsern gantz freundlichen grus …« (WA 50,1914). Wieder ist es der Beelzebub der Vulgata, der für die Uneinigkeit der Christenheit – diesmal jedoch in Glaubensfragen – verantwortlich zeichnet. Solche Polemik verortet die römische Kirche bereits außerhalb der Königsherrschaft Gottes, die ja nun erst durch das Wirken Jesu und seiner »Galiläer« (wie das Flugblatt die Lutherischen hier nennt) zu den Glau613
Die Wundererzählungen im Lukasevangelium
benden gelangt ist. Solche Instrumentalisierungen gehen freilich an der Intention der Perikope vorbei und sind heute zu Recht (besonders im ökumenischen Gespräch) überwunden. Der Name »Beelzebul / Beelzebub« hat sich seither aus der Polemik in den Bereich des Okkultismus zurückgezogen. Der Vorwurf von Lk 11,15.18 aber ist zu einer sprichwörtlichen Wendung geronnen: Wenn jemand eine üble Lage mit Hilfe von Mitteln zu bereinigen versucht, durch die sich die Sache am Ende verschlimmert, dann nennt man das »den Teufel mit Beelzebub austreiben« (Beyer/Beyer 1989, 583). Die Unsinnigkeit eines solchen Verfahrens gilt dem Volksmund als erwiesen.
Christfried Böttrich Literatur zum Weiterlesen U. Busse, Die Wunder des Propheten Jesus. Die Rezeption, Komposition und Interpretation der Wundertradition im Evangelium des Lukas, fzb 24, Stuttgart 1977, 275-289. M. Emmrich, The Lucan Account of the Beelzebul Controversy, WTJ 62 (2000), 267-279. V. K. Robbins, Beelzebul Controversy in Mark and Luke. Rhetorical and social analysis, Forum 7 (1991), 261-277. T. Söding, ›Wenn ich mit dem Finger Gottes die Dämonen austreibe …‹ (Lk 11,20). Die Exorzismen im Rahmen der Basileia-Verkündigung Jesu, in: A. Lange/H. Lichtenberger/K. F. D. Römheld (Hg.), Die Dämonen. Die Dämonologie der israelitisch-jüdischen und frühchristlichen Literatur im Kontext ihrer Umwelt, Tübingen 2003, 519-549.
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Umgekehrter Hexenschuss: Keine Heilung ohne Kontext (Heilung einer gekrümmten Frau am Sabbat) Lk 13,10-17 (10) Und er lehrte wieder am Sabbat in einer der Synagogen. (11) Und siehe, (da war) eine Frau, die seit achtzehn Jahren einen Geist der Kraftlosigkeit hatte, und sie war in sich niedergebeugt und nicht in der Lage, sich vollständig aufzurichten. (12) Als Jesus sie sah, rief er sie herbei und sprach zu ihr: »Frau, du bist befreit von deiner Kraftlosigkeit.« (13) Und er legte ihr die Hände auf und augenblicklich war sie wieder aufgerichtet und pries Gott mit lauter Stimme. (14) Als Antwort sagte der Synagogenvorsteher – in großer Aufregung, weil Jesus am Sabbat heilte – nachdrücklich zur Menge: »Sechs Tage sind es, an denen es nötig ist zu arbeiten. An jenen nun kommt und lasst euch heilen und nicht am Sabbattag.« (15) Als Antwort auf ihn sprach der Herr: »Ihr Frevler, löst nicht ein jeder von euch am Sabbat sein Rind oder seinen Esel von der Krippe und führt sie zur Tränkung? (16) Diese, die eine Tochter Abrahams ist, die der Satan band – siehe, zehn und acht Jahre – war es nicht nötig, sie am Sabbattag von dieser Bindung zu lösen?« (17) Und als er dieses sagt, waren alle seine Gegner zutiefst beschämt und die ganze Menge erfreute sich sehr an allen herrlichen Taten, die durch ihn geschehen.
Sprachlich-narratologische Analyse Die Erzählung von der Heilung einer gekrümmten Frau steht im stark paränetisch geprägten Reisebericht des Lukasevangeliums (9,51-19,27), dessen einzelne Etappen nur lose miteinander verbunden sind. Wo und wann genau auf dem Weg nach Jerusalem die Episode spielt – ob in Galiläa, Judäa oder Samaria –, ist aus dem Kontext nicht zu entnehmen. Durch einen zeitlichen und örtlichen Neueinsatz in 13,10 (in einer Synagoge an einem Sabbat) ist die Erzählung klar nach vorne abgegrenzt. Die Abgrenzung nach hinten gestaltet sich etwas schwieriger: Zwar schließt die Heilungsgeschichte mit einer Art Chorschluss, doch ist es durchaus denkbar, dass sich die beiden folgenden Gleichnisse vom Senfkorn (13,18) und Sauerteig (13,20 f.) an die gleichen Zuhörer richten, die auch die Heilung in der Synagoge erlebt haben (so in einigen englischen Kommentaren, vgl. Johnson 1991, 210-215; Green 1997, 518-527). Ein erzählerischer Neueinsatz findet sich erst wieder in 13,22. Im unmittelbaren Umfeld der Heilung steht auch das Gleichnis vom Feigenbaum (13,6-9), das dieser Erzählung vorangeht. Auf den ersten Blick sieht es so aus, als würden Gleichnisse aus dem Bereich der Natur die Heilungsgeschichte rahmen, doch eine engere sprachliche und inhaltliche Verknüpfung zwischen den Texten lässt sich nicht ganz so leicht feststellen (vgl. Petzke 1990, 125; Schneider 1977, 299). Auch wenn die Heilungsgeschichte aufgrund der sie umgebenden Ko-Texte forschungsgeschichtlich als Normwunder (Eckey 2006, 623) oder Streit- und Schulgespräch gelesen wurde (vgl. Bultmann 1995, 10), lässt sich vielleicht am einfachsten sagen, dass es sich 615
Die Wundererzählungen im Lukasevangelium
um eine Erzählung handelt, die in einem größeren Kontext von Gleichnissen und Belehrungen zur Frage von Nachfolge und Entscheidung für das Reich Gottes steht. Die Heilungserzählung selbst setzt mit einer eher statischen Beschreibung ein: Jesus ist an einem Sabbat lehrend in einer Synagoge. Die partizipiale Formulierung war lehrend (vgl. 4,31; 5,17; 19,47; 21,37) lässt darauf schließen, dass es sich um eine gewohnheitsmäßige Lehrtätigkeit handelt und keine besondere Situation geschildert werden soll. An diesem gewöhnlichen Sabbat geschieht in dieser gewöhnlichen Synagoge nun Ungewöhnliches: Eine Frau, die eine lange Zeit von einem »Geist der Kraftlosigkeit« niedergebeugt wurde, wird aufgerichtet und preist Gott (13,11-13). Ihrer Heilung geht ein zweifaches Handeln Jesu voraus: Sein Zuspruch, befreit zu sein von der Kraftlosigkeit, und das Auflegen seiner Hände. Es werden sowohl eine verbale als auch eine taktile Aktion geschildert. Die Frau reagiert ebenfalls zweifach: Zunächst wird ihr Körper aufgerichtet, danach erhebt sie ihre Stimme zum Gotteslob. Während die Handlungen beider Erzählfiguren chiastisch erzählt werden (verbale Äußerung-körperliche Äußerung/ körperliche Äußerung-verbale Äußerung), bleibt der Modus der Verben parallel (passivaktiv/passiv-aktiv) und verweist durch die Passivformen auf den divinen Urheber der Heilung, den die Frau in ihren Worten auch klar als Akteur benennt, ohne dass die Leserinnen und Leser ihre Stimme hören: Sie pries Gott. Diese wunderbare Veränderung hat ein Nachspiel, in dem um die Umstände der Heilung gerungen wird (13,14-16). Die Erzählung erweist sich demnach ebenfalls als zweigeteilt: Zwei in sich abgeschlossene Handlungsbögen mit unterschiedlichen Erzählfiguren sind sprachlich und inhaltlich miteinander verbunden. Im ersten Teil wird von Jesus und der Frau erzählt (wobei die anwesende Menge implizit mitgenannt wird, denn die Tätigkeit des Lehrens setzt ein Auditorium voraus). Im zweiten Teil (»Nachspiel«) erscheint mit dem Synagogenvorsteher ein neuer Akteur, während die geheilte Frau nicht mehr im Blick ist (vgl. Rengstorf 1962, 171) und nur noch in den Worten Jesu auftaucht. Die Menge und eine weitere, nicht näher definierte Gruppe, die Jesus mit »Ihr Frevler« anspricht, rücken stattdessen in den Blick. Erst der Erzählschluss löst die Gruppenzugehörigkeiten anhand der Reaktion der einzelnen Menschen auf die Heilung und ihre Nachbereitung auf: Die Gegner Jesu sind zutiefst beschämt, und die Menge erfreut sich sehr an den Wundertaten. Dramaturgisch-räumlich ist die Heilungserzählung klar strukturiert. Das vorgegebene Setting in der Synagoge veranschaulicht eine Bühnensituation: Jesus befindet sich von Beginn an als Hauptakteur auf der Bühne, das Auditorium im Zuschauerraum. Die Handlung findet ausschließlich auf der Bühne statt. In dem Augenblick, in dem Jesus die Frau erblickt und ruft, holt er sie aus einer beobachtenden in eine handelnde Rolle. Dabei wendet sich nicht die Frau an Jesus, sondern Jesus an die Betroffene. Er ergreift die Initiative und ruft sie aus dem Dunkel des Zuschauerraumes auf die erleuchtete Bühne (vgl. Green 1997, 522 f.). Mit ihr wird neben die bislang das Geschehen dominierende Lehre ein Mensch ins Zentrum gestellt, die Handlung verbleibt aber auf der Bühne. Im zweiten Teil wird dieses Verhältnis verändert: Der Synagogenvorsteher tritt nun ins Scheinwerferlicht und versucht, über den Umweg des Sabbatgebots wiederum allein die Lehre in den Mittelpunkt zu rücken. Durch seine direkte Anweisung an das Auditorium wird die Aufmerksamkeit von der Bühne (und der Frau) weg in den Zuschauerraum gelenkt. Jesus greift diese Strategie auf und erweitert nun durch die Einbeziehung des Auditoriums gewissermaßen die Bühne: Alle werden zu Akteuren – sind zumindest miteinbezogen – und alle sind gefragt, wen oder was sie am Sabbat ins Zentrum stellen. 616
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Das Ende der Erzählung stellt wiederum zwei Bereiche her, allerdings sind diese nicht mehr räumlich, sondern inhaltlich definiert: Die eine Gruppe schließt sich dem Beispiel der geheilten Frau an und erfreut sich im Rückgriff auf Ex 34,10 an den herrlichen Taten, die andere ist im Anklang an Jes 45,16LXX gegen Jesus und zutiefst beschämt. Beide Gruppen stehen am Ende auf der Bühne und bieten sich als Identifikationsmodelle für die Rezipientinnen und Rezipienten an. Auch die Leserinnen und Leser werden im zweiten Teil aktiviert: Während sie sich im ersten Teil ähnlich wie das Auditorium in der Synagoge noch als Betrachter fühlen konnten, werden sie in dem Augenblick, als sich die Szenerie im zweiten Teil öffnet – spätestens jedoch, wenn Jesus das Wort ergreift –, miteinbezogen und implizit aufgefordert, sich zu positionieren (vgl. auch Dillmann/Mora Paz 2000, 261). Diese rezeptionsästhetische Gegenwartsorientierung wird auch durch die präsentischen Verbformen im Schlussvers untermauert. Sprachlich sind beide Teile gut voneinander zu trennen. Im ersten Teil überwiegen kurze, parataktische Sätze. Die Beschreibung der Situation Jesu und der Frau geschehen weitgehend durch Partizipien. Eine kurze direkte Ansprache unterbricht die eher knappe Beschreibung. Im zweiten Teil finden sich längere und kunstvoller verknüpfte Sätze, der eher informative Stil des ersten Teils weicht einer emotionalen Interaktion (vgl. Kirchschläger 1978/79, 153 f.). Auch die Erzählstimme gleicht sich dem an: Während es in im ersten Teil nur in V. 11b eine Zusatzinformation für die Rezipientinnen und Rezipienten gibt (»die seit achtzehn Jahren einen Geist der Kraftlosigkeit hatte«), lenkt die Erzählstimme im zweiten Teil durch die Wiedergabe von Emotionen (»war in großer Aufregung«, »waren zutiefst beschämt«, »erfreute sich sehr«) und wertende Interpretationen (»weil Jesus am Sabbat heilte«, »Gegner«, »herrliche Taten, die durch ihn geschehen«) deutlich, obwohl an der Textoberfläche fast nur wörtliche Rede sichtbar ist. Anhand dieser Lenkung ist relativ eindeutig, welches Rezeptionsverhalten die Adressatinnen und Adressaten an den Tag legen sollen. Zusätzlich klingt die Anrede Ihr Frevler! noch aus Lk 6,42 und Lk 12,56 nach; auch die Frage, was am Sabbat zu tun ist und was nicht, wurde von Jesus bereits thematisiert (Lk 6,6-11). In der emotional aufgeladenen Nachbereitung der Heilung wird demnach nicht nur zu einer Positionierung aufgerufen, sondern diese wird auch bereits durch die erzählerische Choreographie vorgeprägt. Der Kontrast zwischen Jesus und den Gegnern, der hier aufgebaut wird, entzündet sich an einer Frage, die zunächst mit der Heilung selbst nichts zu tun hat. Die Heilung an sich wird entsprechend auch nicht verurteilt oder in Frage gestellt, sondern lediglich ihre Umstände. Dies geschieht nicht durch Kritik am Heiler, sondern an denen, die Heilung suchen. Unabhängig davon, wie dieser Konflikt bearbeitet wird, lässt sich als eine erste Beobachtung festhalten, dass die Heilung nicht für sich steht, sondern einen Kontext hat, der mitbeachtet wird und mitbetrachtet werden muss. Auf der Ebene der Erzählung handelt es sich zunächst um den religiös-gesetzlichen Kontext, der erzählt wird. In der Heilungsgeschichte nicht erzählt, aber ebenso bedeutsam für das Verständnis der Erzählung ist der soziale, medizinische und religionsgeschichtliche Kontext, der erst noch freigelegt werden muss.
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Sozial- und realgeschichtlicher Kontext Die Fähigkeit zu heilen und Dämonen auszutreiben ist Jesus im Erzähluniversum des Lukasevangeliums – wie an mehreren Stellen ausdrücklich erwähnt (Lk 5,17; 6,19, vgl. auch 11,20) – von oben gegeben und Ausweis sowohl seiner Messianität als auch des Anbruchs des Reiches Gottes (Kollmann 2011, 84) bzw. der messianischen Heilszeit, wie sie beispielsweise bei Jesaja angekündigt wird (z. B. Jes 29,18 f.; 32,1-8; 35,5; 61,1 f., vgl. auch von Bendemann/Neumann 2005, 64). Bei der Heilungstätigkeit Jesu stehen körperliches und geistiges Heil des Menschen im Mittelpunkt. Von der Frau wird erzählt, sie sei in sich niedergebeugt (sugkÐptw synkypto¯) und nicht in der Lage, sich vollständig aufzurichten (⁄nakÐptw anakypto¯). Die »Befreiung« (⁄polÐw apolyo¯) von ihrer Krankheit besteht darin, wieder aufgerichtet (⁄nwrqw ano¯rthoo¯) zu sein. Beim Lesen entsteht der Eindruck, dass es sich bei ihrem Leiden um eine Form der Rückgrat- oder Rückenverkrümmung handelt. Heute gehört es zum Allgemeinwissen, dass die Wirbelsäule der Hauptinformationskanal des zentralen Nervensystems ist und das Rückenmark die Übermittlung von Botenstoffen und Nervenimpulsen vom Gehirn in die einzelnen Körperregionen koordiniert. Ebenso ist bekannt, dass Fehlstellungen der Wirbelsäule – von der Verschiebung einzelner Wirbel über Bandscheibenvorfälle bis zur Skoliose – psychische und physische Erkrankungen unterschiedlichster Art hervorrufen können, die nicht immer sofort mit der Wirbelsäule in Verbindung gebracht werden. Bereits eine oberflächliche medizingeschichtliche Recherche zeigt, dass das Wissen um diese Verbindung auch für die Antike angenommen werden kann. In der – vermutlich authentischen – Schrift »Über Knochenbrüche« (De Artuculis) formuliert Hippokrates das Axiom: »Man muss zunächst wissen, welches die natürliche Beschaffenheit der Wirbelsäule ist, denn deren (Kenntnis) bedarf es bei vielen Krankheiten« (Hippocr. art. 45). In dieser Schrift beschreibt Hippokrates ferner fünf unterschiedliche Kategorien von Fehlstellungen der Wirbelsäule (Kyphose, Skoliose, Wirbelbrüche, Wirbelverrenkungen und Störungen/Brüche spinaler Prozesse) in Entstehung, phänotypischer Ausprägung und Therapiemöglichkeiten. Galen, der die Arbeiten von Hippokrates kommentiert und selbst umfangreich über die Wirbelsäule gearbeitet hat, erstellt mit Kyphose, Lordose, Skoliose und »succussion« (einer inneren Verdrehung des Rückenmarks, die nicht zu einer sichtbaren Fehlstellung der Wirbelsäule führt) eine Taxonomie von Wirbelsäulenfehlstellungen, die über ein Jahrtausend Gültigkeit behält. Galens Einteilung ist genauer, während bei Hippokrates der Begriff »Skoliose« eher eine generische Konnotation hat und für nahezu alle Formen der Rückgratverkrümmung bezeichnen kann (vgl. Vasisiadis/Grivas/Kaspiris 2009). Bei den Beschreibungen des Hippokrates ist für den hier betrachteten Fall die Unterscheidung zwischen traumatischen und nichttraumatischen Ursachen der Rückgratverkrümmung interessant. Während erstere durchaus Chancen auf Heilung haben, räumt Hippokrates den krankheitsbedingten (noshm€twn nose¯mato¯n) Fehlstellungen kaum Heilungschancen ein: Sie können zumeist nicht gelöst werden (⁄dÐnata lÐesqai adynata lyestai). In der Erzählung wird das körperliche Leiden der Frau auf die Existenz eines Geistes der Kraftlosigkeit, Schwachheit oder Krankheit zurückgeführt. Der Begriff ⁄sqffneia (astheneia) kann sowohl als »Schwachheit«, »Kraftlosigkeit« (ähnlich wie in 2Kor 11-13) als auch als »Krankheit« (wie in 1Tim 5,23) verstanden werden. Im lukanischen Doppelwerk finden sich beide Verwendungsweisen, wobei die Konnotation »Krankheit« über618
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wiegt. Wichtig ist hier auch festzuhalten, dass der Zustand der Frau nicht auf Sünde zurückgeführt wird und sie von Jesus als von der ⁄sqffneia (astheneia) und nicht von Sünde Befreite angesprochen wird. Eine Verknüpfung des körperlichen Gebrechens mit Sünde (wie in Lk 5,16-27) ist in dieser Perikope ausgeschlossen. Nicht aus sich heraus oder aufgrund eigenen Verhaltens oder Versagens ist die Frau also gebeugt, sondern aufgrund eines numinosen Wesens. Die Vorstellung, dass eine Krankheit von einem numinosen Wesen – in diesem Falle einem Geist – ausgelöst wird, ist in der Antike trotz des Wissens um die medizinischen Zusammenhänge gängig und daher eine in dieser Zeit verständliche und ausreichende Erklärung (vgl. Ebner 2006, 73 f. und Kollmann, Krankheitsbilder und Poplutz, Dämonen in diesem Band; anders: Ruwe/Starnietzke 2009, 118). Dass die Heilung in einer Synagoge stattfindet, ist für das Verständnis und die Auslegung der Erzählung von untergeordneter Bedeutung. Synagogen werden auch zu dieser Zeit nicht rein gottesdienstlich genutzt, sondern sind eher als Veranstaltungsorte oder »Gemeindezentrum im weitesten Sinne« (Claußen 2002, 300) zu verstehen. Die neutestamentlichen Heilungsgeschichten, die in Synagogen spielen, zeigen zudem, dass der Ort »Synagoge« als Ort, an dem (auch) Heilungen geschehen, nicht weiter problematisiert wird. Wenn sich – wie in der vorliegenden Erzählung – an der Heilung ein Konflikt entzündet, liegt das (wie der Kommentar in V. 14 zeigt) nicht am Ort (Synagoge), sondern an der Zeit der Heilung (Sabbat). Die Heilungsgeschichte ist damit lediglich ein Aufhänger, um tieferliegende theologische und praktische Fragen rund um den Sabbat zu thematisieren. Beim Synagogenvorsteher (⁄rcisun€gogo@ archisynagogos), der Jesu Heilungstätigkeit tadelt, handelt es sich um jemanden, der in der Synagogengemeinde oder im Synagogengottesdienst eine gewisse Autorität hat, die aber nicht näher spezifiziert ist (vgl. Claußen 2002, 261 f.). Da die Synagogenämter im lukanischen Doppelwerk eher unspezifisch gezeichnet sind, lässt sich aus dem Titel wenig ableiten – letztlich ist noch nicht einmal zu klären, ob die Lehr- und Heilungstätigkeit Jesu in der Synagoge in der Erzählung in einen gottesdienstlichen Rahmen eingebettet ist oder im Rahmen einer anderen Form der Zusammenkunft der Synagogengemeinde am Sabbat geschieht.
Traditions- und religionsgeschichtlicher Hintergrund Die Vorstellung, das körperliche Leiden der Frau sei durch eine numinose Macht bedingt, ruft zwei unterschiedliche Heilungsszenarien auf, die beide im Text thematisiert werden. Im ersten Teil wird das Szenario »Heilung« beschrieben, der zweite Teil spielt das Szenario »Exorzismus« ein. Der erste Teil versteht das Leiden der Frau als Krankheit, die durch Zuspruch und Handauflegung geheilt werden kann. Die Erzählstimme markiert dieses Verständnis im Unmut des Synagogenvorstehers, der darüber in Aufregung ist, dass Jesus am Sabbat geheilt (qerapeÐw therapeuo¯) hat. Demgegenüber enthält der zweite Teil mit den Hinweisen auf Binden (dffomai deomai) und Lösen (lÐw lyo¯) Vokabular aus dem Bereich des Exorzismus, auch ist mit dem Satan ein Dämon als Verursacher des Leidens der Frau genannt. Da sich in der Erzählung sowohl Vokabular aus dem Bereich »Heilung« wie aus dem Bereich »Exorzismus« findet, ist ein traditionsgeschichtlicher Blick in beide Bereich 619
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sinnvoll. In der Auslegungsgeschichte wurde häufig darauf abgehoben, Lukas habe sich als Arzt spezieller medizinischer Begriffe bedient, und man hat diese dann in den Texten wiedergefunden. Für die vorliegende Erzählung kann dieser Befund nicht bestätigt werden. Zwar tauchen die Begriffe »aufrichten« (⁄nakÐptw anakypto¯), »befreien« (⁄polÐw apolyo¯) und »aufrichten/gerade werden« (⁄nwrqw ano¯rthoo¯), auf die in diesem Zusammenhang zumeist verwiesen wird (vgl. Hobart 1882, 21; Harnack 1906, 131), auch in medizinischen Texten auf, mitunter aber bezogen auf völlig andere Krankheiten (vgl. hierzu Weissenrieder 2003, 300), so dass ein besonderer Einfluss medizinischer Literatur auf die vorliegende Erzählung eher unwahrscheinlich ist. Neben dem Aspekt »Heilung«, der mit hellenistisch-medizinischem Vokabular verbunden ist, steht der Aspekt »Exorzismus«, der aus der jüdischen Tradition schöpft. Die »Bindung durch den Satan« (als Ursache für Krankheiten auch in Apg 10,38 erwähnt) verweist in den Bereich der jüdischen Dämonologie, in der der Satan (oder Belial) als Oberhaupt der bösen Geister gilt. Seine Überwindung und Vernichtung ist ein wichtiges Motiv der jüdischen Apokalyptik; sie führt zu Wiederaufrichtung der Königsherrschaft Gottes und zum Ende von Krankheit und Tod. Wenn die »Tochter Abrahams« vom »Satan gebunden« ist, so wird nicht nur das Kolorit jüdischer Apokalyptik in die Erzählung eingebracht, sondern es wird auch deutlich, dass mit dem Kommen Jesu der Satan und seine Macht gebrochen sind (Lk 10,17 f.; 11,14-23) und sich in den Exorzismen Jesu die Durchsetzung des Königreiches Gottes manifestiert (Kollmann 2011, 6985, vgl. auch Poplutz, Dämonen in diesem Band). Ob die Bezeichnung »Tochter Abrahams« (4Makk 15,28, vgl. auch Lk 1,54 f.73; 3,8; 16,24; 19,9; Apg 7,2; 13,26) lediglich für eine palästinensisch-judenchristliche Überlieferung spricht (Wiefel 1988, 255) oder die Frau zu einer Repräsentantin oder Allegorie für Israel macht und ihre Heilung als (endzeitliche) Verwirklichung der an Abraham ergangenen Verheißung gelesen werden kann (Hamm 1987; Wolter 2008, 484), wäre gesondert zu diskutieren. Auch wenn die vorliegende Erzählung als Heilungsgeschichte konstruiert ist, finden sich besonders im zweiten Teil deutliche Anklänge an Exorzismen. 1QGenAp 20,16-29 zeigt als Paralleltext, dass eine Dämonenaustreibung durch Handauflegung ohne Demonstration bei der Ausfahrt des Dämons in der jüdischen Tradition denkmöglich war (Kollmann 1996, 242). Die vorliegende Erzählung schöpft demnach aus unterschiedlichen Traditionen, ohne dass sich eindeutige Parallelen oder Prätexte wie z. B. Heilungserzählungen von Wirbelsäulenverkrümmten aus Epidauros finden lassen. Der Negativbefund kann jedoch auch so gedeutet werden, dass es sich um ein Krankheitsbild handelt, das in der Antike vertraut war und für das es – je nach Genese – entweder die gängige Behandlung oder keine Heilung gab. Möglicherweise finden sich auch deshalb keine Paralleltexte, da bereits zu Zeiten von Hippokrates die spinale Manipulation durch Streckvorrichtungen aller Art weit verbreitet war und sich die Kranken eher von dort her Linderung erhofften. Bei Hippokrates findet sich indes auch eine Passage, die auf die Schattenseiten dieses Vorgehens verweist: Bei wem die Wirbelsäule infolge eines Sturzes höckrig wird, bei denen ist man nur in seltenen Fällen damit fertig geworden, so daß sie wieder gerade wurden; denn dies Mittel, das Strecken auf der Leiter, hat noch niemanden gerade (¥xfflqunan [exithynan]) gemacht. Dieser Leiter bedienen sich aber vorzugsweise Ärzte, die sich damit vor der großen Menge aufspielen wollen; denn für diese Menschen (in der Menge) ist das verblüffend, wenn sie einen Menschen aufgehangen hin- und hergeschleudert oder in irgendeiner anderen ähn-
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Umgekehrter Hexenschuss: Keine Heilung ohne Kontext Lk 13,10-17
lichen Stellung erblicken. Und das preisen sie immer und machen sich keine Sorge darüber, wie diese Behandlung abgelaufen ist, ob schlimm oder gut. Die Ärzte jedoch, die geflissentlich solche Verfahren anwenden, sind, soweit ich sie kenne, grob. Diese Erfindung ist nämlich alt, und ich wenigstens spende dem, der diesen und jeden anderen (Kunstgriff), der als ein naturgemäßes Mittel erdacht ist, zuerst erfunden hat, großes Lob, gebe ich doch die Hoffnung nicht auf, daß, wenn einer die Vorrichtungen in richtiger Weise trifft und in richtiger Weise (den Betreffenden) erschüttert, in einigen Fällen das Gerademachen gelingen könnte. Ich für meinen Teil habe mich jedoch gescheut, alle Fälle dieser Art so zu behandeln, aus dem Grund, weil solche (Behandlungs-)Weisen viel eher bei Betrügern (⁄pateðnwn [apateo¯no¯n]) vorkommen (Hippocr. art. 42, Übers. Kapferer 1995).
Verstehensangebote und Deutungshorizonte Wenn das Leiden der Frau auf einen Geist der Kraftlosigkeit, Schwachheit oder Krankheit zurückgeführt wird, der die Frau gefangen hält, ist der Rekurs auf ein numinoses Wesen für die Erzählung auch deshalb wichtig, weil sich daran die Argumentation aus dem zweiten Teil anschließen kann, dass »gottwidriger Gewalt« am Sabbat kein Raum gegeben werden darf (vgl. Eckey 2006, 625). Die Ursache des Leidens der Frau wird in der Erzählung selbst demnach theologisch und nicht medizinisch ausgewertet. Das ist für die Wunderheilungen des Neuen Testaments typisch und entspricht der Beobachtung, dass in den neutestamentlichen Texten »ein Interesse an der Ätiologie der Leiden, bzw. einer systematischen Krankheitslehre« (von Bendemann/Neumann 2005, 64) nicht festzustellen ist. Ein solches Interesse ist eher für die Auslegungsgeschichte zu konstatieren. Im Falle des Lukasevangeliums ist dieses Interesse noch einmal stärker, da – basierend auf der altkirchlichen Verfasserfiktion – lange Zeit vermutet wurde, der Autor sei Arzt gewesen und sein medizinisches Wissen habe sich auch im Text des Evangeliums (und dort insbesondere im Sondergut) manifestiert. Auch wenn diese These mittlerweile als widerlegt betrachtet werden kann (vgl. Kirchschläger 1978/79, 151), ist in der Auslegung, insbesondere wenn sie historisierend orientiert ist, nach wie vor ein großes Interesse an der medizinischen Erklärung des Leidens der Frau zu konstatieren, z T. verbunden mit Überlegungen, ob es nach heutigem Wissenstand überhaupt Therapien für das jeweilige Krankheitsphänomen gibt, die zum im Text erzählten Ergebnis führen. In der modernen Literatur wird vermutet, dass es sich bei dem im Text erzählten Leiden eher um eine Deformation der unteren Wirbelsäule als des oberen Nackens gehandelt haben dürfte (Bovon 2008, 398). Die Diagnosen schwanken zwischen rheumatischen Erkrankungen, osteoporosis, spondylitis ankylosans, bekannter als morbus bechterew (Bovon 2008, 398) und Skoliose, wobei bereits früh skoliosis hysterica intensiver diskutiert wurde (Hauck 1934, 181; Grundmann 1984, 279, Zusammenfassung der Diagnosen bei Eckey 2006, 624). Der Vergleich des Leidens mit einem »Hexenschuss« fällt nicht unter die Diagnoseversuche, da es dabei nicht um das Krankheitsbild an sich geht, sondern um eine Metapher für moderne Leserinnen und Leser, die aufgrund der Analogie die gedankliche Verknüpfung von körperlichem Leiden und numinoser Verursachung besser nachvollziehen können (vgl. Eckey 2006, 625; Schmithals 1980, 152; Schweizer 1982, 146). Problematisch ist bei den modernen Diagnosen, dass 621
Die Wundererzählungen im Lukasevangelium
bei den genannten Krankheitsbildern kaum eine Chance auf Heilung besteht. Dies erklärt, warum die Ausleger, die eine historisierende Deutung in Erwägung ziehen, zumeist zur skoliosis hysterica tendieren. Drewermann interpretiert diese Diskussion mit Verweis auf die einschlägige medizinische Literatur: Pschyrembel (…) erwähnt ausdrücklich ›auch Hysterie‹ als Ursache der Skoliose – der seitlichen ›Verbiegung‹ der Wirbelsäule mit Drehung der einzelnen Wirbelkörper (Torsion) und Versteifung in diesem Abschnitt‹. Eine Krankheit, die durch ›Spontanremission‹ in Gegenwart einer wundertätigen Persönlichkeit zum Verschwinden gelangt, läßt sich psychoanalytisch nur als ›Konversionshysterie‹ begreifen (Drewermann 2009, 116, Anm. 6).
Damit wäre gleichzeitig auch ein mögliches Erklärungsmodell für die Heilung des im Text erzählten Leidens aufgezeigt. Hierzu ist anzumerken, dass in der aktuellen medizinischen und psychologischen Diskussion der Begriff skoliosis hysterica nicht (mehr) begegnet, was der Tendenz entspricht, Krankheitsbilder symptombezogen und nicht von ihrer möglichen Genese her zu beschreiben. Der Begriff Hysterie gilt zudem in beiden Disziplinen – u. a. wegen seiner tendenziösen Etymologie – als veraltet. Der aktuelle Forschungsstand führt das ohne erkennbare Ursache entstandene Krankheitsbild unter dem weiteren Begriff der idiopathischen Skoliose (vgl. Pschyrembel 2011, 1693 f.). Drewermanns Ausgriff auf eine psychoanalytische Erklärung der Heilung weist den Weg zur (tiefen-)psychologischen und psychologisierenden Auslegung der Erzählung, die dem Anliegen des Textes, das Leiden der Frau und seine Lösung nicht rein physiologisch, sondern umfassender zu verstehen, entgegenkommt. In seinem Kommentar deutet Drewermann das Leiden der Frau als psychosomatisch bzw. psychoneurotisch und von daher prinzipiell durch psychotherapeutische Ansprache heilbar. Die exakt bezifferte Dauer des Leidens lässt ihn ferner vermuten, dass ein Ereignis vor 18 Jahren »die gesamte Lebensführung für immer aus der Bahn geworfen hat, und dieses traumatisierende Ereignis hat einen Konflikt ausgelöst, der ins Unbewußte verdrängt wurde und als dessen ›Lösungsrest‹ nun die inzwischen chronische Verkrümmung betrachtet werden muss« (Drewermann 2009, 116). Da sich dieses Ereignis nicht aus dem Text erheben, sondern lediglich ohne Anspruch auf Verifizierbarkeit konstruieren lässt, erläutert Drewermann an drei Fallbeispielen, welche unterschiedlichen Arten von Konflikt denkbar seien. Den Krankheitsgeist der Frau führt er letztlich auch auf die »bestehende Religionsform als eine(r) Hauptursache der seelischen und geistigen Erkrankungen der Menschen« (a. a. O., 121) zurück, aus der diese ebenfalls befreit werden müssen. Drewermann stellt Jesus, der Gott »von unten« denkt, als paradigmatischen Befreier vor: »Was er dieser Kranken wie ein Medikament zu ihrer Heilung vermittelt, ist ein Vertrauen in Gott und ein Zutrauen in die eigene Urteilsfähigkeit, die es ihr ermöglichen, von ihrem Gehorsam, von ihrer angstbedingten Kratzbuckelei vor den vermeintlichen Autoritäten Gottes in Gestalt solcher Synagogenvorsteher ein für allemal abzulassen« (a. a. O., 129). Die Auslegung Drewermanns zeigt einerseits eine klare und nachvollziehbare Erklärung für das Leiden der Frau auf, offenbart in ihrer Fortführung aber auch ein weitgehendes Verlassen der Textebene und eine Lösung aus dem historischen Kontext, die einer ausgewogenen Lektüre nicht förderlich sind. Weniger psychologisch als eher psychologisierend lesen sich Erklärungsmuster, die »eine psychische Ursache des körperlichen Übels ins Auge fassen und eine Verbindung zwischen dem Physischen und dem Dämonischen [herstellen]. Die Krümmung der Frau symbolisiert vielleicht 622
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eine Tendenz, sich in sich selber zu verschließen und den Horizont auf die irdischen Dinge zu beschränken« (Bovon 2008, 407). Psychogene Erklärungsmuster des Leidens (vgl. Kollmann, Krankheitsbilder in diesem Band und Kollmann 2011, 83) stehen wiederum an der Schnittstelle zwischen historisierender und psychologischer/psychologisierender Auslegung. Sie werden in der Literatur und besonders in pastoralen, katechetischen oder homiletischen Texten gerne verwendet (vgl. Bauer 1988), da sie einerseits einen ganzheitlichen Zugang zur erzählten Geschichte haben und andererseits – beispielsweise über psychogene Bewegungsstörungen – auch die körperliche Heilung gut erklären können. Die Frage bleibt, ob bei einer solchen Lesart der Fokus nicht zu sehr auf dem – im Text selbst eher untergeordneten – Heilungsvorgang liegt, statt die Situation der Menschen, die geheilt werden, in den Blick zu nehmen. Ihr Leiden und der Zustand vor und nach ihrer Heilung werden in den Heilungsgeschichten ausführlicher beschrieben als die Heilung selbst. Wenn die englische Übersetzung des Leidens der Frau als »double bend« ernst genommen wird, ließe sich hier überlegen, ob der Fokus auf das Streitgespräch einerseits und die Ätiologie des Leidens andererseits nicht den Blick auf den betroffenen Menschen verstellen und die Frau so ein zweites Mal beugen. Wenn man nur den ersten Teil der Heilungsgeschichte betrachtet, rücken sowohl die Frage des Gebundenseins durch den Satan als auch die Diskussion des Sabbats aus dem Fokus. Dadurch verändert sich auch der Kontext, in dem die Heilung gelesen wird. Wenn weder die Sabbatpraxis noch die Frage eines dämonischen Ursprungs der Krankheit aufgerufen werden, geraten die Frau und ihre Situation wieder stärker in den Blick. Dies erleichtert eine sozialgeschichtliche Kontextualisierung und Lektüre der Heilungsgeschichte, die die Heilung nicht als Aufhänger für das Streitgespräch verzweckt. Die gebeugte Frau und ihre Lebensumstände stehen bei einer solchen Lesart im Vordergrund. So gelesen, stellt der Text eine Frau vor, die seit achtzehn Jahren gebeugt ist und sich nicht vollständig aufrichten kann. Auch wenn sich aus der Haltung der Frau möglicherweise nicht direkt auf ihren sozialen Status schließen lässt (Petzke 1990, 126; anders Green 1997, 522 im Rückgriff auf Sir 12,11), ist sie genauer in ihrem sozialgeschichtlichen Kontext zu betrachten. Die Frau in der Synagoge ist alleine und wird nicht durch (männliche) Verwandte näher beschrieben. Sie bleibt namenlos und niemand ergreift in ihrem Namen das Wort. Das mag dem Typus »Sabbatheilung« geschuldet sein, bei dem prinzipiell Jesus die Initiative ergreift (Bauer 1988, 210), bleibt aber dennoch notierenswert. Eine gelungene Verbindung von physischer Bestandsaufnahme und sozialgeschichtlicher Evaluation findet sich in der Auslegung von Eckey, der vermutet, in dieser Heilungsgeschichte sei »an eine ausgeprägte idiopathische Skoliose zu denken. Sie kann z. B. durch die Zumutung schwerer körperlicher Arbeit und speziell durch Lastentragen im Kindes- und frühen Jugendalter, nicht minder auch durch eine der körperlichen Entwicklung nicht förderliche Ernährung verursacht worden sein« (Eckey 2006, 624 f.). Wenn Eckey mit seiner Beobachtung Recht hat, verkörpert die Frau tatsächlich »mit ihrer Krankheit die sozialen Verhältnisse am untersten Ende der Gesellschaft. An ihrem Körper sind die Zeichen schwerer Arbeit sichtbar, die Spuren unterdrückender Arbeits- und Lebensverhältnisse, die Menschen beugen und verkrümmen« (Janssen/Lamb 2007, 524). Das Tragen von Lasten, insbesondere der Transport von Wasser gehörten seit jeher zu den Aufgaben der Frauen, doch auch Tätigkeiten, wie das Zerstampfen von Getreide zur täglichen Nahrungszubereitung, Spinnen oder Weben sind Tätigkeiten, die in den Rücken gehen. Nicht 623
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umsonst sind die meisten Gesundheitsprobleme arbeitender Frauen auch heute noch Verspannungen im Bereich zwischen Nacken und Schultern sowie Rückenprobleme (vgl. Bauer 1988, 213). Wenn das Leiden der Frau auf eine typische weibliche Arbeitsbiographie der ärmeren Bevölkerung zurückzuführen ist (ohne ein genderspezifisches Leiden zu sein, vgl. Weißenrieder 2003, 301), bekommt die Heilung am Sabbat eine tiefere Bedeutung: Nicht nur, dass die sich an die Heilung anschließende Diskussion um am Sabbat erlaubte Tätigkeiten angesichts eines krank gearbeiteten Menschen reichlich zynisch klingen, auch die Ablösung von den Folgen schwerer körperlicher Arbeit an einem Sabbat lassen den theologischen Charakter dieses Tages besser erkennen. Doch ist diese theologische Einsicht insofern gefährdet, als sie immer wieder überlagert wird. Der Versuch des Synagogenvorstehers, den Sabbat (zuungunsten des Menschen) in den Mittelpunkt zu rücken, schlägt zwar in der Erzählung selbst fehlt, konkretisiert sich dafür aber über weite Strecken in der Auslegung(sgeschichte), wenn die Heilungsgeschichte als Aufhänger für die Debatte um die Sabbatgebote gelesen wird, wie es im Anschluss an die formgeschichtliche Frage häufig geschieht (vgl. Schneider 1977, 299; Schmithals 1980, 152. Zur Diskussion der Frage zu Heilung und Sabbat vgl. die Beiträge von Starnitzke zu Mt 12,9-14, Le Roux zu Lk 14,1-6 und Becker zu Mk 3,1-6 in diesem Band). Ebenfalls stärker auf die Frau und ihre Situation fokussiert ist eine eher pastoralpsychologisch-befreiungstheologische Lesart, die im Text ebenfalls angelegt ist. In einigen Übersetzungen wird die Imperfektform ¥dxazen (edoxazen), mit der das Gotteslob der Frau ausgedrückt wird, als ingressiver Aorist übersetzt: »Sie fing an, Gott zu loben«. Der Text selbst gibt dieses Verständnis nicht her. Eine mögliche und provokative Lesart, die die Lesegewohnheiten bricht, wäre ein konatives Imperfekt: »Sie versuchte, Gott zu loben«. Die Lesegewohnheiten von Leserinnen und Lesern biblischer Texte werden dadurch insofern irritiert, als sie eher eine durative Übersetzung vom Schlage »alles war und blieb gut« erwarten würden, die jedoch Gefahr läuft, die Heilungsgeschichte ins Märchenhafte zu überführen (»und wenn sie nicht gestorben ist …«). Es stellt sich an dieser Stelle die Frage, ob »sie versuchte, Gott zu loben« nicht eher der im Text beschriebenen Realität entspricht. Die Frau in unserer Erzählung war 18 Jahre lang gebeugt, ungefähr eine ganze Generation lang (Köhnlein 2010, 62). Ist es zu erwarten, dass sie das Wieder-Aufgerichtet-Werden sofort in seiner ganzen Tragweite erkennen und annehmen wird? Ein erster Impuls ist zu sagen »ja, natürlich«, doch die Erfahrung zeigt auch, dass sich Menschen nach längerer physischer und psychischer Belastung oft erst langsam mit dem Status der Normalität anfreunden und ihm – aufgrund der eigenen Erfahrung – nicht unbedingt immer sofort über den Weg trauen. Die neue Bewegungsfreiheit muss erst eingeholt und wiedererlangt werden. Wer gewohnt ist, bestimmte Bewegungen nicht oder nur unter Schmerzen machen zu können, wird sich erst langsam aus der Schonhaltung lösen und vorsichtig erkunden, was möglich ist. Auch Befreite müssen sich erst (wieder) mit der Freiheit vertraut machen, was – je nach der Länge und Intensität des vorangegangenen Leidens – umso länger dauern und sich für Außenstehende recht unlogisch ausnehmen kann (vgl. hierzu Siegel 1982, 72-74). Was die gekrümmte Frau in der Synagoge erlebt, ist gleichsam ein »umgekehrter Hexenschuss«. Von einem Augenblick auf den anderen wird sie gänzlich unerwartet von ihrem Leiden befreit. Dass dies am Sabbat geschieht, stellt gewissermaßen eine doppelte Pointe dar: Einerseits darf »gottwidriger Gewalt (…) kein Ruhetag zur Rekreation und zur Festigung ihres Widerstands gegen die Ausbreitung von Gottes Herrschaft und Reich 624
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eingeräumt werden« (Eckey 2006, 625), zum anderen wird auch für diese Frau der Sabbat nun zum Tag der Arbeitsruhe und Rekreation, an dem sie den Schöpfer und die Schöpfung preisen kann.
Aspekte der Parallelüberlieferung und Wirkungsgeschichte Wie schwer das Wieder-Aufgerichtet-Sein oder Wieder-Aufgerichtet-Werden bei Gebeugtheit und Rückenproblemen fällt, können auch Menschen mit einer sitzenden Tätigkeit, doch noch besser diejenigen nachvollziehen, die körperlich arbeiten und dies womöglich in einer gebeugten Haltung tun müssen. Die Verbindung von Rücken und Wohlbefinden hat längst Eingang in den Volksmund gefunden – und das nicht nur im sprichwörtlichen Hexenschuss: Egal ob einem »die Angst im Nacken sitzt«, man »kreuzfidel« ist, »Rückgrat hat« oder eben nicht – in jedem Fall ist die Wirbelsäule die Ursache. Die Heilungsgeschichte wird in der neueren Literatur mittlerweile häufig mit der Alltagserfahrung der Rezipientinnen und Rezipienten korreliert: Eine Rückgratverkrümmung schränkt nicht einfach nur den Lebensradius ein. Sie kann qualvolle Nervenschmerzen mit sich bringen. Wer schon einmal ›Bandscheibenprobleme‹ hatte, kann sich die Schmerzen, das Leid der Frau vorstellen: die langen schlaflosen Nächte, nicht mehr recht gehen, noch stehen, noch liegen zu können, die Furcht vor weiteren Versteifungen und der Gedanke an den endgültigen Bewegungsverlust, die Angst vor dem nächsten Tag (Köhnlein 2010, 62 f.).
Die Wirkungsgeschichte der Erzählung ist von dieser Erfahrungsdimension abgesehen eher unauffällig, da für die auslegungsgeschichtlich bedeutende Diskussion der Sabbatfrage in der exegetischen Literatur zumeist die Parallelstellen herangezogen werden. Auch in der Kunst begegnen nur sehr wenige Umsetzungen der Heilungsgeschichte. Lediglich in der Pastoral ist sie in Predigt, Katechese und interaktiven Auslegungsformen wie dem Bibliodrama präsenter (vgl. Bauer 1988; Phelps 2001; Siegel 1982). Wie heikel die Arbeit mit dem »umgekehrten Hexenschuss« sein kann, zeigt der Einwurf einer Theologin, die selbst auf den Rollstuhl angewiesen ist: »Ich bekomme regelmäßig Bauchschmerzen oder Wutanfälle, wenn ich in der biblischen Erwachsenenbildung oder im Bibliodrama erlebe, wie unkritisch mal eben die gekrümmte Frau aufgerichtet wird – scheinbar hat man es als Teilnehmer(in) gerade selbst nachvollzogen, wie befreiend das sein muss. Gleiches gilt auch für den ›aufrechten Gang‹, den angeblich nur die aufnehmen, die auch zu knien verstehen« (Wilhelm 2006, 105). Die Aktualisierung der Erzählung erfolgt generell mit so unterschiedlichen Fragestellungen, dass von wirkungsgeschichtlichen Trends nicht gesprochen werden kann.
Sandra Hübenthal
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Literatur zum Weiterlesen E. Drewermann, Lk 13,10-17: Die Heilung der verkrüppelten Frau am Sabbat oder: Zwei Glaubensweisen, in: ders., Das Lukas-Evangelium: Bilder erinnerter Zukunft, Bd. 2: Lukas 12,2-24,53, Düsseldorf 2009, 114-130. R. Glöckner, Gott erhöht die Erniedrigten und beschämt die Stolzen – Jesus heilt die verkrüppelte Frau (Lk 13,10-17), in: ders., Neutestamentliche Wundergeschichten und das Lob der Wundertaten Gottes in den Psalmen, Mainz 1983, 105-124. J. B. Green, Jesus and a Daughter of Abraham (Luke 13:10-17): Test Case for a Lucan Perspective on Jesus’ Miracles, CBQ 51 (1989), 643-654. M. D. Hamm, The Freeing of the Bent Woman and the Restoration of Israel: Luke 13,10-17 as Narrative Theology, JSNT 31 (1987), 23-44. M. Köhnlein, Die bucklige Alte – die Heilung einer Frau am Sabbat (Lk 13,10-17), in: ders., Wunder Jesu – Protest- und Hoffnungsgeschichten, Stuttgart 2010, 60-72. H. Siegel, Wie man den aufrechten Gang lernt, in: H. Nitschke (Hg.), Biblische Geschichten weitererzählt, Gütersloh 1982, 71-74. E. S. Vasiliadis/T. B. Grivas/A. Kaspiris, Historical Overview of spinal deformities in ancient Greece, Scoliosis (2006), 4:6; http://www.scoliosisjournal.com (Zugriff am 28. 10. 2012). D. Wilhelm, Wer heilt hier wen? Und vor allem: wovon? Über biblische Heilungsgeschichten und andere Ärgernisse, Schlangenbrut 62 (1998), 10-12.
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Der unstillbare Durst nach Heilung (Die Heilung eines Wassersüchtigen am Sabbat) Lk 14,1-6 (Mt 12,11) (1) Es geschah, dass er am Sabbat in das Haus eines der leitenden Pharisäer kam, um Brot zu essen, und sie beobachteten ihn genau. (2) Und plötzlich erschien ein Mann vor ihm, der an Wassersucht litt. (3) Jesus begann zu reden und sagte zu den Gesetzeskundigen und den Pharisäern Folgendes: »Ist es erlaubt, am Sabbat zu heilen, oder nicht?« (4) Aber sie schwiegen. Und Jesus nahm und heilte ihn und entließ ihn. (5) Und er sprach zu ihnen und sagte: »Würde jemand von euch einen Sohn oder einen Ochsen, der in einen Brunnen gefallen ist, nicht auch sofort retten am Tag des Sabbats?« (6) Und sie waren nicht in der Lage, darauf zu reagieren.
Sprachlich-narratologische Analyse Diese Szene setzt die Reihe der Sabbatkonflikte in Lk 6,1-5; 6,11 und 13,10-17 fort. Der Leser erfährt zunächst von einer Mahlzeit, zu der Jesus von den Pharisäern eingeladen wurde. Die Perikope wird mit der für den Evangelisten typischen (vgl. Bovon 2008, 470; Wolter 2008, 501) Formulierung ka½ ¥gffneto (kai egeneto – und es geschah) eingeleitet (vgl. Zimmermann, Hinführung Lukas in diesem Band). Zwei Erzählstränge sind hier miteinander verflochten: eine Heilung und ein Streitgespräch zwischen Jesus und den Pharisäern. Dem Ersteren kann man die Beschreibung des Kranken und die Darstellung der Heilung, dem Zweiten die Debatte über das Sabbatgebot zuordnen. Hinsichtlich der Gattung zeigt der Text entsprechend Merkmale einer Heilungserzählung und eines Streitgesprächs und sollte nicht klassifikatorisch dem einen oder anderen Typus zugeordnet werden. Dem Evangelisten kommt es vielmehr auf die Verflechtung an, wie die sprachliche Gestaltung zeigt: Lukas eröffnet die Szene sofort mit der Konfliktkonstellation und verwendet dazu das wenig freundliche »genau beobachten« (parathrffw parate¯reo¯). Nach dem Auftritt des Kranken (V. 2) werden die Gastgeber mit einer Frage zur Sabbatheilung herausgefordert (V. 3). Auch auf die Heilungshandlung (V. 4b) folgt wiederum eine Frage (V. 5). Er schließt die Erzählung mit der Reaktion der Pharisäer ab, wobei sich die Reaktionsunfähigkeit durch das offene pr@ ta‰ta (pros tauta – auf dieses) sowohl auf die rhetorische Frage als auch auf die Wunderheilung beziehen kann (gegen Wolter 2008, 501). Atypisch ist für das Streitgespräch, dass die Pharisäer gar nicht zu Wort kommen. Sie schweigen zweimal auf die Fragen Jesu. Dass hier eine Oppositionshaltung zu Jesus eingenommen wird, muss der Leser aus dem bisherigen Verlauf der Erzählung bzw. den vorherigen Sabbatkonflikten (s. o.) erschließen. Die Gattung dieses Abschnitts könnte darüber hinaus auch als Symposion oder als »banquet-discourse« (De Meeus 1961, 847-870) bestimmt werden. Es dient eindeutig als Einführung in die folgenden Episoden von Jesu »Tischrede« (V. 7-14.15-24) und stellt einen literarischen Kunstgriff dar, der das setting der folgenden Szene schafft. Das Bankett war in der griechischen Literatur ein für philosophische Diskussionen übliches setting. Das 627
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Symposion wurde sodann sogar zu einer literarischen Form, bei der Essen und Trinken nur noch den Rahmen der manchmal ernsten und manchmal frivolen Diskussionen darstellt (Lesky 1993, 579). In dieser Deutungslinie könnte man es als Teil der lukanischen Darstellung von Jesus als Philosoph und Prophet betrachten, ihn hier in Lk 14 im Rahmen eines Mahls zu präsentieren. Im Gegensatz zu anderen antiken philosophischen Trinkgelagen ist die Szene in Lukas jedoch ziemlich düster dargestellt. Die Figurenanalyse zeigt in der ersten Szene drei handelnde Personen bzw. Personengruppen, nämlich Jesus, den Kranken und die Pharisäer. Der Fokus liegt zunächst auf Jesus, der von einem der führenden Pharisäer eingeladen wurde. Dann tritt der kranke Mann auf, sein Erscheinen ist plötzlich, unerwartet und ungeklärt. Nach der Heilung durch Jesus richtet sich die Perspektive erneut auf das ›Gespräch‹ Jesu mit den Pharisäern. Es kommt jedoch nicht zum wirklichen Dialog, weil die Pharisäer auf Jesu Rede nicht reagieren, sondern den Rest der Mahlzeit schweigen. Jesus isst mit einem »Anführer« unter den Pharisäern (V. 1); die anderen Gäste sind Ausleger bzw. Gelehrte des Gesetzes (nomikoffl nomikoi) und Pharisäer (V. 3). Da der Gastgeber von hohem Status ist, ist davon ausgehen, dass die anderen Gäste dessen sozialen Status teilen. Was genau mit dem Begriff ˝rcwn tn Farisafflwn (archo¯n to¯n pharisaio¯n – Vorsteher der Pharisäer) gemeint ist, ist unklar: Es könnte um einen bedeutenden Pharisäer gehen, der in seiner Gruppe eine moralische Autorität ist, oder um einen jüdischen Magistraten pharisäischer Ausrichtung, um einen Richter, Synagogenvorsteher oder ein Mitglied des örtlichen Sanhedrin. Trotz Einladung und Tischgemeinschaft wird durch das einleitende Verb wie auch durch die Figurengruppe »Schriftgelehrte und Pharisäer« eine feindselige Stimmung erzeugt. Der Konflikt wird zugespitzt, als plötzlich ein Kranker erscheint. Die scheinbar beiläufige Bemerkung in V. 1, dass die Szene an einem Sabbat spielt (sabb€t†w sabbato¯ – am Sabbat), wird nun zentral gewichtet. Jesus leitet die Diskussion mit der Frage an seine Gegner ein, ob seine Exegese des Sabbat-Gesetzes und des Willens Gottes, wie sie sich durch seine offenbar geplante Heilung des Mannes manifestieren würde, nach ihrer Gesetzesauslegung rechtmäßig wäre. Jesus stellt die Frage in einer Weise, dass klar wird, dass weder die Heilige Schrift noch zeitgenössisches jüdisches Denken auf dem Standpunkt stehen, dass am Sabbat nichts getan werden soll. Nach den jüdischen Exegeten ist der Sabbat ein Tag, der Werke in Analogie zu den Werken Gottes in der Schöpfung gewidmet ist; deshalb ist es ein Tag für religiöse Aktivitäten, Zeit für Familie und Freunde und spirituelle Riten. Die Frage ist also, welche Werke zu denen gehören, die am Sabbat durchgeführt werden sollen und welche nicht. Aber Jesus stellt keine allgemeine Frage, er spitzt unmittelbar auf den Kasus zu, ob es erlaubt ist, am Sabbat zu heilen. Die Satzfrage lässt eine Ja-Nein-Antwort erwarten. Die Gegner antworten jedoch gar nicht, sie schweigen. Das Verb suc€zw (he¯sychazo¯) bedeutet »sich ruhig halten«, »still bleiben« oder »schweigen«. Das gleiche Wort wird von Lukas in Lk 23,56 benutzt, um signifikanterweise die Einhaltung der Sabbatruhe während Jesu Tod zum Ausdruck zu bringen. In Apg 11,18 wird mit dem Terminus die stille Zustimmung der Christen in Jerusalem formuliert, in Apg 21,14 geht es um einen Konflikt, der durch Schweigen in Gottes Hand übergeben wird. In der vorliegenden Passage schweigen die Gegner Jesu. Bormann sieht entsprechend auch in Lk 14 ein »einlenkendes Verstummen« (Bormann 2001, 295). Sie schweigen nicht nur, sie bleiben auch passiv, wie am Schluss verstärkend erwähnt wird: »Sie waren in nicht der Lage, darauf zu reagieren« (V. 6). Obwohl die Pharisäer sich selbst 628
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als Beschützer des Gesetzes betrachteten, waren sie nicht in der Lage, es zu verteidigen oder gar aktiv zu erfüllen. Die explizit betonte Einhaltung der Sabbatruhe während des Todes Jesu zeigt, dass es auch hier nicht um eine grundsätzliche Kritik an der Tora geht. Allerdings soll der Sabbat ein Lebensraum für die aktive Verwirklichung von Gottes Wohlwollen für die ganze Menschheit und keine Einladung zum »Müßiggang« sein (vgl. Bovon 2008, 474 f.). Der in Lk 14,1-6 aufgebaute Kontrast zwischen Jesu aktivem Rettungshandeln und der Passivität der Pharisäer führt dies anschaulich vor Augen. Das Handeln Jesu wird mit drei Verben erzählt: Zunächst wird ¥pilamb€nomai (epilambanomai) verwendet, d. h. »packen, an die Hand nehmen, eine helfende Hand leihen, eine andere Person akzeptieren und ihr zu Hilfe zu kommen«, ein Wort, das nur selten in der Septuaginta und im Neuen Testament verwendet wird, um die Heilung oder Erlösung zu beschreiben, die Gott seinem Volk und Individuen gibt (vgl. Jer 38,[31]32; Mt 14,31; Hebr 8,9). Jedoch ist die Verwendung des Wortes in Bezug auf Heilungen fremd. In der Antike und v. a. in der jüdischen Tradition wurde Heilung durch Berührung des kranken Menschen oft durch Auflegen der Hände auf die Person durchgeführt. Auch im Neuen Testament wird der Begriff ¿ptw (hapto¯ – berühren) häufig bei Jesu Heilungen verwendet (vgl. Mt 9,29; Lk 13,13; Mk 1,41; 5,27, dazu auch Zimmermann, Gesamteinleitung in diesem Band). Es wurde sogar angenommen, dass lediglich das Kleidungsstück zu berühren oder in der Kleidung des Heilers therapeutische Kräfte am Werk waren (vgl. Mk 5,27; Apg 19,12). Dieser Glaube ist auch fest im Alten Testament verankert (vgl. 1Kön 17,12), wo Elija seinen Körper über das kranke Kind ausstreckt und ihn wieder belebt. In der Antike brachte Berührung den Transfer von therapeutischen, religiösen und magischen Kräften (vgl. Görg/Lang 1991, 274). Die Verwendung von ¥pilamb€nomai (epilambanomai) kann in dieser Linie gedeutet werden, indem der haptische Aspekt betont wird, er aber im Kontext der Frage nach Aktivität und Passivität als »anpacken« verstärkt wird. Im Zentrum steht dann die Heilungshandlung selbst, die mit dem üblichen Verb §€omai (iaomai – heilen) formuliert wird. Der Mann wird von der Behinderung seiner Krankheit befreit und das hat umfassendere Konsequenzen. Die Macht zu heilen lebt in ihm und strahlt von ihm aus. Diese therapeutische Kraft ist bezeichnend für Jesu Beziehung zu Gott, dem Vater. Sie stammt aus der schaffenden und erneuernden Kraft Gottes und ist Jesus anvertraut. Das dritte und vielleicht wichtigste Verb der Reihe ist ⁄polÐw (apolyo¯ – entlassen). Es bedeutet, »lösen« oder »befreien, loslassen«. Befreien: tina tfflno@ (tina tinos; so in griechischen Schriften von Homer und später), befreien von einem Ding (wie aus einer Anleihe), Lk 13,12 ⁄polfflusai (apolelysai – du bist also gelöst worden; du bist frei). Gehen lassen, entlassen (um nicht länger aufzuhalten): Ein Bittsteller, dessen Freiheit zu gehen gegeben wird durch eine entscheidende Antwort: Mt 15,23; Lk 2,29; vgl. Lk 2,26; wie ⁄polÐein (apolyein) verwendet wird es in Num 20,29; Tob 3,6; Makk 7,9. Lösen, erlösen: z. B. das Lösen eines Gefangenen, d. h., seine Fesseln zu lösen und ihm zu erlauben zu gehen, um ihm die Freiheit zu geben: Lk 22,68; 2,22; Joh 19,10; Apg 16,35 f.; ⁄polÐein tina tfflni, einem freizugeben, gewähre ihm seine Freiheit: Mt 27,15,17,21,26; Mk 15,6,9,11,15, Lk 23,(16)17; Joh 18,39; einen, der wegen eines Verbrechens angeklagt wird, freizusprechen: Joh 19,12; Apg 3,13; Nachsicht zu gewähren, einen Gefangenen gehen zu lassen: Apg 4,21-23; 5,40; 17,9; einen Schuldner zu lösen, seine Schulden erlassen: Mt 18,27; metaphorisch: Lk 6,37 (Thayer 1996).
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Die Wundererzählungen im Lukasevangelium
Die unterschiedlichen semantischen Aspekte können auch in Lk 14 eine Rolle spielen: Körperlich ist der Mann freigelassen, und er durfte nach Hause gehen. Auf einer theologisch-eschatologischen Ebene wird der Mann durch die Gnade Gottes gerettet und neu erschaffen. Mit der Erlaubnis Jesu wird er aus seiner Abhängigkeit befreit, sei es Krankheit, Besessenheit oder der Satan. Aber er ist auch von jeder Verantwortung gegenüber Jesus, seinem Wohltäter, befreit. 3ApolÐw (apolyo¯ – lösen oder befreien, loslassen) hat auch sonst in der jüdisch-christlichen Tradition theologische sowie eschatologische Bedeutung. Das Wort erinnert an das Thema der Befreiung aus Ägypten und der Feier des ersten Pascha.
Sozial- und realgeschichtlicher Kontext Heilung und Streitgespräch sind auf den Sabbatkonflikt ausgerichtet. Was den Sabbat vor allen anderen Festtagen auszeichnet, ist die Unterbrechung der Arbeit mondphasenunabhängig an jedem siebten Tag. Der wohl älteste Text in Ex 34,21 spricht von der Unterbrechung der bäuerlichen Arbeit ausgerechnet auch in den jahreszeitlich entscheidenden Phasen von Saat und Ernte (Crüsemann/Crüsemann 2009a, 491). Was genau als Arbeit/ Werk angesehen wurde, zeigt sich in der hebräischen Bibel nicht deutlich und löste heftige Debatten aus. Erwähnt wird die Entzündung des Feuers (Ex 35,3), das Sammeln von Holz (Num 15,32-36), Handel (Jes 58,13), das Verlassen der Heimatstadt (Ex 16,29), Pflügen und Ernte und alles, was damit verbunden ist (Ex 34,21), zudem das Tragen (Jer 17,19-27). Bereits in den Sabbatkonflikten in exilisch-nachexilischer Zeit ging es dann um die Frage, wie streng die Sabbatruhe einzuhalten und auf welchen Geltungsbereich sie auszudehnen sei. So spiegelt sich z. B. die Ausweitung der Sabbatruhe auf den städtischen Distributionssektor, auf Handel und Gewerbe, ebenso wie auf Sklaven, Fremde und Tiere in den Dekaloggeboten (Ex 20,9 f.; Dtn 5,13). Der Sabbat war seit alters her ein unverwechselbares Identitätsmerkmal des Judentums. Wie hochrangig das Sabbatgebot eingestuft wurde, wird nicht nur in der Aufnahme in die Dekaloge sichtbar, auf die Übertretung des Sabbatgebots stand sogar die Todesstrafe (Ex 31,14; 35,2). Umgekehrt zeigen die Makkabäerbücher, dass sich Fromme eher töten lassen wollten, als dass sie die Sabbatruhe brechen würden (1Makk 2,32-38). Die Sabbathalacha zur Zeit des zweiten Tempels basiert auf dem Prinzip, dass der Sabbat die Krone der Woche sei, auf die alle Aktivitäten der Woche ausgerichtet sind (Doering 1999, 528; vgl. Neusner 1971, 280; Hartenstein 2003, 103-131). Gemäß der konservativen Einhaltung des Gebots in Ex 20,9 und Dtn 5,13 musste alle Form von Arbeit vor Beginn des Sabbats abgeschlossen sein. Dies konnte sogar wohlwollende Taten wie Besuche und Gebet für die Kranken einschließen. Eine liberalere Position wird bei Philo sichtbar: Arbeit wird von ihm als Teil des Wesens Gottes gesehen. Da Gott als Schöpfer nie aufhört zu arbeiten, denn er erschafft kontinuierlich, bedeutet auch Ruhe für die Menschen nicht Passivität (Philo spec. 1,5). Stattdessen sollte man die alltäglichen praktischen Tätigkeiten unterlassen und sich auf Kontemplation und Meditation konzentrieren (spec. 2,64; decal. 101). Unabhängig davon, wie die Einhaltung des Sabbats in verschiedenen Kontexten interpretiert wurde, kann nicht bezweifelt werden, dass Juden auch in der Diaspora die Sabbatobservanz wichtig war. Philo nahm dies so ernst, dass er die Abschaffung des Sabbats mit einer 630
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endgültigen Vernichtung der jüdischen Tradition verglich (vgl. somn. 2,123; Barclay 1996, 442). Keine jüdische Quelle aus vortannaitischer Zeit erwähnt sabbatliches Heilen. Heilung ist nicht unter den 39 wichtigsten Formen der verbotenen Arbeit am Sabbat, die in mShab 7,2 erwähnt werden. Es waren jedoch spezifische heilende Handlungen, z. B. das Einrichten eines Bruchs, das Einreiben mit schmerzlindernden Mitteln und Einnahme von Medizin streng verboten (vgl. mShab 14,3 f.; 22,6; tShab 12 [13],8-14). Es ist bemerkenswert, dass eine Handlung mit dem Zweck der Heilung nicht zulässig war. Wenn Heilung als Nebeneffekt auftrat, beispielsweise durch Kräuter, die in der Speisenzubereitung verwendet wurden, wurde sie aber nicht als anstößig empfunden. Bereits in der Mischna zeigt sich aber auch der Grundsatz »Lebensgefahr verdrängt den Sabbat« (mJoma 8,6). Das Adjektiv ¢drwpik@ (hydro¯pikos) gehört zum medizinischen Vokabular der Antike (vgl. Hippocr. 6,8,27,35) und kann mit »Schwellung« oder »Wasserretension« übersetzt werden. Es kann sich auf zwei Krankheitsbilder bzw. Symptome beziehen, zum einen die Einlagerung von Wasser im Körper, zum anderen das Bedürfnis, besonders viel zu trinken. Bei Ersterem ruft die Wassersucht geschwollene Körperteile wie Arme, Beine und Bauch hervor, was mit vielen Folgeerkrankungen und Beeinträchtigungen einhergeht und zu einer Vielzahl von anderen Gefahren führen kann. Wenn es zu einer chronischen Erkrankung wird, folgt daraus eine Schwächung des Herzens, und es kann das Zusammenbrechen und den sofortigen Tod des Kranken verursachen. Für die Juden war die Krankheit von religiöser Bedeutung. Sie wies darauf hin, dass eine Person infolge einer sündigen Handlung von Gott verflucht war. Laut Num 5,21 f., werden diejenigen, die Ehebruch begehen, durch Wassersucht bestraft. Die Juden glaubten, dass der menschliche Körper halb aus Wasser, halb aus Blut bestand (vgl. WaR 15). Wenn dieses Gleichgewicht durch die Sünde entstellt ist, steigt der Wasseranteil an und eine Person bekommt Wassersucht; wenn der Anteil an Blut ansteigt, wird der Mensch aussätzig (Bovon 2008, 472; s. Ebner 2008b, 128). Clayman’s Encyclopedia of Medicine (Clayman/Vaughn/Donnaud 1989) vertritt die Ansicht, dass Wassersucht durch einen Überschuss an Flüssigkeit zu einer körperlichen Schwellung führt. Es ist keine Krankheit an sich, sondern ein Hinweis darauf, dass der Körper wegen Nieren- oder Herzinsuffizienz nicht mehr richtig funktioniert (s. Braun 1995). Der Begriff »Wassersucht« wurde auch, aber seltener für die diabetes insipidus verwendet (Galen. 7,81: »Und die genannte [sc. Krankheit] ist Wassersucht ins Töpfchen; einige aber nennen sie Diabetes«). Aufgrund von mangelder Wasserrückrezeption müssen dabei Kranke oft mehrere Liter Wasser am Tag trinken. Die in der Antike geläufige Redewendung in Bezug auf Wassersucht mag sich darauf beziehen: oudþn xhrotern ¢drwpiko‰ (ouden xe¯roteron hydro¯pikou – nichts ist so trocken wie eine Person mit Wassersucht) – was bedeutet, dass die Person mit Wassersucht an unstillbarem Durst leidet (vgl. Ps.-Long. 3,4; Polyb. 13,2,2). Für Klein hat der in Lk 14,2 genannte Kranke genau diese Krankheit (Klein 2006, 498), zum einen, weil sich die Heilung nicht sofort zeigen kann (also strittig bleibt), zum anderen weil auf diese Weise die anschließende Parabel auch sachgemäß passt: Wie das Tier vom Durst getrieben in den Brunnen fällt, so wird auch der Kranke von unstillbarem Durst getrieben, der ihn letztlich umbringt. Noch ein weiteres Argument ist hier hinzuzufügen. Der Terminus ¢drwpik@ (hydro¯pikos) wurde auch verwendet, um auf den Gierigen zu verweisen. Reiche und Wassersüchtige sind ähnlich. »Wie bei den Wassersüchtigen die Zufuhr von Flüssigkeiten von außen 631
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niemals ein Aufhören oder eine Stillung des Verlangens bewirkt, so ist es auch nicht möglich, das Verlangen nach mehr zu stillen« (Stob. anth. 4,33,31). Auch die Pharisäer werden bei Lukas als gierig dargestellt (Lk 11,37-44; 16,14). Dass der Wassersüchtige ausgerechnet im Haus eines oberen Pharisäers auftritt, mag deshalb nicht absichtslos sein (mit Braun 1995, 41; Wolter 2008, 502). Vor Jesus stand eine Person mit Wassersucht, neben ihm am Tisch saßen Menschen, die oft durch Gier charakterisiert werden. Ihr Leiden war nicht geringer als das der kranken Person. Als Jesus den Akt der Heilung durchführt, wird die Aussicht darauf geschaffen, dass die Pharisäer die Botschaft Jesu hören und auch von ihm geheilt werden (Green 1997, 546 f.; vgl. Ebner 2008b, 128 f.).
Traditions- und religionsgeschichtlicher Hintergrund Krankheiten und Behinderungen hatten für die Israeliten eine besondere Bedeutung, weil ihre Gesetze behinderte und kranke Menschen von der Teilnahme an religiösen Riten abhielten. Nach den Reinheitsvorschriften des Levitikus wurden sie marginalisiert. Da JHWH vollkommen und rein ist, durfte kein unvollständiges oder verkrüppeltes Tier ihm als Opfer (Dtn 16,21) dargebracht werden. Menschen mit Krankheiten (vgl. Lev 21,17-21), die unrein waren, durften sich nicht dem Altar nähern und das Heiligtum verunreinigen. Die Furcht vor Verunreinigung durchzieht das Alte Testament und prägt das Judentum. Unreine Dinge waren ansteckend. Die Speisegesetze waren ein wichtiges Symbol für den einzigartigen Status Israels vor Gott (Lev 11,24-40) und standen in enger Verbindung mit Dekreten über Krankheit und rituelle Reinheit; Tischgemeinschaft und Heilungen waren eng mit der Geschichte Israels verbunden und blieben auch im Neuen Testament prominent. Krankheit und Heilung wurden im Alten Testament auch metaphorisch verwendet. Heilung als eine Metapher für das Heil war im jüdischen Denken lange vor Jesu Wirken fest verwurzelt. Umgekehrt war Sünde mit Krankheit eng verbunden (Zimmermann 2009a, 229-236). Krankheit konnte als Strafe gedeutet werden oder als pädagogische Maßnahme, die Folge der Disziplinierung durch Gott, sie konnte wörtlich oder metaphorisch verstanden werden, ebenso wie die Heilung (Erlösung). Im Alten Testament wurde Gott allgemein als allmächtig angesehen, mit Macht, Leid und Heilung zu wirken, für das Individuum wie für das Volk (Dawson 2008, 21-23). Kranke Menschen wurden auch im Judentum des Zweiten Tempels kultisch benachteiligt und sozial ausgegrenzt. Während die Tempelbehörden um Reinhaltung von Tempel und Kult bemüht waren, verlagerten die eher tempelkritischen Pharisäer Frömmigkeit in den Alltag, der rein und heilig bewahrt werden sollte. Dies führte jedoch dazu, dass Sündern, d. h. auch kranken und behinderten Menschen, durch die pharisäischen Gesetze der soziale Umgang mit den Reinen verwehrt wurde. Aufgrund der Assoziation von Krankheit mit der Sünde waren die Kranken intensiv mit dem Gebet für die Vergebung ihrer Sünden beschäftigt. Kranke, Unreine und Marginalisierte sind außerhalb der Tempel geblieben, so dass die heilige Stadt nicht durch ihre Anwesenheit kontaminiert wurde (De Silva 2000, 259). Eine traditionelle semantische Vorprägung liegt auch im Begriff »Lösung«, der den Erlösungsgedanken aus der Exodus-Tradition in sich trägt. Ägypten wurde als ein Skla632
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venhaus gesehen, in dem die Israeliten zu Knechtschaft gezwungen waren. Später wurde die Idee auch mit Israels Gefangenschaft im Exil und der erwarteten Befreiung durch JHWH verbunden. Die Erlösung aus Ägypten macht Israel zum Volk Gottes, und in Jes 50,2 leitet die Erlösung aus dem Exil die Heilszeit ein. In den Psalmen wird Erlösung als das Eingreifen JHWHs verstanden, nicht nur zugunsten seines Volkes, sondern auch des Einzelnen (Ps 25,22; 44,27; 78,42). Jenseits der völkisch-politischen Dimension wurde nachexilisch-weisheitlich der Erösungsgedanke auch individualisiert. Entsprechend konnten Menschen um die Erlösung aus Krankheit, Tod, Verfolgung und allerlei Bedrängnis bitten (Haag 1968, 418 f.; vgl. Görg/Lang 1991, 565-571). Der Begriff ⁄polÐw (apolyo¯) ist aber auch in der griechischen Welt vertraut (vgl. Haubeck 2005, 359-367). Viele Menschen in der Antike waren Sklaven wegen Schulden, die sie nicht zurückzahlen konnten. Folglich wurde Sklaverei in diesem Zusammenhang auch eine christliche Metapher für Knechtschaft der Sünde. In der gleichen Weise, wie ein Sklave der Erlösung bedürftig war und von den Ketten befreit werden musste, die ihn oder sie gefangen hielten, musste eine Person aus der Gefangenschaft der Sünde gelöst werden. Dies ist bedeutsam wegen der Verbindung zwischen Krankheit und Sünde. Heilung der Krankheit bedeutet Befreiung von Sünde. Im Neuen Testament erhält Erlösung eine eschatologische und theologische Bedeutung. Sie ist eng mit den semantischen Feldern der Versöhnung mit Gott, Rechtfertigung und Offenbarung verbunden (Haubeck 2005, 359 f.). Das Heil wurde durch Jesu Tod am Kreuz und seine Auferstehung, durch die Jesus das Böse und den Tod besiegt (vgl. Mt 5-7; Mk 10,45; 1Kor 15,56; Mt 12,28; Röm 5-8), gegründet. Die Menschheit nimmt Teil an der Erlösung durch Christus durch den Glauben (Mk 16,16; Mk 10,52). Wasser hat innerhalb des jüdischen Symboluniversums eine besondere Bedeutung. Wasser wurde zugleich mit Zerstörung der Schöpfung und mit der Geburt und Lebenserhaltung der neuen Schöpfung assoziiert. Es gab Gerichtswasser, das bedroht und richtet und in dieser Tradition werden die Urflut- (Gen 1), Sintflut- (Gen 6), Schilfmeer- (Ex 15) und Endgerichtswassergeschichten angetroffen. Auf der anderen Seite sind lebendiges, fließendes und gottgegebenes Wasser positiv dargestellt. Dazu gehören die Ströme des Gartens Eden, die Wasser zur Reinigung von ritueller Unreinheit und die Wasser des Heils in der Endzeit. Diese Traditionen haben auch das frühe Christentum stark beeinflusst, wie es besonders bei der Taufe zum Ausdruck kommt. Die Auferstehung Jesu hat ein neues Äon verkündigt, und damit man an diesem Heil teilhaben kann, wird mit Wasser getauft (Röm 6). Man muss durch das Chaoswasser, das zentrale Medium des Gerichts und des Todes, hindurch zu einem neuen Menschen geboren werden (Ostmeyer 2000, 505). Ziel ist beim Endgerichtswasser wie bei der Taufe dann nicht die Reinigung, sondern die endgültige Erlösung und neues Leben. In Lk 14,1-6 ist es möglich, dass der Durst des kranken Mannes nach Wasser tiefer zu deuten ist als ein unstillbarer Durst nach Gott (vgl. Ps 42,2 f.), als Durst nach dem eschatologischen Heil, das letztlich in Jesus und nicht in Torabestimmungen gefunden wird. Die Wundergeschichte in Lk 14,1-6 stellt mit ihrem kargen Stil keine expliziten Bezüge zu Wassertraditionen des Judentums und ebenso wenig zur Taufe her. Dies schließt aber nicht aus, dass der Text vor diesem Hintergrund verstanden werden kann und auch verstanden wurde.
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Verstehensangebote und Deutungshorizonte Zu neutestamentlicher Zeit dominierte das Wunderbare in der allgemeinen Wahrnehmung der Welt. Heute wird oft argumentiert, dass die Evangelisten Heilungsgeschichten v. a. als Aufhänger für theologische Argumentationen, wie z. B. die Vergebung der Sünden, die Sabbatfrage oder ganz allgemein die religiöse Opposition gegen Jesus verwendeten. Allerdings sollten diese Annahmen nicht zu dem Schluss führen, dass Lukas selbst die Heilungen lediglich als Vehikel für seine theologische Botschaft betrachtete. Nach Lukas sind die Heilungen als solche im Rahmen des Wirkens Jesu wichtig (Dawson 2008, 116). Im Hinblick auf die sprachliche Analyse des Textes erschließt sich eine soteriologische Deutung des Textes: Zunächst bedeutet ⁄polÐw (apolyo¯) »loslassen«, kann aber im Gebrauch in religiösen Texten nicht ohne die theologische und eschatologische Bedeutung »Errettung« oder »Begnadigung« gelesen werden. Auch das Wort »Heilung« darf nicht auf die körperliche Restitution beschränkt werden. Es schließt soziale Reintegration ein und hat v. a. auch theologische Bedeutung. »Heilung« beinhaltet die Akzeptanz durch Christus und die Vergebung durch Gott. Durch die Heilung räumt Jesus aus, was dem Leben im Weg steht. Durch den Einsatz von ⁄polÐw (apolyo¯) weist der Autor zurück auf die Exodus-Tradition, was auch durch seine Kenntnis der Paschaamnestie, d. h. der jährlichen Freilassung eines Gefangenen am Paschafest (vgl. Lk 23,17-25) plausibel ist. Jesu Tat steht im Zusammenhang mit dem Abschluss der neuen Schöpfung, der Heilung der Menschen von ihrer Krankheit und bezeichnet einen neuen Exodus durch die Freisetzung der Menschen aus der Sklaverei ihrer Sünden. In einer sozialgeschichtlichen Auslegungsperspektive kann man Raum, Zeit und Figurenkonstellation in den Mittelpunkt rücken. Es ist kein Zufall, dass die Heilung am Sabbat im Haus des Oberen der Pharisäer stattfindet bzw. literarisch die Erzählung Anklänge an ein Symposion zeigt (dazu Ebner 2008b, 115-135). Dem Essen und Trinken der höheren Gesellschaftsschicht steht die für Lukas typische Tischgemeinschaft Jesu mit Sündern (Lk 15,1; vgl. 5,27-32; 15,31 f.) entgegen. Auch in Lk 14,1-6 kommt es durch den wassersüchtigen Kranken zur unmittelbaren Konfrontation der sozialen Schichten. Jesus verhält sich hierbei eindeutig parteilich und setzt seine dem Leser des Lukas bereits bekannte Linie der Zuwendung zu den Sündern und Ausgegrenzten fort (Lk 4,1623; Lk 15,1-32). Man könnte argumentieren, dass Lukas zeigen will, dass Jesus sich in einer Weise verhält, als ob die Verwandlung der Welt bereits stattgefunden habe. Darüber hinaus zeigt der Text – wie schon in Lk 13,17 –, dass die Gegner Jesu scheitern, während seine Person hervorgehoben wird. Dies ist auf drei Ebenen erkennbar: 1. Das Schweigen der Gegner markiert ihre Unterlegenheit gegenüber den Worten Jesu; 2. das durch drei Verben pointiert herausgehobene Handeln Jesu steht über der Passivität der Pharisäer; 3. Lukas stellt Jesus als souveränen Lehrer dar, der nicht nur bestimmt, was am Sabbat akzeptabel ist, sondern insgesamt als maßgebliche Figur präsentiert wird (Fitzmyer 1985, 1041). Während Jesus in seiner Zuwendung zu den Außenseitern, wie hier dem Kranken, souverän und machtvoll inszeniert wird, verstummen die Oberen der Pharisäer kläglich. Ihre Gier nach Geld (Lk 16,14), ebenso wie ihre Gier nach Macht und Ansehen (sie möchten z. B. Spitzenpositionen in der Synagoge und Ehrerbietung auf dem Markt, vgl. Lk 11,43; 20,46) ist wie ein Durst, der unstillbar ist. Lukas kritisiert damit auch die hö634
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here Gesellschaft, die nach außen hin wohlwollend gegenüber anderen auftritt, aber bei der Rettung eines einzelnen Notleidenden versagt. Das Festmahl hat nicht das Ziel des Gemeinschaftserlebens, sondern folgt der Logik der wechselseitigen Vergeltung unter Gleichrangigen (Lk 14,12). Soziales Ranking (vgl. Lk 14,8-10: am Tisch oben sitzen) ist ihnen offenbar wichtiger als die Erfüllung der Tora (Ebner 2008b, 129). Mit ihrem blamablen Verstummen wird ihnen aber auch gleichsam das Recht entzogen, die wahre Entscheidung über die Auslegung des Gesetzes vorzunehmen. In Bezug auf den literarischen Kontext ist die Szene allerdings nicht nur durch Konflikte und Feindseligkeit charakterisiert, sondern auch durch das Motiv der Offenbarung der rettenden Taten Gottes. Implizit wird dem Text damit die Möglichkeit eingeschrieben, dass auch die Gegner Christi Heilung erfahren können. Die Tatsache, dass Jesus mit diesen Pharisäern isst, legt nahe, dass sie bereits miteinander Mahlgemeinschaft haben. Weiterhin beharrt Jesus auf der Verkündigung seiner Botschaft bei ihnen – er will, dass sie betroffen und umgewandelt werden, so wie es etwa bei Zachäus inszeniert wird (Lk 19,1-10). Durch die Einladung der Armen, Verkrüppelten, Lahmen und Blinden (Lk 14,13), der Kranken also, in das Haus des oberen Pharisäers, realisiert sich dann letztlich doch, dass Arme und Reiche, Machtlose und Mächtige schließlich gemeinsam am Tisch des Reiches Gottes sitzen (Lk 14,12-14; Lk 13,29). In Bezug auf den Glauben veranschaulicht die Wundergeschichte eine radikale, aber mühsame Umkehr von Unterwerfung zur Freiheit, vom Schweigen zu Worten, von tödlicher Passivität zu geisterfüllter Tätigkeit. Dies kann nur durch Jesus und seine Kühnheit erfolgen. Es wäre einfacher, diesen radikalen Wandel auf morgen zu verschieben. Doch in den Augen des Evangelisten bot sich die einmalige Gelegenheit, die wahre Bedeutung des Sabbats zu illustrieren. In dieser Erzählung verweist Lukas auf denselben Aspekt wie Paulus – die Übertragung des Gesetzes in Gnade. Die Heilung durch Christus wird in einen Zusammenhang mit dem kreativen und rettenden Willen Gottes gebracht. Christus, als Hermeneut der Heiligen Schrift, macht seine Exegese des Sabbatgebots in einer praktischen Weise bekannt. Er handelt, schenkt Rettung und Heil und durchbricht damit zugleich menschliche Hierarchien und Begrenzungen. Obwohl die Pharisäer schon einleitend als unterlegen dargestellt werden, geht das Gespräch in Lk 14 weiter. Die Pharisäer sollen durch Jesu Handeln und Reden aus der Passivität gelockt werden. Sie sollen im weiteren Horizont einladen (Lk 14,12) und so auch selbst Eingeladene bleiben. Wird es für sie noch die Möglichkeit geben, sich der Botschaft zu verschließen, nachdem die Heilung den Beweis von Gottes Güte in seinem Sohn, dem »eschatologischen Arzt« (Lk 4,23), erbracht hat?
Aspekte der Parallelüberlieferung und Wirkungsgeschichte Die kommentierte Wundererzählung findet sich nur bei Lukas. Allerdings zeigt das so genannte »Wanderlogion« (Busse 1977, 307; Klein 2006, 499) in Lk 14,5, das gattungsmäßig als Parabel bestimmt werden kann, Änlichkeiten mit Mt 12,11 und in gewisser Weise auch mit Lk 13,15. Alle drei Logien beginnen mit einer rhetorischen Frage, die sich an »jeden« richtet; es geht ferner um ein oder zwei Tiere (Lk 14,5 zusätzlich Sohn), die Hilfe brauchen, sei es, dass ihre Grundversorgung (Trinken Lk 13,15) gewährleistet werden muss, sei es, dass sie aus einer Notsituation befreit werden müssen. Lk 14,5 steht mit 635
Die Wundererzählungen im Lukasevangelium
dem »Brunnen« gewissermaßen zwischen Tränken und Grube. Auffällig ist aber, dass die Parabeln nicht nur im Streitgespräch über den Sabbat, sondern stets im Zusammenhang mit einem Heilungswunder eingebracht werden. Lk 13,15
Lk 14,5
Mt 12,11
¢pokritaffl, kasto@ ¢mn t† sabb€t†w o' lÐei tn bo‰n a'to‰ tn non ⁄p t»@ f€tnh@ ka½ ⁄pagagn potfflzei;
tfflno@ ¢mn u @ bo‰@ e§@ frffar pese…tai (ka½ o'k e'qffw@ ⁄nasp€sei a'tn ¥n mffra to‰ sabb€tou;
tffl@ ˛stai ¥x ¢mn ˝nqrwpo@ ˚@ xei prbaton n ka½ ¥Þn ¥mpffs–h to‰to to…@ s€bbasin e§@ bqunon, o'c½ kratffisei a't ka½ ¥gere…w
Heuchler, löst nicht jeder von euch am Sabbat sein Rind oder den Esel von der Krippe und wegführend tränkt er (ihn)?
Wem von euch wird ein Sohn/ Esel oder Rind in einen Brunnen fallen, und nicht sogleich wird er ihn heraufziehen am Tag des Sabbats?
Wer wird sein von euch ein Mensch, der haben wird ein einziges Schaf, und wenn dieses hineinfällt an Sabbaten in eine Grube, wird er es nicht ergreifen und aufrichten?
Der genaue Vergleich (dazu Busse 1977, 308 f.) zeigt jedoch, dass die Texte in Wortlaut und Stil deutlich variieren (vgl. etwa im Blick auf Lk 14,5 und Mt 12,11: Brunnen – Grube, fallen – hineinfallen, heraufziehen – ergreifen, Rind – Schaf). Lukas’ Schwerpunkt liegt auf der Dringlichkeit, der des Matthäus auf dem Tier. Lukas denkt an einen von Menschen gebauten Brunnen und einen Unfall, der menschliche Hilfe notwendig macht. Lukas bezieht sich auf zwei Tiere: Ochse und Esel (was sich – wie oben erwähnt – auch auf einen Sohn beziehen könnte). Das Wortpaar Ochse und Esel verweist zurück auf die Tiere, die im Gebot (vgl. Dtn 22,4 und Ex 23,5) erwähnt werden. In der rabbinischen Tradition wird der Sturz eines Tieres wie folgt behandelt: Die Konservativen entschieden, dass das Tier gefüttert werden kann, aber nicht befreit, während die Liberalen annehmen, dass das Tier befreit werden konnte. Jesu Argumentation macht nur Sinn, wenn er der liberalen Tradition näher steht: Wie das Tier, so soll auch der Mensch befreit werden. Aber auch die Gegner Jesu neigen bei Lukas der liberalen Position zu: Sie verstummen, weil seine Halacha der Tierrettung bei Todesnot offenbar ihrer Überzeugung entspricht. Obwohl in Mt 12,11 der Fokus auf dem Tier liegt, argumentiert er in V. 12 de minore ad maius, dass, wenn ein Tier gerettet werden kann, dies umso mehr für einen Menschen gilt. So kommen am Ende beide Evangelisten zu dem gleichen Schluss – einer liberalen christlichen Auslegung des Gebotes. Wenn Lukas mit dem aramäischen Wortspiel zwischen »Esel« und »Sohn« arbeitet, impliziert er einen Appell an einen Vater, seinen Sohn zu retten. Der Vater, der seinem Sohn das Leben gegeben hat, wird alles tun, um seinen Sohn aus dem Brunnen zu ziehen. Ebenso wird der Schöpfergott, der seinen Kindern das Leben gab, alles in seiner Macht Stehende tun, um seine Kinder zu retten, er wird zum Gott des Heils. Ist dann nicht die Errettung der Menschheit durch den Tod seines Sohnes geschehen?
Elritia Le Roux
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Literatur zum Weiterlesen W. Braun, Feasting and Social Rhetoric in Luke 14, Cambridge 1995. U. Busse, Die Heilung des Wassersüchtigen, in: ders., Die Wunder des Propheten Jesus. Die Rezeption, Komposition und Interpretation der Wundertradition im Evangelium des Lukas, FzB 24, Stuttgart 1977, 304-313. X. De Meeus, Composition de Luc XIV et genre symposiaque, EThL 37 (1961), 847-870. J. D. M. Derrett, Positive Perspectives on Two Lucan Miracles, Downside Review 104 (1986), 272-287. M. Ebner, Symposion und Wassersucht, Reziprozitätsdenken und Umkehr: Sozialgeschichte und Theologie in Lk 14,1-24, in: D. C. Bienert/J. Jeska/T. Witulski (Hg.), Paulus und die antike Welt: Beiträge zur zeit- und religionsgeschichtlichen Erforschung des paulinischen Christentums, Göttingen 2008, 115-135. G. Hotze, Jesus als Gast. Studien zu einem christologischen Leitmotiv im Lukasevangelium, FzB 111, Würzburg 2007, 214-260. M. Schiefer Ferrari, (Un)gestörte Lektüre von Lk 14,12-14. Deutung, Differenz und Disability, in: W. Grünstäudl/M. Schiefer Ferrari (Hg.), Gestörte Lektüre. Disability als hermeneutische Leitkategorie biblischer Exegese, Behinderung – Theologie – Kirche 4, Stuttgart 2012, 13-47. H. van der Loos, The Healing of a Man with Dropsy, in: ders., The Miracles of Jesus, NT.S 9, Leiden 1965, 504-508.
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Wandel auf dem Weg des Heils (Die zehn Aussätzigen) Lk 17,11-19 (11) Und es geschah beim Gehen nach Jerusalem. Und er ging hindurch durch die Mitte Samarias und Galiläas. (12) Und als er hineinkam in irgendein Dorf, begegneten [ihm] zehn leprakranke Männer, die blieben stehen von ferne. (13) Und sie erhoben die Stimme, sagend: »Jesus, Meister, erbarme dich unser.« (14) Und als er sie sah, sagte er ihnen: »Geht, zeigt euch selbst den Priestern.« Und es geschah, indem sie weggingen, wurden sie gereinigt. (15) Einer aber von ihnen, als er sah, dass er geheilt war, kehrte er um, und mit lauter Stimme rühmte er Gott, (16) und er fiel auf das Angesicht bei seinen Füßen und dankte ihm; und er war ein Samaritaner. (17) Jesus aber antwortete und sprach: »Sind nicht die zehn gereinigt worden? Die neun, wo sind sie? (18) Wurden keine gefunden, die umgekehrt sind, Gott Ehre zu geben, außer dieser Fremde?« (19) Und er sagte ihm: »Steh auf und geh; dein Glaube hat dich gerettet.«
Sprachlich-narratologische Analyse Bei der Perikope von der Heilung der zehn Aussätzigen handelt es sich um eine zweigipflige Erzählung (V. 14b.19), in der der erste Teil mit dem eigentlichen Wunder (V. 12-14b) im Schatten des zweiten steht (V. 15-19). Die Gruppenheilung zählt zum Sondergut des Lukas und ist in ihrer Wunder-Dimension im Neuen Testament beispiellos. Zwar begegnen im Neuen Testament Heilungen einzelner Aussätziger (Mt 8,2-4 par.) und Summarien, die auch die Heilungen von Aussätzigen umfassen (Mt 11,5; Lk 7,22b; vgl. Mt 10,8a), doch fehlt diesen Summarien eine Benennung der Zahl der Geheilten und eine Lk 17,1119 vergleichbare Anschaulichkeit. Die Heilung eines Aussätzigen wurde im jüdischen Kontext der Antike der Auferweckung eines Toten gleich geachtet (bSan 47a; Num 12,10.12). Das Ausmaß des Wunders in Lk 17,11-19 steht in Kontrast zu den lapidar wirkenden Worten Jesu: »Geht, zeigt euch selbst den Priestern!« Ansonsten kommt die Heilung einer Gruppe von zehn Aussätzigen ohne besondere Heilungsformeln oder Berührungen aus (anders die Heilung des einen Aussätzigen in Lk 5,12-14). Von einer Reaktion der Umstehenden wird nichts berichtet. Eine solche Reaktion des Publikums soll durch das Wegschicken der Kranken und deren Heilung auf dem Wege anscheinend ausgeschlossen werden. Die »Beglaubigung« des Wunders hängt ab vom Wiederkommen der Geheilten. Die Rückkehr nur eines Geheilten, der noch dazu Samaritaner ist, bietet die Minimallösung für eine Wunderbestätigung. Dieser Unterschied zwischen größtmöglichem Wunder und kleinstmöglicher öffentlicher Aufmerksamkeit wird durch Jesu Worte an den einen Zurückgekehrten noch gesteigert: Nicht auf das Wunder kommt es an und nicht einmal auf den Dank an Jesus als den Vollbringer des Wunders, sondern auf die Umkehr und die Ehrung Gottes (Lk 17,18). 638
Wandel auf dem Weg des Heils Lk 17,11-19
Die überwiegende Zahl der finiten Verbformen in Lk 17,11-19 wird im Aorist geboten. Dadurch fällt besonderes Augenmerk auf die finiten Verben in anderen Tempora. Sie konzentrieren sich auf die beiden Rahmenverse und beziehen sich auf Jesus oder sind von ihm gesprochen: Imperfekt (diffirceto die¯rcheto – er ging hindurch, V. 11), Präsens (poreÐou poreuou – geh, V. 19b) und Perfekt (sffswkffn se seso¯ken se – er hat dich gerettet, V. 19c). Jesus wird in Lk 17,11-19 als der dargestellt, der sich bewegt und der in Bewegung setzt. Der Eingangsvers (V. 11) verortet die Handlung auf dem Weg, und Jesus wird durch das Imperfekt von diffrcomai (dierchomai – hindurchgehen) als der geschildert, der unterwegs und auf der Durchreise ist. Das Moment der Kontinuität der Bewegung wird mit Hilfe des griechischen Imperfekts zum Ausdruck gebracht. Dem entspricht die Einbettung der gesamten Heilungserzählung in den für das Lukasevangelium charakteristischen ausführlichen »Reisebericht«, Lk 9,51-19,27. Die Unmöglichkeit, Jesus auf nur einen einzigen Ort zu fixieren, wird in V. 11 bekräftigt durch die Nennung von zwei verschiedenen Gegenden und Jerusalem als Ziel. Die geographische Beschreibung ist mit Absicht unbestimmt gehalten. Verstärkt wird der Eindruck des nicht Fixierbaren durch die übertrieben wirkende und nicht grammatikkonforme Aneinanderreihung von »Durchgangstermini«: di-ffirceto diÞ mffson (statt mffsou) Samareffla@ ka½ Galilaffla@ (di-e¯rcheto dia meson [statt mesou] Samareias kai Galilaias – und er ging hindurch durch die Mitte Samariens und Galiläas). Unbestimmt bleibt auch das von Jesus betretene Dorf (V. 12), das nur als »irgendein Dorf« vorgestellt wird. Im Unterschied zum wandelnden Jesus werden die zehn Aussätzigen als statisch beschrieben: »Sie standen von ferne« (V. 12b). Das erste Wort, das Jesus an sie richtet (V. 14b), nachdem er sie gesehen hat, ist die Aufforderung, sich in Bewegung zu setzen und sich dann den Priestern zu zeigen (poreuqffnte@ ¥pidefflxate poreuthentes epideixate). Um den Aufbruch aus der starren Haltung zu betonen, heißt es: »indem sie weggingen, wurden sie gereinigt« (V. 14c). Analog zu Jesus, der die Aussätzigen sah (V. 14a §dðn ido¯n – sehend), sieht jetzt (V. 15a) der Samaritaner, dass er geheilt ist. Er sieht, dass er gesehen ist. Als einziger der zehn Geheilten kehrt er zu Jesus zurück. Bei dem in den Versen 15 und 18 gebrauchten Verb ¢postrfffw (hypostrepho¯ – umkehren) handelt es sich um ein von Lukas insgesamt 32-mal gebrauchtes Vorzugswort zur Bezeichnung einer Umkehr oder Rückkehr. Ein (buß-)theologischer Gehalt ist mit der Verwendung nicht notwendig gegeben. Um eine innere Wandlung oder Buße auszudrücken, wäre das andere lukanische Vorzugswort metanoffw (metanoeo¯) der Terminus der Wahl (umkehren, Buße tun; 14 Belege im Evangelium und der Apostelgeschichte). In dem Moment, in dem Jesus und die Aussätzigen unmittelbar interagieren, wird Jesu Wanderung und damit der Fluss der Bewegung unterbrochen. Sprachlich setzt Lukas dieses Ins-Stocken-Geraten des Ablaufs um mit Ketten von Alliterationen. Mit 3Ih-so‰ ¥-pist€ta, ¥-lffhson -m”@ (Ie¯-sou e-pistata, e-lee¯son he¯–mas – Jesus, Meister, erbarme dich unser; V. 13) machen die zehn Männer auf sich aufmerksam. Die besondere Gestaltung der einleitenden Worte bei der Begegnung sensibilisiert dafür, auch in den nachfolgenden Versen nach rhetorischen Mitteln und ihrer Aussageabsicht zu fragen. Das Niederfallen des zurückgekehrten Samaritaners in V. 16 wird ebenfalls mit einer Alliterationen-Reihe beschrieben (V. 16): ka½ ˛p-esen ¥p-½ p-rswpon p-arÞ to±@ p-da@ a'to‰ e'caristn a't† (kai ep-esen ep-i p-roso¯pon 639
Die Wundererzählungen im Lukasevangelium
p-ara tous p-odas autou eucharisto¯n auto¯ – und er fiel auf das Angesicht zu seinen Füßen und dankte ihm). Das Stakkato von Plosiven unterstreicht lautmalerisch, dass der kontinuierliche Fluss der Bewegung stockt und die Wanderung unterbrochen wird. Die rhetorische Gestaltung lässt das Bild eines Stockenden, Stoppenden, Stolpernden und Stotternden entstehen. Jesu Reaktion und die Aktion des Samaritaners entsprechen sich in ihrer Gestaltung. Auch für Jesu Antwort im letzten Vers (V. 19) sind Alliterationen kennzeichnend: ka½ e pen a-'t†; ⁄-nastÞ@ p-oreÐou‡ p-fflsti@ s-ou s-ffswkffn s-e (kai eipen a-uto¯ a-nastas p-oreuou he¯ p-istis s-ou s-eso¯ken s-e – und er sagte ihm, steh auf, geh, dein Glaube hat dich gerettet). Jesus geht auf den Bittenden ein: Er unterbricht gleichsam sprachlich den bisherigen Lebenswandel des Samaritaners und sendet ihn auf einen neuen Weg. Dass es sich bei diesen Stilmitteln um eine bewusste Gestaltung handelt, belegt u.a. ein Vergleich mit Parallelstellen bei Lukas. In Lk 7,50 und 8,48 stehen poreÐou (poreuou – geh!) und pfflsti@ (pistis – Glaube) getrennt voneinander – eine Alliteration ist anders als in Lk 17,19 nicht intendiert; vgl. auch d-o‰nai d-xan (d-ounai d-oxan – Ehre geben) in Lk 17,18 und die Parallelstelle in Offb 16,9c, die ohne Alliterationen auskommt. Die Alliterationsverse bilden die theologische Mitte der Perikope (V. 16.18 f.), wobei der mit der Umkehr verbundene Lobpreis Gottes als Ausdruck des Glaubens (Lk 17,15.18) das Entscheidende für den Zuspruch der Rettung ist. Dieses Lob an Gott ruft der Samaritaner mit lauter Stimme (V. 15b), während bei dem Ruf der Aussätzigen zu Jesus um Erbarmung in V. 13 eine solche Charakterisierung fehlt. Der Geheilte lobt zuerst Gott (V. 15b; dox€zwn doxazo¯n – preisend), dann dankt er Jesus (16a; e'caristn eucharisto¯n – dankend) und überwindet mit seinem Fußfall die zuvor (V. 12b) noch bestehende Distanz. Doch Jesus wendet sich zunächst von ihm ab, indem er den Fokus auf die Fehlenden legt: Er stellt drei Fragen nach dem Verbleib der anderen neun (V. 17 f.). Fragen dienen u. a. dazu, ein Defizit an Information zu benennen oder auszugleichen: Etwas, was nicht bekannt oder anwesend ist, wird eingefordert mit dem Ziel der Vervollständigung. Jesus holt die neun Fehlenden in seinem Fragen gleichsam heran zu dem einen, der schon bei ihm ist, und vervollständigt so durch sein Nachfragen die Zehnzahl (zur Bedeutung der »zehn« als Vollzahl, s. u.). Erst dann spricht er dem Samaritaner unmittelbar die Rettung zu (V. 19). Jesus geht in seinen Fragen (V. 17 f.) weder auf das Niederfallen des Samaritaners ein noch auf dessen Dank an ihn selbst. Durch das Fehlen der eigentlich erwarteten Elemente springt das stattdessen Erwähnte ins Auge: die Umkehr des Samaritaners und dessen Lobpreis Gottes, nicht Jesu. Entsprechend der Unterscheidung zwischen dem Dank an Jesus und dem Lob Gottes wird das Niederfallen in V. 16 dezidiert nicht als Proskynese und Anbetung bezeichnet (vgl. die Parallele in Mt 8,2a). Göttliche Verehrung gebührt erst dem Erhöhten (Lk 24,52a). Die Perikope ist geprägt von Dynamik und Unterwegs-Sein. Nicht das Niederfallen, der Dank und das Vor-Jesus-Verharren sind das Ziel, sondern dass Jesus den Niedergefallenen in Bewegung setzt. Er fordert ihn auf, aufzustehen und (los)zugehen (poreÐou poreuou, V. 19). Der, der auf dem Weg gewandelt worden und heil ist, soll fortan auf dem Weg des Heils wandeln.
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Wandel auf dem Weg des Heils Lk 17,11-19
Sozial- und realgeschichtlicher Kontext Das Lukasevangelium spricht in Lk 17,11-19 von leprösen Männern und ihrer Reinigung. Im vorderen Orient ist für die Zeit Jesu das Auftreten von »echter« Lepra (medizinisch »Hansen-Krankheit«) unwahrscheinlich (Klein 2006, 212). Es ist von einem unspezifischen Krankheitsbild auszugehen. Für aussätzig wurden Menschen erklärt, die an einer auffälligen, entstellenden oder als abstoßend definierten (Haut-)Erkrankung litten. In Frage kommen u. a. Psoriasis (Schuppenflechte; Wohlers 1999a, 299; Klein 2006, 212), Elephantiasis (Nutton 1999, 72) oder Vitiligo (partielle Depigmentierung; vgl. Preuss 1992, 377). Ein griechischer oder römischer Arzt hätte daher über neutestamentliche Wundergeschichten, die von der Heilung Aussätziger erzählen, vermutlich nur den Kopf geschüttelt: In griechisch-römischer Medizin galt Aussatz als Zeichen, daß sich der Körper auf natürliche Weise von schädlichen Stoffen befreit, als harmlose, nicht tödliche Erkrankung oder als einfacher Schönheitsfehler (Wohlers 1999a, 295 f.).
Die unter Aussatz subsumierte Symptomatik war mit räumlicher und kultischer Ausgrenzung verbunden. »Aussatz« bezeichnet mehr den gesellschaftlichen Umgang mit Kranken als eine konkrete Krankheit. »Existenzbedrohend ist nicht der Gesundheitszustand des Aussätzigen, sondern sein Ausschluss vom Opferkult« (Wohlers 1999, 299 f.). Hier setzt Jesus an. Er fordert die Leprösen auf, sich den Priestern zu zeigen. Das Reinwerden, d. h. die Heilung, erfolgt unterwegs. Die Beseitigung der äußeren Symptome hätte die Ausgrenzung noch nicht behoben. Religiös, kultisch und sozial ist die Reinheitserklärung im Tempel durch die Priesterschaft die notwendige Bedingung der Wiederaufnahme in die Gesellschaft. Neben dem Aussatz bei Menschen (Lev 13,1-14,32) wird in Lev 14,33-57 über Diagnostik und Maßnahmen bei »Aussatz an Häusern« gesprochen. Dabei dürfte es sich um Pilzbefall handeln (Nutton 1999, 72). Die rabbinische Tradition nennt verschiedene Ursachen für Aussatz bei Menschen: Er wird u. a. auf den Verkehr der Eltern in der Zeit der Menstruation zurückgeführt (Billerbeck 1928, 745.748). Aussatz galt als Strafe für das Goldene Kalb (Ginzberg 1998, 213). Naamans Aussatz (2Kön 5) wird als Bestrafung für seinen Hochmut wegen seiner Großtaten gedeutet (Billerbeck 1928, 745.748). Im Unterschied zu ihm gilt der Prophet Elischa, der ihn heilt, als demütig. Elischa verweigert die Annahme einer Belohnung (2Kön 5,16), damit die Heilung vom Aussatz nicht auf ihn, sondern allein auf Gott zurückgeführt wird (Ginzberg 1998, 214). Im Unterschied zu den detaillierten Beschreibungen der Hautveränderung in Lev 13 spielt die genaue Symptomatik in den neutestamentlichen Berichten keine Rolle. Die Kranken bitten in Lk 17,13 nicht um das Verschwinden körperlicher Leiden, sondern um Erbarmen und in Lk 5,12c par. um Reinigung. Aussatz erscheint im Unterschied zu den anderen Krankheiten des Neuen Testaments als Synonym für Unreinheit. »In Erzählungen von der Heilung Aussätziger steht damit nicht die Thematik krank – gesund, sondern rein – unrein im Vordergrund« (Wohlers 1999a, 303). Jüdischen Zeuginnen und Zeugen der Aufforderung Jesu, sich den Priestern zu zeigen, sowie einem mit den jüdischen Traditionen vertrauten Lesepublikum dürfte der Ablauf der Rein-Sprechung und deren zeitlicher Rahmen bekannt gewesen sein. Die einzelnen Schritte und Zeitrhythmen sind genau bestimmt (Lev 14,8 f.) und ließen sich we641
Die Wundererzählungen im Lukasevangelium
der verkürzen noch beschleunigen: Nach diversen Waschungen (Lev 14,8 f.), Haarentfernungen (Lev 14,9), Überprüfungen und angemessenen Opfern (Lev 14,10.23) konnte ein Geheilter frühestens nach acht Tagen für rein erklärt werden (Lev 14,20.31). Wer Jesu Aufforderung nachkam und sich dem Priester zeigen sowie die Reinigungsrituale samt Opfern komplett vollziehen wollte, hatte sich zunächst auf den Weg nach Jerusalem zu machen oder begab sich zu den zuständigen Priestern auf samaritanischem Gebiet. Für den Weg von der Grenze Galiläas zum Tempel nach Jerusalem waren etwa drei Tage zu veranschlagen. Unter der Voraussetzung, dass die nach acht Tagen für rein Erklärten den umherziehenden Jesus sofort fanden, hätten sie nach etwa vierzehn Tagen ihren Dank zum Ausdruck bringen können. Der Frage, welchen Priestern sich der Samaritaner zeigen soll, schenkt die Erzählung keine Aufmerksamkeit. Für den geheilten Samaritaner wäre der Weg von Galiläa aus zwar um einiges kürzer gewesen, doch zeigt der Text kein Interesse an einer kultischen Differenzierung zwischen Jerusalem-treuen Juden und Samaritanern (vgl. Joh 4,4-26). Im Aorist, d. h. mit dem Ausdruck der Punktualität, wird betont, der Samaritaner sei umgekehrt in dem Moment, in dem er seine Heilung bemerkt habe (Lk 17,15a). Der Samaritaner, der nach Gewahrwerden seiner Heilung sofort umkehrt, hat sich nicht im von der Leserin und vom Leser erwarteten Sinne an Jesu Anweisung zur Präsentation vor »den Priestern« gehalten. Stattdessen wird für ihn Jesus zum Priester, dem er sich zeigt und der ihm Rettung zuspricht (Lk 17,19c). Eine Erklärung, der Samaritaner habe sich zunächst gemäß dem Auftrag Jesu dem Priester gezeigt (so Paulus 1842, 630 f.), hat den Text gegen sich. Jesu Frage nach dem Verbleib der Neun impliziert den Vorwurf, seine Aufforderung zum Zeigen nicht auf ihn selbst bezogen zu haben (vgl. Hamm 1994, 274). Samarien und Judäa standen seit der Absetzung des Herodessohnes Archelaos im Jahre 6 n. Chr. unter unmittelbarer römischer Verwaltung. Galiläa dagegen zählte zum Herrschaftsbereich des Herodessohnes Herodes Antipas (4 v.-39 n. Chr.). Die Samaritaner praktizierten ihren eigenen Kult (vgl. Joh 4,4-26). Das Verhältnis von Samaritanern und der tempeltreuen jüdischen Bevölkerung in Judäa und Galiläa war zur Zeit Jesu von gegenseitiger Abgrenzung bestimmt. Vor diesem Hintergrund ist das Auftreten einer gemischten Gruppe Aussätziger aus Juden und Samaritanern bemerkenswert. Der Autor des Lukasevangeliums ist bestrebt, keinerlei geographische Festlegung zu treffen (Lk 17,11 f.). Der durch Krankheit und Herkunft doppelt ausgegrenzte Samaritaner erfährt durch Jesus eine doppelte Reintegration: Er wird nicht nur geheilt und gereinigt, sondern auch aufgenommen in die Gemeinschaft der Geretteten. Die Charakterisierung des Samaritaners als ⁄llogenffi@ (allogene¯s – andersstämmig; V. 18c) besagt u. a., dass er sich nicht in den inneren Bereich des Jerusalemer Tempels begeben durfte. Durch Warnschilder war jedem Andersstämmigen mit genau diesem Terminus (⁄llogenffi@ allogene¯s) bei Todesstrafe der Zutritt verwehrt (Hamm 1994, 284 -288). Im Unterschied zu dem Samaritaner in Lk 17,18c bezeichnet Lukas in Apg 10,28 den Hauptmann Kornelius als ⁄llfulo@ (allophylos – fremdstämmig; Böttrich 1999, 63). Die Akzeptanz des Samaritaners durch die Jerusalemer Priester war deshalb höchst fraglich. Wenn der Samaritaner sich Priestern zeigen wollte, dann hätten es samaritanische Priester sein müssen. Luther »löst« in seinen Tischreden das Problem, dass sich ein Samaritaner nur schwerlich den Jerusalemer Priestern gezeigt haben dürfte, indem er 642
Wandel auf dem Weg des Heils Lk 17,11-19
erklärt, damals wie heute lasse sich durch eine entsprechende Zahlung alles bewegen (Luther 1998, 276). Der Samaritaner der Wundererzählung hat einen neuen Ort der Gottesverehrung gefunden. Dieser Ort ist nicht auf Jerusalem oder einen samaritanischen Kultort festlegbar (vgl. Joh 4,20-24): »[The] obvious place to ›give praise to God‹ is at his, Jesus’, feet« (Hamm 1994, 274; vgl. Bruners 1977, 394 f.). Mit Jesu Kommen ist der Ort des Heils mitten unter den Menschen gegenwärtig (Lk 17,21), wie es unmittelbar im Anschluss an die Aussätzigenperikope heißt (Hamm 1994, 286 f.). Bovon spricht vom »Heil, das durch Wunder und Gleichnisworte symbolisiert und durch die aktive Präsenz Christi nahegebracht wird« (Bovon 2001, 148). Die Frage: »Wo aber sind die Neun?« (Lk 17,17c) beinhaltet vor dem Hintergrund der Rettungszusage an den einzigen Zurückgekehrten (Lk 17,19c) eine Aussage über den Heilsstand der Fehlenden: Wenn das Heil bei Jesus ist, dann stehen die Neun ferne vom Bereich des Heils. Der Samaritaner dagegen ist zurückgekehrt. Er wandelt in dem mit Jesus angebrochenen Reich Gottes (vgl. Lk 17,21); sein Glaube hat ihn gerettet (Lk 17,19c). Das Heilungswunder selbst wird zum Beweis der Wandlung der Welt durch Jesu Kommen. Lukas ist der Evangelist, der sich am intensivsten mit den Samaritanern beschäftigt (Lk 9,52-56; 10,30-37; 17,11-19). Auch wenn er – anders als Matthäus – die Samaritaner nicht ausdrücklich als »verlorene Schafe des Hauses Israel« bezeichnet (Mt 10,5 f.; vgl. 15,24), ist für ihn ihre Reintegration ein notwendiges Moment bei der Herstellung des Reiches Gottes (Hamm 1994, 281). Das Bemühen um Vollzähligkeit spiegelt sich u. a. in der Nennung von vier Numeralen innerhalb von nur sechs Versen (Lk 17,12-17), wobei der Akzent auf der Zehn liegt. Die u. a. bei Philo ausführlich als vollkommene Zahl behandelte »Zehn« (Philo decal. 2031) wird zweimal benannt (V. 12b.17b). Die beiden anderen Numerale (»einer«, V. 15 und »neun«, V. 17c) finden nur als Teilmengen der »zehn« Erwähnung. Erst als Zehnergemeinschaft (aus Juden und Samaritanern) ist die Gruppe komplett. In der Zahlenkonstellation begegnet die Umkehrung des Gleichnisses vom verlorenen Schaf (Lk 15,4-7; vgl. das Gleichnis von der verlorenen Drachme in Lk 15,8 f.): Nicht eines von hundert ist verloren, sondern einem, der sich im Heil befindet, stehen neun Verlorene gegenüber (vgl. Lk 15,10). Die Umkehr des Samaritaners (Lk 17,15) unterstreicht seine Zugehörigkeit zum Gottesvolk: »Mit Hilfe der Samaritanergeschichten kann Lukas die Totalität des Anspruches Jesu auf ganz Israel in besonders eindrücklicher Weise darstellen« (Böttrich 1999, 64).
Traditions- und religionsgeschichtlicher Hintergrund Bei der Erzählung von den zehn Aussätzigen in Lk 17,11-19 handelt es sich – nach Lk 5,12-15 – um die zweite Aussätzigenheilung im Lukasevangelium. Sie reiht sich ein in die Kette der jeweils mit dem Lobpreis Gottes beschlossenen messianischen Zeichen (vgl. Wiefel 1988, 146; Ostmeyer 2006, 281-286). »[People] who glorify God for what they have seen are responding to nothing less than the inbraking of the reign of God« (Hamm 1994, 282; vgl. Bruners 1977, 393). 643
Die Wundererzählungen im Lukasevangelium
In Jesu Antwort auf die Frage der Täuferjünger in Lk 7,22, ob er der sei, der da kommen soll, zählt Jesus auf, was durch ihn geschieht. Es handelt sich um die »klassischen« bei Jesaja genannten messianischen Taten (vgl. Ostmeyer 2006, 283): die Heilung von Blinden, Tauben und Lahmen (Jes 29,18; 35,5 f.); die Auferweckung der Toten (Jes 26,19) sowie Freude und frohe Botschaft für die Armen (Jes 29,19; 61,1). Darüber hinaus verheißt Jesaja für die messianische Zeit die Sammlung der Völker zum Zion (Jes 2,2 f.) und zum Licht des Herrn (Jes 60,3). Die Heilung von Aussätzigen wird bei Jesaja nicht expressis verbis unter die messianischen Taten gerechnet. Jedoch ist bei Jesaja im Anschluss an die Erwähnung von Blinden, Tauben und Lahmen davon die Rede, dass Unreine nicht auf dem »heiligen Weg« (Jes 35,8) wandeln werden, sondern nur die Erlösten (Jes 35,9 f.). Wenn also die Aussätzigen wie in Lk 17,14c.17b rein werden, dann erhalten sie Zutritt zum »heiligen Weg« und damit zum messianischen Reich. Der »Katalog« messianischer Taten wird im Laufe des Lukasevangeliums abgearbeitet. Die Betroffenen »quittieren« die jeweilige Tat durch ein Rühmen Gottes (dox€zw doxazo¯ – preisen; Lk 2,20; 5,25 f.; 7,16; 13,13; 17,15; 18,43): Blinde sehen (Lk 18,35-43), Lahme gehen (Lk 5,17-26; vgl. Lk 13,10-17), Aussätzige werden rein (Lk 17,11-19), Taube hören (kwf@ ko¯phos – taub, stumm; Lk 11,14-20), Tote stehen auf (Lk 7,11-17) und Armen wird das Evangelium gepredigt (Lk 2,8-20). Nur im Kontext dieser Taten erscheint bei Lukas eine aktive Form von dox€zw (doxazo¯ – preisen; vgl. Ostmeyer 2006, 282-285). Dox€zw (doxazo¯ – preisen) gilt dabei immer Gott und nie unmittelbar Jesus als dem Initiator der Taten. Bruners (Bruners 1977, 394) bemerkt bezogen auf Lk 17,15 f.18: »Bezeichnend ist […], daß der Lobpreis Gottes vor dem Dank an Jesus steht, wie überhaupt der Dank in der Erzählung deutlich zurücktritt hinter dem Lob«. Mit der Wundererzählung in Lk 17,11-19 werden zugleich zwei messianische Wegmarken gesetzt: zum einen das Reinwerden der Aussätzigen (vgl. Jes 35,8-10; Lk 7,22), zum anderen die Sammlung der verlorenen Stämme Israels (4Esr 13,39-50). Die Zugehörigkeit der »verlorenen« Stämme des Nordreiches zum Haus Israel ist in Lk 17,12.17 f. repräsentiert durch die »Vollzahl« der zehn Geheilten (vgl. Böttrich 1999, 58). Die unterschiedlichen Charakteristika der beiden Aussätzigen-Perikopen bei Lukas und ihre jeweilige konzeptionelle Einbindung machen deutlich, dass es sich in Lk 17,1119 um eine eigenständige Perikope und nicht um eine Dublette zu Lk 5,12-15 handelt. Die Heilung von Aussätzigen hat Vorbilder im Alten Testament. In Num 12,10-15 wird Mirjam, die Schwester Moses, von Gott mit Aussatz gestraft. Mose tritt für sie ein und bittet um ihre Heilung: Sie möge nicht sein wie eine Tote (Num 12,12; vgl. Flav. Jos. Ant. 3,264). Nicht zuletzt auf der Basis dieses Verses gelten Aussätzige als lebendige Tote, und ihre Heilung wird, anders als in der griechisch-römischen Medizin, in der rabbinischen Tradition auf der Skala der Schwierigkeiten neben die Auferweckung eines Toten gestellt (bSan 47a). Eine andere alttestamentliche Aussätzigenheilung ist die des syrischen Hauptmanns Naaman. Dass er trotz seines Leidens in einem hohen Amt tätig war (2Kön 5,1; vgl. Flav. Jos. Ant. 3,266), belegt, wie unterschiedlich dasselbe Krankheitsbild je nach gesellschaftlichem und kultischem Kontext gewertet wurde. Im Neuen Testament wird allein im Lukasevangelium der syrische Hauptmann erwähnt (Lk 4,27). Der Bericht über die Heilung Naamans in Lk 4,27 sowie strukturelle Übereinstimmungen und z. T. wört644
Wandel auf dem Weg des Heils Lk 17,11-19
liche Anklänge belegen, dass die alttestamentliche Aussätzigenheilung (2Kön 5,1-19) bei der Abfassung der Heilungsperikope in Lk 17,11-19 im Hintergrund stand: In 2Kön 5,3 wird Elischa als Prophet vorgestellt, der in Samaria wohnt (vgl. Lk 17,11). Es kommt zunächst nicht zu einer persönlichen Begegnung zwischen dem Kranken und seinem Heiler (2Kön 5,8-14; vgl. Lk 17,13 f.). Der Prophet weist Naaman an, wegzugehen (2Kön 5,10; vgl. Lk 17,14) und sich zu waschen, um rein, d. h. geheilt zu werden (vgl. Lk 17,14.17): poreuqe½@ lo‰sai […] ka½ kaqarisqffis–h (poreutheis lousai […] kai katharisthe¯se¯ – geh, wasch dich […] und du wirst gereinigt werden). Nach seiner Reinigung kehrt Naaman zurück, stellt sich vor Elischa und möchte sich ihm als dankbar erweisen (2Kön 5,15; vgl. Lk 17,15 f.). Die rabbinische Literatur verbindet die beiden Berichte vom Aussatz Mirjams (Num 12,10-15) und der Heilung Naamans (2Kön 5). Aufgrund der Bitte des Propheten Elischa um einen doppelten Teil am Geist des Elija (2Kön 2,9b) wird gefolgert, Elischa habe doppelt so viele Menschen vom Tode erweckt wie Elija. Da nur in 2Kön 4,34 f. ausdrücklich von einer Totenauferweckung berichtet wird und zugleich Aussätzige laut Num 12,12 den Toten gleichgeachtet werden, gilt die Heilung des Naaman als Elischas zweite Auferweckung (bSan 47a; vgl. Flav. Jos. Ant. 3,264). Programmatisch wird in Jesu Antrittspredigt (Lk 4,16-30) darauf verwiesen, dass von den vielen Aussätzigen in Israel allein der Syrer Naaman gereinigt wurde (Lk 4,27). Parallel dazu betont Lk 17,18, dass von den zehn Gereinigten allein ein Samaritaner zurückkehrt. Die Perikope der Antrittspredigt Jesu schließt damit (Lk 4,30), dass Jesus »wegging mitten durch sie hindurch« (a't@ dþ dielqn diÞ mffsou a'tn ¥poreÐeto autos de dieltho¯n dia mesou auto¯n eporeueto). Der dritte Evangelist nimmt dort bereits in chiastischer Anordnung den Wortbestand des eröffnenden Satzes der Aussätzigenperikope in Lk 17,11 vorweg: »In seinem Weggehen […] ging er hindurch mitten durch Samarien und Galiläa« ([…] ¥n t† poreÐesqai […] ka½ a't@ diffirceto diÞ mffson Samareffla@ ka½ Galilaffla@ en to¯ poreuesthai […] kai autos die¯rcheto dia meson Samareias kai Galilaias). Lukas geht es weniger um Überbietung der alttestamentlichen Heilung als um die Parallelen: wie sich damals die Propheten dezidiert Menschen außerhalb des engeren nationalen Kontextes zugewandt haben, so auch Jesus mit seiner Botschaft und seinem Heilshandeln (Lk 4,21-27). Die Rückkehr des geheilten Samaritaners ist sinnenfälliger Beleg dieser Kontinuität: Die zehn Aussätzigen symbolisieren die Vollzahl der Rettungsbedürftigen. Der Samaritaner, der zurückkehrt, um Gott die Ehre zu geben, beglaubigt das Handeln Jesu als von Gott gewollt. Demgegenüber weist die erste Aussätzigenheilung in Lk 5,12-15 (vgl. Mt 8,2-4; Mk 1,40-45) keine deutlichen Parallelen zur Heilung des syrischen Hauptmanns auf.
Verstehensangebote und Deutungshorizonte Eine Wundererzählung, in der Jesus eine messianische Tat vollbringt, die wiederum einen Geheilten zur Umkehr zu ihm bewegt, lässt sich nicht unabhängig von christologischen Kategorien verstehen. So bewerten aktuelle Kommentare die lukanische Wundergeschichte als Ausdruck und Beweis der Messianität Jesu: Jesu Annahme und Heilung eines Samaritaners stehe 645
Die Wundererzählungen im Lukasevangelium
für »die Totalität des Anspruches Jesu auf ganz Israel« (Böttrich 1999, 64) und die Hoffnung auf Heimholung auch der Stämme des Nordreiches (Böttrich 1999, 58). D. Hamm betont, dass der rechte Ort der Gottesverehrung nicht in Jerusalem oder auf dem Garizim, sondern zu Jesu Füßen sei (Hamm 1994, 284). Ich selbst (Ostmeyer 2006, 284-286) verstehe die Aussätzigenheilung als Teil des theologischen Programms des Lukas. Der Evangelist ist m. E. bestrebt, für jede der in Lk 7,22 genannten messianischen Taten ein Beispiel zu bieten. Jedes Vollbringen einer messianischen Tat durch Jesus wird bekräftigt durch das mit einer Form von dox€zw (doxazo¯ – preisen) zum Ausdruck gebrachte Rühmen Gottes. Wird die Erzählung als messianisch verstanden, legt es sich nahe, die Aufforderung an den Zurückgekehrten, aufzustehen und zu gehen, als Aussendung zu begreifen, das Reich Gottes zu verkündigen und Mission zu betreiben (Wiefel 1988, 306). Der Anwesenheit des Reiches Gottes in Jesu Gegenwart (Lk 11,20; 17,21) entspricht das Zurücktreten des eigentlichen Wunders: Im Reich des Messias ist Heil-Sein und Freiheit von Gebrechen (darunter auch Aussatz) das Normale. Krankheit dagegen ist dort das Unpassende und in einem negativen Sinne das »Verwunderliche«. Mit Jesus ist das Wunderbare Normalität; er ermöglicht den Wandel auf dem Weg des Heils. Bei einem messianisch-christologischen Verständnis der Erzählung stellt sich die Frage nach der Deutung und Bedeutung der Einzelelemente der Wundererzählung. Der Grat zwischen dem notwendigen Ausleuchten der Einzelaspekte und einer unangemessenen allegorisierenden Deutung ist schmal. So führt bereits Martin Luther ein warnendes Beispiel für ein allegorisches Missverständnis an: Darin steht der Aussatz für die Sünde und die Aussätzigen repräsentieren alle Menschen. Des Weiteren gilt das Sich-Zeigen als Aufforderung zur Ohrenbeichte; den Priestern der Wundererzählung entsprechen die Priester der Gegenwart; das aus der Parallele in Lk 5,14 übernommene oder aus Lev 14,2-32 erschlossene Opfer soll als Beichtpfennig aufgefasst werden (Luther 1968, 274 f.). Luther selbst deutet die Erzählung als Beispiel der Rechtfertigung allein aus Glauben und erklärt, die Aussätzigen seien bereits vor ihrem Rufen erhört worden (Luther 1968, 281). Im Unterschied zur voraussetzungslosen Gewährung der Heilung bei Luther versteht Grundmann (Grundmann 1984, 337) den Gang zu den Priestern als »Glaubensprobe« (vgl. Wiefel 1987, 306). H. E. G. Paulus erklärt mit Recht in seiner rationalistischen Auslegung, unter den zur Zeit Jesu als aussätzig Ausgegrenzten seien viele gewesen, die an heilbaren, harmlosen Hautkrankheiten gelitten hätten (Paulus 1842, 628). Spekulativ führt er fort, die Gruppe der zehn Aussätzigen habe sich mit ihrem Schicksal abgefunden und sei deshalb gar nicht erst zu den Priestern gegangen. Allein auf Jesu Geheiß hätten sie es getan. Von den Priestern sei ihnen erklärt worden, ihre Hautveränderung sei kein Aussatz, dadurch seien sie für rein erklärt worden (Paulus 1842, 628-631). Zusätzlich hätten die sachkundigen Priester ihnen noch »einige traditionelle Mittel zum Gebrauch« (Paulus 1842, 631) mit auf den Weg gegeben. Jesu Leistung sei die Ermunterung gewesen, sich den sachverständigen Priestern zu zeigen. »Mehr sagt die Geschichte nicht!« (Paulus 1842, 628). Der Umstand, dass es ein Samaritaner war, der dankte, sei »wohl die Ursache zur Aufbewahrung der ganzen Begebenheit« (Paulus 1842, 629). Auch ein bedeutender Teil der jüngeren Kommentarliteratur setzt bei der Schwere der Krankheit an: Ein Verständnis der Krankheit als einer nicht existenzgefährdenden Hautveränderung (Wohlers 1999, 299) hat die Ergebnisse der medizinhistorischen For646
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schung auf seiner Seite, denen zufolge echte Lepra zur Zeit Jesu im Vorderen Orient noch keine Rolle gespielt hat (Klein 2006, 212 f.; vgl. den Abschnitt über den sozialgeschichtlichen Hintergrund). Neben den medizinischen Komponenten spielen in den Kommentaren der Gegenwart die Rahmenbedingungen der Wundergeschichte eine wichtige Rolle. Dabei wird v. a. nach Erklärungen für die Darstellung des Wanderwegs Jesu bei Lukas gesucht, die mit den topografisch-historischen Gegebenheiten nicht in Einklang zu bringen ist. Rengstorff (Rengstorff 1969, 198) vermutet, in Lk 17,11 sei das Gebiet der Jesreelebene gemeint, das sich nicht eindeutig Samaria oder Galiläa zuordnen lasse (vgl. das Referat verschiedener Erklärungsansätze bei Wiefel 1987, 305). Zwar ist mit der Frage der Lokalisierung ein wichtiger Aspekt der Wundererzählung wahrgenommen; doch verfehlt der historisierende Versuch einer konkreten Verortung gerade die Absicht der Perikope, sich nicht geographisch festlegen zu wollen und Jesus als den zu beschreiben, der unterwegs ist und in Bewegung setzt. Die Korrespondenz von äußerer und innerer Bewegung, von geographischem und mentalem Wandel wird in der Auslegung wahrgenommen; jedoch besteht die Gefahr, zuviel der eigenen Auffassung in den Text hineinzulesen. So erklärt Luther zum Seelenzustand des Samaritaners: Er ist ohn allen Zweifel gar ungern allein wiedergekommen. Denn da er so aus ganzem Herzen Christus dankt und hold ist, läßt sichs nicht anders denken, als daß er bei den andern angehalten, sie vermahnt, getrieben und gebeten und sich aufs äußerste bemüht hat, daß sie doch mit ihm gingen und solche große Wohltat erkännten. Es wird ihm auch weh getan haben, daß er sie nicht hat bewegen können. Er wird mit Weinen und Unmut von ihnen gegangen sein (Luther 1968, 292).
Dass der Bewegung der Perikope nicht gerecht wird, wer sie exklusiv an einen Ort binden und in der Zeit Jesu fixieren will, findet sich bereits bei Annette von Droste-Hülshoff (Droste-Hülshoff 1797-1848). Sie referiert eine bis heute aktuelle tiefenpsychologische Deutung. Aus ihrem Gedicht über eine Predigt zum 15. Sonntag nach Pfingsten über die Heilung der zehn Aussätzigen lässt sich das Verständnis des Predigers rekonstruieren: Die Seele sei zu stolz, um sich vor Menschen (den Priestern) zu demütigen und Hilfe von ihnen anzunehmen. Sie strebe immer gleich nach der obersten Adresse, nach Gott. Dieser Hochmut sei der eigentliche Aussatz: »Und wenn du dich vor Menschenhand gebeugt: Dann schau, ob sich am Aussatz nicht ein heilend Fleckchen zeigt!«.
Aspekte der Parallelüberlieferung und Wirkungsgeschichte Die synoptischen Evangelien bieten vier Berichte von Aussätzigenheilungen (Mk 1,4045; Mt 8,2-4; Lk 5,12-15 und 17,11-19). Die Unterschiede in der Einordnung und im Wortlaut bringen die jeweiligen theologischen Konzepte der Evangelien zum Ausdruck: Matthäus stellt im Unterschied zu den anderen Synoptikern die Aussätzigen-Heilung an den Anfang der ausführlich erzählten Heilungstaten und macht durch die Verwendung des Wortes proskunffw (proskyneo¯ – göttliche Verehrung erweisen; Mt 8,2) deutlich, dass Jesus von Beginn seiner Tätigkeit an göttliche Verehrung gebührt. Bei Markus ist Jesu Wesen vor seiner Kreuzigung und Auferstehung verborgen. Deshalb wird die Pros647
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kynese als bewusster Gestus vermieden. Stattdessen kniet der um Heilung bittende Aussätzige vor Jesus nieder (Mk 1,40: gonupetffw gonypeteo¯). Lukas spricht in den beiden von ihm berichteten Aussätzigenheilungen vom Fallen auf das Angesicht: pesn ¥p½ prswpon (peso¯n epi proso¯pon – Lk 5,12 und Lk 17,16a). Entscheidend bei Lukas ist nicht das Niederfallen vor Jesus, sondern das in Lk 17,15b.18 (nicht aber in Lk 5,12) berichtete Rühmen Gottes (dox€zw doxazo¯). Die Proskynese spart sich Lukas auf bis zu dem Moment der Erhöhung Jesu zu Gott (Lk 24,52a). Der Kontrast zwischen einer Mehrheit undankbarer Geheilter und einem einzelnen, der Gott preist und Jesus dankt (Schneider 1977, 351), lud ein zur Identifikation von bestimmten Personengruppen und zur Pflege von Feindbildern (Juden, Katholiken etc.). Luther z. B. rekonstruiert das Handeln der Priesterschaft: Die Priester »müssen diesen Aussätzigen viel böse Worte gegen Christus eingebläut und die Werke und Opfer des Gesetzes hoch erhoben haben, um damit den großen feinen Glauben in ihnen zu vertilgen und sich selbst an Christi Statt in ihr Herz zu setzen.« Calvin spottet in seiner Evangelienharmonie (Calvin 1929 II, 4): »Heiter ist es übrigens, welche Schmach die Papisten ihrer Beichte antun, wenn sie unsere Geschichte darauf deuten: so käme ja aus der ganzen Schar, die sich zu ihren Priesten [!] aufmacht, nur der zehnte Teil zum Herrn Christus!« Der zu Christus umgekehrte Samaritaner wurde als Symbol der Christenheit den als uneinsichtig gedeuteten Juden gegenübergestellt. So kommentiert Calvin das NichtZurückkehren als »Undankbarkeit des jüdischen Volkes« (Calvin 1929 III, 3); vgl. A. Schlatter (1928, 340), der davon spricht, dass »wieder Israels selbstsüchtige Art ans Licht« trat. Da die Neunzahl in der Bibel im Vergleich zu anderen Zahlen unterrepräsentiert ist, bieten sich in Bibel-bezogenen Zahlenspielereien die undankbaren Geheilten zur Illustration der »neun« an. 1974 platzierte sich Bruce Low (1913-1990) mit seinem Lied: »Das Kartenspiel« im vorderen Bereich der deutschen Hitparade. Darin heißt es: »NEUN Aussätzige in Israel, bis auf den Tod erkrankt, haben für ihre Heilung dem Herrn nicht mal gedankt!« (Low 1974). In der Rezeption hat der Bericht von der Heilung des einzelnen Aussätzigen (Lk 5,12-15) nicht zuletzt aufgrund der synoptischen Parallelen (Mk 1,40-45 par.) höheres Gewicht als die Heilung der Zehn in Lk 17,11-19. Eine Ausnahme bildet das erwähnte Gedicht A. von Droste-Hülshoffs, in dem Jesu Zuspruch des Heils und seine Aufforderung zum Wandel ernst genommen werden.
Karl-Heinrich Ostmeyer Literatur zum Weiterlesen C. Böttrich, Die Sammlung Israels und die Samaritaner bei Lukas. Beobachtungen zu Lk 17,1119, Forschungsstelle Judentum. Mitteilungen und Beiträge 15/16, Leipzig 1999, 51-65. W. Bruners, Die Reinigung der Zehn Aussätzigen und die Heilung des Samariters. Lk 17,11-19. Ein Beitrag zur lukanischen Interpretation der Reinigung von Aussätzigen, FzB 23, Stuttgart 1977.
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R. Glöckner, Sie sollen die Taten Gottes nicht vergessen! – Jesus heilt die zehn Aussätzigen (Lk 11,11-19), in: ders., Neutestamentlichen Wundergeschichten und das Lob der Wundertaten Gottes in den Psalmen, Mainz 1983, 125-160. D. Hamm, What the Samaritan Leper Sees: The Narrative Christology of Luke 17,11-19, CBQ 56 (1994), 273-288. R. Pesch, Die Erzählung von der Heilung von zehn Aussätzigen Lk 17,11-19, in: ders., Jesu ureigene Taten? Ein Beitrag zur Wunderfrage, QD 52, Freiburg i. Br. et al. 1970, 114-134. M. Wohlers, »Aussätzige reinigt« (Mt 10,8). Aussatz in antiker Medizin, Judentum und frühem Christentum, in: S. Maser/E. Schlarb (Hg.), Text und Geschichte, FS D. Lührmann, Marburg 1999, 294-304.
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Ein Schwertstreich für Jesus (Die Heilung des Ohrs des hohepriesterlichen Dieners) Lk 22,50 f. (50) Und einer von ihnen schlug den Diener des Hohepriesters und hieb sein rechtes Ohr ab. (51) Jesus aber antwortete und sprach: »Halt! Bis hier!« Und indem er das Ohr anrührte, heilte er ihn.
Sprachlich-narratologische Analyse Bei der Erzählung von der Heilung des abgehauenen Ohres in der Getsemani-Perikope handelt es sich um die letzte Wunderheilung bei Lukas und gleichzeitig um die letzte lukanische Wundererzählung überhaupt, wenn man von dem wunderbaren Erscheinen und Verschwinden des Auferstandenen (24,31.36) absieht. Die kleine Perikope ist mit nur 31 Wörtern im griechischen Text des Nestle-Aland27 die kürzeste Wundererzählung nicht nur bei Lukas, sondern aller vier Evangelien. Sie ist ebenfalls die einzige lukanische Wundererzählung in Jerusalem im Kontext der Passion Jesu und ebenfalls die einzige – und das ist durchaus bedeutsam –, die sich an eine Figur aus dem Gegnerkreis Jesu richtet. Grammatikalisch machen die kurzen Sätze wenig Mühe. Lexikalisch ist eine dreimalige semantische Doppelung auffällig: zunächst die zweifache Verwendung von Verben des Wortfeldes »abschlagen« (¥p€taxen, ⁄fe…len, V. 50 [epataxen – schlagen; apheilen – wegnehmen, abschneiden]), beide finit und anaphorisch jeweils mit kaffl (kai – und) eingeleitet (zur Verwendung der Verben vgl. Bovon 2009, 328 f.); sodann die durch ihre Kürze sehr prägnante und schwer zu übersetzende zweigliedrige Antwort Jesu (V. 51) – die einzige Unterbrechung des ansonsten durchgängigen Erzählerberichts (der formale Imperativ ¥”te eate ist vielleicht doch am besten impersonal mit »Halt!« wiederzugeben; anders Bovon 2009, 329); zuletzt in semantisch oppositioneller Entsprechung zum anfänglichen zweifachen »Schlagen« nun die Beschreibung des Heilungsaktes, ebenfalls durch zwei Verben, wobei der leicht perkussive Effekt der kaffl-Anapher hier durch Partizipialkonstruktion beruhigt ist ( v€meno@ … §€sato a'tn hapsamenos … iasato auton – berührend … heilte er ihn). Die Konstellation der Figuren gibt einen ersten Hinweis auf deren Charakterisierung: Während der Jesusbegleiter sich aktiv gegenüber dem Diener, aber passiv gegenüber Jesus verhält, sowie der Diener sich nur passiv gegenüber Jesus verhält, ergreift Jesus beide Male die Initiative und wird zu einer aktiven Figur sowohl gegenüber seinem Begleiter als auch seinem Gegner. Ansonsten ist der Aggressor ein Anonymus aus einer Gruppe von Jesus-Sympathisanten – es ist naheliegend, obschon nicht notwendig, dass dies die Zwölf von V. 47 sind. Diese Gruppe steht in unmittelbarer Nähe um Jesus, erkennt die Gefahr der anrückenden Häscher und beobachtet auch, dass Jesus den Kuss des Judas ausdrücklich als Verrat deutet (V. 48). In V. 49 wendet sie sich in einer kleinen Rede an Jesus – spricht ihn dabei als »Herrn« an –, um sich für ihn einzusetzen (Bovon spricht ausdrücklich von »Verteidigern« Jesu, vgl. Bovon 2009, 328). Ihre Frage, ob Jesus kämpferischen Widerstand befür650
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worten würde, ist aus dieser eskalierenden Situation verständlich; sie bezieht sich ausdrücklich auf ihre besorgte Beobachtung dessen, »was geschehen würde« (V. 49). Doch der Schwertträger – einer der Fragenden – wartet Jesu Antwort nicht ab und schlägt nach dem Diener des Hohepriesters, bevor Jesus auf die Frage seiner Begleiter antworten kann. Lukas verzichtet auf die markinische Notiz des Schwert-Ziehens an dieser Stelle (Mk 14,47a); sachlich ist dies selbstverständlich und wirkt erzählerisch eher retardierend. Das Eingreifen des Schwertträgers ist ein mutiger Akt, aber auch einer des Übereifers: Eben noch haben die Jünger das stärkende Gebet verschlafen und damit Jesu ausdrücklichen Wunsch missachtet (22,40.45 f.), wenig davor haben sie sein Schwertwort missverstanden (die Auslegung zu 22,38 ist nicht ganz gesichert, vgl. hierzu Wolter 2008, 719), jetzt geht der Einzelkämpfer bei all seiner Tapferkeit fehl in der Wahrnehmung, wer hier eigentlich die Situation unter Kontrolle hat (vgl. Green 1997, 771). Erst jetzt kommt Jesus dazu, auf die Situation zu reagieren. Er greift mit einem mündlichen Verweis ein, der ausdrücklich als »Antwort« bezeichnet ist (partizipiell ⁄pokriqeffl@ apokritheis – antwortend). Das Erstaunliche in der Haltung Jesu kommt darin zum Ausdruck, dass er sich kritisierend gegen seinen eigenen Sympathisanten wendet, heilend wendet er sich hingegen seinem Gegner zu. Jesu anschließende Anrede an die Häscher (V. 52 f.) erfolgt nach dem kurzen tumultuarischen Zwischenfall aus Jesu eigener Initiative, um den Fortgang seiner Festnahme selbst in die Wege zu leiten. Die eigentliche Heilung wird auf das Knappste reduziert beschrieben, das Mittel zur Heilung ist die Berührung des abgeschlagenen Körperteiles ( v€meno@ hapsamenos vgl. Mt 9,29; 20,34; Mk 7,33), ein zuwendendes Wort oder ein unterstützendes Gebet fehlen. Am Wechsel der Wörter für »Ohr« (oª@ ous – Ohr, V. 50; “tfflon o¯tion – Öhrchen, V. 51) ist wohl trotz des Diminutivs des zweiten Wortes kein auslegungsrelevanter Bedeutungsunterschied festzumachen (vgl. ebenso Bovon 2009, 330; Fitzmyer 1985, 1451). Entsprechend der Kürze der Perikope verzichtet Lukas auf eine Beschreibung einer Reaktion der unterschiedlichen Betrachtergruppen oder eine soteriologische Deutung am Ende der Perikope (wie etwa in Lk 8,48; 17,19; 18,42 [par. Mk 10,52]; auch Lk 7,50). Das kleine Zwischenspiel in Getsemani endet mit der nüchternen Feststellung der Heilung des Dieners: Die Festnahme Jesu nimmt ihren Gang.
Sozial- und realgeschichtlicher Kontext Dass der Begleiter Jesu ein Schwert bei sich trägt, ist – trotz Lk 9,3 – nicht kritisch zu werten. Jesus selbst hat den Jüngern in Lk 22,36 den Kauf eines Schwertes als Zeichen eschatologischer Bereitschaft angeraten (vgl. Mineshige 2003, 109 f.). Aus der folgenden talmudischen Diskussion lässt sich schließen, dass das Tragen von Waffen in rabbinischer Zeit insgesamt nicht unüblich war, ja sogar als Schmuck der Herrenausstattung betrachtet werden konnte. Über die Legitimität des Waffentragens am Sabbat wird diskutiert: Ein Mann darf [am Sabbat] nicht mit einem Degen ausgehen, nicht mit einem Bogen, nicht mit einem Schilde, nicht mit einer Keule und nicht mit einer Lanze. Ist er mit diesen ausgegangen, so ist er ein Sündopfer schuldig. R. Eliezer sagt, diese seien für ihn Schmuckgegenstände. Die Weisen sagen [hingegen], diese seien eher eine Unzier […]. Abajje fragte R. Dimi […]: Was ist der Grund R. Eliezers, welcher sagt, sie seien für den Mann Schmuckgegenstände? – Es heißt: gürte dein Schwert um die Hüfte, du Held, deinen
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Glanz und deinen Schmuck (bShab 63a, Kursivsetzung original; vgl. Gnilka 2008b, 270, im Anschluss an Dalman 1967, 90).
Das Bei-sich-Tragen des Schwertes ist daher realgeschichtlich ein unauffälliges Motiv. Es muss auch nicht – trotz der motivischen Wiederaufnahme von 22,36.38 – in einem eschatologischen Kontext figurativ gelesen werden, sondern ist in seiner konkreten Bedeutung hinreichend geklärt. Aus der Aggressionsbereitschaft des Jesus-Sympathisanten lässt sich daher auch nicht auf eine konkrete Erwartung der Jesusgruppe auf eine gewaltsame Auseinandersetzung schließen, noch weniger darauf, dass die Jesusgruppe – oder der eine in ihr – an dieser Stelle als politisch-revolutionäre Gemeinschaft gezeichnet würde (ebenfalls kritisch vgl. Ernst 1977, 610). Die berufliche und/oder soziale Stellung des do‰lo@ to‰ ⁄rcierffw@ (doulos tou archiereo¯s – Diener/Knecht des Hohepriesters) näher zu bestimmen, ist meines Wissens nie überzeugend gelungen. Jeremias rechnet bei den do‰loi (douloi – Diener, Knechte) mit einer Verstärkung der levitischen Tempelpolizei des amtierenden Hohepriesters, von denen einer die Wunde am Ohr empfing (vgl. Jeremias 1962, 237). Green meint hingegen, in dem definiten Artikel einen Hinweis darauf zu erkennen, dass es sich um einen herausragenden hohepriesterlichen Repräsentanten und Anführer der Häscher gehandelt habe (vgl. Green 1997, 784 mit Verweis auf Schneider 1972, 202; Nolland 1993, 1088), und auch Gnilka hält dafür, dass es sich bei der Bezeichnung »Diener des Hohepriesters« um einen Würdetitel handele (vgl. Gnilka 2008b, 270; vgl. auch Bovon 2009, 330; ders. 2008, 333-338). Diese Deutungen bleiben allesamt ungesichert.
Traditions- und religionsgeschichtlicher Hintergrund Auch über eine zu intensive Ausdeutung des Ohres sind eher Bedenken anzumelden. Freilich ist das Ohr (wie alle Körperteile) in der Literatur Israels, v. a. in prophetischer und weisheitlicher Literatur, von reichem Symbolwert: Durch das Ohr vernimmt man Gottes Wort (prototypisch Dtn 6,4-9; Jes 64,3 u. v. m.), es steht in Parallelität zum Herzen (Spr 22,17), der Prophet hat das Wort des Herrn im Ohr (Jes 5,9 u. ö.), die Zuwendung des Ohres zu Gott gilt einem Bußakt analog (Jer 7,24; 11,8 u. ö.), offene Ohren eignen dem Weisen und dem Kunstfertigen (Ex 35,25; Spr 18,13 u. ö.), das gehorsame Kind weist sich durch das Hören auf seine Eltern aus (Spr 23,19; in Negation: Dtn 21,18) und auch Gott selbst wendet sich seinem Volk mit offenem Ohr zu (2Kön 19,16; Ps 34,16 u. ö.; vgl. insgesamt Schroer/Staubli 2005, 99-108). Rostovtzeff hatte das Abschlagen gerade des rechten Ohres in einem ägyptischen Papyrus aus dem Jahr 183 v. Chr. (P.Tebt. 3,793,8f.) als symbolischen Akt der Verachtung gedeutet (vgl. Rostovtzeff 1934, 198; im Anschluss an ihn Gnilka 2008b, 270; Schneider 1972, 202). In diesem (stark verderbten) Bericht erstattet ein thrakischer Kavallerist namens Hesiodos der Polizei Meldung, er sei von Dorion, einem »Wüstenwächter« (¥rhmofÐlax ere¯mophylax), samt einer bewaffneten Gruppe um ihn herum angegriffen worden und habe dabei auch schwere Wunden erhalten. Der Polizist ergänzt sodann diesen Bericht: »Und Hesiodos […] hat das rechte Ohr des Dorion vollständig abgeschnitten«. Die Deutung dieses Hiebes als Verachtungsschlag überlastet den Text jedoch deutlich (vgl. ebenso Wolter 2008, 727). 652
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Dass es sich bei dem abgeschlagenen Ohr um das rechte Ohr des Dieners handelt, ist eine Präzisierung, die neben Lukas nur Johannes festhält. Da die rechte Seite insgesamt als die dominante gilt, lässt sich dieses Detail möglicherweise als Verschärfung der Verletzung deuten. Bei einer ähnlichen Präzisierung von Lk 6,6 gegenüber Mk 3,1 (bei Lukas ist es die rechte Hand, die verdorrt ist) ist eine Deutung als Intensivierung naheliegend, mit Lib. Ant. 53,6: »Das rechte Ohr hört den Herrn bei Nacht, das linke aber (nur) den Engel« läge eine vergleichbare Verwendung in Bezug auf das Ohr vor (vgl. Wolter 2008, 727). Erzählerisch dahingehend ausgestaltet ist diese Präzisierung zwar nicht, gewinnt aber vor dem Hintergrund des synoptischen Vergleichs (s. u.) an Gewicht.
Verstehensangebote und Deutungshorizonte Das Besondere dieser Szene, dass es sich um eine Heilung eines Jesus-Gegners handelt, legt eine Deutung im Rahmen einer lukanischen Theologie der Feindesliebe nahe. Diese Auslegung wird textintern kaum forciert, ist aber die auslegungsgeschichtlich präferierte. Die darauf basierende pazifistische, nämlich dass Jesus grundsätzlich keine politischen Schwärmer und Eiferer unterstützt, selbst wenn sie in eigenem Interesse handeln (vgl. Ernst 1977, 610), ist noch steiler. Ebenfalls auf der ethischen Deutung aufbauend ist eine eschatologische Konsequenz denkbar: Die Motive des Gewalt- und Vergeltungsverzichtes werden bei Lukas deutlich in den Seligpreisungen und in der anschließenden Rede zur Feindesliebe ausgesprochen (6,20-35), beide Male gilt den zu Unrecht bzw. um des Menschensohnes willen Verfolgten himmlischer Lohn (6,22 f. [gesteigert gegenüber Mt 5,11 f.!]; 6,35; vgl. Mineshige 2003, 174-177). Ist Jesu Paradieswort auf Golgota (Lk 23,43) dann die korrespondierende Antwort auf seinen Akt der Feindesliebe in Getsemani (in diesem Sinne Johnson 1991, 353; Ernst 1977, 610)? Die extreme Kürze der Perikope und der Mangel an erzählerischer Ausgestaltung machen eine zu pointierte Deutung solcher Motive und Details schwierig. Textinterne Verweise wird man für sie kaum geltend machen können, die Deutung bleibt auf Assoziationsebene. Vielleicht sollte man sich in der Deutung dieser Heilungsminiatur bescheiden: Sie ist im Passionsdrama gut versteckt und die Feindesrolle des hohepriesterlichen Dieners wenig ausgeprägt. Sie bleibt aber unmittelbar vor Jesu Gefangennahme und gewaltsamer Entziehung aus seinem öffentlichen Wirkungsfeld ein letzter Tautropfen der fürsorglichpastoralen Zuwendung gegen seine feindliche Umwelt.
Aspekte der Parallelüberlieferung und Wirkungsgeschichte Die Auslegungsgeschichte hat die spezifischen Details der unterschiedlichen Darstellungen in den vier Evangelien nicht immer auseinandergehalten. Die Heilungserzählung bei Lukas kann da durchaus mit der Predigt aus Matthäus oder der Petrus/Malchus-Namensnennung aus Johannes kombiniert werden (zu den Darstellungen der anderen Evangelisten s. u.). Allegorische Erklärungen gehen in unterschiedliche, teils bedenkliche Richtungen: Ambrosius erklärt Petrus’ (sic) Handeln durch seine Schlüsselgewalt (Mt 16,19); mit dem geistlichen Schwert schneide er das Ohr des schlecht Hörenden ab. Kombiniert wird 653
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diese Erklärung damit, dass die Juden das Ohr zum rechten Hören verloren hätten, allein die Kirche könne Gottes Wort recht hören (Exp. Luc. 10,63-71; vgl. später Comm. Diat.). Nicht weniger polemisch und völlig konträr dazu meint in der Reformationszeit Johann Agricola (1494-1566), so wie Petrus (sic) mit seinem Schwertstreich unbedacht (impudenter) gehandelt habe, so würden auch jetzt dessen Nachfolger das Hören und Verstehen des Wortes verhindern; die Bischöfe und Priester hätten die Ohren abgeschnitten, durch Christus seien sie nun wiederherzustellen (Agricola 1525, fol. 170 f.). Ein allgemeiner Hauptstrang der Auslegungsgeschichte verfolgt demgegenüber die Dimension des Gewaltverzichts und der Feindesliebe. Extrem beschreitet etwa Martin Luther King diese Richtung und setzt das Jesuswort als wirkungsvollen Schlusspunkt an das Ende eines Appells um Frieden und Freiheit: Es gibt auch hartherzige und verbitterte Menschen unter uns, die den Gegner mit Gewalt und Haß bekämpfen wollen. Gewalt bringt vergängliche Siege; Gewalt hat mehr soziale Probleme zur Folge, als sie löst, und schafft niemals einen dauerhaften Frieden. Wenn wir der Versuchung erliegen, in unserem Kampf um die Freiheit Gewalt anzuwenden, so werden – davon bin ich überzeugt – unsere Kinder ein lange und hoffnungslose Nacht durchleiden müssen, und sie werden nichts Besseres von uns erben als ein Chaos. Eine Stimme klingt durch die Jahrhunderte und ruft jedem unbeherrschten Petrus zu: ›Stecke dein Schwert in die Scheide!‹ Die Geschichte zeugt vom ständigen Schiffbruch der Völker, die diesem Befehl Christi nicht folgten (Martin Luther King 1964, 19; vgl. auch a. a. O., 32).
Sachlich auf gleicher Linie, aber viel introvertierter wird der Schwertstreich in J. S. Bachs Lukaspassion BWV 246 (Autorschaft umstritten) behandelt. Hier reflektiert der betrachtende Chor die durch den Evangelisten vorgetragene Szene und zieht die unmittelbare Konsequenz: »Ich will daraus studieren,/ wie ich mein Herz soll zieren/ mit stillem, sanftem Mut,/ und wie ich die soll lieben,/ die mich so sehr betrüben/ mit Werken, so die Bosheit tut« (aus Paul Gerhards »O Welt, sieh hier dein Leben«). Bei Ephraem dem Syrer erscheint das Motiv der Feindesliebe kombiniert mit, ja fast schon überlagert von dem der Güte und des Machterweises Jesu, gleichzeitig wird das Schwert aus Eisen figurativ mit dem Schwert des Wortes parallelisiert: ›Simon aber schnitt einem von ihnen ein Ohr ab‹ (Joh 18,10). Aber der Wohltäter nahm es in seiner Güte und brachte es an seinen angestammten Ort an, gleichsam als Bild für den, der wegen seiner Sünden in den Schlund gefallen war. […] ›Stecke dein Schwert an seinen Platz!‹ (Mt 26,52). Der, dessen Wort ein Schwert ist, bedurfte des Schwertes nicht; und der, der jenes abgetrennte Ohr wieder anzuheften vermochte, hätte auch die miteinander verbundenen Glieder voneinander trennen können. Da er seine Macht nicht an einem einzigen von ihnen zeigte, ließ er sie sie alle spüren, weil sie zur gleichen Zeit ›zurückwichen und zu Boden fielen‹ (Joh 18,6). Damit der, dessen Ohr geheilt worden war, nicht der einzige sei, der von der Gnade profitiere, ließ er all die zu Boden stürzen, die ihm nahe kamen […]. Denn es geschah alleine durch die Gnade dessen, der das Ohr an seinem angestammten Platz wieder angeheftet hatte, dass sie sich wieder zu erheben vermochten. […] Weil aber unser Herr der Endpunkt für das Gesetz und der Anfang des Zeitalters der Barmherzigkeit war, verschloss er dieses Schwert in seiner Scheide und führte die Gerechtigkeit an ihren Ort zurück, und bewirkte die Heilung des Ohres aus Gnade. Er befestigte das Ohr an seinem angestammten Platz, damit er durch fruchtbringende Barmherzigkeit den Mangel der Gerechtigkeit beseitige« (Diat. 20,13; weitere Beispiele zur Auslegungsgeschichte bei Berger 2010, 190-192; Bovon 2009, 334-337; Luz 2002b, 166 f.).
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Ein Schwertstreich für Jesus Lk 22,50 f.
Innerhalb des neutestamentlichen Kanons berichten alle vier Evangelien von dem Gewaltakt in Getsemani (Mt 26,51-54; Mk 14,47; Joh 18,10 f.), doch nur Lukas führt ihn zu einer Heilungserzählung weiter. Viermal ist das Opfer des Angriffs der Diener des Hohepriesters, der nur bei Johannes einen Namen, Malchus, erhält. Der Aggressor ist bei Markus ein nicht näher bestimmter beistehender Anonymus (e@ tn paresthktwn heis to¯n pareste¯koto¯n – einer der Beistehenden), bei Matthäus wird dieser vorsichtig zu einem Sympathisanten Jesu spezifiziert (e@ tn metÞ 3Ihso‰ heis to¯n meta Ie¯sou – einer derer mit Jesus), wiederum nur bei Johannes erhält er einen Namen: Es ist Simon Petrus, der hier in die Rolle des eifrigen Jesusnachfolgers schlüpft. Und so gilt Jesu Reaktion bei Johannes auch nur Petrus: Er fordert ihn zum Gewaltverzicht auf mit Verweis auf die Hingabe Jesu gegenüber seinem Vater (vgl. Thyen 2005, 710 f.). Matthäus lässt Jesus an dieser Stelle eine kleine, aber im Vergleich zum knappen erzählerischen Rahmen dennoch ausführliche Predigt zu Gewaltverzicht, Vertrauen auf Jesu machtvolle Überlegenheit selbst in der Stunde seiner Gefangennahme sowie mit Verweis auf die Notwendigkeit der Schrifterfüllung halten. Nur bei Markus bleibt der Aggressionsakt figural sowie auktorial unkommentiert, und so kommt der Schwertkämpfer nur bei ihm ungescholten davon, wohingegen alle drei Seitenreferenten in ihrer je unterschiedlichen Ausprägung einen Tadel an Jesu Sympathisanten formulieren. Das Motiv der »Antwort«, das bei Lukas dem Aggressor gilt, ist bereits in der markinischen Vorlage zu finden (dort V. 48), steht dort jedoch in einem anderen Kontext: Bei Markus richtet sich das »Antworten« Jesu an die Gruppe der Hohepriester, Schriftgelehrten und Ältesten, die ausgezogen sind, um ihn gefangen zu nehmen – was streng gesehen nicht ganz sinnig ist, da ihm von diesen keine Frage gestellt worden ist. Bei Lukas hingegen greift Jesu verwehrende »Antwort« die Frage von V. 49 samt anschließenden Gewaltakt auf; seine anschließende Zuwendung an die Häscher (V. 52 f., par. Mk) wird nicht mehr als Antwort bezeichnet, sondern initiiert eigenständig den Fortgang seiner Festnahme. Jesus selbst kümmert sich um die folgenden Ereignisse: Die Passion nimmt ihren Lauf.
Eckart David Schmidt Literatur zum Weiterlesen K. Mineshige, Besitzverzicht und Almosen bei Lukas. Wesen und Forderung des lukanischen Vermögensethos, WUNT 2/163, Tübingen 2003. J. Pichler, Am Ende gerettet und heil – Apg 27 und Lk 22,51, in: J. Pichler/C. Heil (Hg.), Heilungen und Wunder. Theologische, historische und medizinische Zugänge, Darmstadt 2007, 179-202. S. Schroer/T. Staubli, Die Körpersymbolik der Bibel, Darmstadt 22005.
655
V. Die Wundererzählungen im Johannesevangelium
Hinführung Textbefund Das Johannesevangelium in der uns vorliegenden kanonischen Endgestalt ist wahrscheinlich das Ergebnis eines längeren Entwicklungsprozesses, der durch verschiedene Überarbeitungsstufen gekennzeichnet ist (z. B. Brown 1971, xxiv–xxxix; Becker 1991, 32-66; Dietzfelbinger 2004, 1, 12-19; Theobald 2009, 70-74). Unabhängig davon, wie und wann man die einzelnen Entwicklungsstufen ansetzt, besteht weitgehend Einigkeit darüber, dass das vierte Evangelium ursprünglich mit 20,30 f. endete und Kap. 21 als »Nachtragskapitel« zu bewerten ist (anders neuerdings wieder Thyen 2005, 4 f.). Bei der Beurteilung dieser Frage kommt dem Wortlaut von Joh 20,30 f. besondere Bedeutung zu. Denn es handelt sich um eine literarische Schlusswendung mit traditionellen Motiven, die die johanneische Erzählung formal und inhaltlich beendet und dabei auch die Wundertaten Jesu in den Blick nimmt: Joh 20,30 f. Auch viele andere Zeichen (shme…a se¯meia) hat Jesus nun vor den Jüngern getan, die nicht in diesem Buch aufgeschrieben sind. Diese aber sind aufgeschrieben, damit ihr glaubt, dass Jesus der Christus ist, der Sohn Gottes, und damit ihr durch den Glauben Leben habt in seinem Namen. Zwar können mit den hier erwähnten »Zeichen vor seinen Jüngern« auch die kurz zuvor geschilderten Selbsterweise des Auferstandenen (Ostererscheinungen) 20,19-29 gemeint sein (so etwa O’Day 1995, 851; sehr dezidiert Kammler 1996, 191-211), doch da Johannes shme…on (se¯meion) in erster Linie für die sieben exemplarischen Wunder verwendet, die Jesus während seiner Wirksamkeit vor Ostern getan hat, sind wohl vorrangig diese im Blick. Terminologisch sollte man dabei jedoch keine zu engen Grenzen ziehen, denn das Lexem »Zeichen« ist »ein Funktionsbegriff, nicht nur ein Synonym für ›Wunder‹, d. h. die Wunder haben Hinweischarakter, weisen über sich hinaus« (von Lips 1990, 301; vgl. auch Hirsch-Luipold 2006, 61-102). Damit ist bereits eine Besonderheit des johanneischen Sprachgebrauchs angeklungen, die man durchaus als Alleinstellungsmerkmal bewerten kann: Während nämlich in der synoptischen Tradition Jesu Wunder vorwiegend als »Machttaten« (dun€mei@ dynameis) bezeichnet werden, geht Johannes einen terminologisch anderen Weg und nennt die thematisch weitgehend ähnlichen Wunder seines Evangeliums »Zeichen« (shme…on se¯meion; umfassend zum shme…on-Begriff Bittner 1987; Salier 2004). Die Wundertaten zählen für den Evangelisten zum Zentrum des Wirkens und der Botschaft Jesu und werden gemäß Joh 20,30 f. mit dem Glauben der Menschen in einen positiven Zusammenhang gebracht (Bittner 1987, 2). Indem Notizen über das Tun der Wunder nicht nur den Beginn (2,11), die Mitte und Wende (12,37), sondern auch das Ende (20,30) der Wirksamkeit Jesu im Johannesevangelium markieren, gehören sie unlösbar zur johanneischen Christologie: An den Wundern lässt sich der Messias erkennen (10,41). Diese sind jedoch kein Selbstzweck, sondern sollen als das sichtbar »Größere« (1,50) zum Glauben an den Sohn Gottes zu führen. 659
Die Wundererzählungen im Johannesevangelium
Das Johannesevangelium beinhaltet folgende Wundererzählungen, die aufgrund ihrer überschaubaren Zahl und ihrer Besonderheiten im Vergleich zu den synoptischen Wundergeschichten ohne Ausnahme in diesem Kompendium eine Einzelauslegung erfahren: Stelle
Art des Wunders
Lokalisierung
1 2,1-11
Geschenkwunder (Wein)
Kana in Galiläa
2 4,46-54
Heilungswunder (Fernheilung)
Kana/Kafarnaum in Galiläa
3 5,1-18(47)
Heilungswunder (am Sabbat)
Jerusalem (Teich Betesda)
4 6,1-15
Geschenkwunder (Brot und Fische)
Berg in Galiläa
5 6,16-21(25)
Rettungswunder (Epiphanie)
See in Galiläa
6 9,1-41
Heilungswunder (am Sabbat)
Jerusalem (Teich Schiloach)
7 11,1-44
Totenerweckung (Lazarus)
Betaniën bei Jerusalem
Der Zeitraum, in welchem »diese Zeichen« (20,30) geschehen, die allein Jesus vollbringen kann (10,41), beginnt mit dessen erstem Auftreten (2,1-11) und endet mit dem »Hinaufgang« zum Vater (20,17). Doch die Wunder gehören dadurch keineswegs der Vergangenheit an. Indem die Zeichen »aufgeschrieben« (20,31), d. h. zu literarischen »Wundergeschichten« wurden, werden sie in nachösterlicher Perspektive für die Gegenwart neu erschlossen: Durch sie wird die göttliche Herrlichkeit (dxa doxa) Jesu nun allen Glaubenden zu allen Zeiten offenbar (2,23; 4,48; 6,2.14.26.30; vgl. Becker 2004, 250). Dadurch, dass der vierte Evangelist explizit zwischen den geschehenen Wundertaten Jesu und den schriftlich festgehaltenen Wundergeschichten differenziert, wird den »Zeichen« eine dauerhafte Sinntiefe verliehen (Welck 1994, 55). Dem Aufschreiben und Lesen, d. h. dem Nachvollzug des Heilsgeschehens (20,30 f.), kommt dabei identitätsstiftende Funktion zu: »Das Buch selber ist der Grund dafür, dass der Leser glauben kann. Damit kommt der Leser an das gleiche Ziel, das die Figur Thomas zum Schluss der letzten Episode erreicht hat, allerdings ohne Sehen und Berühren, sondern lediglich durch die Lektüre des Buches« (Leinhäupl-Wilke 2003, 293). Die letzte Wundererzählung des Evangeliums findet sich im Nachtragskapitel Joh 21. Dieses Wunder wird jedoch nicht als »Zeichen« tituliert, sondern als das »dritte Offenbarwerden« Jesu (vgl. 1,31; 2,11) vor den Jüngern »nach seiner Auferstehung von den Toten« (21,14): 8
21,1-14
Geschenkwunder (Fische) und Epiphanie
See in Galiläa
Während Jesus durch das erste Zeichen seine Herrlichkeit offenbart (2,11), offenbart er sich hier selbst – und zwar als der Auferstandene. Aufgrund des Mahlrituals (»Jesus nimmt das Brot und gibt es ihnen und ebenso den Fisch«, 21,15; vgl. 6,11) erkennen ihn die Jünger. Dadurch wird die Identität des Auferstandenen mit dem irdischen Jesus eindrücklich eingeholt (Hasitschka 2008, 322). Neben den sieben narrativ entfalteten Wundertaten des irdischen Jesus und dem einen Wunder des Auferstandenen begegnen über das ganze Evangelium verstreute Sammelnotizen (Summarien), in denen davon berichtet wird, dass Jesus sowohl in Jerusalem 660
Hinführung
als auch in Galiläa »viele Zeichen« gewirkt hat (2,23; 3,2; 6,2; 7,31; 10,41; 11,47; 12,37; 20,30). Andere wunderhafte Züge Jesu, beispielsweise sein übernatürliches Wissen über Natanaël (1,47-51) oder die samaritanische Frau (4,16-19), werden nicht »Zeichen« genannt. Das bedeutet: »Shme…a (se¯meia – Zeichen, Plural) sind immer wunderbare Taten Jesu, aber nicht jedes wunderbare Ereignis ist schon deshalb ein shme…on (se¯meion – Zeichen, Singular)« (Welck 1994, 52).
