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German Pages 313 [320] Year 1997
Nomen et gens
Ergänzungsbände zum Reallexikon der Germanischen Altertumskunde Herausgegeben von Heinrich Beck, Dieter Geuenich, Heiko Steuer Band 16
w G_ DE
Walter de Gruyter · Berlin · New York 1997
Nomen et gens Zur historischen Aussagekraft frühmittelalterlicher Personennamen Herausgegeben von Dieter Geuenich Wolfgang Haubrichs Jörg Jarnut
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G_ Walter de Gruyter · Berlin · New York 1997
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Die Deutsche Bibliothek —
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Reallexikon der germanischen Altertumskunde / von Johannes Hoops. Hrsg. von Heinrich Beck ... — Berlin ; New York : de Gruyter Bis Bd. 4 hrsg. von Johannes Hoops Ergänzungsbände / hrsg. von Heinrich Beck ... Bd. 16. Nomen et gens. - 1997 Nomen et gens : zur Aussagekraft frühmittelalterlicher Personennamen / hrsg. von Dieter Geuenich ... - Berlin ; New York : de Gruyter, 1997 (Reallexikon der germanischen Altertumskunde : Ergänzungsbände ; Bd. 16) ISBN 3-11-015809-4
© Copyright 1997 by Walter de Gruyter & Co., D-10785 Berlin. Dieses Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Ubersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Printed in Germany Druck: Werner Hildebrand, Berlin Buchbinderische Verarbeitung: Lüderitz & Bauer GmbH, Berlin
Vorwort Der Gedanke, die aus dem frühen Mittelalter bekannten Personen prosopographisch zu erfassen und aus der Aussagekraft ihrer Namen Nutzen für die historische Forschung zu ziehen, ist nicht neu.1 Dies zeigen nicht zuletzt die bereits vorliegenden Publikationen der Autoren, die im vorliegenden Buch zu Wort kommen. Die in den letzten beiden Jahrzehnten entstandenen Prosopographien einzelner gentes erfassen jedoch ebenso wie die ,Prosopography of the Later Roman Empire' und die ,Gallische Prosopographie' die Träger der darin erfaßten Personen nur ausschnitthaft, vor allem aber ermangeln sie einer philologischen Analyse des Namenmaterials.2 Das umfassender angelegte Projekt ,Prosopographia Regnorum Orbis Latini' des Deutschen Historischen Instituts in Paris3, das auch die Personennamenüberlieferung des 4. und 5. Jahrhunderts
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Vgl. grundsätzlich: Gerd Tellenbach, Zur Bedeutung der Personenforschung für die Erkenntnis des früheren Mittelalters (=Freiburger Universitätsreden N.F. 25), Freiburg i.Br. 1957; Karl Schmid, Programmatisches zur Erforschung mittelalterlicher Personen und Personengruppen, in: Frühmittelalterliche Studien 8, 1974, S. 116-130; ders., Vom Zusammenhang der Personenforschung mit der Namenforschung, in: Name und Geschichte. Henning Kaufmann zum 80. Geburtstag, München 1978, S. 331-337; ders., Zum Einsatz der EDV in der mittelalterlichen Personenforschung, in: Frühmittelalterliche Studien 22, 1988, S. 53-69; Dieter Geuenich, Probleme einer Prosopographie aufgrund früh- und hochmittelalterlicher Quellen, in: Table-ronde .Prosopographie et informatique', Paris 25-26 octobre 1984, ed. Helene Milet, Paris 1985, S. 76-84; ders., Artikel .Personennamen, -forschung', in: Lexikon des Mittelalters 6, München 1993, Sp. 1903-1905. Luis A. Garcia Moreno, Prosopografia del reino visigodo de Toledo, Salamanca 1974; Gerd Kampers, Personengeschichtliche Studien zum Westgotenreich in Spanien, München 1979; Andreas Schwarcz, Reichsangehörige Personen gotischer Herkunft. Prosopographische Studien, Wien 1984; Jörg Jarnut, Prosopographische und sozialgeschichtliche Studien zum Langobardenreich in Italien (568-774), Bonn 1972; Karin Selle-Hosbach, Prosopographie der merowingischen Amtsträger in der Zeit von 511 bis 613, Bonn (phil. Diss.) 1974; Horst Ebling, Prosopographie der Amtsträger des Merowingerreiches von Chlothar II. (613) bis Karl Martell (741), München 1974. - The Prosopography of the Later Roman Empire 1: A.D. 260-395, by Arnold H.M. Jones/Robert J. Martindale/J. Morris, Cambridge 1971 (Neudruck 1975); The Prosopography of the Later Roman Empire 2: A.D. 395-527, by John R. Martindale, Cambridge 1980; The Prosopography of the Later Roman Empire 3: A.D. 527-641, by John R. Martindale, 2 Teilbde., Cambridge 1992. - Martin Heinzelmann, Gallische Prosopographie 260-527, in: Francia 10, 1982, S. 531-718. Vgl. dazu Karl F. Werner, Prosopographia regnorum occidentalium (Proc), in: Onoma 16, 1971, S. 112-115, und dens., Problematik und erste Ergebnisse des Forschungsvorhabens „PROL" (Prosopographia Regnorum Orbis Latini). Zur Geschichte der west- und mittel-
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Vorwort
mit in die Planung einbezogen hatte, ist offensichtlich steckengeblieben. Angesichts dieser Situation hat eine aus Althistorikern, Mediävisten und Sprachwissenschaftlern bestehende Arbeitsgruppe damit begonnen, ein interdisziplinäres Projekt in Gang zu setzen, das die Erforschung der Namengebung im lateinischgermanischen Europa (3.-8. Jahrhundert) fördern soll. Haupterkenntnisziel ist dabei, sicherere Einschätzungen als bisher darüber zu gewinnen, welche Indizien Personennamen für die Gruppenzugehörigkeit ihrer Träger liefern können. Der Forschungsstand in bezug auf die Namengebung der Völkerwanderungszeit und darüber hinaus des Frühmittelalters überhaupt ist nämlich durch die paradoxe Situation gekennzeichnet, daß die Namen dieser Epochen einerseits noch keineswegs vollständig zusammengestellt oder gar systematisch untersucht worden sind, andererseits aber der einzelne Name eine zentrale Rolle in der Diskussion darüber spielt, welcher Gruppe sein Träger zuzuordnen ist. Diese letztere Feststellung kann an drei Beispielen verdeutlicht werden, die auf unterschiedliche Gruppierungen von Personen bezug nehmen: 1. Ein typisches Problem bei der Erforschung der germanischen Reiche der Völkerwanderungszeit stellt die Frage dar, ob ein lateinischer Name auf römisch-romanische, ein germanischer dagegen auf germanische Abstammung hinweist. Die Antworten auf diese Frage sind höchst unterschiedlich. Während die ältere Forschung dahin tendierte, den Namen in jener Hinsicht eine hohe Aussagefähigkeit zuzusprechen, wird dies in der neueren Forschung eher in Abrede gestellt. 2. Häufig wird angenommen, daß ein germanischer Name auch geeignet sei, über die gentile Zugehörigkeit seines Trägers Auskunft zu geben, ihn etwa als Goten, Franken oder Alemannen auszuweisen. Diese Ansicht beruht bisher allerdings fast ausschließlich auf den individuellen Forschungserfahrungen der sie vertretenden Historiker und Philologen und nicht etwa auf vergleichenden Namenstatistiken oder ähnlichen Erhebungen. 3. Sehr umstritten ist die Frage, ob und in welchem Ausmaß Namen familiale Zugehörigkeiten erkennen lassen. Beinahe alle prosopographischen Diskussionen kreisen um dieses Problem. Ein extremes Beispiel für eine außerordentlich hohe Einschätzung der Aussagekraft des Namengutes in dieser Beziehung stellen etwa die Forschungen von Reinhard Wenskus dar, ein ebenso extremes für eine eher skeptische Bewertung z.B. Matthias Werners Forschungen über fränkische Adelsfamilien.4 Zu gesicherten Erkenntnissen
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europäischen Oberschichten bis zum 12. Jahrhundert, in: Quellen und Forschungen aus italienischen Archiven und Bibliotheken 57,1977, S. 69-87; Martin Heinzelmann [Anm. 2], S. 533 mit A n m . 8. Reinhard Wenskus, Sächsischer Stammesadel und fränkischer Reichsadel, Göttingen 1976; Matthias Werner, Adelsfamilien im Umkreis der frühen Karolinger. Die Verwandtschaft Irminas von Oeren u n d Adelas von Pfalzel. Personengeschichtliche Untersuchungen zur
Vorwort
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wird man erst gelangen, wenn die Namen und die Namengebung in möglichst vielen Familien unter Berücksichtigung der Komponenten Zeit, Raum und Schicht vergleichend untersucht und ausgewertet worden sind. Daß in der Forschung die Aussagekraft der Personennamen in bezug auf die Gruppenzugehörigkeit ihrer Träger sehr unterschiedlich bewertet wird, ist nicht zuletzt darin begründet, daß das reiche Namenmaterial der Völkerwanderungszeit und des Frühmittelalters bisher nicht vollständig erfaßt worden ist. Im Projekt „Nomen et gens" soll dieses Material nun nach gentes getrennt gesammelt und so eine zuverlässige Grundlage für Aussagen über die Gruppenzugehörigkeit von Trägern einzelner Namen geschaffen werden, wobei die Gruppen vor allem unter den Aspekten gentiler, sozialer und familialer Zuordnungen definiert werden sollen. Weiterhin ist beabsichtigt, auf dieser Basis qualitative und quantitative Methoden zu entwickeln, um möglichst gut abgesicherte Aussagen über Gruppenzugehörigkeiten treffen zu können. 5 Das Wissenschaftliche Kolloquium, das vom 13. bis 16. Dezember 1995 mit Unterstützung der Gerda Henkel-Stiftung (Düsseldorf) in der Tagungsstätte der Werner Reimers-Stiftung in Bad Homburg vor der Höhe stattfand, diente der Vorstellung des Projekts und der kritischen Uberprüfung seiner Methoden und Ziele durch die eingeladenen Historiker und Sprachwissenschaftler (Germanisten und Romanisten). In fruchtbarem Dialog wurden Anregungen aufgegriffen, Bedenken so weit wie möglich ausgeräumt, Kooperationsangebote unterbreitet und dankbar angenommen. Als besonders vorteilhaft erwies es sich, daß die in den Referaten vorgestellten und diskutierten Beispiele geographisch - von Sachsen bis nach Italien und von den Avaren bis Gallien und Spanien - und zeitlich - von den Alemannen und Ostgoten des 4. und 5. Jahrhunderts bis in die nachkarolingische Zeit - breit gestreut waren. Allen Referentinnen und Referenten der Tagung danken die Herausgeber für die anregenden Vorträge, das lebendige und offene Gespräch, die konstruktiven und weiterführenden Vorschläge und nicht zuletzt für die Überarbeitung der Tagungsreferate zu Beiträgen, die in diesem Band einem breiteren Publikum vorgestellt werden. Walter Kettemann, der sich seit Jahren in Duisburg um die Koordination der Teilprojekte und die Sammlung der in diesen erhobenen Personennamenzeugnisse in einem Datenbanksystem bemüht, hat dankenswerterweise die redaktionelle Überarbeitung der Beiträge übernommen. Dem
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frühmittelalterlichen Führungsschicht im Maas-Moselraum, Sigmaringen 1982. Vgl. dazu in diesem Band den Beitrag von Dieter Geuenich und Walter Kettemann, Das Pilotprojekt zur gens Alamanrtorum. Erste Erfahrungen mit einem Teilprojekt von „Nomen et gens", unten S. 279ff.
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Vorwort
Verlag de Gruyter und den Herausgebern der Ergänzungsbände zum Reallexikon der Germanischen Altertumskunde ist für die Aufnahme in diese Reihe zu danken. Juli 1997
Dieter Geuenich Wolfgang Haubrichs Jörg Jarnut
Inhaltsverzeichnis STEFAN SONDEREGGER
Prinzipien germanischer Personennamengebung
1
HELMUT CASTRITIUS
Das römische Namensystem - Von der Dreinamigkeit zur Einnamigkeit? 30 NORBERT WAGNER
Ostgotische Personennamengebung
41
MATTHIAS SPRINGER
Gab es ein Volk der Salier?
58
WALTER P O H L
Die Namengebung bei den Awaren
84
WERNER BERGMANN
Personennamen und Gruppenzugehörigkeit nach dem Zeugnis der merowingischen Königsurkunden
94
DIETER HÄGERMANN
Die Namengebung in den Unterschichten der Karolingerzeit
106
JÖRG JARNUT
Nobilis non vilis, cuius et nomen et genus scitur
116
GERD ALTHOFF
Namengebung und adliges Selbstverständnis
127
BERND SCHNEIDMÜLLER
Nomen gentis. Nations- und Namenbildung im nachkarolingischen Europa
140
MARIA G . ARCAMONE
Die langobardischen Personennamen in Italien: nomen und gens aus der Sicht der linguistischen Analyse
157
FRANCOIS MENANT
Ancetres et patrimoine: les systemes de designation dans l'aristocratie lombarde des Xle-XIIe siecles
176
χ
Inhalt
WOLFGANG HAUBRICHS
Stammerweiterung bei Personennamen: ein regionalspezifisches Merkmal westfränkischer Anthroponymie? . . . .
190
DIETER KREMER
Zur Romanisierung von Personennamen im Raum der Gallier und Hispanier
211
REINHARD HÄRTEL
Namen und Personenbezeichnungen in differenten Textsorten
226
ALBRECHT GREULE
Personennamen in Ortsnamen
242
HEINRICH TIEFENBACH
Schreibsprachliche und gentile Prägung von Personennamen im Werdener Urbar A
259
DIETER GEUENICH/WALTER KETTEMANN
Das Pilotprojekt zur gens Alamannorum·. Erste Erfahrungen mit einem Teilprojekt von „Nomen et gens"
279
Abkürzungen ae. afrz. ags. ahd. aisl. an. as. BNF ChLA f. FN germ. got. griech. idg. ingw. J. Kop. lgb. m. MGH MGH SRM mhd. mndl. n. ne. nhd. nnorw. nord. Or. PN SN var.
altenglisch altfranzösisch angelsächsisch althochdeutsch altisländisch altnordisch altsächsisch Beiträge zur Namenforschung Chartae Latinae Antiquiores, Olten/Dietikon/Zürich 1954ff. feminin Frauenname germanisch gotisch griechisch indogermanisch ingwäonisch Jahr Kopie langobardisch maskulin Monumenta Germaniae Historica M G H Scriptores rerum Merovingicarum mittelhochdeutsch mittelniederländisch neutrum, note, nümero neuenglisch neuhochdeutsch neunorwegisch nordisch Original Personenname, Personennamen Siedlungsname variierend
Prinzipien germanischer Personennamengebung Von STEFAN SONDEREGGER
1. Einleitung A m 19. Februar 1849 schrieb Jacob Grimm aus Berlin an den zürcherischen Altertumsforscher Ferdinand Keller 1 , nachdem dieser ihm seine 1848 erschienene kommentierte Faksimile-Ausgabe des alten Necrologiums des 1799 aufgehobenen Klosters Reichenau 2 aus einer nach Zürich gelangten Handschrift übersandt hatte, in gewohnt weitsichtiger Art 3 : „Die reichenauer namen haben großen werth und ihre vollständige Bekanntmachung bleibt höchlich zu wünschen. Aus dem fast unübersehbaren vorrath unsrer alten eigennamen werden in 10, 20 jähren ergebnisse hervorgegangen sein, die wir noch nicht einmal ahnen. V o r drei jähren, wie Sie wissen werden, stellte ich in unsrer academie eine preisaufgabe darauf und ich bin begierig in diesem jähr zu erfahren, ob die ungünstigen zeitläufte nicht davon abgeschreckt haben und alles hintertreiben. Aber die sache und das bedürfnis wird immer von neuem auftauchen, bis ihm endlich genüge geschieht."
Jacob Grimm spielt in der Briefstelle auf die seiner Anregung folgende Preisaufgabe der königlichen Akademie der Wissenschaften zu Berlin von 1846 an, eine Sammlung von Eigennamen der festlandgermanischen Stämme mit soweit schon
1
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1800-1881; 1832 Gründer und bis 1871 Präsident der Antiquarischen Gesellschaft in Zürich. Vgl. G. Meyer von Knonau: Lebensabriss des Stifters der Gesellschaft D r . Ferdinand Keller. In: Denkschrift zur fünfzigjährigen Stiftungsfeier der Antiquarischen Gesellschaft in Zürich, Zürich 1882, S. 1-39. Das alte Necrologium von Reichenau. Im Facsimile hg. und mit einem Commentar versehen von Dr. Ferdinand Keller. Erste [einzige] Abtheilung. Mittheilungen der Antiquarischen Gesellschaft in Zürich, Sechster Band, Zweites Heft, Zürich 1848, S. 35-68 und 26 Faksimile-Seiten (vgl. auch Necrologia Germaniae I, edidit F.L. Baumann, M G H Necrologiae Germaniae I, Berlin 1888, S. 271-282). Nachweis auch bei L. Denecke/I. Teitge: Die Bibliothek der Brüder Grimm, Leipzig/Stuttgart 1989, Nr. 5774 (die Angabe Zürich 1849 stimmt nur für den Sammelband 6 der Mittheilungen, das Heft 2 als solches ist 1848 erschienen und so auf dem Umschlag vermerkt). Aus dem Briefwechsel Ferdinand Kellers, hg. von Anton Largiader, in: Festgabe Hans Lehmann, Zürich 1931, S. 12 (dazu Anm. S. 126-127). Vgl. auch A . Largiader: Hundert Jahre Antiquarische Gesellschaft in Zürich 1832-1932. Zürich 1932, S. 15-46.
2
Stefan Sonderegger
möglicher Deutung als Zugabe anzulegen. Der wissenschaftsgeschichtlich nicht unbedeutende, indessen schwer zugängliche Text der Preisaufgabe lautet wie folgt 4 : „Unser volk zeichnet sich aus durch einen r e i c h t h u m für die geschichte der spräche von g r ö ß t e m a l l e n t h a l b e n
v e r s t r e u t
von
belang,
e i g e n n a m e n , der aber in den denkmälern
ist. Zu einer genauen und vollständigen Sammlung
derselben, die gegenwärtig an der zeit zu sein scheint, öffentliche anregung zu geben, hat die akademie einen preis dafür auszusetzen beschlossen. Die Sammlung soll sich v o n ältesten
zeit
bis
zum
jähre
1 1 0 0, a b e r
nur
auf
der
g o t h i s c h e
(zugleich vandalische), l a n g o b a r d i s c h e ,
fränkische,
thüringische,
a l a m a n n i s c h e ,
bayerische,
altsächsische
u n d
burgundische,
f r i e s i s c h e
a n g e l s ä c h s i s c h e n
erstrecken,
und
m i t
a u s s c h l u ß
d e r
a l t n o r d i s c h e n . Deutung der eigennamen, wie
sie erst allmählig aus dem Studium des sämmtlichen vorrathes hervorgehen kann, wird zwar nicht zur bedingung gemacht, w o sie aber jetzt schon mit besonnenheit und in gedrängter kürze vorgenommen werden kann, als willkommene und empfehlende zugäbe betrachtet werden."
Die Folge war dann Ernst Förstemanns bekanntes Altdeutsches Namenbuch von 1853 (Personennamen) und 1859 (Ortsnamen), die einzige zunächst noch als unvollständiger Entwurf an die Berliner Akademie eingereichte Arbeit, welcher zwar nicht der Preis, aber immerhin die ausgesetzte Geldsumme „zur ferneren ermunterung des Verfassers" zuerkannt werden konnte 5 . Dergestalt verdankt die germanisch-deutsche Namenforschung dem Begründer der germanischen Philologie, Jacob Grimm, einerseits bedeutende zukunftweisende Impulse, andererseits aber auch nachhaltige eigene Forschungen gerade zu den Personennamen 6 , nachdem selbst Wilhelm Grimm seinem Bruder schon 1814 geschrieben hat „der N a m e ist zu seinem Menschen kein toter, sondern lebendiger Klang" 7 .
4
5
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7
Zitiert nach der Rezension von H . F . Maßmann über Ernst Förstemann, Altdeutsches namenbuch, Erster band, Personennamen, 1.-3. Lieferung, Nordhausen 1854, in: Zeitschrift für vergleichende Sprachforschung (Kuhns Zeitschrift) 4, 1855, S. 228. Zur Forschungsgeschichte vgl. E. Förstemann in der Vorrede seines Altdeutschen namenbuchs, I Personennamen, Nordhausen 1856, S. IV-V. Vgl. den Lebenslauf Ernst Wilhelm Förstemanns, durch dessen Sohn Ernst Friedrich Förstemann auf dem Hintergrund einer hinterlassenen Selbstbiographie zusammengestellt in: Ernst Förstemann, Altdeutsches namenbuch, II, 1 Orts- und sonstige geographische namen, 3. Aufl., hg. von Hermann Jellinghaus, Bonn 1913, S. VIII (hier Auszug aus dem Gutachten J a c o b Grimms). Grundlegend Gerhart Lohse: Jacob G r i m m als Wegbereiter der Namenforschung. In: Brüder G r i m m Gedenken Bd. 9, Marburg 1990, S. 28-50 (mit Schriftenverzeichnis und wichtigen Briefstellen). Briefwechsel zwischen Jacob und Wilhelm G r i m m aus der Jugendzeit. H g . von Hermann G r i m m und Gustav Hinrichs. 2. Aufl. von Wilhelm Schoof. Weimar 1963, S. 371.
Prinzipien germanischer Personennamengebung
3
Es ist hier nicht der Ort, die gesamte Forschungsgeschichte der altgermanischen Personennamenkunde nachzuzeichnen 8 , indessen sollen im Hinblick auf das Thema „Prinzipien der germanischen Personennamengebung" die seit Jacob G r i m m und Ernst Förstemann f ü r die vergleichende altgermanische Sprachforschung nach Sammlungen, Handbüchern und gewichtigen Einzelstudien tragenden Forschungsarbeiten in Abschnitt 3 (Fachliteraturverzeichnis) wenigstens relativ ausführlich aufgeführt werden. Soweit darauf im Folgenden bereits verwiesen wird, geschieht dies lediglich mit Verfassernachname und Publikationsjahr, da diese Angaben dann durch das Literaturverzeichnis im einzelnen ergänzt werden können. Immerhin sei schon hier das grundlegende Forschungsgerüst in Form einer schematischen Aufstellung, jedoch stark auswählend oder exemplarisch vermittelt, und erinnern wir uns dabei an den oben zitierten Satz Jacob Grimms über die altdeutsche Personennamenforschung: „Aber die sache und das bedürfnis wird immer von neuem auftauchen, bis ihm endlich genüge geschieht." So sieht inzwischen anno 1996 der Stand der philologischen altgermanischen Personennamenkunde grosso modo aus — über die altgermanischen Sprachen hinausgehende Forschungen werden nur dann erwähnt, wenn sich mindestens Teile davon mit diesen Bereichen befassen oder wenn sie für das Nachleben altgermanischer Prinzipien der Namengebung wesentlich sind: 0. Forschungsberichte und Perspektiven: Sonderegger 1965 (für das Ahd. und angrenzende Gebiete), Sonderegger 1984 (für das Mittelalter allgemein). Weitere Angaben z.T. in einzelnen Artikeln von: Namenforschung. Ein internationales Handbuch zur Onomastik. 1. bis 2. Teilbd. Berlin/New York 1995-1996. 1. Erklärende Namenbücher (oder mit wesentlichen Teilen solcher) 1.1. Ubergreifend 1.1.1. Allgemein: Wehrle 1910, Schönfeld 1911, Reichert 1987/90 1.1.2. Spezifisch: Gutenbrunner 1936, Gillespie 1973 1.2. Einzelsprachlich 1.2.1. Altdeutsch (d.h. ahd., as.): Förstemann 1900, ergänzend Kaufmann 1968 1.2.2. Mittelhochdeutsch (z.T. ahd.): Socin 1903 1.2.3. Altniederländisch: Mansion 1924, Gysseling 1966, vgl. auch Marynissen 1986 1.2.4. Altsächsisch: Schiaug 1955, Schiaug 1962 1.2.5. Altenglisch: Searle 1894, Searle 1897 (dazu Schröder 1940/44)
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Zur Forschungsgeschichte besonders: W. Streitberg/V. Michels/M.H. Jellinek, Germanisch 1. Allgemeiner Teil und Lautlehre, Berlin/Leipzig [1927-]1936, S. 109-114 (Personennamen; Grundriss der idg. Sprach- und Altertumskunde 2 bzw. Geschichte der idg. Sprachwissenschaft II, Die Erforschung der idg. Sprachen, II Germanisch). Wilhelm Will, Deutsche Namenforschung, in: Germanische Philologie, Ergebnisse und Aufgaben. Festschrift für Otto Behaghel. Heidelberg 1934, S. 137-154. Sodann das Handbuch: A. Bach, Deutsche Namenkunde I, 1-2. Die Deutschen Personennamen. 2. Aufl. Heidelberg 1952-53, S. 8-22. Vgl. auch die Bibliographie von Rudolf Schützeichel in: Max Gottschald, Deutsche Namenkunde, 4. Aufl. Berlin 1971, S. 631-646.
4
Stefan Sonderegger 1.2.6.
Altnordisch (Skandinavisch): Lind 1905/15/31, Lind 1920/21, D G P I 1936/48, II 1949/64, SMP 1967ff.; vgl. Janzen 1947, K L N M X I I I / 1 9 6 8
1.2.7.
Gotisch: Wrede 1891, Piel/Kremer 1976, R A C 1994, z.T. Höfler 1958
1.2.8.
Wandalisch: Wrede 1886, z.T. Höfler 1958
1.2.9.