Überlieferung Vergleicht man die johanneischen und synoptischen Wundererzählungen miteinander, zeigen sich neben vielen Unterschieden auch deutliche Parallelen: Nicht nur hat Johannes mit Ausnahme der Dämonenaustreibungen dieselben Untergattungen verwirklicht (Heilungen, Geschenkwunder, Epiphanien, Totenerweckungen), sondern seine Wundergeschichten gründen auch in einer ebenfalls von den Synoptikern verwendeten Tradition: Parallelerzählungen Joh
Mt
Mk
Lk
4,46-54
8,5-13
–
7,1-10
6,1-15
14,13-21
6,32-44
9,10-17
6,16-21(25)
14,22-33
6,47-52
–
Vergleichbare einzelne Erzählzüge / thematische Analogien 5,1-9
2,1-11
9,1-41
10,46-52; 8,23
11,1-44
10,38-42; 16,19-31
21,1-14
5,1-11
Lediglich für das Weinwunder zu Kana 2,1-11 kann man keine Entsprechung in den anderen kanonischen Evangelien ausmachen. Dieser Befund hat schon früh die Frage nach zugrunde liegenden Traditionen, Quellen oder Abhängigkeiten wachgerufen: Kannte Johannes ein oder mehrere synoptische Evangelien, und hat er deren Wundererzählungen entsprechend angepasst übernommen? Verfügte er lediglich über dieselben mündlichen oder schriftlichen Traditionen? Oder lag ihm eine eigene Quelle mit Wunderberichten vor? Seit Bultmanns bahnbrechendem und bis heute einflussreichem literarkritischen Kommentar (Bultmann 1986) wird zur Lösung dieses Problems die These von einer eigenen Sammlung von Wundererzählungen (so genannte »Semeiaquelle«, auch Zeichenoder Wunderquelle genannt) herangezogen, die Johannes im Unterschied zu den Synoptikern vorgelegen habe. Im englischsprachigen Bereich wurde die Rekonstruktion der Semeiaquelle v. a. von Fortna (Fortna 1988) weiterentwickelt, im deutschsprachigen 661
Die Wundererzählungen im Johannesevangelium
Raum sind die diesbezüglich einschlägigen Kommentare von Becker (Becker 1991) und neuerdings Theobald (Theobald 2009) zu erwähnen (zur ausführlichen forschungsgeschichtlichen Analyse vgl. van Belle 1994; Riedl 1997, 19-121). Die Begründung für die Existenz einer Semeiaquelle, in der die sieben »Zeichen« des Johannesevangeliums bereits als literarische Sammlung vorlagen, wird an diversen formalen und strukturellen Beobachtungen festgemacht, die hier nicht im Einzelnen ausgeführt werden können (vgl. dazu aber Theobald 2009, 36-41). Als offensichtlichste Textstellen werden dazu die eigentümliche Zählung der »Zeichen« (2,11: »Anfang der Zeichen«; 4,54: »das zweite Zeichen«) sowie der Buchschluss 20,30 f. herangezogen: Nach Ansicht Bultmanns laufe die Zählung der Zeichen der Darstellung des Evangelisten zuwider. Da Joh 2,23-25 nämlich von anderen Wundertaten Jesu in Jerusalem zu berichten weiß, die die Menschen zum Glauben führen (vgl. auch 4,45), sei die Zählung von 4,54 als »zweitem Zeichen« nicht korrekt und spiegele somit die ursprüngliche Zählung der Semeiaquelle wider (Bultmann 1986, 78). Unklar bleibt dann allerdings, warum Johannes die Zählung für die anderen Zeichen nicht fortgesetzt hat. Und so hat man im Gegenzug versucht, die Zählung im literarischen Kontext des Johannesevangeliums plausibel zu machen: Sie könne beispielsweise darauf zurückzuführen sein, dass Johannes die Zeichen in Galiläa dezidiert den Zeichen in Jerusalem gegenüberstelle (Bittner 1987, 6; dagegen Riedl 1997, 204 f.). Während erstere zum Glauben führen, gelänge dies letzteren nicht (de Jonge 1978, 112). Der formale Buchschluss 20,30 f. schließlich, der auf das gesamte Johannesevangelium zurückblickt, hat das Problem, dass die Rede von den »Zeichen« den Inhalt des Buches nicht abdeckt und man beispielsweise den Hinweis auf die »Worte« Jesu an dieser Stelle vermisst. Aus diesem Grund nahm Bultmann an, dass in 20,30 f. der ursprüngliche Abschluss der Zeichenquelle aufbewahrt sei (Bultmann 1986, 541). Dem wurde v. a. kritisch entgegengesetzt, dass der Zeichenbegriff bei Johannes nicht zu eng eingegrenzt werden dürfe, sondern die Wundertaten immer unlösbar mit der Verkündigung verbunden seien. Zudem müsse die Verwendung des weithin parallelen Lexems »Werke« einbezogen werden: It seems impossible that John wrote this important first conclusion of his work without reflection. The term in 20,30 has become the hermeneutical key to the whole Gospel and does not allow for a source-critical conclusion. Defenders of the signs source have overlooked, it seems to me, two important aspects of Johannine writing: the unity between narrative and discourse and John’s use of synonymous expressions (van Belle 1994, 404).
Die Diskussion um die Semeiaquelle ist bis heute nicht abgeschlossen. Und so spiegeln die in diesem Kompendium versammelten Exegesen die verschiedenen Positionen bewusst wider: Manche Ausleger(innen) rechnen mit ihrer Existenz, manche verwerfen sie und gehen von anderen Abhängigkeiten aus. Da die Semeiaquelle aufgrund der vereinheitlichten Analyseschritte jedoch nirgends zum Angelpunkt der Auslegung gemacht wird, können alle Beiträge gut nebeneinanderstehen.
Komposition Die sieben vorösterlichen Wundererzählungen begegnen ausschließlich in Joh 2-12, d. h. im ersten Hauptteil des Evangeliums, in dem sich Jesus vor der Welt offenbart. Zu Recht 662
Hinführung
wurde dieser Teil, der von den »Zeichen« und von deren Interpretation in der Verkündigung berichtet, als »book of signs« betitelt (Brown 1971, cxxxviii). Aufgrund der Reduzierung auf sieben »Zeichen« – sieben ist die Zahl der Vollkommenheit und wahrscheinlich eine bewusste Gestaltung des Evangelisten – kommt den einzelnen Wundertaten exemplarische Bedeutung zu (vgl. 20,30 f.). Die »Zeichen« sind über den gesamten ersten Buchteil verteilt und dominieren die narrativen Passagen: Fast der ganze Erzählstoff in Joh 2-12 besteht aus Wundergeschichten, so dass diese mit den langen Redeabschnitten korrespondieren. Anders als die Synoptiker, die die Wundergeschichten in einzelne Perikopenblöcke zusammenfassen (besonders eindrücklich Mt 8 f.), sind die »Zeichen« des Johannesevangeliums integraler Bestandteil des Erzählzusammenhangs und eng mit diesem verzahnt (Welck 1994, 69-74). Die »vielen Zeichen«, die Jesus getan hat (2,23; 6,2; 7,31; 11,47; 12,47; 20,30), werden sowohl in Galiläa als auch in Jerusalem lokalisiert und durchziehen somit seinen gesamten Wirkungsbereich. Diese Topographie spiegeln auch die exemplarisch entfalteten einzelnen Wunder wider (s. o. Tabelle). Die Anordnung der Wundererzählungen geschieht planvoll: Den »Anfang der Zeichen« (2,11) macht das programmatische Weinwunder zu Kana in Galiläa (2,1-11), in welchem der Hochzeitswein die göttliche Herrlichkeit des Wundertäters symbolisiert und dessen Identität enthüllt (Theobald 2009, 32). Das folgende Heilungswunder des Sohnes des königlichen Beamten (4,46-54) wird durch die Notiz 4,46a (»Er kam nun wieder nach Kana in Galiläa, wo er das Wasser zu Wein gemacht hatte …«) ausdrücklich mit dem ersten »Zeichen« verknüpft. Zusammen mit der Heilung eines Kranken am Teich Betesda (5,1-18), die auch ein Streitgespräch (Heilung am Sabbat) und eine lange Rede Jesu beinhaltet (5,9b-47), wird durch die Gegenüberstellung von »sterben« (4,47.49) und »leben« (4,50.51.53) bzw. »töten«/»tot sein« (5,18; auch 5,21.25 u. ö.) und »lebendig machen« (5,21.24 f. u. ö.) eine enge Verzahnung erzielt: Jesus ist der, der lebendig macht. Auch das Brotwunder mit der Speisung der Fünftausend (6,1-15) und Jesu Erscheinen auf dem Meer in Galiläa (6,16-21[25]) sind miteinander, aber auch mit dem Kontext verknüpft. Die Heilung eines Blindgeborenen (9,1-41) in Jerusalem, die das Wort vom »Licht der Welt« (8,12) aufnimmt (9,5), ruft durch den erneuten Konflikt um eine Heilung am Sabbat die Erinnerung an 5,1-18 wach. Das größte Wunder Jesu schließlich, die Totenerweckung des Lazarus (11,1-44), greift die Thematik von 5,1-47 und die Ankündigung von 5,20 f. auf: »Wie der Vater« so macht auch »der Sohn« die Toten lebendig. Dass dieses letzte und spektakulärste »Zeichen« die Passion Jesu auslöst, ist als tiefe Ironie des Johannesevangeliums zu deuten: Dem Lebensspender will man durch seine Tötung Herr werden. In der nachösterlichen Erzählung vom wunderbaren Fischfang (21,1-14), dem einzigen Wunder im zweiten Buchteil bzw. im Nachtragskapitel (Joh 13-20.21), gibt sich Jesus als der Verherrlichte zu erkennen: »Es ist der Herr« (21,7; zum Motiv des Wiedererkennens vgl. Culpepper 2008, 258). Das Austeilen von Brot und Fisch (21,13) zieht dabei eine Erinnerungslinie zur Speisung der Fünftausend (6,11), so dass die Identität des Auferstandenen mit dem Irdisch-Wirkenden angezeigt ist und eine gezielte Verbindung mit dem ganzen Evangelium hergestellt wird (vgl. auch 21,14; Hasitschka 2008, 311-328).
663
Die Wundererzählungen im Johannesevangelium
Besonderheiten Zeichen und Werke Die Verwendung des Lexems »Zeichen« (shme…on se¯meion) und die bewusste Vermeidung des bei den Synoptikern gebräuchlichen Äquivalents »Machttaten« (dun€mei@ dynameis) für die johanneischen Wunder begegnen interessanterweise ausschließlich auf der Ebene des Erzählers, wohingegen Jesus selbst seine Wundertaten als »Werk« (˛rgon ergon, 4,34; 6,28 f.; 7,21; 17,4) bzw. als »Werke« (˛rga erga, 5,20.36; 6,28; 7,3; 9,3 f.; 10,25.32 f.37 f.; 14,10-12; 15,24; einzige Ausnahmen 4,48; 6,26) charakterisiert. Während der Begriff »Zeichen« im Johannesevangelium unlösbar mit der Person dessen, der diese Zeichen tut – nämlich Jesus –, verbunden ist (van Belle 1994, 382), gehört das Lexem »Werke« in den übergreifenden Zusammenhang des Verhältnisses zwischen Gott, Jesus und den Gläubigen: Es sind Gottes »Werke« (Plural!), die Jesus »vollendet« (5,36; vgl. 5,17), »offenbart« (9,3) und zusammen mit seinen Jüngern »wirken muss« (9,4). Und es ist Gottes »Werk« (Singular!), das Jesus insgesamt in seinem Leben und Sterben zur Vollendung bringt (4,34; vgl. 17,4; Welck 1994, 55 f.). Das bedeutet, dass im Gegensatz zu den »Zeichen«, die ausschließlich Jesus während seiner irdischen Wirksamkeit tun konnte, die »Werke« auch nach Ostern weitergehen: Jesus verheißt denen, die an ihn glauben, dass sie tun werden, was er tut, ja mehr noch: »größere Werke wird tun, wer an mich glaubt« (14,12). Dabei umfassen »Werke« nicht wie »Zeichen« ausschließlich offenbarende Taten, sondern ebenso offenbarende Reden: »All Jesus did and said on earth is summed up in the word ˛rgon (ergon), and in the instances ˛rga (erga) is used, the word refers, in all likelihood, not only to the shme…a (se¯meia) proper, but also to a wide range of activities, just because God is active in the Son, and the Son completely obedient to the Father« (de Jonge 1978, 123). Die johanneischen »Zeichen« sind im Umkehrschluss dann als spezifische »Werke« Jesu einzuordnen und zu verstehen.
Das Fehlen von Dämonenaustreibungen Eine auffällige Leerstelle stellt in der johanneischen Wunderüberlieferung das Fehlen von Exorzismen dar, die für die synoptische Wundertradition und den historischen Jesus eine so zentrale Rolle spielen (vgl. Poplutz, Dämonen in diesem Band). Auch wenn es sich, wie gesehen, unserer genauen Kenntnis entzieht, ob Johannes die Synoptiker kannte und in welchem Umfang ihm Wundertraditionen zur Verfügung standen, scheint alles auf eine bewusste Auslassung hinzudeuten: Zum einen kennt Johannes durchaus das Phänomen dämonischer Besessenheit, bringt es allerdings ausschließlich im Kontext des jüdischen Vorwurfs gegen Jesus zur Sprache (7,20; 8,48 f.52; 10,20 f.). Zum anderen spielt die im Weichen der Dämonen sichtbar werdende Gottesherrschaft in der Verkündigung des johanneischen Jesus keine entscheidende Rolle (vgl. lediglich die Erwähnung in 3,3.5 [abgewandelt 18,36]; diff. Q 11,20). Das lässt darauf schließen, dass für den vierten Evangelisten nicht die Auseinandersetzung Jesu mit den Dämonen relevant ist, sondern der Kampf gegen Satan (von Lips 1990, 301). Dazu greift Johannes auf die mythologische Vorstellung eines satanischen »Herrschers dieser Welt« (12,31; vgl. 6,70; 8,44; 13,2 [di€bolo@ diabolos]; 13,27 [satan”@ 664
Hinführung
satanas]) zurück, der als Widersacher Gottes auftritt. Für dessen Niederlage verwendet Johannes in 12,31 ein Verb, das bei den Synoptikern terminus technicus für das Austreiben der Dämonen durch Jesus ist: »hinauswerfen« (¥kb€llw ekballo¯; vgl. z. B. Mk 1,34.39; 3,15.22 f. u. ö.). Möglicherweise sieht Johannes somit Jesu Tod und Erhöhung am Kreuz als den finalen Sieg über diesen Widersacher an, so dass dieses Heilsereignis eine Art »endgültiger Exorzismus« wäre (Berger 2003, 171): Johannes hätte dann »im Tod Jesu verdichtet, was die synoptische Überlieferung im Anschluss an Jesus selbst an den für ihn charakteristischen Dämonenaustreibungen aufzeigt« (Theobald 2009, 813). Ein weiterer Grund für das Fehlen von Exorzismen könnte in der spezifisch johanneischen Anthropologie zu suchen sein: Johannes zeichnet die Welt und den Menschen in der Entscheidung für oder gegen Jesus, metaphorisch gesprochen: für das Licht oder für die Finsternis (1,4-9; 8,12; 12,46). Da Dämonen jedoch »graue« Zwischenwesen sind und den Menschen als Subjekt des eigenen Handelns außer Gefecht setzen, wäre ein Besessener zu einer eigenverantwortlichen Entscheidung für oder gegen Jesus nicht in der Lage. Auch die Zweideutigkeit von Exorzismen hat möglicherweise zu deren Auslassung geführt (so Twelftree 2007a, 193 f.): Da Exorzist und Dämon grundsätzlich mit denselben Waffen kämpfen und Exorzisten sich durch ihre Tätigkeit in einer Art Grauzone bewegen, konnte dies anstößig wirken. Zudem gibt es Exorzisten, die nicht so sehr aufgrund ihrer guten Technik erfolgreich waren, sondern weil sie sich mit fremden, z. T. dunklen, Mächten verbündeten (vgl. PGM 4,3019 f.; auch Mk 9,38 f. par.; Apg 19,1319). Bei den Synoptikern wird Jesus dies in der »Beelzebul-Kontroverse« vorgeworfen, und zwar dezidiert mit Rekurs auf seine exorzistische Tätigkeit (Mk 3,21 f.). Auch Johannes überliefert den gegen Jesus erhobenen Vorwurf der Besessenheit (Joh 7,20; 8,48 f.52; 10,20 f.), aber bei ihm steht dies nicht im Zusammenhang exorzistischer Tätigkeit, was den Vorwurf umso haltloser erscheinen lässt.
Steigerung und Massivität Die johanneischen Wunder zeichnen sich durch eine große Massivität und novellistische Breite aus, die alle anderen Wundererzählungen des Neuen Testaments überstrahlen. Diese Darstellungsweise dient dem Ziel, die Identität Jesu als Messias und Sohn Gottes zu erweisen und seine Herrlichkeit (dxa doxa) sichtbar zu machen: »Das Wunder wird zur Epiphanie der göttlichen Macht des Wundertäters […] An die Stelle des Selbsterweises Gottes durch den Wundertäter tritt der Selbsterweis des Wundertäters« (Becker 1991, 139). Im Einzelnen stellt sich das in den acht Wundererzählungen folgendermaßen dar (vgl. van Belle 1994, 391 f.): (1) Das Ergebnis des Geschenkwunders in Kana wird umgerechnet mit unglaublichen 468-702 Litern Wein beziffert (2,6). Und ausgerechnet der Mahlaufseher, der das Wunder überhaupt nicht versteht, bestätigt die hervorragende Qualität des Weins (2,9 f.). (2) Die Heilung des Sohnes des königlichen Beamten, der nicht nur krank, sondern dem Tode nahe ist (4,47.49), geschieht aus der Ferne, und zwar genau in dem Moment, in dem Jesus sein wunderwirksames Wort spricht (4,52 f.). (3) Jesus heilt einen Gelähmten, der seit sage und schreibe achtunddreißig Jahren gelähmt ist (5,5). 665
Die Wundererzählungen im Johannesevangelium
(4) Mit einer Handvoll Brote und Fische (6,9) wird eine große Menge gespeist (6,7.10). (5) Als Jesus mitten auf dem See den Jüngern im Boot entgegenkommt (6,19), wird auf wundersame Weise das Boot mit den Jüngern an Land versetzt (6,21). (6) Jesus heilt nicht nur einen Blinden, sondern einen Blindgeborenen (9,1). (7) Jesus erweckt Lazarus zum Leben, der schon vier Tage im Grab lag (11,17.39), so dass der Leichnam sich bereits in einem Verwesungsprozess befindet: »er riecht schon« (11,39). (8) Auch der wunderbare Fischfang wird anschaulich erzählt: Das Netz ist voll von hundertdreiundfünfzig großen Fischen, aber trotz dieser Fülle reißt das Netz nicht (21,11). Diese materiell gesteigerte Massivität der Wundertaten enthüllt allerdings nicht nur die herrliche, sondern auch die menschliche Seite Jesu: Jesus leistet konkrete Hilfe, die die Menschen ganz berührt – wenn auch in einer Weise, die das menschliche Vermögen übersteigt (Schnelle 1987, 184 f.; Becker 2004, 251).
Singularität und Individualität Der Massivität der einzelnen Wunder korrespondiert eine Reduzierung auf anderer Ebene: Während Jesus nach den Synoptikern auch mehrere Kranke auf einmal heilen kann (zwei Blinde, Mt 9,27-31; zwei Besessene, Mt 8,28-34; zehn Aussätzige, Lk 17,12-19), wendet er sich im Johannesevangelium ausschließlich einzelnen zu, auf die sein Blick fällt (5,6; 9,1; Theobald 2009, 33). Die Betonung der Individualität der Kranken wird durch die eingeflochtenen biographischen Notizen verstärkt: »Wenn gesagt wird, daß der Gelähmte bereits 38 Jahre an seiner Krankheit leidet und daß er keinen Helfer hat, dann tritt damit ein ganzes Lebensschicksal samt erlebter Enttäuschungen in den Blick. Nicht anders ist es, wenn von einem Blindgeborenen die Rede ist, der sich als Bettler durchschlagen muß und anscheinend in seinen Eltern keine Unterstützung mehr hat« (von Lips 1990, 304). Das bedeutet, dass die beteiligten Figuren keineswegs »Statisten« sind, wenngleich ihre Rolle bei den Wundern stark zurückgedrängt wird: Die Wundertaten gehen immer allein von Jesus aus, und er verbittet sich wie in 2,4 jede äußere Einmischung. Im Wirken der Wundertaten wird somit Jesu Souveränität und Hoheit offenbar, die sich aber in der heilenden und helfenden Zuwendung zu konkreten Menschen ausdrückt.
Glaube und Unglaube Die johanneischen »Zeichen« sind Bestandteil der Heilsgeschichte und rufen zur Entscheidung für oder gegen Jesus auf. Im Allgemeinen führt das Sehen der »Zeichen« zum Glauben (2,11.23; 4,53; 6,14; 7,31; 9,35-38; 10,40-42; 11,15.40.45; 12,11; 20,8.25.27.29). Doch diese Reaktion ist nicht zwingend, da »Zeichen« immer gedeutet werden müssen, was eine mögliche Missdeutung einschließt. Und so kann man den »Zeichen« auch mit Unglauben begegnen (12,37-43; 20,30 f.) oder in einer Form wundergläubig werden, die nicht zum Wesen der Sendung Jesu vorstößt (Becker 2004, 254). Wenn es in Joh 12,37 heißt, dass »sie nicht an ihn glaubten, obwohl er so große Zeichen vor ihnen getan hatte«, dann ist damit die ganze Enttäuschung über die Verstrickung der Menschen ins Wort gebracht, die nicht »an das Licht glauben« wollen (12,36) und Jesus 666
Hinführung
als »das wahre Licht« (1,9; vgl. 8,12) »nicht aufnahmen«, obwohl er »in das Seine kam« (1,11). Und so wird die Zeichenforderung zur Legitimierung Jesu abgelehnt (2,18; 6,30; vgl. auch die kritischen Bemerkungen 4,48; 6,26). Dies impliziert keine generelle »Wunderkritik« des vierten Evangelisten, sondern zeigt lediglich, dass die »Zeichen« nicht auf magische Weise automatisch Glauben bewirken, sondern notwendigerweise eine Entscheidung und Positionierung des Menschen einfordern: »In spite of their revelatory character, their materiality, and their reality, they still demand a decision from human beings« (van Belle 1994, 395).
Uta Poplutz Grundlegende Literatur zu den Wundererzählungen im Johannesevangelium M. Becker, Zeichen. Die johanneische Wunderterminologie und die frührabbinische Tradition, in: J. Frey/U. Schnelle (Hg.), Kontexte des Johannesevangeliums. Das vierte Evangelium in religions- und traditionsgeschichtlicher Perspektive, WUNT 175, Tübingen 2004, 233276. W. J. Bittner, Jesu Zeichen im Johannesevangelium. Die Messias-Erkenntnis im Johannesevangelium vor ihrem jüdischen Hintergrund, WUNT 2/26, Tübingen 1987. R. A. Culpepper, Cognition in John. The Johannine Signs as Recognition Scenes, PRSt 35 (2008), 251-260. M. de Jonge, Signs and Works in the Fourth Gospel, in: T. Baarda/A. F. J. Klijn/W. C. van Unnik (Hg.), Miscellanea Neotestamentica II, NT.S 48, Leiden 1978, 107-125. M. Labahn, Jesus als Lebensspender: Untersuchungen zu einer Geschichte der johanneischen Tradition anhand ihrer Wundergeschichten, BZNW 98, Berlin/New York 1999. H. v. Lips, Anthropologie und Wunder im Johannesevangelium. Die Wunder Jesu im Johannesevangelium im Unterschied zu den synoptischen Evangelien auf dem Hintergrund johanneischen Menschenverständnisses, EvTh 50 (1990), 296-311. H. Riedl, Zeichen und Herrlichkeit. Die christologische Relevanz der Semeiaquelle in den Kanawundern Joh 2,1-11 und Joh 4,46-54, RSTh 51, Frankfurt a. M. 1997. W. H. Salier, The Rhetorical Impact of the Se¯meia in the Gospel of John. A Historical and Hermeneutical Perspective, WUNT 2/186, Tübingen 2004. G. van Belle, The Signs Source in the Fourth Gospel. Historical Survey and Critical Evaluation of the Semeia Hypothesis, BEThL 116, Leuven 1994. C. Welck, Erzählte Zeichen. Die Wundergeschichten des Johannesevangeliums literarisch untersucht. Mit einem Ausblick auf Joh 21, WUNT 2/69, Tübingen 1994.
667
Wunder im Johannesevangelium Nr.
Joh-Faden
Titel
Parallelstellen
1
2,1-11
Wein im Überfluss (Die Hochzeit zu Kana) Summarium (in Jerusalem) Summarium (im Gespräch mit Nikodemus) Vollkommener Glaube heilt vollkommen (Die Heilung des Sohnes des königlichen Beamten) »Steh auf!« – Erweckung zum Leben hier und jetzt (Die Heilung eines Gelähmten) Mehr als ein Prophet und ein Brotkönig (Die Speisung der Fünftausend)
–
2,23 3,2
Hinführung Joh Hinführung Joh
2
4,46-54
3
5,1-18
4
6,1-15
5
6,16-25
Überraschende Wege auf dem See (Der Seewandel Jesu)
6,30
Zeichenforderung
6
7,31 9,1-41
7
10,41 11,1-12,11
Summarium (Christuszeichen) vgl. Mk 10,46-52; 8,2 Sehen oder Nicht-Sehen? (Die Heilung des blind Geborenen) Kein Zeichen von Johannes d. T. Vorbild im Sterben und Leben vgl. Lk 10,38-42; 16,19 (Die Auferweckung des Lazarus) Summarium (Hohepriester) Rückblick auf Auferweckung des Lazarus Unglaube trotz Zeichen Summarium (Rückblick und andere Zeichen) Beim Mahl am Kohlenfeuer trifft Lk 5,1-11 man sich wieder (Die Offenbarung beim wunderbaren Fischfang)
11,47 12,18 12,37 20,30 8
668
21,1-14
davon kommentiert im Kompendium Joh 2,1-11
Q 7,1-10; Mt 8,5-13; Lk 7,1-10 Mk 2,1-12; Mt 9,1-8; Lk 5,17-26 Mk 6,30-44; Mt 14,13-21; Lk 9,10-17 Mk 6,45-52; Mt 14,22-33; EpAp 5,11 vgl. Mt 12,38-42; Lk 11,16.29-32
Q 7,1-10; Mt 8,5-13; Lk 7,1-10; Joh 4,46-54 Mk 2,1-12; Lk 5,17-26; Joh 5,1-18 Mk 6,30-44; Mt 14,13-21; Lk 9,10-17; Joh 6,1-15 Mk 6,45-52; Mt 14,22-33; Joh 6,16-25 Hinführung Joh Hinführung Joh Joh 9,1-41 Hinführung Joh Joh 11,1-12,11 Hinführung Joh Hinführung Joh Hinführung Joh Hinführung Joh Lk 5,1-11; Joh 21,1-14
Wein im Überfluss (Die Hochzeit zu Kana) Joh 2,1-11 (1) Und am dritten Tag fand eine Hochzeit in Kana in Galiläa statt, und die Mutter Jesu war dort. (2) Zur Hochzeit eingeladen waren aber auch Jesus und seine Jünger(innen). (3) Als der Wein ausgegangen war, sagt die Mutter Jesu zu ihm: »Sie haben keinen Wein!« (4) Jesus sagt ihr: »Was haben wir miteinander zu tun, Frau? Meine Stunde ist noch nicht gekommen.« (5) Seine Mutter sagt den Bediensteten: »Was auch immer er euch sagt, führt aus!« (6) Es standen aber dort sechs steinerne Wasserkrüge – entsprechend der jüdischen Reinigungsvorschrift –, die jeweils zwei oder drei Metreten fassten. (7) Jesus sagt ihnen: »Füllt die Wasserkrüge mit Wasser!« Und sie füllten sie bis oben. (8) Und er sagt ihnen: »Schöpft jetzt etwas davon und bringt es dem Mahlaufseher!« Sie aber brachten es. (9) Als aber der Mahlaufseher das Wasser, das Wein geworden war, kostete und nicht wusste, woher es war – die Bediensteten aber, die das Wasser geschöpft hatten, die wussten es –, ruft der Mahlaufseher den Bräutigam (10) und sagt ihm: »Alle Menschen schenken zuerst den guten Wein aus, und erst dann, wenn die Leute betrunken sind, den schlechteren. Du aber hast den guten Wein bis jetzt aufgehoben.« (11) Dies tat Jesus als Anfang der Zeichen in Kana in Galiläa und zeigte seinen göttlichen Glanz, und seine Jünger(innen) glaubten an ihn.
Sprachlich-narratologische Analyse Diese Erzählung ist die erste im Johannesevangelium, die von einem »Zeichen« Jesu berichtet (s. Poplutz, Hinführung Johannes). Im ersten Vers setzt die Geschichte mit einer neuen Zeitangabe ein (»am dritten Tag«), die sich an eine Reihe vorhergehender Zeitangaben in Joh 1 anschließt: Setzt man die erste narrative Szene des Johannesevangelium (1,19-28) als ersten Tag an, so ergibt sich durch die mehrfach folgenden Zeitangaben eines anbrechenden »nächsten Tages« (vgl. 1,29.35.43) und den implizierten nächsten Tag in 1,40 ein Tagesschema von insgesamt sieben Tagen (der »dritte Tag« in Joh 2,1 entspricht unserem zweiten Tag, da der Ausgangstag mitgezählt wird). Schon in den ersten Worten der Erzählung lassen sich mögliche Anknüpfungspunkte für eine Deutung auf einer zweiten Ebene finden: Ist das Geschehen etwa als Verweis auf die Auferstehung (»am dritten Tag«) zu sehen oder auf die Gottesoffenbarung am Sinai (vgl. den »dritten Tag« in Ex 19,10 f.16) oder hat es sogar einen Bezug zur Genesis, wo die Ruhe Gottes nach der Schöpfung dem siebten Tag (s. o.) einen besonderen Charakter verleiht (vgl. Gen 2,2 f.)? Die Erzählung stellt gleich zu Beginn – wie dann noch an mehreren weiteren Stellen – mögliche Anknüpfungspunkte für eine symbolische Interpretation bereit, die in der Forschung in sehr unterschiedlicher Weise aufgenommen wurden (vgl. zum Zeitschema etwa die Zusammenstellung divergierender Deutungen bei Lütgehetmann 1990, 28-38). 669
Die Wundererzählungen im Johannesevangelium
Im ersten Vers der Erzählung werden auch ein neuer Handlungsort (Kana in Galiläa, wo eine Hochzeit stattfindet) sowie eine neue Figur (die Mutter Jesu) eingeführt. Erst nach der Mutter Jesu sind Jesus selbst und seine Jünger(innen) als Eingeladene erwähnt, so dass schon diese Abfolge auf eine besondere Rolle der Mutter Jesu innerhalb der Geschichte hindeutet. Zudem wird die Mutter dadurch von der Jesusgruppe narrativ abgesetzt. Wir erfahren im Folgenden nichts Näheres über die Hochzeit, konstatiert wird vielmehr im Anschluss an die beiden einleitenden Verse sofort die Mangelsituation: Der Wein ist ausgegangen – im Griechischen ein Genitivus absolutus (etwa: »bei ausgegangenem Wein«), der die Abfolge der sonstigen erzählenden Verben im Text unterbricht. Ausgerechnet die Mutter Jesu spricht ihren Sohn nun auf diesen Mangel an (»sie haben keinen Wein«), ohne ihn jedoch dabei direkt zum Einschreiten aufzufordern. Dennoch erhält sie zunächst eine abweisende Antwort von ihm: tffl ¥mo½ ka½ soffl, gÐnai; (ti emoi kai soi, gynai?, wörtlich etwa: »Was mir und dir, Frau?«, V. 4). Diese Formel drückt sehr deutlich eine Distanzierung des Sprechers von der angesprochenen Person aus: In den synoptischen Evangelien wird sie von Dämonen/unreinen Geistern gebraucht, wenn diese Jesus abwehren wollen (vgl. Mt 8,29; Mk 1,24; 5,7; Lk 4,34; 8,28). Auch die schlichte Anrede mit »Frau« statt »Mutter« oder einer namentlichen Ansprache lässt sich als Ausdruck von Distanz lesen, zudem deutet auch die anschließende Bemerkung Jesu, seine »Stunde« sei noch nicht gekommen, keinesfalls darauf hin, dass er bereit sein könnte, die Mangelsituation zu beheben. Dennoch gibt die Mutter Jesu den anwesenden Bediensteten die Anweisung, Jesu Befehlen Folge zu leisten – ohne dass der insgesamt sparsam erzählte Text hierfür eine Begründung liefert. Ihre Intentionen bleiben rätselhaft. Weder die »Mutter« noch die »Stunde« Jesu werden im Verlauf der Wundergeschichte noch einmal erwähnt, beide spielen allerdings im Verlauf des übrigen Johannesevangelium durchaus noch eine Rolle (vgl. zur »Mutter« 6,42; 19,25-27, dazu Lieu 1998; zur »Stunde« u. a. 7,30; 8,20; 12,23; 13,1; 17,1 – zumeist handelt es sich um Verweise auf die Todesstunde Jesu). Weder die Rolle der Mutter noch die Bedeutung der »Stunde« sind somit unabhängig vom Gesamt des Evangeliums allein aus Joh 2,1-11 zu erheben. Die Erzählung setzt zunächst im Anschluss an die Mutter-Episode in V. 6 mit einer Bemerkung über die steinernen Wasserkrüge erneut an, begründet wird deren Anwesenheit mit Verweis auf die jüdische Reinigungspraxis, konstatiert wird ihre Anzahl (sechs) und ihr Fassungsvermögen (zwei oder drei Metreten). Wie beim »dritten« Tag haben auch die Zahlen dieses Verses in der Forschung zu zahlreichen, z. T. weitreichenden Deutungen geführt. Festzuhalten ist zunächst, dass die Krüge umgerechnet ein Gesamtfassungsvermögen von ca. 468-702 Liter haben (eine »Metrete« sind ca. 39 Liter). In den beiden folgenden Versen gibt Jesus den Bediensteten, wie von seiner Mutter in V. 5 antizipiert, Anweisungen: Sie sollen zunächst die Wasserkrüge mit Wasser füllen und sodann aus ihnen schöpfen und dem Mahlaufseher davon bringen. In beiden Versen wird die Durchführung von Jesu Befehlen konstatiert. Die Anweisungen Jesu wirken zunächst eher eigenartig und nichts deutet bislang auf ein wunderhaftes Geschehen hin. Dieses ist dann in V. 9 quasi beiläufig erwähnt, wenn gesagt wird, dass der Mahlaufseher das »zu Wein gewordene« Wasser kostet, ohne zu wissen, woher es stammt. Die Beiläufigkeit inszeniert das Überraschungsmoment. Im Gegensatz zu den Lesenden, die an dieser Stelle des Textes auf eine wunderhafte Begebenheit schließen können, und auch im Gegensatz zu den Bediensteten, die Jesu Befehle ausgeführt hatten, ist der Mahlaufseher ahnungslos über die Vorgänge. Er ruft den zuvor nicht erwähnten Bräutigam und bringt 670
Wein im Überfluss Joh 2,1-11
seine Verwunderung über die hohe Qualität des Weins zum Ausdruck, indem er die so genannte »johanneische Weinregel« formuliert (V. 10). Der Text vermittelt eigenartigerweise das Wundergeschehen durch eine Person, die selbst keine Ahnung hat, was tatsächlich passiert ist. Wie auch sonst oft im Johannesevangelium wissen die Lesenden mehr als die Figuren der erzählten Welt, die zwar beim erzählten Geschehen anwesend sind, aber trotzdem seine Bedeutung nicht erkennen. Die Erzählung könnte an dieser Stelle eigentlich enden, zumindest haben die Lesenden nun alles erfahren, was sie wissen müssen, um das Wunder und seine Größe zu erkennen. Dennoch folgt noch ein weiterer, direkt auf die erzählte Geschichte bezogener Satz, in dem das Geschehene zunächst als »Anfang der Zeichen« und als Offenbarung der dxa (doxa, was sich etwa mit »göttlicher Glanz«, »Ehre«, Herrlichkeit« wiedergeben lässt) gedeutet wird und anschließend konstatiert wird, dass die Jünger(innen) Jesu an ihn glaubten. Es verbleiben wiederum mehrere Leerstellen im Text: Wir hören nichts von einer Reaktion des in V. 9 relativ unvermittelt eingeführten Bräutigams (eine Braut fehlt in der Geschichte völlig); wir erfahren nicht, wie die Jünger(innen) vom Gesamtgeschehen Kenntnis erhielten, und wir hören erst Recht nichts über eine Reaktion der Mutter Jesu. Auch deshalb wird bei der Auslegung der Erzählung gelegentlich noch V. 12 hinzugezogen, wo die Mutter Jesu noch einmal genannt ist. Dort heißt es: »Danach ging er hinab nach Kafarnaum, er und seine Mutter und seine Geschwister und seine Jünger(innen), und sie blieben nicht viele Tage dort«. Dieser Vers lässt sich schwerlich nur als eine Überleitung zum Folgenden ansehen, da in 2,13 ein erneuter Ortswechsel Jesu nach Jerusalem erfolgt, direkt gefolgt von der Tempelreinigungsszene. Im Gegensatz zum eindeutigen Anfang der Erzählung in 2,1 ist somit die Abgrenzung nach hinten schwierig: In Frage kommt ein Abschluss mit V. 10, 11 oder 12. Auch dies eröffnet Interpretationsspielräume, da das Ende als Zielpunkt einer Erzählung nicht unerheblich über deren primäre Aussageintention entscheidet. Zudem verweisen V. 11 f. erneut auf andere Passagen des Johannesevangelium: So entspricht etwa die Bezeichnung des Geschehenen als »Zeichen« (shme…on se¯meion) in 2,11 dem sonstigen johanneischen Sprachgebrauch und die Rede vom »Anfang der Zeichen« wird in 4,51 mit der Bemerkung wieder aufgenommen, dies sei das »zweite Zeichen« Jesu gewesen. Dieses Zeichen, nämlich die Fernheilung des Sohnes des königlichen Beamten, spielt sich wiederum zwischen »Kana in Galiläa« und Kafarnaum ab (4,46-52). Nach der Erzählung weiterer »Zeichen« im Johannesevangelium wird schließlich in einer Art vorläufigem Buchschluss in 20,30 f. gesagt, Jesus habe noch viele andere »Zeichen« vor seinen Jünger(innen) getan, die nicht in diesem Buch aufgeschrieben seien, und die Absicht des Geschriebenen sei, »dass ihr glaubt, dass Jesus der Messias (Crist@ Christos), der Sohn Gottes« sei (20,31). Unter Berücksichtigung dieses Verses legt sich die Frage nach der messianologisch-christologischen Dimension der Kanaerzählung nahe. Diese Spur verdichtet sich, wenn man die Beobachtung hinzunimmt, dass von der in 2,11 erwähnten doxa Jesu erstmalig in 1,14 die Rede ist, einem Schlüsselvers des Prologs, in dem es heißt, »wir« hätten »seine doxa« gesehen (1,14). Schon ein erster Durchgang durch Joh 2,1-11 ergibt somit zahlreiche Verbindungslinien zum gesamten Evangelium sowie eine Reihe von Leerstellen, Transfersignalen auf eine symbolische Ebene und offen bleibenden Fragen, deren jeweilige Berücksichtigung erheblichen Einfluss auf die Interpretation des Textes hat. Gerade durch die knappe, partiell sogar reduziert wirkende Erzählform ergeben sich große Deutungsspielräume. 671
Die Wundererzählungen im Johannesevangelium
Sozial- und realgeschichtlicher Kontext Mit dem im Neuen Testament ausschließlich in Joh 2,1.11; 4,46; 21,2 erwähnten Kana in Galiläa dürfte der ca. 14 km nördlich von Nazaret gelegene Ort Khirbet Qana gemeint sein (Theobald 2009, 210; zu archäologischen Funden: Richardson 2006), der auch bei Josephus genannt wird (Flav. Jos. vit. 86). Die dort lokalisierte Hochzeit spielt eher »in einem gehobenen Sozialmilieu« (Theißen 1985, 490; vgl. Hengel 2007, 591 f.). Dazu passt auch der »Mahlaufseher« oder »Speisemeister«, griechisch ⁄rcitrfflklino@ (architriklinos), ein selten benutztes Wort, das in der biblischen Überlieferung ausschließlich hier begegnet (sonst nur noch bei Hel. Aeth. 7.2711). Es handelt sich um eine Vertrauensperson des Gastgebers, die den reibungslosen Ablauf eines Mahls oder Symposions garantieren sollte – eine Aufgabe, die häufig von Freigelassenen wahrgenommen wurde (Busse 2002, 278-280). Die von diesem Architriklinos geäußerte so genannte johanneische »Weinregel« (V. 10) ist sonst nicht belegt und wohl »weniger dem Brauch von Weinkennern als vielmehr der Praxis unseriöser Kneipenwirte abgelauscht« (Thyen 2005, 159). In das Bild einer Hochzeit in gehobenem Kontext fügt sich auch die Anwesenheit der großen steinernen Wasserkrüge ein. Archäologische Funde (meist von Fragmenten) kleinerer Steingefäße gibt es an vielen Orten Palästinas, solche von größeren Gefäßen sind jedoch selten. Die Herstellung großer Steingefäße bedurfte einiger handwerklicher Fähigkeit unter Verwendung von großen Steindrehscheiben, so dass es sich um teure Gegenstände handelte, die primär an Orten mit gehobenem Lebensstil (z. B. in Sepphoris und der Oberstadt von Jerusalem) gefunden wurden (Reed 2007). Die Verbindung von Steingefäßen mit der Reinigung beruht darauf, dass Gefäße aus Stein im Gegensatz zu Keramikgefäßen als nicht verunreinigbar galten. Wenn etwa ein Aas (so z. B. eine an Vorräten interessierte Maus, die ihre Neugier nicht überlebt hatte) in einem Keramikgefäß gefunden wurde, galt dieses als unrein und musste zerschlagen werden (vgl. Lev 11,33). Konsequenzen und Einzelauslegungen dieser Vorschrift werden in der rabbinischen Literatur detailfreudig diskutiert (Beispiele bei Deines 1993). Vor dem Hintergrund solcher Reinheitsvorschriften lassen sich die zahlreichen Funde von Bechern, Schüsseln, Tellern, Kännchen, Krügen, Dosen, Vasen, Schalen etc. aus weichem Kalkstein im gesamten Gebiet Palästinas erklären (Deines 1993, 39-60). Interessanterweise stammen diese Fundstücke fast ausschließlich aus der Zeit zwischen der Mitte des 1. Jh. v. Chr. und 70 n. Chr., aus späterer Zeit (d. h. nach der Tempelzerstörung 70 n. Chr.), gibt es kaum Entsprechendes. Vermutlich dokumentieren die Funde die Popularität einer volkstümlichen pharisäischen Frömmigkeit, die u. a. das Streben nach einer umfassenden Reinheit auch im Alltag zum Gegenstand hatte (so Deines 1993, 278-284). Zumindest liegen der Kanaerzählung Kenntnisse aus dem Palästina der Zeit vor 70 n. Chr. zugrunde (vgl. Reed 2007, 399), was schon allein deshalb bemerkenswert ist, weil das Johannesevangelium laut Mehrheitsmeinung deutlich später und nicht in Palästina verfasst wurde. Die beschriebene Größe der johanneischen Steingefäße entspricht ungefähr der der größten gefundenen Gefäße. Die in Joh 2,6 genannten Zahlen (sechs Gefäße von je zwei oder drei Metreten, d. h. je etwa 80-120 Litern Fassungsvermögen) lassen sich also einfach als realistische Angaben verstehen. Möglich ist jedoch auch eine weiterreichende Interpretation, basierend auf der Bedeutung, die diesen Zahlen zugeschrieben wurde. Philo von Alexandrien schreibt zu den in Joh 2,6 genannten Zahlen: 672
Wein im Überfluss Joh 2,1-11
Zur Ordnung aber gehört die Zahl, und von den Zahlen ist nach Gesetzen der Natur die für die Schöpfung passendste die Sechs. Wenn man nämlich von der Eins an zählt, ist sie die erste vollkommene Zahl, da sie ihren Teilen gleich und aus ihnen zusammengesetzt ist, nämlich aus der Drei als der Hälfte, der zwei als dem 3. Teil und der Eins als dem 6. Teil, zugleich ist sie, sozusagen, sowohl männlich als auch weiblich und durch die Kraft der Vermischung beider Prinzipien zusammengesetzt; männlich ist nämlich in der Natur das Ungerade, das Gerade dagegen weiblich; von den ungeraden Zahlen ist nun die erste die 3, von den geraden die 2, und das Produkt beider ist die 6. Denn es musste die Welt als das vollkommenste der gewordenen Dinge nach einer vollkommenen Zahl, der Sechs, geschaffen werden, und da sie die aus der Paarung entstehenden Geschöpfe enthalten sollte, so musste sie auch selbst nach einer gemischten Zahl, der ersten geraden-ungeraden, gebildet werden, weil sie sowohl die Idee des den Samen spendenden Männlichen als die Idee des Samen empfangenden Weiblichen umfassen sollte (Philo opif. 13 f.; Übers. Cohn/Wendland 1962/63, Philo 1,31).
Im Anschluss an die Ausführungen Philos lässt sich überlegen, ob die Zahlen in Joh 2,6 etwa auch der Tatsache geschuldet sein könnten, dass es sich um eine Hochzeitserzählung handelt – oder ob hier die Gefahr einer allegorischen Überinterpretation lauert. Angesichts der philonischen Ausführungen scheint jedoch die in der Sekundärliteratur geäußerte Meinung, die Sechs sei im Gegensatz zur Sieben eine unvollkommene Zahl (vgl. z. B. Barrett 1978, 191, der einen siebten, von Jesus zu erschaffenden Krug vermisst), zu kurz zu greifen. Damit sind aber auch jene Deutungen problematisch, die die Erzählung als Ablösung, Ersetzung oder Überbietung der jüdischen Reinheitsvorschriften oder sogar des Judentums insgesamt interpretieren (so z. B. Wilckens 1998, 58; Schnelle 2004, 71; dagegen Wengst 2004, 106 f.). Geschildert wird vielmehr eine jüdische Hochzeit mit jüdischen Beteiligten in einem jüdischen Haus zur Zeit des zweiten Tempels, in der das Vorhandensein von Steingefäßen zu Reinigungszwecken (zu denken ist v. a. an das Waschen der Hände), wenig überraschen kann. Auch die Tatsache, dass diese Gefäße nicht (vollständig) gefüllt waren, ist nicht notwendigerweise ein Verweis auf die »Leere« der jüdischen Reinigungsvorschriften, weil in der Logik der erzählten Geschichte die Hochzeit zu dem Zeitpunkt, als der Wein ausgeht, schon angefangen und eine Zeit lang angedauert haben dürfte. Jüdische Hochzeitsfeiern dauerten, wie die Sekundärliteratur übereinstimmend feststellt, üblicherweise nicht nur einen Tag, sondern eine Woche (zu den Einzelheiten vgl. Zimmermann 2001, 230-258), in Tob 8,19 f. ist sogar von 14 Tagen die Rede.
Traditions- und religionsgeschichtlicher Hintergrund Zahlreiche ältere und neuere Auslegungen von Joh 2,1-11(12) gehen davon aus, dass in der Kanaerzählung älteres Material verarbeitet wurde (z. B. Bultmann 1986; Becker 1991; Theobald 2009). Wer sich anders entscheidet, tut dies zumeist nicht aufgrund von Einzelbeobachtungen zu Joh 2,1-12, sondern aus prinzipiellen Überlegungen zur Gesamtauslegung des Evangeliums (z. B. Welck 1994; Wengst 2004; Thyen 2005). Indizien für eine Textgeschichte sind z. B. die oben erwähnten sukzessiven Schlüsse mit den wechselnden genannten Figuren (Mutter/Geschwister/Jünger[innen], hier gibt es auch erhebliche textkritische Probleme) sowie die Ansätze einer Zählung der semeia (vgl. 2,11; 4,54) und de673
Die Wundererzählungen im Johannesevangelium
ren divergierende Bewertung an verschiedenen Stellen des Evangeliums, die zur Annahme einer so genannten »Semeiaquelle« geführt haben (Poplutz, Hinführung Johannes). Trotz des z. T. spekulativen Charakters bestimmter traditionsgeschichtlicher Zuordnungen spricht einiges für die Annahme, Joh 2,1-12 liege traditionelles Material zugrunde. Neben den genannten literarkritischen Indizien sind z. B. auch Lokalkoloritzüge aus der Zeit vor 70 n. Chr. zu bedenken (s. o. zu den Wasserkrügen). Auch bei der Frage nach dem religionsgeschichtlichen Hintergrund der Kanaerzählung gibt es keinen Konsens in der Forschung. Kontrovers diskutiert wird die Übernahme von Motivik aus dem Dionysoskult oder ein ausschließlich jüdischer Hintergrund. Zunächst zu Letzterem: Weinfülle ist ein Zeichen der messianischen Heilszeit, vgl. Jes 25,6; Jer 31,5; Joel 4,18; Am 9,13 (»die Berge triefen vom Saft der Trauben und alle Hügel fließen über davon«); 1Hen 10,19. In der syrischen Baruchapokalypse wird die messianische Zeit folgendermaßen beschrieben: Auch wird die Erde ihre Frucht zehntausendfältig bringen. An einem Weinstock werden tausend Reben sein und eine Rebe trägt tausend Trauben und eine Traube dann tausend Beeren, und eine Beere gibt ein Kor voll Wein. Und die, die dann Hunger litten, sollen fröhlich sein und (sollen) weiter (dann) an jenem Tage neue Wunder sehen. […] Es wird zu jener Zeit geschehen, dass aus der Höhe Mannaschätze wiederum herniederkommen; sie werden zehren dann davon in jenen Jahren, weil sie es sind, die ans Ende der Zeiten gekommen sind (3Bar 29,5 f.8; Übers. Klijn 1976, 141 f.; vgl. auch die Parallelüberlieferung bei Iren. haer. 5,33,3 [Papiasfragment], wo nahezu dieselbe Überlieferung auf den Presbyter/Jesusjünger Johannes zurückgeführt wird, der in der frühen Kirche als Autor des Johannesevangeliums galt).
Wein im Überfluss ist mithin, ebenso wie die erneuten »Mannavorräte von oben« (vgl. das »Brot vom Himmel« in Joh 6,32-58), ein Kennzeichen der messianischen Heilszeit. Zweifellos erhellen die genannten Texte die Konnotationen der Weingabe in Joh 2,1-11: Der Wein »ist in seiner Güte und Fülle die eschatologische Spende des Messias« (Schnackenburg 1965, 341). Festzuhalten bleibt allerdings auch, dass die genannten jüdischen Texte von einer Steigerung der Fruchtbarkeit des Landes erzählen, nicht jedoch von einer wunderbaren Verwandlung von Substanzen. Die in der Forschung gelegentlich angenommene Verknüpfung der Kanageschichte mit Passagen der Exoduserzählung (so der Verwandlung von Wasser in Blut, vgl. Ex 4,9; 7,17-25, und der Gabe von Wasser in der Wüste, vgl. Ex 15,23-25; 17,1-6; Num 20,2-11), scheitert letztlich an den vollkommen anderen Intentionen der Verwandlung bzw. Gabe und dem vollständigen Mangel an Wein in den entsprechenden Texten. Auf die messianische Heilszeit verweist auch das Setting der Hochzeit in Joh 2 (vgl. die Kombination von Wein- und Hochzeitsmetaphorik in Joel 1,5.7 f.; 2,16.19; Hos 2,14.16 f.; dazu Zimmermann 2004, 207). Durch die Hochzeit als Metapher der endzeitlichen Heilszeit erscheint Jesus als »messianischer Bräutigam«, der für die Fülle des Weins sorgt (vgl. Gen 49,10-12; Am 9,11-14; Zimmermann 2000; McWirther 2006, 49). Alternativ (oder auch zusätzlich) lässt sich die Gabe von Wein im Überfluss auf dem Hintergrund des Dionysoskultes verstehen (so u. a. Bauer 1933, 47; Bultmann 1986, 83; Theobald 2009, 203-208). Von Dionysos, Sohn des Zeus und Gott des Weines, wird nämlich tatsächlich berichtet, dass er in wunderbarer Weise große Weinmengen zur Verfügung stellt. So schreibt etwa Pausanias: 674
Wein im Überfluss Joh 2,1-11
Von den Göttern verehren die Eleer Dionysos besonders und sagen, der Gott besuche sie am Fest der Thyen. Der Platz, wo sie das Thyia genannte Fest feiern, ist gegen acht Stadien von der Stadt entfernt. Die Priester bringen drei Kessel in ein Gebäude und stellen sie leer hin im Beisein der Bürger und Fremder, wenn gerade welche anwesend sind; dann bringen die Priester selbst, und wer von den übrigen Lust hat, ihre Siegel an den Türen des Gebäudes an. Am folgenden Tage können sie die Siegel prüfen, gehen in das Gebäude hinein und finden die Kessel mit Wein gefüllt. Die angesehensten Leute von den Eleern und mit ihnen auch Fremde schwuren mir, dass sich das wie berichtet verhalte, da ich selber nicht zur Festzeit gekommen war. Auch die Andrier erzählen, dass bei ihnen jedes zweite Jahr beim Dionysosfest Wein von selber aus dem Heiligtum fließe (Paus. 6,26,1 f.; Übers. Meyer 1979, 344).
Pausanias gehört ins 2. Jh. n. Chr., doch Belege für Dionysos als Erfinder und Spender des Weins gibt es schon sehr viel früher (vgl. z. B. Eurip. Ba. 278-285; entstanden um 400 v. Chr.), und auch das am Ende des Textes bezeugte Wunder von Andros wird schon im 1. Jh. n. Chr. bei Plinius dem Älteren erwähnt (nat. 2,231; weitere Quellen bei Theobald 2009, 203 f.; Lütgehetmann 1990, 225-227.261-272). Zeitlich ist damit die Entstehungszeit des Johannesevangeliums abgedeckt, es ist jedoch fraglich, ob auch eine lokale Verbindung besteht: Die oben erwähnten Orte liegen nämlich in Griechenland (Elis ist eine Gegend im Westen der Peloponnes, Andros eine Kykladeninsel) und nicht in Palästina. Es gibt nun aber tatsächlich Belege für die Bekanntheit des Dionysos sogar im galiläischen Umfeld: In Sepphoris (ca. 8 km von Kana entfernt) hat sich im Triklinum (im Speiseraum) eines großen römischen Wohnhauses ein mehrszeniges Dionysosmosaik gefunden, auf dem u. a. ein Wetttrinken und eine Hochzeitsszene dargestellt sind (vgl. Eisele 2009). Dieses Mosaik lässt sich um 200 n. Chr. datieren, aber schon aus dem 1. Jh. v. Chr. und dem 1. Jh. n. Chr. sind eine Reihe von Münzen mit Dionysosdarstellungen bekannt, gefunden in Nysa-Scythopolis (zur Dekapolis gehörig, aber auf der Westseite des Jordan südlich von Galiläa liegend). Zur selben Zeit finden sich auch Belege, dass der Stadtname »Nysa« mit der gleichnamigen Amme des Dionysos in Verbindung gebracht wurde (vgl. Eisele 2009, 14-23). In der Kaiserzeit war der Dionysoskult überregional so populär, dass man durchaus von Kenntnissen bei den hinter dem Johannesevangelium stehenden Kreisen und seinen frühen Rezipient(innen) ausgehen kann. Die Übernahme von Dionysosmotiven in der Kanaerzählung und ihre Applikation auf den johanneischen Jesus lässt sich vor dem beschriebenen Hintergrund als Ausdruck einer Art werbender Konkurrenz sehen: Jesu Handeln wird in den Kategorien eines anderen Wein- und Heilsbringers dargestellt: Was bei Dionysos gesucht wird, kann auch bei dem Jesus des Johannesevangeliums gefunden werden! Die angenommene Verbindung mit Dionysos ist dabei nicht als Alternative zum jüdischen Hintergrund der Geschichte zu sehen (vgl. Hengel 2007, 599 f.). Vielmehr bietet das Johannesevangelium, wie auch sonst häufig, einen vielfältigen Weg zu dem ins Zentrum gestellten Christus an, der die jeweiligen Rezipierenden potentiell von einem unterschiedlichen religiösen Hintergrund ausgehend »abholen« kann (vgl. Petersen 2008, 315 u. ö.). Zusätzlich zu den bisher beleuchteten Traditionshintergründen der Geschichte lässt sich noch eine weitere Verbindungslinie ziehen, nämlich die zum historischen Jesus, der nach Ausweis der synoptischen Evangelien von gegnerischen Gruppen als »Fresser und Weinsäufer« tituliert wurde (Q 7,34), und von sich selbst beim letzten Mal mit sei675
Die Wundererzählungen im Johannesevangelium
nen Anhänger(innen) sagt, dass er im Reich Gottes wieder vom »Gewächs des Weinstocks« trinken werde (Mk 14,25 par.). Auch nach Ausweis narrativer Passagen gehörten gemeinsame (Fest-)Mahlzeiten (sicher inklusive Wein) mit Menschen aus unterschiedlichen sozialen Schichten zur Praxis Jesu (vgl. Lk 5,29 f. u. ö.). Und schließlich redet der synoptische Jesus auch metaphorisch von Wein (vgl. Lk 5,37-39 u. ö.) und Weinbergen (vgl. Mt 20,1-16), ebenso wie der johanneische Jesus von einem Weinstock (vgl. Joh 15,1-8; dazu Petersen 2008, 286-313). Insgesamt lässt sich in Bezug auf die Weinaffinität der Kanaerzählung feststellen, das Bild Jesu sei »authentisch in dem Sinn, dass das Lebensgefühl der Gruppe um Jesus darin ungebrochen wiederkehrt« (Siegert 2008, 249).
Verstehensangebote und Deutungshorizonte Die formgeschichtliche Einordnung des Textes divergiert: Vorgeschlagen werden Kategorisierungen wie »Ausnahmewunder«, »Wandlungswunder«, »Naturwunder«, »Allmachtswunder«, »Geschenkwunder« (so Theißen 1998, 111-114; vgl. insgesamt Lütgehetmann 1990, 123-133). Die relativ häufige Bezeichnung als »Luxuswunder« kann auch mit kritischen Untertönen einhergehen: »Das ›Luxuswunder‹ wird richtig nur beurteilt, wenn man […] allen Nachdruck auf das Wunder als Beweis für die Göttlichkeit des Täters legt, ohne sich auszumalen, welche Wirkung das Vorgehen Jesu auf die Hochzeitsgesellschaft, die sich auf einmal mit neuem Trinkstoff versehen sieht, haben muß« (Bauer 1933, 46). Auch sonst fürchtet man angesichts der bereitgestellten Weinmenge um die Nüchternheit der Hochzeitsgäste (vgl. die kritischen Stimmen bei Hengel 2007, 569 f.). Bauer meldet zudem »schwere Bedenken« gegen die Logik der Erzählung an und folgert: »Aber die aufgeführten Eigentümlichkeiten leiten uns an, hinter den Worten mehr zu suchen, als sie zunächst zu sagen scheinen« (Bauer 1933, 46). Diese Äußerung Bauers ist in gewisser Weise symptomatisch für viele Auslegungen von Joh 2,1-11: Symbolische und allegorische Deutungen gibt es bei dieser Geschichte durchgehend auch in der neuzeitlichen Exegese, wenn auch in einer im Vergleich mit den Kirchenvätern (s. u.) gemilderten Form. Die Erzählung selbst enthält Transfersignale, d. h. Hinweise auf Verstehensebenen jenseits eines einfachen Berichts (die Zahlen, den Verweis auf die »Stunde« Jesu, den nicht alltäglichen Dialog zwischen Mutter und Sohn, den »Überfluss« des Wunders). Allerdings stellt sich die Frage, wie diese Hinweise auszuwerten sind, da die genannten Signale nicht eindeutig sind. Entsprechend gibt es in der Fülle der Sekundärliteratur sehr divergierende symbolische Deutungen, in denen je Unterschiedliches im Zentrum steht. Im Folgenden stelle ich einige der überzeugenderen Deutungsansätze und -aspekte kurz vor. Bultmann klassifiziert die Erzählung als »Epiphaniewunder«. Er rechnet sie der von ihm angenommenen Semeiaquelle zu und geht davon aus, dass in ihr ein »typisches Motiv der Dionysos-Legende« übernommen worden sei (Bultmann 1986, 83). Für den Evangelisten erschöpfe sich jedoch »der Sinn der Geschichte nicht in dem wunderbaren Ereignis, dieses, bzw. die Erzählung, ist für ihn Symbol dessen, was sich im ganzen Wirken Jesu ereignet« (ebd.). Es geht um die Offenbarung der doxa Jesu, was im Sinne des Evangelisten nicht einfach die Macht des Wundertäters meine, sondern »die Göttlichkeit Jesu als des Offenbarers« (ebd.). Bultmann erklärt dann von diesem Grundverständnis aus auch einzelne Züge der Erzählung: Der Wein ist »Jesu Gabe als Ganze«, das Wasser 676
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bildet all das ab, was »ein Surrogat der Offenbarung ist, alles, wovon der Mensch meint leben zu können und doch nicht leben kann« (a. a. O., 84). Die Stunde liest Bultmann als Verweis auf die Todesstunde/Verherrlichung Jesu. Jesus weist die Aufforderung zum Wunder zunächst ab, die Geschichte lehrt also, dass das Geschehen der Offenbarung »unabhängig von menschlichen Wünschen« sei und nicht durch menschliche Bitten erzwungen werde, »es ereignet sich dann und so, wie Gott will, übertrifft dann aber alles menschliche Erwarten« (a. a. O., 85). In Absetzung von der literarkritischen Zugangsweise Bultmanns und anderer liest Welck (Welck 1994) die johanneischen Wundergeschichten als Bestandteile des gesamten Johannesevangeliums in seinem theologischen und literarischen Zusammenhang. Er findet in ihnen ein »doppeltes Darstellungsinteresse« mit einer »vordergründig-dramatischen« und einer »hintergründig-heilsdramatischen Dimension« (Welck 1994, 132 f.). In der ersten Dimension zeige Joh 2,1-11 Jesus als Wundertäter, »dessen erste öffentliche Tat ein eindrucksvolles Mirakel« darstelle. Die zweite Dimension gehe darüber hinaus, indem mit der Leseanweisung in V. 11 klar werde, dass es hier um die Offenbarung der doxa Jesu geht; der »dritte Tag« und die »Stunde« verweisen letztlich auf die »Erlösungstat Jesu am Kreuz«, in deren Licht das Weinwunder verstanden werden wolle (a. a. O., 136 f.). Zudem findet Welck messianisch-eschatologische Anspielungen im siebten Tag des Wochenschemas (diesen liest er als Verweis auf die eschatologische Vollendung des Schöpfungswerkes) und in dem Hochzeitsmotiv als »lebendiges Bild für den Anbruch der messianischen Zeit« (a. a. O., 138). Auch Scott liest den »dritten Tag« nicht als einfache Zeitangabe, sondern als Verweis auf den Tag der Auferstehung, an dem die doxa Jesu offenbart wird (Scott 1992, 176 f.). Die »Stunde« verweist auf die Stunde der Erhöhung, der Wein, der in der Wundergeschichte gegeben wird, ist ein Zeichen des zukünftig frei Verfügbaren, wenn die »Stunde« letztlich kommt (a. a. O., 181). Nach Scotts Auslegung steht hinter der johanneischen Jesusdarstellung die Gestalt der Sophia, die ebenfalls Wein zur Verfügung stellt (vgl. Spr 9,5; Sir 24,21; Scott 1992, 178 f.). Auch wenn die kurz vorgestellten Auslegungen in ihrer Schwerpunktsetzung differieren, sind sie sich doch darin einig, dass in der Kanaerzählung übergreifende Züge des Wirkens Jesu in konzentrierter Form, sozusagen paradigmatisch, schon zu Beginn seiner Wirksamkeit dargestellt werden: Mithin ist hier gleichsam eine Verdichtung des Gesamtevangeliums zu finden. Eine Vielzahl von Exegesen widmet sich auch der Rolle der Mutter Jesu, deren Name im Evangelium nie genannt wird. Dabei schwankt die Beschreibung ihrer Person zwischen verständig-konspirativ und ahnungslos-ungläubig. Nach Scott weiß Maria schon vor dem Wunder um die Besonderheit Jesu (während die Jünger[innen] erst danach zum Glauben kommen), sie ist ein »model of true discipleship« (Scott 1992, 181). Der johanneische Jesus weist lediglich familiäre Bindungen als für sich nicht handlungsrelevant zurück, es ist keine prinzipielle Zurückweisung Marias intendiert. Die Art der johanneischen Mariendarstellung ist von einem auch sonst vorhandenen Motiv johanneischen Figurenkonstellationen geprägt: Die Mutter Jesu ist eine Verbindungs- und Vermittlungsfigur zwischen Jesus und anderen. Sie ist diejenige, die primär eingeladen ist, und sie redet mit den Bediensteten, die daraufhin Jesu Anweisungen Folge leisten (vgl. Hartenstein 2007, 269-273.281 f.). Darüber hinaus scheint ihre Rolle ambivalent deutbar. So findet Schnackenburg in der Geschichte ein eher freundliches Marienbild: »Maria 677
Die Wundererzählungen im Johannesevangelium
hat herausgehört, daß Jesus etwas vorhat, mag ihr auch die Antwort geheimnisvoll bleiben. In unaufdringlicher Weise will sie das Tun ihres Sohnes unterstützen – ein feiner Zug, der zum biblischen Marienbild paßt« (Schnackenburg 1965, 336). Auf der anderen Seite kann betont werden, dass Maria eben gerade nicht zum Glauben kommt (vgl. ihre Abwesenheit in 2,11; Becker 2001, 206), dass ihr Sohn sich deutlich von ihr distanziert und ihre Bitte (wenn man denn V. 3 als ein solche liest) zurückgewiesen wird. Fehribach (1998) sieht Maria in der aus alttestamentlichen Erzählungen bekannten Rolle »mother of an important son«: Sie tritt aus der Erzählung ab, nachdem sie ihre Rolle erfüllt hat, nämlich ihren »bedeutenden Sohn« zum Handeln zu bewegen. Sie agiert in einer »weiblichen« Art, indem sie ihre Bitte indirekt formuliert (»sie haben keinen Wein«), womit sie gleichzeitig Jesus die Verantwortung zuschreibt und ihn damit in die Rolle des eigentlich verantwortlichen Bräutigams platziert. Jesu Antwort ist eine Zurückweisung; sie funktioniert auf einer anderen Erzählebene als der normal-weltlichen. Als Jesus dann doch den Wein bereitstellt, übernimmt er die Rolle des »messianischen Bräutigams« auf der Hochzeit (Fehribach 1998, 29 f.). Da die Lesenden hier zum ersten Mal dem Verweis auf die »Stunde« begegnen, ist zunächst auf der Alltagsebene eine Lesart im Sinne von: »Die Stunde meiner Hochzeit ist noch nicht gekommen« für die Lesenden wie für Maria naheliegend, die Deutung auf der höheren Ebene (Stunde des Todes und der Erhöhung) erschließt sich erst bei der Gesamtlektüre des Johannesevangeliums (a. a. O., 30-32). Beim Weiterlesen bestätigt sich dann auch die Rolle Jesu als Bräutigam, da wenig später der Täufer Jesus als »Bräutigam« und sich selbst als »Freund des Bräutigams« bezeichnet (Joh 3,29). Eine Verbindung der Kanaerzählung mit der Aussage des Täufers ist schon lange vor der neuzeitlichen Exegese angenommen worden, die Sicht Jesu als »Bräutigam« führt jedoch notwendigerweise zu der Frage, wen er hier eigentlich geheiratet haben könnte (s. u. den nächsten Abschnitt). Dass auch diese Frage sehr unterschiedlich beantwortet worden ist, kann kaum noch überraschen. Festzuhalten bleibt, dass die reduzierte Erzählform der Geschichte mit gleichzeitigen Verweisen auf eine »höhere« Lektüreebene in der Auslegung dazu geführt hat und führt, dass die Deutungen insgesamt abhängig vom jeweiligen Gesamtverständnis des Johannesevangeliums sind. Dieses Gesamtverständnis prägt dann auch durchgehend die Einzelauslegung von Joh 2,1-11.
Aspekte der Parallelüberlieferung und Wirkungsgeschichte Zu Joh 2,1-11 gibt es keine synoptischen Parallelen. Schwierigkeiten bereiteten schon frühen Interpretationen die chronologischen Widersprüche für die Zeit nach Jesu Taufe zwischen den synoptischen Evangelien einerseits und dem Johannesevangelium andererseits (Wüstenaufenthalt und Versuchung Jesu sowie die Festnahme des Täufers passen nicht in die johanneische Chronologie). Origenes nimmt diese Probleme zum Anlass, in seinem Johanneskommentar auf die Notwendigkeit einer geistigen Deutung hinzuweisen, da sich die Diskrepanzen nicht auf dem Wege von normalen Berechnungen lösen lassen, die Wahrheit des Textes somit nicht in den historischen Ereignissen liegen kann (Or. comm. in Matt. 10,3-5; vgl. Gögler 1959, 209-214; Smitmans 1966, 65-67.76). Das Fassungsvermögen der Krüge (zwei oder drei Metreten) dient Origenes auch als Verweis auf die Mehrzahl möglicher Schriftsinne: Einige Texte enthalten zwei Maß, d. h. einen 678
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seelischen und einen geistigen Sinn, andere Schriftstellen drei Maß, d. h. noch zusätzlich einen leiblichen Sinn (Or. princ. 4,2,5). In vielen Kirchenväterauslegungen dominiert eine geistige/allegorische Deutung, die weit über das neuzeitlich Übliche hinausgeht. So versteht etwa Augustin die sechs Krüge als Verweis auf die sechs Weltzeitalter und die drei Metreten legt er trinitarisch aus. S. E. besucht Christus die Hochzeit, um die Heiligkeit der Ehe zu bestätigen, wobei auch die Jungfräulichen verheiratet sind, da sie zur Kirche gehören, deren Bräutigam Christus ist (Aug. Joh. tract. 9, vgl. Smitmans 1966, 131-133). Tertullian argumentiert gegen eine zweite Heirat und für die Einmaligkeit der Ehe damit, dass Christus nur einmal eine Hochzeit besucht habe: »Denn so oft wollte er sie mitfeiern, als er wollte, daß sie sein soll« (Tert. mon. 8,7; Smitmans 1966, 195). Im 4. Jh. setzt dann eine eucharistische Deutung der Kanaerzählung ein. So kann z. B. Cyprian mit Joh 2 gegen eine abweichende Gruppe argumentieren, die bei der Eucharistie Wasser verwendet: Man solle nicht aus Wein Wasser machen, da Christus bei der Hochzeit aus Wasser Wein gemacht habe (Cyp. ep. 63). Jesu Teilnahme an einer Hochzeitsfeier wird neben der Heiligung der Ehe auch als Zeichen seiner Menschwerdung gedeutet: »Der es nicht als unwürdig ablehnte, Knechtsgestalt anzunehmen, lehnte es noch weit weniger ab, zur Hochzeit der Knechte zu kommen. Der mit Zöllnern und Sündern zu Tisch lag, weigerte sich erst recht nicht, sich unter den beim Hochzeitsfest Anwesenden niederzulassen« (Chrys. hom. 21,1; vgl. Smitmans 1966, 90). Häufiger findet sich bei den Kirchenvätern eine Deutung der Erzählung, die diese als Offenbarung der Gottheit Jesu versteht. In diesen Kontext ist wohl auch die Verbindung der Kanaperikope mit dem Epiphaniefest am 6. Januar einzuordnen, deren Ursprünge allerdings im Dunkeln liegen (vgl. Smitmans 1966, 153-186). Die Einschätzung des Dialogs mit Maria variiert bei den Kirchenvätern, ist jedoch insgesamt mariakritischer als in der neuzeitlichen Exegese. So kann Epiphanius gegen Gruppen, die eine s. E. übertriebene Marienverehrung praktizieren, mit der Zurückweisung Marias durch Jesus in Joh 2,4 argumentieren: Deshalb heißt es: »Frau, was habe ich mit dir zu tun.« Damit niemand glaube, die heilige Jungfrau sei etwas allzu Überragendes, hat er sie »Frau« genannt – voraussehend, dass es Spaltungen in der Welt geben würde und um der Irrlehrer willen –, damit nicht einige, die die Heilige im Übermaß bewundern, das windige Geschwätz der Häresie annehmen (Epiph. pan. 79,4,7; vgl. Smitmans 1966, 106).
In der Verwendung von solchen »Textschnipseln« bei Streitigkeiten der jeweiligen Zeit zeigt sich, wie Argumente gesucht und gefunden wurden, unabhängig von Intention und Ursprungskontext des Ausgangstextes. Die Hochzeit von Kana hat auch kunstgeschichtlich eine breite Wirkungsgeschichte entfaltet (zum Folgenden vgl. Nilgen 1970). Zunächst dominieren knappe Darstellungen, in denen etwa Christus mit einem Stab die Krüge berührt; ab dem 4. Jh. setzt im Zusammenhang mit Darstellungen der Brotvermehrung eine eucharistische Symbolisierung ein. Im 5./6. Jh. gibt es Erweiterungen der Szene durch die Bediensteten und Maria, im Mittelalter wird die Bildlichkeit breiter erzählend und auch mehrphasig, allerdings gibt es auch einfache Mahldarstellungen in Analogie zur Abendmahlsszene und/oder als Darstellungen der Hochzeit Christi mit der Kirche. Eine neue Variante der Mahlszene schafft Giotto (1305, Arenakapelle in Padua) mit winkelförmigem Tisch (so auch bei Hieronymus Bosch um 1475, Rotterdam), dort ebenfalls mit eucharistischem Bezug. Seit 679
Die Wundererzählungen im Johannesevangelium
dem späten Mittelalter werden die Szenen opulenter, insbesondere in der Renaissance gibt es überbordende Festmähler (Tintoretto 1563, Santa Maria della Salute, Venedig) in architektonisch interessanter Umgebung. Eins der größten jemals auf Leinwand geschaffenen Bilder ist das Gemälde Veroneses (9,90 6,69 m; 1563, für San Giorgio Maggiore, Venedig, heute im Louvre). Während in der älteren Wirkungsgeschichte Christus als »Bräutigam« wahlweise die Kirche, die Menschheit oder auch Einzelseelen heiratet (vgl. die Belege bei Smitmans 1966, 207-217), setzt im 20. Jh. eine Spekulation anderer Art ein: Nun gibt es in populären, oftmals verschwörungstheoretisch geprägten Deutungen die Theorie, die Hochzeit zu Kana sei Jesu eigene Hochzeit gewesen, auf der er Maria Magdalena geheiratet habe. Treibendes Moment solcher Theorie ist der Erweis der wahren Menschlichkeit Jesu, die es nötig macht, ihn auch mit eigenen Erfahrungen von Hochzeit, gelebter Sexualität (und gelegentlich auch Vaterschaft) zu versehen (vgl. Petersen 2011, 244-255). Wie auch oftmals in der Kirchenväterexegese wird die Kanaerzählung nicht aus in ihrem eigenen Kontext heraus verstanden, sondern einer ihrer Aspekte für eine Argumentation in anderer Sache dienstbar gemacht. Insgesamt sollte die Vielfalt der Auslegungen gerade von Joh 2,1-11 zu exegetischer Vorsicht mahnen.
Silke Petersen Literatur zum Weiterlesen I. Broer, Das Weinwunder zu Kana (Joh 2,1-11) und die Weinwunder der Antike, in: U. Mell/ U. B. Müller (Hg.), Das Urchristentum in seiner literarischen Geschichte, FS J. Becker, Berlin/New York 1999, 291-308. R. Deines, Jüdische Steingefäße und pharisäische Frömmigkeit. Ein archäologisch-historischer Beitrag zum Verständnis von Joh 2,6 und der jüdischen Reinheitshalacha zur Zeit Jesu, WUNT 2/52, Tübingen 1993. W. Eisele, Jesus und Dionysos. Göttliche Konkurrenz bei der Hochzeit zu Kana (Joh 2,1-11), ZNW 100 (2009), 1-28. A. Fehribach, The Women in the Life of the Bridegroom. A Feminist Historical-Literary Analysis of the Female Characters in the Fourth Gospel, Collegeville 1998. S. S. Kim, The significance of Jesus’ first sign-miracle in John, BS 167 (2010), 201-215. J. Lieu, The Mother of the Son in the Fourth Gospel, JBL 117 (1998), 61-77. W. Lütgehetmann, Die Hochzeit von Kana (Joh 2,1-11). Zu Ursprung und Deutung einer Wundererzählung im Rahmen johanneischer Redaktionsgeschichte, BU 20, Regensburg 1990. J. McWirther, The Bridegroom Messiah and the People of God. Marriage in the Fourth Gospel, SNTS.MS 138, Cambridge 2006, 47-50. T. Nicklas, Die Hochzeit zu Kana (Joh 2,1-11) in »biblischer Auslegung«, ZKTh 126 (2004), 241256. U. Nilgen, Art. Hochzeit zu Kana, LCI 2 (1970), 299-305. J. L. Reed, Stone Vessels and Gospel Texts. Purity and Socio-oeconomics in John 2, in: S. Alkier/ J. Zangenberg (Hg.), Zeichen aus Text und Stein. Auf dem Weg zu einer Archäologie des Neuen Testaments, TANZ 42, Tübingen 2007, 381-401. M. Scott, Sophia and the Johannine Jesus, JSNT.S 71, Sheffield 1992, 175-184.
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Vollkommener Glaube heilt vollkommen (Die Heilung des Sohnes des königlichen Beamten) Joh 4,46-54 (46) Dann kam er wieder nach Kana in Galiläa, wo er das Wasser zu Wein gemacht hatte. Und dort war ein königlicher Beamter, dessen Sohn in Kafarnaum krank war. (47) Als dieser hörte, dass Jesus aus Judäa nach Galiläa gekommen war, ging er zu ihm und bat ihn, hinabzukommen und seinen Sohn zu heilen, denn er lag im Sterben. (48) Da sagte Jesus zu ihm: »Wenn ihr nicht Zeichen und Wunder seht, glaubt ihr nicht.« (49) Der königliche Beamte sagt zu ihm: »Herr, komm herab, bevor mein Kind stirbt!« (50) Jesus sagt zu ihm: »Geh, dein Sohn lebt!« Der Mensch glaubte dem Wort, das Jesus zu ihm gesprochen hatte, und ging hin. (51) Und während er hinabging, kamen ihm seine Knechte entgegen und sagten, dass sein Junge lebe. (52) Da erfragte er von ihnen die Stunde, seit der es ihm besser ging. Sie sagten zu ihm: »Gestern in der siebten Stunde verließ ihn das Fieber.« (53) Da erkannte der Vater, dass es in jener Stunde war, in der Jesus zu ihm gesagt hatte: »Dein Sohn lebt!« Und er wurde gläubig, er und sein ganzes Haus. (54) Dies war das zweite Zeichen, das Jesus tat, als er aus Judäa nach Galiläa gekommen war.
Sprachlich-narratologische Analyse Die vorliegende Wundererzählung zeichnet sich durch eine Ringkomposition oder inclusio aus: Sowohl in V. 46 als auch in V. 54 wird erwähnt, dass Jesus nach Galiläa kam, um Wundertaten zu vollbringen. Die Verweise auf das erste Wunder in Kana (2,1-10) und die Ankunft in Galiläa (2,1; 4,43-45) betten die Erzählung in den Kontext ein. Als zweites in Kana lokalisierte Wunder ist es somit in Rückbezug auf das erste zu lesen (4,54; vgl. auch die Verweise auf weitere Wunder in 2,23; 4,45). Da die Wendung »von Judäa nach Galiläa« innerhalb dieser kurzen Erzählung zweimal erwähnt wird (4,47.54; Keener 2005, 630), wird eine deutliche Grenzziehung zum Ausdruck gebracht: Während die Einwohner von Galiläa Jesus willkommen heißen (2,1; 4,45), lehnen die Judäer, die vermutlich stellvertretend für Jesu »Vaterland« stehen (4,44; vgl. Nicklas 2008, 94 f. mit Verweisen; gegen van Belle 1998, 27-44), ihn ab. Thematisch wird die Wundererzählung durch die prägenden Themen »Leben« und »Glauben« mit dem Kontext verzahnt: Sie knüpft an die Gespräche Jesu mit Nikodemus (3,15 f.18) und der Samaritanerin (4,10.14.39-41) an und leitet zur Heilungserzählung (5,21.25-28) über. Die einzelnen Elemente der Wundererzählung sind stringent angeordnet. Sobald der königliche Beamte hört, dass Jesus sich in Galiläa aufhält, reist er von Kafarnaum aus zu ihm, um ihn um die Heilung seines Sohnes zu bitten. Auf den überraschenden Vorwurf hin, dass die Menschen ohne Zeichen und Wunder nicht glauben (s. u. Deu681
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tungshorizonte), sendet Jesus den königlichen Beamten mit der Konstatierung der Heilung nach Hause zurück. Als er feststellt, dass die Heilung genau zu dem Zeitpunkt eingetreten sein muss, als Jesus mit ihm sprach, kommt er mit seinem ganzen Haus zum Glauben. Neben dieser Geradlinigkeit der Erzählung deuten einige Aspekte jedoch auf eine komplexere narrative Struktur hin. Die Bemerkung Jesu in 4,48, »wenn ihr nicht Zeichen und Wunder seht, glaubt ihr nicht«, überrascht, da der königliche Beamte eigens den ganzen Weg von Kafarnaum auf sich genommen hat, um von Jesus die Heilung seines Sohnes zu erbitten. Der Beamte reagiert nicht direkt auf Jesu Vorwurf, sondern wiederholt seine Bitte mit noch größerer Dringlichkeit (vgl. die Verwendung von prffln prin – bevor, 4,49). Die Funktion dieses Vorwurfs stellt eines der zentralen Probleme der Interpretation dar. Auf den ersten Blick passt 4,48 f. nämlich nicht in den Kontext. Daher wurde vorgeschlagen, diese Verse als spätere Zufügung anzusehen. Doch sie gehören zum Text. Gerade durch ihre Schockwirkung wird die Aufmerksamkeit der Leser(innen) gewonnen. Das Problem ist nämlich nicht, dass Jesus irgendjemanden zurechtweist – das tut er häufig (vgl. Joh 2,4; 11,4; Mk 7,27) –, sondern dass er einen Mann zurechtweist, der von weit her gekommen ist, um Hilfe zu erbitten. Ist der Grund vielleicht darin zu suchen, dass der Beamte ein Zeichen Jesu sehen wollte, um glauben zu können? In 4,48 wird das Thema der Abhängigkeit des Glaubens von Zeichen und Wundern angesprochen, das auf den Verdacht der »Zeichengläubigkeit« in 2,23 f. zurückweist. Dabei ist eine subtile grammatikalische Nuancierung zu beobachten: Während es in der Redeeinleitung heißt, dass Jesus direkt zu dem Beamten spricht (pr@ a'tn pros auton – zu ihm), richtet sich seine wörtliche Rede als generelle Aussage an alle: »wenn ihr nicht Zeichen und Wunder seht« (—dhte ide¯te – ihr seht). Diese Anrede könnte sich auf die anwesenden Menschen aus Galiläa beziehen (Schnackenburg 1968, 466; Köstenberger 2004, 170) oder aber die intendierten Leser(innen) des Evangeliums meinen, die vor jeglicher Form von »Zeichengläubigkeit« gewarnt werden (Keener 2005, 630; Nicklas 2008, 100). Beides scheint möglich, so dass die Figur des königlichen Beamten transparent für eine dieser Gruppierungen wird. Ein stilistisches Charakteristikum der Erzählung sind die lexikalischen Variationen sowie die fast wörtliche Wiederholung bestimmter Wendungen. Das kranke Kind wird als u @ (hyios – Sohn), paidfflon (paidion – [geliebtes] Kind) und pa…@ (païs – Junge) bezeichnet; sein Vater als basilik@ (basilikos – königlicher Beamter), ˝nqrwpo@ (anthro¯pos – Mensch) und patffir (pate¯r – Vater); die Heilung wird mit den Termini §€omai (iaomai – heilen) und z€w (zao¯ – lebendig machen) beschrieben. Andererseits werden einige Wendungen wiederholt angeführt, so z. B. ¡ u @ sou z–» (ho hyios sou ze¯ – dein Sohn lebt, 4,50.51.53) und ¥k t»@ 3Ioudaffla@ e§@ t¼n Galilafflan (ek te¯s Ioudaias eis te¯n Galilaian – von Judäa nach Galiläa, 4,47.54, vgl. 4,46). Auch die Bitte des Vaters, dass Jesus herabkommen und den Sohn heilen solle, wird zweimal vorgebracht. Diese Variation hat zwei Funktionen: Sie ist zum einen der bildlichen Darstellung der Szene zuträglich und dient zum anderen der vertieften Charakterisierung der Figuren: Der königliche Beamte ist ein Mann und ein Vater, d. h. er füllt verschiedene Rollen aus. Indem der Sohn nicht nur als Junge, sondern als Kind und Sohn bezeichnet wird, wird die familiäre Beziehung hervorgehoben. Die Wiederholungen wiederum verweisen auf die Ausrichtung der Erzählung: Die geographischen Angaben betonen, dass das Ereignis nicht in Jerusalem stattfand (dem 682
Vollkommener Glaube heilt vollkommen Joh 4,46-54
»Vaterland« Jesu, wo das Haus seines Vaters stand, vgl. Nicklas 2008), sondern in Galiläa (vgl. Keener 2005, 630), an einem Ort, der ihn willkommen hieß. Die beträchtliche Distanz zwischen Kana und Kafarnaum (mehr als 26 km) macht die Fernheilung signifikant. Die Frage, warum der Vater erst am nächsten Tag, als er die Berge zum See Gennesaret hinuntergeht, auf die Knechte trifft (4,51 f.), wirft allerdings ein Problem auf, da die Heimreise in Anbetracht der Situation auch am vorhergehenden Tag möglich gewesen wäre. Nimmt man an, dass an einem Reisetag bei Aufbruch am frühen Morgen 32 km zurückgelegt werden können, ließe sich einwenden, dass 25 km die an einem halben Tag zurücklegbare Distanz überschreiten (Köstenberger 2004, 170; Keener 2005, 633). Auch wäre es möglich, dass das Vertrauen des Vaters in die Heilung durch Jesus eine eilige Heimreise erübrigte (vgl. Bruce 1983, 119). Schließt man sich der letzten Deutung an, würde das die Wirkung der Erzählung verstärken. Die Wundergeschichte weist interessante grammatikalische und semantische Nuancen auf. Der Erzählmodus wechselt von der Vergangenheit zur Gegenwart und zurück: In 4,49.50 (lffgei legei – er sagt) ist z. B. ein Wechsel zur Gegenwart im Kontext von Verben der Vergangenheit, die die Erzählung tragen, zu beobachten. Diese Variation ist typisch für eine lebhafte Erzählung. Noch bemerkenswerter ist der Wechsel in 4,52: Die hellenistische Wendung komvteron ˛scen (kompsoteron eschen – es ging ihm besser) impliziert, dass der Heilungsprozess begonnen hat (Barrett 1978, 248). Das Verb ⁄f»ken (aphe¯ken – es verließ [ihn], 5,52), das von den Knechten für die Beschreibung der Heilung verwendet wird, meint eine augenblickliche Heilung. Auch die Verwendung von z€w (zao¯ – lebendig machen) ist signifikant. Im gesamten Johannesevangelium wird durch z€w auf das ewige Leben verwiesen (van der Watt 2000). Hier bezieht es sich auf die Heilung, obgleich mit §€omai (iaomai – heilen) eine Alternative bestünde, wie sie etwa in Joh 4,47; 5,13; 12,40 verwendet wird. Das Verb scheint hier somit eine doppelte Bedeutung aufzuweisen (gegen Haenchen 1980, 50, der die Bedeutung auf »ist geheilt« beschränken möchte): Der Sohn wird geheilt, aber erlangt zudem das ewige Leben (vgl. Beasley-Murray 1999, 73; Nicklas 2008, 101), da der Vater und die Familie – das Kind eingeschlossen – zum Glauben kommen (4,53; vgl. 3,16). Die Referenz auf das »Zeichen« in 4,54 lädt die Leser(innen) somit ein, das Wunder unter einem spirituellen Aspekt neu zu lesen: Es geht um das ewige Leben. Dadurch wird die lebensspendende Präsenz Jesu betont. Jesus ist der, der sowohl irdisches wie ewiges Leben gibt, gegenwärtig und zukünftig. Das Wunder kann man damit als eine Art »Präambel« zum größten Zeichen Jesu, der Auferweckung des Lazarus (11,1-44), lesen.
Sozial- und realgeschichtlicher Kontext Jesus wird von einem basilik@ (basilikos – königlicher Beamter/Offizier) angesprochen. Die Bezeichnung ist nicht eindeutig, zeigt aber in jedem Fall eine Verbindung mit dem Königshaus an. Der Begriff konnte sowohl für eine Person von königlichem Blut verwendet werden als auch für jemanden, der in administrativer oder militärischer Funktion im Dienst des Königshauses stand. Josephus verwendet die Bezeichnung in Bezug auf die königliche Armee (Bell. 1,45) und wahrscheinlich auch für nicht-jüdische Söld683
Die Wundererzählungen im Johannesevangelium
ner (z. B. Ant. 15,289; 17,266.270.281). Eine textkritische Variante (D, a) liest basilisk@ (basiliskos – Kleinkönig oder Prinz), jedoch ist diese Lesart wahrscheinlich auf den Einfluss des Begriffs regulus der altlateinischen Handschriften und der Vulgata zurückzuführen (Barrett 1978, 247). Da der Mann in Kafarnaum am Nordwest-Ufer des Sees Gennesaret lebte (2,1; 6,12.24.59), das nicht weit von Tiberias, dem Regierungssitz des Tetrarchen Herodes Antipas (4 v. Chr.-39 n. Chr.), entfernt lag, kann man annehmen, dass er im Dienst des Herodes stand. Obgleich Herodes nur Tetrarch (Vierfürst) war, konnte er auch als »König« bezeichnet werden (Mk 6,14.22; Mt 14,9; EvPetr 1,2). Eine andere Möglichkeit ist, den Bittsteller als militärischen Offizier zu deuten, da die Textparallele Mt 8,5 von einem Zenturio spricht. In diesem Fall wäre der Mann kein Jude (Schnackenburg 1968, 466; Witherington 1995, 128). Eine solche Interpretation ist denkbar, jedoch betont Brown (1971, 190), dass Kafarnaum im Grenzgebiet lag und über große Verwaltungskompetenzen verfügte, so dass dem Mann auch administrative Aufgaben zugeordnet werden können. Wenn dies stimmt, handelte es sich höchstwahrscheinlich um einen jüdischen Beamten (Nicklas 2008, 97 f.). Eine Identifikation mit Chuzas (Lk 8,3) oder Manaen (Apg 13,1) lässt sich nicht verifizieren und bleibt spekulativ. Wichtig ist hingegen, dass es sich um eine Person handelt, die in Verbindung mit dem Königshaus stand und der reichen Oberschicht – er besitzt ein Haus und Knechte – zuzurechnen ist, die große Teile des Landes regierte (Horsley 1994, 214 f.). Keener (2005, 630) bezeichnet ihn als galiläischen Aristokraten und folgert aufgrund der Aussagen von Josephus (vit. 98 f.), dass die Mehrheit der Galiläer eher nicht mit einer solchen Person in Verbindung gebracht werden wollte (Keener 2005, 630). Die Wundererzählung berichtet davon, dass der Mann und sein ganzes Haus zum Glauben kamen (4,53; vgl. Apg 16,31 f.; 18,8). Dies entspricht den Vorgaben einer gruppen- und männerorientierten Gesellschaft, in der der pater familias die Religion für sein Haus vorgibt (vgl. Plut. conj. praec. 19; mor. 140d), auch wenn es immer Ausnahmen von der Regel gegeben hat (van der Watt 2007, 748-750). Keener (2005, 632) verweist darauf, dass weder das Motiv des Mangels an Glauben noch das der Überzeugung von Skeptikern durch Wunder die antiken Leser überrascht haben dürfte, da es sich hierbei um Themen handelt, die z. B. auch in den Inschriften von Epidauros (vgl. Inscr. 3.4.9.36.37 in Grant 1953, 56 f.) oder bei Lukian begegnen (Abdic. 5; vgl. auch 2Kön 5,11). Fernwunder hingegen sind sowohl im Alten Testament als auch in der jüdischen und griechisch-römischen Literatur eher selten (Keener 1993). Schnackenburg (1968, 467) schlägt vor, Jesu Zusage »dein Sohn lebt« als Anspielung auf die Worte des Propheten Elija zur Witwe von Sarepta (1Kön 17,23) zu betrachten. Wenn dies der Fall ist, stünde Jesu messianisches Wirken in direkter Folge zum heilenden Wirken der alttestamentlichen Propheten. Die Krankheit des Sohnes wird als »Fieber« bezeichnet (puret@ pyretos – Fieber), wobei kein Auslöser genannt wird (vgl. Mk 1,31 par.; Apg 28,8). Aspekte des Ursprungs der Krankheit (z. B. dämonisch), dessen genauere Bestimmung und die Behandlung treten völlig in den Hintergrund. Die Leser(innen) werden lediglich darüber informiert, dass die Krankheit ernst ist und das Kind im Sterben liegt. Der Hinweis, dass der Sohn in der siebten Stunde geheilt wurde (4,52), setzt die Kenntnis der antiken Zeitmessung voraus. Es ist von mindestens zwei Systemen auszugehen. Bei der römischen Zeitmessung beginnt die Zählung der Stunden um Mitternacht. 684
Vollkommener Glaube heilt vollkommen Joh 4,46-54
Die siebte Stunde wäre dann 7 Uhr morgens. Nach jüdischer Zeitmessung würde es sich jedoch um 13 Uhr handeln, da die Stunden vom Sonnenaufgang an gezählt werden, der um 6 Uhr angesetzt wird. In der vorliegenden Erzählung kann die jüdische Zeitrechnung vorausgesetzt werden (Newman/Nida 1980, 139), da es unwahrscheinlich scheint, dass der Mann Jesus um 7 Uhr morgens angesprochen hat und es dennoch mehr als den Rest des Tages bedurfte, bis er die Berge zum See hinunterging (4,52).
Traditions- und religionsgeschichtlicher Kontext Von besonderer Bedeutung für die johanneische Quellenkritik ist die Bemerkung, dass es sich bei der Heilung des Sohnes des königlichen Beamten um das zweite Wunder in Kana handelt, obgleich weitere Zeichen in Jerusalem erwähnt werden (2,23; 4,45). Diese Zählung stellt den Ausgangspunkt für die Hypothese der Semeia-Quelle im Johannesevangelium dar (Fortna 1988; vgl. Poplutz, Hinführung Johannes in diesem Band). Das Schema der ersten beiden Zeichen scheint zu korrespondieren: Beide ereignen sich in Kana, beide beginnen mit einer Bitte, die von einem Vorwurf gefolgt wird, beide führen zum Glauben. Dies bestätigt die Annahme einer spezifischen Tradition oder Zusammenstellung von Zeichen (vgl. Brown 1966, 194 f.), die Teil einer gemeinsamen Quelle gewesen sein könnten (Schnackenburg 1968, 468-470). Es wurde sogar dafür plädiert, die Heilungserzählung direkt an das Weinwunder anschließen zu lassen, da 2,12 eine gute Einleitung für das zweite Wunder darstelle (vgl. z. B. Bultmann 1986; Schnackenburg 1968; Fortna 1988). Erwähnt sei auch der Vorschlag (vgl. Schnackenburg 1968; Haenchen 1980), dass der Vorwurf Jesu in Joh 4,48 f. und die zweite Bitte des königlichen Beamten redaktionelle Erweiterungen darstellen. Als Gründe werden angeführt, dass der Vorwurf die Logik der Erzählung störe, denn der Beamte scheint gar nicht um ein Wunder zu bitten, um glauben zu können; zudem wird nicht klar, warum Jesus trotz der schroffen Zurückweisung das Wunder vollbringt. Nimmt man hingegen 4,48 f. aus der Erzählung heraus, wäre der Erzählfluss nicht gestört, sondern vielleicht sogar besser. Schnackenburg (1968, 468 f.) erklärt die Einfügung der Verse damit, dass der Redaktor durch die Kritik am oberflächlichen Glauben zu wahrem Glauben ermutigen will. Der Einschub bedingt die Wiederholung der Bitte des Beamten (Joh 4,49). Auf intratextueller Ebene sind drei wichtige und für die johanneische Tradition typische Elemente herauszustellen: die lebensspendende Kraft Jesu (vgl. van der Watt 2000, 201-248), die Bedeutung des wahren Glaubens (van der Watt 2005, 119-122) und die Funktion der Zeichen. Das Ziel des Evangeliums, wie es in 20,31 f. dargestellt wird, ist die Verbindung des Glaubens an Jesus mit dem ewigen Leben. Beide Themen werden im Evangelium ausführlich entwickelt, 4,4-54 ist in diese übergreifende theologische Argumentation eingebunden.
Verstehensangebote und Deutungshorizonte Besonders der umstrittene, aber zentrale Vers 4,48 kann zum Dreh- und Angelpunkt der Auslegung gemacht werden: Busse verweist darauf, dass das Wunder erzählt, wovor 4,48 warnt, denn der königliche Beamte und seine Familie glauben erst, als sie das Zeichen 685
Die Wundererzählungen im Johannesevangelium
erkannt haben (4,52 f.; Busse 2002, 124 f.). Das Wunder zeigt somit nicht ein Beispiel wahren Glaubens auf, sondern ist als Illustration und Bestätigung der Warnung Jesu aufzufassen: Menschen glauben nur, wenn sie Zeichen sehen (4,48). Busse folgert: »Sie [sc. die Erzählung] öffnet dem Leser die Augen für einen potentiellen Zwiespalt in seinem eigenen Glaubensbegriff – ja, sie illustriert ihm die dem Glauben inhärente Gefahr, jederzeit in inadäquaten Glauben bzw. Unglauben umschlagen zu können« (Busse 2002, 125). Problematisch ist an dieser Interpretation die negative Wertung, die dem Wunder zukommt. Und so wird das Wunder häufiger dahingehend interpretiert (vgl. Brown 1966, 191 f.; Haenchen 1980, 261), dass der Vorwurf des auf Wundern basierenden Glaubens einen Prozess auslöse, der den Glauben des königlichen Beamten dynamisch wachsen und reifen lässt (Kysar 1986, 74): Der Mann wird vor einem Glauben gewarnt, der auf Werken basiert, nimmt an, dass Jesus dies als sein Problem identifiziert (4,48), glaubt dann zunächst an das Wort Jesu (4,50; die Verwendung des Dativs mit dem Verb ›glauben‹ ist grammatikalisch schwächer als die Verwendung von e§@ eis – an, vgl. Brown 1966, 191), um schließlich vollständig zu glauben (4,53; das Verb ›glauben‹ im absoluten Gebrauch). Die Erzählung reflektiert somit ein Wachsen im Glauben, das von der Zeichengläubigkeit zum reifen Glauben führt (Schnackenburg 1968, 467 f.; de Boor 1985, 151; Neyrey 2007, 100). Die Betonung des Glaubens verdeutlicht die Verknüpfung mit dem ersten Zeichen (2,1-10), bei dem die Jünger zum Glauben kommen und rekurriert zugleich auf das Wachsen der Samaritanerin im Glauben (4,19.29) und der Samaritaner im Allgemeinen (4,39.42). Auch diese Interpretation weist Probleme auf: Zunächst wird von einem Mann berichtet, der eine weite Strecke zurücklegt, um Jesus um die Heilung seines Sohnes zu bitten; als Jesus ihn zurechtweist, besteht er weiterhin darauf, dass Jesus mit ihm kommen solle. Wird hier ein Mann beschrieben, der große Unannehmlichkeiten auf sich nimmt, nur um ein Wunder zu sehen? Das Motiv der Sorge um das Leben seines Sohnes scheint in eine andere Richtung zu weisen. Ein zweites Problem besteht im fehlenden Bezug des Glaubens zu Jesus (Busse 2002, 124). An was glauben der Mann und seine Familie, wenn es heißt, »sie wurden gläubig«? Der Bezug auf das »Zeichen« in 4,54 könnte als indirekter Verweis auf Jesus gedeutet werden, da die Funktion der Zeichen im Johannesevangelium darin besteht, auf die Person Jesu zu verweisen. Eine weitere Interpretationsmöglichkeit wäre, 4,48 als Aussage zu lesen: »Zeichen und Wunder zu sehen, führt euch zum Glauben« (Bittner 1987, 128-134). Daraufhin muss Jesus ein Wunder vollbringen, um den Glauben des königlichen Beamten zu bewirken. Diese Interpretation berücksichtigt jedoch das Griechische nicht ausreichend (¥Þn m¼ … o' mffi ean me¯ … ou me¯ – wenn nicht … dann nicht) und gibt der Zeichengläubigkeit eine zu positive Konnotation, die 2,23 entgegensteht. Für die Auslegung der gesamten Passage kann man mit Nicklas (2008, 91) Joh 4,46-54 in Umberto Ecos Konzept vom »offenen Kunstwerk« einstellen. Obgleich es sich auf den ersten Blick um eine einfache Wundererzählung handelt, kann aufgrund der oben beschriebenen Nuancen des Textes von einem komplexen, offenen Text gesprochen werden, der verschiedenen Interpretationen Raum gibt. Eine christologische Interpretation stellt Jesus als machtvollen Lebensspender dar (Schnackenburg 1968, 464.476; Brown 1966, 197; Smith 1999, 128), wobei das Thema des wahren Glaubens in den Blick kommt (Schnackenburg 1968, 475-477; Brown 1966, 686
Vollkommener Glaube heilt vollkommen Joh 4,46-54
197; Keener 2005, 633; Nicklas 2008, 90). Auf einer sekundären Ebene verweist die Liebe des Vaters für sein Kind sowie Jesu Zuwendung zu dem unbeliebten königlichen Beamten auf signifikante pastorale Aspekte. Die Wundererzählung wird als »Zeichen« ausgewiesen, d. h. als Ereignis, das die Herrlichkeit und Macht Jesu veranschaulicht und die geistlichen Wahrheiten seiner Lehre betont. Die doppelte Bedeutung von z€w (zao¯ – lebendig machen) eröffnet den Leserinnen und Lesern die menschliche und geistliche Dimension des Wunders: Jesus gibt Leben im absoluten Sinn. Die Tatsache, dass dieses Leben auch dem königlichen Beamten gegeben wird, der wahrscheinlich bei den Galiläern nicht sehr angesehen war, durchbricht soziale Schranken. Keener (2005, 633) formuliert folgendermaßen: »The heart of the story is the assertion that even a royal official in Galilee could respond to Jesus«. Jesus und dem Leben, das er gibt, sind keine Grenzen gesetzt. Er führt Nikodemus (3,3.5.1517), die Samaritanerin (4,10) und den königlichen Beamten – d. h. drei völlig verschiedene Personen – zum Leben. Die Botschaft von Jesu Angebot des ewigen Lebens, das alle Grenzen überschreitet, eröffnet einen Verstehenshorizont, der auch heute die Botschaft vermittelbar macht. Wird ein »Zeichen« nicht im Glauben angenommen, bleibt es ein einfaches Wunder (Schnackenburg 1968, 464.475-477). Gefordert wird nicht Zeichengläubigkeit (4,48) oder Wortgläubigkeit (4,50), sondern wahrer Glaube, Glaube an Jesus in einem absoluten Sinn (4,53). Dieses Motiv, das 4,46-54 betont, wird durch das ganze Evangelium entwickelt. Daher ist Nicklas (2008, 104) Recht zu geben, der 4,46-54 als »Glaubensgeschichte« bezeichnet. Das Evangelium führt verschiedene Beispiele von inadäquatem Glauben an: In 2,23-25 basiert der Glaube auf Zeichen, in 6,60-65 zweifeln die Menschen die Realität der Botschaft an und in 8,31-36 wird der Mangel an korrekten und gehorsamen Taten erwähnt (vgl. van der Watt 2005, 119-122). Gefordert wird ein Glaube, der dem des geheilten Blinden aus Joh 9 gleicht: Er glaubte dem Wort Jesu, verteidigte ihn in feindlicher Situation, wurde in religiöser und sozialer Hinsicht zurückgewiesen und nahm Jesus dennoch als Sohn Gottes an (9,35-58). Einige Interpreten schreiben dem Glauben des königlichen Beamten ebenfalls diese Charakteristika zu, andere betrachten ihn als Zeichengläubigkeit. Schnackenburg (1968, 476) schlägt eine Interpretation vor, laut der Jesus in 4,48 die Galiläer vor ungenügender Zeichengläubigkeit warne, während die Erzählung anhand des Beispiels des königlichen Beamten darlege, dass auch Galiläer zum Glauben an Jesus kommen können. Wird die Perikope so gelesen, erfüllen sowohl der Vorwurf der Zeichengläubigkeit als auch die Betonung des reifen Glaubens eine Rolle im Rahmen der Erzählung. Kysar (1986, 75) kennzeichnet den königlichen Beamten (in militärischer Funktion) als einen Nicht-Juden und liest die Erzählung daher als Kritik am mangelnden Glauben »der Juden«. Wie auch immer die Erzählung interpretatorisch akzentuiert wird, die große Bedeutung des wahren Glaubens bleibt auch für die heutige Interpretation bestehen. Die Erzählung lädt die Leser(innen) auch mit Hilfe der schroffen Zurechtweisung (4,48) ein, auf einen angemessenen Glauben zu achten. Dabei entwickeln die Leser(innen) eine Sympathie für den Vater, der nichts Falsches tat – im Gegenteil: Trotz seiner hohen Position, die ihn von den gewöhnlichen Galiläern abhebt, kam er zu Jesus und bestand auf dessen intervenierender Hilfe. Er glaubte an Jesu Wort, ohne jede Garantie, und nahm Jesus im Glauben als Lebensspender auch für sich selbst an. Die Hingabe und Loyalität gegenüber seinem Kind und seiner 687
Die Wundererzählungen im Johannesevangelium
Familie sollte auch heutigen Leserinnen und Lesern anempfohlen werden. In dieser Hinsicht wird Jesus als derjenige dargestellt, der Familien heilen kann, der sich nicht nur um geistliche Aspekte kümmert, sondern auch physisch heilt.
Aspekte der Parallelüberlieferung und Wirkungsgeschichte Ein wichtiger Aspekt der Auslegung von Joh 4,46-54 ist der Bezug zur synoptischen Tradition, insbesondere zu Mt 8,5-13 und Lk 7,1-10 (Haenchen 1980, 260 f.; Beasley-Murray 1999, 71). Die exegetische Diskussion basiert auf unterschiedlichen Vorannahmen zur Beziehung zwischen den Synoptikern und Johannes, die hier nicht im Detail dargelegt werden können (vgl. dazu Lindars 1992, 1985-2000; Labahn/Lang 2004, 443-516). Die Interrelation zwischen den drei Stellen wurde bereits von Irenäus, Origenes und Johannes Chrysostomos festgestellt (vgl. Plummer 1929, 128): Während die Position des Irenäus unklar ist, gingen Origenes und Johannes Chrysostomos nicht von der Annahme eines gemeinsamen Traditionshintergrunds aus. Die Erzählung verläuft in allen drei Texten parallel, jedoch gibt es auch signifikante Unterschiede. So wird der Bittsteller im Johannesevangelium als königlicher Beamter bezeichnet, bei den Synoptikern hingegen als Zenturio (Hauptmann); bei Lukas sendet der Zenturio die Ältesten der Juden zu Jesus; im Johannesevangelium ereignet sich das Wunder in Kana, während es beide Synoptiker in Kafarnaum situieren; bei Johannes leidet der Sohn an Fieber, Lukas erwähnt die Krankheit überhaupt nicht, während Matthäus auf Lähmung verweist; die Synoptiker charakterisieren den Bittsteller als unwürdig, was Johannes nicht explizit herausstellt; bei Johannes bringt Jesus einen Vorwurf und heilt dann aus der Ferne, während er bei Lukas den Bittsteller begleitet (Köstenberger 2004, 169). Aufgrund dieser Parallelen und unter Berücksichtigung der Unterschiede werden verschiedene Folgerungen angestellt: Einerseits wird vertreten, dass ein historisches Ereignis auf drei verschiedene Weisen dargestellt wurde, während ebenso ein von den Synoptikern unabhängiges Ereignis als Grundlage für die johanneische Tradition angenommen wird (Köstenberger 2004, 169). Es ist nicht möglich, die Traditionszusammenhänge endgültig zu bestimmen, beide Möglichkeiten sind denkbar (Schnackenburg 1968, 471474; Brown 1966, 192-194; Kysar 1986, 73). In Mk 7,24-30 (par. Mt 15,21-28) wird eine weitere Fernheilung berichtet. Auch zu diesem Text liegen einige Übereinstimmungen vor: Die Bittstellerin kommt mit einer dringenden Bitte zu Jesus, Jesus weist die Frau zurecht, die Tochter ist nicht anwesend und Jesus schickt sie nach Hause. Diese Parallelen, die nicht die literarische Ebene betreffen, können narrativ zufällig sein. Brown (1966, 193 f.) nimmt an, dass die Ähnlichkeiten zu geringfügig sind, um eine literarische Abhängigkeit anzunehmen, jedoch zeigen sie auf, dass die Elemente der Fernheilungserzählung nicht als reine Erfindung des Johannes betrachtet werden können. In diesem Zusammenhang ist auch auf eine später entstandene rabbinische Erzählung der Heilung des Sohnes von Rabbi Gamaliel (bBer 34b) zu verweisen. Dort wird ebenfalls eine Fernheilung beschrieben: Zwei Jünger werden zu R. Hanina ben Dosa gesandt, der ankündigt, dass der Sohn geheilt werden wird. Noch in derselben Stunde geschieht dies (vgl. Billerbeck 1924, 441). 688
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Die vorliegende Wundererzählung verzeichnet keine bedeutsame Wirkungsgeschichte, obgleich sie sich bis heute im Rahmen von Verkündigung und Predigt großer Beliebtheit erfreut. Doch die Grundaussage des Textes wird in anderen Perikopen des Johannesevangeliums durchaus spektakulärer dargestellt: Der wahre Glaube wird in Joh 9 in der Heilung des Blinden eindrucksvoll illustriert und auch die Auferweckung des Lazarus in Joh 11 ist ein größeres Heilungswunder. Und so erlangte Joh 4,46-54 niemals die Aufmerksamkeit, die dem Text eigentlich gebührt. Dies zeigt sich auch an der geringen Anzahl wissenschaftlicher Aufsätze zu dieser Perikope, die vorrangig in Kommentaren besprochen wird. Hinzuweisen ist jedoch auf die Rezeption im Film wie etwa dem Jesusfilm von Franco Zefferelli (2009), der im Wesentlichen auf dem Johannesevangelium basiert, jedoch in Bezug auf Joh 4,46-54 mit den synoptischen Parallelen vermischt wird.
Jan van der Watt Literatur zum Weiterlesen W. J. Bittner, Jesu Zeichen im Johannesevangelium. Die Messias-Erkenntnis im Johannesevangelium vor ihrem jüdischen Hintergrund, WUNT 2/26, Tübingen 1987, 128-134. S. Landis, Das Verhältnis des Johannesevangeliums zu den Synoptikern. Am Beispiel von Mt 8,513, Lk 7,1-10, Joh 4,46-54, BZNW 74, Berlin/New York 1994. B. Lindars, Capernaum revisited: Jn 4,46-54 and the Synoptics, in: F. van Segbroeck et al. (Hg.), The Four Gospels 1992, FS F. Neirynck, BEThL 200, Leuven 1992, 1985-2000. T. Nicklas, Jesu zweites Zeichen (Joh 4,43-45.46-54). Abgründe einer Glaubensgeschichte, in: J. Verheyden et al. (Hg.), Miracles and imagery in Luke and John, FS U. Busse, BEThL 218, Leiden 2008, 89-104.
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»Steh auf!« – Erweckung zum Leben hier und jetzt (Die Heilung eines Gelähmten) Joh 5,1-18 (1) Danach war ein Fest der Juden, und Jesus ging hinauf nach Jerusalem. (2) In Jerusalem aber ist am Schaf(-Tor) ein Teich, der auf Hebräisch (= Aramäisch) Betesda genannt wird, der fünf Säulenhallen hat. (3) In diesen lag eine Menge von Kranken, Blinden, Lahmen, an Auszehrung Leidenden [, welche die Bewegung des Wassers erwarteten]. [(4) Ein Engel (des Herrn) stieg nämlich zu bestimmter Zeit in den Teich hinab (bzw. wusch sich in ihm) und brachte das Wasser in Wallung. Der erste nun, der nach der Aufwallung des Wassers hineinstieg, wurde gesund, an welcher Krankheit er auch litt]. (5) Es war aber dort ein Mensch, der (schon) achtunddreißig Jahre an seiner Krankheit litt. (6) Als Jesus diesen daniederliegen sah und erkannte, dass er schon lange Zeit so zubrachte, sagt er zu ihm: »Willst du gesund werden?« (7) Der Kranke antwortete ihm: »Herr, ich habe keinen Menschen, der mich in den Teich bringt, wenn das Wasser aufwallt. Während ich aber komme, steigt ein anderer vor mir hinab.» (8) Jesus sagt zu ihm: »Steh auf, hebe dein Bett auf und geh umher.« (9) Und sogleich wurde der Mensch gesund und hob sein Bett auf und ging umher. Es war aber Sabbat an jenem Tag. (10) Da sagten die Juden zu dem Geheilten: »Es ist Sabbat, und es ist dir nicht erlaubt, dein Bett aufzuheben.« (11) Er aber antwortete ihnen: »Der mich gesund gemacht hat, jener hat zu mir gesagt: ›Hebe dein Bett auf und geh umher!‹« (12) Sie fragten ihn: »Wer ist der Mensch, der zu dir gesagt hat: ›Hebe (es) auf und geh umher‹ ?« (13) Der Geheilte aber wusste nicht, wer es ist; denn Jesus war verschwunden, da am Ort eine Volksmenge war. (14) Danach trifft Jesus ihn im Tempel und sagt zu ihm: »Sieh, du bist gesund geworden; sündige nicht mehr, damit nicht Schlimmeres dir widerfahre!« (15) Der Mensch ging weg und sagte den Juden, dass es Jesus sei, der ihn gesund gemacht habe. (16) Und deshalb verfolgten die Juden Jesus, weil er dies am Sabbat getan hatte. (17) Er aber entgegnete ihnen: »Mein Vater wirkt bis jetzt, und auch ich wirke.« (18) Deshalb suchten die Juden nun noch mehr ihn zu töten, weil er nicht nur den Sabbat abgeschafft, sondern auch Gott seinen Vater genannt hat, sich damit Gott gleich machend.
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»Steh auf!« – Erweckung zum Leben hier und jetzt Joh 5,1-18
Sprachlich-narratologische Analyse Die beiden ersten Wundererzählungen des Johannesevangeliums, Joh 2,1-11 und Joh 4,46-54, stehen für sich. Die dritte vom Teich Betesda ist nach der kanonischen Abfolge der Kapitel die erste, die (ähnlich Joh 6) von einer größeren Rede Jesu, Joh 5,19-47, begleitet wird. V. a. dem ersten Monolog Jesu aus dieser Rede, Joh 5,19-30, fällt dabei die wichtige Aufgabe zu, den Leserinnen und Lesern den tieferen Sinn der Wundererzählung zu erschließen. Die Erzählung selbst trägt novellistische Züge. Einem szenischen Vorbau (V. 1-3 [4]) folgen im Hauptteil drei Episoden an unterschiedlichen Schauplätzen Jerusalems: Die Heilung trägt sich in »Betesda« zu (V. 5-9), »die Juden« verhören den Geheilten an einem anderen Ort, der nicht näher bezeichnet ist (V. 10-13), und Jesus begegnet dem Mann ein zweites Mal im Tempel (V. 14-16). V. 17 f. sind Übergangsverse, die szenisch blass wirken, denn wo und unter welchen Umständen Jesus mit »den Juden« zusammentrifft, bleibt ungesagt. Sie dienen wohl dazu, die Erzählung zum anschließenden Monolog Jesu in Joh 5,19-30 hin zu öffnen. Der Tag, an dem sich das Ganze zuträgt, ist ein Sabbat, was aber erst V. 9 anmerkt – gleichsam als Initialzündung für den nachfolgenden Konflikt mit »den Juden«. Die szenische Exposition spricht demgegenüber nur unbestimmt von einem »Fest der Juden«, zu dem Jesus nach Jerusalem heraufgekommen sei. Die im (nachkonstantinischen) Mehrheitstext erstaunlich lange Exposition V. 1-4 wirft eine Reihe von Fragen auf: zur textlichen Überlieferung, zur Übersetzung sowie zur Topologie und Archäologie Jerusalems. In der oben wiedergegebenen Fassung ist sie dreigliedrig: V. 1, Teil des übergreifenden Itinerars Jesu im Evangelium mit seinen mehrfachen Wanderungen von Galiläa hinauf nach Jerusalem (vgl. Joh 2,13; 7,2-10; 11,5557; 12,12), erstellt den äußeren Rahmen der Erzählung, V. 2 f. mit Angaben zur Örtlichkeit und den dort befindlichen Personen den inneren Rahmen. Das Schlusskolon von V. 3 und der V. 4 (oben in eckigen Klammern) bieten noch eine volkstümliche Erklärung der mit dem Heilort verbundenen wunderbaren Vorgänge. Beachtlich ist, wie der Erzähler in dieser Exposition den Blick seiner Leserinnen und Leser lenkt: Er beginnt mit einer Weitwinkel-Perspektive und stellt deren Fokus dann schrittweise genauer ein. Der Schauplatz im weitesten Sinne ist Jerusalem – draußen am Schaftor – an einem Teich – in den dortigen Säulenhallen, in denen viele Kranke liegen; ein Einziger aus diesen vielen leidenden Menschen zieht schließlich den Blick Jesu an (»als er ihn daniederliegen sah …«). Damit kommt Bewegung ins Bild und die Geschichte beginnt. Umstritten ist im Einzelnen zunächst der Name der Heilstätte. Heißt sie »Betsaida« (so die besten Textzeugen: P75[66] B Ws; lat. Übersetzung etc.), »Bethzatha« (a, Eusebius etc.) oder, wie oben angenommen, »Betesda« (A C Q; große Teile der syr. Übersetzung; Mehrheitstext)? Scheidet die erste Lesart als frühe Angleichung an den aus Joh 1,44 und 12,21 bekannten Namen aus, so bietet die zweite Lesart den Namen der nördlichen Vorstadt von Jerusalem, wie wir ihn von Josephus her kennen. Bei ihm lautet er allerdings »Bethzetha«, »was man in der griechischen Sprache mit ›Neustadt‹ wiedergeben könnte« (Flav. Jos. Bell. 5,151 u. ö.). Tatsächlich ist nach der byzantinischen Tradition hier unsere Heilstätte zu suchen. Obwohl diese Lesart über Nestle-Aland27 in viele moderne Übersetzungen Eingang gefunden hat, wird es sich bei ihr doch um eine »gelehrte Korrektur« handeln, die keine Ursprünglichkeit beanspruchen kann (Hengel 1999, 309; vgl. auch Jeremias 1949, 7); sie überträgt den Namen des Bezirks auf einen bestimmten Platz in 691
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ihm. Die dritte Lesart – »Betsaida« – verdient Vertrauen; sie ist recht gut bezeugt und unterliegt auch keinerlei sachlicher Beanstandung. Lange Zeit glaubte man, den Namen auch in einer Notiz der Kupferrolle von Qumran lesen zu können, die sich auf dieselbe Jerusalemer Örtlichkeit bezieht (3Q15 11,12), doch werden die entsprechenden Buchstaben inzwischen anders aufgelöst: »am Ort der [beiden] Becken, in dem Teich [dort], wo man das kleinere Becken betritt« (anstatt: »in bet’esˇ˙detajin, in dem Teich [dort] …«) (Puech 1997, 179). Nur der vierte Evangelist bezeugt also den Namen der Jerusalemer Stätte. Vielleicht gilt auch hier: nomen est omen. Als aramäisches Pendant könnte man nämlich lesen: bet chesda – »Haus der Gnade« – »a name evidently suitable for the place in which Jesus cured the lame man« (Barrett 1990, 210). Möglich ist aber auch eine Herleitung von der Wurzel aschad – ausgießen, was zu der Deutung führen würde: »house of the flowing« (Parmentier 1998, 80). Eine zweite Schwierigkeit betrifft die Frage, worauf sich der Namen Betesda im Text genau bezieht: auf den »Teich« entsprechend der oben gebotenen Übersetzung oder auf einen anderen Ort in unmittelbarer Nähe? Die zweite Möglichkeit ergibt sich, wenn man bei V. 2 auf die Annahme von Leerstellen im griechischen Text verzichtet und ihn deshalb folgendermaßen liest: »Nun ist in/bei Jerusalem, beim Schafteich, das einen hebräischen Zunamen tragende Betesda mit fünf Stoën (= Säulenhallen)« (Küchler 1999, 381). Verbindet die oben in der Übersetzung vorgezogene Variante das zu »Schaf« gehörige Adjektiv (probatikffi probatike¯) mit einem zu ergänzenden Substantiv »Tor« (pÐlh pyle¯), so zieht M. Küchler das Adjektiv mit dem nachfolgenden Substantiv zum Wort »Schafteich« zusammen (dieses jetzt als Dativ gelesen), womit er die Annahme einer Leerstelle (»Tor«) umgeht. Dafür muss er aber Betesda zum Subjekt des Satzes machen mit der Konsequenz, dass die fünf Stoën mit dem Teich nichts mehr zu tun haben. Erzähltechnisch ist diese Lösung holprig. Wie oben schon gezeigt, führt der Erzähler seine Leserinnen und Leser nämlich sehr gekonnt zum Ort des Geschehens hin, indem er ihn – den Erzählkonventionen entsprechend – zunächst unbestimmt einführt: »in Jerusalem ist ein Teich«, dann erst konkret mit seinem Namen nennt, in Abhebung vom Shiloa, dem anderen berühmten Teich auf der anderen Seite der Stadt (vgl. Joh 9,7). In der von M. Küchler zur Diskussion gestellten Lesart aber wird »das einen hebräischen Zunamen tragende Betesda« als eine den Leserinnen und Lesern schon bekannte Größe vorausgesetzt, ohne dass gesagt würde, was das für eine Stätte ist, die diesen Namen trägt. Anders verhält es sich bei der Ergänzung von ¥p½ t–» probatik» (epi te¯ probatike¯) zu »Schaf(-Tor)«, einer Ergänzung, die sich dem Bibelkenner zwanglos von Neh 3,1.32; 12,39 her ergibt, wo ein »Schaftor«, auf der Nordseite Jerusalems, also unweit von »Betesda« gelegen, mehrfach Erwähnung findet. Zur Zeit des Tempels war dieses Tor, »das seinen Namen von dem dort […] abgehaltenen Schafs- und Ziegenmarkt für das Brandopfer erhielt« (Otto 1980, 106), eine bekannte Lokalität, auf die Joh 5,2 sich beziehen dürfte. (Dass weder Josephus noch der Talmud dieses Tor erwähnt, muss nicht verwundern, denn Josephus erwähnt auch nicht den »Teich der Söhne Israels«, einen riesigen Wasserspeicher in unmittelbarer Nähe.) Von einem »Schafteich« lassen dagegen die Quellen bis zur entsprechenden Lektüre von Joh 5,2 durch die Kirchenschriftsteller nichts verlauten. Der große Vorteil der hier vertretenen Lesart ist auch der, dass der Name Betesda nun eine klare Zuordnung erhält: Vielleicht vom Volksmund geprägt, steht er für die Teichanlage mit den fünf Stoën selbst, und verrät, als was diese galt: als ein »Haus der Gnade«, als ein wundertätiger Ort. 692
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Zugunsten dieser Deutung von V. 2 lässt sich auch der oben eingeklammerte dritte Teil der großräumigen Exposition heranziehen (V. 3 f.), was in der Diskussion um den Vers bislang noch nicht beachtet wurde. Zunächst spricht viel dafür, dass es sich bei der aus V. 7 herausgesponnenen volkstümlichen Erklärung für das zeitweilige Aufwallen des Wassers um einen sekundären Einschub handelt; die Verse fehlen nämlich nicht nur in den besten Handschriften (P66.67 a B C*; D u. a.; D bezeugt mit wenigen weiteren Handschriften nur V. 3, d. h. die erste eckige Klammer oben im Text), sie überfrachten auch die Exposition formal (anders Nicklas/Kraus 2000). Dass Götter oder Göttinnen sich in Quellen badeten, z. B. Hera, aber auch Nymphen, war in Griechenland eine geläufige Vorstellung, die an heiligen Orten haftete. Im jüdischen Kontext waren es Engel Gottes, die dem Wasser auf diese Weise Kraft verliehen (vgl. Duprez 1970, 85-87). Die religiöse Phantasie brauchte eine übernatürliche Erklärung für ein natürlich zu erklärendes Phänomen (s. u.). Der frühchristliche Glossator lieferte sie ihr. Sind also V. 3fin.4 sekundär, so zeigen sie doch eindeutig, dass man im 2. Jh. – aus dieser Zeit stammt die Glosse – den »Teich« für die wundertätige Stätte hielt, nicht einen anderen Ort in unmittelbarer Nähe. Das ist der Annahme nicht günstig, die Heilung hätte mit dem »Teich« selbst nichts zu tun, sondern sei mit den östlich von ihm gelegenen Badeanlagen zu verbinden (s. u.). Auf diese Anlagen passt auch der Ausdruck kolumbffiqra (kolymbe¯thra) nicht. Wer die Exposition der Erzählung zuerst einmal literarisch würdigt (ihre In-Bezug-Setzung zum archäologischen Befund stellt einen zweiten Schritt dar), wird deshalb so argumentieren, dass sie gekonnt auf diejenige Örtlichkeit zuläuft, die auch nach dem weiteren Textverlauf (vgl. V. 7) im Mittelpunkt des Interesses steht: den wundertätigen Teich. Der Gelähmte ist auf ihn fixiert, insofern er seit Jahren zwanghaft seine Heilung von ihm erwartet, wird von diesem Ort aber durch Jesu heilendes Wort, das die Heilwasser überbietet, befreit. So liegt es nahe, dass der Name »Betesda« an diesem »Teich« haftet. Mit dem Verweis auf das Wort des Wundertäters sind wir beim Design der Erzählung. Die Episodenfolge ist stark dialogisch geprägt (vgl. V. 6-8.10-12.17). Im Mittelpunkt steht das dreimalige (!) Vorkommen des Heilwortes Jesu: »Steh auf, hebe dein Bett auf und geh umher« (V. 8b-d). Nachdem er es selbst zum Gelähmten gesprochen hat, erklingt es noch zweimal: zuerst aus dem Mund des Gelähmten, an den es gerichtet war (V. 11d.e), dann aus dem der Gegner Jesu (V. 12d.e). Dabei wird es wie ein Echo im Nachhall immer kürzer. Beachtlich ist, dass der erste Imperativ »steh auf (˛geire egeire)« ausschließlich im Munde Jesu begegnet. Es ist ja auch das Wort, das er selbst später in seinem Monolog (V. 21) aufgreifen und mit ihm signalisieren wird, worum es hier eigentlich geht (s. u.). Während in den synoptischen Heilungserzählungen in der Regel die Kranken in ihrer Not initiativ werden und Jesus um Heilung bitten, ist es hier (wie in Joh 9,6 f.) Jesus, dessen Blick auf den Kranken fällt und der ihn fragt, ob er gesund werden will. Damit leuchten Hoheit und Souveränität Jesu schon in der Erzählung selbst auf, die der Monolog anschließend christologisch reflektieren wird. Die Frage »willst du gesund werden?« klingt nur auf den ersten Blick seltsam. Jesus will mit ihr dem Mann die Gelegenheit geben, ihm seine verzweifelte Geschichte zu erzählen: Er hat niemanden, der ihn zum Teich tragen könnte, wenn das Wasser aufwallt. Wie sollte er gesund werden können? Ob Jesus vielleicht dieser Mensch ist, der ihm diesen Dienst leisten wird, wenn es darauf ankommt? Hoffnung keimt auf (vgl. Theobald 2009, 377). Die Erzählung bezieht ihre Dynamik aus dem Figuren-Dreieck Jesus – der geheilte 693
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Gelähmte – »die Juden (o 3Iouda…oi hoi Ioudaioi)«. Mit »den Juden« sind hier nicht »die Judäer« im Gegenüber zu den »Galiläern« gemeint, sondern die jüdischen Autoritäten Jerusalems (traditionell »die Hohepriester und Schriftgelehrten«). Vom Beginn seines Buches an zeichnet der Evangelist diese als Jesus feindlich gesonnene Front (vgl. Joh 2,18-22; vgl. aber auch schon 1,18-28). Das gilt auch hier – jetzt sogar in verstärktem Maße (V. 16.18). Denn zum ersten Mal im Buch heißt es, dass sie Jesus wegen des Sabbatvorfalls »verfolgen« und ihn wegen seines im Anschluss geäußerten Hoheitsanspruchs gar »zu töten trachten«. Die Erzählfigur »entwickelt« sich also auf kürzestem Raum und dunkelt sich weiter ein (zur anderen Erzählfigur der »Juden«, die »an ihn« wegen seiner Zeichen »glaubten« und die nicht die Jerusalemer Autoritäten repräsentieren, vgl. Theobald, »Judenchristentum«). Und wie steht es mit der dritten Figur, der des »Geheilten«? Weist auch sie eine »Entwicklung« auf? Auffällig ist, dass der Mann den Namen seines Heilers an die ihn aushorchende Behörde weitergibt und damit deren Einschreiten gegen ihn auslöst (V. 15). Ist dies nur ein naives, unbedachtes Verhalten oder meint der Erzähler, der Mann habe Jesus, vielleicht aus Angst vor der ihn unter Druck setzenden Behörde, verraten? Haben wir also (im Unterschied zu Joh 9) die Geschichte einer gescheiterten Begegnung mit Jesus vor uns?
Sozial- und realgeschichtlicher Kontext Damit kommt die von der Erzählung präsentierte soziale Welt in den Blick. Beherrscht wird sie von einer Behörde, die über die Einhaltung religiöser Normen wacht und diese mit Gewalt durchzusetzen sucht – bis hin zur physischen Vernichtung derer, die sie übertreten. Welchen Druck sie auf die Menschen ausübt, spiegelt sich im Verhalten des geheilten Gelähmten wider: Im Verhör mit einer Anschuldigung konfrontiert, versucht er, sich aus der Affäre zu ziehen, indem er auf einen anderen verweist, der für sein unerlaubtes Tun – das Tragen seiner Liege am Sabbat – eigentlich verantwortlich ist (V. 11). Auch der Kontrast zwischen dem rigoros auf die Einhaltung der Normen bedachten Einschreiten der Behörde gegen den Mann und dessen zuvor erzähltem Elend wirft Licht auf sie. Während am Rand der Stadt eine Menge kranker Menschen sich nach Heilung sehnen, üben hier Autoritäten religiöse Macht aus ohne Blick für dieses Elend (von der gesundheitlichen Wiederherstellung des Gelähmten wollen die Fragesteller in V. 12 nichts wissen). Man ist versucht, die erzählte Konstellation zu generalisieren, darf dabei aber nicht die ganz erstaunliche Verortung der Erzählung im konkreten Jerusalemer Lokalmilieu übersehen. Lange Zeit hat man gemeint, die Szenerie zu Beginn der Erzählung sei rein symbolisches Konstrukt – die 5 Stoën als Bild für die 5 Bücher Mose, die Wasser von Betesda als Folie für den, der selbst »lebendiges Wasser« spendet (Joh 4,10). Doch die archäologische »Wiederentdeckung« von Betesda (Jeremias 1949) auf dem Areal der Annen-Kirche nördlich des Tempelplatzes zeigt, dass die Erzählung in ganz erstaunlicher Weise an die realen Verhältnisse anknüpft. Nun sind die Ausgrabungen, die schon Ende des 19. Jh. einsetzten, bis heute nicht ganz abgeschlossen (zu ihrer Geschichte vgl. Duprez 1970, 2956; Küchler 2007, 340-346; Dauphin 2011). Zu den jüngsten Ausgrabungen, die zwischen 1999 und 2009 stattfanden, liegt nur ein vorläufiger Bericht vor (Gibson 2011). 694
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Manche Fragen bleiben offen. Im Folgenden seien nur kurz die wichtigsten Befunde und ihre Deutungen benannt (vgl. Küchler 1999, 381-390; ders. 2008, 316-332), dann die Probleme, die sich aus ihrer In-Bezug-Setzung zu Joh 5 ergeben (vgl. Theobald 2009, 372-375). Bislang stellte sich die Situation den Archäologen folgendermaßen dar: Das nördliche Becken der Doppelteichanlage – ein »Speichersee«, den man durch Errichtung eines ca. 40 m langen Quer-Dammes im oberen felsigen Bezetha-Tal gewann – stammt vielleicht schon aus vorexilischer Zeit (vgl. Jes 7,3; 36,2 par. 2Kön 18,17). Ein Kanalsystem im Damm regelte den Abfluss aus dem Speicher ins Tal. Das nachträglich an diesen Damm auf südlicher Seite angebaute Becken – eine vom nördlichen Speicher unabhängige Installation mit eigenem Abfluss zum Tempel – stammt aus hellenistischer Zeit (vgl. Sir 50,3; vgl. auch 3Q15; außerdem Arist. 89-91 [JSHRZ 2, 573]; Ep. Philo fr. 3 [JSHRZ 6, 151]). Die trapezoide Form der beiden Becken, die der Talerweiterung angepasst ist, ist gesichert. Der Wasserzufluss vom nördlichen in das südliche Becken lag in dessen nordwestlicher Ecke, da sich dort ein treppenartiges »Klärbecken« zum Brechen der andrängenden Wassermassen befand (so Duprez 1970 u. a. [bei von Wahlde 2006, 564] und Küchler 2008). Inzwischen zeichnet sich ein anderes Bild ab (Gibson 2010; ders. 2011): Die Doppelteich-Anlage stammt als ganze wahrscheinlich erst aus der Zeit Herodes’ des Großen und diente speziell der rituellen Reinigung der vielen Tempelbesucher v. a. während der großen Wallfahrtsfeste (vgl. Joh 12,55), nicht der Trinkwasserversorgung der Stadt. Während das nördliche Becken (53 mal 40 Meter) als Speicher für das Regenwasser diente, wurde das südliche Becken (47 mal 52 Meter) für die rituelle Reinigung genutzt. Die dort gefundenen Treppen deuten auf eine mikveh hin, in die man hinabsteigen konnte (vgl. auch von Wahlde 2006, 565). Das Schleusensystem zwischen beiden Becken diente dazu, taugliches Wasser in die mikveh einströmen zu lassen entsprechend späteren halachischen Anweisungen: »Man kann Tauchbäder rein machen, [sogar] das obere durch das untere und das entferntere durch das nähere« (mMiq 6,8; Gibson 2010, 95). Östlich des Doppelspeichers hat man kleine verputzte Grotten samt Treppen und Wasserbecken identifiziert samt einer Zisterne, die wohl aus dem 1. Jh. v. Chr. stammen (Gibson 2011, 29 Anm. 35). Die Bemalung einer dieser Grotten sowie weitere Indizien schließen »industrielle« Zwecke (wie Walken oder Färben) aus. M. Hengel dachte an ihre Verwendung als miqwaot, doch Küchler zufolge ist »ein religiöser Charakter dieser Bäder […] für diese Zeit archäologisch nicht belegt« (Küchler 1999, 385). Er deutet die Anlage als einen für Bewohner und Pilger »idealen Naherholungsbereich« in unmittelbarer Nähe der Stadt (Hengel 1999, 319). Mit der Zerstörung Jerusalems 70 n. Chr. brach, wie die Keramik- und Münzfunde belegen, die Benutzung der Anlage ab. Erst in spätrömischer Zeit – nach dem zweiten jüdisch-römischen Krieg (132-135 n. Chr.) – belebte sich das Areal wieder, und in den Ruinen entstand ein neues Ensemble gepflegterer Gebäude mit einem Serapis-/Asklepios-Heiligtum in ihrer Mitte (zu den im Schutt gefundenen Fragmenten von Votivstelen etc. vgl. Küchler 2007, 326-328; Arnould-Béhar 2011, 45-56). Für das Verständnis der Vorgänger-Anlage sind diese späteren Funde insofern interessant, als neue Heiligtümer in der Regel an ältere Lokaltraditionen anzuknüpfen pflegen. So deutet das spätere Heiligtum zu Ehren des Heilgottes Asklepios darauf hin, dass bereits vor 70 n. Chr. der Ort als heilig und heilbringend erfahren wurde. Dass Asklepios oder andere heidnische Götter 695
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hier schon vor 70 n. Chr. verehrt wurden (so Duprez 1970, 52-127; vgl. auch Kollmann 1996, 228 f.; Broer 2007, 106 f.), scheint wegen der Heiligkeit des nahen Tempels allerdings ausgeschlossen zu sein. »Allein schon die rigorose Einhaltung des Bilderverbots machte derartige öffentliche Kulte, die Kultbilder voraussetzten, unmöglich« (Hengel 1999, 312 f.). Die – nach der israelitisch-frühjüdischen und spätrömischen – dritte Bebauungsphase setzte in byzantinisch-christlicher Zeit mit der Basilika zu Ehren des Gelähmten ein, die man über dem Ostteil des durch Stützbauten verstärkten Mitteldamms der Doppelteichanlage errichtete. An dieser Phase interessiert hier nur so viel, dass sie die Identifikation des johanneischen Betesda mit dem Areal der Teichanlage eindrucksvoll bestätigt. Doch lässt sich Joh 5 den archäologischen Befunden noch genauer zuordnen? Zunächst beeindruckt, wie Joh 5,3.7 die Annahme eines heiligen Ortes im Sinne seiner Wundertätigkeit bestätigt und dahingehend konkretisiert, dass dies mit der zeitweiligen Heilkraft seines Wassers zusammenhing. Aber mit welchem Wasser? Nach der Jerusalemer Tradition der byzantinischen Zeit wie den Grabungsbefunden des 20. Jh. eigentlich nur mit dem Wasser des Doppelteiches. Der älteste Zeuge hierfür ist Eusebius von Cäsarea, in dessen »Namensverzeichnis der biblischen Ortsnamen« (um 331 n. Chr.) es heißt: »Bethzatha: Ein Teich in Jerusalem, welcher der Schaf-(Teich) ist, vor alters 5 Säulenhallen aufweisend. Und jetzt wird er gezeigt in den dortigen Zwillingsteichen […]« (on. 58,21-26). Hat Eusebius selbst die Säulenhallen nicht mehr gesehen, so dürfte man kurze Zeit später (334 n. Chr.) dem ortsfremden Pilger von Bordeaux, der von der Anlage im Präsens spricht (»mehr im Inneren der Stadt sind Zwillingsteiche mit fünf Säulenhallen, die Bethsaida genannt werden«), die Trümmer im Umkreis der Becken als Reste der Kolonnaden gezeigt haben: »Sein Reiseführer hat da wohl so gute Imaginationsarbeit geleistet, dass die fünf Stoën vor dem geistigen Auge des frommen Pilgers wiedererstanden« (Küchler 1994, 141). Cyrill von Jerusalem (gest. 386) stellte sich die Anlage in seiner Predigt zu Joh 5 als Erster so vor: »In Jerusalem nämlich war ein Teich mit fünf Stoën, vier nämlich rundherum laufende, als mittlere aber die fünfte, in welcher eine Menge Kranker lag« (hom. 2). Dieses Bild der Teichanlage prägt die Vorstellung von ihr bis heute (vgl. die Abbildungen bei Duprez 1970; Sainte-Anne, Fig. 10). Problematisch scheint allerdings, dass die Grabungen bislang keine Säulenreste zu Tage gefördert haben. Daraus schließt M. Küchler: »Fünf Stoën im Sinne von fünf Säulengängen entlang den Rändern der beiden monumentalen Becken haben archäologisch nie existiert!« (Küchler 1994, 150; ders. 2007, 323 f.). Zudem besaß die Anlage nicht, wie das von Säulenhallen zu erwarten wäre, eine gleichmäßige rechteckige Form, sondern war trapezförmig. Schließlich seien die Becken aufgrund ihrer Tiefe zum Baden von Kranken nur bedingt geeignet gewesen: »Unless assisted by a trained nurse, no really sick person could be expected to be able to descend the many narrow steps into one of the two 13 m deep basins« (Cohn 1987, 35 vgl. auch Duprez 1970, 161). Die jüngsten Ausgrabungen legen an dieser Stelle aber eine andere Sicht der Dinge nahe (vgl. die Photos in: Sainte-Anne, Fig. 87-89.95 f.; auch von Wahlde 2006, 565, hält die Anlage im Sinne einer mikveh für geeignet). Wie ist mit dem Befund umzugehen? M. Küchler (der v. a. wegen der Nicht-Auffindbarkeit der »Säulenhallen« der oben abgelehnten Übersetzung von Joh 5,2 den Vorzug gibt) sucht »sein« Betesda in den Badeanlagen östlich des Doppelteichs und schlägt vor, dass mit stoaffl (stoai) keine Säulenhal696
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len im klassischen Sinne gemeint seien (so wieder Broer 2001, 88, mit Hinweis auf Joh 10,23; Apg 3,1; 5,12), sondern »jene Gänge, Hallen oder Gallerien«, »die unter- und oberirdisch um die Bassins am östlichen Abhang des Tales angeordnet waren und den Erfrischung oder Heilung Suchenden Unterkunft gewährten« (Küchler 1994, 152). Hält er noch daran fest, dass es entsprechend Joh 5,(3)7 der Doppelteich gewesen sein muss, in dem von Zeit zu Zeit das Wasser aufwallte, den der Kranke von Joh 5 aber stets zu spät erreichte, so lösen andere (Duprez 1970, 161; Broer 2001, 88-90) Joh 5,2 ganz vom Doppelteich ab und suchen den Heilort ausschließlich in den östlichen Badeanlagen. Diese Lösung, die zur Konsequenz hätte, dass die johanneische Erzählung rein fiktiv wäre, kann aus verschiedenen Gründen nicht überzeugen. Zum einen verfügten die östlich gelegenen Grotten über keinen eigenen Wasserzufluss. Zum anderen scheinen die jüngsten Erkundungen auf dem Gelände zu ergeben, dass es von den Grotten aus keinen direkten Zugang zur Doppelteichanlage gab, diese vielmehr vom Westen aus betreten wurde (Gibson 2011, 28). Überdies gibt es für das »Aufwallen des Wassers« im Doppelteich plausible Erklärungen: Vielleicht rührte es von einem Abzugskanal in Richtung Tempelplatz her oder von der Stauvorrichtung in der Trennmauer zwischen den beiden Teichen (vgl. Donner 1979). »Das Blubbern und der Schaum, der sich beim Einströmen des Wassers in das südliche Becken bildete, mögen den Eindruck ›bewegten‹ Wassers hervorgerufen haben, was zur Zeit Jesu offenkundig große Menschenmengen anzog« (Gibson 2010, 94). Eine intermittierende Quelle wie am Schiloah-Teich (vgl. zu Joh 9,7) gab es in Betesda nicht; eine Verwechslung mit dem dortigen Teich, die verschiedentlich ins Spiel gebracht wurde (Cohn 1987, 30-37; Devillers 1999, 175-205), dürfte nach den jüngsten Erkundungen ausgeschlossen sein. Wer mit der oben gebotenen Übersetzung (und der christlichen Überlieferung) daran festhält, dass es der Doppelteich war, der im Volksmund den Namen »Betesda« trug, muss allerdings mit dem Rätsel der stoaffl (stoai) zurechtkommen. M. Hengel (1999, 312) bietet eine plausible Erklärung: Dass bei neueren Ausgrabungen keine herodianischen Säulenreste gefunden wurden, kann damit zusammenhängen, dass bei der Belagerung [sc. von Jerusalem] durch Titus das ganze Areal nördlich der heftig angegriffenen [Burg] Antonia bzw. der Tempelmauer besonders schwer in Mitleidenschaft gezogen, ja z. T. direkt planiert wurde, um die circumvallatio und Dämme zu errichten. Die ersten christlichen Berichte scheinen zudem noch Reste vorauszusetzen, die dann wohl für spätere Bauten, etwa für die gewaltigen Substruktionen der byzantinischen Basilika innerhalb beider Teiche verwendet wurden. Dass von den fünf Stoai archäologisch nichts mehr sicher nachzuweisen ist, darf bei diesem Sachverhalt nicht verwundern (vgl. auch von Wahlde 2006, 563).
Traditions- und religionsgeschichtlicher Hintergrund Obwohl das Johannesevangelium nicht in Palästina entstanden ist (wahrscheinlich in Syrien: Theobald 2009, 94-98), verfügt es doch über ausgezeichnete Kenntnisse der Stadt Jerusalem aus der Zeit vor ihrer Zerstörung, was höchst erstaunlich ist. Die beste Erklärung dieses Befundes ist die Annahme, dass sein Autor über ortskundige Quellen verfügte. Die aus Palästina stammende so genannte »Zeichenquelle« (Theobald 2009, 32-42), 697
Die Wundererzählungen im Johannesevangelium
die einen Reigen von Wundererzählungen gerade auch aus dem Jerusalemer Umfeld bot (neben Joh 5 vgl. noch Joh 9 und 11), enthielt all die Ortstraditionen, die uns heute am vierten Evangelium so überraschen (vgl. nur Joh 1,28; 3,23; 4,5 etc.). An Joh 5 lässt sich diese Annahme dadurch erhärten, dass der Text tatsächlich deutliche Spuren einer diachronen Schichtung aufweist. Zunächst fällt auf, dass er unterschiedlichen Gattungen folgt: Er beginnt mit einer Heilungsgeschichte, geht über zu einem Verhör, das mit dem Hinweis auf ein vom Geheilten übertretenes Verbot der Tora an Streitgespräche der Synoptiker erinnert (vgl. 10b.c mit Mk 2,24; 3,4; 10,2), und mündet schließlich in einen Monolog Jesu ein. Dass diese Teile nicht von Anfang an eine organische Einheit bildeten, bestätigt auch die folgende Beobachtung: An sich gehören Zeitangaben in die Exposition einer Erzählung (vgl. 2,1.13; 3,2; 5,1a; 6,4 etc.), hier klappt aber die Notiz V. 9d (»es war aber Sabbat an jenem Tag«) merkwürdig nach (vgl. auch 9,14; anders Mk 1,21; 2,23; 6,2). Daraus folgt, dass die Heilungserzählung ursprünglich eine selbstständige Überlieferung darstellte, die erst nachträglich zu einer Sabbat-Konfliktgeschichte ausgebaut wurde. Die überlieferungskritische Frage im Anschluss lautet: Genügt zur Erklärung dieses Befundes ein Zwei-SchichtenModell – der Evangelist hat eine mündliche Überlieferung verschriftlicht und erweitert – oder ist ein Drei-Schichten-Modell notwendig – mit einer mündlichen Überlieferung aus Jerusalem am Ursprung, der Zwischenschicht der »Zeichenquelle« und der Endfassung des Evangelisten? Zugunsten eines Zwei-Schichten-Modells (z. B. Painter 1987, 28 f.) könnte die Bezeichnung der Gegner Jesu mit dem für den Evangelisten charakteristischen Terminus »die Juden« sprechen, da dieser Terminus bereits ab V. 10 begegnet (vgl. dann auch V. 16.18). Indes schlägt dieses Argument nicht durch, da der Evangelist das von ihm übernommene Quellenstück ja seiner Terminologie auch hat angleichen können (für die »Zeichenquelle« würde man dann analog zu 9,13-17 die »Pharisäer« als Akteure postulieren). Zugunsten eines Drei-Schichten-Modells (z. B. Labahn 1998, 159-179; Metzner 1999, 177-180; Broer 2007, 146) sprechen folgende Argumente: (1) V. 14 (vgl. dazu als Kommentar 9,2 f.) lässt sich nur schwer in das Denken des Evangelisten integrieren (s. u.). – (2) Nur in V. 16 (und Joh 15,20) ist im Evangelium davon die Rede, dass man Jesus »verfolgte«, an allen vergleichbaren Stellen heißt es um einiges schärfer, dass man Jesus zu »töten« trachtete (5,18; 7,1.19.25; 8,37.40). – (3) Der Evangelist interessiert sich eigentlich nicht für die Sabbatproblematik, sondern viel eher für die Frage nach der Wirkeinheit von Vater und Sohn (vgl. V. 17 f.). Die zweite und dritte Episode der Erzählung, die um die Frage erlaubter und unerlaubter Tätigkeiten am Sabbat kreisen, sind für ihn nur das Sprungbrett, um zur entscheidenden christologischen Frage zu kommen. Umgekehrt war für die Redaktoren der »Zeichenquelle«, die sich noch der jüdischen Synagoge zugehörig wussten, die Frage nach dem Sabbat eine akute Frage (vgl. Theobald 2009, 42). – (4) V. 18 bewegt sich nicht mehr auf der Ebene möglicher Verstöße gegen das Sabbatruhegebot unter Voraussetzung seiner Gültigkeit (so aber V. 9-13; vgl. auch 7,21-23), sondern erklärt grundsätzlich, dass Jesus den Sabbat »abgeschafft« hat. Das ist nicht mehr der Standpunkt der »Zeichenquelle«, sondern der des Evangelisten, dem zufolge »der erste Tag der Woche« (20,19) dem Sabbat den Rang abgelaufen hat. Setzt man diese Befunde in konkrete literarische Zuordnungen um, dann ergibt sich folgendes Bild: Die älteste Schicht des Textes wird in Joh 5,2-9c greifbar, einer ursprünglich mündlichen Überlieferung von der Heilung eines Gelähmten durch Jesus in Betesda, 698
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die wohl aus Jerusalem selbst stammt. Dass Jesus von sich aus den Mann anspricht, eröffnet erzähltechnisch die Möglichkeit, von seinen vergeblichen Bemühungen um Heilung aus seinem eigenen Mund zu hören. Ansonsten ist die Geschichte mit der Einführung des Kranken, dem wirkmächtigen Wort Jesu und der Konstatierung der Heilung gattungskonform erzählt (vgl. zuletzt Broer 2007, 152). Einige Autoren (z. B. Labahn 1998, 166) wollen als Schluss der Geschichte noch V. 14* hinzunehmen, doch schon die Demonstration des Wunders in V. 9 könnte die Erzählung stilecht abgeschlossen haben. Verschriftlicht wurde die alte Überlieferung durch die Autoren der »Zeichenquelle«, die sie zugleich um eine Sabbat-Konfliktgeschichte erweiterten (V. 9d-16). Möglicherweise ist deren Ende in 7,22 f.* aufbewahrt, ein merkwürdig versprengtes Stück, das thematisch bestens zu 5,2-16 passt (Theobald 2009, 368.522-524). Der Evangelist hat schließlich das durch den jüdischen Festkalender motivierte Itinerar V. 1 vorangestellt, auch die Apostrophierung der Gegner Jesu als »Juden« (V. 10c.15b.16a) eingebracht und v. a. die christologischen Kernsätze V. 17 f. gebildet, die den ursprünglichen Schluss der Sabbat-Konfliktgeschichte 7,22 f.* verdrängt haben dürften. Diese diachrone Skizze der Entwicklung der alten Überlieferung hin zum vorliegenden Evangelientext ergibt, dass seine Wurzeln nicht nur allgemein jüdisch (Sabbat etc.), sondern in einem spezifischen Jerusalemer Milieu zu suchen sind. Zugleich wird deutlich, wie eine noch in synagogalem Kontext beheimatete »judenchristliche« Erzählung beim Evangelisten, der sie von der Warte seiner hohen Christologie her liest, in Opposition zum frührabbinischen Judentum gerät, für welches die Erzählfigur der »Juden« stehen dürfte. Die religionsgeschichtliche Kontur der Erzählung ist jüdisch-hellenistisch. Das lässt sich an einem Detail erläutern, der Angabe der 38 Jahre, die wahrscheinlich zur ältesten Überlieferung gehört; konkrete Angaben zur Dauer einer Krankheit sind in Heilungsgeschichten nicht ungewöhnlich (vgl. Mk 5,25; 9,21; Lk 13,11; Apg 3,2; 4,22; 9,33; 14,8; Joh 9,1; vgl. auch Philostr. vit. ap. 3,38.39). Nun heißt es bei Dio Chrysostomus: »Eine Krankheit, die schon lange im Körper sitzt, aus ihm herauszutreiben, fällt nicht leicht, erst recht nicht, wenn man sie gerne schmerzlos heilen möchte« (or. 41,9). Umso größer ist danach die Kraft des Wundertäters, der solche Krankheit zu besiegen vermag. So passt dieser Zug zum hellenistischen Ambiente der Erzählung, weist andererseits aber auf ihren jüdischen Horizont: 38 Jahre lang sind die Israeliten nach Dtn 2,14 in der Wüste umhergeirrt, bis nach dem Schwur des Herrn (Dtn 1,35) »die Generation der kriegstüchtigen Männer aus dem Lager vollständig aufgerieben war«. Schon Cyrill von Alexandrien (Joh. 2,5 [PG 73,337]) meinte deshalb, der Mann sei Sinnbild des jüdischen Volkes, das am Ende doch noch Gnade fände. Warum hier die Zahl 38 steht und nicht die bekanntere der 40jährigen Wüstenwanderung, ist schwer zu sagen. Möglicherweise verbindet sich mit der 40 die fürsorgliche Führung des Volkes durch JHWH (vgl. Dtn 2,7: »Vierzig Jahre lang war der Herr, dein Gott, bei dir. Nichts hat dir gefehlt!«), mit der 38 dagegen der Gedanke einer Strafwanderung (Dtn 2,14: Sünde – Gericht [Tod in der Wüste]). Letzteres würde gut zu Joh 5,14 passen. Wahrscheinlich geht die Zahl auf die »Zeichenquelle« zurück, für die Zahlen durchweg eine Rolle spielen (vgl. Joh 2,6; 4,18; 6,9.13; ansonsten 8,57; 12,5; 21,11).
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Verstehensangebote und Deutungshorizonte Entsprechend der dargestellten Entwicklung der Betesda-Erzählung sind auch ihre Deutungshorizonte mehrschichtig. So lässt sich das Verstehensangebot des Evangelisten von dem der »Zeichenquelle« unterscheiden; nur in Umrissen erkennbar ist die am Ursprung stehende mündliche Überlieferung. Mehr zu ihr lässt sich erst sagen, wenn der Bezug des wirkmächtigen Wortes Jesu V. 8 in ihrem Zentrum zu Mk 2,9.11 geklärt ist (vgl. unten). So vielschichtig die Erzählung also ist, sie bildet – synchron gelesen – doch eine eigene Dynamik aus, die ihr der Evangelist durch seine literarische Arbeit eingestiftet hat. Schauplatz der Heilung ist der Teich Betesda – »Haus der Gnade« – mit fünf Säulenhallen. Wer eine Anschauung vom Ort besitzt, mag sich die Stätte konkret vorstellen, darf sich durch die Zahl aber auch an die Tora (mit ihren fünf Büchern) erinnert sehen, die den »Raum« bildet, in dem sich die Menschen hier bewegen. Jesus indes überbietet ihn mit seinem vollmächtigen Wort. Wenn er den seit 38 Jahren leidenden Menschen auffordert aufzustehen, seine Pritsche zu nehmen und umherzugehen, dann war dies ursprünglich ein Erzählmoment zur Demonstration des Wunders, weshalb V. 9 auch V. 8 genau entspricht: »Und sogleich wurde der Mensch gesund und hob sein Bett auf und ging umher«. Im Fortgang der Lektüre, und d. h. auch: im Kontext der Sabbat-Konfliktgeschichte der »Zeichenquelle«, erhält die Aufforderung Jesu an den Menschen umherzugehen, eigenes Gewicht: Jetzt übertritt der Mann, indem er Jesus gehorcht, das Sabbatruhegebot der Tora bzw. eine der pharisäischen »Ausführungsbestimmungen« dazu. Dabei ist nicht ganz klar, worin genau seine Übertretung besteht. Gewiss in einer der vielen am Sabbat verbotenen Arbeiten (mShab 7,2). Doch in welcher? Schon im »Aufheben« der Pritsche, was zunächst V. 10 nahezulegen scheint? Oder im »Umhergehen« mit der Pritsche (vgl. V. 11 f.), wobei vielleicht an das Verbot zu denken ist, Gegenstände von einem Bereich in den anderen zu tragen (Jub 2,29 f.; Shab 7,2; vgl. Billerbeck 1924, 454-461), etwa »Lasten durch die Tore der Stadt« in sie hinein (Jer 17,24; vgl. auch Neh 13,15-19). Zur Lage von Betesda in unmittelbarer Nachbarschaft der Stadtmauer würde das gut passen. Wie dem auch sei, der Mann entzieht sich dem Druck der Fragesteller (ursprünglich wohl »Pharisäer«, die ja über die Einhaltung der Gebote im Alltag wachten), indem er auf Jesus verweist, dessen Namen er aber nicht kennt. In der nächsten Episode sucht Jesus ein zweites Mal die Begegnung mit ihm, jetzt aber auf neuer Ebene: »Siehe, du bist gesund geworden (vgl. V. 6.9.11, aber auch 7,23), sündige nicht mehr, damit dir nicht Schlimmeres widerfahre!« (V. 14). Jesus scheint also dem Mann zugleich mit seiner Heilung eine neue Gottesbeziehung eröffnet zu haben. Er trifft ihn ja auch im Tempel, wo er Gott vielleicht für seine Gesundung danken wollte. Jesu Wort jedenfalls weist in diese Richtung, denn es stellt sein körperliches Leiden als Sündenstrafe oder Strafleiden hin, was populäre frühjüdische Volksmeinung aufgreift (vgl. bNed 41a: »Der Kranke steht von seiner Krankheit nicht auf, bis man [= Gott] ihm alle seine Sünden vergeben hat«). Dann schließt seine Wiederherstellung aber auch einen Neuanfang vor Gott ein, den er nicht wieder aufs Spiel setzen soll, wie Jesus ihm zu verstehen gibt, »damit ihm nichts Schlimmeres widerfahre«. Aber was kann schlimmer sein, als 38 Jahre gelähmt zu sein? Nach Ansicht der »Zeichenquelle« wohl nur das zukünftige Strafgericht Gottes über die Sünder. Wenn der Mann auf Jesu Wort nicht antwortet, sondern »weggeht« (vgl. Joh 700
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6,66 f.) und der Behörde seinen Namen anzeigt, kann damit nicht gemeint sein, dass er sich zu ihm vor der Behörde bekenne, wie manche Ausleger meinen (z. B. de la Potterie 1977, 445-453 mit dem Hinweis darauf, dass das Verb ⁄naggffllw [anangello¯ – berichten, verkündigen] auch in Joh 4,25; 16,13-15 begegne; anders Metzner 1999, 186 f.). Ein echtes Bekenntnis sieht anders aus, es hat Folgen auch für die eigene Person (vgl. Joh 9,34.38). Hier geht es eher um »Denunziation« (Schenke 1998, 97.101; vgl. auch Joh 11,46), durch die sich der mutmaßliche Sabbatbrecher selbst aus der Affäre zieht. Er verschwindet auch gleich von der Bildfläche, ohne dass wir irgendetwas über eine tiefer gehende Wirkung der Tat Jesu auf ihn erführen. Damit sind wir in unserer Lektüre beim Deutungshorizont des Evangelisten. Er greift die Fassung der »Zeichenquelle« auf und integriert sie in sein Verständnis der Wunder Jesu. Für ihn sind diese keine Erweise der Göttlichkeit des Wundertäters, sondern erzählte Bilder, die für die gläubigen Leserinnen und Leser eine tiefere Wahrheit aufscheinen lassen. Interpretationsschlüssel in unserem Fall ist Joh 5,21 aus dem sich anschließenden Monolog Jesu: »Wie nämlich der Vater die Toten erweckt (¥gefflrei egeirei) und sie lebendig macht, so macht auch der Sohn lebendig, wen er will«. Wenn deshalb Jesus in V. 8 dem Mann sagt: »Steh auf (˛geire egeire)!«, dann steht dieses Wort, mit dem er den Verzweifelten und Vereinsamten aus seiner abgründigen Not herausholt, für ein »Auf(er)stehen« ganz anderer Art, das auch den Nachgeborenen – und d. h.: den Leserinnen und Lesern des Evangeliums – zugänglich und erfahrbar ist. Wer glaubt, wird aufgerichtet, erhält hier und jetzt schon Anteil am »ewigen Leben«, indem er die Grenze vom Tod ins Leben »überschreitet« (vgl. V. 24). Und wenn Jesus in V. 21 hinzufügt: »der Sohn macht lebendig, wen er will«, dann wird das anschaulich an seinem machtvollen Auftreten in Betesda: Obwohl dort so viele Kranke liegen, fällt sein erwählender Blick doch nur auf einen von ihnen. Er erkennt, dass dieser schon lange Zeit in seinem elenden Zustand zubrachte (wie auch sonst göttliche Wundertäter die Situation durchschauen), und stellt ihn körperlich wieder her. Freilich besitzt der angedeutete Symbolisierungsprozess auch eine Kehrseite, wenn man sieht, dass der Geheilte Jesus an die Behörde verrät. »Das ›Leben‹ ist daher in der Erzählung Joh 5,1-18 nur in suspenso präsent. Es ist das Angebot für denjenigen, der sich im Glauben öffnet (Joh 5,24)« (Metzner 1999, 190). Über der nicht wirklich zustande gekommenen Beziehung Jesu zum Gelähmten (und umgekehrt) waltet das Gericht – ganz anders die Gegenerzählung Joh 9! Beide Seiten – Leben und Gericht – wird Jesus in seiner anschließenden Rede entfalten (vgl. Joh 5,21-23.24 f.). Von daher erschließt sich auch der sperrige V. 14, der in seinem unmittelbaren Verständnis auf die »Zeichenquelle« verweist, aber weder für den historischen Jesus reklamiert werden kann (für ihn wird viel eher Lk 13,1-5 gelten!), noch für den Evangelisten, der ein zukünftiges Strafgericht Gottes in seiner präsentischen Eschatologie nicht mehr kennt (Theobald 2009, 52-54 u. ö.). Dennoch wird er den Vers in seine eigene theologische Weltsicht integriert haben. Aber wie? »Sündige nicht mehr!« kann für ihn nur heißen: Verschließe dich nicht dem Anruf des Offenbarers, der vor dir steht und dir das Wort sagt, das allein wahres Leben schenkt. Sonst ergeht es dir wirklich schlimm – nicht körperlich und auch nicht in einem zukünftigen Gericht, sondern in dem, was der Unglaube dem Offenbarer gegenüber jetzt schon bedeutet: Verfallenheit an den ewigen Tod. Geschenkt hat er dir die Gesundheit, aber die Wirklichkeit des Lebens reicht weit darüber hinaus. Und so meint auch der Komparativ 701
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»Schlimmeres« keine quantitative Steigerung des Übels, sondern den Umschlag in eine qualitativ andere Dimension: statt körperlicher Gebrechen ewiges Verderben. Indem Jesus in V. 14 vor diesem Verderben warnt, ruft er den Geheilten indirekt zum Glauben an ihn (»sündige nicht mehr …«). So wenig für den Evangelisten die Gesundung des Mannes auch schon den Beginn einer erfüllten Gottesbeziehung bedeutet, so wenig wird er auch den Tun-Ergehen-Zusammenhang seiner Vorlage in dem vordergründigen Sinn einer physisch sich auswirkenden Kausalität (Krankheit als Strafleiden für Sünden) akzeptiert haben. In Joh 9,3 wird er im Rahmen der Gegengeschichte von der Heilung des Blindgeborenen die Gelegenheit ergreifen, zu dieser Frage Stellung zu beziehen. Und wie geht er mit der Sabbatproblematik um, die ihm von der »Zeichenquelle« her vorgegeben war? Belässt er es bei der oben schon erwähnten stillschweigenden Umwandlung des Verstoßes gegen eine bestimmte Sabbat-Halacha in die Aufhebung des Sabbats selbst durch den »ersten Tag der Woche« (vgl. Joh 20,1.26)? Oder setzt er sich auch argumentativ mit der Thematik auseinander? Auf Letzteres weist der lapidare Ausspruch Jesu in V. 17 hin, der an V. 16b anknüpft (»weil er dies am Sabbat getan hatte«). Statt von einem »Tun« ist jetzt von einem »Wirken« die Rede (zum johanneischen Sprachspiel »Werk[e]« vgl. Joh 4,34; 5,20.36 etc.), statt von der eingegrenzten heiligen Zeit des Sabbats von einem unbegrenzten »bis jetzt«. »Mein Vater wirkt bis jetzt«, d. h.: Er wirkt noch immer (vgl. 1Joh 2,9; 1Kor 8,7; 15,6), ununterbrochen; er ist in seinem Wirken als Schöpfer nicht an Zeitmaße gebunden (creatio continua), auch nicht an das heilige Zeitmaß des »Sabbats«. Dass dies über eine bloße Behauptung hinausgeht, vielmehr die Kraft eines echten Arguments besitzt, wird klar, wenn man im Hintergrund die frühjüdische Debatte um das rechte Verständnis von Gen 2,2LXX ausmacht: »… und Gott ruhte am siebten Tag von all seinen Werken, die er getan hatte«. Dazu erklären die Rabbinen, Gott habe zwar am siebten Tag »von der Arbeit an seiner Welt geruht, nicht aber von der an den Gottlosen und Gerechten; vielmehr wirkt er mit diesen und mit jenen, zeigt diesen etwas von ihrer Vergeltung und jenen etwas von ihrer Vergeltung« (BerR 11,10 [8c]; vgl. auch ShemR 30,9). Und Philo kommentiert zu Gen 2,2: »Gott hört niemals auf zu schaffen; wie vielmehr das Brennen zum Wesen des Feuers und das Abkühlen zu dem des Schnees gehört, so das Schaffen zum Wesen der Gottheit, umso gewisser, da sie ja für alle anderen Wesen den Quell der Tätigkeit bildet« (LA 1,5). Darauf baut die Klimax des Spruchs auf: Was von meinem Vater gilt – dass er sich in seinem »Wirken« nicht von (menschlichen) Zeitmaßen bestimmen und auch nicht vom Sabbat-Gebot binden lässt, das gilt auch von mir, seinem Sohn: »und auch ich wirke!« Jesus lässt sich in seinem »Wirken« nicht durch heilige Zeiten begrenzen, er ist »Herr über den Sabbat« (vgl. Mk 2,28) und »wirkt« in göttlicher Souveränität – wie sein Vater. Worin sein »Wirken« genau besteht, bleibt hier noch in der Schwebe. Doch der anschließende Monolog Jesu zeigt, dass mehr gemeint ist als nur sein von den »Juden« angefeindetes »Tun« am Sabbat. Denn dort tritt sein Heils-»Wirken« überhaupt ins Blickfeld, wie der Evangelist es schon in der »Aufrichtung« des Gelähmten symbolisiert sehen möchte.
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Aspekte der Parallelüberlieferung und Wirkungsgeschichte Eine synoptische Parallele zu Joh 5,2-9c existiert nicht, wie die anderen Evangelisten auch im Allgemeinen nichts von einem Wunder-Wirken Jesu in Jerusalem wissen (vgl. nur Mt 21,14 f.). Umso überraschender ist die wörtliche Übereinstimmung von Joh 5,8 mit Mk 2,9.(11) (vgl. Mt 9,5 f.; Lk 5,23 f.) in der einzigen sonst noch bekannten Überlieferung von der Heilung eines Gelähmten durch Jesus. Markus hat seine Geschichte in Kafarnaum lokalisiert und mit einem Streitgespräch (2,6-10) verschachtelt. Dass auch hier Gegner auftreten, die Jesus der Blasphemie bezichtigen (2,6 f.; vgl. Joh 5,18) und Krankheit als Folge von Sünde erscheint (vgl. 2,5 mit Joh 5,14), erinnert zwar an Joh 5, ist aber für die Annahme einer direkten Abhängigkeit der johanneischen Erzählung von Mk 2 zu vage (Labahn 1998, 163 f.). Bei Markus geht es um die von Jesus beanspruchte Vollmacht der Sündenvergebung, die nach Ansicht der Schriftgelehrten allein Gott zusteht; im vierten Evangelium fehlt ein ausdrücklicher Zuspruch der Sündenvergebung, ebenso der Terminus paralutik@ (paralytikos) für den »Gelähmten«. Natürlich lässt sich nicht ausschließen, dass die alte galiläische Überlieferung Mk 2,1-12 den Autoren der »Zeichenquelle« bekannt war, als sie ihre Jerusalemer Geschichte verschriftlichten. Einfacher ist indes die Annahme, dass es sich bei dem mit Mk 2,9 wörtlich übereinstimmenden Heilwort Jesu um eine stereotype Formel aus dem Fundus der Jesusüberlieferungen handelt (Borgen 1996a, 429), die unterschiedlich eingesetzt werden konnte. Abgewandelt begegnet sie auch in Apg 3,6, dem Heilwort des Petrus, das er dem von Geburt an Lahmen im Jerusalemer Tempel zuspricht: »Im Namen Jesu Christi, des Nazoräers – steh auf und gehe!« (in manchen Handschriften fehlt das ˛geire), sowie in Apg 9,33, wiederum im Munde Petri, dieses Mal an Äneas von Lydda gerichtet, der »seit acht Jahren auf dem Bett daniederlag« (vgl. Joh 5,5 f.): »Äneas, dich heilt Jesus Christus. Steh auf und mach dir selbst dein Bett!« Diese Variante der Formel zeigt, dass die frühen Christen im eigenen charismatischen Wunderwirken Jesus selbst am Werk sahen. Deshalb könnte es auch umgekehrt möglich sein, dass sie ihre eigenen Erfahrungen – Lukas weiß von manchen Heilungswundern, die nach Pfingsten durch die Apostel in Jerusalem geschehen seien (Apg 2,43; 5,12; vgl. auch 4,30; konkret: 3,1-10; 5,12-16) – in eine Jesusgeschichte zurückprojiziert haben. Im Fall von Joh 5,2-9c* liegt diese Annahme durchaus nicht fern. Wo und wann ist die hier aufbewahrte Überlieferung entstanden? Vielleicht erst nach der Zerstörung Jerusalems 70 n. Chr., die der Anlage von Betesda zwar ein vorläufiges Ende bescherte (vgl. oben), die Erinnerung an sie aber nicht auszulöschen vermochte. Indes hat die Annahme mehr für sich, dass die Erzählung auf lebendiger Anschauung beruht (vgl. die präsentische Einleitung der Erzählung: »In Jerusalem aber ist am Schaf[Tor] ein Teich […]«); hierzu Wallace 1990, 177-205). Jerusalemer Jesus-Gläubige könnten den Ort vor 70 n. Chr. zur Kontrastkulisse für ihre Jesus-Verkündigung gewählt haben, um auf die hier sichtbar werdenden Hoffnungen vieler verzweifelter Menschen ganz vital zu antworten. Und welcher Kranke wäre unter den Bedingungen dieses nur von Zeit zu Zeit wundertätigen Teiches elender dran als gerade ein vereinsamter Gelähmter auf seiner Pritsche? So drängte sich die Erinnerung an Jesu einst in Galiläa gesprochenes
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Wort an diesem Ort geradezu auf. Es ist das Wort des Heilands, der seinen Blick auf dem Elenden und Verzweifelten ruhen lässt: »Steh auf, nimm dein Bett und geh!«
Michael Theobald Literatur zum Weiterlesen P. Borgen, The Sabbath Controversy in John 5:1-18 and Analogous Controversy Reflected in Philo’s Writings, in: ders., Early Christianity and Hellenistic Judaism, Edinburgh 1996, 105-120. I. Broer, Die Heilung des Gelähmten am Teich Betesda (Joh 5,1-9a) und ihre Nachgeschichte im vierten Evangelium (Joh 5,9b-16), in: J. Pichler/C. Heil (Hg.), Heilungen und Wunder. Theologische, historische und medizinische Zugänge, Darmstadt 2007, 143-161. C. Dauphin, Au service de la foi et de la France: L’archéologie au domaine national français de Sainte-Anne de Jérusalem, in: Sainte-Anne de Jérusalem, POC Numéro Spécial 2011, 516. S. Gibson, The Excavations at the Betesda Pool in Jerusalem. Preliminary Report on a Project of Stratigraphic and Structural Analysis (1999-2009), in: Sainte-Anne de Jérusalem, POC Numéro Spécial 2011, 17-44. M. Küchler, Zum »Probathischen Becken« und zu »Betesda mit den fünf Stoen«, in: M. Hengel, Judaica, Hellenistica et Christiana. Kleine Schriften II, mit Beitr. von H. Bloedhorn und M. Küchler, WUNT 109, Tübingen 1999, 381-390. M. Labahn, Eine Spurensuche anhand von Joh 5,1-18. Bemerkungen zum Wachstum und Wandel der Heilung eines Lahmen, NTS 44 (1998), 159-179. R. Metzner, Der Geheilte von Johannes 5 – Repräsentant des Unglaubens, ZNW 90 (1999), 177193. T. Nicklas/T. J. Kraus, Joh 5,3b-4. Ein längst erledigtes textkritisches Problem?, ASEs 17 (2000), 537-556. Sainte-Anne de Jérusalem, La Piscine Probatique de Jésus à Saladin. Le projèt Béthesda (19942010), POC Numéro Spécial 2011.
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Mehr als ein Prophet und ein Brotkönig (Die Speisung der Fünftausend) Joh 6,1-15 (1) Danach ging Jesus weg an das andere Ufer des Sees von Galiläa, (des Sees) von Tiberias. (2) Es folgte ihm aber eine große Volksmenge, weil sie die Zeichen sahen, die er an den Kranken tat. (3) Jesus aber stieg auf den Berg hinauf und setzte sich dort mit seinen Jüngern. (4) Es war aber nahe das Pascha, das Fest der Juden. (5) Als Jesus nun die Augen aufhob und sah, dass eine große Volksmenge zu ihm kommt, sagt er zu Philippus: »Woher sollen wir Brote kaufen, damit diese zu essen haben?« (6) Dies sagte er aber, um ihn auf die Probe zu stellen; denn er wusste, was er tun wollte. (7) Philippus antwortete ihm: »Für zweihundert Denare Brote reichen nicht aus für sie, dass jeder (auch nur) ein wenig bekomme.« (8) Einer von seinen Jüngern, Andreas, der Bruder des Simon Petrus, sagt zu ihm: (9) »Es ist ein kleiner Junge hier, der fünf Gerstenbrote und zwei Fische hat. Aber was ist das für so viele?« (10) Jesus sagte: »Lasst die Menschen sich lagern.« Es war aber viel Gras an diesem Ort. Es lagerten sich nun die Männer, an Zahl etwa fünftausend. (11) Jesus nahm nun die Brote, sprach das Dankgebet und teilte sie denen aus, die da lagerten, ebenso auch von den Fischen, so viel sie wollten. (12) Als sie aber gesättigt waren, sagt er zu seinen Jüngern: »Sammelt die übriggebliebenen Brocken, damit nichts umkomme.« (13) Sie sammelten nun und füllten zwölf Körbe mit den Brocken von den fünf Gerstenbroten, die denen, die gegessen hatten, übriggeblieben waren. (14) Als die Menschen nun sahen, was für ein Zeichen er getan hatte, sagten sie: »Dieser ist wirklich der Prophet, der in die Welt kommen soll.« (15) Als Jesus nun erkannte, dass sie kommen und ihn ergreifen wollten, um ihn zum König zu machen, zog er sich wieder auf den Berg zurück, er allein.
Sprachlich-narratologische Analyse Nach der Verwandlung von Wasser in Wein auf der Hochzeit zu Kana (Joh 2,1-11) folgt mit der Speisung der 5000 in Joh 6,1-15 ein weiteres Geschenkwunder. Diese Wundererzählung lässt sich in fünf Szenen unterteilen: Auf die Exposition (6,1-4) folgen eine Problemdarstellung (6,5-9), das eigentliche Wunder (6,10 f.), die Aufräumarbeiten (6,12 f.) und die abschließende Reaktion der Menschen und Jesu (6,14 f.). Durch die unbestimmte Zeitangabe metÞ ta‰ta (meta tauta – danach 6,1; vgl. 7,1) schließt Joh 6 im Sinne einer relativen Chronologie locker an das vorhergehende Kapitel an. In geographischer Hinsicht findet jedoch ein abrupter Ortswechsel von Jerusalem (5,1) über den See Gennesaret (vgl. 6,16-21; 21,1-14) an dessen Ostufer statt (6,1). Der Weg vom vorangegangenen Jerusalem (5,1 f.) an den See bleibt dabei jedoch unklar und hat viele Ausleger dazu veranlasst, eine literarkritische Umstellung der Kapitel 5 und 6 vorzunehmen. Der Hinweis auf die Nähe des Paschafestes (6,4), der bereits in Joh 2,13 705
Die Wundererzählungen im Johannesevangelium
und später ein drittes Mal in 11,55 begegnet, ist eine Zeitangabe und »Schrittstein« für die 3-Jahres-Chronologie. Er stellt das Folgende als eine Art »Pascha-Gliederungsformel« (Wilkens 1958, 9) in den Kontext des Pascha. So erhalten die Adressaten im Rahmenbericht Auskunft über den erzählten Ort und die erzählte Zeit. Der Erzähler beschließt die Geschichte (6,14 f.), indem er sein Insiderwissen über den Eindruck der Volksmenge, Jesus für den erwarteten Propheten (vgl. Dtn 18,15.18) zu halten, preisgibt und jener sich als wiederum aktiv Handelnder zurückzieht. Anders als in V. 3, wo Jesus mit seinen Jüngern auf einen Berg hinaufsteigt, sucht er diesen Ort jetzt allein auf. Mit der Angabe »am Abend« folgt in V. 16 ein zeitlicher Neuansatz und damit ein Wechsel zu einer absoluten Chronologie. Als narrative Aktanten werden Jesus (6,1), die Volksmenge (6,2), bzw. eine undefinierte Menschenmenge (6,10.14), ein kleiner Junge (6,9) sowie die Jünger (6,3), und unter diesen namentlich Philippus, Andreas und dessen Bruder Simon Petrus, eingeführt. Der Protagonist ist dabei eindeutig Jesus. Ihm folgt die Volksmenge (6,2), und zu ihm setzen sich die Jünger (6,3). Die Namensnennung gibt jedoch auch den Jüngern ein erhebliches erzählerisches Gewicht. Der Rahmenbericht 6,1-4.14 f. bietet der Leserschaft wichtige Deutungssignale im Sinne einer Leseanweisung: Der Zeichensuche des Volkes wird der Rückzug Jesu gegenübergestellt (vgl. 6,2 mit 6,14 f.). Dass das Volk und Jesus überhaupt aufeinandertreffen, wird im Übergang von 6,4 zu 6,5 stillschweigend vorausgesetzt. Offen bleibt, ob dieses Zusammentreffen auf dem Berg geschieht, was einen räumlich weiteren Rückzug Jesu in 6,15 implizieren würde, oder ob sein zwischenzeitlicher Abstieg vorausgesetzt wird. Die kurze Einleitung der eigentlichen Wundererzählung in 6,5 bereitet zunächst die sich anschließende direkte Figurenrede und das folgende Wunder vor. Nachdem Jesus »die Augen aufhob« und viel Volk zu sich kommen sah (6,5; Aorist Partizipien), eröffnet er das Gespräch (lffgei legei – er sagt). Die Begründung für das Kommen des Volkes ist bereits im Rahmenbericht erfolgt (6,2) und wird an dieser Stelle nicht wiederholt. Die direkte Rede setzt mit einer Frage Jesu an den Jünger Philippus nach den Möglichkeiten der Nahrungsmittelversorgung für die Volksmenge (6,5) ein. Eine Notwendigkeit für die Speisung des Volkes, etwa eine Notlage, wird nicht genannt. Da die Frageintention Jesu vom Erzähler als wohl pädagogisch zu verstehendes »auf die Probe stellen« charakterisiert wird, erhält die Leserschaft ein Signal zum positiven Ausgang der Geschichte. Philippus reagiert mit einem Hinweis auf die zu hohen Kosten und bleibt damit weit hinter der späteren Problemlösung zurück. Es folgt die Reaktion des namentlich und als Bruder des Simon Petrus (vgl. den Spannungsbogen zum Petrusbekenntnis in 6,68) vorgestellten Jüngers Andreas, der wohl die Frage Jesu mitgehört hat und auf den geringen Nahrungsmittelvorrat eines ansonsten stummen und passiven »kleinen Jungen« (6,9) verweist. Damit steht hier ein kleiner, aber offensichtlich hilfsbereiter Junge den »großen«, jedoch hilflosen Jüngern gegenüber. Eine kleine Menge Nahrung trifft auf eine große Volksmenge. Die Überlegungen der beiden namentlich genannten Jünger können als offensichtlich hilflos und nicht zielführend angesehen werden. Sie steigern damit zugleich die Aufmerksamkeit der Leserschaft und die Erschwernis des Wunders. Jesus bleibt jedoch Herr der Lage. Er lässt die Volksmenge sich lagern, spricht ein Dankgebet für den geringen Vorrat des Knaben und teilt die Nahrung unter die Menschen aus. Die Details bleiben unausgeführt: Der schnelle Erzählfluss verschweigt die Einzelheiten der Nahrungsmittelübergabe des Jungen an Jesus, des Lagerns der Volksmenge, des Wortlautes für das Dankgebet, des eigentlichen Essens und der Austeil- und Resteeinsammelaktivitäten. Durch mehrmaliges 706
Mehr als ein Prophet und ein Brotkönig Joh 6,1-15
oªn (oun – nun; 6,10d.11a.13a.14a.15a, vgl. bereits 6,5a) wird die bislang vorwiegend asyndetische oder durch dff (de – aber; 6,6a.10c) bzw. g€r (gar – denn, nämlich; 6,6b) geprägte Erzählweise zusätzlich beschleunigt. In geraffter Erzählweise wird ein Geschehen, das durchaus eine oder gar mehrere Stunden gedauert haben mag, summierend zusammengefasst. Die Jünger, jetzt als Gruppe, treten lediglich in Aktion, als sie auf den Befehl Jesu (Imperativ Aorist) die Leute sich lagern lassen (6,10) und schließlich die übriggebliebenen Brotreste aufsammeln (6,12 f.). Nach dem Kommen zu Jesus (6,5) wird das Volk an dieser Stelle (6,10) erstmals wieder erwähnt. Gezählt werden nur die 5000 Männer; die Zahl der Gespeisten ist also als noch erheblich größer anzunehmen. Nachdem Jesus, dem allgemeinen Brauch entsprechend, das Dankgebet über das Brot, nicht explizit über die Fische, gesprochen hat (Partizip Aorist), teilt er (und nicht die Jünger) Brot und Fische aus. Das nachgestellte »soviel sie wollten« unterstreicht die in 6,12 erfolgte Sättigung. Damit übersteigt die ausgeteilte Nahrungsmittelmenge jene von Philippus hypothetisch erwogene und als unrealistisch abqualifizierte Brotmenge, bei der jeder nur »ein wenig« bekommen hätte (6,7), bei weitem. Die Einsammlung der Brotbocken (6,13) unterstreicht nochmals die Dimension des Sättigungswunders: Von fünf Gerstenbroten sind zwölf Körbe übriggeblieben. Am Verbleib des Fisches und der Reste generell ist die Erzählung nicht interessiert. Die beiden abschließenden Verse nehmen das anfängliche Muster der Reaktionen des Volkes und Jesu (6,2) wieder auf und verstärken es: Der fortgesetzten Fixierung des Volkes auf ein weiteres Zeichen (16,14 vgl. 6,2) tritt Jesus abermals mit Rückzug auf den Berg entgegen (16,15 vgl. 6,3). Über den unmittelbaren Kontext hinaus ordnet der Erzähler das Speisungswunder in den weiteren Zusammenhang der shme…a (se¯meia – Zeichen) ein, die Jesus soteriologisch identifizieren (vgl. Poplutz, Hinführung Johannes in diesem Band). Dem erneuten (vgl. 6,3) und jetzt zu totalem Alleinsein gesteigerten Rückzug Jesu (6,15) folgt als Neueinsatz der Aufbruch der Jünger »am Abend« (V. 16). Der Text gehört zu jenen Wundergeschichten, die geographisch am See Gennesaret spielen (vgl. 6,16-21; 21,1-14). Durch die zweimalige Erwähnung des Bergs (6,3.15), auf den Jesus sich zunächst mit seinen Jüngern und später ganz allein zurückzieht, formt sich eine Inklusion. Eine Reihe von Details steigern den Realitätseffekt beim Leser, so etwa die Namen der Jünger (6,5-8), die Nennung der verwandtschaftlichen Beziehung zwischen Simon Petrus und Andreas, die Erwähnung des kleinen Jungen (6,9) und der genauen Benennung seiner Gerstenbrote (6,9: ˝rto@ krfflqino@ artos krithinos) und Fische (6,9: ¤v€rion opsarion – vermutlich für Trockenfisch) sowie die Erwähnung von »viel Gras an dem Ort« (6,10).
Sozial- und realgeschichtlicher Kontext Auf die Frage Jesu nach einer möglichen Versorgung der Volksmasse mit Nahrungsmitteln bringt Philippus die Geldsumme von zweihundert Denaren ins Spiel (6,7). Doch selbst diese ausgesprochen hohe Summe würde nach Meinung des Jüngers den akuten Bedarf an Brot nicht decken können. Ein Denar entspricht dem festgesetzten Tageslohn eines Arbeiters (Mt 20,1-16) und bietet einer fünfköpfigen Familie einen bescheidenen Lebensunterhalt. Als Existenzminimum für eine solche Familie galt bis etwa zum Ende 707
Die Wundererzählungen im Johannesevangelium
des 2. Jh. n. Chr. ein jährliches Einkommen von zweihundert Denaren (Stegemann/Stegemann 1997, 89). In der markinischen Parallele fragen die Jünger: »Sollen wir weggehen, für zweihundert Denare Brot kaufen und es ihnen geben, damit sie zu essen haben?« (Mk 6,37) Dies impliziert, dass eine solch hohe Summe zur Versorgung der Menschenmasse ausreichen würde. Einem typischen Zug des vierten Evangeliums folgend, wird das Wunderbare gegenüber der markinischen Parallele jedoch noch gesteigert, denn selbst ein wahres Vermögen von zweihundert Denaren würde nicht ausreichen. Und während die Synoptiker in betonter Weise festhalten, dass alle aßen und satt wurden (Mk 6,42 par.), stellt Joh 6,12 nur beiläufig fest: »Als sie aber gesättigt waren …« und betont zusätzlich die große Menge der übriggebliebenen Brotstücke (6,13). In der Antike waren Weizen und Gerste die beiden Hauptnahrungsmittel. Der Getreideanbau von Weizen, Gerste und Hirse war für die Landwirtschaft Galiläas von zentraler Bedeutung. Als Grund- und Hauptnahrungsmittel gehörte Brot in Jesu Lebenswelt zu jeder Mahlzeit dazu, und man kann schätzen, dass jeder Erwachsene pro Tag etwa 600g Weizenbrot zu sich nahm (Zwickel 2002, 101). Nach Offb 6,6 (vgl. 2Kön 7,1) kostete Weizen dreimal so viel wie Gerste, die meist als Tierfutter verwendet wurde. Gerste konnte jedoch auch geröstet (2Sam 17,28 vgl. 1Sam 17,17; Rut 2,14) oder zu Brot (Ri 7,13) verbacken werden. Wegen ihres anspruchslosen Anbaus wuchs Gerste auch in den halbtrockenen Randgebieten der Berge und im Negeb. Anders als die Synoptiker spricht Joh 6,9 von Gerstenbroten, die von einem kleinen Jungen beigesteuert wurden. Möglicherweise liegt darin eine Anspielung auf die Gerstenbrotvermehrung bei Elischa (2Kön 4,42). Auch kannte man Gerstenbrote als »Strafkost für schlechte Soldaten, Nahrung für Sklaven und kleine Leute« (Bauer 1933, 92; vgl. Gerste als Nahrung für die Armen bei Flav. Jos. Bell. 5,427), und darin mag man einen Hinweis auf einen geringen sozioökonomischen Status des Knaben sehen. Philo rechnet Gerste zu den schlichtesten Opfergaben (spec. 1,271). Vor dem Paschafest, in dessen Nähe der Text zeitlich eingeordnet ist (6,4), durften im Übrigen noch keine neu geernteten Getreidekörner als Nahrung verwendet werden (Lev 23,11-15). Erst mit dem Fest der ungesäuerten Brote (mazzot), das bereits vorexilisch mit dem Paschafest eine Einheit bildete (Lev 23,5-7), wurde die Gerstenernte sieben Tage lang mit ungesäuertem Brot gefeiert. Will man keinen Konflikt mit den antik-jüdischen Speisevorschriften annehmen, so könnte es sich in Joh 6,9 um Brot aus Getreideresten des Vorjahres handeln. Gesalzener und gepökelter Fisch war mit Brot zusammen gewöhnliche Nahrungsmittel im antiken Palästina. Sowohl die Mittelmeerküste zwischen Gaza und Tyrus als auch der See Gennesaret (Flav. Jos. Bell. 3,508) boten reiche Fischfanggründe. Magdala wurde wegen seiner Fischindustrie auch Tarichäa genannt (Plin. nat. 5,15; Flav. Jos. Ant. 20,159; Bell. 2,252; 3,462), was sich von dem terminus technicus für »Pökeln« bzw. »mit Salzlake konservieren« herleitet. Da die ersten Jünger Fischer waren und Jesus sich häufig am See Gennesaret aufhielt, spiegelt sich in der neutestamentlichen Erwähnung von Fisch Lokalkolorit wider (vgl. Joh 21,1-14). Im Unterschied zur Bezeichnung dÐo §cqÐe@ (dyo ichthyes – zwei Fische, Mt 14,17.19; Mk 6,38.41; Lk 9,13.16) verwendet Joh 6,9 (vgl. 21,9 f.13) dÐo ¤v€ria (dyo opsaria – zwei Fische). Als Diminutivform von von (opson – das Gekochte als Zukost zu Brot; als Bezeichnung für Fisch vgl. Num 11,22) bezeichnet es an dieser Stelle wohl eher kleine Trockenfische, wahrscheinlich die auch heute noch für den Fischfang im See Gen708
Mehr als ein Prophet und ein Brotkönig Joh 6,1-15
nesaret wirtschaftlich bedeutsamen Seesardinen (vgl. Keel/Küchler/Uehlinger 1984, 170). Das Speisungswunder endet mit einer ausgesprochen politischen Note: Die Menschen halten Jesus für den lang erwarteten Propheten und wollen ihn zum König machen. Dies ist in traditionsgeschichtlicher Perspektive noch stärker zu bedenken (s. u.). Die Zeit Jesu war nicht eben arm an sozialrevolutionären Hoffnungen. Nach dem Tod Herodes des Großen (4 v. Chr.) wuchs der Druck gegen die herodianische und römische Unterdrückung Palästinas. Als Herodes’ Sohn Archelaus im Gegenzug seine Soldaten nach Jerusalem einmarschieren (Flav. Jos. Ant. 17, 200-203; Bell. 2,1-13) und dort tausende Pilger töten ließ, erhoben sich im ganzen Land Aufständische, die teilweise auch messianische Hoffnungen zum Ausdruck brachten. Nach dem Zeugnis des Josephus strebten die messianisch gesinnten Anführer der Aufständischen danach, König über Israel zu werden (Flav. Jos. Ant. 17,285; Bell. 2,55). In der Zeit des Prokurators Fadus (44-46 n. Chr.) trat etwa ein prophetisch-messianischer Prätendent namens Theudas als eine Art Zeichenprophet auf. Jener »behauptete, Prophet zu sein« und rief die Menschenmassen auf, ihm mit ihrer gesamten Habe an den Jordan zu folgen, wo er »auf seinen Befehl den Fluss teilen und ihnen einen einfachen Durchzug ermöglichen werde« (Flav. Jos. Ant. 20,97). Die Anklänge an das Exodusgeschehen sind unverkennbar. Vermutlich sah Theudas sich selbst gemäß Dtn 18,15 f. als eine Art Mose redivivus. Josephus hielt ihn allerdings für einen Betrüger (gh@ goe¯s). In den Augen des Prokurators Fadus ging von der Aktion des Theudas jedoch erhebliche Gefahr aus. Er setzte seine Kavallerie in Bewegung und ließ Theudas und viele seiner Anhänger töten, andere gefangen nehmen. Auch wenn diese Episode historisch erst einige Jahre nach Jesu Kreuzigung anzusetzen ist, zeigt sich darin doch die Bedeutung messianischer Hoffnungen auf einen Propheten wie Mose.
Traditions- und religionsgeschichtlicher Hintergrund Im Unterschied zu den Synoptikern hat der vierte Evangelist seine Version des Speisungswunders mit bewussten Anklängen an die Mosefigur ausgestaltet und dadurch diese zu Jesus in Beziehung gesetzt. Die zweimal erwähnte Lokalisierung Jesu auf einem Berg (6,3.15) erinnert die Leser(innen) an die Offenbarung der Zehn Gebote auf dem Sinai (Ex 34). Ferner stellen eine Reihe von Details den Bezug zu Speisungswundern des Mose in der Exodustradition her. So erinnert die Frage des Philippus (6,5) an die Moseworte angesichts der hungernden Israeliten: »Woher soll ich Fleisch nehmen, um es all diesem Volk zu geben?« (Num 11,13). Auch wenn die Elischatradition eines Speisungswunders in 2Kön 4,42-44 implizit mitzuschwingen scheint (»Gerstenbrote« in 2Kön 4,42), stellt doch die explizite Bezugnahme auf Mose in Joh 6,32 einen deutlicheren Bezug her. Am eindrucksvollsten wird diese Verbindung von Jesus mit Mose jedoch durch das Resümee der nicht näher eingegrenzten Menschen sichtbar, die Jesus für den Propheten (6,14) halten und ihn zum König (6,15) machen wollen. Damit eröffnet sich ein traditionsgeschichtlich bedeutsamer Hintergrund. In der hellenistisch-jüdischen Literatur sind Prophet und König zwei Funktionen, die besonders häufig mit Mose in Verbindung gebracht werden (Flav. Jos. Ant. 4,329; Philo Mos. 1,334 ). Das Johannesevangelium erwähnt Mose insgesamt in acht Abschnit709
Die Wundererzählungen im Johannesevangelium
ten (1,17; 1,45; 3,14; 5,45 f.; 6,32; 7,19.22 f.; 8,5; 9,29). Nimmt man Joh 1,17 – »denn das Gesetz ist durch Mose gegeben; die Gnade und Wahrheit ist durch Jesus Christus geworden« – als Höhepunkt des Johannesprologs, so erfolgt damit bereits an früher und zugleich prominenter Stelle des Evangeliums eine wichtige Leseanweisung. Diese Gegenüberstellung weckt zugleich die Frage nach einer antithetischen oder einer synthetischen Beziehung von Mose und Jesus (vgl. Meeks 1967; Boismard 1993), zumal Jesus an dieser Stelle erstmalig im Evangelium genannt wird. In der Titulierung Jesu als ¡ profffith@ (ho prophe¯te¯s – der Prophet) spiegelt sich die Erwartung eines eschatologischen Propheten wider, wie er in Aufnahme von Dtn 18,15.18 erwartet wird: »Einen Propheten wie mich wird dir der Herr, dein Gott, erwecken aus dir und aus deinen Brüdern; dem sollt ihr gehorchen« (Dtn 18,15). »Ich will ihnen einen Propheten, wie du bist, erwecken aus ihren Brüdern und meine Worte in seinen Mund geben; der soll zu ihnen reden alles, was ich ihm gebieten werde« (Dtn 18,18). Während diese Verheißung sich in den Augen der Rezipientinnen und Rezipienten lange Zeit nicht erfüllte (Dtn 34,10) oder gar mit dem Ende der Prophetie erledigt schien (Ps 74,9), keimte sie im 1. Jh. n. Chr. offensichtlich neu auf. In Qumran wird neben den Messiassen Aarons und Israels ein von diesen klar unterschiedener eschatologischer Prophet erwartet (1QS 9,10 f.; 4Q175,5-8 [Testimonia]). Dass Elemente der königlichen Messialogie sich jedoch durchaus mit der Erwartung des Endzeitpropheten nach Dtn 18,15.18 verbinden können, zeigt eben Joh 6,14 f. Aufgrund eines Zeichens wird Jesus von den Menschen als eschatologischer Prophet identifiziert und soll dann zum messianischen König eingesetzt werden. Ein unmittelbar messianisches Verständnis des endzeitlichen Propheten ist vorchristlich nicht sicher nachzuweisen (vgl. jedoch Apg 3,22; 7,37). Durch den Rückzug Jesu lässt der vierte Evangelist die Titulierung Jesu als Prophet (vgl. Joh 7,40 unterschieden von ¡ Crist@ ho Christos – der Christus, in 7,41) ins Leere laufen (vgl. Joh 18,33.39; 19,12). Anders als in einigen synoptischen Überlieferungsstücken, wo der auf Jesus angewandte Prophetentitel verblasst und unspezifisch erscheint (Mk 6,4.15; 8,28), handelt es sich jedoch bei Johannes um eine synthetische Aufnahme, die Jesus nicht einfach in Antithese gegenübersteht, sondern von ihm überboten wird. Entsprechend können der Prophetentitel und der Christustitel in Joh 7,40 f. nebeneinanderstehen (vgl. 4,19.25; 9,17.22). Diese vorsichtig positive Aufnahme des Prophetentitels vollzieht sich in Analogie zur Aufnahme der Mosefigur im vierten Evangelium. In diesem Sinne werden sowohl die Erwartung eines Propheten wie Mose als auch die Mosefigur selbst zu wichtigen Elementen der johanneischen Christologie, die jedoch in zwei überbietenden Unterschieden gipfeln: Während Mose Gottes Gesetz und Wort übermittelt (1,17; 9,29) und als Instrument des Heilshandelns Gottes erscheint, ist Jesus Verkündiger Gottes (1,18) und kommt in einzigartiger Weise von Gott her (9,33). Eine schlichte Antithese zwischen Jesus und Mose findet sich dagegen im vierten Evangelium nicht (5,46). Gemeinsam mit Abraham (8,56) und Jesaja (12,41) ist Mose für Johannes ein alttestamentlicher Christuszeuge.
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Mehr als ein Prophet und ein Brotkönig Joh 6,1-15
Verstehensangebote und Deutungshorizonte Mit den älteren Parallelüberlieferungen des Speisungswunders bei den Synoptikern teilt Joh 6,1-15 eine Reihe von Deutungshorizonten. Dabei vollzieht sich die Interpretation von der Speisungswundergeschichte nur selten in Akzentuierung einer konkreten Textfassung der Evangelien, sondern eher in der Gesamtschau der vier Fassungen. Im Folgenden soll es zunächst darum gehen, drei spezifische Interpretationsansätze vorzustellen, die das Verständnis der Geschichte bis in die neuere Zeit prägen: die eucharistische, die sozial-ethische und eine rezeptionsästhetisch-symbolische Verstehensmöglichkeit. Die eucharistische Interpretation knüpft an die spezifische Wortwahl an: So steht e'caristffw (eucharisteo¯ – Dank sagen; vgl. 1Kor 11,24; Lk 22,19; jedoch ohne eucharistische Anklänge in Joh 11,41) gleich zweifach für die Danksagung Jesu (6,11.23). Die am Ende aufgesammelten Brotstücke (6,12 f.; vgl. Mk 6,43 par. Mt 14,20/Lk 9,17) werden mit dem andernorts für das gebrochene Abendmahlsbrot verwendeten terminus technicus kl€sma (klasma – eigentlich Bruchstück, Brocken; vgl. Did. 9,3 f.) bezeichnet. Allerdings fehlt bei Johannes im Gegensatz zu den synoptischen Textfassungen das Brechen des Brotes durch Jesus (vgl. Mk 6,41 parr. Mt 14,19; Lk 9,16 vgl. Ign. Eph. 20,2). Die eucharistische Interpretation der Speisungswundergeschichte wird im weiteren Kontext durch die eindeutig auf das Abendmahl abzielende Zuspitzung am Ende des Kapitels (Joh 6,51c-58) befördert und schlägt so die Brücke zur nachösterlichen Abendmahlspraxis der johanneischen Gemeinde. Unabhängig von der Frage, ob der Evangelist die Speisung an sich bereits eucharistisch verstand, weitet die rezeptionsästhetische Nachzeichnung der Brot-Metapher in Joh 6 den Horizont der eher sekundär auf das Abendmahl abzielenden Geschichte von einem Verständnis wunderhafter Speisung hin zu zeichenhafter Wahrnehmung Jesu als Lebensspender im Abendmahl aus (vgl. jedoch den Hinweis auf das Pascha in 6,4 und die Klammer mit shme…on se¯meion – Zeichen, 6,2.14). Bei aller durch den Kontext untermauerten Legitimation einer eucharistischen Erklärung ist damit zugleich auf die Grenzen dieses Deutungshorizontes hinzuweisen. Das kurz erwähnte Dankgebet (6,11) entspricht ganz dem Gebet des Hausvaters zu Beginn einer Mahlzeit, und es handelt sich in 6,1-15 eben nicht um ein rituelles Mahl. Ein Abendmahl mit Brot und Fisch ist für das frühe Christentum im Übrigen nicht nachweisbar (McGowan 1999, 127-130). Anders als die eucharistische Auslegung nimmt die sozial-ethische stärker von Hunger und anderweitigem Mangel geprägte Situationen in den Blick. Für moderne Menschen, etwa in einem afrikanischen Dorf oder in einer westlichen Großstadt, kann die Speisungswundergeschichte jedoch sehr unterschiedliche Assoziationen hervorrufen. Der kenianische Theologe und ehemalige Generalsekretär des Ökumenischen Rates der Kirchen (2004-2009), Samuel Kobia, setzt sich in seiner Auslegung von Joh 6,5 mit den exegetischen Verengungen der Wundergeschichte auseinander. Eindringlich weist er auf die Gefahr einer Spiritualisierung der Geschichte hin. Er schreibt: There is always a temptation to spiritualize the story about the feeding of the crowd. But it is a story of actual food. Jesus feeds the hungry, not with metaphors, but with food; not with resolutions and commissions, but with so much bread and fish that there is an abundance left over (Kobia 2007, 533).
Kobia legt mit Recht großen Wert auf die reale Speisung der hungernden Menschen. Für ihn liegt die zentrale Botschaft der Geschichte im Aufruf zum Teilen. Seine Devise lautet: 711
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»radical sharing – and not just a sharing of the surplus after all our own needs are met. Radical sharing and not just charitable acts, either (a. a. O., 534). Damit legt er den Finger in die Wunde einer immer noch ungerechten Verteilung der weltweiten Nahrungsmittelressourcen, der nicht einfach mit Wohltätigkeit, sondern allenfalls mit echtem Teilen zu begegnen sei. Die konkrete Frage, die Kobia seinen Leserinnen und Lesern angesichts der neutestamentlichen Speisungsgeschichte zumutet, lautet: »Will we be willing to share our loaves and fish, or will we, like the disciples, try to send the people away with small concessions for which the poor are expected to be grateful?« (ebd., 535). Kobia erreicht mit seiner sozial-ethischen Auslegung eine hohe Betonung der gegenwärtigen Relevanz der Geschichte. In diesem Sinne ist sein Einspruch gegen eine Spiritualisierung auf Kosten der real Hungernden nur allzu berechtigt. Es bleibt jedoch die Frage, ob er mit seiner auf die erhofften Mechanismen mitmenschlichen Teilens abzielenden Interpretation nicht doch zu kurz greift und so gerade den Zeichencharakter des Wunders verfehlt, das in der Gabe ewigen Lebens durch Jesus seine Spitze hat (6,35.51). Ganz andere Mangelerscheinungen mag dagegen ein Rezipient in einer westlichen Großstadt empfinden. »Dass Jesus all die Menschen wunderbar speiste, ist jedem bekannt. Aber es gibt noch viele andere Dinge, die rar sind, zumindest heutzutage« (Zenetti 1994, 121). Mit diesen Worten eröffnet Lothar Zenetti seine rezeptionsästhetisch-symbolische Adaption der neutestamentlichen, stärker an der matthäischen Parallele (Mt 14,1321) orientierten Speisungsgeschichte und lässt sie zu einer »wunderbaren Zeitvermehrung« werden. In dieser Nachdichtung sprechen die Jünger zu Jesus: »Herr, die Zeit ist vorgerückt, es ist spät. Entlasse die Menge. Sie haben keine Zeit und wir auch nicht.« Da wandte sich Jesus an seine Jünger: »Weshalb sollen sie weggehen? Gebt ihnen doch Zeit!« Da sagten sie zu ihm: »Wir haben selber keine, und was wir haben, dieses wenige, wie soll das reichen, um uns um alle und am Ende noch um jeden einzelnen zu kümmern«. Doch fand es sich, dass einer von ihnen noch fünf Termine frei hatte, zur Not, mehr nicht, dazu zwei Viertelstunden (Zenetti 1994, 122).
Als diese ausgeteilt werden, reicht es für alle, »ja sie füllten am Ende noch zwölf Tage mit dem, was übrig war an Zeit (ebd., 122). Bei aller Verschiedenheit zwischen den Auslegungen Kobias und Zenettis fällt doch auf, dass es beiden eher um einen Aufruf zur Aktivierung menschlicher Ressourcen geht. Diese sind jedoch in der johanneischen Variante als zu begrenzt für eine Versorgung der Menschen selbst mit dem Nötigsten charakterisiert (6,7). So wäre gerade im Vergleich mit Zenettis Auslegung darauf zu verweisen, dass im johanneischen Kontext Jesus als Geber des ewigen Lebens mehr als den irdischen Zeitmangel ausfüllt (6,27.33.40.47.51. 53 f.57 f.63). Verfolgt man in rezeptionsästhetischer Perspektive die sich wandelnden Bedeutungshorizonte einzelner Begriffe, so kann etwa anhand der Brotmetapher die Einbindung von Joh 6,1-15 in das gesamte Kapitel für die Auslegung der Speisungswundergeschichte fruchtbar gemacht werden (vgl. Frey 2000b, 331-361). Während Brot zunächst als Nahrungs- und Sättigungsmittel angesprochen wird, erweist sich dieses Verständnis im Fortgang des Kapitels als defizitär. In Joh 6,26 f. geht es um ein Brot, das der Menschensohn geben wird (Futur!). Vermutlich liegt darin ein Hinweis auf die nachösterliche Situation der johanneischen Gemeinde. In Antithese zum Himmelsbrot der 712
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Wüstenzeit, das nicht von Mose, sondern vom Vater stammte, offenbart sich Jesus im Folgenden selbst als »Brot des Lebens« (6,35.41.48). Dieses personale Verständnis der Brot-Metapher soll Jesus als den darstellen, der Hunger und Durst der an ihn Glaubenden stillt. Als Variation kommt in Joh 6,48-51 der Begriff »lebendiges Brot« ins Spiel, der auf Jesus in seiner zentralen Funktion als »Träger und Geber des Lebens« (Frey 2000b, 360) verweist.
Aspekte der Parallelüberlieferung und Wirkungsgeschichte In Joh 6 zeigt sich eine gegenüber den synoptischen Parallelen verstärkte Betonung des Wunders (vgl. Mackay 2004). Nicht einmal die riesige Summe von zweihundert Denaren würde ausreichen, um jedem auch nur ein wenig Brot zu geben (6,7). Nicht die Jünger dürfen Brot und Fisch austeilen, wie in Mk 6,41 (par. Mt 14,19/Lk 9,16), sondern Jesus selbst wird hier tätig (Joh 6,11). Synoptische und johanneische Fassung binden jeweils alttestamentliche Motive ein. Doch gegenüber Mk 6,34 fehlen bei Johannes das alttestamentliche Bild von den Schafen, die keinen Hirten haben (vgl. Num 27,17; 1Kön 22,17; 2Chr 18,16; Ez 34,5), und der Hinweis auf das Erbarmen Jesu. Wie bereits dargestellt, reichert Johannes die Speisungsgeschichte mit Beziehungen zur Elischageschichte (2Kön 4,42-44) und zur Mosetradition der Speisung in der Wüste (Ex 16,31-35) an. Anders als die Synoptiker bedient sich Johannes explizit der Mosetypologie, etwa wenn die Menschen Jesus für einen »Propheten« halten und ihn zum »König« machen wollen (Joh 6,14 f.32 vgl. Dtn 18,15.18; Meeks 1967, 87-99; Lierman 2004, 110-113). In der johanneischen Speisungsgeschichte finden sich einige Parallelen zu minor agreements bei Matthäus und Lukas. So sprechen Joh 6,2/Mt 14,13/Lk 9,11 übereinstimmend vom Nachfolgen (⁄kolouqffw akoloutheo¯) der Volksmenge. Während ansonsten im Johannesevangelium vom »Nachfolgen« so vieler Menschen keine Rede ist, ergibt sich im Kontext dieses Kapitels ein besonders deutlicher Gegensatz zu der kleinen Zahl der zwölf schließlich verbleibenden Nachfolger (6,66-71). Auch die Parallelen des e pen (eipen, von lffgw lego¯ – sagen; Joh 6,10/Mt 14,18/Lk 9,14) und des perisseÐw (perisseuo¯ – übrig bleiben; Joh 6,12/Mt 14,20/Lk 9,17) weisen auf die mündliche Überlieferungsgeschichte der Erzählung hin. Denkbar ist, dass Johannes sich synoptischen Materials aus dem Reservoir einer sekundären Mündlichkeit (»secondary orality«) bedient. Obwohl Johannes das Wunder gegenüber den Synoptikern deutlich steigert, liegt hier nicht sein Hauptinteresse. Vielmehr geht es in gut johanneischer Manier um die Herausarbeitung der christologischen Identität Jesu. Diese bleibt mit der Frage nach Jesus als Prophet und König jedoch zunächst unbeantwortet und wird erst durch die Selbstprädikationen Jesu in der sich anschließenden Brotrede offenbart: Jesus ist der Gesandte des himmlischen Vaters. Er allein kann Hunger und Durst auf Dauer stillen und Leben geben, das den Tod überwindet (6,35). In der Speisungswundergeschichte spiegeln sich menschliche Sehnsüchte und Erfahrungen, die wirkungsgeschichtlich zu vielfältiger theologischer Reflexion herausfordern (vgl. Luz 2007, 397-400). Neben den bereits dargestellten eucharistischen, sozialethischen und rezeptionsästhetisch-symbolischen Deutungen, die v. a. heutige Auslegungen von Joh 6,1-15 prägen, ist noch auf ältere Zugänge zum Verständnis des Textes 713
Die Wundererzählungen im Johannesevangelium
hinzuweisen. V. a. in der Alten Kirche dominierte eine allegorische Deutung, die bei den Zahlenangaben ansetzt und im Dienst einer heilsgeschichtlichen Einordnung des Textes steht. So deutet Cyrill von Alexandrien die fünf Brote als Zeichen für die fünf Bücher der Tora, während die zwei Fische für ihn die durch Fischer bereitete gute Nahrung im Sinne der Predigt der Apostel und der Verkündigung der Evangelisten darstellen (Cyr. Joh. 3,4). Augustin präzisiert dieses Verständnis der Brote, deren Gerstenkörner – wie das Alte Testament – von zäher, fest am Mark anhaftender Spelze umgeben seien, die ihre Frucht darum nicht leicht freigeben. Den Jungen, der die Brote als Last trug, die dann doch zur Nahrung dienten, identifiziert Augustin mit dem Volk Israel. Die zwei Fische stünden dagegen für die alttestamentlichen Persönlichkeiten des Priesters und des Königs, die »zur Heiligung und Leitung des Volkes gesalbt wurden« (Joh. tract. 24,5). Die allegorische Auslegung der Kirchenväter spiegelt damit die Auseinandersetzung der heilsgeschichtlich argumentierenden Theologie der Alten Kirche mit den jüdischen Wurzeln des Christentums wider. V. a. seit der Reformationszeit prägt eine moralische Interpretation das Verständnis des Textes. Calvin folgert aus der Danksagung Jesu für die Speise (6,11), »daß wir dadurch beginnen, einen reinen Gebrauch von dem zu machen, was wir genießen. Daraus folgt, daß diejenigen, die ohne an Gott zu denken, seine Gaben hinunterschlingen, sie gottlos herabwürdigen« (Calvin 1964, 147). Für Luther »lehrt uns Christus abermals den Glauben, daß wir nicht für den Bauch und die Nahrung sorgen« und nicht geizig sein sollen, sondern im Vertrauen auf Christus mit anderen teilen dürfen (Luther 1961, 218.222-226). Durch das sorgsame Aufsammeln der übriggebliebenen Brocken wolle Jesus uns zu guter Haushalterschaft anleiten (Luther 1961, 219). Die moralische Auslegung der Reformationszeit bereitet damit zugleich die rationalistischen Erklärungsversuche des 19. Jh. vor. So interpretiert H. G. E. Paulus, Jesus habe als »Gastfreund« durch das Teilen des Wenigen, das er besaß, auch die anderen Menschen zum Teilen ihrer Vorräte animiert (Paulus 1828, 352). Dem christologischen Verkündigungsanliegen der Perikope wird diese Interpretation jedoch sicher nicht gerecht.
Carsten Claußen Literatur zum Weiterlesen P. N. Anderson, The Christology of the Fourth Gospel. Its Unity and Disunity in the Light of John 6, WUNT 2/78, Tübingen 1996. R. D. Aus, Feeding the Five Thousand. Studies in the Judaic Background of Mark 6:30-44 par. and John 6:1-15, Lanham et al. 2010. C. Claussen, The Eucharist in the Gospel of John and in the Didache, in: A. Gregory/C. Tuckett (Hg.), Trajectories through the New Testament and the Apostolic Fathers, Oxford 2005, 135-163. R. A. Culpepper (Hg.), Critical Readings of John 6, BIS 22, Leiden 1997. J. Frey, Das Bild als Wirkungspotenzial. Ein rezeptionsästhetischer Versuch zur Funktion der Brot-Metapher in Johannes 6, in: R. Zimmermann (Hg.), Bildersprache verstehen. Zur Hermeneutik der Metapher und anderer bildlicher Sprachformen, Übergänge 38, München 2000, 331-361. S. Hylen, Allusion and Meaning in John 6, BZNW 137, Berlin et al. 2005.
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Mehr als ein Prophet und ein Brotkönig Joh 6,1-15
M. Labahn, Offenbarung in Zeichen und Wort. Untersuchungen zur Vorgeschichte von Joh 6,125a und seiner Rezeption in der Brotrede, WUNT 2/117, Tübingen 2000. I. D. Mackay, John’s Relationship with Mark. An Analysis of John 6 in the Light of Mark 6-8, WUNT 2/182, Tübingen 2004. T. Popp, Grammatik des Geistes. Literarische Kunst und theologische Konzeption in Johannes 3 und 6, ABG 3, Leipzig 2001. L. Schenke, Die wunderbare Brotvermehrung. Die neutestamentlichen Erzählungen und ihre Bedeutung, Würzburg 1983. M. Stare, Durch ihn leben. Die Lebensthematik in Joh 6, NTA 49, Münster 2004.
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Überraschende Wege auf dem See (Der Seewandel Jesu) Joh 6,16-25 (16) Als es aber spät geworden war, gingen seine Jünger hinab an den See, (17) stiegen in ein Boot und fuhren über den See nach Kafarnaum. Und es war schon finster geworden und Jesus war noch nicht zu ihnen gekommen. (18) Und der See wurde durch einen stark wehenden Wind aufgewühlt. (19) Als sie nun fünfundzwanzig oder dreißig Stadien gerudert waren, sehen sie Jesus auf dem See wandeln und nahe an das Boot kommen; und sie bekamen Angst. (20) Er aber sagt ihnen: »Ich bin (es); fürchtet euch nicht.« (21) Nun wollten sie ihn in das Boot nehmen, und sofort war das Boot an Land, dort, wohin sie unterwegs waren. (22) Am nächsten Tag aber sah das Volk, das auf der anderen Seite des Sees war, dass dort kein anderes Boot war außer dem einen, und dass Jesus nicht mit seinen Jüngern in das Boot gestiegen war, sondern seine Jünger allein weggefahren waren; (23) andere Boote kamen aus Tiberias nahe an den Ort, wo sie das Brot gegessen hatten mit Danksagung des Herrn. (24) Als nun das Volk sah, dass Jesus nicht dort war und auch seine Jünger nicht, stiegen sie in die Boote und fuhren nach Kafarnaum, um Jesus zu suchen. (25) Und als sie ihn jenseits des Sees gefunden hatten, sagten sie zu ihm: »Rabbi, wann bist du hier erschienen?«
Sprachlich-narratologische Analyse Die vorliegende Erzählung schließt im Johannesevangelium wie auch bei Markus und Matthäus direkt an ein Speisungswunder (Joh 6,1-15) an. Damit steht sie in dem bereits von wundersamen Ereignissen geprägten Kontext von Brotwunder und Brotrede – und wirkt in diesem Zusammenhang etwas merkwürdig. Da das Brotwunder in der darauffolgenden Rede ausführlich ausgewertet und gedeutet wird, stellt sich die Frage, warum das der Rede ebenfalls vorangehende Seewunder nicht gleichermaßen aufgegriffen wird – stattdessen steht es wie ein erratischer Block zwischen Brotwunder und Brotrede und zerstört den Zusammenhang. Man hat aufgrund dieser Textkonstellation vermutet, der Evangelist habe den aus der Tradition vorgegebenen Zusammenhang von Brot- und Seewunder einfach übernommen und erst daran die Brotrede angeschlossen. Bei einem Evangelisten, dessen höchst eigenständiger und eigenwilliger Umgang mit der Wundertradition an vielen Stellen klar zutage tritt, vermag eine solche Einschätzung jedoch nicht recht zu überzeugen. Hinsichtlich der Abgrenzung ergibt sich nach vorne ein schlüssiger Erzählzusammenhang: Die durch die Brotvermehrung gesättigte und beeindruckte Volksmenge will Jesus zum König machen, was diesen dazu veranlasst, sich ihnen zu entziehen – er geht »wieder« (6,15) auf den Berg, den er nach 6,3 nicht zwingend verlassen haben muss, da das Volk ja zu ihm kam (6,5). Die betonte Formulierung, er gehe wieder auf den Berg, 716
Überraschende Wege auf dem See Joh 6,16-25
und zwar alleine, ruft womöglich einen traditionsgeschichtlichen Zusammenhang auf, der Jesus in die Fußspuren von Mose stellt (s. u.). In jedem Fall wird damit die Personenkonstellation geschaffen, die die Grundlage für das Seewunder bildet: Die Jünger sind als Gruppe beisammen, Jesus jedoch ist nicht bei ihnen. Wo die Wundergeschichte endet und die Brotrede beginnt, ist weniger leicht zu bestimmen. In der Lutherbibel wird die Zäsur nach 6,21 gesetzt, wo die eigentliche Wunderhandlung ja auch tatsächlich mit der wundersamen Landung des Bootes ihr Ende nimmt. Es scheint mir jedoch angemessen, auch die Verse 6,22-25 noch in die Besprechung des Seewunders mit einzubeziehen, da die Reaktion des Volkes auf das Wunder, welches es im Gegensatz zur Brotvermehrung nicht miterlebt hat, den gattungsgemäßen Abschluss bildet. In textpragmatischer Hinsicht lassen sich rund um die Erzählung vom Seewunder verschiedene Signale finden, die kundige Leserinnen und Leser auf die Spur der nachösterlichen Dimension setzen, welche in das Geflecht des Textes eingewoben ist (vgl. Gnilka 1993, 48). Eines dieser Signale ist die Königswürde, die Jesus an dieser Stelle zurückweist (V. 15), da er sich erst in der Passion als König erweisen wird (vgl. 18,37; 19,19-22 u. a.). Die Situation der Jünger, die ohne Jesus auf dem nächtlichen See sind, verbindet die Wundergeschichte mit der Ostergeschichte 21,1-14. Vordergründig sind die Jünger zu Beginn der Erzählung einfach auf dem Weg in einen Ort, der ihnen vermutlich Nachtquartier bieten soll (V. 16; vgl. 2,12). Das Brotvermehrungswunder wird man sich in der johanneischen Darstellung am Ostufer des Sees vorzustellen haben; von dort aus ist das Boot unterwegs zu dem am nordwestlichen Ufer gelegenen Kafarnaum (gegenüber der markinischen Version des Seewandels verläuft der Weg somit in umgekehrter Richtung, vgl. Thyen 2005, 342). Bereits in V. 17 kommt jedoch eine andere, hintergründigere Dimension zum Vorschein, wenn es heißt: »Jesus war noch nicht zu ihnen gekommen«. Bislang war nicht davon die Rede, dass die Jünger ihn erwartet hätten (vgl. Wengst 2004, 237; Dietzfelbinger 2004, 1,149); auch wäre spätestens, nachdem sie mit dem Boot nach Kafarnaum aufgebrochen sind, vernünftigerweise nicht mehr zu erwarten gewesen, dass Jesus sich ihnen anschließt. Darin und in dem Hinweis, dass die Finsternis inzwischen über sie hereingebrochen war (V. 17), deutet sich an, dass in exemplarischer Weise die gegenwärtige Situation der Jüngerinnen und Jünger Jesu abgebildet ist: Sie befinden sich nicht mehr in unmittelbarer Gegenwart Jesu, des »Lichts der Welt« (8,12), dessen Wirkungszeit und -reichweite durch die Finsternis weltlicher Wirkzusammenhänge begrenzt ist und für die Augen der Glaubenden verdunkelt werden kann (vgl. 9,4 f.; 12,36). Das Versprechen, dass er eines Tages wieder zu ihnen kommen werde (16,17-22), ist noch nicht eingelöst. Es ist eine Situation der Unsicherheit und Gefährdung, verstärkt durch den Wind, der den See aufwühlt und die dunkle Tiefe umso bedrohlicher erscheinen lässt. Besonders anschaulich wird die Gefahr dadurch, dass durchgängig aus der Perspektive der Jünger erzählt wird (anders als in der markinischen Version, die stärker Jesu Perspektive in den Blick nimmt; vgl. Giblin 1983, 97). Die Überfahrt, begonnen in der Abenddämmerung, wird erschwert durch das Aufkommen eines heftigen Windes (V. 18). Eine Ortsangabe konkretisiert die Situation der Jünger: 25 bis 30 Stadien weit sind sie schon gerudert, d. h. sie befinden sich mitten auf dem See, und sind erschöpft von den Ereignissen des Tages und noch weit entfernt von dem Ziel, das Ruhe und Sicherheit verspricht. Ihre Lage ist charakterisiert durch Mühsal und kräftezehrendes Ausharren. 717
Die Wundererzählungen im Johannesevangelium
Doch nun steigt die Spannung abrupt an. Die Jünger sehen etwas: Jesus, der auf dem Wasser geht und der auf sie zukommt (V. 19)! Die Zweiteilung dieser Aussage vermittelt etwas vom aufgeregten Durcheinanderreden der Jünger, das die ungewöhnliche Erscheinung auf dem Wasser ausgelöst haben wird. Knapp wird festgehalten: »Sie fürchteten sich«. War die Erzählung schon bislang kurz und bündig gehalten, so wird sie nun geradezu lapidar. Dass Jesus in Hörweite der Jünger gekommen ist, wird vorausgesetzt, als er das Wort ergreift und sie anspricht: »¥gð e§mi ego eimi – ich bin (es), fürchtet euch nicht« (V. 20). Hier erlaubt die griechische Sprache eine Doppelbödigkeit, die im Deutschen nicht wiedergegeben werden kann: Während Jesus vordergründig die Jünger damit beruhigt, dass sie doch keinen Unbekannten vor sich haben (»ich bin’s!«), scheint hintergründig das bedeutungsstarke »Ich bin« durch, mit dem bei Johannes wiederholt Selbstoffenbarungsworte Jesu eingeleitet werden; zugleich verweist diese Rede auf den Gott Israels, der sich in Ex 3,14 als der »Ich bin« vorgestellt hat (vgl. Williams 2000). Doppelsinnig ist auch die Aufforderung »fürchtet euch nicht!« zu lesen, denn sie greift nicht nur die Furcht der Jünger (6,19) auf, sondern dahinter leuchten zugleich Geschichten theophaner und prophetischer Prägung auf, in denen Gotteserscheinung und Gotteswort von ebendieser Wendung begleitet werden (Gen 26,24; 46,3; Jes 43,1-5; vgl. Jes 41,10; Ri 6,23; vgl. Ball 1996, 182; vgl. Dietzfelbinger 2004, 1, 151). Die Furcht der Jünger vor der unvermuteten Erscheinung muss sich gelegt haben, denn sie wollen Jesus an Bord nehmen (V. 21). Noch ehe der Vollzug dieser Handlung berichtet werden kann, ist das Boot auch schon dort angelangt, wohin es unterwegs war. Diese äußerst geraffte Darstellungsweise zeigt an, wie unvermittelt die wundersame Ankunft für die Bootsinsassen erfolgt. Eine Reaktion der Jünger auf das Erlebte wird nicht weiter berichtet – eingespielt wird vielmehr die Perspektive des Volkes, das am eigentlichen Wunder nicht beteiligt war, aber seine Auswirkungen sieht und sich darüber verwundert (vgl. in den anderen johanneischen Wundergeschichten Joh 2,10; 4,51 u. ö.). Mit der neuerlichen Zeitangabe (»am nächsten Tag«) wird also auch der Blickwinkel gewechselt: Nicht mehr die Jünger im nächtlichen Boot, sondern das am Ufer stehende Volk betrachtet nun das Geschehene. Es sieht: Nur ein Boot ist in dieser Nacht nach Kafarnaum gefahren – aber Jesus war nicht an Bord. Dann gerät wieder Bewegung in die Szenerie: Aus Tiberias kommen Boote an den Ort der Brotvermehrung. Die Seitenbemerkung, dass dieses Wunder »mit Danksagung des Herrn« geschehen ist, deutet an, dass es nicht zu trennen ist von dem, der es gewirkt hat. Das Volk muss nun feststellen, dass weder Jesus noch seine Jünger an diesem Ort sind. Sie folgen daraufhin der nächtlichen Route des Jüngerbootes und setzen über nach Kafarnaum. Die Ortsangaben des Abschnittes sind verwirrend. Die Boote aus Tiberias fahren vom Ort der Brotvermehrung nach Kafarnaum. Wo hat man sich aber das »Volk, das auf der anderen Seite des Sees war« (V. 22) vorzustellen? Wenn es dort steht, wo Jesus die Menge gesättigt hat (also von Kafarnaum aus gesehen am anderen Ufer, was von V. 21 aus näherliegt), dann beschreibt V. 22 einen Fall außergewöhnlicher Scharfsichtigkeit: Vom Ostufer aus kann die Volksmenge sehen, dass in Kafarnaum nur ein Boot angekommen ist, obwohl die Entfernung dorthin etliche Kilometer betragen muss (vgl. Dietzfelbinger 2004, 1,149; Thyen 2005, 341). Dennoch scheint dieser Standort plausibler als die Alternative, derzufolge man 718
Überraschende Wege auf dem See Joh 6,16-25
sich das Volk in Kafarnaum (also am anderen Ufer vom Ort der Brotvermehrung aus gesehen) vorzustellen hat. In diesem Falle wäre nicht nur der Anschluss an V. 21 schwierig, es müsste auch in V. 24 eine andere Volksmenge gemeint sein (die aus Tiberias Angereisten?); schließlich wäre vorausgesetzt, dass sich die Menge derer, die am Vortag wundersam gesättigt worden sind, über Nacht zu einer Wanderung vom Ostufer nach Kafarnaum aufgemacht haben müsste. Das ist aber nicht nur für sich genommen unwahrscheinlich, sondern hätte auch auf der Ebene des Erzählten keine Veranlassung, da das Volk ja vom Ortswechsel Jesu nichts wusste. Wie auch immer die Ortsangabe zu verstehen ist, das Volk macht sich auf und sucht Jesus. Es findet ihn nach erfolgter Überquerung »am anderen Ende des Sees« und spricht ihn mit dem Ehrentitel »Rabbi« (Lehrer) an – was deutlich hinter der in 6,14 formulierten Einsicht, er sei »der Prophet, der in die Welt kommen soll«, zurückbleibt. Überraschenderweise fragen sie Jesus nicht nach dem Wie seiner Seeüberquerung, sondern nach dem Wann: »Rabbi, wann bist du hier erschienen?« Im Gefüge der Wundergeschichte erscheint dies ebenso sperrig wie die ebenfalls chronologisch orientierte Seitenbemerkung in 6,17, Jesus sei noch nicht zu ihnen gekommen, die ebenfalls auf der Ebene der erzählten Wundergeschichte nicht aufgeht. Auch der Schluss der Wundergeschichte verweist damit darauf, dass es auf einer tieferen Verständnisebene weniger um den Seewandel Jesu (das Wie) als um den Zeitpunkt seines überraschenden Erscheinens geht.
Sozial- und realgeschichtlicher Kontext Das Boot, das die Jünger als Fortbewegungsmittel verwenden, wird nicht mit der Verkleinerungsform ploi€rion (ploiarion) bezeichnet (vgl. Joh 6,22-24), sondern ist als plo…on (ploion) etwas größer, was erzählerisch stringent ist, da sich die ganze Jüngergruppe darin befindet. Wie dieses Boot ausgesehen haben mag, lässt sich anhand eines Fundes aus dem Jahr 1986 (vgl. dazu Riesner 1986) nachvollziehen: Das aus dem Schlamm des Sees geborgene Boot ist etwa neun Meter lang, fasst neben fünf Besatzungsmitgliedern etwa 15 weitere Passagiere und käme damit als Fähre der Jünger in Betracht. Der See, den die Jünger überqueren, ist nach Flav. Jos. Bell. 3,506 etwa 40 Stadien breit (vgl. Bultmann 1986, 159 Anm. 2), d. h. knapp acht Kilometer. Die in 6,19 genannte Strecke sowie die Tatsache, dass sich die Menschen aus Tiberias nicht auf dem Landweg dorthin aufmachen, lassen vermuten, dass die Brotvermehrung am Ostufer des Sees lokalisiert werden muss, so dass die Jünger den See mehr oder weniger in seiner gesamten Breite überqueren mussten. Zu dem Zeitpunkt, da ihnen Jesus erscheint, haben sie demzufolge gut die Hälfte der Strecke absolviert und befinden sich mitten auf dem See. Die besondere Lage des Sees etwa 200 m unter dem Meeresspiegel begünstigt das Aufkommen heftiger Stürme, wie es in Joh 6,18 geschildert wird.
Traditions- und religionsgeschichtlicher Hintergrund Götter, Göttersöhne und einzelne Menschen, die auf dem Wasser gehen können, sind aus der hellenistischen Religionsgeschichte bekannt (vgl. Labahn 2000, 205-207; Dietzfelbin719
Die Wundererzählungen im Johannesevangelium
ger 2004, 1,150). Auch in der antiken Herrscherpropaganda spielt die Bezähmung des Meeres eine Rolle (vgl. Labahn 2000, 208 f.214). Aus der alttestamentlich-jüdischen Tradition ist die »rettende Überlegenheit Gottes über die chaotischen Mächte des Wassers, des Sturms und der Finsternis« (Dietzfelbinger 2004, 151; vgl. Labahn 2000, 213) ein bekannter Topos: Gott, der auf der Flut thront (Ps 29,10), hat Gewalt über das Wasserchaos (vgl. Gen 1,7.9; 6,17; Ex 14,21; Ps 74,13; 89,10; 104,7; Jer 5,22; Hi 38,8-11). In anderen alttestamentlichen Texten begegnet zudem die Vorstellung, dass Gott über das Wasser wandelt (Ps 77,17-21 [bes. 20]; Hi 9,8; vgl. auch Hi 39,16; Hab 3,15). Man kann davon ausgehen, dass den Erstleser(inne)n und -hörer(inne)n diese Zusammenhänge bekannt waren. Wenn Jesus über das Wasser geht, dann zeichnet ihn das als besonderen, wundermächtigen Menschen aus, der in den Fußspuren Gottes (bzw. der Götter) wandelt und eine Chaosmacht beherrscht, über die eigentlich Gott allein die Hoheit hat. Ein ebenso starkes Signal setzt die Anrede Jesu an die Jünger: »Ich bin (es), fürchtet euch nicht!« Die wortgleiche Anrede bei den Synoptikern (Mk 6,50; Mt 14,27) lässt vermuten, dass der Evangelist damit ein Element aus der Tradition übernommen hat. Dennoch zeigt die johanneische Fassung eine deutlich theologischere Akzentuierung dieser Worte. Nach Mk 6,49 und Mt 14,26 vermuten die Jünger, bei der nächtlichen Erscheinung handele es sich um ein Gespenst (f€ntasma phantasma). In diesem Zusammenhang liest sich die Anrede Jesu v. a. als Beruhigung der Jünger. Die Vorstellung der Jünger, es mit einem Gespenst zu tun zu haben, fehlt in Joh 6,19 f. ebenso wie das bei Matthäus und Markus vorangestellte »Seid getrost!« Damit geht es im »Ich bin« Jesu nicht um die Aufklärung eines Irrtums. Im Kontext des Johannesevangeliums begegnet hier also (noch in absoluter, d. h. nicht prädizierter Form) eine markante und immer wiederkehrende Formulierung, mit der sich Jesus in seiner Heilsbedeutung vorstellt (vgl. Schweizer 1965; Thyen 2005, 343). Das »Ich-bin«-Wort Jesu ist von solcher Wirkmacht, dass bei der Gefangennahme Jesu die Soldaten davor zurückweichen und zu Boden fallen (18,6). In verschiedenen prädizierten (d. h. mit einem Prädikat versehenen) »Ich-bin«-Worten offenbart sich Jesus als das »Brot des Lebens« (6,35), das »Licht der Welt« (8,12), etc. Hinter dem »Ich bin« Jesu steht dabei immer das »Ich bin« JHWHs, der sich am brennenden Dornbusch als der »Ich bin« vorgestellt hat (Ex 3,14). Von besonderem Gewicht für die johanneische Ausgestaltung dieses christologischen Topos ist die deuterojesajanische Gottesrede, die mit Gottes ¥gð e§mi ego eimi immer wieder die Einzigkeit Gottes unterstreicht (Jes 43,25; 51,12LXX; vgl. 45,19; 46,4; 48,12LXX u. ö.; vgl. Williams 2000). Die Anrede Jesu an seine Jünger unterstreicht also für schriftkundige Leser(innen) und Hörer(innen) den Epiphanie-Charakter des Seewunders bzw. verleiht ihm sogar Züge einer Theophanie (Gotteserscheinung): »It is the combination of these words with the command not to fear, as well as the miraculous context of the saying, that point to the words of Yahweh, the saviour of Israel« (Ball 1996, 184). In der Ausgestaltung von Joh 6 wird zudem ein Rückbezug auf die Mose-ExodusTradition erkennbar, was sich an folgenden Motiven zeigt: Das Paschafest ist nahe, welches an den Auszug aus Ägypten erinnert (Joh 6,4; vgl. Ex 12); das Brotwunder verweist auf die Speisung mit Manna in der Wüste (Ex 16); Jesus entweicht allein auf einen Berg, so wie Mose allein auf den Berg Sinai gestiegen ist (Ex 19,20 u. a.); auch kann man evtl. das Schilfmeerwunder im Hintergrund des Seewunders erkennen (Ex 14); insgesamt lässt sich dann die konsequente Zuordnung von See- und Brotwunder als traditionsgeschichtlich motiviert verstehen (Wilckens 1998, 98 verweist dafür auf die liturgische 720
Überraschende Wege auf dem See Joh 6,16-25
Paschatradition; Derrett 1981, 347 auf die Bundeslade); eine Leerstelle in der Erzählung könnte ebenfalls auf diese Weise gedeutet werden: Der »Eindruck, als sei Jesus am Boot der Jünger vorübergegangen« (Schnelle 2004, 134; ob er ins Boot gestiegen ist, wird nicht erkennbar!), könnte zurückweisen auf das Vorübergehen Gottes, wie es etwa in Ex 33; 34,5; 1Kön 19,11 angesprochen ist (vgl. Dietzfelbinger 2004, 1,150). Während bei Johannes (anders als in Mk 6,51) nicht davon die Rede ist, dass der Sturm sich legt, führt ein johanneischer Erzählzug deutlich über die synoptische Fassung der Wundergeschichte hinaus: Der Seewandel Jesu wird nämlich durch eine wunderbare Landung des Jüngerbootes (Bootsversetzung) abgeschlossen. Das Motiv des plötzlichen Ankommens am Ziel findet sich auch im hellenistischen Mythos (vgl. Dietzfelbinger 2004, 1,150; Bultmann 1986, 159 Anm. 2). Eine weitere Parallele liegt in TestNaph 6,9 vor (vgl. Giblin 1983, 96), wo den Jakobssöhnen in einer Vision Naphtalis ein ähnliches Wunder widerfährt. In der Evangelientradition ist dieses Ankunftswunder singulär. Es steht auch nicht für sich, sondern ist wohl als eschatologisch-soteriologische Verdichtung des Seewandels zu verstehen (s. u.).
Verstehensangebote und Deutungshorizonte Der Seewandel Jesu wird meist als Epiphanie verstanden, als Erscheinung Jesu vor seinen Jüngern, d. h. weniger als Heilstat, sondern als christologische Offenbarung. Auch im Johannesevangelium ist der christologische Schwerpunkt der Episode unverkennbar. In der wundersamen Landung wird jedoch auch das Moment der Rettung eingespielt. Gerade das Moment der überraschenden Landung am Ufer hat eine rationalistische Wunderdeutung begünstigt: »Da die Jünger 25-30 Stadien gefahren sind, meinen sie, in der Mitte des Sees zu sein, während sie faktisch an dem Ufer sind, an dem Jesus geht. Natürlich landen sie dann auch gleich. Das Dunkel der Nacht hat sie getäuscht, und die Aufregung lässt ihnen den Vorgang als ein Wunder erscheinen« (Bultmann 1986, 159 Anm. 3). Gegenwärtig überwiegen Deutungsansätze, die in soteriologisch-ekklesiologischer Richtung die Situation der Jünger in den Mittelpunkt stellen. In der eigentümlichen Gestaltung des johanneischen Seewandels lässt sich »unschwer die Situation der nachösterlichen Gemeinde zwischen Himmelfahrt und Parusie verarbeitet finden« (Welck 1994, 169): Sie ist Finsternis und Stürmen ausgesetzt (vgl. Koester 1995, 135; Schnelle 2004, 135 deutet das nur hier und in Joh 3,8 vorkommende Verb pnffw [pneo¯ – wehen] als Hinweis auf die Kraft des Geistes), Jesus ist noch nicht zu ihr gekommen. Die Jünger im Boot werden so zum Bild einer Gemeinde, die noch unterwegs und den Bedrohungen der Welt ausgesetzt ist. Ob sich in dieser Erzählung Spuren einer innergemeindlichen Krise, hervorgerufen durch Irrlehrer oder einen Konflikt um die Eschatologie, nachzeichnen lassen (so Welck 1994, 172-175), mag dahingestellt bleiben. Auch eine »displaced resurrection narrative« (Madden 1997, 40) wird man darin trotz der nachösterlichen Perspektive wohl nicht zu sehen haben. Deutlich wird aber dargestellt, dass die Nachfolge »Stürmen und Bedrängnissen« aussetzt und so »selbstverständlich auch Anlass zur Furcht« gibt (Wengst 2004, 237). Dazu passt, dass Sturm und Wellen in dieser Wundergeschichte
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Die Wundererzählungen im Johannesevangelium
eben nicht zum Stillstand gebracht werden (ebd.; anders Schnelle 2004, 134: Die Stillung des Sturms werde in der Geschichte vorausgesetzt). Nicht nur die textliche Leerstelle hinsichtlich der Sturmstillung wird unterschiedlich ausgewertet, sondern auch das Fehlen einer expliziten Aussage darüber, ob Jesus in das Boot gestiegen sei oder nicht: Ist Jesus im Boot oder besteht die Pointe vielmehr darin, dass die Jünger ihr Ziel erreichen? Soll gerade die Gleichzeitigkeit beider Elemente – das Aufnehmen Jesu und die Ankunft am Ziel, d. h. das Erlangen des Heils – festgehalten werden? Oder lässt sich Jesus tatsächlich nicht mit ins Boot nehmen, weil es »seiner Schülerschaft genügen [muss], dass er in der Nähe ist und sie der Gegenwart Gottes vergewissert« (Wengst 2004, 239; ähnlich Welck 1994, 171; im Sinne einer »entzogenen« Christologie bei Zimmermann 2004, 448 f.)? Fest steht: Sobald die Jünger Jesus ins Boot nehmen wollen, sind sie am Ziel. Hier wird, womöglich in paränetischer Absicht, dazu aufgefordert, auch in stürmischen Gemeinde- und Lebenssituationen auf Jesus zu setzen, der die, welche zu ihm gehören, durch seine Gegenwart sicher ans Ziel bringt. Auch der im Kontext der Geschichte eigentümlich anmutende Standort der Volksmenge »am anderen Ufer« (s. o.) gewinnt in dieser Perspektive einen tieferen Sinn: Die Erfahrung der Jünger, dass Jesus auch in hilfloser, dunkler und stürmischer Zeit zu ihnen kommt und sie ans Ziel bringt, teilt die Volksmenge nicht. Während die Jünger bereits am Ziel angekommen sind, steht das Volk noch am anderen Ufer – und bricht von dort aus auf, um Jesus zu suchen. In deutlicher Nähe zu dieser soteriologischen Deutungsstruktur bewegen sich tiefenpsychologische Auslegungsansätze. Die Bilder der aufgewühlten See, der unergründlichen schwarzen Tiefe, der die Jünger ausgesetzt sind, die damit verbundene Orientierungslosigkeit, die Angst vor dem, was da auf sie zukommt, und dergleichen mehr bieten Anknüpfungspunkte für derlei Überlegungen. So lässt sich das Seewunder auch verstehen aus dem Zusammenhang der Reflexion einer Gemeinde (…), die versucht, in der Rede von dem der Welt überlegenen Jesus ihre eigene Problematik zu bearbeiten: Die Jünger werden als die Menschen geschildert, die sich in ihrer Ichbefangenheit dunklen Mächten preisgegeben sehen, und der über das tobende Wasser schreitende Jesus ist Bild des Menschen, der inmitten der drohenden Chaosmächte seiner selbst ganz bewußt und sicher ist, weil er im Einklang mit Gott lebend zum Einklang mit sich selbst gefunden hat; und er vermittelt das, was er selbst ist, denen, die ihm nachfolgen. Von da aus öffnet sich die Erzählung unserem Verstehen: In der Christusoffenbarung erschließt sich dem geängstigten und gehemmten Menschen von Gott her der Weg zu neuen Entwicklungen und Aufbrüchen (Dietzfelbinger 2004, 1,151).
Auch hermeneutische Überlegungen fordert die Wundergeschichte heraus: Hat sich das Brotwunder vor einer großen Öffentlichkeit ereignet, so ist das Seewunder nur der kleinen Schar der Jünger zugänglich und stellt die Volksmenge vor unlösbare Fragen (vgl. Schnelle 2004, 134; gegenüber Welck 1994, 166 ist festzuhalten, dass die in 6,22-24 hinzukommende Volksmenge nur das Resultat des Wunders sieht, also etwas anderes als zuvor die Jünger). Auch die Reaktionen sind entsprechend: Die Menge (miss)versteht ihn im Rahmen ihrer eigenen Vorstellungen als König; die Jünger wollen ihn zu sich nehmen, nachdem er sich ihnen zu erkennen gegeben hat (»Ich bin«, vgl. Giblin 1983, 98). Tatsächlich scheint diese Wundergeschichte eine hermeneutische Scharnierfunktion einzunehmen; die Offenbarung Jesu als »Ich bin« kennzeichnet die Geschichte vom 722
Überraschende Wege auf dem See Joh 6,16-25
Seewandel als eine Art Auftaktwunder für die christologische Entfaltung in den prädizierten »Ich-bin«-Worten, die in der Brotrede (6,35.48.51) ihren Anfang nimmt. Die Grunderfahrung, dass Jesus mit göttlicher Qualität auch in der Situation von Dunkelheit und Gefahr epiphan wird, bahnt den Weg zu einem Verständnis Jesu in seiner Heilsbedeutung (als stärkendes Brot, vgl. 6,35, erhellendes Licht, 8,12 etc.). In dieser Ausrichtung erscheint es auch selbstverständlich, dass sich dieses Wunder nur vor den Jüngern ereignet: Es braucht diese nichtöffentliche, der Jüngerschaft zugeordnete Erfahrung, um auch den Inhalt der anderen Wunder (»Zeichen«) und Jesusworte erschließen zu können. Plausibler wird durch ein solches Verständnis des Textes auch die Überleitung hin zur Brotrede. Auf die Frage der Volksmenge (V. 25), wann Jesus gekommen sei, und die dahinterstehende Frage, wie er denn gekommen sei, gibt die Brotrede eine Antwort: Jesus ist bereits in der Gabe des Brotes zu ihnen gekommen, weil er selbst das Brot des Lebens ist.
Aspekte der Parallelüberlieferung und Wirkungsgeschichte Als Teil der Wirkungsgeschichte von Joh 6,16-25 lässt sich möglicherweise schon die in Joh 21 erzählte Begegnung mit dem Auferstandenen in ihrer vorliegenden Form begreifen. Auch hier scheint die Situation der Jünger auf dem nächtlichen See typische Züge zu tragen, auch hier offenbart sich Jesus auf überraschende Weise, die nicht allen gleichermaßen zugänglich ist. Ansonsten ist die Wirkungsgeschichte der spezifisch johanneischen Version des Seewunders schmal. Augustinus bezieht sich explizit auf das Moment der wunderbaren Landung, wenn er die Wundergeschichte allegorisch auf das »Schifflein« der Kirche hin auslegt, die von der Finsternis von Irrtum und Zwist bedroht ist und ihr Ziel nur mit Hilfe des Herrn erreicht (so bei Gnilka 1993, 48 f.). Denkbar ist auch, dass sich die parodistische Umsetzung des Verhörs Jesu vor Herodes in dem Musical »Jesus Christ Superstar« (Andrew Lloyd Webber/Tim Rice) auf die johanneische Textgrundlage bezieht, wenn Herodes die Fähigkeit, auf dem Wasser zu gehen, bestätigt haben will, um zu wissen, wer Jesus ist (vgl. 6,20), und auch die Frage nach seinem Königtum einspielt (vgl. 6,14 f.): »If you are the Christ, yes, the great Jesus Christ, prove to me that you’re no fool – walk across my swimming pool! That’s all you need do, and I know it’s all true – come on, King of the Jews!«
Nicole Chibici-Revneanu Literatur zum Weiterlesen D. M. Ball, »I am« in John’s Gospel. Literary Function, Background and Theological Implications, JSNT.S 124, Sheffield 1996, 181-185. J. D. Derrett, Why and How Jesus Walked on the Sea, NT 23 (1981), 330-348. C. H. Giblin, The Miraculous Crossing of the Sea (John 6.16-21), NTS 29 (1983), 96-103.
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M. Labahn, Offenbarung in Zeichen und Wort. Untersuchungen zur Vorgeschichte von Joh 6,125a und seiner Rezeption in der Brotrede, Tübingen 2000. P. J. Madden, Jesus’ Walking on the Sea. An Investigation of the Origins of the Narrative Account, Berlin 1997. C. Welck, Erzählte Zeichen. Die Wundergeschichten des Johannesevangeliums literarisch untersucht. Mit einem Ausblick auf Joh 21, WUNT 2/69, Tübingen 1994, 163-175.
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Sehen oder Nicht-Sehen? (Die Heilung des blind Geborenen) Joh 9,1-41 (1) Und als er vorüberging, sah er einen Menschen, der von Geburt an blind war. (2) Und seine Jünger fragten ihn: »Rabbi, wer hat gesündigt, dieser oder seine Eltern, so dass er blind geboren wurde?« (3) Jesus antwortete: »Weder hat dieser gesündigt noch seine Eltern [so dass er blind geboren wurde], vielmehr [ist dies geschehen,] damit die Werke Gottes an ihm offenbar werden. (4) Wir müssen die Werke dessen wirken, der mich gesandt hat, so lange es Tag ist; es kommt die Nacht, in der niemand wirken kann. (5) Solange ich in der Welt bin, bin ich das Licht der Welt.« (6) Als er dies gesagt hatte, spuckte er auf den Boden und machte einen Teig aus dem Speichel und strich den Teig davon auf die Augen (7) und sprach zu ihm: »Geh hin, wasche dich im Teich Siloah!« Das heißt übersetzt: Gesandter. Da ging er hin und wusch sich und kam sehend [zurück]. (8) Die Nachbarn aber und die, die ihn früher gesehen hatten – denn er war ja ein Bettler –, sagten: »Ist das nicht der, der da saß und bettelte?« (9) Die einen sagten: »Er ist es.« Andere sagten: »Nein, aber er ist ihm ähnlich.« Jener sagte: »Ich bin es.« (10) Da sagten sie zu ihm: »Wie sind deine Augen geöffnet worden?« (11) Jener antwortete: »Der Mensch, der Jesus heißt, machte einen Teig und bestrich meine Augen und sagte zu mir: ›Geh hin zum Siloah, und wasche dich!‹ (12) Da ging ich hin, und als ich mich gewaschen hatte, wurde ich sehend.« Und sie sprachen zu ihm: »Wo ist jener?« Er sagt: »Ich weiß nicht.« (13) Sie führen ihn – den einst Blinden – zu den Pharisäern. (14) Es war aber Sabbat an dem Tag, an dem Jesus den Teig gemacht und ihm die Augen geöffnet hatte. (15) Erneut fragten ihn nun die Pharisäer, wie er wieder sehend wurde. Er aber sprach zu ihnen: »Einen Teig legte er mir auf die Augen, und ich wusch mich, und ich sehe.« (16) Da sagten die Pharisäer: »Dieser Mensch ist nicht von Gott, denn er hält den Sabbat nicht.« Andere sagten: »Wie kann ein sündiger Mensch solche Zeichen tun?« Und es war eine Spaltung zwischen ihnen. (17) Da sagen sie wieder zu dem Blinden: »Was sagst du über ihn, dass er dir die Augen geöffnet hat?« Er aber sagte: »Er ist ein Prophet.« (18) Nun glaubten ihm die Juden nicht, dass er blind gewesen und wieder sehend geworden war. Deshalb riefen sie die Eltern des blind Geborenen (19) und fragen sie: »Ist dies euer Sohn, von dem ihr sagt, er ist blind geboren? Wie[so] nun sieht er jetzt?« (20) Da antworteten seine Eltern: »Wir wissen, dass dieser unser Sohn ist und dass er blind geboren wurde. (21) Wie[so] er jetzt sieht, wissen wir nicht, oder wer ihm seine Augen geöffnet hat, wissen wir nicht. Fragt ihn, er hat das [hinreichende] Alter, er kann selbst über sich reden. «(22) Dies sagten seine Eltern, weil sie die Juden fürchteten. Denn die Juden hatten schon beschlossen, dass, wenn jemand ihn als Messias bekenne, er aus der Synagoge ausgeschlossen würde. 725
Die Wundererzählungen im Johannesevangelium
(23) Deshalb sagten seine Eltern: »Er hat das [hinreichende] Alter, fragt ihn.« (24) Sie riefen nun den Menschen zum zweiten Mal, der blind gewesen war, und sprachen zu ihm: »Gib Gott die Ehre! Wir wissen, dass dieser Mensch ein Sünder ist.« (25) Da antwortete jener: »Ob er ein Sünder ist, weiß ich nicht. Eines [aber] weiß ich: dass ich, obwohl ich blind war, jetzt sehe.« (26) Da sagten sie zu ihm: »Was hat er dir getan? Wie hat er dir die Augen geöffnet?« (27) Er antwortete ihnen: »Ich habe es euch schon gesagt, und ihr habt es nicht gehört. Warum wollt ihr es noch einmal hören? Wollt ihr etwa auch seine Jünger werden?« (28) Und sie schmähten ihn: »Du bist ein Jünger von jenem? Wir sind Jünger Mose! (29) Wir wissen, dass Gott zu Mose gesprochen hat. Von diesem aber wissen wir nicht, woher er ist.« (30) Der Mensch antwortete ihnen: »Darin liegt nämlich das Erstaunliche, dass ihr nicht wisst, woher er ist, doch mir hat er die Augen geöffnet. (31) Wir wissen, dass Gott nicht auf Sünder hört, aber wenn jemand gottesfürchtig ist oder seinen Willen tut, auf den hört er. (32) Von jeher hat man nicht gehört, dass jemand die Augen eines blind Geborenen geöffnet hat. (33) Wenn dieser nicht von Gott wäre, könnte er dies nicht tun.« (34) Sie antworteten ihm: »Du bist ganz in Sünden geboren und belehrst uns?« Und sie warfen ihn hinaus. (35) Jesus hörte, dass sie ihn hinausgeworfen hatten und fand ihn und sprach: »Du glaubst an den Menschensohn?« (36) Jener antwortete: »Und wer ist es, Herr, dass ich an ihn glaube?« (37) Jesus sprach zu ihm: »Du hast ihn gesehen, und der mit dir spricht, jener ist es.« (38) Er aber sagte: »Ich glaube, Herr.« Und er fiel vor ihm nieder. (39) Und Jesus sprach: »Zum Gericht bin ich in diese Welt gekommen, damit die nicht Sehenden sehen und die Sehenden blind werden.« (40) Dies hörten die von den Pharisäern, die bei ihm waren, und sprachen zu ihm: »Sind wir etwa auch blind?« (41) Jesus sprach zu ihnen: »Wenn ihr blind wärt, hättet ihr keine Sünde. Nun sagt ihr aber: ›Wir sehen!‹ Eure Sünde bleibt.«
Sprachlich-narratologische Analyse Die Heilung des blind Geborenen ist wohl die komplexeste und (zusammen mit Joh 11,1-44) längste Wundererzählung im Johannesevangelium. Die mit der eigentlichen Wundererzählung verflochtenen Deutungsaspekte sind sowohl in den Erzählverlauf eingefügt (V. 2 f.4.5; vergleichbar den ›Zeichen‹ in Joh 2,1-11 und 4,45-54), als auch an diesen angefügt (V. 8-41), aber nicht nur als Rede/Dialog (wie in den Wundererzählungen in Joh 5 und 6), sondern als ein komplexes, szenisch erzähltes Geschehen mit mehreren beteiligten Gruppen, in dem die Folgen der Heilung (ähnlich, aber kürzer Joh 5,1018) und die zu ziehenden Folgerungen verdeutlicht werden. Zugleich ist dieses Geschehen transparent für Zustände und Konflikte, die über die Ebene des erzählten Geschehens hinausreichen und offenkundig die Zeit und Situation der späteren Gemeinde betreffen. Daher ist Joh 9 auch ein Schlüsseltext für die Diskussion der Bedeutung der 726
Sehen oder Nicht-Sehen? Joh 9,1-41
3Iouda…oi (Ioudaioi – Juden) im Joh und für die Stellung des vierten Evangeliums bzw. der johanneischen Gemeinde zur Synagoge. Die kurze Erzählung der Heilung, die im Grunde nur V. 1-7 (bzw. V. 1.6 f.) umfasst, bestimmt die Diskussion bis 9,41, so dass das Kapitel eine thematische Einheit darstellt. Zudem ist Joh 9 eng mit den umgebenden Textstücken verknüpft: Ein narrativ lockerer Anschluss besteht an die Konfliktszene Joh 8, doch ist wesentlich, dass Jesus eben im ›Weggehen‹ von denen, die ihn töten wollen, den blind Geborenen »sieht« (9,1), d. h. der Tötungsversuch durch ›die Juden‹ im Tempel (Joh 8,59) und die Auseinandersetzung um Jesu Identität und Vollmacht stehen noch im Raum. Sachlich nimmt Joh 9,5 das Ich-binWort von 8,12 und damit Jesu Identität als »das Licht der Welt« auf, so dass Joh 9 als eine erzählerische Explikation dieses Wortes verstanden werden kann: Das Licht der Welt macht die Blinden sehend – und erweist zugleich die Blindheit der vermeintlich Sehenden. Dieses Geschehen hat eine individuelle Dimension (betreffend den ehemals blinden Geheilten), eine kollektive (im Blick auf die Gruppenzugehörigkeit: Jünger Jesu – Jünger des Mose bzw. Gemeinde – Synagoge) und eine exemplarisch-metaphorische, die die Leserinnen und Leser des Evangeliums ›ins Licht‹ bzw. vor die Alternative ›Blindsein oder Sehen‹ stellt. Die Verbindung mit Joh 10,1-18(21) ist ebenfalls eng, da die ›Hirtenrede‹ ohne szenischen Wechsel auf das Wort an die ›blinden‹ Pharisäer folgt, die somit als die Adressaten der Rede gelten müssen (vgl. 10,19-21: ›die Juden‹). Die Blindheit der Pharisäer setzt sich in ihrem Unverständnis (10,6.19-21) fort, der Glaube des Geheilten (9,3538) in der Nachfolge der Schafe/Jünger (10,4 f.). In 10,21 argumentieren einige der Juden erneut mit der Heilung des Blinden: »Kann ein Dämon die Augen von Blinden öffnen?«, und auch noch in Joh 10,22-42 wirkt die Lichtsymbolik nach, die Diskussion um die ›Werke‹ Jesu (10,32-38) bezieht sich auf dieses Werk (9,4) zurück, und dem Glauben des einen in 9,38 korrespondiert der Glaube der vielen in 10,42 (Zimmermann 2004, 245). In 11,37 wird die Heilung schließlich noch einmal in Erinnerung gerufen mit dem Argument, ob Jesus, wenn er den Blinden heilte, nicht auch Lazarus vor dem Tod hätte bewahren können. Das Kapitel ist noch mit weiteren johanneischen Texten vernetzt, insbesondere der in vielem parallelen Sabbatheilung in Joh 5,1-9(18) und der Lazarusepisode Joh 11,1-44: In Joh 5 wird eine Heilung erzählerisch ähnlich (wenngleich nicht so breit) ausgeführt, mit dem nachträglich eingeführten Problem des Sabbatbruchs, Dialogen zwischen mehreren ›Parteien‹, einem ›Verhör‹ des Geheilten, einer zweiten Begegnung Jesu mit dem Geheilten, zu der Jesus diesen noch einmal ›findet‹ (5,14; 9,35), sowie den Themen der Sünde und der Identität Jesu. Der Spruch Joh 9,4 f. hat eine enge Parallele in Joh 11,9 f. und bietet neben der Aufnahme der Blindenheilung in 11,37 eine Brücke zu Joh 11. Mit dem Thema ›Gericht‹ (krfflsi@ krisis) V. 39 wird zugleich Joh 3,18-21 aufgenommen, das Licht-Motiv bietet ebenfalls eine Vernetzung mit weiteren Texten des Joh wie z. B. 12,35 f.46. Szenisch markiert 8,59 einen Ortswechsel: Jesus verlässt den Tempelbereich, das Geschehen von 9,1 bis 10,21 spielt irgendwo in Jerusalem, wo der blinde Bettler vorzustellen ist, an einem der Tempeltore (vgl. Apg 3,1-10; vgl. Thyen 2005, 462) oder in den Straßen Jerusalems (Theobald 2009, 628 f.). Der Teich Siloah als Ort der Waschung und des Heilwerdens wird in 9,7 explizit genannt. Wo die ›Behörde‹ der Pharisäer – ebenfalls in Jerusalem – vorgestellt werden soll, bleibt offen. Die nächste Ortsangabe in 10,22 nennt die Halle Salomos, d. h. wieder den Tempelbereich. Jesus befindet sich also (seit 7,11) durchgehend in Jerusalem. In Spannung zu dieser räumlichen und szenischen 727
Die Wundererzählungen im Johannesevangelium
Kontinuität steht die erzählerische Zeitgestaltung, die vom Sukkotfest im Herbst (Joh 7 f.) bis zum explizit im Winter lokalisierten Chanukkafest (10,22) hinüberreicht. Die Episode von 9,1-41 könnte noch am letzten Tag von Sukkot (7,37) situiert sein, an dem der Streit eskaliert; die Nennung des ›Sabbat‹ lässt sich evtl. damit verbinden, insofern dem letzten (achten) Tag von Sukkot nach Lev 23,36 sabbatlicher Charakter eignete (Felsch 2011, 175 f.; vgl. Billerbeck 1924, 490 f.), freilich wird dieser zumindest seit der Mischna von Sukkot abgetrennt, und es liegt sachlich näher, Joh 7,37 auf die Festriten des 7. Tages zu beziehen (Felsch 2011, 176), der aber nicht als Sabbat galt. Daher bleibt unsicher, inwiefern die erzählerisch erweckte Kontinuität der Zeit auch historisch plausibel ist. Sicher geht die erzählerische Kontinuität in Joh 7-10 auf das gestalterische Interesse des Autors zurück, der die Episoden lokal und situativ verband. Joh 9 lässt sich anhand der Figurenkonstellationen szenisch gliedern: Neben Jesus und dem blind Geborenen begegnen dessen Eltern, die Gruppen der Nachbarn und Bekannten sowie die Gruppe der Pharisäer/Juden und schließlich eine Teilgruppe von ihnen, die Jesu Worte gehört hat. Die Gliederung ist (bis auf die evtl. teilbare Schlussszene) eindeutig (Rein 1995, 170-172): 1. Szene V. 1-7: 2. Szene V. 8-12: 3. Szene V. 13-17: 4. Szene V. 18-23: 5. Szene V. 24-34: 6. Szene V. 35-38: 7. Szene V. 39-41:
Heilung (Jesus und der blind Geborene) Diskussion (die Nachbarn und Bekannten und der Geheilte) Verhör I (die Pharisäer und der Geheilte) Zwischenverhör (die Juden und die Eltern des Geheilten) Verhör II (die Juden/Pharisäer und der Geheilte) Wiederbegegnung (Jesus und der Geheilte) abschließender Wortwechsel, ausgelöst durch ein Wort Jesu (Pharisäer und Jesus)
Jesus tritt nur in den Rahmenszenen (1 und 6/7) auf, der namenlose (»ein Mensch«) blind Geborene ist in allen Szenen bis auf den abschließenden Wortwechsel präsent. Er ist die Hauptperson, freilich ist Jesus in allen Szenen Gesprächsthema und insofern diskursiv präsent, und sein Handeln wird mehrfach variiert berichtet (V. 11 f.15) und in Rückverweisen thematisiert (V. 21.25.27). Daneben begegnet als profilierteste Gruppe die der Pharisäer (Szene 3 und 7) bzw. der 3Iouda…oi (Ioudaioi – Juden, Szene 4 und 5), die im Ganzen der Erzählung nahezu synonym gebraucht werden und fast im Stil einer ›Behörde‹ auftreten, die die Kompetenz hat, Verhöre durchzuführen und über die Zugehörigkeit zur Synagoge zu entscheiden. Dabei bleibt unberücksichtigt, dass der Geheilte und seine Eltern ebenso wie Jesus selbst (4,9) natürlich auch als 3Iouda…oi (Ioudaioi – Juden) zu bezeichnen sind (vgl. für Jesus Joh 4,9). Am Ende begegnet eine Teilgruppe der Pharisäer, deren Präsenz bei Jesus freilich kein Zeichen von Affinität ist – auf sie wird das Gerichtswort appliziert. Sie erscheinen danach als Hörer der Hirtenrede (10,1-18). Es lohnt sich, die erzählerische und dramatische Bewegung durch den Text wahrzunehmen, in der aus der knappen Wundererzählung die große Entgegensetzung zwischen dem einst Blinden, der nun sieht und glaubt, und den vermeintlich Sehenden, die doch blind sind, entwickelt wird. Die Erzählung beginnt in V. 1 mit einer extrem knappen Schilderung der Not. Es wird nur gesagt, dass ein »Mensch« blind war, und zwar »von Geburt«. Damit erscheint die Not besonders groß, so dass auch das Wunder selbst dann ›gesteigert‹ erscheint. 728
Sehen oder Nicht-Sehen? Joh 9,1-41
Wichtiger (und im Vergleich mit den synoptischen Blindenheilungen typisch johanneisch) ist, dass Jesus selbst initiativ wird, den Blinden im Vorübergehen »sieht« und von sich aus handelt (V. 6-7a), ohne dass der Blinde selbst oder andere ihn darum bitten. Der Erzähleinsatz ist extrem konzentriert, andere Elemente, die zur Exposition gehören könnten, z. B. dass der Blinde ein bekannter Bettler war (V. 8) oder auch der Sabbattag (V. 14; vgl. Joh 5,9), werden erst nachträglich erwähnt. Doch bevor die Handlung weitererzählt wird, ist die Erzählung durch eine Jüngerfrage (V. 2) und Jesu Antwort (V. 3-5) unterbrochen. Diese retardierenden Elemente lenken das Augenmerk der Leser(innen) sofort auf Horizonte, die über die Ebene des erzählten Wunders hinausgreifen: die Frage nach dem Zusammenhang von Blindheit und Sünde (und Heilung und Vergebung bzw. Sehen, Glauben und Vergebung) und Jesu Handeln als Tun der ›Werke Gottes‹ (vgl. 5,17). Jesu Antwort auf die Frage nach dem Grund der Blindheit verweist unmittelbar auf den Zweck, zu dem der Blinde überhaupt nur ins Blickfeld kommt: Es geht um das Tun der Werke Gottes, um die Offenbarung seines Heils, die im Verlauf des irdischen Wirkens Jesu erfolgt – und dieses Wirken Jesu als ›Licht der Welt‹ (8,12) läuft, wie V. 4b andeutet, seinem Ende zu. Das Ende des Tages (vgl. 11,9 f.), die Nacht (vgl. 13,30), rückt näher – und damit kommt sein Offenbarungswirken an ein Ende. Nachdem diese Horizonte bereits vorab eröffnet sind, wird das eigentliche Wunder knapp erzählt (V. 6 f.). Jesus ist alleiniger Akteur: Er spuckt auf die Erde, macht einen Teig aus dem Gespuckten, streicht ihn dem Blinden auf die Augen und befiehlt ihm, sich zu waschen im Teich Siloah. Der Mann folgt Jesu Wort, geht, wäscht sich, und das Wunder stellt sich spontan ein: Er sieht. Diese knapp erzählte Handlung, die in Jesu Spucken und der Verwendung eines ›Heilmittels‹ bemerkenswert ist, wird mit einem zusätzlichen Deutungselement versehen, indem der Name des Teichs ›übersetzt‹ wird und so auf den Gesandten, d. h. auf Jesus selbst hinweist. Damit wird zusätzlich der christologische Tiefensinn der erzählten Handlung, ihre hintergründige Dimension markiert: Es ist nicht nur ein Hinweis darauf, dass Jesus die Heilung vollbringt, obwohl sie an einem anderen Ort geschieht, also eine ›Fernheilung‹ ist (vgl. Joh 4,45-54), sondern regt die Leser schon zum Weiterfragen an: Sollte sich ein Mensch in Jesus waschen, um sehend zu werden? Wie der Kranke – noch blind – zum Teich Siloah finden sollte, wird nicht reflektiert, doch verdeutlicht die spätere Wiederholung (V. 11), dass sich das Augenlicht erst bei bzw. nach der Waschung einstellte. Das Wunder wird also auch hier, wie bei Johannes öfters (vgl. 2,10; 4,53), erst nachträglich konstatiert. Es lässt sich nicht ›beobachten‹, nur glaubend erkennen. Damit könnte die Wundergeschichte enden, doch wird auch die ›Demonstration‹ des Wunders noch weitergeführt bzw. im Diskurs vertieft (V. 8-38): Nachbarn und Bekannte des Mannes diskutieren, ob der jetzt Sehende wirklich derselbe ist, der einst blind war und bettelte. Die beobachtete Veränderung ist ja nur Indiz eines Wunders, wenn es sich wirklich um dieselbe Person handelt. Einige bezweifeln dies und erscheinen damit als solche, die das ihnen unmöglich Erscheinende abstreiten müssen, weil es für ihr Denken nicht sein darf (Thyen 2005, 462). Die kontroverse Diskussion wird breit referiert, und abschließend bestätigt der Geheilte selbst die Identität und damit auch das Wunder (V. 9: das einzige ¥gð e§mi ego¯ eimi – ich bin es) im Johannesevangelium, das im Munde eines anderen Sprechers als Jesus begegnet). Auf die Nachfrage der Nachbarn wird auch der Heilungsvorgang noch einmal erzählt (V. 11), der somit erzählerisch zusätzliches Ge729
Die Wundererzählungen im Johannesevangelium
wicht bekommt. Wenn schließlich gefragt wird, wo »der Mann, der Jesus heißt«, sei, ist darin noch keine feindselige Absicht zu erkennen, doch wird das Interesse wieder auf ihn gelenkt – und damit auf die aus dem Wunder zu ziehenden Folgerungen im Blick auf Jesu Autorität. Mit der Notiz, dass die Nachbarn den Geheilten zu den Pharisäern bringen (V. 13), die wohl als ›religiöse Experten‹ erscheinen sollen, wird die Diskussion auf eine neue Stufe gehoben. Die Pharisäer hatten schon in 1,24 eine religiöse Befragung (des Täufers) veranlasst, seit 4,1 und dann v. a. 7,32.45 sind sie auch als potentielle Gefahr für Jesus im Blick, und in 8,13 widersprechen gerade sie dem Wort vom ›Licht der Welt‹. Aus der ›neugierigen‹ Befragung wird nun eine Gefährdung des Geheilten und Jesu (vgl. 5,16.18). Der Grund dafür wird nun nachgetragen: Es war Sabbat und – so ist zu folgern – Jesus hat durch sein Wirken den Sabbat verletzt. Dies wird nicht erläutert, doch nennen die Erzählerstimme und die Antwort des Geheilten konkret das Kneten und Auftragen des Teiges. Die Pharisäer reagieren (wie schon die Nachbarn) gespalten: Einige ziehen aus dem Sabbatbruch die Folgerung, dass Jesus ein »sündiger Mensch« und »nicht von Gott« ist – andere argumentieren mit dem »Zeichen« (V. 16). Der Streit wird somit auf die Frage nach Jesu Sendung und Vollmacht verlagert. Die Antwort des Geheilten ist ein erstes ›christologisches‹ Bekenntnis: Jesus sei ein »Prophet«. Nun wird auch seitens der Pharisäer (bzw. jetzt: ›der Juden‹) die Identität des Geheilten mit dem einst Blinden bezweifelt, wobei explizit gesagt wird, dass die Juden »es nicht glauben wollten« (V. 18). Daher werden nun seine Eltern befragt, die seine Identität und seine einstige Blindheit bestätigen, aber über den Hergang der Heilung und die Person dessen, der ihm die Augen öffnete, keine Aussage machen und auf das Zeugnis ihres Sohnes verweisen. Damit wird noch einmal – ohne dass dieses wiederholt würde – das Zeugnis des Geheilten hervorgehoben. Die Zurückhaltung der Eltern wird schließlich begründet durch den Hinweis auf ihre Furcht vor ›den Juden‹ und die Erklärung, dass diese den Ausschluss aus der Synagoge für alle beschlossen hätten, die Jesus als Messias bekennen. Damit ist nun nicht mehr nur Jesus selbst gefährdet, sondern die Gegnerschaft betrifft auch seine Anhänger. Nach dem Intermezzo mit den Eltern wird das Verhör mit dem Geheilten erneut aufgenommen (V. 24). Die Juden fordern ihn auf, Gott die Ehre zu geben (d. h., sich von Jesus zu distanzieren). Ihrer These, »dass dieser Mensch ein Sünder ist«, setzt der Geheilte vorsichtigen Zweifel und erneut das Argument seiner Heilung entgegen. Die wiederholte Frage nach dem Hergang der Heilung beantwortet er nun nicht mehr und verweist auf seine vorherige Aussage. Mit der Gegenfrage, ob die Juden etwa auch seine Jünger werden wollten, bekennt sich der Geheilte implizit als Jünger Jesu, woraufhin die Juden in ihrer Antwort schroff Jünger »jenes Menschen« und »Jünger des Mose« gegeneinanderstellen. Ihrem religiösen Wissen im Blick auf Mose korrespondiert ihr Nichtwissen im Blick auf das Woher Jesu (V. 29). Dagegen verweist der Geheilte noch einmal auf seine Heilung und äußert seine Verwunderung über das Nichtwissen der Juden. Für ihn belegt die Heilung, dass dieser kein Sünder, sondern gottesfürchtig ist, und dass Gott auf ihn hört; zumal die Heilung eines blind Geborenen (V. 32) zeigt, dass ›dieser‹ nur von Gott sein kann (V. 33). Somit ist die Gegenthese gegen das Urteil der Pharisäer (V. 16) formuliert, und die Reaktion der Juden besteht darin, dass sie ihn »hinauswerfen« (und so das nach V. 22 Beschlossene praktizieren) und ihn als »in Sünden geboren« verurteilen, was auf
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V. 2 f. zurückweist. Der blind Geborene ist nicht nur Jünger und Bekenner, sondern auch aktiv Vertreter religiöser Thesen, ja einer ›Lehre‹ (V. 34), die die Juden abweisen. Nun erfolgt ein Szenenwechsel, und Jesus tritt wieder als Akteur auf die Bühne. Er hört, »dass sie ihn ausgestoßen hatten« (was nicht nur auf die Beendigung des Verhörs V. 34, sondern auch auf den in V. 22 thematisierten Ausschluss aus der synagogalen Gemeinschaft bezogen werden kann). Er »findet ihn« (vgl. 5,14) und spricht ihn an, und zwar auf seinen Glauben. Die indirekte Rede vom Glauben »an den Menschensohn« provoziert eine Rückfrage nach dessen Identität, die Jesus dann umständlich (und umso auffälliger) klärt: Dabei wird gerade auf das »Sehen« verwiesen – und damit auf die von Jesus selbst neu geschenkte Fähigkeit: Das Sehen bzw. das Sehen des Wunders führt zum Sehen Jesu und so zum Glauben an ihn. Dementsprechend bekennt der Geheilte nun seinen Glauben, spricht Jesus als »Kyrios« an und fällt vor ihm nieder (d. h. in göttlicher Verehrung – wie er zuvor seine Sendung »von Gott« bekannt hatte). Damit ist die Klimax erreicht, der Geheilte ist zur Erkenntnis Christi und zum Bekenntnis gelangt, wobei dieses (wie oft im Joh) durch Sehen (des Zeichens) und Jesu Anrede bzw. die Begegnung mit ihm ausgelöst wird. Eine letzte Szene, die den Übergang zur Hirtenrede bildet, schließt den Zusammenhang diskursiv ab. Der Geheilte spielt nun keine Rolle mehr. Vielmehr spricht Jesus ein Gerichtswort aus, das das Geschehen bzw. weitergehend seine Sendung auf einer Meta-Ebene kommentiert und als ›Gericht‹ (oder auch ›Scheidung‹) kennzeichnet: Jesu Kommen wirkt diese Scheidung, ja zielt auf sie, insofern – wie erzählt – Blinde zum Sehen gelangen und – wie nun ergänzt wird – »die Sehenden blind werden« (V. 39). Auf dem Hintergrund des Erzählten ist dies auf die ungläubigen Zeitgenossen des Geheilten, seine Nachbarn wie v. a. die Pharisäer bzw. Juden zu beziehen. Doch wird dieser Aspekt noch einmal vertieft, indem nun Pharisäer, die (zufällig?) in der Nähe Jesu sind, in einer sie selbst entlarvenden Weise zurückfragen: »Sind wir etwa auch blind?« Dies impliziert, dass sie sich für Sehende halten, obwohl sie den Erkenntnisprozess des Geheilten gerade nicht mitvollzogen haben. Jesu Antwort nimmt die Kategorie der Sünde auf: Indem er ihre Sünde als bleibend, d. h. nicht beseitigt feststellt, spricht er ein negatives eschatologisches Urteil aus; dieses legt umgekehrt den Gedanken nahe, dass der Geheilte und nun Glaubende seinerseits auch Vergebung der Sünden erfahren hat. Seine Heilung erscheint so insgesamt als Bild der im Glauben an Jesus geschenkten Vergebung. An ihr hat der Geheilte als »Jünger Jesu« Anteil, den vermeintlich Sehenden bleibt sie verwehrt. Im Anschluss an die textliche Denkbewegung sind formale und thematische Aspekte zu benennen: Die eigentliche Wundererzählung ist extrem kurz. Sie besteht nur aus der knappen Benennung der Notlage V. 1, der auffällig ›materiellen‹ Beschreibung der Handlung Jesu (V. 6) und dem Befehl an den Blinden (mit Deutung des Ortsnamens) und seinem Gehorsam, mit dem die Feststellung des Wunders (»und kam sehend zurück«) denkbar knapp verbunden ist (V. 7). Die Handlung Jesu (V. 11.15; vgl. 27) und die Feststellung, dass der ehemals Blinde nun sehen kann (V. 11.15[2x].18.19.21.25), ja dass Jesus ihm »die Augen geöffnet« hat (V. 10.14.21.26.30.32), werden in den folgenden Diskussionen mehrfach wiederholt und so narrativ verstärkt. Dass Jesu Handlung vor den Nachbarn und Pharisäern noch erzählt, aber im zweiten Verhör dann nicht mehr wiederholt wird, zeigt, dass die thematische Ebene wechselt: Nachdem es zuerst vor den Nachbarn und dann auch vor den Pha731
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risäern um das Wie der Heilung ging, kommt durch die Pharisäer die Frage nach dem Woher und damit nach Jesu Identität und Vollmacht ins Spiel: Sie folgern aus der Sabbatverletzung, dass Jesus ein Sünder und »nicht von Gott« sei (V. 16.24); abschließend stellen die Juden fest, dass sie nicht wissen, »woher er ist« (V. 30); der Geheilte hingegen bezeichnet ihn erst als Prophet (V. 17), argumentiert dann weiter mit Verweis auf seine Heilung und die Größe des Wunders, dass Jesus kein Sünder (V. 25.31), sondern ein Frommer und »von Gott« (V. 33) ist, und bekennt schließlich nach der erneuten Anrede seinen Glauben, er nennt Jesus Kyrios (Herr) und vollbringt die Proskynese (V. 38). Während die Nachbarn über das Wunder diskutieren (V. 9 f.), die Pharisäer sich erst über Jesu Woher entzweien (V. 16), lehnen die Juden Jesus beim zweiten Verhör einmütig ab und mit ihm auch den Geheilten, der sich als sein Jünger bezeichnet (V. 34). Die Diskussionen bieten somit sukzessive eine christologische Klärung der Identität Jesu (auf Seiten des Geheilten bzw. für die Leserinnen und Leser) und zugleich eine Verhärtung der Fronten, wobei die Gegnerschaft nun nicht nur Jesus betrifft, sondern auch seine Nachfolger einschließt, so dass sich letztlich prononciert zwei Gruppen gegenüberstehen: Jesu Jünger und Mose Jünger (V. 28), sich zu Jesus Bekennende (V. 22) und die ›Synagoge‹ bzw. die Juden oder metaphorisch sehend Gewordene und blind Bleibende oder gar Geblendete (V. 39). Eine thematische Linie wird durch Verben des Wissens markiert: Das Wissen der Pharisäer/Juden und das des Geheilten treten in Kontrast. Diese Verben begegnen zunächst gehäuft in der Befragung der Eltern, die wissen, dass der Geheilte blind geboren wurde, aber über die Gründe der Heilung und die Identität Jesu nichts wissen (V. 20 f.). Während die Juden wissen, dass Jesus ein Sünder sei, zieht der Geheilte dieses Wissen in Zweifel: Er weiß hingegen, dass er vorher blind war und jetzt sehen kann (V. 25). Sie wissen, dass Gott zu Mose gesprochen hat, er verwundert sich darüber, dass sie nicht wissen, woher Jesus ist, und aus dem ungewöhnlichen (V. 32) Zeichen nicht die gleichen Folgerungen ziehen. Während er aus dem Zeichen bzw. der Erfahrung die Folgerung im Blick auf Jesus zieht, schließen die Pharisäer aus dem Gesetz bzw. aus dem vermeintlichen Sabbatbruch auf sein Sündersein und seine zweifelhafte Herkunft und verwerfen auch den Geheilten, der sich zu dem vermeintlichen Sünder bekennt und somit keine Lehrautorität in religiösen Fragen haben kann. Mit der Formulierung »in Sünden geboren« (V. 34) greift der Dialog zurück auf das eingangs von den Jüngern eingebrachte Thema, ob die Blindgeburt auf vorausliegende Sünde weise. Die ›Juden‹ scheinen dies auch zu denken, wenn sie dem Geheilten vorwerfen, er sei »ganz in Sünden geboren«, und ihn »hinauswerfen«; Jesus hingegen, der ihn »sieht« (V. 1) und heilt und dann noch einmal »findet«, handelt, damit »Gottes Werke« geschehen (V. 3 f.). Die mögliche »Sünde« im Hintergrund der Blindheit wird im Licht der Annahme durch Jesus gleichgültig. Während die Juden Jesus und den Geheilten als Sünder verurteilen (V. 24.34), wird am Ende von Jesus selbst die Sünde der Pharisäer konstatiert (V. 41). Schließlich ist die Perikope von V. 1 bis V. 41 von dem Gegensatz »blind sein« – »sehen« bestimmt, der in Bezug auf den blind Geborenen mit einem raum-zeitlichen Wandel (»einst blind, jetzt sehend«) verbunden ist, am Ende aber in Bezug auf die Pharisäer in ironischer Verkehrung wieder begegnet: Sie beanspruchen zu sehen und sind doch blind, was dann mit dem Thema Sünde verbunden wird: Blind sein heißt in Sünde sein, während die Öffnung der Augen auch für die Vergebung von Sünden steht. Diese ist 732
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nun nicht mehr nur mit dem physischen Sehenkönnen verknüpft, sondern auch mit dem Sehen des Glaubens, für das die physische Sehfähigkeit ein Zeichen ist. Damit fügt sich die Metaphorik von Blindsein und Sehen zugleich in die übergeordnete johanneische Metaphorik von Finsternis und Licht, die für Joh 9 aufgrund von Joh 8,12 den Rahmen bildet. Freilich bildet dieses Begriffspaar keinen starren weltanschaulichen Dualismus, sondern steht im Rahmen des Johannesevangeliums in einer Dynamik, welche die Bewegung von der Finsternis zum Licht, vom Nicht-Sehen zum Sehen widerspiegelt und textpragmatisch initiieren will (Frey 2006, 31-42) – im ganzen Evangelium wie in dieser Erzählung, in der sich Jesus selbst als »das Licht der Welt« erweist (8,12; 9,4; vgl. 12,35 f.). Insgesamt zeigt sich auch in Joh 9 die für die johanneischen Wundererzählungen charakteristische Struktur, dass die Erzählung einerseits im Rahmen des erzählten Wirkens Jesu von Nazaret zu einer bestimmten Zeit (am letzten Tag des Laubhüttenfests) und an einem bestimmten Ort (Jerusalem) spielt. Orts- und Personennamen (Jesus, Jerusalem, Siloah), das wunderbare Ereignis (mit Betonung der Schwere des Falles) und das Bemühen um dessen Verifikation halten diesen Horizont der Erzählung fest, der an keiner Stelle definitiv preisgegeben wird: Johannes will eindeutig ein konkretes, geschichtliches Geschehen auf dem Weg des irdischen Jesus erzählen, das freilich – als »Zeichen« – über sich hinausweist (wenn man shme…a [se¯meia – Zeichen] in 9,16 in dem seit 2,11 geprägten Sinn versteht). Diese »vordergründig-dramatische« Ebene wird aber von einer theologisch-symbolischen oder »hintergründig-heilsdramatischen« (Welck 1994, 176. 184) überlagert, insofern die Darstellung schon des Wunders und noch mehr der Reaktionen über die »bloß dramatische Logik und Anschaulichkeit hinaus« geht und »merkwürdige, ja unpassende Einschübe, störende Erläuterungen und anachronistische Erzählzüge« enthält, die »den Blick auf die tiefere Bedeutung der Ereignisse« eröffnen (Welck 1994, 185). So wachsen dem erzählten Geschehen christologische Sinngehalte (Siloah = der Gesandte; »Werke Gottes tun«), symbolische Ausweitungen (›sehen‹ im Blick auf ›glaubendes Sehen‹ ; Heilung im Blick auf Sündenvergebung) und eschatologische Konsequenzen (Gericht/Heil in V. 39-41) zu, und es begegnen Termini und Sachverhalte, die erst in einer späteren Situation der nachösterlichen Gemeinde bzw. ihrem Gegenüber zur Synagoge plausibel sind (⁄posun€gwgo@ [aposynago¯gos – aus der Synagoge ausgestoßen], V. 22; vgl. V. 34; »Furcht vor den Juden« V. 22; das Gegenüber von Mose- und Jesusjüngern V. 28 f., »wir« für diese Gruppen in V. 31.34 etc.). Durch diese Elemente wird die Erzählung nie ganz ihrer ›Bodenhaftung‹ enthoben, doch weist sie klar auf die über das bloße erzählte Geschehen hinausgehenden Sinndimensionen hin und sperrt sich einer ›historisierenden‹ Lektüre im Sinne eines bloß vergangenen Ereignisses. Diese Struktur lässt sich im Sinne einer Durchdringung oder Verschmelzung von (mindestens) zwei Horizonten interpretieren, dem Horizont der Zeit und Geschichte des irdischen Jesus und dem Horizont einer späteren, nachösterlichen Zeit der Gemeinde. Eine solche Horizontverschmelzung ist auch in den johanneischen Jesusreden (v. a. den Abschiedsreden) sprachlich nachweisbar und charakterisiert das Johannesevangelium im Ganzen (Frey 1998, 247-268). Joh 9 ist ein besonders klares Beispiel einer derart für spätere Einsichten und Probleme ›transparenten‹ Einzelerzählung, wobei der präzise Bezug auf Zustände und Ereignisse im Kontext der späteren Gemeinde kaum möglich ist. Der ›Horizont‹ der nachösterlichen Zeit kann Zustände der Gegenwart der Gemeinde zur Zeit der Abfassung des Evangeliums und Erfahrungen der bisherigen Gemeindegeschichte einschließen. Textpragmatisch bewirkt die beschriebene Darstellungsweise jedoch, dass das 733
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Johannesevangelium als Erzählung über den irdischen Weg Jesu nur so gelesen werden kann, dass diese stets über sich hinausweist auf theologische und symbolische Sinndimensionen; wollte man sie hingegen als bloße theologische Allegorie oder Symbolerzählung lesen, würde die Lektüre doch immer wieder auf die konkrete irdische Geschichte Jesu von Nazaret zurückgelenkt. Die Darstellung bleibt somit ›auf der Grenze‹ zwischen historischer Einmaligkeit und sachlicher Allgemeinheit (Onuki 1984, 165 f.), bzw. zwischen vorösterlichem Geschehen und nachösterlichem Blickwinkel, und hält beides hermeneutisch bewusst zusammen.
Sozial- und realgeschichtlicher Kontext Für die soziale Situation von Blinden, ihre Unfähigkeit, sich den Lebensunterhalt zu verdienen, und ihr Angewiesensein auf Hilfe von Familienangehörigen und Bekannten sowie häufig aufs Betteln und auf Almosen, kann hier auf die Bearbeitungen der synoptischen Blindenheilungen verwiesen werden (s. o. von Bendemann zu Mk 8,22-26 und Kollmann, Krankheitsbilder in diesem Band). Als Bettler an einem der Tempeltore (vgl. Apg 3,1-10) oder in den Straßen Jerusalems gehörten Blinde zum gewohnten Straßenbild in Jerusalem (und anderen Städten). Als von Geburt an Blinder trägt der Mann ein besonders schweres Schicksal (was aber anders als in Joh 5 nicht reflektiert wird) – immerhin hat er offenbar Eltern und Nachbarn, ist also nicht völlig allein. Wie in allen neutestamentlichen Blindenheilungen wird keine nähere medizinische Erklärung der Krankheit gegeben. Auffällig ist, dass Jesus hier (wie nur noch Mk 7,31-37; 8,22-26) ein »Heilmittel« verwendet: In der Blindenheilung Mk 8,22-26 ist dies Speichel (in Verbindung mit der heilenden Berührung), der auch in der griechisch-römischen Antike wie auch im Judentum als Heilmittel für die Augen verwendet wurde (Kollmann 1996, 235); in Joh 9,1.6 f. ist es ein Teig oder Schlamm (phl@ pe¯los) aus Speichel und Erde (evtl. auch Lehm, Tierkot o. ä.), der als ›Augensalbe‹ fungiert, wobei die Heilung dann erst im Zuge der Waschung erfolgt. Aus dem Gebrauch eines Heilmittels wurde gefolgert, hier könnten »Augenheilpraktiken christlicher Wundercharismatiker« aufgenommen sein (Kollmann 1996, 237), doch soll mit der Heilung eines schon blind Geborenen gerade das Außergewöhnliche betont werden, und ein Rückschluss auf faktisch erfolgte Heilungen durch Jesus oder andere ist kaum mehr möglich. Die Deutung von Krankheit als Strafe und ihre Zurückführung auf Fehlverhalten und Vergehen (vgl. auch Lk 13,2) ist in der biblisch-frühjüdischen Tradition belegt (vgl. Ex 20,5/Dtn 5,9; Dtn 28,15-46; 2Sam 24,10-17; Hi 22,1-11; 34,11; Sir 27,25-27; Jub 4,32; weiter für die göttliche Strafe 2Makk 9,5 f.; 13,7 f.; allgemeiner auch 4Q181 1,2, 1 f.). Für eine seit Geburt bestehende Krankheit konnte auf Ex 20,5/Dtn 5,9 oder Dtn 34, 6 f. verwiesen werden, wonach auch die Nachkommenschaft an den Folgen der Sünden der Vorfahren zu tragen hat (vgl. auch Ez 18,1-5; Tob 3,3 f.; Flav. Jos. Bell. 3,375). Doch begegnet ein solches Denken keineswegs nur in dieser Traditionslinie, sondern weit darüber hinaus in der antiken Kultur, auch im Blick auf die Bestrafung von Nachkommen (wenngleich dies gelegentlich problematisiert wird; s. die Belege in Neuer Wettstein I/2,484-488). Dass Götter mit Blindheit strafen können, ist seit Homer (Il. 6,139) belegt. Andererseits weiß auch die biblische und jüdische Tradition, dass der Rückschluss von Glück oder Leid auf Gerechtigkeit oder Sünde nicht in unserer Hand liegt (so schon die 734
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Quintessenz des Hiobbuches, aber auch später z. B. mAvot 4,15). Auch in Joh 5,14 wird der Gedanke einer Verbindung von Krankheit und Sünde nur augenscheinlich bekräftigt, wenn das Augenmerk auf das »Schlimmere«, das mögliche Verfehlen des Heils, gelegt und so eine andere Ebene angesteuert wird. Auch in Joh 9,2 f. wird der Gedanke nur als ›Sprungbrett‹ verwendet, um als Ziel des Handelns Jesu das Tun der Werke Gottes zu formulieren und die Wundererzählung auf das Thema von Sünde und Vergebung (und V. 39-41) hin zu ›öffnen‹. Aufgrund der Ausgestaltung des Konflikts als Sabbatkonflikt ab V. 14 stellt sich die Frage, was an Jesu Handeln als Sabbatverletzung gelten konnte. Ungeachtet des Problems, dass die in rabbinischen Texten (v. a. in mShab) überlieferten Listen von am Sabbat verbotenen Tätigkeiten weder für die Zeit Jesu noch für die Zeit und das Umfeld des Evangelisten sicher vorauszusetzen sind (dazu Thomas 1991, 173; vgl. aber ältere Halachot in Jub 2,29 f.; 50,8.12; CD 10,14-11,18 sowie bei Josephus, dazu Doering 1999, passim), würde die Fertigung eines Teiges (›Kneten‹) unter die nach mShab 7,2 verbotenen 39 Hauptarbeiten fallen. In mShab 24,3 ist das Anrühren eines Breis verboten. Einige Heilverfahren am Sabbat sind mShab 22,5 f. ausgeschlossen. Salbungen mit anderen als gewöhnlichen Mitteln (wie z. B. Öl) gelten als Therapien und sind darum untersagt (mShab 14,4). Legitim wäre allenfalls die Hilfe in einer akuten Notlage, doch die ist hier (wie auch bei dem Kranken in Joh 5,1-17) nicht gegeben. Doch ist auch die Thematisierung des Sabbats hier (wie in 5,9) ein Mittel, um den Konflikt zu steigern und das Interesse auf die Vollmacht bzw. Identität Jesu hinzulenken. Schon lange wurde beobachtet, dass das Bild der Pharisäer bzw. ›der Juden‹ in dieser Perikope – wie auch die weithin relativ undifferenzierte Rede von ›den Juden‹ in Teilen des Johannesevangeliums (v. a. Joh 5-12) – nicht in die Situation und Zeit des Wirkens Jesu passt, sondern spätere Verhältnisse voraussetzt, nämlich die Neukonstitution des Judentums unter pharisäisch-rabbinischer Führung nach dem Jahr 70: Erst jetzt konnten die Termini ›die Pharisäer‹ und ›die Juden‹ parallel verwendet werden, erst jetzt konnten die Pharisäer eine Führungsrolle (Joh 3,1) einnehmen und im Sinne einer ›offiziellen‹ Instanz, ja ›Behörde‹ verstanden werden (hier freilich mit Sitz in Jerusalem). Hingegen widerspricht die Entgegensetzung von Jesus und seinen Jüngern einerseits und ›den Juden‹ andererseits klar den für die Zeit des irdischen Jesus gegebenen Verhältnissen. Die Erklärung liegt nahe, dass das Evangelium hier die Geschichte Jesu transparent erzählt für Zustände einer späteren Zeit, wobei es unsicher bleibt, in welchem Maße Verhältnisse in Palästina oder in der Diaspora hier eingetragen wurden bzw. in welchem Maße die Gegenwart und Umwelt des Evangelisten oder Vorgänge einer früheren Phase der Geschichte der johanneischen Gemeinde eingegangen sind. In einer prononcierten (aber sicher überzogenen) These hat J. Louis Martyn (Martyn 1979) vorgeschlagen, dass sich in Joh 9 ein »Drama auf zwei Ebenen« abspiele: Wenn erzählt wird, dass Jesus einen Blinden heilt, spiegele sich darin das Geschehen, dass ein Blinder in der Gemeinde durch einen christlichen Verkündiger geheilt und aufgrund seines Bekenntnisses von ›den Juden‹ verhört und aus der Synagoge ausgeschlossen worden sei (9,22.34). So direkt ist der Text sicher nicht ein Spiegel von Ereignissen der Gemeindegeschichte oder gar der Gegenwart des Evangelisten. Doch v. a. der in 9,22; 12,42 und 16,2 f. erstmals im Griechischen belegte Terminus ⁄posun€gwgo@ (aposynago¯gos) scheint auf einen neuen Sachverhalt, auf einen Ausschluss (oder die Trennung) der Jesusanhänger von der Synagoge hinzuweisen. Dieser wurde in der Forschung gerne mit den 735
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rabbinischen Notizen über die (seit Heinrich Graetz im 19. Jh. mit einem anachronistischen Begriff so bezeichnete) ›Synode von Jamnia‹ bzw. korrekter mit den von den frühen Rabbinen nach 70 im ›Lehrhaus‹ von Jabne getroffenen Entscheidungen in Verbindung gebracht: In diesem Kontext soll auch die so genannte Birkat ha-Minim, die Verfluchung der Häretiker (minim) in der 11. Bitte des 18-Bitten-Gebets erweitert und in einer die Judenchristen (nozerim) mit betreffenden Form ausgestaltet worden sein soll (Schrage 1964): Diese lautet in der ältesten (aus der Kairoer Geniza) erhaltenen palästinischen Fassung: Die Nozerim und die Minim mögen zugrunde gehen in einem Augenblick, ausgelöscht werden aus dem Buch des Lebens und mit den Gerechten nicht aufgeschrieben werden« (Schrage 1964, 848). In dieser Formulierung hätten Judenchristen im synagogalen Gottesdienst sich selbst ›verflucht‹ und wären so durch die liturgische Festlegung ›exkommuniziert‹ worden. Martyn (Martyn 1979) und Brown (Brown 1982) haben mit Hilfe dieser Konstruktion die Beziehung der johanneischen Gemeinde zur Synagoge und die Phasen und die Zeit der Entstehung des Johannesevangeliums präziser erfassen wollen, Wengst (Wengst 1990, 160-174) auch den Ort, mit Hilfe der Annahme, dass ›die Juden‹ im Reich Agrippas II. »in behördlicher Machtstellung erscheinen konnten« (Wengst 1991, 166 f.). Freilich wurden diese Thesen v. a. von der judaistischen Forschung entscheidend in Frage gestellt (Schäfer 1978; Stemberger 1977; Horbury 1998): Erstens lässt sich die so genannte (Stemberger 1977; Schäfer 1978) Synode von Jabne/Jamnia historisch kaum fassen, vielmehr vereinigt diese ›Konstruktion‹ »verschiedene Entscheidungen« der rabbinischen Lehrer zwischen 70 und 135 n. Chr. »zu einem einzigen Ereignis« (Stemberger 1990, 375). Zweitens war der Zweck der ›Erweiterung‹ der ›Ketzerbitte‹ im Achtzehngebet nicht, irgendjemand von der Synagoge fernzuhalten, sondern »Gott um Befreiung von den politischen Bedrückern und um Vernichtung der Häretiker zu bitten« (Schäfer 1978, 52), und dass sich Mitglieder der Synagoge von diesen Wendungen selbst betroffen gefühlt hätten, ist zweifelhaft. Drittens sind Judenchristen (nozerim) erst in späten Textformen der Bitte erwähnt (Schäfer 1978, 51), die zuvor genannten minim waren zuerst die Gruppen, die das Judentum in die Katastrophe geführt hatten. Schließlich ist offen, wie schnell und in welchem Radius sich die Entscheidungen von Jabne durchsetzen konnten – für die Diaspora ist dies für die frühe Zeit ganz unwahrscheinlich. Die aposynago¯gos-Aussagen sind daher nicht auf eine generelle Entscheidung der Rabbinen zu beziehen, sondern nur auf lokale Trennungs- und Abstoßungsprozesse zwischen der johanneischen Gemeinde und der lokalen Synagoge; sie helfen daher weder zur präziseren Datierung noch zur Lokalisierung des Johannesevangeliums. Wenn man annimmt, dass dieser Trennungsprozess zur Zeit der Abfassung des Evangeliums schon vollzogen ist oder gar schon etwas zurückliegt, legen die Aussagen immerhin nahe, dass Teile der johanneischen Gemeinden zeitweise der Synagoge angehörten und dass es hier zu schmerzhaften Abstoßungsprozessen kam, die die Schärfe der Polemik gegen ›die Juden‹ im Johannesevangelium aus zeitgeschichtlichen Erfahrungen zumindest partiell erklären können. Mit o 3Iouda…oi (hoi Ioudaioi – die Juden) sind nicht einfach nur ›Judäer‹ (im regionalen Sinne) gemeint, sondern ethnisch-religiös ›Juden‹. Der Vorschlag, den Terminus semantisch einzugrenzen und so die antijüdische Polemik des Johannesevangeliums abzubiegen (vgl. von Wahlde 1982; grundlegend Lowe 1976; zum Überblick Kierspel 2006, 20-28), scheitert daran, dass im Johannesevangelium auch Galiläer (Joh 6) 3Iouda…oi (Ioudaioi) genannt werden und nicht zuletzt selbst Jesus aus Nazaret als 3Iouda…o@ 736
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(Ioudaios) gilt (Joh 4,9). Der Terminus ist insofern nicht generell negativ bestimmt, sondern (analog zu dem der ›Welt‹) an einigen Stellen positiv (4,22), an anderen neutral und in einzelnen Passagen stark polemisch gebraucht, wobei diese Tendenz im Abschluss der Darstellung der irdischen Wirksamkeit Jesu (Joh 5; 7 f.; 10; 12) kulminert. Der Gebrauch beider Termini ist aus der Dramatik des Evangeliums zu verstehen, wobei die Verwendung von o 3Iouda…oi (hoi Ioudaioi – die Juden) zwar noch in ›innerjüdischen‹ Diskursen wurzelt, in ihrer Generalisierung aber ein gefährliches Potential für eine Lektüre ›von außen‹ und eine antijüdische Rezeption enthält (s. u.).
Traditions- und religionsgeschichtlicher Hintergrund Die Komposition der Perikope ist szenisch relativ klar und einheitlich gestaltet, und auch die Sprache ist durchgehend johanneisch (Rein 1995, 36), was natürlich die Möglichkeit einer Vorgeschichte nicht ausschließt, deren Rekonstruktion allerdings äußerst schwierig ist. Dass der Evangelist hier eine ältere Überlieferung aufnimmt und ausgestaltet, ist plausibel, wie diese aussah und woher sie kommt, ist jedoch strittig. Indizien für eine Traditionsübernahme sind die nachklappende Notiz über den Sabbat V. 14, die auf die erst nachträgliche Ausgestaltung einer Heilungsgeschichte zum Sabbatkonflikt hindeutet (Theobald 2009, 629), der Wechsel der Termini zwischen Farisa…oi (Pharisaioi – Pharisäer) und 3Iouda…oi (Ioudaioi – Juden) (Rein 1995, 86-99) und andere Inkohärenzen, die jedoch in der überlieferten Perikope durchaus sinnvoll zu verstehen sind. Im Zuge der literarkritischen Analyse des Johannesevangeliums (vgl. Rein 1995, 65-80) wurde die Perikope zumeist auf eine Vorlage in einer ›Semeia-‹ oder Zeichenquelle zurückgeführt, wobei deren Umfang hier besonders stark divergierend bestimmt wird und für eine zunehmende Zahl von Interpreten die Existenz bzw. zusammenhängende Gestalt einer solchen Quelle sehr zweifelhaft ist (vgl. Poplutz, Hinführung Johannes). Häufig wird – im Rahmen eines Drei-Stufen-Modells – dann noch eine ältere Grund-Erzählung vermutet, die aus formgeschichtlichen Gründen (als ›reine‹ Wundererzählung) evtl. nur V. 1.6 f. umfasst habe (Becker 1991, 371 f.), nach anderen könnte auch schon die Grund-Erzählung umfangreicher gewesen sein (z. B. nach Rein 1995, 293: V. 1-3a.6-7a.8-12.35-38). Damit ›konkurriert‹ diese Rekonstruktion bereits wieder mit den für die ›vorevangelistische‹ Stufe angenommenen Textbeständen. Am vorliegenden Text wird m. E. besonders deutlich, dass das ›Reduktionsmodell‹, mit dem sukzessive Deutemotive weggestrichen und der verbleibende Rest einer vermeintlichen Quelle oder Vorstufe zugeschrieben wird, am johanneischen Text nicht durchführbar ist und der hochselektiven (vgl. 20,30 f.) und zugleich ganz auf die Deutung des Geschehens und die Schaffung von terminologischen und metaphorischen Verknüpfungen angelegten Darstellungsweise des Werks (bzw. seines Autors) nicht gerecht wird. Trotz aller Dekompositionsversuche bleibt der Text hinsichtlich seiner Entstehung undurchsichtig, zumal dann, wenn auch mit der Kenntnis und ggf. Berücksichtigung von synoptischen Erzählelementen gerechnet werden muss. Im Alten Testament werden keine Blindenheilungen erzählt. Die Blinden zu heilen erscheint dort vielmehr als ein Gottesprädikat: »Der Herr macht die Blinden sehend« (Ps 146,8). Dass Blinde sehen, gehört zu den für die eschatologische Zeit erhofften Taten Gottes (Jes 29,18; 35,4 f.) bzw. den Werken des ›Gottesknechts‹ (Jes 42,6), in dessen Spu737
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ren Jesus als ›Licht der Welt‹ prädiziert ist (Joh 8,12; 9,4; vgl. Jes 49,6). In diesem Sinne ist das Öffnen der Augen der Blinden auch in dem nichtqumranischen eschatologischen Text 4Q521 2,2,8 aufgenommen, der den zeitgenössischen Verstehensrahmen zur Antwort Jesu auf die Täuferanfrage (Mt 11,5 par. Lk 7,22) bildet, mit der Jesu Handeln in den Horizont des eschatologischen Heilshandelns Gottes gestellt wird.
Verstehensangebote und Deutungshorizonte Wie für alle johanneischen Wunder- bzw. ›Zeichen‹-Erzählungen ist auch hier festzustellen, dass eine ›historisierende‹ Deutung, die das Erzählte allein als eine ›damals‹ im Rahmen des irdischen Wirkens Jesu geschehene Begebenheit lesen wollte, nicht bruchlos durchführbar ist und durch zahlreiche Elemente des Textes ›durchbrochen‹ und auf andere Horizonte hingelenkt wird. Andererseits ist auch eine rein theologisch-symbolische Deutung dahingehend unangemessen, dass sie dem Anspruch des Evangeliums, ein wirkliches Geschehen zu erzählen, nicht mehr gerecht wird. Der Text und die in ihm vorliegende Horizontverschmelzung leiten vielmehr zu einer Lektüre an, die beide Ebenen, die geschichtliche und die symbolisch-theologische, berücksichtigt. Die historisch orientierte Deutung leidet unter der Schwierigkeit, dass der Text nicht nur in der Erzählung der Folgen der Heilung, d. h. der Diskussionen und Verhöre, massiv von anachronistischen (Synagogenausschluss) und symbolisch-theologischen (Sabbat, Licht/Finsternis, Sünde/Vergebung) Elementen angereichert ist, sondern dass diese bereits die Wundererzählung selbst in V. 1-7 bestimmen. Die Rekonstruktion einer ursprünglichen, dann möglichst ›minimalen‹ Wundererzählung führt nicht zu einem historischen ›Kern‹. Gleichwohl ist v. a. auf dem Hintergrund der synoptischen Erzählungen festzuhalten, dass der irdische Jesus Kranke und vielleicht auch Blinde geheilt hat, auch wenn schon die Rede von einem blind Geborenen Verdacht erweckt, eine bewusste Steigerung dessen zu sein. Auch das Motiv der Sabbatheilungen und die daran anschließenden Diskussionen um Jesu Vollmacht und Sendung basieren auf einer breiteren geschichtlichen Überlieferung. Der Hergang eines konkreten Geschehens lässt sich jedoch nicht mehr rekonstruieren. Zugleich bietet die Erzählung in ihrer Transparenz für spätere Vorgänge und Zustände Einblicke in den Prozess der Ablösung oder Abstoßung jüdischer Jesus-Nachfolger von der lokalen Synagoge. Wenngleich auch diese Prozesse aus dem Text nicht rekonstruierbar sind, wird hier als wesentliches Motiv das Christusbekenntnis und dessen Ablehnung bzw. die Einschätzung Jesu als eines Sünders oder gar Verführers (vgl. 5,18) erkennbar. Dass diese ›Trennung der Wege‹ nicht nur christologisch bedingt war, sondern auch durch andere soziale und politische Faktoren gefördert wurde, ist anzunehmen. So dürfte z. B. durch die Wirkung des fiscus Iudaicus, der nach 70 n. Chr. für alle Juden im Reich, auch in der Diaspora, eingeführten ›Strafsteuer‹, entscheidend dazu beigetragen haben, dass geklärt werden musste, wer (noch) der Synagoge angehörte und wer nicht mehr (oder noch nie) zu ihr gehörte. Diese Klärung war nicht nur vor römischen Steuerbehörden vorzunehmen, sie führte auch zur ›Selbstklärung‹ der diasporajüdischen Gemeinden und damit unter Umständen zu einer deutlicheren und sichtbaren Trennung von den judenchristlichen oder auch gemischten Gemeinden der Jesusanhänger. Im Rahmen des Johannesevangeliums legt sich zunächst die christologische Deutung nahe: Die Zeichenerzählungen und auch Joh 9 wollen zur Sprache bringen, wer 738
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Jesus ist, und die Wahrnehmung des Wundergeschehens soll zur Erkenntnis der Vollmacht und Identität Jesu führen. Der Geheilte verweist daher wiederholt auf die Heilung als Erkenntnisgrund dafür, dass Jesus von Gott bevollmächtigt ist, und zieht die Konsequenz in christologischen Aussagen (Prophet, ein Frommer, auf den Gott hört), die freilich die ›Höhe‹ der johanneischen Christologie noch nicht gleich erreichen, sowie in seinem schließlich (aufgrund der nochmaligen Begegnung mit Jesus) geäußerten Glauben und der Proskynese, die Jesus als göttliche Gestalt verehrt. Dieses christologische Bekenntnis sollen die Leser(innen) nachvollziehen, indem sie im lesenden Sehen des Zeichens schrittweise dahin geführt werden. Dabei kommt den Diskussionen – ›alternative Erklärung‹ des Wunders durch Nachbarn, Ablehnung durch die Pharisäer und ›die Juden‹ und den dabei genannten Argumenten – erschließende Funktion zu. In Joh 9 steht dabei insgesamt im Hintergrund die Metapher von 8,12: Jesus ist das Licht der Welt und derjenige, der »die Blinden sehend« macht (Ps 146,8), er hat mehr als nur ›messianische‹, nämlich göttliche, schöpferische und eschatologische Vollmacht. Insofern steht die Erzählung als ganze im Rahmen der johanneischen hohen Christologie, die zuvor (Joh 8,58: Präexistenzmotiv) und danach (10,18: Lebens-Vollmacht; 10,30: Einheit mit dem Vater) offen zur Sprache kommt. Die ›niedrigeren‹ Aussagen über Jesus als Prophet oder gar über fromme Beter, auf die Gott hört, bilden nur Etappen der Erkenntnis des Geheilten. Im Übrigen ist Jesus hier (wie dann auch in Joh 11) gerade nicht als Gesundbeter im Stil der alttestamentlichen Erzählungen von Elia und Elischa (vgl. die Parallelen mit 2Kön 5) gezeichnet. Jesus ist natürlich mehr als ›der neue Elischa‹ (so Brodie 1981/82) oder ein eschatologischer Prophet (so Meeks 1967), er gehört auf die Seite Gottes, des Schöpfers. Er ist Lebensträger und Lebensgeber und handelt in Einheit mit dem Vater. So ist dann auch in Joh 11,41 f. das Problem des Gebets explizit thematisiert und im Sinne dessen beantwortet, dass Jesus in der Einheit mit dem Vater gerade kein Gebet mehr aussprechen muss und so von allen Propheten und Wundertätern kategorial unterschieden ist. Neben der christologischen legt sich eine symbolisch-existentielle Deutung nahe. Die Blindheit, die hier geheilt wird, steht zugleich für die Blindheit des Menschen gegenüber Christus und Gott und für die Existenz in Sünde, die die Menschen nach Johannes vor und außer Christus, d. h. von Geburt an, kennzeichnet und die nach dem prononcierten Abschluss der Perikope bei denen ›bleibt‹, die sich dem Glauben an das Licht der Welt verschließen in der Meinung, selbst (besser) zu sehen, mit ihrem religiösen Wissen die Dinge besser beurteilen zu können und deshalb Jesus bzw. die christliche Verkündigung abweisen. Das Sehend-Werden ist ein geläufiges Bild des Zum-Glauben-Kommens, insofern die Augen geöffnet werden für Jesus und seine wahre Identität und Vollmacht und damit zugleich für den Schöpfer und für die Wahrheit über die eigene Existenz vor Gott. Der Geheilte ist zugleich Paradigma und Vorbild des Glaubenden, der die ›Zeichen‹ richtig deutet, die Konsequenzen daraus zieht und diesen Glauben auch offen und unerschrocken bekennt – ungeachtet der möglichen Konsequenzen –, weil er selbst von Jesus ›gesehen‹, ›gefunden‹ und aufgenommen ist. Die soteriologische Dimension ist am Ende in einem Hinweis auf die ›Gerichts‹-Vollmacht Jesu expliziert: Seine Sendung »als das Licht der Welt« (Joh 12,46) bzw. sein Wirken führt zur eschatologischen Scheidung zwischen Sehenden und Blinden, zwischen solchen, die am ewigen Leben teilhaben und solchen, die im Tod bleiben. Dieses Handeln in eschatologischer Vollmacht ist das ›Werk Gottes‹, das Jesus tut und das – über 739
Die Wundererzählungen im Johannesevangelium
das Handeln an dem einen blind Geborenen hinaus – auch in den ›größeren Werken‹ der Jünger nach Ostern (vgl Joh 5,20b; 14,12) fortgesetzt wird, in ihrer Weiterführung des eschatologischen Heilswerks in der vom Geist bevollmächtigten Verkündigung (20,22 f.). Dabei ist die ›positive‹ Seite (Licht, Sehen, Glauben) stets stärker akzentuiert als die ›negative‹, und die Intention der Sendung Jesu wird wiederholt (vgl. 3,17; 12,46) als eine positive, auf Rettung hin angelegte, herausgestellt, wohingegen der Unglaube, das SichVerschließen als das Unbegreifliche bestehen bleibt (vgl. die Erklärung durch Verblendung in Joh 12,40 f.). Die Leserichtung des Johannesevangeliums ist eindeutig diejenige von der Finsternis zum Licht, und die Leser(innen) sollen in der Wahrnehmung der Erzählung selbst vom Licht getroffen und erhellt werden.
Aspekte der Parallelüberlieferung und Wirkungsgeschichte In der Auslegungsgeschichte wurden vielfältige Aspekte mit der Erzählung verbunden. Irenäus (haer. 5,15,2-4) hat Jesu Spucken und die Formung eines Teiges als ›Wiederholung‹ der Schöpfung des Menschen aus Lehm (vgl. Gen 2,7) gedeutet: Jesus bildete dem ohne Augen Geborenen aus Lehm ein Auge, um ihn so als Geschöpf zu vervollständigen und damit das Werk der Schöpfung an ihm abzuschließen. Nach der Wiedergeburt im Bad sei dieser sehend zurückgekommen, »um seinen Bildner zu erkennen und den als Herrn kennenzulernen, der ihm das Leben (wieder)gab« (haer. 5,15,3 Übers. Brox). Mit dieser Deutung wird – gegen gnostische Interpretationen – die Leiblichkeit des Heilswirkens Jesu und zugleich die Einheit von Schöpfer und Erlöser festgehalten. Die Waschung am Teich Siloah konnte leicht mit der christlichen Taufe verbunden werden, so dass in der Aufforderung Jesu an den Blinden, sich dort zu waschen, die Aufforderung zur Taufe gesehen werden konnte (so z. B. Ambr. ep. 67,4-6). Damit ist die soteriologische Leserichtung der Erzählung aufgenommen. Augustinus (Joh. tract. 44,1) hat den blind Geborenen als einen Typus des ganzen Menschengeschlechts interpretiert, das aufgrund der Erbsünde von Geburt an blind ist. Damit ist die symbolische Dimension der Erzählung breit aufgenommen, wenngleich bei Johannes natürlich noch keine Erbsündenlehre im Sinne Augustins vorausgesetzt werden kann. Auch in den Darstellungen der bildenden Kunst sind Blindenheilungen aufgrund der Symbolkraft von Blindheit ein beliebtes Motiv; freilich dominiert dabei eher Mk 10,46-52 par., doch hat der johanneische Text in einigen Fällen die Darstellung spezieller geprägt, so evtl. bei Duccio di Buoninsegna oder El Greco sowie v. a. dann, wenn mehrere Szenen aufeinander folgen, die Bestreichung der Augen und die Waschung am Teich Siloah (so ein im Mittelalter beliebter Typus) oder wenn dann sogar in einer Art Bildergeschichte (so in einer byzantischen Evangelienhandschrift des 11. Jh.: Bibliothèque nationale de Paris, Manuscrit grec Nr. 74) die Verhör-Szenen hinzugefügt werden. Schließlich ist im Rahmen der Wirkung auch dieser Erzählung die antijüdische Tendenz zu bedenken: Nach Joh 9,22.34 erscheinen ›die Juden‹ hier als generell feindliche Gruppe (zuvor in 8,44 noch weiter ›dämonisiert‹), und als der aktive Faktor der Ausstoßung der Jesus-Nachfolger. In einer weiter verallgemeinernden Lektüre des Johannesevangeliums als eines kanonischen Textes durch die vom Judentum völlig abgelöste Kirche konnten ›die Juden‹ als aggressive Quelle der Verfolgung nicht nur Jesu (5,16.18), sondern auch seiner Nachfolger erscheinen. Die fatale antijüdische Wirkungsgeschichte 740
Sehen oder Nicht-Sehen? Joh 9,1-41
des Textes ist in der verallgemeinernden Darstellung des Textes angelegt und durch die Lektüre in einem von der ursprünglichen Kommunikationssituation weit abgerückten Kontext begünstigt (Nicklas 2001, 407-409; Reinhartz 2004).
Jörg Frey Literatur zum Weiterlesen J. Frey, Zu Hintergrund und Funktion des johanneischen Dualismus, in: D. Sänger/U. Mell (Hg.), Paulus und Johannes. Exegetische Studien zur paulinischen und johanneischen Theologie und Literatur, WUNT 198, Tübingen 2006, 3-73. Ders., Das Bild »der Juden« im Johannesevangelium und die Geschichte der johanneischen Gemeinde, in: M. Labahn/K. Scholtissek/A. Strothmann (Hg.), Israel und seine Heilstraditionen im Johannesevangelium, FS J. Beutler, Paderborn 2004, 33-53. M. Hasitschka, Befreiung von Sünde nach dem Johannesevangelium. Eine bibeltheologische Untersuchung, IThSt 27, Innsbruck/Wien 1989, 283-342. W. Jaeger, Die Heilung des Blinden in der Kunst, Konstanz 1960. M. Labahn, Jesus als Lebensspender. Untersuchungen zu einer Geschichte der johanneischen Tradition anhand ihrer Wundergeschichten, BZNW 98, Berlin/New York 1999, 305-377. Ders., »Blinded by the light«. Blindheit, Sehen und Licht in Joh 9. Ein Spiel von Variation und Wiederholung durch Erzählung und Metapher, in: G. van Belle (Hg.), Repetitions and variations in the fourth gospel. Style, text, interpretation, Leuven 2009, 453-509. T. Nicklas, Ablösung und Verstrickung. »Juden« und Jüngergestalten als Charaktere der erzählten Welt des Johannesevangeliums und ihre Wirkung auf den impliziten Leser, RStTh 60, Frankfurt am Main et al. 2001, 307-390. M. Rein, Die Heilung des Blindgeborenen (Joh 9). Tradition und Redaktion, WUNT 2/73, Tübingen 1995. A. Stimpfle, »Von Geburt an blind« (Joh 9,1). Disability und Wirklichkeitskonstruktion, in: W. Grünstäudl/M. Schiefer Ferrari (Hg.), Gestörte Lektüre. Disability als hermeneutische Leitkategorie biblischer Exegese, Behinderung – Theologie – Kirche 4, Stuttgart 2012, 98126. C. Welck, Erzählte Zeichen. Die Wundergeschichten des Johannesevangeliums literarisch untersucht. Mit einem Ausblick auf Joh 21, WUNT 2/69, Tübingen 1994. J. Zumstein, Crise du savoir et conflict des interprétations selon Jean 9: Un exemple du travail de l’école johannique, in: D. H. Warren/A. G. Brock/D. W. Pao (Hg.), Early Christian Voices, FS F. Bovon, BIS 66, Boston/Leiden 2003, 167-178.
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Vorbild im Sterben und Leben (Die Auferweckung des Lazarus) Joh 11,1-12,11 (1) Es war aber einer krank, Lazarus, von Betaniën, aus dem Dorf der Maria und ihrer Schwester Marta. (2) Maria aber war es, die den Herrn mit Salböl salbte und seine Füße mit ihren Haaren trocknete; deren Bruder Lazarus war krank. (3) Da sandten die Schwestern zu ihm und ließen ihm sagen: »Herr, siehe, der, den du lieb hast, ist krank!« (4) Als aber Jesus es hörte, sprach er: »Diese Krankheit ist nicht zum Tode, sondern um der Herrlichkeit Gottes willen, damit der Sohn Gottes durch sie verherrlicht werde.« (5) Jesus aber liebte die Marta und ihre Schwester und den Lazarus. (6) Nachdem er nun gehört hatte, dass er krank sei, blieb er noch zwei Tage an dem Ort, wo er war. (7) Danach erst sagt er zu den Jüngern: »Lasst uns wieder nach Judäa gehen.« (8) Die Jünger sagen zu ihm: »Rabbi, eben suchten die Juden dich zu steinigen, und wieder gehst du dahin?« (9) Jesus antwortete: »Hat der Tag nicht zwölf Stunden? Wenn jemand am Tag umhergeht, stößt er nicht an, weil er das Licht dieser Welt sieht; (10) wenn aber jemand in der Nacht umhergeht, stößt er an, weil das Licht nicht in ihm ist.« (11) Nachdem er dies gesagt hatte, spricht er zu ihnen: »Lazarus, unser Freund, ist eingeschlafen; aber ich gehe hin, damit ich ihn aufwecke.« (12) Da sagten die Jünger zu ihm: »Herr, wenn er eingeschlafen ist, so wird er gesund werden.« (13) Jesus aber hatte von seinem Tod gesprochen, sie aber meinten, er rede von der Ruhe des Schlafes. (14) Dann nun sagte ihnen Jesus geradeheraus: »Lazarus ist gestorben; (15) und ich bin froh um euretwillen, dass ich nicht dort war, damit ihr glaubt; aber lasst uns zu ihm gehen.« (16) Da sprach Thomas, der auch Zwilling genannt wird, zu den Mitjüngern: »Lasst auch uns gehen, dass wir mit ihm sterben.« (17) Als nun Jesus kam, fand er ihn schon vier Tage im Grab liegen. (18) Betaniën aber war nahe bei Jerusalem, etwa fünfzehn Stadien weit; (19) und viele von den Juden waren zu Marta und Maria gekommen, um sie wegen ihres Bruders zu trösten. (20) Als Marta nun hörte, dass Jesus kommt, ging sie ihm entgegen. Maria aber saß im Haus. (21) Da sprach Marta zu Jesus: »Herr, wenn du hier gewesen wärst, wäre mein Bruder nicht gestorben; (22) doch auch jetzt weiß ich, dass Gott dir geben wird, was du von Gott erbittest.« (23) Jesus sagt zu ihr: »Dein Bruder wird auferstehen.« (24) Marta sagt zu ihm: »Ich weiß, dass er auferstehen wird bei der Auferstehung am letzten Tag.« (25) Jesus sagte zu ihr: »Ich bin die Auferstehung und das Leben; wer an mich glaubt, wird leben, auch wenn er gestorben ist; (26) und jeder, der da lebt und an mich glaubt, wird gewiss nicht sterben in Ewigkeit. Glaubst du das?« (27) Sie sagt zu ihm: »Ja, Herr, ich habe geglaubt, dass du der Christus bist, der Sohn Gottes, der in die Welt Kommende.« (28) Und als sie dies gesagt hatte, ging sie hin und rief heimlich ihre Schwester Maria und sagte: »Der Lehrer ist da und ruft dich.« (29) Als jene es hörte, 742
Vorbild im Sterben und Leben Joh 11,1-12,11
stand sie schnell auf und ging zu ihm. (30) Jesus aber war noch nicht in das Dorf gekommen, sondern war an dem Ort, wo Marta ihm begegnet war. (31) Als nun die Juden, die bei ihr im Haus waren und sie trösteten, sahen, dass Maria schnell aufstand und hinausging, folgten sie ihr, da sie meinten, sie gehe zum Grab, um dort zu weinen. (32) Als nun Maria dahin kam, wo Jesus war, und ihn sah, fiel sie ihm zu Füßen und sprach zu ihm: »Herr, wenn du hier gewesen wärst, wäre mein Bruder nicht gestorben.« (33) Als nun Jesus sie weinen sah und die Juden weinen, die mit ihr gekommen waren, wurde er zornig im Geist und wurde erregt (34) und sagte: »Wo habt ihr ihn hingelegt?« Sie sagen zu ihm: »Herr, komm und sieh!« (35) Jesus weinte. (36) Da sagten die Juden: »Siehe, wie lieb er ihn hatte!« (37) Einige aber von ihnen sagten: »Konnte dieser, der die Augen des Blinden öffnete, nicht machen, dass auch dieser nicht gestorben wäre?« (38) Jesus nun, wieder zornig in seinem Innern, kommt zum Grab. Es war aber eine Höhle, und ein Stein lag darauf. (39) Jesus sagt: »Nehmt den Stein weg!« Die Schwester des Verstorbenen, Marta, spricht zu ihm: »Herr, er stinkt schon, denn er ist vier Tage hier.« (40) Jesus sagt zu ihr: »Habe ich dir nicht gesagt, wenn du glaubtest, würdest du die Herrlichkeit Gottes sehen?« (41) Sie nahmen nun den Stein weg. Jesus aber hob die Augen empor und sagte: »Vater, ich danke dir, dass du mich erhört hast. (42) Aber ich wusste auch, dass du mich allezeit erhörst; doch wegen der Leute, die umherstehen, habe ich es gesagt, damit sie glauben, dass du mich gesandt hast.« (43) Und als er dies gesagt hatte, rief er mit lauter Stimme: »Lazarus, komm heraus!« (44) Und der Verstorbene kam heraus, an Füßen und Händen mit Grabtüchern umwickelt, und sein Gesicht war mit einem Schweißtuch umbunden. Jesus sagt zu ihnen: »Macht ihn frei und lasst ihn gehen!« (45) Viele nun von den Juden, die zu Maria gekommen waren und sahen, was er getan hatte, glaubten an ihn. (46) Einige aber von ihnen gingen hin zu den Pharisäern und sagten ihnen, was Jesus getan hatte. (47) Da versammelten die Hohepriester und die Pharisäer den Hohen Rat und sprachen: »Was sollen wir tun? Denn dieser Mensch tut viele Zeichen. (48) Wenn wir ihn so lassen, werden alle an ihn glauben, und die Römer werden kommen und unsere Stadt wie auch unsere Nation wegnehmen.« (49) Einer aber von ihnen, Kajaphas, der jenes Jahr Hohepriester war, sagt zu ihnen: »Ihr wisst ja gar nichts (50) und bedenkt auch nicht: Es ist für euch nützlicher, dass ein Mensch für das Volk sterbe, als dass die ganze Nation umkomme.« (51) Dies aber sagte er nicht aus sich selbst, sondern da er in jenem Jahr Hohepriester war, weissagte er, dass Jesus für die Nation sterben sollte; (52) und nicht für die Nation allein, sondern dass er auch die zerstreuten Kinder Gottes in eins versammelte. (53) Von jenem Tag an berieten sie sich nun, ihn zu töten. (54) Jesus ging nun nicht mehr öffentlich unter den Juden umher, sondern ging von dort weg in die Gegend nahe bei der Wüste, in eine Stadt mit Namen Ephraim; und dort verweilte er mit den Jüngern. (55) Es war aber nahe das Paschafest der Juden, und viele gingen aus dem Land hinauf nach Jerusalem vor dem Paschafest, um sich zu reinigen. (56) Sie suchten nun Jesus und sprachen, als sie im Tempel standen, untereinander: »Was meint ihr? 743
Die Wundererzählungen im Johannesevangelium
Wird er nicht zu dem Fest kommen?« (57) Es hatten aber die Hohepriester und die Pharisäer Befehl gegeben, wenn jemand wisse, wo er sei, dass er es anzeigen solle, damit sie ihn griffen. (12,1) Jesus nun kam sechs Tage vor dem Pascha nach Betaniën, wo Lazarus war, den Jesus aus den Toten auferweckt hatte. (2) Sie machten ihm nun dort ein Abendessen, und Marta diente; Lazarus aber war einer von denen, die mit ihm zu Tisch lagen. (3) Da nahm Maria ein Pfund Salböl von echter, sehr kostbarer Narde und salbte die Füße Jesu und trocknete seine Füße mit ihren Haaren. Das Haus aber wurde von dem Duft des Salböls erfüllt. (4) Es sagt aber Judas, der Iskariot, einer von seinen Jüngern, der ihn verraten sollte: (5) »Warum ist dieses Salböl nicht für dreihundert Denare verkauft und den Armen gegeben worden?« (6) Er sagte dies aber nicht, weil er für die Armen besorgt war, sondern weil er ein Dieb war und die Kasse hatte und beiseiteschaffte, was eingelegt wurde. (7) Da sagte Jesus: »Lass sie! Möge sie es aufbewahrt haben für den Tag meines Begräbnisses! (8) Denn die Armen habt ihr allezeit bei euch, mich aber habt ihr nicht allezeit.« (9) Die große Volksmenge aus den Juden erfuhr nun, dass er dort sei; und sie kamen nicht um Jesu willen allein, sondern damit sie auch den Lazarus sähen, den er aus den Toten auferweckt hatte. (10) Die Hohepriester aber berieten sich, auch den Lazarus zu töten, (11) weil viele von den Juden um seinetwillen hingingen und an Jesus glaubten.