Langobardisch: Bruckner 1895, vgl. Arcamone 1981
1.2.10. Normannen in Frankreich: Adigard des Gautries 1954 2. Handbücher historischer (bis altgermanischer) Ausrichtung 2.1. Deutsche: Schwarz 1949, Bach 1952/53, Gottschald 1971/82 2.2. Skandinavische: Janzen 1947, Modeer 1964 3. Darstellungen zu einzelnen Orten, Quellen, Sachbereichen 3.1. Orte (vgl. Sonderegger 1965, Geuenich 1992) Fulda: Geuenich 1976 Gent: Mansion 1924 Köln: Bergmann 1964, Schützeichel 1965, vgl. Tiefenbach 1984 Lorsch: Welz 1913 Prüm: Geuenich 1971 Reichenau: Baesecke 1928/66, Geuenich 1978, Naumann 1992 St. Gallen: Sonderegger 1961, Löffler 1969, Sonderegger 1971, Subsidia Sangallensia I 1986 Trier: Bergmann 1965 Werden: Bohn 1931 Xanten/Essen/Köln: Tiefenbach 1984 Zürich: Baumgartner 1983 Oberitalien: Bergmann 1961 (Cividale), Arcamone 1979 Nördl. Niederlande: Gysseling 1966 Nordgallia: Knoch 1969 3.2. Quellen Lat.-griech. Quellen der Völkerwanderungszeit: Tiefenbach 1995 Merowingische Münzen: Felder 1978 Karolingische Königsurkunden: Menke 1980 Leges-Handschriften: Schützeichel 1968 Heldendichtung: Heusler 1910, Björkman 1920, Gillespie 1989 Altenglisches Domesday Book: von Feilitzen 1937 Mhd. Habsburgisches Urbar: Lösch 1936 3.3. Sachbereiche: Germani cisrhenani: Weisgerber 1945/69 Matronen-Beinamen: Neumann 1987 Völkernamen: Rübekeil 1992, 1996 Frauennamen: Boehler 1931 Hörigennamen: Löffler 1969, vgl. Sonderegger 1965 4. Prinzipien der Namengebung 4.1.
Allgemein: Solmsen 1922, Woolf 1939, Schröder 1940/44, Janzen 1954, Schramm 1957,
4.2.
Semasiologie: Scherer 1953, Höfler 1954, Müller 1968, Müller 1970, Sonderegger 1984
4.3.
Kurzformenbildung, Hypokoristika, Suffixlehre: Stark 1868, Redin 1919, Klatt 1938,
4.4.
Altnordisches: Naumann 1912, Keil 1931, Wessen 1927, Naumann 1992
Hutterer 1978, Rosenfeld 1978, Peterson 1988
Kaufmann 1965, Marynissen 1986 5. Lautliche und etymologische Einzelprobleme: Schatz 1935, Wagner 1993
Prinzipien germanischer Personennamengebung
5
Forschungsgeschichtlich darf noch darauf hingewiesen werden, das die neuere Editions- und kritische Erschließungstätigkeit der festländischen und angelsächsischen Memorialbücher (Gebetsverbrüderungen, Libri confraternitatum, Libri vitae, Totenbücher, Necrologiae) der frühmittelalterlichen Personennamenforschung an Material und personen- wie sprachbezogener Auswertung eine neue Dimension verliehen haben. 9
2. Formulierung von Prinzipien Vor die Aufgabe gestellt, welche Prinzipien sich für die germanische Personennamengebung erkennen lassen, versuchen wir im Folgenden, auf dem Hintergrund der oben in Abschnitt 1 skizzierten und unten in Abschnitt 3 bibliographisch dokumentierten Forschungsliteratur seit mehr als hundert Jahren folgende zwölf Gesichtspunkte in einer neuen Zusammenfassung zu formulieren. Zunächst wird jeweils die eigentliche Formulierung des Prinzips vermittelt, dann schließen sich einige Bemerkungen dazu an. Die Diskussion zu Einzelfragen kann dabei nur stellenweise angedeutet werden.
2.1. Prinzip der Einnamigkeit als Voraussetzung Auszugehen ist vom im Germanischen bis tief in das Frühmittelalter oder Hochmittelalter hinein verwurzelten Prinzip der Einnamigkeit als Voraussetzung: Prinzip der germanischen (wie überwiegend indogermanischen) Einnamigkeit (ein Name für eine Person) in allen Einzelsprachen bei zunächst sehr zurück-
9
Vgl. etwa Sonderegger 1965, Geuenich 1976, 1978, Naumann 1992. Sodann vor allem die historisch-personenkundlichen Forschungen von und um Karl Schmid: Memoria. Der geschichtliche Zeugniswert des liturgischen Gedenkens im Mittelalter. Hg. von Karl Schmid/Joachim Wollasch. München 1984 (Münstersche Mittelalter-Schriften Bd. 48). - Karl Schmid: Gebetsgedenken und adliges Selbstverständnis im Mittelalter. Ausgewählte Beiträge. Sigmaringen 1983. - Karl Schmid: Vom Zusammenhang der Personenforschung mit der Namenforschung. In: Name und Geschichte. Henning Kaufmann zum 80. Geburtstag. München 1978, S. 331-337. - Person und Gemeinschaft im Mittelalter: Karl Schmid zum fünfundsechzigsten Geburtstag. Hg. von Gerd Althoff/Dieter Geuenich/Otto Gerhard Oexle/Joachim Wollasch. Sigmaringen 1988 (S. 617-624 Verzeichnis der Schriften von Karl Schmid). Ferner Rudolf Schützeichel: Die Libri Confraternitatum als Quellen der Namenund Sprachgeschichtsforschung. In: Festschrift für Paul Zinsli. Hg. von Maria Bindschedler/ Rudolf Hotzenköcherle/Werner Kohlschmidt. Bern 1971, S. 132-144. Für den angelsächsischen Bereich vgl. Jan Gerchow: Die Gedenküberlieferung der Angelsachsen. Berlin 1988.
6
Stefan Sonderegger
haltender Beinamengebung zur speziellen Auszeichnung oder Charakterisierung noch während des gesamten Frühmittelalters. Bei dieser Einnamigkeit sind zu unterscheiden: -
alte und jüngere einstämmige oder eingliedrige Personennamen die Hauptmasse der zweistämmigen oder zweigliedrigen Personennamen (sog. Vollnamen)
-
aus den zweigliedrigen Personennamen neu entstandene Kurzformen
-
kurzformige Lallnamen ein- oder zweistämmige Beinamen oder Ubernamen.
Abbildung 1: Aufbau und Gliederung der germanischen Personennamen (Entwurf: Prof. St. Sonderegger; Gestaltung: cand. phil. M. Vogrig)
Prinzipien germanischer Personennamengebung
7
Trotz dieser grundsätzlichen Einnamigkeit ist die Namengebung keineswegs einförmig, sondern es sind je nach Eingliedrigkeit oder Zweigliedrigkeit beziehungsweise nach primären Rufnamen und zusätzlichen Beinamen die oben genannten wie auf Abbildung 1 ,Aufbau und Gliederung der germanischen Personennamen' differenzierter dargestellten Namengruppen zu unterscheiden. Semiotisch gesehen ist die Einnamigkeit bei den alten zweigliedrigen Vollnamen natürlich zweigliedrig oder zweistämmig, das heißt aus zwei Lexemen bestehend (z.B. germ. *Harja-wulfaz, urnord. Hari-wol(a)fR, ahd. Heriwolf, jünger Herolf), was sogar bei christlichen Nachbildungen mit germanischen Lexemen so bleibt (z.B. ahd. Gote-dank, Cote-danc, oder genitivisch Gotes-thegan, Gotes-thiu f.) oder auch in hybriden Bildungen in der Romania Germanica (z.B. Floribert, Dulcibert). Bei den durch Kürzung aus alten zweigliedrigen Vollnamen entstandenen Kurzformen ist sprachwissenschaftlich zu unterscheiden zwischen den üblichen, das heißt durch einen neuen Wortbildungsakt gesetzmäßig ausgestalteten Kurznamen des Germanischen (siehe unten Prinzip 10) und den bloß lautgesetzlich aus Vollnamen durch Synkopierungen zu Kurzformen gewordenen Personennamen, wie sie besonders im Altnordischen vorkommen. 10 Man vergleiche etwa die folgenden Beispiele: an. lautgesetzlich gekürzt
vgl. andere altgerm. Sprachen
germ. Vollname
Älarr Älfr < A-ulfr
<
Ham6ir, Hammer Halfr, Holfr
<
>
>
ahd. Adal-heri got. Athawulfus (latinisiert); ae. Ae0, gundjo (ahd. -gunt, as. güdea, ae. güd, -gyd, an. gudr, gunnr).
21 22
23
Vgl. Jan de Vries [Anm. 10], S. 382. So bei Birkhan [Anm. 20], S. 79 bzw. Schröder 1940/44, S. 22f. Vgl. auch Boehler 1930, S. 171 (mit Hinweis auf Edward Schröder: Ueber deutsche und griechische Personennamen. In: Verhandlungen der 46. Versammlung deutscher Philologen u n d Schulmänner zu Straßburg 1901. Leipzig 1902, S. 34ff.) Boehler 1930.
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Stefan Sonderegger
2.5 Ungleiches Verteilungsprinzip der Lexeme Als fünftes Prinzip ergibt sich aus einer Analyse ganz verschiedener Sammlungen altgermanischer Personennamen eine starke Verschiedenheit des Lexemanteils auf die beiden Glieder der Vollnamen. Prinzip der ungleichen Verteilung von Lexemen auf eine reiche Vielfalt bei den ersten Gliedern und eine stärkere Beschränkung (i.d.R. um mehr als die Hälfte) bei den zweiten Gliedern der Vollnamen, so daß typische bis ausschließliche Grundwortglieder von Vollnamen festzustellen sind, unter denen ursprünglich vokalisch anlautende gemieden werden, die dafür um so häufiger bei den ebenfalls zum Teil ausschließlichen Bestimmungswortgliedern (oder ersten Gliedern) anzutreffen sind (20% bis 40% in einzelnen Quellengruppen). Einen Teil dieses Prinzips, nämlich die Vermeidung von Namenelementen mit Vokalanlaut als Zweitglied, hat man schon als „Drittes Schrödersches Gesetz" bezeichnet. 24 Es dürfte aber zweckmäßiger sein, diesen mehr euphonischen Gesichtspunkt in den Problemkreis der grundsätzlich verschiedenen Lexemverteilung einzubauen. Nur als erste Glieder (Bestimmungswörter) erscheinen aus verständlichen Gründen der Ehrfurcht theophore Lexeme, aus semantischen Gründen beispielsweise Himmelsrichtungen (etwa ahd. Nordbert, Nordman, as. Süth-heri, ahd. Sunthari, as. Ostward). Auch germ. *gastiz ,Gast, fremder Gefolgsmann u.ä.' scheint ursprünglich nur als Zweitglied verwendet worden zu sein (urnord. WidugastiR, A[n]sugasdiR, HlewagastiR, GodagastiR, SaligastiR), hat sich dann besonders im Ost- und Westgermanischen, wenig aber im Nordgermanischen verbreitet, als Erstglied nur in jüngeren Namen. Eine Auszählung nach bestimmten Quellengruppen oder Sammlungen ergibt die folgenden Zahlen von Namenslexemen (bzw. deren Varianten einzeln mitgezählt) in Vollnamen:
24
So Birkhan [Anm. 20], S. 79, bzw. Schröder 1940/44, S. 12.
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Prinzipien germanischer Personennamengebung Quellen
(1) Frühgerm. PN der Sammlung Reichert 1987 (2) Ahd. PN der älteren St. Galler Urkunden (nach Subsidia Sangallensia I) davon vokalisch anlautend (3) Zürcher PN im Zeitraum 1000-1254 nach Baumgartner 1983 (4) Altsächsische PN bis vor 1000 nach Schiaug 1962 davon vokalisch anlautend (5) Altsächsische PN des 11. und 12. Jh. nach Schiaug 1955
Anzahl Lexeme in ersten
Anzahl Lexeme in zweiten
Namensgliedern
Namensgliedern
208 254
72 83
50 58
27
172
73
40 155
83
Die geschichtliche Entwicklung zeigt im Verlauf der Jahrhunderte eine zunehmende Lexemreduktion bei den ersten Namensgliedern, so daß sich das Verhältnis Erst- zu Zweitgliedern allmählich von 3 zu 1 auf 2 zu 1 verringert. Dies zeigt auch das Namenmaterial des Habs burgischen Urbars im südlichen alemannischen Gebiet vor und nach 1300, wo von 124 Männernamen noch 36 meist dem Altgermanischen entsprechende Vollnamen sind, deren Lexeme sich nach dem Material bei Lösch 1936 zwischen Erst- und Zweitgliedern auf 30 (davon 7 vokalisch anlautend) zu 14 verteilen.
2.6. Eingeschränktes Movierungsprinzip In Korrelation zu Prinzip 4 der geschlechtsspezifischen Ausrichtung der Personennamen nach deren Grundwörtern steht als sechstes Prinzip das Movierungsprinzip, das im Germanischen nur eingeschränkte Geltung hat.25 Prinzip einer ursprünglich eingeschränkten, später breiter ausgestalteten Movierung (oder Motion) von maskulinen zu femininen Personennamen sowie eingeschränkter umgekehrt innerhalb der zweigliedrigen Vollnamen, nicht aber bei den Kurzformen, die primär als Maskulina oder Feminina gebildet werden können. Die relative Eingeschränktheit dieses Prinzips läßt sich daran erkennen, daß Frauennamen mit movierten maskulinen zweiten Gliedern zahlenmäßig zurücktreten, man vergleiche etwa die Liste der ahd. -rat/rad, -räta/rada-Namen zu rat
25
Dabei sei nicht bestritten, daß es auch alte Fälle von Movierung gibt, wie vor allem Schramm 1957 unterstreicht, der freilich diesem Vorgang ein zu starkes Gewicht beimißt.
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Stefan Sonderegger
m. (as. rad, ae. räd m., an. rad n., in Namen -rddr) bei Förstemann 1900.26 Ebenso sind maskuline Bildungen bei Frauennamen mit femininen zweiten Gliedern selten, wie etwa die Liste der -bild, -hilt-Namen (ahd. hiltia, -ea f. ,Kampf') bei Förstemann 1900 erweist.27 Personennamen mit Adjektiven im zweiten Glied können von vornherein als Männer- oder Frauennamen gebildet werden, sofern dies semantisch sinnvoll ist.
2.7. Funktionales Stabreimprinzip Als siebtes Prinzip kann das für bestimmte nichtrhythmische, sondern zum Ausdruck außersprachlicher Bindungsverhältnisse über den Namenschallreim verwendbare Stabreimprinzip genannt werden, das wir deshalb als funktional bezeichnen. Prinzipielle Möglichkeit der Stabreimbindung von Personennamen zum Ausdruck von Verwandtschaft, Nachkommenschaft oder genealogischer Folge, unter weitgehender Meidung von in sich stabenden Vollnamen (im Gegensatz besonders zum rechtlichen und poetischen Wortschatz). Da dieses Prinzip allgemein bekannt ist, kann hier auf Beispiele verzichtet werden, außer vielleicht dem Hinweis, daß sowohl vertikale genealogische Folge (ahd. Heribrant - Hiltibrant - Hadubrant vom Großvater über den Vater zum Sohn im Hildebrandslied) wie horizontale Verwandtschaft (die drei Königsbrüder in der Altersfolge mhd. Gunther, Gbrnot, Giselher im Nibelungenlied) durch Stabreimbindung markiert werden kann. Die Meidung alliterierender Namenelemente in Vollnamen hat man auch „Zweites Schrödersches Gesetz" genannt 28 , doch muß die Erscheinung im Gesamtzusammenhang der Stabreimbindungsmöglichkeit gesehen werden, wobei den Vollnamen offenbar eine stärkere Haupttonausrichtung auf dem ersten Glied zukommt, als den appellativischen Komposita. 29 Es darf aber nicht übersehen werden, daß in sich stabende Vollnamen vereinzelt immer wieder vorkommen und im Verlauf des Frühmittelalters stellenweise deutlicher zunehmen (z.B. St. Galler Urkunden gemäß Subsidia Sangallensia I 8.-10. Jh. Baldebreht 6x, Hugihart, Vol[k]sfridus, Wolfwini bzw. abgeschwächt -ini/-uni, Wol[fju[u]oloh zu -walah ,Welscher' u.ä.). Anderer-
26
Sp. 1204-1206.
27
Sp. 818-820 mit dem Vermerk: „Masculina begegnen nur wenige" (dazu einige Belege des 6. bis 10. Jh. mit der latinisierten Endung -us). Vgl. auch Thusnelda
(belegt bei Strabon, spätes
1. Jh. v. Chr.), wohl < -hild- nach Günter N e u m a n n [ A n m . 20], S. 97-98. 28
Birkhan [ A n m . 20], S. 79.
29
S c h r a m m 1957, S. 14-38.
Prinzipien germanischer Personennamengebung
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seits ist die Verwendung von stabenden Komposita in Rechtstexten und in der Dichtung des Altgermanischen im Gegensatz zu den Personennamen reich bezeugt.30
2.8. Prinzip der Variation Als achtes Prinzip kann ein für die Namengebung anders als in der altgermanischen Dichtung verwirklichtes Variationsprinzip gesehen werden, da es im Gegensatz zur dichterischen Variation sinnunabhängig, wenngleich mit der den Namen zukommenden Bedeutsamkeit ausgestattet ist.31 Prinzip der sinnunabhängigen Variation von einmal gegebenen Namenskompositionsgliedern zur Neubenennung unter Übernahme des einen und Variation des andern Gliedes, d.h. entweder Variation des Erstgliedes oder Variation des Zweitgliedes von Vollnamen bei entsprechender Beibehaltung des nichtvariierten Gliedes, womit gleichzeitig eine erste, noch unvollständige Stufe der Nachbenennung erreicht ist. Gelegentlich kommen auch Umkehrungen, d.h. Vertauschung der beiden Glieder zu einem neuen Namen vor. Das Prinzip der Variation kann mit dem funktionalen Stabreimprinzip verbunden sein. So heißt der Sohn des Königs Sigemunt und seiner Gemahlin Sigelint im Nibelungenlied Sivrit, Sifrit (niederrheinische Form für Sigefrit), wobei das erste Namensglied beibehalten, das zweite variiert wird. Daselbst sind Liudeger und Liudegast zwei Brüder, deren erstes Namensglied offenbar Familientradition, das zweite indessen stabreimende Variation darstellt. Solche Beispiele ließen sich gerade bei Heldengeschlechtern mehren (vgl. etwa Gillespie 1973). Gelegentlich kann sich auch Bedeutungsvariation ergeben (Hilt-, Had-)> absichtlich offenbar im Altnordischen. 32 Von rhythmischer Variation spricht Schramm 195733 bei den Laut- oder Formvarianten vom Typus Agi-/Agila-tAgina- (zu germ. *agis-, so got. .Schrecken', mit nur in Namen vorkommenden Klangvarianten).
30
31
32 33
Vgl. Elisabeth Buhofer: Stabende Komposita in Rechtstexten und poetischen Denkmälern der altgermanischen Sprachen. Diss. Zürich [bei Prof. St. Sonderegger]. Zürich 1992. Zur Variation vgl. Stefan Sonderegger: Erscheinungsformen der Variation im Germanischen. In: Festschrift für Konstantin Reichardt. Hg. von Christian Gellinek. Bern/München 1969, S. 13-29. Zur Namenbedeutsamkeit Sonderegger 1984 sowie Stefan Sonderegger: Die Bedeutsamkeit der Namen, LiLi, Jg. 17/1987, Heft 67, S. 11-23. Vgl. Keil 1931, S. 15. S. 148-156.
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Stefan Sonderegger
2.9. Prinzip der vokalischen Klangfülle Als neuntes Prinzip ergibt sich, durchaus in Zusammenhang mit den Prinzipien 2, 7 und 8, die durchgehende Klangfülle der zweigliedrigen Vollnamen. Prinzip der vokalischen Klangfülle bei ursprünglicher Vier- bis Dreisilbigkeit der Vollnamen, was sich selbst in vielen Latinisierungen oder Gräzisierungen spiegelt, wobei Hiatusstellung zwischen Fugenvokal und zweitem Glied durch den Ausschluß vokalisch anlautender Lautstruktur im Grundwort des Namens vermieden wird. Ebenso fehlt der Endreim in zweigliedrigen Vollnamen. Die für germanische Namen typische Klangfülle wird erst einzelsprachlich durch bestimmte Lautgesetze (Nebensilbenabschwächung, teilweiser Schwund des Fugenvokals, Synkope und Apokope von Vokalen, Kontraktionen) reduziert. Die vokalische Klangfülle ist abhängig von der Vokalstruktur der Namensglieder sowie vom dazwischenstehenden Kompositions- oder Fugenvokal. Einzelsprachlich ergibt sich eine zeitlich und geographisch abnehmende Klangfülle vom Urnordischen (z.B. HlewagastiR) und Gotischen (z.B. Ermanariks) zum Althochdeutschen (z.B. Hiltibrant, Hadubrant) und Altsächsischen (z.B. Baduward) und weiter zum Altenglischen (z.B. Hygelac, Headolaf, mit abgeschwächtem Fugenvokal, soweit noch vorhanden, aber mit neuen Brechungen) sowie ohne Fugenvokal und teilweise kontrahiert zum Altnordischen (z.B. altwestnordisch Hugleikr, Amgrimr). Für jede altgermanische Sprachstufe ließen sich besondere Klangmuster des Namenmaterials erstellen.
2.10. Prinzip der gesetzmäßig ausgestalteten Kurznamenbildung Als zehntes Prinzip ergibt sich die in der germanischen Personennamenbildung besonders verbreitete Kurznamenbildung, die als namensgeschichtlicher Hintergrund selbst für die neuzeitlichen Ruf- und teilweise Familiennamen von Bedeutung geblieben ist. Typisch germanisches Prinzip einer reich ausgestalteten Kurzformenbildung aus den zweigliedrigen Vollnamen, die nach bestimmten namenspezifischen Laut- und Wortbildungsgesetzen bei vorwiegend, doch nicht ausschließlich schwacher Deklination erfolgt. Die gesetzmäßige Erfassung der Kurznamenbildung ist vor allem den Arbeiten von Stark 1868, Klatt 1938, Kaufmann 1965 und Marynissen 1986 zu verdanken.34 Ohne hier auf die vielfältigen Einzelheiten zur Kurzformenbildung ein34
Vgl. außerdem Karel Roelandts: Expressiviteit en Taalverandering. Verzamelingopstellen de
Prinzipien germanischer Personennamengebung
21
zugehen, sei wenigstens versucht, das differenzierte Gerüst dieser germanischen Namenbildungsweise ganzheitlich in Form einer Ubersicht auf Abbildung 3 „System der Kurznamenbildung bei den germanischen Personennamen" zu erfassen.
Zweigliedriger
V oll η am e
Kurzname durch
Isolierung
Lautkombinationen
eines Gliedes
aus beiden Gliedern
ungekürzt
gekürzt
erstgliedausgerichtet
zwekgliedausgerichtet
suffixlos
zusätzliche Möglichkeit Mi: • konsonantisch geminiert • vokaiisch expressiv • konsonantisch verschärft
Abbildung 3: System der Kurznamenbildung bei den germanischen Personennamen (Entwurf: Prof. St. Sonderegger; Gestaltung: cand. phil. M . Vogrig)
auteur aangeboden bij zijn zeventigste verjaardag. Leuven 1989 (Nomina Geographica Flandrica, Studien X I V ) . In den genannten Werken weitere Fachliteratur. Zu weit reichende Folgerungen für die Frühgeschichte der Namen bei Hans Kuhn: D i e alten germanischen Personennamen des Typs Hariso. In: Indogermanica. Festschrift für Wolfgang Krause. Heidelberg 1960, S. 63-71.
22
Stefan Sonderegger
In E r g ä n z u n g zu Abbildung 3 ergibt sich die folgende T y p o l o g i e der Kurzformenbildung (Beispiele i.d.R. aus dem Ahd.) 3 5 : 0.
Zweigliedriger Ausgangspunkt der Vollnamen (z.B. Hugi-beraht, Gisal-bari, Wolf-ger)
1.
Kurzformen durch Isolierung des ersten oder zweiten Kompositionsgliedes von Vollnamen (a) (b)
unter Verwendung eines ungekürzten Gliedes: Hugfo), BerbtfaJ, Gisal unter Verwendung eines gekürzten Gliedes: Α dal > Ado, Gisal > Gis(o) Beide Möglichkeiten können 1.1. Suffixlose Bildungen wie oben sein 1.2. Suffigierte Bildungen wie Hugilo, Wulficho
Hugizo,
Hugin, Hariso,
Wolfila,
Wolfing,
nach sich ziehen
-
-
Ί 2.
mit zusätzlicher Konsonantengemination (hypokoristisch, durch Assimilation, vor j-Ableitung), wie z.B. Hatto (zu Hadu-), Wuffo < Wulfo, Ecko < *Agjan mit zusätzlicher expressiver Vokalveränderung (Dehnung, Kürzung, Hebung, Senkung, Monophthongierung, vokalische Angleichung an oblique Kasus, hypokoristischer Umlaut), wie z.B. Hüg, Haato, Luto (zu Liut-), Etto (zu Atto, Gen. Ettin) mit zusätzlicher Konsonantenverschärfung (im An- oder Inlaut) wie z.B. Tunso (zu dinsan .aufziehen'), Gepa
"
^ ~
>
Kurzformen durch Lautkombinationen aus beiden Kompositionsgliedern (sog. zweistämmige Kurzformen) (a) schwergewichtig nach dem ersten Glied: Humbo < Hünberabt, Tbioba < Thiot-burg (b) schwergewichtig nach dem zweiten Glied: an. Gormr < Gubormr (c) gleichmäßig nach beiden Gliedern: Geba < Gerbirga, ahd. Rtibo < Ruodbrabt, -brebt Auch hier können 2.1. Suffixlose Bildungen wie oben vorkommen 2.2. Suffigierte Bildungen entstehen
35
Reiches Belegmaterial aus dem ahd. Namenschatz von Fulda bietet z.B. Geuenich 1976, S. 49-89.
Prinzipien germanischer Personennamengebung
23
2.11. Möglichkeit der Nachbenennung Als elftes Prinzip ist die sich allmählich ausbreitende, besonders in Herrschergeschlechtern zunächst des Kontinentalgermanischen feststellbare Möglichkeit der Nachbenennung zu bezeichnen. Erst relativ spät verbreitetes Prinzip der Nachbenennung, d.h. Wahl des Namens nach einem direkten Vorfahren, Verwandten oder Vorbild, in den altgermanischen Einzelsprachen, vielleicht im Zusammenhang mit Vorstellungen des Seelenglaubens (Verwandlungsvorstellung).
2.12. Kontinuitätsprinzip Als zwölftes und letztes Prinzip ist das Kontinuitätsprinzip zu nennen, welches die germanische Namengebung auf weit über tausend Jahre bestimmt hat und einzelsprachlich teilweise bis heute weiterwirkt, besonders im Kontinentalgermanischen und in den skandinavischen Sprachen. Das Kontinuitätsprinzip relativ gleichbleibender Namengebung vom Frühgermanischen und Altgermanischen bis zum Ende des Frühmittelalters, mit gemessen am römisch-romanisch-christlichen Kultureinfluß nur sehr beschränkter Fremdeinwirkung, aber unter bedeutender Ausstrahlung in die benachbarten romanischen Sprachen (z.T. Substratsprachen) hinein.
Nach Formulierung und Erklärung der zwölf Prinzipien, welche im Anschluß an die reiche Personennamenforschung für das Germanische bedeutungsvoll erscheinen, darf noch das Folgende im Hinblick auf die Personennamengeschichte des Germanischen 36 betont werden: - das jahrtausendalte Spannungsverhältnis zwischen eingliedrigen und zweigliedrigen Namen könnte auf ein chronologisches Verhältnis (1) ursprüngliche Eingliedrigkeit in der vorliterarischen Frühzeit (bewahrt in vielen mythisch-kultischen und Stammesnamen) (2) danach zweigliedrige Namenbildung, zuerst bei den Männernamen (womit das Spannungsverhältnis eingliedrig/zweigliedrig erst begründet wurde) zurückgehen,
36
Vgl. auch die Gesichtspunkte bei Günter Neumann 1994 [Anm. 20] anhand der ältesten germanischen Personennamen.
24
Stefan Sonderegger
-
bei längerem Nachleben der Eingliedrigkeit bei den Frauennamen, welche mehr und mehr in den Sog der Männernamen treten und auch durch Movierung in den Bereich der zweigliedrigen Vollnamen geraten,
-
wobei die Eingliedrigkeit der Personennamen im Frühmittelalter durch die Kurzformenbildung ständig vervielfacht wird, neben einer zunächst recht zögerlichen Beinamengebung,
-
und dazu dann eine freilich gegen Ende des Frühmittelalters und im Hoch- und Spätmittelalter breit ausgestaltete Beinamengebung tritt,
-
welche bei gleichzeitig stark reduziertem Vollnamengebrauch - regional auf einzelne Haupttypen konzentriert - zur Familiennamengebung führt.
Damit wird seit dem späteren Mittelalter das alte germanische Spannungsverhältnis eingliedrig/zweigliedrig im Rahmen der Einnamigkeit durch die neue Zuordnung Ruf-, Tauf- oder Vorname in Verbindung mit dem Familien- oder Geschlechtsnamen in der F o r m der Zweinamigkeit und deren zusätzlichen Variationsmöglichkeiten (mehrfache Vornamen, gedoppelte Familiennamen) abgelöst: Namengeschichte in mehr als Jahrtausendschritten, könnte man sagen.
3. Literaturverzeichnis (Auswahl) 1. Erklärende Namenbücher (oder mit wesentlichen Teilen solcher) und namenkundliche Handbücher Jean Adigard des Gautries: Les noms de personnes scandinaves en Normandie de 911 a 1066. Uppsala 1954 (Nomina Germanica 11). Adolf Bach: Deutsche Namenkunde. Band I, 1-2. Die deutschen Personennamen. 2., stark erweiterte Auflage. Heidelberg 1952-53. 3. unveränderte Auflage. Heidelberg 1958. Wilhelm Bruckner: Die Sprache der Langobarden. Straßburg 1895. Nachdruck Berlin 1969 (Quellen und Forschungen zur Sprach- und Culturgeschichte der germanischen Völker, Bd. L X X V ) . Danmarks gamle Personnavne, udgivet af Gunnar Knudsen og Marius Kristensen under medvirkning af Rikard Hornby. I Fornavne, 1-2 Köbenhavn 1936-1948. II Tilnavne, 1-2 Köbenhavn 1949-1964 p G P I, II). Ernst Förstemann: Altdeutsches Namenbuch. Erster Band: Personennamen. Zweite, völlig umgearbeitete Auflage. Bonn 1900. Nachdruck München/Hildesheim 1966. Ernst F ö r s t e m a n n : Altdeutsche Personennamen. Ergänzungsband verfaßt von Henning Kaufmann. München/Hildesheim 1968. Max Gottschald:
Deutsche Namenkunde. Unsere Familiennamen nach Entstehung
und
Bedeutung. Vierte Auflage mit einem Nachwort und einem bibliographischen Nachtrag von Rudolf Schützeichel. Berlin 1971 bzw. Fünfte Auflage 1982. [S. 35-86 Die altdeutschen Namen; S. 157-630 Namenbuch, auch mit altgermanisch-altdeutschen Etyma]. George T. Gillespie: A Catalogue of Persons named in German Heroic Literature (700-1600). Oxford 1973.
Prinzipien germanischer Personennamengebung
25
Siegfried Gutenbrunner: Die germanischen Götternamen der antiken Inschriften. Halle (Saale) 1936 (Rheinische Beiträge und Hülfsbücher zur germanischen Philologie und Volkskunde Bd. 24). M. Gysseling: Overzicht van de Noordnederlandse persoonsnamen tot 1225. Leuven/Brussel 1966 (Anthroponymica XVI). Assar Janzen (utgivare): Personnamn. Stockholm/Oslo/Köbenhavn 1947 (Nordisk Kultur VII): hierin u.a. Assar Janzen, De fornvästnordiska personnamnen, S. 22-186. E.H. Lind: Norsk-isländska dopnamn ock fingerade namn fran medeltiden. Uppsala 1905-1915. Supplementband, Oslo 1931. E.H. Lind: Norsk-isländska personbinamn fran medeltiden. Samlade och utgivna med förklaringar av E.H. Lind. Uppsala 1920-1921. J. Mansion: Oud-Gentsche Naamkunde. Bijdrage tot de kennis van het Oud-Nederlandsch. 's-Gravenhage 1924. Ivar Modeer: Svenska Personnamn. Handbok för universitetsbruk ock självstudier. Lund/ Uppsala 1964 (Anthroponymica Suecana 5). Joseph M. Piel, Dieter Kremer: Hispano-gotisches Namenbuch. Der Niederschlag des Westgotischen in den alten und heutigen Personen- und Ortsnamen der Iberischen Halbinsel. Heidelberg 1976. Hermann Reichert: Lexikon der altgermanischen Namen. 1. Teil: Text. 2. Teil: Register. Wien 1987-1990. (Thesaurus Palaeogermanicus Bd. 1). Repertori d'Antroponims Catalans (RAC). Jordi Bolos i Masclans, Josep Morani i Ocerinjauregui. Barcelona 1994 (Institut d'Estudis Catalans, Repertoris de la seccio filologica, II). [Enthält alle PN bis zum Jahr 1000, darunter viele germanische]. Wilhelm Schiaug: Die altsächsischen Personennamen vor dem Jahre 1000. Lund/Kopenhagen 1962 (Lunder Germanistische Forschungen 34). Wilhelm Schiaug: Studien zu den altsächsischen Personennamen des 11. und 12. Jahrhunderts. Lund/Kopenhagen 1955 (Lunder Germanistische Forschungen 30). Moritz Schönfeld: Wörterbuch der altgermanischen Personen- und Völkernamen. Nach der Überlieferung des klassischen Altertums. Heidelberg 1911. Nachdruck [als 2. Aufl. bezeichnet] Heidelberg 1965. Ernst Schwarz: Deutsche Namenforschung. I. Ruf- und Familiennamen. Göttingen 1949. W.G. Searle: Anglo-Saxon Bishops, Kings and Nobles. Cambridge 1894. W.G. Searle: Onomasticon Anglo-Saxonicum. Cambridge 1897. Nachdruck Hildesheim 1969. Adolf Socin: Mittelhochdeutsches Namenbuch nach oberrheinischen Quellen des zwölften und dreizehnten Jahrhunderts. Basel 1903. Nachdruck Hildesheim 1966. Sveriges medeltida personnamn (SMP). Ordbok utg. av Kungl. Vitterhets historie och antikvitetsakademien. Iff. Stockholm 1967ff. Georg Wehrle: Die ältesten germanischen Personennamen. Straßburg 1910 (Zeitschrift für deutsche Wortforschung, Beiheft zu Bd. 12). Ferdinand Wrede: Uber die Sprache der Wandalen. Straßburg 1886 (Quellen und Forschungen zur Sprach- und Culturgeschichte der germanischen Völker, Bd. LIX). Ferdinand Wrede: Uber die Sprache der Ostgoten in Italien. Straßburg 1891 (Quellen und Forschungen zur Sprach- und Culturgeschichte der germanischen Völker, Bd. LXVIII).
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Vgl. auch die neueren Lexika-Artikel: Lexikon des Mittelalters IV, München/Zürich 1993, Sp. 1903-1905 (Personennamen, -forschung: D . Geuenich). Kulturhistorisk Leksikon for nordisk middelalder (KLNM) XII, Köbenhavn 1967, Sp. 206-211 (Namngjeving: Olav Bö, Roland Otterbjörk). Kulturhistorisk Leksikon for nordisk middelalder (KLNM) XIII, Köbenhavn 1968, Sp. 198-234 (Personnavn: E.F. Halvorsen, Roland Otterbjörk, Kristian Haid, Kustaa Vilkuna, Carl-Eric Thors).
2. Darstellungen und weiterführende Aufsätze Maria Giovanna Arcamone: Antroponima tra tardo
antico e alto medioevo. Estratto da: La
cultura in Italia fra Tardo Antico e Alto Medioevo. Atti de Convegno tenuto a Roma ... dal 12 al 16 Novembre 1979. Roma 1981, S. 225-240 [hier weitere Aufsätze der Verfasserin S. 236], Georg Baesecke: Das Althochdeutsche von Reichenau nach den Namen seiner Mönchslisten. In: P B B 52,
1928, S. 92-148 (Nachdruck
in: Georg Baesecke, Kleinere Schriften
zur
althochdeutschen Sprache und Literatur. Hg. von Werner Schröder. Bern/München 1966, S. 138-180). Xaver Baumgartner: Namengebung
im mittelalterlichen
Zürich. Die alt- und mittel-
hochdeutschen Personennamen der Zürcher Uberlieferung vom Jahr 1000 bis zum Jahr 1254. Arbon 1983 (Studia Onomastica Helvetica Bd. 1). Rolf Bergmann: Ein Kölner Namenverzeichnis aus der Zeit Erzbischof Hermanns I. (a. 889 - a. 924). In: Rheinische Vierteljahrsblätter 29, 1964, S. 168-174. Rolf Bergmann: Die Trierer Namenliste des Diptychons Barberini im Musee du Louvre. In: Namenforschung, Festschrift für Adolf Bach. Hg. von Rudolf Schützeichel und Matthias Zender. Heidelberg, 1965, S. 38-48. Rolf Bergmann: Die germanischen Namen im Evangeliar von Cividale. Möglichkeiten und Probleme ihrer Auswertung. In: B N F N . F . 6, 1971, S. 111-129 (dazu M . G . Arcamone, in: Studi germanici n. s. 12, 1974, S. 441-446). Erik Björkman: Studien über die Eigennamen im Beowulf. Halle a. S. 1920 (Studien zur Englischen Philologie, Heft LVIII). Maria Boehler: Die altenglischen Frauennamen. Berlin 1931 (Germanische Studien, Heft 98). Konrad Bohn: Untersuchungen zu Personennamen der Werdener Urbare (etwa bis 1150). Diss. Greifswald. Greifswald 1931. Olof von Feilitzen: T h e Pre-Conquest Personal Names of Domesday Book. Uppsala 1937 (Nomina Germanica 3). Egon Felder: Germanische Personennamen auf merowingischen Münzen. Studien zum Vokalismus. Heidelberg 1978 (BNF N . F . Beiheft 14). Dieter Geuenich: Prümer Personennamen in Uberlieferungen von St. Gallen, Reichenau, Remiremont und Prüm. Heidelberg 1971 ( B N F N . F . Beiheft 7). Dieter Geuenich: D i e Personennamen der Klostergemeinschaft von Fulda im früheren Mittelalter. München 1976 (Münstersche Mittelalter-Schriften Bd. 5). Dieter Geuenich: Studien zu den cognomina im Reichenauer Verbrüderungsbuch. In: Name und Geschichte, Henning Kaufmann zum 80. Geburtstag. Hg. von Friedhelm Debus/Karl Puchner. München 1978, S. 81-101.
Prinzipien germanischer Personennamengebung
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4)· Assar Janzen: The provenance of proto-Norse personal names 1-2. In: Names, Journal of the American Names Society, 2, 1954, S. 81-100, 173-192. Henning Kaufmann: Untersuchungen zu altdeutschen Rufnamen. München 1965 (Grundfragen der Namenkunde, Bd. 3). Max Keil: Altisländische Namenwahl. Leipzig 1931 (Palaestra 176). Ingeborg Klatt: Das s-(z-)Suffix als Bildungssuffix. Ein Beitrag zu seiner Herleitung unter besonderer Berücksichtigung der niederdeutschen Personennamen. Berlin 1938 (Germanische Studien, Heft 204). Hartmut Knoch: Möglichkeiten und Aspekte der Erforschung westfränkischer Personennamen in der karolingischen Nordgallia. Heidelberg 1969 (BNF N . F . Beiheft 2). Heinrich Löffler: Die Hörigennamen in den älteren St. Galler Urkunden. Versuch einer sozialen Differenzierung althochdeutscher Personennamen. In: B N F N . F . 4, 1969, S. 192-211 (Nachdruck in: Probleme der Namenforschung im deutschsprachigen Raum, hg. von Hugo Steger, Darmstadt 1977, S. 475-497 [Wege der Forschung, Bd. 383]). Hildegard Lösch: Die bäuerlichen Familiennamen des Habsburgischen Urbars. Gießen 1939 (Gießener Beiträge zur deutschen Philologie XLV). C. Marynissen: Hypokoristische Suffixen in Oudnederlandse persoonsnamen inz[onderheid] de -z- en -1-suffixen. Gent 1986. Hubertus Menke: Das Namengut der frühen karolingischen Königsurkunden. Ein Beitrag zur Erforschung des Althochdeutschen. Heidelberg 1980 (BNF N . F . Beiheft 19).
28
Stefan Sonderegger
Gunter Müller: Germanische Tiersymbolik und Namengebung. In: Frühmittelalterliche Studien 2, 1968, S. 202-207 (Nachdruck in: Probleme der Namenforschung im deutschsprachigen Raum, hg. von Hugo Steger, Darmstadt 1977, S. 425-448 [Wege der Forschung, Bd. 383]). Gunter Müller: Studien zu den theriophoren Personennamen der Germanen. K ö l n / W i e n 1970 (Niederdeutsche Studien 17). Hans Naumann: Altnordische Namenstudien. Berlin 1912 (Acta Germanica, Neue Reihe, Heft 1)· Hans-Peter Naumann: Die altnordischen Personennamen im Verbrüderungsbuch der Abtei Reichenau. In: Verborum amor. Sudien zur Geschichte und Kunst der deutschen Sprache. Festschrift für Stefan Sonderegger. Hg. von Harald Burger/Alois M. Haas/Peter von Matt. Berlin/New Y o r k 1992, S. 701-730. Günter Neumann: Die germanischen Matronen-Beinamen. In: Matronen und verwandte Gottheiten. Ergebnisse eines Kolloquiums veranstaltet von der Göttinger Akademiekommission für die Altertumskunde Mittel- und Nordeuropas. K ö l n / B o n n 1987, S. 103-132 (Beihefte der Bonner Jahrbücher, Bd. 44). Lena Peterson: Mono- and Dithematic Personal Names in Old Germanic. In: Probleme der Namenbildung. Rekonstruktion von Eigennamen und der ihnen zugrundeliegenden Appellative. Hg. von Thorsten Andersson. Uppsala 1988, S. 121-130 (Nomina Germanica 18). Mats Redin: Studies on Uncompounded Personal Names in Old English. Uppsala 1919 (Uppsala Universitets Arsskrift 1919. Filosofi, sprakvetenskap och historiska vetenskaper 2). Hellmut Rosenfeld: Zu Systematik und geschichtlichem Form- und Bedeutungswandel der idg. Männer- und Frauen-Rufnamen. In: Name und Geschichte, Henning Kaufmann zum 80. Geburtstag. Hg. von Friedhelm Debus/Karl Puchner. München 1978, S. 137-148. Ludwig Rübekeil: Suebica. Völkernamen und Ethnos. Innsbruck 1992 (Innsbrucker Beiträge zur Sprachwissenschaft, Bd. 68). Ludwig Rübekeil: Völkernamen Europas [korr. Germanische Völkernamen]. In: Namenforschung. Ein internationales Handbuch zur Onomastik. Hg. von Ernst Eichler et alia. 2. Teilbd., Berlin/New Y o r k 1996, S. 1330-1343. Josef Schatz: Uber die Lautform althochdeutscher Personennamen. In: Zeitschrift für deutsches Altertum 72, 1935, S. 129-160. Anton Scheren Zum Sinngehalt der germanischen Personennamen. In: B N F 4, 1953, S. 1-37. Gottfried Schramm: Namenschatz und Dichtersprache. Studien zu den zweigliedrigen Personennamen der Germanen. Göttingen
1957 (Ergänzungshefte zur Zeitschrift für
vergleichende Sprachforschung auf dem Gebiet der idg. Sprachen, Nr. 15). Edward Schröder: Grundgesetze für die Komposition der altdeutschen Personennamen. In: Nachrichten von der Gesellschaft der Wissenschaften
zu Göttingen
1940, S. 17-36.
Nachdruck in: Edward Schröder, Deutsche Namenkunde, Gesammelte Aufsätze zur Kunde deutscher Personen- und Ortsnamen, 2. stark erweiterte Aufl., besorgt von L. Wolff. Göttingen 1944, S. 12-27. Rudolf Schützeichel: Die Kölner Namenliste des Londoner Ms. Harley 2805. In: Namenforschung, Festschrift für Adolf Bach. Hg. von Rudolf Schützeichel/Matthias Zender. Heidelberg 1965, S. 97-126. Rudolf Schützeichel: Die Personennamen der Münchener Leges-Handschrift Cl. 4115. In: Rheinische Vierteljahrsblätter 32, 1968, S. 50-85. Rudolf Schützeichel: Nachwort und bibliographischer Nachtrag in: Max Gottschald. Deutsche Namenkunde, 4. Aufl. Berlin 1971, S. 631-646 (bzw. 5. Aufl. 1982).
29
Prinzipien germanischer Personennamengebung
Felix Solmsen: Indogermanische Eigennamen als Spiegel der Kulturgeschichte. Hg. und bearbeitet von Ernst Fraenkel. Heidelberg 1922 (Indogermanische Bibliothek IV, 2). Stefan Sonderegger: Das Althochdeutsche der Vorakte der älteren St. Galler Urkunden. Ein Beitrag zum Problem der Urkundensprache in althochdeutscher Zeit. In: Zeitschrift für Mundartforschung 28, 1961, S. 251-286. Stefan Sonderegger: Aufgaben und Probleme der althochdeutschen Namenkunde. Namenforschung, Festschrift für Adolf Bach. Hg. von Rudolf
In:
Schützeichel/Matthias
Zender. Heidelberg 1965, S. 55-96 (Nachdruck in: Probleme der Namenforschung im deutschsprachigen Raum, hg. von Hugo Steger, Darmstadt 1977, S. 126-186 [Wege der Forschung, Bd. 383]). Stefan Sonderegger: Althochdeutsche Namen in den rätischen Privaturkunden von St. Gallen vor 800. In: Festschrift für Paul Zinsli. Hg. von Maria Bindschedler/Rudolf Hotzenköcherle/Werner Kohlschmidt. Bern 1971, S. 145-160. Stefan Sonderegger: Personennamen des Mittelalters. V o m Sinn ihrer Erforschung. In: Memoria. Der geschichtliche Zeugniswert des liturgischen Gedenkens im Mittelalter. Hg. von Karl Schmid/Joachim Wollasch. München 1984, S. 255-284 (Münstersche Mittelalter-Schriften Bd. 48). Franz Stark: Die Kosenamen der Germanen. Eine Studie. Mit drei Excursen: 1. Über Zunamen, 2. Uber den Ursprung der zusammengesetzten Namen, 3. Uber besondere friesische Namensformen und Verkürzungen. Wien 1868. Nachdruck Wiesbaden 1967. Subsidia Sangallensia I. Materialien und Untersuchungen zu den Verbrüderungsbüchern und zu den älteren Urkunden des Stiftsarchivs St. Gallen. Hg. von Michael Borgolte/Dieter Geuenich/Karl Schmid. St. Gallen 1986 (St. Galler Kultur und Geschichte 16). Heinrich
Tiefenbach:
Xanten-Essen-Köln.
Untersuchungen
zur Nordgrenze
des
Alt-
hochdeutschen an niederrheinischen Personennamen des neunten bis elften Jahrhunderts. Göttingen 1984 (Studien zum Althochdeutschen, Bd. 3). Heinrich Tiefenbach: Alteste germanische Namen der Völkerwanderungszeit in lateinischen und griechischen Quellen. In: Namenforschung. Ein internationales Handbuch zur Onomastik. Hg. von Ernst Eichler/Gerold Hilty/Heinrich Löffler/Hugo Steger/Ladislav Zgusta. 1. Teilband, B e r l i n / N e w Y o r k 1995, S. 774-778 (Handbücher zur Sprach- und Kommunikationswissenschaft Bd. 11.1). Norbert Wagner: Ungeklärte seltene althochdeutsche Personennamen. In: B N F N.F. 28, 1993, S. 243-267 [hier weitere Hinweise auf Aufsätze des Verfassers zu altgermanischen Personennamen]. Leo Weisgerber: Zum Namengut der Germani cisrhenani. In: Annalen des Historischen Vereins für den Niederrhein 155/156, 1945, S. 35-61. Nachdruck in: Leo Weisgerber, Rhenania Germano-Celtica,
Gesammelte Abhandlungen. Hg. von J o h a n n
Knobloch/Rudolf
Schützeichel, Bonn 1969, S. 275-296. Joseph Welz: D i e Eigennamen im Codex Laureshamensis.
(Aus dem Lobdengau und
Württemberg). Straßburg 1913 (Untersuchungen zur Deutschen Sprachgeschichte, Heft IV). Elias Wessen: Nordiska namnstudier. Uppsala 1927 (Uppsala Universitets Arsskrift
1927.
Filosofi, sprakvetenskap och historiska vetenskaper 3). Henry Bosley Woolf: The Old Germanic Principles of Name-Giving. Diss. Johns-Hopkins University. Baltimore 1939. Nicht zu empfehlen: Benno Eide Siebs: Die Personennamen der Germanen. Niederwalluf/ Wiesbaden 1970, Nachdruck Schaan/Liechtenstein 1983 (vgl. die Besprechung von Gottfried Schramm, in: B N F N . F . 20, 1985, S. 69-71).
Das römische Namensystem Von der Dreinamigkeit zur Einnamigkeit?* V o n HELMUT CASTRITIUS
M i t d e m F r a g e z e i c h e n in der U b e r s c h r i f t soll die E i n n a m i g k e i t 1 als A b s c h l u ß der E n t w i c k l u n g des r ö m i s c h e n N a m e n s y s t e m s n i c h t g r u n d s ä t z l i c h in F r a g e gestellt, s o n d e r n lediglich z u m A u s d r u c k g e b r a c h t w e r d e n , daß a u c h die R ö m e r wie ihre i n d o e u r o p ä i s c h e n V e r w a n d t e n u r s p r ü n g l i c h n u r einen N a m e n t r u g e n (ein N a m e f ü r eine P e r s o n ) u n d daß auch in der Z e i t , in der die M e h r n a m i g k e i t z u m i n d e s t i m ö f f e n t l i c h e n L e b e n u n d in D o k u m e n t e n v o n r e c h t l i c h e r Qualität v o r g e s c h r i e b e n w a r , eine T e n d e n z e r k e n n b a r ist, eine P e r s o n i m Alltagsleben mit
einem
einzigen,
unterscheidbaren
(.diakritischen 1 )
b e n e n n e n . V o n d a h e r ist es n i c h t v e r w u n d e r l i c h
-
Individualnamen
zu
u m das E r g e b n i s dieses
Beitrags in gewisser W e i s e e i n m a l v o r w e g z u n e h m e n - , daß die in der F r ü h z e i t praktizierte Personenbenennung
m i t e i n e m einzigen N a m e n
gewissermaßen
ü b e r den U m w e g eines sich m e h r u n d m e h r ausdifferenzierenden, i m Falle der Senatsaristokratie z u n e h m e n d u n ü b e r s i c h t l i c h e r w e r d e n d e n N a m e n s y s t e m s z u r
1
Die Vortragsform wurde im wesentlichen beibehalten, der Text lediglich um die wichtigsten Literaturhinweise ergänzt, Beispiele aus dem römischen Namenmaterial sind in einem Anhang zusammengestellt, der Bezug darauf wird im Text jeweils angemerkt. Es wird ausschließlich die Namengebung der Männer behandelt. Die Frauen in Rom wurden als nicht amtsfähig erachtet und spielten demgemäß in der Politik offiziell keine Rolle; sie wurden als Besitz der Familie/Sippe (gens) angesehen und entsprechend lediglich kollektiv - allein mit dem Namen der gens - benannt. - Die im Anhang angeführten Personen bzw. deren Namen sind leicht über die einschlägigen Prosopographien zu erschließen: T.R.S. Broughton, The Magistrates of the Roman Republic, 2 Bde., New York 1951/52 u. Supplement-Bd. 1986; Prosopographia Imperii Romani (=PIR), hg. v. E. Groag/A. Stein u.a., Berlin 2 1933 ff.; The Prosopography of the Later Roman Empire (=PLRE), hg. v. A.H.M. Jones/J.R. Martindale/J. Morris, 3 Bde., Cambridge 1971-1992. Unter sprachwissenschaftlichem Aspekt ist der Begriff der Einnamigkeit nicht hinreichend präzis genug, vielmehr sollte man eher bei jedem Namenbestandteil der Römer von einem Lexem sprechen, im vollausgebildeten römischen Namensystem würde demnach der Personenname eines Römers aus drei Lexemen bestehen; auch die Zweigliedrigkeit der Personennamen bei den Germanen bedeutet im engeren Sinne nicht Einnamigkeit (freundlicher Hinweis von Herrn Kollegen A. Greule, Regensburg). Der Gebrauch von Begriffen wie Einnamigkeit, Dreinamigkeit hat sich jedoch eingebürgert und hat im letzteren Falle auch eine Entsprechung schon in der antiken Begrifflichkeit (tria nomind).