Sprachlich-narratologische Analyse Die Erzählung von der Auferweckung des Lazarus ist ein Höhepunkt der Wundergeschichten im Johannesevangelium und kann mit Recht als das »größte« und »spektakulärste« der sieben bzw. acht Zeichen (vgl. Joh 11,47) betrachtet werden (s. Poplutz, Hinführung Johannes). Es spielt auch keine Rolle, ob man die Erzählung wie die meisten Ausleger(innen) als Höhepunkt des ersten Teils (Lee 1994, 188: »climax to the first half of the Gospel«; Schnelle 2004, 11) oder als Einleitung der zweiten Hälfte des Evangeliums (Wengst 2001, 11; Keener 2003, 835; Thyen 2005, 509) sieht, sie steht so oder so im Zentrum und an einer entscheidenden Weichenstellung des vierten Evangeliums. Jesus ist zum letzten Mal auf dem Weg nach Jerusalem (Joh 11,7), wo am Kreuz seine »Stunde« kommt (Joh 12,23; 17,1; 19,27) und sich sein Leben und Auftrag vollenden werden (Joh 19,30). Das Ende ist ›nahe‹, aber noch nicht da, wie es der Evangelist auch innerhalb seiner Raum- und Zeitkonzeption mit dem zweimaligen ¥ggÐ@ (engys – nahe; Joh 11,18: nahe bei Jerusalem; 11,55: nahe am Paschafest) zum Ausdruck bringt. Während man lange Zeit unterschiedliche Teilungs- und Quellenhypothesen vertreten hatte (vgl. dazu Kremer 1985, 82-109; Wagner 1988, 29-94, Byrne 1991, 69-83), wird heute die Zusammengehörigkeit des gesamten Abschnitts als Erzähleinheit kaum noch bezweifelt (Ausnahmen sind Burkett 1994, 209-232 sowie Theobald 2009, 715f., der ein dreistufiges Entstehungsmodell postuliert). Der vorliegende Text wurde durch narratologische Analysen als ein bis in Einzelheiten hinein ausgestalteter Text erwiesen (s. z. B. Wuellner 1991b), für Stibbe ist es einer der literarischen Höhepunkte des ganzen 744
Vorbild im Sterben und Leben Joh 11,1-12,11
Neuen Testaments: »It is a tale artfully structured, with colourful characters, timeless appeal, a sense of progression and suspense, subtle use of focus and no little sense of drama« (Stibbe 1994, 38). Dies schließt nicht aus, dass die Perikope durchaus ihre eigenwilligen und sperrigen Dimensionen besitzt, die die Rezipienten vor gewisse Mühen stellen. So ist es den Auslegern kaum möglich, sich auf einen genauen Umfang der Erzählung zu einigen. Relativ klar ist zwar zunächst der Beginn des Erzählabschnitts, denn in Joh 11,1 werden mit neuen Figuren und der Ortsangabe klare Signale gesetzt. Schwieriger ist es, das Ende der Perikope festzulegen. Obgleich die Wundererzählung mit der Präsentation des Auferweckten in Joh 11,44 zu einem gewissen Abschluss kommt, fehlt doch das innerhalb der Gattungsdiskussion als konstitutiv erwiesene Element der Reaktion der Zeugen des Wunders (Theißen 1998, 78-83), die erst mit Joh 11,45 einsetzt. Der nachfolgende Abschnitt mit dem Todesbeschluss gegen Jesus bleibt eng auf das Vorgenannte bezogen, weshalb viele Ausleger eine Einheit von Joh 11,1-53/54 oder 11,1-57 annehmen (z. B. Schenke 1998, 207-231). Frey hat ferner auf die dreigliedrige Inclusio zwischen Joh 10,40-42 und Joh 11,45-54 hingewiesen (Frey 2000a, 408-410). Anerkennt man aber eine Ausweitung über V. 44 hinaus, muss man auch die Parallele zwischen Joh 11,45 und Joh 12,11 bemerken, da hier in nahezu wörtlicher Wiederholung vom Glauben der Juden gesprochen wird (pollo½ … tn 3Ioudafflwn ¥pfflsteuon e§@ tn 3Ihso‰n/⁄utn polloi … to¯n Ioudaio¯n episteuon eis ton Ie¯soun/auton), was auf die enge Verknüpfung des gesamten Abschnitts Joh 11,1-12,11 hinweist: So wird in 12,1f. nicht nur die Personenkonstellation (Lazarus, Maria, Marta) aus Joh 11 aufgenommen; Maria wird in Joh 11,2 als diejenige eingeführt, die Jesus die Füße gesalbt hat, was aber erst mit der Salbungserzählung in Joh 12,1-11 für den Leser verständlich wird. Anerkennt man etwa mit Stibbe, dass die ganze Erzählung eine Aufeinander-zu-Bewegung der beiden zunächst weit getrennten Protagonisten ist (Stibbe 1994, 42f.), dann kommt diese Zusammenführung erst in der Tisch- und Mahlgemeinschaft wirklich ans Ziel. Die Abschnitte Joh 11,45-57 und 12,1-11 zeigen ferner mit Drohkulisse und Todesbeschluss sowie Mahlgemeinschaft und dem Glauben vieler (polloffl polloi, Joh 12,9.11) zwei absolut konträre Reaktionen auf die Erweckung des Lazarus. Das gewichtigste Argument dürfte aber in der Zuspitzung auf das Geschick Jesu liegen, das in Joh 11,1-44 zwar schon angelegt, aber erst mit Joh 11,45-12,11 klar erkennbar wird (s. u.). Zudem wird in Joh 12,12 mit der erneuten Orts- (Jerusalem) und Zeitangabe (am nächsten Tag) eine klare Zäsur gesetzt. Auf diese Weise lässt sich eine Erzähleinheit von Joh 11,1-12,11 mit sieben Unterabschnitten beschreiben (s. mit kleineren Modifikationen auch Lee 1994, 191-197; Keener 2003, 835866; Thyen 2005, 510-553): Exposition: V. 1-5: Nennung der handelnden Personen und der Thematik Jüngerdialog: V. 6-16: Gespräch über Krankheit und Tod Begegnung mit Marta: V. 17-27: Auferweckung am letzten Tag, Bekenntnis Begegnung mit Maria: V. 28-37: Trauer der Maria Begegnung mit Lazarus: V. 38-44: Gebet und Auferweckungshandlung Reaktion der feindlichen Juden: V. 45-57: Todesbeschluss Reaktion der gläubigen Juden: 12,1-11: Mahlgemeinschaft; Salbung Das Johannesevangelium zeichnet sich insgesamt durch die Ausgestaltung einzelner Figuren und Figurengruppen aus (vgl. Bennema 2009; Hunt/Tolmie/Zimmermann 2013). 745
Die Wundererzählungen im Johannesevangelium
Auch in Joh 11,1-12,11 wird die Handlung durch Dialog und Interaktion der Hauptfiguren vorangetrieben. Allerdings bleiben sie eingebettet in eine durchaus komplexe Figurengruppe aus handelnden Nebenfiguren (die Jünger; Thomas; die Juden; Hohepriester und Pharisäer; Kajaphas; Judas Iskariot) und weiteren genannten Figuren, die scheinbar reine Statistenaufgaben übernehmen, wie z. B. der Bote, der die Krankheit übermittelt (V. 3), einer (tffl@ tis) als Handelnder in der kleinen Parabel (V. 9f.), aber auch kollektive Größen wie die Römer (V. 48), das Volk (˛qnh ethne¯) (V. 50-52), die verstreuten Kinder Gottes (V. 52) oder Arme (Joh 12,5). Wenden wir uns zunächst den Hauptfiguren zu, die gleich in Joh 11,1 genannt werden und deren Begegnungsszenen im Zentrum der Handlung (Szenen 3-5) stehen: Zunächst kommt Marta, die Schwester des Verstorbenen, Jesus entgegen und empfängt ihn mit den Worten: »Herr, wenn du hier gewesen wärst, wäre mein Bruder nicht gestorben« (11,21). Man ist sich zunächst nicht sicher, ob mit dieser Äußerung ein Vorwurf, eine Resignation oder eine Vertrauensbekundung ausgedrückt werden soll. Doch der Nachsatz bringt unmissverständlich Vertrauen und Hoffnung zum Ausdruck. Selbst jetzt nach dem eingetretenen Tod glaubt Marta, dass Jesus alles empfangen wird, worum er den Vater bittet. Der Leser erkennt hierbei eine Vorwegnahme dessen, was später erzählt wird. Jesus bittet seinen Vater am offenen Grab um die Kraft der Auferstehung (Joh 11,41f.). Marta hingegen, die auf Erzählebene noch nicht den Ausgang der Geschichte kennt, ist eher überrascht, als ihr Jesus sofort die Auferstehung ihres Bruders zusagt: »Dein Bruder wird auferstehen!« Sie missversteht diese Äußerung als Hinweis auf die eschatologische Auferstehung am letzten Tag. Wiederum erweist sie sich aber in ihrer Antwort als treue Bekennerin: Sie »weiß« (o da oida) um die Auferstehung als eschatologisches Ereignis. Jesus antwortet ihr mit dem Ich-bin-Wort und korrigiert damit die Verlagerung der Auferstehung in die Zukunft. Auf das Jetzt kommt es an – im Auferstehen wie im Glauben. So ist die Frage »Glaubst du das?« auch ganz unmittelbar auf die Gegenwart gerichtet. Marta bestätigt, ja, sie hat (schon immer) geglaubt, dass Jesus »der Christus, der Sohn Gottes, der in die Welt Kommende« ist. Mit diesem Satz greift Maria geprägte christologische Titel auf, wie sie besonders auch in der johanneischen Theologie eine Rolle spielen (s. Joh 20,30f.). Insgesamt bekennt Marta somit dreimal ihren Glauben: 1. Jesus wird alles von Gott empfangen, worum er bittet; 2. Die Toten werden auferstehen am letzten Tag; 3. Jesus ist der Christus, der Sohn Gottes, der in die Welt Kommende. Marta wurde deshalb als die große Bekennerin in der Auslegungstradition zu Joh 11 gerühmt (z. B. Schnackenburg 1971, 416; Schneiders 1987, 53; Conway 1999, 141143). Marta glaubt, spricht über ihren Glauben, kennt die adäquaten Begriffe und Konzepte der Glaubenstradition. Gleichwohl bleibt verwunderlich, warum dieses Bekenntnis, dieser Höhepunkt schon so früh in der Erzählung erscheint. Soll sie einen Glauben repräsentieren, der noch vor dem Sehen, sogar im Angesicht des Todes schon gilt (vgl. Joh 20,29)? Aber warum bedarf es dann des ganzen Rests überhaupt noch? Muss die Erzählung nach diesem nicht mehr zu überbietenden Bekenntnisakt nicht abflachen, belanglos auslaufen? Kein Wunder, dass frühere Ausleger dann auch literarkritisch weite Teile als überflüssig und hinderlich herausschneiden wollten. So richtig viele Beobachtungen zum Glauben Martas sein mögen, lassen einige Details und der weitere Verlauf der Erzählung Zweifel an der uneingeschränkt positiven Darstellung der Marta als Glaubensvorbild aufkommen (so schon Chrys. hom. 62,3; neuerdings Moloney 2003, 513-515). So fällt die Inkompatibilität der Glaubensfrage Jesu 746
Vorbild im Sterben und Leben Joh 11,1-12,11
mit der Antwort Martas auf. Sie besteht schon hinsichtlich der Zeit (Präsens – Perfekt) und auch hinsichtlich des Inhalts. Die Antwort geht nicht wirklich auf die Frage ein (Brown 1966, 434 f.). Die Antwort wird aber damit in die Reihe der anderen Bekenntnisse gestellt, die jeweils mit o da (oida) »ich weiß (bereits)« (Joh 11,22.24) eingeleitet, aber von Jesus kritisiert wurden. Schließlich bestätigt Martas Verhalten im folgenden Handlungsverlauf, dass sie trotz der hohen Worte noch nicht alles begriffen hat: Nach V. 28 spricht sie Jesus wieder als did€skalo@ (didaskalos Lehrer = Rabbi, vgl. 11,8) an und interveniert bei Jesu Auferweckungshandeln, was eine durchaus kritische Reaktion Jesu auslöst (Joh 11,40: »Habe ich dir nicht gesagt …«). Warum will sie nicht, dass der Stein entfernt wird? Warum stellt sie sich Jesus in den Weg, der selbst zum Toten vordringen will? Die Begegnung Marias mit Jesus wird in ganz anderen Farben geschildert (11,2837). Wir vermissen hier eine diskursive Erörterung der Grundfragen um Tod und Auferstehung. Wir erfahren nicht, warum Maria zunächst im Haus bleibt. Ein Desinteresse ist auszuschließen, was nicht zuletzt ihre Handlung in 11,29.31 anzeigt: Gleich zweimal wird berichtet, dass Maria »schnell aufsteht« (tacffw@ ⁄nffsth tacheo¯s aneste¯), um Jesus entgegenzugehen. Doch sie reagiert erst auf den Ruf Jesu, den ihr die Schwester übermittelt. Bei der Begegnung mit Jesus lesen wir statt von einem Vertrauensbekenntnis von einer Vertrauenshandlung: Sie fällt Jesus zu Füßen, was nicht nur ein Vorverweis auf die Salbung, von der einleitend die Rede war (11,2; 12,2f.), sondern traditionell auch eine Geste der Anbetung ist, die nach jüdischem Verständnis sonst nur Gott zukommen darf. Maria weint, sie wird auch in ihrer emotionalen Betroffenheit im Angesicht des Todes gezeigt. Doch der Zuspruch der Juden, die zu ihr gekommen waren, kann sie offenbar nicht trösten. Sie werden in Distanz zu ihr geschildert, kommen mit Abstand nach, missverstehen ihre Handlungen. Jesus reagiert auch hier adäquat. Hatte er der bekennenden Marta mit theologischen Worten geantwortet, so liegt seine jetzige Reaktion auf der Gefühls- und Handlungsebene. Doch auch die damit zum Ausdruck gebrachte Wertung ist entsprechend. Jesus geht auf die jeweilige Form des Umgangs mit dem Tod sensibel ein, aber zugleich kritisiert er die Schwestern. Entsprechend reagiert Jesus auf Marias Gefühlswelt »zornig« (11,33.38). Nur so kann man die eigentliche Bedeutung des Verbs ¥mbrim€omai (embrimaomai) verstehen: Eine semantische Umdeutung, als sei Jesus nur »ergriffen«, scheidet aufgrund der sonstigen Verwendung des Verbs aus (Mk 1,34; 14,5; Mt 9,30). Es bleibt dem Leser überlassen, worauf er den Zorn Jesu genau beziehen möchte. Ist es die Form der Anbetung Marias, die sie mit ihrem Niederfall zum Ausdruck bringt und die an dieser Stelle ebenso deplatziert erscheint wie die Wortbekenntnisse der Marta? Oder ist es die emotionale Reaktion überhaupt (so Joh 11,33)? Wenn Jesus dann anschließend selbst vor dem Grab weint, wird Emotionalität nicht grundsätzlich verneint, aber das im Neuen Testament singuläre Verb (d€kruw dakryo¯ statt klafflw klaio¯) bringt zum Ausdruck, dass offenbar zwischen emotionaler Betroffenheit und lähmender Betroffenheit unterschieden werden muss. Tränen dürfen und müssen sein (das Substantiv d€kruon dakryon – Träne erinnert an die salbende Sünderin aus Lk 7,38.44), nicht aber zielloses Klagen und Jammern. Die Schwestern Marta und Maria werden als Kontrastfiguren inszeniert. Beide werden als »Geliebte« Jesu (V. 5) eingeführt. Sie sind gleichermaßen Schwestern des Verstorbenen. Sie kommen jeweils Jesus entgegen und treffen ihn vor den Toren Betaniëns. Sie begrüßen Jesus mit dem bis in den Wortlaut hinein gleichen Satz (11,21.32). Vor dem 747
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Hintergrund dieser parallelen Rahmenbedingungen wird jedoch der Kontrast beider Schwestern hervorgehoben. Marta agiert sofort – Maria bleibt zunächst im Haus. Marta ist eine einzelne Bekennerin – Maria wird umgeben von anderen Menschen. Marta tritt in einen theologischen Dialog mit Jesus ein – Maria begegnet Jesus mit Gesten. Marta klammert sich an Begriffe – Maria an Gefühle. Schließlich wird der Kontrast beider Frauen durch den Geruchssinn auf die Spitze getrieben. Marta fürchtet im Angesicht des Todes den Verwesungsgestank: »Herr, er stinkt schon, denn es sind vier Tage (dass er tot ist)« (Joh 11,39). Maria hingegen salbt Jesus die Füße, so dass »das Haus von dem Geruch des Salböls erfüllt wurde« (Joh 12,3), was viele Ausleger an den Duft der Narde aus der Königstravestie der Geliebten im Hohelied der Liebe denken lässt (Hhld 1,12; vgl. McWhirter 2006, 82-88; Thyen 2005, 550). Auch dieser Geruch wird in Beziehung zum Tod gesetzt, wie Jesu Antwort an Judas explizit deutlich macht: »Lass sie! Möge sie es aufbewahrt haben für den Tag meines Begräbnisses« (Joh 12,7)! Der Geruchssinn des Lesers wird auf zwei Extreme angesichts des Todes ausgerichtet: Für Marta hat der Tod seine Grausamkeit, seine Endlichkeit, seinen Gestank noch behalten. Maria hingegen handelt nach Joh 12,2f. richtig, wenn sie Jesus für sein Begräbnis vorbereitet und mit dem »Duft des Lebens (…) den Geruch des Todes (Joh 11,39) bannt« (Theobald 2009, 776; zur Duftmetaphorik Kügler 2000, 123-171). Aber ist sie deshalb schon ein Glaubensvorbild? Hat sie wirklich begriffen, dass es ohne den Tod Jesu keine Verherrlichung geben kann (so Moloney 2003, 525)? Wie kann sie schon jetzt vor Jesus niederfallen, wo er noch nicht durch den Tod gegangen ist? Ähnlich wie bei Marta wird die Haltung von Maria nicht grundsätzlich, wohl aber feinsinnig kritisiert. Doch wenn nicht nur Marta, sondern auch Maria in ihrem Glauben unvollkommen bleibt, entsteht beim Leser eine gewisse Ratlosigkeit. »Can Everyone be Wrong?« (Moloney 2003). Es ist bezeichnend, dass eine der Hauptfiguren in der Erzählung in den Kommentaren fast völlig ausgespart wird: Lazarus selbst. Schon der Name könnte Programm sein, denn Lazarus entspricht hebr. Elazar/Eleazar, d. h. »Gott hilft«. Lazarus wird in Joh 11,1 zusammen mit den anderen Erzählfiguren eingeführt, allerdings lassen die eröffnenden Verse 1f. wie auch 1-5 durch die explizite Rahmenstellung des Namens keinen Zweifel, dass Lazarus die Hauptperson ist. Der Leser erfährt mancherlei über Lazarus, das widersprüchlich erscheint: Jesus liebt ihn (11,3), er wird »Freund« (11,11: L€zaro@ ¡ fffllo@ Lazaros ho philos) genannt. Doch er beeilt sich nicht, ihm in der Not zu helfen. Lazarus ist schwach und krank, seine Krankheit soll aber »nicht zum Tod« (11,4) führen. Gleichwohl wird von seinem Tod berichtet (11,13f.). Die Beziehung zwischen Jesus und Lazarus wird folglich von einer eigenartigen Spannung gekennzeichnet. Zu einer direkten Begegnung kommt es dann aber erst in 11,38-44. Jesus kommt an das Grab des Lazarus. Er befiehlt, dass der Stein (lfflqo@ lithos) weggenommen werde, der Stein, der das Grab verschließt, der die Endgültigkeit des Todes markiert; möglicherweise ist dies auch eine Reminiszenz an das Verb »steinigen« (liq€zw lithazo¯)«, mit dem die Todesgefahr von Jesus selbst angesprochen wurde (11,8). Dann erfolgt der Ruf Jesu mit lauter Stimme (11,43). Das Rufen und besonders auch die Stimme Jesu können insgesamt als Schlüsselmotive des Evangeliums verstanden werden. Jesus ruft Menschen in die Nachfolge, wie es im Bildfeld des Hirten die Parabel von Joh 10,1-5 eindrucksvoll zum Ausdruck bringt (vgl. Kowalski 2007, 768-780). Die Szene vor dem Grab des Lazarus nimmt aber darüber hinaus explizit auf ein Wort Jesu in Joh 5 Bezug: »Amen, Amen, ich sage euch, es kommt die Stunde und 748
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ist jetzt, da die Toten die Stimme des Sohnes Gottes hören werden; und die Hörenden werden leben« (5,25, vgl. 5,28). Die Stunde dieses Auferweckungsrufs ist jetzt da. Auferstehung ereignet sich in der Gegenwart Jesu im Hier und Jetzt. Die präsentische Rede von der Auferstehung (11,25) muss dann folgerichtig in gegenwärtigem Handeln sichtbar werden. Entsprechend ruft Jesus Lazarus heraus, und dieser hört die Stimme und lebt! Wie zentral dieser Ruf Jesu eingeschätzt wird, wird auch in einer letzten Replik auf Joh 11 in Joh 12,17 erkennbar: Die Kurzzusammenfassung der Lazarus-Erzählung wird gerade mit dem Parallelismus »rufen« (¥fðnhsen epho¯ne¯sen – er rief) und »erwecken« (ˇgeiren e¯geiren – er erweckte) zum Ausdruck gebracht (Joh 12,17). Lazarus ist schließlich derjenige, der mit Leben beschenkt wird. Hier werden keine relativierenden oder abwertenden Rückfragen Jesu gestellt. Lazarus empfängt ›einfach‹ das Leben durch Jesus und so wird er zum Prototyp des im johanneischen Sinn richtig an die Auferstehung, an Jesus als Lebensspender also, Glaubenden. Die Nebenfiguren werden um diese zentralen Begegnungen herum angesiedelt: Mal sind sie begleitende und verstärkende Gruppe (weinen, wie Maria weint, V. 39), mal intervenieren sie oder verleihen Seitengedanken eine Stimme. Die Jünger Jesu treten besonders im ersten Erzählabschnitt (11,6-16) und wiederum am Schluss der Erzählung (12,111) in Erscheinung. Dabei wird jeweils ein Jünger namentlich aus der Gruppe der Jünger abgehoben (Thomas 11,16; Judas 12,4-6), so dass auch in diesem Detail eine Inclusio erzeugt wird. Der Tod Jesu wird reflektiert, indem Thomas »mitsterben« möchte, während Judas das Salben für den Tag des Begräbnisses gerade verhindern will. Die Erzählung zeichnet sich nicht durch einen stringenten Erzählverlauf bzw. eine lineare Spannungssteigerung aus. Vielmehr werden immer wieder retardierende Elemente, Rätselelemente und Missverständnisse eingeschoben, die zu einer »gebrochenen Erzählweise« (Frey 2000a, 407) führen. So verweilt Jesus – für die Jünger wie Leser unverständlich – trotz der dringlichen Bitte der Schwestern erst noch am Ort, bevor er sich aufmacht (11,6). Jesus kommt dann bei seiner Ankunft in Betaniën nicht gleich ans Grab, sondern wird durch die Begegnungen mit den Schwestern vor dem Dorf ›aufgehalten‹ (11,17-37). Immer wieder werden Leserkommentare (11,2.5.13.30) oder ›theologische Exkurse‹ (11,9f.12-16.19.31.35-37.40.41b.42) eingestreut, die den eigentlichen Erzählfortschritt nicht gerade voranbringen. Selbst die Szene am Grab wird durch die Intervention der Marta und durch das Gebet Jesu noch einmal ins schier Unerträgliche ausgedehnt. Wann ist es denn endlich so weit, will man als Leser zurückfragen, wann kommt Jesus denn zum Eigentlichen? Aber was ist das ›Eigentliche‹ dieser Erzählung? In narratologischer Hinsicht kann man in der Verzögerungstaktik eine bewusste Erzählstrategie erkennen, bei der Erzählzeit und erzählte Zeit (vgl. dazu Genette 1998, 21-114; Finnern 2010, 93-99) in ein spezifisches Verhältnis gebracht werden. Während der sensationslustige und ergebnisorientierte Leser nur auf das Ziel, auf das Nachher (z. B. nach dem Tod) ausgerichtet ist, zwingt die retardierende Erzählweise immer mehr dazu, im Augenblick zu verharren. Es ist dabei Jesus selbst, der auf der Ebene der Handlung den Rhythmus bestimmt, indem er den Zeitablauf bremst und letztlich mit seiner Person zum Stillstand bringt: Er bleibt (V. 6), er spricht (vgl. V. 7.23.39.40: lffgei legei Präsens!, dazu Frey 1998, 81-85), und seine wörtliche Rede hebt die Gegenwärtigkeit des ¥gð e§mi (ego¯ eimi, V. 25) besonders hervor. Die Verzögerungstaktik verfolgt eine bewusste Erzählstrategie, die dem Leser und der Leserin vor Augen führt, dass ein Verstehen des Wunders keineswegs leicht zu errei749
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chen ist (vgl. Zimmermann 2008). Im Gegenteil. Schon die eigentliche Wunderhandlung wird drastisch gesteigert: Der Tote ist nicht (wie bei der Tochter des Jaïrus) gerade eben gestorben. Jesus ist es auch nicht möglich, ihn zu berühren (wie beim Jüngling von Naïn oder dem Blindgeborenen). Die Distanzierung in Zeit (11,6.39) und Ort (11,6f.38) wird ausdrücklich benannt. War Jesus zwar im Gang der Erzählung schon als Heiler von Krankheiten sogar unter erschwerten Bedingungen benannt worden, so werden nun Zweifel an seiner Wundermacht laut. Einige anwesende Juden fragen: »Konnte dieser, der die Augen des Blinden öffnete, nicht machen, dass auch dieser nicht gestorben wäre?« (11,37). Ferner werden kleinste Details zu Trauer und Bestattung berichtet (Stein, Grabtücher etc.), die die historische Referenzialität des Erzählten unterstreichen. Schließlich wird der Tod »im Klartext« (Joh 11,14: parrhsffla parre¯sia) von Jesus proklamiert: »Lazarus ist gestorben!«, um gerade einer Möglichkeit des Scheintods (11,11-13) jegliche Grundlage zu entziehen. Damit wird der Boden bereitet, auf dem das Unglaubliche erst seine Wirkung entfalten kann. Das Erzählte muss und will Irritationen auslösen. Das Staunen und Wundern wird durch viele weitere Elemente wie z. B. Leerstellen und Rätselworte im Laufe der Erzählung verstärkt: So verwundert schon die Bemerkung über Maria, dass sie den Herrn salbte (V. 2), denn davon war bisher nicht die Rede. Seltsam verschleiert ist dann auch die Aussage Jesu, dass diese Krankheit »nicht zum Tode«, sondern »zur Verherrlichung Gottes« führe (V. 4), oder gar die Freudensbekundung Jesu über den Tod seines geliebten Freundes (V. 15). Eine eigenartige Spannung entsteht auch zwischen der ängstlichen Warnung der Jünger vor der tödlichen Gefahr (V. 8) und der mutigen Äußerung des Thomas, »mitsterben« zu wollen (V. 16), ohne dass dazwischen eine erkennbare Auseinandersetzung sichtbar geworden wäre. Die kleine rätselhafte Parabel V. 10f. vom Wandel bei Tag und Nacht scheint deplatziert. Und selbst das bekannte Ichbin-Wort (V. 25f.) gibt bei genauer Betrachtung Rätsel auf: Die Zusage des Nicht-Sterbens gerät hierbei in einen formallogischen Widerspruch zu der Konzession des ersten Satzes »wenn er stirbt« (k˝n ⁄poq€n–h kan apothane¯). Kann der Glaubende jetzt doch noch sterben oder eben nicht mehr? Sodann wundert sich ein Leser, warum Marta »heimlich« ihre Schwester ruft (V. 28). Besonders die einzelnen Begegnungen der Erzählfiguren mit Jesus verlaufen unglücklich und sind von Missverständnissen gekennzeichnet: So missverstehen die Jünger Jesu Äußerung über den Schlaf des Lazarus (11,11-13). Marta deutet die Aussage Jesu, dass ihr Bruder auferstehen wird, fälschlicherweise auf die Auferstehung in der Endzeit (11,23f.). Die mittrauernden Juden glauben, dass Maria zum Grab aufbricht, als sie zu Jesus geht (11,31f.). Ferner könnte das Weinen Jesu als Ausdruck der Trauer über Lazarus ein Missverständnis sein, wie die distanzierende Kommentierung nahelegt (11,33). Kajaphas versteht seine eigene Äußerung über Jesu Tod nicht (11,51f.) und schließlich zeigt Judas ein kolossales Missverständnis bei der Interpretation der Salbungshandlung, die er nicht in einem thanatologischen, sondern sozialkritischen Kontext interpretiert (12,4-8). Erzählperspektivisch sind es jedoch die Handlungsfiguren, deren Missverstehen durch Präzisierungen und Korrekturen auf Handlungsebene (11,13.40) oder durch Erzählerkommentare (11,13.31.51; 12,6) regelrecht vorgeführt wird. Hier sind nicht die Lippen des Evangelisten geheimnisvoll verschlossen (»something seal’d the Lips of that Evangelist«, vgl. Tennyson 1938, 312; dazu Thompson 2013); die Leser(innen) werden vielmehr durch diese narratologischen Kunstgriffe dazu gedrängt, sich in einen immer tieferen Verstehensprozess hineinzubegeben. Besonders die offenen, unerklärten Elemen750
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te drängen die Rezipienten dazu, nach Tiefensinn zu suchen. Die Erzählung verweigert eine sofortige, einfache Lösung, vermag es aber somit, auf höhere Ebenen des Verstehens vorzudringen. Die erzählerische Technik der Verhüllung und Enthüllung bzw. der inszenierten Missdeutungen und Richtigstellungen ist eine »kalkulierte Provokation«, wie sie nicht nur anderen shme…on-Erzählungen (Welck 1994, 253) sondern auch der johanneischen Bildersprache (paroimffla paroimia Joh 16,25-29, dazu Zimmermann 2004, 30-45) entspricht.
Sozial- und realgeschichtlicher Kontext Die Szene wird an einen genauen Ort Betaniën (Bhqanffla Be¯thania) lokalisiert (11,1), der »etwa 15 Stadien« (11,18), d. h. ca. 3 km von Jerusalem entfernt liegen soll. Diese Angaben stimmen mit der Information des Markusevangeliums überein, nach der Betaniën (im Verbund mit Betfage genannt) am Ölberg liegt (Mk 11,1.11f. par.). Schwieriger ist hingegen die weitere Nennung von Betaniën in Joh 1,28 (als Taufort des Johannes »jenseits des Jordan«). Die Ausleger haben hier seit Origenes (Vorschlag: ›Bethabara‹, vgl. die Handschriften C2 K f1.13) immer wieder Identifikationsversuche unternommen, welche bekannte Ortschaft oder Landschaft damit gemeint sein könnte (vgl. Riesner 2002, 43-56, der selbst die Landschaft »Batanäa« nordöstlich des Sees Gennesaret vorschlägt). Für Johannes ist die theologische Topographie möglicherweise maßgeblicher als die historische: Die Doppelnennung von Betaniën schafft eine Klammer, die den Weg Jesu von »jenseits des Jordan« (1,28) bis nach Jerusalem (11,1.18) umschließt. Unmittelbar vor der Lazarus-Perikope wird dieser Weg in Erinnerung gerufen, weil Jesus noch einmal an den Taufort des Johannes zurückkehrt (10,40), bevor er seine letzte Reise antritt. Der Ortsname ist auch etymologisch deutbar, denn er ist aus dem Hebräischen bet-3ani (Haus des Armen) ableitbar (alternativ: von bet-3an(an)ija – Haus/Ort des An(an)ija; vgl. Küchler 2007, 921), was eine Brücke zu dem »armen Lazarus« schlägt, der in der Parabel Lk 16,19-31 mit Geschwüren vor dem Haus des Reichen liegt. Während Lukas den Herkunftsort des Schwesternpaars nicht näher bestimmt (Lk 10,38: »ein Dorf«), erwähnt Markus Betaniën im Zusammenhang mit der Salbungsszene einer dort nicht namentlich bekannten Frau. Die Szene findet signifikanterweise in Betaniën im Haus Simons des Aussätzigen statt (Mk 14,3; dazu unten). Die Erinnerungsgeschichte christlicher Pilger reicht bis in die frühbyzantinische Zeit (4. Jh.) zurück. Zu den ältesten Quellen zählt Eusebs Onomastikon, das Betaniën am »zweiten Meilensteil von Aelia, am östlichen Abhang des Ölbergs« lokalisiert (vgl. Eus. on. 58,15f., Klostermann 1966, 58, 15 f.); der so genannte »Pilger von Bordeaux« hat in seinem Reisebericht (ca. 334 n. Chr.) ein »Landgut (villa) namens Bethania« sowie eine »Krypta, wohin Lazarus gelegt worden war« benannt (vgl. Geyer/Cuntz 1965, 18; Donner 1979, 60). In der lateinischen Übersetzung des Onomastikon (ca. 390 n. Chr.) spricht Hieronymus dann bereits von einer Kirche (ecclesia), die über dem Grabmahl (monumentum) des Lazarus errichtet sei, die sich nach Küchler auch archäologisch nachweisen lässt und wie alle Pilgerstätten mehrfach überbaut wurde (Einzelheiten zur Lazarus-Kirche bei Küchler 2007, 926-928). Zu der Zeit Jesu bzw. der des Evangelisten ist jedoch nicht mehr zu sagen, als dass es in besagtem Gebiet ein jüdisches Dorf gegeben haben muss (Küchler 2007, 922).
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Die Wundererzählungen im Johannesevangelium
Während die Krankheit des Lazarus nicht näher bestimmt wird, erfahren wir viele Details zum Toten bzw. seiner Bestattung, die durch eine Orientierung zum Bestattungskult und zu Grabstätten im antiken Judentum besser verstanden werden können (zum Folgenden Volp/Zangenberg 2011, 122-128). Der Tote wurde gewöhnlich gewaschen, gesalbt und in Binden und Tücher eingewickelt (vgl. Mk 15,46; Joh 19,40). Nach einer kurzen Zeit der Aufbahrung wurde der Tote »möglichst innerhalb eines Tages (Seuchengefahr)« (Volp/Zangenberg 2011, 123) mit einem Trauerzug ins Grab gebracht. Am Grab wurden ritualisierte Klage- oder nach griechisch-römischer Sitte Lobreden gehalten, anschließend gab es einen Leichenschmaus (Flav. Jos. Bell. 2,1). Im Judentum des zweiten Tempels lassen sich archäologisch zwei Grabformen nachweisen: Das höhlenähnliche Kammergrab und das schachtähnliche Senkgrab. Beim Kammergrab kann man wiederum zwischen so genannten »Bogenbankgräbern« (Arcosolgrab) und »Schiebestollengräbern« unterscheiden (dazu Triebel/Zangenberg 2003, 458-469). In Jerusalem überwiegen in hasmonäisch-herodianischer Zeit die Schiebestollengräber (hebr. kokhim), bei denen senkrecht in die Wände einer großen Grabkammer Stollen gehauen wurden, in die jeweils eine Leiche gelegt werden konnte (vgl. ausführlich die Dokumentation der archäologischen Nachweise mit Abb. bei Kloner/Zissu 2007, 61-80). Seit der Mitte des 1. Jh. n. Chr. ist aber auch das so genannte »Bogentroggrab« als Weiterentwicklung des Arcosolgrabs nachweisbar, das zwischen dem 2. und 4. Jh. zur beliebtesten Grabform avancierte (Triebel/Zangenberg 2003, 463). Hierbei lag die Leiche nicht auf einer Bank, sondern in einem vertieften Trog, der parallel zur Wand eingehauen wurde. Häufig kamen unterschiedliche Grabtypen auch in einer Grabanlage vor. Während das Senkgrab zugeschüttet wurde, wurde der Eingang einer Grabanlage mit Bank- und Stollengräbern durch Roll- oder Verschlusssteine verschlossen, so dass sie immer wieder für Nach- und Zweitbestattungen geöffnet werden konnte. Die Angaben in Joh 11f. fügen sich bruchlos in die Kenntnisse zum Bestattungskult ein, die man aus anderen Quellen rekonstruieren kann. Neben der »Salbung zum Begräbnis« (12,7) wird detailreich von Binden und Tüchern erzählt, mit denen der Tote, präzise sogar einzelne Körperteile (Hände, Füße, Gesicht) eingewickelt waren (11,44). Die Anteilnahme von Freunden und Verwandten können wir in den mittrauernden Juden (11,39.45, vgl. Sir 7,33f.) erkennen, selbst das Gebet und die Gemütsbewegungen Jesu (weinen, zornig werden, vgl. Joh 11,33.35.38) passen zu Ritualen der Trauer und der Klage, wie sie sonst überliefert werden (vgl. 2Sam 1,17-27; bMQ 22b; Häusl/Ostmeyer 2009, 183; vgl. dazu auch Metternich zu Lk 7,11-17 in diesem Band). Das in Joh 11 erwähnte »Grab« (unspezifisch: t mnhme…on to mne¯meion genannt, vgl. 11,17.31.38; 12,17) wird als eine Grabhöhle (vgl. 11,38: t spffilaion to spe¯laion – die Höhle) mit einem Verschlussstein konkretisiert. Darin wäre ein Bogenbank- oder Bogentroggrab eine historisch plausible Vorstellung, da die Stollen der Stollengräber eigens verschlossen waren. Auffällig ist die Formulierung, dass der Stein »auf sie aufgelegt« war (11,38: lfflqo@ ¥pffkeito ¥p3 a't† lithos epekeito ep’ auto¯). Die durch Vorsilbe und Präposition erwirkte Dopplung von ¥pffl (epi – auf) könnte archäologisch betrachtet auf einen abfallenden Höhlenschaft hindeuten (so z. B. Kloner/Zissu 2007, 575 fig. 84). Im Horizont der johanneischen Raummetaphorik von »oben – unten« (dazu Zimmermann 2004, 226-236) ist aber auch eine bewusste Verstärkung der Raumsemantik denkbar, nach der Jesus »von oben« (˝nwqen ano¯then, vgl. Joh 3,31; 8,23) kommt und das neue Leben von oben die Sphäre des Todes durchbricht (vgl. Joh 3,3.7). 752
Vorbild im Sterben und Leben Joh 11,1-12,11
Traditions- und religionsgeschichtlicher Hintergrund Während im hebräischen Denken lange Zeit ein Leben nach dem Tod oder die Vorstellung der Auferstehung fremd waren (Crüsemann/Crüsemann 2009b, 588f.), häufen sich in der Zeit des zweiten Tempels Zeugnisse, die über diese Themen nachdenken (vgl. dazu Cavalin 1979; Bauckham 1998; Avemarie/Lichtenberger 2001): Die Vision der Wiederbelebung eines ganzen Totenfelds bei Ez 37 war zunächst ein bildhafter Hoffnungstext für die Exilierten, Ps 22,30 spricht vom Lob der Toten, Ps 49,16 sogar vom Loskauf aus dem Reich des Todes. In der so genannten Jesaja-Apokalypse werden die endgültige Überwindung des Todes und das Abwischen aller Tränen verheißen (Jes 25,8; vgl. Ps 116,8; vgl. Hieke 2005, 45-55). In klarer Weise begegnet die Vorstellung von der Auferstehung dann im 2. Makkabäerbuch. In dieser Märtyrerlegende von der Mutter mit ihren sieben Söhnen wird durch die Auferweckung ein Gegengewicht zum gewaltsamen und unrechtmäßigen Tod aufgebaut: »Gott hat uns die Hoffnung gegeben, dass er uns wieder auferweckt. Darauf warten wir gern, wenn wir von Menschenhand sterben. Für dich (den König Antiochus IV., R. Z.) gibt es keine Auferstehung zum Leben« (2Makk 7,14; vgl. 7,9.22f.; 12,43-45). Auferweckungsvorstellungen finden sich auch in Qumran. In dem messianischen Text 4Q 521 wird z. B. die Belebung der Toten explizit benannt: »Dann heilt ER Durchbohrte und Tote belebt ER« (4Q521 2,2; 4; Übers. nach Maier 1995, Bd. 2, 684; dazu Charlesworth 2006a, 145-153). Schließlich häufen sich in den alttestamentlichen Apokryphen Auferstehungszeugnisse: »The belief in the resurrection of the dead is found significantly in the Testament of Job, the Psalms of Solomon, 4 Maccabees, PseudoPhocylides, 2 Baruch, and 2 Enoch« (Charlesworth 2006a, 153; dazu auch Harrington 2002). Von der eschatologischen Vorstellung einer Auferstehung nach dem Tod oder der Erscheinung Toter (dazu Zeller 2002, 1-19) ist die Wiederbelebung Toter zu unterscheiden, von der einige Texte im Vor- und Umfeld des Neuen Testaments berichten. In der jüdischen Tradition ist hier insbesondere an die Erweckungen der Söhne der Witwe aus Sarepta (1Kön 17,17-24) und der Schunemiterin (2Kön 4,18-37) zu denken (dazu Einzelheiten im Beitrag von Stare zu Lk 8,40-56 in diesem Band). Auch in der nicht-jüdischen Tradition wird von Totenerweckungen berichtet. In der griechischen Literatur findet sich reichlich mythologischer Stoff über die Erweckung von Toten durch Götter oder Halbgötter. So zog Asklepios wegen seiner Wiederbelebungen den Zorn der Götter auf sich (vgl. Diod. Sic. 4,71,1-3; Hippocr. ep. 17); Orpheus’ Versuch einer Rückführung der Eurydike aus dem Hades missglückte nach Vergil, während Herakles die Alkestis nach Euripides dem Tod entriss (vgl. Eurip. Alces.; vgl. engl. Übersetzung zentraler Stellen bei Cotter 1999, 13-15). Hermes wird als Seelenführer nicht nur in, sondern auch aus der Totenwelt betrachtet (vgl. Waele 1927, 55-61). Apuleius berichtet von der Wiederbelebung eines Toten durch den Arzt Asclepiades (Apul. flor. 19, wobei der Medizinschriftsteller A. C. Celsus den tatsächlichen Tod bestreitet; Cels. med. 2,6,16-18), und nach Philostratos (2. Jh. n. Chr.) hat Apollonius von Tyana eine tote Braut erweckt (vgl. Philostr. vit. ap. 4,45; das Zitat im Wortlaut bei Metternich zu Lk 7,11-17 in diesem Band). Wenn nicht ohnehin mythische Erzählungen, so kann man die Totenerweckungen zu dem Bereich der mimetischen Geschichtsschreibung rechnen, den Polybios als unmögliche, krasse Wunder bzw. als »Sensationshistorie« kritisiert hat (Polyb. 16,12,3-5; vgl. dazu Plümacher 2004a, 64-66). 753
Die Wundererzählungen im Johannesevangelium
Die Erweckungserzählung des Lazarus fügt sich zuletzt zu einer Reihe anderer Totenerweckungen im frühen Christentum: Jesus erweckt die Tochter des Jaïrus (Mk 5,2143 par.) wie auch den Sohn der Witwe von Naïn (Lk 7,11-17). Petrus erweckt Tabita (Apg 9,36-42) und Paulus den Eutychus (Apg 20,9f.). In der apokryphen Literatur finden sich dann weitaus häufiger Totenerweckungen. Allein im Kindheitsevangelium des Thomas werden vier Totenerweckungen durch Jesus erzählt (KThom 8,2; 9,1-3; 17,12.18, vgl. dazu die Kommentare zur Stelle in diesem Band), die apokryphen Apostelakten überbieten dies noch bei weitem (z. B. ActJoh 46f.; 48-54; 76f.; ActThom 54; ActAndr 23f., dazu Bd. 2 des Kompendiums). Die Umfeld-Erzählungen zeigen einige Parallelen zu Joh 11, was nur zwei Beispiele zeigen sollen: In Mk 5,39 par. (»Das Kind ist nicht gestorben, sondern es schläft«) wie auch in Joh 11,11 (»Lazarus ist eingeschlafen«) benutzt Jesus den üblichen Schlafeuphemismus für Tod, um sein tiefergehendes Vertrauen in ein neues Leben zum Ausdruck zu bringen. In KThom 9,3 »rief Jesus mit lauter Stimme« (˛kraze ywn–» meg€l–h ekraze pho¯ne¯ megale¯) den Namen des Verstorbenen (vgl. Joh 11,43), wobei eine wechselseitige Einflussnahme nicht auszuschließen ist. Die Erweckung des Lazarus steht deshalb weder im Umfeld des Neuen Testaments noch innerhalb der frühchristlichen Überlieferung isoliert da. Im Vergleich zu anderen Auferweckungserzählungen zeichnet sich die Lazarus-Geschichte durch eine Verstärkung des Todes wie auch Distanzierung des Wundertäters aus: Bei den anderen neutestamentlichen Erweckungserzählungen wird das kürzliche Eintreten des Todes benannt (z. B. bei Mk 5,21-43; Lk 7,11-17) oder es wird das Vorliegen von Lebenszeichen (Apg 20,10) bzw. Lebensfunke (Philostr. vit. ap. 4,45) als Möglichkeit der Unsicherheit der Todesfeststellung eingeräumt, während in Joh 11 gerade die Dauer von vier Tagen seit Eintritt des Todes hervorgehoben wird (vgl. Joh 11,17). Nach jüdisch-rabbinischer Tradition kehrt die Seele drei Tage ans Grab zurück, bevor sie endgültig ins Totenreich geht (Billerbeck 1924, 544f. mit Verweis auf GenR 100; LevR 18 u. a., dazu auch Schnackenburg 1971, 412). Auch die sonst erzählte Berührung entfällt, da das bloße Zurufen des Namens in Joh 11 ausreicht. Entsprechend tritt auch die Reinheitsproblematik, die im Kontakt mit Toten eine Rolle spielt (vgl. Kahl zu Mk 5,21-43 und Eberhart zu Mt 8,16-26 in diesem Band) in den Hintergrund. Die Totenerweckungen Jesu korrespondieren hierbei mit dem Katalog der Heilstaten, die der endzeitliche Prophet bzw. Messias vollzieht, wie sie in der Täuferanfrage (Q 7,22, vgl. Mt 11,5/Lk 7,22, dazu Zimmermann, Hinführung Lukas) explizit genannt werden. Neben dem Armenevangelium und Heilungen werden hier explizit Totenerweckungen genannt: »Tote werden auferweckt« (nekro½ ¥gefflrontai nekroi egeirontai, Q 7,22; vgl. 4Q521 12). Ein weiterer Horizont sei nur kurz erwähnt: Lazarus wird explizit »Freund« genannt (Joh 11,11: L€zaro@ ¡ fffllo@ mn Lazaros ho philos he¯mo¯n), ferner sind mit der parrhsffla (parre¯sia, Joh 11,14; Klassen 1996, 227-254) oder der Formulierung »mitsterben« (Joh 11,16; 11,50-52) weitere Signalwörter gegeben, die den Text in den Horizont der antiken Freundschaftsethik einordnen lassen (Fitzgerald 1997; Scholtissek 2004, vgl. dazu genauer Zimmermann 2012b).
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Verstehensangebote und Deutungshorizonte Im Rahmen von historisierend-referenziellen Deutungen wurde die Frage nach den konkreten Lebensbezügen auf unterschiedliche Weise beantwortet: Gemäß seiner rationalistischen Auslegungstendenz war für Heinrich E. G. Paulus Lazarus offenbar scheintot und entsprechend vollzieht Jesus ein demonstratives ›Scheinwunder‹ : Er geht davon aus, dass Lazarus »in irgend einem heftigen, mit einem Zurückziehen der Lebensäußerungen verbundenen Paroxysmus als erstarrt und bewegungslos allzu schnell für todt gehalten worden sey (…), als todt behandelt und den jüdischen Sitten gemäß in wenigen Stunden in die Gruft weggebracht (worden sey)« (Paulus 1804, 545). Als der Stein weggehoben wurde, fielen Licht und Luftzug auf den Scheintoten und Jesus »muß sogleich den Lazarus in Bewegung gesehen haben« (Paulus 1828, 49). Entsprechend deutet Paulus Details der Erzählung: Schon bei der Nachricht über die Krankheit »floß ohne Zweifel Jesu Beurtheilung des wahrscheinlichen Krankheitserfolgs: daß dieses Erkranken nicht tödtlich sey« (Paulus 1804, 536); ferner das sofortige Dankgebet statt einem Bittegebet; die Gegenrede der Marta als Befürchtung (statt »eigener Erfahrung«); die laute Stimme Jesu für das Volk (»nicht wie wenn zum Erwecken des Todten ein lautes Zurufen hätte nötig seyn mögen«, Paulus 1828, 49). Allerdings wäre es eine Fehleinschätzung, diese Rationalisierungsfragen nur der Aufklärung zuschreiben zu wollen. Im Anschluss an die Totenerweckung einer jungen Frau durch Apollonius stellt Philostratus bereits im 2. Jh. folgende kritische Reflexion an: Ob er nun noch einen Lebensfunken an ihr wahrgenommen hatte, der den Ärzten verborgen geblieben war (…) oder ob er das erloschene Leben wieder zurückgerufen und angefacht hatte, dies vermag ich nicht zu ergründen, und auch die Anwesenden hätten es nicht ermitteln können (zitiert nach Mumprecht 1983, 458 f.).
Der Lebensfunke ist für Philostratus freilich nicht biologistisch zu verengen, da er gerade von den Göttern (hier Zeus) gegeben wird. Neben diesen Plausibilisierungserwägungen steht aber klar die Vorstellung einer supranaturalistischen Deutung, die mit Akustik- und Feuermetaphern verbalisiert wird (Funke, erloschen, angefacht). Auch zu Joh 11 gibt es nicht wenige Ausleger, die zumindest einen historischen Kern der Erzählung, d. h. dann die zutreffende Referenz auf eine Ereignisgeschichte, zu plausibilisieren versuchen, indem die Rätsel und Brüche der Perikope als Signale ihrer Tendenzwidrigkeit gedeutet werden (s. Hunter 1985; Harris 1986; Meier 1993, 2:798-832; Blomberg 2001). Während hierbei die erzählte Welt im Sinne einer Ereignisgeschichte historisch rekonstruiert wird, richten sich andere Ausleger auf die Entstehungsgeschichte der Erzählung selbst. Bereits die Ortsparallele Betaniën verknüpft die Lazarus-Perikope mit der Salbungssperikope, wie sie im Markusevanglium überliefert wird (Mk 14,1-9 par. Mt 26,1-13). Sie findet im Haus Simons, des Aussätzigen statt. Viele Details verbinden die beiden Erzählungen: So kommt Jesus »zwei Tage« vor dem Paschafest dorthin (Mk 14,1; vgl. Joh 11,6; in Joh 12,1 aber »sechs Tage«), hat Tischgemeinschaft (Mk 14,3, vgl. Joh 12,2), das Salböl wird als »Nardenöl« (mÐron n€rdou myron nardou) näher bestimmt (Mk 14,3; Joh 12,3), das 300 Denare wert ist (Mk 14,5; Joh 12,5); auch der sozialethische Einwand mit Hinweis auf die Armen ist parallel, wie schließlich die Deutung der Salbung zum Begräbnis (¥ntafiasm@ entaphiasmos nur in Mk 14,8 und Joh 12,7 im Neuen Testament). Man kann nun vermuten, dass die ursprüngliche Geschichte von der Hei755
Die Wundererzählungen im Johannesevangelium
lung des Aussätzigen Simon erzählt, aber im Laufe der Überlieferung in die Lazarusperikope übergegangen ist, die zugleich eine Anreicherung fiktionaler Momente einschließt. Wird in der jüdischen Tradition Aussatz bereits metaphorisch mit Tod gleichgesetzt, so ist der Kranke schließlich richtig tot. Die vorliegende Erzählung lässt an der Dramatik und Realität des Todes keinen Zweifel. Und gerade so erweist sie eine schonungslose Referenzialität auf die Grenze menschlichen Lebens, die über ein Einzelereignis hinausgeht. Eine derartig konkrete, gegenwartsorientierte Deutung der Erzählung setzt theologische Potenziale frei: Jesus will selbst zum Toten vordringen, er macht keinen Halt vor den Niederungen, vor der Vergänglichkeit menschlicher Existenz, die hier kaum plastischer als im Verwesungsgeruch (Joh 11,39) vor Augen geführt werden könnte. Genau das ist es, was Marta verwehren möchte. Ihr Bekenntnis – so richtig es im Wortlaut sein mag – bleibt unvollkommen, solange sie die Notwendigkeit des Todes nicht zulassen kann. Die Verherrlichung, von der Jesus spricht (V. 4), ist nicht vor oder jenseits des Todes zu erhalten, sondern nur durch ihn hindurch. Nur so bleibt die Rede von der Verherrlichung Jesu in Joh 11 eingebunden in die sonstige Rede der Verherrlichung im Evangelium. Insbesondere das nachfolgende Kap. 12 spricht ganz explizit davon, dass die Erhöhung am Kreuz als die Stunde der Verherrlichung betrachtet wird (Joh 12,28-36). Das neue Leben kommt aus dem Tod (12,24, dazu Zimmermann 2007). Der Tod wird deshalb in Joh 11 nicht einfach negiert oder relativiert – im Gegenteil. Der Tod wird hier in allen Dimensionen ernst genommen. Aber er erhält keine (Über-)Macht. Auf das »Trotzdem« im Angesicht des Todes kommt es an. Besonders die verschachtelte Konstruktion von Joh 11,25f. bringt dies zum Ausdruck. Die Transformation des Todes in das Leben erfolgt nicht einfach oder glatt. Es ist vielmehr eine paradoxe Überwindung aus der vollen Anerkennung der Tiefe und Bedrohung des Todes. Diese gegenwärtige Brechung des Todes durch Jesu Gegenwart ist ein Akt der (Um-)Interpretation und letztlich des Glaubens, was uns zur nächsten Auslegungsperspektive führt. In einer christologisch-eschatologischen Deutung wird die enge Verknüpfung der Lazarus-Perikope mit der Passion und Auferstehung Jesu zum maßgeblichen Interpretationsschlüssel. Schon die Stellung im Gesamtverlauf des Evangelienplots, aber auch die explizite Angabe der letzten Reise nach Judäa (11,7) weisen darauf hin, dass das in Joh 11 geschilderte Zeichen als Vor-zeichen für Jesu eigenes Geschick verstanden werden kann. Die Todesperspektive für Jesus wird bereits in Joh 11,8.16 (Steinigungsgefahr) explizit formuliert und rückt am Ende des Kapitels Joh 11,45-57 (Kajaphasweissagung, Todesbeschluss) sowie in Joh 12,7.10 (Salbung für Begräbnis) sogar ins Zentrum. Daneben finden sich viele kleinere Anspielungen und doppeldeutige Formulierungen, die den Bezug zu Jesu Schicksal – zumindest für den eingeweihten Leser – evident machen, wie z. B. der Hinweis auf das Motiv der »Stunde« und das Nacht-Motiv (11,9f.), Signalwörter wie ¢p€gein (hypagein – fortgehen, 11,8) oder poreÐesqai (poreuesthai – gehen 11,11), die sonst als Formulierung für Jesu Gang in den Tod verwendet werden (7,33.35; 8,21f., vgl. auch den Kohortativ ˝gwmen ago¯men in 11,7.15.16 bzw. 14,31); die Zahl »vier« (11,17.39), die sonst im Zusammenhang mit Erntebild und Kreuzigung auftaucht (4,35; 19,23); die Formulierung »mitsterben« (11,16) oder die Rede von der »Verherrlichung« (11,4.40), die mit 12,28-36 im Tod Jesu realisiert wird. Schließlich ist die Schilderung des Grabes bis in Einzelheiten wie Binden und Schweißtuch (11,44) mit Details aus Passionsbzw. Ostererzählung identisch (vgl. 19,40; 20,7). Es geht also in Joh 11 auch um Jesu 756
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eigenen Tod und Auferstehung, die Erzählung ist mit Luther »ein rechtes Vorspiel seines Amtes (…), daß er den Tod überwinde und die Toten vom Tode erwecke« (Predigt vor Palmsonntag 1539, zit. nach Mühlhaupt 1961, 340). Die programmatisch bereits zu Beginn aufgebaute Spannung zwischen Krankheit/ Tod und Herrlichkeit Gottes (Joh 11,4; vgl. Frey 2000a, 421) wird gerade in ihrer christologischen Zuspitzung gelöst: Es geht also in Joh 11 nicht nur um ein Verstehen von Tod im Gegenüber von Leben und Auferstehung, sondern in der engen Verschränkung dieser Elemente mit der Person Jesu um ein rechtes Verstehen von Jesus selbst und hier auch besonders seines Todes und seiner Auferstehung. Dieses Verstehen wird aber nicht als dogmatisches Wissen expliziert, sondern konzentriert sich in narrativer Weise auf die rechte Beziehung der Protagonisten zu Christus. Der hierfür gebrauchte Begriff ist »glauben« (pisteÐein pisteuein), der wie ein Leitmotiv die ganze Geschichte durchzieht (11,14.25.26.27-40.42.45.48; 12,11). Jesus handelt mehrfach, »damit ihr glaubt« (´na pisteÐshte hina pisteuse¯te (11,15; vgl. 11,42) oder fragt Marta explizit: »Glaubst du das?« (pisteÐei@ to‰to pisteueis touto, 11,26). Die an die Erzählfiguren adressierten Äußerungen springen hierbei auf die Lesenden über (so auch empirisch belegt bei Strube 2009, 151-153). Wie sie sind wir alle in unserem Glauben herausgefordert. Die hermeneutische Schlüsselfrage für Joh 11 lautet insofern: Wie erschließen sich im Glauben an Jesus die Grundfragen des menschlichen Lebens und Sterbens, von Tod und Auferstehung? Eine ganze Reihe kontrastiver Brechungen zeigen, wie dem Tod buchstäblich seine Grausamkeit genommen wird: Der üblichen Trauer wird Jesu Freude bei der Todesbotschaft (11,15) entgegengestellt (vgl. 16,21); die Endgültigkeit des Todes wird in ironischer Weise durch die Begrenztheit des Schlafs kontrastiert (11,11). Dem Gestank des Verwesungsgeruchs wird der Wohlgeruch des Salböls gegenübergestellt. Dem Verstummen im Angesicht des Todes begegnet Jesus mit gewaltiger Stimme, die den Namen des Toten ruft. Dem gewaltsamen Tod durch andere wird der stellvertretende Tod für andere entgegengesetzt. Das für Jesu Rufen bzw. Schreien am Grab des Lazarus verwendete Verb kraug€zw (kraugazo¯) wird dann wieder in der Passionsgeschichte aufgenommen (18,40; 19,8.12.15), wo das Volk Jesus in den Tod schreit. Wenn Jesus hier umgekehrt gegen den Tod anschreit, dann ist es nicht nur der Tod des Lazarus oder der Tod der Menschen überhaupt, sondern auch sein eigener Tod am Kreuz. Doch im Zentrum dieser kontrastiven Brechungen des Todes steht das Wort von der Auferstehung in Joh 11,25f. Es wird vorbereitet durch den Dialog mit Marta, die Jesus mit dem Satz empfängt, dass seine Anwesenheit den Tod ihres Bruders hätte vermeiden können (11,21). Jesus sagt ihr daraufhin die Auferstehung des Bruders zu: ⁄nastffisetai ¡ ⁄delf@ sou (anaste¯setai ho adelphos sou, 11,23). Gemäß traditioneller Sichtweise, aber auch entsprechend der bisherigen Rede von Auferstehung im Johannesevangelium (6,39.40.44.54) bezieht Maria das Futur der Zusage auf die Auferstehung am letzten Tag. Doch Jesus holt im Ich-bin-Wort die eschatologischen Ereignisse in die Gegenwart: Die bewusst inszenierte Spannung zwischen Vor- und Nachsatz (s. o.) lässt sich lösen, wenn man annimmt, dass hier mit den Bedeutungsnuancen gespielt wird. So setzt der Nachsatz in V. 26 mit dem »leiblichen Tod« ein, dem ein »wirkliches, ewiges Leben« entgegengesetzt wird. Der zweite Satz nimmt dieses im Glauben geschenkte Leben auf und bringt zum Ausdruck, dass dieses neue Leben unzerstörbar ist. In emphatischer Negation (»wird gewiss nicht sterben«) wird also jegliche Bedrohung des Lebens abgewiesen. Durch das Ich-bin-Wort wird somit nicht nur der Tod in allen seinen Dimensionen – sei es der leibliche
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oder selbst der ewige (vgl. Offb 2,11; 20,6.14; 21,8) – gebrochen, es wird auch gleichsam eine Erklärung für die Auferstehung gegeben. Es ist auffällig, dass die eigentliche Auferstehungsterminologie doch immer für die Vorstellung der futurischen Auferstehung am letzten Tag verwendet wurde. Nur im Ich-bin-Wort in 11,25 wird ⁄n€stasi@ (anastasis – Auferstehung) aufgenommen und sofort mit zwffi (zo¯e¯ – Leben) parallelisiert, das dann im Folgenden Leitbegriff bleibt. Der scheinbaren Endgültigkeit des Todes wird insofern nicht nur die in Jesu Person unmittelbar gegenwärtige Auferstehung entgegengehalten. Die bisher als zukünftig erfahrene Auferstehung wird hier auch als gegenwärtig erfahrenes Leben interpretiert. Das Futur von z»n (ze¯n – leben) muss entsprechend anderer Stellen im Evangelium (Joh 5,25; 6,51a.57f.; 14,19) auf die im Glauben gegenwärtig verheißene Gabe des ewigen Lebens bezogen werden und darf nicht in einem futurisch-eschatologischen Sinn missverstanden werden.
Auferstehung ereignet sich jetzt, ist das in Jesus gegenwärtige und jetzt geschenkte Leben. So fügt sich die Rede von dem durch Christus geschenkten Leben in das übergeordnete Metaphernnetz des Lebens ein, das in den Ich-bin-Worten besonders zu Tage tritt (van der Watt 2000, 201-215; 416-420). Das Hören auf die Stimme des Hirten (10,11), das Essen des Lebensbrotes ist es schließlich, was die Gläubigen zum ewigen Leben führt (6,50.58). Beide Aspekte spielen in der Erweckungs-Erzählung von Joh 11 eine zentrale Rolle: Lazarus hört die Stimme Jesu (11,43f.), er hat schließlich Mahlgemeinschaft mit ihm (12,2) und empfängt damit das Leben, das den Tod überwindet. In jüdischer Tradition ist jedoch Gott der einzige Geber des Lebens (vgl. Gen 2,7; Dtn 4,4; Ps 16,11; 21,5; 36,10 u. a.), so dass die im Gebet Jesu proklamierte Einheit zwischen Jesus und seinem Vater (Joh 11,41f.) der Selbstidentifikation Jesu mit dem Leben entspricht. Im Rahmen einer ethischen Deutung kann die Erzählung als Baustein einer narrativen Ethik des Johannesevangeliums (Schnelle 2007, 691-693; Zimmermann 2012b) betrachtet werden. Anerkennen wir, dass Handlungsreflexion nicht an rationale Argumentation gebunden ist, dann kann die erzählende Auseinandersetzung mit der Krise des Todes als Ethik bezeichnet werden. Statt auf distanzierende Vernunft und Objektivität setzt der Text auf moralische Signifikanz durch engagiertes Denken, durch situative Parteinahme und Emotionen (vgl. Fischer 2011, 194f.198). Die Erzählung führt vor, welche Handlungsmöglichkeiten sich durch die direkte Konfrontation mit dem Sterben eines vertrauten Menschen ergeben. Sie ist zugleich eine Wertereflexion über Tod und Leben. Indem vom gegenwärtigen, künftigen, zerbrechlichen und geschenkten Leben in Joh 11f. erzählt wird, wird im Sinne antiker Lebensethik (Hadot 1993) ethische Reflexion geleistet. So differenziert z. B. Konzepte von Leben und Tod zur Sprache kommen, so wird doch keine systematische Erörterung vollzogen oder keine Begriffsbildung vorangetrieben, ebensowenig werden ethische Prinzipien etabliert. Die Dialoge nehmen zwar einen breiten Raum ein, sind aber immer noch Dialoge im Rahmen der Handlung. Schon Maria, aber auch Lazarus gewinnen ihr ethisches Profil nicht durch Argumente, sondern als erzählte, handelnde Figuren. Die Reflexion über Lebenswerte erfolgt durch und mit Erzählung, ist eben narrative Ethik. Leser von Joh 11 sollen am Modell der Erzählfiguren selbst ihre Position im Umgang mit dem Tod und in ihrem Glauben an Jesus als dem Lebensspender finden. Die unterschiedlichen Handlungsmöglichkeiten, die narrativ und insbesondere mit den Figuren der drei Geschwister aus Betaniën vorgeführt werden, sind dabei idealtypische Modelle, die in Reinform so nicht vorkommen. Sie bieten Identifikationsmöglichkeiten für den Leser und werden in je eigener Form zu einem Spiegel, in dem Menschen ihre 758
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eigenen Chancen und Grenzen eines Lebens im Angesicht des Todes (wieder)erkennen können (vgl. etwa die empirische Studie von Strube 2009, 71-170). Während mit Marta ein kognitives Bewältigungsmodell vorgeführt wird, das in Anknüpfung an traditionelle Sprachformen dem Tod begegnet, ist Maria durch emotionale und praktische Handlungen gezeichnet. Beide Frauen sind aktiv, kommen Jesus (schnell) entgegen und sind somit als eigenständig handelnde Subjekte zu erkennen. Lazarus hingegen wird gerade in seiner passiven Haltung zum ethischen Vorbild, denn er hört den Ruf und reagiert auf Jesu vorgängiges Wirken, erhält aber gerade so Anteil am unvergänglichen Leben Jesu, wie es auf ästhetisch-körperliche Weise durch die Tischgemeinschaft zum Ausdruck kommt. Ethik mündet hierbei in ästhetische Existenz (Zimmermann 2009b, 235-244). So können die drei Geschwister Aspekte des Handelns idealtypisch verkörpern, die bei einem Menschen vermischt vorkommen. Sie können ebenso unterschiedliche Phasen der Todesbewältigung markieren, die nicht unbedingt in linearer Abfolge aufeinander bezogen werden müssen. Denkbar ist auch, dass sich die Figuren nicht nur auf individuelle Typen beziehen, sondern mit Philip F. Esler und Ronald A. Piper als »prototypes for a group of Jesus-followers, within the theoretical framework of social identity theory« (Esler/Piper 2006, 108-111). Joh 11-12 führt schließlich je unterschiedliche Aspekte antiker Freundschaftsethik (s. o.) weiter: So wird die von Thomas noch unmotivierte Aussage über das »Mitsterben« (Joh 11,16) durch das Sterben Jesu »für das Volk« und die »zerstreuten Kinder Gottes« (11,50-52) zum allgemeinen Grundsatz eines wechselseitigen »Sterbens für die Freunde« (15,13) (vgl. Lys. orat. 18,23; Diod. Sic. 1,54,1; vgl. dazu Schröter 2000, 272-275); die ›Gleichheit‹ (vgl. Plato Lys. 214d; Arist. e.N. 8,5,5) der Geschwister aus Betaniën zeigt sich trotz aller Unterschiede in der Liebe Jesu (11,5) und mündet in die Haus- und Tischgemeinschaft (12,1-3). Die offene, freie Rede, die Freundschaft charakterisiert (vgl. Polyb. 21,23,11 f.; Sen. ep. 3,2 f.; Konstan 1997, 7-19), wird über Joh 11,14 (Tod des Lazarus) hinaus schließlich in der Retrospektive der Abschiedsreden auf Jesu Tod und auf die ganze Welt hin ausgeweitet. Jesus wirkt und spricht öffentlich zur ganzen Welt (¥g parrhsffla lel€lhka t† ksm†w ego¯ parre¯sia lelale¯ka to¯ kosmo¯, s. 16,25). Damit weitet Johannes das Ideal der Freundschaft in einem universellen Sinn aus. Die in allen Deutungsvarianten auf Jesu eigenen Tod hinlaufende Sinnstiftung angesichts des Todes mag gleichwohl für manche Trauernde einen ›schwachen Trost‹ darstellen, in der Gemeinde der johanneischen Ersthörer wie auch heute noch. Zu sehr wünschen auch wir uns vor aller Augen sichtbare Zeichen, handfeste Beweise einer Auferweckung eines historischen Lazarus. Aber wir haben nur die Erzählung darüber, Fakten zerrinnen, ehe wir sie zu greifen bekommen. Doch gerade die textgebundene narrative Hermeneutik der Lazarusperikope erlaubt es, auch heute noch einzusteigen in die Geschichte, sich beschenken zu lassen mit neuem Leben. Wer in der Lazarus-Perikope historische Fakten einer Auferstehung sucht, bleibt in der Gruft unwiederbringlicher Vergangenheit gefangen. Wer sich aber im Akt des Lesens auf die Zumutung und den Zuspruch der Gegenwärtigkeit Jesu in Schrift und Glauben einlässt, kann – wann immer der Tod in sein Leben tritt – die kontrafaktische Wirklichkeit des Lebens erfahren (Wuellner 1991a). Ein Leben, das nicht vor oder jenseits des Todes, sondern dem Tod zum Trotz und durch ihn hindurch gegeben wird. Kein Grab kann so verschlossen sein, dass nicht die Stimme Jesu hineindringt und herausruft zu neuem Leben, das durch keinen Tod zerstört werden kann (Joh 11,26). 759
Die Wundererzählungen im Johannesevangelium
Aspekte der Parallelüberlieferung und Wirkungsgeschichte Die Auferweckungserzählung des Lazarus ist nur im Johannesevangelium überliefert. Die Namen der Geschwister findet der Bibelleser aber auch im Lukasevangelium (Lk 10,3842; Lk 16,19-31). Das dort entfaltete Charakterprofil der Frauen bis hin zu wörtlichen Anklängen (Marta »bedient«: Lk 10,40; Joh 12,2; Maria »sitzt« zu »Füßen«: Lk 10,39; Joh 11,20.32; 12,3) lässt gewisse Ähnlichkeiten mit der Darstellung bei Johannes erkennen, so dass Thyen sogar von einer literarischen Aufnahme dieser Texte im Sinne von Paratexten ausgeht (vgl. Thyen 1992: ›Palimpsest‹). Im »intertextuellen Spiel« (Thyen 2005, 511) mit den Prätexten kann nach Thyen auch noch die Erzählung der Auferweckung in Naïn (Lk 7,11-17) sowie die Salbungsszene hinzugenommen werden (Mk 14,3-9; Lk 7,36-59), die nach synoptischer Tradition im »Haus des Simon, des Aussätzigen« (Mk 14,3; Mt 26,6; vgl. Lk 7,40) stattfand (s. o.). Die im Gleichnis vom reichen Mann und armen Lazarus nur angedachte Rückkehr ins Leben vollzieht sich nun real (so auch Kremer 1985, 102), aber leider bestätigt sich auch die dortige Prophezeiung: »Wenn sie Mose und die Propheten nicht hören, dann werden sie sich auch nicht überzeugen lassen, wenn einer von den Toten aufersteht« (Lk 16,31). Denn im Anschluss an die Auferweckung des Lazarus wird der Todesbeschluss Jesu und dann sogar des Auferweckten selbst gefällt (Joh 11,53; Joh 12,11). Eine auffällige Handlungs- und Motivparallele zeigt sich auch mit dem so genannten Frgm. 1-2 des geheimen Markusevangeliums. In Frgm. 2 wird der Erweckte zugleich als »Jüngling, den Jesus liebte« bezeichnet (3,15), was an das Liebesmotiv aus Joh 11 erinnert. Die Echtheit und Bedeutung dieses Textes ist allerdings nach wie vor unklar (s. Merkel 2012, 395). Kaum eine Wundererzählung des Neuen Testaments hat eine größere Wirkung in Literatur, Kunst, Liturgie und Musik entfaltet wie die Lazarus-Perikope (vgl. schon die frühen zahlreichen Darstellungen auf Fresken in Katakomben, auf Sarkophagen und Kultgeräten, vgl. Leclercq 1929, 2009-2086), so dass ein Überblick im Kontext dieses Artikels unmöglich ist (dazu umfassend Kremer 1985, 111-328; ders. 2000, 492-503). Gewirkt hat die Erzählung im Blick auf die in ihr behandelten Grundfragen um Tod/ Todeserfahrung, Auferstehung, Macht/Menschlichkeit Jesu wie auch der Glaubwürdigkeit/Faktizität des Wunders selbst (Kremer 1985, 324-328). Es waren aber auch gerade erzählerische Details, die in den Rezeptionen je unterschiedlich aufgenommen wurden und von denen ich im Folgenden einige benennen möchte: Auffällig ist die häufige Referenz auf das erzählerisch wie auch historisch keineswegs tragende Motiv der »vier Tage« (Joh 11,17.39), das häufig geradezu als markante Kurzbeschreibung der Erzählung dient: »Lazarus, der schon vier Tage im Grabe lag« (so Irenäus GSC 153,162-166; BKV Irenäus II 182f.; vgl. GCS Origenes I 169 f.); im Nikodemusevangelium lesen wir: »Andere sagten, er habe den toten Lazarus nach vier Tagen aus dem Grabe auferweckt« (EvNik 8,1; vgl. Schärtel 2012, 246). Nicht selten wird das Motiv auch eigens ausgedeutet: Für den Bischof von Ravena Petrus Chrysologus (gest. 450) wird eine bewusste Abgrenzung von Jesus vollzogen: »Wäre Lazarus schon nach drei Tagen aus der Unterwelt zurückgekehrt, hätte er [sogar] das ganze Geheimnis der Auferstehung des Herrn geraubt; denn Christus kehrt nach drei Tagen als Herr zurück, Lazarus wird nach vier Tagen als Knecht zurückgerufen« (serm. 60,1, CChr.SL 24a, 373392; nach Speigl 1982, 141). Der monastische Theologe Rupert von Deutz (gest. 1130) 760
Vorbild im Sterben und Leben Joh 11,1-12,11
deutet die vier Tage auf die vier Epochen der Heilsgeschichte: »Was aber bedeuten die vier Tage … ? Weil im vierten Zeitabschnitt zu gegebener Zeit die Auferstehung der Toten vollzogen werden sollte, zu deren Beweis dieser Lazarus auferweckt wurde« (In Joh. 10 zu 11,17-19). Im Gedicht »When Lazarus left his charnel-cave« (XXXI) fragt A. Lord Tennyson: »Where wert thou, brother, those four days?« (Tennyson 1938, 311), und lässt Lazarus über seine Todeserfahrungen berichten. In dem kritischen »Mystery play« »Calvary« (1921) von William B. Yeats, in dem Lazarus Jesus für seine Rückkehr anklagt, heißt es: »And I was free four days, four days being dead« (Yeats 1952, 455). Auch das Motiv des Stinkens zeigt eine beachtliche Wirkung, so etwa bei Tertullian in De resurrectione mortuorum: »Aber bei Lazarus freilich (…) lag das Fleisch in Schwachheit darnieder, das Fleisch vermoderte fast schon in Verunstaltung, das Fleisch roch inzwischen nach Verwesung und dennoch stand das Fleisch des Lazarus auf« (Tert. res. 53,3 f.; Übers. nach CChr.SL 2,998). Augustinus bezieht in seiner Homilie über Joh 11 (Joh. tract. 49; vgl. Übers. nach BKV Augustinus V 303-326) die von Jesus Erweckten zeichenhaft auf unterschiedliche Arten des Sündigens: »Der dritte Tote ist Lazarus. Es ist die schlimmste Art des Todes, sie wird böse Gewohnheit genannt (…) Wer aber zu sündigen gewohnt ist, ist [schon] begraben, und gut wird von ihm gesagt: ›Er riecht‹, denn er fängt an, einen schlechten Ruf zu haben, gleichsam einen äußerst abscheulichen Geruch (…). Selbst um einen solchen aufzuerwecken, war die Kraft Christi nicht zu gering.« In ähnlicher Weise wird das Erzähldetail des Weinens (Jesu) aufgegriffen: Hippolyt (gest. 235) vergleicht die Tränen Jesu mit den Tränen von Susanna (Hipp. Dan. 1,25, vgl. GCS Hippolytus 1,37); interessante Überlegungen über die Tränen Jesu finden sich bei Ps.-Cyp.: »Übrigens, wenn du meinst, er habe wegen des toten Lazarus geweint, so hätte er, der den Tod zurücktreiben konnte, es vorher nicht gestattet, dass er verschied (…). Daher wird ersichtlich, daß er einig aus dem Grund so bewegt war, weil er gezwungen war, seinen Freund wieder zum feindlichen Leben zurückzurufen im Blick auf einige, die glauben werden, oder um die Ungläubigen zu beschämen« (PsCyp. ep. 4, zit. nach Kremer 1985, 119). Ephraem der Syrer (gest. 373) bindet die Tränen wohl in Anknüpfung an Joh 12,24 in Vegetationsmetaphorik ein: »Seine Tränen waren wie der Regen, und Lazarus wie das Korn, und das Grab wie die Erde. Er schrie mit der Stimme eines Gewitters und der Tod erzitterte bei seiner Stimme. Lazarus sproßte auf wie das Korn, er trat heraus und betete den Herrn an, der ihn auferweckt hatte« (Ephr. Diat. 7; vgl. SC 121, 303-309; zit. nach Kremer 1985, 140). Johann Arndt (gest. 1621) bündelt in seiner Postilla seine gesamte Auslegung zu Joh 11 mit dem Tränenmotiv: »Siehe seine heiligen Thränen an: Es sind Lehr-Thränen, Lieb-Thränen, Bet-Thränen, heilende Thränen und SchmertzenThränen« (vgl. Arndt 1734, 178). Eine Umkehrung des Tränen-Motivs findet sich in der neueren Literatur, etwa in Rainer M. Rilkes Gedicht »Auferweckung des Lazarus« (1913), bei dem Jesus sich gedrängt fühlt, »das Unerlaubte an der ruhigen Natur zu tun. Zürnender. Die Augen fast geschlossen, fragte er sie nach dem Grab. Er litt. Ihnen schien es, seine Tränen flossen, und sie drängten voller Neugier mit« (Rilke 1956, 49). Gar nicht mehr von Jesu, sondern von Lazarus’ Tränen erzählt schließlich der tschechische Dichter Karol Cˇapek in der Kurzgeschichte »Lazarus«, denn hier verweigert der auferweckte Lazarus aus Angst vor dem zweiten Tod die Reise nach Jerusalem: »Tränen quollen langsam aus Lazarus’ Augen. ›Ich wäre so gerne mitgegangen …‹« (Cˇapek 1958, 83). Mit dem Lazarus-Motiv wird aber v. a. der Protest gegen den Tod im eigentlichen,
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Die Wundererzählungen im Johannesevangelium
wie auch metaphorischen Sinn verbunden. Der Schweizer Theologe und Poet Kurt Marti bringt dies mit seinem Gedicht »Lazarus« zum Ausdruck (Marti 1984, 53): lazarus I friede/ der hof hält/ ist friede nicht friede/ der hof hält/ ist tod II unhöflich ruft friede der friede ist in den friedlosen todhof: »lazarus komm heraus«
Auch im Roman »Schuld und Sühne« von Fjodor M. Dostojewski wird die Lazarusperikope zum Leitmotiv einer Überwindung von Todesmächten. Sonja, die Freundin des Doppelmörders Raskolnikow, scheitert zunächst in ihrem Versuch, die Geschichte vorzulesen (Dostojewski 1952, 288); immer wieder wird das Motiv aufgenommen (360; 363). Der Akt des Lesens der Geschichte vom geliebten und erweckten Lazarus erweckt dann schließlich selbst Liebe und Leben: »Das Morgenrot einer neuen Zukunft, der Auferstehung zu einem neuen Leben, leuchtete in ihren bleichen Gesichtern. Die Liebe hatte sie erweckt. In ihren Herzen waren unversiegliche Lebensquellen für einander aufgebrochen« (Dostojewski 1952, 604). Wie die Auferweckungserzählung schließlich gerade als Erzählung selbst einen Kontrapunkt gegen den Tod setzt, kann im Anschluss an Garhammer gesagt werden. Schreiben selbst ist Totenerweckung. »Totgeglaubtes wird verlebendigt« (Garhammer 2005, 16, ähnlich Durst 2010b, 379-381). Inwiefern für den vierten Evangelisten das Erzählen der Lazarusperikope – wie das Schreiben des Evangeliums überhaupt – ein solcher Prozess der lebendigen und Leben stiftenden Erinnerung war (vgl. Joh 14,26), bleibt uns entzogen. Wir sollten uns aber durch die Lazarusperikope inspirieren lassen, fortschreibend vom Sterben zum Leben durchzudringen.
Ruben Zimmermann Literatur zum Weiterlesen B. J. Byrne, Lazarus. A Contemporary Reading of Joh 11.1-46, Collegeville 1991. P. F. Esler/R. Piper, Lazarus, Mary and Martha. Social-Scientific Approaches to the Gospel of John, Minneapolis 2006. J. Frey, Eschatologie in narrativer Gestalt: Ewiges Leben und Auferweckung der Toten nach Johannes 11,1-44, in: ders., Die johanneische Eschatologie, Bd. III: Die eschatologische Verkündigung in den johanneischen Texten, WUNT 117, Tübingen 2000, 403-462. R. Hakola, A Character Resurrected: Lazarus in the Fourth Gospel and Afterwards. in: D. M. Rhoads/K. Syreeni (Hg.), Characterization in the Gospels, London 1999, 223-263. I. R. Kitzberger, Mary of Bethany and Mary of Magdala – Two Female Characters in the Johannine Passion Narrative: A Feminist, Narrative-Critical Reader Response, NTS 41 (1995), 564-586. J. Kremer, Lazarus. Die Geschichte einer Auferstehung. Text, Wirkungsgeschichte und Botschaft von Joh 11,1-46, Stuttgart 1985. M. Labahn, Jesus als Lebensspender, BZNW 98, Berlin 1999, 378-465.
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Vorbild im Sterben und Leben Joh 11,1-12,11
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Beim Mahl am Kohlenfeuer trifft man sich wieder (Die Offenbarung beim wunderbaren Fischfang) Joh 21,1-14 (1) Danach offenbarte sich Jesus erneut den Jüngern am See von Tiberias – und er offenbarte sich so: (2) Es waren Simon Petrus, Thomas, der Didymus (Zwilling) genannt wurde, Natanaël, der aus Kana in Galiläa stammt, die Zebedaiden und zwei andere von seinen Jüngern zusammen. (3) Da richtet Simon Petrus das Wort an sie: »Ich werde fischen gehen.« Sie antworten ihm: »Wir kommen auch mit dir.« – Sie gingen hinaus und stiegen in das Boot. Aber in jener Nacht fingen sie nichts. (4) Als aber bereits der Morgen anbrach, stand Jesus am Ufer. Die Jünger wussten jedoch nicht, dass es Jesus war. (5) Jesus fragt sie nun: »Kinder, habt ihr nicht etwas Fisch zu essen?« Sie antworteten ihm: »Nein.« (6) Da erwiderte er ihnen: »Zur rechten Seite des Bootes müsst ihr das Netz auswerfen und ihr werdet finden.« Da warfen sie es aus und konnten es nicht mehr ziehen wegen der Menge der Fische. (7) Da sagt nun jener Jünger, den Jesus liebte, zu Petrus: »Es ist der Herr.« Als nun Simon Petrus hörte, dass es der Herr ist, gürtete er sich das Obergewand um – denn er war nackt – und warf sich selbst in den See, (8) die anderen Jünger aber kamen mit dem Boot – denn sie befanden sich nicht weit vom Ufer entfernt, nur etwa zweihundert Ellen [kaum 100 m] – und zogen das Netz mit den Fischen nach. (9) Als sie nun an Land ausstiegen, sahen sie ein Kohlenfeuer und Fisch und Brot darauf. (10) Da sagt Jesus zu ihnen: »Bringt von den Fischen, die ihr gerade gefangen habt.« (11) Da ging Simon Petrus und zog das Netz an das Land, gefüllt mit 153 großen Fischen. Obwohl es so viele waren, zerriss das Netz nicht. (12) Jesus sagt zu ihnen: »Kommt her und esst!« Keiner von den Jüngern aber wagte ihn zu fragen: »Wer bist du?« Sie wussten, dass es der Herr war. (13) Da kommt Jesus, nimmt das Brot und gibt es ihnen, ebenso den Fisch. (14) Dies war bereits das dritte Mal, dass sich Jesus seinen Jüngern offenbarte, seit er auferstanden war von den Toten.
Sprachlich-narratologische Analyse Die Fischfanggeschichte ist episodisch aufgebaut, wobei das in V. 1 anvisierte Ziel der Selbst-Offenbarung Jesu über verschiedenartige Zwischenschritte erreicht wird. Der Erzähler kommentiert und erläutert aus seiner Sicht ein Geschehen (V. 1.4b.7b.8a.14; s. a. 11b), das er selbst berichtet; diese literarische Technik berührt sich mit der der johanneischen Parenthese, die Elemente der Erzählung erklärt (vgl. van Belle 1985). Die Gesamtszene ist durch eine Überschrift (V. 1) und eine diese wieder aufneh764
Beim Mahl am Kohlenfeuer trifft man sich wieder Joh 21,1-14
mende Schlussbemerkung gerahmt (V. 14). Damit ist die Fischfanggeschichte als eine eigenständige Episode abzugrenzen, was auch durch den szenischen Neuanfang (»nach dem Essen …«, V. 15) signalisiert wird. Der Rahmen verbindet die Offenbarungsgeschichte mit den Erscheinungen des Auferstandenen in Joh 20 und baut somit einen über den Epilog in 20,30 f. hinausgehenden Erzählrahmen auf. In der Einführung erklärt ein allwissender Erzähler, was im Folgenden geschehen wird: »Jesus offenbarte sich selbst erneut vor seinen Jüngern …«. Weist die Partikel »erneut« auf die Auferstehungserscheinungen in Joh 20 zurück, so verweist das Verb »offenbaren« (fanerw phaneroo¯), das in Kap. 20 nicht verwendet wird, darauf, dass in der Geschichte neue Aspekte entwickelt werden. V. 2 stellt eine abgegrenzte Gruppe der Jünger Jesu vor, die teilweise namentlich genannt werden: Simon Petrus, Thomas, Natanaël, die Söhne des Zebedäus und zwei weitere ungenannte Jünger. Simon Petrus, der als erster das Wort ergreift, wird zum Sprecher der Jünger. Er eröffnet die Handlung, indem er zum Fischen geht und alle anderen ihm folgen. So entsteht eine alltägliche Fischerepisode, die die vergeblichen Mühen der einfachen Menschen widerspiegelt: eine ganze Nacht voller Arbeit ohne Fangerfolg (V. 3). Ereignet sich nach dem Erzählerkommentar in dieser Geschichte Offenbarung, so geschieht dies im Alltagsleben (vgl. Claussen 2006, 62). Der frustrierenden Arbeit der Fischer in der Nacht folgt zum Anbruch des Morgens der Auftritt Jesu. Der Erzähler kommentiert, dass die Jünger die Identität Jesu nicht erkennen (21,4b). Diese Bemerkung bereitet dessen Identifikation in V. 7 vor und ist daher ein Bindeglied innerhalb der Erzählung zu dem übergeordneten Thema der Offenbarung Jesu (Schwankl 1995, 190, mit Hinweis auf die Parallele zwischen Joh 20,14 und 21,4). Durch seine Sprechhandlung wird Jesus zu einem Handlungsträger, der auch einen Mangel an Nahrung aufdeckt. Dies geschieht durch die im Fischermilieu naheliegende Frage, ob die Angeredeten etwas Fisch zu essen haben. Die griechische Textfassung mit Verneinungspartikel bereitet die negative Antwort vor, die nachträglich erklärt, warum Petrus fischen wollte: Den Jüngern war die Nahrung ausgegangen. Jesus wird damit als der vorgestellt, der auf wundersame Weise den Mangel kennt und ihn durch solches Vorherwissen beseitigen kann. Die Geschichte setzt dies um, indem die Jünger auf Anweisung das Netz dort, wo es Jesus wünscht, auswerfen, und so vollen Erfolg in Form voller Netze haben. Jesus offenbart sich (vgl. die Schlussfolgerung des Lieblingsjüngers in V. 6) in einer Mangelsituation, um sie materiell abzuändern. Der Fortgang zeigt jedoch, dass das Geschehen eine Tiefendimension hat. Die Adressaten des Auswurfbefehls werden Kinder (paidffla paidia) genannt. Diese Anrede wird in 1Joh 2,14.18 für johanneische Gemeindeglieder verwendet. Jesus bezeichnet somit die Jünger als Glieder der johanneischen Gemeinde. Dies kann bereits als Hinweis gewertet werden, dass es im Akt des Fischens nicht allein um den Mangel an Nahrung geht, sondern um ein Thema von Jüngerschaft und der Sammlung neuer Gemeinde, das durch die Handlung des Fischfangs abgebildet werden kann. Wie in Joh 2,1-11 offenbart in der Fischfanggeschichte ein Wunder die Identität des Anwesenden: »Es ist der Herr« (¡ kÐri@ ¥stin ho kyrios estin, 21,7). Dieser Kernsatz wird von einem bisher ungenannten Charakter gesprochen, dem Lieblingsjünger. Der Lieblingsjünger ist eine Gestalt im Johannesevangelium, die erstmals beim letzten Mahl in die johanneische Textwelt eingeführt wird (13,23-26); sie gehört in die Unterweisung der Jünger durch Jesus und seine anschließende Passion und Auferstehung 765
Die Wundererzählungen im Johannesevangelium
(18,15-18; 19,25-27.34b–35; 20,2-10). Der Lieblingsjünger zeichnet sich durch eine besondere Nähe zu Jesus und durch seine Relation zu Petrus aus. Er legt Jesus aus und bleibt ihm treu bis zum Tod. Unter dem Kreuz wird er zum wahren Zeugen und Nachfolger Jesu. Erst Joh 21 korrigiert die Bedeutung des Lieblingsjüngers zugunsten des Petrus, macht ihn aber zugleich zum Verfasser des Evangeliums (21,24 f.). Wie schon in Joh 20,5-8 hat der Lieblingsjünger in Bezug auf die Wahrnehmung des Auferstandenen einen Vorsprung. In 21,7 entspricht das Erkennen des Herrn dem zum Glauben führenden visuellen Erfassen von 20,8b (er »sah und glaubte«). Der Lieblingsjünger könnte zu den beiden anderen in 21,2b ungenannten Jüngern gehören, aber die Feststellung der Identität bleibt den Leser(innen) überlassen. Der allwissende Erzähler berichtet, dass im Hören auf die Erkenntnis des Lieblingsjüngers (wörtliche Wiederholung des ¡ kÐri@ ¥stin ho kyrios estin) auch Petrus aktiv wird, der in 13,21-30 und 20,2-11 (s. a. 18,15 f.) im spannungsvollen Verhältnis zu diesem Jünger stand. Dabei wird Petrus seiner in einem erläuternden Kommentar erwähnten Nacktheit gewahr, kleidet sich aus Scham an (s. u.) und springt in den See. In V. 8 lässt der Erzähler die Jünger samt Boot und Netz das Ufer erreichen. Ein gewisser Bruch in der Handlungsabfolge erfolgt durch den Erzählerbericht in V. 9, da an Land bereits ein Kohlenfeuer mit Fisch und Brot brennt (V. 9) und Jesus dennoch um den Fisch aus dem Netz bittet (V. 10). Dass die erste Nahrungsmenge nicht zur Sättigung der kleinen Gruppe ausreicht (z. B. Kollmann 1996, 278 Anm. 22), ebnet die Spannungen der Erzählung ein. Das Interesse der Erzählung drängt zum Gemeinschaftsmahl, bei dem die Jünger nun tatsächlich die Identität des Herrn wissen (V. 12), unter Beteiligung der gefangenen Fische. V. 11 berichtet mit einer gewissen Verlangsamung der Erzählgeschwindigkeit, wie Petrus der Anweisung Folge leistet, indem er das Netz an Land zieht. Der Erzähler fügt – das Wunder unterstreichend – an, dass das Netz trotz der genau gezählten 153 Fische nicht reißt. Die letzte Szene (21,12 f.) präsentiert Jesus als Hausvater. Zunächst fordert Jesus die Jünger zum Essen von Fisch und Brot auf. Dabei wird das Thema der Wiedererkennung Jesu aufgenommen. Dort, wo die durch Jesus gewährte Gemeinschaft begangen wird, kann der Erzähler feststellen, dass die Jünger den auferstandenen Jesus bereits kennen (vgl. V. 7, dessen Formulierung wörtlich wieder aufgenommen wird: ¡ kÐri@ ¥stin ho kyrios estin). Nun nimmt Jesus das Brot, segnet es und bietet es seinen Gästen an (V. 13). Der Handlungsstrang endet in einem weiteren Erzählerkommentar (V. 14). Unklar bleibt, wie der Erzähler die Erscheinungen Jesu zählt; möglicherweise sind nur die unmittelbaren Erscheinungen vor den Jüngern in 20,19-29 erinnert. Innerhalb der Episodenfolgen dieser kleinen Fischereigeschichte fallen drei Zeitangaben auf. Die Gesamtepisode schließt sich durch den Episodentrenner »danach« (metÞ ta‰ta meta tauta, vgl. 3,22; 5,1.14; 6,1 u. a.) an die Joh 1-20 zusammenfassende Wendung in 20,30 f. an. Eindrucksvoller ist die Gegenüberstellung des erfolglosen Arbeitens in der Nacht ohne Jesus (V. 4) mit dem Anbruch des Morgens, an dem Jesus aktiv in den Handlungsablauf eingreift. Die »Nacht« hat einen symbolischen Beiklang, der der theologischen Kategorie der Finsternis im Johannesevangelium als sich Gott, seines Gesandten und damit des Lichtes verweigernder Größe nahekommt (vgl. 1,5; 12,35.46). In diesem Sinne ist es Nacht, wenn Judas die Jünger nach der Identifizierung als vom Teufel in Besitz genommener Verräter verlässt (13,30). Die »Finsternis« ist auch die Zeit der Jünger, die ohne ihren Herrn im Sturm sind (vgl. den Seewandel Jesu in 6,17; dazu La766
Beim Mahl am Kohlenfeuer trifft man sich wieder Joh 21,1-14
bahn 2000, 31 f.). Es ist dies eine Zeit, in der die Jünger auf sich selbst geworfen sind (vgl. 9,4; 11,10). Der Anbruch des Morgens steht hingegen für die Präsenz des Lichtes und damit die Anwesenheit Jesu (vgl. 15,5: »… denn ohne mich könnt ihr nichts tun«). Jesus selbst ist das Licht und somit auch der Garant für das gelingende Leben seiner Anhänger (vgl. 1,4 f.9; 8,21; 12,46; s. a. 3,21; 9,5; 12,35 f.). Die zeitliche Angabe erfährt weitere Aufwertung, da der Morgen die Zeit der Auferstehungserscheinungen Jesu ist (20,1; Mk 16,2).
Sozial- und realgeschichtlicher Kontext Die Wendung »See von Tiberias« nimmt Bezug auf den Doppelnamen »See von Galiläa, (auch See) von Tiberias (genannt)« in Joh 6,1. Die Bezeichnung des Sees Gennesaret erfolgt nach der bedeutendsten Stadt an seinem Ufer, die um 19/20 n. Chr. von Herodes Antipas neu gegründet wurde (vgl. Fortner 2003). Tiberias lag ca. 5 km südlich von Magdala, dem diese Kaiser Tiberius gewidmete Stadt bald den Rang ablief. Die Bezeichnung als See Tiberias findet sich bei Josephus (Bell. 3,57; 4,456) und Pausanias (5,7,4), aber auch in den Sibyllinen (12,104) und in der rabbinischen Literatur (Labahn 2000, 82 f.). Fische wurden durch (Angel-)Haken und Stäbe (Stock, Speer, Dreizack oder Harpune) am See Gennesaret für den Eigenbedarf oder den Verkauf gefangen (zur Sozialgeschichte Voigt 2008, 70-74 mit weiterer Literatur; vgl. auch Nun 2001, 15-56). Daneben erfolgte der Fischfang durch Reusen und – größeren Wohlstand garantierend – durch Netze, bei denen zwischen Wurf-, Spiegel- und Schleppnetz unterschieden werden kann (zu den Fangtechniken z. B. Plato soph. 220c-221c; Ael. nat. 12,43). Das Wurfnetz wirft der Fischer im flachen Wasser auf einen Fischschwarm; es versinkt durch Gewichte am Außenrand des Netzes und wird über Seile eingezogen. Bei dem im Wasser ›stehenden‹ Auslegenetz werden die Fische in die Netzwand getrieben. Daneben findet sich die Verwendung eines Schleppnetzes, das – am Strand festgemacht – mit einem Boot oder zwischen zwei Booten gezogen werden kann (vgl. Dalman 1939a, 346-351; Edlund 1962, 483 und besonders Nun 2001, 25-39 [mit Abbildungen] zu den verschiedenen Typen von Netzen). Joh 21,6 spricht von dem Auswerfen (b€lete … t dfflktuon balete … to diktyon), Nachziehen und späteren Einholen des Netzes, was für die Verwendung eines Spiegelnetzes spricht (Nun 2001, 42 f.; Maiberger 1991, 675, nennt dieses Auslegenetz; anders Keener 2005, 1226: »circular throwing net«). Lk 5,5 weist darauf hin, dass am See Gennesaret das nächtliche Fischen als erfolgreicher angesehen wurde (so im narrativen Diskurs auch Joh 21,3; vgl. Wolter 2008, 212 f.). Allerdings findet sich bei Oppian aus Kilikien (2. Jh. n. Chr.) in seiner Halieutica das skeptische Urteil zur geeigneten Fangzeit überliefert: So viele Anschläge zur See der geschickten Fischer kenne ich und für so viele Fische bitteres Verderben. Die übrigen aber insgesamt trifft das gleiche Geschick der Reusen und Haken, des engmaschigen Netzes und der Wucht des Dreizacks, all dessen, was Menschen an geschicktem Gerät besitzen. Die einen bezwingt und fängt man bei Tage, andere bei Abend, wenn die Fischer mit der ersten Dämmerung der Nacht und bei brennenden Fackeln ihr hohles Boot lenken und den unbeweglichen Fischen dunkles Verderben bringen. Da stürzen die Fische froh über die ölige Flamme des Kienspans ums Boot, und mit dem
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Die Wundererzählungen im Johannesevangelium
Anblick des bösen Feuers am Abend treffen sie auf die Wucht des gnadenlosen Dreizacks (4,635-646, Übersetzung Fajen 1999, 267).
Neben der innerjohanneischen Symbolik von Licht und Finsternis ist der Morgen zugleich die häufig genannte Zeit für die Auferstehungserscheinungen Jesu (Lk 24,1.22; Joh 10,1; vgl. Mk 16,9). Damit wäre die Zeit des Fischens am anbrechenden Morgen eine Steigerung des Wunders, die der johanneischen Jesusdarstellung entspricht, dass Jesus das Licht zum Leben für seine Anhänger ist (s. o.). Die Nacktheit des Petrus entspricht seiner Arbeit als Fischer, wie es sich mit Hilfe antiker Mosaiken illustrieren lässt: Das Mosaik aus Sousse illustriert zudem unterschiedliche Fangarten mit Angel und Netz. Sehr schön sind auf diesem Mosaik auch unterschiedliche Fischarten dargestellt.
Abb. 16: Thalassa und die nackten Fischer, Mosaik aus Sousse, 5. Jh. n. Chr.
Eine Episode aus dem Seefahrtsmilieu illustriert, dass körperliche Arbeit nackt verrichtet wird. Herakles und seine Gefährten entkleiden sich, um ihr Schiff ins Meer zu verbringen: So also sprach er und machte sich als erster ans Werk; die anderen folgten seiner Aufforderung und erhoben sich ebenfalls. Ihre Kleider legten sie ab und stapelten sie auf einem glatten Felsen, den das Meer nicht mit seinen Wogen erreichte, den aber früher einmal die winterliche Salzflut abgespült hatte (Apoll. Rhod. 1,363-366; Übersetzung Glei/NatzelGlei 1996, 21.23).
Doch gibt es auch Mosaike, die Fischer wenigstens mit einem Tuch bekleidet darstellen. Man versuchte den Hinweis, dass Petrus sich bekleidet und in das Wasser springt, als ein Befestigen der Kleider vor dem Schwimmen zu bestimmen (z. B. Moloney 1998, 553). Nacktheit ist nach jüdischer Sitte verpönt, und niemand soll unbekleidet ein Gespräch führen (Barrett 1990, 555, mit Hinweis auf tBer 2,20 [5], wo der Friedensgruß als religiöse Handlung im Bad geregelt wird). Nacktheit ist, wenigstens jenseits athletischer Aktivitäten, auch nach einigen hellenistischen Texten deplatziert (Material jeweils bei Keener 2005, 1229 Anm. 29); es ist kein angemessenes Sozialverhalten, dem Lehrer bzw. Herrn nackt zu begegnen. Die Notiz kann auch als Feststellung der Scham verstanden werden. Sie verweist einerseits auf die Anwesenheit des auferstandenen Herrn, des768
Beim Mahl am Kohlenfeuer trifft man sich wieder Joh 21,1-14
Abb. 17: Fischer auf einem fischreichen See, Mosaik aus Sousse, 1. Jh. v.-3. Jh. n. Chr.
sen Epiphanie heilige Scheu auslöst und die so den Offenbarungscharakter des Wunders unterstreicht. Andererseits erinnert die Scham auch an das Versagen des Petrus bei der Verleugnung seiner Jüngerschaft Jesu im Hof des Hohepriesters (vgl. Joh 18,15-25). Auf diese Szene weisen sowohl das Kohlenfeuer in 21,9 (vgl. 18,18) als auch das dreimalige »Weide meine Lämmer« in 21,15-19 hin (Labahn 2009, 340). Die Verbindung des Versagens, die im Gewahrwerden der Nacktheit bei Petrus offengelegt wird, erinnert an Gen 3,7: Adam und Eva erkennen ihre Nacktheit als Folge der Verbotsübertretung, die sie vom Baum der Erkenntnis essen ließ. Der Akt der Scham des Petrus über sein zurückliegendes Versagen entspricht der Schulderkenntnis des Petrus in der lukanischen Parallele (Lk 5,8). Bei Lukas erfolgt die Schulderkenntnis allerdings aufgrund des Wunders vom außergewöhnlichen Fischfang, bei Johannes in der Begegnung mit dem »Herrn«.
Traditions- und religionsgeschichtlicher Hintergrund In der Antike gibt es eine beachtliche Spannbreite von Fischwundern. Eine markante Parallele zu Joh 21, in der die Anzahl der gefangenen Fische, nicht aber der Fangerfolg eine Rolle spielt, wird über Pythagoras erzählt (Porph. vit. Pyth. 25; Iamb. vit. Pyth. 36): … nun ging er von Sybaris nach Kroton und begegnete am Strande Fischern, gerade als das Netz beuteschwer aus der Meerestiefe geholt wurde. Da sagte er ihnen genau die Zahl der Fische voraus, die sie herausziehen würden. Die Männer erboten sich, falls er recht
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Die Wundererzählungen im Johannesevangelium
behielte, alles zu tun, was er befehlen würde. Er hieß sie den Fischen Leben und Freiheit schenken, nachdem sie sie vorher genau gezählt hätten. Und – noch ein größeres Wunder! – keiner der Fische, die doch während der langen Zeit des Zählens außerhalb des Wassers bleiben mußten, verendete, nur weil Pythagoras dabeistand. Er bezahlte den Fischern auch noch die Fische und kehrte nach Kroton zurück (Iamb. vit. Pyth. 36, Übersetzung Albrecht 1963, 43.45).
Das Fischwunder besteht in zwei überraschenden Momenten. Einerseits zeigt die genaue Kenntnis der Zahl der Fische die außergewöhnlichen Fähigkeiten des Pythagoras. Zugleich geschieht das Überleben der Fische bei dem langen Zählvorgang am Land gegen alle Erfahrung und stellt ein zweites wunderhaftes Geschehen dar. Beide Geschehnisse dienen der Propaganda des pythagoreischen »Vegetarismus«, der nach Iamblichus darin besteht, dass Pythagoras dazu anleitete, »nie etwas Beseeltes zu essen« (Iamb. vit. Pyth. 107; vgl. auch 225). Häufiger findet sich in der pythagoreischen Überlieferung der Ausschluss bestimmter Tiere oder einzelner Körperteile von Opfer und Verzehr, was Fische bzw. einzelne Fischarten, die den Göttern heilig sind, einschließt (Arist. fr. 157 Gigon; vgl. zu den pythagoreischen Speisevorschriften Riedweg 2002, 93-98). Die Unsicherheit der Seefahrt, aber v. a. die Unsicherheit des Fanges und die damit einhergehende Frage des Überlebens, verbinden Fischfang und religiös motivierten Dank bzw. Segenserwartung. Gott kann so als Garant/Geber des Fanges gelten: War da ein Fremder oder Kranker oder Alter, kochte ich die Fische, bereitete sie gut zu und brachte (davon) allen, wie es jeder nötig hatte, mit (ihnen) empfindend und leidend. Darum ließ der Herr mich auch viele Fische fangen, wenn ich auf Fischfang ging. Denn wer dem Nächsten gibt, empfängt vielfältig vom Herrn (TestSeb 6,5 f.; Übersetzung Becker 1974, 89).
In dem möglicherweise späteren Zusatz zu den Testamenten der Zwölf Patriarchen wird der göttlich gewährte Fangerfolg, der keine mirakulöse Interpretation erfährt, zur Motivation ethischer Handlung eingesetzt. Die Geschichte gehört in den weiteren Kontext religiöser Fischfangwunder, die der Motivierung ethisch-religiöser Werte dienen, vom pythagoreischen »Vegetarismus« hin zur alltäglichen Gastfreundschaft. Fangerfolg kann mit der Gottheit verbunden werden. In diesem Kontext lässt sich die symbolische Tiefendimension der johanneischen Geschichte verorten, die im Fangerfolg Offenbarungsqualität hat (vgl. Joh 2,11), aber auch eine missionarische Pointe entwickelt. Die Pointe der Fischfangthematik in Joh 21,3-11 ist mit der rätselhaften Zahl der 153 Fische in dem eingeholten Netz zu verbinden – eine stattliche Anzahl, die sich in der Auslegungs- und Forschungsgeschichte nicht zu einem tragfähigen Konsens verdichten ließ (einen kritischen Überblick über die Deutungsversuche gibt Culpepper 2006, 383394). Mit Culpepper lassen sich folgende Interpretationen unterscheiden: (a) Die literarisch-historische Interpretation sieht keine symbolische Bedeutung, da tatsächlich 153 Fische gefangen wurden bzw. der Text im Sinne der Augenzeugenfiktion das Wissen beansprucht, dass 153 Fische gefangen wurden (so Brown 1971, 1074); damit soll die Größe des Fanges betont werden (Koester 2003, 315). Weitere Deutungen sind (b) das Verständnis der 153 Fische als Völker, die der Kirche zugeführt wurden (Hieronymus), (c) Interpretationen, die mit Zahlenwerten oder Grundzahlen operieren; so weisen trigonometrische Analysen darauf hin, dass die Addition von 1+2+3 bis 17 die Zahl 153 ergibt, 770
Beim Mahl am Kohlenfeuer trifft man sich wieder Joh 21,1-14
wobei durch das Setzen von Punkten für diese Zahlen ein Dreieck entsteht. Bei Rissi (Rissi 1979) ergibt sich die Grundzahl 17 aus den fünf Broten und 12 Körben aus Joh 6,13. Zugleich wird so eine eucharistische Deutungslinie aufgebaut, die aber etwa begründen muss, warum die beiden Fische keine Rolle spielen. Weiterhin finden sich (d) symbolische Interpretationen, die v. a. an Fischsymbolik anknüpfen können (z. B. ICHTHYS: Jesus Christus, Gottes Sohn). Die Zahl 153 wird allerdings innerhalb des johanneischen Textes nicht erläutert, so dass die vielen Erklärungsversuche die Bedeutung der genauen Zahlangabe kaum aufdecken. Wenn nach Oppian von Kilikien 153 die Summe aller Fischarten in der Natur ist (so nach Hieronymus in seiner Predigt zu Ez 47,6-12 [PL 25, 474, C], mit dem einzigen Hinweis auf den kilikischen Dichter. Plin. nat. 9,43 unterscheidet Fische mit 74 Arten von Seekrustentieren mit 30 Arten), dann wäre dies im Rahmen der symbolischen Pointe des Wunders ein möglicher Fingerzeig für einen anvisierten Missionserfolg. Jede Deutung, die die Größe dieser Zahl unterstreicht und weitere sprachliche Elemente des Kontextes zu integrieren vermag (etwa die ekklesiologische Interpretation durch Nicklas 2003, 377 f., mit Hinweis auf das Netz, das nicht zerreißt [V. 11] oder bei Culpepper 2006, 402, der auch das Mahl selbst und das »Einziehen« des Netzes mit Hinweis auf 12,32 heranzieht), beansprucht Plausibilität, wobei der Erfolg des Fangens für eine missionarische Symbolik stehen kann, mit der »die Fülle aller potentiellen Glaubenden« (Thyen 2005, 786) unterstrichen wird.
Verstehensangebote und Deutungshorizonte Der episodische Aufbau und die Handlungsknoten zeigen, dass die Gesamtszene mehr als eine Pointe enthält. Durch die jeweiligen Spannungen sind die Leserinnen und Leser aufgefordert, eine symbolische Bedeutung zu erfassen. Daher kann die Geschichte am besten mit Craig Koester als »symbolic action« bezeichnet werden (Koester 2003, 134-136), deren missionarische Spitze er herausarbeitet. Dies ist auf die Textpragmatik anzuwenden, die nicht untypisch für das Johannesevangelium unterschiedliche Deutungshorizonte im Text selbst anlegt. (a) Zunächst geht es in der Fischfanggeschichte darum, dass sich Jesus seinen Jüngern als der auferstandene »Herr« offenbart. Dies wird in Wiederholungen (»es ist der Herr«) unterstrichen. Über die Ostererscheinungen von Joh 20 hinausgehend, wird der Auferstandene als der Mächtige, der seine Jünger nicht allein lässt (vgl. [d]), sondern in seinen Dienst stellt (vgl. [c]), dargestellt. Das Wunder dient als Offenbarungsgeschichte auch dem Erkennen der Identität des Auferstandenen mit dem Irdisch-Wirkenden, wie die an die Speisung der 5000 erinnernde Austeilung von Brot und Fisch zeigt (21,13 variiert 6,11). (b) Zugleich spricht der »Herr« die Jünger als »Kinder« an. Dies ist ein Begriff der johanneischen Ekklesiologie. Die Offenbarung des »Herrn« im Wunder zielt somit auf Gemeindebildung, so dass die Jüngeranrede Jesu ekklesiologische wie auch missionarische Interpretationen von Joh 21,1-14 unterstützt. (c) Das Wunder ist durch das Verlangen nach Nahrung motiviert, obgleich nirgends festgestellt wird, dass der Fang eine Bedeutung für die Mahlzeit hat. In dieser Perspektive kann die Spannung zwischen den gefangenen Fischen und dem Fisch und Brot 771
Die Wundererzählungen im Johannesevangelium
auf dem Kohlenfeuer zunächst als Symbol für eine darin abgeschattete Handlung, das Hinbringen von Menschen zu Jesus auf seine Anordnung hin, transparent werden. Das Bringen des gefangenen Fisches zielt in dieser Perspektive nicht auf das Essen, sondern auf die Teilnahme am Mahl. Jesus spricht vom »Bringen« des Fisches, und der Erzähler in V. 11 beschreibt den Erfolg des Fanges. Der wunderbare Fischfang – möglicherweise auch die rätselhafte Zahl 153 – handelt also in Kombination verschiedener Erzählmotive, die durch die aufgezeigten Störungen der Handlungslogik klar markiert sind, von durch die Fische symbolisierten Menschen, die zu Jesus gebracht werden und seine Identität erkennen. So stellt der Fang ein Symbol für die missionarische Aktivität der johanneischen Gemeinde dar (z. B. Thyen 2005, 786; vgl. auch Söding 2002, 216-218), die im auferstandenen Jesus begründet ist (vgl. Mt 28,16-20). (d) Der Hinweis, dass das Netz nicht zerreißt, unterstreicht einerseits die Größe des Fanges, verleiht aber zugleich der Festigkeit der gewonnenen Verbindung mit Jesus Ausdruck, wie es in den johanneischen Jesusworten von der Bewahrung der Anvertrauten eine Entsprechung findet (6,39; 18,9). An diesen Gedanken schließen sich oft die Interpretationen an, die in Joh 21,1-11 einen missionarischen (z. B. Koester 2003, 135) oder einen ekklesiologischen Deutungshorizont (z. B. Culpepper 2006, 402; Nicklas 2003, 377 f.) ermitteln. (e) Im abschließenden Mahlbericht, gelegentlich als »Höhepunkt der Erscheinungstradition« gewertet, wird die Offenbarung des Auferstandenen zu einer Episode bleibender Gemeinschaft der Jünger mit ihrem Herrn verdichtet (Schnelle 2004, 342). Für Ulrich Busse realisiert sich Jesus hierin »als das (vgl. 6,11), was er Kap. 6 über das Lebensbrot ausgeführt hatte« (Busse 2002, 206). Diese Deutungshorizonte schließen sich, wie die verschiedenen Interpretationen der johanneischen Wundererzählung belegen, auch für die moderne Auslegung nicht aus, sondern ergänzen sich zu einer Gesamtdeutung. Die Mahlgemeinschaft macht deutlich, dass die Offenbarung nicht Selbstzweck ist, sondern ihr Ziel in der Gemeinschaft mit den Jüngern hat. Sie setzt somit den Sendungsgedanken über die Rückkehr des gesandten (Gottes-)Sohnes an das Kreuz fort, dass auch der Auferstandene Gemeinschaft zum Leben gewährt: »Eine kleine Gruppe hat Jesus zum Leben wieder erkannt« (van Tilborg 2005, 311). Die missionarischen Deutungsebenen machen jedoch deutlich, dass es nicht um eine Selbstversicherung geht, sondern um eine Lebensgemeinschaft, die andere Menschen »einzufangen« sucht. In der intratextuell-redaktionsgeschichtlichen Deutung will Joh 21,1-14 als »relecture« von Joh 1-20 gelesen werden – und zwar durch verschiedene intratextuelle Bezugnahmen (Hasitschka 2008, 312-323). Diese sind von erheblicher Bedeutung für das Verstehen der Offenbarung Jesu beim Fischfang. Schon der Eingang erinnert an den Seewandel Jesu in 6,16-21. Die Wendung ¥p½ t»@ qal€ssh@ (epi te¯s thalasse¯s) kann wörtlich auch als »auf dem See« verstanden werden, meint aber im narrativen Kontext die Position am Ufer des Sees, möglicherweise mit Rückbezug auf den Seewandel Jesu (Keener 2005, 1227; zum See von Tiberias vgl. auch Joh 6,1). Vor diesem Hintergrund wird die Offenbarungsgeschichte zu einer Geschichte der Jüngerschaft zwischen Ferne und Nähe des Herrn. Zugleich unterstreichen die zahlreichen Parallelen zu Joh 1-20 die Identität des Auferstandenen mit dem Wirken des irdischen Jesus, dessen Zusagen (6,27.32.51) und Warnungen (15,5) durch die Offenbarungsgeschichte eingeholt werden (vgl. Hasitschka 2008, 322 f.). 772
Beim Mahl am Kohlenfeuer trifft man sich wieder Joh 21,1-14
Weiterhin will die Erzählung im Horizont der Mahlgeschichten in 6,1-15 (besonders anschaulich bei der Verteilung durch den ›Hausvater‹ Jesus: Joh 21,13; vgl. 6,11) und 13,1-20 gelesen werden (Hasitschka 1999). Zudem erinnert sie zurück an eine andere öffentliche Szene am Kohlenfeuer im Hof des Hohepriesters (18,18). Auf die Verleugnung des Petrus wird auch in 21,15-19 explizit zurückgegriffen, so dass die Episoden in Joh 21 sich mit der Frage nach der Rolle des Petrus nach seiner Verleugnung narrativ auseinandersetzen. Die Fischfanggeschichte thematisiert die Scham des Verleugners, 21,15-17 die Vergebung und seine Neubeauftragung. Zudem weisen die Jüngernamen auf zahlreiche johanneische Texte zurück (Simon Petrus; die beiden anderen Jünger [vgl. 1,35]; der Lieblingsjünger). Thomas wird in 11,16 und 20,24 als Didymus/Zwilling bezeichnet, so dass seine erneute Erwähnung in 21,2 ihn als den vorstellt, der den Zweifel durch sein Bekenntnis wirklich überwunden hat (vgl. Keener 2005, 1226). Natanaël ist in Joh 1-20 nicht mit Kana direkt verbunden, doch in V. 2 wird an die Erzählfolge 1,43-2,11 erinnert, was das Thema der Jüngerfindung und das Wunder des Herrlichkeit offenbarenden Überflusses von Wein umfasst.
Aspekte der Parallelüberlieferung und Wirkungsgeschichte Der wunderbare Fischfang und die in der Mahlgemeinschaft erfolgende Offenbarung greifen die Geschichte auf, die auch in Lk 5,1-11 erzählt wird. Sie spielt im Lukasevangelium während des irdischen Wirkens Jesu, bei Johannes wird sie hingegen als Erscheinungsgeschichte des Auferstandenen berichtet. Dafür spricht die übereinstimmende narrative Grundstruktur, die den erfolglosen Fischfang in der Nacht und die Begegnung mit Jesus, der eine erneute, nunmehr erfolgreiche Anstrengung fordert, einschließt. Daneben finden sich sprachliche und inhaltliche Übereinstimmungen (Blaskovic 2000, 43). Es ist umstritten, ob der narrative Rahmen und damit die chronologische Einordnung vor oder nach der Auferstehung Jesu bei Lukas oder bei Johannes ursprünglicher erhalten sind. Dies hat Auswirkung auf die Bestimmung der überlieferungsgeschichtlichen Entwicklung und somit des Verhältnisses der beiden Geschichten. Parallelität in Aufbau und sprachlich-semantischem Kernbestand sowie die Differenzen im johanneischen Endtext lassen an das Phänomen sekundärer Mündlichkeit (»secondary orality«) denken, bei der ein schriftlicher Text erneut den Weg in die mündliche Überlieferung findet (z. B. Labahn 2007). Die vorösterliche lukanische Wundergeschichte wurde somit in einer mündlichen Überlieferungsphase nacherzählt und neu gefasst und bildet so die Basis für das österliche Offenbarungswunder bei Johannes. Auch in dem von den drei anderen neutestamentlichen Evangelien unterschiedenen, so genannten »geistlichen Evangelium« (Clemens Alexandrinus nach Eus. h.e. 6,14,7), findet die Offenbarung Jesu nicht jenseits der Wirklichkeit menschlicher Lebenswelten statt. Diese sind durch Arbeit und die Last des Alltags gekennzeichnet. Die Jünger plagen sich um ihre Nahrung und dies kann gelegentlich auch ohne Erfolg sein (Joh 21,3). Diese Alltagserfahrung der Erfahrung des Angewiesenseins auf günstige Fang- und Witterungsbedingungen, die durch Jesu Forderung zum Auswerfen der Netze in Joh 21,6 eine Antwort erhält, variiert die Klage des Fischers in Billy Joels »Downeaster Alexa« (erschienen auf der CD »Storm Front« von 1989; zur Entstehungssituation im Kampf der Fischer von Long Island um ihr wirtschaftliches Überleben vgl. Radlmaier 2009, 180 f.): 773
Die Wundererzählungen im Johannesevangelium
I’ve got bills to pay and children who need clothes / I know there’s fish out there but where God only knows / They say these waters aren’t what they used to be / But I’ve got people back on Land who count on me. Joel macht sich für die Belange der Küstenfischer in seiner Heimat stark. Tatsächlich spiegelt auch die johanneische Offenbarungs- und Wundergeschichte die soziale Situation der Fischer am See Gennesaret mit ihren alltäglichen Sorgen wider: Es wird mitten im Leben erzählt und offenbart! Die Geschichte stellt die versammelten Jünger als eine Kooperative dar, die sich dem gemeinsamen Fischfang widmet (vgl. Stegemann/Stegemann 1997, 178). Der Fischereiberuf galt in der Antike als Plackerei und war stark von den Wirkungen der Witterung und dem Fangglück abhängig. Zudem sorgte eine hohe Abgabenlast dafür, dass der Beruf geringe Erträge und wenig soziale Perspektiven entwickelte (Voigt 2008, 71 f.). Selbst der Besitz eines Bootes, den Joh 21 scheinbar voraussetzt, räumt lediglich ein gegenüber Lohnarbeitern höheres soziales Niveau ein (Flav. Jos. Vit. 66 nennt Schiffer [naÐtai nautai] parallel neben Besitzlosen als Anhänger der Aufstandsbewegung in Tiberias). In jedem Fall sind die Jünger als Fischer analogen Zwängen ausgesetzt, auf die der Song von Joel reagiert und gegen die er protestiert. Für die Offenbarungsgeschichte in Joh 21 kann nur der, der sich in der Not als Helfender erweist, Grund aller Hoffnung sein. Die Lebenswirklichkeit verbindet die Fischfanggeschichte mit der Offenbarung Jesu, so dass sie den Alltag als Ort der Nähe des Herrn begreift. Der wunderbare Fischzug findet reiche Aufnahme in der Kunstgeschichte. Bei der Rezeption steht meist Lk 5,1-11 im Vordergrund. Der darstellerische Schwerpunkt wird gerne im befehlenden, berufenden bzw. sich selbst offenbarenden Jesus gesucht. So z. B. im Psalterium der Hl. Elisabeth, 13. Jh., in Cividale del Friuli, Museo Archeologico Nationale; hier ist die johanneische Version dargestellt mit dem befehlenden Herrn, dem sich schamhaft bedeckenden Petrus und den mit dem Netz ringenden Jüngern, die das »dominus est« (»es ist der Herr«) als Spruchband zugeordnet bekommen:
Abb. 18: Jesus begegnet den Jüngern auf dem See, Elisabethpsalter, Anfang 13. Jh.
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Beim Mahl am Kohlenfeuer trifft man sich wieder Joh 21,1-14
Oft wird die Geschichte in der Welt der Künstler nacherzählt, wie es anschaulich im wunderbaren Fischfang des aus Antwerpen stammenden Renaissancemalers Lodewijk Toeput (genannt Ludovico Pozzoserrato) geschieht (entstanden ca. 1587-1589, 84 156 cm):
Abb. 19: Lodewijk Toeput: Der wunderbare Fischfang, 1587
Indem die Jünger nur durch Tücher bedeckt sind, lässt Peter Paul Rubens in seiner Ölskizze »Der wunderbare Fischzug« (um 1610, 39 48 cm), anders als viele andere Darstellungen, in seiner Freude an Körperformen die Nacktheit der Jünger als Fischer erkennen. Die Anstrengung, mit der das volle Netz gezogen wird, wird durch die Anspannung der Muskulatur anschaulich. Da Rubens die Darstellung ohne Jesus auf die Jünger konzentriert, kommt das Wunder im Einholen des vollen Netzes als harte körperliche Anstrengung selbst in den Blick. Das soziale Moment der Arbeit der Fischer wird im Wunder anschaulich, wobei die Last des Alltags vom wunderbaren Erfolg der Arbeit abgelöst ist.
Abb. 20: Peter Paul Rubens, Der wunderbare Fischfang, um 1610
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Die Wundererzählungen im Johannesevangelium
Der Wundertäter des rezipierten Bibeltextes wird bei Rubens durch die dargestellte Anspannung der arbeitenden Figuren gefeiert; die angespannten Körper verweisen auf den reichen Fang, der die Macht des berufenden Meisters repräsentiert.
Abb. 21: »Auferstehungsfenster« von Bernhard Müller-Feyen, 1968
Das »Auferstehungsfenster« des aus Adenau stammenden Malers und Bildhauers Bernhard Müller-Feyen (1931-2004) zeigt eine stilisierte lichte Jesusgestalt vor locker angeordneten blau und grau-blau geschichteten Farbfragmenten, die an Wasserwellen und an das Morgengrauen erinnern. Die auf der Schautafel vollzogene Deutung auf die Erscheinung Jesu vor seinen Jünger nach Joh 21,7 (»Es ist der Herr«) kann sich zwar nicht auf Bilddetails oder bestätigende Symbole stützen, aber die Auferstehungsthematik und insbesondere die Farbgebung erinnern an den geographischen Rahmen von Joh 21. So verstanden stellt das »Auferstehungsfenster« die christologische Dimension der Episode in den Mittelpunkt; der Sonneneinfall gibt dem Bild zudem die Wärme des Heils, allerdings gerät die Bindung an die Last menschlichen Lebens, in der die Jünger die Zuwendung des Auferstandenen erfahren, in den Hintergrund.
Michael Labahn
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Beim Mahl am Kohlenfeuer trifft man sich wieder Joh 21,1-14
Literatur zum Weiterlesen R. A. Culpepper, Designs for the Church in the Imagery of John 21:1-14, in: J. Frey/J. van der Watt/R. Zimmermann (Hg.), Imagery in the Gospel of John, WUNT 200, Tübingen 2006, 369-402. M. Hasitschka, Die beiden »Zeichen« am See von Tiberias. Interpretation von Joh 6 in Verbindung mit Joh 21,1-14, SNTU 24 (1999), 85-102 M. Labahn, Fischen nach Bedeutung – Sinnstiftung im Wechsel literarischer Kontexte. Der wunderbare Fischfang in Johannes 21 zwischen Inter- und Intratextualität, SNTU 32 (2007), 115-140. M. Nun, Der See Genezareth und die Evangelien. Archäologische Forschungen eines jüdischen Fischers, Biblische Archäologie und Zeitgeschichte 10, Gießen/Basel 2001, 42-45. S. Radlmaier, Die Joel-Story. Billy Joel und seine deutsch-jüdische Familiengeschichte, München 2009. T. Söding, Erscheinung, Vergebung und Sendung. Joh 21 als Zeugnis entwickelten Osterglaubens, in: R. Bieringer/V. Koperski/B. Lataire (Hg.), Resurrection in the New Testament, FS J. Lambrecht, BEThL 165, Leuven 2002, 207-232. Internet http://www.kankeleit.de/fisch.htm Seite mit zahlreichen griechischen Mosaiken zur Fischwirtschaft (Zugriff: 31. 3. 2011).
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VI. Die Wundererzählungen in den apokryphen Evangelien
Hinführung Wunder Jesu werden nicht nur in den uns vertrauten kanonischen Evangelien erzählt, sondern auch in einigen Schriften, die vom Leben und Wirken Jesu berichten, aber nicht Teil des Neuen Testaments geworden sind. In den ersten Jahrhunderten der Kirchengeschichte gab es eine Vielzahl von Evangelienschriften, von denen einige allmählich zur maßgeblichen Richtschnur, zum Kanon, wurden, während andere ins Abseits gerieten: Sie wurden weniger überliefert, teilweise direkt bekämpft, teilweise aber auch als Ergänzung neben den kanonischen Evangelien weiter gelesen. Manche sind in Vergessenheit geraten und wurden erst durch Handschriftenfunde der Neuzeit vollständig oder nur in Bruchstücken wiederentdeckt. Andere sind in oft stark variierenden Fassungen in verschiedenen Sprachen erhalten. Inhaltlich und stilistisch sind apokryphe Evangelien sehr unterschiedlich (vgl. als Überblick Klauck 2005). Einige erzählen wie die kanonischen Evangelien die Lebensgeschichte Jesu und behandeln Worte, Taten und die Passion – soweit sich das sagen lässt, wenn nur kurze Stücke erhalten sind. Andere Evangelien überliefern ausschließlich Worte Jesu, kurze Sprüche und Gleichnisse oder auch längere Reden, durch die er seine Jüngerinnen und Jünger nach der Auferstehung belehrt. Die Kindheitsevangelien konzentrieren sich auf die Vorgeschichte, auf die Herkunft und Geburt Jesu und seine Zeit als Kind, das Nikodemusevangelium auf die Passion Jesu (Prozess und Abstieg in die Unterwelt). In vielen apokryphen Evangelien sind Beziehungen zu den kanonischen Evangelien erkennbar, die meisten sind vermutlich auch jünger als diese und im 2. Jh. oder noch weit später entstanden. Trotzdem bieten sie sowohl ganz eigenes Material als auch eine eigene Interpretation von bekannten Geschichten und geben so einen Einblick in die Vielfalt der theologischen Vorstellungen des frühen Christentums. Wunder Jesu finden sich keineswegs in allen apokryphen Evangelien. Die Mehrheit der erhaltenen Geschichten gehört zu den Kindheitsevangelien. Einige wenige Wunder des erwachsenen Jesus werden in allerdings oft nur fragmentarisch erhaltenen Schriften erzählt, häufig Varianten von aus den kanonischen Evangelien bekannten Wundererzählungen. Außerdem gibt es mitunter kurze Erwähnungen und Rückbezüge auf als bekannt vorausgesetzte Geschichten, in der Epistula Apostolorum als Zusammenfassung von Jesu Wirken, im Nikodemusevangelium durch den Auftritt von geheilten Personen beim Prozess Jesu. Aber viele Evangelien erzählen überhaupt keine Wunder Jesu – v. a. diejenigen nicht, die sich auf die Sprüche und Reden Jesu konzentrieren. Die Wundererzählungen in apokryphen Evangelien entsprechen teilweise den aus dem Neuen Testament bekannten Typen, bieten aber auch spezifische Akzente und eigene Formen. Wie in den kanonischen Evangelien sind Heilungen die wichtigste Art von Wundererzählungen. V. a. im arabischen Kindheitsevangelium spielen dabei mit dem Jesuskind verbundene Gegenstände wie seine Windel oder sein Badewasser eine Rolle: Heilungen werden durch sie bewirkt, ohne dass Jesus selbst als Wundertäter aktiv wird, obwohl die Wundermacht von ihm ausgeht. Ein Sonderfall von Heilungen sind die Rettungen von verzauberten, z. B. in ein Tier verwandelten Menschen. Vermittelt werden die Wunder in dieser Schrift oft durch Maria. Auch Totenauferweckungen kommen in apokryphen Evangelien vor, Exorzismen nur im arabischen Kindheitsevangelium. Da aber einige Schriften nur sehr fragmentarisch erhalten sind, lässt es sich nicht sicher 781
Die Wundererzählungen in den apokryphen Evangelien
sagen, was in ihnen einmal stand. Besonders in den Kindheitsevangelien gibt es auch Formen von Wundern, die in den kanonischen Evangelien nicht oder nur ganz vereinzelt zu finden sind: Strafwunder an Menschen fallen v. a. in der Kindheitserzählung des Thomas auf, wo Spielkameraden und Lehrer Jesu, die ihn ärgerlich machen, auf sein Wort hin sterben oder krank werden. Weitere Wunder beziehen sich auf Sachen und lösen ganz alltägliche Probleme mit einem zu kurzen Brett oder einem zerbrochenen Krug. Schließlich gibt es im Pseudomatthäusevangelium, aber auch im Nikodemusevangelium wundersame Huldigungen für Jesus durch Gegenstände oder Tiere: Götterbilder und wilde Tiere verneigen sich vor ihm und verehren ihn. Im Protevangelium des Jakobus ist schon die Geburt Jesu mit einem Wunder verbunden, im Petrusevangelium ist die Auferstehung so ausgestaltet, dass sie als Wundererzählung im Sinne des Kompendiums (siehe Zimmermann, Gesamteinleitung) verstanden werden kann. Die für das Kompendium ausgewählten Geschichten sollen die Vielfalt der verschiedenen Wundersorten sichtbar machen, deshalb sind bei den Kindheitsevangelien jeweils typische Geschichten ausgewählt, die repräsentativ für eine Sorte von Wundererzählungen sind. Außerhalb der Kindheitsevangelien sind weitgehend alle Geschichten erfasst, die gut genug erhalten und ausführlich und eigenständig genug für eine Bearbeitung sind.
Zu den Schriften Der folgende Abschnitt gibt einen kurzen Überblick über die Schriften, die Wundererzählungen enthalten und im Kompendium vertreten sind. Eine genauere Auseinandersetzung mit den jeweiligen Besonderheiten erfolgt, wenn nötig, in den einzelnen Beiträgen. Nur die Kindheitserzählung des Thomas wird hier ausführlicher behandelt, weil aus ihr insgesamt sechs Wundererzählungen bearbeitet werden. Das vermutlich älteste Kindheitsevangelium (2. Jh., vgl. Klauck 2005, 89 f.) ist das Protevangelium des Jakobus (Protev). Dieser Titel (übersetzt: »Erst-Evangelium«) ist modern, ursprünglich lautete er wohl »Geburt Marias. Offenbarung des Jakobus«. Mit Jakobus ist der Bruder Jesu gemeint (Mk 6,3 par.; Gal 1,19), der in der Schrift ein Sohn Josefs aus erster Ehe ist. Die Schrift handelt v. a. von Maria und beschreibt ihre Herkunft, ihre Geburt, ihr Aufwachsen im Tempel und die Ereignisse um ihre Schwangerschaft bis zur Geburt Jesu. Insbesondere ihre auch während und nach der Geburt bestehende Jungfräulichkeit – ganz körperlich verstanden – ist ein wichtiges Thema der Schrift. Das Protevangelium ist von den jüngeren Kindheitsevangelien aufgenommen worden, war weit verbreitet und hat großen Einfluss auf die Entwicklung von Legenden um Maria und die Marienfrömmigkeit gehabt. Die Geburt Jesu ist in dieser Schrift anders als in den kanonischen Evangelien mit Elementen einer Wundererzählung ausgestaltet und darüber hinaus mit einer Heilung verbunden: Durch die Berührung des Neugeborenen wird die Hand der Salome geheilt, die verdorrt war, weil sie die Jungfräulichkeit Marias nicht geglaubt, sondern überprüft hat. Die Kindheitserzählung des Thomas ist vermutlich in der zweiten Hälfte des 2. Jh. entstanden, vielleicht aber auch erst später – für die Datierung wichtig ist der Kirchenvater Irenäus (um 180 n. Chr.), der eine kurze Fassung der Episode von Jesus und seinem Lehrer (KThom 6; 14; Iren. haer. 1,20,1) wiedergibt. Wahrscheinlich nimmt er dabei auf 782
Hinführung
eine Schrift, wohl eine frühe Fassung von KThom, Bezug (so auch Klauck 2005, 100; Hartenstein 2010b); es ist aber auch denkbar, dass er eine mündlich umlaufende Einzeltradition verwendet. KThom ist in verschiedenen Übersetzungen mit teilweise erheblichen Unterschieden überliefert. Diese zahlreichen Handschriften zeigen die Beliebtheit, obwohl einige Kirchenväter die Kindheitserzählung bekämpfen. Der ursprüngliche Titel lautete vermutlich »Kindheitstaten Christi« (paidikÞ to‰ Cristo‰ – paidika tou Christou, vgl. Kaiser 2010, 254). Thomas – der in manchen Handschriften als Apostel, in anderen als israelitischer Philosoph näher bestimmt wird – gilt nur in einem Teil der Überlieferung (und zwar nicht dem ältesten) als Autor der Schrift. Zur Kindheitserzählung des Thomas gibt es eine große Anzahl Handschriften in verschiedenen Sprachen, die z. T. erheblich voneinander abweichen. Hierin zeigt sich einerseits die Verbreitung und Beliebtheit der Schrift, andererseits hat sie nie einen kanonischen Status erlangt, so dass der Text nicht einfach treu bewahrt wurde, sondern seine Weiterentwicklung möglich war. Abgefasst wurde KThom vermutlich auf Griechisch, obwohl auch manchmal ein syrischer Ursprung erwogen wird (vgl. Burke 2010, 175-188). Die meisten griechischen Handschriften stammen jedoch erst aus dem 14.-16. Jh. und bieten einen späten Text, der einige Episoden mehr enthält als ältere Handschriften; er lässt sich zudem noch in mehrere Rezensionen unterscheiden. Die heute verbreitetste Fassung von KThom folgt der so genannten Rezension A, die zuerst von Tischendorf (1815-1874) herausgegeben und in 19 Kapitel eingeteilt wurde (dieser Text ist auch die Basis von Cullmann 1990; Schneider 1995; Kaiser 2012 bietet diesen Text sowie die syrische Parallele). Erst seit kurzem zugänglich ist der Text der ältesten griechischen Handschrift, dem Codex Sabaiticus aus dem 11. Jh. (abgedruckt im Anhang von Aasgaard 2009, 219-241; ausführlich behandelt bei Burke 2010, 301-337; Synopse der griechischen Rezensionen a. a. O., 465-539). Er scheint eine frühere Fassung zu enthalten, weitere Untersuchungen zur genaueren Einordnung stehen aber noch aus. Die ältesten Handschriften des KThom sind zwei syrische aus dem 6. Jh. sowie eine nur fragmentarisch erhaltene lateinische aus dem 5. Jh. In beiden Sprachen gibt es noch weitere Handschriften in verschiedenen Versionen. Die ältesten Textzeugen enthalten einige Episoden nicht, und zwar (nach der üblichen Nummerierung der Rezension A) KThom 1; 10; 17 f.; zudem sind die vorhandenen Geschichten oft knapper wiedergegeben. Das Fehlen betrifft nicht nur einzelne Geschichten (die Heilung eines Holzfällers in 10, zwei Auferweckungen in 17 f.), sondern auch die Einleitung, in der Thomas als Verfasser der Schrift genannt ist. Die Zuschreibung an Thomas (selten auch an Jakobus) ist also eine spätere Entwicklung. Weitere Handschriften liegen auf Georgisch, jeweils zahlreiche in Kirchenslawisch und Äthiopisch vor. Sie bestätigen teilweise die ältesten Textfassungen und könnten evtl. Rückschlüsse auf eine griechische Fassung ermöglichen, die älter als die meisten vorliegenden griechischen Handschriften ist. Eine solche Rekonstruktion hat Santos Otero aus der kirchenslawischen Überlieferung versucht (Santos Otero 1967, 147-171). Insgesamt lässt sich folgende Entwicklung erkennen (vgl. Kaiser 2012, 934 f.; Aasgaard 2009, 14-16): Zum ältesten Bestand des KThom gehören 2-9; 11-16; 19 (bezeugt durch syrische, lateinische, georgische und äthiopische Handschriften), eine weitere Stufe umfasst noch 1 und 10 (bezeugt durch den griechischen Codex Sabaiticus), noch eine Erweiterung betrifft 17 f. (bezeugt durch griechische und kirchenslawische Handschriften). Daneben gibt es noch weitere Varianten in späten Handschriften, so eine Erweiterung ganz am Anfang (mit Episoden aus der Ägyptenreise der heiligen Familie) oder Kürzungen (einige griechische Handschriften umfassen nur 1-7; 9-11; 13). Der Bestand an Geschichten ist aber nur ein Teil des Problems, auch die Darstellung der einzelnen Episoden ist in den verschiedenen Handschriften unterschiedlich. Klare Entscheidun-
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Die Wundererzählungen in den apokryphen Evangelien
gen über Ursprünglichkeit sind keineswegs immer möglich. Vermutlich muss damit gerechnet werden, dass Strukturen mündlicher Überlieferung die weitere Entwicklung des schon schriftlich vorliegenden Textes beeinflusst haben (vgl. Aasgaard 2009, 14-33). Die Beiträge zu KThom im Kompendium gehen meist vom Codex Sabaiticus aus und beziehen Varianten je nach Text auf unterschiedliche Weise ein.
Die Kindheitserzählung des Thomas enthält Episoden von Jesus im Alter zwischen fünf und zwölf Jahren, während er mit seiner Familie in Nazaret lebt. Die Geschichten zeigen v. a. seine Macht: Jedes Wort von ihm wird sofort Wirklichkeit. Das gilt für aus Lehm geformte Spatzen, die auf sein Wort hin fliegen, aber auch für Flüche gegen Spielkameraden, die sofort sterben – beim heutigen Lesen sind diese Jesusgeschichten erschreckend, weil er jähzornig und unsympathisch wirkt. Die Episoden beschreiben aber durchaus normales kindliches Verhalten und neben Zorn zeigt er auch viel Hilfsbereitschaft. Es ist auch nicht erstaunlich, wenn Jesus mit einer Verwünschung auf ein anderes Kind, das sein Spiel stört, oder einen Lehrer, der ihn schlägt, reagiert – ungewöhnlich ist nur die Wirkung der ausgesprochenen Worte (vgl. Kaiser 2010, 267 f.). Es ist nicht das Interesse der Kindheitserzählung, das Jesuskind mit einem besonders vorbildlichen und liebevollen Charakter zu zeichnen, wie wir es vermutlich heute tun würden. Sondern es geht darum, seine Macht als Gottessohn schon in der Kindheit zu zeigen und ihn zugleich als Kind mit mitunter kindlich-unreifem Verhalten darzustellen (vgl. Kaiser 2011, 469479). Die Kindheitserzählung endet mit der aus Lk 2,41-52 bekannten Geschichte vom zwölfjährigen Jesus im Tempel. Aus KThom sind insgesamt sechs Episoden für die Bearbeitung im Kompendium ausgewählt, etwa die Hälfte der Wundererzählungen der Schrift (je nach Textfassung sind es 10-13). Sie bilden die Vielfalt der Gestaltung von Wundererzählungen in KThom ab, insbesondere auch Wunder an Sachen und Strafwunder: das Lebendigmachen von Lehmspatzen (KThom 2), das Verdorren eines Spielgefährten (KThom 3), die Auferweckung eines Spielgefährten (KThom 9), der wunderbare Ertrag eines Weizenkorns (KThom 12), die Streckung eines Brettes (KThom 13) und die Strafe für einen Lehrer (KThom 14). Als jüngere Kindheitsevangelien gelten das arabische Kindheitsevangelium (arabK) und das lateinisch verfasste Pseudomatthäusevangelium (PsMt), die erst aus dem 6. und 7. Jh. stammen und schon am Übergang zu mittelalterlichen Legenden stehen. Beide greifen das Protevangelium auf und schließen dann unterschiedliche Geschichten von der Flucht der heiligen Familie nach Ägypten an, also aus der Zeit von Jesus als Kleinkind; das arabische Kindheitsevangelium bietet auch einige Erzählungen aus der Zeit der Kindheit in Nazaret. Das PsMt ist in vielen Handschriften mit einer eigenen Version von KThom verbunden, die aber nicht zur Schrift gehört (Ehlen 2012, 984). Von den insgesamt zahlreichen Wundererzählungen – im arabK meist Heilungen, die indirekt vom Jesuskind ausgehen – aus diesen beiden Schriften sind nur einige besonders prägnante bearbeitet: Die Unterstützung durch die Palme auf dem Weg nach Ägypten (PsMt 20 f.), die Verehrung durch Götterbilder (PsMt 22-24) und eine Heilung durch die Windeln Jesu (arabK 11 f.). Die übrigen apokryphen Evangelien mit Wundererzählungen des erwachsenen Jesus haben weniger gemeinsam und sind bis auf das Nikodemusevangelium nur fragmentarisch erhalten. 784
Hinführung
Papyrus Egerton 2 besteht nur aus wenigen, schlecht erhaltenen Blättern mit einigen Geschichten aus dem Leben Jesu; wie die Schrift einmal hieß und wie sie genau aussah, ist unbekannt. Vermutlich handelt es sich bei ihm und auch beim Petrus- und beim Nazaräerevangelium um den Rest eines narrativen Evangeliums, das wie die kanonischen Evangelien von Worten, Taten und der Passion Jesu berichtete. Papyrus Egerton 2 gehört zu den ältesten bekannten christlichen Handschriften überhaupt, auch wenn sie heute nicht mehr wie bei der Entdeckung auf die Zeit um 150, sondern auf das Ende des 2. Jh. datiert wird. Der Papyrus enthält mehrere Wundererzählungen, darunter eine, die sich irgendwie auf den Jordan bezieht, die aber für eine Bearbeitung zu schlecht erhalten ist. Behandelt wird die besser lesbare Heilung eines Aussätzigen. Das Nazaräerevangelium (EvNaz) gehört zu den Evangelien, die in judenchristlichen Gruppen in Gebrauch waren. Vom ihm lassen sich einige kurze Stücke durch Erwähnungen von Kirchenvätern rekonstruieren, wobei allerdings die Zuordnung zu diesem Evangelium nicht immer eindeutig ist. Vermutlich ist es Mitte des 2. Jh. oder früher entstanden. Erhalten und im Kompendium behandelt ist eine Wundererzählung, die Heilung eines Maurers mit einer verdorrten Hand. Nochmals anderen Charakter hat das geheime Markusevangelium, das eine um einige Episoden erweiterte Fassung des bekannten Markusevangeliums darstellt, die in einem Brief des Kirchenvaters Clemens erhalten sind. Es könnte aus dem 2. Jh. stammen, allerdings wird die Echtheit der Textfragmente auch bestritten. Eines der beiden Fragmente enthält die Erzählung von der Auferweckung eines jungen Mannes. Deutlich jünger, vermutlich vom Anfang des 4. Jh., ist das Nikodemusevangelium (EvNik). Es ist ähnlich wie die Kindheitsevangelien im Mittelalter weit verbreitet, wird in viele Sprachen übersetzt und existiert in verschiedenen, teilweise sehr unterschiedlichen Fassungen. In ihm wird einerseits der Prozess gegen Jesus angeblich auf der Basis von Prozessakten des Pilatus beschrieben, andererseits der Abstieg Jesu in die Unterwelt zur Befreiung von bereits Verstorbenen. Durch diese thematische Ausrichtung enthält EvNik nur eine Wundererzählung, die Verehrung Jesu durch Standarten auf dem Weg zum Prozess vor Pilatus (EvNik 1,5 f.). An weitere, aus den kanonischen Evangelien bekannte Wundererzählungen wird durch beim Prozess auftretende Zeugen erinnert (EvNik 6 f.). Vom Petrusevangelium (EvPetr) gibt es mehrere Fragmente, darunter ein längeres mit einem großen Teil der Passionsgeschichte einschließlich Osternacht und -morgen. EvPetr stammt wohl aus der 1. Hälfte des 2. Jh. und setzt die kanonischen Evangelien voraus, verarbeitet den Stoff sowie weiteres Material aber zu einer eigenständigen Erzählung, in der Petrus teilweise als Erzähler fungiert. Aufgrund der fragmentarischen Überlieferung der Schrift fehlen Wundererzählungen aus der Zeit des irdischen Wirkens Jesu, die Auferweckung Jesu ist aber als ein Befreiungswunder aus dem Grab gestaltet (EvPetr 9,35-11,45). Die Datierung vieler apokrypher Evangelien ist unsicher, und die Wundererzählungen sind – anders als in den kanonischen Evangelien – an unterschiedliche Phasen des Wirkens Jesu, von der Kindheit bis zu Passion und Auferstehung, gebunden. Die Abfolge der Bearbeitungen im Kompendium orientiert sich deshalb an der Chronologie des Lebens Jesu.
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Die Wundererzählungen in den apokryphen Evangelien
Wundererzählungen in apokryphen Evangelien: Tendenzen der Entwicklung Obwohl sie in diesen verschiedenartigen Evangelien vorkommen, lassen sich einige Tendenzen der Entwicklung von Wundererzählungen im 2. Jh. gegenüber den kanonischen Evangelien erkennen. Angesichts des Gesamtbestandes an Wundererzählungen mit dem klaren Übergewicht von Kindheitsevangelien ist es aber gut möglich, dass vieles eher für diese Schriften als für apokryphe Evangelien allgemein gilt.
Konzentration auf Person und Wesen Jesu Die Wundererzählungen in apokryphen Evangelien konzentrieren sich stark auf Jesus und sein Wesen. Die Perspektive der Personen, zu deren Gunsten das Wunder geschieht, kommt dagegen nur wenig in den Blick; insgesamt erhöht sich auch der Anteil der auf Sachen bezogenen Wunder (dies gilt jedenfalls für KThom). Während in vielen Wundererzählungen der kanonischen Evangelien eine Begegnung zwischen Jesus und den Menschen, die von einem Wunder profitieren, stattfindet, die für letztere hilfreich und förderlich ist, spielt dies in apokryphen Evangelien seltener eine Rolle. Z. B. wird der Glaube der Hilfesuchenden kaum thematisiert, höchstens geht es um die Anerkennung von Jesu Macht. Auch das Wunder selbst und seine Bedeutung z. B. als Zeichen für das Anbrechen des Reiches Gottes treten zurück. Stattdessen steht Jesus als Person und Wundertäter im Mittelpunkt, es ist wichtig, was er kann, weil daraus folgt, wer er ist. Damit geht einher, dass die Wunder mitunter banaler werden, die theologische Bedeutung liegt weniger in der Handlung selbst, mehr in der durch sie ausgedrückten Macht. Eine Problematisierung der Rolle des Wundertäters fehlt dagegen, die Sicht Jesu konzentriert sich einseitig auf die Aspekte von Macht und Göttlichkeit (vgl. Kaiser 2011, 480 f.). Diese Tendenz gilt stark in den Kindheitsevangelien und ist vielleicht gerade für sie typisch. Eine Konzentration auf die Person und das Wesen Jesu zeigt sich auch in den Ausgestaltungen von Geburt und Auferstehung in Protev und EvPetr, bei denen das Wunder noch stärker auf Jesus allein bzw. im Protev auf Maria bezogen ist. Zugespitzt gesagt, verweisen die Wunder Jesu in den Schriften des 2. Jh. auf ihn selbst, nicht auf das Reich Gottes. Oder anders ausgedrückt: Es gibt eine Verschiebung von Wundern, die in eine Botschaft eingeordnet sind, hin zu Wundern, die in erster Linie die Fähigkeiten des Wundertäters demonstrieren. Gerade bei den nur fragmentarisch erhaltenen Evangelien ist es aber auch gut möglich, dass der theologische Zusammenhang, in dem die Wundererzählungen stehen, einfach nicht mehr erhalten ist.
Erzählerische Ausgestaltung und Veranschaulichung Eine weitere Tendenz besteht in einer Verstärkung der unterhaltsamen und erbaulichen Züge, die gut zur Konzentration auf die Person Jesu und zur geringeren theologischen Bedeutung der Wunder passt. Einzelheiten werden ausgestaltet und der Spaß am Erzählen wird sichtbar. Auch dies gilt besonders für die Kindheitsevangelien. Möglicherweise steht hiermit im Zusammenhang, dass sich die Kindheitsevangelien selber gar nicht Evangelien nennen; die Wundererzählungen stehen im Kontext von Schriften, die sich in Absicht und Kommunikationssituation von den kanonischen und anderen apokry786
Hinführung
phen Evangelien unterscheiden. Ihnen geht es weniger um Theologie und Heilsvermittlung als um eine Ergänzung dazu, nämlich um eine Illustration dessen, was theologisch schon bekannt ist. Die Kindheitsevangelien setzen schon voraus, dass Jesus als Gottes Sohn geboren wird und damit Heil verbunden ist, sie wollen diese theologische Aussage nicht begründen oder präzisieren. Stattdessen veranschaulichen sie die Konsequenzen dieser Aussagen durch Geschichten und verfestigen sie so. (Dies gilt jedenfalls für KThom, während Protev in Bezug auf die Mariologie durchaus inhaltlich Stellung bezieht.) Ähnlich verarbeitet EvPetr eine zentrale theologische Aussage, die Auferweckung Jesu, in eine Erzählung, in der das »Wunder« kunstvoll aus der Sicht der Soldaten geschildert wird. Möglicherweise dient dies nicht zum Beweis und zur Absicherung des Glaubens an die Auferweckung, sondern zur anschaulichen Umsetzung. Novellistische Züge finden sich aber auch im Papyrus Egerton 2 und im Nazaräerevangelium, in denen das Wunder erklärt wird, indem der Bittsteller seine Würdigkeit begründet. Dadurch bekommen die Wunder eine moralische Dimension, sie gelten Menschen, die sich gut verhalten haben oder verhalten werden.
Keine Ausweitung der Wunder des erwachsenen Jesus Schließlich stellt sich noch die Frage, warum so viele apokryphe Evangelien überhaupt keine Wundererzählungen enthalten; so fehlen sie z. B. im Thomasevangelium, im Mariaevangelium, in der Weisheit Jesu Christi und im Apokryphon des Johannes. Ihnen allen ist eine gewisse Geringschätzung von Körperlichkeit und materiell-irdischen Dingen sowie eine Hochschätzung von Geistigem, eigenem Nachdenken und theologisch-philosophischen Interessen gemeinsam. Das führt dazu, dass sie sich auf die Worte und Reden Jesu konzentrieren. Wundererzählungen passen da im Stil nicht, der Verzicht auf sie scheint aber auch eine inhaltliche Entscheidung zu sein. Denn in der Epistula Apostolorum geht es zwar auch hauptsächlich um Reden des Auferstandenen, diese Schrift teilt aber die Abwertung von Körperlichkeit nicht und bietet in einem einleitenden Teil kurze Nacherzählungen von verschiedenen Wundern. (Sonst gibt es in vergleichbaren Schriften nur noch im EvJud CT p.33,6-9 am Anfang eine summarische Erwähnung von Wundern: »Als er auf der Erde erschien, vollbrachte er Zeichen und große Wunder zum Heil der Menschheit«. Diese Bemerkung ist aber vermutlich ironisch zu verstehen.) Die in den kanonischen Evangelien erkennbare Ambivalenz gegenüber Wundern, die einerseits wichtige Taten Jesu sind, andererseits aber nur begrenzt ein Verständnis seiner Person ermöglichen, scheint sich ab dem 2. Jh. auf verschiedene Schriften aufzuteilen: Die einen schätzen und erzählen Wunder und finden in ihnen unproblematisch zentrale Aussagen über Jesus wieder. Die anderen vermeiden Wundererzählungen, weil das Entscheidende im Wort, nicht in den Taten zu finden ist. Relativiert wird dieser Gegensatz aber dadurch, dass die wunderlosen Schriften wahrscheinlich mit Jesustraditionen einschließlich Wundererzählungen vertraut sind; dass sie sie nicht aufgreifen und weiterentwickeln, muss keine grundsätzliche Ablehnung, sondern kann einfach eine andere Schwerpunktsetzung bedeuten. In der praktischen Missionsarbeit können in den Gemeinden erlebte Wunder durchaus eine positive Rolle gespielt haben, zumindest wirft Irenäus gnostischen Gruppen – den Gruppen, von denen wunderlose Evangelien stammen – magische Praktiken vor (Iren. haer. 2,31,2 f.; 32,3-5). Auch wenn Irenäus hier seinen Gegnern nur Magie und Tricks zugesteht und bei ihnen 787
Die Wundererzählungen in den apokryphen Evangelien
selbst eine Geringschätzung von Wundern erkennt, spricht seine Polemik doch für eine gewisse Bedeutung der Wunder. Es bleibt aber der Befund, dass die Wunder des erwachsenen Jesus in diesen Kreisen weder eine zentrale Rolle spielen noch in Evangelienschriften ausgestaltet und erweitert werden. Ein massiver Ausbau von Wundererzählungen findet sich überhaupt nur im Bereich der Kindheit Jesu – und dann wieder in den Apostelakten. Für die Wirkungszeit des erwachsenen Jesus gibt es bei den Wundererzählungen anders als bei der Spruchüberlieferung (z. B. Gleichnissen) keine nennenswerte Vermehrung des Stoffes, es sind fast keine gegenüber dem kanonischen Bestand neuen Geschichten überliefert.
Judith Hartenstein Grundlegende Literatur zu den Wundererzählungen in den apokryphen Evangelien Textsammlungen und Einführungen P. Foster, Die apokryphen Evangelien. Eine kleine Einführung, Stuttgart 2011. H.-J. Klauck, Apokryphe Evangelien. Eine Einführung, Stuttgart 22005. D. Lührmann, Fragmente apokryph gewordener Evangelien in griechischer und lateinischer Sprache, MThSt 59, Marburg 2000. C. Markschies/J. Schröter (Hg.), Antike christliche Apokryphen in deutscher Übersetzung, Band 1: Evangelien und Verwandtes, 2 Teilbände, Tübingen 72012. Weitere Literatur R. Aasgaard, The Childhood of Jesus. Decoding the Apocryphal Infancy Gospel of Thomas, Eugene 2009. J. B. Bauer, Wunder Jesu in den Apokryphen, in: J. Pichler/C. Heil (Hg.), Heilungen und Wunder. Theologische, historische und medizinische Zugänge. Darmstadt 2007, 203-214. T. Burke, De infantia Jesu Evangelium Thomae Graece, CChr.SA 17, Turnhout 2010. O. Cullmann, Kindheitsevangelien, in: W. Schneemelcher (Hg.), Neutestamentliche Apokryphen in deutscher Übersetzung, Bd. 1: Evangelien, Tübingen 61990, 330-372. O. Ehlen, Das Pseudo-Matthäusevangelium, in: C. Markschies/J. Schröter (Hg.), Antike Christliche Apokryphen in deutscher Übersetzung, Band I/2, Tübingen 2012, 983-1002. J. Hartenstein, Art. Das Kindheitsevangelium des Thomas, in: WiBiLex (2010) (www.wibilex.de). U. U. Kaiser, Jesus als Kind. Neuere Forschungen zur Jesusüberlieferung in den apokryphen »Kindheitsevangelien«, in: J. Frey/J. Schröter (Hg.), Jesus in apokryphen Evangelienüberlieferungen. Beiträge zu außerkanonischen Jesusüberlieferungen aus verschiedenen Sprach- und Kulturkreisen, WUNT 254, Tübingen 2010, 253-269. Dies., Die sogenannte »Kindheitserzählung des Thomas«. Überlegungen zur Darstellung Jesu als Kind, deren Intention und Rezeption, in: C. Clivaz et al. (Hg.), Infancy Gospels. Stories and Identities, WUNT 281, Tübingen 2011, 459-481. Dies., Die Kindheitserzählung des Thomas, in: C. Markschies/J. Schröter (Hg.), Antike Christliche Apokryphen in deutscher Übersetzung, Band I/2, Tübingen 72012, 930-959.
788
Wunder in den apokryphen Evangelien Nr.
ApokEvvFaden
Titel
Wunder im Protevangelium des Jakobus (Protev) 1 Protev 18-20 »Schmücke dich, Höhle, denn die Jungfrau kommt, um zu gebären« (Wunderbare Geburt) Wunder im Pseudomatthäusevangelium (PsMt) 1 PsMt 13,2-5 Wunderbare Geburt / Heilung der Hebamme
2 3
PsMt 18f. PsMt 20 f.
Parallelstellen
davon kommentiert im Kompendium
AscJes 10; latK 69-75; arabK 3; PsMt 13,2-5
Protev 18-20
Protev 18-20; AscJes 9; latK 69-75; arabK 3
Protev 18-20
Jesus zähmt Drachen und wilde Tiere Die kooperative Palme Koran Sure 19,23-25 (Die Palme, die sich neigt) 4 PsMt 22,1 Verkürzung der Reise 5 PsMt 22-24 Interreligiöser Konsens arabK 10; 23 (Götterbilder stürzen) Wunder im arabischen Kindheitsevangelium (arabK) 1 arabK 3 Wunderbare Geburt / Heilung Protev 18-20; AscJes 9; latK 69-75; PsMt 13,2-5 2 arabK 8 Unzerstörbare Windel 3 arabK 10 Götterbilder stürzen PsMt 22-24; arabK 23 4 arabK 11 f. Ein mächtiges Kopftuch (Die wunderwirkende Windel Jesu) 5 arabK 15 Die stumme Braut 6 arabK 16 Eine vom Satan besessene Frau 7 arabK 17 Badewasser Jesu heilt aussätziges Mädchen 8 arabK 18 Badewasser Jesu heilt aussätzigen Jungen 9 arabK 19 Heilung eines Impotenten 10 arabK 20-22 Der in ein Maultier verwandelte junge Mann 11 arabK 23 Götterbilder stürzen arabK 10; PsMt 22-24 arabK 25 Summarium 12 arabK 27 Badewasser Jesu heilt kranken Jungen 13 arabK 28 Badewasser Jesu heilt blinden Jungen 14 arabK 29 Zwei Söhne von zwei Frauen
PsMt 20 f.
PsMt 22-24
Protev 18-20
PsMt 22-24 arabK 11 f.
PsMt 22-24
789
Die Wundererzählungen in apokryphen Evangelien Nr.
ApokEvvFaden
Titel
15
arabK 30
16 17 18 19 20
arabK 31 arabK 32 arabK 33f. arabK 35 arabK 36
Heilung eines Zwillings (Bartholomäus) Aussätzige Frau Weitere aussätzige Frau Besessenes Mädchen Besessener Judas Vögel aus Lehm
21 22 23 24
arabK 37 arabK 38f. arabK 40 arabK 42
25
arabK 43
26 27 28
arabK 44 arabK 45 arabK 46
Wunderbares Färben von Kleidern Die Streckung des Bretts Kinder als Zicklein Heilung des Simon (Zelotes) von einem Schlangenbiss Heilung des Jakobus von einem Schlangenbiss Der vom Dach gestürzte Junge Wasser im Gewand Erschaffung der Spatzen
Parallelstellen
davon kommentiert im Kompendium
KThom 2; arabK 46
KThom 2
KThom 13
KThom 13
KThom 16
KThom 9 KThom 11 KThom 2; arabK 36 29 arabK 46 f. Der verdorrte Junge KThom 3 30 arabK 47 Der Jesus anstoßende Junge stirbt KThom 4 31 arabK 49 Der Knabe Jesus kennt die Buchstaben KThom 14 Wunder in der Kindheitserzählung des Thomas (KThom) 1 KThom 2 Spielender Schöpfer arabK 36; 46; (Erschaffung der Spatzen) Koran Sure 3,49 2 KThom 3 Anhaltende Trockenheit arabK 46 f. (Die Verfluchung des Sohnes des Annas) 3 KThom 4 Der Jesus anstoßende Junge stirbt arabK 47 4 KThom 5 Eltern, die Jesus anklagen, erblinden 5 KThom 9 Erweckung eines verunglückten Spiel- arabK 44 kameraden (Junge auf dem Dach) 6 KThom 10 Heilung des Holzhackers 7 KThom 11 Wasser im Gewand arabK 45 8 KThom 12 Heimlicher Wohltäter (Die wunderbare Vermehrung der Saat) 9 KThom 13 Nichts ist unmöglich – mit Jesus arabK 38f. (Die Streckung des Bretts) 10 KThom 14 Ein aufmüpfiger Schüler arabK 49 (Der Knabe Jesus kennt die Buchstaben)
790
KThom 9 KThom 2 KThom 3 KThom 3 KThom 14 KThom 2 KThom 3
KThom 9
KThom 12
KThom 13 KThom 14
Die Wundererzählungen in apokryphen Evangelien Nr.
ApokEvvFaden
11
KThom 16
Titel
Heilung des Jakobus von einem Schlangenbiss 12 KThom 17 Auferweckung eines Kindes 13 KThom 18 Auferweckung eines Bauarbeiters Wunder im Papyrus Egerton 2 (P.Egerton 2) 1 P.Egerton 2, »Werde rein … und sündige nicht Frgm. 1 mehr!« (P.Köln 255) (Heilung eines Aussätzigen) P.Egerton 2, Jesus sät in den Jordan Frgm. 2 (sehr fragmentarisch) Wunder im Nazaräerevangelium (EvNaz) 1 EvNaz 4; Hilfe zur Selbstständigkeit Hier. comm. (Der Kranke mit der ›verdorrten in Matt. zu Mt Hand‹ als Maurer) 12,13 Wunder in den Epistolae Apostolorum (EpAp) 1 EpAp 5,1f. Weinwunder zu Kana 2 EpAp 5,3 Der Kranke mit der verdorrten Hand
Parallelstellen
davon kommentiert im Kompendium
arabK 43
Mk 1,40-45; Mt 8,1-4; Lk 5,12-16
Mk 1,40-45; Lk 5,12-16; P.Egerton 2, Frgm. 1
Mk 3,1-6; Mt 12,9-14; Lk 6,6-11; EpAp 5,3
Mk 3,1-6; Mt 12,9-14; Lk 6,6-11; EvNaz 4
Joh 2,1-11 Mk 3,1-6; Mt 12,9-14; Lk 6,6-11; EvNaz 4 Mk 5,21-43; Mt 9,18-26; Lk 8,40-56; EvNik 7
Joh 2,1-11 Mk 3,1-6; Mt 12,9-14; EvNaz 4
Mk 5,1-20; Mt 8,28-34; Lk 8,26-39 Mk 6,45-52; Mt 14,22-33; Joh 6,16-25 Mt 17,24-27 Mk 6,30-44; Mt 14,13-21; Lk 9,10-17; Joh 6,1-15
Mk 5,1-20; Mt 8,28-34
2
3
EpAp 5,4-7
Heilung der blutflüssigen Frau
4
EpAp 5,8 EpAp 5,9f.
Summarium Heilung des Besessenen (von Gerasa)
5
EpAp 5,11
Jesu Erscheinen auf dem See
6 7
EpAp 5,12f. EpAp 5,14f.
Die Zahlung der Tempelsteuer Speisung der Fünftausend
Wunder im geheimen Markusevangelium (gehMk) 1 gehMk Auferweckung zur Taufe Frgm. 1 (Auferweckung eines Jünglings) Wunder im Nikodemusevangelium (EvNik) 1 EvNik 1,5f. Der Kaiser erweist Jesus die Ehre (Sich neigende Standarten)
(Joh 11,1-12,11)
Mk 5,21-43; Mt 9,18-26; Lk 8,40-56
Mk 6,45-52; Mt 14,22-33; Joh 6,16-25 Mt 17,24-27 Mk 6,30-44; Mt 14,13-21; Lk 9,10-17; Joh 6,1-15 gehMk Frgm. 1; (Joh 11,112,11) EvNik 1,5f.
791
Die Wundererzählungen in apokryphen Evangelien Nr.
ApokEvvFaden
Titel
Parallelstellen
2
EvNik 6
Die Heilung eines Gelähmten
3
EvNik 6
Die Heilung eines Blinden
Mk 2,1-12; Mt 9,1-8; Lk 5,17-26; Joh 5,1-18 Mk 10,46-52; Mt 20,29-34; Lk 18,35-43 Joh 9,1-41
Summarium (Kurzzusammenfassung von zwei weiteren Wundern) 4 EvNik 7 Die Heilung der blutenden Frau Mk 5,21-43; Mt 9,18-26; Lk 8,40-56; EpAp 5,4-7 Wunder im Petrusevangelium 1 EvPetr Wunderbare Befreiung aus dem Grab Mt 28,2-4; 9,35-11,45 (Graböffnung und Auferstehung) (AscJes 3,16 f.)
davon kommentiert im Kompendium Mk 2,1-12; Lk 5,17-26; Joh 5,1-18 Mk 10,46-52; Mt 20,29-34; Lk 18,35-43 Joh 9,1-41
EvNik 6
792
Mk 5,21-43; Mt 9,18-26; Lk 8,40-56
EvPetr 9,35-11,45
»Schmücke dich, Höhle, denn die Jungfrau kommt, um zu gebären« (Wunderbare Geburt) Protev 18-20
(18,1) Und Josef fand dort eine Höhle und führte sie [Maria] hinein und ließ seine Söhne bei ihr und ging hinaus, um eine hebräische Hebamme in der Gegend von Betlehem zu suchen. (19,1) Und er fand eine, die gerade vom Berg herunterkam, und er nahm sie mit und Josef sagte zu der Hebamme: »Maria ist mit mir verlobt; aber sie hat ihre Empfängnis vom heiligen Geist, nachdem sie im Tempel des Herrn aufgezogen worden ist.« Und sie ging mit ihm. (2) Und sie traten in den Ort der Höhle. Und es war da eine finstere Wolke, die die Höhle bedeckte. Und die Hebamme sagte: »Erhoben wurde meine Seele heute, weil meine Augen heute Wunderbares gesehen haben, weil Israel Rettung zuteil geworden ist.« Und sofort zog sich die Wolke aus der Höhle zurück, und es erschien ein großes Licht in der Höhle, so dass die Augen es nicht ertragen konnten. Und kurz danach zog sich jenes Licht zurück, bis ein kleines Kind erschien. Und es ging hin und nahm die Brust seiner Mutter Maria. Und es schrie die Hebamme auf: »Wie groß ist der heutige Tag, weil ich diesen wunderbaren Anblick gesehen habe!« (3) Und die Hebamme kam aus der Höhle heraus und es begegnete ihr Salome und sie sagte ihr: »Salome, Salome, einen wunderbaren Anblick habe ich dir zu erzählen: Eine Jungfrau hat geboren, was ihre Natur nicht zulässt.« Und Salome sagte: »So wahr der Herr mein Gott, lebt! Wenn ich nicht hinlege meinen Finger und ihren Zustand untersuche, so werde ich nicht glauben, dass eine Jungfrau geboren hat.« (20,1) Und sie ging hinein und legte sie bereit, und Salome untersuchte ihre Natur. Und Salome schrie auf, weil sie den lebendigen Gott versucht hatte: »Und siehe, meine Hand fällt von Feuer (verzehrt) von mir ab.« (2) Und sie betete zum Herrn. Und die Hebamme wurde in jener Stunde geheilt. (3) Und siehe, da stand ein Engel des Herrn bei Salome und sagte: »Dein Gebet wurde vor Gott, dem Herrn, erhört. Komm her und berühre das Kind, so wird es dir zur Rettung werden.« (4) Und sie tat so. Und Salome wurde geheilt, als sie ihm huldigte, und sie ging aus der Höhle hinaus. Siehe, ein Engel des Herrn erhob seine Stimme: »Salome, Salome, verkündige, was du Wunderbares gesehen hast, bis der Knabe nach Jerusalem kommen wird.« Das Protoevangelium des Jakobus (Protev) aus dem 2. Jh. n. Chr. existiert in zahlreichen Versionen, die sich in Umfang und Sprache deutlich voneinander unterscheiden. Auf diese Weise ist die Überlieferungsfrage wie bei vielen anderen apokryphen Schriften schwierig zu bestimmen (Pellegrini 2012, 907-910; Cullmann 1999, 334-336). Die hier 793
Die Wundererzählungen in apokryphen Evangelien
vorgestellte Übersetzung basiert auf dem ältesten uns bekannten griechischen Papyrus »Bodmer 5« aus dem 3./4. Jh., in dem Kapitel 19 direkt an 18,1 anschließt. Die Epiphanie des Kindes (19,2) erfüllt verschiedene Kriterien der Gattung »Wundergeschichte« und findet deshalb auch ihren Platz in diesem Kompendium. Die Wichtigsten seien genannt: Die Epiphanie ist als Tat des Wundertäters Jesus geschildert, der selbst erscheint und die Brust seiner Mutter nimmt. Diese Erscheinung löst bei der Hebamme Staunen aus und wird auf die Wirkung göttlicher Kraft zurückgeführt (19,3). Das Straf- und Heiligungswunder an Salome (20,1.4) kann an dieser Stelle nur peripher behandelt werden.
Sprachlich-narratologische Analyse Die Geschichte der Geburt Jesu im Protev hat seine Vorgeschichte bereits in Kapitel 17: Josef ist mit Maria und seinen Söhnen aus erster Ehe auf dem Weg nach Betlehem. Als auf halber Strecke die Wehen bei Maria einsetzen (17,3), findet Josef eine Höhle und lässt seine Familie dort zurück (18,1). Damit beginnt die eigentliche Erzählung der Geburtsgeschichte Jesu (19-20). Sie lässt sich in fünf Teile gliedern. I (19,1)
II (19,2)
III (19,3)
IV (20,1-4a)
V (20,4b)
Ort
außerhalb der Höhle
in der Höhle
außerhalb der Höhle
in der Höhle
außerhalb der Höhle
Personen
Josef/ Hebamme
Josef/Hebamme Kind/Maria
Hebamme/ Salome
Salome/Engel Kind/Maria
Salome/ Engel
Figurenrede Hebamme – Wundererzählung – Figurenrede Hebamme
Figurenrede Hebamme und Salome
Wunder + Figurenrede Salome – Gebet – Figurenrede Engel + Wundererzählung
Figurenrede Engel
Erzählmodus Figurenrede Josef
Der erste, mittlere und letzte Teil spielt sich außerhalb der Höhle ab und ist besonders durch die direkte wörtliche Figurenrede bestimmt, die beiden übrigen Teile sind in der Höhle zu lokalisieren. In diesen stehen die Wunder und die Reaktion der Figuren im Fokus. Jeder Teil wird von Figurenpaaren bestimmt (Hebamme mit Josef; Hebamme und Salome; Salome mit Engel). In der Höhle tritt das Kind mit Maria hinzu. Hierbei bleibt Maria passiv (Eltrop/Janssen 2007, 799), das Kind aktiv. Im Zentrum steht nicht die Erzählung des Wunders, sondern der Dialog von Hebamme und Salome bezüglich der Jungfrauengeburt. Dieser zeigt die beiden unterschiedlichen Umgangsweisen mit dem Wunder auf und spiegelt möglicherweise eine Diskussion innerhalb des Leserkreises ab. Dann verkörpern die Hebamme und Salome jeweils eine Position in der Debatte um die wunderbare Geburt: Die eine nimmt das Wunder an, die andere verlangt erst nach Beweisen. Die Epiphanie des Kindes (19,2) ist kunstvoll gestaltet. Parallel wird berichtet, wie sich zunächst die Wolke zurückzieht und dann das Licht erscheint, woraufhin sich das 794
»Schmücke dich, Höhle, denn die Jungfrau kommt, um zu gebären« Protev 18-20
Licht zurückzieht und das Kind erscheint. Dabei besitzt dieser formale Parallelismus allerdings eine kontrastive Aussage. Aus der dunklen Wolke geht das (helle) Licht hervor, aus dem großen Licht das kleine Kind.
Sozial- und realgeschichtlicher Kontext Der Beruf der Hebamme war bereits im alten Israel bekannt und positiv besetzt. So lesen wir von den Hebammen der Rachel (Gen 35,17) und der Tamar (Gen 38,28), ebenfalls von denen der Hebräer in Ägypten, die sich gegen den Befehl des Pharaos stellten und die hebräischen Jungen am Leben ließen (Ex 1,15-17). Die Aufgabe der Hebamme bestand im Besonderen darin, bei der Geburt behilflich zu sein (Gen 38,28), also die Nabelschnur zu durchtrennen, das neugeborene Kind mit Wasser abzuwaschen, mit Salz einzureiben und in Windeln zu wickeln (Ez 16,4). Wenn keine Hebamme zu erreichen war, konnten wohl auch Bekannte und Verwandte diese Aufgaben übernehmen (1Sam 4,20) oder sogar die Mutter selbst (Lk 2,7). Diese Aufgaben erforderten praktisches Geschick und jahrelange Erfahrung. So waren viele Hebammen in der Antike schon außerhalb ihres gebärfähigen Alters und hatten meist selbst bereits Kinder geboren. Das im Jahre 117 n. Chr. durch den Arzt Soranus von Ephesus entwickelte Idealbild einer Hebamme forderte neben dieser praktischen Erfahrung Wissen über Hygiene, Therapie und einen integren Charakter (Dierichs 2002, 196 f.). Die Hebamme und Salome fungieren in dieser Erzählung beide als Zeugen für die wunderbare Geburt Jesu und die damit verbundene Jungfräulichkeit Marias (19,3; Auftrag in 20,4). Als Experten auf diesem Gebiet waren sie besonders glaubwürdig. Dabei setzt das biblische Judentum voraus, dass eine Sache von mindestens zwei Zeugen bestätigt werden muss (Dtn 19,6; Mt 18,16).
Traditions- und religionsgeschichtlicher Hintergrund Die Erzählung der Geburt Jesu greift verschiedene biblische und pagane Traditionen auf. Die Figur der Salome ist aus dem Markusevangelium bekannt. Sie ist bei der Kreuzigung Jesu zugegen, nachdem sie Jesus bereits seit Galiläa gefolgt ist (Mk 15,40 f.), und erhält die Auferstehungsbotschaft des Engels am Grab (Mk 16,1-8). Ihr Ausspruch in Protev 19,3 erinnert an die alttestamentliche Eidesleistung (»So wahr x lebt!«: Ex 22,9 f.; Ri 8,19) und verbindet diese mit den Worten des Apostels Thomas (Ehlen 2004, 166) im Johannesevangelium (20,24-26): Während die anderen Schüler Thomas von der Erscheinung des Auferstandenen berichten, will dieser erst glauben, wenn er seine Finger in die Male der Nägel und die Seite Jesu als Beweis gelegt hat. Dabei finden sich wörtliche Übereinstimmungen zwischen Joh 20,25 und Protev 19,3: »Und wenn ich nicht hinlege meinen Finger (¥Þn mh […] b€lw tn d€ktuln mou ean me¯ […] balo¯ ton daktylon mou), werde ich nicht glauben (o' m¼ pisteÐsw ou me¯ pisteuso¯)«. Die Epiphanie Jesu wird durch die Worte der Hebamme gerahmt. Sie weisen Reminiszenzen an den Beginn des Magnifikats in Lk 1,46 (»Groß macht meine Seele den Herrn«) und den Anfang des Lobpreises Simeons in Lk 2,30 (»weil meine Augen deine Rettung sahen«) auf. 795
Die Wundererzählungen in apokryphen Evangelien
Auch finden sich bei Lk 2,21-40 mit Hanna und Simon zwei Zeugen, die die besondere Bedeutung der Geburt Jesu für das Heil herausstellen. Ein Engel des Herrn ist besonders aus den kanonischen Kindheitsgeschichten (Mt 1 f.; Lk 1) bekannt, wo er wie in Protev als Bote Gottes fungiert. Des Weiteren ist es ein in der Antike weit verbreiteter Topos, dass die Geburt wichtiger Persönlichkeiten oder Götter mit Lichteffekten verbunden ist, da die Götter selbst im göttlichen Licht wohnen (Böcher 1991, 85). So wird etwa von Alexander dem Großen berichtet, dass der Strahl eines Blitzes seine Geburt begleitete (Plut. Alex. 2,2 f.). Besondere Aufmerksamkeit soll dabei auf den römischen Gott Mithras gelegt werden, der in einer Höhle aus einem Felsen geboren wurde. Während die Höhle in der biblischen Literatur hauptsächlich als Grabstätte (Gen 23,9; 49,30; Joh 11,38) oder Versteck (Jos 10,18; Ri 6,2; 1Sam 22,1) dient, ist die Höhle nicht nur im Mythos Ort der Geburt des Mithras und der Befreiung der Welt (Clauss 1990, 74), sondern hat ebenfalls ihren zentralen Platz im geheimen Mithraskult. Die Mysten versammeln sich dabei in einer dunklen und unterirdischen Höhle, die sie durch künstliches Licht erhellen (Merkelbach 1998, 133 f.), so dass der Gott durch sein Kultbild »erscheint«. Im Verlauf der Mysterienfeier wird der Mythos des Mithras vergegenwärtigt, die Mysten partizipieren auf diese Weise an der Rettung, die durch Mithras geschehen ist. Dieses gesamte Geschehen wird schließlich durch einen kurzen Kommentar gedeutet (Klauck 1995, 81). Es ist also durchaus möglich, dass die Erzählung der Geburt Jesu im Protev eine Verbindung zum Gott Mithras und seinem Kult aufzeigen wollte. Dieser wird aufgenommen, modifiziert und gesteigert. Auch die Hebamme deutet den wunderbaren Anblick dieses Schauspiels als Rettung, die allerdings nicht nur denen, die anwesend sind, zuteil wird, sondern ganz Israel (19,2). Außerdem wird die »Erscheinung« Jesu gegenüber der des Mithras dadurch gesteigert, dass sie nicht durch Menschen, sondern durch die Natur vorbereitet wird, indem eine Wolke und ein großes Licht erscheinen. Letzteres ist durch die Geburt Christi nicht mehr nötig, während die Kultbilder des Mithras in der Höhle ohne das Licht verschwinden würden. Dass ein solcher Zusammenhang zwischen Mithras(kult) und Jesus prinzipiell gesehen wurde, zeigt sich in der weiteren Tradition, wenn das spätere PsMt 13 von einer »unterirdischen Höhle« spricht und die Ostkirche Maria, die Gottesgebärerin, später mit der Vorstellung vom Fels verbindet, der Christus gebiert (Clauss 1990, 176).
Verstehensangebote und Deutungshorizonte Das Wunder von der Erscheinung Jesu in Protev 19,2 lässt sich in mehrfacher Hinsicht auslegen. Die theologische Deutung will die theologische Kernaussage der Wundererzählung aufzeigen. So wird Jesus nach alttestamentlichem Vorbild als göttliches Kind dargestellt, wie es Jes 9,1-6 verheißt. So kann das Prophetenwort (9,1) über das Volk, das in der Finsternis (¥n sktei en skotei) wandelt und ein großes Licht (f@ mffga pho¯s mega) sieht, in unserer Erzählung (19,2) von einer finsteren (skotein¼ skoteine¯) Wolke und einem großen Licht (f@ mffga pho¯s mega) verarbeitet sein. Diese Lichterscheinung weist auf die Geburt eines Kindes, das über sein Reich auf dem Thron Davids als Friedensfürst für alle Zeiten herrschen wird (Jes 9,5 f.). Verbinden wir diese Aussage mit den Ver796
»Schmücke dich, Höhle, denn die Jungfrau kommt, um zu gebären« Protev 18-20
heißungen von Jes 7,14LXX, in denen das Kind von einer Jungfrau geboren wird, wäre diese theologische Deutung im engeren Sinne nicht nur christologisch und eschatologisch, sondern auch mariologisch zu verstehen. Im Verständnis von Protev 19 ist es Jesus, mit dessen Geburt das Reich Gottes beginnt und der für Israel Rettung bedeutet. Diesen Bezug stellt die Hebamme in ihrer ersten Rede her (19,2). Des Weiteren ist eine sozialgeschichtliche, näher hin feministische Deutung möglich. Die Hebammen, die einen typischen Frauenberuf ausüben, fungieren in der Erzählung als Zeuginnen für die wunderbare Geburt des Kindes. Nun dürfen aber nach dem jüdischen Recht allein Männer als Zeugen auftreten. Doch an dieser Stelle erfahren nicht nur Frauen als Erste von der Geburt des Retters, sondern sollen diese auch als Erste bezeugen. Zieht man zudem noch einmal eine Verbindung zum Mithraskult, der allein Männern vorbehalten und mit einer Schweigepflicht verbunden war, unterstreicht dies die »untypische« Rolle beider Frauen. Die Aufgabe, Zeugnis für das Wunder der Geburt Jesu abzulegen, geht nicht an denen vorbei, die für den geschichtlichen Kontext »nur« Frauen sind.
Aspekte der Parallelüberlieferung und Wirkungsgeschichte Die Schilderung der Geburt Jesu in Protev erscheint zunächst ganz anders, als sie uns aus den kanonischen Kindheitsgeschichten nach Matthäus (Mt 2) und Lukas (Lk 1 f.) bekannt ist. Gemeinsam ist ihnen lediglich eine Grunderzählung: Maria und Josef sind verlobt, Maria ist schwanger aus heiligem Geist und gebiert einen Sohn, der als Retter für das Volk dargestellt wird. Übereinstimmungen finden sich im weiteren Verlauf. Fremde und anonyme Menschen (Magier; Hirten; Hebamme) werden durch einen Vermittler (Herodes und Stern; Engel; Josef) zu Jesus hingeführt. Sie reagieren positiv auf die Geburt Jesu. Deutlich treten aber auch die Unterschiede hervor. Die Notiz von den Josefsöhnen (18,1) ist singulär. So ist in Protev 19,2 der Geburtsort Jesu eine Höhle, während im Matthäusevangelium die Magier das bereits geborene Kind in einem Haus (Mt 1,11) auffinden und in der Erzählung des Lukas die Jungfrau Maria ihren Sohn in einen Futtertrog legt (Lk 2,7). Zuletzt ist festzustellen, dass die kanonischen Kindheitsevangelien die Geburt Jesu schlicht mit den Worten »sie gebar einen Sohn« (Mt 1,25; Lk 2,7) konstatieren. Protev dagegen hat die Szene zwar ausschmückt, ohne aber die näheren Umstände des Geburtsvorganges zu nennen. Das Kind »erscheint« (19,2). Die Wirkungsgeschichte des Protev 19 ist für eine apokryphe Schrift beachtlich. So spielt das Motiv der Geburt Jesu in einer Höhle etwa in der Liturgie der Ostkirche – wie der in der Überschrift zitierte Vers zeigt – eine zentrale Rolle, ebenso in deren Kunst, wo besonders auf die Ikonendarstellungen aus dem Katharinenkloster am Sinai zu verweisen ist. Motive aus Protev 19 finden sich ebenfalls in der AscJes, die von einer Vision des Propheten Jesaja erzählt. In AscJes 11,7 schaut er die Geburtsgeschichte Jesu: Maria und Josef sind allein in seinem Haus, als die schwangere Maria plötzlich ein kleines Kind erblickt. Das plötzliche Erscheinen des Kindes erinnert dabei an Protev 19,2, auch wenn die Umstände andere sind. Das lateinische PsMt aus dem frühen Mittelalter berichtet von den ersten Lebensjahren Jesu und folgt der Intention, die verschiedenen Traditionen (z. B. Protev, Lk) zu harmonisieren. Die Erzählung der Geburt Jesu in PsMt 13 ist durch Motive der luka797
Die Wundererzählungen in apokryphen Evangelien
nischen Kindheitserzählung gerahmt. Josef macht sich aufgrund des Erlasses des Kaisers Augustus nach Betlehem auf (13,1). Danach orientiert sich der Erzählverlauf an Protev 19. Josef lässt Maria in einer unterirdischen Höhle zurück, die beim Eintritt Marias aber in göttlichem Licht leuchtet (13,2), und macht sich auf die Suche nach Hebammen. Er findet zwei, die beide an dieser Stelle Namen erhalten – Zelomi und Salome –, und bringt sie zur Höhle. Beide sehen nun den »starken Glanz« und treten nacheinander ein. Zelomi staunt über die mit Milch gefüllten Brüste Marias, stellt aber keine Geburtsanzeichen fest. Ihr Fazit lautet eindeutig: »Als Jungfrau hat sie empfangen, als Jungfrau geboren, Jungfrau ist sie geblieben« (13,3). Nachdem Salome die Worte gehört hat, zweifelt sie diese an und will selbst den Zustand Marias überprüfen. Bald darauf, am dritten Tag nach der Geburt, zieht Maria um, von einer Höhle in einen Stall, neben Ochs und Esel (PsMt 14). Hier ist der Text dann wieder von der lukanischen Rede der Futterkrippe, die einen Stall assoziieren kann, bestimmt. Das latKEv ist wohl das jüngste (13. Jh.) der hier besprochenen Texte. Erstens wird hier das Kind selbst mit dem Licht identifiziert, das zusätzlich noch besser riecht als »aller Wohlgeruch von Salböl« (latKEv 73; s. Plut. Alex. 4,2). Zweitens ist Simeon, der Sohn Josefs, die Figur, die von der Hebamme – hier trägt sie den Namen Zachel (69) – anstelle von Salome etwas über diese »heilige Vision« erfährt. Er glaubt sofort.
Matthias Berghorn Literatur zum Weiterlesen M. Clauss, Mithras. Kult und Mysterien, München 1990. O. Cullmann, Kindheitsevangelien, in: W. Schneemelcher (Hg.), Neutestamentliche Apokryphen in deutscher Übersetzung, Bd. 1: Evangelien, Tübingen 61990, 330-372. A. Dierichs, Von der Götter Geburt und der Frauen Niederkunft, Mainz 2002. R. Merkelbach, Mithras. Ein persisch-römischer Mysterienkult, Wiesbaden 1998. G. Schneider, Evangelia Infantiae Apocrypha. Apocryphe Kindheitsevangelien. Griechisch/Latein/Deutsch, FC 18, Freiburg et al. 1995.
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Die kooperative Palme (Die Palme, die sich neigt) PsMt 20 f. (Koran Sure 19,23-25) Der folgende Text stammt aus dem so genannten apokryphen Pseudomatthäusevangelium, das in mehreren lateinischen Handschriften aus dem Mittelalter erhalten ist und zwischen dem 7. und 9. Jh. n. Chr. verschriftlicht wurde (Gijsel 1997, 67; Ehlen 2012, 984 f.; Klauck 2005, 105: Anfang 7. Jh.; Schneider 1995, 69-66; Cullmann 1990, 364: 8./ 9. Jh.). Im PsMt werden ältere Quellen und Traditionen aufgenommen und verarbeitet, z. T. aus anderen Kindheitsgeschichten (Mt 1 f.; Lk 1 f.; Protev;), z. T. aus uns unbekannten Quellen oder mündlichen Überlieferungen. Die Wunderüberlieferung in PsMt betont positive Züge der Wundertaten des kindlichen Jesus. Strafwunder (wie in KThom, s. u.) fehlen, dafür gibt es Erzählungen von Rettungen oder Geschichten, in denen niemand zu Schaden kommt. Zu diesen Erzählungen gehört auch die Geschichte von einer besonderen Palme, auf die der kleine Jesus und seine Eltern auf der Reise nach Ägypten treffen. Übersetzung (lateinischer Text bei Schneider 1995, 236-240) (20,1) Es geschah aber am dritten Tag ihrer Reise, dass Maria von der außerordentlichen Glut der Sonne in der Wüste erschöpft wurde, und als sie einen Palmenbaum sah, sagte sie zu Josef: »Ich möchte in seinem Schatten ein bisschen ausruhen.« Josef aber führte sie schnell zu der Palme und half ihr, von dem Lasttier abzusteigen. Als Maria sich hingesetzt hatte, blickte sie auf zur Krone der Palme und sah sie voller Früchte, und sie sagte zu Josef: »Ich möchte, wenn es denn möglich ist, von diesen Früchten der Palme genießen.« Und Josef sagte zu ihr: »Ich wundere mich, dass du dies sagst, denn du siehst doch, wie groß die Höhe dieser Palme ist, und dass du trotzdem daran denkst, von den Früchten der Palme zu essen. Ich denke vielmehr über unseren Mangel an Wasser nach, weil es uns schon in den Schläuchen zur Neige geht und wir nichts haben, wovon wir uns und die Lasttiere am Leben erhalten können.« (2) Da sagte der kleine Jesus, der mit fröhlichem Gesicht auf dem Schoß seiner Mutter saß, zu der Palme: »Beuge dich, Baum, und erfrische meine Mutter mit deinen Früchten.« Und auf diese Anrufung hin neigte die Palme sofort ihren Wipfel bis zu den Füßen Marias, und sie sammelten von ihr Früchte, durch die alle wieder hergestellt wurden. Nachdem nun alle ihre Obstfrüchte gesammelt waren, blieb sie gebeugt, erwartend, sich auf Befehl dessen wieder aufzurichten, auf dessen Befehl sie sich gebeugt hatte. Da sagte Jesus zu ihr: »Richte dich auf, Palme, und stärke dich, und sei Gefährtin meiner Bäume, die im Paradies meines Vaters sind. Öffne aber aus deinen Wurzeln eine Wasserader, die in der Erde verborgen ist, und aus ihr sollen Wasser fließen, um unseren Durst zu stillen.« Und sofort richtete sich die Palme auf, und an ihren Wurzeln fingen ganz klare und frische und süße Wasserquellen an zu sprudeln. Als sie die Wasserquellen sahen, freuten sie sich mit großer Freude und sie stillten ihren Durst, zusammen mit allen 799
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Lasttieren und Menschen und dankten Gott. (21) Am nächsten Tag aber reisten sie von dort weiter, und in der Stunde, in der sie sich auf den Weg machten, sagte Jesus zu der Palme gewandt: »Dieses Privileg gebe ich dir, Palme, dass einer von deinen Zweigen von meinen Engeln übertragen und im Paradies meines Vaters gepflanzt wird. Diesen Lobpreis will ich dir zukommen lassen, dass allen, die in irgendeinem Wettkampf siegen, gesagt werden wird: ›Euch ist die Palme des Sieges zuteil geworden!‹« Als er dies sagte, siehe, da erschien ein Engel des Herrn, der stand über dem Palmenbaum, nahm einen von seinen Zweigen und flog zum Himmel, den Zweig in seiner Hand. Als sie dies sahen, fielen sie auf ihr Gesicht und waren wie Tote. Jesus sprach sie an und sagte: »Warum erfasst Schrecken eure Herzen? Wisst ihr nicht, dass diese Palme, die ich ins Paradies übertragen ließ, bereit sein wird für alle Heiligen am Ort der Genüsse, so wie sie für euch in der Wüste bereit war?« Und sie standen alle auf, erfüllt von Freude.
Sprachlich-narratologische Analyse Der Text findet sich in jenem Abschnitt von PsMt, der die Erlebnisse auf der Reise nach Ägypten erzählt und damit eine Leerstelle in Mt 2,12-21 ausfüllt, da dort zwar vom Kindermord in Betlehem berichtet wird, wir aber nichts Näheres von der Reise und dem Geschick der Jesusfamilie in Ägypten erfahren. Im Gegensatz zu anderen Passagen des PsMt gibt es für den ägyptischen Abschnitt keine Vorlage in den früheren Kindheitserzählungen von Protev oder KThom. Auf der Reise nach Ägypten vollbringt der kleine Jesus mehrere Wunder: Zunächst bringt er Drachen dazu, ihm zu huldigen (PsMt 18); dann zähmt er Löwen und andere wilde Tiere, was dazu führt, dass sie die Familie auf ihrem Weg begleiten (PsMt 19). Auf die oben übersetzte Geschichte von der Palme folgt noch eine weitere Reise-Episode, in der Jesus den zurückzulegenden Weg von 30 Tagen auf nur einen verkürzt (PsMt 22,1), so dass die Familie in Ägypten früher als erwartet eintrifft. Die Ereignisse in Ägypten selbst beginnen dann mit der Geschichte von den niederstürzenden Götterbildern (PsMt 22,2-24; vgl. dazu Standhartinger in diesem Band). Die beiden der Palmen-Erzählung vorangehenden Geschichten sind als Erfüllungen alttestamentlicher Prophezeihungen konzipiert: In einem Psalmvers ist von der Zähmung der Drachen die Rede (vgl. Ps 148,7) und im Jesajabuch wird das friedliche Zusammenleben wilder Tiere angekündigt (vgl. Jes 11,6 f.). In beiden Geschichten werden die entsprechenden Bibelverse auch zitiert. In der Palmen-Erzählung fehlt dagegen ein Zitat, und es ist auch nicht ersichtlich, inwiefern es sich bei der Erzählung um eine auf Jesus gedeutete Erfüllung einer alttestamentlichen Weissagung handeln könnte. Die Geschichte besteht aus einer Problemexposition, in der Nahrungs- und Wassermangel der Jesusfamilie expliziert werden (20,1), gefolgt von der von Jesus und der Palme bewerkstelligten Rettung der Familie aus der Notsituation (20,2). Der nächste Abschnitt (21) thematisiert die Belohnung der Palme für ihre ungewöhnliche Kooperationsbereitschaft. Dieser Teil (21) wirkt wie eine nachträgliche Explikation des Jesuswortes aus 20,2, das der Palme den Paradiesaufenthalt verheißt: Nun wird erzählt, wie sie (oder zumindest ein Teil von ihr) mit Hilfe eines Engels dorthin gelangt. 800
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Innerhalb der Erzählung wechseln narrative Passagen und wörtliche Rede einander ab. Dabei verschieben sich die Personenkonstellationen: In der Problemexposition reden zunächst nur Maria und Josef: Maria artikuliert ihr Begehren nach den Datteln, Josef die Bedrohung durch den Wassermangel. Im folgenden Text ist es dann ausschließlich der kleine Jesus, der das Wort ergreift und somit als Hauptakteur der Geschichte dargestellt wird. Jesus gelingt es dabei, nur durch Reden die Bedrohlichkeit der Situation abzuwenden – mit Hilfe der schweigenden Kooperation der Palme. Er ist hier Vermittlungsfigur zwischen anderen Menschen und der Natur. Der abschließende Teil beginnt, wie schon die Gesamtgeschichte, mit einer Zeitangabe. Wieder ist Jesus die einzige redende Person, unterstützt diesmal von einem Engel, der einen Palmzweig in den Himmel transportiert. Die Wundererzählung hat dabei einen Überschuss: Nicht nur wird die lebensbedrohliche Situation des Wassermangels abgewendet, sondern auch das Begehren Marias gestillt und die Palme als himmlische Pflanze etabliert: Jesus bewerkstelligt mit kindlicher Freude mehr, als für einfaches Überleben in der Wüste nötig gewesen wäre.
Sozial- und realgeschichtlicher Kontext Hilfreich für das Verständnis der Geschichte sind zunächst einige Hintergrundinformationen zu Botanik und Kulturgeschichte von Palmen (vgl. Omara Tayel 1988, 9-12; Fischer 1881). Die Palme wird in der Geschichte als Palmenbaum (arbor palmae) oder einfach als palma bezeichnet; erwähnt werden ihre »Früchte«, d. h. botanisch gesehen handelt es sich hier um eine echte Dattelpalme (Phoenix dactylifera) aus der Familie der Palmen (Arecaceae), eine alte Kulturpflanze aus dem Orient, die eine Wuchshöhe von bis zu 30 Metern erreichten kann. Die bis zu 40 gefiederten lebenden Blätter stehen im oberen Teil des Stammes als Schopf, jährlich wachsen 10-20 Blätter nach, die unteren sterben von der Basis her ab und werden bei kultivierten Palmen entfernt, so dass kein Dickicht entsteht und andere Kulturpflanzen im Schatten der Palmen wachsen können. Der Stamm ist sehr elastisch und bricht im Wind nicht. Sowohl die Höhe als auch die Biegsamkeit des Stammes bilden die realistischen Voraussetzungen der Erzählung aus PsMt. Dattelpalmen sind zweihäusig, d. h. es gibt »männliche« und »weibliche« Palmen, nur die Letzteren tragen Datteln, wozu ihre Blüten von den Pollen einer männlichen Dattelpalme befruchtet werden müssen. Neue Palmen entstehen aus Kernen der Datteln oder Schößlingen, die Übertragung eines Palmzweiges, wie in PsMt 21 geschildert, führt unter irdischen (nicht paradiesischen) Bedingungen keinesfalls zur Entstehung einer neuen Pflanze. Die Dattelpalme erreicht ihre Blühfähigkeit mit 7-10 Jahren und kann über 100 Jahre alt werden. Sie ist eine Wüstenpflanze, die warme trockene Sommer bevorzugt; sie wächst neben Ägypten in ganz Nordafrika, in Arabien, Mesopotamien, Persien bis nach Nordindien; in nördlicheren Gebieten wie Italien ist sie unfruchtbar. Ihre Wurzel ist eine Pfahlwurzel, die sehr rasch in die Tiefe wächst und auf einen Zugang zum Grundwasser angewiesen ist: »Füße im Wasser, Kopf in der Sonnenglut« (Omara Tayel 1988, 11). Auf diesem Hintergrund sind auch die Wasserquellen aus den Wurzeln der Palme in PsMt 20,2 verständlich. In Ägypten werden die Datteln je nach Region und Sorte zwischen September und November geerntet, ein Baum kann 75 bis 100 kg tragen. Die Datteln haben einen aus801
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gesprochen hohen Nährwert, da sie nicht nur leicht verdauliche Zuckerarten, sondern auch Eiweiß, Mineralsalze und Vitamine enthalten. Die Datteln können frisch gegessen werden, sie eignen sich jedoch auch getrocknet als Proviant (etwa für Karawanen in der Wüste) und lassen sich vielfältig weiterverarbeiten. Als Nahrungsquelle besonders in Wüstengegenden ist die Bedeutung der Dattelpalme kaum zu überschätzen; dementsprechend reichen auch die Zeugnisse für ihre Nutzung als Kulturpflanze so weit zurück, dass das Ursprungsland ihrer Kultivierung nicht mehr auszumachen ist.
Traditions- und religionsgeschichtlicher Hintergrund In der biblischen Überlieferung werden gelegentlich bestimmte Orte durch Verweis auf ihren Palmenreichtum charakterisiert (so z. B. Elim in Ex 15,27; Num 33,7 und Jericho in Dtn 34,3; 2Chr 28,15 u. ö.); Debora hat ihren Sitz als Richterin unter einer Palme (Ri 4,5). Palmenstämme und palmenförmige Ornamente spielen auch in der Architektur eine große Rolle, so insbes. in ägyptischen Bauwerken, deren Säulen oftmals nach dem Vorbild von Palmen gestaltet sind, sowie bei der Ausgestaltung des Jerusalemer Tempels (vgl. 1Kön 6; Ez 40 f. u. ö.). Palmzweige werden im Zusammenhang von Festen und feierlichen Zeremonien verwendet (vgl. Lev 23,40; Neh 8,15; 2Makk 10,7; 14,4; Offb 7,9); beim Einzug Jesu in Jerusalem ist nur in der johanneischen Version spezifisch von Palmzweigen die Rede (Joh 12,13). Die Überreichung von Palmzweigen als Siegeszeichen, die in PsMt 21 der Palme durch Jesus zugesprochen wird, ist eine griechisch-römische Sitte, zunehmend verbreitet seit der Kaiserzeit und in paganen Quellen auf Theseus oder Herakles zurückgeführt (vgl. Ziegler 1979, 801).
Verstehensangebote und Deutungshorizonte Die Sekundärliteratur äußert sich nur spärlich zur Deutung der Geschichte. Nach Schneider steht hinter der Erzählung »das Motiv vom (paradiesischen) Lebensbaum« (Schneider 1995, 237). Dieser Baum des Lebens (vgl. Gen 2,9; 3,22) wird allerdings dort nicht als Palme identifiziert; und die Palme aus PsMt 20 f. wächst nicht schon im Paradies, sondern muss erst dorthin transferiert werden. Weiterführender scheint deshalb ein anderer, ebenfalls bei Schneider erwähnter Deutungsansatz: In Analogie zu PsMt 18 f., wo Jesus sich als Herrscher über Tiere erweist, mit diesen kommuniziert und sie zur Hilfe bewegt, geschieht Ähnliches nun auch im Hinblick auf das Pflanzenreich. Auch botanisch gesehen wird so eine Harmonie mit der Natur hergestellt. Die Palme ist dabei quasi vermenschlicht: Sie versteht Jesu Rede und befolgt sie, wobei sie sich nicht nur neigt, sondern sogar die Aufforderung zur Wiederaufrichtung abwartet, nachdem sie ihre eigentliche Aufgabe der Nahrungsspendung schon erfüllt hat. Sie verhält sich also wie ein menschliches Wesen vor einem Herrscher, dem sie Ehrfurcht schuldet. Die Vermenschlichung der Palme hat Vorläufer in der biblischen Überlieferung, in der mehrfach Menschen oder auch die Weisheit mit Palmen verglichen werden (vgl. Ps 91,13LXX; Hhld 7,8 f.; Sir 24,14; 50,12). Möglicherweise hat auch die reale Existenz geschlechtlich unterschiedlicher Palmen vergleichsbildend gewirkt. 802
Die kooperative Palme PsMt 20f.
Hervorzuheben ist noch ein weiterer Aspekt der Wundergeschichte: In einer »normalen« familiären Situation wäre ein höchstens zweijähriges Kind (dieses Alter ist für Jesus aufgrund von Mt 1,16 anzunehmen) auf die Fürsorge seiner Eltern angewiesen; sie sind diejenigen, die es mit Nahrung versorgen. In PsMt 20 nun verhält es sich genau umgekehrt: Der kleine Jesus versorgt mit Hilfe der Palme seine Eltern mit Nahrung und Wasser. Die Geschichte erzählt also auch – sozialgeschichtlich gesehen – eine familiäre Rollenumkehrung, bei der die Eltern durch die besonderen Fähigkeiten eines Kleinkindes gerettet werden.
Aspekte der Parallelüberlieferung und Wirkungsgeschichte In der 19. Sure des Korans, die den Titel Maryam (= Maria) trägt und aus der zweiten mekkanischen Periode (615-620 n. Chr.; Khoury 2004, 403) stammt, begegnet ebenfalls das Motiv von der nährenden Palme und der Wasserquelle, hier allerdings im Zusammenhang mit der Geburt Jesu:
Koran Sure 19,23-25 (23) Die Wehen ließen sie zum Stamm der Palme gehen. Sie sprach: »O wäre ich doch schon vorher gestorben und ganz und gar in Vergessenheit geraten!« (24) Da rief er ihr von unten her zu: »Sei nicht betrübt. Dein Herr hat unter dir Wasser fließen lassen. (25) Und schüttele den Stamm der Palme gegen dich, so läßt sie frische reife Datteln auf dich herunterfallen« (19,23-25; Übersetzung Khoury 2004). In der Sekundärliteratur wird diese Passage verbreitet mit PsMt 20 in Verbindung gebracht und der Sprecher in 19,24 auf das Jesuskind, gerade geboren oder noch im Schoß Marias, gedeutet (so Khoury 2004, 405; Räisänen 1971, 20 f.). Für eine Verbindung beider Geschichten spricht, dass im Koran auch sonst Anklänge an die apokryphen Kindheitserzählungen zu finden und christliche Einflüsse auf den Koran belegbar sind (vgl. Riße 1989, bes. 180-187). Allerdings ist darauf hinzuweisen, dass dasselbe Motiv auch im griechischen Kulturkreis begegnet: Hier ist es Leto, die bei der Geburt Apollos auf Delos den Stamm einer Palme umfasst (Hom. Hym. 3,116 f.; Eurip. Iph. T. 1099; Ion 920; vgl. Mourad 2002). Die delische Palme war weithin berühmt in der Antike (vgl. u. a. Hom. Od. 6,162 f.; Theophr. h. plant. 4,13,2; Plin. nat. 16,240). Eine weitere Version der Palmengeschichte ist in dem äthiopisch erhaltenen apokryphen Marientext erhalten (de transitu Mariae apocrypha aethiopice; vgl. Arras 1973a, lateinische Übersetzung Arra, 1973b, 2-4); das Verhältnis dieser etwas längeren Version zu PsMt 20 f. ist nicht geklärt. Eine weitere, kürzere Version findet sich in der Legenda aurea des Dominikaners Jakobus de Voragine aus dem 13. Jh., in der u. a. Heiligenviten zusammengestellt sind und die zweifellos auch auf PsMt zurückgereift. Hier wird unter der Überschrift »Von den unschuldigen Kindlein« u. a. von der Flucht der Jesusfamilie nach Ägypten berichtet, auf der sich ein Persidis genannter Baum verbeugt: »Da nun Maria mit dem Kinde nach Ägypten kam auf der Flucht, neigte sich der Baum zur Erde und betete den Herrn demütig-
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lich an« (Benz 1979, 75). Hier ist also zwar das Motiv der Verneigung übernommen, nicht jedoch das der Nahrungs- und Wassergabe. Schließlich ist noch auf eine literarische Ausgestaltung der Geschichte durch Selma Lagerlöf (1858-1940; Nobelpreis für Literatur 1909) hinzuweisen. Sie erzählt unter dem Titel »Die Flucht nach Ägypten« eine Version der Palmengeschichte, in der wir die Gedanken der Palme selbst vernehmen können (Lagerlöf 1980, 224-229; auch im Internet bei gutenberg.spiegel.de zu finden). Die Palme hat zunächst Mitleid mit den ankommenden Wanderern, die sie dem sicheren Tod entgegengehen sieht. Sie ist uralt und wurde von der Königin von Saba gepflanzt, die beim Abschied zu Salomo sagte: »Zur Erinnerung an diese Stunde (…) senke ich nun einen Dattelkern in die Erde, und ich will, daß daraus eine Palme erstehe, die wachsen und gedeihen soll, bis im Lande Judäa ein König ersteht, der erhabener ist als Salomo«. Die Palme kann der Aufforderung des Jesuskindes nicht widerstehen, sie neigt sich und versorgt die Wanderer mit ihren Datteln. Am Ende der Geschichte wechselt die Perspektive in die einer vorüberziehenden Karawane, die die Blätterkrone der großen Palme verdorrt sieht: »›Wie konnte das geschehen‹, fragte einer. ›Diese Palme sollte ja nicht sterben, ehe sie einen König gesehen hätte, der mächtiger wäre als Salomo‹. – ›Sie hat ihn wohl gesehen‹, antwortete ein anderer unter den Wüstenwanderern.«
Silke Petersen Literatur zum Weiterlesen O. Cullmann, Kindheitsevangelien, in: W. Schneemelcher (Hg.), Neutestamentliche Apokryphen in deutscher Übersetzung, Bd. I: Evangelien, Tübingen 61990, 330-372. O. Ehlen, Das Pseudo-Matthäusevangelium, in: C. Markschies/J. Schröter (Hg.), Antike christliche Apokryphen in deutscher Übersetzung, Bd. I/2: Evangelien und Verwandtes, Tübingen 72012, 983-1002. J. Gijsel, Die unmittelbare Textüberlieferung des sog. Pseudo-Matthäus, Verhandelingen van de Koninklijkee Academie voor Wetenschappen, Letteren en Schone Kunsten van België, Klasse der letteren 96, Brüssel 1981. H.-J. Klauck, Apokryphe Evangelien. Eine Einführung, Stuttgart 22005. S. Lagerlöf, Christuslegenden, in: Gesammelte Werke, Bd. 2: Geschichten und Legenden, München 31980, 181-349. S. A. Mourad, From Hellenism to Christianity and Islam: The Origin of the Palm Tree Story concerning Mary and Jesus in the Gospel of Pseudo-Matthew and the Qur’a¯n, in: Oriens Christianus. Hefte für die Kunde des christlichen Orients 86 (2002), 206-216. G. Schneider, Evangelia Infantiae Apocrypha. Apocryphe Kindheitsevangelien. Griechisch/Lateinisch/Deutsch, FC 18, Freiburg et al. 1995. K. Ziegler, Art. Phoinix, KP 4 (1979), 801-802.
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Interreligiöser Konsens (Götterbilder stürzen) PsMt 22-24 (22,2) Und freudig und jubelnd gingen sie in eine von den Städten hinein, die Sohennen genannt wird. Und da in ihr kein Bekannter wohnte, bei dem sie hätten einkehren können, gingen sie in einen Tempel, der das Kapitol in jener ägyptischen Stadt genannt wurde. In diesem Tempel waren 365 Götterbilder aufgestellt, denen an jedem einzelnen Tag von den Götzendienern göttliche Ehre erwiesen wurde. (23) Es geschah aber, als Maria den Tempel mit dem Kindlein betreten hatte, da stürzten alle (Götter)Statuen um und, indem sich alle Götterbilder selbst auf ihr Angesicht warfen, verrieten sie ganz eindeutig, dass sie nichts sind. Damit erfüllte sich, was der Prophet gesagt hatte: »Siehe, der Herr wird auf einer leichten Wolke kommen und in Ägypten Einzug halten; vor seinem Angesicht werden alle Machwerke der Ägypter zittern« (Jes 19,1). (24) Als dies Afrodisius gemeldet wurde, kam er mit seinem ganzen Heer und mit allen seinen Freunden und hohen Beamten zum Tempel. Alle Priester des Tempels aber hofften, dass er nichts darüber sagen würde, warum sie (die Götterbilder) umgestürzt waren. Jener aber, als er in den Tempel eintrat und sah, dass wahr war, was er gehört hatte, trat er sogleich an Maria heran und betete das Kind an, das Maria selbst wie einen Herrn auf ihrem Arm trug. Und nachdem er es angebetet hatte, hielt er eine Ansprache an sein ganzes Heer und seine Freunde und sagte: »Wäre dieser nicht der Herr unserer Götter, hätten sie sich nicht vor ihm niedergeworfen, und indem sie bei seinem Anblick niederfielen, bekannten sie in Trümmern liegend, dass jener ihr Herr sei. Daher, wenn wir nicht mit Vorsicht das tun werden, was wir unsere Götter tun sehen, laufen wir alle umso mehr Gefahr, Unwillen zu erregen, und werden alle in Untergang geraten, wie es dem Pharao, dem König der Ägypter zustieß, der in jenen Tagen lebte, in denen Gott große Wunder in Ägypten tat und sein Volk ›mit starker Hand herausführte‹« (Ex 13,9; Dtn 6,21 u. ö.).
Sprachlich-narratologische Analyse Das Wunder aus dem ›Sondergutmaterial‹ des Pseudo-Matthäusevangeliums (PsMt 1824) bildet den Abschluss der Ägyptenreise der heiligen Familie. Sie schließt sich an die Vorgeschichte Marias und eine Geburtserzählung Jesu in PsMt 1-17 an, welches zugleich eine lateinische Fassung des Protev darstellt. Einige Handschriften fügen in PsMt 25-42 noch ein erweitertes Kindheitsevangelium des Thomas hinzu. Für den lateinischen Text des PsMt sind mehr als 180 lateinische Handschriften bekannt. Der Übersetzung liegt der kritische Text von Gijsel (Gijsel 1997) zugrunde. Der Variantenreichtum der Textüberlieferung ist bei den volkstümlichen Kindheitsevangelien auch auf verzweigte mündliche Überlieferungsströme zurückzuführen (Kaiser 2010, 258-260). Varianten dieses Erzähl805
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stoffs finden sich unter anderem auch im arabischen Kindheitsevangelium 10-12 und im armenischen Kindheitsevangelium 15,6-22; 16,4 (Elliott 2006, 111-123; Terian 2008, 67-82). Der Text ist nach Gijsel (Gijsel 1997, 67) zwischen 600 und 625 n. Chr. entstanden. Einzelne Erzähltraditionen können aber erheblich älter sein (Klauck 1987, 168; 2002, 106). Die älteste schriftliche Fassung des Stoffs bietet Titus von Bostra (4. Jh.), Sermo in epiphaniam 36 (Rucker 1933, 83 f.). PsMt 22-24 ist das einzige Wunder, das in Ägypten selbst spielt. Da Jesus im Anschluss an das Palmenwunder (vgl. Petersen zu PsMt 20 f. in diesem Band) den Weg verkürzt hatte, schafft es die heilige Familie am gleichen Tag noch bis Ägypten. Dort gehen sie mit Freude und Jubel (22,1) in eine Stadt hinein, deren Namen in den Handschriften stark differiert. Neben Sohennen ist insbesondere der Name Sotinen bekannt, der nach einer Handschriftentradition im Gebiet von Hermopolis liegen soll (vgl. Tischendorf 1876, 90). Die Verbindung gaudere et exsultare kommt in Jes 65,19 als Ausdruck der Freude Gottes über sein Volk vor. Da sich die heilige Familie zum ersten Mal in Ägypten aufhält, wohnt hier kein Bekannter (notus). Josef spielt in diesem Wunder allerdings keine Rolle. Maria geht mit ihrem Kind in einen Tempel als einem bekannten Ort, wo sie ihre Kindheit nach PsMt 4-8 verbracht hat. In diesem Tempel wird auf umfassende Weise der Götter gedacht; an jedem Tag des Jahres einem oder einer der 365 Götter und Göttinnen. Dass es sich dabei um Götzendienst handelt, ist durch die Bezeichnung der »Götterbilder« als idola (e—dwla eido¯la) und die Bezeichnung ihrer Verehrer als Götzendiener (sacrilegi) deutlich. Damit ist als Exposition des Wunders die Konfliktlage angedeutet, aus der man auf eine Konfrontation schließen muss. Aber in der folgenden Szene kommt es zu einer überraschenden Lösung. Denn als Maria mit dem Kindlein (infantulus) in den Tempel kommt, fallen die Statuen (simulacrum) um und die Götterbilder (idola) haben sich selbst auf ihr Angesicht gelegt. Damit, so die Erzählstimme, erkennen sie, die simulacra, was auch mit Trug- oder Traumbilder übersetzt werden könnte, ihre Nichtigkeit an. Umso größer erscheint das hereinkommende infantulus, ein Kleinkind, das auf dem Arm der Mutter (in sinu suo … portabat 24) getragen wird (anders PsMt 16,2; 20,2). Das »Kindlein« nicht genannten Alters handelt nicht. Ob die Götterbilder vor ihm oder nicht auch vor der Mutter, die in einigen Handschriften »beatisisima (seligste) Maria« heißt, niederfallen, muss offen bleiben. Maria handelt, indem sie in den Tempel hineingeht (23) und das Jesuskind trägt (24). Vom Wunder selbst aber wird nur das Ergebnis, der Göttersturz, mitgeteilt. Mit dem Erfüllungszitat (tunc adimpletum est …) aus Jes 19,1 (vgl. PsMt 14,1; 18,1; 19,2; vgl. Mt 1,21; 2,15 u. ö.) ist das Wunder abgeschlossen. Im Bild steht das von Maria getragene Jesuskind für den auf der »leichten Wolke« kommenden Herrn. Der Schluss der Szene (24) erzählt von überraschenden Reaktionen auf das Wunder. Denn als Afrodisius, wie einige Handschriften hinzufügen, der Fürst oder Führer der Stadt, mit seinem offiziellen Gefolge erscheint, tut er nicht das von ihm Erwartbare. Den Priestern scheint das Ereignis in dieser Textfassung v. a. peinlich zu sein. Andere Textversionen lassen sie die Bestrafung der Verursacher erwarten (Tischendorf 1867, 91 f., Scheider 1995, 244 f.). So oder so wirken die Priester wenig souverän und die Spannung wird gesteigert. Afrodisius aber geht unmittelbar auf Maria zu und betet das Kind auf ihrem Arm an. Dann hält er eine Ansprache, die sich der Sicht des Erzählers in Kap 23 anschließt. Die gefallenen Götterbilder, so Afrodisius, beten das Kind als Herrn aller Götter an. Darüber hinaus fordert er sein Volk und seine Untergebenen auf, es ihnen gleich zu tun, um nicht das Schicksal des Pharaos beim Auszug des Volkes Gottes aus Ägypten zu 806
Interreligiöser Konsens PsMt 22-24
teilen. Dass sich Afrodisius mit dem Pharao identifiziert, mag bei einem ägyptischen Herrscher nicht verwundern. Überraschend aber ist seine große Vertrautheit mit der Geschichte des Volkes Israel. Hier endet der kürzeste Text. Andere Handschriften bringen noch ein Engelwort aus Mt 2,20 über die Rückkehr der heiligen Familie (Gijsel 1997, 478-480) oder eine Art Chorschluss zur Wundererzählung: »Da glaubte die ganze Bevölkerung dieser Stadt an Gott, den Herrn, durch Jesus Christus« (Tischendorf 1876, 92; Schneider 1995, 244 f.). Mit dieser universalen Anbetung des Kindes in den Armen Marias ist der theologische Ziel und Schlusspunkt der Erzählung der Ägyptenreise bei PsMt erreicht.
Sozial- und realgeschichtlicher Kontext Die irrige und törichte Götterverehrung Ägyptens galt in der griechisch-römischen Antike als sprichwörtlich (Cic. n.d. 1,43; 82 u. ö.; tusc. 5,78; Luc. Jup. 42; sacr. 13 u.ö.). Nicht nur jüdische Autoren wie Philo von Alexandrien spotten: »Die Ägypter bilden Schakale, Wölfe, Löwen, Krokodile und andere Tiere mehr zu Wasser, zu Land und in der Luft als Götter ab, für die sie Altäre, Heiligtümer, Tempel und geweihte Bezirke überall in ganz Ägypten errichteten« (Philo legat. 139; vgl. auch decal. 76 f. u. ö.; Arist. 138; Flav. Jos. Apion. 2,86; 139; Sib 5,73-85 u. ö.; vgl. Geffcken 1970, 73-75). Auch den Apologeten und Kirchenvätern gilt Ägypten als das Land des Götzendienstes schlechthin (Aristides apol. 12; Funke 1981, 756). Die Beschreibung der Götter und des Götzendienst in PsMt 22,2-24 enthält aber kein spezifisch ägyptisches Kolorit. Der Text geht von einer von Statuen und Götterbildern geschmückten Welt aus, aber das gezeigte Wissen um Charakter und Aufgaben der Götter ist nicht differenziert. Die allumfassende Götzenverehrung wird durch die schlichte Zahl »365« betont, ohne dass die Götter einen Namen tragen. Die geschilderte Welt ist römisch-spätantik. Der Haupttempel der Stadt heißt nach dem Vorbild Roms Kapitol, eine Bezeichnung, die zuerst auch in den westlichen Provinzen, später in allen Provinzen üblich wurde (Prud. Sym. 1,632; Förtsch 1996, 972 f.). Afrodisius kommt unter anderem mit comites, einer spezifischen Berufsgruppe provinzialer Verwaltung in der Spätantike (Gizewski/Tinnefeld 1997, 89-91). Gezeichnet wird Volksreligiosität in spätantiker Umgebung. Die religionsgeschichtlichen Hintergründe der Erzählung sind allerdings sehr viel älter.
Traditions- und religionsgeschichtlicher Hintergrund Das Umstürzen von Götterbildern oder Abfallen ihres Hauptes oder ihres Schmuckes gilt insbesondere in der römischen Welt als Vorzeichen, prodigium oder omen, das unglückliche oder glückliche Ereignisse ansagt. Dass im Jahr 64 v. Chr. Blitzschläge auf dem Kapitol Götterbilder umstürzen und sogar ein Standbild des Jupiter von einer Säule stürzt, gilt als Vorzeichen des Bürgerkriegs (Cic. Cat. 3,9 f.; Liv. 27,11,2; Dio Cass. 37,9,1 f. u. ö.). Als Ankündigung von Aufständen in Britannien um 60 n. Chr. fällt das Götterbild der Victoria rückwärts um, als weiche es vor den Feinden (Tac. ann. 14,32). Unruhen gegen die Steuern im Jahr 38 v. Chr. werden von zahlreichen unglücklichen Vorzeichen begleitet, u. a. fällt ein Standbild der Göttin Virtus (Tugend) auf ihr Angesicht. Zur Entsüh807
Die Wundererzählungen in apokryphen Evangelien
nung badet man es im Meer (Dio Cass. 48,4-6). Das Umstürzen oder sonstige Veränderungen an Götterbildern könnten also anzeigen, dass die pax deorum, das Einvernehmen zwischen Göttern und Staat, gestört ist und somit Unglück droht, das nur durch Entsühnung abzuwenden ist (Diestelrath 2001, 369 f.; Rosenberger 2000, 1198 f.; vgl. Dormeyer, Weltbild in diesem Band). Der Sturz von Götterbildern kann auch ein positives Vorzeichen sein. In einer Sammlung von Vorzeichen, die bei Geburt und in den Kindertagen des Augustus seine spätere Größe als »Herrn der Welt« anzeigen, wird berichtet, der Konsul Quintus Catulus habe im Traum gesehen, wie Jupiter Optimus Maximus »das Siegel, das er in seiner Hand trug, dem an seinem Altar spielenden Knaben Augustus in den Schoß gelegt habe« (Suet. Aug. 94,8). Galba findet eine sich im Traum ankündigende Statue der Göttin Fortuna auf der Schwelle seines Hauses (Suet. Galba 4,3; weitere Beispiele Funke 1981, 726 f.). Die stürzenden Götterbilder sind also auch Vorzeichen der Größe des Kindes. Schließlich ist andernorts ebenso zu lesen, wie beim Betreten eines Götzentempels durch einen heiligen Menschen der Tempel zerstört wird (ActJoh 41 f.; weitere Beispiele Funke 1981, 814). Das Stürzen der ägyptischen Götterbilder ist schließlich die Erfüllung alttestamentlicher Prophetie. Neben dem in PsMt 23 zitierten Jes 19,2 könnte der Text auch aus anderen Drohworten gegen die Götter und Götterbilder Ägyptens gebildet sein, z. B. aus Jer 43,11-13 (50,11-13LXX) oder Ez 30,1-19. Als Erzählung erinnert das Wunder allerdings insbesondere an 1Sam 5,1-5: Die bei den Philistern im Tempel des Dragon aufgestellte Bundeslade lässt den Gott zweimal fallen (iacere vgl. PsMt 23 f.), beim zweiten Mal »auf sein Gesicht (super faciem suam vgl. PsMt 23) vor die Lade Gottes« (coram arca Domini vgl. PsMt 24). Die Künstler der Synagoge von Dura Europos haben beide Szenen in einem Bild auf der Westwand ihrer Synagoge dargestellt. Hier liegen vor der Lade zwei anbetende Götter in parthischen Kleidern, wie sie bei den Göttern in den Tempeln der Nachbarschaft in dieser syrischen Stadt üblich waren (Kraeling 1956, 99105 und Plate LVI; Goodenough 1964, 75-80, Tafel III). Die jüdische Auslegungsgeschichte lässt die Philister die Lade mit einer feierlichen Prozession »mit Pauken, Flöten und Reigen« (Lib. Ant. 55,9) zurücksenden oder erzählt, wie sie bei sich selbst fünf »Bildsäulen« (⁄ndri€nte@ andriantes) aufstellen, um Gott »für seine Vorhersehung ihrer Rettung« zu danken (Flav. Jos. Ant. 6,10). Die Ladeerzählung aus 1Sam 5 erklärt auch, warum das Ereignis Afrodisius an die dem Pharao widerfahrenden ägyptischen Plagen erinnert. Denn die die Philister befallenden Geschwüre und die Mäuseplage (1Sam 5,6) werden bereits in 1Sam selbst und dann von den Rabbinen mit der Plagentradition in Verbindung gebracht (1Sam 4,8; 6,6; vgl. SifBem 88).
Verstehensangebote und Deutungshorizonte Das Wunder zeugt von der Verschmelzung antiker und christlicher Traditionen in der Spätantike. Die klassische Tradition der Prodigien aus den Kindertagen großer und göttlicher Menschen wird in die Christuserzählung integriert. Typisch spätantik wird dabei eine klassisch-biblische Erzählung, 1Sam 5, imitiert. Christologisch gedeutet erzählt das Wunder von der Vollmacht des Gottessohnes in seinen Kindertagen. Der Kontrast zwischen der Ohnmacht eines auf dem Arm getragenen Kleinkinds und der durch ihn verkörperten göttlichen Macht unterstreicht die Göttlichkeit des Christus, unbeschadet sei808
Interreligiöser Konsens PsMt 22-24
ner noch kindlichen Gestalt. Entsprechend heben christologische Deutungen hervor, wie vor diesem göttlichen Kind alle anderen Götter und alle Machthaber anbetend niederfallen und die »Allwissenheit und Allmacht Jesu, […] dem selbst Götter unterworfen sind« loben (Mostafawy 1998, 38). Die fallenden Götterbilder können darüber hinaus den Sieg des Christentums über die nicht-christlichen Religionen symbolisieren und den Einzug des Christentums in alle Länder. In diesem Sinne missionstheologisch gelesen, werden die Götterbilder in Darstellungen bereits ab dem 7. Jh. durch eine sich vor der heiligen Familie am Stadttor verneigende Personifikation Aegyptica symbolisiert (Schiller 1981, Abb. 315; Mostafawy 1998, Abb. 3). Zugleich trägt das Wunder auch zur Mariologie bei, wenn es vom göttlichen Schutz erzählt, den die Mutter des Kindes in den Gefahren der Reise erfährt. Marias Erfahrungen während der Ägyptenreise amplifizieren den knappen Bericht aus Mt 2,13 f.19 f., der ihre Erfahrungen weitestgehend übergeht. Das Wunder zeugt somit auch von der Weiterentwicklung der Mariologie in der Spätantike (Shoemaker 2008, 500 f.). Als »leichte Wolke« erscheint Maria hier als eine Art ›Gotteswagen‹, der das Jesuskind umhüllt. Typisch mariologisch ist Maria die einzige erwähnenswerte Figur der ›Heiligen Familie.‹ Zugleich bleibt sie auch die einzige weibliche Figur. Das Gefolge des Afrodisius und die Priester sind vermutlich männlich vorgestellt, ebenso wie die idola, und das, obgleich Bilder von Göttinnen (Isis etc.) zum ägyptischen Tempel gehören. In der Kunstgeschichte deutet sich schließlich noch eine tiefenpsychologische Deutung an. Die fallenden Götter sind gelegentlich als solche Dämonen dargestellt, die Menschen innerlich befallen (z. B. Mosaik der Chora-Kirche, Underwood 1966, Abb. 106). Die Begegnung des Jesuskindes mit der Welt des Dämonischen in der Seele des Menschen wird so zum Spiegel innerer ethischer und asketischer Glaubenskämpfe und ihrer Überwindung. Gegenüber dem in der Auslegungsgeschichte betonten christologischen oder missionstheologischen Triumphalismus enthält das Wunder jedoch einen kritischen Zug. Denn in der Erzählung wird nicht allein die Macht überlegener Gegner und ihrer Götter, wie in der Vorlage aus 1Sam 5, ironisiert. Vielmehr ist hier jeder religiöser Triumphalismus selbst parodiert. Nicht nur besiegt hier ein Baby eine ganze Armee und überzeugt ganz ohne Worte die himmlischen und politischen Mächte. V. a. passiert das Erwartbare gerade nicht: Gott kommt nicht mit Feuer und Zerstörung nach Ägypten, sondern tatsächlich auf »einer leichten Wolke« (Jes 19,1). Afrodisius benutzt seine militärische und politische Macht nicht, um zu vernichten, sondern zum universalen Gottesdienst. Er hört auf die (Vor-)Zeichen seiner eigenen Götter und tut gerade damit genau das Richtige.
Aspekte der Parallelüberlieferung und Wirkungsgeschichte Varianten der Erzählung finden sich im arabischen Kindheitsevangelium (6. Jh.; Klauck 2005a, 108). Hier begegnet das Jesuskind einem Orakel sprechenden Gott, der vor dem Göttersturz noch verkündet, wer da gekommen ist. Der besessene Sohn seines Priesters wird von einer Windel Jesu geheilt (Schneider 1995, 176-179; Bock 1994, 289-291; Elliott 2006, 116 f.). Im Armenischen Kindheitsevangelium (Terian 2008, 67-82: Übersetzung eines syrischen Originals aus dem 6. Jh.) ist diese Episode der Inhalt der dritten Station in Ägypten (15,6-24). Acht tiergestaltige, die Stadttore bewachende Götter begrüßen die einziehende heilige Familie mit wildem Gebrüll, in das auch alle übrigen 809
Die Wundererzählungen in apokryphen Evangelien
Götterbilder und Statuen der Stadt einstimmen mit dem Ruf, der Sohn eines Königs sei gekommen. Die Stadtbevölkerung kann dies zunächst nicht deuten, da man nur Josef, Maria und das dreieinhalb Jahre alte Jesuskind findet. Als das Jesuskind bei einem Tempelfest allein in den Tempel des Apollo geht und angesichts des bunten, ziemlich realistisch dargestellten Götterfesttreibens mit Joh 17,1 und 12,28 seinen göttlichen Vater um Einhalt anruft, stürzt der Tempel nebst Statuen zusammen. Darauf wird Josef verhaftet, mit einem weiteren durch Jesus bewirkten Erdbeben befreit, bevor es schließlich zur Anbetung Jesu durch das Volk kommt (15,24). Anders als im PsMt wird das vollmächtige und gegenüber den Eltern fürsorgliche Handeln des Kleinkindes betont. Beim Arabienaufenthalt der heiligen Familie erhält die Geschichte eine weitere Variante (16,4). Die älteste Darstellung der Szene findet sich auf dem Triumphbogen der Basilika Santa Maria Maggiore (4. Jh). Hier begrüßt Afrodisius mit seinem Gefolge die heilige Familie vor der Stadt im Stil des imperialen adventus (Jastrzebowska 1992, 37-39). Weitere Darstellungen sind ab dem 9. Jh. belegt (Schiller 1981, Abb. 316.319 f., 322), häufig im Kontext der Darstellung des Marienlebens (Schweicher/Jászai 1970, 47). In der Biblia pauperum wird in typologischer Gegenüberstellung auf die Geschichte vom goldenen Kalb verwiesen (Schmidt 1959, 129 und Abb. 27). Im 13. Jh. wurde die Episode außerdem in die legenda aurea aufgenommen (Gedenktag der »unschuldigen Kinder«) und in Beziehung zur Tötung der Erstgeborenen Ägyptens im Exodus gestellt, denn »gleichwie bei dem Auszug der Kinder Israels aus Ägypten kein Haus war, in dem nicht die Erstgeburt tot lag durch die Rache Gottes, so war jetzt kein Tempel, es läge denn ein zerbrochener Abgott darinnen« (Benz 1979, 75).
Angela Standhartinger Literatur zum Weiterlesen E. Bock, Kindheit und Jugend Jesu, Beiträge zur Geistesgeschichte der Menschheit 5, Stuttgart 5 1980 [1939] (237-283: deutsche Gesamtübersetzung). F. Bovon, Jésus en Égypte: Les évangiles apocryphes de l’enfance comme livres utiles a l’âme, BthEL (in Vorbereitung). U. U. Kaiser, Jesus als Kind. Neuere Forschungen zur Jesusüberlieferung in den apokryphen »Kindheitsevangelien«, in: J. Frey/J. Schöter (Hg.), Jesus in apokryphen Evangelienüberlieferungen. Beitra¨ge zu außerkanonischen Jesusüberlieferungen aus verschiedenen Sprach- und Kulturtraditionen, WUNT 254, Tübingen 2010, 253-269. C. Schweicher/G. Jászai, Art. Flucht nach Ägypten, LCI 2 (1970), 45-50.
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Ein mächtiges Kopftuch (Die wunderwirkende Windel Jesu) arabK 11 f. (11) Und dem Kind jenes Priesters widerfuhr das, was ihm gewöhnlicherweise widerfuhr. Er betrat das Spital, in dem gerade Josef und Mart Maria waren, und alle Menschen waren vor ihnen geflohen. Die Herrin Mart Maria hatte die Windeln des Herrn Christus gewaschen und sie über dem Feuerholz ausgebreitet. Da kam jener besessene Knabe und nahm eine von jenen Windeln und legte sie auf seinen Kopf. In diesem Augenblick fingen die Dämonen an, in der Gestalt von Raben und Schlangen aus seinem Mund herauszukommen und zu fliehen, und sogleich wurde jener Knabe auf Befehl des Herrn Christus befreit. Er fing an zu lobpreisen und dankte dem Herrn, der ihn geheilt hatte. Als sein Vater sah, dass er befreit worden war, sprach er zu ihm: »Was ist dir passiert, mein Kind, und wie bist du befreit worden?« Er sprach: »Als der Satan in mir einen Anfall hervorrief, ging ich zum Gasthaus und traf dort eine ehrwürdige Frau an, die einen Knaben bei sich hatte. Sie hatte seine Windeln gewaschen und auf dem Feuerholz ausgebreitet. Ich nahm eine davon und legte sie auf meinen Kopf, da verließen mich die Dämonen und flohen.« Sein Vater freute sich überschwenglich darüber und sprach zu ihm: »Mein Kind, vielleicht ist dieser Knabe der Sohn des lebendigen Gottes, der den Himmel und die Erde geschaffen hat. Denn als er zu uns kam, zerbrach das Götzenbild und alle Götzen stürzten und gingen zugrunde wegen der Macht seiner Herrlichkeit. (12,1) Hier, mein Sohn, wurde die Prophezeiung erfüllt, die besagt: ›Aus Ägypten habe ich meinen Sohn gerufen.‹« (Übersetzung nach Josua/Eißler 2012, 968; für philologischen Rat zum Arabischen danken wir sehr herzlich Prof. H. Bobzin, Erlangen.)
Sprachlich-narratologische Analyse Das arabische Kindheitsevangelium ist in syrischen und arabischen Handschriften erhalten (genauere Angaben bei Schneider 1995, 47-54). Es wurde vermutlich im 6. Jh. auf Syrisch verfasst (vgl. Klauck 2005, 108; Schneider 1995, 53-55; Cullmann 1990, 363 ohne Datierung), gehört also zu den jüngeren Kindheitsevangelien. Es erzählt von der Geburt Jesu (arabK 1-9), der dreijährigen Ägyptenreise (10-25) sowie vom Leben nach der Rückkehr nach Israel zunächst als Kleinkind (26-35), dann als Kind ab sieben Jahren (36-49) und schließlich vom zwölfjährigen Jesus in Jerusalem (50-54). ArabK verarbeitet dabei neben den kanonischen Evangelien (Lk 2; Mt 2) auch Protev und KThom und enthält noch weitere Stoffe (vgl. Horn 2010, 598 f.); der Anfang der Erzählung der Ägyptenreise berührt sich mit PsMt, was auf eine gemeinsame Quelle hinweisen könnte. Die meisten 811
Die Wundererzählungen in apokryphen Evangelien
Episoden sind Wundererzählungen, sowohl Heilungen (häufig von Aussatz) als auch Dämonenaustreibungen und die Rettung von verzauberten Menschen (z. B. von einem in ein Maultier verwandelten jungen Mann, arabK 20 f.). Die Erzählungen sind ausführlicher ausgestaltet als die Wundererzählungen der kanonischen Evangelien oder von KThom, es gibt dabei etliche ähnliche Geschichten und Wiederholungen von spezifischen Motiven. Gerade auf der Ägyptenreise sind die Geheilten oft sehr wohlhabend. Vor allem in den Geschichten aus der Kleinkindzeit in Ägypten und Israel werden die Wunder meist durch Maria vermittelt, die hier die zentrale Figur ist. Bewirkt werden sie meist indirekt z. B. durch die Windeln (11; 29; 33 f.) oder das Badewasser (17; 18; 27; 28; 31; 32; 33) Jesu oder durch das Tragen (15; 16; 21) oder anderen direkten Kontakt zum Kind (30: in Jesu Bett liegen; evtl. 19); einmal wird eine Heilung von einer Besessenheit auch schlicht durch das Mitleid Marias ausgelöst (arabK 14). Jesus selbst ist zunächst wenig aktiv, er lässt aber in arabK 24 eine Quelle sprudeln. Das Summarium am Ende des Ägyptenzyklus lässt aber keinen Zweifel, dass Jesus als der eigentliche Wundertäter gesehen werden soll: »Der Herr Jesus vollbrachte im Land Ägypten viel (sic!, Adverb, Hinweis H. Bobzin) Wunder, die weder im Kindheitsevangelium noch im vollständigen Evangelium geschrieben stehen« (arabK 25). Ab arabK 36 ändert sich dann seine Rolle in einem neuen Lebensalter (sieben Jahre); der Einschnitt hängt möglicherweise mit der Verarbeitung einer neuen Quelle zusammen, denn es liegt eine erste Anlehnung an KThom 2 vor (vgl. Schneider 1995, 52), die dann im Folgenden verstärkt erkennbar wird (arabK 38 f.43-49). Auch in der Kleinkindzeit kommen allerdings zweimal theologische Erläuterungen aus dem Mund Jesu vor, so stellt er sich in arabK 1 in der Wiege (!) seiner Mutter als »Jesus, Sohn Gottes, das Wort, das du geboren hast …« vor und kündigt arabK 23 seine Kreuzigung an. Einen Übergang bildet arabK 35, wo Jesus ein kleines Kind ist, das aber schon sitzt und mit Weinen auf einen Schlag des besessenen Kindes Judas (Iskariot) reagiert, wodurch der Dämon flieht. Solche Verbindungen zu den späteren Ereignissen, wie sie in den kanonischen Evangelien erzählt sind, bestehen an verschiedenen Stellen: Die Familie trifft die später mit Jesus gekreuzigten Räuber (23), einige Jünger (Bartholomäus in 30; Judas Iskariot in 35; Simon Zelotes in 42) treten schon als Kinder auf und das Nardenöl, mit dem Jesus später gesalbt wird, wird erwähnt (5). Inhaltlich sind die Wundererzählungen überwiegend freundlich. Nur einige wenige Strafwunder aus KThom sind übernommen (arabK 44.46 f.49), die Notiz, dass sich Kinder vor Jesus verstecken (arabK 40, vgl. 44) könnte möglicherweise auf eine Bedrohung durch seine Macht hindeuten, ist aber vermutlich im Kontext als »Spiel« der Kinder zu deuten. Die ausgewählte Wundererzählung von der Dämonenaustreibung durch eine Windel Jesu steht ziemlich am Anfang des arabK nach der Schilderung von Geburt, Beschneidung (am achten Tag), Opfer im Tempel (nach 40 Tagen) und Besuch der Magier. Jesus ist vermutlich erst wenige Wochen alt. Die Erzählung ist mit einer Variante des auch aus PsMt 22-24 bekannten Umsturzes von Götterbildern verbunden (arabK 10-12), diese Einheit bildet entweder den Auftakt der Erzählungen aus Ägypten (arabK 10-25) oder eine in sich abgeschlossene Ägyptenreise. ArabK 13,1 scheint ein Verlassen von Ägypten zu implizieren, aber in 24 f. wird wieder ausdrücklich auf Ägypten verwiesen, der dort genannte dreijährige Aufenthalt umfasst wohl auch die dazwischenliegenden Episoden. Nach arabK 26 kehrt die Familie jedenfalls nach Israel zurück. Eine kontextuelle Verbin812
Ein mächtiges Kopftuch arabK 11 f.
dung besteht auch zu den anderen »Windelwundern« in verschiedenen Teilen des Textes (arabK 8; 11; 29; 33 f.). Die Wundererzählung bildet das Zentrum der ersten Ägypten-Einheit, die in arabK 10 beginnt und mit arabK 13,1 endet: Nachdem Herodes »die Tötung des Herrn Jesus Christus« erwägt, zieht Josef auf Geheiß eines Engels bei Morgenanbruch (Hahnenschrei, Morgendämmerung) los. Die Ortsangabe »Ägypten« wird dann in arabK 12 wieder explizit aufgenommen, indem die Prophezeiung aus Hos 11,1 (»Aus Ägypten habe ich meinen Sohn gerufen.«) als erfüllt betrachtet wird. Erst mit arabK 13,1 findet die Episode ihren Abschluss, indem das Fortziehen sowie ein neuer Ort benannt werden. Diese geographische Verklammerung wird durch die wörtliche Rede des Engels zu Beginn (»erschien der Engel des Herrn dem Josef im Traum und sagte zu ihm: ›Steh auf, nimm den Knaben und seine Mutter und gehe in das Land Ägypten.«) wie auch durch die Rede von Josef und Maria am Ende (»Es besteht kein Zweifel, daß die Ägypter uns, wenn sie hören, wie diese Götzenfigur zerbrach, im Feuer verbrennen werden.«) verstärkt. In arabK 9 wie auch in arabK 12 werden »Herodes«, »Betlehem« und die Tötungsabsicht des Herodes erwähnt. Sowohl die Rede des Engels als auch das Erfüllungszitat sind wörtliche Anleihen aus dem Matthäusevangelium (Mt 2,13.15). Die Nähe zu Mt 2 wird ferner durch die Erzählung der Magier aus dem Osten in arabK 7 und 8 sichtbar, obgleich diese auffällig ausgeweitet ist: So wird das Kommen der Magier von »Zarathustra« vorhergesagt; Maria schenkt ihnen eine Windel zum Segen, die – zurück in der Heimat – im Rahmen eines traditionellen Feuerfestes nicht verbrannt werden kann und damit zum Erweis der Ehre und Wahrheit der Kindesbegegnung wird. In diesen äußeren Rahmen der Lokalisation ist die Erzählung über den Aufenthalt der heiligen Familie in einem »großen Dorf« (arabK 10) eingebettet. Dieses Dorf wird nur durch die Kultangaben näher beschrieben: »(ein Dorf), in dem sich ein Götzenbild und all die anderen Götzen der Ägypter und ihre Götter befanden«. Obgleich der Text keinen Zweifel daran lässt, dass es sich bei dem Bild um einen »Götzen« handelt, beginnt das Bild in supranaturalistischer Weise zu sprechen, bevor es nach einem Bekenntnis über Jesus als dem wahrhaftigen Sohn Gottes einstürzt. Dieser vernichtende Sturz des Bildes wird dann in arabK 11 (Rede des Vaters) und arabK 12-13,1 aufgegriffen: »Als Josef und Maria hörten, daß jenes Götzenbild gestürzt und zugrunde gegangen war, erschraken sie und fürchteten sich und sagten: ›Als wir im Lande Israel waren, beabsichtigte Herodes, Jesus zu töten, und seinetwegen tötete er alle Kinder Betlehems und seiner Umgebung. Es besteht kein Zweifel, daß die Ägypter uns, wenn sie hören, wie diese Götzenfigur zerbrach, im Feuer verbrennen werden.‹ Und so zogen sie von dort weg« (Josua /Eißler 2012, 968). Auf diese Weise entsteht ein doppelter Rahmen: Der äußere Rahmen sind Anlass und Aufbruch nach Ägypten (Herodes; Tötungsabsicht; Betlehem), der innere Rahmen der Sturz des Götzenbildes. Im Zentrum der Episode wird dann die Heilung eines besessenen Jungen erzählt, die durch sorgsame Kohärenzlinien mit dem Umfeld verbunden wird: Verknüpft ist die Erzählung mit der Rahmenhandlung durch den Vater des Kindes, der zugleich Priester am Götzenbild ist. »Dieser Priester hatte einen dreijährigen Sohn, der von einigen Dämonen besessen war. Er pflegte viele Dinge zu reden und zu erwähnen, und wenn die Dämonen von ihm Besitz ergriffen, zerriss er seine Kleidung und blieb nackt und bewarf die Menschen mit Steinen« (arabK 10). Auch der Ort des Wundergeschehens wird bereits in arabK 10 eingeführt. Maria und Josef steigen in einem »Spital« (Josua/Eißler) ab. Schneider übersetzt »Krankenhaus«, was auch der Tischendorfschen 813
Die Wundererzählungen in apokryphen Evangelien
Übersetzung ins Lateinische mit ›nosocomium‹ entspricht. Nach Schneider handelt es sich hierbei um eine »Art christliche(.) Hospiz« (Schneider 1995, 179), was sowohl als Herberge diente als auch Pflegeeinrichtung für Kranke war (s. u.). Der arabische Begriff bima¯rista¯n bezeichnet allerdings keine Pilgerstätte, sondern eher eine Krankeneinrichtung (Hinweis H. Bobzin). Die Wundererzählung im engeren Sinn zeigt die Struktur einer klassischen Wundergeschichte: In einer Exposition werden die beteiligten Personen (Kind, Josef, Maria, Christus) genannt. Aber nur das besessene Kind wird zum aktiven Handlungsträger. Von Josef und Maria (sic) erfahren wir lediglich, dass sie auch anwesend sind, alle anderen Menschen waren geflohen. Von Maria wird ferner eine Handlung der Vergangenheit erzählt, die das Szenario beschreibt: Sie hatte die Windeln Jesu gewaschen und über dem Feuerholz ausgebreitet. Im zweiten Teil wird auf knappe, zielführende Weise von der eigentlichen Wunderhandlung berichtet: Das besessene Kind kam, nahm sich eine von den zum Trocknen ausgebreiteten Windeln und legte sie sich auf den Kopf und wurde sogleich geheilt. Obwohl Jesus zunächst gar nicht direkt genannt wird und auch in der Einleitung nur im Genitivattribut als Besitzer der Windeln eingeführt wird, betont die Erzählung, dass er der Verursacher der Heilung, der eigentliche Wundertäter, ist: »auf Befehl des Herrn Christus« wurde der Knabe befreit. Hierbei wird zugleich klassisches Motivarsenal der antiken Exorzismen aufgenommen. Wie in den kanonischen Dämonenaustreibungen »befiehlt« Jesus den Dämonen, die den Menschen offenbar wie ein Haus bewohnt hatten, den Besessenen zu verlassen. Ohne gänzlich zerstört zu werden, verlassen sie ihren Wirt in Tiergestalt (dazu unten) durch den Mund. Im dritten nun folgenden Abschnitt werden ausführlich die Reaktionen auf die Heilung geschildert. Zunächst fängt der Junge an zu loben und dankt dem Herrn. Dann sieht der Vater die Befreiung und möchte alles genau erfahren. Die Erzählung des Tathergangs greift nun wörtlich Passagen des Hauptteils auf (Windelwaschen, Feuer, Kopfbedeckung durch Windel, Dämonenflucht). Es zeigen sich aber auch markante Abweichungen: Maria wird nicht namentlich genannt, sondern als eine »ehrwürdige Frau« bezeichnet (lat. femina augusta), hingegen wird die Anwesenheit Jesu benannt, was zuvor als Leerstelle geblieben war (»die einen Knaben bei sich hatte«). Die Dämonenflucht wird ohne Details erzählt: So fehlen die Tiergestalten, auch das Verlassen durch den Mund wird nicht erwähnt. Der Vater freut sich überschwenglich und formuliert ein Bekenntnis, dass dieser Knabe »Sohn des lebendigen Gottes«, des Schöpfers sein könnte. Durch das »vielleicht« bleibt noch eine gewisse Unsicherheit, allerdings wird der Sturz des Götzenbildes und aller Götzen vom Vater auf die »Macht seiner Herrlichkeit« (vis magnificentiae eius) zurückgeführt. Anschließend wird die Reaktion von Josef und Maria erzählt (»sie erschraken und fürchteten sich«), allerdings nur auf den Sturz des Götterbildes. Überhaupt fehlt in diesem Schluss der inneren Rahmenhandlung nicht nur jeder Bezug zur Dämonenaustreibung, auch inhaltlich entsteht eine gewisse Spannung, denn die beginnende Umkehr des Götzenpriesters hätte die Furcht von Maria und Josef doch zumindest mindern können. Stattdessen beschließen sie im Analogieschluss zur Tötungsabsicht des Herodes Ägypten zu verlassen. Auf diese Weise entsteht ein gewisser Bruch zur Austreibungsepisode. Schneider geht offenbar davon aus, dass der Exorzismus eine nachträgliche Erweiterung darstellt und sieht die Funktion der Erwähnung des Sohnes in arabK 10 nur in der »Diffamierung des Götzendienstes« (Schneider 1995, 179 Anm. 18). Der Exorzismus bleibt 814
Ein mächtiges Kopftuch arabK 11 f.
abgesehen von der Einführung der Protagonisten (Vater, Sohn in arabK 10) gleichwohl mit dem Kontext verzahnt, indem der Vater in seiner Bekenntnisrede auf den Sturz des Götzenbildes eingeht. Auch der Ort des Geschehens bleibt gleich. Dass in der Übersetzung von Josua/Eißler im Exorzismus einzig »Gasthaus« übersetzt wird, findet keinen Rückhalt im arabischen Text (Hinweis H. Bobzin; Tischendorf benutzt zutreffend immer dasselbe lat. Wort nosocomium, vgl. Tischendorf 1876, 186). Ferner schafft das Motiv des Feuers eine Kohärenz: Maria und Josef haben Angst, von den Ägyptern »im Feuer« verbrannt zu werden, während zuvor zweimal das Feuer zum Trocknen der Windeln genannt worden war. Der Leser/die Leserin von arabK erinnert sich aber, dass die Windel beim Feuerfest des Ostens gerade den Flammen trotzen und nicht zerstört werden konnte (arabK 8). Eine Brücke zu arabK 8 wird auch durch die konkrete Handlung erzeugt, denn auch dort wird die Windel Jesu auf den Kopf gelegt. Nehmen wir die Figuren noch etwas genauer in den Blick: Im Umfeld des Geschehens werden nur skizzenhaft kollektive Nebenrollen (»alle Oberen«, »Priester der Götzen«, »alle Einwohner Ägyptens«, »alle Menschen«) erkennbar, die im Hintergrund agieren, sich wegbewegen oder sogar explizit fliehen. Niemand der Maria und Josef willkommen heißt, oder Gastfreundschaft signalisiert. Von den Dorfbewohnern treten hingegen »Vater« und »Sohn« als die maßgeblichen Protagonisten in den Vordergrund. Beide erleben gewaltige Veränderungen. Der Vater verrichtet nicht nur seinen Priesterdienst am Heiligtum des Götzen, er vermittelt auch die Worte, die Satan durch das Götzenbild sagt. Es ist nun gerade auch der Vater, der im Anschluss an die Heilung wiederum als lehrhafter ›Hermeneut‹ auftritt, indem er die unwissende Erzählung des Jungen auf den »Sohn des lebendigen Gottes« bezieht, mit dem Götzensturz und sogar noch der Ägyptenverheißung (Hos 11,1) verknüpft. Der dreijährige Sohn wird mit eindrücklichen Details als Dämonenbesessener eingeführt (arabK 10, Text s. o.; vgl. ähnliche Auswirkungen einer Besessenheit – ausziehen, Steine werfen – in arabK 14). Demgegenüber überrascht das planvolle Handeln des Kindes im Spital. Während die Schilderung der Vorgänge durch den Jungen ohne jede religiöse Deutung auskommt, wird unmittelbar nach der Heilung das Lob bereits zielgerichtet eingeführt und benennt klar den Wundertäter: Er »dankte dem Herrn, der ihn geheilt hatte«. Die Veränderungen ereignen sich plötzlich und offenbar selbstverständlich. Von einer inneren Entwicklung, einer komplexen oder mehrdimensionalen Figurendarstellung (Finnern 2010, 156-162) kann keine Rede sein. Allerdings zeigt die Figurenkonstellation, dass Vater und Sohn eng aufeinander bezogen werden. So wird der Junge als »Sohn des Priesters« (arabK 10) eingeführt, was in arabK 11 unmittelbar aufgegriffen wird. Die Hälfte der Erzählung besteht dann auch aus dem Dialog zwischen Vater und Sohn. Der Ebene der Handlungsfiguren steht nun ein übergeordnetes Vater-Sohn-Paar gegenüber. Schon in der Rede des Götzen ist von »Gott in Wahrheit« und dem wahren Sohn (»wahrhaftig der Sohn Gottes«) die Rede. Auch in der Deutungsrede des Vaters an seinen Sohn wird der »Knabe« als »Sohn des lebendigen Gottes« interpretiert, bevor die Doppelnennung der Söhne im Schlusssatz (zwei Mal »mein Sohn«) eine unmittelbare Parallelisierung nahe legt. Die Bekenntnisrede des Vaters gibt zugleich einen gewissen Einblick in das »inner life« (Bennema 2009b, 392) der Figur und ruft, gerade durch ihre Unsicherheit, die Parteilichkeit des Lesers/der Leserin hervor. Wie der antike Leser pragmatisch durch die Textelemente angesprochen wurde, lässt sich schwer ermitteln. Soll hier nüchtern das Ende des ägyptischen Polytheismus 815
Die Wundererzählungen in apokryphen Evangelien
oder der Beginn einer materialen Reliquienverehrung erzählt werden? Soll die Macht des einen Gottes demonstriert und die Rolle des Sohnes als des »verborgenen Gottes« (arabK 10) hervorgehoben werden? Soll der Leser/die Leserin nicht nur kognitiv, sondern auch in emotionaler Weise zum Glauben geführt werden (Furcht der Dorfbewohner in arabK 10 – »überschwengliche Freude« des Vaters in arabK 11)? Oder sollte man nicht auch bereits für die antike Kommunikationssituation den Unterhaltungswert der Erzählung nicht zu gering ansetzen. Der heutige Leser gerät über die Vorgänge zumindest nicht nur ins Staunen, sondern auch ins Schmunzeln. Zwar wird in der Rahmenhandlung ein lebensgefährliches Fluchtszenario entworfen. Im weiteren Verlauf sind es jedoch die anderen, sei es die Bewohner der Stadt oder die Dämonen, die vor der heiligen Familie »fliehen«, während sie sich im Spital gemütlich eingerichtet hat. Entsprechend wird zwar die Gefährlichkeit der von Satan gelenkten Dämonen geschildert, auch noch ihr Ausfahren in Gestalt von »Raben und Schlangen« wird mit großem Pathos dargestellt, doch die Szene mutet zugleich ironisch an, wenn man sich den Kontrast zwischen Satan und Mächten und dem kleinen dreijährigen Jungen vor Augen führt, der mit der Jesuswindel auf dem Kopf im Spital sitzt, während um ihn herum die Dämonen erzittern.
Sozial- und realgeschichtlicher Hintergrund Das Wickeln von Kleinkindern ist eine Technik, die bereits ca. 2600-2000 v. Chr. durch kleine, aus Stein oder Ton gearbeitete Idole aus Kreta und Zypern belegt ist. Im ägyptischen, griechischen und römischen Kulturkreis war das Wickeln von Neugeborenen in der Antike ein Teil der Versorgung und Pflege der Kinder (vgl. Plato nom. 7,5; Eurip. Tro. 759; Dio Chrys. Tyr. 16; Strab. geogr. 3,4,17; Plut. mor. 2,3,638 u. ö.; weitere Belege bei Philipps 2011, 30 f.). Griechische Vasen und Grabreliefs zeigen in Tücher und Binden gewickelte Kinder, im Bereich römischer Religiosität wurde ab ca. dem 6. Jh. v. Chr. häufig Mater Matuta, die Göttin der Geburt, mit einem oder mehreren Wickelkindern dargestellt, Votivgaben aus Massenproduktion in Form von Wickelkindern sind v. a. ab dem 5. Jh. belegt (z. B. in Paestum). Im antiken Judentum finden sich Belege für die Praxis des Wickelns bei Ezechiel (Ez 16,3f.; vgl. Hi 38,9) und Philo von Alexandrien (vgl. dazu Kügler 1996), obgleich die genaue Methode des Windelwickelns nicht beschrieben wird (vgl. dazu umfassend Frenken 2001, 103-112). Eine Beschreibung findet sich jedoch bei dem griechischen Arzt Soranus von Ephesos (ca. 100 n. Chr.), der in seiner Schrift Peri Gynaikeion schreibt: Man nehme nun das Ende der Binde und lege es am Vorderarm an, wickle sie dann ringsherum um die gestreckten Finger, den Vorderarm, den Ellenbogen und Oberarm, dabei ziehe man sie an den Handknöcheln ruhig stramm an, lockerer aber an den übrigen Theilen bis zur Achsel. Ebenso verfahre man bei der Einwicklung der anderen Extremität; den Rumpf umwickle man mit einer breiteren Binde und zwar so, dass man bei den männlichen Kindern die Binde überall gleichmässig stramm zieht, dagegen bei den weiblichen die Gegend der Brustwarzen etwas enger schnürt, die Hüftgegend dagegen locker lässt. Denn diese Methode eignet sich besser für das weibliche Geschlecht. Danach wickle man jeden Schenkel für sich besonders ein. Denn würde man sie in entblösstem Zustande beide aneinander binden, so könnte leicht eine Hautreizung entstehen, wie ja überhaupt
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Abb. 22: Darstellung eines Wickelkindes auf einem griechischen Grabkultgefäß, Mitte 5. Jh. v. Chr.
in Fällen, wo Körper zur Zeit, da sie noch zart sind, nebeneinander gelegt werden, gar bald eine Entzündung eintritt. Die Einhüllung in die Binden soll sich bis zu den Fingerspitzen erstrecken, sie soll locker sein an den Schenkeln und Waden, dagegen kompress an den Stellen des Knies und der Kniekehle, an den Fussrücken und den Knöcheln. Auf solche Weise werden die Füsse an der Spitze breiter und der Mittelfuss wird schmäler. Danach lege man die Arme an die Seiten, die Füsse an einander und umwickle dann das ganze Kind von der Brust bis zu den Füssen mit einer breiten Binde. Dadurch, dass die Hände eingefatscht werden, gewöhnen sie sich an die gestreckte Haltung (Soranus-Übersetzung von Lüneburg/Huber 1894, 60 f.).
Die Wickeltechnik variierte in der Antike in verschiedenen geographischen Regionen und zu unterschiedlichen Zeiten und war Thema der Diskussion – neben dem bloßen Einreiben mit Salz und dem Einbinden der Kinder in den ersten ca. 40-60 Tagen nach der Geburt (vgl. Ezechiel; Galen) sind das Aufbinden auf ein Brett oder in eine Wiege belegt. Die Zeit des Einbindens hing von verschiedenen Faktoren ab: War das Kind wundgelegen, wurde die Behandlung z. B. früher abgebrochen; andererseits ist auch belegt, dass dreijährige Kinder noch gewickelt wurden und daher noch nicht laufen konnten (vgl. Frenken 2011, 129). Das feste Einwickeln bzw. -binden sollte v. a. der Formung des weichen Kinderkörpers durch Druckeinwirkung dienen (Frenken 2011, 113-121; vgl. z. B. Caelius Aurelianus; Ps.-Plut. paid. ag.; Tert. carn. Chr. 4,2; zu weiteren Erwa¨hnungen des Wickelns und dessen Auswirkungen auf das Kind in antiken Texten vgl. Frenken 2011, 133-137). Dafu¨r wurden dicke Lagen verwendet (sp€rganon sparganon – Windel; lat. fascia), Caelius Aurelianus erwa¨hnt z. B. drei bis vier Finger breite Binden aus reiner, weicher Wolle, die keine doppelten Sa¨ume haben sollen, sodass sie nicht reiben und die, um angenehm zu tragen zu sein, neu und reißfest sein sollen. Gegen das Schwitzen ko¨nnen auch feuchte Leinenbinden verwendet werden (vgl. dazu Caelius Aurelianus). 817
Die Wundererzählungen in apokryphen Evangelien
Abb. 23: Darstellung der Mater Matuta, 4.-1. Jh. v. Chr.
In Lk 2,7.12 wird Jesus als Wickelkind beschrieben: »und sie gebar ihren ersten Sohn und wickelte ihn in Windeln« (ka½ ¥sparg€nwsen a'tn kai espargano¯sen auton; Lk 2,7) und »Ihr werdet finden das Kind in Windeln gewickelt« (e¢rffisete brffyo@ ¥sparganwmffnon heure¯sete brephos espargano¯menon; Lk 2,12; vgl. dazu die Abbildungen bei Frenken 2011, 138 f.). Während in der Forschungsgeschichte die Windeln Jesu zumeist als Verweis auf die Armut der heiligen Familie oder auf die Grabtücher Jesu gedeutet wurden, wird in der neueren Forschung betont, dass die Darstellung in Lk 2 Jesus sozialgeschichtlich in den Bräuchen und Traditionen seiner Zeit verankert und deutliche Anklänge an die literarischen Traditionen des antiken Umfeldes bietet (vgl. zu diesem Aspekt v. a. Kügler 1995; Philipps 2011, 39-42). Der Text erwähnt mehrfach die Unterkunft der heiligen Familie: Der arabische Begriff bimaristan deutet zwar auf ein Krankenhaus hin, es erfüllt aber die Funktion einer Herberge, so dass im historischen Umfeld an ein »Hospiz« gedacht werden kann. Im privaten Bereich gebot es die Gastfreundschaft, Reisenden und Fremden Unterkunft zu gewähren (vgl. Hiltbrunner 1972, 1082 f.). Die Institution von öffentlichen Herbergen entwickelte sich im vorderen Orient bereits im 2. Jt. v. Chr. für die Beherbergung von Karawanen (Karawan-Saray). Bereits im 5. Jh. v. Chr. sind im persischen Reich Poststationen belegt, die von offiziellen Reisenden und Kurieren genutzt werden konnten und die militärisch überwacht wurden; weitere Herbergen entwickelten sich im Rahmen des 818
Ein mächtiges Kopftuch arabK 11 f.
Abb. 24: Geburt Christi, Elfenbeinrelief auf der Kathedra des Bischofs Maximianus, 6. Jh. n. Chr.
Pilgerbetriebs an großen Heiligtümern. Wahrscheinlich um der Belastung des Gebots der Aufnahme von Fremden zu entgehen, wurden auch im griechischen und römischen Kulturkreis ab ca. dem 2. Jh. v. Chr. öffentliche Herbergen errichtet. Grundsätzlich unterscheidet man zwischen gewerblichen Wirtshäusern und von Stiftern errichteten, für Reisende unentgeltlich zu nutzenden Herbergen. Beide dienten der nicht privat getragenen, vorübergehenden Beherbergung von Reisenden, wobei erstere häufig mit Laster und Unzucht konnotiert waren (pandoce…on pandocheion). Im Bereich des antiken Judentums sind Synagogen-Herbergen belegt (z. B. aus dem 1. Jh. v. Chr. auf Delos), im christlichen Kontext wird die Herberge als zenodoce…on (xenodocheion) bzw. hospitium bezeichnet, sie steht in Zusammenhang mit der bischöflichen Unterkunft und dient der unentgeltlichen Beherbergung von Reisenden. Diese Institution wurde jedoch von vielen Bedürftigen in Anspruch genommen: Arme, Kranke, Witwen und Waisen bewohnten das zenodoce…on. Daher wurde es bald unumgänglich, die Unterkünfte zu spezifizieren in »ptwcotrofe…on (Armenhaus), nosokome…on (Krankenhaus), gerontokome…on, ghrokome…on (Altenheim), chrotrofe…on (Witwenheim), ¤rfanotrofe…on (Waisenhaus), brefotrofe…on (Säuglingsheim)« sowie Pilgerherbergen (vgl. Hiltbrunner 1988, 618). Dass die Familie Jesu in arabK 11 in einem nosocomium (von nosokome…on nosokomeion), also einem Krankenhaus, unterkommt, könnte der textinternen Angabe geschuldet sein, dass das Wunder ein krankes Kind betrifft. 819
Die Wundererzählungen in apokryphen Evangelien
Traditions- und religionsgeschichtlicher Hintergrund Auffällig ist die Gestalt der ausfahrenden Dämonen, die als Raben und Schlangen beschrieben werden (vgl. arabK 42: Schlange als tödliches Tier; arabK 16: Satan als Schlange, aber in 33 f. als Drache und in 35 als tollwütiger Hund). In frühchristlichen Exorzismen ist der Dämon normalerweise nicht selbst sichtbar, sondern lässt sich nur an seinen Wirkungen auf den Besessenen (vgl. Mk 9,26) oder die Umgebung (vgl. Mk 5,13 die Schweineherde; vgl. Flav. Jos. Ant. 8,46-48) erkennen. Auch ikonographisch sind frühchristlich Darstellungen selten, erst im Mittelalter werden Dämonen wichtiger und häufiger und auch in Tiergestalt dargestellt (vgl. Schade 1968, 466 f.). Die Schlange ist dabei schon in vorchristlicher Zeit ein Bild für den Teufel oder für Dämonen; dies geht auf die Auslegung von Gen 3 zurück (vgl. Meier 1976, 635). Raben sind dagegen nicht eindeutig negativ konnotiert, sie können für Zerstörung und Ödnis stehen (vgl. Jes 34,11), haben in der Bibel aber auch eine positive Rolle als Botenvögel (Gen 8,6 f.; 1Kön 17,6) und sind in anderen Religionen positiv und wichtig. Die im christlichen Mitteleuropa übliche Verbindung von Raben mit Hexen und Zauberei (vgl. z. B. Otfried Preußlers Buch Krabat) und das entsprechend negative Image hat vermutlich einen Traditionshintergrund in der nordischen Mythologie (z. B. wird Odin von zwei Raben begleitet). Aber dies ist nicht der Kontext der Entstehung von arabK. Möglicherweise bietet sich der Rabe einfach als ein schwarzer Vogel als Bild für die Dämonen an. Auch für das Windelmotiv finden sich geprägte Deutungsmuster. In altägyptischen Königshymnen wird die Herrschaft des Königs dadurch legitimiert, dass er bereits »in Windeln« als mächtiger Herrscher präsentiert wird. Die Inschrift der Mendes-Stele beschreibt Ptolemaios II. Philadelphos (3. Jh. v. Chr.) als »Herrscher, Sohn eines Herrschers, geboren von einer Herrscherin, dem das Amt eines Herrschers der beiden Länder schon überwiesen wurde, als er noch im Mutterleibe war und als er noch nicht geboren war. Er hat schon erobert auf der Windel, und er hat schon geherrscht an den Brüsten« (übers. Roeder 1959, 178). Der Homerische Hymnus an Hermes (z. B. 150-152) beschreibt den Gott im Säuglingsalter als mächtigen Helden (vgl. auch Eurip. Ion 30-56; Hes. theog. 459-465; vgl. dazu Philipps 2011, 32-38). Weish 7,4 hingegen stellt das Geborenwerden und in Windeln gewickelt sein des Ko¨nigs als einen u¨blichen Brauch, das ko¨nigliche Kind als gewo¨hnlichen Sa¨ugling dar und unterwandert damit die antike Herrscherdarstellung. Dadurch, dass sich das Kind Jesus im Lukasevangelium nicht durch Machttaten ausweist, wird die Hilflosigkeit des go¨ttlichen Kindes in Windeln mit der Betonung seiner go¨ttlichen Abstammung kontrastiert (Lk 2,11). In arabK ist diese Dialektik verschwunden, das Jesuskind hat von Anfang an, in Windeln und sogar durch Windeln, seine volle go¨ttliche Macht.
Verstehensangebote und Deutungshorizonte Die Wundererzählung lässt sich zunächst christologisch deuten, wobei mit Angaben zum Wesen und Wirken Jesu Christi je unterschiedliche Aspekte in den Vordergrund treten: Jesus wird einerseits als normales Baby dargestellt, das nicht nur Windeln trägt, sondern sie auch braucht, so dass sie gewaschen werden müssen. Dies korreliert mit der weiteren Darstellung des Kindes Jesus, das gestillt und gebadet wird, in einem Bett liegt, mit an820
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deren Kindern spielt und nach einen Schlag weint (vgl. arabK 35; von Schmerzen ist ausdrücklich allerdings weder hier noch in arabK 49, wo ein Lehrer ihn schlägt, die Rede). Bis in Details hinein wird später das Spielen des siebenjährigen Jesus auf die Alltagserfahrungen des Lebens mit Kindern (z. B. Unfug anstellen in arabK 37; Verstecken in arabK 40) heruntergebrochen. Man könnte hier einen antidoketischen Zug erkennen, allerdings würde dies der Jesusdarstellung aufs ganze gesehen kaum gerecht. Sie zeichnet sich eher durch eine gewisse Spannung aus: Vom ersten Auftreten Jesu an lässt die Rede des Säuglings keinen Zweifel daran, dass hier der »Sohn Gottes« zum »Heil der Welt« (arabK 1) geboren wurde. Entsprechend sagt Maria in arabK 3: »Genauso wie meinem Sohn keines unter den Kindern gleicht, so gleich auch seiner Mutter keine unter den Frauen«. Immer wieder werden auch Hoheitstitel wie »Sohn Gottes« oder »Herr Jesus« verwendet. Auch die analysierte Erzählung wird durch diese Bipolarität gekennzeichnet: Neben den Windeln wird das Kind passiv neben der Mutter und schutzbedürftig durch die Eltern geschildert. Andererseits ist es »der Befehl des Herrn Christus«, der die Dämonen ausfahren lässt. In der Rede des Vaters wird Jesus dann »Sohn des lebendigen Gottes« genannt, dessen »Macht der Herrlichkeit« die Götzenbilder zerbrach. Die Worte des Vaters verweisen zurück an die Rede des Götzen in arabK 10. Das Motiv des »Kommens Jesu« (»als er zu uns kam«, arabK 11fin) wird hier wiederholt und somit über den engen Plot der Erzählung hinausgehoben: Es geht um das Kommen des Sohnes in die Welt. Zugleich wird Jesus hier »verborgener Gott« genannt, was als Anspielung auf Apg 17,23 gesehen werden kann, wie auch die konfessorische Formulierung des heidnischen Götzenbildes »wahrhaftig Gottes Sohn« an das Bekenntnis des Heiden unter dem Kreuz erinnert (Mk 15,39par.). Andererseits zeigt das Wunder durch die Windel aber auch, wie die Macht Jesu vermittelt wird, wie Christus in der Welt und an Menschen wirkt. Neben dem Wort (»Befehl«) sind es gerade materiale Gegenstände, die Jesu Kräfte vermitteln. In der Erzählung wird dies eindrücklich an der Windel vorgeführt. Die durch dieses allzu menschliche Medium vermittelte Kraft wird auch nicht durch den Vorgang des Waschens und Trocknens der Windeln gemindert. Anders als in den kanonischen Evangelien (z. B. Erde, Schlamm) oder KThom ist bei der Wirkmächtigkeit der Windel zusätzlich kein direktes Handeln oder Reden Jesu nötig, die heilende Kraft steckt unmittelbar in ihr und wirkt sich auf die aus, die in Kontakt mit ihr treten. (In arabK 19 reicht eine Übernachtung im Haus für diese Wirkung.) Die Macht Jesu scheint stofflich greifbar zu sein und hat vielleicht direkt etwas mit Körperausscheidungen oder -ausdünstungen zu tun, da neben den Windeln in arabK häufig Jesu Badewasser heilende Wirkung hat. In arabK 30 ist es der Geruch bzw. die Berührung von Jesu Kleidern, der ein sterbendes, zu ihm in sein Bett gelegtes Kind wieder ins Leben zurückbringt. In arabK 35 treibt das Weinen Jesu den Dämon des Judas aus. Diese durch Kontakt vermittelte, nicht absichtlich und zielgerichtet ausgeübte Macht Jesu wird vielfach von Maria gelenkt, die z. B. Windeln gegen ein schönes Tuch eintauscht (arabK 29) oder sie einfach (arabK 7 f.) ebenso wie das gebrauchte Badewasser Jesu (arabK 32) weiterreicht. Die materiale Vermittlung der Wunderkraft setzt voraus, dass die Sphären von Unheil (die Krankheiten) und Heil (das Jesus bewirkt) eindeutig zuzuordnen sind. Dies funktioniert besonders gut bei einem Exorzismus, wo die Göttlichkeit Jesu einfach keinen Raum für andere, dämonische Mächte lässt. (Eine Nachfrage nach den Wünschen der Kranken wie Mk 10,51 lässt sich dabei nicht unterbringen bzw. wird auf Maria verlagert, 821
Die Wundererzählungen in apokryphen Evangelien
vgl. arabK 31.) Auf dieser Abgrenzung der Machtbereiche liegt der Ton der Geschichte, eine wirkliche Begegnung zwischen dem Jesuskind und dem Jungen findet dagegen nicht statt und trotz der Erzähldetails bleibt die Geschichte christologisch gesehen eher abstrakt und unnahbar. Die Hoheitsaussagen des Götzen (»verborgener Gott«, »Gott in Wahrheit«, »wahrhaftig der Sohn Gottes«, »Größe seiner Macht«) wie auch des Vaters (»Sohn des lebendigen Gottes, der Himmel und Erde geschaffen hat«, »Macht seiner Herrlichkeit«) greifen auf das geprägte Repertoire einer hohen Christologie zurück. Auch der Erzählerkommentar macht deutlich, dass bereits das Jesuskind »Dominus Christus« ist, dessen Macht und Größe zeichenhaft bereits erfahrbar wird und nur noch von den Zeitzeugen erkannt werden muss. Weiterhin ist eine mariologisch-feministische Deutung der Erzählung möglich. Dies mag zunächst verwundern, da Maria in der Perikope gar nicht als handelnde Person auftritt. Die gesamte heilige Familie ist nicht direkt am Geschehen beteiligt, es wird auch nur retrospektiv in der Schilderung des Jungen gesagt, dass Maria überhaupt anwesend ist (»ging ich zum Gasthaus und traf dort eine ehrwürdige Frau, die einen Knaben bei sich hatte«). Erwähnt wird aber ausdrücklich, dass Maria die Windeln Jesu gewaschen und auf dem Feuerholz ausgebreitet hat, was zunächst als ein eher unnötiges novellistisches Detail erscheint. In der Wiedergabe der Geschehnisse durch den Jungen wird dieser Satz allerdings wörtlich wiederholt und damit narrativ auch die Rolle von Maria hervorgehoben. Dies entspricht der hervorragenden Rolle, die Maria auch sonst in den Wundern des arabK einnimmt. An sie wenden sich die Hilfesuchenden, oft noch durch Vermittlung von früher Geheilten. Sie gibt die Anweisungen und ggf. Hilfsmittel, die für das Wunder nötig sind (vgl. Horn 2010, 599 f.). Teilweise veranlasst sie Wunder auch selbst (arabK 14) oder das Wunder wird im Rückblick als durch sie bewirkt beschrieben (»Wahrlich, ich war aussätzig, aber nun hat mich Mart Maria, die Mutter Jesu Christi, geheilt«, arabK 33). Für Maria wird im Text die ehrenvolle syrische Anrede Mart (analog zu Mar für einen Mann, vgl. Josua/Eißler 2012, 966; Dank an M. Tilly für die Rückversicherung) verwendet. Sie wird selig gepriesen (6; 18; 53) und schon direkt nach der Geburt Jesu als den Töchtern Evas unähnlich beschrieben (3). Maria scheint an einigen Stellen wichtiger oder zumindest auffälliger als das Jesuskind selbst, auch wenn ihre Besonderheit von seiner – auch er gleicht nicht anderen Kindern – abgeleitet ist. In diesem größeren Zusammenhang kann das Windelwaschen als eine Hervorhebung ihrer Rolle in der Vorbereitung des Wunders verstanden werden: Maria stellt bereit, was für die Heilung nötig ist, und arbeitet auf diese Weise am Wunder mit. Auch wenn klar festgehalten wird, dass es durch Jesus (»auf Befehl des Herrn Christus«) bewirkt wird, hat sie eine vielleicht mit priesterlichen Funktionen vergleichbare Rolle in der Vermittlung. Und zwar indem sie eine alltägliche Frauenarbeit ausübt, die hier wichtig wird. Wie Jesus ein besonderes Kind ist, aber zugleich im normalen Kinderalltag geschildert wird, so ist auch Maria eine besondere Frau, die trotzdem wie andere lebt. Maria ist nicht abgehoben, wie sich auch an ihrem Umgang mit Hilfesuchenden zeigt. Sie bleibt bei aller Verehrung auch eine gewöhnliche Frau – und Frauenarbeit wird in die Wundertätigkeit Jesu eingebunden, macht sie überhaupt erst möglich. Horn hält die starke Rolle von Maria für durch eine Auseinandersetzung mit dem Islam bedingt, in dem Maria sehr geschätzt wird (vgl. Horn 2010, 600). Dies setzt aber eine späte Datierung von arabK voraus; möglicherweise ist auch ein umgekehrter Einfluss denkbar. Mariologische Inte-
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ressen bestehen jedenfalls in großen Teilen des frühen Christentums, spezifische Indizien, die auf den Islam verweisen, sind m. E. in arabK nicht erkennbar. Die Dämonenaustreibung lässt sich in psychologisch-symbolischer Hinsicht auch als Befreiungserfahrung interpretieren. Die Erzählung ist voller Hinweise auf Mächte und Gewalten, denen die Menschen vollständig ausgeliefert sind. So ist der Vater ganz im Bannkreis des Götzen. Ohne einen Rest von Eigenaktivität oder kritischer Reflexion übermittelt er einfach »alles, was jener Satan durch jenes Götzenbild sagte« (arabK 10). Eine eindrückliche Schilderung des Identitätsverlusts gibt auch die Beschreibung des besessenen Jungen: Gleich mehrere Dämonen (»einige Dämonen«) haben »von ihm Besitz ergriffen«. Bei den Anfällen »zerriss er seine Kleider und bliebt nackt«. Die Kleidung ist nicht nur das Indiz kultureller und sozialer sondern auch persönlicher Identität (Leutzsch 2005, 9-32). Diese in der ›Nacktheit‹ zum Ausdruck gebrachte Schutzlosigkeit mündet in Aggressivität: Er bewirft die Menschen mit Steinen. In einem solchen Zustand der Fremdbestimmung trifft der Junge nun mit der heiligen Familie zusammen (vgl. die Schilderung: »als Satan in mir einen Anfall hervorrief, ging ich […] und traf […]«).Was nun im Krankenhaus geschieht, verwundert den Leser, der mit der bisherigen Schilderung einen hilflosen, unkontrollierten Jungen vor Augen hat. Ganz im Gegenteil dazu handelt das Kind nun äußerst planvoll und überlegt. Es nimmt sich eine der Windeln und legt sie auf den Kopf. Dieser Ritus ist schon in arabK 8 (nach dem Feuerfest legen sich die Bewohner die Windel auf Kopf und Augen) eingeführt und deshalb nicht mehr befremdlich. Auf diese Weise eignet sich der besessene Junge aktiv und eigenständig die Wunderkraft Jesu an. Das autonome Handeln kann hierbei bereits als Ausdruck der Befreiung betrachtet werden. Die Mächte, die den Jungen dominiert und bestimmt hatten, verlassen ihn und fliehen, während er zu sich selbst zurückkommt. Das Verhalten des besessenen Jungen, der sich einfach eine Windel und damit die Heilkraft Jesu nimmt, erinnert hierbei an die blutflüssige Frau, die Jesus ohne Frage und Ankündigung von hinten berührt (vgl. Mk 5,25-34, vgl. Zimmermann 2010a, 12-14). Hier wie da wird eine Kraftübertragung durch Stoff vermittelt. Während im Markusevangelium Jesus die Eigenständigkeit und den Glauben der Frau lobt, wird das Verhalten des Jungen durch den nachfolgenden Dialog legitimiert. Der Vater erkennt, dass das Jesuskind, Sohn des lebendigen Gottes, seinen Sohn gerettet hat. Er erkennt, dass mit dem Auftreten des Knaben »das Götzenbild (zerbrach) und alle Götzen stürzten« und zugrunde gingen. Und er bekennt, dass dies »wegen der Macht seiner Herrlichkeit« geschah. Wie der Sohn durch Dämonen gebunden war, so war der Vater dem im Götzenbild wirkenden Satan (arabK 10) ausgeliefert und wird nun ebenfalls befreit. Die Erzählung berichtet insofern von einer doppelten Befreiungserzählung (der arab. Begriff baria kann ›heilen‹ und ›befreien‹ bezeichnen, Hinweis H. Bobzin), die Vater und Sohn gleichermaßen aus dem Bannkreis von Satan-Dämonen treten lässt. Sie lässt aber auch deutlich werden, dass diese Befreiung durch den »Sohn« erfolgt. Wie in der Erzählung das kranke Kind dem Vater die Einsicht in die Befreiung ermöglicht, so ist es der Sohn des lebendigen Gottes, der mit seinem Kommen die Menschen beherrschenden Mächte zerbrochen hat und zerbricht. Im Schlussvers der Erzählung verknüpft die auffällige Doppelnennung »mein Sohn« am Anfang und Ende des Verses eindrücklich das Schicksal des Priestersohnes mit dem Sohn Gottes. Der Vater erkennt im Schicksal seines Sohnes, dass er befreit ist von der Macht des Götzen. Er sieht zugleich, dass damit die alttestamentliche Prophezeiung (Hos 11,1) erfüllt ist. Es ist die erinnernde Prophe823
Die Wundererzählungen in apokryphen Evangelien
zeiung des Exodus, der Befreiung aus Ägypten, die sich hier – und immer wieder – neu ereignet hat. Ein sichtbares Zeichen dieser Befreiung ist die neue Gemeinschaft zwischen Vater und Sohn. Zeigt die einführende Schilderung Distanz und Aggression (Kind wirft Steine), so kommt es erst nach der Austreibung zu einer Begegnung: Freude, wechselseitiges Zuhören und schließlich die zweifache liebevolle Anrede (»Mein Kind«, »Mein Sohn« …) bringen diese neue Qualität der Vater-Sohn-Beziehung zum Ausdruck. Die Befreiung von Dämonen und Götzen ermöglicht somit nicht nur die Restitution der Identität von Einzelpersonen, sondern stiftet zugleich neue Gemeinschaft.
Aspekte der Parallelüberlieferung und Wirkungsgeschichte Schon unter den kanonischen Evangelien lässt sich ein Abnehmen von Exorzismen beobachten, in den apokryphen Evangelien spielen sie praktisch keine Rolle – außer in arabK, wo sie ein eigenes Profil entwickeln. Zum einen sind die Erzählungen stärker ausgeschmückt und auch die Dämonen und ihre Wirkung anschaulich beschrieben. Zum anderen funktioniert die Austreibung unterschiedlich: In den synoptischen Evangelien gibt Jesus den Dämonen den ausdrücklichen Befehl zum Ausfahren, oft ist dies in einen Dialog zwischen ihnen eingebettet, der den Charakter eines Kampfes hat (vgl. Poplutz, Dämonen in diesem Band). In arabK ist es einfach der Kontakt zu Jesus, der die Austreibung bewirkt, oft sogar nur indirekt wie hier über die Windel vermittelt. Jesu göttliche Macht überträgt sich auf den Gegenstand und wirkt auf die Dämonen. Dass dies durchaus als ein Kampf aufgefasst werden kann, zeigt eine ähnliche Geschichte in arabK 33 f. Hier wird ein Mädchen von Satan in Gestalt eines Drachen bedroht, der sie verschlingen will. (Das Mädchen ist also streng genommen nicht besessen, sondern steht in Auseinandersetzung mit Satan, der sich von außen nähert.) Auf Anweisung Marias zeigt das Mädchen dem Drachen bei seiner nächsten Annäherung die Windel Jesu und legt sie dann auf ihren Kopf. »Und in jenem Moment kamen aus der Windel Flammen aus Feuer und Glut, die auf jenen Drachen geschleudert wurden … so dass er lauthals schrie: ›Was habe ich dir getan, Jesus, Sohn der Maria, wohin soll ich vor dir fliehen?‹ Und er machte kehrt und ließ ab von jenem Mädchen …«. Auch wenn also Jesus selbst nicht aktiv wird und keinen Befehl gibt, reagiert der Drache durchaus ähnlich wie Dämonen auf den erwachsenen Jesus. Die Präsenz Jesu mit seiner Macht in der Windel enthält auch ohne Worte eine klare Botschaft an dämonische Mächte, die von diesen auch verstanden wird, wenn sie nicht von Feuer begleitet ist. Vielleicht ist das Fehlen eines ausgesprochenen Befehls Jesu also nur durch sein Alter bedingt – und umgekehrt lässt sich auch im NT beobachten, dass Dämonen schon auf die Gegenwart Jesu reagieren, bevor er etwas sagt (z. B. Mk 1,24; 5,6 f. – obwohl dort ein Ausfahrbefehl nachgetragen wird). Auch der kanonische Jesus übt somit nicht nur verbal eine Wirkung auf die Dämonen aus, sondern auch schon durch seine Präsenz. Zudem findet sich im Neuen Testament bereits die Vermittlung der Macht Jesus durch seine Kleidung (Mk 5,27-30). In arabK ist die Heilung des besessenen Jungen unmittelbar mit dem Sturz der Götterbilder verbunden, die Erzählungen sollen sich wohl gegenseitig interpretieren. Während die Parallele in PsMt 22-24 auf die überlegene Macht des Jesuskindes zielt (dazu Standhartinger zu PsMt 22 in diesem Band) und auch die analoge Geschichte von der Verneigung der Standarten (EvNik 1,5 f.) seine Anerkennung durch höchste irdische 824
Ein mächtiges Kopftuch arabK 11 f.
Mächte klarstellt (dazu Röder zu EvNik 1,5 f. in diesem Band), zeigt arabK 10 f. zudem noch die Überlegenheit Jesu über Dämonen. Hier werden also nicht nur die bisher anerkannten Mächte als nichtig im Vergleich zu Jesus dargestellt, sondern es kommt zu einer Auseinandersetzung mit bösen Mächten. Jesus ist nicht nur den sonst verehrten Göttern überlegen, sondern hat ausdrücklich auch Macht über Satan und die Dämonen. Möglicherweise ist dies ein Anliegen des arabK, in dem Teufel und Dämonen, aber auch böse Zauberei einen großen Raum einnehmen. Die Konkurrenz mit anderen Religionen kann gegenüber dieser Auseinandersetzung zurücktreten. Vielleicht liegt hierin ein Bedürfnis der Lesenden, denen die Macht Jesu gegenüber bösen Mächten zugesichert wird. Oder wird hier sichtbar, dass fremde Götter zu Dämonen abgewertet wurden (vgl. Müller 1976, 765)? In den Bereich der Wirkungsgeschichte von arabK 11 fällt auch die in der Erzählung aufgezeigte Vorstellung, dass die Windeln Jesu heilmächtige Wirkung haben. Die Praxis der Reliquienverehrung bzw. des Reliquienkults ist bereits in der Antike v. a. im Bezug auf den Heroen- und Herrscherkult literarisch wie archäologisch belegt, ebenso ist die Vorstellung der Übertragbarkeit übermenschlicher Kräfte auf Besitzgegenstände oder Körperteile der wirkmächtigen Person bekannt, die als »Berührungsreliquien« (Brandea) auch nach deren Tod Kraft besitzen (vgl. dazu Pfister 1912, passim, bes. 532 f.). Im christlichen Bereich lassen sich die Verwendung und die Anfänge der Verehrung von Sekundärreliquien z. B. in Apg 19,11f. erkennen, wo der Glaube benannt wird, dass Tücher, die Paulus berührt hat, Wunder wirken können (vgl. auch erste Ansätze in Mk 5,27-30). Auch in der außerkanonischen Literatur des frühen Christentums spiegelt sich diese Tendenz (vgl. z. B. das Tuch mit dem Abdruck des Gesichts Jesu in der Abgarlegende, dazu Wasmuth 2012, 227; ferner Ackermann Bd. 2 des Wunderkompendiums). Häufig dienten apokryphe Schriften der Identifizierung von Reliquien, z. B. können das ABCdarium, die Badewanne und die Wiege Jesu, die nur in den Apokryphen erwähnt sind, aufgrund dieser Schriften als Reliquien interpretiert werden. Die Pilgerin Egeria erwähnt auch die Praxis der Lektüre apokrypher Schriften an den entsprechenden Aufbewahrungsorten der Gegenstände (vgl. z. B. Peregr. Eger. 19,2.16; 23,5; vgl. dazu Hartmann 2010, 607). Reliquien sollen die Präsenz der heiligen Person in der Gegenwart garantieren und durch sie soll deren übermenschliche Kraft weiterhin wirken. In Bezug auf arabK 11 ist von Bedeutung, dass die mittelalterliche Reliquienfrömmigkeit u. a. eine große Anzahl von Jesus-Reliquien kannte, die die Verehrung der Menschwerdung Gottes zum Ausdruck bringen. Neben den von der Auferstehung nicht betroffenen Teilen wie der Nabelschnur, der Vorhaut und dem Milchzahn des Jesuskindes, den Tränen und dem Blut Jesu und den Leidensinstrumenten Kreuz, Nägel, Dornenkrone, Leiter, Lanze, Essigschwamm etc., nahmen im Rahmen der Berührungsreliquien insbesondere Brandea textiler Natur einen wichtigen Platz ein. So wurde z. B. das Gewand Jesu in Trier verehrt, sein Grabtuch in Turin und das Lendentuch des Gekreuzigten sowie auch die aus dunklem, filzartigem Material bestehenden Windeln des Jesuskindes in Aachen (vgl. dazu Angenendt 2007, 214-217; Legner, 1995, 78-87; vgl. Schiffers 1937, 63).
Laila Fascia
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Die Wundererzählungen in apokryphen Evangelien
Literatur zum Weiterlesen R. Frenken, Gefesselte Kinder. Geschichte und Psychologie des Wickelns, Badenweiler 2011, bes. 103-136. C. B. Horn, Apocryphal Gospels in Arabic, or Some Complications on the Road to Traditions about Jesus, in: J. Frey/J. Schröter (Hg.), Jesus in apokryphen Evangelienüberlieferungen, WUNT 254, Tübingen 2010, 583-609. J. Kügler, Die Windeln Jesu als Zeichen. Religionsgeschichtliche Anmerkungen zu SPARGANOW in Lk 2, BN 77 (1995), 20-28. T. E. Phillips, Why Did Mary Wrap the Newborn Jesus in »Swaddling Clothes«? Luke 2.7 and 2.12 in the Context of Luke-Acts and First-Century Literature, in: S. Walton et al. (Hg.), Reading Acts Today. Essays in Honour of Loveday C. A. Alexander, LNTS 427, London/ New York 2011, 29-42. A. Rousselle, Die antike Familie und das Christentum, WUB 6 (1997), 33-36.
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Spielender Schöpfer (Erschaffung der Spatzen) KThom 2 (arabK 36.46; Koran Sure 3,49) Meiner Übersetzung liegt der Text der ältesten griechischen Handschrift (Sabaiticus) in der Edition von Aasgaard (Aasgaard 2009, 219 f.) zugrunde. (1) Das Kind Jesus war fünf Jahre alt und spielte nach einem Regenguss an der Furt eines Flusses. Und er leitete die fließenden Wasser, die schmutzig waren, in Gruben zusammen und machte sie sauber und rein; allein durch die Bedeutung eines Wortes gebot er ihnen und nicht durch eine Tat. (2) Dann nahm er weichen Lehm vom Lehmboden und formte daraus zwölf Spatzen. Es war aber Sabbat, als er dies tat. Und viele Kinder waren bei ihm. (3) Ein Jude aber, der sah, dass das Kind Jesus dieses inmitten der anderen Kinder tat, ging zu Josef, seinem Vater, beschuldigte das Kind Jesus und sagte: »Am Sabbat hat er Lehm gemacht, was nicht erlaubt ist, und hat zwölf Spatzen geformt.« (4) Und Josef kam und tadelte ihn und sagte: »Warum tust du dies am Sabbat?« Jesus aber klatschte in die Hände und gebot den Vögeln mit [seiner] Stimme in Gegenwart aller und sagte: »Macht euch auf; fliegt wie Lebewesen!« Und die Spatzen flogen los und entschwanden zwitschernd. (5) Als aber der Pharisäer das sah, staunte er und berichtete es allen seinen Freunden.
Sprachlich-narratologische Analyse Nachdem KThom 1 die einleitende Überschrift über die gesamte Schrift bietet, beginnt mit KThom 2 die eigentliche Erzählung. Die anschließende Perikope KThom 3, die ein Strafwunder beschreibt, setzt die Szene des von Jesus angestauten Flusswassers aus KThom 2 voraus, ist jedoch durch neu auftretende Personen und einen neuen Handlungsstrang von der vorliegenden Geschichte abgegrenzt. KThom 2,1 führt in den Ort und die Situation der kommenden Handlung ein und informiert zudem über das Alter Jesu in dieser Episode. Die Formulierung »das Kind (t paidfflon to paidion) Jesus«, mit der der Vers beginnt, begegnet noch 2-mal in 2,3. Auch dass Jesu Spiel inmitten anderer Kinder stattfindet, wird zweifach erwähnt (2,2 f.). Die Kindschaft Jesu wird dadurch deutlich betont. Die anderen Kinder spielen jedoch keine aktive Rolle im Geschehen; als Handelnde treten außer Jesus nur erwachsene Personen auf. Das Wunder wird ausgelöst durch den Vorwurf, das Formen von Spatzen aus Lehm sei eine am Sabbat verbotene Tätigkeit: Ein in V. 3 unvermittelt auftauchender Beobachter, der zunächst nur als »Jude«, in V. 5 dann konkreter als »Pharisäer« bezeichnet wird, beschwert sich bei Josef über das Verhalten Jesu. Eine Reaktion Josefs fehlt, in Form einer Frage gibt er den Vorwurf aber an Jesus weiter (2,4). Wiederum wird keine Antwort Jesu berichtet, auch er verteidigt seine Handlung nicht. Stattdessen lässt er durch seinen Befehl an die Spatzen und ihr Wegfliegen die Beweise für seine »Arbeit« verschwinden. Ein kurzer Satz konstatiert, dass 827
Die Wundererzählungen in apokryphen Evangelien
die Spatzen Jesu Anweisung gehorchen und tatsächlich »wie Lebewesen« fortfliegen. Das Wunder wird beiläufig erzählt, es erscheint geradezu als ein Nebeneffekt der kindlichen Bemühung, die Sabbatübertretung zu vertuschen. Erst der abschließende V. 5 hebt das Wunderhafte des Geschehens durch die typischen Motive des Staunens und Weiterverkündens hervor. Die Zwölferzahl der Spatzen könnte evtl. schon als Vorverweis auf die Aussendung der zwölf Jünger Jesu verstanden werden (Klauck 2005a, 101).
Sozial- und realgeschichtlicher Kontext Der Vorwurf, Jesus entweihe den Sabbat, stuft sein Spiel als Arbeit ein. Dahinter steht das generelle jüdische Gebot der Arbeitsruhe am Sabbat, dem siebten Tag der Woche, das auf das Ruhen Gottes am siebten Schöpfungstag zurückgeführt wird (Ex 20,8-11). Das um 200 n. Chr. zusammengestellte jüdische Religionsgesetz, die Mischna, nennt im Traktat »Sabbat« 39 Hauptarbeiten, die am Sabbat untersagt sind. Die genannten Tätigkeiten, zu denen auch Bauen und Niederreißen gehören (mShab 7,2), schließen verwandte Tätigkeiten – z. B. das Erbauen von Staudämmen oder eben das Bilden von Lehmvögeln – ein, die somit ebenfalls unter das Verbot fallen. Von Kinderspielen im Vorschul- und Schulalter wird in antiken Texten immer wieder berichtet. Kinder spielten z. B. mit Brettspielen, Tonfiguren, Bällen, Gegenständen des alltäglichen Lebens und, wie in KThom 2, in und mit der Natur (Neumann/Sigismund 2005, 55 f.). Biblisch werden spielende Kinder in Sach 8,5 erwähnt. Der Spatz gehörte zur vielfältigen Vogelwelt des antiken Mittelmeerraumes. Wie andere Vogelarten auch wurde er mit Netzen und Fallen gejagt (z. B. Ps 124,7; Hos 7,12; Janowski/Neumann-Gorsolke/Gleßmer 1993, 152) und auf Märkten zum Kauf angeboten. Da er besonders klein und preiswert war, diente der Spatz v. a. als Speise der ärmeren Bevölkerung. Die neutestamentliche Tradition nennt den Spatz als sprichwörtlich kleines und geringes Geschöpf, dem dennoch göttliche Fürsorge zuteil wird (Mt 10,29-33 par.; Luz 2007, 128). Grundsätzlich haben Vögel in der biblischen Tradition eine positive Symbolik: Sie stehen für große Bewegungsfreiheit und Lebendigkeit und aufgrund ihrer Flugfähigkeit wird ihnen eine besondere Nähe zur göttlich-himmlischen Sphäre zugeschrieben (Staubli/Klinghardt 2009, 543).
Traditions- und religionsgeschichtlicher Hintergrund KThom 2,1 spielt auf die Schöpfungserzählung in Gen 1 an: Der spielende Jesus sammelt an der Furt eines Flusses die fließenden Wasser in Gruben und macht damit im Kleinen dasselbe wie Gott, der in Gen 1,9 bei der Schöpfung die Wasser unter dem Himmel an einem Ort zusammenführt. KThom 2,1 benutzt mit sun€gw (synago¯ – zusammenleiten) dasselbe Wort wie die Septuaginta in Gen 1,9. Explizit wird betont, dass Jesus den Wassern nur mittels eines Wortes gebietet. Dies entspricht der Erschaffung der Welt in Gen 1 durch das göttliche Wort. Dass Jesu Wort eine sofortige Wirkmacht hat, wird im weiteren Verlauf der KThom wiederholt beschrieben und ausdrücklich formuliert (z. B. 4,1; 5,1 f.; 17,2). KThom 2,2 erinnert an die zweite Schöpfungserzählung: Wie Gott in Gen 2,7 den
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Spielender Schöpfer KThom 2
Menschen aus Staub, so formt Jesus zwölf Spatzen aus Lehm (beide Male steht dieselbe Verbform: ˛plasen eplasen). In den kanonischen Evangelien wird mehrfach von Konflikten zwischen Jesus und Pharisäern berichtet, die ihm vorwerfen, den Sabbat zu entweihen (Mk 2,23-28 par.; Mk 3,1-5 par.). Bei Markus, Matthäus und Lukas zielt Jesu Argumentation darauf ab, die Übereinstimmung seines Handelns mit den anerkannten Regeln der Sabbatruhe bzw. Grenzen des Ruhegebots aufzuzeigen (Mk 2,27). Damit reihen sich diese Erzählungen in die im antiken Judentum lebhaft geführte Diskussion um Grenzfälle und Ausnahmen des Sabbatgebotes ein (Crüsemann/Crüsemann 2009a, 492). Eine andere, nämlich christologische Zielrichtung verfolgen die johanneischen Sabbatkonflikte in Joh 5 und 9, die demonstrieren, dass in Jesus nicht ein gewöhnlicher Mensch, sondern Gott selbst am Werk ist (Joh 5,17; Felsch 2011, 75-83). Dieselbe Intention liegt wohl auch in KThom 2 vor. Während menschliches Arbeiten am Sabbat nicht gestattet ist, dauert Gottes kontinuierliches Schöpfungswirken, das die Welt erhält, nach jüdischer Tradition auch an diesem Tag an. Verschiedene antike jüdische Überlieferungen reflektieren, wie das mit den Berichten vom Ruhen Gottes am siebten Schöpfungstag (Gen 2,2 f.; Ex 20,11; 31,17) zusammenzudenken ist. Für den um die Zeitenwende lebenden jüdischen Philosophen Philo von Alexandrien ist Gott »Urgrund aller Dinge«, der »seinem Wesen nach immer tätig ist und niemals aufhört, das Beste zu wirken« (Cher. 87). Philo geht deshalb davon aus, dass Gott, nachdem er am siebten Tag »die Erschaffung der sterblichen Wesen abgeschlossen hatte«, andere, göttlichere Wesen schuf (LA 1,5). Auch für die Rabbinen steht fest, dass Gott seine schöpferisch-erhaltende Tätigkeit nicht unterbrechen kann, da sie für den Lauf der Welt vonnöten ist (BerR 11,5). Ein rabbinischer Kommentar aus dem 3. Jh. gibt der Rede vom Ruhen Gottes in Ex 20,11 daher eine pädagogische Funktion (MekhJ Bah. 7): Gott, der keine Erholung nötig hat, ließ über sich selbst schreiben, dass er am siebten Tag ruhte, damit die erschöpften Menschen dies erst recht tun (Felsch 2011, 77-80). Das Motiv, dass mit Zauberkräften begabte Menschen Gebilde aus Wachs formen, die sie anschließend lebendig machen, findet sich in verschiedenen ägyptischen Sagen. So stellt Uba-aner ein wächsernes Krokodil her, das dann auf seinen Befehl hin den Liebhaber seiner Frau angreift und verschleppt (Wiedemann 1906, 5 f.). In einer anderen Geschichte lässt Neneferkaptah Ruderer aus Wachs in See stechen: »Als der Morgen des folgenden, des fünften Tages kam, da ließ sich Neneferkaptah eine große Menge reines Wachs bringen. Er formte daraus eine Barke, die von ihren Ruderern und Matrosen erfüllt war, er las eine Zauberformel über diesen Bildwerken, er gab ihnen Atem, er warf die Barke in das Wasser« (Wiedemann 1906, 127; vgl. Meyer 1904, 134 f.).
Verstehensangebote und Deutungshorizonte Es bleibt offen, ob KThom 2 tiefergehende theologische Aussageabsichten verfolgt oder lediglich eine Anekdote aus der Kindheit Jesu erzählen will. Möglich ist eine unterhaltend-humorvolle Deutung der Erzählung: Ihren Reiz gewinnt sie aus der Spannung zwischen dem ganz gewöhnlichen kindlichen Verhalten des Jesuskindes und den besonderen Auswirkungen, die dieses aufgrund der göttlichen Vollmacht Jesu hat. Zu einer solchen Deutung ohne besondere theologische Absicht (die göttlichen Fähigkeiten des Jesuskin829
Die Wundererzählungen in apokryphen Evangelien
des werden einfach vorausgesetzt) passt, dass das Wunder gar nicht so sehr betont wird, sondern in der Erzählung eigentlich eher zum Verwischen der Spuren der Arbeit am Sabbat dient. In der Regel dominiert aber eine schöpfungstheologische Deutung: Die Erzählung von der Erschaffung lebendiger Spatzen durch das bloße Wort des Jesuskindes am Beginn der KThom veranschaulicht eindrücklich, dass Jesus bereits als kleines Kind Anteil an der göttlichen Schöpfermacht hat (vgl. z. B. KThom 7,4; 10,2; 17,2). Wie Gott bei der Weltschöpfung, so gebietet schon der fünfjährige Jesus den Elementen und vollbringt das, was allein in Gottes Macht steht: die Erschaffung von Leben (z. B. Dtn 32,39). »Das Kind wird als Schöpfergott vorgestellt« (Schneider 1995, 37). Obwohl in KThom 2 wie im ganzen Evangelium Josef als Jesu Vater auftritt, wird durch die Wundererzählung die Gottessohnschaft Jesu von Kindheit an betont (vgl. z. B. KThom 7,2). Der das Wunder auslösende Sabbatkonflikt weist zum einen darauf hin, dass Jesus wie Gott selbst außerhalb der für Menschen geltenden Regeln steht: Indem Jesus die Spatzen lebendig macht, wird deutlich, dass sein Handeln nicht menschliche Tat ist, die dem Gebot der Arbeitsruhe unterliegt, sondern Wirken des Schöpfergottes selbst, der auch am Sabbat seine Schöpfungstätigkeit fortsetzt. Zum anderen klingt schon an, dass eben dieser Vollmachtsanspruch beim erwachsenen Jesus noch zu weitaus massiveren Konflikten führen wird.
Aspekte der Parallelüberlieferung und Wirkungsgeschichte Die Textfassung des Sabaiticus unterscheidet sich in einigen Punkten vom griechischen Text jüngerer Handschriften der KThom (vgl. Schneider 1995). In diesen hat das Ende der Erzählung einen bedrohlicheren Charakter, weil von der Tat des Jesuskindes nicht an Freunde, sondern an die Obersten berichtet wird – das klingt eher nach einer Anzeige und verweist noch deutlicher auf die Sabbatkonflikte des erwachsenen Jesus. Nur im Sabaiticus wird betont, dass Jesus das zusammengeleitete Wasser nur durch ein Wort, nicht durch eine Tat (˛rgon ergon) reinigt. Die Erzählung von der Erschaffung der Spatzen wird gleich zweimal im arabischen Kindheitsevangelium (arabK 36.46) aus dem 6. Jh. aufgegriffen (Josua/Eißler 2012, 964; Klauck 2005a, 105-108; Elliot 2006, 135-138). Dabei wird die Episode aus KThom 2 mit verschiedenen narrativen Details und Zusätzen ausgeschmückt. So formte Jesus mit seinen Freunden nach arabK 36 nicht nur Spatzen, sondern »Esel, Kühe, Vögel und dergleichen, und jeder von ihnen war stolz auf seine Fertigkeit und befand sein Werk für gut« (arabK 36; Übers. Josua/Eißler 2012, 976). Auch die Belebung der Tiere wird ausgeschmückt: »Er befahl ihnen zu fliegen und sie flogen los, und [er befahl ihnen] stillzustehen und sie setzten sich auf seine Hände. Er fütterte sie, und sie aßen, und er tränkte sie, und sie tranken« (arabK 36, Übers. Josua/Eißler 2012, 977). Während die Spielkameraden bei arabK 36 in Jesu Handeln das Werk des Schöpfers sehen (»Dann bist du der Sohn des Schöpfers!«, ebd.), sind es die Väter, die hier vor Jesus warnen: »Hütet euch davor, unsere Söhne, wieder mit ihm zu tun zu haben! Denn er ist ein Zauberer, also hütet euch vor ihm und haltet euch fern von ihm! Und von jetzt an spielt nicht mehr mit ihm!« (arabK 36 fin., Übers. Josua/Eißler 2012, 977). Eine größere Nähe zu KThom 2 weist arabK 46 auf, das in einer Reihe weiterer, eng auf KThom bezogener Wundererzählungen genannt wird (arabK 43 – KThom 16; arabK 830
Spielender Schöpfer KThom 2
44 – KThom 9; arabK 46b – KThom 3; arabK 48 – KThom 6; vgl. die Synopse bei Eliott 2006). Auch die Verknüpfung mit der Verfluchung des Sohnes des Hannas deutet auf diese traditionsgeschichtliche Beziehung hin (arabK 46 – KThom 2 f.; vgl. dazu von Bendemann zu KThom 3 in diesem Band). arabK 46 Eines Tages war der Herr Jesus auch an einem Wasserrinnsal, und bei ihm waren (andere) Kinder. Sie formten auch kleine (Wasser-)Becken und der Herr Jesus formte aus dem Lehm zwölf Spatzen und stellte sie an den Seiten des Beckens auf, je drei auf einer Seite. Und jener Tag war ein Sabbat. Da kam der Sohn des Juden Hannan und sah sie bei ihrem Tun, da sagte er zornig und wütend: »Es ist Sabbat und ihr formt Lehm!« Und er beeilte sich, ihre Wasserbecken zu zerstören. Der Herr Jesus aber klatschte mit den Händen in Richtung der Spatzen, die er geformt hatte, und sie flogen zwitschernd davon (Übers. Josua/Eißler 2012, 979 f.). Die Tradition, dass Jesus Lehmspatzen lebendig macht, findet sich außerdem im jüdischen Volksbuch »Toledot Yeshu« – hier als ein Beispiel für Jesu unrechtmäßige Zauberei (T15,34-39; Schlichting 1982, 110 f.) – und im Koran in den Suren 3,49 und 5,110. In Sure 3,49 heißt es (Übersetzung von Khoury 2004, 122.205): Koran Sure 3,49 Und (Er wird ihn) [sc. Jesus] zu einem Gesandten an die Kinder Israels (machen): Ich komme zu euch mit einem Zeichen von eurem Herrn: Ich schaffe euch aus Ton etwas wie eine Vogelgestalt, dann blase ich hinein, und es wird zu einem Vogel mit Gottes Erlaubnis […]. Der Koran korrigiert die Darstellung der KThom, Jesu Wort habe selbst Schöpfermacht, und betont, dass Jesus als Prophet nur mit Gottes Erlaubnis Wunder vollbringen kann (Prenner 2007, 63; Khoury 2004, 205).
Dorit Felsch Literatur zum Weiterlesen R. Aasgaard, The Childhood of Jesus. Decoding the Apocryphal Infancy Gospel of Thomas, Eugene 2009. J. Hartenstein, Macht, Übermut und sonderbare Wunder. Apokryphe Kindheitsevangelien: Geschichten über Jesus als Kind, WUB (2010), 10-14. U. U. Kaiser, Jesus als Kind. Neuere Forschungen zur Jesusüberlieferung in den apokryphen »Kindheitsevangelien«, in: J. Frey/J. Schröter (Hg.), Jesus in apokryphen Evangelienüberlieferungen. Beiträge zu außerkanonischen Jesusüberlieferungen aus verschiedenen Sprach- und Kulturtraditionen, WUNT 254, Tübingen 2010, 253-269. H.-J. Klauck, Apokryphe Evangelien. Eine Einführung, Stuttgart 22005, 99-105.
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Anhaltende Trockenheit (Die Verfluchung des Sohnes des Annas) KThom 3 (arabK 46 f.) Als Ausgangspunkt für die Übersetzung und Interpretation von KThom 3 dient im Folgenden der griechische Codex Sabaiticus (11. Jh.; zugänglich bei Aasgaard 2009, 220). Beim gegenwärtigen Forschungsstand zur handschriftlichen Überlieferung von KThom (vgl. Hartenstein, Hinführung zu den apokryphen Evangelien; vgl. Gero 1971, 49 f.; Voicu 1991, 123-126; Schneider 1995, 34-47; Chartrand-Burke 2001, 10-99) kann dabei weder sicher davon ausgegangen werden, dass es sich bei KThom 3/Sabaiticus um die älteste Gestalt der Erzählung handelt, noch kann dieser griechische Text im Vergleich mit den weiteren griechischen (inzwischen werden vierzehn gezählt), den syrischen, lateinischen, äthiopischen und altslawischen Bezeugungen als eine »Variante« oder »Fassung« eines ursprünglichen Textes gelten (vgl. Aasgaard 2009, 23-33, der einen »oral/ written approach« vorschlägt). Ein Archetyp lässt sich gegenwärtig nicht rekonstruieren. In der Textanalyse wird darum zusätzlich an Punkten, wo dies sinnvoll ist, der die Diskussion viele Jahrzehnte bestimmende und immer noch zitierte Tischendorfsche Langtext verglichen (Tischendorf 1876, XLIII-XLIV, 140-157). Diese in 19 Kapiteln gezählte Bezeugung der Erzählung liegt auch der von Schneider besorgten Übersetzung in den »Fontes Christiani« zugrunde (Schneider 1995, 147-171). (3,1) Der Sohn des Annas, des Hohepriesters, aber spricht zu ihm: »Warum tust du so am Sabbat?« Und er nahm einen Weidenzweig und riss die [Wasser]lachen ein, und er vergoss das Wasser, welches Jesus zusammengeführt hatte. Und er ließ ihre Ansammlungen vertrocknen. (2) Als aber Jesus das Resultat sah, sprach er zu ihm: »Wurzellos soll deine Frucht sein und trocken dein Trieb, wie ein Zweig, der im heftigen [unsicher] Wind frei daliegt.« (3) Und sogleich vertrocknete jenes Kind.
Sprachlich-narratologische Analyse Entgegen einem verbreiteten Urteil der älteren Forschung sind die einzelnen dramatischen Episoden von KThom keineswegs isoliert zu betrachten oder gar austauschbar (z. B. Hock 1995, 85: »a collection of largely self-contained stories …«). Die Erzählung weist einen relativ hohen Grad der Vernetzung auf. Dies gilt zumal für ihren Eingangsteil. Insofern sind zunächst wenige Bemerkungen zur Einbindung von KThom 3 angezeigt. KThom 2-5 bilden einen narrativen Verbund. KThom 6 markiert gegenüber 2-5 einen deutlichen Neueinsatz; nach den soweit gescheiterten Anläufen der Paideia des Jesuskindes bedeutet der erste Lehrer eine neue Stufe. Der mit KThom 2 eröffnete und über 3-5 weitergeführte Spannungsbogen löst sich erst nach der ersten Lehrerzählung in KThom 8,2: Die so weit unter den Fluch Gefallenen werden geheilt. Zugleich stellt der 832
Anhaltende Trockenheit KThom 3
Erzähler hier fest, dass niemand es aus Furcht mehr wagt, das Jesuskind zu erzürnen. Dies ist die im Sinn des Erzählers gewollte Haltung und Reaktion. KThom 2-5 beinhalten eine Sequenz von Episoden, in denen Wundertätigkeit und dialogische Elemente in enge Wechselwirkung treten. Der Episode mit Schöpfungsbezügen in KThom 2 kommt für KThom 3 narrative Prologfunktion zu. Der fünfjährige Jesus baut am Sabbat (KThom 2,2) Staudämme und formt aus Lehm Spatzen. Die schöpferische Potenz des Kindes wird an einem ersten Sabbat augenfällig herausgestellt. Verschiedene Signalworte der Erzählung erinnern an biblisches Schöpfungsgeschehen (vgl. das Zusammenführen von Wassern bzw. die Trennung von Wasser und trockenem Land: KThom 2,1/Gen 1,7-10; vgl. Ps 104,5-13; das griechische Verb für das schöpferische »Bilden« in KThom 2,2/Gen 2,7; ferner die Terminangabe des Sabbat; vgl. Gen 2,2 f.; Ex 20,11; vgl. die Rede vom »Wort« in KThom 2,1). Im Sabaiticus wird diese Thematik in KThom 3 steigernd fortgeführt. So wird die Praxis Jesu am Sabbat zunächst von einem Juden gegenüber dem Vater Jesu reklamiert (KThom 2,3); auf den anonymen Juden folgt dann der Sohn des Hohepriesters Annas mit seiner entsprechenden Kritik (KThom 3,1). – Indem somit Erzählerrede (»narrative aside« in KThom 2,2) und Figurenrede (KThom 2,3; 3,1) ineinandergreifen und sich gegenseitig bestätigen und verstärken, rückt die Sabbatthematik ins Zentrum. Sodann spielt die Rede von den sunagwgaffl (synago¯gai) in KThom 3,1 nicht auf die jüdischen Synagogen an; vielmehr liegt in Weiterführung von KThom 2 eine deutliche Bezugnahme auf den biblischen Schöpfungsbericht vor. In Gen 1,9LXX bezeichnet sunagwgffi (synago¯ge¯) den Stauraum, in dem sich das Wasser sammelt. Zusammengenommen ergibt sich in KThom 2 f. eine inclusio: Die auf Schöpfungsgeschehen anspielende Erzählung vom Bau des Staudamms und seiner Zerstörung rahmt das Schöpfungswunder der Bildung von Sperlingen. Insgesamt ist so aber auch die Fluchstrafe, die den Sohn des Hohepriesters in KThom 3 ereilt, nur im Verbund mit KThom 2 zu verstehen (vgl. Elliott 2006, 135 f.). Sie ist Folge des destruktiven Zuwiderhandelns gegenüber der schöpferischen Aktivität, wie sie bereits das Kind Jesus in Gang setzt. Ähnlich eng ist KThom 3 auch mit den folgenden beiden Episoden verbunden. Eine vergleichbare Struktur wird etabliert. Es wird jeweils eine widerständige bzw. kritische Handlung oder Haltung gegenüber dem Jesuskind und seinen Taten berichtet. Diese löst eine unmittelbar eintretende Fluchstrafe aus, die von Jesus ausdrücklich intendiert ist. Von den drei Strafwundern enden die ersten beiden tödlich. Dies entspricht dem Konzept von KThom: In der Begegnung mit dem Reden und Handeln Jesu geht es um die Alternative von Leben und Tod. In der Erzählung von der Erblindung der Eltern in KThom 5,1 wirkt sich traditionsgeschichtlich der metaphorische Zusammenhang von Sehen und Erkennen (vgl. von Bendemann zu Mk 8,22-26; Frey zu Joh 9,1-41 in diesem Band) aus. Im Tischendorfschen Langtext werden die Episoden in KThom 3-5 zusätzlich durch das Motiv der Beschwerde der Eltern beim Vater des Jesuskindes verbunden. Auf der Elternbeschwerde basiert der Tadel des Josef (KThom 5,1). In KThom 4,1 (im Tischendorfschen Langtext zusätzlich in KThom 3,3) übernehmen die erzählten Zuschauer die intendierte Rolle der Leserschaft. Auch diese soll sich fragen, woher »dieses Kind« nach seiner Geburt stammt, da seine Worte Tat werden. – Damit ist in Bezug auf die initialen Taten Jesu in KThom eine Leitfrage der Gesamterzählung markiert. Die Episode KThom 3 ist äußerst gerafft erzählt, Details sind rar, von Emotionen verlautet – durchaus im Einklang mit synoptischen Konfliktgeschichten – trotz des kon833
Die Wundererzählungen in apokryphen Evangelien
frontativen Handelns nichts (dies ist in der Langfassung Tischendorfs anders: Hier berichtet KThom 3,2 vom Erzürntwerden Jesu; in anderen Zeugen ist vom »Bitter-Werden« die Rede; vgl. Santos Otero 1967, 54). Die vom Erzähler im narrativen Präsens eingeführte Frage des Sohnes des Hohepriesters Annas erinnert zunächst an die Eröffnung eines Streitgespräches (im Sabaiticus ist Annas – wie in den Evangelien – der Hohepriester; in Tischendorfs Langfassung ist er Schriftgelehrter, sein Sohn steht mit dem Vater Jesu zusammen; zu den Differenzen zwischen slawischen und griechischen Texten an dieser Stelle: Santos Otero 1967, 47 f.; in der lat. Übersetzung ein »Pharisaeus« [Tischendorf 1876, 168]). Extravagant auf diesem Hintergrund erscheint, dass eine Erwiderung nicht abgewartet wird, der Sohn des Annas vielmehr auch handelnd gleich in die Offensive geht. Das in drei parallelen Gliedern berichtete Zerstörungshandeln (der Aorist steht für den »Spezialeffekt«: Zerstören / Ausschütten / Vertrocknen) markiert im Vergleich mit synoptischen Streitgesprächen eine deutliche Zuspitzung der denkbaren gegnerischen Herausforderung. Auf ihrem Hintergrund wird plausibel, dass das Jesuskind seinerseits zu einem Doppelschlag, bestehend aus Wort und Tat, ausholt. Im Sinn der Konzeption von KThom ist dabei die Kongruenz entscheidend: Das im Fluchwort Angesagte dokumentiert sich auf der Stelle im Vertrocknen des Sohnes des Hohepriesters. Semantisch sind dabei die Aktion des Annas-Sohnes, das Fluchwort Jesu sowie die Fluchfolge über die griechische Wurzel xhr- (xe¯r-) miteinander verzahnt. Sie nimmt – wie oben bereits festgestellt – zunächst auf das Schöpfungshandeln in Gen 1,9 f.LXX Bezug, wird dann aber im Sinne der leiblichen Bestrafung weiterentwickelt. Biblische Intertextualität steuert dabei nicht die Gesamtepisode. Für den Weidenzweig z. B. gibt es keine entsprechende Referenz (zur »Weide« vgl. Diod. Sic. 5,41,5; Flav. Jos. Ant. 3,245 u. a.; in LXX nur drei Belege: Lev 23,40; Ps 136,2; Jes 44,4 – neben »Wasser«; zu den »Wasserlachen« vgl. Flav. Jos. Bell. 5,164; 7,291; 1Clem 45,6; häufig in LXX; zu katastrfffein [katastrephein – niederreißen; zerstören/vernichten] vgl. Hi 11,10LXX von Gott weiter 1Clem 27,4; Apg 15,16 varia lectio; zum Vergießen von Wasser vgl. im Blick auf die Taufe Did 7,3; zum »Trieb« / »jungen Zweig«: TestJud 24,4; Philo opif. 41,6; 1Clem 23,4 = 2Clem 11,3; die Adjektivbildung »wurzellos« ist im Griechischen ungewöhnlich).
Sozial- und realgeschichtlicher Kontext In dem Bauen von Staudämmen in KThom 2 f. verbinden sich nach einem weitgehenden Konsens Praktiken kindlichen Spiels mit den Voraussetzungen ländlichen Lebens. Dass ein Kinderleben akzentuiert wird, deutet schon dasjenige Stichwort an, das sich in den unterschiedlichen Titelangaben des KThom durchhält: »Kindheitstaten (paidik€ paidika) Christi« o. Ä. (s. die Belege bei Kaiser 2010, 254 mit Anm. 5). Es geht um Taten/ Geschehnisse des Kindesalters, und immer wieder hebt der Text hervor, dass es das Kind Jesus ist, das etwas tut oder sagt. Das Kind spielt mit Schlamm, in KThom 4 scheint kindliches Spielen der Ausgangspunkt für heftigen Streit, es besucht den Unterricht eines Lehrers, zu dem sich Spannungen ergeben, es hilft dem Vater und der Mutter. Beim Spiel auf dem Dach ergeben sich gefährliche Situationen (KThom 9,1). Kindlich scheinen auch weitere Verhaltensweisen wie das Lachen und das Klatschen in die Hände 834
Anhaltende Trockenheit KThom 3
(KThom 2). Inwieweit in den einzelnen Episoden von »jeweils altersgemäße[n] Betätigung[en]« zu sprechen ist, müsste noch genauer traditionsgeschichtlich untersucht werden (Kaiser 2010, 268). Ein lineares Fortschreiten vom Fünfjährigen zum Zwölfjährigen ist jedenfalls nicht feststellbar. Besonders ausführlich belichtet wird zunächst der Fünfjährige. Andere Alterstufen wie die des Sieben-, Zehn- und Elfjährigen sind dagegen nicht ausgeführt. Es ist zugleich schwierig, solche Beobachtungen eins zu eins in die hypothetische Kommunikationssituation des Textes oder seine sozialgeschichtliche Verortung umzurechnen. Dies gilt insbesondere für den Vorschlag, im KThom die erste Erzählung des Frühchristentums speziell für Kinder zu erkennen (so Aasgaard 2009, 192-213, der besonders den Widerstand Jesu von KThom gegenüber den verschiedenen pädagogischen Instanzen herausstellt; »Examples of revolt, and their success …«; a. a. O., 83). Auf der anderen Seite fällt auf, dass im KThom ländliches Leben inszeniert wird (Hock 1995, 92; vgl. Aasgaard 2009, 55-68); die Stadt Jerusalem erreicht erst KThom 19 (Sabaiticus 17). In KThom 2,1 ist die Rede von Überschwemmung infolge von Regen, in 3,1 wird ein Weidenzweig genutzt; verschiedentlich ist vom Dorf die Rede; in diesem gibt es offenbar mehrere Elementarschullehrer und einen Klassenraum (vgl. KThom 6,8). Der Vater Jesu führt in KThom ein Bauunternehmen und betreibt Landwirtschaft (vgl. die Holzarbeiten in KThom 12). Im Hintergrund einiger Episoden steht die drohende Gefahr, aus der Dorfgemeinschaft ausgeschlossen zu werden. KThom in der Fassung von Tischendorfs Langtext hat dabei an einer genaueren Identifikation des Dorfes im Sinne der später kanonisch gewordenen Evangelien kein Interesse. Dagegen ist äußerst bemerkenswert, dass der Sabaiticus in 1,1 »unsere Region Betlehem« mit dem »Dorf Nazaret« harmonisiert. Fraglich ist, ob aus entsprechenden Befunden soziohistorisch ländliche/dörfliche Trägerkreise von KThom zu erschließen sind (so Aasgaard 2009, 58). Zunächst bietet das dörfliche/ländliche Setting erzählerische Inszenierung.
Traditions- und religionsgeschichtlicher Hintergrund Im Blick auf den traditionsgeschichtlichen Hintergrund von KThom 3 stellt sich zunächst die Frage nach dem Verhältnis zu den später kanonisch gewordenen Evangelien. Insgesamt bewährt sich, dem KThom eine größere Eigenständigkeit zuzuschreiben. Auch wenn dem Kenner/der Kennerin der kanonischen Evangelien mancher Name (vgl. Hannas in Lk 3,2; Zachäus in Lk 19,2 u. a.), manche narrative Verknüpfung (Synchronisierungen und einfache Anschlüsse wie »sogleich« in KThom 3,3) und manches Detail vertraut erscheint, und auch wenn sich formgeschichtlich Grundgesetzmäßigkeiten neutestamentlicher Wundererzählungen verifizieren lassen, so bietet die Erzählung nicht einfach nur eine Prolongation der Jesusgeschichte »nach vorne«, sie füllt nicht einfach »Lücken« und »ergänzt« und »arrondiert« nicht nur ein vorhandenes Bild (vgl. Vielhauer 1975, 674; Klauck 2005a, 100). Mit Ausnahme von KThom 19 (Sabaiticus 17) verwendet die Geschichte wenig Energien darauf, ihren Verlauf auf bereits vorhandene (synoptische oder johanneische) Jesusgeschichten abzustimmen. Sie sucht in der Gesamttendenz weder eine Harmonisierung verschiedener (synoptischer oder johanneischer) Berichte, noch werden klar erkennbar bereits vorhandene Evangelienerzählungen 835
Die Wundererzählungen in apokryphen Evangelien
bewusst neu- und uminterpretiert (vgl. aber oben zu Betlehem und Nazaret im Anfang des Sabaiticus). Die Ausnahme bietet die Adaption von Lk 2,41-52 in KThom 19 (Sabaiticus 17; vgl. arabK 50-53), auch wenn der Prätext eigenständig rezipiert wird. Dies lässt nach einer besonderen Affinität zu Lukas fragen. Dass die Strafe »sogleich« (stante pede) eintritt (vgl. KThom 3,3; 4,1), ist ein häufiges lukanisches Motiv. Allerdings fehlt im Sabaiticus an dieser Stelle das bei Lukas an entsprechendem Ort stehende Adverb paracr»ma (parachre¯ma, vgl. Lk 1,64; 4,39; 5,25; 8,44.47.55; 13,13; 18,43 u. a. m.). Für die Episode der Rede Jesu vor seinem dritten Lehrer (KThom 15 = Sabaiticus 14) ist eine Nähe zur so genannten Antrittspredigt in Nazaret (Lk 4,16-22) wahrscheinlich (Schneider 1995, 37). Allerdings scheinen solche Bezüge zu Lukas im Sabaiticus weniger ausgeprägt als in Tischendorfs Langtext (vgl. weiter KThom 2,4 mit Lk 6,2 par.; zu KThom 5,3 [Suchen – Finden] vgl. Lk 11,9 par.; zu KThom 11,2; 19,5 – Langtext Tischendorf – vgl. Lk 2,19.51; zur Aussaat in KThom Sabaiticus 11 vgl. Lk 8,5-8 par.; zu hundert Kor Weizen in KThom 12,2 – Langtext Tischendorf – vgl. Lk 16,7; zur Fülle von Gnade und Weisheit in KThom 15,3 – Langtext Tischendorf – vgl. Lk 2,40.52; zu KThom 15 [der Natterbiss des Jakobus] vgl. Apg 28,3 f.; zu KThom 19,4 – Langtext Tischendorf – vgl. Lk 1,42). Sind im Langtext die Totenerweckungsgeschichten in KThom 17 f. mit Lk 8,40-56 par. (»Herbeiholungstyp«) und 7,11-17 (»Begegnungstyp«) zu vergleichen, so fehlen diese Episoden im Sabaiticus. Für den Sabaiticus reklamiert Aasgaard dagegen eine Bekanntheit mit Lk 11,27.53 (Aasgaard 2009, 118). Eigens zu thematisieren ist das Problem der Straf- bzw. Fluchwunder. Diese sind in der später neutestamentlich gewordenen Erzählliteratur selten. Eine gewisse Ausnahme stellt das lukanische Doppelwerk dar (vgl. Lk 1,20; Apg 5,1-11; 9,8 f.; 13,11). Lassen sich die Strafwunder in KThom also von Lukas her erklären? Dem stehen deutliche Differenzen entgegen. Das einzige Strafwunder bei Lukas, welches tödlich endet, findet sich in Apg 5,1-11. Es fehlen jedoch deutliche intertextuelle Hinweise, dass die tödlichen Fluchwunder in KThom von hier aus inspiriert sein könnten. So findet sich z. B. in KThom 3,3 in der Langfassung Tischendorfs das Verb bast€zein (bastazein) als terminus technicus für das Heraustragen einer Leiche (vgl. Joh 20,15; Flav. Jos. Ant. 3,210; 7,287); an entsprechender Stelle steht in Apg 5,6 dagegen ein anderes Verb (¥kfffrein ekpherein – heraustragen). Die übrigen lukanischen Strafwundererzählungen betreffen die Sinnesorgane; hier wäre sachlich KThom 5,1 zu vergleichen. Doch wiederum fehlen intertextuelle Markierungen, die einen exklusiven Bezug auf Lukas wahrscheinlich machen. Vielmehr steht im Hintergrund eine gemeinsame Traditionsgeschichte (vgl. von Bendemann zu Mk 8,22-26 in diesem Band). Ökonomischer und plausibler als die These, dass KThom vom lukanischen Schrifttum ausgeht (mit Chartrand-Burke 2001 u. a.), ist darum die Annahme, dass der Text auch hier eigenständiger ist, als oft gesehen wird. V. a. in anglophonen Arbeiten zu KThom ist die deutliche Tendenz festzustellen, die vergleichsweise wenigen erhaltenen Texte des Frühchristentums in eine möglichst enge (»kanonische«) Beziehung zu setzen; demgegenüber ist KThom ein Zeugnis für die große Vielgestaltigkeit frühchristlicher Literaturbildungen (die wir aufgrund lückenhafter Kenntnisse oft nicht genealogisch präzise abbilden können). Der Todesart des Austrocknens wie ein Baum in KThom 3,2 (die Textgestalten von KThom gehen allerdings auseinander; in der slawischen Überlieferung ist vom »Aus836
Anhaltende Trockenheit KThom 3
trocknen« auch in KThom 4,2 die Rede; vgl. Santos Otero 1967, 57) wird sodann häufig die Erzählung der Verfluchung des Feigenbaums in Mk 11,12-14.19 f. par. verglichen (in Mk 11,20 f. findet sich dasselbe Verbum; zudem das Stichwort der »Wurzel«). Allerdings ist die dort im Blick auf Jerusalem und den Tempel akzentuierte Fruchtlosigkeit für KThom 3 nicht wahrscheinlich zu machen. Dagegen liegt in KThom 3 etwas in der Art eines Sympathie- oder Analogiezaubers vor: Der Zerstörer des schöpferischen Wirkens Jesu wird auf die Weise gestraft, in der er selbst zerstört: durch »austrocknen« (vgl. Mk 3,1 von der ausgezehrten Hand). Das Verb bedeutet im Passiv das Dürr- und Trockenwerden von Flüssigkeiten (vgl. Offb 16,12; Mk 5,29) bzw. das entsprechende Vertrocknen von Pflanzen (so Mk 11,20 f. par. Mt 21,19 f.; Mk 4,6 par. Mt 13,6 par. Lk 8,6; 1Petr 1,24; Offb 14,15; Joh 15,6). In Mk 9,18 bezeichnet es das Starrwerden des »epileptischen« Kindes. Dem Befund für das Verb entspricht der für das Adjektiv: Trocken werden Holz (Lk 23,31) und Erde (Hebr 11,29) bzw. ist das Land im Unterschied zum Meer (Mt 23,15; vgl. von einem Fluss: Flav. Jos. Bell. 5,409). In Hinsicht auf ein physisches Leiden stellen sich medizinische Konnotationen ein (vgl. Galen. 7,666; vgl. Luc. tox. 24; von der von Trauer verzehrten Gestalt der Elektra: Eurip. Electr. 239; vgl. Theocr. 24,61). Zu vergleichen ist die antike Vorstellung, nach der Krankheit von einer Fehlkonsistenz der Körpersäfte bzw. einem Fehlverhältnis der vier Grundbeschaffenheiten des Körpers ausgelöst wird. Die Alternative von Segnen und Fluchen in KThom 4,2 ist mit verschiedenen biblischen Texten zu vergleichen (vgl. Dtn 11,26; 23,6; Röm 12,14 u. v. a.); auch hier liegt ein gemeinsamer traditionsgeschichtlicher Hintergrund vor, ohne dass bestimmte Prätexte im Vordergrund stehen. Weitere Postulate biblischer Intertextualität bleiben für KThom 3 im Kontext sehr unsicher. Dies gilt z. B. für den Vorschlag von Aasgaard (Aasgaard 2009, 128), der KThom 3 auf dem Hintergrund von Gen 3 lesen möchte. Der Sohn des Annas stehe hier für die Schlange im Paradies. Jesu fluchendes bzw. strafendes Handeln weist demgegenüber eine Nähe zu antikmagischen Praktiken auf. Dies wäre am Gesamttext näher zu zeigen, wobei ein in der Forschung oft pejorativ gebrauchter Magie-Begriff nicht den Blick verstellen darf. Sodann sind weitere Strafwunder in der nichtjüdischen und nichtchristlichen Literatur einzubeziehen. Von einer Bestrafung infolge der dreimaligen Missachtung einer göttlichen Erscheinung weiß z. B. die Erzählung von Titus Latinus (Liv. 2,36,1-8; Plut. Cor. 24,1-3; Cic. div. 1,55). Sein Sohn stirbt, der Bauer selbst wird gelähmt. Wie in KThom wird die Strafe am Ende aufgehoben.
Verstehensangebote und Deutungshorizonte Überblickt man die bisherigen Versuche, die Strafwunder in KThom als Teil einer Gesamtkonzeption zu verstehen, so muss man feststellen, dass ein wirklich befriedigender Verstehensschlüssel bislang nicht gefunden worden ist. Zu zeigen ist dies zunächst am Modell der Sachkritik am Ganzen. Sodann spiegeln sich die zahlreichen Verstehensschwierigkeiten des Textes, insbesondere der Logien, in der gnostischen Lektüre des KThom. Relativ weiterführend sind jüngere Ansätze, die auf biographische Elemente verweisen. Die Forschungsliteratur zu KThom ist angefüllt mit Werturteilen über die defizi837
Die Wundererzählungen in apokryphen Evangelien
täre Erzählkunst, den mangelnden Geschmack und den fragwürdigen theologischen Gehalt des Textes, die insbesondere auch von den Fluchwundern her ansetzen. Theologische Banalität, Mangel an »Idylle« (Schneider 1995, 37), moralische Defizienz (Lapham 2003, 130) und unchristlicher Charakter (Elliott 1993, 68) werden konstatiert (weitere Urteile bei Kaiser 2010, 256). Dabei wird oft Maß an den später kanonisch gewordenen Evangelien genommen (z. B. Hock 1995, 86: »… a strikingly different Jesus from the one in the canonical portraits – a vindictive, arrogant, unruly child …«). Die offenkundige Bösartigkeit des Kleinkindes resp. des Jugendlichen Jesus, der sich nicht wirklich »bessere« (vgl. klassisch Vielhauer 1975, 674: »Der Achtjährige ist genauso bösartig wie der Fünfjährige …«), bereitet hermeneutische Probleme. In Kürze ist hierzu festzuhalten: Die Frage nach einer Entwicklung der Jesusfigur findet auch für den »erwachsenen« Jesus der später kanonisch gewordenen Evangelien keine einfache Antwort. Gerade auf der Invarianz von Beginn an ruht jedenfalls der Akzent in KThom. Schon das Jesuskind ist »nicht erdgeboren« (KThom 7,2), ist »etwas Großes oder Gott oder ein Engel« (KThom 7,4). Dabei liegt aller Nachdruck darauf, dass schon die Worte des Kindes nicht harmlos sind, sondern tatsächlich umgehend zum »Werk« / zur »Tat« werden (4,1; vgl. im Tischendorfschen Langtext: 5,2; 17,2; vgl. Ps 32,9LXX u. a.; auf Hermes, der sich im Homerischen Hymnus 4,45 f. schon als Kind als Rinderdieb betätigt und im Blick auf den ebenfalls die augenblickliche Kongruenz von Worten und Taten – allerdings im Denken – festgestellt wird, verweist Klauck 2005a, 105). Im Tischendorfschen Langtext werden die Strafwunder in KThom 3-5 zudem durch die Rettungswunder in KThom 9 f. und 16-18 (zwei Totenerweckungen in 17 f.; vgl. im slawischen KThom zusätzlich die Heilung eines Halbblinden in 21) ausbalanciert. Weiter ist gegenüber der Kritik an einem fluchenden und strafenden Jesus festzuhalten: Im Verständnis der Konzeption von KThom handelt es sich um ein »gerechtes« Verhalten Jesu: »… the problem ist not on the part of Jesus, but on the part of those being cursed: they should already at the outset have realized who he is and thus not have challenged him« (Aasgaard 2009, 161). Allerdings bleibt die Konzeption von KThom in manchem höchst eigenartig. Dies betrifft insbesondere die verschiedenen erzieherischen Maßnahmen in ihrem Verhältnis zu dem besonderen Kind. – Der Vater zieht das Kind am Ohr, nachdem es zwei Menschen getötet hat und weitere erblindet sind (KThom 5,2). Aasgaard meint, dass dies »… appears to be painted with more than a touch of humor« (Aasgaard 2009, 139). Dienen die Auseinandersetzungen Jesu mit seinen Lehrern in KThom dazu, »das Kind als jungen Gnostiker« zu erweisen (so Schneider 1995, 37)? Die Schwierigkeit besteht darin, dass noch nicht jede Rede von Auffassungsgabe und Klugheit von Beginn an im Sinne einer qualifizierten »Gnosis« gedeutet werden kann. Sie fügt sich zunächst einem biographischen Muster ein. Eine Scheinlösung bietet die in der älteren Forschung vertretene Annahme, eine (nicht mehr erhaltene) ursprüngliche Fassung von KThom sei noch stärker von gnostischen Motiven geprägt gewesen, diese Fassung sei jedoch später im Sinne der großkirchlichen Lehre modifiziert worden (Vielhauer 1975, 675 f.; Cullmann 1990, 355 Anm. 9). Im Einzelnen ist im Eingangsteil von KThom sehr vieles höchst umstritten. Die Szene, in der Jesus als »Hydrotechniker« agiert, wird auf dem Hintergrund gnostischer Motive verstanden. Baars/Helderman (Baars/Helderman 1993, 206) bringen sie mit der 838
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Vorstellung vom Vater, dem Äon der Wahrheit, in Verbindung, von dem ein »Fließen« ausgesagt wird (NHC 1,5 p. 1,74,6-10). Die Schöpfung von Vögeln aus Lehm interpretiert Santos Otero auf dem Hintergrund einer gnostischen Demiurgenvorstellung (zur Kritik: Baars/Helderman, 1993, 203.205 mit Anm. 37). Die Erblindung der Eltern, die Jesus beim Vater verklagen (KThom 5), wird auf den Hintergrund eines gnostisch-metaphorischen Sprachgebrauchs bezogen, nach dem »Unwissenheit« über den Ursprung und das Ziel der Blindheit entsprechen (vgl. EvThom 28). Erheblich größere Unsicherheit ergibt sich noch im Bereich der Logien bzw. der Dialoge, die den Rahmen von KThom 2-5 bilden. Nicht zu Unrecht ist hier von »strange sayings« die Rede (Aasgaard 2009, 137-148). Der Sinn von »Führer« (gemðn he¯gemo¯n) in KThom 4,1 (Sabaiticus) ist an dieser Stelle schwer zu bestimmen. Eine dämonologische Deutung legt sich aus dem Ganzen von KThom nicht nahe. Aasgaard 2009, 138, versteht im Sinn der »own bad attitudes« des Jungen. Auch KThom 5,1.3 sind in ihrem Sinn dunkel und umstritten (vgl. zu 5,1 den Vorschlag von Aasgaard 2009, 139; anders z. B. Chartrand-Burke 2001, 227). Auch die Rede vom Suchen und Finden Jesu im schließenden Wort KThom 5,3 nähert sich nicht eo ipso gnostischen Vorstellungen. Akzentuiert man die Frage nach der Nähe zu den Synoptikern, so wäre dem Suchen und Finden des Sohnes durch seinen Vater (auf dem Hintergrund der Opposition von Leben und Tod) z. B. auch Lk 15,24 zu vergleichen – ohne die Notwendigkeit der Annahme eines »gnostischen« Einflusses (vgl. anders die Rede vom »Finden« der »Deutung« im Incipit und vom Suchen und Finden im Logion 2 des EvThom; s. die Synopse bei Klauck 2005a, 56 f., zu Clem. Al. strom. 2,45,5; 5,96,3 im Sabaiticus ist ebenso schwer zu verstehen. Möglich ist, dass Jesus hier lediglich darauf hinweist, dass er noch Kind ist, insofern in der Hand seines Vaters steht und dieser ihn nicht derart bestrafen/züchtigen soll. Andere schlagen eine gnostische Lesart vor, nach der Jesus »Gefangener in der Welt« ist – eine Lesart, die sich vom Kontext her kaum nahelegt. Auffällig sind manche Parallelen zu johanneischen Aussagen. So tönt die »Woher«-Frage der Zuschauer in KThom 4,1 johanneisch – jedenfalls für Leser(innen), die das vierte Evangelium kennen (vgl. Joh 7,27 f.; 8,14; 9,29 f. u. a.). KThom 5,3 ist mit Joh 7,34-36 zu vergleichen. Nach KThom 8,1 ist Jesus »von oben her«. Dies erinnert an Joh 3,3, wie insgesamt die anschließende Sendungsaussage an die Sendungschristologie des vierten Evangeliums denken lässt. Der forschungsgeschichtliche Terminus »Kindheitsevangelium« (engl. »infancy gospel«) ist in mehrfacher Hinsicht unglücklich und missverständlich. Nach seiner späteren Verwendung lässt der Begriff »Evangelium« an eine Gestalt von Erzählungen denken, wie sie in den Synoptikern vorliegt, deren Erzählradius jedoch sehr viel weiter gespannt ist als der von KThom. Hinzu kommt das Problem, dass die synoptischen Jesusgeschichten zeitgenössisch noch nicht einer schriftlichen Gattung »Evangelium« zuzurechnen sind. Texte, die im Unterschied zu den Synoptikern als »Evangelium« tituliert waren, unterscheiden sich von diesen signifikant (vgl. das koptische Thomasevangelium; zum Problem: Schröter 2010, 40-45). Schließlich steuert eine Gattungsbezeichnung »Kindheitsevangelium« die Lesererwartung in problematischer Weise; in KThom 2-5 ist z. B. nicht nur das Kind, sondern auch Josef als Hauptfigur zu begreifen. Demgegenüber führt es weiter, KThom mit antiken Lebensschilderungen zu vergleichen, in denen frühe omina bereits auf kommende Taten verweisen, Charakterzüge früh prädisponiert sind und insbesondere die Auseinandersetzung mit den Lehrern auf die kommende Größe 839
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und die Geschicke einer Figur hinweisen kann (vgl. Hock 1995, 92-97). Allerdings ist der Radius möglicher Vergleichstexte sehr schwer zu bestimmen. Und auch die Wahrnehmung der jüdischen Lebenswelt in KThom müsste genauer untersucht werden; diese fehlt nicht völlig (so Lapham 2003, 130). Jesu erster Wirktag ist in KThom 2 f. (wie im Markusevangelium) ein Sabbat, und ein jüdischer Beobachter schaut zu und berichtet Josef und stellt ihn zur Rede. In KThom 3 agiert der Sohn des Hohepriesters als Herausforderer etc. Ist die Bedeutung solcher Erzählzüge angemessen bestimmt, wenn man sie als rein »entlehnt« abtut (Hock 1995, 91: »… nothing about Jewish life and customs that is not borrowed«)?