31
D a s römische N a m e n s y s t e m
Einnamigkeit zurückgeführt wurde. Die Gründe für diese Entwicklung sind vielfältig, neben Praktikabilitätsgründen, die man nicht ganz außer acht lassen kann, waren in der römischen Gesellschaft von Anfang an vorhandene Usancen und Trends ebenso ausschlaggebend wie äußere Faktoren und Einflüsse. Beiden Aspekten soll im folgenden nachgegangen werden. Die Quellenbasis dafür ist vergleichsweise breit, erfordert aber im besonderen Maße die Beachtung der unterschiedlichen Textsorten. Wie die Kommunikation in der Realität sich abspielte, ist ein wichtiges, hier aber nicht interessierendes Problem; ob die Dichtung - etwa die Komödien des Plautus und des Terenz - ein zuverlässiger Wegweiser ist, ist sicher nicht uneingeschränkt zu bejahen, bestimmen doch hier die Erfordernisse des Versmaßes Auswahl und F o r m der Namen, so daß es offen bleiben muß, welcher Name für eine Person, die mehrere Namen trug, im Alltag wirklich in Gebrauch war. 2 Wohl unter dem Einfluß der Etrusker brachen die Römer bereits in der archaischen Zeit mit dem indoeuropäischen Prinzip 5 der Einnamigkeit und markierten die Kennzeichnung einer Person durch ein praenomen, das - und für lange Zeit 4 - als Rufnamen diente, und durch ein nomen gentile (in der Regel auf -ius endend) als Ausweis der Zugehörigkeit zu einem über die jeweilige Familie hinausgehenden, durch Blutsverwandtschaft konstituierten, allein die agnatische Deszendenz berücksichtigenden Groß verband (gens).5 In einer nicht
2
W i e groß die dichterische Freiheit bei der Verwendung von N a m e n war und wie schwer es deshalb ist, die damit gemeinten Personen zu identifizieren, hat Verf., Historia 20, 1971, S. 80-83, im H i n b l i c k auf Juvenal (sat. VIII 92-94) gezeigt.
5
Einnamigkeit ist kein ausschließliches D i s t i n k t i v der indoeuropäischen V ö l k e r , begegnet vielmehr bei vielen anderen nichtindoeuropäischen frühen V ö l k e r n und Gesellungseinheiten; auch hierzu wäre auf den bewundernswerten und ungeheuer anregenden E n t w u r f von M . Mitterauer, A h n e n und Heilige. N a m e n g e b u n g in der europäischen Geschichte, München 1993, zu verweisen, in dem der Versuch u n t e r n o m m e n wird, für die H o c h kulturwelt rings um das M i t t e l m e e r und deren K o n t a k t z o n e n von den jüdischen und ägyptischen Verhältnissen bis in die Gegenwart die M o t i v e der N a m e n g e b u n g aufzuspüren und die N a m e n p r a k t i k e n in ein System zu bringen. Auch die römische T r a d i t i o n wird darin sorgfältig untersucht (S. 68-85), Kritik an Erkenntnissen und Ergebnissen ist dabei lediglich an Details anzubringen.
4
Mit dem A u f k o m m e n von
cognomina
Kommunikationssituationen -
k o n n t e n anscheinend auch diese als R u f n a m e n -
in
verwendet werden, so jedenfalls legt es das Material bei
Cicero nahe (s. A n h a n g II). 3
Grundlegend zur römischen Namengebung: W .
Schulze, Z u r G e s c h i c h t e
lateinischer
Eigennamen, Abhandlungen der Akademie der Wissensehaften zu G ö t t i n g e n 1904 f l 9 3 3 , N D 1966); B. D o e r , D i e r ö m i s c h e Namengebung. E i n historischer Versuch, Stuttgart 1937; J . R e i c h m u t h , D i e lateinischen Gentiiicia, Diss. Zürich 1956; O . Salomies, D i e römischen V o r n a m e n . Studien zur römischen Namengebung, Helsinki 1987; H . R i x , Z u m Ursprung des römisch-mittelitalischen Gentilnamensystems, in: Aufstieg und Niedergang der römischen W e l t ( = A N R W ) , B e r l i n / N e w Y o r k 1972, Bd. 1/2, S. 700-758; L ' o n o m a s t i q u e latine, Paris 13-15 o c t o b r e 1975. Colloques internationaux du C e n t r e N a t i o n a l Scientifique N r . 564, Paris 1977 (darin wichtige Aufsätze - neben anderen - von C . N i c o l e t über die Namenge-
32
Helmut Castritius
exakt datierbaren Periode der frühen römischen Republik legten sich dann die regimentsfähigen Schichten, zunächst wohl die patrizischen gentes, zur Unterscheidung und Abschichtung vom Normalbürger einen weiteren Namen, das cognomen^, zu, dessen amtliche Anerkennung allerdings erst in der Zeit Sullas erfolgte. Damit hatte sich das dreigliedrige Namensystem endgültig etabliert: Neben den Freigelassenen 7 , die ihren Freilassern aus der politischen und ökonomischen Führungsschicht auch darin folgten, daß sie ihren ursprünglichen, eigenen Namen fortan als cognomen führten (zusätzlich zu praenomen und nomen gentile, das sie von ihren Freilassern übernahmen) bequemten sich nun auch die Normalbürger, durch Annahme von cognomina der Regel der tria nomina Genüge zu tun. Die volle Nomenklatur 8 wurde damit zum Spiegel und Ausdruck der Rechtsstellung der betreffenden Person und damit zum wichtigsten Unterscheidungs- und Erkennungskriterium zwischen den römischen Bürgern (cives Romani) einerseits und den Peregrinen und Unfreien andererseits; das Namensystem der Bürger latinischen Rechts orientierte sich dabei an der Nomenklatur der römischen Vollbürger. Mit der constitutio Antoniniana vom 9 Jahre 212 , die nahezu allen Bewohnern des römischen Reiches zum Vollbürgerrecht verhalf, wurde dieser enge Verbund zwischen Rechtsstellung und Name allerdings gegenstandslos. Mit der offiziellen Anerkennung der cognomina in der 1. Hälfte des 1. Jahrhunderts v. Chr. und der Verbindlichmachung der Dreinamigkeit im amtlichen Bereich setzten allerdings auch bereits Aushöhlung und Vereinfachung dieses Namensystems ein. Entwicklungen und Tendenzen, die ursprünglich ganz verschiedene Ursachen hatten, liefen hierbei letztendlich in die gleiche
bung bei den Führungsschichien der römischen Republik, von G. Barbieri über die O n o m a stik der senatorischen Familien in der frühen Kaiserzeit und von I. Kajanto über die Anfänge der Einnamigkeit). 6
Z u den cognomina
vgl. I. Kajanto, T h e Latin Cognomina, Helsinki 1965, und dens., O n the
C h r o n o l o g y of the C o g n o m e n in the Republican Period, L'onomastique latine [ A n m . 5] S. 63-70. 7
A . M . Duff, Freedmen in the Early R o m a n Empire, Cambridge 2 1958; R. Duthoy, Notes onomastiques sur les Augustales, L'Antiquite Classique 39, 1970, S. 88-105.
8
S. die Beispiele im Anhang unter I; mit der Angabe des Vornamens von Vater und Großvater und der Tribuszugehörigkeit wurden in der römischen Namengebung zeitweise eine Komplexität und Ausdifferenzierung erreicht, die ihresgleichen unter den Kulturvölkern suchen. Diese einen R ö m e r zusätzlich kennzeichnenden Angaben werden hier jedoch nicht in die Betrachtung einbezogen, da es sich dabei nicht um N a m e n im engeren Sinne handelt. -
Z u m römischen Bürgerrecht vgl. A . N . Sherwin-White, T h e R o m a n Citizenship, O x f o r d
2 1973,
zum Zusammenhang von N o m e n k l a t u r und Bürgerrecht vgl. A . Mocsy, Das Namens-
verbot des Kaisers Claudius (Suet. Claud. 25,3), Klio 52, 1970, S. 287-294, der m . E . zu U n r e c h t den tria nomina
keine rechtliche Bedeutung beimißt und sie lediglich unter den
N o r m e n des Alltagslebens subsumiert. '
H . Wolff, Die constitutio Antoniniana und Papyrus Gissensis 40 I, 2 Bde., Diss. Köln 1976.
Das römische Namensystem
33
Richtung und bündelten sich im Ergebnis in der Einnamigkeit der ausgehenden Antike. So belegt etwa der Sprachgebrauch im ciceronischen Briefcorpus, der zweifellos am Usus des Alltags orientiert war (s. Anhang II), daß zumindest auf der gesellschaftlichen Ebene, auf der Cicero verkehrte, jede einzelne Person mit einem einzigen Namen bezeichnet werden konnte, der zu deren Identifikation anscheinend völlig ausreichte. Für den auf das tria nomina-System fixierten Leser und Betrachter ist es allerdings erstaunlich, ja sogar unverständlich, daß manche Personen mit ihrem Gentilicium ( = nomen gentile), andere mit ihrem cognomen und wieder andere mit ihrem praenomen angeführt werden konnten, ohne daß dafür eine Regel ersichtlich ist. (Beim ausschließlichen Gebrauch des praenomen durch Cicero liegt allerdings die Vermutung nahe, daß hierin ein ganz besonders familiärer Umgang mit der betreffenden Person zum Ausdruck kommt.) Jedenfalls herrschte in der Korrespondenz Ciceros Einnamigkeit vor, die zweifellos ein Anzeichen für eine große Vertrautheit innerhalb des betreffenden Personenkreises war. Diese ,private' Einnamigkeit schaffte jedoch zunächst nicht den Durchbruch im offiziellen, amtlichen Bereich. Das hing mit einer gegenläufigen, die politisch-soziale Führungsschicht betreffenden Tendenz zusammen: Durch die demographische Entwicklung - das Aussterben vieler alter Familien - und die vielfältigen Möglichkeiten des römischen Adoptionsrechts sammelten gewissermaßen die überlebenden Vertreter dieser Schicht die vollen Namen von ohne Nachkommen verstorbenen Mitgliedern des Senatsadels und des Ritterstandes und übertrugen diese zusätzlich auf sich, so daß eine barocke Namenvielfalt und Mehrnamigkeit bei jeweils einzelnen Personen entstand (s. Anhang I, letztes Beispiel). Eine frühe Reaktion darauf läßt sich aus dem amtlichen Briefwechsel des jüngeren Plinius 10 mit dem Kaiser Trajan ablesen. Zur unmißverständlichen Be- und Kennzeichnung einer Person verwendete Plinius nomen gentile und cognomen und hielt diese Zweinamigkeit auch bemerkenswert strikt ein.11 Das praenomen taucht im plinianischen Corpus nur dann noch auf, wenn es sich um Bürgerrechtsverleihungen handelte, die Angabe und Registrierung auch des praenomen erforderlich machten. War in seinen Schreiben eine Person durch nomen gentile und cognomen erst einmal eingeführt, so genügte zu ihrer Kennzeichnung im selben inhaltlichen Zusammenhang dann sogar lediglich das cognomen, wenn man so will, ein früher Beleg für die Einnamigkeit (s. Anhang III).
10
A . N . Sherwin-White, T h e Letters of Pliny. A Historical and Social C o m m e n t a r y , O x f o r d
11
H . U . Instinsky, Formalien im Briefwechsel des Plinius mit Kaiser Trajan, Abhandlungen
1966. der Akademie der Wissenschaften und Literatur zu Mainz, Geistes- und sozialwissenschaftliche Klasse, Jg. 1969, N r . 12, Wiesbaden 1970.
34
Helmut Castritius
Verschwinden des praenomen einerseits, so daß das nomen gentile an die erste Stelle im ursprünglichen tria nomina-System rückte, ausufernde Zusammenfügung verschiedener Vollnamen ( = tria nomina) auf der anderen Seite waren für Namengebung und Namensystem des 2. und der nachfolgenden Jahrhunderte n. Chr. vor allem der Oberschichten charakteristisch. Allerdings scheint auch in dieser Zeit die Fähigkeit nicht verloren gegangen zu sein, jedenfalls im häuslichen Bereich, eine Person mit einem einzigen Namen zu kennzeichnen, so wie wir es bereits bei Cicero vorgefunden hatten; man könnte hier von einer sich auswirkenden normativen Kraft des Praktischen sprechen. Es ist allerdings zu bezweifeln, ob diese ausgereicht hätte, die Einnamigkeit auch bei den Angehörigen der Senatsaristokratie durchzusetzen, deren Namen und Namenvielfalt ja politisches Programm und politisch-gesellschaftlichen Anspruch darstellten. Und in der Tat präsentierten sich die Vertreter des spätrömischen Senatsadels auf den ihnen gesetzten Ehreninschriften, auf denen sie als Wohltäter gefeiert wurden12, in der Namenvielfalt ihrer verschiedenen wahren oder fiktiven Ahnenreihen (s. Anhang V), so daß wir heute - und nicht nur wir, sondern bereits die Miterlebenden des Heranbrechens einer neuen Epoche, des Mittelalters ratlos sind, wie wir eine solche Person - diakritisch - benennen sollen. Der Spätantike indes war dies kein besonders schwieriges Problem, auch in der Namenvielfalt der Angehörigen der Senatsaristokratie lassen sich bestimmte Regeln und Prinzipien erkennen, deren sich die Zeitgenossen bewußt waren, die sie gewissermaßen verinnerlicht hatten, die aber, nachdem sie jahrhundertelang verschüttet und in Vergessenheit geraten waren, von der modernen Forschung erst wieder mühsam rekonstruiert werden mußten. 13 Grundprinzip war in den späteren Jahrhunderten der Antike bis zu ihrer Transformation in die mittelalterliche Welt, daß eine Person bei aller barocker Namenvielfalt durch einen einzigen (,diakritischen') Namen identifizierbar sein mußte, so wie wir es ansatzweise bereits bei Cicero vorgefunden haben und wie wir es für den Hausgebrauch über die Zeitläufe hinweg annehmen können (mit der Zwischenstufe Plinius, der den Verlust des praenomen realisierte). Dieser diakritische Name einer durch Polyonymie gekennzeichneten Persönlichkeit in der Spätantike nahm in der Abfolge der drei und mehr verschiedenen Namen in aller Regel die letzte Stelle ein, und es war dann dieser Name, der im amtlichen Sprachgebrauch, wie er vor allem in den Rechtsquellen und hier besonders in den Kodifikationen des Kaiserrechts vorliegt, ausschließlich verwendet wurde.
12
Zum spätrömischen Senatsadel vgl. M.T.W. Arnheim, The Senatorial Aristocracy in the Later Roman Empire, Oxford 1972, und J.F. Matthews, Western Aristocracies and the Imperial Court A.D. 364-425, Oxford 1975.
13
Grundlegend jetzt zum Problem des diakritischen Namens in der Spätantike A. Cameron, Polyonymy in the Late Roman Aristocracy: The Case of Petronius Probus, Journal of Roman Studies 75, 1985, S. 164-182.
Das r ö m i s c h e N a m e n s y s t e m
35
Umgekehrt nahm der Gentilname - so wie wir es nach dem Verschwinden des praenomen auch erwarten dürfen — in den weitaus meisten Fällen die erste Stelle in der Aufreihung der Namen einer Person ein. Eine Führungspersönlichkeit in der Spätantike mag also noch so abundant mit Namen ausgestattet gewesen sein, am Ort der Einzelnamen im Rahmen ihrer Gesamtpräsentation war in der Regel erkennbar, wie diese Person mit ihrem Gentilnamen und wie sie mit ihrem Individualnamen, ihrem ganz persönlichen Kennzeichen, hieß.14 Der Unterschied zum Namengebrauch zur Zeit Ciceros oder des Plinius mag durch das bisher Ausgeführte noch nicht recht deutlich geworden sein; einige ergänzende Bemerkungen dürften dieses Manko jedoch beseitigen: Einnamigkeit oder Zweinamigkeit dominierten zwar im häuslich-privaten Bereich, offiziell, etwa in den Geburtsregistern oder in den Listen über Bürgerrechtsverleihungen15, war jedoch das tria nomina-System vorgeschrieben. Für die ausdifferenzierte kaiserliche Bürokratie des spätrömischen Staates16 war es hingegen allemal ausreichend und unmißverständlich, den Adressaten einer kaiserlichen Verfügung mit seinem diakritischen Namen anzureden, mag dieser hohe Staatsfunktionär auch auf eine noch so lange und berühmte Ahnenreihe zurückgeblickt und entsprechend viele Namen geführt haben. Und dies blieb nicht ohne Rückwirkung auf die Vertreter der Führungsschicht selbst und deren Praxis, wie sie sich selbst der Öffentlichkeit namenmäßig präsentierten. Mehr und mehr verwendeten sie dabei selbst lediglich noch einen Namen, häufig - vor allem bei Militärpersonen - angereichert durch das Rangprädikat Flavias, einem ,status marker' und ,rank indicator'17, was wohl nicht viel mehr und kaum etwas anderes bedeutete als ,Mister', ,Sir' und ,Monsieur' in der Neuzeit. Pendelten sich die Senatsaristokratie und die hohen Staatsfunktionäre auf die
14
B. S a l w a y , W h a t ' s in a N a m e ? A S u r v e y of R o m a n O n o m a s t i c Practice f r o m 7 0 0 B.C. t o A . D . 700, J o u r n a l of R o m a n Studies 84, 1994, S. 1 2 4 - 1 4 5 , k o m m t jetzt in seinem Ü b e r b l i c k über die E n t w i c k l u n g der r ö m i s c h e n N a m e n g e b u n g zu ähnlichen Ergebnissen w i e ich in m e i n e m G ö t t i n g e r V o r t r a g im R a h m e n der v o n der .Mission Historique Frangaise en A l l e m a g n e ' veranstalteten Table ronde (6.-7.12.1993) z u m T h e m a „ N o m et c h a n g e m e n t social", dem w i e d e r u m die A u s f ü h r u n g e n hier zugrunde liegen.
15
Das gesamte V e r w a l t u n g s h a n d e l n beispielsweise in den r ö m i s c h e n P r o v i n z e n w u r d e präzis d o k u m e n t i e r t u n d archiviert, und die U n t e r l a g e n darüber in den Statthalterarchiven aufbew a h r t : vgl. R. Haensch, Das Statthalterarchiv, Zeitschrift der Savigny-Stiftung f ü r Rechtsgeschichte. Romanistische A b t e i l u n g 109, 1992, S. 2 0 9 - 3 1 7 .
16
Z u r spätrömischen V e r w a l t u n g und Bürokratie vgl. die dazu einschlägigen Partien in dem m o n u m e n t a l e n W e r k v o n A . H . M . Jones, The Later R o m a n E m p i r e 284-602. Α Social, Econ o m i c and A d m i n i s t r a t i v e S u r v e y , 3 Bde., O x f o r d 1964.
17
Z u m Flavius-Namen als .status m a r k e r ' u n d seiner .rank indicator role' vgl. R.S. Bagnall/A. C a m e r o n / S . R . S c h w a r t z / K . A . W o r p , C o n s u l s of the Later R o m a n Empire, A t l a n t a 1 9 8 7 , S. 36-40, u n d L. B o r h y , T h e R a n k Indicator R o l e of the N a m e s Flavius and Iulius f o r the Prefects on the Tripolitanus Limes, A c t a A r c h a e o l o g i c a A c a d e m i a e Scientiarum Hungaricae 4 1 , 1989, S. 1 5 1 - 1 5 7 .
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Einnamigkeit ein, so verwundert es dann nicht, daß die kirchlichen Würdenträger und vor allem die Normalbürger nahezu ausschließlich lediglich einen einzigen Namen führten. Wie ist diese Entwicklung zu erklären? Kajantos 18 These, Hauptgrund dafür sei die Ausweitung des römischen Bürgerrechts auf nahezu alle Reichsbewohner gewesen, die ja auch die Annahme der tria nomina zur Folge hatte und mit einer Nivellierung des politisch-sozialen Prestiges, das mit dem Bürgerrecht verbunden war, einherging, greift sicher zu kurz. Eingangs war darauf hingewiesen worden, daß wir sowohl innergesellschaftliche Entwicklungen als auch äußere Faktoren und Einflüsse für den Prozeß in Rechnung stellen müssen, der schließlich in der Einnamigkeit endete. So war das tria nomina-System mit dem ihm immanenten Trend zur Ausuferung - etwa durch Verdoppelung des vollen Namens, durch Hinzufügung von Ubernamen und Spitznamen (supemomina, signa) - so kompliziert, unüberschaubar und unverständlich geworden, daß ein römischer Grammatiker im frühen 5. Jahrhundert n. Chr. mit vollem Recht sagen konnte, daß man sich der Lächerlichkeit aussetzte, wenn man nach dem cognomen einer Person früge (Zitat des Grammatikers im Anhang IV). Das römische Namensystem war undurchschaubar und unpraktikabel geworden, hatte seine Regelhaftigkeit eingebüßt, so daß es verändert und angepaßt werden mußte. Auf welche Erfahrungen konnte man dabei zurückgreifen, welche Einflüsse konnten sich in diesem Veränderungsprozeß zur Geltung bringen? Hier ist zunächst auf die Namengebung und Namenpraxis in der östlichen Mittelmeerwelt zu verweisen, die ja seit dem 2. Jahrhundert v. Chr. mehr und mehr zu einem integralen Bestandteil des römischen Reiches geworden war. In nahezu allen Bereichen öffneten sich in der Folge die Römer den Einflüssen der griechisch-hellenistischen Hochkultur, in der wiederum die Einnamigkeit vorherrschte. Daran wurde selbst dann noch festgehalten, als allen Bewohnern der östlichen Reichshälfte das römische Bürgerrecht übertragen und ihnen damit auch offiziell die Dreinamigkeit - die tna nomina - verordnet worden waren. In diesem gesellschaftlichen und religiös-kulturellen Umfeld entstand auch das Christentum, das zudem noch aufgrund seiner jüdischen Wurzeln im Hinblick auf seine Träger und Propagandisten mit dem System der Einnamigkeit in ganz besonderer Weise vertraut war. Wie natürlich und genuin die Einnamigkeit für die führenden Vertreter des frühen Christentums war, erhellt die Tatsache, daß in den Schriften des Neuen Testaments die einzelnen Personen jeweils nur mit einem einzigen Namen bezeichnet werden, obwohl eine ganze Reihe von ihnen
18
I. Kajanto, Onomastica romana alle soglie del medioevo, in: Dictionnaire historique des noms de famille romans, Actes du Ier Colloque Treves, 10-13 decembre 1987, hg. v. D. Kremer, Tübingen 1990, S. 59-66 bes. S. 65.
Das römische Namensystem
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nachweislich das römische Bürgerrecht und damit auch die tria nomina besaß. Das eindrucksvollste Beispiel dafür ist der Apostel Paulus, für den uns die an sich dichte Uberlieferung seinen Gentilnamen hartnäckig vorenthält." Das Christentum stand hiermit ganz auf dem Boden der griechisch-hellenistischen Tradition; daß seine führenden Vertreter durch Einnamigkeit ausgezeichnet waren, hat nichts mit der Rekrutierung der frühen Christen vornehmlich aus den Unterschichten zu tun. Neben den von Anfang an angelegten innerrömischen Trends, neben Praktikabilitätserwägungen sowie den Einflüssen der hellenistischen und jüdisch-frühchristlichen Umwelt - letztere schob sich mit der Christianisierung der Reichsspitze und dann auch der Mehrheit der Bevölkerung seit dem frühen 4. Jahrhundert n. Chr. verstärkt in den Vordergrund - wird man auch den Einfluß der sog. Barbaren, die im Römerreich F u ß faßten und vor allem im Militär Spitzenstellungen erreichten, in Rechnung stellen müssen. V o n dem Flavias-Namen als ,status marker' abgesehen (s.o. mit Anm. 17) führten diese hohen und mächtigen Herren ihren indigenen (barbarischen) Namen auch als Inhaber der höchsten Reichsämter weiter. Wenn sie ihn allerdings durch Latinisierung abänderten oder gar einen neuen — lateinischen - Namen annahmen, dann ging ihr ursprünglicher Name in aller Regel verloren. Und es waren dieselben Herren, die durch Einheirat in die Senatsaristokratie und in die bisherige militärische Führungsschicht die Sitte der Einnamigkeit, die sie aus ihrem eigenen Kulturkreis mitgebracht hatten, populär machten, sollte dies überhaupt noch notwendig gewesen sein. Auch die Landnahme und Seßhaftwerdung barbarischer Invasoren mögen nicht nur onomastische Konsequenzen im Hinblick auf die sprachliche Herkunft der Namen 2 0 , sondern auch für das Namensystem gezeitigt, d.h. die völlige Durchsetzung des Prinzips der Einnamigkeit begünstigt haben. Ein weiterer Faktor, der im Sinne der Einnamigkeit stil- und traditionsbildend gewesen sein dürfte, ist m.W. bisher noch nicht beachtet worden: die Namen der Herrscher des Römerreiches und ihrer Angehörigen. Dieser Personenkreis stammte überwiegend nicht aus dem spätrömischen Senatsadel, rekru-
19
Zu dieser ,vexata quaestio' vgl. B. Doer, ,Civis Romanus sum'; Der Apostel Paulus als römischer Bürger, Helikon 8, 1968, S. 3-76, und M. Woloch, St. Paul's T w o Citizenships, Helikon 11/12, 1 9 7 1 / 7 2 , S. 452-454.
20
Das ist vor allem die Fragestellung von I. Kajanto, The Disappearence of Classical Nomenclature in the Merovingian Period, Classica et Mediaevalia, Dissertationes IX. Copenhagen 1973, S. 383-395; vgl. auch bereits dens., A Note on the Problem of Substratum, B N F N . F . 2, 1967, S. 3-12. G. Alföldy, Die Personennamen in der römischen Provinz Noricum, L'onomastique latine [Anm. 5] S. 249-265, hingegen untersucht die Zusammenhänge von Namengebung und Bürgerrecht, von Namen, bes. des cognomen, und sozialer Schichtung und überhaupt Fragen des Rechtsstatus und des kulturellen Standes an Hand des Namenmaterials einer römischen Provinz.
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tierte sich vielmehr aus dem Militär und dessen Umfeld, nur in wenigen Fällen aus der Beamtenschaft.21 Läßt man wiederum die Flavius-Namen als Rangprädikat und ,status marker' außer acht, so führten die römischen Kaiser seit dem 4. Jahrhundert auch offiziell in der Regel nur einen einzigen Namen, wie die Namen der Mitglieder der valentinianisch-theodosianischen Dynastie eindrucksvoll unter Beweis stellen. Für die Praxis der Namengebung könnte man diesbezüglich sogar von einer Art Leitnamensystem sprechen.22 Daß an der Wende von der Antike zum Mittelalter die Einnamigkeit an die Stelle der aus mehreren selbständigen Gliedern bestehenden Personennamen trat, ist allerdings nicht als Indiz für einen tiefgreifenden Strukturwandel der Gesellschaft anzusehen. Dieser Wandel war vielmehr als Möglichkeit von Anfang an vorhanden, wurde zwar zurückgedrängt, nie aber völlig verschüttet und gewann nicht zuletzt auch durch äußere Faktoren und Einflüsse sukzessiv an Boden, um sich schließlich völlig durchzusetzen. Entscheidend dürfte zudem gewesen sein, daß die Einnamigkeit als eine völlig genuine und natürliche Erscheinung, nicht als etwas Künstliches und Aufoktroyiertes begriffen wurde. Daß sie sich durchsetzte, steht nicht für einen Wendepunkt und für eine Epochengrenze. Ob jemand nur einen Namen trug oder viele Namen als Ausdruck von Prestige und Familientradition führte, war eher unerheblich, solange seine Individualität dahinter jeweils erkennbar blieb. Wenn man allerdings - wie im ausgehenden 6. Jahrhundert n. Chr. geschehen - die Struktur des Namensystems nicht mehr verstand, wenn etwa eine Persönlichkeit von Bildung und Kultur wie der Bischof Gregor von Tours nicht mehr in der Lage war, den kennzeichnenden, unterscheidenden Namen einer Person, die mehrere Namen trug, zu erkennen und weiterzugeben, dann kann man wohl eher von einem Epocheneinschnitt und dem Heraufkommen einer neuen Zeit sprechen: Den Enzyklopädisten Martianus Minneius Felix Capella hätte Gregor von Tours 23 nicht unter dem Namen Martianus an die folgenden Generationen weitergeben dürfen, wenn ihm die Regeln der Namengebung noch vertraut gewesen wären.
21
Z u m spätrömischen Kaisertum vgl. J. Martin, Spätantike und Völkerwanderung, München 2
22
1990, S. 192 ff. mit der weiterführenden Literatur.
Vgl. die Stammtafel bei A . Demandt, D e r spätrömische Militäradel, C h i r o n 10, 1980, S. 609636 (zw. S. 618 und 619).
23
Gregorii Turonensis Historiae F r a n c o r u m X 31 (XVIII), hg. v. R. Buchner, Darmstadt 1959, S. 4 1 4 , 2 2 . Weitere spektakuläre Beispiele für die Unwissenheit am Ubergang von der Antike zum Mittelalter und die dadurch bedingten Fehlbenennungen sind Palladius (statt richtig: Aemilianus), Macrobius (statt richtig: Theodosius) und vor allem Cassiodorus (statt richtig: Senator), vgl. A . C a m e r o n , Journal of R o m a n Studies 75, 1985, S. 173f.
Das römische Namensystem
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Anhang I. Beispiele für das dreigliedrige römische Namensystem (Männer) L(ucius) Aemilius Paullus, Konsul 182, 168 v. Chr. P(ublius) Cornelius Scipio Aemilianus (Africanus Numantinus), leiblicher Sohn des L. Aemilius Paullus, mehrfach Konsul, gest. 129 v. Chr. Cn(aeus) Pompeius Magnus, gest. 48 v. Chr. C(aius) Iulius Caesar, ermordet 15.3.44 v. Chr. Imperator Caesar Augustus, gest. 14 n. Chr. P(ublius) Aelius Hadrianus (der spätere Kaiser Hadrian) Ti(berius) Claudius Secundinus L(ucius) Statius Macedo (eine Person!)
II. Sprachgebrauch bei Cicero (Beispiele aus den Atticusbriefen) 13,37,2: Nihil novi sane, nisi Hirtium cum Quinto acerrime pro me liti37,3: 37,4: 14,4,1: 14,11,2:
gasse. isto modo mittendam Domitio et Bruto appelles Balbum et Offilium Ac vereor Gallica etiam bella, ipse Sextus quo evadat. Hie mecum Baibus. Hirtius, Ρ ansa. Modo venit Octavius ... Lentulus Spinther hodie apud me.
III. Gebrauch der Eigennamen im amtlichen Briefwechsel des Plinius (ep. X) mit Kaiser Trajan ep. X 56: Servilius Calvus; Iulius Bassus - ep. X 57 (kaiserliches Antwortschreiben) P. Servilius Calvus ep. X 26,1: Rosianus Geminus; ep. X 87,3: Fuscus Salinator ep. X 84: adhibitis Virdio Gemellino et Epimacho, liberto meo, procuratoribus (kaiserliches Antwortschreiben) ep. X 104: C. Valerius Astraeus, C. Valerius Dionysius, C. Valerius Aper (es geht um die Anhebung des ius Latinorum dieser drei Personen in das ius Quiritiurri)
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IV. Wie denkt die Spätantike über das dreigliedrige Namensystem? Beispiel: P(ublius) t praenomen
Cornelius t nomen gentile
Scipio t cognomen
+
Africanus t agnomen
Dazu der Grammatiker Pompeius (frühes 5. Jh.): hoc recessit ab usu penitus: non possumus dicere h ο d i e, ,quod tibi cognomen est?' ridemur, si hoc dixerimus (Gramm. Lat. V 140.35 ed. Keil).
V. Mehrnamigkeit -* Einnamigkeit in der spätrömischen Aristokratie L(ucius) Aradius Valerius Proculus signo Populonius (proconsul Africae 331/2) = Proculus (Kodizes) Sex(tus) Claudius Petronius Probus (mehrfach praefectus praetorio 2. Hälfte 4. Jh.) = Probus (Kodizes) C(aius) Ceionius Rufius Volusianus signo Lampadius (praefectus urbi 365) = Volusianus (Kodizes) Q(uintus) Flavius Maesius Egnatius Lollianus signo Mavortius = Lollianus (Kodizes) Saturninius Secundus signo Salutius (Sallustius) = Secundus (Kodizes) Anicius Auchenius Bassus = Bassus (Kodizes) Rutilius Claudius Namatianus = Namatius/Namatianus (Kodizes) Palladius Rutilius Taurus Aemilianus = Aemilianus: seit dem frühen Mittelalter in Unkenntnis der spätrömischen Usancen Palladius genannt Flavius Magnus Aurelius Cassiodorus Senator = Senator: seit dem frühen Mittelalter in Unkenntnis der spätrömischen Usancen Cassiodorus genannt
Ostgotische Personennamengebung V o n NORBERT WAGNER
Die Masse der von Angehörigen des Stammesverbandes der Ostgoten getragenen Personennamen ist in den ,Varien' Cassiodors, den ,Getica' und ,Romana' des Jordanes und in den Werken Prokops überliefert. Dazu treten noch die Uberlieferungen von Namen in den Werken weiterer Autoren bis hin zum Geographus Ravennas, in Papyrus- und Pergamenturkunden, in Briefen, auf Inschriften bis hin zu gotischen Personennamen in den Mönchslisten langobardischer Klöster, die in den Verbrüderungsbüchern von St. Gallen und der Reichenau aus dem 9. Jahrhundert bewahrt sind. Dies alles zusammen ergibt ein Corpus von recht ungefähr 250 Namen zwischen dem 4. und dem 9. Jahrhundert mit dem Schwerpunkt im 6. Dieses Corpus ist allerdings erst noch zu erstellen ebenso wie alsdann die Auswertung unter den unterschiedlichen namenkundlichen Aspekten. Es fehlt auch eine Prosopographie der Ostgoten, welche mit der Aufzeigung sozialer und verwandtschaftlicher Bezüge der Namenkunde vielfach Hilfestellung zu leisten vermöchte, wie eine solche beispielsweise seit 1974 für das Königreich der Westgoten von Toledo vorliegt.1 Was statt dessen bis jetzt als Behelf für die ostgotische Personennamengebung zur Verfügung steht, sind im wesentlichen zwei Arbeiten: Es ist dies zum einen die Arbeit des Germanisten Ferdinand Wrede von 1891, zum andern Moritz Schönfelds Wörterbuch von 1911, aus dem man sich mit Hilfe des Ethnographischen Indexes die ostgotischen Personennamen zusammensuchen kann. Beide beschränken sich auf die germanischen Namen von Ostgoten. Beide haben eine Eingrenzung vorgenommen, Wrede auf die italienische Periode der Ostgoten 2 , Schönfeld bis zur Regierung Kaiser Justinians (a. 527-565) einschließlich.3 Wredes Arbeit diente primär nicht namenkundlichen, sondern sprachgeschichtlichen Zwecken. Er veranstaltete seine Namensammlung nur zu dem Zweck, sie auf ihre Aussagemöglichkeiten zur Sprache der Ostgoten in ihrer italienischen Periode zu untersuchen und dann mit dem wulfilanischen Gotisch
1
L. A. Garcia Moreno: Prosopografia del reino visigodo de Toledo, Salamanca 1974.
2
Ferdinand Wrede: U b e r die Sprache der Ostgoten in Italien, Q u F 68, Straßburg 1891.
3
M. Schönfeld: Wörterbuch der altgermanischen Personen- und Völkernamen, nach der Uberlieferung des klassischen Altertums bearbeitet, Heidelberg Ί 9 1 1 , 2 1965, S. X I V .
42
Norbert Wagner
zu vergleichen.4 Seit diesen beiden Arbeiten und den Rezensionen zu ihnen5 ist bis in unsere Tage hinein für die ostgotische Personennamengebung nicht mehr viel geschehen. Die von Ernst Gamillscheg aus italienischen Ortsnamen gewonnenen gotischen Personennamen 6 bedürfen erst noch einer gründlichen Abklärung, ehe sie in die Sammlung eingestellt werden können. Rudolf Kögel hatte einst gemeint, Wrede hätte lieber weiterarbeitend gleich alle ostgermanischen Namen behandeln sollen.7 Dieses Vorgehen hätte den Vorzug gehabt, daß man sich dem Problem einer Zuweisung an die Ostgoten, welches sich in einigen Fällen ergibt, nicht stellen müßte. So könnte man etwa Άνοτγάστης, Sohn des Arnegisclus, a. 469 magister militum per Thracias, der von Johannes Antiochenus zusammen mit Attilas Sohn Dengizich als Skythe bezeichnet wird8, mit seinem Vater unbesorgt als Ostgermanen, als Ostgoten dagegen nur vermutungsweise registrieren. Das gleiche gilt für den von ihm ermordeten Ούλλιβος, ogerm. *Wili-funs3, oder für den Anführer von Aspars Buccellariern, "Οστρυς, der sich schließlich dem Ostgoten Theoderich Strabo anschloß. 10 Innerhalb der gewählten Begrenzungen waren Wredes und Schönfelds Sammlungen ziemlich komplett. Bei Wrede fehlte allerdings etwa der Amalatheus der Urkunde von Neapel11 oder der von Gregor von Tours in seinem ,Liber in Gloria martyrum' als in Arles residierender dux Theoderici regis Italici genannte Ära}1 Dieser stellt den einzigen Beleg für die Verwendung von ara Μη ,Adler' in der ostgotischen Namengebung dar, ein Befund, der vor zu
4
5
6
7
Wrede [Anm. 2], S. 3, 201; Ders.: Entgegnung auf Kögel [Anm. 5], in: Anzeiger für deutsches Altertum 18, 1892, S. 309-313, S. 310. Zu Wrede: Theodor v. Grienberger, in: Literaturblatt für germanische und romanische Philologie 12, 1891, Sp. 333-335; Rudolf Kögel, in: Anzeiger für deutsches Altertum 18, 1892, S. 43-60, ferner S. 313-315. Vgl. ferner Wilhelm Streitberg: Gotisches Elementarbuch, Heidelberg 5 6 1920, § 16,3, Anm., und die Literaturangaben ebd. Zu Schönfeld die Zusammenstellung durch Stefan Sonderegger, in: Germanistik 8, 1967, S. 250f. Ernst Gamillscheg: Romania Germanica. Sprach- und Siedlungsgeschichte der Germanen auf dem Boden des alten Römerreichs, Band II, Berlin/Leipzig 1935, S. 11-16. Kögel [Anm. 5], S. 44.
8
Hermann Reichert: Lexikon der altgermanischen Namen, 1. Teil: Text, 2. Teil: Register, Osterreichische Akademie der Wissenschaften. Schriftenreihe der Kommission für Altgermanistik, Wien 1987/1990, 1, s.v., 2, S. 18.
9
Reichert [Anm. 8], 1, s.v. Mit romanischer Sonorisierung und romanischem Schwund des n vor s sowie griechischem Ούλι- für *Wili-, Zu diesem vgl. Norbert Wagner: Herulische Namenprobleme. Givrus, Datius und anderes, in: B N F N . F . 16, 1981, S. 406-421, S. 412, A n m . 35. Reichert [Anm. 8], 1, s.v.
10 11
12
Chartae Latinae Antiquiores. Facsimile-Edition of the Latin Charters Prior to the Ninth Century, edited by Albert Bruckner/Robert Marichal, Part X X , Italy I, published by Armando Petrucci/Jan-Olof Tjäder, Dietikon/Zürich 1982, Nr. 704, Ζ. 85, S. 32. Reichert [Anm. 8], 1, s.v.
Ostgotische Personennamengebung
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raschen Schlüssen auf die Verwendung von Namensgliedern in der ostgotischen Personennamengebung warnt. Bei der Erfassung der Lautgestalt ostgotischer Personennamen wurde zumal von Wrede, doch auch noch von Schönfeld und späteren ein an sich längst und auch ihnen bekannter Umstand nicht genügend beachtet, daß sie nämlich in einem romanischen oder griechischen Umfeld tradiert wurden. So setzte Wrede etwa bei dem Personennamen Gevica an, daß hier ostgotisches e gegenüber wulfilanischem i stehe oder bei Amalasuentba, Sendefara, Lendant gar, daß noch Bewahrung von germanischem e vor dem Ubergang zu i vor Nasal plus Konsonant vorliege.13 Das Richtige, daß in allen diesen Fällen lediglich die Senkung von i zu e im Munde von Romanen vorgenommen wurde, sah dann etwa Moritz Schönfeld. 14 Die parallele romanische Senkung von u zu ο erwog Wrede natürlich gleichfalls nicht. So deutete er den Umstand, daß die nämliche Person in den ,Varien' Cunigastus, bei Boethius Conigastus heißt, dahin, daß die zweite Form noch das alte gotische ö, die erste das daraus entstandene ostgotische ü aufweise.15 Da die beiden Formen zeitgleich sind, ist dies auszuschließen. Bei Berücksichtigung der romanischen Senkung wird augenscheinlich, daß für die ostgotische Namensform von einem u auszugehen ist. Ein weiterer von Wrede16, in seinem Gefolge etwa auch von Schönfeld 17 und Gamillscheg18 verkannter lautlicher Vorgang wird noch in der neuesten Auflage der im akademischen Unterricht meistbenutzten Gotischen Grammatik, nämlich der von Wilhelm Braune und Ernst A. Ebbinghaus, folgendermaßen referiert: „Für inlautendes p steht in Eigennamen bei gr. und lat. Schriftstellern oft d neben th, was auf spätere Erweichung schließen läßt (...); .,.". 19 Mit diesem seinem ostgotischen Ubergang von p in die entsprechende tönende Spirans erklärt Wrede das Nebeneinander von Theodahat(h)us und -hadus, von Nanduin, Nanderit, Gudinandus gegenüber -nantha, von Gund- gegenüber -suentha.20 Das Schwanken ist ihm abermals ein Zeichen für den eben stattfindenden Wandel, der dann in etwa später im Althochdeutschen seine Entsprechung hätte. Gegen diese Erklärung spricht nun etwa, daß Jordanes noch um a. 550 den Namen seines Dienstherrn Gunthigis mit dem korrekten p wiedergibt.21 Was tatsächlich vorliegt, wird vollends deutlich beim Vergleich zwischen der eigenhändigen
13 14 15 16 17 18
" 20 21
Wrede [Anm. 2], S. 74; S. 66, 134, 154f., 162f. Schönfeld [Anm. 3], S. XVIIIf. und s. w . Wrede [Anm. 2], S. 83, 164. Wrede [Anm. 2], S. Uli. Schönfeld [Anm. 3], s.v. *Theudabathus, Nanduin. Gamillscheg [Anm. 6], S. 40. Wilhelm Braune/E.A. Ebbinghaus: Gotische Grammatik, Tübingen "1981, § 70, Anm. 2. Wrede [Anm. 2], S. 171f., 89, 108, 156, 123. Reichert [Anm. 8], 1, s.v.
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in gotischer Sprache und Schrift abgefaßten Unterschrift Ik Sunjaifripas diakon und der Erwähnung als Suniefridus im lateinischen Text der im Original erhaltenen Urkunde von Neapel, die a. 551 zu Ravenna ausgefertigt wurde.22 In allen diesen Fällen liegt die Sonorisierung im Munde von Romanen vor. Wenn in der gleichen Urkunde einem eigenhändigen Ik Wiljarip - nicht -reift - , bokareis, im lateinischen Text Wiliarit gegenübersteht,23 so zeigt dies, daß die gotische Auslautverhärtung noch funktionierte, und daß vulgärlateinisch t für f> substituiert wurde. An dieser gotischen Unterschrift ist ferner zu ersehen, daß bei Wiljarip das alte Nominativ-s fehlt, das beim danebenstehenden bokareis noch da ist. Letzteres ist wulfilanisches Gotisch, der Name davor aber spätostgotisch, allerdings nicht, wie Wrede meinte,24 mit Abfall des Nominativ-5, sondern mit altem Akkusativ nunmehr bei den vokalisch flektierenden Maskulina auch in der Funktion des Nominativs. 25 Die Beachtung der soeben skizzierten romanischen Erscheinungen und weiterer verhilft nun aber auch zu ganz neuen Etymologien innerhalb der ostgotischen Personennamengebung, was an einigen Fällen demonstriert werden soll. Da ist etwa der Name des Königs Witigis (a. 536-540). Er erscheint auf den Münzen und in den historischen Quellen als Vitigis, -ges, Wittegis.2b Die Doppelschreibung, das im übrigen durchstehende t führte zur Uberzeugung, daß von einem gotischen t beim Erstglied auszugehen sei, dieses also nicht mit dem des Amalers Vidimer oder des Witege der Dietrich-Sage oder des westgotischen Sagenhelden Vidigoia gleichzusetzen sei. Vielmehr entspreche jenes Erstglied V(v)it(t)i- an. viti, ae. wite, as. witi, ahd. wig(g)i .Strafe'.27 Dies wäre dann allerdings der einzige Fall der Verwendung dieses Appellativums in der Namengebung und somit etwas spezifisch Ostgotisches.
22
ChLA, Part X X [Anm. 11], Nr. 704, Z. 94, 82, S. 32.
23
ChLA, Part X X [Anm. 11], Nr. 704, Z. 136, S. 36, Z. 85, S. 32. Wrede [Anm. 2], S. 176-181. Norbert Wagner: Zum -s-losen Nominativ Singular des Maskulinums im späten Ostgotischen, in: B N F N . F . 19, 1984, S. 145-154. Reichert [Anm. 8], 1, s.v., 2, S. 44.
24 25
26 27
Vgl. bloß etwa Julian Kremer: Behandlung der ersten compositionsglieder im germanischen nominalcompositum, in: Beiträge zur Geschichte der deutschen Sprache und Literatur 8, 1882, S. 371-460, S. 455; Wrede [Anm. 2], S. 95; Schönfeld [Anm. 3], s.v. Vitigis-, Ferdinand Holthausen: Gotisches etymologisches Wörterbuch mit Einschluß der Eigennamen und der gotischen Lehnwörter im Romanischen, Heidelberg 1934, s.v. *weiti, S. 133, s.v.; Joseph M. Piel/Dieter Kremer: Hispano-gotisches Namenbuch. Der Niederschlag des Westgotischen in den alten und heutigen Personen- und Ortsnamen der Iberischen Halbinsel, Heidelberg 1976, § 315; Reichert [Anm. 8], 2, S. 654f.
Ostgotische Personennamengebung
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Nun heißt der Vater des Amalers Euthancus bei Jordanes einmal Vitincho (Dat.), sonst stets Vetericus.1* Daß jenes ch lediglich Graphie für gotisches k etwa nach dem Vorbild von lat. brachium ist, liegt auf der Hand. Das Verhältnis der e in Vete- zu den ι in Viti- erklärt sich durch die romanische Senkung. Der zu erschließende Großvater ist der von Ammian als Greuthungorum rex ge29 nannte Videricbus, als dessen Vater er den König Vithimiris nennt. Daß diese drei Namen zueinander im Verhältnis der Zweitgliedvariation stehen, ist offensichtlich. Demnach sind Viti-, Vete-, Vide- und Vithi- lediglich Graphien des nämlichen Erstglieds und das Viti- von Viti-gis ist ihnen zuzugesellen. Für das Vide- dieser Reihe gibt es nun aber eine glatte etymologische Verknüpfung, nämlich mit dem in der Personennamengebung sehr gebräuchlichen ae. as. widu, ahd. witu ,Wald'. Allerdings steht mit roman. e für got. i ein nicht der -u-, sondern der -z-Deklination entsprechender Fugenvokal. 30 Dasselbe ist bei Pili-, Feli-, Fele-tbanc gegenüber wulfilan. filu ,viel' oder bei Fridi-badus* gegenüber *frif)us zu beobachten. Offensichtlich sind diese -«-Stämme spätostgotisch in die -^-Deklination überführt worden. 31 Da der Dental bei Vide- genau dem von ae. widu entspricht, so ist das t in dem korrespondierenden Viti- als hyperkorrekte Graphie zu werten, die sich bei einem romanischen Schreiber in der Reaktion auf seine ihm vertraute romanische Sonorisierung einstellte. Zu erklären bleibt dann allerdings noch das th in Ammians Vithimiris. Nun schreibt Ammian in Videricbus hyperkorrektes ch für gotisches k, in Greuthungi zu an. grjot, in Thervingi zu an. tjara hyperkorrektes th für gotisches i, 32 in Vithimiris dann ebenso für t, das hyperkorrekt für gotisches \d\ steht. Ostgotisches Vidi-, auch Viti- geschrieben, entspricht also genau ahd. Witt- > mhd. Wite- in Witege, Witegis(en), Witegouwe, die im mittelhochdeutschen Epos von Dietrichs Flucht sogar dicht hintereinander als Ermenrichs Mannen aufgeführt sind. 33
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Reichert [Anm. 8], 1, s.v. Norbert Wagner: König Theodahad und die amalische Namengebung, in: BNF N.F. 21, 1986, S. 433-450, S. 443-446; Reichert [Anm. 8], 1, s. w . Ferdinand Holthausen: Altenglisches etymologisches Wörterbuch, Heidelberg '1934, 3 1974, s.v.; Norbert Wagner: Sisebutus, Hosbut, Witiza und andere. Zu romanischen Einflüssen auf gotische Personennamen, in: BNF N.F. 27, 1992, S. 268-289, S. 277f. und Anm. 75. Reichert [Anm. 8], s. w . ; Norbert Wagner: Der Name des Rugierkönigs Flaccitheus, in: BNF N.F. 27, 1992, S. 293-295; zu Pili-, Felethanc: Chartae Latinae Antiquiores. FacsimileEdition of the Latin Charters Prior to the Ninth Century, edited by Albert Bruckner (f)/ Robert Marichal, Part X X I X , Italy X, published by Jan-Olof Tjäder/Francesco Magistrale/ Guglielmo Cavallo, Dietikon/Zürich 1993, Nr. 880, Ravenna, a. 553, Z. 52, S. 96, Z. 63, 66, 69, 73, S. 98, Z. 77, 80, S. 101. Norbert Wagner: Getica. Untersuchungen zum Leben des Jordanes und zur frühen Geschichte der Goten, QuF N.F. 22, Berlin 1967, S. 172-175, 239-248. Vgl. Norbert Wagner: in: Anzeiger für deutsches Altertum 86, 1975, S. 66; Ders. [Anm. 30], S. 278.