Aspekte der Parallelüberlieferung und Wirkungsgeschichte Die Frage nach einer (frühen) Wirkungs- und Auslegungsgeschichte »des« KThom führt zurück auf das eingangs angesprochene Problem, dass wir »den« Text des KThom nicht besitzen. Beim gegenwärtigen Forschungsstand kann man nur sehr behutsam und »lokalgenealogisch« fragen, inwieweit sich einzelne Fassungen von Episoden auf eine Entstehungsreihenfolge untersuchen lassen. Das heißt im Fall einzelner Erzählstücke und Logien kann man fragen, ob sie ggf. als Anreicherungen, Glossierungen, Glättungen, Harmonisierungen, Plausibilisierungen, Modifizierungen etc. eines älteren Textes zu begreifen sind. »Das« KThom findet sich sodann in arabK und armenK rezipiert, wo es auf den Stoff des Protevangelium Jacobi folgt. Im arabK, welches mit den Ereignissen beginnt, die Jesu Geburt vorausgehen (Protev), stehen nach einem besonderen Mittelteil, der ebenfalls von wunderbaren Taten Jesu berichtet, darüber hinaus Maria eine besondere Rolle zuweist, die aus KThom stammenden Stoffe am Textende (je nach Zählung: Kap. 34/3655). In arabK 46 wird eine unmittelbare Verknüpfung zwischen dem Lehmspatzenwunder (vgl. dazu Felsch, KThom 2 in diesem Band) und der Verfluchung des Sohns des Hannas vollzogen, ferner wird ein weiteres Strafwunder angefügt (arabK 47). arabK 46 f. Da kam der Sohn des Juden Hannan und sah sie bei ihrem Tun, da sagte er zornig und wütend: »Es ist Sabbat und ihr formt Lehm!« Und er beeilte sich, ihre Wasserbecken zu zerstören. Der Herr Jesus aber klatschte mit den Händen in Richtung der Spatzen, die er geformt hatte, und sie flogen zwitschernd davon. Da kam der Sohn des Hannan auch zum Herrn Jesus und durchlöcherte das Becken des Herrn Jesus, so daß das Wasser darin vertrocknete. Da sprach der Herr Jesus zu ihm: »Genau so wie dieses Wasser vertrocknete, wird auch dein Leben vertrocknen!« Und im selben Moment ist jener Knabe vertrocknet. (47) Eines Tages ging der Herr Jesus wieder mit Joseph. Da begegnete ihm ein Knabe, der auf ihn zulief. Da stieß jener Knabe mit dem Herrn Jesus zusammen, so daß er hinfiel. Da sprach er zu ihm: »Genau so wie du mich hingeworfen hast, wirst du fallen und nicht mehr aufstehen.« Und im selben Moment fiel er hin und starb (Übersetzung Josua/Eißler 2012, 980). Das arabK stellt ein Kompositum dar, welches das KThom wahrscheinlich in syrischer und nicht in griechischer Sprachgestalt voraussetzt (vgl. Horn 2010, 593). Vergleichs840
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schritte müssten also zunächst zwischen dem in einer kürzeren und einer längeren Fassung erhaltenen syrischen KThom und dem arabK erfolgen. Solche Schritte werden angesichts der unbefriedigenden Editionslage sehr erschwert. Das KThom wurde v. a. für die Jesusvorstellungen im Koran wichtig (Horn 2010, 593-595). Auf KThom geht ferner die von Tischendorf als »pars altera« herausgegebene Langfassung des (in derzeit ca. 200 Handschriften erhaltenen) lateinischen PsMt zurück, welche in Kap. 25-42 eine überarbeitete lateinische Fassung von KThom enthält. Diese Erweiterung, die nicht Teil des älteren Textes war, wurde für die weitere Rezeption der Erzählungen von KThom im abendländischen Christentum besonders einflussreich. Zunächst zu möglichen Plausibilisierungen im Vergleich der einzelnen Versionen von KThom, die dann in die weitere Rezeptionsgeschichte übergehen: In KThom 3,1 wird Annas genannt; nach Lk 3,2; Apg 4,6; Joh 18,13.24 ist Hannas der Name des Hohepriesters. So erscheint er auch im Sabaiticus. In anderen Zeugen ist er dagegen »Schriftgelehrter« (vgl. auch im Protev 15,1). Im Sabaiticus ist es sein Sohn, der die Wasserlachen, die Jesus angelegt hat, mit einem Weidenzweig auflöst. Demgegenüber ist es in Codex Atheniensis 355 statt des Sohnes der Vater. Zudem steht nicht Josef bei Annas, sondern Jesus. Hier wird also (innerhalb der griechischen Texttradition von KThom wahrscheinlich spät) die Konfrontation von der Elterngeneration auf die Ebene der Protagonisten (Jesus versus Annas) verlagert. Im Sabaiticus und in weiteren Zeugen wird Jesus in KThom 4,1 nicht (ausdrücklich) absichtlich von einem Jungen an der Schulter getroffen. Es scheint sich vielmehr um einen Unfall beim Spielen zu handeln. Umso gravierender erscheint dann die Reaktion Jesu, die apodiktisch den Weg des unglücklichen Spielkameraden beendet und diesen auf der Stelle sterben lässt. In Tischendorfs Langtext wirft dagegen der Spielkamerad absichtlich einen Stein nach Jesus und trifft seine Schulter (Tischendorf 1876, 159). Eine solche Tendenz zur zunehmenden Erklärung und Plausibilisierung bzw. Entlastung Jesu (vgl. Aasgaard 2009, 17, in synoptischer Übersicht) findet sich in PsMt 29 fortgesetzt. Hier wird Jesus beim Zusammenstoß anders als in KThom von einem »operarius iniquitatis« (»Handlanger der Ungerechtigkeit«) attackiert, »volens eum eludere aut nocere si posset« (»mit dem Willen, ihn zu verspotten oder ihm zu schaden, wenn er es könnte«). Der Erzähler diskeditiert den rempelnden Jungen von Beginn an als »ungerecht«; ausdrücklich wird festgestellt, dass er mit spöttischer und schädlicher Absicht Jesus regelrecht angreift. In der Darstellung der Resonanz auf das Tun des Jesuskindes ist ferner bemerkenswert, dass in einer »Glosse« lediglich von einem »frequenter« (»häufig«) die Rede ist: Jesu Worte gehen häufig in Erfüllung, und zwar ehe sie ausgesprochen sind (zu den Differenzen zwischen slawischen und griechischen Texten von KThom an dieser Stelle: Santos Otero 1967, 55). In den Vorhaltungen des Vaters Josef findet sich zusätzlich das Argument, dass aus dem Verhalten Jesu nicht nur Hass, sondern auch Belästigungen resultieren (»molestias hominum sustinemus propter te« / »wir nehmen Beschwerden der Menschen wegen dir auf uns«). Auch die Antwort Jesu hierauf divergiert beträchtlich: »Nullus filius sapiens est nisi quem pater suus secundum scientiam huius temporis erudierit, et patris sui maledictum nemini nocet nisi male agentibus« (»Kein Sohn ist weise außer dem, welchen sein Vater nach dem Wissen dieser Zeit ausgebildet hat, und die Schmähung seines Vaters schadet niemandem, außer denen, die in übler Weise han-
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Die Wundererzählungen in apokryphen Evangelien
deln«). Es kommt zu einer Zusammenrottung gegen Jesus, in deren Folge Josef nicht weniger als eine Revolte des Volkes Israel befürchtet (»seditionem populi Israel«).
Reinhard von Bendemann Literatur zum Weiterlesen R. Aasgaard, The Childhood of Jesus. Decoding the Apocryphal Infancy Gospel of Thomas, Eugene 2009. W. Baars/J. Helderman, Neue Materialien zum Text und zur Interpretation des Kindheitsevangeliums des Pseudo-Thomas, OrChr 77 (1993), 191-226. S. Gero, The Infancy Gospel of Thomas. A Study of the Textual and Literary Problems, NT 13 (1971), 46-80. R. F. Hock, The Infancy Gospels of James and Thomas, The Scholar’s Bible 2, Santa Rosa 1995. C. B. Horn, Apocryphal Gospels in Arabic, or Some Complications on the Road to Traditions about Jesus, in: J. Frey/J. Schröter (Hg.), Jesus in apokryphen Evangelienüberlieferungen. Beiträge zu außerkanonischen Jesusüberlieferungen aus verschiedenen Sprach- und Kulturtraditionen, WUNT 254, Tübingen 2010, 583-609. U. U. Kaiser, Jesus als Kind. Neuere Forschungen zur Jesusüberlieferung in den apokryphen »Kindheitsevangelien«, in: J. Frey/J. Schröter (Hg.), Jesus in apokryphen Evangelienüberlieferungen. Beiträge zu außerkanonischen Jesusüberlieferungen aus verschiedenen Sprach- und Kulturtraditionen, WUNT 254, Tübingen 2010, 253-269. J. Schröter, Die apokryphen Evangelien und die Entstehung des neutestamentlichen Kanons, in: J. Frey/J. Schröter (Hg.), Jesus in apokryphen Evangelienüberlieferungen. Beiträge zu außerkanonischen Jesusüberlieferungen aus verschiedenen Sprach- und Kulturtraditionen, WUNT 254, Tübingen 2010, 31-60. S. Voicu, Notes sur l’histoire du texte de l’Histoire de L’Enfance de Jésus, Apocrypha 2 (1991), 119-132.
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Erweckung eines verunglückten Spielkameraden (Junge auf dem Dach) KThom 9 Der folgenden Übersetzung liegt der griechische Text des Codex Sabaiticus in der Edition von Aasgaard (2009) zugrunde.
(1) Wiederum spielte Jesus nach vielen Tagen auch mit anderen Kindern auf dem Söller eines Hauses. Eins der Kinder jedoch stürzte hinab und starb. Als das die anderen Kinder sahen, gingen sie nach Hause. Sie ließen Jesus als Einzigen zurück. (2) Und die Eltern des Toten kamen, machten Jesus Vorwürfe und sprachen: »Du hast unser Kind hinabgeworfen!« Jesus aber antwortete: »Ich habe das Kind nicht hinabgeworfen!« (3) Während jene tobten und schrieen, stieg Jesus vom Dach hinunter, stellte sich zum Leichnam und rief mit lauter Stimme: »Zenon, Zenon (denn so hieß er), stehe auf und sage, ob ich dich hinabgeworfen habe!« Und der stand auf und sprach: »Nein, Herr!« Und als sie es sahen, staunten sie. Und Jesus sprach abermals zu ihm: »Lege dich wieder zur Ruhe!« Und die Eltern priesen Gott und beteten das Jesuskind an.
Sprachlich-narratologische Analyse Die Wundergeschichte ist vordergründig eine Totenerweckung. Aus einer fiktiven Alltagssituation heraus – das Jesuskind spielt mit Gleichaltrigen auf dem (Flach-)Dach eines Hauses oder Turmes – entwickelt sich eine Katastrophe, die am Ende Jesus seine göttliche Wunderkraft demonstrieren lässt. Jedoch läuft die gesamte Szenerie auf den Konflikt des Jesuskindes mit den Eltern des Toten hinaus. Die anderen Spielkameraden verlassen nach dem Unfall die Bühne, wodurch sich das Augenmerk auf Jesus richtet und der Spannungsbogen eröffnet wird. Der durch wörtliche Rede und die Häufung der Emotionen erkennbare Schwerpunkt und zugleich Höhepunkt der Erzählung ist der Disput des Jesuskindes mit den Eltern des toten Spielkameraden. Die Basisopposition ist mit den Stichwörtern toben bzw. schreien der Eltern und ihrem Lobpreis bzw. ihrer Anbetung Jesu benannt. Die eigentliche Totenerweckung hat, ähnlich wie bei der Auferweckung des Lazarus (Joh 11), primär die Funktion, zum einen die Unschuld Jesu zu erweisen und zum anderen die Augenzeugen zur christologischen Erkenntnis zu führen. Die Aufforderung des Jesuskindes an Zenon, sich wieder zur Ruhe zu legen, ist semantisch zweideutig: Es könnte die Aufforderung bedeuten, sich schlafen zu legen, um nach dem Vorfall neue Kraft zu sammeln, oder wieder zu entschlafen, nachdem Zenon die Unschuld Jesu bestätigt und sein Bekenntnis (»mein Herr«, vgl. Joh 20,28) ausgesprochen hat. Im letzteren Falle stünde das erneute Sterben mit dem anschließenden Lobpreis der Eltern und ihrer Anbetung Jesu in starkem Kontrast. Es käme zum Ausdruck, dass die Wunderkraft Jesu als solche, gleich mit welchen Folgen, die Macht Gottes über Leben und Tod demonstriert und von den Eltern anerkannt wird. Kompositionskritisch betrachtet, bietet KThom 9 die erste von – in der längeren 843
Die Wundererzählungen in apokryphen Evangelien
Fassung – insgesamt drei Totenerweckungen. Gemäß den Kapiteln 2-8 vollzieht Jesus bereits im jüngsten Alter sechs Wundertaten, wobei zwei positiven Wundertaten vier Verfluchungen gegenüberstehen. Die Verfluchungen dienen dem Jesuskind dazu, sich Respekt zu verschaffen, sorgen aber auch für ein dementsprechend negatives Image. KThom 9 bildet den Wendepunkt – ab hier stehen Heilungs- und Hilfewunder im Vordergrund (im Kodex Sabaiticus fünf, in der verbreiteten längeren griechischen Fassung sieben); nur noch eine einzige Verfluchung wird überliefert (vgl. dazu Holzbach zu KThom 14 in diesem Band).
Sozial- und realgeschichtlicher Kontext Spielende Kinder gab es zu jeder Zeit; auffällig ist die Verortung des Spielplatzes auf einem Dach bzw. einem Söller. Vorausgesetzt ist hier die übliche Flachdachbausweise jenes Kulturraumes. Das Haus war möglicherweise mehrgeschossig, wie der tödliche Ausgang des Sturzes nahelegt (Aasgaard 2009, 56). Das Dach war unter Umständen auch wirtschaftlich nutzbar und über eine Außentreppe oder eine Leiter zugänglich (Lichtenberger 2010, 202). Die Dächer konnten aus Holz oder Stein sein; für die Logik der Erzählung ist diese Frage belanglos. Möglich ist aber auch, in dem »hohen Gebäude« einen Turm zu sehen, wie es sie landauf landab gab (Lichtenberger 2010, 202).
Traditions- und religionsgeschichtlicher Hintergrund Wie in vielen kanonischen Wunderberichten (Lk 7,11-17: Jüngling zu Naïn; Mk 5,2124.38-43: Tochter des Jaïrus; Joh 11: Lazarus) reicht das Wort Jesu aus, um das Wunder zu vollziehen. Anders als in den kanonischen Wunderberichten findet in KThom 9, so jedenfalls eine mögliche Übersetzung, eine Rücknahme der Auferweckung statt. Während in den Evangelien das Wunder der Wiederherstellung des Zustands vor der Katastrophe und eher mittelbar dem Erweis der Göttlichkeit Jesu dient, ist es hier umgekehrt: Die Totenerweckung hat, sofern der zweite Befehl Jesu an Zenon so zu interpretieren ist, ausschließlich den Zweck, Jesu Unschuld und seine Göttlichkeit zu erweisen. Deutlich sind auch die gegenüber den kanonischen Wundererzählungen überzeichneten Züge wie etwa die reflexartige Schuldzuschreibung an Jesus sowie die dazu im Kontrast stehende göttliche Anbetung Jesu (schon im Kindesalter!). Eine theologische Anspielung liegt im Fluchtmotiv: Die Spielkameraden fliehen, so wie die Jünger später bei der Inhaftierung Jesu fliehen werden. KThom 9 greift hier offenbar dieses synoptische Motiv auf (Mk 14,50 par.) und stilisiert es zu einem biographischen roten Faden: Am Ende bleibt Jesus allein und muss als Schuldiger herhalten. Der Name Zeno(n), der vom Götternamen Zeus abgeleitet ist, verweist auf ein griechisch-hellenistisches, möglicherweise stoisches Milieu (Aasgaard 2009, 62). Eine theologische Spitze könnte darin liegen, dass Zenon (»Geschenk des Zeus«) sein Leben vom Jesusjungen geschenkt bekommt.
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Erweckung eines verunglückten Spielkameraden KThom 9
Verstehensangebote und Deutungshorizonte Christologisch: Vieles aus der späteren Geschichte Jesu ist in dieser kleinen Wundererzählung vorabgebildet: Zuerst die Menschlichkeit, die im Spiel mit Gleichaltrigen zum Ausdruck kommt, sodann das Motiv des im Augenblick der Krise alleine zurückbleibenden Herrn, weiter die Rolle Jesu als des Sündenbocks, die Wunderkraft Jesu, die allein durch das Wort wirkt und die seine Göttlichkeit und Schuldlosigkeit demonstriert, und schließlich die Verehrung des Wundertäters durch die Augenzeugen. Der junge Jesus erscheint als der Held, der sich der Verantwortung nicht entzieht, sondern die Rolle des Angeklagten übernimmt und durch seine Wundertat den Tod überwindet. Soteriologisch: Jesus war ohne Schuld, und das schon in seiner frühen Kindheit! Dieses soteriologisch wichtige Motiv wird durch KThom 9 zum Tragen gebracht. Die Schuldlosigkeit wird durch seine göttliche Wunderkraft erwiesen. Dieser direkte Konnex ist für KThom 9 eigentümlich. Der »Sündenbock« Jesus erweist aus eigener Kraft seine Unschuld; das Ostergeschehen als göttliche Rehabilitierung Jesu ist nicht im Blick. Anthropologisch: Der Glaube Zenons und seiner Eltern ist direkt auf die Wundertat des Jesuskindes bezogen. Der Auferweckte erkennt in seinem Spielkameraden »seinen Herrn«; das Bekenntnis ist die direkte Folge des Wunders. Bei den Eltern Zenons ist es vergleichbar: Die Wunderkraft Jesu, gleich ob er den Toten erweckt oder ihn – so eine Deutungsmöglichkeit – wieder entschlafen lässt, führt bei ihnen zur totalen Umkehrung ihrer Emotionen und zur Anbetung Jesu (vgl. KThom 10 und 18). Dieser Glaube ist, anders als in Joh 20 als nachösterlicher Normalfall angenommen, ein Glaube aufgrund des Sehens und wird als solcher nicht weiter problematisiert.
Aspekte der Parallelüberlieferung und Wirkungsgeschichte In lateinischer Übersetzung schließt das KThom an einige Handschriften des PsMt an und wurde deshalb von Tischendorf und auf ihn aufbauenden Werken als pars altera dieser Schrift aufgefasst. Vermutlich gehören die Episoden aus dem KThom jedoch nicht zur ursprünglichen Fassung des PsMt (vgl. Gijsel 1997), sondern wurden erst später angefügt. Gegenüber älteren Fassungen des KThom ist die mit PsMt verbundene deutlich weiterentwickelt und durch den größeren Zusammenhang geprägt. In der Übersetzung von Schneider lautet KThom 9 = PsMt 32 (Schneider 1995, 249): KThom 9 / PsMt 32 Darauf gingen Josef und Maria mit Jesus in die Stadt Nazaret; und er lebte dort mit seinen Eltern. Und als dort einmal Sabbat war, spielte Jesus mit anderen Kindern auf dem Dach eines Hauses. Da passierte es, daß eins von den Kindern ein anderes vom Dach auf die Erde stieß und das Kind starb. Da die Eltern des Toten nichts davon gesehen hatten, riefen sie Josef und Maria vorwurfsvoll zu: »Euer Sohn hat unseren Sohn vom Dach geworfen; nun ist er tot.« Jesus aber schwieg und antwortete nichts. Josef und Maria aber kamen eilends zu Jesus, und seine Mutter bat ihn: »Mein Herr, sag mir, ob du ihn auf die Erde geworfen hast!« Und sogleich stieg Jesus vom Dach herab auf die Erde und rief den Jungen bei seinem Namen Zenon. Er antwortete: »Herr!« Jesus stellt ihm die Frage: »Habe ich dich vom Dach auf die Erde gestoßen?« 845
Die Wundererzählungen in apokryphen Evangelien
Jener antwortete: »Nein, Herr!« Und es wunderten sich die Eltern des Knaben, der gestorben war, und sie erwiesen Jesus die Ehre wegen des geschehenen Zeichens. Josef und Maria gingen von da mit Jesus nach Jericho. Gegenüber der bisher behandelten Fassung von KThom 9 aus dem Kodex Sabaiticus erscheint diese Erzählung stärker biographisch eingebettet: Jesus lebt mit seinen Eltern zuerst in Nazaret, dem Ort des Geschehens, und später in Jericho. Die Eltern spielen eine deutlich größere Rolle, insbesondere Maria. Ihre Anfrage an Jesus, die mit der Anrede »mein Herr« beginnt, verkehrt dabei die übliche Hierarchie zwischen Eltern und Kindern. Theologisch ist sie aber im Sinne der Schrift völlig angemessen und löst deshalb eine positive Reaktion Jesu aus: Er bricht sein anfängliches Schweigen und macht Zenon wieder lebendig. Weiterhin findet das Wunder an einem Sabbat statt, was als Angleichung an kanonische Wundererzählungen erscheint; gleichwohl ist das Sabbatmotiv nicht ausgebaut. Als weitere Besonderheit wird der Vorfall nicht als Unfall, sondern als vorsätzliche Tat eines Spielkameraden dargestellt, für den Jesus den Kopf hinhalten muss. Dieser Zug begegnet auch in der Aufnahme der Geschichte in arabK 44. Der Konflikt verschärft sich so und die Rolle Jesu wird heroischer. Dies könnte im Zusammenhang mit anderen Veränderungen in der an PsMt angeschlossenen Fassung des KThom stehen: So wird in KThom 4 = PsMt 29 einem Jungen, der Jesus anstößt, Vorsatz und böse Absicht zugeschrieben. Dies versucht möglicherweise die harsche Reaktion Jesu – auf sein Wort hin stirbt der Junge – zu erklären und dadurch abzumildern (so Kaiser 2010, 265). An beiden Stellen bewirkt die Verschärfung des Tones, dass Jesus in hellerem Licht erscheint. Schließlich verstärkt das Schweigen Jesu auf die Anklagen hin die schon angelegte Verbindung zur Passionsgeschichte (Mk 14,61 par.).
Kurt Erlemann Literatur zum Weiterlesen R. Aasgaard, The Childhood of Jesus. Decoding the Apocryphal Infancy Gospel of Thomas, Eugene 2009. A. Lichtenberger, Architektur und Bauwesen, in: K. Scherberich et al. (Hg.), Neues Testament und Antike Kultur, Bd. 2, Neukirchen-Vluyn 22010, 199-205.
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Heimlicher Wohltäter (Die wunderbare Vermehrung der Saat) KThom 12 Der folgenden Übersetzung liegt der griechische Text des Codex Sabaiticus in der Edition von Aasgaard (2009, 227) zugrunde.
(1) In der Saatzeit aber, als Josef säte, säte auch das Kind Jesus einen Kor Weizen. (2) Und sein Vater erntete hundert große Kor. Und er beschenkte die Armen und Waisen. Josef nahm aber von der Saat Jesu.
Sprachlich-narratologische Analyse Wer von den neutestamentlichen Evangelien her diese kleine Wundererzählung liest, hat möglicherweise im ersten Augenblick den Eindruck, die Geschichte schon zu kennen. Doch trügt dieser Eindruck, sie ist im Neuen Testament nicht zu finden. Er entsteht, weil KThom 12 auf eigentümliche Weise Wohlbekanntes mischt, variiert und neu arrangiert. Die Struktur der knappen Erzählung ist leicht zu erfassen. Sie kennt drei Akteure, Josef, das »Kind Jesus« (paidfflon 3Ihso‰@ paidion Ie¯sous) und die Gruppe der Armen und Waisen, verläuft in drei Schritten, Saat – Ernte – Verschenken der Ernte, und schließt mit einem Erzählerkommentar ab. Durch das Verstreichen von Zeit oder den Wechsel von Personen sind die drei Schritte deutlich voneinander abgesetzt. Vordergründig ist es eine Josef-Geschichte, nur er tritt handelnd in allen drei Phasen auf. Narratologisch beachtlich ist jedoch der abschließende Erzählerkommentar. Er macht sichtbar, dass, obwohl Josef im Fortgang des Geschehens scheinbar allein Akteur ist, doch hintergründig weiterwirkt, was Jesus in der ersten Etappe des Geschehens getan hat. Josef erntet und verschenkt das Geerntete, aber er nimmt dabei von dem, was Jesus gesät hat. So wird der Blick abschließend wieder mit Nachdruck zu Jesus zurückgelenkt. In der sonst an Details armen Erzählung fallen die beiden Mengenangaben auf. Jesus sät ein Kor Weizen, Josef erntet hundert Kor – ein große, runde Zahl. Offenbar sollen die Leser(innen) den Kontrast zwischen den beiden Mengenangaben wahrnehmen. Die Erzählung zeigt, wenn die Systematik von Gerd Theißen an sie herangetragen wird, trotz ihres knappen Umfangs die typischen Züge eines »Geschenkwunders«. Es geschieht spontan, ohne vorausgehende Bitte; der eigentliche Wundervorgang ist unauffällig, wie er sich genau vollzieht, bleibt undeutlich; im Gegenzug wird das Eintreten des Wunders durch die Mengenangabe und das Verschenken nachdrücklich demonstriert (vgl. Theißen 1998, 111-114). Unsere Erzählung wird flankiert von zwei Geschichten, die ebenfalls ein Wundergeschehen mit Geschenk-Charakter berichten: Jesus soll für seine Mutter Wasser holen und rettet, nachdem der Wasserkrug im Gedränge der Menge zerbrochen ist, die Situation, indem er das Wasser im Gewand nach Hause trägt (KThom 11). Seinem Vater hilft er bei einem lukrativen Auftrag als Zimmermann, indem er ein zu kurz gesägtes Brett verlängert (KThom 13; dazu Luther zu KThom 13 in diesem Band). Mit beiden Ge847
Die Wundererzählungen in apokryphen Evangelien
schichten ist KThom 12 auch darin verbunden, dass alle drei mit Arbeit im familiären Umfeld zu tun haben, so dass KThom 11-13 innerhalb der Kindheitserzählung als eine (relativ) zusammenhängende Einheit erscheint (vgl. Aasgaard 2009, 42 f.). Ist das richtig, dann darf man den Schlusssatz der nachfolgenden Erzählung vielleicht auch auf unsere Geschichte beziehen. Dort preist sich Josef: »Selig bin ich, dass Gott mir dieses Kind gegeben hat« (KThom 13). Bemerkenswert ist darüber hinaus, dass im Gesamtduktus der Kindheitserzählung Wunder zugunsten anderer auf das Ende hin zunehmen (die Heilung eines Schlangenbisses in KThom 16 und der Fußverletzung eines Holzfällers in KThom 10 [die Erzählung steht – anders als die Zählung vermuten lässt – im Codex Sabaiticus 259 unmittelbar hinter der Heilung des Schlangenbisses]; vgl. in der erweiterten Rezension auch KThom 17 f.). Im ersten Teil der Kindheitserzählung überwiegen dagegen Straf- und Fluchwunder, die den Eltern Jesu ebenso wie andere Eigenwilligkeiten dieses Kindes einigen Kummer bereiten (vgl. KThom 2-8).
Sozial- und realgeschichtlicher Kontext In der erzählten Welt der Kindheitsgeschichte des Thomas (dazu Aasgaard 2009, 53-85) ist Josef nicht nur Zimmermann, sondern auch Landwirt. Das Kind Jesus hilft seinem Vater beim Säen. Wenn er in einigen Textvarianten (s. u.) nur ein Samenkorn oder einige wenige Körner sät, wirkt dies wie spielerisches Vergnügen am Mittun mit den Erwachsenen. Grundsätzlich entspricht es aber dem antiken Rollenverständnis, dass Kinder – abhängig von Alter – mit ihrer Arbeitskraft zum Lebensunterhalt der Familie beitragen (vgl. Mt 21,28-31a; zur einschlägigen Forschung Lindemann 2011). In der Erzählung kommt als Fremdwort die aus dem Alten Testament bekannte Volumen-Maßeinheit ›Kor‹ vor (kro@ koros; vgl. 1Kön 5,2.25; 2Chr 2,9; Ez 45,14). Für das Verständnis der Erzählung steht der Kontrast der Zahlen eins und hundert im Zentrum. Er ist verständlich, auch wenn man nicht weiß, wie viel ein Kor ist. Neben Homer ist Kor die größte Einheit für ein Hohlmaß im Alten Testament. Sie in unser Maßsystem umzurechnen, fällt nicht leicht. Über rabbinische Schriften und deren Angaben gelangt man für die alttestamentliche Zeit zu Werten von 1 Kor = 220 Litern, für die römische Zeit zu 1 Kor = 260 Litern. Teilweise werden auch höhere Werte bis 450 Liter genannt (vgl. Jarosˇ 1995, 732 f.; Strobel 1964, 1167). Der jüdische Historiker Flavius Josephus (37/38-ca. 100 n. Chr.) rechnet seinen griechischsprachigen Lesern vor, ein Kor seien zehn attische Medimnen (Flav. Jos. Ant. 15,314), was einem Volumen von etwa 520 Litern entspräche (zum Medimnos wird noch immer verwiesen auf: Hultsch 1882, 703). Ob dem Erzähler der KThom die Einheit vertraut war oder ob er sie nur nimmt, weil sie biblisch klingt, muss offen bleiben. Dass ein siebenjähriges Kind ein Kor Saatgetreide ausbringt, ist jedenfalls schwer vorstellbar. Auch der Ertrag ist wunderbar; das 10- bis 15-fache ist in der Antike üblich (vgl. Dronsch 2007, 302 f.).
Traditions- und religionsgeschichtlicher Hintergrund »Arme« (ptwcoffl pto¯choi) ist ein geläufiger Begriff im Neuen Testament und begegnet insbesondere in für die Jesusüberlieferung markanten und programmatischen Zusam848
Heimlicher Wohltäter KThom 12
menhängen, z. B. in den Seligpreisungen der Bergpredigt bzw. Feldrede (Mt 5,3; Lk 6,20), in der programmatischen Predigt Jesu in Nazaret zu Beginn seines Wirkens (Lk 4,18 = Jes 61,1LXX) oder in seiner Antwort auf die Frage des Täufers Johannes, ob Jesus der erwartete Heilsbringer sei (Mt 11,5; Lk 7,22). Waisen (¤rfanoffl orphanoi) sind zusammen mit Witwen und Fremden in der biblischen Tradition prototypische Bedürftige. Häufig werden zwei oder drei dieser Gruppen in sozialethischen Schutzbestimmungen genannt (Ex 22,21; Dtn 24,17-22; 27,19; Hi 22,9; Jes 1,17; Jer 22,3 u. ö.). Das Gespann in unserer Erzählung ist nicht so sprichwörtlich wie »Witwen und Waisen«, kann aber durchaus auch nebeneinanderstehen (z. B. Ps 81[82],3LXX; Jes 10,2LXX). Die römische Gesellschaft wertet grundsätzlich Reichtum positiv und Armut negativ (Mart. epigr. 12,32) und koppelt politischen Einfluss an das Vermögen (Dio Cass. 54,17,3). Das römische System der Bedürftigenversorgung, das primär auf römische Bürger ausgerichtet ist, kennt u. a. seit 123 v. Chr. eine verbilligte Abgabe von Getreide (lex Semproniae frumentaria) sowie Getreideausgaben in Notzeiten zur Vermeidung von Hungerrevolten. Im Osten des Römischen Reiches haben die Philanthropie und die Wohltätigkeit reicher Bürger für die Bevölkerung ihrer Städte in Gestalt von Spielen oder Getreidespenden Tradition (Euergetismus) und wirken in der Kaiserzeit auch auf die römischen Eliten ein (z. B. Augustus res gest. 15; vgl. Herrmann-Otto 2008). Die spezifischen Geschehnisse der Erzählung erinnern bemerkenswerterweise nicht so sehr an neutestamentliche Wundergeschichten, auch wenn es in Grundstruktur und Thema deutliche Übereinstimmungen mit den Geschenkwundern gibt, die ja häufig von Nahrungsvermehrung erzählen. Saat und Ernte tauchen in der neutestamentlichen Jesusüberlieferung v. a. als Bildfeld der Gleichnisse auf. Speziell das Sämann-Gleichnis kommt sofort in den Blick, da auch hier von Säen und einem (dreißig-, sechzig- und) hundertfachen Ertrag die Rede ist (Mk 4,3-8; Mt 13,3-8; Lk 8,5-8). Im Sämann-Gleichnis stehen Saat und Ertrag für das Wort der Verkündigung und die (Miss-)Erfolge, die es erzielt (vgl. Mk 4,13-20; Mt 13,18-23; Lk 8,11-15). Erfolg und Misserfolg manifestieren sich in Glaube oder Unglaube und einem dementsprechenden Lebenswandel (vgl. auch 2Kor 9,10-11). Auch die einzelnen Christen können sich im Licht der Gleichnisse als von Jesus »Gesäte« verstehen (Mt 13,18-23 sowie 13,24-30.36-43). Schaut man genauer hin, besteht insbesondere zum Lukasevangelium sprachliche Nähe. Das lukanische Sämann-Gleichnis lässt die Zahlen dreißig und sechzig aus und erzählt allein von einem hundertfachen Ertrag der Samen, die am Ende Frucht bringen. Nur bei Lukas kommt im Sämann-Gleichnis neben dem Verb »säen« (spefflrein speirein) auch das Wort spro@ (sporos – Saat, Same) vor (vgl. aber auch Mk 4,26 f.). ›Kor‹ als Maßeinheit begegnet im Neuen Testament nur in Lk 16,7, dort ebenfalls in Verbindung mit der Zahl hundert und mit ›Weizen‹ (s…to@ sitos). Schließlich verwendet von den neutestamentlichen Evangelisten nur Lukas carfflzomai (charizomai – [aus Gnade] geben, schenken; außerdem kommt es in den Paulusbriefen vor).
Verstehensangebote und Deutungshorizonte Die Erzählung signalisiert gewiss ein christologisches Interesse. Darauf weist etwa der nachgeschobene Erzählerkommentar deutlich hin, dafür spricht auch der Kontext der gesamten Kindheitserzählung. Wie ist dieses christologische Interesse präziser zu bestim849
Die Wundererzählungen in apokryphen Evangelien
men? (Zur Christologie der Kindheitserzählung der Überblick bei Chartrand-Burke 2001, 290-315; Aasgaard 2009, 150-157.) Grundsätzlich wird im Hinblick auf die Kindheitserzählung des Thomas häufig festgehalten, dass sie eine Lücke in der Biographie Jesu nutzt, die die kanonisch gewordenen Evangelien, hier insbesondere das Lukasevangelium, eröffnen (vgl. Kaiser 2010, 260-264). Im Falle von KThom 12 geschieht das nicht in dem Sinne, dass eine ungeklärte Frage beantwortet und etwas erzählt würde, das man im Neuen Testament vermisst. Die Erzählung macht vielmehr aus Motiven der Gleichnisse, d. h. der Verkündigung Jesu, eine Szene seiner Biographie. Das Sämann-Gleichnis erzählt von der Fülle, die das Wort Jesu bewirkt. Unsere Erzählung nutzt dieses Bild, um im Modus der Geschenkwundererzählung von der Fülle zu reden, die von seiner Person und Gegenwart ausgeht. Entsprechend können sich diejenigen seligpreisen, die durch Jesu Wirken beschenkt sind, so wie Josef dies tut (KThom 13). Gerhard Schneider nimmt an, die Geschichte wolle im Verbund mit anderen die »herrscherliche Vollmacht über die gesamte Schöpfung« zeigen, die dem Kind Jesus innewohnt (Schneider 1995, 14). Das ist richtig, greift aber insofern zu kurz, als in KThom 12 nicht Jesu Wirken an sich und als Ausdruck seines Wesens in den Blick kommt, sondern – ebenso wie in den Nachbarszenen – als ein Wirken, das anderen zugutekommt. Diese anderen sind zunächst die Familie Jesu, zu deren Wohl Jesus hier und im Kontext zunehmend agiert (KThom 11.13.16). Mit den Stichworten »Arme« und »Waise« ist aber angezeigt, dass das heilbringende Wirken Jesu – hier noch vermittelt durch Josef – letztlich über die Familie hinausweist. So wird einerseits ein Bild Jesu gezeichnet, das sich jetzt zumindest partiell in die Rollenerwartungen der Eltern an ihr Kind einfügt, indem es »pro-familiär« handelt (dazu Chartrand-Burke 2001, 316-405, bes. 400). Zugleich öffnet sich das Bild auf den erwachsenen Jesus hin, so dass die Leute am Ende über ihn sagen werden: »Viele Leben hat er vor dem Tod gerettet, und er vermag sie zu retten alle Tage seines Lebens« (im Codex Sabaiticus 259 als Reaktion auf Heilung des Fußes in KThom 10; vgl. KThom 18). Die Perspektive auf die anderen ermöglicht auch eine erbauliche Lektüre (zu diesem Ansatz Aasgaard 2009, 169), d. h. eine im weitesten Sinne ethisch-pädagogische Interpretation der Erzählung. Die anderen sind Gruppen, zugunsten derer in der biblischen Tradition regelmäßig ethische Weisungen und Mahnungen ergehen. Das Wunder, durch das sie beschenkt werden, wirft ein positives Licht auf das Kind Jesus, das ganz gemäß dem Willen Gottes wirksam ist. Gleichzeitig ermöglicht Jesus durch sein still vollzogenes Wunder das wohltätige Handeln seines Vaters Josef. So wird den Leserinnen und Lesern ein erbauliches Bild vor Augen gestellt, gleich ob man diese eher als Erwachsene oder als Kinder sieht (zu Kindern als Adressaten der Kindheitserzählung des Thomas vgl. Aasgaard 2009, bes. 192-213). Wie intensiv darf der Glaube phantasieren und träumen? Gerd Theißen notiert, Geschenkwunder seien wie keine Gattung der Wundergeschichten sonst der Phantasie entsprungen, keine habe so sehr den Charakter der Schwerelosigkeit, des Wunsches, der unbefangenen Märchenhaftigkeit (vgl. Theißen 1998, 113). Wenn in KThom 12 aus Motiven der Gleichnisüberlieferung eine Wundergeschichte gesponnen wird, ist ebenfalls Phantasie die treibende Kraft. Diese so ungezügelt scheinende Phantasie irritiert und wird skeptisch betrachtet (z. B. Cullmann 1990, 352; Schneider 1995, 37). Aber sie ist bei aller Problematik auch Ausdruck einer legitimen Sehnsucht danach, dass das Heil Wirklichkeit wird, und hat die prophetische Tradition (z. B. Jes 11,1-9; 65,16b-25; Mi 4,1-5) wie die neutestamentliche Wunderüberlieferung auf ihrer Seite (z. B. Lk 11,20; Mt 11,2-6). 850
Heimlicher Wohltäter KThom 12
Aspekte der Parallelüberlieferung und Wirkungsgeschichte Unsere Erzählung wird in den verschiedenen Überlieferungssträngen der Kindheitserzählung des Thomas deutlich variiert. In einigen Handschriften der griechisch-sprachigen Rezension A (vgl. Chartrand-Burke 2001, 192), die in Gestalt des Textes von Tischendorf vielen deutschen Apokryphen-Ausgaben zugrunde liegt, sät Jesus nur ein Samenkorn (kkko@ kokkos) Weizen, das dann hundert Kor Ertrag bringt, so dass das Wunder erheblich gesteigert ist. Auch erntet er selbst und verteilt das Getreide an die Bedürftigen, nicht Josef, der am Ende nur nimmt, was vom Weizen übrig ist. Jesus, seine Macht und sein Wirken stehen in diesen Varianten stärker im Mittelpunkt, werden expliziter zum Ausdruck gebracht. Die Fassung von KThom, die mit dem Pseudo-Matthäusevangelium verbunden überliefert ist, erzählt eine weitere Version der Geschichte: KThom 12 / PsMt 34 Wiederum an einem Tag ging er hinaus auf das Feld und trug – nicht sonderlich viel – Weizen aus der Vorratskammer seiner Mutter (bei sich), und jenen säte er selbst. Und dieser ging auf und wuchs und wurde sehr vermehrt. Und es geschah schließlich, als er ihn selbst erntete, da sammelte er drei Kor Ertrag aus ihm, und er schenkte sie zahlreichen Verwandten. Hier ist Josef gänzlich verschwunden, stattdessen kommt zumindest indirekt die Mutter Jesu ins Spiel. Auch in dieser Fassung steht Jesus ganz im Zentrum, er selbst sät, erntet und verschenkt. Eine Besonderheit ist das Hervorheben von Keimen, Wachstum und Vermehrung, auf die so stärker der Fokus gerichtet wird (vgl. Mk 4,26-29). Durch den Schluss wird der familiäre Bezug des Wirkens Jesu betont. Auf die mit dem Pseudo-Matthäusevangelium überlieferte Geschichte, die dort in der Stadt Jericho angesiedelt ist (vgl. die Notiz am Ende von PsMt 32), bezieht sich offenbar der dem Antoninus von Piacenza zugeschriebene Reisebericht eines anonymen Pilgers aus dem 6. Jh. n. Chr. (zur Rezeption der KThom vgl. Aasgaard 2009, 174-180). Der Pilger weiß zu erzählen, er habe in Jericho das Feld des Herrn gesehen, auf das der Herr mit eigenen Händen gesät habe, und es bringe noch immer von selbst, ohne Saat zweimal in Jahr bis zu drei Maß Korn hervor (Anton. Plac. It. 13; der Reisebericht in deutscher Übersetzung bei Donner 1979, 240-314). Die Entwicklung hin zum Wirklichkeit Werden des Heils geht also weiter: vom Gleichnis über die Wundergeschichte bis hin zum Feld, dessen Wunderkraft noch immer erfahrbar ist.
Christian Münch Literatur zum Weiterlesen T. Burke, De infantia Jesu Evangelium Thomae Graece, CChr.SA 17, Turnhout 2010. R. Aasgaard, The Childhood of Jesus. Decoding the Apocryphal Infancy Gospel of Thomas, Eugene 2009.
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Nichts ist unmöglich – mit Jesus (Die Streckung des Bretts) KThom 13 (arabK 38 f.) (1) Es ereignete sich aber, als er acht Jahre alt war. (2) Und sein Vater, der ein Handwerker war und Pflüge und Joche herstellte, erhielt von einem Reichen ein Bett, damit er es sehr groß und passend mache. (3) Da der eine Balken, der (Gegenstück) genannt wird, kürzer war und nicht das Maß hatte, war Josef betrübt und wusste nicht, was er tun sollte. (4) Da ging das Kind zu seinem Vater und sagte: »Lege die beiden Hölzer nieder und lasse sie an deiner Seite gleich abschließen.« (5) Und Josef tat, wie ihm Jesus gesagt hatte. (6) Das Kind aber trat auf die andere Seite und ergriff das verkürzte Holz und streckte es. (7) Und er machte es dem anderen Holz gleich. (8) Und er sagte zu seinem Vater: »Sei nicht betrübt, sondern tue, was du willst.« (9) Josef aber umarmte und küsste ihn und sagte: »Selig bin ich, weil Gott mir dieses Kind gegeben hat!« Der Übersetzung liegt der griechische Text des Codex Sabaiticus zugrunde (vgl. Aasgaard 2009, 227 f.).
Sprachlich-narratologische Analyse Die Perikope steht im Rahmen der Wundererzählungen des Kindes Jesus, der seinen Eltern in Haus und Werkstatt hilft. KThom 11 berichtet vom Wasserholen für die Mutter, KThom 12 von der Aussaat mit dem Vater, KThom 14 und 15 erzählen von Jesu Schulbesuch. Innerhalb der Makro-Erzählung des KThom ist die Wunderhandlung des Kindes Jesus an einem Holzbalken zu situieren, die eine in sich abgeschlossene Handlungssequenz darstellt. Die Handlung der Wundererzählung in KThom 13 verläuft chronologisch und lässt sich in drei Abschnitte gliedern (13,1-3; 13,4-7; 13,8 f.). Situative Angaben dienen der Einführung in das setting: Der Text wird in die Zeit datiert, als Jesus etwa acht Jahre alt war (13,1). Sein Vater Josef betreibt eine Schreinerwerkstatt, in der v. a. Gerätschaften für die Landarbeit hergestellt werden. Die Notlage, die ein Wunder erforderlich macht, entsteht, als ein nicht näher spezifizierter Reicher einen Sonderauftrag vergibt – die Vergrößerung seines Bettes (13,2). Josef ist mit diesem Auftrag überfordert, da er das entsprechende Material nicht bereitstellen kann (13,3). Dieser situative Kontext legt bereits Handlungsmöglichkeiten an, die das darauf folgende Wunder vorbereiten. Die eigentliche Wunderhandlung wird im zweiten Abschnitt (13,4-7) berichtet: Das Kind Jesus nimmt die Hilflosigkeit seines Vaters wahr und gibt ihm konkrete Handlungsanweisungen. Die wunderhafte Streckung des Holzbalkens wird von Jesus, unter der Mithilfe Josefs, der die Balken aneinanderlegen und festhalten muss, vollzogen (13,6 f.). Die Motivation für das Wunder erwächst aus der aktuellen Notsituation und lässt eine spezifische vorausgehende Bitte vermissen. Der dritte Abschnitt (13,8 f.) transportiert eine kurze 852
Nichts ist unmöglich – mit Jesus KThom 13
Gesprächssequenz zwischen Jesus und Josef. Das Kind Jesus spricht direkt zu seinem Vater und fordert ihn nach der Wunderhandlung zur Weiterarbeit auf. Gleichzeitig eröffnet die Aussage m¼ lupo‰ ⁄llÞ pofflei ˚ qfflei (me¯ lypou alla poiei ho thelei – sei nicht betrübt, sondern tue, was du willst, 13,8) die Möglichkeit, die Wunderhandlung von der praktischen Ebene ausgehend auch auf einer abstrakten, metaphorischen Ebene zu interpretieren. Josef zeigt keinerlei Staunen angesichts des Wunders seines kleinen Sohnes oder dessen Aussage, er antwortet auch nicht auf Jesu Worte. Stattdessen lobt er Gott für seinen Sohn (mak€ri@ e§mi ¥gð makarios eimi ego¯ – selig bin ich). Die Erzählung wird durch eine heterodiegetische Erzählinstanz vermittelt, die aus einer übergeordneten, allwissenden Perspektive Informationen zu den am Geschehen beteiligten Figuren gibt und Einblicke in deren Inneres bietet. Es werden zwei Hauptfiguren und eine Nebenfigur eingeführt: Der Reiche, über dessen Handeln nur berichtet wird, der aber selbst nicht auftritt, fungiert als Nebenfigur. Die Hauptfiguren, das Kind Jesus und sein Vater Josef, werden als komplexe Charaktere dargestellt, die durch ihr Verhalten und ihre Sprache implizite Charakterisierung erfahren. Josef wird als ein kleiner Handwerker in einfachen Verhältnissen gezeichnet, der sich in ungewohnten Problemsituationen schnell überfordert fühlt, ratlos ist und eher aufgibt, als kreatives Potential für die Problemlösung zu entwickeln. Jesus, obgleich ein achtjähriges Kind, wird als reife Persönlichkeit dargestellt: Er erkennt die Hilflosigkeit seines Vaters und greift ein, er überwindet eine scheinbar ausweglose Situation durch eine innovative, wunderhafte Handlung, die in der Suche nach Lösungsmöglichkeiten die Grenzen des Möglichen eigentlich überschreitet. Er ist Herr der Situation und handelt souverän. Wäre sein Alter nicht explizit angegeben, würde man ihn aufgrund seines Handelns und Sprechens für eine erwachsene Figur halten. Jesus steht insgesamt im Zentrum der story, er treibt die Handlung (als Wundertäter) voran, während Josef vorwiegend passiv dargestellt wird und sein Handeln in 13,5.9 auf Jesus ausgerichtet ist. Die Geschwindigkeit des Erzählens variiert in der Passage: Zu Beginn steht eine summarische Darlegung der Hintergrundinformationen und vorangegangenen Handlungen (z. B. die Bestellung des Betts), die zum Verständnis der Wundererzählung notwendig sind. In der eigentlichen Wunderhandlung sowie in der nachfolgenden Gesprächssequenz wird nahezu eine Isochronie im Verhältnis von Erzählzeit und erzählter Zeit erreicht, die dem Leser das im Text berichtete Ereignis in großer Unmittelbarkeit nahebringt. Dies wird durch die detailgenaue Beschreibung der Situation verstärkt. Die Erzählung arbeitet zudem stark mit Emotionen – die Freude über den großen Auftrag, die Verzweiflung über die Unmöglichkeit der Ausführung sowie das Staunen über die Macht des Kindes und die überschwängliche Seligpreisung dominieren den Fortgang der Erzählung. In sprachlich-stilistischer und pragmatischer Hinsicht ist v. a. auf den Kontrast zwischen der Darstellung einer extrem situationsspezifischen Wunderhandlung einerseits und der Universalität der damit verbundenen Figurenrolle und der theologischen Aussage andererseits zu verweisen. Die Erzählung erlangt dadurch eine charakteristische Deutungs- und Übertragungsoffenheit. Obgleich es sich bei der Streckung des Holzbalkens um einen konkreten Einzelfall handelt, wird der Erzählung ein dezidierter Beispielcharakter beigegeben, der Identifikation- und Rollenangebote bereitstellt und den Rezipienten die Möglichkeit einer Übertragung der Erzählsituation auf unzählige Alltagssituationen eröffnet. Auch die Aussage Jesu bezieht sich nicht ausschließlich auf den 853
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konkreten Kontext, sondern kann generell auf aussichtslose Situationen übertragen werden. Die Erzählung ermöglicht es dem Leser, in die Rolle des Josef zu schlüpfen und das Wunder mitzuerleben.
Sozial- und realgeschichtlicher Kontext Der Begriff tffktwn (tekto¯n) bezeichnet den »Verfertiger, Erzeuger«, einen Handwerker oder Künstler, der mit Holz, Metall oder Stein arbeitet (Höpfl 1923, 44; Material, Werkzeuge und Techniken beschreibt Furfey 1955, 205-213). Insbesondere bezieht sich der Begriff auf den Holzarbeiter, d. h. den Beruf des Schreiners oder Zimmermanns, der im Haus- oder Schiffsbau beschäftigt ist. Holz war in der Antike kein preiswerter Rohstoff. Verwendet wurden vorwiegend lokale Nutzhölzer, zudem importierte man Edelhölzer wie z. B. Zedernholz (vgl. Lichtenberger 2005, 203 f.; Dalman 1942, 28-45). Handwerker waren in der Antike meist selbstständig und betrieben ihre eigenen kleinen Werkstätten (Furfey 1955, 213). Es wäre denkbar, dass Josefs Werkstatt der einzige holzverarbeitende Kleinbetrieb in Nazaret war (so Furfey 1955, 213). Im Neuen Testament werden Josef (Mt 13,55) und Jesus (Mk 6,3) in diesem Berufsfeld genannt, meist wird angenommen, dass sie Bauhandwerker, d. h. Zimmerleute waren (Hübner, 821 f.). Der Verfasser der vorliegenden Erzählung nennt hingegen in KThom 13,2 ausdrücklich Pflüge (˝rotron arotron) und Joche (zug@ zygos) als die von Josef gefertigten Gegenstände und interpretiert die Bedeutung des Begriffs tffktwn im Sinne eines Tischlers, der Alltagsgegenstände und Ackergeräte fertigt (Höpfl 1923, 55; vgl. dort auch zu den verschiedenen Überlieferungssträngen der Tradition). Die Ausbildung zum Handwerksberuf fand meist im privaten Bereich, durch Zuarbeit und Lehre in der Werkstatt des Vaters statt (Herz 2005, 187). Aufgrund dessen kann die Erzählung voraussetzen, dass Jesus im Alter von acht Jahren bereits in der Werkstatt seines Vaters mithalf. Der Text benennt das hölzerne Möbelstück als kr€bbato@ (krabbatos), eine bettartige Liege (vgl. Abb. 25). In der Antike dienten Betten (klfflnh kline¯) nicht nur zum Schlafen, sondern auch als Liegemöbel zum Speisen, insbesondere bei Gastmählern, und im Rahmen des Sepulkralkultes (z. B. als Totenbett oder für sakrale Bankettfeiern). Klinen konnten aus Holz (mit Furnier oder Elfenbeinverzierungen) oder Metall hergestellt werden, im Rahmen kultischer Mähler in antiken Heiligtümern sind auch Klinen aus Stein belegt. Sie bestanden in der Regel aus einem rechteckigen Rahmen auf vier Füßen und mit Gurten, auf denen eine Matratze lag (vgl. Abb. 26); zudem konnte das Kopfende erhöht, z. T. auch mit einem eigenständigen Kopfteil ausgeführt sein (vgl. Schmitt-Pantel/Groß 1999; Kyrieleis 1969). Die Pluriformität der griechischen Bezeichnungen für ein Liegemöbel bzw. die unklare Zuordnung zwischen Terminus und Funktion im Griechischen (vgl. Schmitt-Pantel/Groß 1999; vgl. Abb. 27) begründet die Unmöglichkeit, den exakten Verwendungszweck des kr€bbato@ aus KThom 13 zu klären. Obgleich sich auch die erwähnten Holzbalken nicht exakt zuordnen lassen, handelt es sich möglicherweise um die beiden langen Holzbalken, die Teil des Bettgestells bilden.
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Nichts ist unmöglich – mit Jesus KThom 13
Abb. 25: Umzeichnung einer Wandmalerei aus Dura Europos, die eine Heilung Jesu zeigt; der Gelähmte trägt geheilt selbst seine Liege weg.
Traditions- und religionsgeschichtlicher Hintergrund KThom 13 rekurriert in inhaltlicher wie in formaler Hinsicht auf die Wundererzählungen der kanonischen Evangelien, lässt aber keinen Schluss auf eine traditionsgeschichtliche Abhängigkeit zu. Die Erzählung nimmt Bezug auf inhaltliche Aspekte der kanonischen Evangelienerzählungen (z. B. Josef als Zimmermann: Mt 13,55; Jesus als Zimmermann: Mk 6,3), führt das Geschehen um den Handwerker Josef und dessen Beziehung zu seinem Sohn Jesus jedoch eigenständig, individuell und kreativ weiter. Formelemente kanonischer Wundererzählungen, wie z. B. das Auftreten des Hilfsbedürftigen, 855
Die Wundererzählungen in apokryphen Evangelien
Abb. 26: Bettartige Liege in Äthiopien, 2011
die Charakterisierung der Not, das Kommen des Wundertäters, die Wunderhandlung, die Konstatierung des Wunders, die indirekte Akklamation, lassen sich in KThom 13 identifizieren, auffällig ist diesbezüglich das Fehlen einer Bitte um wundersame Hilfe (vgl. dazu Theißen 1998, 82 f.). Sachwunder sind in der nicht-christlichen Literatur der Antike v. a. in der alttestamentlich-jüdischen (z. B. 2Kön 6,1-7, Elischa macht Eisen schwimmen) und paganen Wundertradition (Zerbrochener Becher der Wundererzählungen aus Epidauros) überliefert: Der Becher. Ein Geschirrträger fiel auf dem Weg in das Heiligtum, als er beim Zehn-Stadienstein war, hin; als er aufgestanden war, öffnete er seinen Rucksack und untersuchte das zerschlagene Geschirr. Als er da den Becher zerbrochen sah, aus dem sein Herr zu trinken gewohnt war, wurde er traurig und setzte im Sitzen die Scherben zusammen. Da sah ihn ein Wanderer und sagte: »Was setzest du da, du Unglücklicher, den Becher vergeblich zusammen? Den könnte ja nicht einmal der Asklepios in Epidauros wieder heil machen!« Als das der Bursche hörte, legte er die Scherben in den Rucksack zusammen und ging ins Heiligtum; als er dort ankam, machte er den Rucksack auf und zieht den Becher heilgeworden heraus; er erklärte seinem Herrn, was geschehen und gesprochen war; als dieser es hörte, weihte er dem Gott den Becher (zitiert nach Herzog 1931,13-15).
In der apokryphen christlichen Literatur finden derartige Sachwunder Aufnahme in die Tradition der Jesuswunder. Die Erzählung in KThom 13 kann somit als Erweiterung der kanonischen Jesuserzählungen gewertet werden, die – wie die hellenistische Parallele des Wunders aus Epidaur0s zeigt – die Macht des Wundertäters steigert. Denn die Zuschreibung eines Sachwunders scheint – im Gegenüber zu z. B. Heilungen – als Steigerung der 856
Nichts ist unmöglich – mit Jesus KThom 13
Abb. 27: Rekonstruktion eines Trikliniums mit drei Liegemöbeln für den Gebrauch im Rahmen von Gastmählern
Wundermacht wahrgenommen worden zu sein. Zudem integriert die Erzählung deutend und illustrierend bekannte theologische Aussagen der frühchristlichen Tradition (s. dazu unten) und Inhalte (z. B. die Macht Jesu) durch Erzählungen, die bereits bekannten Figuren (Josef; Jesus, hier im Kindesalter) zugeschrieben werden. KThom 13 lässt zudem die allgemeine Tendenz der apokryphen Wundererzählungen erkennen, die sich durch die Entlehnung verschiedener Elemente stärker als die kanonischen Wundererzählungen an die hellenistische Wundertradition annähert. Der Text beschreibt eine Wunderhandlung, die in den Bereich des Fiktiven tendiert, die Macht des Wundertäters in von der kanonischen Tradition abweichenden Bereichen steigert und sie z. T. in den Bereich des Banalen überführt, jedoch durch den Kontext des Sachwunders auch eine Steigerung der Wunderkraft impliziert. Insbesondere wird die Wundermacht des kleinen Kindes hervorgehoben und Jesus dadurch in die Tradition der Machtpräsentation göttlicher Kinder gestellt (vgl. Kaiser 2010, 264-269).
Verstehensangebote und Deutungshorizonte Die Wunder des Kindheitsevangeliums des Thomas illustrieren bereits bekannte theologische Aussagen durch Erzählungen und schreiben sie unter verschiedenen Zielsetzungen fort. An der Passage KThom 13 soll dies unter drei Aspekten erläutert werden: In den Wundern der Kindheitsevangelien steht das Kind Jesus im Mittelpunkt. Er wird als Wundertäter, als göttliches, mit Macht und Wissen ausgestattetes Kind dargestellt. Eine christologische Deutung des Textes basiert auf der Wahrnehmung des Kindes Jesus als Gott, der die Macht besitzt, Wunder zu tun, und der mit der Autorität ausgestattet ist (vgl. dazu Burke 2010), Vertrauen auf Gott auch im Alltag zu fordern. In der Anweisung »sei nicht betrübt, sondern tue, was du willst« gibt KThom 13,8 bereits ein textinternes Deutungsangebot vor. Das Verhalten, das Josef zunächst an den Tag legt, zeugt von seiner Verzweiflung über die anscheinend ausweglose Situation. Jesus fordert 857
Die Wundererzählungen in apokryphen Evangelien
ein Vertrauen in Glaube und Handeln, das auch in auswegloser Situation einen Ausweg erwartet – durch die Hilfe Jesu. Das Wunder in KThom 13 kann als Illustration der frühchristlichen Tradition interpretiert werden, die sich auch in Phil 4,13 spiegelt: »Ich vermag alles durch den, der mich stark macht«. In der Erzählung spricht das Kind Josef exakt dieses Vermögen im Vertrauen auf die Hilfe Jesu zu. In der Seligpreisung (KThom 13,9) erkennt Josef dies an: Im Wissen darum, dass das Vertrauen auf Jesus in jeder Situation einen Ausweg bietet, ist Handeln nach dem Willen des Handelnden grundsätzlich an Glauben zurückgebunden. Weiterhin lässt die Erzählung eine sozialgeschichtliche Deutung zu: Das setting spiegelt die Lebenswelt des Dorfes und der kleinen Handwerker, d. h. den Kontext sozialer Schichten, die deutlich unter dem in 13,2 genannten reichen Auftraggeber anzusiedeln sind. Ihnen wird durch die Erzählung die intervenierende Gegenwart Jesu vor Augen gestellt. Die Hauptfigur Josef repräsentiert die Menschheit, insbesondere die Armen und Unterdrückten, die manchen Problemen klein und machtlos gegenübersteht. Er dient als Identifikationsfigur für die Leser(innen). Im Rahmen der Erzählung wird den Menschen Hilfe und Macht versprochen, ihnen wird ein Verhalten anempfohlen, das von einem neuen Selbstverständnis in ihrer Beziehung zu Gott zeugt, ein Verhalten, das auch in schwierigen Situationen die Gewissheit der Präsenz Jesu erkennen lässt und souveränes, innovatives Handeln ermöglicht. Dass das Sachwunder nicht in einer lebensgefährlichen Notsituation gewirkt wird, dass es vielmehr als kleines Alltagswunder zu charakterisieren ist, spricht ebenfalls in die Lebenswelt möglicher Adressaten. Auch eine unterhaltsam-erbauliche Funktion wurde den Wundern im KThom zugeschrieben, spiegelt sich in der anschaulichen Erzählweise, dem alltäglichen Kontext und der Banalität der Notsituation, die durch das Wunder aufgehoben wird, doch eine Freude am Erzählen und am Ausgestalten der Möglichkeiten, die sich aus den Leerstellen der kanonischen Evangelien in Bezug auf die Kindheit Jesu ergeben. Die humoristische Darstellung vermittelt dennoch auch erbauliche Aspekte – auf unterhaltsame und leicht zu rezipierende Art und Weise, vielleicht auch für Kinder (so Aasgard 2009) – und situiert die Jesuswunder im Lebensalltag der Hörer(innen).
Aspekte der Parallelüberlieferung und Wirkungsgeschichte Die apokryphe Literatur bietet mehrere Parallelen zu KThom 13, z. B. die umfassende Erzählung von Josef dem Zimmermann, die v. a. die Vorgeschichte der Geburt Jesu berichtet, zudem einzelne Erzählszenen aus den Kindheitsevangelien, die die Arbeit Josefs als Zimmermann sowie die Vater-Sohn-Beziehung hervorheben. Aufgrund der komplexen Entstehungskontexte der apokryphen Schriften können jedoch keine traditionsgeschichtlichen Abhängigkeiten konstatiert werden. Im Folgenden werden zwei Paralleltexte präsentiert, die die charakteristische Darstellung der Erzählung in KThom 13 verdeutlichen. Im arabK wird Josef als der Dorfschreiner portraitiert:
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arabK 38 (1) Josef aber ging in der ganzen Stadt herum und nahm den Herrn Jesus mit. Wegen seines Handwerks suchten ihn viele Menschen auf, um bei ihm Türen, Melkkübel, Bettgestelle und Truhen zu bestellen. Der Herr Jesus begleitete ihn, wohin er auch ging. (2) Sooft Josef ein Werkstück eine Elle oder Spanne länger oder kürzer, breiter oder schmäler machen mußte, streckte der Herr Jesus seine Hand gegen es aus, wodurch es so wurde, wie Josef es haben wollte. Er brauchte nichts mit eigener Hand zu tun. Josef war nämlich in der Handwerkskunst nicht besonders geschickt (zitiert nach Schneider 1995). ArabK 38 stellt Josef als Schreiner dar, der alltägliche Gegenstände herstellt und repariert. Während KThom 13 nur implizit auf die Fähigkeiten Josefs eingeht, wird hier betont, dass er auf die ständige wunderhafte Unterstützung seines Sohnes regelrecht angewiesen ist. Damit steigert die Erzählung des arabischen Kindheitsevangeliums das Wunderwirken Jesu, der bei jedem alltäglichen handwerklichen Handgriff interveniert. Eine weitere Erzählung des arabischen Kindheitsevangeliums berichtet davon, dass der König Josef beauftragt, einen Thron zu erbauen. Als das Werk nach zwei Jahren fertig ist, stellt Josef fest, dass die Maße nicht stimmen: arabK 39 (2) Da fragte ihn der Herr Jesus, warum er sich denn fürchte. Josef sagte: »Weil alles, was ich in zwei Jahren geschaffen habe, zunichte ist.« Der Herr Jesus sagte zu ihm: »Fürchte dich nicht und laß den Mut nicht sinken! Fasse du den Thron an der einen Seite, ich fasse die andere, damit wir ihn richten!« Josef tat, wie der Herr Jesus gesagt hatte. Jeder zog auf seiner Seite. So wurde der Thron gerichtet und auf das rechte Maß für seinen Platz gebracht (zitiert nach Schneider 1995). Diese Erzählung berichtet wie KThom 13 von der Streckung eines hölzernen Gegenstandes, der von einem Reichen in Auftrag gegeben wurde. Das Wunder wird ebenfalls durch das Kind Jesus und unter Mithilfe des Josef gewirkt. Es geschieht in einer singulären Notsituation und wird von den Umstehenden als staunenerregendes, wunderhaftes Geschehen wahrgenommen. In der jüdischen Literatur wird ebenfalls von der wunderhaften Verlängerung von Holzbalken berichtet, die Wunderhandlung wird in bTaan 25a Hanina ben Dosa zugeschrieben: Einst baute eine Nachbarin von ihm ein Haus, und die Balken langten nicht. Da kam sie zu R. Hanina und sprach zu ihm: »Ich baue ein Haus, und die Balken langen nicht.« Er fragte sie: »Wie heißt du?« Diese erwiderte: »Ajbu.« Da sprach er: »Ajbu, deine Balken sollen langen.« Es wird gelehrt: Die Balken ragten dann eine Elle auf jeder Seite hervor. Manche sagten: »Sie setzten sich [aus Stücken] zusammen.« Es wird gelehrt: Pelemo erzählte: »Ich habe dieses Haus gesehen; die Balken desselben ragten an jeder Seite eine Elle hervor, und man sagte mir, dieses sei das Haus, das R. Hanina b. Dosa durch sein Gebet gebälkt hat« (bTaan 25a, zitiert nach Goldschmidt 1996).
Die Erzählung weist viele Leerstellen auf: Es wird nicht berichtet, ob die Balken aus Geldmangel oder aufgrund handwerklicher Fehler nicht reichten; es bleibt unklar, ob sich der Mangel lediglich auf die Länge oder auch auf die Anzahl der Balken bezieht; auch lässt 859
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der Text die Angabe des Grundes für Haninas Eingreifen und dessen Deutung vermissen. Der Fokus liegt auf dem Worthandeln des Wundertäters, der das Wunder durch eine direktive Aussage vollbringt. Im Gegensatz zu anderen Wundern des Hanina, die durch Gebet bewirkt werden, wird der Wundertäter hier zunächst als Gottes bevollmächtigter Repräsentant dargestellt, der – analog zu vielen Wundern Jesu – aus eigener Vollmacht Wunder tut (vgl. Vermes 2010, 142). Indem das Wunder explizit nicht durch eine praktische Handlung des Ziehens und Streckens bewirkt wird, weist der Text eine gegenüber den apokryphen Balkenwundern der Jesustradition differierende Akzentsetzung auf, denn diese stellen Jesus als den durch praktisches Eingreifen wunderhaft Handelnden dar. Erst in der Pelemo zugeschriebenen Deutung des Wunders wird – analog zu anderen Wundern des Hanania – das Gebet als wunderwirkend dargestellt.
Abb. 28: Georges de la Tour: Saint Joseph Charpentier, 1645.
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Die Figur des Josef wurde erst relativ spät in bildlichen Darstellungen rezipiert. Im Hochmittelalter wird Josef z. B. im Kontext der Geburt Jesu dargestellt (z. B. Bildtüren von St. Maria im Kapitol zu Köln, 11. Jh.), im Spätmittelalter im Kontext von Kindheit-Jesu-Zyklen. In der Gegenreformation entstand neben der Herausbildung der kanonischen ikonographischen Darstellungen des Josef mit Kind und/oder Lilienstab sowie im Rahmen der Familia Sacra auch der spezifische Typus des Zimmermanns in Handwerkerkleidung, d. h. mit engen Beinkleidern, Stiefeln und kurzem Mantel (z. B. Epitaph 1650, Laurentius-Kapelle in Freudenberg; vgl. Kaster 1990, 213), als Attribute werden ihm Zimmermannswerkzeuge beigegeben, z. B. Bohrer, Beil oder Säge (vgl. Skulptur um 1500, Marienkapelle des Kölner Doms; vgl. Kaster 1990, 213). Dieser Typus wurde v. a. im 16. Jh. in Darstellungen im Kontext des Patroziniums der Zimmermannsgilde aufgenommen (z. B. in Notre Dame de Verneuil, 16. Jh.). Josef wird in bildlichen Darstellungen zumeist mit der Kindheit und Jugend Jesu verbunden, die Vater-Sohn-Beziehung wird betont. Hierbei treten wiederholt Darstellungen auf, die Josef in der Werkstatt oder auch das Jesuskind, das Josef in der Werkstatt hilft, zeigen (z. B. Georges de La Tour, Paris, Louvre, vgl. LCI 7, 214; vgl. Abb. 28).
Susanne Luther Literatur zum Weiterlesen R. Aasgaard, The Childhood of Jesus. Decoding the Apocryphal Infancy Gospel of Thomas, Eugene 2009. G. Dalman, Arbeit und Sitte in Palästina VII, Gütersloh 1942. P. H. Furfey, Christ as Tekton, CBQ 17 (1955), 204-215. P. Herz, Die Arbeitswelt, in: K. Erlemann et al. (Hg.), Neues Testament und Antike Kultur, Bd. 2, Neukirchen-Vluyn 2005, 186-189. H. Höpfl, Nonne hic est fabri filius?, Bib. 4 (1923), 41-55. H. Hübner, Art. tffktwn ktl, EWNT 3 (21992), 820 f. U. U. Kaiser, Jesus als Kind. Neuere Forschungen zur Jesusüberlieferung in den apokryphen »Kindheitsevangelien«, in: J. Frey/J. Schröter (Hg.), Jesus in apokryphen Evangelienüberlieferungen. Beiträge zu außerkanonischen Jesusüberlieferungen aus verschiedenen Sprach- und Kulturtraditionen, WUNT 254, Tübingen 2010, 253-269. G. Kaster, Art. Joseph von Nazareth, LCI 7 (1990), 210-221. H. Kyrieleis, Throne und Klinen. Studien zur Formgeschichte altorientalischer und griechischer Sitz- und Liegemöbel vorhellenistischer Zeit, Berlin 1969. A. Lichtenberger, Architektur und Bauwesen, in: K. Erlemann et al. (Hg.), Neues Testament und Antike Kultur, Bd. 2, Neukirchen-Vluyn 2005, 199-205. P. Schmitt-Pantel/W. H. Groß, Art. Kline, DNP 6 (1999), 604 f.
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Ein aufmüpfiger Schüler (Der Knabe Jesus kennt die Buchstaben) KThom 14 (S1, V1) Als Josef den Verstand des Knaben und sein Alter erkannte, dass er vom Alter her reif genug war, fasste er noch einmal den Entschluss, dass er der Buchstaben nicht unkundig bleiben sollte, und führte ihn weg und übergab ihn einem anderen Lehrer. (S2) Der Lehrer sagte zu Josef: »Zuerst werde ich ihn im Griechischen unterweisen, dann im Hebräischen.« Der Lehrer wusste nämlich von der Erfahrung des Knaben und fürchtete sich vor ihm. Dennoch schrieb er das Alphabet auf, ging es lange Zeit mit ihm durch, und er erwiderte ihm nichts. (S3, V2) Jesus aber bedeutete ihm: »Wenn du tatsächlich Lehrer bist und wenn du die Buchstaben recht verstehst, erkläre mir die Kraft des Alpha, dann werde ich die des Beta erklären.« Der Lehrer aber wurde zornig und schlug ihn auf den Kopf. (S4) Der Knabe, den dies schmerzte, verfluchte ihn, und sofort wurde er besinnungslos und fiel mit dem Gesicht auf den Boden. (S5, V3) Der Knabe kehrte in das Haus Josefs zurück. Josef wurde betrübt und wies seine Mutter an: »Lass ihn nicht vor die Tür, weil diejenigen sterben, die ihn zum Zorne reizen.«
Sprachlich-narratologische Analyse Die Übersetzung folgt der längeren griechischen Fassung des KThom (Rezension A, Text nach Schneider 1995), andere Handschriften unterscheiden sich in einigen Punkten. In fünf Sequenzen (= S) wird der Leser durch diese Lehrer-Jesus-Episode gelenkt. Sie greift die Geschehenskulisse der vorhergehenden Lehrerbegegnung mit dem jungen Jesus auf (vgl. KThom 6-8) und versucht, im Rahmen einer Strafwundergeschichte die schon im heranwachsenden Jesus sichtbare göttliche Sonderstellung innerhalb einer dem Leser vertrauten Schulsituation in Szene zu setzen. Die Episode folgt einem einlinigen chronologischen Ablauf. Sie beginnt mit Josef, der wegen des bisher nicht geglückten Unterrichtsversuchs und wegen der höheren Lebensreife seines Sohnes »noch einmal« den Entschluss fasst, einen Lehrer aufzusuchen. Josef wirkt auf den Leser nicht nur als fürsorgender Vater (Erkennen der Reife seines Sohnes), sondern erscheint auch unbeholfen durch sein überstürzt wirkendes Handeln (»fasste er noch einmal den Entschluss«). Die narrative Strategie liegt darin, die Grundzüge des später erfolgenden Konflikts zwischen Jesus und Lehrer schon in der Beschreibung der Ausgangssituation (S1) anzulegen. Bezeichnend ist auch, dass diese Sequenz ohne einen Dialog zwischen dem Vater Josef und dem Sohn Jesus auskommt. Auch in der folgenden Sequenz wird ein Dialog zwischen Josef und dem Lehrer höchstens angedeutet. Die Erzählung beschränkt sich auf die Erklärung des Lehrers, der Josef sein Unterrichtsprocedere vorstellt. Schon hier werden für den Leser sichtbare Erfahrungsmuster aus dem Schulalltag aufgegriffen. Die Autorität 862
Ein aufmüpfiger Schüler KThom 14
bzw. Fürsorgepflicht des Vaters (»fasste er noch einmal den Entschluss«, »führte ihn weg«, »übergab ihn einem anderen Lehrer«) (S1) geht im Schulalltag (S2) auf die des Lehrers über. Die narrative Strategie liegt in diesem Abschnitt darin, beim Leser die Erwartungshaltung aufzubauen, dass das Kind Jesus seinen Lehrer an Weisheit überflügelt. Hierbei fällt die für den Leser ungewöhnlich empfundene Furcht des Lehrers vor seinem Schüler ins Auge. Die Erwartungshaltung, die durch das Furchtmotiv aufgebaut wird, wird aber zunächst in eine andere Richtung gelenkt – dahingehend, dass das göttliche Charisma Jesu innerhalb der Familie (Josef) (S1) nicht erkannt wird und im Schulalltag (Lehrer) nicht anerkannt werden kann (S2). Verstärkt wird dies durch die Furcht des Lehrers. Damit wird durch das Einsetzen des Furchtmotivs eine erzähltechnische Dynamik erzielt. Die Dramatik für den Leser ist also dadurch gekennzeichnet, dass Jesus von seinem Vater Josef in der Rolle eines gewöhnlichen Heranwachsenden wahrgenommen wird und nicht als charismatisches Wunderkind, das das Interesse erweckt (S2; vgl. KThom 6,2). Erst mit Beginn des vom Knaben Jesus artikulierten Einwandes (S3) wird die Lesererwartung zwar erfüllt, jedoch bringt diese Konfliktsituation ein Überraschungsmoment. Jesus wird auf seine Gegenrede hin vom Lehrer geschlagen und verletzt. Es folgt die Bestrafungstat Jesu, der seinen Lehrer verflucht (S4). Dieser fällt auf das Gesicht zu Boden. Offen bleibt, ob der Lehrer tatsächlich stirbt. Vergleicht man die Fassung mit der Fassung im Codex Sabaiticus, in der vom Tod des Lehrers die Rede ist, bleibt dies in dieser Fassung dem Interpretationsspielraum des Lesers überlassen. Die Szene durchbricht hierbei bewusst sicher geglaubte Erfahrungsmuster aus dem Schulalltag. Eine Beschwörungsformel wird nicht genannt. Auch ist bezeichnend, dass dem Lehrer, nachdem er auf den Boden gefallen ist, keine Aufmerksamkeit geschenkt wird. Vielmehr wird am Ausgang dieser Episode die alleinige Aufmerksamkeit auf Jesus und seine Familie gerichtet (S5). Eingeleitet wird diese Sequenz mit der selbstständigen (!) Heimkehr Jesu in das Elternhaus (»Haus Josefs«). Auch hier wird auf die Wiedergabe eines Dialogs zwischen Jesus und seinen Eltern verzichtet, nicht jedoch auf eine Unterredung zwischen Josef und Maria. Eine Ausweitung des Dialogs mit Maria würde die Sonderstellung der Mutter als Trägerin der »Geheimnisses« (vgl. KThom 11) von der göttlichen Erwählung ihres Sohnes auflösen. Der Leser soll sich auf die Sonderstellung Jesu und den fürsorgenden Vater konzentrieren, der die Konflikte zwischen seinem Sohn und dem Lehrer erzieherisch beantworten muss. So bietet Josef eine notwendige Identifikationsrolle des allmählichen Begreifens dieses Geheimnisses. Die Anweisung Josefs an Maria, Jesus im Hause zu lassen zur Vermeidung weiterer folgenschwerer Konflikte, steht somit im stärkeren Kontrast zur leserzentrierten Erwartungshaltung einer Akklamation an den göttlichen Jesus. Diese bleibt hier aus. Sie findet sich aber in der Episode in KThom15,3f.: Der dritte Lehrer Jesu erkennt seine Überlegenheit an, daraufhin wird auch der Lehrer dieser hier thematisierten Episode geheilt.
Sozial- und realgeschichtlicher Kontext Die dargestellte Schulszene zwischen Jesus und dem Lehrer greift den Alltag des Elementarunterrichts auf (vgl. Plato Prot. 325c-326e), der die unterste Stufe des dreistufigen antiken Schulwesens darstellt. Der Unterricht im Lesen und Schreiben war die Voraussetzung, um in den Grammatikschulen sich z. B. mit der gehobenen Literatur zu 863
Die Wundererzählungen in apokryphen Evangelien
beschäftigen sowie in den Rhetorikschulen neben der Redekunst auch mit der Philosophie mit dem Ziel einer moralischen Unterweisung. Der Unterricht im Lesen und Schreiben war allerdings kaum einheitlich geregelt (vgl. Schade 2004, 55). Einige erhaltene Schreibtäfelchen, Schulostraka, auf denen Schreibübungen zu erkennen sind, geben einen Einblick in die antike Schulpraxis. Der Hinweis des Lehrers, Jesus die griechischen und dann die hebräischen Buchstaben beizubringen (S2), ist zumindest für das römische Elementarschulwesen eher ungewöhnlich. Hingegen ist anzunehmen, dass diese Episode das Elementarschulpensum in östlichen Regionen widerspiegelt, wenngleich die Quellen sehr wenig über den Ablauf im Schulunterricht Auskunft geben (vgl. Baumgarten 2006, 91). Da Josef Bauhandwerker war (tffktwn tekto¯n, vgl. Mt 13,55; KThom 13), muss man zugleich beachten, dass in biblischer Zeit bei der Ausübung eines Handwerks und selbst für die Verrichtung der Tempelarbeit durch das Kultpersonal die Lese- und Schreibkompetenz eher eine untergeordnete Rolle spielte (vgl. Lohmann 2006, 197). Interessanterweise muss auch in Betracht gezogen werden, dass die Alphabetkompetenz mit dem hebräischen Zahlsystem verknüpft war. Buchstaben wurden somit für die Betriebskalkulation als Zahlen verwendet (vgl. Lohmann 2006, 197). Allerdings entstand seit dem 1. Jh. n. Chr. auch ein begründetes Interesse an der Schreib- und Lesekompetenz, um die Verschriftlichung der mündlichen Auslegungstradition des mosaischen Gesetzes festzuhalten, die durch die Zerstörung des Tempels notwendig geworden war (vgl. Lohmann 2006, 217). Das Bemühen Josefs jedenfalls, Jesus zu einem Hauslehrer zu schicken, deutet auf einen gewissen Wohlstand hin. Denn die »antike Schule als staatlich initiierte und auch finanzierte Institution« blieb eine Ausnahme (vgl. Baumgarten 2006, 91). Kinder aus weniger wohlhabenden Haushalten lernten u. U. nur das Signieren von wichtigen Dokumenten (vgl. Baumgarten 2006, 94). Privatlehrer für den Elementarunterricht waren ferner nicht ungewöhnlich, sie hatten meist ein geringes Ansehen, denn es handelte sich in der Regel besonders in römischer Zeit um Sklaven und Freigelassene. Für gewöhnlich wurde aber der Elementarunterricht im Lesen und Schreiben an allgemein zugänglichen Plätzen abgehalten (vgl. Hdt. 6,27). Züchtigungen, wie in S3 beschrieben, waren in allen Schulstufen nicht unüblich. So ist der schlagfreudige Lehrer L. Orbilius Pupillus allgemein bekannt gewesen (Allerdings glaube ich nicht, dass man die Verdrängung der Dichtungen des Livius andauernd verfolgen soll, die mir unter der Fuchtel des schlagfertigen Orbilius als Junge noch in Erinnerung sind; Hor. ep. 2,1,70, Übers. Verf.). Sueton zeichnet ihn als strengen, aber auch geachteten Mann (Seine Unterrichtstätigkeit brachten ihm mehr Ruhm als Gewinn […] Er war aber von strengem Wesen, nicht nur die Antisophisten [Grammatiker, die entgegengesetzte Grundsätze vertreten (Anm., Verf.)] tadelte er bei jeder Gelegenheit, sondern auch seine Schüler; Suet. gramm. 9,2.4, Übers. Verf.). Auch Augustinus beklagt in seinen Bekenntnissen die Elementarschulzeit, in der er beim Lernen der Buchstaben vom Lehrer geschlagen wurde (Daher gab man mich in die Schule, um die Buchstaben zu erlernen, und ich Elender blieb in Unkenntnis, welchen Vorteil das haben könnte. Bei alledem wurde ich geschlagen, wenn ich beim Lernen langsam war; Aug. conf. 1,9, Übers. Verf.). Der indirekt berichtete Fluch Jesu gegen den Lehrer (S3) findet seine mögliche Parallele in den erhaltenen Fluchtafeln, in denen man ein drohendes Schicksal abzuwenden versuchte (z. B. CIL I2 1013: Danae, die jüngst in den Sklavenstand des Captio gekommen ist. Empfange sie als Opfer und verzehre die Danae; Übers. Verf.; CIL I2 1012: Wie der Tote, der dort bestattet ist, der weder sprechen noch sich unterhalten kann, so soll Rhodine 864
Ein aufmüpfiger Schüler KThom 14
bei M. Licinius Faustus tot sein und weder sprechen und sich unterhalten können […]; Übers. Verf.).
Traditions- und religionsgeschichtlicher Hintergrund Das Legendenmotiv, in dem ein unreifes Kind einen Gelehrten überflügelt, muss tatsächlich sehr beliebt gewesen sein und mehr geboten haben als nur eine volkstümliche Erbauungsabsicht. Kernpunkt dieses Legendenmotivs ist die Weisheit des Knaben Jesu aufgrund seines göttlichen Charismas. Lukas, der nach einer akribischen Durchsicht der Quellen die Vermittlung der Zuverlässigkeit der Lehre intendiert (vgl. Lk 1,4), bindet das wohl schon sehr früh entstandene Interesse an Kindheitserzählungen Jesu in seine Erzählintention mit ein. Das Motiv der weisen Gelehrsamkeit begegnet schon im Lukasevangelium, wo der 12jährige Jesus große Einsicht zeigt (vgl. Lk 2,41-52). Der Knabe Jesu, der zu »seinem Tempel« nach Jerusalem kommt und sich vor den Lehrern diskutierend behaupten kann, kündigt von diesem Ort aus sein Wirken als kommender Bote der Königsherrschaft Gottes in der besonderen Beziehung des Gott-Vater-Verhältnisses an. Denn das biographische Interesse in den Evangelien steht im Dienst der Heilsbotschaft des Christusbildes (vgl. Wördemann 2002, 286 f.). In der Kindheitserzählung des Thomas, auch in den späteren Fassungen im arabK sowie im PsMt, wird im Gegensatz zu Lk 1-2 sowie Mt 1-2 eine Präexistenzchristologie verfolgt (vgl. Klauck 2002, 105). Die Verletzbarkeit des Knaben Jesu (der Schlag auf den Kopf schmerzt ihn), zeigt an, dass eine doketistische Christologie hier nicht vorliegt (vgl. Klauck 2002, 105). Der gnomische Ausspruch »erkläre mir die Kraft des Alpha, dann erkläre ich dir die des Beta« ermöglichte eine Rezeption von KThom in gnostischen Kreisen (so Iren. haer. 1,20,1; vgl. Klauck 2002, 105). Eine Kurzfassung der Episode mit diesem Ausspruch wird aber auch in der Epistula Apostolorum (EpAp 4, ebenfalls aus dem 2. Jh.) mit einer antignostischen Absicht erwähnt, inhaltlich scheint die Interpretation also nicht festgelegt. Die EpAp richtet sich wie KThom an ein breites christliches Publikum und beide teilen auch christologische Vorstellungen: Sie betonen die irdisch-leibliche Existenz Jesu, in der er von Anfang an als Gottessohn wirksam ist. Unterschiedlich ist aber der Charakter der Schriften. Während in EpAp 4 in der gezielten Auseinandersetzung mit gnostischem Gedankengut die Lehrer-Jesus-Episode dazu verwendet wird, die göttliche Legitimation schon des irdischen Jesus als generelle Norm hervorzuheben, konzentriert sich KThom 14 darauf, die Sonderstellung des Knaben Jesus im Rahmen einer erbauenden Strafwundergeschichte zu betonen, um so auf die allgemeingültige Glaubenswirklichkeit hinzuweisen. Die von Gott kommende Weisheit soll als Gegensatz zum menschlichen Wissensvermögen wahrgenommen werden. So geht diese Weisheit der Lesefähigkeit voraus und steht über den menschlichen Weisheitsbegriffen. Die Vorstellung von einem lehrenden Gott scheint es in der Antike gegeben zu haben (vgl. Plato symp. 197a) wie viel später auch die Vorstellung eines lernenden Gottes (vgl. Odins Runenlied in der Hávamál der Lieder-Edda). Das im KThom zum Ausdruck kommende Motiv von einem Jugendlichen in der Gestalt eines heranwachsenden Heilsbringers jedoch, der aufgrund seiner Weisheit die Lehrer oder das Volk verblüfft, muss im östlichen Raum des zweiten Jh. n. Chr. entstanden sein. Dafür spricht, dass dieses Motiv – später allerdings als im Kindheitsevangelium des Thomas – Eingang in die Lalitavistara (Buddha-Biographie des Mahayana865
Die Wundererzählungen in apokryphen Evangelien
Buddhismus) gefunden hat. Dort wird in einer Episode berichtet, wie Siddhartha Gautama als Bodhisattva in der Schule dem Lehrer und seinen Mitschülern die BrahmiSchrift beibringt. Schon die Tatsache, dass dieses Legendenmotiv in den Kindheitsgeschichten Jesu eine nicht geringe Bedeutung aufweist, könnte nicht nur für dessen Popularität sprechen, sondern auch für seinen Stellenwert in der östlichen Kirche.
Verstehensangebote und Deutungshorizonte Die Strafwundergeschichte ist geprägt von der Auseinandersetzung mit den damaligen intellektuellen jüdischen und heidnischen Lehrmeinungen sowie mit den häretischen Strömungen (vgl. Apg 13,4-12). Das Bild der Auseinandersetzung zwischen Lehrer und Schüler gleicht symbolisch einer Konfrontation zwischen dem Gelehrtenstand und dem einfachen Volk. Durch die bewusste Wahl des Schulalltags als Erzählort wird die Konfliktszene zwischen dem Lehrer und Jesus als Erlebnisbericht gezeigt, um nicht nur die Dimensionen göttlicher Macht hervorzuheben, sondern besonders gegenwärtige Abweichungen vom wahren Glauben kritisch zu hinterfragen und Rückschlüsse auf Missstände machen zu können. Die Züchtigung eines Schülers im Unterricht (S3) wurde hingegen damals nicht als ein Missstand gewertet, vielmehr als notwendiger Akt. Von diesem Zeitgeist berichten die alttestamentlichen Spruchweisheiten, z. B.: »Wer Zucht liebt, der wird klug, aber wer Zurechtweisung hasst, der bleibt dumm« (Spr 12,1) oder: »Wer die Rute spart, hasst seinen Sohn, wer ihn liebt, nimmt ihn früh zur Zucht« (Spr 19,18). Dass Jesus den Lehrer verflucht, wurde vom antiken Leser als Fluchakt im Rahmen des antiken Dämonenverständnisses verstanden, als Kritik an der bewussten Ignorierung des intellektuell nicht Fassbaren. Vermutlich stellt diese Episode eine volkstümliche Gegenreaktion dar auf die in damaliger Zeit herrschenden Fragen um das Geheimnis des GottMenschen in dogmatischer Begrifflichkeit (vgl. Läpple 1997, 99f.). Dem heutigen Leser, der vermutlich mehr ein aufgeklärtes Interesse an den volkstümlichen Kindheitsgeschichten Jesu hat, steht also der antike Leser gegenüber, der gerade durch diese volkstümliche Erzählweise theologisch belehrt wurde. Das Hauptanliegen der Episode, der Hinweis auf Jesu Sonderstellung, bleibt im antiken wie modernen Leserverständnis immanent und führt zu einer christologischen Deutung. Die Erzählmotive des Streitgesprächs, besonders in der Auseinandersetzung mit dem Gelehrtenstand (Mk 3,22-30 par.; Mk 12,28-34 par.), sowie das entschlossene und aggressive Handeln in der Episode der Tempelreinigung (Mk 11,15-17 par.) und der Wundertaten (Mk 1,23-28 par.; Mk 5,1-20 par.) gehen als bewusste Reminiszenz eine Verbindung mit dem volkstümlichen Wunderkindmythos ein (S3). Die Szene, in der Jesus sich vor den Schriftgelehrten gegen den Vorwurf einer Dämonenbesessenheit erwehren muss (Mk 3,22-30 par.), kann die Gestaltung dieser Lehrer-Jesus-Episode beeinflusst haben. Hier wie dort wird der Schriftgelehrte nicht persönlich angegriffen, nur einzig als Vertreter des Gelehrtenstandes, dem der Zugang zur neuen Lehre fehlt, in der sich in Jesu Handeln die Vollmacht der Gottesherrschaft zeigt. Erst dann wird der Lehrer vom Fluch wieder befreit (KThom 15,4), als ein weiterer Lehrer die neue Lehre annimmt (KThom 15,3). So wird in den drei Lehrer-JesusEpisoden ein dreifacher Weg beschrieben, auf welchem der Gelehrtenstand den richtigen Zugang zur »Anmut und Weisheit« des Knaben Jesus (KThom 15,3) bekommt: Zuerst wird die Sonderstellung Jesu als Hochbegabung interpretiert (vgl. KThom 6-8; S2). Dann 866
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nach dem dramatisch ausgeschmückten Konflikt (S3) wird die Außergewöhnlichkeit Jesu richtig eingeschätzt und somit die Lehrerschaft von den Flüchen befreit (KThom 15,4). Dass Erzählmotive aus den kanonischen Evangelien für die Lehrer-Jesus-Episoden übernommen wurden, dient nicht nur der Intention, einen Wiedererkennungswert zum erwachsenen Jesus in den Evangelien zu schaffen, sondern v. a. auf die gemeinsame christologische Bedeutung hinzuweisen. Denn auch durch den jungen Jesus wird die göttliche Nähe greifbar. In der Rolle eines Kindes wird schon das typische Aufwiegelungsverhalten offenbar, und zwar durch das provozierende Auftreten »in Wort, Tun und Verhalten«, um auf das in ihm verwirklichte Heil von Gott her hinzuweisen (vgl. Dembowski/Breuning 1993, 19). In dieser Beziehung deutet der tödliche (?) Straftakt und die Wiedergenesung des Lehrers durch die Anerkennung der Sonderstellung Jesu durch den dritten Lehrer (KThom 15) die Bedeutung des heilstheologisch bedeutsamen Kreuzestodes und der Auferstehung Jesu als Erlöser der Menschen an und zeigt auf, dass der Weg, sich zu Christus zu bekennen, jedem freisteht. Das Anliegen der christlichen Mission, den Menschen aus Weltflucht, aus Dämonenangst, aus magischer Abhängigkeit und vielen Formen des Aberglaubens zu befreien, wird in diesem Strafwunder im Rahmen einer befreiungstheologisch-anthropologischen Deutung erkennbar. In dieser Episode geht es nicht nur um die Frage des rechten Glaubens, sondern gerade um die Frage der Glaubensidentität des Einzelnen in der Kirche in der Wahrnehmung des verstandesmäßig nicht fassbaren Göttlichen. Daher ist dieser Lehrer-Jesus-Konflikt nicht politisch motiviert zu verstehen, als Berechtigung für die Umdeutung bestehender Machtverhältnisse. Vielmehr zielt die anthropologische Konstante darauf, dass der Weg zu Gott durch Jesus nicht rational erkannt werden kann. Man kann sich für ihn entscheiden oder sich ihm verschließen. Dem Lehrer-Jesus-Konflikt eigen ist die Weckung des Glaubens nicht im Rückblick, sondern in der Vorankündigung von Jesu eigentlichem Wirken. Auch außerhalb der Kirche Stehende bekommen somit auf dem Hintergrund einer für jeden nachvollziehbaren Alltagsszene die Kompromisslosigkeit der Anerkennung der göttlichen Macht vor Augen geführt, um sich für das Evangelium, das Wirken Jesu zu öffnen. Besonders in den Ländern der so genannten Dritten und Vierten Welt übt die Solidaritätshaltung Jesu gegenüber den Armen und Unterdrückten eine große Anziehungskraft aus (vgl. Lentzen-Deis 1977, 33). In aufgeklärten modernen Ländern hingegen ist die entmythisierende Beschäftigung mit der Person Jesu populär. Zwischen der aufgeklärten Betrachtung der historischen Person Jesu (vgl. Lentzen-Deis 1977, 32) und der volkstümlich verklärenden Sicht seiner göttlichen Heilskraft sticht das andersartig befreiende Neue hervor.
Aspekte der Parallelüberlieferung und Wirkungsgeschichte Das Strafwundermotiv, so wie man es in KThom 14 vorfindet, ist in anderen Schriften weitertradiert worden. Das in zwei arabischen und drei syrischen Handschriften überlieferte arabische Kindheitsevangelium aus dem 5. oder 6. Jh. (Jarosˇ 2008, 272) entnimmt viele Erzählungen aus dem Kindheitsevangelium des Thomas. Von den LehrerJesus-Episoden aus KThom wurden für das arabische Kindheitsevangelium zwei (KThom 6-8 und KThom 14) übernommen (arabK 48f.). Der Hauptunterschied in arabK 49 zu KThom 14 liegt im Fehlen des Fluchaktes und darin, dass der Lehrer stirbt, 867
Die Wundererzählungen in apokryphen Evangelien
der – im Gegensatz zu S2 – von der Weisheit seines Schülers keine Kenntnis hat. Das arabische Kindheitsevangelium entspricht darin teilweise älteren Handschriften des KThom (Codex Sabaiticus und die syrische Fassung), baut also wohl auf früheren Textformen auf, während die Entwicklung in der griechischen Überlieferung zu einer Entschärfung (der Lehrer stirbt nicht eindeutig) und zu größerem Interesse an der Person des Lehrers führt. Obwohl schon die Griechen bei genialen und außergewöhnlich erfolgreichen Menschen von einer göttlichen Wesenheit ausgingen (vgl. Gottlieb 1991, 24), sind solche Erzählmotive, in denen ein Schüler seinem Lehrer seine Überlegenheit qua seiner numinosen Stellung mittels des Bestrafungsakts eines Fluchs unter Beweis stellen kann, im westlich-antiken Raum durch das Decretum Gelasianum aus dem 5. Jh. unerwünscht gewesen. Ungeachtet dessen war das KThom auch im westlichen Raum populär. Belegt ist diesbezüglich, dass durch eine pia fraus einzelne Episoden nach KThom 14 und 15 im Pseudo-Matthäusevangelium auch im westlichen Raum überliefert wurden. Diesem Evangelium wurde ein fingierter Briefwechsel zwischen Chromatius und Heliodorus mit Hieronymus vorangestellt (vgl. Schneider 1995, 61). Die Lehrer-Jesus-Begegnungen innerhalb der erhaltenen Kindheitserzählung des Thomas haben keinen Eingang in die kanonischen Schriften des Neuen Testaments gefunden. Sie strahlen aber offenbar durch ihren »einfältigen Darstellungsstil« (vgl. Vielhauer 1975, 675) eine spezielle volkstümliche Beliebtheit aus. So gibt es weiterhin ein, wenn auch eher erbauend und weniger theologisch begründetes Interesse an den eingängigen Geschichten über die Kindheit Jesu, die besonders in Filmen wie z. B. Ein Kind mit Namen Jesus am Leben gehalten werden. Am bekanntesten dürfte die Geschichte sein, in welcher der junge Jesus aus weichem Lehm zwölf Sperlinge erschafft (vgl. KThom 2). Die Bestrafungswundergeschichte aus dem Kindheitsevangelium des Thomas (KThom 14) ist heute hingegen eher unbekannt. Ein möglicher Grund könnte darin liegen, dass im Rahmen einer rationalistischen Betrachtungsweise für das heutige Verständnis das Lokalkolorit des antiken Schullebens, die Bestrafungstat und insgesamt die Legendensprache auf heutige Leser/Hörer zu anachronistisch und irrational wirken (vgl. Langenhorst 2002, 53).
Mathis Christian Holzbach Literatur zum Weiterlesen J. Christes/R. Klein/C. Lüth (Hg.), Handbuch der Erziehung und Bildung in der Antike, Darmstadt 2006. T. Morgan, Literate Education in the Hellenistic and Roman Worlds, New York/Cambridge 1998. G. Schneider, Evangelia infantiae Apocrypha-Apokryphe Kindheitsevangelien, FC 18, Freiburg i. Br. 1995. Y. L. Too (Hg.), Education in Greek and Roman Antiquity, Leiden 2001.
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»Werde rein … und sündige nicht mehr!« (Heilung eines Aussätzigen) P.Egerton 2 Und siehe, ein Aussätziger kommt zu ihm und sagt: »Lehrer Jesus, ich wanderte zusammen mit Aussätzigen und aß mit ihnen in der Herberge, darauf wurde ich auch selbst aussätzig. Wenn du willst, werde ich rein sein.« Der Herr aber sagte zu ihm: »Ich will es, werde rein.« Und sofort verließ ihn sein Aussatz. Da sagte Jesus zu ihm: »Geh und zeig dich den Priestern, bring für deine Reinigung (ein Opfer), wie Mose angeordnet hat, und sündige nicht mehr.« Papyrus Egerton 2 gehört zu den ältesten materialen Zeugnissen, die uns vom antiken Christentum überliefert sind. Als das aus vier Fragmenten bestehende Manuskript im Jahr 1935 erstmals veröffentlicht wurde, bedeutete dies eine kleine Sensation – die Herausgeber Bell und Skeat bezeichneten es als den ältesten bis dahin bekannt gewordenen christlichen Papyrus überhaupt und datierten es in die Mitte des 2. Jh. Heute wird zumindest P52, das wohl älteste Fragment eines neutestamentlichen Textes (mit einigen Zeilen des Johannesevangeliums), als älter angesehen, während man bei der Datierung des Egerton-Papyrus vorsichtiger geworden ist und eher an das Jahr 200 n. Chr. denkt. Wie auch immer: Ein so alter Papyruscodex muss natürlich einen sehr frühen christlichen Text enthalten: Und tatsächlich überliefert P.Egerton 2 (+ das inzwischen entdeckte zusätzliche Fragment P. Köln 255) Reste eines Evangeliums, dessen historische Einordnung seitdem manches Kopfzerbrechen verursacht hat. Während einige Szenen deutliche Anklänge an das Johannesevangelium zeigen, bietet die uns hier interessierende Erzählung, die unmittelbar auf einen Versuch folgt, Jesus festzunehmen, eine klare Parallele zu der bekannten Heilung eines Aussätzigen in Mk 1,40-45 par. Mt 8,1-4 par. Lk 5,12-16. Mit dem Text verbinden sich im Grunde v. a. zwei Fragen: Wie lassen sich die Gemeinsamkeiten und Unterschiede zu den Synoptikern erklären? Und wie ist der Text an sich zu interpretieren? Beide Fragen sind nicht ganz leicht zu beantworten, kennen wir doch weder den gesamten Kontext, in den unsere Erzählung eingebettet ist, noch können wir mit letzter Sicherheit davon ausgehen, dass die Passage uns vollständig überliefert ist.
Sprachlich-narratologische Analyse Verglichen mit den synoptischen Parallelen Mk 1,40-45 par. Mt 8,1-4 par. Lk 5,12-16 bietet P.Egerton 2 die am knappsten erzählte Version der Heilung eines Aussätzigen. Narrativ unverbunden mit dem Kontext wird – nur durch die Worte »und siehe« eingeleitet – erzählt, wie der Kranke auf Jesus zukommt, ihm mit einem ausführlichen Rückgriff auf sein früheres Tun seine Not schildert und seine Bitte um Heilung in einem Ausdruck des Vertrauens verpackt. Darauf wirkt Jesus die Heilung nur durch ein Wunder wirkendes Wort, das seinen Willen zur Heilung ausdrückt. Das Wunder wird konstatiert, 869
Die Wundererzählungen in apokryphen Evangelien
worauf Jesus den Geheilten auffordert, die erforderlichen Reinigungsriten vorzunehmen und nicht mehr zu sündigen; im Gegensatz zu Markus werden keine Zeichen von Mitgefühl Jesu erwähnt, die Heilung erfolgt ohne Berührung des Kranken. Die Szene ist weder geographisch verortet noch illustriert, sie reduziert sich auf einen kurzen Dialog mit Rede des Aussätzigen und zwei Jesusreden, zwischen denen die erfolgte Heilung konstatiert ist. Die Bitte des Aussätzigen um Heilung entspricht sprachlich nahezu vollkommen der in den synoptischen Parallelen; die erste Antwort Jesu nimmt die Vertrauensaussage des Kranken wie in den synoptischen Parallelen nahezu wörtlich auf. Die nach der knapp bestätigten Heilung folgende Jesusrede besteht in ihrer erhaltenen Form aus drei knappen Sätzen im Imperativ; das vorausgehende Partizip muss im Deutschen am besten ebenfalls als Imperativ vorausgeschickt werden; ob die ursprüngliche Szene damit beendet war, lässt sich wegen des fragmentarischen Zustands des Textes nicht mehr sicher bestimmen. Die Szene lebt von der Spannung zwischen ausführlicher Schilderung der Not und Reduzierung der ansonsten nötigen Motivik auf das Wesentliche; auffallend ist zudem das Zueinander dreier Bezeichnungen Jesu: »Lehrer« (im Munde des Aussätzigen), »Herr« und »Jesus«. Überraschend ist der Plural »Priester« in der abschließenden Aufforderung Jesu.
Sozial- und realgeschichtlicher Kontext Auf real- wie auch religionsgeschichtlicher Ebene ist es wichtig, wenigstens die wichtigsten Kenntnisse zum Umgang des Judentums mit dem Phänomen des Aussatzes und den entsprechenden Wiedereingliederungsriten in die Gemeinschaft vorauszusetzen. Da diese bereits im Themenartikel (vgl. dazu Kollmann, Krankheitsbilder in diesem Band) dargestellt sind, müssen sie hier nicht noch einmal dargelegt werden. Interessant ist allerdings, dass P.Egerton 2 davon spricht, dass sich der Geheilte mehreren Priestern zeigen soll. Da der Plural im Fragment aber auf der (nicht ganz sicheren) Lesung eines einzigen Buchstaben beruht, sollten hieraus nicht zu weitgehende Folgerungen gezogen werden. Dass eine an Realien interessierte Ebene der Interpretation dem Text allerdings kaum gerecht zu werden vermag, zeigt die für P.Egerton 2 typische Ortlosigkeit der Szene. Sie schwebt geradezu frei in der Luft; auch die Frage, wie es im jüdischen Kontext des 1. Jh. möglich gewesen sei, mit Aussätzigen in der Herberge zu essen, wird nicht gestellt; die Darstellung der Notlage wirkt dadurch kaum realistisch; auch die Frage, inwiefern Reise- und Tischgemeinschaft zur Ansteckung führt, ist nicht gestellt; dies wird alleine konstatiert. Man kann nur spekulieren, in welchem Milieu eine derartige Form der Erzählung entstanden sein könnte. Dieses ist sicherlich nicht in Palästina zu verorten – wenn die obige Deutung zutrifft, aber doch mit einiger Wahrscheinlichkeit in christlich-jüdischen Kreisen, in denen die Bedeutung auch von Reinigungsvorschriften der Tora noch eine Rolle gespielt haben mag.
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»Werde rein … und sündige nicht mehr« P.Egerton 2
Traditions- und religionsgeschichtlicher Hintergrund Zur Frage zur Verbindung von Aussatz und Reinheit sei auf den entsprechenden Themenartikel in diesem Band verwiesen.
Verstehensangebote und Deutungshorizonte Um den Text deuten zu können, gilt es, aus dem Mosaik der Detailbeobachtungen ein möglichst schlüssiges Ganzes zusammenzusetzen, das allerdings immer mit dem Problem zu leben hat, nur ein Fragment (und nicht den ursprünglichen Gesamttext) vor sich zu haben. Immerhin ist nicht klar, ob wir den ursprünglichen Schluss der Erzählung vollständig vorliegen haben. Der Schlüssel für eine soteriologisch-anthropologische Deutung des Textes könnte im Gegenüber der breit angelegten Beschreibung der Notlage und der abschließenden Aufforderung, nicht mehr zu sündigen, zu finden sein. Bei der Beschreibung der Notlage geht es sicher nicht um eine medizinisch nachvollziehbare Darstellung der Situation – und schon gar nicht um eine Beschreibung von Symptomen, die dem möglichen Therapeuten helfen könnten, seine Diagnose anzusetzen. Liegt hier also nur eine novellistische Erweiterung einer ursprünglichen Erzählung vor, die sich der reinen Lust am Ausbauen einer Erzählung verdankt? Dagegen wiederum spricht die Beobachtung, dass die apokryphe Szene viel kürzer ist als die synoptischen Parallelen. Im Gegenüber zur Aufforderung Jesu, nicht mehr zu sündigen, ergibt sich allerdings ein Sinn der Szene: Was eingangs auf den ersten Blick wie eine Beschreibung der Ansteckung wirkt, könnte dann auch als Schuldbekenntnis aufgefasst werden, die von der Tora gebotene Distanz zu Unreinen nicht eingehalten zu haben. Die Übertretung bzw. Sünde führt zur Krankheit; wer sich wie der Kranke vertrauensvoll auf Jesus einlässt, wird Heilung von ihm erfahren. Dazu passen auch andere Züge der Erzählung: Der Jesus des apokryphen Textes wird beschrieben als souveräner Wundertäter, der als »Kyrios«, d. h. »Herr«, bezeichnet wird, aber er geht selbst keinen Kontakt mit dem Aussätzigen ein, sondern heilt alleine mit dem Wort. Dadurch dass er selbst den Erkrankten nicht berührt, verhält er sich anders als dieser. Dazu passt auch, dass, wie in den synoptischen Erzählungen betont wird, der Geheilte sich nun den Anordnungen gemäß zu verhalten hat, die die Tora im Falle der Heilung von Aussatz vorschreibt. Dabei muss das historisch nicht ganz zutreffende Motiv, dass der Geheilte sich »den Priestern« zeigen soll, nicht überbewertet werden. Auch die Textgeschichte der synoptischen Evangelien zeigt genau hier Schwankungen. In einer christologisch interessierten Deutung der Szene könnte man dann folgern, dass es darum geht, Jesus als toratreuen Lehrer und gleichzeitig als souverän heilenden Kyrios zu zeichnen. Der ihn um Hilfe bittende Aussätzige wäre in einem solchen Szenario in erster Linie als der Sündige verstanden, dessen Sünden zwar nicht explizit vergeben werden, der aber von einer Krankheit geheilt wird, die er sich aufgrund einer Übertretung von Vorschriften der Tora zugezogen hat. Die in der Heilung erfolgte Reinigung, die in den in Lev 14 beschriebenen Riten bestätigt wird, gibt ihm die Chance zu einem Neuanfang, der nicht durch erneutes Sündigen verspielt werden soll.
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Die Wundererzählungen in apokryphen Evangelien
Aspekte der Parallelüberlieferung und Wirkungsgeschichte Die Ähnlichkeit mit den synoptischen Erzählungen von der Heilung eines Aussätzigen in Mk 1,40-45 par. Mt 8,1-4 par. Lk 5,12-16 fällt sofort ins Auge. Bei genauerem Hinsehen aber zeigen sich im Detail viele Unterschiede: Nur in der apokryphen Szene wird Jesus als »Lehrer« angesprochen, der vorliegende Text erzählt auch nicht davon, dass der Aussätzige vor Jesus niedergefallen sei. V. a. aber wird von keinerlei Berührung zwischen beiden erzählt: Während Jesus laut synoptischen Erzählungen mit dem Ausstrecken seiner Hand und der folgenden Berührung des Aussätzigen (Mk 1,41; Mt 8,3; Lk 5,13) geradezu eine Schranke durchbricht, heilt er hier alleine durch das Wort. Auffallend ist die ausführliche Beschreibung der Gründe für die Erkrankung des Aussätzigen im apokryphen Text. Das bei Markus so wichtige Motiv der Gefühle Jesu (vgl. Mk 1,41 und 43) fehlt hier wie auch in den synoptischen Erzählungen. Nur im Evangelium auf P.Egerton 2 ist davon die Rede, dass der Geheilte sich den Priestern (Plural) zeigen solle – die Synoptiker bieten hier den Singular. Ob die Szene schließlich mit einem Schweigegebot endete wie Mk 1,44 par., lässt sich nicht mehr sagen. Das Fragment bricht mit der Aufforderung, nicht mehr zu sündigen (vgl. Joh 5,14 sowie die apokryphe Szene Joh 8,11), ab. Die Frage nach gegenseitigen literarischen Abhängigkeiten ist bei einem solchen Befund kaum mehr zu klären. Ein paar Gedanken aber verdienen, festgehalten zu werden: Die hier überlieferte Erzählung stimmt mit denen aus den synoptischen Evangelien nur in ihrem Grundgerüst überein. Gleich sind im Grunde nur diejenigen Elemente, die man in jedem Falle benötigt, wenn man die aus den Synoptikern bekannte Szene nacherzählen möchte. Auch wenn einige Indizien dafür sprechen, dass der Autor unseres unbekannten Evangeliums ein oder mehrere der synoptischen Evangelien kannte und vielleicht auch gelesen haben mag, es scheint deswegen für die Interpretation wichtig, dass er ihnen keinesfalls sklavisch folgt oder gar so etwas wie eine Evangelienharmonie zu erzeugen sucht, sondern die Geschichte auf seine eigene Weise zu erzählen sucht. Da P.Egerton 2 bis zu seiner Wiederentdeckung im 20. Jh. unbekannt blieb, kann von einer weitergehenden Rezeptionsgeschichte des Textes nicht gesprochen werden.
Tobias Nicklas Literatur zum Weiterlesen H.-J. Klauck, Apokryphe Evangelien. Eine Einführung, Stuttgart 22005, 36-40. T. Nicklas, The ›Unknown Gospel‹ on Papyrus Egerton 2, in: T. J. Kraus/M. J. Kruger/T. Nicklas, Gospel Fragments, Oxford Early Christian Gospel Texts, Oxford 2009, 9-120.
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Hilfe zur Selbstständigkeit (Der Kranke mit der ›verdorrten Hand‹ als Maurer) EvNaz 4 / Hier. comm. in Matt. zu Mt 12,13
»Ich war Maurer und verdiente mit [meinen] Händen [meinen] Lebensunterhalt; ich bitte dich, Jesus, dass du mir die Gesundheit wieder herstellst, damit ich nicht schimpflich um Essen betteln muss.«
Sprachlich-narratologische Analyse Bei einigen Kirchenvätern finden sich Hinweise auf judenchristliche Evangelienschriften. Leider ist keine dieser Schriften mehr vollständig erhalten, und die altkirchlichen Autoren weisen nur auf sie hin, wenn ihnen solche Traditionen zur Erläuterung biblischer Texte oder aus anderen Gründen nützlich waren und durch ihre Abweichung von der kanonisch gewordenen Überlieferung auffielen. Daher ist es kaum möglich, aus den zufällig überlieferten Fragmenten die ursprüngliche Gestalt dieser Werke zu erschließen. Dass in den Fragmenten nur eine einzige Wunderüberlieferung begegnet, zeigt nur, dass man hier später weniger signifikante Abweichungen wahrnahm. Das Beispiel ist aber aufschlussreich für die Variationsbreite in der frühchristlichen Wunderüberlieferung. Es findet sich im Matthäuskommentar des Hieronymus als Variante zu Mt 12,13 und wird meist dem so genannten Nazoräerevangelium zugeordnet, sofern man mit der neueren kritischen Forschung zwischen mindestens drei judenchristlichen Werken unterscheidet (Klijn 1992, 27-43; Klauck 2005a, 62-72; Frey 2010; Frey 2012, 560-660): dem bei Epiphanius zitierten Evangelium der Ebionäer, dem bei Clemens Alexandrinus, Origenes und späteren Autoren belegten griechischen Evangelium der Hebräer und einer vermutlich aramäischen Evangelienschrift (anders Nagel 2008: hebräisch), die »Evangelium der Nazoräer/Nazaräer« genannt wird. Manche Interpreten (Mimouni 1998; Luomanen 2005) verzichten auf die Unterscheidung von EvHebr und EvNaz, da die Aufteilung der Texte unsicher ist. Das EvNaz wurde oft als leicht veränderte Fassung des Matthäus angesehen, v. a. weil Hieronymus es mit dem aus einer Notiz des Papias (Eus. h.e. 3,39,16) erschlossenen ›hebräischen Matthäusevangelium‹ zusammenbringt, doch ist mit größeren Abweichungen von der kanonischen Überlieferung in Stoff, Aufbau und Details zu rechnen, ebenso mit einer relativ ›flüssigen‹ Überlieferung. Die Bezeichnung selbst ist aber erst in mittelalterlichen Quellen belegt, so bei Haimo von Auxerre (9. Jh.), der in seinem Jesajakommentar ein evangelium Nazaraeorum erwähnt (in Is. 53,13; PL 116, 994B), in der damit eingeführten Notiz aber von Hieronymus (ep. 120,8 f.: CSEL 55, 490) abhängt, sowie bei Paschasius Radbertus (exp. in Mat. 6 zu 12,10: CChr.CM 56A, 652: »Evangelium, das die Nazarener benutzen«; ähnlich exp. in Mat. 2 zu 2,23: CChr.SM 56, 183: »Evangelium, das eigentlich das der Nazarener genannt wird«; s. Klijn/Reinink 1973, 268). Doch haben diese Autoren wohl keine eigene Kenntnis dieser Schrift mehr.
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Die Wundererzählungen in apokryphen Evangelien
Die von Hieronymus zu Mt 12,13 mitgeteilte Notiz gibt die Heilungsgeschichte aus der Quelle nicht vollständig wieder, sondern bietet nur zwei für den Kirchenvater signifikante Unterschiede, den Beruf des Mannes als Maurer (caementarius), und seine Anrede an Jesus mit der Situationsschilderung, der Bitte um Hilfe und einer weiteren Begründung, die wörtlich zitiert wird: In dem Evangelium, das die Nazarener und Ebioniten gebrauchen, das wir kürzlich aus der hebräischen Sprache in die griechische übersetzt haben und das von den meisten als das authentische [Evangelium] des Matthäus bezeichnet wird, wird der Mann, der die verdorrte Hand hat, als Maurer beschrieben, der mit folgenden Worten um Hilfe bat: Ich war Maurer und verdiente mit [meinen] Händen [meinen] Lebensunterhalt; ich bitte dich, Jesus, dass du mir die Gesundheit wieder herstellst, damit ich nicht schimpflich um Essen betteln muss (Frey 2012, 560, dort frg. 4 [bisher frg. 2]; nach Hier. comm. in Matth. 2 zu Mt 12,13 CChr.SL 77,90 [Hurst/Adriaen]).
Der Hinweis auf die Überlieferung im Kommentar zu Mt 12,13 zeigt, dass Hieronymus in dem Stück eine Variation der Mt 12,9-14 (par. Mk 3,1-6 und Lk 6,6-11) erzählten Sabbatheilung erkennen konnte. Dafür spricht der Hinweis auf den (aus Mt 12,10 bekannten) »Mann, der die verdorrte Hand (aridem manum) hat«. Die synoptische Erzählung ist auf den Konflikt über die Heilungstätigkeit am Sabbat fokussiert, d. h. auf die Auseinandersetzung Jesu mit seinen Gegnern. Matthäus hat den Text aus Mk 3,1-6 gestrafft und die Elemente der Heilungsgeschichte weiter reduziert. Nur mit den Gegnern findet der Wortwechsel statt, der Kranke ist kaum mehr als ein ›Demonstrationsobjekt‹. Er ist in der Synagoge einfach da (Mk 3,1; Mt 12,10), wird von Jesus in die Mitte gerufen (Mk 3,3; nicht bei Matthäus) und angewiesen, seine Hand auszustrecken (Mk 3,5; Mt 12,13). Andere Elemente einer Wundererzählung wie die Heilungsbitte oder der ›Chorschluss‹ fehlen und sind durch Elemente des Streitgesprächs und die am Ende notierte Tötungsabsicht der Gegner verdrängt. Im straffen Aufbau der matthäischen Erzählung (aber auch in der markinischen und lukanischen Version) hätte eine eigenständige Rede des Kranken keinen Platz. Wenn die apokryphe Version den hier zitierten Satz enthielt, war sie narrativ anders gestaltet als alle synoptischen Fassungen (Köhler 1987, 296). Der Fokus lag wohl stärker auf der Heilung bzw. der Interaktion zwischen dem Kranken und Jesus, weniger auf dem Konflikt mit den Gegnern; aus der Notiz lässt sich nicht einmal belegen, dass die Sabbatfrage eine wesentliche Rolle spielte.
Sozial- und realgeschichtlicher Kontext Die wörtliche Rede des Kranken bietet zugleich einen Einblick in die soziale Welt (nicht nur) der Judenchristen, in einem eher ärmlichen, von Landwirtschaft und Handwerk geprägten Umfeld, sowie einen expliziten Hinweis auf die Bedeutung der Kategorien von ›Ehre und Schande‹ in der antiken Gesellschaft (Evans 2007, 257): Betteln zu müssen galt als Schande (Sir 40,28.30; Lk 16,3), sein Brot selbst zu verdienen als ehrenhaft (vgl. Ps 37,25). Zugleich zeigt sich hier die Hochschätzung der Handarbeit im jüdischen Kulturkreis (im Unterschied zur Bevorzugung der ›Muße‹ des freien Bürgers in der griechischen Polis), die sich von der jüdischen Weisheit (Spr 10,4; 28,19; Ps.-Phok. 153874
Hilfe zur Selbstständigkeit (Der Kranke mit der ›verdorrten Hand‹ als Maurer) EvNaz 4
161; Flav. Jos. Apion. 2,291) bis zur Lebens- und Arbeitsform der Rabbinen zeigt und auch im frühen Christentum übernommen wurde (Hengel 2008). Paulus wollte als Handwerker seinen Lebensunterhalt verdienen und den Gemeinden nicht zur Last zu fallen (1Thess 2,9 f.; 1Kor 4,12; vgl. Apg 20,34), was ihm in Korinth z. T. als Mangel an Autorität ausgelegt wurde (1Kor 9,1-18; 2Kor 11,7-11; 12,13). Seine Briefe und spätere Schriften ermahnen zur Arbeit mit eigenen Händen und warnen vor Müßiggang (1Thess 4,10-12; 2Thess 3,10-12; Eph 4,28) sowie vor Menschen, die die Gastfreundschaft und Fürsorge der Gemeinden ausnutzen (Barn 10,4; Did 12). Diese Aspekte stehen im Hintergrund, wenn der an seiner Handarbeit Gehinderte hier beteuert, dass er einst als ›ehrbarer‹ Handwerker seinen Lebensunterhalt selbst bestritt und kein ›schimpflicher‹ Bettler war. Erst Krankheit oder Unfall machten ihn dazu und seine Hoffnung richtet sich auf die Wiederherstellung seiner Arbeitsfähigkeit, die zugleich soziale und moralische Rehabilitation, ja Rückgabe der Menschenwürde bedeutet.
Traditions- und religionsgeschichtlicher Hintergrund Die knappe Referenz erschwert die Frage nach Abhängigkeiten. Die wörtliche Rede ist keine bloße novellistische Erweiterung einer sonst lediglich übernommenen synoptischen Version. Andererseits lässt sich die Unabhängigkeit der judenchristlichen Version von den Synoptikern auch nicht begründen, da der Text erst Ende des 4. Jh. bezeugt ist und man zwar vermuten kann, dass eine aramäische Evangelienschrift schon im 2. Jh. existierte (anders Lührmann 2000, 42), aber die Frage, welche Textgestalt zu der Zeit vorgelegen haben könnte, ist angesichts der wohl recht ›flüssigen‹ Überlieferung nicht mehr zu klären. Ein direkter Hinweis auf ein jüdisches bzw. judenchristliches Milieu geht aus der Notiz selbst nicht hervor, nur aus ihrer Einleitung durch Hieronymus. Doch bietet TestSim 2,12 f. eine frühjüdische Formulierungsparallele: Simeons rechte Hand ist sieben Tage lang halb verdorrt, bis er Gott bittet, dass seine Hand wiederhergestellt werde. Nach dieser Passage ist die Lähmung Strafe für Simeons Zorn (bzw. Bewahrung vor unbesonnenen Taten) und die Wiederherstellung dann eine Folge der Umkehr und ein Akt der Gnade Gottes. Abgesehen von der verbreiteten Zurückführung von Krankheit auf Schuld und göttliche Strafe galten in Teilen des antiken Judentums körperliche Defekte als spezifisch religiöser Makel und Mangel an ›Heiligkeit‹. Nach Lev 21,17-24 waren alle Arten von körperlich Behinderten vom Priesterdienst ausgeschlossen; die vorqumranische ›Utopie‹ der Tempelrolle schloss solche aus Jerusalem aus (11QT 45,20-24), die qumranische Kriegsregel (1QM 7,4-6) aus dem eschatologischen Kampf, und nach der Gemeinschaftsregel 1QSa 2,4-9 konnten Blinde, Lahme, Taube, Stumme oder mit sichtbaren Makeln Behaftete nicht der Versammlung der Gemeinde zugehören. Das Handeln des irdischen Jesus stand dem diametral entgegen, und auch wenn nichts darauf hindeutet, dass so rigide Urteile die Situation des Kranken in Mk 3,1-6 oder auch der Rezipienten des EvNaz beeinflussten, so ist seine Heilung doch auch religiös – wie der Anklang an TestSim 2,12 f. nahelegt –, ein Akt des gnädigen Handelns Gottes.
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Die Wundererzählungen in apokryphen Evangelien
Verstehensangebote und Deutungshorizonte Die ältere Exegese wollte in der ausgeführten Heilungsbitte nur eine »geschwätzige« (Resch 1906, 238) und historisch wertlose Ausschmückung sehen, doch ist die Version kaum als direkte Erweiterung der synoptischen Erzählung, sondern eher als eigenständige Erzählvariante zu erklären. Auch wenn die Näherbestimmung des Berufs des Geheilten und seine wörtliche Rede eher ›sekundäre‹ Erzählzüge sein dürften, bieten sie doch einen – von der Intention der synoptischen Überlieferung abweichenden – Sinn. Die üblichste Erklärung geht davon aus, dass die positive Intention Jesu, dem Kranken seine Arbeitskraft wiederzugeben und ihn damit aus der Schande des Bettlerseins zu retten, den Anstoß der Heilung am Sabbat mindere (Klauck 2005a, 67). So könnte in judenchristlichen Kreisen apologetisch argumentiert worden sein. Jesus hat nicht ohne einen ›menschlichen‹ Grund die Sabbathalacha missachtet (Frey 2010, 121); es ging ihm nicht um pure Negation und Provokation, sondern um einen positiven, ›sozial‹ und religiös nachvollziehbaren Akt. Noch weitergehend kann man in der Erzählvariante den »Versuch einer narrativen Applikation« der synoptischen Erzählung sehen (Luz 2007, 241). Die Erzählvariante gibt dem Kranken selbst eine Stimme. Seine Situation, auch in ihren sozialen Folgen, wird deutlicher erkennbar, so dass auch die Hilfe Jesu in ihrer materiellen und sozialen Dimension konkreter wird: als Hilfe zur ökonomischen Selbstständigkeit und zugleich als Rettung der sozialen und damit auch religiösen Ehre und Würde eines Menschen, der bislang durch seine Behinderung zum unehrenhaften Betteln genötigt war.
Aspekte der Wirkungsgeschichte Die Bezeichnung des Geheilten als Maurer wird, z. T. mit Verweis auf das Evangelium der Nazoräer, bei mehreren mittelalterlichen Autoren mitgeteilt: So im Matthäuskommentar des Hrabanus Maurus (1. Hälfte des 9. Jh.; Migne PL 107, 923B): »Bemerkenswert ist auch, dass in dem Evangelium nach den Hebräern, das die Nazarener und die Ebioniten benutzen und das von den meisten das authentische [Evangelium] des Matthäus genannt wird, der Mann, der die verdorrte Hand hat, als Maurer beschrieben wird, der mit ebendiesen Worten Hilfe erbat: Ich war ein Maurer, der seinen Lebensunterhalt mit den Händen verdiente. Ich bitte dich, Jesus, dass du mir meine Gesundheit wiederherstellst, damit ich nicht schändlicherweise um Essen betteln muss«. Kürzer sind die Hinweise bei Paschasius Radbertus (9. Jh.; exp. in Mat.: CChr.CM 56A, 652 Paulus: »Im Evangelium, das die Nazarener benutzen, ist gesagt, dass dieser ein Maurer gewesen sei«) und im 12. Jh. bei Zacharias Chrysopolitanus (12. Jh; Diatessaronkommentar [= in unum ex quattuor] 2: Migne PL 186, 220C: »Es wird gesagt, dass dieser Kranke ein Maurer gewesen sei, der seinen Lebensunterhalt mit den Händen verdient hatte …«). Das mittelniederländische Diatessaron (Handschrift Lüttich, 13. Jh.) stellt heraus, dass der Mann mit seiner Hand nicht arbeiten konnte, was darauf hindeuten könnte, dass die Notiz – in einer nicht mehr näher bestimmbaren Form – auch in die Überlieferung des Diatessaron eingedrungen war (Klijn 1992, 88-90).
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Hilfe zur Selbstständigkeit (Der Kranke mit der ›verdorrten Hand‹ als Maurer) EvNaz 4
Literatur zum Weiterlesen J. Frey, Die Scholien aus dem ›Jüdischen Evangelium‹ und das sogenannte Nazoräerevangelium, ZNW 94 (2003), 122-137. Ders., Ein Weg zurück zu den Ursprüngen? Die Fragmente judenchristlicher Evangelienüberlieferungen, BiKi 60 (2005), 75-81. Ders., Die Vielgestaltigkeit der judenchristlichen Evangelienüberlieferung, in: J. Frey/J. Schröter (Hg.), Jesus in apokryphen Evangelienüberlieferungen. Beiträge zu außerkanonischen Jesusüberlieferungen aus verschiedenen Sprach- und Kulturtraditionen, WUNT 254, Tübingen 2010, 93-137. Ders., Die Fragmente judenchristlicher Evangelien, in: C. Markschies/J. Schröter (Hg.), Antike christliche Apokryphen in deutscher Übersetzung, Bd. I: Evangelien und Verwandtes, Tübingen 2012, 560-592. M. Hengel, Die Arbeit im frühen Christentum, in: ders., Studien zum Urchristentum. Kleine Schriften VI, WUNT 234, Tübingen 2008, 424-466. H.-J. Klauck, Apokryphe Evangelien, Stuttgart 22005, 62-72.
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Auferweckung zur Taufe (Auferweckung eines Jünglings) gehMk Frgm. 1 Die besonderen Überlieferungsverhältnisse des einzigen Textzeugen für die Fragmente des geheimen Markusevangeliums machen einige Vorbemerkungen erforderlich. Im Jahre 1958 entdeckte der amerikanische Forscher Morton Smith – nach eigenen Angaben – im griechisch-orthodoxen Mar Saba-Kloster südöstlich von Jerusalem auf den letzten, unbedruckten, Seiten eines Exemplars der Voss’schen Ausgabe der Briefe des Ignatius von Antiochien aus dem Jahre 1646 die handschriftliche Kopie (in einer griechischen Kursive des 18. Jh. eines bis dahin unbekannten Briefes des Kirchenvaters Clemens von Alexandria. In diesem Brief beantwortet Clemens die Fragen eines gewissen Theodoros nach der Existenz eines geheimen Markusevangeliums, das in Alexandria bei den Karpokratianern in Gebrauch sein solle. Er bestätigt die Existenz eines solchen Evangeliums und zitiert ein längeres und ein kürzeres Stück daraus. Das erste Stück ist der hier zu besprechende Text. An der Authentizität der Entdeckung wurden – in verschiedenen Abstufungen – frühzeitig Zweifel angemeldet: von Zweifeln an der Echtheit des Clemensbriefes bis hin zur Unterstellung, Morton Smith habe die gesamte Entdeckung fingiert. Zuletzt hat sich Stephen C. Carlson in einer umfangreichen Studie um den Nachweis einer Fälschung des gesamten Briefes durch Morton Smith bemüht (Carlson 2005). Die Interessegeleitetheit und methodische Fragwürdigkeit des Carlsonschen Unterfangens hat wiederum Eckhard Rau nachgewiesen – ohne damit selbstredend einen Beweis für die Echtheit antreten zu können oder zu wollen (Rau 2010, s. auch Viklund 2009). Erschwert wird die Debatte durch die momentane Unzugänglichkeit der Voss’schen Ignatiusausgabe aus dem Mar Saba-Kloster. Immerhin hatte Charles W. Hedrick noch vor Carlsons Monographie neue und bessere Farbfotos der Seiten mit dem Clemensbrief veröffentlicht. Aber selbst eine kriminaltechnische Untersuchung des Manuskripts könnte allenfalls die Echtheit der Handschrift aus dem 18. Jh. erweisen. Eine Behandlung des geheimen Markusevangeliums im Rahmen des Wunderkompendiums ist aber natürlich nur sinnvoll unter der Arbeitshypothese, dass es sich bei dem Brief des Clemens an Theodoros um einen authentischen spätantiken christlichen Text handelt. Dies soll hier geschehen – in dem Bewusstsein, dass es auch ganz anders sein könnte. (im Anschluss an Mk 10,34) (1) Und sie kommen nach Betaniën. (2) Und dort war eine Frau, deren Bruder gestorben war. (3) Und sie kam und warf sich vor Jesus verehrend nieder und sagt zu ihm: »Sohn Davids, erbarme dich meiner!« (4) Die Jünger aber schalten sie. (5) Und erzürnt ging Jesus mit ihr weg in den Garten, wo das Grab war. (6) Und sogleich wurde aus dem Grab eine laute Stimme gehört. (7) Und Jesus trat herzu und wälzte den Stein vom Eingang des Grabes weg. (8) Und sogleich ging er hinein, wo der Jüngling war, streckte die Hand aus und richtete ihn auf, indem er ihn bei der Hand fasste. (9) Der Jüngling aber 878
Auferweckung zur Taufe gehMk Frgm. 1
blickte ihn an und gewann ihn lieb und fing an, ihn zu bitten, dass er bei ihm bleibe. (10) Und sie gingen aus dem Grab heraus und kamen in das Haus des Jünglings. Er war nämlich reich. (11) Und nach sechs Tagen gebot ihm Jesus; (12) und als es Abend geworden war, kommt der Jüngling zu ihm, bekleidet mit einem Leinengewand auf dem nackten Leib. (13) Und er blieb bei ihm jene Nacht. (14) Denn Jesus lehrte ihn das Geheimnis des Reiches Gottes. (15) Und er (Jesus) erhob sich und kehrte von dort zurück an das jenseitige Ufer des Jordans.
Sprachlich-narratologische Analyse Wir wissen nicht, wie genau Clemens zitiert; ob aus dem Gedächtnis oder nach einer schriftlichen Vorlage, ob vollständig oder abgekürzt usw. Immerhin macht das vorliegende Textstück einen in sich abgeschlossenen Eindruck mit eindeutigem Anfang und Ende. Unklar ist lediglich, wo sich die nächtliche Unterweisung ereignet. Befindet sich Jesus noch im Hause des Jünglings? Wie aber kann dieser dann »zu ihm« (V. 12) kommen? Auch wenn die Geschichte von der Auferweckung eines Jünglings auf Bitten seiner Schwester hin nahezu unvermeidlich an die Auferweckung des Lazarus in Joh 11 erinnert, mit der sie sich allerdings nur in der Figurenkonstellation, nicht aber in der sprachlichen Gestaltung berührt (vgl. auch Zimmermann zu Joh 11 in diesem Band), ist sie formal eine typisch markinische Wundergeschichte, sowohl hinsichtlich des Aufbaus als auch hinsichtlich des Vokabulars. Die Struktur der Exposition erinnert z. B. an die Auferweckung der Tochter des Jaïrus in Mk 5,21-24 oder an die Geschichte von der Syrophönizierin Mk 7,24-26. Der Unwille der Jünger (V. 4) korrespondiert mit Mk 10,13. Die Wendung »und (er) gewann ihn lieb« (V. 9) berührt sich aufs engste mit Mk 10,21. Typisch markinisch ist weiterhin, dass das Wunder nicht um seiner selbst willen erzählt wird, sondern als Ausgangspunkt dient für etwas anderes, eigentliches, hier eine geheimnisvolle Initiation. Die Struktur der Erzählung lässt sich folgendermaßen darstellen: Exposition (1) Ortsangabe (2) Situationsangabe (namenlose Frau mit verstorbenem Bruder) (3) Petitio der Schwester mit Proskynese (4) Unwille der Jünger (5) Überleitung: Zorn Jesu und Gang zum Grab eigentliche Wundererzählung (6) Stimme (des Todes) aus dem Grab (7) Öffnung des Grabes (8) Auferweckung des Jünglings (9) Reaktion des Jünglings (10) Schluss: Abgang der Beteiligten
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Die Wundererzählungen in apokryphen Evangelien
Initiation (11) Einleitung: Gebot Jesu (12-14) nächtliche Initiation (15) Schluss: Ortswechsel Aus der Betrachtung der Struktur der Erzählung wird unmittelbar deutlich, dass wesentliche Elemente einer Wundergeschichte vorhanden sind. Jesus ist der Wundertäter, der gleich zu Anfang durch die Proskynese der bittenden Schwester des Verstorbenen, die das Wunder gewissermaßen in Gang setzt, als göttlicher Wundertäter bezeichnet und angerufen wird. Mit dem verstorbenen Bruder ist auch die Person, an der das Wunder vollzogen wird, eindeutig in die Figurenkonstellation eingezeichnet. Lediglich eine Konstatierung des Wunders durch dritte findet sich hier nicht, da die Geschichte direkt auf ihren Höhepunkt, die geheimnisvolle Initiation des Auferweckten, zusteuert.
Sozial- und realgeschichtlicher Kontext Bei der Ortsangabe in V. 1 handelt es sich nicht um das nahe bei Jerusalem am Fuße des Ölberges gelegene Dorf Betaniën (Joh 11,1.8: Heimat des Lazarus, Mk 14,3: Heimat Simons des Aussätzigen), sondern, wie V. 15 zeigt, um den östlich des Jordan gelegenen gleichnamigen Ort. Vergleicht man übrigens Joh 10,40 mit 11,1.17, dann scheint der Evangelist Mühe zu haben, die beiden gleichnamigen Orte auseinanderzuhalten – oder er springt ganz bewusst von Betaniën am Jordan nach Betaniën bei Jerusalem. Im Kontext des Markusevangeliums, das mit Ortsangaben eher sparsam umgeht, ist diese Lokalisierung wiederum ein wichtiges Textsignal, das sich auch für die Interpretation der Initiation fruchtbar machen lässt. Nach Joh 1,28 ist Betaniën (»Haus des Bootes«), eine viel frequentierte Furt, nämlich einer der Orte, an denen Johannes der Täufer taufte (Keel/ Küchler 1984b, 529). Das in V. 5-7 erwähnte Gartengrab mit Rollstein vor dem Eingang entspricht den palästinischen Bestattungsverhältnissen zur Zeit Jesu. Es dürfte sich um eine in Felsen gehauene Grabstätte handeln (vgl. die Schilderungen des Begräbnisses Jesu, insbesondere das Gartengrab nach Joh 19,41-42 sowie Mk 15,42-46 par.). Die nachgereichte Erwähnung, dass der auferweckte Jüngling reich sei (V. 10), scheint als Erklärung zu dienen, dass der Jüngling ein eigenes Haus bewohnt, das zugleich groß genug ist, um Jesus als Gast zu beherbergen (Rau 2010b, 198 f.). Das Leinengewand auf dem bloßen Leib lässt sich als Taufgewand verstehen, das der Taufbewerber während der nächtlichen Taufunterweisung trägt, um es bei der morgendlichen Taufe abzulegen. Zur frühchristlichen Taufpraxis lässt sich z. B. auf die Kirchenordnung Hippolyts verweisen, des Näheren zur nächtlichen Taufunterweisung § 45: »Die ganze Nacht sollen sie wach zubringen, wobei man ihnen vorliest und sie unterweist« und zur Entkleidung vor der Taufe § 46: »Dann [nach der Bereitung des Taufwassers] sollen sie sich entkleiden« (zur Interpretation der nächtlichen Szene als Taufunterweisung vgl. auch Smith 1973, 447 und 452 sowie Crossan 1988, 283).
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Auferweckung zur Taufe gehMk Frgm. 1
Traditions- und religionsgeschichtlicher Hintergrund Der Umstand, dass Clemens das Textstück im Zusammenhang mit der Frage nach der Existenz eines geheimen Markusevangeliums bei den alexandrinischen Karpokratianern zitiert, gibt Anlass zu der Vermutung, dass er ein für die Karpokratianer typisches Beispiel ausgewählt hat, das im günstigsten Fall einen – kleinen – Einblick in die Intitiationspraxis dieser christlich-gnostischen Gruppierung bietet. Clemens ist (auch sonst) unsere Hauptquelle für die Karpokratianer (Clem. Al. strom. 3,5,1-10,1). Dass das Geschehen mehr angedeutet als erzählt wird, passt überdies gut in ein »geheimes Evangelium«; die konkrete Ausgestaltung des Initiationsgeschehens dürfte den »Eingeweihten« ja bekannt gewesen sein. Durch die Geschichte von der Auferweckung des Jünglings und seiner Initiation fällt zugleich Licht auf den (selben) geheimnisvollen Jüngling im kanonischen Markusevangelium (Mk 14,51-52), der so zu einer wohleingeführten Gestalt wird: ein idealtypischer Jünger, dem die Häscher dieser Welt nichts anhaben können, wenn er seine äußere Hülle (»die Fessel des Fleisches«, vgl. Inter NHC 11,1 p. 6,29) fahren lässt. Dies gilt unabhängig von der Frage, ob die hiesige Geschichte erst zur Erhellung der geheimnisvollen Gestalt in Mk 14,51-52 gebildet wurde (so Rau 2010b, 199), oder ob beide Geschichten derselben Traditionsstufe angehören. Auch Mk 14,51-52 deutet im Übrigen, wie gehMk 1, mehr an, als tatsächlich erzählt wird. Bemerkenswert ist weiterhin, dass Clemens Alexandrinus hier (wiederum) Interesse an jesuanischer Tauftradition zeigt (vgl. auch Joh 3,22). In den Fragmenten aus dem V. Buch der Hypotyposeis heißt es über die apostolische Taufsukzession: »Christus hat allein Petrus getauft, Petrus aber Andreas, Andreas Jakobus und Johannes, jene aber die Übrigen«.
Verstehensangebote und Deutungshorizonte Wenn die oben angedeutete Interpretation der Initiation in V. 12-14 als – ein nur angedeutetes – Taufhandeln, dessen Hintergrund vielleicht die Taufpraxis der Karpokratianer in Alexandria ist, zutrifft, dann ist die hinführende Wundererzählung eine theologisch durchaus originelle Variante bzw. Modifikation des Theologumenons vom »(Mit-)Auferstehen in der Taufe« (Kol 2,12), hier also in der Variante: »Auferstehung zur Taufe«. Möglicherweise steht auch die gnostische Maxime: »Die Auferstehung ist schon geschehen« (2Tim 2,18) im Hintergrund, in dem Sinne, dass die Auferstehung eben in der Taufe geschieht, d. h. mit der Christwerdung und nicht erst nach dem Tode bzw. beim Jüngsten Gericht. Als das Oberthema der ganzen Perikope hat Eckhard Rau, m. E. zu Recht, das der Jüngerschaft und (rechten) Nachfolge bestimmt (Rau 2010b, 196-201). In Abgrenzung vom unverständigen Jüngerkreis um Jesus (vgl. den Unwillen in V. 4), der die sich abzeichnende Konkurrenzsituation vielleicht schon zutreffend vorausahnt, wird der auferweckte Jüngling konsequent als idealtypische Jüngergestalt (Liebe zum Meister in V. 9) entwickelt. Die Zeitangabe »nach sechs Tagen« in V. 11 erinnert wohl nicht zufällig an den Anfang der Verklärung Jesu in Mk 9,2, die mit exakt denselben Worten eingeleitet wird. Dort geht es wie hier um eine umfassende Verwandlung. Während der Jüngling 881
Die Wundererzählungen in apokryphen Evangelien
durch die Initiation in einen neuen Menschen verwandelt wird, erscheint Jesus in der Verklärungsgeschichte verwandelt in seiner Herrlichkeit (vgl. auch die Interpretation der Verklärung Jesu als eine vorgezogene Oster-, d. h. Auferstehungsgeschichte bei Rudolf Bultmann sowie in den einschlägigen Kommentaren).
Aspekte der Parallelüberlieferung und Wirkungsgeschichte Angesichts der Tatsache, dass der Text erst 1958 unter nicht völlig aufzuklärenden Umständen entdeckt wurde, ist es nicht verwunderlich, dass es – bis jetzt – keine nachvollziehbare (spätantike) Wirkungsgeschichte des Textes als solchem gibt, sieht man einmal von der modernen, bisweilen ungebührlich heftig geführten Kontroverse um Morton Smith’ Entdeckung ab. Freilich finden sich Elemente der Geschichte auch sonst in frühchristlicher Literatur. Neben den typischen Motiven einer Wundererzählung (Proskynese und Petitio durch nahe Angehörige, Totenauferweckung) gilt dies besonders für das Motiv des schreienden Todes, der seine Beute nicht hergeben will in V. 6. V. a. in späteren christlichen Ausmalungen der Höllenfahrt Christi, oft in Verbindung mit dem Motiv vom kreißenden Tod, der unter Schmerzen hergeben muss, was er gefangen hält, spielt dieses Motiv eine Rolle (vgl. z. B. LibBarth 26: »Der Tod und seine Dekane schrien auf und sagten: ›Dieser ist der Sohn Gottes‹« oder Silv. NHC 7,4 p. 104,2-4: »Er stieg hinab ins Totenreich und erlöste die Kinder des Todes. Wehen wurden um sie gelitten …«; vgl. außerdem den Wortlaut von Apg 2,24, wo von den »Wehen des Todes« die Rede ist).
Uwe-Karsten Plisch Literatur zum Weiterlesen C. W. Hedrick (with N. Olympiou), Secret Mark. New Photographs, New Witnesses, in: The Fourth R 13 (2000), 3-16. U.-K. Plisch, Das geheime Markusevangelium, in: ders., Was nicht in der Bibel steht. Apokryphe Schriften des frühen Christentums, Brennpunkt Bibel 3, Stuttgart 2006, 35-38. E. Rau, Weder gefälscht noch authentisch? Überlegungen zum Status des geheimen Markusevangeliums als Quelle des antiken Christentums, in: J. Frey/J. Schröter (Hg.), Jesus in apokryphen Evangelienüberlieferungen. Beiträge zu außerkanonischen Jesusüberlieferungen aus verschiedenen Sprach- und Kulturtraditionen, WUNT 254, Tübingen 2010, 139-186. Ders., Das Geheimnis des Reiches Gottes. Die esoterische Rezeption der Lehre Jesu im geheimen Markusevangelium, in: J. Frey/J. Schröter (Hg.), Jesus in apokryphen Evangelienüberlieferungen. Beiträge zu außerkanonischen Jesusüberlieferungen aus verschiedenen Sprachund Kulturtraditionen, WUNT 254, Tübingen 2010, 187-221.
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Der Kaiser erweist Jesus die Ehre (Sich neigende Standarten) EvNik 1,5 f. Als Textgrundlage wurde die von Konstantin von Tischendorf herausgegebene so genannte griechische Rezension A herangezogen. Das EvNik ist ein äußerst fluider Text, da er aus verschiedenen Textgruppen besteht, die wiederum auf mehreren Manuskripten basieren. Daher kann der Wortlaut des Texts in verschiedenen Ausgaben voneinander abweichen (vgl. Masser/Siller 1987, 18). Der von Tischendorf rekonstruierte Text gilt trotz textkritischer Einwände noch immer als die mutmaßlich ursprünglichste Version des griechischen EvNik. Eine völlig neue und um weitere Manuskriptfunde erweiterte Textausgabe ist zur Zeit geplant (vgl. Röder 2010). Die griechische Fassung stammt mutmaßlich aus dem 4. Jh. und besteht aus den so genannten Pilatusakten, die nach einem Prolog, der ihre vermeintliche Entstehung zum Inhalt hat, in Prozess Jesu und Kreuzigung und die Darstellung des Schicksals Josefs von Arimathäa gegliedert werden. Erst nachträglich wurde der Abstieg Jesu in die Unterwelt, der so genannte descensus ad inferos, angefügt (vgl. Röder 2010; Furrer 2010, 69-71; Schärtl 2012, 233-238). Beide Teile bilden dann das EvNik. (1,5) Als Jesus aber eintrat und die Standartenträger die Standarten hielten, verneigten sich die Kaiserbilder auf den Standarten und verehrten Jesus. Da die Juden aber das Verhalten der Standarten sahen, wie sie sich verneigten und Jesus verehrten, schrien sie die Standartenträger heftig an. Pilatus aber sagte zu den Juden: »Wundert ihr euch nicht, wie die Kaiserbilder sich verneigten und Jesus verehrten?« Darauf erwiderten die Juden Pilatus: »Wir haben gesehen, wie die Standartenträger sich neigten und ihn verehrten.« Der Statthalter aber rief die Standartenträger und sagte zu ihnen: »Warum habt ihr das getan?« Sie antworteten Pilatus: »Wir sind griechische Männer und Tempeldiener. Wie sollten wir ihn verehren? Als wir die Kaiserbilder hielten, verneigten sie sich von selbst und verehrten ihn.« (1,6) Pilatus sagte zu den Synagogenvorstehern und Ältesten des Volkes: »Wählt selbst recht angesehene und kräftige Männer aus und lasst sie die Standarten halten. Wir werden sehen, ob sie sich von selbst verneigen.« Nachdem die Ältesten der Juden zwölf kräftige und angesehene Männer bestimmt hatten, trugen sie ihnen auf, die Standarten zu halten. Diese nahmen vor dem Richterstuhl des Statthalters Aufstellung. Pilatus sagte zu dem Boten: »Führe diesen aus dem Prätorium und führe ihn noch einmal herein, auf eine Weise, wie du es für richtig hältst.« Jesus und der Bote gingen aus dem Prätorium. Pilatus rief diejenigen zu sich, die vorher die Kaiserbilder gehalten hatten, und sagte zu ihnen: »Ich habe beim Heil des Kaisers geschworen: Wenn die Standarten sich jetzt nicht vor Jesus verneigen, werde ich euch die Köpfe 883
Die Wundererzählungen in apokryphen Evangelien
abschlagen lassen.« Der Statthalter befahl, dass Jesus zum zweiten Mal eintreten solle. Der Bote handelte so wie beim ersten Mal und bat Jesus, auf sein Tuch zu treten. Er trat darauf und ging hinein. Als er eintrat, verneigten sich die Standarten wiederum und verehrten Jesus.
Sprachlich-narratologische Analyse Christiane Furrer (2010, 72-78) hat das EvNik als kleines (liturgisches) Drama bezeichnet, was einerseits bei seiner dialogisch geprägten Struktur, die die Akteure in den Mittelpunkt rückt, naheliegt, andererseits den formalen Aufbau des EvNik treffend beschreibt. Bereits der erste Teil des EvNik, der die hier zu besprechende Episode enthält, kann nach den dramentheoretischen Gliederungspunkten Exposition, Höhe- und Wendepunkt sowie Katastrophe gegliedert werden. Nachdem Vertreter der jüdischen Obrigkeit Jesus vor Pilatus zur Anklage gebracht haben (EvNik 1,1), ist Pilatus die zentrale Figur, da er durch seine Fragen, Befehle und Meinungsäußerungen entscheidende Reaktionen der Umstehenden hervorruft und die Handlung vorantreibt. Er steht den jüdischen Anklägern, die Jesus zu ihm bringen, von Beginn an skeptisch gegenüber (EvNik 1,1f.) und zeigt sich nicht überzeugt von ihren Vorwürfen. Im Gegenteil: Er gelangt durch den weiteren Verlauf des Prozesses zu der Erkenntnis, dass Jesus unschuldig ist, wie er mehrfach eindeutig bekennt (vgl. EvNik 3,1; 4,4; 9,1 u. ö.). Der spannungsgeladene Höhepunkt ist sicher in EvNik 9 zu finden, wo die Auseinandersetzung zwischen Pilatus und den Anklägern eskaliert. Dieser leitet auch den zweifachen Wendepunkt ein: Pilatus ist abschließend von der Unschuld und insgeheim womöglich von der Göttlichkeit Jesu überzeugt. Dennoch oder gerade deshalb gibt er seinen Widerstand auf und lässt Jesus hinrichten (EvNik 11), so dass die Katastrophe trotz allem eintritt. Dem überwiegend dramatischen Modus der Erzählung ist es geschuldet, dass eine erste Wende in Bezug auf Pilatus, die das Standartenwunder auslöst, nicht explizit erwähnt wird. An seinem Verhalten und seinen Äußerungen können wir sie aber ablesen. Nach dem Standartenwunder ergreift seine Frau für Jesus Partei (EvNik 2,1) und es treten Zeugen initiativ für Jesus auf (2,4f.). Pilatus erkennt, dass Jesus aufgrund guter Werke getötet werden soll, woraufhin er der jüdischen Anklage zürnt (EvNik 3,1). Dubois (1989, 352) geht so weit festzuhalten, dass Jesus den römischen Statthalter, den Heiden Pilatus, durch diese Machtdemonstration zum Glauben bringt. Im unmittelbaren Kontext wird das Standartenwunder eingeleitet von der ehrerbietigen Art und Weise, wie der Bote des Pilatus auf dessen Geheiß Jesus vor den Richter führt (EvNik 1,2). Der Bote rechtfertigt sein Verhalten, indem er eindrucksvoll schildert, wie die Juden Jesus bei seinem Einzug in Jerusalem als Messias empfangen haben (EvNik 1,3f.). Das örtliche Setting ist das Prätorium des Statthalters Pilatus in Jerusalem, als beteiligte Figuren treten auf: die Gruppe der jüdischen Ankläger, weitere Juden, die später als Zeugen für Jesus aussagen werden, ein Bote des Pilatus, der Angeklagte – Jesus – und Pilatus in seiner Funktion als Richter. Die Erzählpassage EvNik 1,5f. lässt sich in drei grundlegende Teile gliedern: 1) die Wundertat und 2) die Schaffung einer neuen Szenerie durch Pilatus als Voraussetzung für 3) die Wiederholung der Wundertat.
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Der Kaiser erweist Jesus die Ehre EvNik 1,5 f.
I
Aktion Jesu: Eintreten und Wunder der sich verneigenden Kaiserbilder a) Reaktion der jüdischen Ankläger: Unmutsäußerungen gegen die Träger b) Aktion des Pilatus: Befragung der Ankläger zum Ereignis c) Reaktion der jüdischen Ankläger: rationalistischer Begründungsversuch d) Aktion des Pilatus: Befragung der Träger zur Begründung des Ereignisses e) Reaktion der Träger: Ablehnung des Begründungsversuchs II Aktion des Pilatus: Anweisung an jüdische Ankläger a) Reaktion der jüdischen Ankläger: Auswahl von jüdischen Trägern b) Aktion des Pilatus: Anweisung an Boten c) Aktion des Pilatus: Drohung gegenüber seinen Trägern d) Aktion des Pilatus: Anweisung an Boten und Jesus e) Reaktion des Boten und Jesu: Anweisungen werden ausgeführt III Aktion Jesu: Eintreten und Wunder der sich verneigenden Kaiserbilder
Aus dieser Gliederung geht hervor, dass Pilatus die zentrale Figur ist. Er schafft meist mit direkten Anweisungen zweimal die Situation der Wunderhandlung. Die jüdischen Ankläger können nur reagieren und haben das Heft des Handelns zu keinem Zeitpunkt in der Hand. Nachdem die Reaktion der jüdischen Ankläger auf die Verehrungsgeste der Standarten darin besteht, die Träger anzuschreien, tritt Pilatus zweifach in Aktion, wodurch sich die jüdischen Ankläger als Reaktion zu einem rationalistischen Erklärungsversuch genötigt sehen, der sich als unhaltbar herausstellt. Das ergibt sich aus der Befragung der Träger. Im zweiten Teil schafft Pilatus eine neue Situation, indem er die jüdischen Ankläger anweist, selbst Träger auszuwählen, um ihre These, nicht die Bilder, sondern die Standartenträger hätten sich vor Jesus verneigt, abermals zu überprüfen. In drei aufeinanderfolgenden Sequenzen (II b-d) bereitet Pilatus das zweite Erscheinen Jesu aktiv vor. Seine Befehle werden allesamt ausgeführt. Einzig Jesus – wohlgemerkt der Gefangene! – handelt weitgehend autonom, indem er das Prätorium betritt, woraufhin sich die Standarten neigen. Pilatus befiehlt zweimal, dass er hereinkomme, wobei der Bote die Aufgabe zu erfüllen hat, ihn hineinzuführen. Das tut er nicht in der Art und Weise, wie es bei dem Vorführen eines Gefangenen zu erwarten wäre, sondern er breitet wie schon in EvNik 1,2 ehrerbietig ein Stück Stoff auf dem Boden aus, auf das Jesus tritt. Das Wunder wird ohne Einleitung zu Beginn im narrativen Modus recht nüchtern und wenig anschaulich wiedergegeben. Die Bedeutung dieses Ereignisses kommt erst durch die Reaktion der Beteiligten zum Tragen, die durch das Wunder ausgelöst werden. Dennoch lassen sich durch eine genauere Analyse wichtige Details bereits zu Beginn herausarbeiten: Jesus erscheint die ganze Passage über passiv, er handelt nicht, er spricht nicht – vielmehr scheint er den Anweisungen des Pilatus unterwürfig Folge zu leisten. An zwei entscheidenden Stellen trifft diese Einschätzung jedoch nicht zu. Zum einen beginnt die Erzählung mit Jesu Handeln: Jesus tritt ein, während die Träger die Standarten halten, woraufhin das Wundersame geschieht: Die Kaiserbilder auf den Standarten verneigen sich und verehren Jesus. Diese Wunderhandlung ist zum anderen als Rahmen um die Reaktionen gestaltet, die sie auslöst. Der zweite Teil des Rahmens ist jedoch nicht völlig identisch gehalten, da in Bezug auf die jüdischen Träger nicht noch einmal explizit erwähnt wird, dass sie die Standarten festhielten. Statt dessen ist knapp die Partikel p€lin (palin – wiederum) eingefügt. Als Wirkung dieser Änderung lässt sich festhalten, dass die Bereitwilligkeit der Ehrbezeugung deutlicher hervortritt. Konnten die heidnischen Träger 885
Die Wundererzählungen in apokryphen Evangelien
die verehrende Geste nicht verhindern, so können (oder wollen?) es die jüdischen offenbar noch weniger. Mit seinem bloßen Erscheinen bestimmt Jesus also die Szenerie; Pilatus schafft zweifach die Voraussetzungen dazu. Innerhalb des narrativen Rahmens wird wörtlich mit Formen von k€mptw (kampto¯ – neigen) und proskunffw (proskyneo¯ – verehren) weitere siebenmal auf das Geschehene Bezug genommen, sechsmal sind beide Begriffe miteinander verbunden. Auffällig ist die unterschiedliche Haltung, die Pilatus einerseits und die jüdischen Ankläger andererseits zu dem Ereignis einnehmen: Der Statthalter zeigt keinerlei Regung oder gar Überraschung, vielmehr scheint er mit dergleichen gerechnet zu haben, da er sich mit einer rhetorischen Frage an die jüdischen Ankläger richtet: »Wundert ihr euch nicht, wie die Kaiserbilder sich verneigten und Jesus verehrten?« Mit dieser Formulierung greift er exakt die Worte auf, die der Erzähler zuvor auch zur Beschreibung des Ereignisses gebraucht hat. Die jüdischen Ankläger widersprechen jedoch: Sie hätten nicht gesehen, wie die Kaiserbilder (protomffi protome¯) sich verneigten, sondern dass die Standartenträger sich vor Jesus verneigt hätten (˛kamvan ekampsan; hier Aorist Aktiv!). Weitere Reaktionen der Umstehenden werden nicht direkt erzählt. Das dialogische Wechselspiel um das k€mptw (kampto¯ – verneigen) und proskunffw (proskyneo¯ – verehren) innerhalb der Rahmenhandlung lässt hingegen keinen Zweifel daran, wie der Leser diese Leerstelle zu füllen hat. Denn obgleich die Erzählung durch die rahmende Inclusio eine gewisse Geschlossenheit aufweist, bleibt sie eng in den Kontext eingebunden. Denn eine sehr markante Reaktion auf die zweite Wunderhandlung findet sich im nächsten Abschnitt (EvNik 2,1), wo sich die durch das Wunder angestoßene Wende abzeichnet: Pilatus sieht das abermalige Neigen der Kaiserbilder, gerät in Furcht und will vom Richterstuhl aufstehen. Er wird von einer Nachricht seiner Frau unterbrochen, die für Jesus Partei ergreift. Wir erleben einen Pilatus, der das erste und einzige Mal im EvNik die Fassung verliert, da er in Jesus den Wundertäter erkannt hat. Unter pragmatischen Gesichtspunkten erfüllt das Standartenwunder sicherlich eine Deklarationsfunktion (vgl. Furrer 2010, 95): Jesus wird als Wundertäter dargestellt, der mit göttlicher Vollmacht ausgestattet ist und der auch weltliches Ansehen genießt, da sich auf symbolische Weise sogar der mächtigste weltliche Herrscher, der römische Kaiser, unterwürfig vor Jesus verneigt. Dieser Inhalt war dem Verfasser offenbar so wichtig, dass er auch in der Passionsgeschichte, die das EvNik ins Zentrum rückt, nicht fehlen durfte. Von weiteren Berichten über Jesu Wunderhandeln (EvNik 6-8) wird diese Darstellung untermauert. In direktem Zusammenhang mit dieser Deklaration steht ein Appell, der sich an mindestens drei mögliche historische Rezipientengruppen richtet: So wie bereits beim Prozess gegen Jesus symbolisch der Kaiser und das Imperium Romanum, so wie vermeintlich angesehene jüdische und standhafte Träger des Pilatus Jesus ihre Ehre erwiesen, so sollten es ihnen heidnische, christliche und womöglich auch jüdische Adressaten gleichtun. Was Daguet-Gagey (2005, 34) für das gesamte EvNik feststellt, bestätigt sich auf pragmatischer Ebene auch hier: Es handelt sich um einen Text, dem Bekehrung vorausging und der gleichzeitig zur Bekehrung zum christlichen Glauben ermutigt. Schließlich scheint ein Ruf an die Adressaten von diesem Text auszugehen: »Seht her, was uns mit Christus geschieht: Vom Angeklagten wird er zum Herr über das Imperium Romanum und mit ihm das Christentum an sich.«
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Der Kaiser erweist Jesus die Ehre EvNik 1,5 f.
Sozial- und realgeschichtlicher Kontext Anhand zahlreicher Indizien ist deutlicher noch als für die kanonischen Passionsgeschichten (vgl. Müller 1988; Dautzenberg 1993; Miglietta 2004, 239-246) für den Prozess innerhalb des EvNik von einem römischen Prozess wegen eines crimen laesa maiestas (Majestätsbeleidigung) gesprochen worden (Furrer 2010, 78-82; vgl. Dobschütz 1902). Umso auffälliger sind Passagen, in denen Elemente genannt werden, die nicht zu einem römischen Prozess gehören, was in diesem Fall für die Standarten gilt, da sie allein dem militärischen Bereich entstammen (vgl. Mommsen 1902, 202; Daguet-Gagey 2005, 25). Sie werden mit sfflgna (signa) bezeichnet, wobei es sich um eine Gräzisierung des lateinischen signum handelt, das u. a. das Feldzeichen der Manipel meint. Dabei handelt es sich um eine v. a. für Fragen taktischer Manöver zuständige Abteilung einer römischen Legion, die von einem rangälteren centurio geführt wurde (vgl. Lafond 1998, 458f.). Das signum bestand aus einer Lanze, an deren unteren Ende eine Quaste und eine Mondsichel befestigt waren. Darüber folgten Scheiben und an der Spitze Krone, Hand und eine kurze Stange mit Bändern an beiden Enden (vgl. Lafond 1998, 459; Daguet-Gagey 2005, 24). Das jeweilige signum diente nicht nur als Erkennungszeichen, sondern erfüllte wichtige taktische Funktionen. Für das Feldzeichen war ein signifer (hier: signofro@ signophoros) zuständig, der darauf zu achten hatte, dass es unversehrt blieb. Die ersten Feldzeichen wurden mit Tierbildnissen versehen, die am oberen Ende angebracht waren. In der Prinzipatszeit wurden die signa der Prätorianerkohorten und eventuell auch die der centuriae mit Bildnissen des Kaisers ausgestattet, was bis in die Spätantike und damit in die Entstehungszeit des EvNik bekannt ist. Der Begriff protomffi (protome¯), der für die Darstellungen auf den signa in EvNik 1,5f. verwendet wird, bezeichnet in seiner Grundbedeutung zwar Tierbildnisse, hier können aber auch Kaiserbilder gemeint sein. Generell wurde das Bildnis des Kaisers stellvertretend für seine Person verwendet, z. B. wenn sich fremde Herrscher davor verneigten, um symbolisch ihre Unterwerfung zu zeigen (vgl. Herz 1988, 120). Im Verlauf des 4. Jh. wurden christianisierte Feldzeichen (labarum) eingeführt, an denen die griechischen Großbuchstaben C (chi) und R (rho) als Monogramm Christi angebracht wurden (vgl. Lafond 1998, 460). Diese signifikante Erweiterung des Repertoires der Feldzeichen dokumentiert den Aufstieg des Christentums als Staatsreligion im Imperium Romanum. Daguet-Gagey bemerkt, es sei zwar denkbar, dass aufgrund der militärischen Präsenz in Jerusalem dort auch entsprechende Feldzeichen vorhanden gewesen seien. Sie hält es aber für abwegig, dass während eines Prozesses wie dem gegen Jesus im Prätorium des Statthalters militärische Standarten aufgestellt worden seien (vgl. Daguet-Gagey 2005, 25). Dennoch ergänzt der Autor des EvNik seine Prozessdarstellung um die Wundererzählung der sich neigenden Kaiserbilder. Dies unterstreicht zum einen den theologischen Aspekt, dass Jesus als Sohn Gottes und Messias auftritt, dem alles Weltliche seine Verehrung entgegenbringen sollte. Zum anderen bringt die Darstellung der sich neigenden kaiserlichen Standarten vor dem realgeschichtlichen Hintergrund eine historische Entwicklung zum Ausdruck, die sich auf den zeitgenössischen Kontext des Autors bezieht: Im Prozess gegen Jesus nahm die Anerkennung Christi ihren Anfang, die bis zur Inthronisation des christlichen römischen Kaisers reicht, der sich vor Gott zu verantworten hat.