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Norbert Wagner
Ein weiteres Beispiel für das bei der Etymologie ostgotischer Personennamen zu beobachtende romanische Umfeld sei jener Urkunde von Neapel entnommen. Da erscheint der Presbyter, der gotisch mit Ik Ufitahari, papa, unterschreibt, im lateinischen Text als Optarit.iA Das i in Ufita- war für Wrede ein Schreibfehler. Ferner war ihm der Fugenvokal bereits synkopiert, denn der Ersatz des Zweitgliedes -hari ,Krieger' durch -rith mit dem spätgotischen Ubergang von e zu ϊ für wulfilan. *-rep-s, *-red-is ,Rat' sei nur möglich, wenn bereits ein *Uft-ari einem aus Optant gefolgerten *Ufta-rith gegenüberstehe. Wenn nun der Presbyter als *Uftahari doch mit Fugenvokal unterschreibt, dann ist für Wrede dies eben historische oder etymologische Graphie. 35 Es läge hier also dann ein Fall von Zweitgliedaustausch vor. Zuallererst ist zu bemerken, daß das i in Ufita- seine Existenz dem spätgotischen Phänomen des Sproßvokals verdankt, wie es etwa im Valaravans der Amalerstammtafel gegenüber wulfilan. *Walahrabns vorliegt. 36 Eine genaue Entsprechung zu jenem Sproßvokal i findet sich im Namen von Aetius' Schwiegersohn, den Jordanes, seiner griechisch beeinflußten Quelle folgend, zunächst Thraustila schrieb, danach erklärend fi über das u setzte, womit er aussagen wollte, daß es spätgotisch *Thrafistila für wulfilanisches *Prafstila zu sprechen sei. Ein Kopist machte daraus jenes Thraufistilawelches Mommsens kritischer Text bietet. Bei Thraustila steht au für αυ, welches spätgriechisch mit αφ wechseln kann. 37 Da nun spätgotisch bei den vokalisch flektierenden Maskulina der Akkusativ die Funktion des Nominativs übernimmt, entspricht dem wulfilan. Akk. *Uftahari genau - mit Sproßvokal - spgot. Ufitahari. Die Latinisierung bewirkt die Graphie pt für gotisches ft. Die romanische Aussprache läßt das u zu ο werden und bei -hari das h schwinden. Dies alles zusammen bewirkt ein *Optari. Dem Schreiber der Urkunde Deusdedit war gewiß geläufig, daß sein Name vulgär Deusdede gesprochen wurde.38 In der Meinung, in *Optari einen analogen Vulgärfall vor sich zu haben, den es durch Anfügung jenes t hochsprachig zu machen gelte, schrieb er alsdann Optarit. Die spätgotische und die lateinisch-romanische Form reflektieren somit denselben Namen, dem etwa ahd. Oft-heri genau entspricht. 39
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ChLA, Part X X [Anm. 11], Nr. 704, Z. 88, 82, S. 32. Wrede [Anm. 2], S. 98f., 185. Schönfeld [Anm. 3], s.v.
Norbert Wagner: Optila *, A ccila *, Thraufistila * und die Gaut(h)igoth. Ein Beitrag zur Urheimat der Goten, in: B N F N . F . 29/30, 1994/95, S. 358-370. ChLA, Part X X [Anm. 11], Nr. 704, Z. 73f„ S. 30; Norbert Wagner: Lat.-got. Boherde (Gen.), in: B N F N . F . 29/30, 1994/95, S. 160-163, S. 161, Anm. 10. Ernst Förstemann: Altdeutsches Namenbuch, 1. Band: Personennamen, Bonn 2 1900, Sp. 1475.
Ostgotische Personennamengebung
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Das Zweitglied eines Σιαποϋοίρ bei Prokop veranschlagte Wrede als wulfilan. wars .behutsam'.40 Schönfeld emendierte zu *Σιαπ-ονάριος und verglich mit an. skip-veri ,Schiffsmann'.41 Durch Theodor v. Grienberger wird mit wulfilan. *Skipwards, ae. scipweard verglichen und mit -d-Verlust im Auslaut gerechnet.42 Allerdings erklärt er diesen Verlust nicht. Es ist offensichtlich, daß der Dental spätgotisch im absoluten Auslaut stand und wegfiel, um den Namen einem Romanen mundgerecht zu machen.43 Prokop kam er also durch romanische Vermittlung zu. Beachtung des romanischen Umfelds verhilft etwa auch im Falle des Frauennamens Ranilda * in den ,Varien' zur korrekten Etymologie. Er hat ein Gegenstück in dem Ranihilda * einer Papyrusurkunde.44 Nur ist die erstere Form mit dem romanischen ^-Ausfall und der daraus resultierenden Synkope noch stärker romanisiert. Zwischen Wredes Zuordnung des Erstgliedes zu an. rani ,Eberschnauze, keilförmige Schlachtordnung, cuneus'45 und der Schönfelds zu *rahnin aisl. ran ,Raub', ahd. *rakanen ,rauben', zum bi-(h)rahanen ,spoliare' des Hildebrandslieds,46 schwankte noch Ferdinand Holthausen.47 Hermann Reichert ordnete den Namen in seinem Etymologischen Register unter einem mit Fragezeichen versehenen ran- ein.48 Beide Vorschläge haben keine einwandfreien Entsprechungen in germanischen Personennamengliedern. Vielmehr bewirkte die schwache Artikulation des g, daß sich für -gn- die vulgäre Schreibung n(n) einstellen konnte. Deshalb steht etwa in einer Papyrusurkunde aus Italien von a. 557 a Rosamud, qui Faffo connominatur,49 Auf diese Weise ist Ranilda aus Ragnilda geworden. Es liegt hier also dasselbe Erstglied vor wie etwa in einem ' Ρά-γναρις bei Prokop. 50 Bei diesem setzte es Wrede richtig mit wulfilan. ragin gleich und nahm für die Umgestaltung spätgotische Synkope an.51 Es liegt jedoch jene romanische Synkope vor, welche etwa germ. *Angila-
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Wrede [Anm. 2], S. 145, 82f. Schönfeld [Anm. 3], s.v. Theodor v. Grienberger: Rezension von Schönfeld [Anm. 3], in: Indogermanische Forschungen, Anzeiger 32, 1913, S. 42-54, S. 49. Zum Phänomen Wagner [Anm. 30], S. 288. Reichert [Anm. 8], 1, s.v.; Chartae Latinae Antiquiores. Facsimile-Edition of the Latin Charters Prior to the Ninth Century, edited by Albert Bruckner/Robert Marichal, Part XVII, France V, published by Hartmut Atsma/Robert Marichal/Jan-Olof Tjäder/Jean Vezin, Dietikon/Zürich 1984, Nr. 652, Ravenna, a. 564, col. II, Z. 4, S. 13: Ranihildae (Gen.); Wagner [Anm. 30], S. 286. Wrede [Anm. 2], S. 132. Schönfeld [Anm. 3], s.v. Holthausen [Anm. 27], s.v. *ran-. Reichert [Anm. 8], 2, S. 589. ChLA, Part X X [Anm. 11], Nr. 712, Rieti, Z. 79, S. 108.
50
Reichert [Anm. 8], 1, s.v, 2, S. 550.
51
Wrede [Anm. 2], S. 150f., 186.
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Norbert Wagner
zu Angli bei Papst Gregor dem Großen und zu Angle· im Anglevarii der ,Notitia dignitatum' werden ließ.52 Den originalen ostgermanischen Lautstand repräsentiert der Wandalenname RaginanP Dessen Zweitglied ist spogerm. -hart .Krieger'.54 Es liegt auch im -(α)ρις jenes 'Ράγ^αρις vor, welches sein Sigma durch die Gräzisierung erhielt. Man hat bisher gemeint, Prokop habe dabei spgot. -rip, zu wulfilan. *-rep-s ,Rat', gräzisiert.55 Die bei Wrede fehlende Ranilo* einer Papyrusurkunde56 ist lediglich Kurzform auf -Ho von einem Namen mit *Ragin(a)-. Für das Erstglied von Σισίφριδος, Σίσι^ις, Sesivira/Sisevera/Sisevira ist bisher stets Verknüpfung mit ahd. sisu stM ,nenia; Totenlied' befürwortet worden.57 Das Bedenkliche daran ist, daß es in guter germanischer Personennamenüberlieferung nicht vorkommt und seine Bedeutung es als dafür nicht geeignet erscheinen läßt. Erwägt man wiederum das romanische Umfeld, dann läßt sich romanische Palatalisierung von Sigi- veranschlagen, die ihren graphischen Ausdruck in Sisi- findet. Daraufhin ergibt sich, daß in der ostgotischen Namengebung neben dem -e5-/-oi-Stamm Sigis- wie etwa im Sigismerem (Akk.) der ,Varien', zu wulfilan. sigis,5* dieses Sigi- zu stehen vermag. Eine genaue Entsprechung zu diesem Nebeneinander stellt der -es-/-os-Stamm *hröpis in wgot. 'Ροΰβστβου (Gen.) neben dem -i-Stamm in ogot. Ruderic mit spgot. ü < ö dar.59 Aus Ματασοϋνϋα bei Prokop, Matesuentha * im ,Additamentum' zu Marcellinus comes, meist Mathesuenta bei Jordanes wird als Name von Amalasuinthas Tochter *Matbasuintha hergestellt, für dessen Erstglied sich bisher keine überzeugende germanische Etymologie beibringen ließ.60 Offensichtlich haben bei Jordanes Kopisten das alte t des Erstgliedes mit dem alten tb des Zweitgliedes vertauscht, so daß auch für ihn das alsdann in den Konsonanten zu den Formen bei Prokop und im ,Additamentum' passende Matesuentha herzustellen ist. Das
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Reichert [Anm. 8], 1, s. w . , 2, S. 18. Reichert [Anm. 8], 1, s.v. Rudolf Much: Harii, in: Reallexikon der Germanischen Altertumskunde, 2. Band, Straßburg 1913-15, S. 450f. ; Wagner [Anm. 29], S. 445. Vgl. etwa Wrede [Anm. 2], S. 89; Schönfeld [Anm. 3], s . w . Ragnaris, Dagaris. ChLA, Part X X I X [Anm. 31], Nr. 880, 2 . 62, 65, 68, 72, S. 98, 2 . 76, 79, S. 100: a Ranilone. Schönfeld [Anm. 3], s. w . Sisifridus, Sisigis, *Sesithancus\ Wrede [Anm. 2], S. 138, 105-107, 152. Bei beiden weitere Literatur. Reichert [Anm. 8], 1, s.v. 2 u den Belegen Reichert [Anm. 8], 1, s . w . , 2, S. 37. Vgl. ferner Norbert Wagner: Mhd. Rüede-ger : ahd. Hruod-ger. Das Problem seines Umlauts, in: B N F N . F . 24, 1989, S. 322331, S. 325-329. Vgl. Wrede [Anm. 2], S. 96f.; Schönfeld [Anm. 3], s.v. *Mathasuintha. Bei beiden weitere Literatur.
Ostgotische Personennamengebung
49
einfachste ist dann, romanischen ^-Schwund vor dem t anzusetzen und daraufhin das Erstglied wulfilan. mahts Fi ,Macht' zuzuordnen. 61 Den Frauennamen Sifilo* verknüpft man mit wulfilan. sifan swV 3 ,sich freuen', 62 was einen singulären Fall ergibt. Faßt man die Graphie / als hyperkorrekte Reaktion auf die romanische Sonorisierung, dann steht sie für ogot. woraufhin mit wulfilan. sibja Fjö ,Sippe' wie etwa auch in Sibia der ,Varien' zu verknüpfen ist.61 Ein Igila der Urkunde von Neapel, der sich auch Danihel nennt und lateinisch unterschreibt, hat nichts mit einem Igel zu tun. 64 Wie seine Schreibung nuc eine Zeile weiter für nunc zeigt, hat er Igila statt korrektem Ingila geschrieben, und dies ist eine Deminutivform auf -ila zu einem zweigliedrigen Personennamen mit dem Erstglied germ. *Ingwaz, wulfilan. *Iggws.es In den ,Varien' finden sich zwei ziemlich zeitgleiche Schreiben, die an den gleichen Adressaten gerichtet sind. Im einen erscheint er als Toluin, im andern als Tuluin.66 Das Zweitglied ist natürlich spgot. -wm, wulfilan. '''wins .Freund'. Für Toi- gibt es den Vorschlag, es zu an. toi .Werkzeug' zu stellen. 67 Für Tulwird Zuordnung zu wulfilan. fiulan swV 3 .dulden' erwogen.68 Veranschlagt man, daß sich ο durch die romanische Senkung aus ostgotischem u und t als lateinische Substitution für ostgotisches f> einstellte, dann bietet es sich an, mit an. fculr ,Kultredner, Dichter', ae. dyle ,Sprecher, Spaßmacher' < germ. *fiuliz Mi zu verknüpfen. 69 Innerhalb der germanischen Namengebung stellt dies bis jetzt den einzigen Fall seiner Verwendung dar.
61
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Einst von Wrede [Anm. 2], S. 96, mit dem Hinweis abgelehnt, daß mahts ein -«-Stamm sei, der schon bei Wulfila in der Komposition mabti- erfordert hätte. Es liegt indessen im e der Fuge dieselbe romanische Senkung vor, welche -suentha aus *-suintha werden ließ. Das α in der Fuge bei Prokop stellte sich offensichtlich in Analogie zu dem im N a m e n der Mutter Άμαλασοϋνϋα und des Bruders Άταλάριχος anzutreffenden ein. Für die Belege Reichert [Anm. 8], 1, s. w . , 2, S. 16. Wrede [Anm. 2], S. 160; C h L A , Part X X [Anm. 11], Nr. 710, Ravenna, Mitte des 6. Jahrhunderts, Z. 14, S. 92: Sifilone (Abi.).
63
Wagner [Anm. 30], S. 275f.
64
So Wrede [Anm. 2], S. 144; Holthausen [Anm. 27], s.v.; C h L A , Part X X Nr. 704, Z. 119, S. 34, Z. 83, S. 32.
65
Wagner [Anm. 30], S. 285, A n m . 129; Ders.: Zu den Gotica der Salzburg-Wiener AlcuinHandschrift, in: Historische Sprachforschung 107, 1994, S. 262-283, S. 271.
[ A n m . 11],
66
Reichert [Anm. 8], 1, s.v.
67
Wrede [Anm. 2], S. 129.
68
Henning Kaufmann: Ernst Förstemann, Altdeutsche Personennamen, Ergänzungsband, München/Hildesheim 1968, S. 341. Bereits gesehen, doch verworfen von Wrede [Anm. 2], S. 129. Unentschieden Schönfeld [Anm. 3], s.v. Toluin. Holthausen [Anm. 27], s.v. *töl·: „ ..., viell. zu aisl. täl .Betrug, Arglist', ...".
6
' Jan de Vries: Altnordisches etymologisches Wörterbuch, Leiden 2 1 9 6 2 , 3 1 9 7 7 , s.v.; Holthausen [Anm. 30], s.v.
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Norbert Wagner
Das i etwa in Thiudigoto, Thiudimer schrieb Wrede wiederum einem spätgotischen Lautübergang zu. Das zu e abgeschwächte α in der Fuge sei noch zu i geworden. 70 Was tatsächlich vorliegt, zeigt einmal mehr der Blick auf das romanische Umfeld. In Hinsicht auf seine romanische Senkung von i zu e meinte ein romanischer Schreiber auch für jenes spätgotische e korrekt i schreiben zu müssen. Nichtbeachtung des romanischen Umfeldes hat auch zum unrichtigen Ansatz der Nominative bei Personennamen geführt. Da erschien in einer Papyrusurkunde von a. 539 etwa der Name des Gatten einer T(h)ulgilo im Genitiv Parianis. Es wurde gefolgert, der Nominativ laute wahrscheinlich Parianus und sei identisch mit dem zum Ortsnamen Parium gebildeten Adjektiv Parianus.71 Indessen ist der Genitiv in Analogie zu lat. -o, -onis gebildet und setzt daher einen Nominativ Paria voraus. D e r Mann führt also den gleichen Namen wie der Großvater des Jordanes. 72 Aus dem Genitiv Blancani in einer Originalurkunde von a. 765 aus dem langobardischen Chiusi ist nicht ein Nominativ Blancanus zu folgern, 73 sondern Bianca ,der Blanke'. 74 D e r Name scheint dem lebendigen Sprachgebrauch zu entstammen und ist nichts anderes als die Substantivierung des schwach flektierten maskulinen Adjektivs mit dem typisch gotischen Ausgang auf -a. Aus Signum f manus Ansifridani, Rieti, ca. a. 745 (749?), Ansefridani medici, Rieti, a. 752, Ansefridani gastaldii, Spoleto, a. 748, 75 ist als Nominativ Ansifrida, -e- herzustellen. Langobardisch kann dieser Name nicht sein, denn da lautet er Ansfrid.7t Jener hat sein nächstes Gegenstück in einem Namen der Papyrusurkunde von Neapel. Da unterschrieb nämlich unmittelbar hinter Ufitahari sein Genösse Sunjaifripas, jener, wie für das Spätostgotische zu erwarten, ohne, dieser mit -ί-Ausgang. Die Auflösung der Diskrepanz steckt darin, daß dieser bei seiner Unterschrift das *frifius des wulfilanischen Hochgotisch vor Augen hatte. Das herauszulösende spätgotische *Sunje-
70 71
Wrede [Anm. 2], S. 184. ChLA, Part X X [Anm. 11], Nr. 706, Ravenna, a. 539, Ζ. 21, S. 50, Anm. η; Jan-Olof Tjäder: Die nichtliterarischen lateinischen Papyri Italiens aus der Zeit 445-700. II. Papyri 2959, Skrifter utgivna av Svenska Institutet i Rom, 4°, X I X : 2, Stockholm 1982, S. 258; Lexicon totius Latinitatis ab Aegidio Forcellini ... lucubratum, ..., Tom. VI: Onomasticon auctore Iosepho Perin, Padua 1940, S. 430, s.v. Parium.
72
Reichert [Anm. 8], 1, s.v.
73
Jörg Jarnut: Prosopographische und sozialgeschichtliche Studien zum Langobardenreich in Italien (568-774), Bonner Historische Forschungen, Band 38, Bonn 1972, S. 83, Nr. 322. Norbert Wagner: Appellative aus langobardischen Personennamen, in: BNF N.F. 21, 1986, S. 67-77, S. 72, Anm. 45. Codice diplomatico langobardo, a cura di f Luigi Schiaparelli/Carlrichard Brühl, V: Le chartae dei ducati di Spoleto e di Benevento, a cura di Herbert Zielinski, Fonti per la storia d'Italia, N° 66, Rom 1986, Nr. 6, S. 29, Z. 7, Nr. 17, S. 73, Z. 7, Nr. 11, S. 53, Z. 22. Jarnut [Anm. 73], S. 53, Nr. 125, S. 283, Nr. 39.
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Ostgotische Personennamengebung
51
fnpa entsprach mit der spätgotischen Abschwächung von unbetontem -ja- in der Fuge zu -je- sowie von auslautendem unbetontem -u zu -a dem wulfilanischen Akkusativ *Sunjafrif)u, der spätostgotisch bei den vokalisch flektierenden Maskulina die Funktion des Nominativs mit übernahm.77 Die Diskrepanz zwischen Spätostgotisch und wulfilanischem Gotisch bewirkt auch das Nebeneinander von Merila in der gotischen Unterschrift und Mirica im lateinischen Text für die nämliche Person.78 Die aus Personennamen zu gewinnende Einsicht in jenen spätgotischen Ubergang von u zu α verhilft auch dazu, in Ονίσανδος b BavSaλάριος bei Prokop79 nicht die gotische Entsprechung mit Hochstufe im Suffix zu an. visundr, ahd. wisunt, wisant .Wisent' zu sehen, sondern die völlige Identität anzusetzen.80 Der zweite Name ,der Wandalen(be)krieger' ist sein Bei- oder Ehrenname. Prokop gebraucht daher im Fortgang seines Berichts stets Ούίσανδος. Den gleichen Namen Vandalarius führt ein Amaler bei Jordanes, der Cassiodor folgt.81 Er war auch bei ihm ein Ehrenname, der seinen richtigen, Videricus, verdrängt hat, ganz wie bei seinem Vater der Ehrenname Vinitharius ,der Winden(be)kämpfer' den richtigen, nämlich Vidimir,82 Ein weiterer Fall der in der ostgotischen Personennamengebung seltenen Doppelnamigkeit liegt bei Theoderichs des Großen Schwiegersohn Flavius Eut(h)aricus Cillica, auch Cilliga, im ,Auctarium Havniense' Celica, vor.83 Er war der Enkel des Vidimir, der zu den Westgoten nach Toulouse gezogen war, während Vidimirs älterer Bruder Theodemir, Theoderichs Vater, auf dem Balkan geblieben war.84 Man mag also erwägen, ob der Beiname nicht vielmehr westgotisch war. Eine überzeugende Deutung für ihn gibt es nicht. Er wurde sogar schon als nichtgermanisch angesehen.85 Cilliga, Celica neben Cillica sind bloß romanische Abwandlungen, so daß von Cillica auszugehen ist, wofür eine germanische Etymologie beizubringen ist, nämlich Zuordnung zu dem Adjektiv zimbrisch kille ,sanft, zart, zärtlich, weich, traulich', tirolerisch (im Eisacktal, Schnals) kill ,heimlich, vertraut, sanft', nnorw. kjaela ,Zärtlichkeit, Weichheit'. kille ist zurückzuführen auf ahd. *killi Adj. ja, wulfilan. *kills Adj. i < idg.
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Norbert Wagner: Die Flexion des Langobardennamens Ansefrida, in: B N F N . F . 22, 1987, S. 47-52; für unbetontes u zu α ferner Wagner [Anm. 65], S. 269, Anm. 24. Norbert Wagner: Thela/Okla*, Tzeiouk und ähnliche, in: B N F N . F . 28, 1993, S. 127-138, S. 132f. Reichert [Anm. 8], 1, s.v. Vgl. bei Wagner [Anm. 77], S. 50, Anm. 24. Reichert [Anm. 8], Wagner [Anm. 29], Reichert [Anm. 8], Wagner [Anm. 29],
1, s.v. S. 444f. 1, s. w . S. 443f.
Vgl. Wrede [Anm. 2], S. 67f.; Schönfeld [Anm. 3], s.v.; von Förstemann [Anm. 39], Sp. 368, 1395, nicht registriert; von Reichert [Anm. 8], 2, S. 491, mit einem Fragezeichen versehen.
52
Norbert Wagner
*gel-ni-s, stellt also ein -nz-Adjektiv von der Verbalwurzel *gel- ,hell, heiter glänzen', ,heiter sein, lächeln, lachen' dar. 86 Die schwache maskuline F o r m von *kills ist *killja, das Deminutiv auf -ika hiervon *killika, welches substantiviert zum Beinamen Eutharichs wird. Als Bedeutung ergibt sich etwa ,der kleine Sanfte, Trauliche', was für einen familiären Beinamen passend erscheint. Als ungermanisch gelten auch Boherde (Gen.) und Bessa, letzteres der Name eines Goten aus Thrakien, 87 also nur möglicherweise eines Ostgoten, -herde entspricht wulfilan. hairdi (Akk.) ,Hirte' mit romanischer Senkung. Bo- ist ,Gehöft'. 8 8 Bessa entspricht genau ein Franke Besso a. 531. 89 Setzt man bei beiden romanische Senkung von i zu e und expressive Konsonantengemination voraus, dann sind beide mit ahd. Biso zu vergleichen, für welches eine germanische Etymologie sehr wohl beizubringen ist. 90 In Adiud, sche Äquivalent von an.
jop,n
-ut a. 557 steckt nicht das goti-
sondern dasselbe Deminutivkonglutinat wie bei
Tzeiuk,92 nur mit Dental statt Tektal. Im Erstglied von Ademunt suffixlose Wurzel von *apal
vor. 93
liegt nicht die
Es hat vielmehr seine genaue Entsprechung
in ahd. ata-haft .fortwährend, ewig'. 94 F ü r Asinarius,
Senarius,
Triarius sind germanische Etymologien erwogen
worden, wobei als Zweitglied in der Regel wulfilan. *harjis ,Krieger' veranschlagt wurde. 95 So deutete Rudolf Much etwa Triarius als ,der drei Heere hat'
86
87
88 89 90 91
92 93 94 95
kille: Johann Andreas Schmeller/G. Karl Frommann: Bayerisches Wörterbuch, 2 Bände, München 1872/1877, 2. Neudruck Aalen 1966, I, Sp. 1236; kill: Josef Schatz/Karl Finsterwalder: Wörterbuch der Tiroler Mundarten, 2 Bände, Innsbruck 1955/1956, s.v. Zur Wurzel Julius Pokorny: Indogermanisches etymologisches Wörterbuch, I. Band, Bern/München 1959, S. 366. Zur Bildungsweise Hans Krahe/Wolfgang Meid: Germanische Sprachwissenschaft, III. Wortbildungslehre, Berlin 1967, S. 115f. Dieselbe Wortstruktur etwa bei ahd. stillt, ae. stille ,still': Frank Heidermanns: Etymologisches Wörterbuch der germanischen Primäradjektive, Studia Linguistica Germanica 33, Berlin/New York 1993, S. 550f. Reichert [Anm. 8], 2, S. 3; 1, s.v., 2, S. 21; Hartmann, in: Realencyclopädie der classischen Altertumswissenschaft 3,1, 1897, Sp. 328. Wagner [Anm. 38], S. 160-163. Reichert [Anm. 8], 1, s.v. Förstemann [Anm. 39], Sp. 308. Wrede [Anm. 2], S. 153, 67, 114; ChLA, Part X X [Anm. 11], Nr. 712, Z. 43, S. 104, Z. 58, 66, 78, S. 106. Wagner [Anm. 78], S. 131-135. So Wrede [Anm. 2], S. 151, 114; ChLA, Part X X I X [Anm. 31], Nr. 880, Z. 21, S. 90. Norbert Wagner: Adaric und ahd. atahaft, in: BNF N.F. 24, 1989, S. 310-317. So zu Asinarius etwa Kögel [Anm. 5], S. 53; in etwa Reichert [Anm. 8], 1, s.v., 2, S. 467, 535, jeweils mit Fragezeichen; anders Theodor v. Grienberger: Untersuchungen zur gotischen Wortkunde, Sitzungsberichte der phil.-hist. Classe der kaiserlichen Akademie der Wissenschaften, 142. Band, VIII. Abhandlung, Wien 1900, S. 30: zu *asnareis .Erntearbeiter'. So zu Senarius in etwa Schönfeld [Anm. 3], s.v.; ferner etwa Edward Schröder, in: Cassiodori Senatoris Variae, recensuit Theodor Mommsen, MGH Auetores antiquissimi 12, Berlin 1894, S. 499, s.v.