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Die Wundererzählungen in apokryphen Evangelien
Traditions- und religionsgeschichtlicher Hintergrund Im Gegensatz zu den oben genannten Retrospektiven auf kanonische Wundererzählungen (EvNik 6-8), deren Kenntnis der Verfasser des EvNik voraussetzen kann, ist die Standartenepisode in den kanonischen Evangelien nicht enthalten. Nichts deutet darauf hin, dass der Verfasser diese Sequenz bereits in anderen Quellen vorgefunden hat, es wird sich daher um eine fiktionale Ergänzung des Autors handeln (vgl. Luther/Röder 2012, 479). Dennoch kann v. a. das Motiv der Ehrerbietung durch Verneigen traditionsgeschichtlich eingeordnet werden. Im Zentrum des Wunders steht die Verehrungsgeste (proskunffw proskyneo¯ – verehren), die durch das Beugen (k€mptw kampto¯) der Standarten bzw. der Kaiserbilder zum Ausdruck gebracht wird. Dieses Motiv der Proskynese dürfte auf die Verwendung des Begriffs im Neuen Testament und dessen Traditionen sowie seiner Umwelt zurückzuführen sein. In hellenistischer Tradition ist die Proskynese eine Art Handgruß, die oft von anderen ehrerbietigen Körperbewegungen, z. B. einer ausdrücklichen Verneigung, begleitet wurde (Luc. Dem. 49; Apul. apol. 56; Min. Fel. 2,4; Plut. Marc. 6,11f.; Plut. Num. 14,4; vgl. Wiesehöfer 2010, 443). In dieser Bedeutung wird der Ausdruck wohl bereits von Homer verwendet (Hom. Il. 6,474; Hom. Od. 23,208; vgl. Greeven 1959, 759). Mit den Gesten der Proskynese wurden in der Antike zunächst ausschließlich Gottheiten bedacht (vgl. Aristoph. Plut. 771-773; Sophoc. Phil. 657; Sophoc. El. 1375), v. a. Sonne und Mond (vgl. Plato nom. 887e; Plut. Artax. 29,12; Luc. sal. 17; Hdt. 4,15,1), Himmel und Erde (vgl. Aisch. Pers. 499; Sophoc. Oed. R. 1654f.; Sophoc. Phil. 533; 1407) oder chthonische Mächte (Plato rep. 469a-b), woher auch die Bewegung zum Boden rühren könnte. Aus der weiteren Umwelt Assyriens oder dem Iran, von denen die hellenistischen Religionen ebenfalls stark beeinflusst waren, ist die Proskynese neben der Gottesverehrung (vgl. Hutter 2003, 1721) auch als Geste der Huldigung für weltliche Herrscher bekannt (vgl. Wiesehöfer 2010, 443). Spätestens innerhalb der vom hellenistischen Kulturraum stark beeinflussten römischen Religionsauffassung gilt der Kaiser als quasi-göttliches, zumindest über den Menschen stehendes Wesen (vgl. Witulski 2007, 34f.; Schneider 2005, 215-217; Herz 1988), womit sich die Art der Verehrung vermischt. Die Gesten der Verehrung, die über das gegenseitige Küssen unter Vertrauten hinausgehen, wurden zumindest in Griechenland für Menschen strikt abgelehnt (Hdt. 7,1,36; Xen. An. 3,2,13; Isokr. 4,1,51; Plut. Artax. 22,8). Vor dem römischen Kaiser wurde die Proskynese hingegen in Verbindung mit einem Fußfall ausgeführt (Dio Cass. 36,52,3; 62,23,3 u. ö.; vgl. Daguet-Gagey 2005, 21f.; Wiesehöfer 2010, 444). Wenn im EvNik nun die Kaiserbilder Jesus, dem Angeklagten, mit einer Proskynese huldigen, wird damit symbolisch die allerhöchste Verehrung des römischen Herrschers gegenüber Jesus zum Ausdruck gebracht. Mit dieser Geste, die der römische Princeps normalerweise entgegennimmt, niemals aber selbst gegenüber Menschen ausführt, wird der weltliche Herrscher erniedrigt, Jesus demgegenüber erhöht. Wenn darüber hinaus betont wird, dass die Kaiserbilder sich von selbst geneigt hätten, liegt es nahe, die Ursache dieser Geste in Jesu Wundermacht zu sehen, die ihn mächtiger als den römischen Kaiser und somit göttlich erscheinen lässt. In diese Auslegung fügt sich traditionsgeschichtlich der begriffliche Gebrauch in der Septuaginta: Hier wird proskunffw (proskyneo¯) in überwiegendem Maß zur Beschreibung der Anbetung Gottes verwendet (Ex 24,1LXX; 1Sam 15,25LXX; Ps 29,2LXX; Dan 6,27f.LXX u. ö.). Vor diesem Hintergrund 888
Der Kaiser erweist Jesus die Ehre EvNik 1,5 f.
ist die Weigerung der Judäer erwähnenswert, sich vor dem goldenen Standbild des Nebukadnezar zu verneigen und es zu verehren (proskÐnein proskynein), wie es im Danielbuch erzählt wird. Sie begründen ihr Verhalten damit, dass sie nur Gott als den einzigen Herrn ansehen (Dan 3,1-18). Diese Haltung wurde schließlich im Imperium Romanum gesetzlich abgesichert: Zu den jüdischen Privilegien zählte die Befreiung vom Kaiserkult. Juden wurden somit nicht zur Proskynese vor kaiserlichen Bildern gezwungen (vgl. Noethlichs 1996, 89). Wenn in der vorliegenden Wundererzählung die kaiserlichen Standarten Jesus auch dann ihre Verehrung bezeugen, wenn sie von besonders angesehenen jüdischen Trägern gehalten werden, wird die alttestamentliche Haltung der Juden, nur Gott allein zu verehren, symbolisch auch auf Jesus übertragen. Im Neuen Testament wird der Begriff fast durchwegs im religiösen Sinn gebraucht – verehrt wird Gott selbst oder etwas Göttliches. Darunter kann einerseits allgemein die Teilnahme am Gottesdienst im Heiligsten (vgl. Joh 4,20; 12,20; Apg 8,27; 24,11 u. ö.) verstanden werden. Andererseits gilt die Geste der unterwürfigen Verehrung, die oftmals auch mit einem Niederknien oder -fallen einhergeht, meist Jesus, wohl in Vorausahnung auf sein göttliches Wesen (vgl. Mt 8,2; 9,18 u. ö.; Joh 9,38), bzw. gar dem auferstandenen Christus als Sohn Gottes (Mt 28,9.17). Bezeichnend ist in diesem Zusammenhang die Versuchung Jesu durch den Teufel. Jesus vereitelt den Plan des Versuchers mit dem Verweis auf Dtn 6,13 (vgl. Mt 4,10; Lk 4,7f.), die Proskynese komme Gott allein zu (vgl. Offb 19,10; 22,8f.; 1Kor 14,25). So wird dem irdischen Jesus im Lukasevangelium diese Art von Verehrung nie zuteil, erst den Auferstandenen beten die Jünger an (Lk 24,52; vgl. Nützel 2011, 421). Das neutestamentliche Verständnis von Proskynese hält sich auch in der Alten Kirche (vgl. Greeven 1959, 766f.). In Bezug auf die Ehrerweisung Jesu durch das Beugen der kaiserlichen Standarten finden sich darüber hinaus motivgeschichtliche Anklänge aus dem Jesajabuch und dem Römerbrief. Im Rahmen der Verkündigung des einzigen Gottes für die ganze Welt schildert der Prophet, wie alle Völker Gott ihre Ehre bezeugen werden (Jes 45,23LXX): »Wahrlich, Gerechtigkeit wird aus meinem Munde kommen, meine Worte werden nicht rückgängig gemacht werden, denn vor mir wird sich jedes Knie beugen« (k€mvei p”n gnu – kampsei pa¯n gony). In Röm 14,33 greift Paulus dieses Motiv auf und bindet es in seine Argumentation ein, die darauf abzielt, die Verantwortung eines jeden deutlich zu machen, da letztlich jeder Einzelne Rechenschaft vor Gott abzulegen hat (vgl. Ch. Zimmermann 2009, 509). Die Aufnahme des Zitats gibt gleichsam die Begründung für die zwingend eintretende Verehrung Gottes, insbesondere durch diejenigen, die gewöhnlich für mächtig gelten. Somit könnten die sich neigenden Standarten mit den Kaiserbildnissen außerdem als prodigium aufgefasst werden, das nach römischem Denken unheilvollen Ereignissen vorausgeht, wie es auch für umstürzende Kaiserbilder festgestellt wurde (vgl. Standhartinger zu PsMt 22-24 in diesem Band). Weit verbreitet ist schließlich die Auffassung, die Wundererzählung von den Kaiserbildern, die sich ehrerbietig vor Jesus verneigen, scheine zudem ein Ereignis aufzugreifen, das von Josephus sogar wiederholt erzählt wird (vgl. Dubois 1989, 356; DaguetGagey 2005, 26; Schärtl 2011, 80). In seinen Antiquitates berichtet der jüdische Geschichtsschreiber, dass Pilatus in Jerusalem aus bewusster Missachtung der jüdischen Gesetze Feldzeichen mit dem Bild des Kaisers habe aufstellen lassen (Flav. Jos. Ant. 18,3,1). Ein anhaltend energischer Protest der jüdischen Bevölkerung habe ihn aber dazu veranlasst, die Feldzeichen wieder zu entfernen (Flav. Jos. Bell. 9,2f.; vgl. Lémonon 1981, 889
Die Wundererzählungen in apokryphen Evangelien
137-157). Wenn der Autor des EvNik diese Feldzeichen nun wieder im Prozess aufgreift, wird ein gewandeltes Verhältnis zum Imperium Romanum gezeichnet. Die Standarten sind nicht länger Symbol der Unterdrückung durch einen gewaltbereiten Statthalter (vgl. Bond 1998, 57-59.74f.). Die Wunderhandlung Jesu an ihnen bringt das Anbrechen seiner Regentschaft zum Ausdruck, die weltliche Herrschaft ist damit aufgehoben. Die sich neigenden Standarten symbolisieren in diesem Kontext die Aufhebung des römischen Machtanspruchs heidnischer Prägung angesichts des Aufstiegs des Christentums. Schließlich darf hinsichtlich der Anzahl der Standartenträger ebenfalls eine symbolische Bedeutung angenommen werden, da es historisch nicht plausibel ist, dass sich zwölf Kohorten in Jerusalem aufgehalten haben. Vielmehr lässt die Anzahl der jüdischen Träger an die zwölf Stämme Israels denken, die mit diesem Akt ebenfalls symbolisch ihre Verehrung zum Ausdruck bringen (vgl. Daguet-Gagey 2005, 28; Schärtl 2011, 81).
Verstehensangebote und Deutungshorizonte Die Episode der sich neigenden Standarten im EvNik ist zunächst unter formgeschichtlichen und gattungskritischen Gesichtspunkten genauer zu betrachten. Zentrale Aspekte der im Kompendium zugrunde gelegten Definition frühchristlicher Wundererzählungen sind zwar auch in der vorliegenden Passage erfüllt. Es hat zunächst jedoch den Anschein, als gäbe es keinen Wundertäter, das wundersame Ereignis wird scheinbar nicht auf göttliche Kraft zurückgeführt. Unwidersprochen – scheinbar belegt – bleibt die Erklärung der Träger, die Standarten hätten sich von selbst bewegt. Der Autor setzt an dieser Stelle unter rezeptionsästhetischer Perspektive sehr auf die Vorstellungskraft und das Kontextwissen des Lesers, wodurch seine theologischen Anliegen noch stärker zur Geltung kommen. Die Leerstelle des Verursachers kann für die Rezipienten nur dergestalt gefüllt werden, dass Jesu Eintreten Ursache dieser Geste ist; seine bloße Anwesenheit bewirkt aufgrund seiner göttlichen Kraft, dass die Standarten sich auf wundersame Weise verneigen. Diese Eigenleistung des Lesers lässt ihn das Ereignis umso deutlicher erinnern. Besonders wirkungsvoll erscheint auch die Wunderhandlung mit Blick auf die nachhaltigen Reaktionen: In Kenntnis kanonischer Wundergeschichten lässt der Autor Pilatus die Juden fragen, ob sie sich nicht wundern – eine Reaktion, die offenbar bei allen Beteiligten ausbleibt. Pilatus stellt sich zudem sehr deutlich auf Jesu Seite, wohingegen die jüdische Anklage noch vehementer vorgeht. Das Resultat dieser Auseinandersetzung bleibt zwar die Kreuzigung Jesu. Seine Unschuld und sein göttliches Wesen, ausgehend vom Standartenwunder, treten im weiteren Verlauf allerdings immer klarer hervor. Nicht Verwunderung ist die intendierte Reaktion darauf, sondern Glaubensstärke. Das Standartenwunder kann daher in erster Linie mit einer christologischen Perspektive gedeutet werden. Das Wesen Jesu und seine Überlegenheit gegenüber jüdischen Autoritäten einerseits und den staatlichen Machteliten des römischen Reiches andererseits stehen im Zentrum des ersten Teils des EvNik. Es besteht Uneinigkeit, ob das EvNik Jesu göttliches Wesen hervorhebt (vgl. Lampe 1984, 174) oder vielmehr die Darstellung als weltlicher König überwiegt, der auf religiöser Ebene eher als Prophet in der Tradition Elijas gezeichnet wird (Gounelle 1996, 129-131). Jesus tritt allerdings als göttlicher Wundertäter im EvNik in den Zeugenaussagen der Geheilten in Erscheinung. Von seiner Macht direkt überzeugen können sich die Leser hingegen ausschließlich im Wunder der 890
Der Kaiser erweist Jesus die Ehre EvNik 1,5 f.
sich neigenden Standarten. Seine Wundermacht ist zudem zentraler Anklagepunkt im Prozess, da sie auf Magie zurückgeführt wird, die mit dem Teufel in Verbindung steht (EvNik 1,1; vgl. Poplutz, Dämonen in diesem Band). Diese Vorstellung findet sich u. a. in antichristlichen Quellen wie den Toledot Yeshu, in denen der Vorwurf, Jesus könne aufgrund seiner Geburt nicht Gottes Sohn sein und seine Fähigkeiten und Wundertaten seien demzufolge reine Magie (T 12, 34-38; T 12,39-16,17; vgl. bSota 47a; bSan 107b), auf vielfältige Weise geäußert wird (vgl. Schlichting 1982, 34; Dubois 1991, 355f.). Das EvNik spiegelt somit durch das Wunder der sich neigenden Kaiserbilder die christlichjüdische Debatte um das Wesen Jesu (vgl. Daguet-Gagey 2005, 26; Schärtl 2011, 266268), wie sie die Toledot Yeshu auf polemische Weise auf der Gegenseite führt (vgl. Deutsch 2010). Mit Blick auf den historischen Kontext des EvNik bilden somit sowohl theologische Diskussionen um Sohn-Gottes-Vorstellungen wie auch der weltliche Herrschaftsanspruch des Christentums insgesamt eine Rolle (vgl. Röder 2010), so dass die christologische Frage, ob Jesus im EvNik eher als Prophet oder als Sohn Gottes dargestellt wird, nicht eindeutig in die eine oder andere Richtung beantwortet werden kann. Das Standartenwunder ermöglicht schließlich auf zwei Ebenen die Deutung unter befreiungstheologischer Perspektive. Jesus bringt die Standarten mit dem Bildnis des Kaisers, die eigentlich als militärische Zeichen und damit als Zeichen politischer Macht und Unterdrückung bekannt sind, dazu, sich vor ihm zu verneigen und ihn zu verehren. Alle politisch Unterdrückten und Unfreien werden dadurch ermutigt. Sie dürfen darauf vertrauen, dass sie durch den christlichen Glauben jegliche Art von Herrschaft überstehen können. Es sind zudem neben dem Hauptakteur Pilatus oftmals Rand- und Nebenfiguren, die durch ihre Initiative die Handlung vorantreiben oder Wendungen hervorrufen. Innerhalb der vorliegenden Erzählung ist der Bote des Pilatus eine solche Figur. Für ihn bedurfte es keines Wunders, um Jesus ehrerbietig zu begegnen. Schon Jesu Einzug mit den Hosianna-Rufen der jüdischen Bevölkerung hat ihn auf den Weg zum Glauben an Christus gebracht, wodurch er zum Handeln ermutigt ist (EvNik 1,2-4). Ehrerbietig führt er Jesus vor den Richter. Durch die massive Beschwerde der Juden wird Pilatus darauf aufmerksam gemacht, wobei er seinen Boten nicht etwa zur Ordnung ruft. Er stellt es ihm beim zweiten Mal explizit frei, Jesus auf eine Weise hereinzuführen, wie er es für richtig hält. Das Erkennen Christi durch den Diener geht somit der Erkenntnis seines Herrn voraus. Durch die Darstellung des Boten werden somit auch Verstehensangebote an weniger Privilegierte und weniger Beachtete in der Gesellschaft gemacht: Oftmals sind sie es, die christliche Botschaften eher verstehen, und sie werden ermutigt, die Initiative zu ergreifen, ihr Verstehen in Handeln zu überführen.
Aspekte der Parallelüberlieferung und Wirkungsgeschichte Die hier vorliegende Fassung des EvNik hat eine Wirkung v. a. innerhalb der weiteren Verbreitung des Texts in zahlreichen Manuskripten, Übersetzungen und Textausgaben (z. T. zusammen mit dem kanonisch gewordenen Neuen Testament) erzielt (vgl. Gounelle/Izydorczyk 1997, 30). Seine breite Rezeption in Kunst und Literatur v. a. im Mittelalter ist bemerkenswert (vgl. Izydorczyk 1997; Schärtl 2012, 240). In Bezug auf die vorliegende Erzählung sind in der weiteren Verbreitung verschiedene Motive deutlicher heraus891
Die Wundererzählungen in apokryphen Evangelien
gearbeitet worden, die meist darauf abzielen, den christologischen Aspekt des göttlichen Wesens Jesu und die daraus zwingend folgende Ehrerbietung herauszustellen. Der Eintritt Jesu, in dessen Folge sich die Standarten neigen, ist auf dem so genannten Madrider Manuskript, einer reich verzierten Ausgabe des EvNik aus dem 13./14. Jh., dargestellt (vgl. Gounelle/Izydorczyk 1997, 130). V. a. in Bezug auf die Standarten hat der Illustrator entscheidende Änderungen gegenüber den historischen Vorbildern vorgenommen. Die Träger stehen in einer Reihe hinter dem Boten und halten weniger verzierte Feldzeichen, die bis zum Boden reichen, sondern vielmehr Masken, die offenbar den Kaiser darstellen sollen und gleichzeitig im Zuge der ehrerbietenden Geste einen Teil des eigenen Gesichts freilassen. Damit wird neben der symbolischen Verehrung Jesu durch den Kaiser auch die persönliche Unterwerfung der Träger sichtbar. Der Bote ist gerade dabei, den Umhang vor Jesus auszubreiten, auf dem dieser eintritt. Jesus selbst steht zwar am linken Bildrand unter den Standartenträgern und dem Boten, durch seine überdurchschnittlich große Statur, sein prunkvolles Gewand und v. a. durch die Aureole sticht er aber deutlich hervor. Dieses Bild zeigt keinen Gefangenen in aussichtsloser Lage. Es zeigt den Sohn Gottes, dem gebührende Verehrung entgegengebracht wird.
Abb. 29: Kaiserliche Standarten verneigen sich vor Jesus (Manuskriptseite des EvNik)
Für die Zeit des Mittelalters kann zudem eine Hochphase der literarischen Rezeption des EvNik festgestellt werden, da es in zahlreichen Chroniken, Passionsspielen oder religiösen Liedern und Gedichten als quasi-kanonischer Teil der Passionsgeschichte Jesu aufgegriffen wurde. Das hier erzählte Standartenwunder wurde dabei oftmals übernommen. Aufgrund des großen Umfangs der Literatur seien nur wenige Beispiele aus dem deutschsprachigen Raum aufgegriffen (vgl. Hoffmann 1997). Im Alsfelder Passionsspiel (Janota 2002) wird die Göttlichkeit Jesu noch mehr ins Zentrum gerückt. Gleichzeitig sind deutliche antijudaistische Tendenzen erkennbar. Der Bote des Pilatus, der ihn vor den Richter führt, spricht ihn bereits mit »du lieber heylant, heilliger gott« (V. 3834.3934) an. Pilatus führt eine umfangreiche Befragung mit allen Standartenträgern durch, um herauszufinden, ob tatsächlich die Träger der Banner die Verantwortung dafür haben, dass sich die 892
Der Kaiser erweist Jesus die Ehre EvNik 1,5 f.
Fahnen vor Jesus verneigten (vgl. V. 3842-3845). Nacheinander bekennen alle zwölf Träger, dass sich die Banner von selbst und ohne ihr Zutun vor Jesus verneigt hätten, z. T. mit Zusätzen, die das Hauptmotiv unterstreichen: »Ich wel sagen, als es eme ist, die panner neiget sich vor Christ« (V. 3868f.). Pilatus wendet sich darauf wieder den Anklägern zu, die er als »hunde« bezeichnet und denen er vorwirft, Jesus zu Unrecht töten zu wollen (vgl. V. 3886-3889). Mit den Bekenntnissen der zwölf heidnischen Träger korrelieren nach dem abermaligen Neigen der Banner bei Jesu Eintritt die Beteuerungen der zwölf jüdischen Träger ob ihrer Stärke und Lauterkeit. Jesus, der kein einziges Wort spricht, wird durch sein Wunderhandeln, das wiederum nur durch Regieanweisungen zum Ausdruck gebracht wird, umso eindrucksvoller als Sohn Gottes dargestellt. In Heinrich von Heslers Evangelium Nicodemi (ca. 1300) wird ebenfalls die Ehrerbietung mit dem Wesen Jesu begründet: Die kaiserlichen Fahnen hätten sich vor Christus verneigt, um ihm ihre Verehrung zu zeigen (vgl. Helm 1976, V. 858f.). Hesler verdeutlicht die Verehrung, die aus dem Wunder erwächst, indem er die Beteiligten das Geschehene deuten lässt, wie z. B. Pilatus, der die jüdischen Ankläger dazu aufruft, als Zeichen anzuerkennen, dass sogar die Fahnen des Reiches sich tief vor Jesus verneigen (vgl. Helm 1976, V. 865-867).
Jörg Röder Literatur zum Weiterlesen O. Ehlen, Leitbilder und romanhafte Züge in apokryphen Evangelientexten. Untersuchungen zur Motivik und Erzählstruktur (anhand des Protevangelium Jacobi und der Acta Pilati Graec. B), (Altertumswissenschaftliches Kolloquium 9) Stuttgart 2004. Z. Izydorczyk/J.-D. Dubois, Nicodemus’s Gospel before and beyond the Medieval West, in: Z. Izydorczyk (Hg.), The Medieval Gospel of Nicodemus. Texts, Intertexts, and Contexts in Western Europe (Medieval & Renaissance. Texts & Studies 158), Tempe/Arizona 1997, 21-41. J. Röder, Art. Evangelium nach Nikodemus. Pilatusakten. Acta Pilati, wibilex.de 2010 (Zugriff am 20. 03. 2012).
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Wunderbare Befreiung aus dem Grab (Graböffnung und Auferstehung) EvPetr 9,35-11,45 (9,35) In der Nacht, in der der Herrentag anbrach, als die Soldaten jeweils zu zweit Wache hielten, erscholl eine laute Stimme im Himmel. (36) Und sie sahen, wie die Himmel geöffnet wurden und zwei strahlend leuchtende Männer von dort herabkamen und sich dem Grab näherten. (37) Jener Stein aber, der vor der Tür lag, zog sich von selbst rollend teilweise zurück und das Grab öffnete sich und beide jungen Männer gingen hinein. (10,38) Als jene Soldaten nun (dies) sahen, weckten sie den Zenturio und die Ältesten, denn auch sie waren geblieben, um Wache zu halten. (39) Und als sie berichteten, was sie gesehen hatten, sahen sie wiederum, wie drei Männer aus dem Grab herauskamen, wobei zwei den einen unterstützten und ein Kreuz ihnen folgte. (40) Und der Kopf der zwei reichte bis zum Himmel, der des von ihnen Geführten überragte die Himmel. (41) Und sie hörten eine Stimme von den Himmeln, die fragte: »Hast du den Gestorbenen gepredigt?« (42) Und eine Antwort wurde gehört vom Kreuz: »Ja.« (11,43) Sie überlegten nun miteinander, wegzugehen und dies dem Pilatus zu sagen. (44) Und als sie noch berieten, erschienen die Himmel wieder geöffnet und ein Mensch kam herab und ging in das Grab. (45) Als sie dies sahen, eilten die um den Zenturio nachts zu Pilatus und verließen das Grab, das sie bewachten. Und sie berichteten alles, was sie gesehen hatten, und sagten voll großer Angst: »Er war wirklich Gottes Sohn.«
Sprachlich-narratologische Analyse Die Geschichte von Jesu Auferweckung aus dem EvPetr entspricht nicht in allen Punkten der Definition einer Wundererzählung im Sinne des Kompendiums. Insbesondere ist unklar, wer eigentlich der Wundertäter ist, vermutlich Gott, obwohl Gott selbst gar nicht auftritt. Jesus ist eher derjenige, an dem das Wunder geschieht, als derjenige, der es vollbringt. Trotzdem ist eine Behandlung der Erzählung sinnvoll, denn sie beschreibt trotz des unklaren Subjekts Handlungen, die sichtbare Veränderungen und Staunen hervorrufen, und steht anderen Wundererzählungen auch durch die Erzählperspektive nahe. Insbesondere zu Befreiungswundern bestehen Verbindungen, es handelt sich nicht einfach um ein göttliches Zeichen und auch nicht um eine Erscheinungsgeschichte (vgl. Dormeyer, Weltbild in diesem Band). Zudem wirft die Schilderung der Auferweckung Jesu im EvPetr auch ein Licht auf die kanonischen Erzählungen, die deutlich weiter von Wundererzählungen entfernt sind. Der Ablauf der Ereignisse entspricht im EvPetr weitgehend, aber nicht überall Mt 27 f. Nach Kreuzigung, Tod und Grablegung Jesu wird eine Wache für das Grab organisiert. In EvPetr 9,35 beginnt eine neue Episode, die in der Nacht zum Sonntag spielt und 894
Wunderbare Befreiung aus dem Grab EvPetr 9,35-11,45
in der die wachenden Soldaten erstaunliche Ereignisse um das Grab erleben. Das Ende dieses Abschnitts ist allerdings nicht so leicht zu bestimmen, m. E. bildet der Bericht der Soldaten an Pilatus einen guten Abschluss, denn die darauf folgende Antwort des Pilatus richtet sich eigentlich an eine andere Gruppe, mit der er über das weitere Vorgehen berät (11,46-49). Ein klarer Einschnitt liegt hier aber nicht vor. Am Ende wird den Soldaten Stillschweigen befohlen. Eine eindeutig neue Szene beginnt in 12,50 mit dem Grabbesuch der Frauen am Sonntagmorgen. Danach folgte vermutlich noch eine Erscheinung Jesu am See in Galiläa vor einigen Jüngern, aber das Fragment des EvPetr bricht in der Einleitung zu dieser weiteren Geschichte ab (14,58-60). Die Ereignisse nachts am Grab sind ganz aus der Sicht der Soldaten geschildert, wobei einerseits von ihnen selbst berichtet wird, andererseits von dem, was sie sehen bzw. hören. Es liegt hier also eine ungewöhnliche Erzählperspektive vor, die Ereignisse sind durch die Soldaten, also durch Figuren in der Erzählung selbst, fokussiert: Die Geschichte sieht mit ihren Augen (vgl. zu diesem Phänomen Bal 1997, 142-161). Dadurch sind zwei Erzählstränge miteinander verwoben, an denen jeweils unterschiedliche Personen beteiligt sind. Das Sehen der Soldaten ist die einzige Verbindung zwischen beiden Ebenen; das, was sie sehen, ist eine selbstständige Handlung, in die sie nicht einbezogen sind. Es gibt keinen Hinweis, dass z. B. die Männer, die vom Himmel kommen, ins Grab gehen und nachher wieder herauskommen, die Soldaten auch nur wahrnehmen, geschweige denn mit ihnen interagieren. Die Soldaten reagieren dagegen mehrmals auf das Gesehene, wodurch die Ereignisse untergliedert werden: 9,35
Einleitung (Zeitpunkt und Tun der Soldaten sowie eine laute Stimme im Himmel) 9,36 f. Erster Teil der gesehenen Ereignisse (vom Himmel bis ins Grab) 10,38 Reaktion der Soldaten (Wecken der übrigen Anwesenden) 10,39-42 Zweiter Teil der gesehenen und gehörten Ereignisse (aus dem Grab und Dialog mit Himmelsstimme) 11,43 Reaktion der Soldaten (Beratung über Aufbruch zu Pilatus) 11,44 Dritter Teil der gesehenen Ereignisse (Mensch geht ins Grab) 11,45 Reaktion der Soldaten (Aufbruch und Bericht an Pilatus) Durch diesen Aufbau sind v. a. die ersten beiden Teile über das Gesehene sehr geschickt aufeinander bezogen, der erste bietet eine Bewegung zum Grab und in das Grab hinein, der zweite eine Bewegung aus dem Grab heraus. Die Unterbrechung durch die Reaktion der Soldaten lässt eine Lücke in der Mitte: Der eigentliche Höhepunkt der Geschichte wird nicht erzählt, weil alle Akteure im Grab und deshalb nicht zu sehen sind. Was dort geschieht, muss indirekt erschlossen werden, es wird durch die Ereignisse vorher wie die selbsttätige Öffnung des Grabes vorbereitet und nachher durch die zusätzliche dritte Person veranschaulicht. Durch die Darstellung ganz aus der Perspektive der zuschauenden
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Die Wundererzählungen in apokryphen Evangelien
Soldaten bleibt hier etwas offen und eine Deutung der Ereignisse wird vermieden bzw. den Lesenden überlassen. Ein für die Erzählung eigentlich bedeutungsloser Nachtrag ist dagegen der dritte Teil der Schilderung des Gesehenen (11,44). Hier kommt ein weiterer Mensch vom Himmel und geht in das Grab. Dies schafft eine Verbindung zum späteren Grabbesuch der Frauen, die diesen Engel dann im Grab antreffen (13,55 f.). Er gibt dann auch eine Deutung der Ereignisse, indem er davon spricht, dass Jesus auferstanden (und weggegangen) ist. Ein Abschluss wird durch den Bericht der Soldaten an Pilatus erreicht, in dem sie deutend zusammenfassen, was sie gesehen haben, auch wenn die Formulierung dazu nicht unmittelbar passt. Anders als der Engel zu den Frauen sagen die Soldaten nicht, was ihrer Meinung nach passiert ist (z. B. er wurde auferweckt), sondern ziehen schon einen Schritt weiter Folgerungen für das Verständnis der Person Jesu (er war wirklich Gottes Sohn). Dies wirkt fast wie ein Chorschluss in anderen Wundererzählungen, in dem neben Gotteslob auch Aussagen über das Wesen Jesu, des Wundertäters, begegnen. Erstaunlich im Aufbau der Erzählung ist die Bemerkung über die laute Stimme im Himmel gleich am Beginn (9,35). Dieses Ereignis ist nicht aus der Sicht der Soldaten geschildert. Die Zweiteiligkeit der Erzählung und die Rolle der Soldaten als nicht direkt beteiligte Beobachter beginnt erst unmittelbar danach, als sie sehen, dass die Himmel geöffnet werden. (Auch 9,37 ist grammatisch nicht mehr vom Sehen der Soldaten in 9,36 abhängig, bewirkt aber keine Verschiebung der Perspektive.) Außerdem gibt es hier eine Stimme, aber es wird nicht gesagt, was sie sagt. Es könnte sich um unartikulierte Laute handeln, etwa im Sinne eines Donnergrollens oder eines Signaltons. Wenig wahrscheinlich ist m. E., dass der Inhalt unwichtig ist oder aus anderen Himmelsstimmen, z. B. bei der Taufe Jesu, erschlossen werden kann (beides erwägt Foster 2010, 400). Vielleicht lässt sich dieser Anfang am besten als eine Art zusammenfassende Überschrift über das Geschehnis verstehen, nicht als erstes der erzählten Ereignisse. Dafür spricht auch, dass die Stimme im Himmel und noch vor der Öffnung ergeht – vielleicht können deshalb keine Worte auf der Erde gehört werden. Festgehalten wird hier, dass alles Weitere von Gott ausgeht und als sein Handeln zu verstehen ist. Auf den ersten Blick wirkt die Erzählung wie eine Erscheinungsgeschichte, in der Menschen in Kontakt mit himmlischen Wesen kommen und von ihnen etwas erfahren. So versteht sie z. B. Henderson und sieht sie in enger Verbindung mit Erscheinungen des Auferstandenen (1Kor 15,5-8; Osterkapitel der kanonischen Evangelien) und Geschichten von Engelerscheinungen im Grab (Mk 16,1-8 par.), in denen ebenfalls häufig vom Sehen die Rede ist (vgl. Henderson 2011, 167 f.). Diese Zuordnung verkennt jedoch, dass in der Erzählung des EvPetr zwar Engel und der auferstandene Jesus vorkommen, sie aber keineswegs den zuschauenden Soldaten erscheinen. Es findet keine Begegnung zwischen ihnen statt: Die Soldaten werden nicht angesprochen, erhalten keine Botschaft und zeigen auch keine typische Reaktion auf eine Begegnung mit dem Überirdischen wie Furcht oder Niederfallen. Stattdessen beobachten sie, was die himmlischen Wesen tun, und werden dabei sogar Zeugen ihrer Unterhaltung, als die Himmelsstimme die aus dem Grab kommende Gruppe befragt, bleiben aber selbst unbeteiligte Zuschauer. Obwohl in vielen Erscheinungsgeschichten gerade der Moment des Kontakts mit der himmlischen Welt durch die Empfänger(innen) der Erscheinung fokussiert, also ihr Sehen eines Engels oder des Auferstandenen beschrieben wird (vgl. EvPetr 13,55, wo die Frauen den Engel sehen, 896
Wunderbare Befreiung aus dem Grab EvPetr 9,35-11,45
oder Mt 28,17 mit den Jüngern und dem auferstandenen Jesus), bleiben diese nicht wie in EvPetr 9,36-11,45 Beobachtende. Sie werden vielmehr in die Handlung einbezogen, so dass sich die Erzählperspektive ändert. Eine Erzählung, in der normale Menschen eine Interaktion zwischen himmlischen Wesen miterleben, ist ansatzweise die Verklärung. Dort sind drei Jünger Zeugen, wie Jesus, Mose und Elija miteinander sprechen. Jesu Aussehen hat sich verändert, Mose und Elija sind erschienen, zusammen bilden sie ein himmlisches Trio, das miteinander redet, während die Jünger ausgeschlossen sind, aber die Szene beobachten. Es gibt sogar eine Himmelsstimme, aber dieses richtet sich anders als im EvPetr an die Jünger, so dass sie doch Teil der Ereignisse werden. Außenstehende Beobachter wie die Soldaten im EvPetr sind sie nur für einen Moment. Der Vergleich mit der Verklärung und mit Erscheinungsgeschichten zeigt also nur begrenzte Parallelen, erfasst die Auferstehungserzählung des EvPetr in ihrer Hauptsache nicht. Besser passt eine Sicht als eine Wundererzählung, eine wunderbare Befreiung des im Grab gefangenen Jesus. Die Männer vom Himmel oder vielleicht die Himmelsstimme ganz am Anfang fungieren als Wundertäter, das Wegrollen des Steines und die dritte Person, die aus dem Grab kommt, zeigen das eigentliche Wunder an. Ganz ähnlich erzählt Apg 12,3-11 von einer wunderbaren Befreiung: Petrus ist streng bewacht im Gefängnis, als in der Nacht ein Engel kommt, der Licht mitbringt. Die Fesseln lösen sich und später öffnet sich auch eine Tür von selbst. Diese Geschichte ist allerdings aus einer ganz anderen Perspektive erzählt, nicht aus der Sicht von Außenstehenden, sondern aus der des Petrus, der den Engel sieht und seinen Aufforderungen nachkommt, aber zunächst unsicher ist, ob die Geschehnisse wirklich real sind. Auch diese Geschichte ist also durchgehend durch eine Figur in der Erzählung fokussiert, und zwar durch Petrus, dem Objekt und Nutznießer der Wunderhandlung. In anderen Wundererzählungen wird zumindest zeitweise die Perspektive des Wundertäters eingenommen, etwa indem Jesus eine hilfsbedürftige Person sieht (vgl. Mk 1,41; Mt 8,14; 14,14). Es ist aber auch möglich, Wundererzählungen durchgehend aus der Sicht von Außenstehenden zu erzählen. So berichtet Philostrat von einer Totenerweckung des Apollonius von Tyana, indem er beschreibt, was die zuschauende Menge sehen kann (Philostr. vit. ap. 4,45). Ähnlich wie in EvPetr werden dabei viele Einzelheiten berichtet und es entsteht der Eindruck, dass die Lesenden selbst dabei sind und sich ihr eigenes Urteil bilden können.
Sozial- und realgeschichtlicher Kontext Das EvPetr schildert die Bewachung des Grabes mit etlichen Einzelheiten, die das professionelle Herangehen deutlich machen (vgl. Henderson 2011, 139 f.). Vermutlich ist an acht Soldaten gedacht, die jeweils zu zweit die vier nächtlichen Wachen übernehmen. Dies wäre ein contubernium, die kleinste Einheit der römischen Armee (vgl. Southern 2006, 100). Ungewöhnlich ist allerdings die Anwesenheit eines Zenturio, der eigentlich nicht ein, sondern zehn contubernia befehligt, also 80 Mann. Noch erstaunlicher ist, dass an dieser Wache nicht nur römische Soldaten, sondern die jüdischen Ältesten beteiligt sind. Sie gehören im EvPetr zur jüdischen Führung und sind zusammen mit Schriftgelehrten, Priestern oder Pharisäern genannt, in 8,28 ausdrücklich im Gegensatz zum Volk. Die erzählerische Absicht, nach der die verschiedenen gegnerischen Gruppen anwesend 897
Die Wundererzählungen in apokryphen Evangelien
sein sollen, ist hier stärker als die Plausibilität der Darstellung. Auch die Anwesenheit des Zenturio lässt sich wohl besser durch seine Rolle in Mk 15,39 erklären als durch eine realistische Wachmannschaft. Die Vorstellung, dass die Himmel sich öffnen, ist im Rahmen eines antiken Weltbildes ein erstaunliches, aber nicht unmögliches Ereignis. Über der Erdscheibe wölbt sich der Himmel und bildet eine feste Abtrennung der Bereiche. In besonderen Fällen kann die Grenze sich aber öffnen und entweder etwas aus dem Himmel auf die Erde kommen (so z. B. der Geist in Gestalt einer Taube nach der Taufe Jesu, Mt 3,16) oder ein Blick in den Himmel (so Stephanus in Apg 7,56) oder sogar Zugang für einen Menschen möglich sein (so für Johannes in Offb 4,1; zu weiteren Parallelen und ihrer Auswertung vgl. van Unnik 1983). Im EvPetr dient das Öffnen der Himmel dazu, die leuchtenden Männer hinabsteigen zu lassen. Durch diese Herkunft sowie das Lichtelement – Licht ist ein wesentliches Merkmal des Bereichs jenseits der Himmelsfeste – sind sie eindeutig als Engel, also als Wesen aus dem Umfeld Gottes, charakterisiert; die Bezeichnung als Männer (˝ndre@ andres) oder junge Männer (neanfflskoi neaniskoi) ist dabei üblich (vgl. die unterschiedlichen Bezeichnungen in Mk 16,5 par.; Foster 2010, 401 f.).
Traditions- und religionsgeschichtlicher Hintergrund Zur Gruppe, die das Grab verlässt und sich anscheinend wieder auf den Weg zum Himmel macht, gehört eine weitere menschliche Figur, der auferweckte Jesus. Die Gruppe bietet einige erklärungsbedürftige Besonderheiten. So folgt ihnen ein Kreuz, die Größe der Männer ist bemerkenswert und die Stimme vom Himmel fragt nach der Predigt an die Toten, was vom Kreuz aus bejaht wird. In den kanonischen Evangelien wird von Jesus zwischen seinem Tod am Freitag und der Auferweckung am Sonntag keinerlei Aktivität berichtet. Er ist ganz und gar tot und begraben, neues Leben wird allein von Gott ermöglicht. Schon in 1Petr 3,19; 4,6, also gegen Ende des 1. Jh. ist allerdings die Vorstellung belegt, dass er in dieser Zwischenzeit im Totenreich den Verstorbenen gepredigt hat (weitere Belege bei Goppelt 1978, 252 f.). Dieser Gedanke hat sich durchgesetzt und findet sich z. B. auch im apostolischen Glaubensbekenntnis (»hinabgestiegen in das Reich des Todes«). Vermutlich ist dabei eine Absicht, auch den Toten, die vor dem Wirken Jesu gestorben sind, eine Chance zur Rettung und Umkehr zu geben. Den drei Männern, die aus dem Grab kommen, folgt ein Kreuz, das auf die Frage nach dem Predigen Jesu antwortet. Crossan hat vermutet, dass es sich dabei um die durch Jesu Predigt aus der Unterwelt Geretteten handelt, die in Kreuzform hinter ihm folgen (Crossan 1988, 385 f.). Dies würde erklären, wieso gerade vom Kreuz die Frage der Himmelsstimme beantwortet wird. Aber der Text gibt keinen Hinweis, dass es sich hier um eine Menschenmenge handelt. Sinnvoller ist, hier an das reale Kreuz zu denken, an dem Jesus starb (EvPetr 4,10 f.), allerdings fehlt ein bestimmter Artikel als Verweis und beim Begräbnis wird nicht angedeutet, dass das Kreuz mit ins Grab oder in seine Nähe gebracht wird. Dass das Kreuz personifiziert wird und sogar spricht, ist dagegen durchaus denkbar, es wird auch in anderen Schriften zumindest angesprochen, z. B. in ActAndr 54:
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Wunderbare Befreiung aus dem Grab EvPetr 9,35-11,45
Und Andreas verließ alle, ging auf das Kreuz zu und sprach laut zu ihm: »Sei mir gegrüßt, Kreuz, denn du kannst dich tatsächlich freuen; ich weiß genau, du wirst dich in Zukunft ausruhen, weil du seit langem müde bist und aufgerichtet auf mich wartest. Reines und leuchtendes und von Leben und Licht erfülltes Kreuz, nimm nun auch mich an, der ich sehr erschöpft bin (Übersetzung Schneemelcher 1989, 135, vgl. Czachesz 2007, 251 und passim zu weiteren Parallelen in apokryphen Apostelakten; außerdem UBE p.109 f. und Hartenstein 2007, 171 f. zum Vergleich der Vorstellungen mit EvPetr).
Am plausibelsten scheint mir allerdings eine Deutung des Kreuzes von Beschreibungen der Parusie her zu sein, bei der Jesus vom Zeichen eines Kreuzes begleitet wird. Ausgangspunkt dieser Vorstellungen ist vermutlich Mt 24,30, wo – über Mk 13,24-26 hinaus – zu den Begleitumständen der Parusie gehört, dass »das Zeichen des Menschensohnes« am Himmel erscheint. In Texten des 2. Jh. ist in diesem Zusammenhang ausdrücklich vom Kreuz die Rede: Denn die Parusie des Gottessohnes wird nicht offenbar sein, sondern wie der Blitz, der scheint von Osten bis zum Westen, so werde ich kommen auf der Wolke des Himmels mit großem Heer in meiner Herrlichkeit; indem mein Kreuz vor meinem Angesicht hergeht, werde ich kommen in meiner Herrlichkeit; indem ich siebenmal so hell wie die Sonne leuchte, werde ich kommen in meiner Herrlichkeit mit allen meinen Heiligen, meinen Engeln, wenn mein Vater mir eine Krone auf das Haupt setzt, damit ich richte die Lebendigen und die Toten und jedem vergelte nach seinem Tun (ApkPetr. 1 [äth. Text]; Übersetzung Müller 1989b, 567). Wahrlich ich sage euch, ich werde kommen wie die Sonne, die erglänzt, so werde ich, indem ich siebenmal mehr in Herrlichkeit leuchte, während ich auf dem Flügel der Wolke getragen werde, in Glanz, und indem mein Kreuz vor mir einhergeht, auf die Erde kommen, daß ich richte die Lebendigen und die Toten (EpAp 16 [äth. Text]; Übersetzung Detlef/Müller 2012, 1072).
Das Kreuz scheint hier die Funktion eines Feldzeichens und Symbols für Jesus zu übernehmen, das vor ihm hergeht, um ihn zu identifizieren und seinen Triumph zu begleiten. Im EvPetr ist die Reihenfolge anders, das Kreuz folgt Jesus, da sie ja zunächst noch auf dem Weg zum Himmel sind. Die Funktion eines Siegeszeichens hat es trotzdem und durch die enge Verbindung zu Jesu ist auch die stellvertretende Antwort sinnvoll. Eine weitere Variante der Verbindung zwischen Kreuz und Jesus liegt in ActJoh 98 vor: Johannes sieht ein Lichtkreuz und hört Erklärungen Jesu von einer Stimme über dem Kreuz, die dieses weitgehend mit ihm identifizieren (z. B. als Logos, Christus, Weg, Brot …). Diese Szene spielt während der Kreuzigung Jesu, die aber in der Sicht von ActJoh nicht Jesus betrifft (ActJoh 97-102). Schwer bildlich vorzustellen ist die enorme Größe der Männer. In ihren Körpermaßen spiegelt sich ganz direkt ihre Macht, die irdische Dimensionen sprengt. Zugleich wird eine Abstufung deutlich, weil der auferstandene Jesus die Engel in dieser Hinsicht noch übertrifft. (Wichtig scheint hier der Superlativ für Jesus zu sein, unabhängig von der Frage, wie ein Überragen der Himmel möglich ist, wenn sie eine feste Abgrenzung bilden.) In ActJoh 90 gehört zu den sich wandelnden Erscheinungen des irdischen Jesus auch eine Gestalt, bei der seine Füße auf der Erde stehen, sein Kopf an den Himmel stößt. Ebenfalls große Ausdehnung scheint ein Engel in Offb 10,1-3 zu haben, der einen Fuß auf die Erde, den anderen auf das Meer setzt. 899
Die Wundererzählungen in apokryphen Evangelien
Verstehensangebote und Deutungshorizonte Als erste mögliche Deutung der Erzählung legt sich eine historische Auswertung nahe. Genauer gesagt kann der Text als ein Versuch wahrgenommen werden, die Faktizität der Ereignisse zu beweisen und gegen mögliche Einwände zu verteidigen, sowie in Bezug auf die Auferweckung genau zu beschreiben, wie sie abgelaufen ist (vgl. z. B. Henderson 2011, 166). Für den Versuch einer Absicherung spricht, dass die Ereignisse nicht einfach von einer neutralen Erzählstimme berichtet werden, sondern ausdrücklich aus der Perspektive der Soldaten. Die Soldaten sind ja nicht irgendwelche Personen, sondern stehen im EvPetr bis dahin Jesus feindlich gegenüber. Wenn sie jetzt Zeugen von Ereignissen sind, die eigentlich nur eine Deutung zulassen, dann sollte dies die Glaubwürdigkeit erhöhen. Zur Verbürgung trägt auch die Anzahl der Zeugen bei. Am Anfang sind es zwei Soldaten, für den zweiten und wichtigeren Teil kommen noch der Zenturio und die Ältesten hinzu. Sie alle stehen nicht in Verdacht, parteiisch für Jesus zu sein, so dass ihr Sehen der erstaunlichen Ereignisse den Eindruck der Objektivität erweckt, der durch die Darstellung zunächst ohne Deutung noch verstärkt wird. Hinzu kommt noch, dass viele Einzelheiten bei der Schilderung der Bewachung des Grabes im EvPetr andere mögliche Deutungen wie einen Leichenraub der Jünger ausschließen (vgl. Henderson 2011, 222). Ein solches historisches Verständnis des Textes bewirkt bei modernen Leserinnen und Lesern allerdings keineswegs Vertrauen in die Darstellung, sondern sogar das Gegenteil: Der Versuch der Absicherung macht erst recht misstrauisch. Für heutige Lesende ist die Darstellung der kanonischen Evangelien präsent und bildet die Basis für die Sicht der Ereignisse, Abweichungen des EvPetr erscheinen deshalb als unglaubwürdig – die Überzeugung gerade von Gegnern, die sich dann aber den Mund verbieten lassen, ist ja auch wirklich nicht besonders plausibel. Gerade im Vergleich mit den älteren Texten wirken die Einzelheiten übertrieben und die Schilderung insgesamt plump, die eher phantastischen Züge der Erzählung vertragen sich gerade nicht mit unserer Vorstellung davon, was historisch glaubwürdig ist. (Dieser Vorwurf trifft aber z. B. auch die matthäische Fassung der Grabwächterepisode.) Entsprechend wenig angesehen ist das EvPetr bei modernen Leserinnen und Lesern. Möglicherweise war die Rezeption des Textes zur Zeit seiner Entstehung im 2. Jh. aber in mancher Hinsicht anders. Wie klingt die Darstellung des EvPetr in einer Zeit, in der noch keine normative Fassung der Jesuserzählung allen bekannt ist, sondern verschiedene Versionen mit immer neuen Varianten kursieren? Zumindest wirkt sie dann nicht sofort wie eine Fälschung. Außerdem war das Weltbild der Spätantike zumindest bei vielen Menschen anders als bei uns heute. Übernatürliche Elemente wie Engel von enormer Größe und von selbst rollende Steine müssen damals nicht unbedingt einen Gegensatz zu historischer Glaubwürdigkeit gebildet haben. Antike Kritik, die durchaus ähnliche Einwände wie Menschen heute gegen die Auferstehung vorbringt, ließ sich aber vermutlich so nicht entkräften (Henderson 2011, 42; 181-189; 222 f. u. ö. sieht gerade in der Auseinandersetzung mit Einwänden von außen ein zentrales Anliegen des EvPetr, berücksichtigt aber m. E. zu wenig, dass die Kommunikationsform des EvPetr kaum geeignet ist, die Bedenken z. B. eines Celsus zu zerstreuen). Möglicherweise ist eine historische Absicherung der Auferstehung aber weder das einzige noch das wichtigste Anliegen der Darstellung des EvPetr. Der Text kann auch als 900
Wunderbare Befreiung aus dem Grab EvPetr 9,35-11,45
narrative Theologie verstanden werden, als eine erzählerische Umsetzung der Glaubensaussage über die Auferweckung Jesu im Kontext einer eigenständigen Wiedergabe der Passionsgeschichte. Dass Jesus von den Toten auferweckt wurde, wird an Stellen wie 1Kor 15,4 nur als knapper Fakt festgehalten. Auch in der Ostererzählung des Markusevangeliums bleibt es bei dieser Feststellung (Mk 16,6), die der Engel den Frauen übermittelt, ausgestaltet sind nur die Umstände der Übermittlung dieser Botschaft, nicht die Auferweckung selbst. Dass der Engel im offenen Grab erscheint, lässt allerdings Rückschlüsse auf die Auferweckung zu, die bei Matthäus und Lukas deutlicher greifbar sind. Im EvPetr ist ausgemalt, wie sich die Auferweckung vorstellen lässt: Die Handlung geht – eindeutig, wenn auch nicht direkt gesagt – von Gott aus durch seine Stimme und durch die Sendung von himmlischen Boten. Die Umstände zeigen die Besonderheit des Ereignisses und die nächtliche Szene gibt ihm auch eine zeitliche Festlegung. Obwohl das EvPetr mit seiner Beschreibung ein ganzes Stück weiter geht als andere Evangelien, bleibt das Zentrum, die Auferweckung selbst, eine offene Stelle, die nicht direkt geschildert wird. Diese narrativ-theologische Deutung versteht das EvPetr nicht in erster Linie als (weitgehend misslungene) historische Beweisführung, sondern als eine Erzählung, die Glaubensvorstellungen für die Lesenden veranschaulichen und dabei die eigentlich allen bekannte Geschichte wiedergeben will (vgl. Verheyden 2007, 298 f.). Das EvPetr ist vielleicht eher eine Predigt, also eine anschauliche Umsetzung von Theologie für ein internes Publikum, das in schon vorhandenen Überzeugungen bestätigt und bestärkt wird, als eine nach außen gerichtete Apologie. Die besondere Erzählperspektive bietet dabei für die Lesenden die Möglichkeit, direkt in die Erzählung einzusteigen, sozusagen selbst bei den Ereignissen dabei zu sein. Die Soldaten eignen sich vielleicht gerade deshalb als Anknüpfungspunkt, weil sie nur Beobachter der Ereignisse sind, nicht selbst an ihnen beteiligt. Schließlich bietet die Auferstehungserzählung des EvPetr auch Anlass für eine christologische Deutung. Es wird nicht nur die Auferweckung Jesu beschrieben, sondern ansatzweise auch schon die Einsetzung in himmlische Vollmacht (Himmelfahrt), die sich auf dem Weg vom Grab in der Größe der Gestalt spiegelt. Die Predigt in der Unterwelt wird nicht selbst beschrieben – auch hier setzt die Erzählperspektive Grenzen –, wird aber als wichtige Aufgabe betont. Am interessantesten ist aber das Auftreten des Kreuzes. Es spielt nicht nur bei der Hinrichtung Jesu eine Rolle (was sich nicht vermeiden lässt), sondern auch im Moment seines Triumphes. Während in der Kreuzestheologie bei Mk oder Paulus gerade der Moment der Niedrigkeit betont wird und die entscheidende Wende bedeutet, spielt für EvPetr das siegreiche Ende eine viel wichtigere Rolle, wird aber ebenfalls mit dem Symbol des Kreuzes verbunden. Dieser christologische Unterschied lässt sich gut an der Platzierung des Bekenntnisses zu Jesus als Gottes Sohn greifen: Im EvPetr folgern die Soldaten aus dem, was sie von der Auferweckung gesehen haben, dass Jesus wirklich Gottes Sohn war. Das ist im Zusammenhang einleuchtend, gerade das Eingreifen Gottes zu seinen Gunsten führt zu diesem Schluss. Im Hintergrund steht aber auch: Der Sieger wird anerkannt. Dagegen wird in Mk 15,39 das gleiche Bekenntnis vom Zenturio angesichts der Kreuzigung Jesu ausgesprochen, also gerade in dem Moment, wo es am wenigsten zu erwarten ist, wo Jesus auf dem Tiefpunkt angekommen ist. Das ist eine andere Theologie, in der sich göttliche Vollmacht nicht offensichtlich und nach den Maßstäben irdischer Macht zeigt, sondern sie gerade auf den Kopf stellt. Die Differenz in der Theologie führt nun im EvPetr 901
Die Wundererzählungen in apokryphen Evangelien
nicht dazu, das Kreuz als Instrument der Hinrichtung und Niedrigkeit zu verwerfen, sondern ihm eine neue Bedeutung als Siegeszeichen zu geben.
Aspekte der Parallelüberlieferung und Wirkungsgeschichte Schilderungen der Befreiung Jesu aus dem Grab finden sich nicht nur im EvPetr, sondern vereinzelt auch an anderen Stellen. AscJes bietet einen Kurzabriss der Passionsgeschichte, zu der auch die Graböffnung gehört: … und daß der Engel des Heiligen Geistes und Michael, der Oberste der heiligen Engel, am dritten Tage sein Grab öffnen werden und daß der Geliebte auf ihren Schultern sitzend hervortreten und seine zwölf Jünger aussenden wird … (AscJes 3,16 f., Übersetzung Müller 1989a, 551 f.).
Auch die altlateinische Handschrift k aus dem 4./5. Jh. fügt in Mk 16,3 eine kurze Beschreibung von Engeln ein, die vom Himmel kommen und Jesus aus dem Grab mitnehmen. Möglicherweise liegt allen eine gemeinsame Tradition zugrunde (vgl. Henderson 2011, 179). Schon Mt 28,2 gibt dem Engel aus der Grabgeschichte eine aktive Rolle bei der Öffnung des Grabes, erzählt aber nicht vom Herauskommen Jesu, eine solche Weiterentwicklung ist aber gut vorstellbar. Die Geschichte von der Bewachung des Grabes durch Soldaten, die die Auferweckung mehr oder weniger klar miterleben, aber am Ende nichts von ihr sagen, hat das EvPetr mit dem Matthäusevangelium gemeinsam. Auch im Matthäusevangelium könnte ein Ziel eine Absicherung der Botschaft von der Auferweckung sein, und auch dort bewirkt die Darstellung mitunter eher zusätzliches Misstrauen. Das EvPetr gibt den Soldaten aber eine größere und eigenständigere Rolle, indem die Ereignisse der Osternacht vom Grabbesuch der Frauen am Morgen getrennt und aus der Perspektive der Soldaten erzählt werden. Dies vereinfacht die Erzählung (vgl. Foster 2010, 415 f.) und es entsteht mehr Raum, um die direkten Begleitumstände der Auferweckung zu beschreiben – allerdings wird auch in Mt 28,2-4 das Herabkommen des Engels geschildert und sein Wegrollen des Steines vor dem Grab. Wie im EvPetr sind das Ereignisse, die unmittelbar mit der Auferweckung im Zusammenhang stehen, es geht nicht nur um die Verkündigung der schon erfolgten Auferweckung wie in Mk 16. Anders als im EvPetr sind die Soldaten im Matthäusevangelium nicht nur Beobachter, sondern direkt betroffen, sie werden aus Furcht vor der Erscheinung des Engels ohnmächtig. Trotz der Gemeinsamkeiten und einer ähnlichen inhaltlichen Tendenz bestehen also etliche Unterschiede zwischen EvPetr und Matthäusevangelium in den Einzelheiten der Erzählung und ihrem Ablauf. Dazu gehört auch, dass die Soldaten im EvPetr Pilatus Bericht erstatten, in Mt 28,11 dagegen den Hohepriestern. Hier wirkt das EvPetr überzeugender. Nicht eindeutig klären lassen sich die Abhängigkeitsverhältnisse: Das EvPetr schreibt jedenfalls das Matthäusevangelium nicht einfach ab, dazu sind die sprachlichen Übereinstimmungen zu gering. Wahrscheinlich ist eher, dass das EvPetr viele Einzelheiten aus verschiedenen Evangelien kennt, möglicherweise aus einer mündlichen Übermittlung. Aus ihnen bildet das EvPetr dann eine eigene, in sich verständliche Erzählung, in der die Einzelmotive z. T. neu interpretiert und angeordnet sind (vgl. Klauck 2005, 118). Das EvPetr stammt vermutlich aus einer Zeit (1. Hälfte des 2. Jh., in der es zwar 902
Wunderbare Befreiung aus dem Grab EvPetr 9,35-11,45
schon Evangelienschriften gab, sie aber noch nicht von allen als maßgeblich und kanonisch angesehen wurden, so dass ein eigener Entwurf der Geschichte Jesu noch möglich war. Obwohl das EvPetr keine grundsätzlich andere Geschichte erzählt als die kanonischen Evangelien bzw. Matthäus, führt die Fremdheit und Unvertrautheit der Einzelheiten aus heutiger Sicht zur Wahrnehmung von Schwierigkeiten, die sich nicht nur im EvPetr stellen. Das EvPetr schildert – obwohl es auch hier letztlich nur die Begleitumstände der Aufweckung sind – Einzelheiten, die dem Ereignis kaum angemessen sind. Das Problem scheint mir dabei aber weniger zu sein, dass das EvPetr zu viel und mit zu apologetischer Absicht berichtet. Sondern hauptsächlich, dass es aus einem eschatologischen Ereignis eine Wundergeschichte macht (vgl. Becker 2007, 33). Die Aufweckung Jesu durchbricht eigentlich alle irdischen Grenzen, weil sie schon zur Endzeit gehört, sie ist kein innerhistorisches Ereignis wie andere. Das EvPetr erzählt aber trotz aller besonderen Elemente eine normale irdische Geschichte, ein Wunder, und macht die Auferweckung so sichtbar und greifbar, zu einem mehr oder weniger irdischen Ereignis. Dieses Problem hat aber nicht nur das EvPetr, obwohl es dort besonders gut sichtbar wird: Jede narrative Darstellung der Osterereignisse geht zwangläufig in diese Richtung. Selbst das Markusevangelium, das jede Schilderung der Auferweckung vermeidet und nur die Übermittlung der Botschaft erzählt (vgl. Becker 2007, 23), bietet mit der Grabgeschichte einen Ansatzpunkt für eine irdische Verortung und historische Rückfragen. Erscheinungen des Auferstandenen in den anderen kanonische Evangelien halten zwar fest, dass die Begegnung eine mit einer himmlischen Wirklichkeit ist – und legen die Auferweckung trotzdem räumlich, zeitlich und auch in ihrer Art (z. B. leiblich) ganz irdisch fest. Das EvPetr kann in seiner extremeren Fassung den Blick auch für die anderen Evangelien schärfen und vielleicht darauf hinweisen, dass auch sie besser als Veranschaulichungen von Glaubensaussagen, nicht als historische Absicherungen zu verstehen sind. Nach der Lektüre des EvPetr kann zudem eine knappe Feststellung der Auferweckung wie in 1Kor 15,4 oder durch den Engel verkündigt in Mk 16,6 an Wert gewinnen: Das Ereignis Auferweckung lässt sich nicht genauer fassen.
Judith Hartenstein Literatur zum Weiterlesen P. Foster, The Gospel of Peter. Introduction, Critical Edition and Commentary, Texts and Editions for New Testament Studies 4, Leiden et al. 2010. H.-J. Klauck, Apokryphe Evangelien. Eine Einführung, Stuttgart 22005 (zum EvPetr 110-118). J. Verheyden, Some Reflections on Determining the Purpose of the »Gospel of Peter«, in: T. J. Kraus/T. Nicklas (Hg.), Das Evangelium nach Petrus. Text, Kontexte, Intertexte, TU 158, Berlin/New York 2007, 281-299.
903
Vollständige Liste der Wundererzählungen nach Quellenbereichen Wunder in der Logienquelle Nr.
Q-Faden
Titel
Parallelstellen
1
7,1-3.6b-9
Heilung per Befehl (Der Hauptmann von Kafarnaum)
Mt 8,5-13; Lk 7,1-10; Joh 4,46-54
7,22
Summarium
10,13-15 11,14 f.1722.24-26
Summarium Der umstrittene Exorzist Mk 3,20 f.22-30; (Jesu Macht über die bösen Geister) Mt 12,22-30; Lk 11,14-23
2
davon kommentiert im Kompendium Q 7,1-3.6b-9; Mt 8,5-13; Lk 7,1-10; Joh 4,46-54 Hinführung Q Hinführung Lukas Hinführung Q Q 11,11,14 f.17-22. 24-26 Lk 11,14-23
Wunder im Markusevangelium Nr.
Mk-Faden
Titel
Parallelstellen
1
1,21-28
Lk 4,33-36
2
1,29-31
3
1,32-34.39 1,40-45
Mächtig in Wort und Tat (Exorzismus in Kafarnaum) Fieberfrei auf dem Weg Jesu (Die Heilung der Schwiegermutter des Petrus) Summarium Nicht nur rein, auch gesund (Heilung eines Aussätzigen)
4
2,1-12
5
3,1-6
3,7-12 3,20 f.22-30
Die Heilung eines Gelähmten und vieler Erstarrter (Die Heilung eines Gelähmten in Kafarnaum) Feiertagsarbeit? (Der Kranke mit der ›verdorrten Hand‹)
Mt 8,14 f.; Lk 4,38 f.
Mt 8,1-4; Lk 5,12-16; P.Egerton 2, Frgm. 1; P.Köln 255 Mt 9,1-8; Lk 5,17-26; Joh 5,1-18; EvNik 6 Mt 12,9-14; Lk 6,6-11; EvNaz 4; EpAp 5,3
Summarium Der umstrittene Exorzist Q 11,14 f.17-22. (Jesu Macht über die bösen Geister) 24-26; Lk 11,14-23
davon kommentiert im Kompendium Mk 1,21-28; Lk 4,33-36 Mk 1,29-31; Lk 4,38 f. Hinführung Mk Mk 1,40-45; P.Egerton 2, Frgm. 1
Mk 2,1-12; Lk 5,17-26; Joh 5,1-18 Mk 3,1-6; Mt 12,9-14; EvNaz 4 Hinführung Mk Hinführung Mk; Q 11,14 f.17-22. 24-26; Lk 11,14-23
905
Vollständige Liste der Wundererzählungen nach Quellenbereichen Nr.
Mk-Faden
Titel
Parallelstellen
6
4,35-41
7
5,1-20
8
5,21-43
Glaube in Seenot (Die Stillung des Sturms) Wessen Medium willst du sein? (Die Heilung des Besessenen von Gerasa) Glauben lässt Jesu Wunderkraft heilsam überfließen (Die Tochter des Jaïrus und die blutflüssige Frau) Ablehnung Jesu in seiner Heimat Summarium Brot und Fisch bis zum Abwinken (Die Speisung der Fünftausend)
Mt 8,23-27; Lk 8,22-25 Mt 8,28-34; Lk 8,26-39; EpAp 5,9 f. Mt 9,18-26; Lk 8,40-56; EvNik 7; EpAp 5,4-7
9
10
6,1-6 6,5.13 6,30-44
11
6,45-53
Vom Winde verweht (Jesu Erscheinen auf dem See)
12
6,53-56 7,24-30
13
7,31-37
14
8,1-10
15
8,10-12 8,22-26
16
9,14-29
Summarium Es ist genug für alle da! (Die Heilung der Tochter der Syrophönizierin) Mit allen Sinnen leben! (Die Heilung eines Taubstummen) Der Mensch lebt nicht vom Brot allein, es darf noch Fisch dazwischen sein (Die Speisung der Viertausend) Summarium (Zeichenforderung) Sehen und Verstehen (Die zweiphasige Heilung des namenlosen Blinden) Vermögen und Vertrauen, Dämonie und Exorzismus (Die Erzählung vom besessenen Jungen) Der fremde Wundertäter
9,38-40 17
10,46-52
18
906
Mt 14,13-21; Lk 9,10-17; Joh 6,1-15; ActJoh 93 Mt 14,22-33; Joh 6,16-25; EpAp 5,11 Mt 15,21-28
davon kommentiert im Kompendium Mk 4,35-41; Mt 8,23-27 Mk 5,1-20; Mt 8,28-34 Mk 5,21-43; Mt 9,18-26; Lk 8,40-56 Hinführung Mk Hinführung Mk Mk 6,30-44; Mt 14,13-21; Lk 9,10-17; Joh 6,1-15 Mk 6,45-53; Mt 14,22-33; Joh 6,16-25 Hinführung Mk Mk 7,24-30; Mt 15,21-28
vgl. Mt 15,29-31
Mk 7,31-37
Mt 15,32-39
Mk 8,1-10
–
Hinführung Mk Mk 8,22-26
Mt 17,14-20(21); Lk 9,37-43a
Mk 9,14-29; Mt 17,14-20(21)
Lk 9,49 f.
Hinführung Mk Hinführung Lk Mk 10,46-52; Mt 20,29-34; Joh 9,1-41
11,12-14. 20-25
Bedingungslose Nachfolge heilt Blindheit (Die Heilung des blinden Bartimäus bei Jericho) Jesu Hunger nach Erfüllung der Zeit (Die Verfluchung des Feigenbaums)
Mt 20,29-34; Lk 18,35-43; Joh 9,1-41; EvNik 6 Mt 21,18-22
15,29-32
Verspottung Jesu
Lk 22,35
Mk 11,12-14.20-25; Mt 21,18-22 Hinführung Mk
Vollständige Liste der Wundererzählungen nach Quellenbereichen
Wunder im Matthäusevangelium Nr. Mt-Faden
Titel
Parallelstellen
4,23-25
Summarium
1
8,1-4
Nicht nur rein, auch gesund (Heilung eines Aussätzigen)
2
8,5-13
Glaube und Fernheilung (Der Hauptmann von Kafarnaum)
Mk 3,10-11; Lk 6,17b-19 Mk 1,40-45; Lk 5,12-16; P.Egerton 2, Frgm. 1; P.Köln 255 Q 7,1-10; Lk 7,1-10; Joh 4,46-54
3
8,14 f.
Heilung der Schwiegermutter des Petrus Summarium
4 5
6
7 8 9 10
11
12
Mk 1,29-31; Lk 4,38 f. 8,16 f. Mk 1,32-34; Lk 4,38-42 8,23-27 Schiffbruch im Kleinglauben Mk 4,35-41; (Die Stillung des Sturms) Lk 8,22-25 8,28-34 Böses flieht Mk 5,1-20; (Die Heilung der Besessenen von Lk 8,26-39 Gadara) EpAp 5,9 f. 9,1-8 Die Heilung eines Gelähmten und vieler Mk 2,1-12; Erstarrter Lk 5,17-26; (Die Heilung eines Gelämten) Joh 5,1-18 EvNik 6 9,18-26 Auch Frauen sind Wunder wert Mk 5,21-43; (Die Heilung der blutflüssigen Frau und Lk 8,40-56; Auferweckung der Tochter eines Synago- EpAp 5,4-7; genvorstehers) EvNik 7 9,27-34 Begegnungen mit dem Davidssohn oder vgl. Mk 10,46-52; 3,22 vgl. Q 11,14-26; vgl. 20,29-34; Vertrauen macht sehend Lk 18,35-43; 11,14 f. 12,22-24 (Die Heilung zweier Blinder und eines Stummen) 9,35 Summarium Mk 6,6b; Lk 8,1 10,1.8 Sendung der Jünger Mk 6,7; Lk 9,1 f. 11,5 Antwort auf die Täuferfrage Lk 7,22 11,20-24 Weherede über Städte in Galiläa Lk 10,13-15 12,9-14 Schau den Menschen an! Mk 3,1-6; (Der Kranke mit der ›verdorrten Hand‹) Lk 6,6-11; EvNaz 4 EpAp 5,3 12,15-21 Summarium Mk 3,7-12; Lk 6,17-19 12,22-30 Der umstrittene Exorzist Q 11,14 f.17-22. vgl. 9,32-34 (Jesu Macht über die bösen Geister) 24-26; Lk 11,14-23; vgl. Mk 3,22-30
davon kommentiert im Kompendium Hinführung Mt Mk 1,40-45; P.Egerton 2, Frgm. 1
Q 7,1-10; Mt 8,5-13; Lk 7,1-10; Joh 4,46-54 Mk 1,29-31; Lk 4,38 f. Lk 4,38 f. Mk 4,35-41; Mt 8,23-27 Mk 5,1-20; Mt 8,28-34 Mk 2,1-12; Lk 5,17-26; Joh 5,1-18 Mk 5,21-43; Mt 9,18-26; Lk 8,40-56 Mt 9,27-34
Hinführung Mt Hinführung Mt Hinführung Mt Hinführung Mt Mk 3,1-6; Mt 12,9-14; EvNaz 4 Hinführung Mt Q 11,1 f.17-22. 24-26; Lk 11,14-23; Hinführung Mk
907
Vollständige Liste der Wundererzählungen nach Quellenbereichen Nr. Mt-Faden 12,38-42 12,43-45
13,16 f. 13,53-58 14,1f. 13
14,13-21
14
14,14 14,22-33
15
14,34-36 15,21-28
16
15,29-31 15,32-39
17 18
19
16,1-4 16,5-12 17,1420(21) 17,24-27 19,1f. 20,29-34 vgl. 9,27-31
21,14 20
21,18-22
21,23-27 27,38-44
908
Titel
Parallelstellen
Zeichenforderung (Jona-Zeichen)
Lk 11,16.29-32 vgl. Joh 6,30 Gleichnis von der Rückkehr des unreinen Lk 11,14-23 Geistes Seligpreisung der Jünger, die Augen- und Lk 10,23f. Ohrenzeugen sind Jesus in seiner Vaterstadt Mk 6,1-6a Lk 4,16.22.24 Urteil des Herodes über Jesus Mk 6,14-16 Lk 9,7-9 Jesus sättigt ganz Israel Mk 6,30-44; (Die Speisung der Fünftausend) Lk 9,10-17; Joh 6,1-15; EpAp 5,14 f. Summarium Lk 9,11 Jenseits der Komfortzone Mk 6,45-52; (Jesu Erscheinen auf dem See) Joh 6,16-25; EpAp 5,11 Summarium Mk 6,53-56 Das Heil an den Rändern Israels Mk 7,24-30 (Die kanaanäische Frau) Summarium Mk 7,31-37 Der Mensch lebt nicht vom Brot allein, es Mk 8,1-10 darf noch Fisch dazwischen sein (Die Speisung der Viertausend) Zeichenforderung Mk 8,11-13 Unverständige Jünger Mk 8,14-21 Warum nicht gleich so? Mk 9,14-29 (Heilung eines mondsüchtigen Jungen) Lk 9,37-43a Steuersünder mit Angellizenz EpAp 5,12 f. (Die Zahlung der Tempelsteuer) Summarium Mk 10,1 Erhellende Begegnung Mk 10,46-52; (Die Heilung von zwei Blinden bei Lk 18,35-43; Jericho) Joh 9,1-41; EvNik 6 Summarium vgl. Mk 11,15-19; vgl. Lk 19,45-48 Der verdorrte Feigenbaum und das Bitt- Mk 11,12-14.20-25 gebet (Die Verfluchung eines Feigenbaums) Vollmachtsfrage Mk 11,27-33; Lk 20,1-8 Verspottung Jesu Mk 15,29-32; Lk 22,35-43
davon kommentiert im Kompendium Hinführung Mt Q 11,14 f.17-22. 24-26 Lk 11,14-23 Hinführung Mt Hinführung Mt Hinführung Lk Hinführung Mt Mk 6,30-44; Mt 14,13-21; Lk 9,10-17; Joh 6,1-15 Hinführung Mt Mk 6,45-52; Mt 14,22-33; Joh 6,16-25 Hinführung Mt Mk 7,24-30; Mt 15,21-28 Mk 7,31-37 Mk 8,1-10
Hinführung Mt Hinführung Mt Mk 9,14-29; Mt 17,14-20(21) Mt 17,24-27 Hinführung Mt Mk 10,46-52; Mt 20,29-34; Joh 9,1-41 Hinführung Mt Mk 11,12-14.20-25; Mt 21,18-22 Hinführung Mt Hinführung Mt
Vollständige Liste der Wundererzählungen nach Quellenbereichen
Wunder im Lukasevangelium Nr.
Lk-Faden
Titel
Lk 4,18-21
Jesaja-Weissagung (Antrittspredigt in Nazaret) Arzt-Parabel Gewaltige Befreiung vor einem Synagogenpublikum (Exorzismus in Kafarnaum) Heilende Macht daheim (Die Heilung der Schwiegermutter des Simon Petrus) Summarium
1
4,23 4,33-36
2
4,38f.
4,40 f.
3
5,1-11
4
5,12-16
5
5,15 5,17-26
Summarium Hindernisse überwinden (Die Heilung eines Gelähmten)
6
5,31 6,6-11
Summarium Feiertagsarbeit? (Der Kranke mit der ›verdorrten Hand‹)
7
6,17-19 7,1-10
Summarium Fern – schnell – gut (Der Hauptmann von Kafarnaum)
8
7,11-17
9
7,21 f. 8,2 8,22-25
10
8,26-39
11
8,40-56
Auferstanden in Naïn (Auferweckung des Sohnes einer Witwe aus Naïn) Summarium (zur Täuferanfrage) Summarium (zu Jüngerinnen) Glaube in Seenot (Stillung des Seesturms) Wessen Medium willst du sein? (Die Heilung des Besessenen von Gerasa) Im Stress Wunder wirken (Die Heilung der blutenden Frau und die Auferweckung der Tochter des Jaïrus)
12
Einmal Fischer, immer Fischer? (Der wunderbare Fischfang) Nicht nur rein, auch gesund (Heilung eines Aussätzigen)
Parallelstellen
davon kommentiert im Kompendium Hinführung Lk
Mk 1,21-28
Hinführung Lk Mk 1,21-28; Lk 4,33-36
Mk 1,29-31; Mt 8,14-17
Mk 1,29-31; Lk 4,38 f.
P.Egerton 2, Frgm. 1 Hinführung Lk; P.Egerton 2, Frgm. 1 Joh 21,1-14 Lk 5,1-11; Joh 21,1-14 Mk 1,40-45; Mk 1,40-45; Mt 8,1-4; P.Egerton 2, P.Egerton 2, Frgm. 1 Frgm. 1 Hinführung Lk Mk 2,1-12; Mk 2,1-12; Mt 9,1-8; Lk 5,17-26; Joh 5,1-18; Joh 5,1-18 EvNik 6 Hinführung Lk Mk 3,1-6; Mk 3,1-6; Mt 12,9-14; Mt 12,9-14; EvNaz 4; EvNaz 4 EpAp 5,3 Hinführung Lk Q 7,1-10; Q 7,1-10; Mt 8,5-13; Mt 8,5-13; vgl. Joh 4,46-54 Lk 7,1-10 Lk 7,11-17
Mk 4,35-41; Mt 8,23-27 Mk 5,1-20; Mt 8,28-34; EpAp 5,9f. Mk 5,21-43; Mt 9,18-26; EvNik 7; EpAp 5,4-7
Hinführung Lk Hinführung Lk Mk 4,35-41; Mt 8,23-27 Mk 5,1-20; Mt 8,28-34 Mk 5,21-43; Mt 9,18-26; Lk 8,40-56
909
Vollständige Liste der Wundererzählungen nach Quellenbereichen Nr.
Lk-Faden
Titel
9,1.6
Heilungsauftrag der Jünger (V. 1) und Bestätigung (V. 6) im Rahmen der Aussendung der Zwölf Die ignoranten Wundertäter (Speisung der Fünftausend)
13
9,10b-17
14
9,37-43(a)
10,9 10,13 15
16
11,14-23
11,16.29-32
Zeichenforderung (Jona-Zeichen)
13,10-17
Umgekehrter Hexenschuss: Keine Heilung ohne Kontext (Heilung einer gekrümmten Frau am Sabbat) Summarium (Dämonen und Heilungen) Der unstillbare Durst nach Heilung (Die Heilung eines Wassersüchtigen am Sabbat) Wandel auf dem Weg des Heils (Die zehn Aussätzigen) Bedingungslose Nachfolge heilt Blindheit (Die Heilung des blinden Bartimäus bei Jericho)
13,32 17
14,1-6
18
17,11-19
19
18,35-43
19,37 20
910
Vermögen und Vertrauen, Dämonie und Exorzismus (Heilung eines redelosen Jungen) Heilungsauftrag bei der Aussendung der Siebzig Wehe über den Unglauben in Chorazin trotz der Wundertaten Feindliche Übernahme (Jesu Macht über die bösen Geister)
22,50 f.
Jubel beim Einzug in Jerusalem zu den Wundertaten Ein Schwertstreich für Jesus (Die Heilung des Ohrs des hohepriesterlichen Dieners)
Parallelstellen
davon kommentiert im Kompendium Hinführung Lk
Mk 6,30-44; Mt 14,13-21; Joh 6,1-15
Mk 6,30-44; Mt 14,13-21; Lk 9,10b-17; Joh 6,1-15 Mk 9,14-29; Mt 17,1420(21) Hinführung Lk
Mk 9,14-29; Mt 17,14-20(21)
Hinführung Lk Q 11,14 f.17-22. 24-26; Mk 3,20 f.22-30; Mt 9,32-34; Mt 12,22-30 Mt 12,38-42 vgl. Joh 6,30
Q 11,14 f.17-22. 24-26; Lk 11,14-23
Hinführung Lk Lk 13,10-17
Hinführung Lk Mt 12,11
Lk 14,1-6
Lk 17,11-19 Mk 10,46-52; Mt 20,29-34; vgl. 9,27-31; Joh 9,1-41
Mk 10,46-52; Mt 20,29-34; Joh 9,1-41 Hinführung Lk Lk 22,50 f.
Vollständige Liste der Wundererzählungen nach Quellenbereichen
Wunder im Johannesevangelium Nr.
Joh-Faden
Titel
Parallelstellen
1
2,1-11
Wein im Überfluss (Die Hochzeit zu Kana) Summarium (in Jerusalem) Summarium (im Gespräch mit Nikodemus) Vollkommener Glaube heilt vollkommen (Die Heilung des Sohnes des königlichen Beamten) »Steh auf!« – Erweckung zum Leben hier und jetzt (Die Heilung eines Gelähmten) Mehr als ein Prophet und ein Brotkönig (Die Speisung der Fünftausend)
–
2,23 3,2
Hinführung Joh Hinführung Joh
2
4,46-54
3
5,1-18
4
6,1-15
5
6,16-25
Überraschende Wege auf dem See (Der Seewandel Jesu)
6,30
Zeichenforderung
6
7,31 9,1-41
7
10,41 11,1-12,11
Summarium (Christuszeichen) Sehen oder Nicht-Sehen? vgl. Mk 10,46-52; 8,2 (Die Heilung des blind Geborenen) Kein Zeichen von Johannes d. T. Vorbild im Sterben und Leben vgl. Lk 10,38-42; 16,19 (Die Auferweckung des Lazarus) Summarium (Hohepriester) Rückblick auf Auferweckung des Lazarus Unglaube trotz Zeichen Summarium (Rückblick und andere Zeichen) Beim Mahl am Kohlenfeuer trifft Lk 5,1-11 man sich wieder (Die Offenbarung beim wunderbaren Fischfang)
11,47 12,18 12,37 20,30 8
21,1-14
davon kommentiert im Kompendium Joh 2,1-11
Q 7,1-10; Mt 8,5-13; Lk 7,1-10 Mk 2,1-12; Mt 9,1-8; Lk 5,17-26 Mk 6,30-44; Mt 14,13-21; Lk 9,10-17 Mk 6,45-52; Mt 14,22-33; EpAp 5,11 vgl. Mt 12,38-42; Lk 11,16.29-32
Q 7,1-10; Mt 8,5-13; Lk 7,1-10; Joh 4,46-54 Mk 2,1-12; Lk 5,17-26; Joh 5,1-18 Mk 6,30-44; Mt 14,13-21; Lk 9,10-17; Joh 6,1-15 Mk 6,45-52; Mt 14,22-33; Joh 6,16-25 Hinführung Joh Hinführung Joh Joh 9,1-41 Hinführung Joh Joh 11,1-12,11 Hinführung Joh Hinführung Joh Hinführung Joh Hinführung Joh Lk 5,1-11; Joh 21,1-14
911
Vollständige Liste der Wundererzählungen nach Quellenbereichen
Wunder in den apokryphen Evangelien Nr.
ApokEvvFaden
Titel
Wunder im Protevangelium des Jakobus (Protev) 1 Protev 18-20 »Schmücke dich, Höhle, denn die Jungfrau kommt, um zu gebären« (Wunderbare Geburt) Wunder im Pseudomatthäusevangelium (PsMt) 1 PsMt 13,2-5 Wunderbare Geburt / Heilung der Hebamme
2 3
PsMt 18f. PsMt 20 f.
Jesus zähmt Drachen und wilde Tiere Die kooperative Palme (Die Palme, die sich neigt) 4 PsMt 22,1 Verkürzung der Reise 5 PsMt 22-24 Interreligiöser Konsens (Götterbilder stürzen) Wunder im arabischen Kindheitsevangelium (arabK) 1 arabK 3 Wunderbare Geburt / Heilung
Parallelstellen
davon kommentiert im Kompendium
AscJes 10; latK 69-75; arabK 3; PsMt 13
Protev 18-20
Protev 18-20; AscJes 9; latK 69-75; arabK 3
Protev 18-20
Koran Sure 19,2325
PsMt 20 f.
arabK 10; 23
PsMt 22-24
Protev 18-20; AscJes 9; latK 69-75; PsMt 13,2-5
Protev 18-20
PsMt 22-24; arabK 23
PsMt 22-24
2 3
arabK 8 arabK 10
Unzerstörbare Windel Götterbilder stürzen
4
arabK 11 f.
5 6 7
arabK 15 arabK 16 arabK 17
8
arabK 18
9 10
arabK 19 arabK 20-22
11
arabK 23
12 13 14 15
arabK 25 arabK 27 arabK 28 arabK 29 arabK 30
Ein mächtiges Kopftuch (Die wunderwirkende Windel Jesu) Die stumme Braut Eine vom Satan besessene Frau Badewasser Jesu heilt aussätziges Mädchen Badewasser Jesu heilt aussätzigen Jungen Heilung eines Impotenten Der in ein Maultier verwandelte junge Mann Götterbilder stürzen arabK 10; PsMt 22-24 Summarium Badewasser Jesu heilt kranken Jungen Badewasser Jesu heilt blinden Jungen Zwei Söhne von zwei Frauen Heilung eines Zwillings (Bartholomäus)
912
arabK 11 f.
PsMt 22-24
Vollständige Liste der Wundererzählungen nach Quellenbereichen Nr.
ApokEvvFaden
Titel
16 17 18 19 20
arabK 31 arabK 32 arabK 33f. arabK 35 arabK 36
Aussätzige Frau Weitere aussätzige Frau Besessenes Mädchen Besessener Judas Vögel aus Lehm
21 22 23 24
arabK 37 arabK 38f. arabK 40 arabK 42
25
arabK 43
26 27 28
arabK 44 arabK 45 arabK 46
Wunderbares Färben von Kleidern Die Streckung des Bretts Kinder als Zicklein Heilung des Simon (Zelotes) von einem Schlangenbiss Heilung des Jakobus von einem Schlangenbiss Der vom Dach gestürzte Junge Wasser im Gewand Erschaffung der Spatzen
Parallelstellen
davon kommentiert im Kompendium
KThom 2; arabK 46
KThom 2
KThom 13
KThom 13
KThom 16
KThom 9 KThom 11 KThom 2; arabK 36 29 arabK 46 f. Der verdorrte Junge KThom 3 30 arabK 47 Der Jesus anstoßende Junge stirbt KThom 4 31 arabK 49 Der Knabe Jesus kennt die Buchstaben KThom 14 Wunder in der Kindheitserzählung des Thomas (KThom) 1 KThom 2 Spielender Schöpfer arabK 36; 46; (Erschaffung der Spatzen) Koran Sure 3,49 2 KThom 3 Anhaltende Trockenheit arabK 46 f. (Die Verfluchung des Sohnes des Annas) 3 KThom 4 Der Jesus anstoßende Junge stirbt arabK 47 4 KThom 5 Eltern, die Jesus anklagen, erblinden 5 KThom 9 Erweckung eines verunglückten Spiel- arabK 44 kameraden (Junge auf dem Dach) 6 KThom 10 Heilung des Holzhackers 7 KThom 11 Wasser im Gewand arabK 45 8 KThom 12 Heimlicher Wohltäter (Die wunderbare Vermehrung der Saat) 9 KThom 13 Nichts ist unmöglich – mit Jesus arabK 38f. (Die Streckung des Bretts) 10 KThom 14 Ein aufmüpfiger Schüler arabK 49 (Der Knabe Jesus kennt die Buchstaben) 11 KThom 16 Heilung des Jakobus von einem arabK 43 Schlangenbiss 12 KThom 17 Auferweckung eines Kindes
KThom 9 KThom 2 KThom 3 KThom 3 KThom 14 KThom 2 KThom 3
KThom 9
KThom 12
KThom 13 KThom 14
913
Vollständige Liste der Wundererzählungen nach Quellenbereichen Nr.
ApokEvvFaden
Titel
13 KThom 18 Auferweckung eines Bauarbeiters Wunder im Papyrus Egerton 2 (P.Egerton 2) 1 P.Egerton 2 »Werde rein … und sündige nicht Frgm. 1 mehr!« (P.Köln 255) (Heilung eines Aussätzigen) P.Egerton 2 Jesus sät in den Jordan Frgm. 2 (sehr fragmentarisch) Wunder im Nazaräerevangelium (EvNaz) 1 EvNaz 4; Hilfe zur Selbstständigkeit Hier. comm. (Der Kranke mit der ›verdorrten in Matt. zu Mt Hand‹ als Maurer) 12,13 Wunder in den Epistolae Apostolorum (EpAp) 1 EpAp 5,1f. Weinwunder zu Kana 2 EpAp 5,3 Der Kranke mit der ›verdorrten Hand‹
Parallelstellen
davon kommentiert im Kompendium
Mk 1,40-45; Mt 8,1-4; Lk 5,12-16
Mk 1,40-45; Lk 5,12-16; P.Egerton 2 Frgm. 1
Mk 3,1-6; Mt 12,9-14; Lk 6,6-11; EpAp 5,3
Mk 3,1-6; Mt 12,9-14; Lk 6,6-11; EvNaz 4
Joh 2,1-11 Mk 3,1-6; Mt 12,9-14; Lk 6,6-11; EvNaz 4 Mk 5,21-43; Mt 9,18-26; Lk 8,40-56; EvNik 7
Joh 2,1-11 Mk 3,1-6; Mt 12,9-14; EvNaz 4
Mk 5,1-20; Mt 8,28-34; Lk 8,26-39 Mk 6,45-52; Mt 14,22-33; Joh 6,16-25 Mt 17,24-27 Mk 6,30-44; Mt 14,13-21; Lk 9,10-17; Joh 6,1-15
Mk 5,1-20; Mt 8,28-34
2
3
EpAp 5,4-7
Heilung der blutflüssigen Frau
4
EpAp 5,8 EpAp 5,9f.
Summarium Heilung des Besessenen (von Gerasa)
5
EpAp 5,11
Jesu Erscheinen auf dem See
6 7
EpAp 5,12f. EpAp 5,14f.
Die Zahlung der Tempelsteuer Speisung der Fünftausend
Wunder im geheimen Markusevangelium (gehMk) 1 gehMk Frgm. Auferweckung zur Taufe 1 (Auferweckung eines Jünglings) Wunder im Nikodemusevangelium (EvNik) 1 EvNik 1,5f. Der Kaiser erweist Jesus die Ehre (Sich neigende Standarten) 2 EvNik 6 Die Heilung eines Gelähmten
914
(Joh 11,1-12,11)
Mk 5,21-43; Mt 9,18-26; Lk 8,40-56
Mk 6,45-52; Mt 14,22-33; Joh 6,16-25 Mt 17,24-27 Mk 6,30-44; Mt 14,13-21; Lk 9,10-17; Joh 6,1-15 gehMk Frgm. 1; (Joh 11,1-12,11) EvNik 1,5f.
Mk 2,1-12; Mt 9,1-8; Lk 5,17-26; Joh 5,1-18
Mk 2,1-12; Lk 5,17-26; Joh 5,1-18
Vollständige Liste der Wundererzählungen nach Quellenbereichen Nr.
ApokEvvFaden
Titel
Parallelstellen
3
EvNik 6
Die Heilung eines Blinden
Mk 10,46-52; Mt 20,29-34; Lk 18,35-43 Joh 9,1-41
Summarium (Kurzzusammenfassung von zwei weiteren Wundern) 4 EvNik 7 Die Heilung der blutenden Frau Mk 5,21-43; Mt 9,18-26; Lk 8,40-56; EpAp 5,4-7 Wunder im Petrusevangelium 1 EvPetr Wunderbare Befreiung aus dem Grab Mt 28,2-4; 9,35-11,45 (Graböffnung und Auferstehung) (AscJes 3,16 f.)
davon kommentiert im Kompendium Mk 10,46-52; Mt 20,29-34; Lk 18,35-43 Joh 9,1-41
EvNik 6
Mk 5,21-43; Mt 9,18-26; Lk 8,40-56
EvPetr 9,35-11,45
915
Die Autorinnen und Autoren Stefan Alkier, Prof. Dr., geb. 1961, Professor für Neues Testament und Alte Kirche an der Johann-Wolfgang-Goethe-Universität Frankfurt am Main. Michael Becker, PD Dr., geb. 1958, wissenschaftlicher Mitarbeiter an der EvangelischTheologischen Fakultät der Ludwig-Maximilians-Universität München. Reinhard von Bendemann, Prof. Dr., geb. 1961, Professor für Neues Testament und Judentumskunde, Evangelisch-Theologische Fakultät der Ruhr-Universität Bochum. Matthias Berghorn, geb. 1982, wissenschaftlicher Mitarbeiter für Biblische Theologie am Fachbereich A – Katholische Theologie, Bergische Universität Wuppertal. Christfried Böttrich, Prof. Dr., geb. 1959, Professor für Neues Testament an der Ernst-Moritz-Arndt-Universität Greifswald. Nicole Chibici-Revneanu, Dr., geb. 1975, Pastorin in der Kirchengemeinde Groß Bisdorf (Pommerscher Evangelischer Kirchenkreis). Carsten Claußen, Dr., geb. 1966, Lehrbeauftragter für Neues Testament und Alte Kirche an der Johann-Wolfgang-Goethe-Universität Frankfurt am Main. Detlev Dormeyer, Prof. (em.) Dr., geb. 1942, lehrte als Professor für Katholische Theologie Neues Testament an den Universitäten Münster und Dortmund. Kristina Dronsch, Dr., geb. 1971, Wissenschaftliche Mitarbeiterin am Fachbereich Neues Testament der evangelisch-theologischen Fakultät der Johann-Wolfgang-Goethe Universität Frankfurt am Main und Projektkoordinatorin »Frauen und Reformationsdekade«. David du Toit, Prof. Dr., geb. 1961, Professor für Neues Testament an der EvangelischTheologischen Fakultät der Ludwig-Maximilians-Universität München. Christian Eberhart, Prof. Dr., geb. 1964, Professor für Neues Testament am Lutheran Theological Seminary Saskatoon, University of Saskatchewan. Martin Ebner, Prof. Dr., geb. 1959, Professor für die Exegese des Neuen Testaments an der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn. Kurt Erlemann, Prof. Dr., geb. 1958, Professor für Neues Testament und Alte Kirche am Fachbereich Evangelische Theologie, Bergische Universität Wuppertal. Laila Fascia, Prof. Dr., geb. 2012, hinter dem Pseudonym verbirgt sich ein Autor(innen)kollektiv aus Judith Hartenstein, Susanne Luther und Ruben Zimmermann. Dorit Felsch, Dr., geb. 1979, Vikarin in Wuppertal. Jörg Frey, Prof. Dr., geb. 1962, Professor für Neues Testament mit Schwerpunkten Antikes Judentum und Hermeneutik, Theologische Fakultät der Universität Zürich. Georg Gäbel, Dr., geb. 1969, wissenschaftlicher Mitarbeiter der Arbeitsstelle »Novum Testamentum Graecum – Editio Critica Maior«, Evangelisch-Theologische Fakultät, 917
Die Autorinnen und Autoren
Institut für neutestamentliche Textforschung, Westfälische Wilhelms-Universität Münster. Christine Gerber, Prof. Dr., geb. 1963, Professorin für Neues Testament am Fachbereich Evangelische Theologie der Fakultät für Geisteswissenschaften der Universität Hamburg. Wolf-Jürgen Grabner, Dr., geb. 1961, Dozent und Pfarrer am Evangelischen Predigerseminar Wittenberg. Hans-Georg Gradl, Dr., geb. 1973, Dozent und Verwalter des Lehrstuhls für Exegese des Neuen Testaments an der Theologischen Fakultät der Universität Trier. Judith Hartenstein, PD Dr., geb. 1964, Lehrkraft für besondere Aufgaben (Neues Testament) am Institut für Evangelische Theologie der Universität Koblenz-Landau, Campus Koblenz, Privatdozentin für Neues Testament an der Philipps-Universität Marburg. Mathis Christian Holzbach, Dr., geb. 1971, Lehrbeauftragter an der Justus-LiebigUniversität Gießen. Sandra Hübenthal, Dr., geb. 1975, Wissenschaftliche Angestellte am Lehrstuhl für Neues Testament, Katholisch-Theologische Fakultät der Eberhard-Karls-Universität Tübingen. Martin Hüneburg, Dr., geb. 1959, wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Neutestamentliche Wissenschaft, Theologische Fakultät der Universität Leipzig. Werner Kahl, Prof. Dr., geb. 1962, apl. Professor für Neues Testament und Alte Kirche an der Johann-Wolfgang-Goethe-Universität Frankfurt am Main. Hanna Kasparick, Dr., geb. 1954, Direktorin und Pfarrerin am Evangelischen Predigerseminar Wittenberg. Paul-Gerhard Klumbies, Prof. Dr., geb. 1957, Professor für Biblische Wissenschaften/ Neues Testament am Institut für Evangelische Theologie der Universität Kassel. Bernd Kollmann, Prof. Dr., geb. 1959, Professor für Neues Testament in der Philosophischen Fakultät (Seminar für Evangelische Theologie) der Universität Siegen. Beate Kowalski, Prof. Dr., geb. 1965, Professorin für Exegese und Theologie des Neuen Testaments am Institut für Katholische Theologie, Technische Universität Dortmund. Michael Labahn, PD Dr., geb. 1964, Privatdozent für Neues Testament am Institut für Bibelwissenschaften, Theologische Fakultät der Martin-Luther-Universität HalleWittenberg; Pfarrer in Güntersberge und Siptenfelde/Silberhütte; Externer Research Collaborator, Theologische Fakultät der North-West University (PotchefstroomCampus), Südafrika. Markus Lau, Dipl.-Theol., geb. 1977, wissenschaftlicher Mitarbeiter am Departement für Biblische Studien, Neues Testament an der Universität Fribourg.
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Die Autorinnen und Autoren
Jutta Leonhardt-Balzer, Dr., geb. 1971, Lecturer für Neues Testament an der School of Divinity, History and Philosophy, King’s College der Universität von Aberdeen. Elritia Le Roux, geb. 1982, Doktorandin an der Evangelisch-Theologischen Fakultät, Seminar für Neues Testament, Johannes Gutenberg-Universität Mainz. Martin Leutzsch, Prof. Dr., geb. 1959, Professor für Biblische Theologie und Exegese an der Fakultät für Kulturwissenschaften der Universität Paderborn. Susanne Luther, Dr., geb. 1979, wissenschaftliche Mitarbeiterin an der EvangelischTheologischen Fakultät, Seminar für Neues Testament, Johannes Gutenberg-Universität Mainz. Dominik Mahr, M.A., geb. 1978, Doktorand an der Bielefeld Graduate School in History and Sociology, Universität Bielefeld. Annette Merz, Prof. Dr., geb. 1965, Professorin für Neues Testament an der Fakultät für Geisteswissenschaften, Department of Theology an der Universität Utrecht. Ulrike Metternich, Dr., geb. 1957, freiberufliche Wissenschaftlerin. Gabriele Metzner, Dr., geb. 1964, Dozentin und Pfarrerin am Evangelischen Predigerseminar Wittenberg. Rainer Metzner, PD Dr., geb. 1964, Privatdozent für Neues Testament an der Theologischen Fakultät der Universität Leipzig. Peter Müller, Prof. Dr., geb. 1950, Professor am Institut für Philosophie und Theologie an der Pädagogischen Hochschule Karlsruhe. Christian Münch, Dr., geb. 1968, Akademischer Rat am Institut für Philosophie und Theologie, Abteilung Katholische Theologie/Religionspädagogik der Pädagogischen Hochschule Ludwigsburg. Tobias Nicklas, Prof. Dr., geb. 1967, Professor für Exegese und Hermeneutik des Neuen Testaments an der Fakultät für katholische Theologie, Universität Regensburg. Karl-Heinrich Ostmeyer, Prof. Dr., geb. 1967, apl. Professor für Neues Testament an der Philipps-Universität Marburg; Pfarrer in Fulda (Bronnzell-Eichenzell). Silke Petersen, Prof. Dr., geb. 1965, apl. Professorin für Neues Testament am Institut für Evangelische Theologie der Universität Hamburg. Uwe-Karsten Plisch, Dr., geb. 1965, Referent für Theologie, Hochschul- und Genderpolitik, Evangelische StudentInnengemeinde in der Bundesrepublik Deutschland. Enno Edzard Popkes, Prof. Dr., geb. 1969, Professor für Neues Testament, Theologische Fakultät der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel. Uta Poplutz, Prof. Dr., geb. 1971, Professorin für Biblische Theologie mit dem Schwerpunkt Neues Testament, Fachbereich A, Katholische Theologie, Bergische Universität Wuppertal.
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Die Autorinnen und Autoren
Thomas Popp, PD Dr., geb. 1966, Privatdozent für Neues Testament an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg und Pfarrer im Amt für Gemeindedienst in der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Bayern. Jörg Röder, geb. 1980, wissenschaftlicher Mitarbeiter, Evangelisch-Theologische Fakultät, Seminar für Neues Testament, Johannes Gutenberg-Universität Mainz / Doktorand am Institut romand des sciences bibliques der Universität Lausanne. Hanna Roose, Prof. Dr., geb. 1967, Professorin für Neues Testament und Religionspädagogik am Institut für Theologie und Religionspädagogik der Leuphana-Universität Lüneburg. Dieter Roth, Dr., geb. 1975, wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Evangelisch-Theologischen Fakultät, Seminar für Neues Testament, Johannes Gutenberg-Universität Mainz. Eckart David Schmidt, Dr., geb. 1969, wissenschaftlicher Mitarbeiter, EvangelischTheologische Fakultät, Seminar für Neues Testament, Johannes Gutenberg-Universität Mainz. Rainer Schwindt, Prof. Dr., geb. 1965, Professor für Exegese und Theologie des Neuen Testaments am Institut für Katholische Theologie des Fachbereichs 2: Philologie/ Kulturwissenschaften der Universität Koblenz-Landau, Campus Koblenz. Angela Standhartinger, Prof. Dr., geb. 1964, Professorin für Neues Testament am Fachbereich Evangelische Theologie der Philipps-Universität Marburg. Mira Stare, Dipl.-Ing., Dr., geb. 1965, Senior Scientist am Institut für Bibelwissenschaften und Historische Theologie, Katholisch-Theologische Fakultät, Leopold-Franzens-Universität Innsbruck; Pastoralassistentin in der Diözese Innsbruck. Dierk Starnitzke, Prof. Dr., geb. 1961, apl. Professor für Neues Testament und Diakoniewissenschaft an der Kirchlichen Hochschule Wuppertal/Bethel, Vorstandssprecher der Diakonischen Stiftung Wittekindshof. Christian Strecker, Prof. Dr., geb. 1960, Professor für Neues Testament an der Augustana – Theologische Hochschule der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Bayern, Neuendettelsau. Loren T. Stuckenbruck, Prof. Dr., geb. 1960, Professor für Neues Testament, Evangelisch-Theologische Fakultät der Ludwig-Maximilians-Universität München. Michael Theobald, Prof. Dr., geb. 1948, Professor für Neues Testament, KatholischTheologische Fakultät der Eberhard-Karls-Universität Tübingen. Nadine Ueberschaer, geb. 1979, wissenschaftliche Mitarbeiterin für Neues Testament, Theologisches Seminar der Universität Zürich. Jan G. van der Watt, Prof. Dr., geb. 1952, Professor für Neues Testament an der Fakultät der Theologie der Radboud Universität Nijmegen, Research Associate an der University of South Africa (UNISA).
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Die Autorinnen und Autoren
Robert Vorholt, PD Dr., geb. 1970, Privatdozent für Neues Testament, KatholischTheologische Fakultät der Ruhr-Universität Bochum. Annette Weissenrieder, Prof. Dr., geb. 1968, Associate Professor für Neues Testament am San Francisco Theological Seminary und am Graduate Theological Union in Berkeley, Mitglied des Doktorandenprogramms für Jewish Studies der University of Berkeley, California. Ruben Zimmermann, Prof. Dr., geb. 1968, Professor für Neues Testament, EvangelischTheologische Fakultät, Johannes Gutenberg-Universität Mainz, Research Associate an der University of Pretoria (UP).
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Gesamtliteraturverzeichnis Im Folgenden ist Literatur aufgelistet, die in den Kommentaren zu einzelnen Wundererzählungen verwendet wurde und dort abgekürzt in Klammern z. B. (Theißen 1998, 100) erscheint. Das Gesamtliteraturverzeichnis dient hierbei der Entlastung der einzelnen Artikel. Es soll nicht als umfassendes Literaturverzeichnis zum Thema »Wundererzählungen« missverstanden werden. Eine Auswahl maßgeblicher Monographien und Aufsätze hierzu ist im Anschluss an die Gesamteinleitung (Zimmermann, Frühchristliche Wundererzählungen – eine Hinführung in diesem Band) aufgelistet. Zentrale und weiterführende Beiträge zu einzelnen Wundererzählungen finden sich am Ende jedes einzelnen Beitrags (Literatur zum Weiterlesen). R. Aasgaard (2009), The childhood of Jesus. Decoding the apocryphal Infancy Gospel of Thomas. Eugene, OR: Cascade Books. P. J. Achtemeier (1975), The Lucan Perspective on the Miracles of Jesus. In: JBL 94, 547-562. P. J. Achtemeier (1980), »He taught them many things«. Reflections on Marcan Christology. In: CBQ 42, 465-481. P. J. Achtemeier (2008), Jesus and the miracle tradition. Eugene, OR: Cascade Books. G. Adam (2010), Art. Erzählen. In: G. Adam/R. Lachmann (Hg.), Methodisches Kompendium für den Religionsunterricht. Bd. 1: Basisband. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht, 137162. J. Ådna (2005) (Hg.), The formation of the early church. WUNT 183. Tübingen: Mohr Siebeck. J. Agricola (1525), In evangelium Lucae annotationes Ioannis Agricolae Islebii. Summa scripturarum fide tractatae. Augustae Vindelicorum: Ruff. H. Aichinger (1978), Zur Traditionsgeschichte der Epileptiker-Perikope Mk 9,14-29 par Mt 17,14-21 par Lk 9,37-43a. In: A. Fuchs (Hg.), Probleme der Forschung. SNTU.A 3. München: Herold, 114-143. K. Aland (1990), [Evangelia] Synopsis quattuor evangeliorum. Locis parallelis evangeliorum apocryphorum et patrum adhibitis. Stuttgart: Deutsche Bibelgesellschaft. M. von Albrecht (1963), Iamblichos. Pythagoras: Legende, Lehre, Lebensgestaltung griechisch und deutsch. Zürich: Wissenschaftliche Buchgesellschaft. W. M. Alexander (1980), Demonic possession in the New Testament. Its historical, medical, and theological aspects. Grand Rapids, MI: Baker Book House. S. Alkier (1996), Lazarus – Fact, Fiction, Friction. In: Loccumer Pelikan 4, 153-159. S. Alkier (1998), Jenseits von Entmythologisierung und Rehistorisierung – Skizzen zu einer Semiotik des Wunderbaren. In: B. Dressler/M. Meyer-Blank (Hg.), Religion zeigen. Religionspädagogik und Semiotik. Münster: LIT Verlag, 27-60. S. Alkier (2001a), Wunder und Wirklichkeit in den Briefen des Apostels Paulus. Ein Beitrag zu einem Wunderverständnis jenseits von Entmythologisierung und Rehistorisierung. WMANT 134. Tübingen: Mohr Siebeck. S. Alkier (2001b), Wen wundert was? Einblicke in die Wunderauslegung von der Aufklärung bis zur Gegenwart. In: ZNT 4, 2-15. S. Alkier (2005), Art. Wunder III. Neues Testament. In: RGG4 8, 1719-1722. S. Alkier (2010), Neues Testament. UTB basics 3404. Tübingen: Francke. S. Alkier/B. Dressler (1998), Wundergeschichten als fremde Welten lesen. In: B. Dressler/ M. Meyer-Blank (Hg.), Religion zeigen. Religionspädagogik und Semiotik. Münster: LIT Verlag, 163-187. M. Alpers (2005), Das römische Steuer- und Finanzwesen im 1. Jh. n. Chr. In: K. Scherberich (Hg.), Neues Testament und Antike Kultur. Bd. 2: Familie – Gesellschaft – Wirtschaft. Neukirchen-Vluyn: Neukirchener Verlag, 178-181.
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Abkürzungsverzeichnis Die Abkürzungen im Wunderkompendium richten sich grundsätzlich nach: Abkürzungen Theologie und Religionswissenschaften nach RGG4, hg. v. Redaktion der RGG4, Tübingen 2007: Mohr Siebeck. Im Folgenden werden alle Bezeichnungen und Abkürzungen aufgeführt, die davon abweichen bzw. dort nicht verzeichnet sind. 1. Allgemeine Abkürzungen a. a. O. ad loc. P. sic
am angegebenen Ort am Ort/an der Stelle Papyrus so
2. Reihen und Zeitschriften CBRA ETR EvQ LNTS PThe RStTh RThSt SBT SThSt
Collectanea biblica et religiosa antiqua Etudes théologiques et religieuses Evangelical Quarterly Library of New Testament Studies Praktische Theologie heute Regensburger Studien zur Theologie Reutlinger Theologische Studien Studies in Biblical Theology Salzburger Theologische Studien
3. Antike Schriftsteller, Schriften aus der Umwelt, Kirchenväter, Inschriften ActBarn Ael. nat. Ael. Arist. or. Aisch. Pers. Alex. Aphr. febr. Ambr. exp. Luc. Ambr. explan. Ann. Luc. bell. civ. Anth. Graec. Anton. Plac. It. Apic. coq. Apoll. ep. Apollod. Apul. flor. arabK Aret. CD Arg.
Barnabasakten Claudius Aelianus, De natura animalium Aelius Aristides, Orationes Aischylos, Persai Alexander von Aphrodisias, De febribus Ambrosius von Mailand, Expositio evangelii secundum Lucam Ambrosius von Mailand, Explanatio in XII psalmorum Annaeus Lucanus, Bellum civile Anthologia Graeca Antonius Placentinus, Itinerarium ad loca sancta Apicius, De re coquinaria Apollonius von Rhodos, Epigrammata Apollodorus Apuleius, Florida arabisches Kindheitsevangelium Aretaios, De curatione diuturnorum morborum Argonautensage
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Abkürzungsverzeichnis
Arist. hist. Arist. oec. Aristoph. Plut. armenK Arnob. adv. nat. Artemid. Athen. deipn. äthHen Aug. Joh. tract. Cael. Aur. morb. chron. Cass. coll. Cels. med. Chrys. or. Chrysol. serm. Cic. Cat. Cic. div. Cic. fam. Cic. fin. Cic. tusc. Cic. Pomp. CIJ CIL Clem. Al. exc. Theod. Clem. Al. paid. Clem. Al. strom. Cyrill hom. Cyrill Joh. Dio Cass. Dio Chrys. or. Diod. Sic. Dioscur. mat. med. Ep. Philo Ephr. Diat. Epict. diss. Epiph. pan. Eurip. Alces. Eurip. Ant. Eurip. Ba. Eurip. Electr. Eurip. Iph. T. Eurip. Ion Eurip. Tro. Eus. on. EvJud FC Flav. Jos. vit. Galen. dieb. decr. Galen. diff. febr. Galen. loc. aff. Galen. meth. med.
1000
Aristoteles, Historia animalium Aristoteles, Oeconomica Aristophanes, Plutus armenisches Kindheitsevangelium Arnobius, Adversus nationes Artemidor Athenaios, Deipnosophistai äthiopisches Henochbuch Augustin, In Johannis evangelium tractatus Caelius Aurelianus, De morbis chronicis Johannes Cassianus, Collationes partum Aulus Cornelius Celsus, De medicina Iohannes Chrysostomos, Orationes Petrus Chrysologus, Sermones Cicero, In Catilinam Cicero, De divinatione Cicero, Epistulae ad familiares Cicero, De finibus bonorum et malorum Cicero, Tusculanae disputationes Cicero, De imperio Cn. Pompei Corpus Inscriptionum Judaicarum Corpus Inscriptionum Latinarum Clemens von Alexandrien, Excerpta ex Theodoto Clemens von Alexandrien, Paidagogos Clemens von Alexandrien, Stromateis Cyrill von Alexandrien, Homiliae diversae Cyrill von Alexandrien, Commentarius in Johannem Dio Cassius Dio Chrysostomos, Orationes Diodorus Siculus Dioscurides, De materia medica Epiker Philo Ephraem, der Syrer, Diatessaron Epictetus, Dissertationes Epiphanius von Salamis, Panarion Euripides, Alcestis Euripides, Antigone Euripides, Bacchae Euripides, Electra Euripides, Iphigenia Taurica Euripides, Ion Euripides, Troades Eusebius, Onomasticon Judasevangelium Formula Concordiae Flavius Josephus, Vita Galen, De diebus decretoriis Galen, De febrium differenciis Galen, De locis affectis Galen, De methodo medendi
Abkürzungsverzeichnis
Galen. simpl. med. gehMk Gilgam. Greg. Nyss. laud. Bas. Greg. Tur. vit. Haim. Aux. in Is. Hdt. vit. Hom. Hel. Aeth. Hes. op. Hilar. Hipp. Dan. Hipp. demonstr. Hipp. trad. ap. Hippocr. art. Hippocr. epid. Hippocr. ep. Hippocr. hebd. Hippocr. morb. sac. Hippocr. vict. Hippocr. virg. Hraban. inst. cleric. Ign. Eph. IGRR Isid. etymol. Iuv. sat. KThom latK Lib. Ant. LibBarth Liv. Luc. Abdic. Luc. Alex. Luc. Dem. Luc. deor. conc. Luc. ind. Luc. Iup. Luc. nav. Luc. philops. Luc. sacr. Luc. sal. Luc. tox. Luc. ver. hist. Luther WA Lys. orat. Marc. Aurel. Marc. Emp. med. Mart. epigr. Meth. lepra Min. Fel. NHC
Galen, De simplicium medicamentorum facultatibus geheimes Markusevangelium Gilgameschepos Gregor von Nyssa, in laudem Basilii fratris Gregor von Turin, Vita patrum Haimo von Auxerre, Commentariorum in Isaiam Herodot, Vita Homeri Heliodor, Aethiopicorum Hesiod, Opera et dies Hilarius Papa, Epistula ad Pulcheriam Hippolyt, Commentarium in Danielem Hippolyt, Demonstratio de Christo et Antichristo Hippolyt, Traditio Apostolica Hippokrates von Kos, De articulis Hippokrates von Kos, Epidemiorum libri Hippokrates von Kos, Epistulae Hippokrates von Kos, De hebdomadis Hippokrates von Kos, De morbo sacro Hippokrates von Kos, De victu Hippokrates von Kos, De his quae ad virgines spectant Hrabanus Maurus, de institutione clericorum Ignatius von Antiochien, Epheserbrief Inscriptiones Graecae ad Res Romanas Pertinentes Isidor von Sevilla, Etymologiarum sive originum libri XX Juvenal, Saturae Kindheitsevangelium des Thomas lateinisches Kindheitsevangelium Liber Antiquitatum Biblicarum Bartholomäusevangelium Livius, Ab urbe condita libri CXLII Lukian, Abdicatus Lukian, Alexandros Lukian, Demosthenis encomium Lukian, Deorum Consilium Lukian, Adversus indoctum Lukian, Jupiter tragoedus Lukian, Navigium Lukian, Philopseudes Lukian, De sacrificiis Lukian, De saltatione Lukian, Toxaris Lukian, Verae historiae Martin Luther, Weimaraner Ausgabe Lysias, Orationes Marcus Aurelius Marcellus Empiricus, De medicamentis Marcus Valerius Martialis, Epigrammata Methodius von Olympus, De lepra Minucius Felix Nag Hammadi Codices
1001
Abkürzungsverzeichnis
Opp. hal. Ov. trist. Palaiphat. Pasch. Radb. exp. in Mat. Paus. Peregr. Eger. Petron. satyr. PGM Pind. Olymp. Pind. Pyth. od. Plato Lys. Plato nom. Plato symp. Plato Tht. Plin. nat. Plut. Alex. Plut. Ant. Plut. Artax. Plut. Brut. Plut. Caes. Plut. conj. praec. Plut. Cor. Plut. fort. Rom. Plut. Galba Plut. Marc. Plut. mor. Plut. Num. Plut. quaest. Plut. Otho Plut. Rom. Polyb. Prud. Sym. Ps.-Clem. Ps.-Cyp. ep. Ps.-Long. Ps.-Phok. PSI Quint. inst. Quodvult. prom. Sen. Med. Stob. anth. Strab. geogr. Suet. Galba Suet. gramm. Suet. Vesp. Sulp. Sev. vit. syrAch syrBar Tac. ann.
1002
Oppian, Halieutica Ovid, Tristiae Palaiphatos, Libellus de incredibilibus Grecae Paschasius Radbertus, Expositio in Matheo Pausanias, Hellados Periegesis Peregrinatio Egeriae Petronius, Satyrica Papyri Graecae Magicae Pindar, Olympien Pindar, Pythische Oden Plato, Lysis Plato, Nomoi Plato, Symposion Plato, Theaitetos Plinius, der Ältere, Naturalis historiae Plutarch, Alexander Plutarch, Marcus Antonius Plutarch, Artaxerxes Plutarch, Brutus Plutarch, Caesar Plutarch, Coniugalia Praecepta Plutarch, Coriolanus Plutarch, De fortuna Romanorum Plutarch, Galba Plutarch, Marcellus Plutarch, Moralia Plutarch, Numa Plutarch, Quaestiones Plutarch, Otho Plutarch, Romulus Polybius, Historiae Prudentius, Contra Symmachum Pseudo-Clementinen Pseudo-Cyprian, Epistulae Pseudo-Longinos, Peri hypsous Pseudo-Phokylides Sammlung ägyptischer Papyri in Florenz (Pubblicazioni della Società Italiana per la ricerca dei papiri greci e latini in Egitto, 1912) Quintilian, Institutio oratoria Quodvultdeus, De promissionibus et praedictionibus Dei Seneca, Medea Johannes Stobaeus, Johannis Stobaei anthologii libri Iulius Caesar Strabo, Geographica Sueton, Galba Sueton, De grammaticis Sueton, Vespasianus Sulpicius Severus, Vita Sancti Martini syrische Achikarfabel syrische Baruchapokalypse Tacitus, Annales
Abkürzungsverzeichnis
Tac. hist. Tert. mon. Thdt. quaest. Theocr. Theophr. char. Theophr. h. plant. Thom. cat. Matt. Tit. Bos. serm. Val. Flacc. Arg. Xen. An. Xen. Hipp. Xen. oec.
Tacitus, Historiae Tertullian, De Monogamia Theodoretus, Quaestiones in libros Regnorum et aralipomenon Theokrit Theophrast, Characteres Theophrast, Historia plantarum Thomas von Aquin, Catena aurea in Matthaeum Titus von Bostra, Sermo in epiphaniam Gaius Valerius Flaccus, Argonautica Xenophon, Anabasis Xenophon, Hipparchicos Xenophon, Oeconomicus
1003
Stellenregister 1. Altes Testament Gen 1 1,1-4 1,1-2,4 1,7-10 1,7 1,9 1,9LXX 1,9 f.LXX 1,26 f. 1,26-28 1,26-31 1,31 1-3 2,2LXX 2,2 f. 2,3 2,7 2,9 2,18-24 3 3,7 3,19 3,22 6 6,1-4 6,4 6,17 6-9 8,6 f. 9,5 9,6 10 11,6 17,3LXX 17,17LXX 18,14 23,2 23,9 24,3 25,8 26,24 31,44LXX 35,2
179, 224, 633, 828 156 438 833 720 720, 828 833 834 538 438 156 324 438 702 335, 337, 669, 829, 833 438 740, 758, 828, 833 802 538 837 438, 769 334 802 633 69, 208, 533 533 720 412 820 420 420 337 352 232 232 352 576 796 469 577 718 228 227
35,17 37,34 38 38,14 38,19 38,28 40,13 46,3 49,10-12 49,30
795 576 472 575 575 795 337 718 674 796
Ex 1,15-17 3,2-6 3,14 4,9 4,10LXX 4,11 4,11LXX 7,14-11,10 7,17-25 7-11 7-12 8,12-27 8,15 12 13,9 13-17 14 14,10 14,16 14,21 14,21 f. 14,26 f. 14,31 15 15,23-25 15,26 15,27 16 16,1-36 16,29 16,31-35 17,1-6
795 546 308, 718, 720 674 394 364 343 608 674 610 382 608 116, 169, 186, 608 720 326, 805 193 720 179 307 720 307 307 179 633 674 85, 239, 328, 539 802 334, 449, 720 598 630 713 674
1005
Stellenregister 18,13-27 18,21 18,21-26 18,25 19,10 f. 19,16 19,20 20,5 20,8-11 20,9 20,9 f. 20,11 22,9 f. 22,21 23,5 23,8 23,30 23,23 f. 24,1LXX 24,18 29,36 f. 30,11-16 31,14 31,15 31,17 31,18 32 32,14 33 33,2 34 34,5 34,6 34,10 34,21 35,2 35,3 35,25
450 309 598 298, 309 669 669 720 734 828 630 630 829, 833 795 575, 849 636 498 94 469 888 179 420 488, 492 630 251 829 169, 186, 608 479 179 721 469 709 721 432 617 630 630 630 652
Lev 1,5 4,7 8,30 9,24LXX 10,10 11,7 11,7 f. 11,9-12 11,24-40 11,33
420 420 420 232 227 410 412 334, 547 632 672
1006
11-15 12 12,4 12,4 f. 12,7 12,14 13 13,1-14,32 13,4 13,14 13,14 f. 13,45 f. 13,47-59 13 f. 14 14,2-32 14,8 f. 14,9 14,10 14,20 14,23 14,31 14,33-57 14,37-54 15 15LXX 15,1-15 15,11 15,19 15,19LXX 15,19-21 15,19-24 15,19-30 15,25 15,25LXX 15,25 f. 15,25-27 15,28-30 15,31 16,18 f. 17,11 19,14 20,18LXX 20,24-26 20,25 21,16-21 21,17-21 21,17-24 21,18 21,20
589 286 227, 287 420 287 227 89, 226, 641 641 226 233 226 92, 226 226 224, 226 871 646 641 f. 642 642 642 642 642 641 226 286, 291, 589 288 286 286 286, 588 288 419, 423 287, 589 286, 588 286, 588 288 419, 423 589 287 226 f. 420 288, 420, 589 91 588 209 227 91 632 325, 875 250, 343 343
1. Altes Testament 21 f. 23,5-7 23,11-15 23,17 23,36 23,40 23,40LXX 26,16
227 708 708 335 728 802 834 216
Num 5,2 5,21 f. 9,6 9,6-23 11 11,13 11,22 12,10-12 12,10-15 12,10 12,12 15,32-36 15,38 f. 16,4LXX 19,10-22 19,14-22 20,2-11 20,17LXX 20,29 21,22LXX 22,31 22-24 27,17 32,41 33,7
421, 423 631 421, 423 286 334 709 708 89 644 f. 226, 638 26, 226 f., 638, 644 f. 630 420 232 421 288 674 306 629 306 546 76 298, 309, 333, 470, 713 585 802
Dtn 1,35 2,7 2,8LXX 2,14 3,14 4,4 4,34 5,9 5,13 5,14 f. 5,15 6,4-9 6,13
699 699 305 699 585 758 20, 326 734 630 438 609 652 889
6,21 7,1 7,15 7,19 9,10 11,26 14,1 14,1 f. 14,8 14,9 f. 15,7-11 15,21 16,21 18,15 18,15 f. 18,15-18 18,18 19,6 20,17 f. 21,18 22,4 23,6 24,12 f. 24,17 24,17-22 25,5 f. 26,8 27,18 27,19 28,15-46 28,22 28,28 f. 28,28 f.LXX 30,15 30,19 31,26LXX 32,5 32,17 32,19 32,39 32,50 33,27 f. 34,3 34,6 f. 34,10
326, 805 337 384 20 169, 186, 608 837 317 227 412 334 363 91 632 581, 706, 710, 713 709 449 706, 710, 713 795 469 652 636 837 363 576 849 575 20 92, 325, 342 849 734 216 364 343 250 250 228 317 98 317 308, 830 577 94 802 734 710
Jos 1,11 2 3
337 472 109
1007
Stellenregister 6 9,6 10,12-14 10,18 11,8 13,30 24,27LXX
109 334 77 796 469 585 228
Ri 1,1-10 4,5 5,7 6,2 6,23 7,5 7,13 8,19 10,1LXX 10,3LXX 13,1-7 13,6 13,7LXX 13,20 16,17LXX 16,26 18,7 20,45
469 802 574 796 718 470 708 795 574 574 369 546 209 546 209 342 469 450
Rut 1,8 2,14
538 708
1Sam 2,1 f. 2,6 f. 2,6-8 4,8 4,20 5 5,1-5 5,6 6,6 10,1-7 12,17 f. 15,25LXX 16,7 16,14-23 17,12 17,17 17,43
156 156 156 808 795 808 f. 808 808 808 116 116 888 240, 563 228, 364 470 708 471
1008
17,58 20,6 20,34 22,1 24,15
470 470 334 796 471
2Sam 1,17-27 5,2 5,6-8 5,8 5,11 f. 7,12-16 9,8 11 11,26 12,1-5 14,1-20 14,2 17,28 24 24,10-17 24,15 f. 24,17
752 470 384 91 469 430 471 472 576 362 538 575 708 469 734 228 470
1Kön 1,48 2,13-23 5,2 5,9-13 5,25 6 8,15 8,23 8,25 f. 8,39 13,3 13,4LXX 13,4-6 13,4-6LXX 14,1-18 14,11 15,9-14 16,4 16,31-33 17 17,1 17,1-13,21 17,1-14,21 17,6
339 538 848 101 848 802 339 339 339 240, 563 116 250 88, 439 250 114 471 538 471 316 216, 469, 578 515 193 77 820
1. Altes Testament 17,7-16 17,8-16 17,8-24 17,9-24 17,10 17,12 17,17-24 17,18 17,21 17,22 17,23 18,38 18,42 18 f. 19,11 19,19-21 21,23 f. 22,17 2Kön 1,2-18 1,10 1,12 2,8 2,9 2,42 4,1-7 4,8-24 4,8-32 4,8-37 4,18-37 4,33 4,34 f. 4,38-41 4,42 4,42-44 4,44 5 5,1 5,1-14 5,1-19 5,3 5,8-14 5,10 5,11 5,11LXX 5,15 5,16 6,1-7
297, 335 449, 598 568 515 578 629 421, 578, 589, 753 194 421 589 578, 684 116 114 316 721 375 471 713
607 116 116 109 645 709 297, 335 578 521 575 421, 589, 753 119 421, 645 335 708 297 f., 335, 449, 598, 709, 713 449 226, 641, 645, 739 644 229, 515 568, 645 645 645 645 229, 684 289 645 641 856
6,24-31 7,1 7,1 f. 8,13 9,10 18,17 19,15 19,16 19,29 20,8-11 22,20
362 708 116 471 471 695 339 652 116 116 577
1Chr 14,1 f. 20,5 22,4 28,9
469 585 469 240
2Chr 2 2,9 11,15 16,12 18,16 24,4-10 26,16-23 28,15
469 848 98 478 713 488 226 802
Esr 6,8-12 7,15-18
488 488
Neh 3,1 3,32 8,15 9,10 10,32 10,33 f. 12,39 13,15-19 13,26
692 692 802 20 630 488 692 700 316
Hi 1,6-2,6 2 6,4 9,8 9,8LXX 11,10LXX
94 90 228 309, 720 459 834
1009
Stellenregister 12,9 20,10 22,1-11 22,9 26,12 26,13 29,12-16 29,15 30,1 34,11 38,8-11 38,9 38,16 39,16 40,30
326 363 734 849 260 326 91 92, 342, 384 471 734 260, 720 816 309 720 334
Ps 6,3 6,3LXX 7,10 8,4 8,7 9,2 9,14 10,1 10,9 16,11 17,12 18,16 18,17 f. 18,21 18,25 21,5 22,2 f. 22,17 22,30 23 23,1 f. 23,2 24,3-5 25,22 27,7 29,2LXX 29,10 31,5 32,4 32,6 32,9LXX 33 33,9
364, 432 470 240 608 326 49 364 262 553 758 209 405 260 228 228 758 262 317, 321 753 298, 453 309 333 228 633 432 888 720 553 326 260 838 179 179, 224
1010
33,19 34,16 35,23 36,10 37LXX 37,4LXX 37,12LXX 37,18LXX 37,23LXX 37,25 38,3 38,11LXX 39,11 41,5 41,11 42,2 f. 44,22 44,23-25 44,24 44,24 f. 44,27 46 46,2 46,3 f. 46,8 46,12 47,10 49,16 51,12 57,2 59,4 65,8 66,16 68,8 69,2-4 69,3 71,20 74,9 74,13 74,13 f. 74,15 77,17-21 77,20 78,11-32 78,21-29 78,42 78,43 78,52 81[82],3LXX 89,10
179 652 405 758 288 288 287 288 288 874 228 287 326 364 364 633 240 405 405 262 633 405 405 260 405 405 400 753 228 432 405 257, 405 49 575 262 412 412, 414 710 720 260, 405 260 720 309, 720 449 598 633 20 470 849 260, 405, 720
1. Altes Testament 91 91,3 91,13LXX 94,6 94,11 102,2 f. 103 103,3 103,7LXX 104,5-13 104,6-9 104,7 105,7LXX 105,33 106,9 106,16 106,37 107,3 107,4-9 107,9 107,20 107,23-30 107,23-31 108,26LXX 109,10 109,26 112,10 116,8 119,21 119,164 121,1 123,3 124,1-5 124,7 126 136,2LXX 136,10-16 138,7 139,2 139,2-4 141,9 f. 145,6 145,8LXX 146,7 146,8 146,9 148,7
129 553 802 575 563 262 562 239 103 833 260 720 307 508 405 209 98 398 299 337 179, 397 405 257 470 363 470 398 753 209 335 328, 336 364 260 828 581 834 450 326 563 240 553 49 343 337 364, 431, 497, 737, 739 538 800
Spr 6,8
334
9,5 10,4 12,1 15,11 18,13 19,18 20,12 22,17 23,19 23,25 26,11 26,17 28,19 31,1-9 31,8
677 874 866 240 652 866 343 652 652 114 471 470 874 538 92
Koh 9,4
471
Hhld 1,12 7,8 f.
748 802
Jes 1,16 1,17 2,2 f. 5,9 5,25 6 6,5 6,9 6,9 f. 6,10 7,3 7,10-16 7,14 7,14LXX 8,18 8,23-9,1 9 9,1 9,1-6 9,5 f. 10,2LXX 11 11,1-9 11,6 f. 11,12 13,21
228 575, 849 398, 644 652 479 546 228, 546 347 367, 498 394 695 116 430 797 20 498 f. 364, 367 796 796 430, 796 849 364, 367 850 800 335, 337 98
1011
Stellenregister 19,1 19,2 20,3 23 25,6 25,6 f. 25,6-8 25,8 26,19 26,19LXX 27,1 28,4 29,18 29,18LXX 29,18 f. 29,19 32,1-8 33,2 34,11 34,14 35 35,4 f. 35,5 35,5LXX 35,5 f. 35,5 f.LXX 35,5-7 35,6 35,8 35,8-10 35,9 f. 36,2 37,36 40,1 f. 40,3-5 40,4 40,11 41,4 41,10 41,15 42,1-4 42,5-9 42,6 42,6 f.LXX 42,7 42,18 42,18LXX
1012
806, 809 808 20 179, 469 298, 449, 674 337 398 573, 753 118, 180, 387, 424, 519, 644 167 260 373 180, 431, 498, 518, 579, 644, 737 167, 344 91, 118, 324, 338, 618 644 618 432 820 98 581 737 324, 498, 518, 579, 618 323, 344 91, 118, 180, 328, 338, 364, 368, 387, 431, 644 167 452 518, 579 644 644 644 695 228 580 479 482 309, 470 308 718 479 156, 385 156 737 344 167, 169, 431, 498 180, 385, 421, 518 167
42,18 f.LXX 42,18-20 42,19 42,19 f. 42,20 f. 43,1-5 43,2 43,5 f. 43,6 43,8 43,8LXX 43,16 43,25 44,4LXX 45,12 45,16LXX 45,19 45,23LXX 46,4 48,12 48,12LXX 49,6 49,10 49,11 49,12 50,2 51,9 f. 51,12LXX 51,16 53,4 53,5 f. 53,8 f. 53,12 54,7 f. 54,8 54,9 f. 54,10 55 55,1 55,1-3 55,11 56 56,1-8 56,2 56,10 58,7 58,13 59,9 f. 59,10 60,3
344 431 385 385 385 718 260 398 317 347, 431 344 309 720 834 326 617 720 889 720 308 720 738 337 479 398 633 405 720 326 169, 385, 431 169 169 169 450 298 412 479 179 337 317 179 179 179 253 431 363 630 347, 364 498 644
1. Altes Testament 60,4 61 61,1 61,1LXX 61,1 f. 61,1 f.LXX 63,11 63,11-14 64,3 65,1-7 65,3LXX 65,4 65,16-25 65,19 65,19 f.
398 168 91, 167 f., 421, 519, 590, 644 168, 431, 498, 849 118, 168, 180, 517, 618 344 309, 470 307 652 272-274 272 272, 412 850 806 573
Jer 2,23 3,17 5,17 5,21 5,22 6,26 7 7,6 7,11 7,20 7,24 8 8,13 9,19 11,8 11,20 15,3 16,1-13 16,6 16,7 16,14 f. 16,16 16,16-18 16,17 f. 16,19-21 17,9 f. 17,19-27 17,24 19,13 22,3 23,1-4 25,22
227 398 373 307, 347, 367 720 572 373 575 373 373, 505 652 505 373, 506, 508 576 652 240 471 553 576 576 554 553 f. 554 553 554 240 630 700 227 849 470 469
27,3 31,5 31,8 31,10 31,15 36,3 36,7 38,31 38,32 43,11-13 49,36 50,11-13LXX
469 674 91, 384 309 573 179 179 629 629 808 335, 337 808
Klgl 1,1 1,8 f. 1,16 4,14 4,15
580 228 580 341 228
Ez 1,28 7,2 12,2 14,11 16,3 f. 16,4 16,38 18,1-5 18,6 18,11 18,15 22,7 23,30 23,45 24,17 26-28 28,1-24 30,1-19 34 34,5 34,8 34,23 34,23 f. 34,23-31 36,25 37 37,9 40 f. 45,14
546 335, 337 347 228 816 795 386 734 228 228 228 575 227 386 576 469 179 808 119 713 333 470 333 298 227 753 335 802 848
1013
Stellenregister 47,6-12
771
Dan 1,8 3,1-18 6,27 f.LXX 7,2 7,9 8 f. 12,2
228 889 888 335, 337 240 69 424
Hos 2,1 2,14 2,16 f. 3,1 6,2 6,6 7,12 11,1 11,8
317 373, 674 674 386 337 432 828 813, 815, 823 572
Joel 1,5 1,7 1,7 f. 2,16 2,19 4,4 4,18
674 373 674 674 674 469 674
Am 3,1 4,9 7,17 8,10 9,11-14 9,13 9,13-15
398 373 227 572 674 674 337
Jon 1,1-16 1,4 1,5 1,5 f. 1,11-15
261 261 179, 261, 404 261 404
1014
1,12 1,14 1,15 1,16 2,6 f. 3 3,4 f. 3,5 3,8 3,10 4,18
261 261 261 261 412 179 179 179 179 179 337
Mi 3,12 4,1-5 5,1 5,2 7,1-6 7,1-7 7,14 7,20
398 850 430, 470 470 372 505 470 450
Zeph 1,17
343, 347, 364, 350
Hag 2,13
421
Sach 3,2 7,10 8,5 8,7 8,20-22 9,2-4 9,9 9,16 10,2 f. 12,10 13,2 14,10
133, 210 575 828 398 398 469 430 470 470 572 228 479
Mal 3,23 3,23LXX
578 254
2. Neues Testament
2. Neues Testament Q 3,7-9 3,16 6,20-49 6,22 6,34 6,39 6,46 6,47-49 7,1.3.6b-9 7,1-10 7,18-23 7,19 7,22 7,22 f. 7,23 7,24-31 7,31-35 7,34 7,35 8,13 9,29 10,4-12 10,10-12 10,13 10,13 f. 10,13-15 10,15 10,23 f. 11,3 11,14 f. 11,14-20 11,14-22 11,14-26 11,14-52 11,15 11,16 11,17 f. 11,17-20 11,17-26 11,19 11,19 f. 11,20 11,21 f. 11,23
180 174 173 181 177 364 174 173 173-182 15, 28, 166 f., 170, 173 f., 183, 520, 568 167, 174, 180 167 73, 167-169, 364, 368, 754 118, 365 118, 180 180 176 675 180 114, 121 121 364 117 21, 180 179 170, 180 174 117 120 115, 169, 434 169, 184, 186, 188 183 170, 183-189, 516 183, 187 188 116 176, 184 184 184 109, 185, 188, 200 74, 115 94, 117, 180, 184, 187, 664 184 184
11,24 11,24-26 11,27-54 11,29-32 11,30 11,31 11,31 f. 11,33 11,33-36 11,37-54 11,39 11,39-41 12,30 f. 13,28 f. 13,34 f. 17,6 19,38 22,28 22,30
98, 185 99, 184 f., 353 187 187 179 179 117 187 187 183, 187 175 187 177 181 175 121 180 175 180
Mt 1,1 1,1-16,20 1,3 1,5 1,6 1,6-20 1,11 1,16 1,17 1,21 1,22 f. 1,23 1,25 1 f. 2 2,1 f. 2,1-12 2,2 2,4 2,5 f. 2,6 2,12 f. 2,12-21 2,13 2,13 f. 2,14 2,15
388, 430, 470 465 472 472 472 430 797 803 509 445, 806 407 430, 432, 451, 461 797 76, 450, 796, 799, 865 797, 811, 813 503 470, 472 509 445 430 470 465 800 813 809 465 806
1015
Stellenregister 2,20 2,20 f. 2,23 3,2 3,5 3,7 3,8 3,10 3,16 3,16 f. 4,1-11 4,4 4,10 4,12 4,12-17 4,13 4,15 4,15 f. 4,16 4,17 4,17-18,35 4,18 4,18 f. 4,18-22 4,20 4,23 4,23 f. 4,23-25 4,24 4,25 5,1 5,1-7,29 5,3 5,11 f. 5,17 5,17-19 5,20 5,38-42 5,40 5-7 5-9 6,5 6,6 6,7 f. 6,11 6,25-34 6,30 6,35 7,2
1016
807 469 369 387 503 434, 436 504 504 898 385 158, 185 302 889 465 498 427, 486 382, 499 499 445, 499 387 485 338 456 403, 488 432 136, 382, 384, 389, 470 382 230, 385, 417 102 333, 384, 445, 469 338, 445 212 118, 849 653 231 422 389, 434 492 363 136, 382, 389, 393, 409, 426, 431, 633 382 119 120 120, 508 334, 448 338 339, 403, 508 653 532
7,5 7,7-11 7,10 7,11 7,16 7,16-20 7,17 7,21 7,21-23 7,22 7,25-34 7,28 8,1 8,1-4 8,2 8,2 f. 8,2-4 8,3 8,4 8,5 8,5-10 8,5-13
8,6 8,7 8,8 8,8 f. 8,9 8,10 8,11 f. 8,12 8,13 8,14 8,14 f. 8,15 8,16 8,16-26 8,17 8,18 8,18-22 8,18-27 8,19 8,19-22 8,21 8,23 8,23 f.
342 508 491 508 504 504 504 318 381, 403 96 295 26, 445 26, 231, 395, 445, 573 221, 230, 869, 872 231, 403, 417, 437, 640, 647, 889 233, 380 638, 645, 647 17, 231, 437, 496, 872 396, 409 684 170 379, 385, 389, 393-401, 467, 469, 472, 487, 513, 566, 568, 661, 688 388, 394, 470 314 396 f., 399-400 387, 399 394, 397, 399 121, 181, 388, 395 f., 467, 476, 570 382, 388, 395-398, 400 398 380, 396, 400, 417 219, 380, 396, 427, 897 214, 219, 418 17, 219, 388, 497, 573 212, 384, 409, 532 754 136, 169, 385, 388, 431 402, 406 497 406 402 402, 406 402 402, 406 402
2. Neues Testament 8,23-27 8,24 8,25 8,25 f. 8,26 8,26 f. 8,27 8,28 8,28-34 8,29 8,30 8,31 8,32 8,33 8,34 8 f.
9 9,1 9,1-8 9,2 9,3 9,4 9,5 9,5 f. 9,6 9,7 9,8 9,9 9,9-13 9,10 9,11 9,12 9,12 f. 9,15-17 9,16 f. 9,18 9,18-26 9,19 9,20 9,20 f. 9,20-22
26, 381, 389, 402-408, 409, 462, 477, 497 380, 403, 405, 407 231, 380, 402 f., 406 402 339, 403, 405, 473, 508 387, 403 22, 387, 395, 407-409, 609 42, 402, 409-411, 415, 434, 496 42, 95, 275, 338, 381, 409415, 432, 481, 533, 666 276, 388, 409, 412-414, 670 409, 412 96, 223, 409, 412-413 409-415, 533 409 f. 409, 413-415 136, 219, 382 f., 388 f., 396, 402, 404, 409, 663, 426, 431, 434, 497 420, 501 174, 207, 245, 402, 427, 551 235, 245, 388, 564 245, 427, 437 245 245 245 245, 703 245, 396 245 26, 246, 387, 409, 445, 562 177, 500 422, 497 417 422, 436 423 417 417 422 417-419, 421-424, 889 292, 382, 416-425, 591 f. 418 417, 419-421 17, 426, 496 417, 420, 423
9,21 9,22 9,23 9,23-25 9,24 9,25 9,26 9,27 9,27 f. 9,27-31
9,27-34 9,28 9,29 9,30 9,31 9,32 9,32 f. 9,32-34 9,33 9,33 f. 9,34 9,35 9,35-38 9,35-10,1 9,36 10 10,1 10,2 10,5 10,5 f. 10,5-8 10,5-42 10,5-11,1 10,6 10,7 10,7 f. 10,8 10,10 10,25 10,29-33 11
417 f. 368, 380, 388, 396, 412, 417 f., 421 f., 426 418 496 465 219, 417 f., 424 417, 422, 426 339, 385, 387 f., 415, 430432 426, 496 42, 87, 379, 388, 426 f., 432-434, 470, 495 f., 501, 666 379, 426-435, 499, 612 121, 231, 380, 388, 428, 432 17, 421, 432, 434, 496, 573, 629, 651 428, 747 417, 426 325, 327, 427, 429 95, 104, 228 170, 379, 427, 431 f., 434, 513, 611 f. 13, 22, 387, 395, 428 432 429 f., 612 230, 382, 384, 386, 389, 426 385 387 384, 470, 496, 504 383, 386, 426 385-386, 389, 426, 467, 532 456 612 386, 471, 643 476 389 612 466 f., 470 433 227, 386 92, 95, 228, 638 448 607, 609, 611 828 386
1017
Stellenregister 11,1 11,1-5 11,2 11,2 f. 11,2-6 11,4 f. 11,5
11,5 f. 11,6 11,20 11,20-22 11,20-24 11,21 11,21-23 12 12,1 12,1-8 12,2 12,6 12,8 12,9 12,9-13 12,9-14 12,10 12,11 12,11 f. 12,12 12,13 12,14 12,14-16 12,15 12,15 f. 12,15-21 12,17-21 12,18-21 12,22 12,22 f. 12,22-24 12,22-25 12,22-30 12,22-32 12,23 12,24 12,25 12,25-30 12,28
1018
26 338 383 386 518, 850 431 227 f., 341, 383 f., 386 f., 421, 434, 496, 498, 638, 738, 754, 849 344 386-388 207 469 387 386 374 383, 429, 612 436 436 434, 436, 438 436 436 437 440 255, 383, 388, 436-441, 624, 874 437 f., 440, 874 437 f., 440, 635 f. 436-437 437 f., 440, 636 437, 440, 873 f. 436-439 385 384, 436, 457, 465 212, 417 383 f. 385, 388 136, 385 87, 104, 325, 327 95 228, 427, 434 170 379, 383, 470, 513 611-612 385 f., 388, 427, 430 386, 428, 532, 608 613 428 170, 187 f., 385 f., 414, 429, 522 f., 608, 633
12,29 12,30 12,31-37 12,33 12,34 12,38-42 12,39 12,41 12,43 12,43-45 12,45 13 13,1 13,3-8 13,6 13,10-13 13,13-17 13,14-17 13,15 13,16 f. 13,18-23 13,24-30 13,31 f. 13,42 13,47 f. 13,47-50 13,53 13,53-58 13,54 13,55 13,56 13,58 14 14,1 f. 14,1-12 14,2 14,3-12 14,5 14,9 14,13 14,13-21 14,13-36 14,14
14,15 14,16 14,17
532 387 387 504 504 21, 158, 383, 456 386 335 504, 532 95, 133, 531 335, 337 26, 383 338 849 837 498 498 498 394, 436, 445 387 849 849 479 395 334 491 26 383 383, 457 854 f., 864 386 383, 387 461, 464 386, 454 442 219, 457 454, 457 436 684 383 f., 442-445, 450, 454, 457, 465, 713 339, 383, 387, 442-453, 467, 487, 491, 661, 712 311 136, 339, 384-387, 442445, 450 f., 454, 457, 496, 897 442 f., 445, 448 443, 447, 451, 456 339, 443, 445, 708
2. Neues Testament 14,17-21 14,18 14,19 14,20 14,20 f. 14,21 14,22 14,22 f. 14,22-24 14,22-33 14,23 14,23-36 14,24 14,25 14,25-27 14,26 14,27 14,28 14,28 f. 14,28-31 14,29 14,29-31 14,30 14,31 14,32 f. 14,33 14,34 14,34-36 14,35 f. 14,36 14 f. 14-18 15 15,1 15,1-20 15,8 15,12 15,13 15,14 15,15 15,20 15,21 15,21 f. 15,21-28
493 380, 713 339, 443, 445, 496, 711, 713 445, 448, 711, 713 339, 444 445, 452 442 456 454 52, 311 f., 381 f., 389, 454464, 477, 497, 661 120, 338 493 380, 455 f., 462 455 f. 454 47, 455, 457, 720 455 f., 720 231, 388, 403, 455 f. 380, 418 312, 382, 454, 485 461 455 380, 455, 461 339, 388, 403, 461 f., 473, 508, 629 312, 454-456 387 f., 456 457 383 f., 454 384 17, 384, 421, 496 445 485 179, 316 454 420, 465 445 434 504 431, 498 456, 485 465 383, 472 468 26, 42, 95, 321, 338, 383, 385, 389, 394, 396, 418, 465-473, 688
15,22 15,23 15,23 f. 15,24 15,25 15,26 f. 15,27 15,28 15,29 15,29-31 15,29-39 15,30 f. 15,31 15,32 15,32-39 15,32-16,20 15,33 15,34 15,36 15,37 15,37 f. 15,39 16,1 16,1-4 16,4 16,5-12 16,8 16,9 16,13-20 16,14 16,16 16,17-19 16,19 16,21 16,21-28,20 16,22 16,22 f. 17 17,1 17,1-8 17,4 17,9 17,9-13 17,14 17,14-16 17,14-18
231, 339, 387 f., 403, 427, 430, 467, 469-473, 496 466, 468, 629 382 338, 387, 397, 466 f., 470472, 643 467, 470 471 467, 471 380, 394, 396, 417, 466 f., 469, 472 465 136, 338, 379, 383, 385 f. 339 323 22, 338, 395 339, 496 55, 332, 338 f., 387, 449, 487, 491 311 338 f. 339 339 335 339 334 386 77, 456 383, 386 f. 383, 477 339, 403, 508 448 383 421 421, 456 456, 485 653 465, 475, 495, 497, 499 465 231 475 358, 488 f., 491, 493 338 474 231 475 474 474-475 474 95
1019
Stellenregister 17,14-20(21) 17,15 17,15 f. 17,16 17,17 17,17 f. 17,18 17,19 17,19 f. 17,20 17,21 17,22 f. 17,24 17,24 f. 17,24-27 17,25 17,25-27 17,26 17,27 18 18,1 18,1-5 18,8 f. 18,12-14 18,16 18,18 18,19 18,19 f. 18,20 18,21 18,21 f. 18,27 18,33 19,1 19,1 f. 19,2 19,27 19,28 19 f. 20 20,1-16 20,2 20,17 f. 20,17-19 20,17-28 20,20-28 20,24-28 20,26
1020
474-484 102, 231, 339, 355, 387, 403, 496 476 95, 475 380, 474-476, 482 474 380, 396, 403, 417, 475 f. 475 f., 532 389, 474, 476 339, 403, 474, 476, 479, 508 474, 476 475, 485 485 485, 487 28, 52, 379, 485-494 486-488 485-487 486-488 52, 486-491 485 485 485, 492 384 436 795 456 508 508 389, 407 231, 485 456 629 339 26, 136, 495 384, 386 384 456 118, 337 500 501 676, 707 295 497 499 499 495 368 368
20,29 20,29-34
20,30 20,30 f. 20,31 20,32 f. 20,34 21 21,1 21,1-11 21,4 f. 21,8 21,9 21,10 21,12-17 21,13 21,14 21,14 f. 21,14-16 21,15 21,18 21,18 f. 21,18-22 21,19 21,19 f. 21,19-21 21,20 21,20-22 21,21 21,22 21,23 21,28-31 21,41 21,42 21,43 22,1-14 22,13 22,15-22 22,22 22,41-46 23 23,1-36 23,5 23,15 23,16-26 23,37
384, 496 42, 143, 368, 379, 385, 388, 427, 434, 470, 495502 415, 496 231, 387 f., 403, 427, 430, 496 496 368 17, 339, 388, 497, 501, 651 495, 503, 509 497, 503 503 430 504 430, 495 503 492, 503 388 22, 136, 385 f. 388, 430, 703 386 22, 427, 504, 509 388, 503 503 f., 506 375, 381, 503-510 375, 503-505 837 504 22, 395, 505 503-504 504 508 386, 445, 503 848 504 22 504, 510 337 395 488 395 430 429 436 420 837 431, 498 497
2. Neues Testament 24,3 24,7 24,22 24,30 24,51 25,30 25,36 26,1 26,1-13 26,3 26,6 26,26 26,31 26,48 26,51 26,51-54 26,52 27,1 27,5 27,14 27,15-26 27,38-44 27,42 27,45 27,52 f. 27,54 27 f. 28,2 28,2-4 28,4 28,6 28,9 28,11 28,16 28,16-20 28,17 28,19 28,19 f. 28,20
338 403 403 899 395 395 91, 429 26 755 445 760 445, 451 470 21 515 655 654 445 465 395 629 388 386 51 77 76, 246, 403, 472 894 76, 403, 902 902 51, 246 406-407 889 902 338 389, 464, 772 457, 462, 897 385, 509 433, 466, 471 f. 389, 407, 451, 461
Mk 1 1,1 1,1-8,26 1,2 f. 1,9 1,10 1,12 f. 1,13 1,14
208, 224, 229, 268 f. 207, 210, 328, 347, 360 193 267-268 367, 332 211, 304 98, 196, 211, 274 185, 218 224
1,14 f. 1,14-34 1,16 1,16-20 1,16-31 1,16-39 1,16-8,26 1,17 1,18 1,19 f. 1,20 1,21 1,21 f. 1,21-28
1,21-34 1,21-38 1,22 1,23 1,23 f. 1,23-26 1,23-27 1,23-28 1,23-31 1,24
1,24 f. 1,24-26 1,25 1,25-27 1,26 1,26 f. 1,27 1,27 f. 1,28 1,29 1,29-31
1,29 f. 1,30 1,30 f. 1,31
70, 198, 373 360 216, 307, 551, 557 195, 205, 216, 308, 524, 557 536 195 200, 367 554, 557 557 557 205, 216, 551, 557 205-207, 698 205, 210, 212 28, 193-195, 205-213, 214, 235, 248, 350, 361, 367, 379, 516 360 235 206, 211, 268, 288 205, 208, 212, 221, 224, 353, 523, 529, 534 206, 211, 352 f. 104, 268, 273 95, 534 23, 205 f., 210, 212, 224, 415, 866 25 105, 195, 206 f., 209 f., 223, 268, 276, 288, 367, 670, 824 224, 276 314 15, 26, 102, 105, 133, 195, 206, 209, 223, 258 102 206, 212, 529, 531, 534 221 14 f., 206, 210 f., 214, 224, 288, 310, 338 210 205 f., 210 f., 223 205, 216, 219, 236, 551 28, 193, 195, 205, 214-220, 228, 235, 248, 314, 365, 514 214 214, 219, 515 354 214-216, 218 f., 514, 684
1021
Stellenregister 1,32 1,32 f. 1,32-34 1,33 1,33 f. 1,34 1,35 1,35-38 1,35-39 1,35-45 1,36 f. 1,36-38 1,37 1,38 1,39 1,40 1,40-42 1,40-45 1,41 1,42 1,43 1,43-45 1,44 1,45 1,47 f. 2 2,1 2,1 f. 2,1-5 2,1-11 2,1-12
2,1-3,6 2,1-3,30 2,2 2,3 2,3 f. 2,3-5 2,3-12 2,4 2,5 2,5-10 2,6
1022
195, 215 211 25, 195, 198, 205, 215, 235, 250, 350, 517 207, 215 45 95, 195, 211 f., 221, 532, 747 120, 304 195 196 215 196 221 221 210 95, 136, 195 f., 212, 517 222, 354, 648 221-222 17, 89, 173, 196, 221-234, 250, 645, 647 f., 869, 872 17, 222, 228, 629, 872, 897 197, 222, 231 197, 223 f., 228, 872 222, 228 222-224, 315, 872 222 f., 228 499 59, 703 215, 235, 238, 240, 259, 551 245 237 661 23, 28 f., 88, 92, 193, 197, 210, 214, 235-247, 487, 564, 703 196 196 215, 224, 236, 240, 247 240 245 236, 238, 240 f. 243 239, 314 90, 121, 236, 242, 244, 703 240 249
2,6 f. 2,6-10 2,7 2,7-12 2,8 2,8 f. 2,9 2,9-11 2,10 2,11 2,11 f. 2,12 2,12 f. 2,13-17 2,14 2,17 2,19 2,19 f. 2,23 2,23-28 2,24 2,27 2,28 3,1 3,1 f. 3,1-5 3,1-6
3,2 3,3 3,3-5 3,4 3,5 3,6 3,7 f. 3,7-12 3,9 3,10 3,10 f. 3,11 3,11 f. 3,12 3,14 3,14 f. 3,15
224, 236, 703 237 f., 240, 242, 703 237 244 237, 240 237 122, 236, 700, 703 245 211, 236, 240-243, 245, 311 15, 22, 236 f., 240 f., 315 237 f. 13, 15, 236-238, 240-242, 315, 357, 573 223 367 372 75, 210, 372 248 305 698 248, 374, 829 249, 698 119, 252 f., 829 702 248, 250, 515, 653, 837, 874 248 252, 829 23, 27-29, 43, 88, 92, 193, 197, 248-256, 487, 624, 874 f. 249 f., 256 249 f., 361, 874 248 249-251, 253, 439, 698 249, 253 f., 374, 874 248-250, 255 469 195, 198, 350, 517 557 17, 198, 326 211 194 f., 210, 212, 221, 223 f., 352 95 223, 258 224, 267, 305 351 95, 199, 207 f., 211, 532
2. Neues Testament 3,20 3,20 f. 3,20-30 3,20-35 3,21 3,21 f. 3,22 3,22 f. 3,22-26 3,22-27 3,22-30 3,23 3,27 3,28 f. 3,28-30 3,29 f. 3,30 3,34 4,1 4,1-34 4,3-8 4,6 4,10-12 4,12 4,13 4,13-20 4,14-19 4,26 f. 4,26-29 4,35 4,35 f. 4,35-41 4,35-5,2 4,36 4,37 4,37 f. 4,38 4,39 4,40 4,40 f. 4,41 5 5,1
218, 295 199 350 197 611 665 115, 132, 199, 428, 608, 611 99 188 95, 183 70, 198, 362, 379, 611 f., 866 188, 612 94 f., 117, 274, 532, 612 311 522 353 353 218 258, 308, 557 257, 367 849 249, 505, 837 201 347 337 224, 849 311 849 851 257, 259, 261 f., 267, 279 257 134, 142, 193, 198, 257265, 288, 306, 404, 493 308 258 258, 261 257 13, 194, 258, 261, 263, 267, 402 26, 102, 105, 257 f., 261, 263, 306, 375 258, 262, 306, 311, 338 257, 263 14, 210, 258, 261, 264, 268, 306, 310, 338, 609 268, 272 f., 286 f. 257, 259, 267 f., 279, 410, 415
5,1-20
5,2 5,2-4 5,2-5 5,2-13 5,3 5,3 f. 5,3-5 5,5 5,6 5,6 f. 5,6-13 5,7 5,7-9 5,7-12 5,8 5,9 5,9 f. 5,10 5,10-13 5,11 5,12 5,13 5,14 5,14-17 5,14-20 5,15 5,15-17 5,16 5,16 f. 5,17 5,18 5,18 f. 5,18-20 5,19 5,20 5,21 5,21-24 5,21-43 5,22
28, 42, 55, 94 f., 130, 193194, 198, 208, 211, 257, 266-277, 279, 286, 333, 350, 362, 381, 411, 415, 516, 533, 866 42, 221, 224, 267, 272 f., 286, 496 357 98, 104 268, 274, 352 272 268 13, 268, 272 f., 415 268 268 f., 273 824 314 105, 195, 210, 268, 273, 670 273 268 105, 133, 286 105, 133, 275, 411, 415 268, 273 275 275 267 99, 106, 273, 532 105, 133, 268, 271 f., 353, 532 f., 820 268, 271 268 f. 268 14, 268 415 269 268 267, 274, 546 267 f. 415 268 267, 315, 524 223 f., 267-269, 274, 333, 523 267, 279 f., 307 f. 142, 193, 198, 257, 314, 355, 844, 879 26, 72, 193, 278-293, 360, 416, 423, 590-592, 754 285, 423
1023
Stellenregister 5,22 f. 5,22-24 5,23 5,24 5,24-30 5,24-34 5,25 5,25 f. 5,25-34 5,26 5,27 5,27 f. 5,27-30 5,27-31 5,28 5,29 5,29-31 5,30 5,30-34 5,31 5,32 5,33 5,34 5,34 f. 5,35 5,35-40 5,35-43 5,36 5,37 5,37 f. 5,37-39 5,38 5,38-40 5,39 5,40 5,41 5,41 f. 5,42 5,42 f. 5,43 5,43-48 6 6,1 6,1-6 6,2
1024
280, 416 279 f., 282 279-282, 285, 289, 326, 419, 515 281 198 195 13, 283, 288, 354, 699 279 28, 121, 143, 257, 279, 281 f., 286, 314, 416, 823 13, 283, 423, 478 16, 280, 283, 629 283 824 16 f. 16, 282 f. 16, 249, 279, 283, 287, 505, 837 423 16, 215, 282 f., 284, 288, 420 279 16, 283 283 14, 283, 423, 574 121, 284, 287 f., 361 311 13, 119, 279, 281, 288 282 28 14, 281 f., 284, 306 281, 418, 424 281 423 281 281 281 f., 284, 754 13, 223, 281 215, 281 f., 285, 289, 424, 573 285 14, 282, 285, 289 279, 282 16, 282, 284 18 308, 463 307 199, 284, 360, 364, 367 21, 199, 698
6,2 f. 6,3 6,4 6,5 6,5 f. 6,6 6,6-13 6,7 6,7-11 6,7-13 6,8 6,11 6,11 f. 6,13 6,14 6,14-16 6,14-29 6,15 6,17-29 6,27 6,30-34 6,30-44 6,30-52 6,30-8,21 6,30-8,30 6,32-44 6,32-56 6,34 6,35 6,35-38 6,35-39 6,35-44 6,36 6,37 6,38 6,39 6,39 f. 6,39-44 6,41 6,42 6,42 f. 6,43 6,45 6,45 f. 6,45-48 6,45-51 6,45-52
210, 338 199, 284, 310, 782, 854 f. 116, 199, 710 21, 121, 195, 199, 284 351 284, 386, 395 294 95, 120, 208, 211, 221, 224, 267 351 199, 364 295, 333 f., 448 117 351 45, 95, 195, 199, 532 684 199, 310 295, 310 710 319 304 294 193, 198, 294-303, 307, 309, 332, 336, 449 310 597 336 40, 661 311 298, 309, 333, 335, 713 304 f. 294 f. 194 313, 493 304, 333 13, 333, 708 333 f., 708 298, 309 309, 333 294-295 328, 333, 336, 711, 713 313, 708 318 334 f., 337, 448, 711 304, 307 f., 333, 341 304 305 332 52, 134, 193, 198, 304-312, 457, 463, 513
2. Neues Testament 6,45-8,26 6,46 6,46-51 6,47 6,47-51 6,47-52 6,47-56 6,48 6,48-51 6,48-55 6,49 6,49 f. 6,50 6,50 f. 6,51 6,51 f. 6,52 6,53 6,53-56 6,55 f. 6,56 7 7,1-12 7,1-23 7,2 7,17 f. 7,19 7,24 7,24-26 7,24-30
7,24-31 7,25 7,25 f. 7,26 7,27 7,28 7,29 7,29 f. 7,30 7,31 7,31-37
348, 513 120, 304 306 305, 308 304 661 493 304-306, 308-310, 312, 457 306 306 47, 52, 312, 720 306, 311 14, 720 312 305 f., 308, 721 306, 312 267, 299, 304, 307, 309, 311 f., 320, 332, 337, 347 307 f. 195, 198, 200, 513 200, 306 198, 267 42 208 273, 313, 337 336 337 313, 337 313, 319, 469 313, 879 95, 193-195, 200, 208, 273, 313-322, 323, 333, 337, 350, 355, 468 f., 471, 513, 688 198 221, 224, 304, 314, 319 208 314, 319, 467, 469 314, 319, 323, 374, 471, 682 315, 317 f. 121, 315, 318 f. 114, 314, 532 315 f., 319, 394 267, 323, 332 90, 92, 130, 134, 160 f., 193, 197, 313, 323-331, 332, 337 f., 345, 348, 379, 385, 513, 606, 734
7,32 7,32-36 7,33 7,33-37 7,34 7,35 7,36 7,36 f. 7,37 8 8,1 8,1-3 8,1-6 8,1-9 8,1-10 8,1-30 8,2 8,2 f. 8,2-5 8,3 8,4 8,5 8,6 8,6 f. 8,7 8,8 8,8 f. 8,9 8,9 f. 8,10 8,10-12 8,10-13 8,11 f. 8,13 8,14 8,14-21 8,16-21 8,17 8,17 f. 8,17-21 8,18 8,19 8,19 f. 8,19-21 8,22 8,22-26
90, 267, 323, 326 17 17, 323 f., 326, 341, 651 212 11, 285, 324 134 324, 329 323 315, 323 f., 329 346, 348 332 f., 335 309 194 313, 318, 332, 336, 449 40, 55, 193, 200, 297, 299, 323, 332-340, 513 311 337 333 332 334, 338 328, 333, 337 f. 40, 333, 339 333, 336 332 333, 339 41, 313, 333 f. 332 f. 333, 339 332 332 f. 200 77 21, 116 332 334 299, 313, 332, 336 f., 367 320 267, 328, 338 347 304, 307, 311 338, 367 448 334 41 17, 21, 326, 341 11, 16, 87 f., 92, 130, 134, 193, 197, 200, 212, 311, 326-328, 341-349, 366 f.,
1025
Stellenregister
8,23 8,23 f. 8,24 8,25 8,26 8,27 8,27 f. 8,27-30 8,27-33 8,27-10,52 8,27-16,8 8,28 8,29 8,31 8,32 8,33 9 9,1-10 9,2 9,2-8 9,2-10 9,5 9,5 f. 9,6 9,7 9,9 9,12 9,13 9,14 9,14-17 9,14-18 9,14-27 9,14-29 9,16 9,17 9,17-22 9,17-24 9,17-26 9,18 9,19 9,20 9,20-25 9,21 9,22 9,23
1026
379, 501, 513, 734, 833, 836 15, 325 f., 341, 501, 661 341 341 f. 254, 342 342, 345 347, 360 310 210, 338, 346 200, 311 200, 274, 360 f., 367 193 262, 710 210, 223, 329 210 224 374 353-355, 357 f., 434 335 881 51 346 361 245 337 210, 338 194, 223, 329 254 350 357 352, 483 351 95, 325 9, 193 f., 200, 208, 350358, 368, 475, 479, 483 351 90, 228, 327, 353, 475, 515 102 352 100 13, 104, 249, 351-354, 357, 532, 837 351-353, 357, 374 354 483 354, 699 351 f., 354, 357, 483 121, 351 f.
9,23 f. 9,24 9,25 9,25 f. 9,25-27 9,26 9,26 f. 9,27 9,28 f. 9,29 9,30-32 9,33 9,33 f. 9,34 9,35 9,36 f. 9,38 9,38 f. 9,38-40 9,38-41 9,39 9,40 9,40 f. 9,79 10 10,1 10,2 10,2-9 10,13 10,13-16 10,13-52 10,16 10,17-31 10,18 10,21 10,24 10,27 10,28 f. 10,28-31 10,32 10,32-34 10,34 10,35-45 10,41-45 10,42-44 10,43 10,45 10,46
311, 483 122, 200, 351, 353 102, 105 f., 133, 221, 224, 228, 258, 353, 532 102, 314 352, 483 106, 351 f., 354, 820 102, 354 215, 351 201, 351 f., 357 351 210 215, 218 532 218 218 355 135 665 50 96, 109, 200 200 184 200 223 434, 501 386 698 119 879 361 514 355 361 353 342, 879 14 352 216 368 14, 337 210 878 218 195 274, 346 218 210, 633 342, 359 f., 365, 429, 495, 497
2. Neues Testament 10,46 f. 10,46-48 10,46-50 10,46-52
10,47 10,47 f. 10,47-51 10,48 10,48 f. 10,49 10,50 10,51 10,51 f. 10,52 11 11,1 11,1-6 11,1-11 11,1-15,47 11,9 f. 11,11 11,12 11,12-14 11,12-14.25-25 11,13 11,14 11,15 11,15-17 11,15-33 11,17 11,19 11,20 11,20 f. 11,20-25 11,21 11,22 11,23 11,23 f. 11,23-25 11,24 11,27-12,12 12,1 f. 12,1-12 12,2 12,10 f. 12,13
388, 499 142 361 23, 42, 87, 142, 193, 197, 200, 345 f., 359-370, 427, 434, 497, 500 f., 661, 740 360, 367, 427 210, 338, 434 142 314, 360 143 359-361, 500 361, 363 821 341, 361 16, 92, 121, 142, 315, 361, 365, 434, 633, 651 373 360, 751 374 361-363, 371 201, 362 210 371 371 193 f., 201, 362, 371, 504, 513, 837 371-376 372, 374 374, 504 371 866 197 373 371 371 249, 837 200 f., 360, 362 338, 361 375 375 121 371 508 210 f. 210 201, 375 373 201 250
12,13-17 12,15 12,18-27 12,28-34 12,29 12,35-37 12,41 13 13,4 13,10 13,20 13,22 13,24-26 13,24-27 13,28-29 13,33 13,34 14,1 14,1 f. 14,1-9 14,3 14,3-9 14,5 14,6-9 14,8 14,9 14,12-16 14,22 14,22-24 14,25 14,27 14,28 14,29-31 14,32-42 14,35 14,36 14,40 14,45 14,47 14,48 14,50 14,51 f. 14,57 f. 14,61 14,61 f. 14,67 15,8 15,8-15 15,19 15,29
233 493 430 357, 866 353 319, 360 119 373 21, 200 196, 224 311 20, 195, 200 899 70 373 373 211, 216 755 362 755 751, 755, 760, 880 314, 760 223, 747, 755 319 755 224, 338 31 336 195 337, 676 311 211 311 120 304 352 337 361 515, 651, 655 655 216, 267, 844 881 110 846 210, 338 342, 367 201 196, 629 269 110
1027
Stellenregister 15,29-32 15,30 f. 15,33 15,34 15,38 15,39 15,40 f. 15,42-46 15,46 16 16,1-8 16,2 16,3 16,4 16,5 16,6 16,7 16,8 16,9 16,16 16,17
201 351 76 329 76 194, 201, 210, 328, 338, 367, 396, 821, 898, 901 218, 351, 795 880 752 902 795, 896 767 902 342 898 367, 901, 903 211, 311 320, 574 335, 337, 768 633 21, 95
Lk 1 1,1 1,1-4 1,4 1,11-13 1,11-17 1,12 1,17 1,19 1,20 1,35 1,37 1,39-56 1,42 1,46 1,53 1,54 f. 1,64 1,65 1,68 1 f. 2 2,4 2,7 2,8-20 2,11
796 524, 563 141, 513, 563, 598 865 546 580 15, 574 522, 574 573 836 209, 522 352 579 836 795 337, 596 620 836 574 574 69, 76, 797, 799, 865 811, 818 207 795, 797, 818 644 820
1028
2,12 2,19 2,20 2,21-40 2,22 2,26 2,29 2,30 2,32 2,34 2,35 2,36-38 2,40 2,41-52 3,2 3,8 3,8-7,4 3,14 3,16-7,6 3,22 3,31-44 4 4,1-13 4,3 4,7 f. 4,14 4,14 f. 4,14-32 4,14-44 4,14-9,50 4,14-9,51 4,16-21 4,16-22 4,16-23 4,16-30 4,18 4,18 f. 4,18-21 4,18-22 4,21 4,21-27 4,22 4,23 4,23-27 4,24 f. 4,25 f. 4,25-26 4,25-27 4,26
818 836 644 796 629 629 629 795 544, 574 544, 605 563 580 836 784, 836, 865 835, 841 620 570 570 569 592 232 518 185 539 889 522, 544 544 544 547 571, 584 544 212 836 634 212, 517, 563, 645 168, 517, 523, 544, 590, 592, 849 344 517 521 517-518 645 517 478, 517, 635 116 579 515 578, 580 44, 515, 517, 568 589
2. Neues Testament 4,27 4,28 4,28 f. 4,29 4,29 f. 4,30 4,31 4,31 f. 4,31-37 4,31-44 4,32 4,33 4,33-36 4,33-37 4,33-39 4,33-41 4,34 4,35 4,35 f. 4,36 4,37 4,37 f. 4,38 4,38 f. 4,38-41 4,39 4,40 4,40 f. 4,41 4,42 4,43 f. 4,44 4,44-5,11 5 5,1 5,1 f. 5,1-3 5,1-9 5,1-11
5,2 5,2 f. 5,3
515, 644 f. 44, 544 520 228 544 645 207, 529, 616 519, 529 212, 515 f., 536, 539 f., 561, 563 519 212, 531 f., 536, 567 207, 523, 529-532, 534 529-535 95, 519, 534, 537 25 544 213, 367, 369, 530 f., 539, 670 102, 106, 213, 276, 531 f., 534, 537, 539 532 15, 212, 522, 531, 544 532 529 515 f., 536 f., 540 f., 544, 551 514 f., 519, 536-542, 544, 546, 556, 561 515-516 15, 102, 105, 537, 541, 836 44, 519, 536 25, 516-517, 519, 561 102, 105, 524, 529 f., 532 516, 544 232, 544 543 557 562 543-545 547 544 f., 557 515 52, 158, 232, 443, 513, 517, 524, 536, 543-558, 661, 773 f. 545, 550 545 544, 551, 597
5,3-7 5,3-10 5,4 5,4-7 5,4-10 5,4-11 5,4 f. 5,5 5,6 5,6 f. 5,6-10 5,7 5,8 5,8-10 5,9 5,9 f. 5,10 5,11 5,12 5,12-14 5,12-15 5,12-16 5,13 5,14 5,15 5,16 5,16-27 5,17 5,17 f. 5,17-26 5,18 5,18 f. 5,19 5,20 5,22 5,23 5,23 f. 5,24 5,25 5,25 f. 5,26 5,27 5,27-32 5,29 f. 5,30-32 5,37-39 6,1-5
547 544 443, 544 f. 545 545 544 f. 544 f. 13, 263, 545, 547, 550, 767 443, 557 543, 545 f. 544 543, 545, 551, 557 544-546, 769 546 15, 544, 546 545 545 f., 551, 554, 557, 597 544-547, 557, 597 232 f., 543, 641, 648 638 643-645, 647 f. 221, 230, 515 f., 518, 524, 561, 869, 872 232, 519, 573, 872 646 232, 516 f., 519 120, 232, 594 619 212, 522, 524, 559, 561, 616, 618 232 516, 518, 559-564, 644 559 560 559 559, 561 561, 604 560 703 560 f., 567 25, 560, 574, 836 524, 564, 644 15, 19, 73, 560, 562, 574 516 634 676 563 676 627
1029
Stellenregister 6,2 6,6 6,6-11 6,8 6,9 6,11 6,12 6,13-16 6,14 6,17-19 6,17-49 6,18 6,19 6,20 6,20-35 6,20-8,3 6,21 6,22 f. 6,37 6,42 6,47-49 7 7,1 7,1-10 7,2 7,3 7,3-5 7,4 7,5 7,6 7,6 f. 7,6-8 7,6-9 7,7 7,8 7,9 7,10 7,11 7,11 f. 7,11-17
7,12 7,13 7,13-15 7,14 7,14-16
1030
836 43, 254, 515, 653 255, 515 f., 523, 617, 874 505, 604 523 627 120 546 546 25, 516 f., 519 515, 565 516, 523, 529 18, 515, 519, 522, 524, 594, 618 118, 849 653 514 596 653 629 342, 617 570 575 565 f., 570 170, 513, 515 f., 518, 565570, 571, 581, 661, 688 394, 566-568, 570 566-569 393, 566 566 207 f., 396, 566 566-568 569 566, 569 566, 569 394, 397, 566 f. 566, 568 395, 520, 566 f., 569 f. 565, 567, 569 571 f., 575 571 28, 44, 513, 515, 517 f., 521, 565, 568, 571-582, 644, 752-754, 760, 836, 844 571 f., 575 f. 572 f., 579 f. 571 17, 519, 573 f., 581 581
7,15 7,16 7,17 7,18-23 7,19 7,20 7,20-22 7,20-23 7,21 7,21 f. 7,22
7,22 f. 7,29 7,33 7,36-50 7,36-59 7,38 7,40 7,50 8 8,1-3 8,2 8,2 f. 8,3 8,5-8 8,6 8,11-15 8,16 8,22 8,22-25 8,23 8,24 8,25 8,26 8,26-39 8,27 8,28 8,29 8,30 8,37 8,39 8,40 8,40-42
573, 578, 581 15, 116, 523 f., 571 f., 574, 578-581, 644 571, 574, 579 574, 579 572 578 517 523 516, 518, 523, 529 516 227 f., 341, 343, 518 f., 523, 574, 579, 638, 644, 646, 738, 754, 849 518 574 529 579 760 747 760 16, 289, 640, 651 26, 514, 590 26, 516, 579 335, 516, 523, 529, 532 590 299, 336, 684 836, 849 837 849 573 26, 514, 584 26, 257, 263, 514, 517, 584 263 263 263 f., 609 415 42, 95, 533, 275, 325, 333, 415, 514 f., 516, 584 42, 496, 562 670 523, 529 532 15, 574 524, 594 585 26, 514, 581, 584 f., 589, 591
2. Neues Testament 8,40-56 8,41 8,41 f. 8,42 8,43 8,43 f. 8,43-48 8,44 8,44-47 8,44-48 8,45 8,46 8,47 8,48 8,49 8,49-56 8,50 8,51 8,52 8,54 8,55 8,56 8,65 9,1 9,1 f. 9,1-6 9,3 9,5-8 9,6 9,7 f. 9,8 9,10 9,10-17 9,11 9,11 f. 9,12 9,13 9,14 9,15 9,16 9,17 9,18 9,19 9,31 9,33 9,37-43 9,38 9,39 9,40
419, 517, 583-592, 753, 836 581 585 515, 581, 585, 591 21, 92, 585 591 26, 514, 516, 584 f., 588 f. 585, 836 515, 519 573 263, 586 522, 586, 594 586, 591 586, 589, 640, 651 587 584, 587 289, 587 587 581, 587 519, 587 587, 589 282, 587, 590 282 529, 595 520, 522, 594 594 334, 448, 595, 597, 651 599 520, 594 579 523 594 449, 517, 593-602, 661 713 595 595 595, 708 595, 713 595 595, 711, 713 448, 596, 711, 713 120, 594 579 529 263 26, 95, 474, 483, 516, 521 515, 585 516, 531 532
9,42 9,43 9,47 9,49 f. 9,51-56 9,51-19,27 9,51-19,40 9,52-55 9,52-56 9,55 10,1 10,4 10,9 10,13 10,13-15 10,17 10,17 f. 10,17-20 10,18 10,19 10,23 10,25-37 10,30-37 10,33 10,34 10,38 10,38-42 10,39 10,40 11 11,1-3 11,1-13 11,5-13 11,9 11,11 11,12-23 11,13 11,13-23 11,14 11,14 f. 11,14-20 11,14-23 11,14-26 11,14-28 11,15 11,15 f. 11,15-23 11,16 11,17
514, 516, 523, 531 516 604 516 374 514, 615, 639 603 117 643 567 337, 572 448 520 514, 522 374 516, 520, 529 620 95, 118 94 f., 117, 138, 274, 610 522 567 363, 448 233, 643 572 233 751 579, 661, 760 760 760 603 598 603, 608 537, 568 599, 836 334, 599 612 604, 611 95 90, 95, 325, 327, 529, 532, 604-606, 610 427 f., 434 518, 644 523, 603-614, 620 170, 513, 516 604 434, 604-606, 608, 614 605, 607 604 604, 606, 612 604, 613
1031
Stellenregister 11,17 f. 11,17-20 11,17-23 11,18 11,18-20 11,19 11,19 f. 11,20
11,21 f. 11,23 11,24 11,24-26 11,26 11,27 11,27 f. 11,28 11,29-32 11,33 11,34 11,37-44 11,39 11,43 12,10 12,42 12,56 13 13,1-3 13,2 13,4 f. 13,6 13,6-9 13,10 13,10-17
13,11 13,11-13 13,12 13,13 13,14 13,14-16 13,15 13,16 13,17 13,18
1032
607 133 428, 606 604, 608 605 606 133 138, 253, 429, 522, 524, 605 f., 608, 610-612, 618, 646, 850 604, 607 605 f., 610 f. 523, 529 95, 324, 531, 534, 605, 611 523 605 f., 836 605 605 21, 604 573 347 632 572 634 522 572 617 373 77, 701 734 76 504 373, 615 13, 26, 615 9, 26, 28 f., 88, 252, 513, 515 f., 523, 579, 615-626, 627, 644 117, 514, 516, 529, 617, 699 616 629 17, 519, 523 f., 574, 629, 644, 836 619 616 515, 572, 635 f. 26 634 615
13,20 f. 13,22 13,28-29 13,29 13,31-33 13,32 14 14,1 14,1-6 14,2 14,3 14,3-5 14,4 14,5 14,6 14,7-14 14,8-10 14,10 14,12 14,12-14 14,13 14,15-24 14,16-24 14,25 15,1 15,1-32 15,2 15,4-7 15,7 15,8 15,8 f. 15,10 15,20 15,21 15,24 15,31 f. 16,3 16,7 16,14 16,15 16,16 16,19-31 16,20 16,24 16,31 17,5 f. 17,6 17,11
615 615 395 635 116 25, 95, 211, 516, 519, 529, 532 436, 628, 630, 635 628 9, 28 f., 252, 514-516, 522, 523, 624, 627-637 627, 631 627-628 523 627 256, 515, 627, 635 f. 628 627 635 333 635 635 343, 635 337 298 567 634 634 233 643 563 573 643 643 572 562 839 634 874 836, 849 632, 634 240 77 364, 661, 751, 760 394 620 760 572 484 514, 639, 645, 647
2. Neues Testament 17,11 f. 11,14-23 17,11-17 17,11-19 17,12 17,12-14 17,12-17 17,12-19 17,13 17,13 f. 17,14 17,15 17,15 f. 17,15-19 17,16 17,17 17,17 f. 17,18 17,18c 17,19 17,21 18,1-8 18,6 18,13 18,15-43 18,27 18,35 18,35-43 18,37 18,42 18,43 19,1 19,1-10 19,2 19,8 19,9 19,37 19,41-44 19,47 20,46 20,47 21,1 21,2-4 21,26 f. 21,37 22,3 22,19
642 523 15, 89 28, 289, 469, 514-516, 518, 638-649 639 f., 643 f. 232, 638 643 562, 666 263, 639-641 645 233, 514, 638 f., 644 f. 524, 574, 639 f., 642-645, 648 540, 644 f. 638 233, 639 f., 648 643 640 638-640, 645 642 16, 514, 639 f., 642 f., 651 610, 643, 646 580 572 336 514 599 495 359, 368 f., 427, 434, 516, 518, 574, 644 530 651 524, 574, 644, 836 516 363, 635 835 572 620 21, 514, 516, 522 374 616 634 580 342 580 522 616 96, 532 711
22,30 22,35 f. 22,36 22,38 22,40 22,47 22,48 22,49 22,50 22,50 f. 22,51 22,52 f. 22,55 22,61 22,64 22,68 22,69 23,17 23,17-25 23,28 23,31 23,43 23,46 23,47 23,56 24,1 24,6 24,19 24,30 f. 24,31 24,36-53 24,42 f. 24,49 24,52 24,52 f.