Ostgotische Personennamengebung
53
oder ,der selbdritt, mit zwei Knappen kämpft'. 96 Sie sind alle lateinisch. Für die lateinische Etymologie von Senarius bietet sich das lateinische Adjektiv senärius ,aus sechs Dingen bestehend' an. Dazu paßt, daß er orthodox und ein Freund des Ennodius war.97 Für lateinisch gehaltenes Moniarius98 ließe sich eine lateinische Entsprechung erst über eine Emendation zu Moni{t)anus gewinnen. Man wird daher ansetzen, er gebe spogot. *Muni-hari, zu ahd. Muni-hari wieder. Für den (TJzitftJa * in einer Papyrusurkunde wurde mit got. *titta, mhd. zitze verbunden und an einen Necknamen gedacht.100 Kögel verwarf diese Deutung, weil sie unanständig sei.101 Den gleichen Namen Tzitta führte ein Mann, der wie Belisarius ganz jung in den Dienst des magister militum praesentalis und Thronfolgers Justinian, des späteren Kaisers, trat. Dessen Name erscheint daneben als Zetas, Σίττας.102 Τ-, Th-, 2- können etwa bei der Wiedergabe des Namens des letzten Ostgotenkönigs Teia, gefallen a. 552, und eines gleichnamigen ostgotischen comes für gotisches P- Vikariieren.105 Ein S- ist dabei nicht möglich. Jener Name ist daher wie der seines Gefährten thrakisch. 104 Der Gatte jener Sifilo von der Mitte des 6. Jahrhunderts, Bilesarius,105 trägt denselben Namen wie der byzantinische Feldherr. Im ostgotischen Stammesverband führte man also auch thrakische Namen neben lateinischen, griechischen, biblischen, alanischen. Da haben etwa jene T(h)ulgilo und ihr Gatte Paria von a. 539 einen Deut(h)erius und eine Domnica zu Kindern,106 ist ein Patza mit einer Regina,107 ein Brandila mit einer Procula verheiratet.108 Der Historiker
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Rudolf Much: Rezension von Schönfeld [Anm. 3], in: Wörter und Sachen 6, 1914-1915, S. 214-230, S. 228. Wilhelm Enßlin: Theoderich der Große, München 2 1959, S. 277, 287, 290. Variae [Anm. 95], S. 497, s.v. Förstemann [Anm. 39], Sp. 1137, 762. Chartae Latinae Antiquiores. Facsimile-Edition of the Latin Charters Prior to the Ninth Century, edited by Albert Bruckner/Robert Marichal, Part X X I , Italy II, published by Armando Petrucci/Jan-Olof Tjäder, Dietikon/Zürich 1983, Nr. 716, Ravenna, a. 591, Z. 5, S. 32, Z. 71, S. 38, Z. 74f., 86, 92, S. 40, Z. 98, S. 42; Wrede [Anm. 2], S. 93, 158. Kögel [Anm. 5], S. 53f. Ernst Stein, in: Realencyclopädie der classischen Altertumswissenschaft 3A1, 1927, Sp. 404408. Wagner [Anm. 78], S. 128f. Norbert Wagner: Belisarius, in: Zeitschrift für Vergleichende Sprachforschung 97, 1984, S. 123-129. ChLA, Part X X [Anm. 11], Nr. 710, Z. 14, S. 92. ChLA, Part X X [Anm. 11], Nr. 706, Z. 6, S. 49, Z. 22, S. 50, Z. 39f., S. 52, Z. 73, S. 56, Z. 78, 85, 89, 94, S. 58, Z. 103, S. 60; Z. 5f., S. 49, Z. 22, S. 50, Z. 39, S. 52, Z. 73, S. 56, Z. 77, 80, 85, 89, S. 58, Z. 99, 103, S. 60. Variae [Anm. 95], S. 497, s.v., S. 498, s.v. Variae [Anm. 95], S. 490, s.v., S. 498, s.v.
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Norbert Wagner
Jordanes ist nach dem biblischen Fluß benannt. Emendiert man in der bekannten autobiographischen Stelle seiner ,Getica'109 cuius Candacis Alanoviiamuthis patris mei genitor Paria ... notarius ... fuit zu cuius Candacis Alano{rum ducis) Viiamuthis patris mei genitor Paria, dann gewinnt man als den Namen seines Vaters spogot. *Wigamüp, zu ahd. WTg-muot.n0 Den alanischen Namen Candac trägt ein Gote in den ,Varien'. ni Innerhalb des ostgotischen Stammesverbandes in Italien begegnen die maskulinen Namen Bauto und Boio.n2 Ihre Ausgänge auf -o gegenüber dem originär gotischen -a der maskulinen -η-Stämme weisen auf einen voralthochdeutschen Dialekt hin. Bbjo steht mit -^«-Suffix wie bei ae. Böia neben wgerm. *Bö-t>ö > ae. Böfa, as. Bövo, ahd. buobo ,Bube' und bedeutet dasselbe.113 Bauto wird hyperkorrektes t für vorahd. d haben und ist daraufhin als Kurzform zu einem Namen mit *Bauda- .Gebieter' aufzufassen.114 Beide voralthochdeutsche Namen sind am ehesten durch Donausueben vermittelt worden, die sich den Ostgoten bei ihrem Abzug vom Balkan angeschlossen hatten. Der nepos des Boio trägt dann den echt gotischen Namen Vviliarit.115 Am Ende der Darlegungen zu den Namensdeutungen ist es gewiß angebracht, nachdrücklich hervorzuheben, daß eine ganze Menge der ostgotischen Personennamen keine großen Probleme aufgibt. Das Fehlen mancher Namenglieder als spezifisch ostgotisch aufzufassen, ist gewagt. Manches davon ist bereits in dem reichen Material der westgotischen Verwandten anzutreffen. Als spezifisch ostgotisch, von dort seinen Ausgang nehmend, ist doch Amal- einzustufen. Auch Ermenrich könnte seine Verbreitung dem berühmten Ostgotenkönig verdanken, der schließlich in die germanische und deutsche Heldensage einging. Er bedeutet nicht ,Irminonenkönig', sondern ist etwa neben lat.-got. Alaricus ,Pantokrator' und in Analogie zu Irminsul, laut Rudolf von Fulda universalis columna, quasi sustinens omnia mit .universalis dominus' wiederzugeben.116 Der lat.-ostgot. Alatheusn? ist aber nicht ,aller Diener', sondern
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Iordanis Romana et Getica, recensuit Theodor Mommsen, M G H Auetores antiquissimi 5,1, Berlin 1882, § 266. Bei Reichert [Anm. 8], 1, s.v.: nicht germanisch. Vgl. immerhin Förstemann [Anm. 39], Sp. 1586, 1576, 1127. Variae [Anm. 95], S. 35, 1,37, Z. 23. Reichert [Anm. 8], 1, s. w . , 2, S. 21, s.v. Friedrich Kluge/Elmar Seebold: Etymologisches Wörterbuch der deutschen Sprache, Berlin/ New York 2 3 1995, s.v. Bube; Holthausen [Anm. 30], s.v. Böia. Anders Klaus Dietz: Mittelenglisches oi in heimischen Ortsnamen und Personennamen. II. Das Namenelement Boife) und die Etymologie von boy, in: B N F N.F. 16, 1981, S. 361-405, S. 404. Vgl. Norbert Wagner: Geno-veifa und Geno-baudes, in: B N F N.F. 22, 1987, S. 53-67, S. 64. Reichert [Anm. 8], 1, s.v. Norbert Wagner: Irmin in der Sachsen-Origo. Zur Arbeitsweise des Widukind von Corvey, in: Germanisch-romanische Monatsschrift 59, 1978, S. 385-397, S. 392, Anm. 5. Reichert [Anm. 8], 1, s.v.; Schönfeld [Anm. 3], s.v.
Ostgotische Personennamengebung
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,der alle zu Dienstleuten hat', Alaricus ist also Determinativkompositum, Alatheus ein Bahuvrihi. Hat sich die Darlegung bisher um ostgotische Personennamen im einzelnen bemüht, so ist nunmehr auf ihre Verwendung im System der verwandtschaftlichen Bezüge einzugehen. Insgesamt ist es um ausreichendes ostgotisches Material hierfür schlecht bestellt. Neben den bereits angeführten Fällen ist etwa noch das Brüderpaar Lendarit und Landant anzuführen118 oder bei König Teia sein Bruder 'AXiyepvoq und sein Vater Qpebiytpvoq*wobei zu ersehen ist, daß der Name des Vaters zu dem des Bruders in Erstglied variation steht. Für das ansonsten kümmerliche ostgotische Material entschädigt dann allerdings in etwa das wahre Prachtstück der Amalerstammtafel, mit dem sich innerhalb der Germania nur noch die der Ynglinger vergleichen kann. Sie ist in den ,Getica' des Jordanes aus der verlorenen Gotengeschichte Cassiodors überliefert und sogar noch ergänzbar.120 Hinzu kommt noch, daß selbst eine Nebenlinie über drei Generationen - Andela - Anda-gis - Gunthi-gis - überliefert ist, dank dem Umstand, daß Jordanes bei dem letzten, einem magister militum im Osten, als notarius im Dienst stand.121 Für das System ergibt sich: Der Name des Großvaters ist eine der häufigen Kurzformen mit dem Deminutivsuffix -ila, wobei wieder einmal romanisches e für gotisches ι steht. Die zweigliedrige Vollform entgeht uns also. Deren Erstglied war jedenfalls Anda·. Der Name des Sohnes steht dazu in Zweitgliedvariation, der des Enkels Gunthigis zu diesem wieder in Erstgliedvariation, wobei er in sich selbst stabt. Dies ist etwa auch bei dem vom Geographus Ravennas unter den Gothorum philosophi genannten Marcomirus der Fall. 122 Dieses Phänomen ist zwar selten, aber also durchaus nicht ausgeschlossen, wie es in der Literatur heißt. Nun aber zur großen Amalerstammtafel selbst. Als Spitzenahnen weist sie Gapt auf. Bereits Jacob Grimm hatte ihn zu ''Gaut emendiert. Das Problem dabei ist, daß die Stammtafel die spätgotische Monophthongierung von au > ο und von ai > e mit Ostrogotha < *Austra-, Oduulf < *Aud-, Ediulf < *Aidaufweist. Man sprach damals also nicht mehr Gaut, sondern Göt. In wulfilanischer Orthographie jedoch stellt sich dieses letztere als gaut dar, mit der alten Orthographie von au für nunmehriges ö aus au. Wulfilanisches u ist leicht zu wulfilanischem p zu verlesen, da es sich von diesem nur durch eine Rundung
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C h L A , Part X X [ A n m . 11], N r . 712, Rieti, a. 557, Z. 2, S. 100, Z. 48, S. 104, Z. 65f„ S. 106.
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Reichert [ A n m . 8], 1, s. w .
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Getica [ A n m . 109], § 79-81; vgl. zum Ganzen Wagner [ A n m . 29],
121
Getica [ A n m . 109], § 266; Wagner [ A n m . 29], S. 445f.
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Ravennatis A n o n y m i Cosmographia et Guidonis Geographica, edd. M. P i n d e r / G . Parthey, Berlin 1860, S. 201, Z. 16f., S. 223, Z. l l f . , S. 225, Z. 15f„ S. 226, Z. 14f., S. 2 4 6 , Z. 16f., S. 301, Z. 10f., vgl. ferner S. 213, Z. 9f., S. 214, Z. 5f., 9, S. 219, Z. 8f.
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Norbert Wagner
rechts oben unterscheidet.123 So wurde aus wulfilanischem Akkusativ *Gaut, Nominativ *Gauts, aisl. Gautr, ae. Geat, as. (ingw.) Hatha-gät in der sächsischen Origo, das vorliegende Gapt.m Dieses setzt nun allerdings voraus, daß hierbei die Hochsprache und ihre schriftliche Fixierung in der von Wulfila für sie entwickelten Schrift angewandt wurden. Dieses Umfeld der Hochsprache ist also neben dem lateinisch-romanischen gut zu beachten. Was bereits an der kurzen Nebenlinie festzustellen war, nämlich die Anwendung der Erstglied- wie der Zweitgliedvariation, ist an der Amalerstammtafel im großen Maßstab wirksam zu sehen. So heißt etwa Theoderichs des Großen Vater Theodemir, sein jüngerer Bruder Theodemund, der Neffe Theoderichs, wie ich meine,125 Sohn dieses jüngeren Bruders, Theodahad, dessen Kinder Theodegisclus und Theodenanthe. Theoderichs Töchter hießen Thiudigoto und Ostrogotho ,die Ostrogotin', die dritte Amalasuintha. Die Schwester von deren Vetter Theodahad hieß Amalaberga, Theoderichs Schwester Amalafrida}lb In diesen Fällen herrscht die Zweitgliedvariation. Theoderichs Vater war der mittlere der drei Brüder Valamir - Theodemir - Vidimir. Wie Theodemir seinen ältesten Sohn Theoderich nannte, so Vidimir den seinen, wie zu erschließen ist,127 Viderich. In beiden Fällen liegt wieder Zweitgliedvariation vor. Letzterer hat zum Sohn den Eutharich, dieser wiederum von der Amalasuintha den Athalarich. Amalarich hieß bereits dessen westgotischer Vetter, Sohn von Theodenchs Tochter Thiudigotho. In diesen Fällen liegt also Erstgliedvariation vor, wobei die hier mögliche Stabung berücksichtigt wird. Die Nachfolger des Ermanarich heißen bei Jordanes Vinitharius und Vandalarius. Dieser war der Vater jener drei Brüder Valamir - Theodemir - Vidimir. Bei Ammian heißen jene beiden Vithimiris und Viderichus. Zum Namen dieses Viderichus steht der Name des letzten der drei Brüder, also des Vidimir, in jenem nachweislichen Verhältnis der Zweitgliedvariation. Untereinander sind die drei Brüder durch Erstgliedvariation verbunden, wobei es überrascht, daß sich zwischen die beiden auf W stabenden Namen ein mit dem neuen Th- beginnender einschiebt. Eine enge Verknüpfung vom Vater Viderichus zu seinen drei Söhnen stellt sich dagegen ein, wenn man bei den Söhnen folgendermaßen ordnet: * Vidimir - Valamir - Theodemir - Vidimir, wobei anzusetzen ist, daß der erste Vidimir nach der Geburt des Theodemir starb und der danach Geborene den freigewordenen Namen Vidimir des Erstgeborenen erhielt. Der Vater des Vithimiris/Vinitharius hieß Valaravans. Von hierher stammt also das Vala- des Valamir. Die jenem vorausgehende Gene-
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Vgl. die Schrifttafel bei Braune/Ebbinghaus [Anm. 19], S. 14. Norbert Wagner: Gapt, Hunuil und die Adogit. Ein Beitrag zum gotischen Schrifttum, in: Zeitschrift für deutsches Altertum 98, 1969, S. 2-13, S. 2-7. Wagner [Anm. 29], S. 436-442, 446. Reichert [Anm. 8], 1, s. w . , 2, S. 16; Wagner [Anm. 29], S. 438. Wagner [Anm. 29], S. 443f., 446.
Ostgotische Personennamengebung
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ration, die des Ermanarich, ist wieder mit mehreren Brüdernamen besetzt, nämlich mit Ansila - Ediulf - Vultuulf.m Ansila ist Kurzform auf -ila von *Ans(i)ulf.u9 Der Vater der drei hieß Achiulf (/4gi-), dessen Bruder Oduulf. also nahezu durchgehende stabende Erstgliedvariation bei bewahrtem Zweitglied -wulf.n° Die beiden Glieder von Ermanarichs Namen fügen sich dieser seiner nächsten Umgebung nicht ein. Mit den vokalisch anlautenden Namen stabt er allerdings. Wie im Falle von Vinitharius und Vandalanus wird es sich deshalb auch bei ihm um einen Ehrennamen handeln.131 Mit dem Namen Valaravans ,Walstattrabe' begegnet neben -wulf das zweite der aus der germanischen Dichtung bekannten Tiere des Schlachtfeldes. Widu- ,Wald' ist die Wohnstätte des Wolfes.132 Neben der formalen Verknüpfung über Erst-, Zweitgliedvariation und Stabung ist also streckenweise auch eine inhaltliche Verknüpfung zu konstatieren. Die bei Jordanes gebotene Verknüpfung des Eutharich mit Ermanarich über Hunimundus -* Thonsmu(n)d -* Berimud -* Vetericus -> Eutharich erfüllt nur zwischen Thorismud und Berimud sowie Vetericus und Eutharicus die Bedingung der Erstgliedvariation. Doch selbst die kurze Nebenlinie des Andela wurde jenen Bedingungen gerecht. Dies zeigt deutlich, daß jene Linie nicht originär ist, sondern ein Konstrukt. Es stammt von Cassiodor.133 Die Nachbenennung ist in der Amalerstammtafel nicht anzutreffen. Sie stellte sich bei den Germanen erst unter dem Einfluß der Spätantike ein.134 Die Abfolge Vithimiris/Vinitharius -* Viderichus/Vandalarius -* *Widimir ist kein solcher Fall der Nachbenennung des ältesten Enkels nach dem Großvater. Sie ergab sich vielmehr als Zufallsprodukt der Zweitgliedvariation. So viel also zur ostgotischen Personennamengebung.
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Wagner 1979, S. Wagner Wagner Wagner Wagner Wagner Norbert
[Anm. 29], S. 446; Ders.: Bemerkungen zur Amalergenealogie, in: B N F N.F. 14, 26-43, S. 33. [Anm. 128], S. 39. [Anm. 29], S. 446. [Anm. 128], S. 42. [Anm. 128], S. 39f. [Anm. 29], S. 443f. Wagner: Eucherius und die Nachbenennung, in: B N F N . F . 19, 1984, S. 275-283.
Gab es ein Volk der Salier? V o n MATTHIAS SPRINGER
1. Die Salier und die Lehre von der Zweiteilung der Franken, S. 58. 2. Das Vorkommen der Wörter Salioi/Salii,
S. 60. 2.1. Die griechischen Quellen, S. 60. 2.2. Die lateinischen Quellen,
S. 64. 3. Salisches Recht, S. 70. 4. Zur Etymologie des Wortes Salier, S. 73. 5. Vom Gemeinschaftswort zum Herrschaftswort, S. 76. 6. Warum ist das Wort Salier als Völkername verstanden worden?, S. 77. 7. Das Aufkommen des Wortes salicus, S. 81)
1. Die Salier und die Lehre von der Zweiteilung der Franken Am 1. November 1870 verhandelte Bismarck im deutschen Hauptquartier zu Versailles mit dem französischen Abgesandten Adolphe Thiers, der im nächsten Jahr Präsident der Republik wurde. Während des Gesprächs ließ Bismarck eine tadelnde Bemerkung fallen, weil die Franzosen afrikanische Hilfstruppen einsetzten. Thiers erwiderte ganz erstaunt: „,Aber Sie verwenden doch auch die Ulanen! (Mais vous vous servez done tout de meme des uhlans!)' und wollte nicht glauben, daß unsere Ulanen gerade solche zivilisierten Christenmenschen wie wir alle seien," schrieb der preußische, seit 1871 deutsche Kronprinz in sein Tagebuch.1 Thiers hielt die Ulanen für einen barbarischen Volksstamm.2 Der Kronprinz gewann aus dem Vorfall den Eindruck, daß die Bildung des französischen Staatsmanns lückenhaft sei. Aber Thiers war ein geistig hochstehender, fein gebildeter und kenntnisreicher Mann. Um so lehrreicher ist sein Nichtwissen, daß es sich bei den Ulanen um eine Art von Reitern handelte, die
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Kaiser Friedrich III.: Das Kriegstagebuch von 1870/71, hg. v. H.O. Meisner, Berlin und Leipzig 1926, S. 196. Den Vorgang überliefert auch der nachmalige Reichskanzler (18941900) Fürst Chlodwig zu Hohenlohe-Schillingsfürst (siehe Anm. 2). Fürst Chlodwig zu Hohenlohe-Schillingsfürst: Denkwürdigkeiten, hg. v. F. Curtius, Bd. 2, Stuttgart und Leipzig 1907, S. 26f.: „Bismarck beklagte sich, daß die Franzosen zu ihrer Hilfe barbarische Volksstämme beigezogen hätten. Hierauf erwiderte Thiers, daß ja auch Preußen die Ulanen aufgeboten habe, in welchen Thiers auch einen wilden Volksstamm sah. Bismarck bemühte sich, ihm zu erklären, daß dies Soldaten wie die andern seien, die sich nur durch die Waffe und den Schnitt der Uniform auszeichneten, fand aber bei Thiers keinen vollen Glauben."
Gab es ein Volk der Salier?
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sich von anderen deutschen Reitern durch ihre Bewaffnung und ihre Uniform, nicht aber durch ihre Nationalität unterschieden. Liest man Darstellungen über die Völkerwanderungszeit, so fühlt man sich häufig an Thiers und die Ulanen erinnert: Sooft nämlich die lateinischen oder griechischen Quellen eine Anzahl von Germanen mit einer Sammelbezeichnung benennen, suchen viele Gelehrte hinter diesem Wort ein Volk, einen Stamm, eine „gens" oder einen „Teilstamm". Wir müssen jedoch fragen, was für eine Gruppe von Personen sich hinter der jeweiligen Sammelbezeichnung verbirgt und dürfen nicht stillschweigend voraussetzen, daß die betreffenden Personen ein Volk oder eine sonstige „ethnische" Einheit gebildet hätten. Die Aussage gilt sogar dann, wenn der Name der Gruppe von einem Volksnamen abgeleitet ist. Ich möchte die Behauptung mit einem nichtgermanischen Beispiel belegen: Der im 7. Jahrhundert n. Chr. lebende griechische Geschichtsschreiber Theophylaktos Simokattes erwähnt Quartopartboi (Κουαρτοτάρϋοί)? Die Quartoparthoi waren jedoch kein Teilvolk der Parther, sondern eiri oströmischer Truppenteil, der am Namen einer römischen Legion festhielt, nämlich der legio quarta parthica. Die wiederum hatte nicht aus Parthern bestanden, sondern ihren Namen wegen eines Sieges über die Parther bekommen. Das Beispiel zeigt zugleich, daß eine Menschengruppe nicht dem Volk anzugehören braucht, dessen Sprache ihre Bezeichnung entlehnt ist. Der Name Ulanen, der Adolph Thiers in die Irre geführt hat, entstammt einer Turksprache. Die Ulanen im deutschen Heer waren jedoch keine Angehörigen eines Turkvolks. Was für die Parther, also Iranier und für die Turkvölker zutrifft, läßt sich auch auf die Germanen anwenden. Die stillschweigende Voraussetzung, daß hinter den Sammelbezeichnungen germanischer Herkunft, die in den Quellen der Völkerwanderungszeit oder des Frühmittelalters vorkommen, nationale oder - wie man heute sagt - ethnische Einheiten zu suchen wären, hat dazu geführt, die Rechtsbücher, die von den germanischen Herrschern in den Nachfolgestaaten des römischen Reichs erlassen worden sind, als Volksrechte anzusehen: Jedes Rechtsbuch wurde einem Volk oder Stamm zugeordnet. Deutlich sichtbar wird die Denkweise am Titel der Reihe der Monumenta Germaniae Historica, die solche Schriftwerke vereint. Er lautet nämlich Leges nationum germanicarum: „Die Rechte der germanischen Stämme." Unter den betreffenden Rechtsbüchern gibt es eines namens Lex Salica und ein anderes namens Lex Ribuaria. Beide galten für Personen, die wir Franken nennen. So schien der Schluß berechtigt, daß die Salier das eine und die Ribuarier das andere fränkische Teilvolk gebildet hätten. Insofern die Ansicht auf der Lex Ribuaria beruhte, ist ihr die Grundlage entzogen, denn dieses Rechtsbuch
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Theophylaktos Simokattes: Historiae 2,6,9, hg. v. C. de Boor, Leipzig 1887, S. 80.
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Matthias Springer
stellt nach der heutigen Ansicht kein ursprüngliches Gegenstück, sondern eine Bearbeitung der Lex Salica dar. Nachdem diese Erkenntnis gewonnen war, wäre es das richtige Vorgehen gewesen, die Lehre von der Zweiteilung der Franken überhaupt in Zweifel zu ziehen. Statt dessen hat man in den wissenschaftlichen Darstellungen die Ribuarier durch die sogenannten Rheinfranken ersetzt. Auf die Rheinfranken können wir hier nicht eingehen. Vielmehr wollen wir zeigen, daß auch das Wort Salier nicht geeignet ist, die herkömmlichen Ansichten von der Untergliederung der Franken zu stützen.