118 448 651 f. 651 651 650 650 650 f., 655 650 f. 43, 514-517, 521, 650-655 17, 515, 519, 573, 650 f. 651, 655 573 567, 572 523 629 522, 524 629 634 567 837 653 524 567, 569 628 768 573 117, 367, 369, 523 f., 530, 579 595 51, 650 463 334 522 640, 648, 889 540
Joh 1 1,4 f. 1,4-9 1,5 1,9 1,11 1,14 1,17 1,18 1,18-28 1,19-28 1,24
669 767 665 766 667 667 671 710 710 694 669 730
1033
Stellenregister 1,28 1,29 1,31 1,34 1,35 1,40 1,43-2,11 1,44 1,45 1,47-51 1,50 1-20 2 2,1 2,1-10 2,1-11
2,1-12 2,3 2,4 2,5 2,6 2,9 2,9 f. 2,10 2,11 2,11 f. 2,12 2,13 2,18 2,18-22 2,23 2,23 f. 2,23-25 2-12 3,1 3,2 3,3 3,8 3,14 3,15 3,15 f. 3,16 3,17 3,18-21 3,21 3,22 3,23
1034
698, 751, 880 400, 669 660 665 773 669 773 307, 691 710 661 659 766, 772 f. 17, 674, 679 669, 671 f., 681, 684, 698 681, 686 8, 443, 487, 660 f., 663, 669-680, 691, 705, 726, 765 443, 673 f. 678 666, 670, 679, 682 443, 670 665, 670, 672 f., 699 670-671 665 671 f., 718, 729 20, 659 f., 662 f., 666, 671, 673, 677 f., 733, 770 671 671, 685, 717 671, 691, 705 667 694 660 f., 663, 681, 685 f. 682 662, 687 662 f. 735 21, 661, 698 664, 687, 752, 839 721 710 665 681 683 740 727 767 766, 881 698
3,29 3,31 4 4,1 4,4-26 4,4-54 4,5 4,9 4,10 4,16-19 4,18 4,18 f. 4,19 4,20 4,20-24 4,22 4,25 4,34 4,39 4,43-45 4,44 4,45 4,45-54 4,46 4,46-52 4,46-54
4,47 4,48 4,48 f. 4,49 4,49 f. 4,50 4,50 f. 4,50-53 4,51 4,51 f. 4,52 4,52 f. 4,53 4,54 5
5,1 5,1 f. 5,1-3
678 752 15, 17 730 642 685 698 728, 737 681, 687, 694 661 699 31 686, 710 889 643 737 701 664, 702 686 681 116, 681 662, 681, 685 726, 729 663, 672, 681 f. 671 28, 170, 181, 393, 469, 570, 660 f., 663, 681-689, 691 394, 663, 665, 681-683 20, 660, 664, 667, 682, 685-687 682, 685 682, 685 683 394, 686 f. 663, 682 114 394, 671, 718 683 683-685 665, 686 666, 683 f., 686 f., 729 20, 662, 673, 681, 683, 686 15, 17, 44, 252, 695-698, 703, 705, 726 f., 734, 737, 748, 829 691, 698 f., 705, 766 705 691
2. Neues Testament 5,1-4 5,1-9 5,1-15 5,1-17 5,1-18 5,1-47 5,2 5,2 f. 5,2-9 5,2-16 5,3 5,3 f. 5,4 5,5 5,5 f. 5,5-9 5,6 5,6-8 5,7 5,8 5,8 f. 5,9 5,9-16 5,9-18 5,9-47 5,10 5,10-13 5,10-18 5,11 5,11 f. 5,12 5,13 5,14 5,14-16 5,15 5,16 5,17 5,17 f. 5,18 5,19-30 5,19-47 5,20 5,20 f. 5,21 5,21-23 5,24 5,25 5,28
691 88, 661, 727 28 735 27, 247, 562, 660, 663, 690-704 663 692 f., 696 f. 691 698, 703 699 691, 693, 696 693 562, 691 13, 247, 665 703 691 666, 700 693 13, 429, 693, 697 693, 700 f., 703 564 691, 698-700, 729, 735 247 252 663 698 f., 700 691 726 693 f. 700 693 f. 683 90, 240, 562, 698-703, 727, 731, 735, 872 691 694 694, 698, 702, 730, 740 664, 702, 729, 829 247, 691, 698 f. 663, 698, 703, 738 691 691 664, 702, 740 663 663, 681, 693, 701 701 701 749, 758 749
5,36 5,45 f. 5,46 5,52 5-12 6 6,1 6,1-4 6,1-14 6,1-15 6,1-25 6,1-71 6,2 6,3 6,4 6,5 6,5-8 6,5-9 6,7 6,9 6,10 6,10 f. 6,11 6,12 6,12 f. 6,13 6,14 6,14 f. 6,15 6,16 6,16-21 6,16-25 6,16-71 6,17 6,18 6,19 6,19 f. 6,20 6,21 6,22 6,22-24 6,22-25 6,24 6,25 6,26 6,26 f.
664 710 710 683 735 15, 17, 691, 705, 711, 713, 720, 726, 736, 772 705 f., 766 f., 772 705 f. 493 160 f., 449, 660 f., 663, 705-715, 716, 773 311 336 660 f., 663, 706 f., 711, 713 706-709, 716 698, 705 f., 708, 711, 720 706 f., 709, 711, 716 707 705 666, 707, 712 f. 447, 666, 699, 706 f. 706 f., 713 705 336, 660, 663, 711, 713 f., 771-773 684, 707 f., 713 705, 707, 711 448, 707 f., 771 666, 709, 719 705 f., 710, 713, 723 706 f., 709, 716 f. 706 f., 717 311 f., 463, 660 f., 663, 705, 707, 772 716-724 311 717, 719, 766 312, 717, 719 666, 718-719 720 718, 723 312, 717-719 718 719, 722 717 719 723 664, 667 712
1035
Stellenregister 6,27 6,28 6,28 f. 6,30 6,32 6,32-58 6,35 6,39 6,42 6,48-51 6,50 6,51 6,51-58 6,59 6,60-65 6,60-66 6,66 f. 6,66-71 6,68 6,69 6,70 7,1 7,2-10 7,3 7,11 7,19 7,20 7,21 7,21-23 7,22 f. 7,23 7,27 f. 7,30 7,31 7,32 7,33 7,34-36 7,37 7,40 7,40 f. 7,41 7,42 7,53-8,1 7 f. 7-10 8 8,5 8,11 8,12
1036
712, 772 664 664 20, 667 709 f. 674 317, 712 f., 720, 723 757, 772 670 713 758 758 711 207 687 311 701 713 706 209 664 698, 705 691 664 727 710 96, 136, 188, 609, 664 f. 664 698 252, 699 700 839 670 661, 663, 666 730 756 839 728 710 710 710 207 28 728, 737 728 727 710 872 96, 663, 665, 667, 717,
8,13 8,14 8,20 8,21 8,21 f. 8,23 8,31-36 8,36 8,37 8,44 8,48 8,48 f. 8,48-52 8,56 8,57 8,58 8,59 9
9,1 9,1-3 9,1-7 9,1-12 9,1-34 9,1-41 9,1-10,21 9,2 9,2 f. 9,3 9,3 f. 9,3-5 9,4 9,4 f. 9,5 9,6 9,6 f. 9,7 9,8 9,8-12 9,8-38 9,8-41 9,9 9,9 f.
720, 723, 727, 729, 733, 738 f. 730 839 670 767 756 752 687 664 698 664, 740 188 96, 664 f. 136, 609 710 699 739 727 15, 17, 59, 252, 348, 501, 687, 689, 694, 698, 701, 726-728, 733, 735, 738 f., 829 13, 666, 699, 727 f., 731 f., 734, 737 737 87 f., 727 f., 738 363 28 28, 660 f., 663, 725-741, 833 727 240, 562, 729 418, 698, 726, 731, 735 90, 562, 664, 702 664, 732 729 664, 727, 729, 733, 738, 767 717, 727 663, 727, 767 17, 345, 731 693, 729 692, 697, 727, 731 342, 729 728 729 726 729, 735 732
2. Neues Testament 9,10 9,11 9,11 f. 9,13 9,13-17 9,14 9,14-17 9,16 9,17 9,18 9,18-23 9,20 f. 9,21 9,22 9,24 9,24-34 9,25 9,27 9,28 9,28 f. 9,29 9,29 f. 9,30 9,30 f. 9,31 9,32 9,33 9,34 9,35 9,35-38 9,35-41 9,35-58 9,38 9,39 9,39-41 9,41 9,69 10 10,1 10,1-5 10,1-18 10,4 f. 10,6 10,11 10,18 10,19-21 10,20 10,20 f. 10,21 10,22
731 729, 731 728 730 698, 728 698, 729, 735, 737 252 730, 732 f. 116, 710, 732 730 728 732 728 730-733, 735, 740 730, 732 728 732 731 732 733 710, 730 839 22, 732 348 733 730, 732 710, 730, 732 364, 701, 731-733 727 666, 727 f. 364 687 727, 732, 889 727, 731 f. 431, 728, 733, 735 727, 732 325 298, 737 768 748 727 f. 727 727 758 739 727 136, 188 96, 609, 664 f. 727 727 f.
10,22-42 10,23 10,25 10,30 10,32-38 10,40 10,40-42 10,41 10,42 11
11,1 11,1 f. 11,1-5 11,1-43 11,1-44 11,1-53 11,1-57 11,1-12,11 11,2 11,3 11,4 11,5 11,6 11,6 f. 11,6-16 11,7 11,8 11,9 f. 11,10 11,10 f. 11,11 11,11-13 11,13 f. 11,14 11,15 11,16 11,17 11,17-27 11,17-37 11,18 11,20 11,21 11,23 11,23 f. 11,25 11,25 f. 11,26
727 697 664 739 727 751, 880 666, 745 659-661 727 15, 28, 425, 689, 698, 727, 739, 745 f., 749, 752, 754758, 760, 843 f., 879 745 f., 748, 751 748 745, 748 880 26 15, 589, 660 f., 663, 683, 726 f., 745 745 745 26, 742-763 745, 749 f. 746, 748 682, 748, 750, 756 747, 759 749 f., 755 750 745, 749 744, 749, 756 747 f., 750, 756 727, 729, 746, 749, 756 767 750 748, 750, 754, 756 f. 750 748 750, 754, 759 666, 750, 757 749 f., 754, 759, 773 666, 752, 754, 760 745 749 744, 751 760 746 f., 757 757 750 749, 758 750, 756 f. 757, 759
1037
Stellenregister 11,28 11,28-37 11,31 f. 11,33 11,37 11,38 11,38-44 11,39 11,40 11,41 11,41 f. 11,42 11,43 11,43 f. 11,44 11,45 11,45-54 11,45-57 11,45-12,11 11,46 11,47 11,48 11,50-52 11,51 f. 11,52 11,53 11,55 11,55-57 11 f. 12 12,1 12,1 f. 12,1-3 12,1-11 12,2 12,2 f. 12,3 12,4-6 12,4-8 12,5 12,6 12,7 12,9 12,11 12,12 12,13 12,17 12,20 12,21 12,23
1038
747, 750 745, 747 750 747, 750 727, 750 752, 796 745, 748 13, 666, 748, 752, 756 747 324, 336, 711 119, 739, 746, 758 757 573, 748, 754 758 745, 752 745 745 745, 756 745 701 21, 661, 663, 744 566, 746 746, 754, 759 750 746 760 706, 744 691 26, 752, 758 f. 737, 756 755 745 759 745, 749 755, 758, 760 748 748, 755, 760 749 750 699, 746, 755 750 748, 752, 755 f. 745 666, 745, 760 691, 745 802 749, 752 889 307, 691 670, 744
12,24 12,28 12,28-36 12,31 12,31 f. 12,32 12,35 12,35 f. 12,36 12,37 12,37-43 12,39 f. 12,40 12,40 f. 12,41 12,42 12,46 12,47 12,55 13,1 13,1-20 13,2 13,21-30 13,23-26 13,27 13,30 13-20 14,10-12 14,12 14,19 14,26 15,1-8 15,5 15,6 15,13 15,20 15,24 16,2 f. 16,13-15 16,14 16,15 16,17-22 16,21 16,25 17,1 17,4 18,6 18,9 18,10 18,10 f.
756, 761 810 756 664-665 188 771 766 727, 733, 767 666, 717 659, 661, 666 666 498 348, 683 740 710 735 665, 739 f., 767 663 695 670 773 664 766 765 96, 664 729, 766 663 664 664, 740 758 762 676 767, 772 837 759 698 664 735 701 707 707 717 757 759 336, 670, 744, 810 664 654, 720 772 515, 654 655
2. Neues Testament 18,13 18,15-18 18,15-25 18,15 f. 18,18 18,28 18,33 18,37 18,39 18,40 19,8 19,10 19,12 19,19-22 19,25-27 19,27 19,30 19,40 19,41 f. 20 20,1 20,2-10 20,2-11 20,5-8 20,8 20,14 20,15 20,16 20,17 20,19 20,19-29 20,22 f. 20,24 20,24-26 20,25 20,28 20,29 20,30 20,30 f. 20,30-21,19 20,31 20,31 f. 21 21,1 21,1-11 21,1-14
841 766 769 766 769, 773 175, 394 710 717 629 757 757 629 629, 710 717 670, 766 744 744 752 880 765, 771, 845 702, 767 766 766 766 666, 766 765 836 361 660 51, 698 659, 766 740 773 795 795 843 569, 746 21, 659-663 659 f., 662 f., 666, 671, 737, 746, 765 f. 558 660, 671 685 464, 659 f., 723, 766, 769, 773 f., 776 764 52, 513, 772 334, 443, 463, 487, 555, 557, 660 f., 663, 705, 707 f., 717, 764-777
21,1-19 21,2 21,3 21,3-11 21,4 21,4 f. 21,5 21,6 21,7 21,7 f. 21,8 21,9 21,9 f. 21,9-13 21,10 21,11 21,12 21,12 f. 21,13 21,14 21,15 21,15-17 21,15-19 21,24 f.
555 672, 765 f., 773 765, 773 770 765 f. 557 334 443, 765, 767, 773 463, 663, 765 f., 776 312 766 463, 766, 769 708 557 766 557, 666, 699, 764, 766, 772 766 766 663, 766, 771, 773 660, 663, 765 f. 660, 765 557, 773 769, 773 766
Apg 1,8 1,15-26 1,24 2,14-36 2,22 2,23 2,24 2,33 2,39 2,42-47 2,43 3,1 3,1-10 3,2 3,6 3,13 3,14 3,22 4,6 4,8-12 4,21-23 4,22 4,27
522, 544 77 240 21 21, 522, 530 517 882 524 334 363 20, 703 697 363, 703, 727, 734 92, 699 703 629 209 579, 710 840 289 629 699 209
1039
Stellenregister 4,30 4,31 4,32-37 5,1-11 5,6 5,12 5,12-16 5,15 5,16 5,17-26 5,34-39 5,36 5,37 5,40 6,14 7,2 7,8 7,37 7,55 f. 7,56 8,6 f. 8,7 8,7 f. 8,13-25 8,27 9,7 9,8 f. 9,12 9,25 9,33 9,36-42 9,40 10 10,1-11,18 10,11 10,22 10,24 10,28 10,28 f. 10,38 10,41 11,3 11,5 11,18 11,28 12,1-11 12,3-11 12,23 13,1 13,4-12
1040
20, 703 76 363 77, 836 836 20, 697, 703 703 96 95, 523 77 109 109 110 629 530 620 337 579, 710 524 898 201 523 95 199 889 233 836 341 335 699, 703 589, 754 573 181, 396, 570 569 335 566 568 175, 642 394 517, 522, 524, 530, 620 233 233 335 628 298 77 897 77 684 130, 866
13,8-12 13,11 13,19 13,23 13,26 13,43 13,46 14,8 15,8 15,16 16,8 16,16-18 16,17 16,23-40 16,26 16,31 f. 16,35 f. 17,9 17,23 18,8 19,11 f. 19,12 19,12 f. 19,12-16 19,13 19,13-16 19,13-17 19,13-19 19,16 20,9 f. 20,10 20,34 21,14 21,38 21,37 f. 22,8 22,13 22,21 23,68 24,11 26,4 26,9 27 27,20 27,35 27,35 f. 27,44 28,1-6 28,3 f. 28,7 f.
77 836 337 517 620 208 319 699 240 834 306 95 f., 201 524 77 76 684 629 629 821 684 95, 201, 825 96, 629 529 523 135 96 77, 130 665 104 754 754 875 628 109 109 530 342 334 430 889 566 530 515 403 336 334 403 28, 76 836 515
2. Neues Testament 28,8
684
Röm 1,3 1,4 1,16 2,9 f. 2,19 5-8 6 8,27 9,4 10,9 11,8 12,14 13,1-7 14,33 15,19
367, 470 73 289, 319 319 498 633 633 240 317 318 367 837 488 889 20, 73, 76
1Kor 2,4 3,16 f. 4,12 4,20 6,14 8,7 9,1-18 10,20 f. 11,24 12,9 12,9-11 12,10 13,2 14,25 15,3 15,4 15,5-8 15,6 15,12-20 15,24-27 15,43 15,56
73 492 875 73 74 702 875 99 711 73, 366 96 99 121 889 169 901, 903 896 702 156 94 74 633
2Kor 3,14 4,4 9,10 f. 11,7-11 11-13 12,2
367 498 849 875 618 99
12,8 12,9 12,12 12,13
74 439 20, 73 f., 76, 95 f., 366 875
Gal 1,19 5,20
782 99
Eph 2,2 2,13 4,28 6,12
99 334 875 99
Phil 2,11 3,2 4,13
318 317, 321, 471 858
Kol 2,12 4,14
881 520
1Thess 2,4 2,9 f. 4,10-12
240 875 875
2Thess 3,10-12
875
1Tim 4,1 5,23
99 618
2Tim 2,18
881
1Petr 1,24 2,9 2,13-17 3,19 4,6
837 22 488 898 898
2Petr 1,9
498
1041
Stellenregister 1Joh 2,9 2,14 2,20 4,1 4,8
702 765 209 99 414
Hebr 8,9 11,29
629 837
Jak 3,15 5,14 f.
99 240
Jud 3,26
306
Offb 1,4 2,11 2,20-23 2,22 2,23 2 f. 3,7 4,1 6,6
335, 337 758 316 394 240 335, 337 209 898 447, 708
7,1 7,4-8 7,9 7,16 9,20 9,20 f. 10,1-3 12,1 12,7-10 13,1 14,15 15,1 16,9 16,12 16,13 f. 18,2 18,23 19,10 20,6 20,8 21,1 21,6 21,8 21,12 22,8 f. 22,15 22,17
335, 337 337 802 337 99 99 899 337 94 260 837 22 640 837 99 98 99 889 758 335, 337 260 337 99, 758 337 889 99, 317, 471 337
3. Pagane antike Literatur Ael. nat. 12,43 15,5
767 549
Ael. Arist. or. 42,10 45,29 45,33
260 260 260
Aisch. A. 1008-1019 Aisch. Pers. 499
404 888
Apollod. 3,69 f. 3,84 f. 3,94
343 343 343
Alex. Aphr. febr. 17 [1, 93 I] 18 [1, 93 I]
537 537
Apul. apol. 56 Apul. flor. 19
888 753
Ann. Luc. bell. civ. 5,508-677 260
1042
Anth. Graec. 19b
363
Apic. coq. 10,1,1
547
Apoll. ep. 17.23.52 Apoll. Rhod. 1,363-366
127 768
3. Pagane antike Literatur Aret. CD CMG 2,168 f. CMG 4,13
225 225
Arg. 1,182-184
458
Arist. e.N. 1,1 1094a 1094b 8,13 1114b 8,5,5 Arist. fr. 191 157 Arist. hist. 8,19 Arist. metaph. 1,1 980a Arist. oec. 1343b-1259b1 Arist. po. 1451b
230 39 397 346 759 126 770 550 342 538 37
Aristides apol. 12
807
Aristoph. Plut. 430 771-773
94 888
Arnob. adv. nat. 1,43
136
Artemidor 1,26 1,48 2,36 3,39 5,9 5,44
342 342 342 342 342 342
Athen. deipn. 2,5
404
Augustus res gest. 15
849
Cael. Aur. morb. chron. 4 4,1,3 4,1,16
225 225 225
Caes. civ. 6,38,1-5 7,50,1-6 40,7
178 178 178
Cass. coll. 7,5,1
400
Cels. med. 2,6,16-18 3,3-17 3,23,2 7,14
753 537 354 342
Cic. Cat. 3,9 f. Cic. div. 1,55 Cic. fam. 16,23[8] Cic. fin. 5,29,87 Cic. Liv. 2,36,1-8 27,11,2 Cic. n.d. 2,71 1,43 1,82 Cic. Pomp. 48 Cic. tusc. 5,38,111 5,39,113 5,39,113 f. 5,78
807 837 397 343
Colum. praef. 1,8
404
Comm. instr. 3
535
Dio Cass. 36,52,3 37,9,1 f. 41,14,1 41,46,1-4 41,46,3 41,46,4 45,17,4 48,4-6 48,46,3 50,10,2 51,17,4-5 54,17,3 61,35,1 62,23,3 66,7,2 66,8 73,23,1 73,23,1 f.
888 807 76 260 260 261 76 808 76 76 77 849 76 888 489 327, 345, 365 76 76
837 807 227 807 807 260, 405 497 342 343 807
1043
Stellenregister 73,23,2 77,18 77,18,4
76 113 127
Dio Chrys. or. 3,30 f. 32,18 Dio Chrys. Tyr. 16
309 405 816
Diod. Sic. 1,50 1,54,1 4,67 4,71,1-3 5,41,5
342 759 343 753 834
Diog. Laert. 1,109 4,16 f. 8,11 8,36 8,41 8,59 8,60-62 8,70
128 554 75 554 126 126, 405 126 126
Dioscur. mat. med. 1,64,4
342
Epict. diss. 1,18,6 f. 1,25,10 2,20,37 3,26,3 24,19 Epict. quaest. 8,718e
347 397 347 347 347 347
Epidaurische Iamata IG 10,51 327 Epiph. pan. 79,4,7
679
Eurip. Alces. 561 f. Eurip. Ant. 1683 Eurip. Ba. 278-285 Eurip. Electr. 239 1355 Eurip. Ion 30-56 920 Eurip. Iph. T. 1099
753 97 342 675
1044
837 404 820 803 803
Eurip. Tro. 759 Galen. 7,81 7,666 11,859 f. Galen. dieb. decr. 9,903 Galen. diff. febr. 1 [7, 275 K.] Galen. introd. 14 Galen. loc. aff. 8,172 Galen. meth. med. 10,410 Galen. simpl. med. 12,146 f. 12,294
816
631 837 129 477 537 225 505 505 505 505
Gilgam. 10,71-77
309
Hdt. 1,90,1 1,138 3,42,1-3 4,14 f. 4,15,1 6,27 7,1,36 7,191 9,93 f. Hdt. vit. Hom. 1,3
210 225 490 135 888 864 888 134, 260 343 343
Hel. Aeth. 7.2711 Hes. op. 122-126 Hes. theog. 123,208f. 459 Hippocr. 6,8,27,35 9,46 Hippocr. art. 42 45 Hippocr. ep. 17 Hippocr. epid. 1,11 6,14 [5,247 L.] Hippocr. hebd. 12 Hippocr. morb. sacr. 1 1,2 f. 1,32
672 97 262 820
631 363 621 618 753 341 537 83 70 478 99 92
3. Pagane antike Literatur 1,33-38 1,39 f. 1,41 7,1-12 Hippocr. vict. 1,10 21,7 Hippocr. virg. 1
100, 102 132 354 100, 102
Hom. Herm. 150-152 Hom. Hym. 3,116 f. 3,172 f. 33,8-17 4,45 f. Hom. Il. 3,413-418 4,194 5,476 6,139 6,266-269 6,474 8,299 9,443 11,833 f. 13,623 15,418 15,467 19,188 Hom. Od. 6,162 f. 8,106 f. 10,11 17,291-323 23,208 49
28,136 35,254-264 36 107 225
126 127 769-770 770 770
83 505 83
Isokr. 4,1,51
888
820
Iuv. sat. 3,14 6,542
334 334
LibBarth 26
882
Liv. 1,4,5
507
803 343 260 838 97 81 468 734 227 888 468 210 81 468 97 97 97 803 342 343 468 888 408
Hor. carm. 1,3,21-26 Hor. ep. 1,2,23-26 2,1,70
471 864
Iamb. vit. Pyth. 8,36 13,60-62 14,63 19,91 25,111 28,134 28,135
75 126 126, 134 309, 458 126 126 134
404
Luc. Abdic. 5 Luc. Alex. 1 5 13 22 24 36 Luc. Dem. 49 Luc. deor. conc. 12 Luc. ind. 2 Luc. Iup. 42 Luc. nav. 9 Luc. philops. 9 13 16 18-20 31 16 Luc. sacr. 13 Luc. sal. 17 Luc. tox. 24 Luc. ver. hist. 2,4
684 70 127 113 328 127 127 127 888 538 497 807 260 70 328 458, 480 70, 92, 102, 104-106, 134 217 105 326 807 888 478, 837 458
Lys. orat. 18,23
759
Marc. Aurel. 11,33
372
Marc. Emp. med. 8,43,166
134
Meth. lepra 11,4
233
1045
Stellenregister Min. Fel. 2,4
888
Opp. hal. 4,635-646
768
Ov. ep. 1,53-58 Ov. met. 7,255 f. Ov. trist. 5,6,31
343 326 343
Palaiphat. 21 26
72 72
Paus. 5,7,4 6,6,1 f.
767 675
Petron. satyr. 3 114,5
555 404
PGM 1,1-42 1,103 f. 3,36 3,616 f. 4,289 4,1232 f. 4,1242 4,1244-1248 4,3007 4,3007-3086 4,3012 4,3019 4,3019 f. 4,3019-3078 4,3037-3041 4,3041 5,158 7,242 7,396 7,795 7,966 9,4 11,1 13,150-152 13,242-244 13,458 f.
136 297 105 326 105 135 133 105 133 103 105 105 135, 665 130 133 105 133 105 209 135 209 209 135 328 105, 327 328
Philostr. vit. ap. 1,3
113
1046
1,7-12 1,9 1,19 3,38 f. 4,10 4,13 4,15 4,18 4,20 4,20,7-14 4,20,19 4,44,5-16 4,45 5,24 5,42 6,27 6,41 6,43 7,9 7,38 13
126 127 240, 468 699 127 260 260 240 127, 133, 213 104 106 97 72, 119, 127, 577, 753 f., 897 127 134 127 127 127 240 127 127
Pind. Olymp. 13,105 Pind. Pyth. Od. 3,1-3
98 79
Plato apol. 27cd 27d 28e Plato Gorg. 468d Plato Lys. 214d Plato nom. 7,5 12,961d 717a 887e Plato Phaid. 67bc 107d 118a Plato Prot. 325c-326e Plato rep. 469a-b Plato soph. 220c-221c 221a-222a Plato symp. 197a Plato Tht. 107a.11 Plato Tim. 38b-39d
97 69 69 94 759 816 405 97 888 227 97 71 864 888 767 555 865 405 69
3. Pagane antike Literatur 40a-d 40de 47a-b 90c Plin. nat. 2,231 5,15 5,74 8,143 f. 9,23 9,43 15,20,77 16,240 17,267 26,7 26,93 28,20 28,35-39 28,36 28,37 28,38 28,41,228 f. 28,86 30,11 Plut. Alex. 2,2 f. 3,2 4,2 17 Plut. Ant. 60 Plut. Artax. 22,8 29,12 Plut. Brut. 36 48 Plut. Caes. 38 38,1-7 69,3 Plut. conj. praec. 19 Plut. Cor. 24,1-3 Plut. fort. Rom. 320c-e Plut. Galba 18 f. Plut. Marc. 6,11 f. Plut. mor. 2,3,638 40d
69 97 342 97
675 708 271 468 550 771 507 803 197 225 327 328 345 327 134, 327 327 217, 537 134 128
796 343 798 75 76 888 888 69 69 261 75 76 684 837 507 76 888 816 684
434c 438b 568a Plut. Num. 14,4 15 15,2 f. Plut. Otho 8 Plut. quaest. 4,1,3,663c 8,718e Plut. Rom. 3,5-4,1 20,5-7 Polyb. 2,58 f. 6,24 13,2,2 16,12,3-5 16,12,3-6 21,23,11 f.
343 327 489 888 75 297 76 326 347 507 373
20 178 631 753 72 759
Porph. abst. 4,6-8 Porph. vit. Pyth. 25 29
227
Quint. inst. 8,3,22
468
Quodvult. prom. 2,6
233
Sen. ep. 3,2 f. 50,3 Sen. med. 301-328 616 f. Sophoc. Ant. 989 Sophoc. El. 1375 1388 Sophoc. Oed. R. 828 1368 1654 f. Sophoc. Phil. 533 657
553, 769 309, 458
759 342 404 404 342 888 468 971321 f. 342 342, 497 888 888 888
1047
Stellenregister 1407
888
Stob. anth. 4,33,31
632
Suet. Aug. 94,8 Suet. Galba 4,3 Suet. gramm. 3 9,2 9,4 Suet. Vesp. 4.5 7 7,2 7,2 f.
808 808
113 327 345 75, 345, 365
Sulp. Sev. vit. 18
234
Tac. ann. 13,58 14,32 Tac. hist. 4,81 4,81,1 4,81,1-3
342 864 864
373, 507 807 111, 113, 345, 365, 498 121 327
4,81,2 f. 5,13
122 113
Theocr. 24,61
837
Theophr. char. 25,2 Theophr. h. plant. 4,13,2
404 803
Thuc. 1,139,4 3,104
210 343
Val. Flacc. Arg. 1,184-226 1,657-680
404 404
Verg. Aen. 5,815 835-871
404 404
Xen. An. 3,2,13 Xen. Hipp. 8,22 Xen. oec. 7,20-43 13,8
888 210 538 468
4. Frühjüdische Literatur syrAch 135
373
ApkEl 42,8
470
Arist 89-91 138
695 807
AscJes 3,16 f. 11,7
902 797
AssMos 10,1
94
Bar 5,5 2Bar (= syrBar) 29,3 f. 29,4-8 29,5 f.
398
1048
334 449 337
3Bar 29,5 f. 29,8
674 674
CD 1,9 6,17 10,14-11,18 11,13 f. 11,16 f. 12,1 f. 15,16 16,2
347, 498 228 251, 735 251, 256, 438 251, 256 450 250 347
1Esr 4,7-10LXX 4,49 f. 2Esr 6,7 f.
568 489 568
4. Frühjüdische Literatur 6,14 4Esr 7 13,39-50 Flav. Jos. Ant. 3,11,3 3,210 3,245 3,264 3,266 4,329 6,10 6,166 7,287 8,42 8,42-49 8,44-49 8,45 8,45-49 8,46-48 8,47 8,47 f. 8,48 8,48 f. 9,19 9,182 10,167 f. 11,56 11,64 12,272-277 13,288-298 13,317 14,22 14,23 f. 14,91 14,110 15,289 15,314 16,210 17,161 17,194 17,198 17,200-203 17,266 17,270 17,281 17,285 17,198 18,3,1
568 396 644
226 f., 343 836 834 644 f. 644 709 808 104 836 101 129, 532 364 105, 431 101, 111 109, 820 102, 104, 106 133 101, 133 106 607 116 109 336 364 251 430 98 114, 120 120 363 488 471, 684 848 98 363 363 393 709 684 684 684 709 393 889
18,4 f. 18,5 18,12-15 18,63 18,113 f. 18,312 18,113 f. 19,1,1 19,343-350 20,51 20,97 20,97-99 20,101 20,142 20,159 20,169 20,169-172 Flav. Jos. Apion. 1,31 1,281 2,86 2,139 2,291 Flav. Jos. Bell. 1,45 1,170 1,659 1,666 2,1 2,1-13 2,55 2,136 2,162-166 2,163 2,252 2,258-260 2,259 2,261 2,261-263 2,457-465 2,477-479 2,466-476 2,480 2,499-506 2,577 f. 2,577-580 2,588 2,635 3,5 3,30-34
110 122 430 116 393 486, 488, 492 393 458 77 298 113, 709 109 298 130 708 113 109 226 92 807 807 875 683 363 363 363 752 709 709 128 430 122 708 113 109 113 109 271 271 272 271 272 568 178 468 550 767 273
1049
Stellenregister 3,375 3,453-461 3,462 3,506 3,506-521 3,508 4,112-114 4,456 5,6 5,64 5,151 5,227 5,409 5,427 6,312-314 7,100-103 7,185 7,218 7,291 8,285 9,2 f. Flav. Jos. vit. 42 66 86 98 f. 163-165 235 372 403 äthHen (1Hen) 6-16 7,3-5 8,4-9,11 10,4 f. 10,8 f. 10,9 10,19 12,1-14,7 15,3-16,1 15,11 f. 16,1 54,3-5 60,7 60,16 62,13 f. 69,22 69,27 f. 90,4
1050
734 273 708 719 550 334, 708 273 767 226 834 691 92 837 296, 708 113 273 98 488 f. 834 113 889 410 551, 774 672 684 550 196 468 207
532 533 533 117, 414 337 533 674 533 533 69 414 117 260 134 449 134, 260 117 317, 471
103,8
398
Jdt 2,28 10,3
469 575
JosAs 8,5 10,13 13,8 21,21
316 468 468 555
Jub 2 2,25 2,27 2,29 f. 4,32 5,6-8 10,5-11 10,7-14 10,8 30 48,15 48,18 50 50,8 50,12
251 251 251 700, 735 734 414 117 532 414 396 117 117 251 251, 735 251, 735
3Kön 17,18LXX 17,23LXX 4Kön 4,9LXX
209 578 209
Lib. Ant. 53,6 55,9
653 808
1Makk 2,29-48 2,32-38 2,41 4,1 4,28.34 5,15 2Makk 5,21 7,9 7,14 7,22 f.
251 630 251 450 450 469 270 458 753 753 753
4. Frühjüdische Literatur 7,37 9,5 f. 9,8 9,11 9,24 10,7 12,10 12,43-45 13,7 f. 14,4 33,3 4Makk 15,28 15,29
287 734 261, 405 287 19 802 450 753 734 802 488 270 620 335, 337
OdSal 39,9 f.
309
Philo Cher. 87 Philo congr. 93 Philo cont. 25-27 Philo decal. 20-31 76 f. 101 Philo Deus 138 Philo gig. 6,16 16-18 Philo her. 76 Philo LA 1,5 Philo legat. 139 Philo Mos. 1,190 1,334 2,138 Philo opif. 13 f. 41,6 Philo post. 47 Philo sacr. 70 Philo somn. 1,136 1,141 Philo spec. 1,5 1,77 1,257 f. 1,271 2,64 4,100-109
829 260 119 643 807 630 209 98 98 431 702, 829 807 328 709 228 673 834 225 478 98 98 630 488 228 708 630 228
PsSal 2,29 14,8 14,9 17,21 17,21-33 17,40 17,40 f. 1Q20 1Q28 2,3-22 1Q30 1QGenAp = 1QapGen 20,16 f. 20,16-29 20,22 f. 20,28 f. 20,29 1QH 6,22-24 10,29 11,11 11,26 13,7 f. 13,5-18 13,8-12 16,10 f. 1QM 4,3 f. 7,3-6 7,4 7,4 f. 7,4-6 13,2 13,5 14,9 f. 15 1QS 2,21 f. 3,4-6 4,9-11 5,14-20 9,5-9 9,10 f. 4,20 f. 1QSa 1,14 f. 1,27-2,1 1 f. 2,3 f.
261 240 398 364, 470 430 298, 470 333 103 343 209 287 620 326 210, 289 326 260 553 228 553 553 553 553 228 450 228, 343 250 91, 226, 325 875 228 228 210 396 450 228 498 228 209 710 532 298 298 450 226
1051
Stellenregister 2,3-8 2,3-9 2,4-9 2,11-22 3Q15 11,12 4Q159 2,6 f. 4Q175 5-8 4Q181 1,2,1 f. 4Q265 6,5-7 6,6 f. 4Q269 4Q272 4Q273 4Q444 2,1,4 4Q510 1,4-6 1,5 4Q511 8,4 10,1-3 35,6-9 35,7 48 f. 51,2,2 f. 51,2 f. 4Q521 2,2 2,2,8 4 11-13 12 4Q530 1,1,4 f. 4Q531 1 4Q560 1,1,3 f. 4QDa 6,1, 5-7 4QDd 7 4QDg 1,1 f. 4QDh 4,2 4QMMT 6Q18 8Q5 11Q5 11Q11 5,2 11Q19 48,14-17
1052
91 228, 250 325, 875 298 695 692 488 710 734 251, 256 251 532 532 532 129 533 129 532 533 129 532 532 532 533 532 f. 532 533 118 f., 254, 421, 753 431, 753 344, 738 753 118 754 533 533 129, 607 532 532 532 532 532 91, 325 129 129 129 129 532 287
49 11QT 45,20-24 48,13-17 48,23-26
288 875 420 92
Sib 3,744-750 5,73-85 12,104
337 807 767
Sir 7,33 f. 10,10 12,11 15,3 24,14 24,21 27,25-27 36,1 38,1-8 38,1-15 38,15 38,24-38 40,9 40,28 40,28-30 40,30 42,18-20 43,25 48,12-15 50,3 50,12 51,23-30
752 478 623 317 802 677 734 432 85 478 239 199 216 874 363 874 240 19 179 695 802 199
TestBen 8,3 f.
228
TestIss 4,4
228
TestJak 1,9
119
TestJob 9,3 TestJud 2,6 24,4
470
TestLev 16,1-5 18,10-14 18,12-14
470 834
228 117 94
5. Rabbinische Literatur TestNaph 6,1-10 6,3-9 6,9
262 405 721
TestSeb 6,5 f.
770
TestSim 2,11-14 2,12 2,12 f. 2,13
88, 250, 439 250 875 254
Tob 1 f. 2,10 3,3 f. 3,6 3,8 5,17 6,8
90 87, 478 734 629 98, 532 470 532
6,14 f. 6,17 f. 7,6 f. 8,2 8,3 8,19 f. 11,4 11,11-13 14,10
532 98 497 532 98 673 470 345 398
VitProph 10,4
175
Weish 2,21 7,4 7,17-21 9,7 11,26 17,21 19,11 f.
498 820 101 317 414 398 334, 449
5. Rabbinische Literatur Abot de Rabbi Natan (ARN) 36 345
bChag 3a bChul 86a bGit
Babylonischer Talmud bAS 3b 34b 39a bBB 75a 113b 126b bBer 3ab 17b 33a 34b 46a 50a 61b bBez 16,1 bBM 59b
554 547 547 334 490 327, 345 98 114 120 28, 113 f., 120, 217, 469, 688 298 113, 120 554 597 134
bJoma 39a bMen 65a bMQ 22b bNed 20a 41a 64b bPes 9a 119b bSan 43a 47a 67a 101a 107b bShab 17b 63a 104b
606 114 70a 478, 539 297, 335 488 752 90 540, 700 343 175 395 135, 381 26, 638, 644 f. 136 327 891 175 652 136
1053
Stellenregister 108b 109a 119a 128b bSota 47a bTaan 21a 23a 23b 24b 24b 25a
134, 327, 364 364 490, 597 256 891
Bet Ha-Midrasch 2,86 f.
490
EstR 25
373
ExR (ShemR) 25,8 30,9
395 702
GenR (BerR) 11,4 100 11,5 11,10 [8c]
364 128 120 114 297, 335 297, 335, 859
490 754 829 702
mBQ 7,7 mKet 4,4 7,9 mJoma 8,6 mMiq 6,8 mOh 18,7 mShab 2,5 7,2 14,3 f. 14,4 18,3 19,1 19,5 22,5 f. 22,6 24,3 mSheq 1,3-6 1,4 8,8 mTaan 3,8
412 576 343 251, 631 695 175 252 252, 631, 700, 735, 828 252, 631 735 252 252 252 735 252, 631 735 488 488 488 114, 128
MekhEx 19,1 31,13
488 253
MekhJ Bah. 7
829
MTeh 146,5
497
SifBem 88
808
Jerusalemer Talmud jBer 9,1 9,13b jKet 12,35a jSota 1,16d
134 260 326 345
KohR 11,1
490
LevR (WaR) 15 18
631 754
Mischna-Traktate mAS 2,6 mAvot 4,15 mBer 5,5 6,1
1054
547 735 120, 113, 121 295, 334
Tosefta-Traktate tBer 2,20 [5] 3,20 tShab 7[8],23 12 [13],8-14 14,3 15[16],17
768 120 252 631 256 252
6. Außerkanonische christliche Schriften
6. Außerkanonische christliche Schriften ActAndr 23 f. 54
754 898
ActBarn 19,4
105
ActJoh 41 f. 46 f. 48-54 60 f. 76 f. 90 93 97-102 98
808 754 754 47 754 899 301, 339 899 899
ActPetr 7
464
ActThom 54
754
Ambr. ep. 67,4-6 Ambr. Exp. Luc. 10,63-71
740 654
Ambr. explan. 43,7
407
Anton. Plac. It. 13
851
arabK 1 1-9 3 5 6 7 7 f. 8 9 10 10 f. 10-12 10-25 11 11 f. 12 12-13,1
812, 821 811 821 f. 812 822 813 821 813, 815, 823 813 813-816, 821, 823 825 806, 812 811 f. 812 f., 815 f., 819, 825 784, 811-823 813 813
13,1 14 15 16 17 18 19 20 f. 21 23 24 24 f. 25 26 26-35 27 28 29 30 31 32 33 33 f. 35 36 36-49 37 38 38 f. 39,2 40 42 43 43-49 44 46 46 f. 48 48 f. 49 50-53 50-54 53
812 f. 812, 815, 822 812 812, 820 812 812, 822 812, 821 812 812 812 812 812 812 812 811 812 812 812 f., 821 812, 821 812, 822 812, 821 812, 822 812 f., 820, 824 812, 820 f. 812, 827, 830 811 821 859 812, 852 859 812, 821 812, 820 830 812 812, 831, 846 827, 830 f. 812, 840 831 868 812, 821, 867 836 811 822
armenK 15,6-22 15,6-24 15,24 16,4
806 809 810 806, 810
1055
Stellenregister Aug. conf. 1,9
865
Cyp. ep. 63
679
Aug. hom. 122 f.
558
696
Aug. Joh. tract. 9 24,5 40,8 44,1 49
679 714 484 740 761
Cyrill hom. 2 Cyrill Joh. 2,5 3,4
699 714
Aug. serm. 75,2
407
Did 7,3 9,3 f. 9,5 12
834 711 471 875
Aug. Simpl. 4
233
EpAp 2 4 5 5,4-7 5,12 11 12 f. 30 31-33
276 865 275 f., 301, 493 424 f. 306, 312 276 379, 485, 493 276 276
Ephr. Diat. 7 20,13
761 654
Barn 10,4 11,11 14,7.9
875 491 344
Beda Ven. Matt. 8,3
233
Chrys. hom. 21,1 57,3 62,3 Chrys. or. 41,9
679 357 746 699
Chrysol. serm. 60,1
760
1Clem 23,4 25 f. 27,4 45,6
834 19 834 834
Eus. h.e. 3,39,16 6,14,7 7,18 Eus. on. 58,15 f. 58,21-26 134,20
873 773 292 751 696 334
Clem. A. exc. Theod. 77.83 f. 213 Clem. Al. paid. 3,52,2 3,59,2 3,101,3
558 558 558
Clem. Al. strom. 2,45,5 3,5,1-10,1 6,30,1
839 881 126
Codex Atheniensis 355
841
EvJud (CT) 33,6-9
787
EvNaz 4
43, 254, 873-877
EvNik (Pilatusakten) 1,1 1,1 f. 1,2 1,2-4 1,3 f. 1,5 f. 2,1
1056
884, 891 884 136, 884 f. 891 884 53, 785, 824 f., 883-893 884, 886
6. Außerkanonische christliche Schriften 2,4 f. 3,1 4,4 5,1 6 6,1 6,2 6 f. 6-8 7 8,1 9 9,1 11
884 884 884 246 235, 246, 425, 564 246 f. 348 785 886, 888 425 760 884 884 884
1,3 1,4 1,5 1,5-7 1,6 1,7 1,8 1,9 1,10 1,11 1,12 1,12-14 1,15 1 f. 2 2,3,15
879 879, 881 879 880 879, 882 879 879 879, 881 879 f. 880 f. 879 880 f. 880 760 760 760
EvPetr 1,2 4,10 f. 8,28 9,35 9,35-10,42 9,35-11,45 9,36 9,36 f. 9,36-10,42 9,36-11,45 9,37 10,38 10,39-42 11,43 11,44 11,45 11,46-49 12,50 13,55 13,55 f. 14,58-60
684 898 897 894-896 77 f. 785, 894-903 896 895 51 f. 897 896 895 895 895 895 f. 895 895 895 896 896 895
Greg. Naz. or. 14,6,10
234
Greg. Nyss. laud. Bas. 63
234
Greg. Tur. vit. 1,4
234
EvThom 2 28 31
Haimo von Auxerre in Is. 53,13 873 Herm sim 9,16,2
491
Hier. comm. in Matt. 4 8,4 12,13 12,17 Hier. ep. 120,8 f. Hier. exp. in Matt. 2
321 233 873 440 873 873
Hilar. 15,3
42, 473 761 407 608
839 839 116
Hipp. Dan. 1,25 Hipp. demonstr. 59 Hipp. haer. 6,34,1 Hipp. trad. ap. 45 46
FC 20,336-339
302
Hrban. inst. cleric. 1,27
330
gehMk 1 1,1 1,2
Ign. Eph. 20,2
711
878-882 879 f. 879
Iren. haer. 1,7,4
400
880 880
1057
Stellenregister 1,20,1 2,31,2 f. 2,32,3-5 5,15,2-4 5,15,3 5,33,3
782, 865 787 787 740 740 674
6-8 7,2 7,4 8,1 8,2 9
Isid. hisp. etymol. 4,8,11 f.
225
Just. 1 apol. 22 30 Just. 2 apol. 5 Just. dial. 69,7
8 136 535 136
9,1 9,1-3 9,3 9 f. 9-11 10
KThom 1,1 1 1-7 2
2,1 2,2 2,2 f. 2,3 2,4 2,5 2 f. 2-5 2-8 2-9 3 3,1 3,2 3,3 3-5 4 4,1 4,2 5 5,1 5,1 f. 5,2 5,3 6 6,2 6,8
1058
10,2 11 835 783, 827 783 784, 812, 827831, 832 f., 835, 868 827 f., 833, 835 828, 833 827 827, 833 827, 836 827-828 833 f., 840 832 f., 839 844, 848 783 784, 827, 831, 832-842 833, 835, 841 834, 836 833, 835 f. 832 f., 838 834, 846 828, 833, 836, 838 f., 841 837 839 833, 836, 839 828 838 836, 839 782, 831 f. 863 835
11,2 11-13 11-16 12 12,2 13
13,1 13,1-3 13,2 13,3 13,4-7 13,5 13,6 f. 13,8 13,8 f. 13,9 14
15 15,3 15,3 f. 15,4 16 16-18 17 17,1 f. 17,2 17 f.
862, 866 -868 830, 838 830, 838 839 754, 832 784, 831, 843846 834 754 754 838 783 783, 845, 848, 850 830 836, 847, 850, 852, 863 836 848 783 784, 835, 847851, 852 836 783 f., 847 f., 850, 852-861, 864 852 852 852, 854, 858 852 852 853 852 853, 857 852 853, 858 782, 784, 836, 844, 852, 862868 836, 852, 867 f. 836, 867 863 867 830, 848, 850 838 835 f. 754 828, 830, 838 783, 836, 838, 848
6. Außerkanonische christliche Schriften 18 19 19,4 19,5 21 34 36-55 latK 69 73 Lact. inst. 2,15 4,15
754, 845, 850 783, 835 f. 836 836 838 840 840
798 798
535 397
Luther WA 6, 527.529 38,667 50,1914
407 493 613
Mart. epigr. 12,32
849
Max. Tur. Cr. Dom. 1
408
NHC 1,5 p. 1,74,6-10 7,4 p. 104,2-4 11,1 p. 6,29
839 882 881
Or. Cels. 1,6 1,28 1,38 1,68 1,71 2,48 2,55 6,40 8,25 Or. comm. in Matt. 10,3-5 13,6 26,63 Or. lev. hom. 8,6-10 26,4 Or. princ. 4,2,5 P.David 1
135 135 381 70, 135, 297, 339 135 70 70 328 608 678 358 130 233 400 679 549
P.Egerton 2
89, 221, 869872
P.L.Bat. 3,12 17,1
548 549
P.Köln 255
232
P.London 2143
548
P.Osl. 89-91
549
P.Oxf. 12 P.Oxy. 8,924,2 f. 130-135 2243 3267 3268 3269 3270 3495
539 116 549 548 548 548 548 549
P.Tebt. 3,701,38-47 3,701,86-90 3,701,150-152 3,793,8 f.
547 547 547 652
P.Turner 25
548
P.Wisc. 6
548
Pasch. Radb. exp. in Mat. 2 6
876 873 873
Peregr. Eger. 19,2 19,16 23,5
825 825 825
Protev 15,1 17 17,3 18,1 18-20
841 794 794 794, 797 793-798
1059
Stellenregister 19 19,1 19,2 19,3 19 f. 20,1 20,1-4 20,4
794, 797 f. 794 794, 796 f. 794 f. 794 794 794 794 f.
Prud. Sym.1,632
807
Ps.-Clem. 2,19 2,20 f. 3,73 4,1 8,12-18 13,7
42, 473 42, 473 42, 473 42, 473 535 42, 473
Ps.-Cyp. ep. 4
761
Ps.-Long. 3,4
631
Ps.-Phok. 153-161
874
PsB II 187,11-29 192,21 f.
558 558
PSI 901
549
PsMt 1-17 4-8 13 13,1 13,2 13,3 14 14,1 16,2 18 18,1 18 f. 18-24 19 19,2 20
1060
805 806 796 f. 798 798 798 798 806 806 800 806 802 805 800 806 803
20,1 20,2 20 f. 21 22 22,1 22,2-24 22,23 22,24 22-24 23 23 f. 24 25-42 28 f. 29 32 34
800 800 f., 806 784, 799-804 800-802 824 800, 806 800, 806 f. 806 806 784, 805-810, 812, 824, 889 806, 808 53, 808 808 805, 841 832 841, 846 845 f., 851 851
Rupert von Deutz In Joh. X
761
Strab. geogr. 3,4,17 16,2,39 16,2,45
816 128 553
Tert. apol. 22 Tert. bapt. 1 12 Tert. carn. Chr. 4,2 Tert. mon. 8,7 Tert. res. 53,3 f.
557 262, 407 817 679 761
TestSal 5,3 7,3 17,1 20,1 f.
535 327 535 364
Thdt. quaest. 15,9
233
Thom. cat. Matt. 8,1
222, 233
Tit. Bos. serm. 36
806
535
Sachregister Abendmahl 119, 143, 300, 336, 339, 400, 445, 450-452, 679, 711 Aggression 211, 268, 356,361, 413, 650, 652, 655, 740, 823 f., 866 Agrippa 3 Herodes Allegorie 42, 228, 233, 301 f., 310, 339, 355, 400, 451, 473, 501, 592, 620, 646, 653, 676, 679, 713 f., 723, 734 Almosen 92, 250, 335, 363, 580, 606, 734 Anbetung 126, 273, 423, 640, 747, 761, 805 f., 807-810, 843-845, 888 f. (3 Gebet) Angst 9, 19, 98, 196, 258, 261 f., 290 f., 300, 306, 311, 320, 399, 413 f., 433, 457, 462, 610, 625, 716, 722, 815 Anthropomorphismus 31, 170, 184, 186-188, 523, 608 Antipas 3 Herodes Antrittspredigt 212, 515, 517, 520, 563, 645, 836 Apokalypse 77, 94, 200, 254, 273, 298, 376, 398, 424, 449, 532-534, 608, 620, 753 Apophthegma 24, 195, 317, 381, 398, 487, 560 Apopompe 3 Austreibung Armut 71, 91 f., 118, 168, 174, 180, 250, 283, 296, 299 f., 342-344, 362-364, 368, 421, 447 f., 517-519, 521 f., 547, 574-576, 580 f., 596 f., 606, 635, 644, 708, 746, 751, 755, 760, 847 f., 848-850 Arzt 13, 69-72, 79, 81-85, 88, 92, 99, 113, 121, 126, 129, 283, 289, 341, 345, 354, 363, 365 f., 478, 517, 577, 585, 620 f., 641, 753, 755, 816 – Gott als A. 239 – Jesus als A. 9, 75,196, 356, 517, 563 f., 595, 635 – Lukas als A. 520, 620 Asklepios 8, 12, 21, 25, 41, 70-72, 75, 79, 81 f., 84, 88, 126 f., 195, 260, 326, 361, 363 f., 538, 695, 753, 856 (3 Kult, Asklepioskult) Auferstehung – A. Jesu 44, 51-53, 77 f., 156, 209, 211, 223 f., 403, 423, 432, 466, 471, 474 f., 477, 482, 491, 495, 497, 508, 557, 571-574, 579, 590, 633, 647, 659 f., 669, 677, 756 f., 760, 764-768, 771-773, 781 f., 867, 896 f., 899 f., 903
– A. von Menschen 386, 454, 457, 573, 581, 742, 746 f., 749 f., 758, 760 – Endzeitliche A. (A. der Toten) 403, 424, 430, 519, 582, 742, 749, 753, 757 f., 761 – Auferstehungsbotschaft 320, 795 – (Mit-)auferstehen in der Taufe 881 Auferweckung (3 Tod) – A. der Glaubenden 73 f. – A. der Tochter des Jaïrus 26, 198, 257, 282, 355, 416-418, 421-426, 514, 517, 581, 583 f., 587, 589, 591 – A. des Jungen zu Naïn 17, 44, 116, 513, 517, 521, 571, 573, 575, 578 f., 581 – A. des Lazarus 26, 324, 660, 663, 666, 683, 689, 742, 744 f., 754, 758-762 – A. durch Apollonius 577 f., 753, 755, 897 – A. durch Elija und Elischa 421, 578, 589, 645, 753 – A. durch Jesus 8, 118 f., 151, 167, 174, 215, 364, 383, 386, 421, 518 f., 701, 747, 754 – A. in den apokryphen Evangelien 781, 783785, 787, 836, 838, 843-845, 878-882, 894, 896-898, 900-903 – A. Jesu 77, 193, 246, 279, 405-407, 573 f. – Toten(auf)erweckungen 26, 27 f., 34, 72, 81, 110, 127, 227, 242, 515, 517, 577, 590, 638, 644 f., 661, 753 f., 843 Augen 16, 87 f., 101 f., 118, 134, 169, 177, 211, 237, 269, 327, 341 f., 344 f., 347 f., 367 f., 426, 428, 431, 433 f., 482, 495 f., 501, 517 f., 523, 585, 587, 610, 635, 686, 710, 717, 725727, 729-732, 734, 738-740, 743, 750, 759, 761, 823, 895 – Augenleiden 87, 327, 342, 344 f., 366, 478 – Augenlicht 87, 367 f., 518, 729 – Augenzeugenschaft 13 f., 34, 36, 111, 117, 129, 206, 258, 269, 301, 376, 387, 563, 770 Aussatz (3 Lepra) 15, 17, 26, 28, 59, 87, 89, 91 f., 116, 118, 167, 197, 221-225, 227-233, 287, 364, 516, 561 f., 638-648, 751, 755 f., 760, 812, 822, 869-872 Austreibung 26, 94, 96, 101 f., 185, 357, 523, 814, 824 – Austreibungsbefehl (Apopompe) 104 f., 176, 273 – Dämonenaustreibung 3 Dämonen
1061
Sachregister Baal 186, 316, 607 f. (3 Kult, Baalskult) Bahre 236 f., 247, 561 f., 571, 573, 576 f. Bankett 295, 627, 854 Barmherzigkeit 44, 229, 233, 387, 432, 439, 599, 601, 654 Bartimäus 359 f., 362, 365 Beelzebub/Beelzebul 87, 95, 115, 132, 136, 183 f., 186, 188, 199, 379, 386, 388, 513, 516, 522, 603 f., 606-614, 665 Befreiungstheologie 60, 62, 319, 471, 492, 624, 867, 891 Behinderung 87, 90-92, 150, 185, 236, 244, 324 f., 356, 362 f., 367 f., 421, 429, 438, 440, 629, 632, 875 f. Bekenntnis 96, 156, 159, 176, 194, 198, 261, 312, 430, 462, 496, 579, 731 f., 746, 813-815, 821, 893, 898, 901 – B. der Dämonen 195, 531 – B. der Geheilten 224, 318, 367, 406, 455, 524, 570, 730 f., 735, 843, 845 – B. der Gemeinden 244, 300, 738 – B. der Marta 745-747, 756 – B. des Hauptmanns 201, 328 – B. des Thomas 773 – Petrusbekenntnis 311, 336, 346 f., 383, 421, 456, 706 – Schuldbekenntnis 546, 871 – Wunder als Bekenntnisakte 43 f. Berufung 95, 113, 138, 195, 199 f., 205, 216, 344, 347, 361, 363, 372, 375, 422, 456, 500, 536, 546, 557 – Berufungslegende 218 – Jüngerberufung 136, 403, 524, 557 Berührung – Bedeutung der B. in Wundern 15-18, 215, 286 f., 329 f., 519, 522 f. – Glauben ohne B. 660 – Heilung durch B. bei Jesus 134, 150, 198, 200, 215, 219, 221 f., 230 f., 278, 280, 282284, 288-291, 323-235, 329 f., 341, 368, 416418, 420-422, 424-426, 495 f., 513, 519, 522 f., 571-573, 583, 585 f., 589 f., 629, 638, 650 f., 734, 782, 793, 821, 825 – Heilung durch B. in der Umwelt 113, 229, 233, 325-327, 421, 577, 629 – Heilung ohne B. durch Jesus 750, 754, 870872 (3 Heilung, Fernheilung) – Unreinheit durch B. 412, 421, 428, 434, 501, 589
1062
Beschwörung 11, 101-106, 115, 124, 128 f., 133 f., 138, 209, 260, 266, 273, 328, 514, 606608, 863 Besessenheit 9 f., 13, 26, 96; 99-107, 129,133, 477 f., 664-666 – Heilung von B. 42, 184-187, 198, 206-208, 211 f., 215, 246, 266, 269, 272 f., 324 f., 350 f., 353-358, 381, 409-415, 426-429, 431, 434, 465, 468-470, 472, 480-483, 496, 519, 523, 532 f., 539, 594, 604-606, 612, 630, 809, 811815, 820, 823 f. – Jesus als B. 115, 131 f., 136, 169, 185, 188, 350, 609-611, 664, 866 Beten 3 Gebet Betesda – Teich B. 13, 27, 44, 562, 660, 663, 691-694, 696-698, 700 f., 703 Betlehem 207, 470, 601, 793 f., 798, 800, 813, 835 f. Betsaida 16, 21, 87, 92, 170, 174, 179, 200, 304 f., 307 f., 341, 366 f., 379, 469, 513, 593 f., 597, 691 f. Bett 246 f., 313, 315, 560, 690, 693, 700, 703 f., 812, 820 f., 852-854 Bettler 92, 142, 342 f., 359 f., 362-369, 497, 725, 727, 729, 734, 873-876 Blasphemie 237, 560, 606, 612, 703 Blindheit 59, 77, 87 f., 91 f., 143, 154, 200 f., 228, 325, 327 f., 344, 346, 364, 366, 384, 388, 429, 431, 479, 499 f., 562, 734 f., 833, 838 f., 875 – B. in der antiken Umwelt 113, 226, 327, 341-345, 363-365, 743 – B. in Heilsverheißung 118, 167 f., 364, 421, 431, 470, 644, 737 – Blindenheilung 16 f., 22, 42, 87, 116, 142 f., 169, 185, 200 f., 325 f., 344, 346-348, 359369, 379, 384, 426-434, 495-501, 516 f., 612, 663, 666, 687, 689, 725-732, 734 f., 737-740, 750, 839 – Blindenheilung in Summarium 22, 517 f., 562, 690, Blut 16, 83, 88, 227, 287 f., 291, 420, 471, 583, 585, 588 f., 631, 683, 825 – Blutung/blutflüssig 13 f., 16, 23, 42, 59, 121, 134, 227, 278 f., 281-284, 286-289, 292, 416-423, 424 f., 585, 588 f., 591, 823 Boot 48, 145, 198, 245, 257-259, 261-264, 266-268, 278 f., 294 f., 297, 304-306, 308, 312, 332, 347, 402-404, 406-408, 442 f., 445,
Sachregister 454-457, 459, 461-463, 541, 543-551, 556 f., 597, 666, 716-719, 721 f., 764, 766 f., 774 Bräutigam 555, 577, 669-671, 674, 678-680 Braut 671, 753 Brett 782, 784, 817, 847, 852 Brot 9, 40, 59 f., 82, 120, 142, 161, 294-299, 301-304, 307, 311, 313 f., 316-318, 320, 332339, 347, 400, 442 f., 445-452, 463, 465, 467, 471, 547, 593, 595 f., 598-601, 627, 660, 663, 674, 705, 707 f., 711-714, 716, 720, 723, 764, 766, 771, 874, 899 – Brotbrechen 51, 295 f., 339, 442-447, 711 – Brotmenge 41, 707 – Brotrede 713, 716 f., 723 – Brotreste 593, 596, 707 f., 711 – Brotvermehrung 119, 716-719 – Brotwunder 9, 114, 297, 337, 663, 716, 720, 722 – Lebensbrot 758, 772 Buchstaben 573, 692, 862, 864, 870 Buddha 309, 335, 459 f., 865 f. – Buddhaschüler 459-461 Caligula 458 Cäsarea Philippi 292, 346, 448 Chanina ben Dosa 109, 111, 113 f., 120 f., 131, 216, 297, 335, 345, 859 Chanukka 3 Fest, Chanukkafest Choni 109, 111, 113 f., 120, 128, 131, 135 f., 138 Chrie 248, 487, 604 Christologie 44, 46, 117, 168 f., 179 f., 187, 194, 200 f., 210 f., 261, 309 f., 318, 346, 379, 381-383, 387-389, 406, 413 f., 431 f., 452, 461, 499 f., 520-524, 540, 569, 579, 590 f., 609, 646, 659, 686, 721, 738 f., 756 f., 808 f., 820, 822, 845, 849, 857, 866 f., 871, 890, 901 Christus 3 Messias Dach 173, 235 f., 238 f., 393 f., 559, 563, 565 f., 834, 843-845 Dämon – D. in der antiken Umwelt 128-130, 133136, 198 f., 246, 276, 539 f., 607 – D. und Krankheit/Besessenheit 87 f., 90, 94-106, 169, 185 f., 216, 228, 239, 289, 324 f., 327, 351, 355 f., 364, 426, 428 f., 468, 472, 477 f., 537 f., 606 f., 623, 866 – Dämonenaustreibung 10, 26 f., 42, 87, 90, 94-96, 107, 101-106, 127, 115-118, 126,
130-138, 141, 151, 169 f., 176, 183-188, 195, 199-201, 206-212, 215, 223 f., 235, 267, 269274, 299, 313-315, 319 f., 328, 350 f., 381, 383 f., 386-389, 409, 411-415, 426, 428 f., 431, 434, 465, 467, 474-483, 513 f., 516, 519 f., 522-524, 529-534, 536 f., 539, 584, 603-613, 618-620, 661, 664 f., 727, 811-816, 821, 823-825 – Dämonenglaube 9 f., 69 f., 72, 74, 98-100, 111 f., 150, 195 f., 356, 475, 820, 867 – Dämonische Naturmächte 257 f. – Schweigegebote an die D. 194 f., 197 f., 211, 224 (3 Schweigen) Dekapolis 14, 42, 92, 266-269, 271-274, 299, 313, 318, 323, 328, 332 f., 337 f., 410 f., 457, 469, 513, 675 Dekapolisstadt 3 Stadt Dienst 115, 134, 175, 178, 195 f., 214 f., 218 f., 226, 285, 335, 360, 365, 394, 396, 418, 490, 495, 497, 515, 521, 536, 541, 547, 557 f., 565567, 570, 580, 650-653, 655, 683 f., 744, 760, 771, 891 Dionysos 3 Kult, Dionysoskult Dorf 15 f., 21, 177, 196, 207, 271, 280, 294, 301, 333, 341, 346, 442 f., 445, 44 f., 488, 541 f., 559, 575, 577, 593, 595, 638 f., 711, 742 f., 749, 751, 813, 815 f., 835, 858, 880 Durst 337, 627, 631, 633 f., 713, 799 Ehrfurcht 264, 417, 566, 571, 574, 802 Eingeweide 76 f., 572 Ekklesiologie 261 f., 264, 339, 375, 383, 406, 443, 453, 461-463, 540, 721, 771 f. (3 Kirche) Elia/Elija 77, 108 f., 114, 116 f., 128, 193 f., 199, 209, 216, 229, 254, 262, 421, 449 f., 474 f., 515, 517, 520, 524, 568, 578, 598, 629, 739, 890, 897 Elisa/Elischa 77, 108, 114, 116, 119, 226, 229, 297-299, 335, 375, 421, 449 f., 515, 517, 520 f., 524, 568, 575, 578, 598, 641, 645, 739 Eltern 90, 216, 282, 316, 348, 355, 418, 478, 515, 562, 576, 580, 584, 587, 591, 641, 652, 666, 725 f., 728, 730, 732, 734, 799, 803, 810, 821, 833, 839, 841, 843, 845 f., 848, 850, 852, 863 Endzeit 77, 91, 99, 109, 116 f., 134, 180, 194, 227, 254, 298 f., 311, 318, 325, 337, 367 f., 373, 397, 403, 414, 431, 449 f., 452, 470, 498 f., 524, 620, 633, 674, 710, 750, 754, 903 (3 Eschatologie)
1063
Sachregister Engel 51, 69 f., 74, 77, 98 f., 103, 127, 134, 136, 218, 325, 327, 345, 356, 367, 533, 546, 653, 690, 693, 793-797, 800 f., 807, 813, 838, 896-903 Epidauros 8, 12, 25, 69-72, 81 f., 87 f., 250, 326 f., 342, 344, 361 f., 364, 366, 856 Epilepsie 9, 70, 90, 99 f., 121, 129, 137, 228, 325, 354, 356-358, 477 f., 532, 837 Epiphanie 27, 31, 51-53, 77, 82, 257, 261, 305, 308 f., 312, 442, 455, 457, 546, 555, 660 f., 665, 676, 720 f., 723, 769, 794 f., 894, 896 f. Erbarmen 114, 142, 197, 217, 221 f., 229, 231-233, 246-247, 294-295, 298, 332-333, 339, 343, 350-351, 357, 359-361, 364 f., 368, 384 f., 387, 414, 426-428, 432, 434, 445, 450 f., 457, 464, 495-497, 500 f., 571-573, 579, 641, 713, 804, 812 Erbsünde 3 Sünde, Erbsünde Erhöhung 156, 346 f., 368, 389, 540 f., 640, 648, 665, 677 f., 756, 888 Erscheinung 10, 31, 51, 77, 82, 103, 110, 126, 135, 260, 308-310, 312, 326, 405, 433, 455, 457, 650, 663, 716, 718-721, 753, 766, 772, 787, 793-797, 837, 882, 885 f., 895-897, 899, 901 – E. des Auferstandenen 555, 765, 767 f., 795, 896, 903 – E. von Engeln 77, 546, 800, 813, 896, 902 – Gotteserscheinung 718, 720 – Ostererscheinung 463 f., 659, 771 Eschatologie 117-119, 180, 253 f., 274, 337, 364-367, 373 f., 386 f., 397 f., 414, 431, 452, 472, 505, 524, 534, 596, 634 f., 651-653, 677, 710, 721, 737-740, 756-758, 797, 903 Eucharistie 46, 299 f., 336, 339, 400, 445, 450 f., 453, 557, 679, 711, 713, 771 Evangelium 11, 73, 141, 156, 181, 198, 289, 300, 319 f., 328 f., 364, 399, 414, 421, 423, 517-521, 581, 611, 644, 867 Exodus 20, 108 f., 116, 153, 193, 445, 449451, 453, 459, 554, 597 f., 632, 634, 674, 709, 720, 810, 824 Exorzismus 25-28, 33, 94-96, 100-107, 109112, 115-118, 129-133, 135 f., 144, 165170,176, 183-188, 193-195, 198-200, 205213, 257 f., 268 f., 273, 314, 350 f., 353-357, 379 f., 386, 413, 427-432, 434, 475, 477, 481 f., 514-519, 529-534, 603-612, 619 f., 664 f., 814 f., 824 (3 Austreibung)
1064
Familie 115 f., 195, 197, 199, 201, 216, 236, 272, 287, 289, 314, 316, 341 f., 465, 468 f., 472, 544, 550-552, 556 f., 572, 575 f., 589, 628, 683, 685 f., 688, 707, 734, 784, 794, 800, 812, 848, 850, 863 – Heilige Familie 138, 783 f., 800, 803, 805807, 809 f., 813, 816, 818 f., 822 f. Feigenbaum 22, 201, 362, 371-376, 503-510, 615 Fernheilung 3 Heilung Fessel 104 f., 127, 209, 266, 323 f., 327, 414, 629, 881, 897 Fest 156, 675, 690 f., 705, 708, 728, 744, 802, 810 – Chanukkafest 728 – Epiphaniefest 679 – Festkalender 699 – Festmahl 295, 298, 398, 449, 635, 676, 680 – Festtag 630 – Feuerfest 813, 815, 823 – Hochzeitsfest 679 – Laubhüttenfest/Sukkot 728, 733 – Paschafest 3 Pascha – Pfingstfest 330 – Wallfahrtsfest 695 Fieber 15, 102, 105, 195, 214-217, 219, 228, 354, 514-516, 536-540, 681, 684, 688 Finger 17, 323 f., 326, 344, 522-524, 603, 606, 608-610, 612, 793, 795, 816 – Finger Gottes 94, 115, 117, 169, 183, 186, 188 Finsternis 51, 91, 105, 226, 262, 393, 395, 398, 413, 665, 717, 720 f., 723, 733, 738, 740, 766, 768 Fisch 13, 52, 75, 142, 161, 294-299, 302 f., 332-336, 339, 345, 442 f., 446-453, 463, 485, 488, 490 f., 493, 543, 547-550, 553-555, 557 f., 593, 595-599, 660, 663, 705, 707 f., 711, 713 f., 764-772 – Fischer 13, 488, 490, 543-551, 553-558, 597, 765, 767 f., 773-775 – Fischfang 52, 488, 513, 517, 544-548, 550, 552 f., 557, 597, 764 f., 767, 769 f., 771775 Fiscus Iudaicus 488 f., 492, 738 (3 Steuer) Fladen 296, 334, 447 Fluch 120, 124, 127, 134, 209, 327, 371-375, 503-505, 508 f., 513, 736, 832-834, 837, 844, 862 f., 865-868 – Fluchstrafe 833
Sachregister – Fluchwort 372, 374 f., 508 f., 834 – Fluchwunder 374, 836, 838, 848 Frau 16 f., 23, 26, 42, 88, 92, 195, 214-218, 278-292, 299, 313-321, 326 f., 355, 416-425, 452, 465-473, 478, 513-516, 521, 536-541, 552, 572-576, 578-580, 582-592, 599, 605 f., 615-625, 748, 755, 759 f., 797, 811, 814, 821823, 878 f., 884, 895 f., 901 f. – Frauenarbeit 822 – Jungfrau 327, 679, 793 f., 797 f. Fremde 14, 36, 44, 58, 85, 102, 150 f., 153, 158-160, 211, 225, 291-292, 314, 320, 325, 328, 330, 341, 357, 428, 469, 472, 481, 485, 516, 630, 638, 665, 675, 753, 770, 797, 818, 825, 849, 887 – Fremdherrschaft 100, 274, 325, 430 f. Freude 44, 114, 121, 337, 414, 459, 490, 519, 545, 615-617, 644, 674, 750, 757, 799-801, 805 f., 811, 814, 816, 824, 853, 899 Freund 92, 97, 145, 201, 287, 296, 394, 397, 414, 429, 460, 490, 542, 562 f., 565-568, 570, 579, 583, 585, 598 f., 628, 678, 714, 742, 748, 750, 752, 754, 759, 761 f., 805, 812, 827, 830 Fülle 193, 201, 297 f., 300, 309, 335-337, 367, 394, 445, 447 f., 450, 452, 546, 596, 666, 674, 771 Furcht 14 f., 19, 99, 103, 142, 245 f., 257 f., 261-264, 266, 278, 281, 283, 288, 304, 306, 320, 457, 468, 543, 546, 559 f., 574, 583, 587, 625, 632, 716, 718, 720 f., 725, 730, 733, 748, 813 f., 816, 833, 859, 862 f., 886, 896, 902 Gadara 42, 270 f., 381, 409-412, 414 f., 481, 496 Galiläa 177, 187, 196-201, 205 f., 211, 221, 267, 296, 299, 307 f., 316, 346, 387, 411, 448, 457, 468 f., 498 f., 514 f., 543 f., 547, 550, 553, 575, 584, 603, 638 f., 642, 660, 662 f., 669672, 681-683, 705, 708, 767 Garizim 646 Gast 216, 290, 343, 521, 542, 628, 676, 766, 880 – Gastfreundschaft 714, 770, 815, 818, 875 – Gastgeber 160, 333, 627 f., 672 – Gasthaus 811, 815, 822 Gebet – 18-Bitten-G. 736 – Bittgebet 350 f., 375, 503, 507, 510 – Dankgebet 332, 338, 705-707, 711, 755 – G. bei Jesus 146, 196, 230, 232, 295, 304,
324, 328, 336, 339, 371, 430, 454, 504, 508, 510, 540 f., 598, 608, 745, 752, 758 – G. der Gemeinde 375, 389, 406, 432, 462, 500, 540 f., 600 – G. und Exorzismus 350 f., 474 – G. und Wunder 47, 119-121, 166, 215-217, 432, 545, 590, 739, 793 f. – G. (und Wunder) in der antiken Umwelt 114, 124, 128, 134, 186, 227, 260-262, 326, 354, 606, 859 – Gebetscharismatiker 216 – Getsemanigebet 510 – Lobgebet 333 – Segensgebet 334 Geburt 51, 81, 227, 285, 316, 348, 633, 703, 725, 728, 734, 739 f., 782, 786, 793-798, 803, 808, 816 f., 833 – G. Jesu 53, 83, 509, 781 f., 794-797, 803, 805, 811 f., 822, 840, 858, 861, 891 – Geburtshilfe 251, 438 – Jungfrauengeburt 794, 797 Geheimnis 46, 194 f., 201, 209, 211, 249, 290 f., 326, 329, 388, 452, 590, 760, 863, 866, 879, 881 Geist – G. der Schwachheit 26, 88, 616-618 – G. Gottes 118, 168, 170, 188, 288, 385 f., 522 f., 604 f., 608, 611 f. – Geistgabe/Geistverleihung 77, 213 – Heiliger G. 77, 213, 301, 330, 353, 430, 522 f., 592, 603, 608, 793, 797, 902 – Hilfsgeist/Schutzgeist 98, 134-136, 297 – Krankheitsgeist 130, 133, 514, 516, 622 – Plagegeist(er) 287, 326 – Stummer G. 90, 104, 106, 350 – Totengeist 98, 124, 324, 587 – Unreiner G. 25 f., 96, 104-106, 136, 183 f., 205-209, 211, 221, 223 f., 228, 235, 266-269, 272, 286, 313 f., 317, 320, 324 f., 350-355, 357, 483, 516, 519, 522 f., 529-531, 533 f., 604 f., 670 (3 Unreinheit) Gelähmter 3 Lahm/Lähmung Geld 120, 291, 295, 336, 595, 597, 707 – Geldwechsler 371 – Lösegeld 488, 492, 495 Gemeinde 244-246, 262, 264, 383, 462 f., 481 499, 555, 721 f., 736, 771 f., 875 – Gemeindebildung 10, 771 – Gemeinderede (des Mt) 485 – Johanneische G. 136, 711, 726, 735
1065
Sachregister – Markinische G. 207, 217, 274, 367 – Urgemeinde 363, 366 Gemeinschaft 122, 129, 188, 197, 207, 222, 225-229, 233, 262, 305, 312, 329, 341 f., 365, 406-408, 420, 440, 443, 469, 537, 539, 541, 562, 568, 642, 652, 731, 766, 772, 824, 835, 870 – Gemeinschaftsmahl 334 – Gottesgemeinschaft 44, 238 f., 242 – Gütergemeinschaft 363 – Hausgemeinschaft 216, 538, 541, 759 – Mahlgemeinschaft 294, 298, 334 f., 422, 635, 745, 758, 772 f. – Nachfolgegemeinschaft 262 – Qumrangemeinschaft 251, 325 – Tischgemeinschaft 131, 334, 467, 471, 628, 632, 634, 745, 755, 759, 870 Gennesaret 297, 304, 307 f., 457 – See Gennesaret 42, 44, 47, 145, 177, 205, 207, 257, 259, 264, 279, 280, 285, 295-301, 307 f., 313, 323, 332-335, 404, 410, 415, 448, 452, 457 f., 488, 543, 548, 550 f., 575, 683 f., 705, 707 f., 751, 767, 774 Gerasa 42, 94, 198, 257, 266, 269, 271 f., 279, 325, 334, 410, 415, 533, 594 Gericht 94 f., 97, 116 f., 124, 174, 179-181, 343, 364, 373-375, 387, 397, 408, 471, 479, 491, 504, 506, 509 f., 540, 553 f., 633, 699701, 726-728, 731, 733, 739, 881 Gerste 296, 447, 449, 708, 714 – Gerstenbrote 705, 707-709 Geschwister 429, 671, 673, 758-760 Gesetz 91, 128, 137, 150, 187, 197, 229, 231, 242, 255, 291, 404, 420, 425, 440, 489, 491 f., 498, 627-629, 632, 635, 654, 710, 732, 828, 864, 889 Getreide 296, 335, 447 f., 488, 623, 708, 848 f., 851 Getsemani 43, 517, 650 f., 653, 655 Glaube/glauben 890 f. (3 Vertrauen, 3 Dämon, Dämonenglaube) – Bekenntnis des G. 3 Bekenntnis – Christlicher G. 7, 10, 40, 43, 48 f., 73 f., 141-144, 151, 157 f., 160, 194, 891 – G. in den apokryphen Wundererzählungen 786, 793, 795, 823, 825, 845, 858, 867, 884, 886 – G. in den kanonischen Wundererzählungen 16, 32, 121 f., 157, 166, 173 f., 176-180, 232 f., 236, 241, 258, 263 f., 278, 284, 289 f.,
1066
321, 352 f., 359, 365-369, 371, 375, 380, 387, 387-389, 393, 395-400, 416, 421-423, 432 f., 465 f., 469, 473 f., 476 f., 479-484, 503 f., 565, 567, 583, 586 f., 589-591, 635, 638, 659, 662, 666 f., 681-687, 726 f., 733, 739, 743, 757 f. – Glaubensschwachheit 339, 364, 383, 388, 403, 407, 473, 478, 508 – Gottesglaube 44, 74, 127, 152, 158, 160, 316, 320, 508 – Kleinglaube 339, 383, 388, 402 f., 406 f., 462, 473, 477 f., 480, 508 – Volksglaube 96, 103, 216, 324 – Wunderglaube 5, 27, 116, 144 f. Gleichnis 3 Parabel Gnade 46, 72, 125, 330, 366, 407, 432 f., 517, 533, 630, 635, 654, 692, 699 f., 710, 836, 849, 875 Gnosis 554, 740, 787, 837-839, 865, 881 Goet 124-127, 130, 135-137 Gott – Göttlicher Mensch/Mann (theios ane¯r) 46, 74 f., 110, 127, 308, 577, 808 – Gottesdienst 127, 156, 168, 219, 419, 451, 541, 619, 736, 809, 889 – Gottesherrschaft 11, 69, 74, 94, 115 f., 122, 138, 184, 194-199, 201, 253 f., 274, 298, 311, 361, 367, 414, 479, 605 f., 609 f., 624, 664, 867 – Gottesknecht 168 f., 385, 388, 431, 737 – Gotteslästerung 3 Blasphemie – Gottessohn(schaft) 3 Sohn, Sohn Gottes – Königsherrschaft Gottes 74 f., 77, 94, 115, 117 f., 183, 195-198, 200 f., 253, 274, 360363, 365-368, 386, 593 f., 603, 610, 613, 620, 865 Götter 69, 71, 76, 79, 97 f., 121, 124-126, 217, 227, 260, 272, 309, 326 f., 354, 365, 458, 469, 480, 498, 538, 608, 675, 693, 695, 719 f., 734, 753, 755, 770, 796, 805-809, 813, 825 – Götterbilder/-statuen 782, 784, 800, 805810, 812, 814, 824 – Göttinnen 806, 809 Götze(n) 98, 811, 813-815, 821-824 – Götzenbilder 316, 811, 813, 815, 821, 823 – Götzendienst 135, 208, 479, 805-807, 814 – Götzentempel 808 Grab 9, 13, 36, 51, 77 f., 98, 104, 266, 269, 272, 286, 409, 411-413, 519, 573, 575-577,
Sachregister 582, 666, 742 f., 746-752, 754, 757, 759-761, 785, 795 f., 878-880, 894-898 Gras 294, 298, 302, 333, 442, 453, 705, 707 Haare 217, 742, 744 Hand – Ausgestreckte H. 255, 292, 436 f., 441, 454 f., 859, 872, 874, 878 – Berühren/ergreifen (mit) der H. 214 f., 219, 221 f., 230, 279, 281, 286, 289, 326 f., 341, 350, 416, 519, 584, 587, 590 f., 629, 878 (3 Berührung) – Eingewickelte H. (Kleinkind/Toter) 743, 752, 816 f. – Händewaschen 286, 288, 539 – H. (bzw. Finger) Gottes/der Götter 170, 186, 326, 524, 608 f., 805 – Handauflegen 16 f., 21, 44, 199, 267, 178, 280 f., 286, 289, 323, 325 f., 330, 341 f., 416 f., 421, 522, 524, 615 f., 619 f., 629 (3 Berührung) – Heilung der H. 27, 43, 88, 92, 113, 248250, 365, 436-441, 505, 515 f., 519, 653, 782, 785, 793, 837, 873-876 – In die H. klatschen 827, 831, 834 Handwerk 199, 334, 469, 601, 852-855, 858, 860, 864, 874 f. Hauptmann 15, 28, 56, 166 f., 173, 178, 208, 314, 328, 379, 393-400, 467, 472, 476, 515, 520, 565-571, 581, 642, 644 f., 688 Haus 207 f., 214-216, 238 f., 313 f., 316, 551 f., 563, 673, 675, 681, 684, 742-744, 747 f., 843 f., 852, 859 – Befehl, nach H. zu gehen 17, 235, 245 f., 267, 341, 559 f., 682, 688 – Behausung des Dämonenbesessenen 104, 266, 286, 411, 605 – H. der Gnade 692, 700 – H. des Petrus 205, 214-216, 219, 236, 396, 427, 536, 540, 544, 557 – H. des Synagogenvorstehers Jaïrus 278, 280 f., 285, 416 f., 581, 583-586 – H. eines Heiden 175, 349, 566 – Hausherr(in) 114, 536, 538 f., 541, 607 f., 612 – Hausvater 319, 333 f., 336, 449, 711, 766, 773 – Königshaus 683 f. – Krankenhaus 84, 813, 818 f., 823 Hebamme 793-798
Heiden 42, 175, 179, 181, 272 f., 292, 325, 328-330, 332-334, 337-339, 382, 386, 393399, 412, 467, 471-473, 501, 520, 566 f., 569, 821, 866, 884 – Heidenchristlich 321, 430, 569 – Heidenmission 177, 180, 274, 299, 318 f., 520 – Heidnische Götter/Götzen 98, 695, 821 – Heidnischer(r) Kult/Praktiken/Religionen 99, 272, 412, – Heidnisches Gebiet 200, 227, 262, 323, 329, 332 f., 337, 411, 465, 467, 469, Heil 17, 44 f., 50, 117 f., 167 f., 179 f., 198, 200, 253, 255, 289 f., 298, 311, 318-320, 326, 329, 387, 394, 421, 423, 447, 471, 498, 519 f., 523, 569, 589 f., 618, 632 f., 635 f., 640, 643, 646, 648, 702, 704, 722, 729, 733, 735, 754, 787, 796, 821, 850 f., 865-867, 883 – Heilsgeschichte 109, 116, 118, 179, 302, 318 f., 337, 339, 388, 413 f., 441, 451, 467, 471 f., 501, 517 f., 521, 666, 714, 761 – Heilsuniversalismus 179, 471 f. – Heilszeit 91, 117-119, 122, 168 f., 227, 325, 328, 388, 431, 450, 452, 513, 517, 618, 633, 674 Heiligkeit 53, 70, 72, 99, 103, 105, 108, 138, 194 f., 205, 207, 209 f., 223, 227, 234, 268, 286-288, 325, 336, 353, 400, 410 f., 414, 420, 507, 529-531, 539-541, 546, 549, 556, 558, 571, 589, 598, 628, 632, 635, 644, 679, 693, 695 f., 702, 761, 769 f., 783 f., 798, 800, 803, 805-810, 813, 816, 818, 822 f., 825, 875, 899 – Heiliger Geist 3 Geist(er) – Heiligtum 8, 25, 41, 70 f., 79, 81 f., 88, 126, 195, 217, 287, 344, 361, 363, 589, 632, 675, 695, 807, 815, 819, 854, 856 Heilung (3 siehe Themenartikel Popkes, Antikes Medizinwesen) – Fernheilung 15, 20, 166, 174, 216, 314, 393, 399, 469, 472, 513, 515 f., 566, 660, 671, 683, 688 – Heilkunde 79, 82, 85, 88 – Heilpraktiken 324 – Heilungswunder 26 f., 33, 53 f., 70, 82, 88, 134, 151, 703, 844 Heirat/Hochzeit 175, 285, 316, 443, 477, 577, 669 f., 672-674, 677-680, 705 Herberge 232 f., 448, 814, 818 f., 869 f. Herodes – H. Agrippa 346
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Sachregister – H. Antipas 166, 177, 198 f., 208, 295, 393, 454, 457, 462 f., 550, 552 f., 567, 642, 684, 767 – H. der Große 175, 177, 695, 709, 813 f. – Herodianer 175, 249 f., 271 Herrlichkeit 69, 85, 201, 406, 412, 564, 615, 617, 660, 663, 665 f., 671, 687, 742 f., 757, 773, 811, 814, 821-823, 882, 899 Hexe(r) 124, 356, 358, 820 Hilfe – H. Beelzebuls/dämonische H. 132, 136, 434, 604, 608, 610, 612 – H. Gottes 110, 115, 122, 145, 326, 337, 405, 428, 608 – H. Jesu 145 f., 175, 177, 231, 267, 275, 279 f., 314, 352, 396, 427, 460 f., 481, 500 521, 524, 566, 585, 666, 682, 687, 748, 802 f., 858, 871, 873 f., 876, 774 – H. und Glauben 142, 353, 423 – H. von Ärzten 478, 585 – Hilferuf 143, 193 f., 211, 258, 353, 405, 457, 462, 470, 500 – Hilfesuchende(r) 113, 121, 175, 326, 329, 380, 388, 449, 470, 786, 822 – Menschliche H./Helfer 13, 194, 323, 326, 361, 440, 559 f., 562, 629, 635 f., 734 f. Himmel 21, 53, 69, 77 f., 94 f., 103, 116 f., 121, 200, 273 f., 294 f., 323-325, 328, 336, 339, 371, 386, 410, 442 f., 445, 459, 480, 593, 595, 603 f., 607, 610, 800 f., 811, 822, 828, 888, 894-899, 902 – Himmelfahrt 721, 901 – Himmelreich 143, 383, 386, 393, 395, 491 – Himmelsbrot 674, 712 – Himmelskampf 94 – Himmelsstimme 77 f., 114 f., 894-898 Hirse 708 Hirt 294 f., 298, 309, 333, 409 f., 453, 470, 500, 504, 558, 713, 748, 758, 797 – Hirtenrede 727 f., 731 – Schweinehirt 268 f., 275, 413 Hochzeit 3 heiraten Hoffnung 11, 43, 47 f., 82, 91, 117, 122, 144 f., 148-150, 153, 159-161, 169, 175, 229, 262, 267, 288 f., 291, 298, 300, 302 f., 345, 369, 385, 399, 414, 418, 427, 430, 432, 449, 530, 533 f., 537, 578, 582, 585, 587, 620, 646, 693, 703, 709, 737, 746, 753, 774, 875 Hoffnungslosigkeit 13, 289, 482, 654
1068
Höhle 299, 576 f., 596, 743, 752, 793 f., 796798 Homiletik 51, 156-158, 623 Hund 98, 105, 179, 316-321, 465, 473, 820, 893 – Haushund 313 f., 467 f., 470 f. Hunger 9, 142, 148 f., 299 f., 302, 318, 337, 339, 371 f., 447, 450 f., 459, 503 f., 509, 581, 596, 674, 709, 711-713, 849 – Hungersnot 179, 298 Ich-bin-Wort 718, 720, 723, 727, 746, 750, 757 f. Identität 21, 46, 169, 207-210, 228, 259, 261, 264, 280 f., 310, 329 f., 399, 403, 421, 439, 445, 455 f., 509, 530, 534, 578, 588 f., 605, 607, 609, 630, 660, 663, 665, 713, 727, 729732, 735, 739, 765 f., 771 f., 823 f. Immanuel (Gott mit uns) 389, 407, 432, 451, 461, 499, 501 Israel 173-181, 208, 297-299, 307, 317-321, 326, 337-339, 372 f., 375 f., 382-393, 395398, 426, 429 f., 450, 465-467, 469-472, 478 f., 496, 499-501, 504, 506, 508-510, 520, 544, 554, 565, 567, 569, 572, 580, 596, 598, 612, 620, 632 f., 644-646, 709 f., 793, 795797, 811 f., 890 – Geschichte I. 109, 122, 411, 807 – Haus I. 338, 383, 386 f., 465, 467, 471, 643 – (Heilige) Schriften I. 108, 553, 652 – Israeliten 44, 110, 114, 298, 399, 420, 438 f., 449 f., 467, 479, 553 f., 597, 632 f., 699, 709 Jaïrus 3 Auferweckung; 3 Haus Jericho 42, 87, 92, 109, 359 f., 362 f., 365 f., 368, 379, 427, 434, 495, 497, 500, 574, 802, 846, 851 Jerusalem 177, 198-201, 227, 346 f., 360-363, 373-375, 469, 488 f., 495, 503, 514, 603, 615, 638 f., 642 f., 650, 660, 662 f., 685, 690-692, 694-699, 703, 709, 727, 733-735, 742-745, 751 f., 793, 811, 835, 837, 875, 878, 880, 884, 887, 889 f. – Einzug in J. 361, 371, 430, 499, 802, 884 – Eroberung/Zerstörung J. 270, 346, 411, 488, 506, 703 – Gericht/Zorn Gottes über J. 505, 510 – Jerusalemer Talmud 114 – Jerusalemer Tempel 3 Tempel
Sachregister – Weg nach J. 117, 200, 347, 465, 497, 499, 544, 642, 744 Johannes (der Täufer) 116, 118, 138, 167, 174, 180 f., 194, 214, 262, 267, 278, 281, 288, 297, 311 f., 319, 364, 383, 386, 400, 417, 443, 457, 474, 517 f., 543, 551, 574, 584, 597 f., 674, 751, 849, 880 f., 899 Jona 21, 116 f., 179, 261 f., 405, 604, 612 Josef 430, 782, 793 f., 797-799, 801, 806, 810 f., 813-815, 827, 830, 833, 839-841, 845, 847 f., 850-855, 857-864 Judäa 198, 346, 363, 469, 519, 543, 559, 571, 581, 615, 642, 681 f., 742, 756, 804 Judenchristentum 46, 362, 410, 429, 440, 620, 699, 736, 738, 785, 873-876 Junge 9, 17, 22, 26, 44, 104, 121, 200, 216, 327, 329, 350-352, 354 f., 357, 379, 393 f., 396 f., 399, 474-478, 483, 508, 513, 516, 521, 565 f., 589, 606, 681 f., 705-708, 714, 793, 808, 811, 813-816, 822-824, 839, 841, 843846, 862-865, 867 Jünger – Emmausjünger 51, 524 – Johannesjünger 417, 578 f., 644 – Jüngerbelehrung 371, 375, 381, 508 – Jüngerberufung 136, 403, 524, 557 – Jüngerkreis/-gruppe 96, 200, 263, 295, 311, 402 f., 406 f., 454-458, 461-464, 485, 555, 719, 881 – Jüngerschaft 262, 379, 381 f., 403, 495, 497, 723, 765, 769, 772, 881 – Jüngerunverständnis 194, 295, 299, 311, 332 f., 336 f., 597 – Lieblingsjünger 765 f., 773 Kafarnaum 166-168, 173 f., 177, 195-197, 205-208, 235 f., 297, 301, 339, 379, 393, 427, 457, 485, 515 f., 529, 551 f., 565-568, 575, 660, 671, 681-684, 716-719 Kana 20, 25, 443, 660 f., 663, 665, 669-672, 675, 679-681, 683, 685, 688, 705, 764, 773 Kanaanäerin 26, 42, 383, 396, 465-473 Kind 360, 652, 816-819, 828, 834 f., 844, 848, 864 – Heilungen von K. 114, 116, 278-281, 284 f., 313-321, 350, 355, 465, 467 f., 471-473, 476, 478, 521, 575, 578, 580 f., 587, 591 f., 629, 681-684, 687, 811 f., 813 f., 821, 843 – Jesuskind 781, 784, 793-798, 803 f., 806, 809 f., 812, 820-825, 827, 829 f., 832-834,
838, 841, 843-845, 847 f., 850, 852 f., 857, 859, 861, 863, 868 – K. Gottes 398, 486, 491 f., 743, 746, 759 – Kindermord 601, 800 – Kindheit 90, 180, 290, 350, 354, 398, 492, 591, 784, 788, 806, 827, 829 f., 845, 858, 861, 868 – Kindheitserzählung 430, 450, 514, 782784, 796-799, 800, 803, 848-851, 865 f., 868 – Kindheitsevangelium 754, 781 f., 784-787, 797, 805, 809, 830, 839, 857-859, 866, 868 – Kleinkind 784, 803, 806, 808, 810-812, 816-818, 838 – Strafwunder an K. 832, 837 – Wunderauslegung mit K. 142, 144-149, 850, 858 Kirche 53, 107, 156 f., 219, 262, 264, 301, 321, 330, 347, 383, 389, 400, 406-408, 430, 432, 496, 499, 501, 504, 541, 555, 557 f., 569, 600, 613, 654, 674, 679 f., 723, 740, 751, 770, 866 f., 889 (3 Ekklesiologie) Kleidung 16, 226, 251, 278, 283, 286, 417, 419 f., 422, 438, 575 f., 629, 768, 808, 813, 821, 823 f., 860 Kleinglaube 3 Glaube Knabe 3 Junge Knecht 173 f., 183, 344, 385, 388, 394, 396, 399 f., 515, 540, 571, 581, 652, 679, 681, 683 f., 760 (3 Sklave) König 20, 31, 97, 101, 117, 179, 181, 186, 195, 210, 226, 254, 297, 316, 326, 345 f., 362, 396 f., 430 f., 469-471, 478, 485 f., 488, 490, 509, 547, 568, 607 f., 663, 665, 671, 681-688, 705, 709 f., 713 f., 716 f., 722, 753, 804 f., 810, 820, 859, 890 – Königreich 183, 400, 430, 598 – Königshaus 683 f. – Königsherrschaft 603, 613 – Königsherrschaft Gottes 74 f., 77, 94, 115, 117 f., 183, 195-198, 200 f., 253, 274, 360, 362 f., 365-368, 593 f., 620, 865 – Königswürde 717 Kontaktverbot 197, 224, 231 Körper – K. als Behausung der Dämonen 99, 102, 104, 212, 324-326, 532 f., 539 – K. in antiken Wissenschaften 83,125, 129, 131, 244 – Körperliche Arbeit 624 f., 768, 775 f.
1069
Sachregister – Körperlicher Kontakt/Körperlichkeit bei Heilungen 14, 16-18, 134, 421, 590, 787 – Körperpflege 575, 817 – Korrelation zwischen Körper und Seele 235-238, 244, 246, 618 f., – Krankheit des K. 87-89, 91 f., 185 f., 225, 236 f., 246, 278, 283, 287-290, 356, 419, 429, 437, 505, 516, 523, 538, 606, 618 f., 621-623, 631, 641, 651, 699-701, 875, Kosmos 10, 69 f., 76, 83, 98, 117 f., 194, 198, 200, 206, 531 Kosten 41, 344, 448, 595, 706 Kraft 16 f., 30-32, 73 f., 137 f., 148 f., 196 f., 283 f., 288 f., 360 f., 460 f., 522-524, 568 f., 578-583, 594 f., 607-609, 612 f., 862, 865, 890 – Arbeitskraft 85, 539, 848, 876 – Heilkraft 88, 128 f., 138, 345, 562, 696, 823 – Heilungskraft 244 – Kraftfluss 16, 515, 522 – Kraftlosigkeit 26, 615-618, 621 – Krafttaten 21, 522, 524, 593 f., 610 – Kraftträger 522 – Kraftübertragung 16, 18, 21, 215, 326, 573, 823 – Lebenskraft 330 – Wunderkraft 74 f., 194, 201, 253, 278, 282, 284, 288 f., 302, 360, 364, 523, 595, 821, 823, 843, 845, 851, 857 – Zauberkraft 829 Krankenhaus 3 Haus Krankensalbung 219 Kreuz 43 f., 52, 78, 188, 194-196, 198, 200 f., 209, 264, 328 f., 345, 347, 367, 386, 388, 407 f., 441, 445, 472, 475, 482, 503, 524, 569, 572, 601, 633, 665, 677, 744, 756 f., 766, 772, 821, 825, 894, 898 f., 901 f. – Gekreuzigter 11, 78, 194, 201, 217, 330, 375, 388, 825 – Kreuzestod 201, 867 – Kreuzigung 43, 195, 218, 246, 423, 508, 647, 709, 795, 812, 883, 890, 894, 899, 901 Krieg 91, 251, 273, 325 – Bürgerkrieg 201, 612, 807 – Jüdisch-Römischer Krieg 47, 109, 129, 175, 411, 273 f., 695 Kult 70, 79, 82, 90 f., 99 f., 197, 217, 226 f., 250, 289, 334, 418-420, 589, 632, 641 f., 644, 696, 813, 854
1070
– – – – – – – – – –
Asklepioskult 72, 79, 81 f., 127 Baalskult 316 Bestattungskult 752 Dionysoskult 674 f. Herrscherkult 825 Kaiserkult 76, 364 f., 373, 889 Kultbilder 696, 796 Kultfähigkeit 227 Kultgesetz 491 Kultische Reinheit 58, 91, 197, 222, 227 f., 250 – Kultische Reinigung 224 – Kultische Unreinheit 58, 91 f., 198, 239, 286, 589 – Kultlegende 299 – Kultpersonal 864 – Kultstätte 81, 643 – Kultunfähigkeit 91, 420 f., 589, 606 – Mithraskult 796 f. – Mysterienkult 100 – Opferkult 420, 641 – Reliquienkult 825 – Sepulkralkult 854 – Serapiskult 345 – Tempelkult 375, 488, 492 Kyrios 231, 315, 318, 344, 368, 546, 567, 569, 571 f., 731 f., 871 Lähmung 88 f., 91 f., 236-239, 250, 399, 437439, 504, 516, 855, 875 – Gelähmte Hand 365 (3 Hand) Landwirtschaft 84, 177, 208, 296, 448, 488, 708, 835, 874 Lazarus 3 Auferweckung Leben – Bedrohung des L./Lebensnot/-gefahr 216, 251 f., 260, 262, 283, 289, 394, 419, 438, 556, 585, 631, 801, 816, 858 – Brot des L. 713, 720, 723, 758, 772 – Ewiges L. 683, 685, 687, 701, 712, 739, 753, 757 f. – L. geben/lebendig machen 118, 156, 282, 289, 416, 418, 421, 577 f., 579, 636, 663, 666, 682 f., 687, 701, 713, 739, 749, 758, 829-831, 844, 846, – L. Jesu(-Forschung) 11 f., 33, 52, 137, 158, 217, 252, 294, 309, 318, 439, 555, 785 – Lebenserhaltung 337, 633 – Lebensgeschichte 244, 781 – Lebensgrundlage 376, 488, 572
Sachregister – Lebenskraft 330 – Lebensmittel 295, 297, 299 f., 336, 443, 448, 576, 599 – Lebensraum 94, 275, 629 – Lebensrettung 248, 251, 253, 256, 286, 288 f., 439, 565 – Lebensspender 663, 686 f., 711, 749, 758 – Lebensumstände/-verhältnisse 48, 166, 186, 538, 556, 623 – Lebensunterhalt 92, 297, 363, 497, 562, 583, 707, 734, 848, 873-876 – Lebenswandel 82 f., 389, 622, 640, 849 – Lebensweise/Lebensform 74, 430, 445, 546, 875 – Lebenswelt 34, 49, 58, 60, 89 f., 92, 127, 130, 143, 154, 159, 175, 184, 295 f., 300, 329, 708, 773, 840, 858 – Lebewesen 438, 827 f. – Überleben 258, 364, 443, 521, 576, 770, 773, 801 – Zusammenleben 275, 291, 325, 334, 581, 772, 800 Legion 47, 105, 178, 266, 268-271, 273-276, 325, 411, 887 Lehre (Jesu) 14, 136 f., 180, 195, 205 f., 208, 210-212, 215, 230, 258, 263, 268, 295, 317, 337 f., 347, 361, 367 f., 430, 451, 460 f., 477, 479, 493, 519, 529-531, 544 f., 563, 598, 616, 687, 731, 854, 865-867 Lehrer 110, 138, 165, 207, 212, 232, 257, 263, 278, 281, 335, 342, 350, 361, 368, 443, 460, 485, 531, 555, 559, 583, 587, 595, 601, 634, 719, 736, 742, 747, 768, 782, 784, 821, 832, 834, 836, 838 f., 862-872 Leichnam 79, 421, 572, 576 f., 666, 843 Leiden 82, 87-92, 103 f., 129, 142, 194 f., 255, 325, 361, 423, 433, 519, 619 f., 621-624, 644, 700, 702 – Leidensankündigung 475, 482, 485 Lepra (3 Aussatz) 89, 173, 225 f., 232, 354, 641, 647 – Leprakranker 233 f., 638, 641 Lieblingsjünger 3 Jünger, Lieblingsjünger Lobpreis (Gottes) 237, 246, 295, 327 f., 339, 524, 560, 574, 582, 640, 643 f., 795, 800, 811, 843 Lobrede 405, 752 Lohn 295, 547, 653, 707 Lösegeld 3 Geld
Macht – Allmacht 49, 121 f., 291, 319, 464, 491, 579, 632, 676, 809 – Chaosmacht 209, 260 f., 412, 720, 722 – Feindliche/dämonische M. 91, 99, 106, 194, 196, 210, 260, 268 f., 413 f., 428 f., 479, 529-532, 553, 604, 608, 610-612, 620, 821, 823, 825 – M. des Auferstandenen/Jesu 10, 117, 145, 146, 173, 179, 194, 263, 291, 386-388, 397, 403, 415, 429, 439, 461, 475, 499, 537, 539, 566, 629, 676, 687, 784, 786, 808, 811 f., 814, 816, 821-825, 851, 853, 856 f. – M. des Gebets 120 f. – M. des/der Glaubenden 476 f. 481, 484, 520 (3 Glaube) – M. Gottes 43, 115, 146, 152 f., 288, 307, 309, 326, 330, 353, 387, 433, 459, 476, 478, 498, 605 f., 608 f., 816, 830, 843, 867 – Machterweis 464, 654 – Machtlosigkeit 262, 481 – Machttaten 23, 33, 69, 73, 76 f., 131, 135, 157 f., 161, 174, 180, 383, 386, 410, 594, 659, 664, 820 – Naturmächte/M. der Naturgewalten 257, 307, 309, 405, – Schöpfermacht 311, 830 f. – Übernatürliche M. 46, 102, 104, 125, 133, 141, 188, 429, 498 – Unheilsmächte 410, 415 – Wirkmacht 179, 413, 568 f., 720, 828 – Wundermacht 75, 115, 280, 750, 781, 857, 888, 891 Magdala 334, 457, 549 f., 553, 708, 767 (3 Maria) Magie 11, 16 f., 69-72, 83, 100-105, 111, 113, 115, 120, 124-138, 197-200, 209, 212, 217, 242, 252, 285, 297, 345, 348, 373, 379, 381, 387, 415, 420, 424, 460, 472, 481, 490, 508, 513, 537, 539, 541, 603 f., 609 f., 612, 629, 667, 787, 797, 812 f., 837, 867, 891 Mahl 295, 298, 332-334, 336 f., 339, 343, 395, 397, 400, 445 f., 463, 471, 541, 557, 628, 660, 665, 669, 672, 679, 711, 764 f., 771-773, 854 (3 Abendmahl; 3 Eucharistie) – Festmahl 295, 298, 398, 449, 635, 676, 680 – Freudenmahl 337 – Gastmahl 297, 333, 422, 449, 854 – Gemeinschaftsmahl 334, 449 f., 766 – Hochzeitsmahl 449
1071
Sachregister – Mahlfeier 299 – Mahlgemeinschaft 294, 298, 334 f., 422, 635, 745, 758, 772 f. – Mahlzeit 120, 296, 298, 334 f., 337, 339, 397, 627 f., 708, 711, 771 – Sättigungsmahl 335, 339 Makkabäeraufstand 175, 251 Mangel 29, 74, 279-284, 301, 333, 336, 350, 353, 402 f., 405, 443, 445, 447 f., 477, 479, 545, 654, 670, 674, 684, 687, 711, 765, 799801, 859, 875 Mann 316, 418, 516, 699 – Göttlicher M. 46, 74 f., 577 – M. Gottes 209, 578 – M. in antiker Gesellschaft 285, 467 f., 472, 488 f., 538 f., 575 f., 623, 651, 684, 797, 816 Manna 59, 297, 299, 336, 449, 674, 720 Mantik 71, 77, 100 Maria – Lobgesang der M. 596 – M. (aus Betaniën, Schwester der Marta) – M. (im Koran) 803 – M. (Mutter Jesu) 199, 601, 677-680, 793799, 801, 805 f., 809-815, 821 f., 845 f., 863 742-750, 757-760, 781 f. – M. Magdalena 516, 558, 680 – Mariaevangelium 787 – Marienverehrung 809 Marta 742-750, 755-757, 759 f. Medizin 9, 70-73, 75, 79, 81-85, 87-89, 92, 129, 132, 134, 211, 225-227, 229 f., 251, 327, 344 f., 348, 353 f., 366, 475, 479 f., 505, 520, 536 f., 539, 588, 619-622, 631, 641 – Medizinmann 125, 131 – Volksmedizin 71, 88, 130, 134, 230 Meer 22, 26, 75, 94, 105 f., 110, 121, 151 f., 260-262, 266, 276, 302, 307, 312, 323, 334, 338, 371, 402, 404 f., 407, 412, 457-459, 465, 490, 499, 503, 595, 663, 720, 768, 808, 837, 899 – Meeresspiegel 259, 307, 362, 719 – Meerestiere 547 – Mittelmeer 89, 225, 270, 296, 356, 447, 547, 597, 708, 828 – Schilfmeer 145, 152, 179, 307, 633, 720 – Totes M. 129, 553 Mensch – Menschenfänger/-fischer 491, 545 f., 553, 555, 557
1072
– Menschenmenge 76, 110, 235 f., 238, 245, 281, 283, 295, 297, 300 f., 428, 443, 445, 447, 451, 483, 571 f., 574, 697, 706, 708 f., 898 – Menschensohn 181, 235, 240-242, 244 f., 256, 288 f., 346 f., 436, 495, 522, 524, 559, 561 f., 653, 712, 726, 731, 899 – Menschwerdung 156, 501, 510, 679, 825 – Mitmenschen 287, 290, 300, 325, 482 Messias 46, 117, 119, 132, 136, 187, 207, 209211, 219, 227 f., 254, 292, 298, 333 f., 338, 344 f., 360, 362, 364, 367, 375, 387 f., 409, 414, 426, 430 f., 449 f., 467, 470-472, 499501, 579, 590, 598, 644-646, 659, 665, 671, 684, 709 f., 730, 753 f., 884, 887 – Messialogie 710 – Messianische Heilszeit 169, 227, 388, 452, 618, 674, 677 – Messianische Zeichen(-handlung) 27, 228, 515, 643 – Messianisches Zeitalter 421 – Messianität 157, 211, 299, 346, 431, 618, 645 – Messiaserwartung 168 f. – Messiasgeheimnis 211 – Messiasglaube 299 (3 Glaube) – Messiaszeichen 515 Metapher 70, 115, 143 f., 146, 154, 161, 169, 186, 316 f., 320, 346 f., 364, 366-368, 388, 431 f., 468-471, 491 f., 498, 501, 507 f., 517, 555, 596, 608 f., 632 f., 674, 711-713, 732 f., 748, 752, 755 f., 758, 833 – Familienmetaphorik 115, 289, 589 – Raummetaphorik 752 – Vegetationsmetaphorik 761 Mirjam 89, 226, 644 f. Mission 20, 46, 95, 181, 184, 241, 254, 274, 276, 299, 329, 385, 389, 461, 472, 520, 546, 646, 770-772, 787, 809, 867 – Heidenmission 177, 180, 299, 319, 520 – Israelmission 181 – Missionsbefehl 461, 509 – Missionspredigt 229, 241 – Völkermission 318 Mitleid 3 Erbarmen Mondsucht 102, 355, 357 f., 384, 474 f., 477, 508 Monotheismus 186 Mose 19, 77, 108, 116, 128, 138, 145, 151, 194, 221-223, 226, 230, 232 f., 246, 298 f., 302, 307, 309, 382, 394, 450, 479, 546, 608,
Sachregister 644, 709 f., 713, 717, 720, 726 f., 730, 732 f., 760, 869, 897 – Mosetora 223 f., 226, 233 (3 Tora) Münze 52, 58, 270, 363, 411, 488, 490 f., 493, 506 f., 600, 675 Mut 143, 145, 229, 260, 282, 336, 359, 361, 398, 422, 454, 462, 859 Mutter 114, 216, 218, 279, 281, 285, 505, 515, 538 f., 571-573, 575, 578, 580 f., 584 f., 587, 670, 673, 753, 806, 845, 862 f. – M. Jesu 605, 669-671, 676 f., 793 f., 799, 809, 812 f., 821 f., 834, 847, 851 f. (3 Maria) – Schwiegermutter 3 Petrus; 3 Schwiegermutter Mythos 10, 19, 69, 72, 77, 79, 81, 100, 157, 159, 235, 238 f., 242-244, 255, 262, 299, 324 f., 329, 343, 366, 412, 459, 490, 509, 533, 664, 721, 753, 796, 820, 866 Nachbar(schaft) 341, 725, 728-732, 734, 739, 859 Nachfolge 173, 177, 181, 187, 195, 200 f., 218, 402 f., 406, 433, 461-463, 497, 499-501, 546, 555 f., 616, 654 f., 713, 721, 738, 740 – Beauftragung der Nachfolger 85, 180, 246, 320, 432 – N. als Folge des Wunders 142, 196 f., 362, 365-368, 381 f., 387 f., 414 – (Nicht-)Verstehen in der Nachfolge 194 f., 347 Nacktheit 104, 326, 764, 766, 768 f., 775, 813, 823, 879 Nahrung 9, 48, 296-298, 301, 316 f., 334, 337-339, 447 f., 452, 547, 558, 593, 595, 597 f., 623, 706-708, 712, 714, 765 f., 771, 773, 800, 802 f., 849 Naïn 17, 116, 513, 515, 517, 521, 571-573, 575 f., 578-582, 585, 750, 754, 760, 844 Natur 10, 22, 26, 30-32, 48, 52, 69 f., 74, 76, 83, 100, 124, 126, 157, 194, 198, 375 f., 455, 514, 615, 673, 761, 771, 796, 801 f., 828 – Naturgesetz 7, 9, 12, 43, 70, 72 f., 77, 83, 157, 299, 358, 373, 673 – Naturgewalt 125 f., 132, 260, 308 f., 404 – Naturkatastrophe 125, 127, 138, 376 – Naturkunde 327, 345 – Naturmächte 257 – Naturwissenschaft 5, 7, 9, 62, 106 f., 145 f., 157, 160, 242 – Naturwunder 3 Wunder, Naturwunder Nazaret 21, 44, 75, 108 f., 121 f., 156, 199,
201, 207, 212, 284, 291, 367, 383, 386, 457, 470, 517 f., 520 f., 529-531, 544, 563 f., 571, 575, 578, 589, 596, 607, 610, 672, 733 f., 736, 784, 835 f., 845 f., 849, 854 Netz(e) 443, 463, 541, 543-551, 553 f., 556558, 597, 666, 764-775 Normenwunder 3 Wunder, Normenwunder Not – Hungersnot 179, 298 – Seenot 257, 260, 404 f., 415 – Tier in N. 438, 636 Offenbarung 44, 94, 103, 127, 138, 157, 188, 194, 197-199, 209, 211, 246, 262, 264, 308, 310, 423, 437, 474, 541, 590, 633, 635, 660, 662, 664, 666, 669, 671, 676 f., 679, 701, 709, 713, 718, 720-723, 725, 729, 764 f., 769-774, 899 – Offenbarungsformel 306, 308 – Offenbarungsgeschichte 765, 771 f., 774 – Offenbarungswunder 3 Wunder, Epiphaniewunder Ohr(en) 17, 43, 99, 323-326, 330, 347, 367, 408, 431, 514-516, 518, 565, 575, 650-654, 838 Opfer 71, 82, 91, 124 f., 134, 221-224, 226228, 231, 272, 354, 404, 439, 606, 632, 642, 646, 648, 770, 812, 865, 869 – Brandopfer 287, 420, 692 – Menschenopfer 260 – Opfergabe 286, 708 – Opferkult 420, 641 – Opfertier 76, 287, 420, 572 – Reinigungsopfer 230 – Schlachtopfer 272 – Sündopfer 287, 651 Ortsangaben 42, 360, 427, 543, 718, 745, 813, 880 Palme 302, 784, 799-804, 806 – Dattelpalme 363, 801 f. – Palmenbaum 799-801 – Palmzweig 801 f. Parabel 11, 18, 32, 37, 51, 95, 119, 137, 143 f., 149, 154, 156, 173, 176, 188, 242, 257, 364, 367, 383, 476 f., 479, 486 f., 489, 498, 505, 555, 572, 580, 599, 601, 603-605, 607 f., 611 f., 615 f., 643, 760, 781, 788, 849-851 Pascha 296, 453, 630, 705 f., 711, 744 – Paschaamnestie 634
1073
Sachregister – Paschafest 362, 505, 634, 705, 708, 720, 743 f., 755 – Paschatradition 721 Passa 3 Pascha Passion 77, 193, 249, 362, 371, 374, 407, 445, 456, 509, 650, 653, 655, 663, 717, 756 f., 765, 781, 785, 846, 886 f., 892, 901 f. Paulus 96, 825 Petrus 77, 96, 195 f., 278, 281, 371, 442, 456, 474, 485-487, 491, 543, 546, 555, 557, 583 f., 586, 597, 653-655, 705-707, 764-766, 768 f., 773 f., 785 – Haus des P. 3 Haus – Petrusbekenntnis 311, 329, 336, 345-347, 383, 421, 456, 706 – Schwiegermutter des P. 17, 102, 105, 196, 214, 216 f., 235, 365, 418, 497, 514-516, 519521, 536-538, 541 f., 561 – Seewandel des P. 52, 312, 381, 454-457, 459-464 (3 Wasser, Gehen auf dem Wasser) – Wunder des P. 96, 589, 703, 754, 897 Pharisäer 122, 183, 235-237, 301, 364, 417, 422, 426, 429-432, 434, 498, 563 f., 628, 632, 634 f., 672, 700, 725-728, 730-732, 735, 737, 739, 743, 827, 897 – P. als Gegner Jesu 197, 248, 255 f., 348, 383, 385 f., 428 f., 436-439, 504, 559-561, 612, 627 f., 725-728, 730-732, 829 – Zeichenforderung der P. 21, 200, 386 (3 Zeichen) Philippus 177, 200, 307, 346, 457, 552, 705707, 709 Pilger 42, 301, 695 f., 709, 751, 814, 819, 825, 851 Polytheismus 319, 815 Pompeius 260 f., 271 f., 405, 410 Predigt 117, 156-161, 600 Priester 91, 124, 197, 201, 221-224, 226-228, 230-233, 286 f., 297, 335, 339, 365, 553, 562, 638 f., 641 f., 646-648, 654, 675, 714, 805 f., 809, 811, 813, 815, 869-872, 897 – Hohepriester 136, 297, 367, 503 f., 515, 521, 650-652, 655, 694, 743 f., 746, 769, 773, 832-834, 840, 902 – Priesterdienst 91, 325, 343, 815, 875 – Tempelpriester 3 Tempel Prophet – Endzeitprophet 109, 710 – Gerichtsprophet 375 – Jesus in der Tradition der Propheten 113-
1074
117, 131 f., 165, 194, 199, 209, 254, 262, 324 f., 335, 368, 374, 421, 449 f., 452, 498, 515, 517, 518-520, 522-524, 539 f., 563, 568, 571, 574, 578 f., 581, 589, 645, 684, 705 f., 709 f., 713, 719, 725, 730, 739, 754, 760, 805, 831, 891 – Lügen-/Pseudoprophet 20, 95, 113, 127, 195, 200, 328 – Prophetentitel 116, 523, 710 – Prophetenwort 179, 267 f., 517, 523, 796 – Prophetie 228, 523 – Wunderprophet/Wunder der Propheten 19, 298 – Zeichenprophet/prophetische Zeichenhandlungen 20, 109 f., 113, 130, 137 f., 709 Proskynese 269, 273, 423, 640, 648, 732, 739, 879 f., 882, 888 f. Quaste 416, 418, 420 f., 887 Qumran 91 f., 102, 118, 129 f., 138, 226, 228, 251, 298, 325 f., 344, 488, 533, 692, 710, 753 Rabbi – Jesus als R. 288, 361, 371, 716, 719, 725, 742, 747, – Rabbuni 359, 361 f. Rechtfertigung 156, 633, 646 Reich Gottes 34, 46, 94, 117 f., 122, 131, 148 f., 156, 159 f., 374, 386 f., 397-399, 429, 485, 520, 594, 598, 601, 616, 618, 624, 635, 643, 646, 676, 786, 797, 879 Reichtum 84, 97, 118, 156, 299 f., 316, 336, 342, 361, 364, 498, 542, 547, 550, 553, 575, 578, 596-599, 631, 635, 684, 751, 760, 849, 852 f., 858 f., 879 f. Reinheit 15, 46, 91, 103, 118, 197, 208 f., 221 f., 224, 227-230, 232, 273, 286, 288, 313, 337, 380, 419 f., 514, 518, 530, 589, 632, 641 f., 644-646, 672, 695, 754, 869, 871 – Kultische R. 58, 91, 197, 222, 227 f., 250 – Reinheitsgebot 232, 423 – Reinheitsrituale 227 – Reinheitsvorschriften 109, 175, 227 f., 334, 422, 465, 589, 632, 672 f. Reinigung 88, 124, 126, 167, 221-224, 230 f., 286-288, 330, 364, 420 f., 518, 539, 633, 638 f., 641 f., 645, 670, 672 f., 695, 743, 830, 869, 871 – Kultische R. 224
Sachregister – Reinigungsriten/-rituale 125, 138, 222, 226 f., 286, 288, 539, 642, 870 – Reinigungsvorschriften 669, 673, 870 Reise 85, 150, 153, 233, 295 f., 301, 323, 334, 404, 448, 459, 571, 575, 599, 683, 696, 751, 756, 761, 783, 799 f., 805, 807, 809, 818 f., 851, 870 – Reisebericht 514, 603, 615, 639, 751 Remus 373, 506 f., 509 Rettung – Bitte um R. 402 f., 405 f., 454, 565 – R. am Sabbat 251, 253, 437-439, 627, 635 f. – R. durch den Glauben/Vertrauen 16, 73, 121 f., 278, 289, 359, 361, 368 f., 421, 421 f., 434, 583, 586 f., 589-591, 638-640, 643 – R. durch Jesus/Gott 142, 153, 179, 217, 219, 257, 278, 280, 282-284, 288-290, 292, 307, 326, 339, 368, 405, 407, 417, 427, 432 f., 461, 515, 524, 553, 567-570, 580, 584 f., 629 f., 635, 740, 781, 793, 796 f., 800, 803, 812, 823, 850 – R. in Seenot 260 f., 264, 404 f., 415 – R. vor dem Tod 179, 248, 250 f. – Rettungsgeschichte 304-306, 309, 405 – Rettungswunder 26 f., 193, 257, 260, 660, 838 Rückkehrverbot 106, 129, 133 Saat 505, 630, 836, 847-849, 849, 851 Sabbat 28, 46, 114, 119, 136, 196 f., 205 f., 215, 246, 248, 251-255, 285, 327, 348, 436440, 505, 523, 529, 597, 606, 615-617, 619, 621, 623-625, 627-631, 634-636, 651, 660, 663, 690 f., 694, 698-700, 702, 725, 728-730, 735, 737 f., 827-830, 832-833, 840, 845 f., 874, 876 – Sabbatgebot 28, 247, 251-253, 437 f., 616, 624, 627 f., 630, 635, 698, 700, 702, 829 – Sabbatheilung 119, 249, 252-254, 436, 623, 627, 727, 738, 874 – Sabbatkonflikt 248, 250, 252, 256, 515, 627, 630, 698-700, 735, 737, 829 f. – Sabbatobservanz 253, 255, 630 – Sabbatruhe 628-630, 698, 700, 829 – Sabbatübertretung 247, 251, 701, 727, 732, 735, 828 Salomo 101, 103, 105 f., 115, 117, 129 f., 133, 138, 316, 327, 431, 532, 804
Samaritaner 233, 270, 289, 374, 386, 515, 572, 615, 638-640, 642 f., 645-648, 661, 681, 686 f. Sarepta 209, 216, 421, 449, 515, 578, 589, 684, 753 Sarg 17, 576 Satan 26, 70, 74, 94-96, 99, 115, 117, 122, 132 f., 137, 176, 183, 185, 188, 196 f., 209, 211, 273 f., 302 f., 603, 608, 610, 612, 615, 619 f., 623, 630, 664, 811, 815 f., 820, 823825 Sättigung 118, 148 f., 294 f., 297-303, 313, 316, 318 f., 332-335, 337-339, 442, 444 f., 447, 449, 451 f., 471, 593, 596, 598 f., 705, 707 f., 712, 716, 718, 766 Schaf 294, 298, 338, 383, 386 f., 396, 436-438, 440, 465-467, 470-472, 504, 557, 636, 643, 692, 696, 713, 727 Scham 179 f., 335, 357, 431, 567 f., 615-617, 761, 766, 768 f., 773 Schamanismus 35, 124-126, 128, 131, 134, 136-138, 599 Schande 363, 398, 874, 876 Schiff 257-259, 261-264, 304, 404, 406-408, 448, 459, 723, 768 – Schiffbruch 264, 402-404, 459, 515, 654 – Schiffer 774 – Schifffahrt 404, 458 – Schiffsbau 854 Schlaf 13, 76, 82, 126, 128, 258, 261-263, 272, 281, 327, 403, 405, 407, 424, 539, 742, 750, 754, 757, 843, 854 – Schlafsüchtiger 354 – Tempelschlaf 3 Tempel Schlange 811, 816, 820 Schmerz 85, 246 f., 431, 624 f., 821, 862, 865, 882 – Bauchschmerzen 625 – Halsschmerzen 251 – Kopfschmerzen 229 – Nervenschmerzen 625 – Zahnschmerzen 326 Schöpfung 44, 59, 73, 85, 115, 119, 122, 148, 153, 156, 178, 197, 253, 255, 260, 307, 309, 319, 324, 326, 364 f., 368, 438, 459, 482, 524, 541, 601, 625, 628, 630, 633 f., 636, 669, 673, 702, 739 f., 811, 814, 822, 827-830, 833 f., 837, 839, 850 – Schöpfermacht 311, 601, 830 f. – Schöpfungsbericht 179, 438, 828, 833
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Sachregister – Schöpfungsordnung 119, 253 – Schöpfungstage 828 f. – Schöpfungswerk 253, 677 – Schöpfungswirken 829 Schreiner 852, 854, 858 f. Schriftgelehrte 128, 136, 183, 188, 197, 199, 205-207, 211 f., 217, 235-238, 242, 245, 285, 351, 357, 429, 465, 498, 503, 559-561, 563 f., 611, 655, 694, 703, 866, 897 Schuld 90, 132, 239, 247, 254, 478, 498, 553, 560, 562, 613, 845, 875 – Schuldbekenntnis 871 – Schulderkenntnis 769 – Schuldzuschreibung 844 – Schuldzuweisung 90, 216 – Sündenschuld 289 Schulden 629, 633 Schuppenflechte (Psoriasis) 89, 226 Schweigen 26, 89 f., 102, 104 f., 143, 194 f., 198, 209, 223 f., 235, 237, 249 f., 254-257, 262, 320, 329, 359 f., 466, 495, 510, 529, 531, 627 f., 634 f., 845 f., 895 – Schweigebefehl 102, 105, 134, 531 – Schweigegebot 134, 193-198, 201, 211, 222-224, 228, 324, 328, 427 f., 475, 524, 587, 590, 872 (3 Dämonen) – Schweigepflicht 797 Schwein 47, 103, 105 f., 266, 268 f., 272, 344, 409-414 – Schweineherde 42, 94, 266 f., 269 f., 410412, 415, 533, 546, 820 – Schweinehirt 268 f., 275, 413 Schwert 97, 650 f., 653-655 Schwiegermutter 17, 102, 105, 195 f., 214219, 235, 365, 418, 497, 514 f., 519, 521, 536539, 541 f., 544, 552, 561 (3 Petrus) See 134, 196, 198, 257-263, 265, 271, 278, 297, 304 f., 307-310, 312 f., 347, 381, 388 f., 404 f., 409-412, 415, 454 f., 457 f., 461-463, 485, 533, 541, 543, 550, 552 f., 556 f., 585, 660, 666, 685, 705, 716-719, 721-723, 764, 766 f., 772, 895 – See Gennesaret 3 Gennesaret – Seefahrt 402, 404 – Seenot 257, 260, 404 f., 415 – Seesturm 102, 134, 257, 259-264, 517, 584 – Seeufer 258, 262, 334 – Seewandel 3 Wasser, Gehen auf dem Wasser – Seewunder 716 f., 720, 722 f. Seele 87-90, 125 f., 128, 131, 138, 233, 256,
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290, 300, 337, 347, 356, 385, 414, 533, 553, 622, 647, 679 f., 754, 793, 795, 809 – Seelenwanderung 125 f., 138 Segen 85, 103, 114, 253, 291, 294 f., 297 f., 300 f., 303, 319 f., 332, 334, 336, 373, 442447, 449, 538, 582, 593, 595 f., 598, 766, 770, 813, 837 Seligpreisung 148 f., 168, 388, 605 f., 653, 849, 853, 858 Semiotik 18, 30, 35 f., 50, 375, 491, 600 Senfkorn 474, 476, 479, 481, 484, 508, 615 Septimius Severus 175 Sidon 179, 198, 296, 323, 465, 467-469, 519, 568 Sklave 84, 106, 114, 173 f., 216, 296, 316, 342, 393, 397, 447, 489, 513 f., 516, 520 f., 566, 568, 609, 630, 633 f., 708, 864 f. (3 Knecht) Sohn – Besessener S. eines Priesters 809, 813-815, 823 f. – Blindgeborener S. 725, 730 – Davidssohn 359-362, 364, 367 f., 385 f., 388, 426 f., 430 f., 434, 465 f., 470 f., 495 f., 498, 500, 509, 612, 878 – Königssohn 485-488, 491 f., – Menschensohn 3 Mensch, Menschensohn – Schwiegersohn 195, 216 f., 541 – S. der Witwe von Naïn 44, 517, 521, 571573, 578-581, 585, 754 – S. der Witwe von Sarepta 216, 578, 589, 753 – S. des Hauptmanns/Zenturio 174, 394, 397, 399 – S. des Hohepriesters Annas 832-834, 837, 839-841 – S. des königlichen Beamten 20, 181, 663, 665, 671, 681-688 – S. des Timäus 3 Bartimäus – S. Gottes 115, 146, 153, 194-196, 201, 207, 266, 268, 274, 288 f., 308, 312, 317, 328, 367, 388, 409, 412-414, 421, 430, 454, 458, 461 f., 474 f., 492, 501, 524, 530, 539, 635, 665, 671, 746, 749, 772, 784, 787, 808, 811-815, 821823, 830, 887, 891-894, 896, 899, 901 – S. in antiker Gesellschaft 538, 575 f. Soldat 43, 76, 78, 101, 120, 166, 173, 175, 177 f., 208, 269, 327, 330, 393, 396, 400, 448, 565, 569 f., 708 f., 720, 787, 894-897, 900902 – Soldatenkinder 175
Sachregister Solidarität 357, 413, 492, 867 Sondergut 17, 43, 112, 311, 325, 379 f., 443, 485, 493, 513, 515, 517, 572, 578 f., 621, 638, 805 Soteriologie 44, 238 f., 244, 261, 289, 406, 414, 521, 538 f., 554, 634, 651, 707, 721 f., 739 f., 845, 871 Speichel 16 f., 88, 113, 134, 323-325, 327330, 341, 344 f., 725, 729, 734, 740 Speise/Speisung 13, 40, 69, 116, 198, 294304, 307, 309-312, 318, 323, 332 f., 335-339, 341, 398, 442 f., 445, 447, 450 f., 454, 458, 462, 467, 493, 513, 517, 539, 547, 593-599, 601, 607, 631, 663, 666, 672, 705 f., 711-714, 720, 771, 828 – Geistliche Speise 300-302 – Speisegebote 227 f., 632, 708, 770 – Speiseraum 675 – Speise-/Speisungswunder 46, 294, 295, 299-302, 332, 334-339, 383, 449 f., 487, 491, 493, 707, 709, 711-713, 716 Spiel 124, 154, 176, 784, 808, 812, 821, 827 f., 834, 841, 843-845, 849 Spiritualität 130, 235, 239, 243 f., 246, 291, 339, 522, 580, 628, 683 – Spiritualisierung 711 f. Stadt – Davidsstadt 470 – Dekapolisstadt 42, 269, 271, 415 – Stadtbevölkerung 271, 273, 810 – Stadtgottheit 186 – Stadtgründer 75 – Stadtherrschaft 199 – Stadtmauer 207, 575 f., 700 – Stadttor 571, 575, 578, 700, 809 – Vaterstadt 116 – Zehnstädtebund 3 Dekapolis Staunen 13 f., 19 f., 22, 30-32, 47, 142, 176, 183, 206 f., 210, 248, 259, 261, 263 f., 266, 268 f., 324, 328, 350, 364, 387, 395 f., 399, 402, 428, 455, 476, 497, 529, 532, 567, 570, 578, 593, 604, 750, 794, 816, 828, 843, 853, 894 Sterben (3 Tod) 5, 12 f., 44, 77, 84, 106, 116, 121, 138, 278-281, 284, 350 f., 402, 413, 416, 445, 492, 495, 497, 499, 565 f., 575-577, 583585, 587, 590, 624, 663 f., 681, 684, 742 f., 746 f., 749 f., 753 f., 757-759, 762, 782, 784, 803 f., 821, 841, 843, 846, 862, 878, 894, 898
Steuer 110, 232, 270, 363, 448, 485-489, 491493, 547, 549 f., 552, 738, 807 (3 Tempel, Tempelsteuer) Stille/Stillung 126, 198, 215, 257 f., 260, 263 f., 267, 288, 306, 402-407, 455, 457, 459, 462, 477, 514, 517, 531, 584, 628, 722 Stimme 44, 99, 120, 194, 205, 266 f., 385, 429, 529, 531, 537, 574, 605, 615 f., 638, 640, 743, 748 f., 754 f., 757-759, 761, 793, 827, 843, 876, 878 f., 894-899, 901 – Erzählstimme 31, 38, 57, 455, 617, 619, 806, 900 – Himmelsstimme 77 f., 114 f., 894-898 Strafe 77, 88, 90, 117, 216, 226, 239, 250 f., 255, 283, 287, 326, 343, 363 f., 372, 439, 504, 507 f., 533, 631 f., 641, 644, 699, 734, 784, 806, 834, 836 f., 839, 863, 867 f., 875 – Fluchstrafe 833 – Strafandrohung 216 – Strafdämonen 228 – Strafengel 70 – Straferblindung 344 – Strafgericht 373, 375, 700 f. – Strafleiden 700, 702 – Strafsteuer 738 – Strafwunder 77, 117, 193, 374, 503, 507 f., 510, 513, 517, 782, 784, 794, 812, 827, 833, 836-838, 848, 862, 865-868 – Sündenstrafe 367, 700 – Todesstrafe 630, 642 Streitgespräch 28, 143, 166, 200, 232, 240 f., 317, 379, 383, 436, 560, 562 f., 603 f., 606, 610-612, 623, 627, 630, 636, 663, 698, 703, 834, 866, 874 Stummheit 13, 22, 89-92, 104, 106, 183, 185, 228, 323-325, 327, 350, 353, 364, 379, 384, 426-429, 431, 433, 483, 516, 518, 541, 603606, 610, 612, 644, 706, 875 – Verstummen 205, 757 – Verstummungsbefehl 194, 197, 209 Sturm 13, 44, 75, 145, 150, 198, 258-264, 387, 403 f., 407, 458, 461, 719-722, 766 – Seesturm 102, 134, 257, 259-264, 517, 584 – Sturmstillung 14, 22, 26, 102, 134, 145, 198, 257, 261, 267, 288, 306, 402, 404-406, 455, 457, 459, 462, 477, 514, 517, 584, 722 – Sturmwind 257 f., 263, 306 Sukkot 3 Fest, Sukkotfest Summarium 17, 22, 25 f., 30, 44, 50, 95 f., 112, 193, 211, 215, 267, 338, 379 f., 382-388,
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Sachregister 417, 442 f., 451, 454, 498, 515-519, 521, 530, 638, 660, 812 Sünde 29, 59, 90, 122, 132, 209, 228, 232 f., 235-237, 239-241, 244 f., 287, 343, 355, 364, 418, 420, 441, 469, 486, 498, 543, 545, 553, 555, 559-564, 619, 631-634, 646, 654, 690, 699-703, 725-727, 729-732, 734 f., 738 f., 761, 869-872 – Erbsünde 740 – Sündenbekenntnis 546 – Sündenfall 441 – Sündenschuld 289 – Sündenstrafe 367, 700 – Sündenvergebung 236 f., 239, 242, 245 f., 289, 301, 375, 560-564, 634, 703, 733 – Sünder 28, 237, 255, 289, 298, 367 f., 422 f., 542, 546, 556, 563, 632, 634, 679, 700, 726, 730, 732, 738, 747 – Sündopfer 287, 651 Symbol – Symboldidaktik 154 – Symbolische Wunderdeutung 11 f., 63, 122, 131, 143, 145-147, 158 f., 161, 195, 198, 200 f., 211, 229, 262, 270 f., 291, 300, 310 f., 318, 320, 336 f., 366 f., 372-376, 411, 451, 491 f., 509, 610 f., 669, 676, 712 f., 733 f., 738-740, 771 f., 823, 866 – Symboluniversum 633 – Zahlensymbolik 41, 335, 337, 450, 645, 771, 890 Synagoge 168, 181, 195 f., 199, 207 f., 211 f., 214, 235, 248, 285, 393, 436, 438, 515, 517, 519, 529, 531, 536, 540, 565 f., 568, 583, 606, 615-617, 619, 623 f., 634, 698, 725, 727 f., 730, 732 f., 735 f., 738, 808, 819, 833, 874 – Synagogenversammlung 205-208 – Synagogenvorsteher 14, 278, 280 f., 285, 416, 423, 448, 517, 521, 583, 585, 587, 591, 615 f., 619, 622, 624, 628, 883 Syrophönizierin 22, 28, 179, 273, 313, 321, 467, 469, 513, 879 Tacitus 111, 113, 121, 327, 345, 507 Taubheit 87, 90-92, 118, 167, 276, 323-325, 328, 350, 353 f., 364 f., 379, 421, 431, 513, 518, 606, 610, 644, 875 Taubstummheit 17, 87, 89 f., 92, 134, 161, 267, 323, 328-330, 338, 364, 516, 521 Taufe 115, 193, 211, 213, 279, 330, 385, 491,
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557, 633, 678, 740, 751, 834, 878, 880 f., 896, 898 – Johannestaufe 194, 288, 880 – Täufer 87, 116, 118, 138, 167-169, 180 f., 267, 295, 386, 454, 474, 517, 569, 678, 754, 880 – Taufgnade 330, 407 Teich Betesda 3 Betesda, Teich Tempel 110, 113, 127, 136, 226-228, 232, 287, 297, 326, 375, 397, 405, 436, 492, 503, 506 f., 510, 548 f., 580, 607 f., 630, 632, 641 f., 673, 690-692, 694-697, 700, 703, 727, 734, 743, 752 f., 782, 784, 793, 805-810, 812, 864 f. – Jerusalemer T. 91 f., 371, 385, 388, 488 f., 553, 642, 703, 802, 837, 865 – Tempelbau 568 – Tempelberg 114 – Tempelbezirk/-areal 70, 82 – Tempeldienst 91, 883 – Tempelkult 375, 488, 492 – Tempelmedizin 72 – Tempelpolizei 652 – Tempelpriester 436 – Tempelrede 373 – Tempelreinigung 373, 375, 492, 495, 503, 505, 671, 866 – Tempelschatz 363 – Tempelschlaf 354 – Tempelsteuer 485 f., 488 f., 491 f. – Tempelvorhang 51, 76 – Tempelzerstörung 488 f., 506, 672 Theophanie 718, 720 (3 Erscheinung) Therapie 8, 10, 27, 33, 47, 49, 58, 70, 72, 79, 81, 85, 88, 126, 129 f., 134, 184, 198, 211, 215, 225 f., 229 f., 275, 323, 341 f., 344 f., 354, 356, 366, 416, 418, 433, 481, 498, 581, 618, 621, 629, 735, 795 Tier 76, 91, 99, 126, 134, 138, 227, 260, 410, 412, 437 f., 440, 459, 471, 630-632, 635 f., 770, 781 f., 800, 802, 807, 814, 820 Titus 270, 346, 697 Tochter 9, 13 f., 22, 26, 28, 56, 69, 79, 198, 216, 257, 278-281, 284 f., 288, 290, 313-317, 319 f., 355, 383, 416-419, 421-426, 465, 468470, 472 f., 513-515, 517, 521, 538, 572, 576, 581, 583-592, 615, 620, 688, 750, 754, 822, 844, 879 Tod (3 Sterben) – Kreuzestod 201, 633, 867
Sachregister – T. Jesu 51, 143, 475, 503, 628, 633, 665, 748-750, 756, 759 – Todesangst 258 – Todesbeschluss 745, 756, 760 – Todesstrafe 630, 642 – Todesstunde 677 f. – Totenbett 854 – Totenerweckung 3 Auferweckung – Totengeister 97 f., 124, 324 – Totenklage 576 – Totenreich 754, 882, 898 Tora 91 f., 119, 224, 251, 255, 325, 347, 419423, 451, 492, 554, 629, 635, 698, 700, 714, 870 f. – Mosetora 223 f., 226, 233 – Torabestimmungen/-vorschriften 286, 633 – Toraübertretung 255 Trauer 149, 424, 475, 572, 576 f., 580, 584, 587, 745, 750, 752, 757, 759, 837 – Trauerfeier 576 – Trauergäste 290 – Trauerrede 577 – Trauerzug 572 f., 577, 752 Traum 49, 51, 70, 76, 148 f., 344, 806, 808, 813, 850 – Traumdeutung 71 Tun-Ergehen-Zusammenhang 238 f., 348, 363, 418, 562, 702 Tyrus 179, 198, 296, 313, 315 f., 320, 323, 337, 465, 467, 469, 519, 708 Überwindung 29, 94, 142, 186, 188, 193 f., 196, 217, 219, 246, 281, 285, 290, 300, 319 f., 329, 336, 346, 381, 407, 412, 415, 433, 481 f., 499, 559, 562, 604, 620, 640, 713, 753, 756, 758, 762, 809, 845, 853 Umkehr 116, 122, 179 f., 199, 201, 211, 255, 361, 368, 373, 387, 399, 414, 563, 570, 635, 638-640, 643, 645, 814, 875, 898 – Umkehrruf 180, 197 Unglaube 38, 43, 52, 59, 122, 199-201, 284, 311, 352 f., 364, 367 f., 383, 387, 474-477, 479 f., 482 f., 498, 506, 666, 677, 686, 701, 731, 740, 761, 849 Unreinheit 17, 25 f., 136, 183 f., 198, 205-209, 211 f., 221-224, 226-230, 235, 239, 266-269, 272, 286-290, 313 f., 317, 320, 324 f., 350355, 357 f., 396, 410-412, 419-423, 465, 471 f., 483, 516, 519, 522 f., 529-534, 589,
604 f., 632 f., 641, 644, 670, 672, 871 (3 Geist, unreiner Geist; 3 Dämonen) – Kultische Unreinheit 58, 91 f., 198, 239, 286, 589 Unterricht 369, 834, 863 f., 866 Vater 120 f., 216, 279-282, 284, 345, 327, 350-354, 357, 416 f., 422, 424, 474-478, 480, 482-484, 515, 521, 572, 584, 587, 599, 636, 681-683, 687, 811, 813-815, 821-824, 827, 830, 833-835, 838-841, 847 f., 850, 852-854, 858, 861-863 – Gott als V. 51, 115, 120, 371, 508, 540 f., 655, 663, 690, 698, 701 f., 713, 739, 743, 746, 758, 799 f., 810 – Hausvater 319, 333 f., 336, 449, 711, 766, 773 – Vaterunser 119, 161, 448, 451, 598 f., 603 Verdorrung 3 Vertrocknung Verfolgung 137, 181, 316, 356, 462, 633, 653, 690, 694, 698, 740 Verfluchung 3 Fluch Vergebung 43, 122, 235-237, 239-242, 244246, 255, 289, 301, 311, 371, 375, 441, 559564, 632, 634, 700, 703, 729, 731-733, 735, 738, 773, 871 Verheißung 43, 110, 118, 168, 180, 198, 263, 324 f., 344, 384, 398, 414, 430, 449, 456, 461, 498, 508, 517 f., 523, 541, 544, 546, 554, 581, 620, 644, 664, 710, 753, 758, 796 f., 800, 815 – Verheißungstreue 180 Verherrlichung 15, 474, 482, 663, 677, 742, 748, 750, 756 Verkündigung 11, 23, 50, 73, 116-118, 137, 159, 174, 179-181, 196-198, 201, 235, 241, 267 f., 276, 295, 319, 337, 351, 366, 386, 413, 421, 433, 481, 490, 517-520, 523, 545 f., 556, 611, 635, 646, 662-664, 689, 701, 703, 710, 714, 735, 739 f., 793, 849 f., 889, 902 f. – Heilsverkündigung 50 – Reich-Gottes-Verkündigung 34, 148, 373 f., 387, 601, 426, 520 – Täuferverkündigung 179 f. – V. durch die Geheilten 223 f., 267 f., 323 f., 329 – Verkündigungsauftrag 195 f., 591 Vermögen 13, 569 Vertrauen 120 f., 142, 166, 173, 176 f., 179 f., 187, 193, 198-200, 221 f., 224, 231-233, 244, 263, 295, 300, 311, 320, 350-353, 357, 360 f.,
1079
Sachregister 380, 398, 418, 421, 426-429, 433 f., 456, 460462, 470, 477 f., 482, 545, 559, 569, 586, 603, 622, 655, 683, 714, 746 f., 754, 857 f., 869871 – V. in die Macht des Gebets 121 – V. in Gott 120 f. – Vertrauensglaube 194, 196-198, 200 f., 360-362, 367, 375, 388 – Vertrauensschwäche 3 Glaube, Kleinglaube Vertrocknung 22, 27, 43, 88, 201, 248 f., 278, 283, 362, 371, 375 f., 436 f., 503-509, 515 f., 653, 782, 784 f., 804, 832, 834, 837, 873-876 Vespasian 75, 101, 111, 113, 121, 129, 201, 270, 327, 345 f., 364 Volk 9, 13, 22, 94, 100 f., 103, 106, 110, 113, 116, 169, 198, 200, 262, 319, 329, 344, 385, 389, 398, 466 f., 471, 509, 544, 554, 569, 593, 595 f., 598, 644, 654, 743, 746, 755, 757, 759, 770, 866, 883, 889 – Gottesvolk 179, 298, 309, 329, 373, 384, 395, 443, 445, 451 f., 470, 479, 501, 506, 554 f., 574, 633, 643 – Völkerkirche 318 – Völkermission 3 Mission, Völkermission – Völkerorakel 179 – Völkerwallfahrt 181, 397 f – V. Israel 262, 297, 318, 339, 384 f., 388, 450, 467, 470, 496, 499, 714, 807, 841. – Volksfrömmigkeit 132 – Volksglaube 96, 98, 103, 216, 324, 478 (3 Glaube) – Volksheiler 132 – Volksverführer 136 Vollmacht – Bevollmächtigung des Wundertäters 121, 297 – Göttliche V. 74-77, 176, 364 f., 541, 560, 563, 606, 901 – V. der Jünger 187, 199, 245 f., 386, 426, 456, 461, 480, 520, 595 – V. des Jesuskindes 810, 829 f., 850, 866 – V. Jesu 115, 166, 175 f., 180, 194 f., 197, 201, 205 f., 210-214, 224, 228, 235, 241 f., 245 f., 248 f., 252, 268, 307, 309, 361, 387 f., 394 f., 414, 429 f., 530, 559-563, 585, 590, 606-608, 703, 730, 732, 735, 738-740, 886 – Vollmächtiges Wort 166, 173, 176 f., 381, 395, 700 – Wundervollmacht 76, 197, 199-201, 364 f., 859
1080
Vorrat 299, 333, 336, 339, 445, 449-451, 672, 674, 706, 714 Waffen 102, 651, 665 Wahrheit 11, 20, 33, 43, 60, 151, 158, 217, 278, 283, 329, 346, 413, 432, 521, 531, 579, 601, 678, 687, 701, 710, 739, 813, 815, 822, 839 Waisen 91, 575, 819, 847, 849 f. Wasser/Gewässer 257-260, 262 f., 297, 350, 354, 402, 409, 412, 419, 443, 447, 454-461, 463 f., 474, 477, 483, 533, 548-550, 553 f., 557 f., 767 f., 795, 799, 803 f., 827 f., 830, 832-834, 847 – Gehen auf dem W. 7, 9 f., 14, 36, 52, 134, 198, 305-309, 718-720, 722 f. (3 Petrus, Seewandel) – Heilung durch (Bade-)Wasser 13, 562, 690, 693-697, 812, 821 – Verwandlung von W. zu Wein 8, 663, 669 f., 674, 676, 679, 681, 705 – Wasserkrüge 669 f., 672, 674 – Wassermangel 801 – Wasserquelle 799, 801, 803 – Wassersucht 9, 514, 516, 521, 627, 631633, 634 Wein 8, 20, 25, 141, 297, 327, 332, 373, 398, 417, 422, 445, 448, 452, 487 f., 539, 547, 660 f., 663, 665, 669-671, 673-679, 681, 685, 705, 773 – Hochzeitswein 663 – Weinberg 201, 373, 676 – Weinstock 506, 508, 674, 676 – Weintraube 506, 576 – Weinwunder 3 Wunder, Weinwunder Weinen 148, 278, 281, 571, 573, 575 f., 580 f., 584, 587, 647, 743, 749 f., 752, 761, 812, 821 Weisheit 92, 101, 115, 117, 121, 127, 131, 165, 180, 187, 199, 228, 260, 317, 360, 363 f., 367, 383, 538, 633, 652, 787, 802, 836, 863, 865-868, 874 Weltbild 7, 9 f., 32, 35, 49, 51, 69, 72, 74, 90, 94, 100, 106 f., 130, 137, 145 f., 152 f., 157, 159, 186 f., 242 f., 321, 354, 356, 366, 414, 451, 532-534, 607, 898, 900 Wille 49, 97, 114, 127, 144, 209, 218, 247, 254, 283 f., 314, 357, 361, 508, 628, 635, 726, 841, 850, 858, 869 – Heilswille 325, 410, 554 – Schöpfungswille 260
Sachregister Wind 22, 26, 105, 126, 134, 145, 151, 257263, 304-308, 312, 402-405, 409, 454 f., 457, 462, 716 f., 801, 832 – Fallwind 259, 308, 458 – Gegenwind 305 f., 308, 454, 458, 463 Windel 811-817, 820-825 Wirklichkeitsverständnis 23, 35, 62, 111, 158, 160 Witwe 44, 209, 216, 421, 449, 515, 517, 520 f., 538, 568, 571-573, 575 f., 578-582, 585, 589, 684, 753 f., 819, 849 Wohltätigkeit 712, 849 f. Wolke 77, 103, 793-796, 805 f., 809, 899 Wunder – Allmachtswunder 676 – Alltagswunder 858 – Ankunftswunder 721 – Auferweckungswunder 589-592 (3 Auferweckung) – Befreiungswunder 77, 785, 894 – Brotwunder 9, 114, 297, 301, 335, 337, 449, 663, 716 f., 720, 722 – Entfesselungswunder 110 – Epiphaniewunder 676, 773 (3 Erscheinung) – Fernwunder 28, 684 (3 Fernheilung) – Fisch(fang)wunder 492 f., 557, 769 f. – Fluchwunder 374, 836, 838, 848 (3 Fluch) – Flugwunder 126 – Geschenkwunder 27, 52, 54, 114, 193, 297, 300, 332, 335 f., 380, 387, 442 f., 487, 493, 517, 545 f., 598 f., 660 f., 665, 676, 705, 847, 849 f. – Heiligungswunder 794 – Heilungswunder 10, 26 f., 33, 53 f., 70, 72 f., 75, 82, 88, 134, 151, 193, 195, 197, 201, 241 f., 315, 332, 360-366, 372, 411, 416, 422, 429, 433 f., 516, 520, 537, 540, 560, 592, 636, 643, 660, 663, 689, 703, 844 – Luxuswunder 676 – Mannawunder 299, 336 – Naturwunder 10, 26 f., 33 f., 52, 54, 73, 75, 116, 126, 134, 148, 151, 193 f., 201, 257, 299, 362, 514, 517, 584, 676 – Normenwunder 27 f., 33, 46, 52, 54, 248, 380, 487, 615 – Palmenwunder 806 – Regenwunder 109, 114, 120, 128, 138 – Rettungswunder 26 f., 193, 257, 260, 660, 838
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Sachwunder 856-858 Sättigungswunder 707 Schauwunder 21, 303 Scheinwunder 755 Schilfmeerwunder 720 Schöpfungswunder 833 Seewunder 381, 409, 716 f., 720, 722 f. Selbsthilfewunder 77 Speisevermehrungswunder 297, 299 Speise-/Speisungswunder 46, 294, 295, 299-302, 332, 334-339, 383, 449 f., 487, 491, 493, 707, 709, 711-713, 716 – Standartenwunder 884, 886, 890-892 – Strafwunder 3 Strafe, Strafwunder – Teilungswunder 451 – Vermehrungswunder 443, 449-451 – Wandlungswunder 676 – Weinwunder 20, 487, 661, 663, 677, 685 – Wiederherstellungswunder 29 – Wunderankündigung 492 – Wunderapostel 595 f. – Wunderarzt 75 – Wunderbestätigung 638 – Wundercharisma(tiker) 109, 117 f., 366, 734 – Wundergeheimnis 195, 201 – Wunderheiler/-heilung 25, 70, 72 f., 92, 138, 200, 241, 252, 283 f., 289, 291, 362-364, 425, 429, 431 f., 436, 440, 480, 498, 537, 539, 541, 563 f., 578, 621, 627, 650 – Wunderkraft 74 f., 194, 201, 253, 278, 282, 284, 288 f., 302, 360, 364, 523, 595, 821, 823, 843, 845, 851, 857 – Wunder(voll)macht 75 f., 115, 197, 199201, 280, 364 f., 750, 781, 857, 888, 891 – Wundermissverständnis 196 – Wunderprophet 298 – Wundertherapien 418 – Wunderunverständnis 198 Wüste 95, 98, 109, 134, 183-185, 267, 302 f., 332-334, 336-338, 674, 678, 699, 713, 720, 743, 799-802 – Wüstenwanderung 297 f., 309, 699 – Wüstenzeit 298, 450, 712 Zahlensymbolik 3 Symbolik, Zahlensymbolik Zauber 99 f., 120, 135, 326, 541, 609 f., 781, 812, 820, 825, 831, 837 – Abwehrzauber 209, 537 – Gegenzauber 134
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Sachregister – Liebeszauber 130 – Namenszauber 102, 105, 273 – Schadenszauber 124 f., 137, 327 – Schattenzauber 327 – Schutzzauber 537 – Wetterzauber 128 – Zauberer 22, 113, 116, 124 f., 135, 608-610 – Zauberformel 101, 105, 829 – Zauberkraft 829 – Zauberkunst 71 – Zauberpapyri 127, 194, 209, 328, 608 – Zauberschalen 130 – Zauberspruch 70, 72, 103, 285 – Zaubertrick 157 – Zauberwort 103, 328 Zehnstädtebund 3 Dekapolis Zeichen 19-21, 25, 109-111, 116, 156, 246, 298, 453, 464, 593, 643, 659-664, 666 f., 669, 671, 674, 681-683, 685-687, 694, 705, 707, 710 f., 723, 725 f., 728, 730-733, 738 f., 743 f., 756, 759, 809, 822, 831, 846, 899 – Feldzeichen 270, 887, 889, 892, 899 – Jonazeichen 604, 612
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– Kreuzzeichen 330 – Siegeszeichen 802, 899, 902 – Vorzeichen 19, 31, 51, 69 f., 75-77, 284, 336, 344, 373, 475, 807 f. – Z. der Heilszeit 11, 118, 122, 373, 388, 513, 517, 610, 786 – Zeichenforderung 20 f., 200, 311, 336, 383, 386, 388, 456, 520, 603 f., 612, 667 (3 Pharisäer) – Zeichengläubigkeit 682, 686 f. – Zeichenhandlung 11, 20, 27, 73, 137, 187, 374 – Zeichenprophet 3 Prophet, Zeichenprophet – Zeichenquelle 662, 697-703, 737 Zenturio 166 f., 173-181, 183, 396, 418, 472, 513, 516, 521, 566, 568-570, 684, 688, 887, 894, 897, 900 f. Zimmermann 847 f., 854 f., 858, 861 Zion 397, 580, 644 Zöllner 233, 298, 363, 372, 417, 422, 448, 500, 552, 679 Züchtigung 864, 866
Abbildungsnachweis Abb. 1 (S. 80): Zeichnung nach Riethmüller 2005, Karte 4. Abb. 2 (S. 80): Zeichnung nach G. Gruben, Griechische Tempel und Heiligtümer, Darmstadt 52001, 144. Abb. 3 (S. 81): Piräus, Archäologisches Museum; Foto: Foto Marburg, Aufnahme-Nr. 135.065; http://www.bildindex.de. Abb. 4 (S. 231): Reichenau, Dom-Hs. 218, fol 31r, © Erzbischöfliche Diözesan- und Dombibliothek Köln; vgl. auch http://www.ceec.uni-koeln.de/ceec-cgi/kleioc/0010/exec/pagesma/% 22kn28-0218_061.jpg%22. Abb. 5 (S. 264): Hitda-Codex, heute HS 1640 in der Universitäts- und Landesbibliothek Darmstadt; vgl. http://www.versacrum.de/hitdacodex-seesturm-p-117.html. Abb. 6 (S. 452): Foto: Beate Kowalski. Abb. 7 (S. 506): RRC 235/1 © ANS 1999.13.1. Abb. 8 (S. 548): nach Dalman 1939, Abb. 74. Abb. 9: (S. 549): nach Zangenberg 2003, 97, Abb. 151. Abb. 10 (S. 550): Foto: akg-images / Erich Lessing. Abb. 11 (S. 551): nach Cohen 2003, 152, Abb. 261. Abb. 12 (S. 552): nach Bekker-Nielsen 2010, 202, Abb. 7. Abb. 13 (S. 554): nach A. Kropp (Hg.), Ausgewählte Koptische Zaubertexte, Band 3, Brüssel 1930, Tafel II, Abb. 3. Abb. 14 (S. 556): nach A. Kropp (Hg.), Ausgewählte Koptische Zaubertexte, Band 3, Brüssel 1930, Tafel II, Abb. 5: Ichthys-Gemme; zuerst publiziert von D. Vallarsi, Verbleib unbekannt. Abb. 15 (S. 613): nach Huth 1994, 275. Abb. 16 (S. 768): Antakya Museum, Antakya, Türkei, inv. 1017, 5. Jh n. Chr.; http://www.pbase. com/dosseman/image/31485700 (Zugriff 15. 01. 2011). Abb. 17: (S. 769): Archäologisches Museum von Sousse, Tunesien; http://www.vanderbilt.edu/ AnS/Classics/roman_provinces/mosaics%20of%20roman%20africa/image41.htm (Zugriff 15. 01. 2012). Abb. 18 (S. 774): nach Salterio di Santa Elisabetta. Facsimile del ms. CXXXVII del Museo Archeologico Nazionale di Cividale del Friuli hg. v. C. Barberi, Triest 2002. Abb. 19 (S. 775): Eremitage, St. Petersburg; http://www.mypicasso.com/index.php/museums werke/kuenstler/toeput.html; s.a. http://www.lib-art.com/artgallery/40405-miraculousfishing-toeput-lodewijk.html. Abb. 20 (S. 775): München-Nr. 4134, Leihgabe an Wallraf-Richartz-Museum, Köln; http://www. badv.bund.de/003_menue_links/e0_ov/d0_provenienz/b0_dokumentationen/ Kunstwerk.php?id_kunstwerk=117. Abb. 21 (S. 776): Stirnseite des Mittelschiffes der Pfarrkirche St. Johannes der Täufer, Adenau; Foto: Michael Labahn. Abb. 22 (S. 817): Antikensammlung Berlin; nach Frenken 2011, 109. Abb. 23 (S. 818): Museo Provinciale Campano, Capua; Foto: akg-images / MPortfolio / Electa. Abb. 24 (S. 819): Museo Arcivescovile, Ravenna; nach Frenken 2011, 139. Abb. 25 (S. 855): aus U. Mell, Christliche Hauskirche und Neues Testament. Die Ikonologie des Baptisteriums von Dura Europos und das Diatessaron Tatians, NTOA 77, Göttingen 2010, 137 (nach: C.H. Kraeling, The Christian Building, New Haven/New York 1967, Plate XXXV). Abb. 26 (S. 856): Foto: Carola Jäggi. Abb. 27 (S. 857): Archäologische Staatssammlung München; http://www.google.de/imgres?q=
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Abbildungsnachweis
triclinium&um=1&hl=de&biw=1440&bih=795&tbm=isch&tbnid=g-tM6EIM_0NzTM: &imgrefurl=http://en.wikipedia.org/wiki/File:Triclinium_Arch%25C3%25A4ologische_ Staatssammlung_M%25C3%25BCnchen.JPG&docid=UEdydu6NLP_hQM&imgurl= http://upload.wikimedia.org/wikipedia/commons/7/76/Triclinium_Arch%2525C3% 2525A4ologische_Staatssammlung_M%2525C3%2525BCnchen.JPG&w=2048&h= 1536&ei=BD6ET8DTDfTP4QSR353mBw&zoom=1&iact=rc&dur=289&sig= 106676501504854981942&page=1&tbnh=131&tbnw=165&start=0&ndsp=26&ved=1t: 429,r:2,s:0,i:71&tx=51&ty=49 (Zugriff am 08. 09. 2011). Abb. 28 (S. 860): Paris, Louvre; http://prometheus.uni-koeln.de/pandora/image/show/genfe1da323aa47d1c75c5a04bcdd1b8288790f465d0 (Zugriff am 08. 09. 2011). Abb. 29 (S. 892): f0 164v, Erbach-Fürstenau 1896, aus: Gounelle/Izydorczyk 1997, 130. Sollten uns bei der Erstellung des Abbildungsnachweises Fehler unterlaufen sein, bitten wir dies zu entschuldigen. Rechtsansprüche bleiben gewahrt.
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