2. Das Vorkommen der Wörter
Salioi/Salii
2.1. Die griechischen Quellen Nach der herrschenden Meinung sollen die Merowinger ihre Laufbahn als Könige der Salier oder „Salfranken" begonnen haben. 4 Nun bezeichnet keine, aber buchstäblich keine Quelle die Merowinger oder ihre Untertanen als Salier (griech. Sdlioi, lat. Salit). Dieses Substantiv ist der Merowingerzeit völlig fremd. (Ich rede nicht vom Adjektiv salicus.) Jean Stengers hat die auffällige Tatsache bereits 1959 hervorgehoben, wie überhaupt Wesentliches zur Salier-Frage von ihm stammt. 5 Jedoch kannten Schriftwerke des 4. und 5. Jahrhunderts das Wort Sdlioi oder Salii.6 Zuerst taucht es in dem Brief Julians des Abtrünnigen auf, den der Kaiser im Oktober oder frühen November des Jahres 361 von Naissus (Nis) aus an die Athener richtete. 7 Julian erzählt in dem Schreiben unter anderem, er habe „einen Teil des Volkes der Salier" in seine Botmäßigkeit aufgenommen (ϋπβδβξάμην μεν μοιραν του Σάλιων ίϋνους [..·]).8 Die geschilderten Ereignisse gehö-
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Η. Η. Anton: Franken, Frankenreich. Β: Allgemeine und politische Geschichte [...], in: Lexikon des Mittelalters, Bd. 4, 1988, Sp. 696. Zuletzt ders.: Franken. III. Historisches, in: Reallexikon der germanischen Altertumskunde, 2. Aufl., Bd. 9, Berlin/New York 1995, S. 417. J. Stengers: La formation de la frontiere linguistique en Belgique ou de la legitimite de l'hypothese historique (Collection Latomus, Bd. 41), Brüssel 1959, S. 26. Die Belegstellen bei M. Schönfeld: Wörterbuch der altgermanischen Personen- und Völkernamen, Heidelberg 2 1965 (= Ί910), S. 197f. und H. Reichert: Lexikon der altgermanischen Namen, 1. Teil, Wien 1987, S. 584. Zum genauen Datum: G. W . Bowersock: Julian the Apostate, London 1978, S. 60. Julian der Abtrünnige, Brief an die Athener, 280b. L'empereur Julien: (Euvres completes, Bd. 1, Texte etabli et traduit par J. Bidez, Paris 1932, S. 227. Text mit einer deutschen Ubersetzung v. F. Winkelmann und G. Chr. Hansen, in: Griechische und lateinische Quellen zur Frühgeschichte Mitteleuropas bis zur Mitte des 1. Jahrtausends u. Z., hg. v. J. Herr-
Gab es ein V o l k der Salier?
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ren wahrscheinlich in den Frühling des Jahres 358.9 355/56 war Julian von seinem Vetter Constantius II. (337-361) als Unterkaiser (Caesar) nach Gallien entsandt worden. 360 lehnte er sich gegen seinen Oberherrn auf. Der drohende Bürgerkrieg brauchte nicht ausgefochten zu werden, da Constantius 361 starb. In seinem Brief an die Athener gibt Julian einen Uberblick über sein Leben.10 Das Schreiben hat natürlich die Aufgabe, die Taten des Verfassers ins rechte Licht zu setzen und sein Vorgehen gegen Constantius zu rechtfertigen. Wenn Julian daher seine Erfolge in Gallien übertreibt, so ist das nicht verwunderlich. Unter „dem Teil des Volkes der Salier", den der Kaiser in seine Botmäßigkeit aufgenommen hat, brauchen wir uns folglich nicht allzu viele Menschen vorzustellen. Vergleichbare Begebenheiten legen die Annahme einer dreistelligen Zahl nahe.11 Julian der Abtrünnige war nicht nur Kaiser, sondern auch einer der führenden Schriftsteller und Philosophen seines Zeitalters. Obendrein war er der letzte Heide auf dem römischen Thron. Wegen dieser Eigenschaften erfreuten sich seine Person und seine Werke größten Ansehens unter den gleichgesinnten Zeitgenossen und Nachfahren, sofern sie Griechisch schrieben oder zumindest lesen konnten. Es ist daher nicht erstaunlich, daß den beiden anderen griechischen Verfassern, die von Salioi sprechen, Julians Schriften unmittelbar oder mittelbar als Vorlage gedient haben. Auch wenn keine literarische Abhängigkeit zwischen diesen Männern und dem Kaiser bestünde, bliebe die Tatsache, daß sie von Saliern nur im Zusammenhang mit Julians Taten in Gallien Kenntnis zeigen. Der zweite Grieche, der die Salier erwähnte, war der Heide Eunap.12 Wahrscheinlich veröffentlichte er die erste Fassung seines Geschichtswerks im späten 4. Jahrhundert und die zweite Fassung nach 510.13 Jedenfalls hat er Julians Werke benutzt.14 Der Kaiser war für ihn der vorbildliche Herrscher schlechthin. Es kommt auf dasselbe heraus, wenn man annimmt, Eunap habe für die Erzählung von Julians Regierung verlorene Schriften des Oribasios oder Aufzeichnungen (υπομνήματα) dieses Mannes herangezogen15, denn Oribasios war
mann, 3. Teil, Berlin 1991, S. 424-425 mit Erläuterungen auf S. 656. 9
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15
F. Paschoud, in: Zosime [Zosimos]: Histoire Nouvelle. Texte etabli et traduit par F. Paschoud, Bd. 2/1, Paris 1979, S. 76. Die autobiographischen Züge des W e r k e s betont I. Labriola: Giuliano ,1'Apostata': Autobiografia. Messagio agli Ateniesi. Sagio e traduzione di I. Labriola, Florenz 1975. D. H o f f m a n n , Das spätrömische Bewegungsheer und die Notitia dignitatum, Bd. 1 (Epigraphische Studien, Bd. 7/1), Düsseldorf 1969, S. 141. D e r Beleg fehlt bei Reichert [Anm. 6], ist aber genannt bei Schönfeld [ A n m . 6]. Paschoud, in: Zosime [Anm. 9], Bd. 3/2, Paris 1989, S. 86f. R . C . Blockley: The fragmentary classicising historians of the later Roman empire (Area. Classical and medieval texts, papers and monographs 6), Liverpool 1981, S. 24. Blockley [ A n m . 14], S. 22.
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Julians Vertrauter und Leibarzt und hatte sich auch in Gallien an der Seite des Kaisers befunden. Uberliefert ist Eunaps Geschichtswerk nur in Auszügen. Die Stelle, an der die Salier erwähnt werden, findet sich innerhalb des Verzeichnisses denkwürdiger Aussprüche, das der byzantinische Kaiser Konstantin VII. (913-959) hat anfertigen lassen. Julian habe, so heißt es hier, von der Rednertribüne herab, den römischen Truppen befohlen, keinem Salier zu nahe zu treten ([...] άτό βήματος eVerarre 'Ρωμαιοις μηδβνα Σάλιων άδικβιν [...]). Außerdem sollten seine Truppen das Land derer, die sich ergeben hatten, ebenso gut wie das eigene Gebiet behandeln.16 Nach dem Wortlaut des Auszuges muß man annehmen, Eunap habe davon gesprochen, daß Julian das Gebiet der Salier erobert hätte. Der Kaiser selber hat das mit keinem Wort gesagt. Es ist müßig, sich den Kopf zu zerbrechen, ob Eunap die Taten seines Helden ausschmücken wollte oder ob die byzantinischen Sammler des 10. Jahrhunderts Eunaps Worte mißverständlich wiedergegeben haben, denn die Leute, die auf Betreiben Konstantins VII. die Auszüge anfertigten, gingen mit ihren Vorlagen sehr großzügig um. Die dritte und letzte griechische Quelle, die von Sdlioi spricht, bildet das Geschichtswerk, das der Heide Zosimos im ersten Drittel des 6. Jahrhunderts verfaßt hat.17 Zosimos war in den betreffenden Abschnitten (und nicht nur hier) von Eunap abhängig. Im Zusammenhang mit Julians Wirksamkeit in Gallien berichtet er unter anderem Folgendes: Die Quaden, welche ein Teil der Sachsen gewesen wären, hätten „das Volk der Salier, einen Teil der Franken" von der Insel Batavia vertrieben ([...] Σάλιων έϋνος Φβάγγων άπόμοιραν [...] Zosimos 3,6,2)18, womit Zosimos - nimmt man an - die Landschaft gemeint haben soll, die heute Betuwe heißt.19 Auch die übrigen Erwähnungen der Sdlioi bei Zosimos stehen im Zusammenhang mit Julian dem Abtrünnigen: Julian sei gegen die Quaden gezogen, nachdem sie die Salier von der Insel Batavia vertrieben hätten. Er habe seinen Truppen befohlen, zwar die Quaden
16
Excerpta de Sententiis ex Eunapio 8, in: Excerpta de sententiis, hg. v. U . P h . Boissevain (Excerpta historica iussu Imp. Constantini Porphyrogeniti confecta, Bd. 4), Berlin 1906, S. 77f. Die E x c e r p t a de sententiis sind unbedingt in der Ausgabe von Boissevain zu benutzen. Boisssevain bringt nämlich Lesarten, die sogar seine Ausgabe des Cassius Dio berichtigen und auch sonst von wesentlicher Bedeutung sind. Siehe M . Springer: D e r Eintritt der Alemannen in die Weltgeschichte, in: Abhandlungen und Berichte des Staatlichen Museums für Völkerkunde Dresden, 41, 1984, S. lOlf. Text und Ubersetzung der Stellen des Eunap von J. Irmscher auch in: Griechische und lateinische Quellen zur Frühgeschichte Mitteleuropas, hg. v. J. Herrmann, 4. Teil, Berlin 1992, S. 252-253 mit Erläuterungen auf S. 519.
17
Z u r Abfassungszeit siehe Paschoud, in: Zosime [ A n m . 9], Bd. 3 / 2 , Paris 1989, S. 81. Siehe auch P. Speck: W i e d u m m darf Zosimos sein? in: Byzantinoslavica, 52, 1991, S. 1-14.
18
Zosime [ A n m . 9], Bd. 2 / 1 , Paris 1979, S. 16. D e r Text mit einer deutschen Ubersetzung von W . O . Schmitt und H . Labuske auch in: Griechische und Lateinische Quellen [...], 4. Teil [ A n m . 16], S. 398-399 mit Erläuterungen auf S. 573f.
19
Paschoud, in: Z o s i m e [Anm. 9], Bd. 2 / 1 , Paris 1979, S. 77.
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mit allen Mitteln zu bekämpfen, „hingegen keinen Salier zu töten (Σαλιων δβ μφίνα KTeivtiv) oder am Ubertritt auf römisches Grenzgebiet zu hindern; sie kämen ja nicht als Feinde ins Land, müßten vielmehr dem Druck der Quaden weichen." Daraufhin seien die Salier (οι Σαλωι) zu einem Teil auf römisches Gebiet übergetreten, während ihr anderer Teil in die Berge geflohen wäre [in der Nähe der Rheinmündung! M.S.], Alle aber hätten sich und ihr Hab und Gut dem Caesar Julian ausgeliefert.20 Weiter heißt es bei Zosimos, Julian habe sich einer großen Anzahl der Salier zum Kampf gegen die Quaden bedient (των Σάλιων πολλούς).21 Schließlich teilt uns der Geschichtsschreiber mit, Julian habe „Salier (Σαλιους), einen Teil der Quaden und einige von der Insel Batavia unter Truppenabteilungen eingereiht, die auch heute noch zu bestehen scheinen".22 Das paßt zu Julians Angabe in seinem Brief an die Athener, er habe einen Teil der Salier in seine Botmäßigkeit aufgenommen. Was es mit der Bemerkung über das Weiterbestehen der Truppenteile auf sich hat, werden wir gleich sehen. Sonst haben wir hier nicht die Aufgabe, die Mitteilungen des Zosimos über Julians Taten in Gallien im einzelnen auf ihre Richtigkeit zu prüfen. Es sei nur bemerkt, daß sie voller Ungereimtheiten, Widersprüche und Fehler sind.23 Der Vorstellungswelt des Zosimos kommt man schwerlich näher, wenn man seine Worte mit den tatsächlichen räumlichen Gegebenheiten in Einklang zu bringen versucht. Es mag ja sein, daß gut unterrichtete Verfasser unter der Insel Batavia die Landschaft verstanden haben, die heute Betuwe heißt. Zosimos war aber nicht gut unterrichtet und wird bei dem Namen Batavia an eine richtige Insel im Rhein gedacht haben, denn er schreibt ausdrücklich, Batavia wäre die größte Flußinsel, die es überhaupt gäbe. Ebenso scheint es einigermaßen gewagt, unter „den Bergen in der Nähe der Rheinmündung [...] die bewaldeten Hügel südlich von Nimwegen" zu verstehen.24 Auf diese Weise wird der Erzählung des Zosimos eine Gültigkeit zugesprochen, die ihr nicht innewohnt. Es sei nochmals betont, daß sowohl Eunap als auch Zosimos Salioi nur im Zusammenhang mit Julians Aufenthalt in Gallien erwähnen und daß diese Nennungen unmittelbar oder
20
Zosimos 3,6,3, hg. v. Paschoud [ A n m . 9], Bd. 2 / 1 , S. 16. Zosimos: N e u e
Geschichte.
Übersetz: und eingeleitet von O . Veh. Durchgesehen und erläutert v o n S. Rebenich (Bibliothek der griechischen Literatur, Bd. 31), Stuttgart 1990, S. 123. Griechische und lateinische Quellen [...], 4. Teil [ A n m . 16], S. 398-399 und S. 573f. 21
Zosimos 3,7,5, hg. von Paschoud [ A n m . 9], Bd. 2 / 1 , S. 18. Veh [ A n m . 20], S. 124. SchmittLabuske [ A n m . 16], S. 400-401 und S. 573f.
22
Zosimos 3,8,1, hg. von Paschoud [ A n m . 9], Bd. 2 / 1 , S. 19. Veh [ A n m . 20], S. 125. SchmittLabuske [ A n m . 16], S. 400-401 (mit anderer, schwerlich richtiger Ubersetzung).
23 24
Paschoud, in: Zosime [ A n m . 9], Bd. 2 / 1 S. 70 und ders., ebd., Bd. 3 / 2 , Paris 1989, S. 95. So G . C . T h . Koch: De Iuliano imperatore scriptorum qui res in Gallia ab eo gestas enarrarunt auctore disputatio, Diss. Leiden 1890, S. 41 nach Paschoud [ A n m . 9], Bd. 2 / 1 , S. 78.
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mittelbar auf Julians eigene Schriften zurückgehen, so sehr die diesbezüglichen Mitteilungen des Kaisers auch verzerrt oder mißverstanden worden sein mögen.
2.2. Die lateinischen Quellen Damit können wir zu den lateinischen Quellen übergehen. Zunächst haben wir die Notitia dignitatum zu betrachten. Sie ist ein Verzeichnis römischer Amter und Heereseinheiten, das im 5. Jahrhundert, wohl zwischen 425 und 430 angefertigt worden ist oder während dieser Jahre zumindest die letzte Überarbeitung erhalten hat. Der eine Teil des Werkes ist der westlichen Reichshälfte gewidmet, der andere der östlichen.25 Die Notitia dignitatum nennt dreimal Heereseinheiten, in deren Namen das Wort Salii vorkommt: Oriens 5,10 = 5,51: Salii (ohne nähere Angaben), die zu den auxilia palatina (einer bestimmten Truppengattung) gehörten, ferner Occidens 5,29 = 5,177 = 7,67 Salii seniores, die gleichfalls zu den auxilia palatina rechneten und schließlich 5,62 = 5,210 = 7,129 Salii (iuniores) Gallicani.2b Wir brauchen uns nicht in die Frage zu vertiefen, ob es sich tatsächlich um drei verschiedene Einheiten handelt oder ob die Dreizahl deshalb zustande kam, weil zumindest ein Truppenteil unter verschiedenen Standorten aufgeführt wurde oder weil die betreffenden Eintragungen sonst irrtümlich sind.27 Wichtig ist vielmehr folgendes: Auch diese „salischen" Truppen führen uns zu Julian dem Abtrünnigen zurück, denn sie waren seine Schöpfung.28 Dabei bedeutet es nichts Ungewöhnliches, daß Heereseinheiten des spätrömischen Reichs ihre Namen an die Bezeichnungen von Barbaren anlehnten. Allerdings erlauben die Angaben der Notitia.dignitatum nicht den zwingenden Schluß, daß die genannten Truppenteile um 425 noch zum Bestand des römischen Heeres gehört hätten, denn zumindest einige Abschnitte des Verzeichnisses waren in dieser Zeit nicht mehr auf dem laufenden. Es ist überhaupt eine Frage, was für eine Wirklichkeit die Notitia dignitatum widerspiegelt.29 Auch wenn im beginnenden 5. Jahrhundert weiterhin Einheiten bestanden, die Salii genannt wurden, folgt daraus nicht, daß ihre Angehörigen jemals „Salier" gewesen wären. Zahlreiche spätrömische Truppenteile trugen Bezeichnungen, die sich an (tatsächliche oder scheinbare) Namen barbarischer Völker anlehnten, ohne daß die Mannschaft der betreffenden Einheiten aus Angehöri-
25
A . Demandt: Die Spätantike (Handbuch der Altertumswissenschaft, 3. Abteilung, 6. Teil), München 1989, S. 24.
26
Notitia dignitatum, hg. v. O. Seeck, Berlin 1876, S. 12, 13; 116, 123, 135; 117, 124, 138.
27
Vgl. übrigens Hoffmann [Anm. 11], Bd. 1, S. 383.
28
Hoffmann [Anm. 11], Bd. 1, S. 159.
29
Demandt [Anm. 25], S. 241, Anm. 44.
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gen dieser Völker bestanden hätte. 30 Oftmals wurden Bezeichnungen einfach weitergeschleppt. In solchen Fällen hatten Namen und Sachen immerhin einmal zusammengestimmt. Zum Teil ging es jedoch noch merkwürdiger zu: Einige Einheiten haben nicht einmal zum Zeitpunkt ihrer Gründung aus Angehörigen des (tatsächlichen oder scheinbaren) Volkes bestanden, dessen Namen sie erhielten. Eben diese Absonderlichkeit läßt sich bei einer Truppe beobachten, die zusammen mit den „salischen" Abteilungen geschaffen worden ist. Die „salischen" Einheiten bildeten nämlich den einen Teil eines Truppenpaares, dessen anderer Teil gleichfalls von Julian errichtet und mit dem Namen Tubantes versehen wurde. 31 Die Aufstellung derartiger Paare von Truppenteilen war eine Eigenart der Spätantike. Nun gab es zu Julians Zeit keine Tubanten mehr. Um das neue Gebilde zu benennen, hat der Kaiser oder haben seine Ratgeber auf einen Namen zurückgegriffen, der aus der Literatur, nicht aber aus der Wirklichkeit stammte. Das Verfahren, Neuschöpfungen mit längst außer Gebrauch gekommenen Namen zu bezeichnen, kommt in der Politik häufiger vor, als man denken sollte: Zum Beispiel erhielt das 1830/31 gegründete Königreich, das die südlichen Niederlande umfaßte, den Namen Belgien, der sich seit der Römerzeit nicht mehr im lebendigen Sprachgebrauch fand, aber aus der lateinischen Literatur, vor allem den Schriften Gaius Iulius Caesars bekannt war. Das Wort Salii entnahmen Julian der Abtrünnige und seine Ratgeber allerdings nicht der Literatur. Wie es ihm zufloß, wollen wir unten betrachten. Die Notitia dignitatum gehört einer Gattung von Schriftwerken an, die im späten Altertum verbreitet war, nämlich der „Listenliteratur". 32 Es liefen alle möglichen Verzeichnisse um, die zwar jeder benutzte, die aber niemand auf den gültigen Stand brachte. Zum Teil enthielten solche Verzeichnisse veraltete Angaben. Zum Teil hatte sie ein Bearbeiter mit Ergänzungen versehen, die jüngere Verhältnisse widerspiegelten, ohne daß er die älteren Angaben gestrichen hätte. Zum Teil hatten sich grobe Irrtümer in die Listen eingeschlichen. Ein solches Verzeichnis hatte wahrscheinlich auch Zosimos zur Hand, als er meinte, daß die von Julian errichteten „salischen" Truppeneinheiten in seinen Tagen noch zu bestehen schienen (oben S. 63). Offenbar verfügte Zosimos aus seiner Tätigkeit als Staatsbeamter, als der er gewirkt hatte, über einschlägige Erfahrungen mit der Zuverlässigkeit solcher Aufzeichnungen, so daß ihm der Unterschied von Schein und Sein bewußt geworden war. Mit diesen Bemerkungen will ich durchaus nicht bestreiten, daß im 4. und 5. Jahrhundert Krieger im römischen Heer gedient haben, deren Heimat jenseits des unteren Rheins lag.
30 31 32
J. Maspero: Organisation militaire de l'Egypte byzantine, Paris 1912, S. 48. Hoffmann [Anm. 11], Bd. 1, S. 159. Demandt [Anm. 25], S. 3.
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Diese Männer brauchten jedoch keineswegs in die Truppenteile eingereiht zu werden, die Salti oder Tubantes hießen.33 Von den im engeren Sinne literarischen Erzeugnissen in lateinischer Sprache, die von Salii reden, ist zuerst das Geschichtswerk (Res Gestae) zu betrachten, das Ammianus Marcellinus während der achtziger und neunziger Jahre des 4. Jahrhunderts in der Stadt Rom verfaßt hat. Hier heißt es im Zusammenhang mit Julians des Abtrünnigen Aufenthalt in Gallien: „Nach diesen Vorbereitungen wandte er sich zunächst gegen Franken, gegen diejenigen nämlich, die der Sprachgebrauch als die Salier bezeichnet hat" (quibus patratis petit primos omnium Francos, eos videlicet, quos consuetudo Salios appellavit [...] 17,8,3).34 Was das für ein Sprachgebrauch gewesen sein soll, bleibt natürlich unklar, denn Salii war in Wirklichkeit ein ungebräuchliches Wort. Es ist nicht gesagt, daß Ammians Worte die Salii wirklich als einen Teil der Franken vorstellen sollen. Man kann ebenso gut übersetzen: „[...] wandte er sich zunächst gegen die Franken, die man gewöhnlich als die Salier bezeichnet."35 Das wäre dann so zu verstehen, als ob Amminanus Marcellinus die Namen Franken und Salier für austauschbar gehalten hätte. Die Auseinandersetzungen endeten nach Ammian damit, daß Julian „die Unterwerfung annahm" (17,8,5). Salii werden von Ammianus Marcellinus nur an dieser einzigen Stelle erwähnt. Wir finden sie demnach ebenso im Zusammenhang mit Julian dem Abtrünnigen wie bei den anderen bisher betrachteten Quellen. Ferner besteht zwischen Ammianus Marcellinus und dem Kaiser dieselbe literarische Abhängigkeit, die bei den griechischen Geschichtsschreibern zu beobachten war. Ammians Muttersprache war das Griechische. Sein Latein blieb gelinde gesagt eigenwillig. Jedenfalls hat er eine Denkschrift Julians des Abtrünnigen benutzt, als er die Taten des Kaisers in Gallien beschrieb.36 Als jüngerer Zeitgenosse des Ammianus Marcellinus wirkte der Dichter Claudius Claudianus, und zwar am weströmischen Kaiserhof. Auch er erwähnt " 34
35
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So schon H o f f m a n n [ A n m . 11], Bd. 1, S. 159. A m m i a n i Marcellini rerum gestarum libri qui supersunt, hg. v. W . Seyfarth, Bd. 1, Leipzig 1978, S. 117. Zu consuetudo als .Sprachgebrauch' siehe: I. Viansino: A m m i a n i Marcellini rerum gestarum Lexicon, Bd. 1, Hildesheim u.a. 1985, S. 309, w o auf Plinius, Naturalis historia 8,7 verwiesen wird. Vgl. also: C. Plinius Secundus: Naturkunde. Lateinisch und Deutsch, Buch VIII, hg. und übersetzt v. R. König in Zusammenarbeit mit G. Winkler, o.O. 1976, S. 19. Sinngemäß dieselbe Ubersetzung wie oben im Text v o n L. Jacob und I. U l l m a n n in: Griechische und lateinische Quellen [...], 4. Teil [ A n m . 16], S. 59. So W . Seyfarth, in: A m m i a n u s Marcellinus: Römische Geschichte, 1. Teil (Schriften und Quellen der A l t e n W e l t , Bd. 21/1), Berlin 1968, S. 2 3 1 . Seyfarth, in: A m m i a n u s Marcellinus [Anm. 35], S. 30. Bisher galt unbestritten, daß A m m i a nus Marcellinus aus Antiochia gestammt hätte. C h . W . Fornara: Studies in Ammianus Marcellinus, in: Historia, 41, 1992, S. 328-344 und 420-438 sucht die Heimat des Geschichtsschreibers dagegen im europäischen Griechenland, leugnet aber keineswegs seine Zweisprachigkeit.
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den Namen der Salier, nämlich in einem Gedicht, das er im Jahre 400 zu Lob und Preis des berühmten Feldherrn Stilicho vortrug. Folgendermaßen beschreibt Claudian die Ergebnisse einer Rheinfahrt, die sein Förderer wohl im Jahre 396 unternommen hatte: „In so geringer Zeit hast du ohne Blutvergießen eine solche Anzahl von Schlachten ausgefochten. Kurz nach dem Neumond bist du aufgebrochen und noch vor dem Vollmond zurückgekehrt. Dem trotzigen Rhein hast du die Hörner gestutzt und ihn gezwungen, so friedsam zu werden, daß jetzt der Salier Felder bestellt, der Sugambrer seine Schwerter zu Sicheln umschmiedet und der Fremde beim Anblick der beiden Ufer nicht mehr weiß, welches das römische ist. Jetzt läßt der Belger sein Vieh jenseits des Flusses weiden, ohne beim Chauken Widerstand zu finden. Das gallische Großvieh durchstreift die Berge der Franken, nachdem es mitten durch die Elbe gezogen ist. Fern in der unermeßlichen Einsamkeit des herkynischen Waldes kann man nunmehr ohne Gefahr auf die Jagd gehen; und die von uraltem Aberglauben durchschauerten Haine mit ihren Eichen, die den Barbaren als Gottheit gelten, werden von unseren Äxten ungehindert gelichtet." {De Consulatu Stilichonis liber primus, 218-231 37 : Tempore tarn parvo tot proelia sanguine nullo perficis et luna nuper nascente profectus ante redis quam plena fuit, Rhenumque minacem comibus infractis adeo mitescere cogis ut Salius iam rura colat flexosque Sygambrus in falcem curvet gladios, geminasque viator cum videat ripas, quae sit Romana requirat; ut iam trans fluvium non indignante Chauco pascat Belga pecus, mediumque ingressa per Albam Gallica Francorum montes armenta pererrent; ut procul Hercyniae per vasta silentia silvae venari tuto liceat, lucosque vetusta religione truces et robur numinis instar barbarici nostrae feriant inpune bipennes.) Für vierzehn Tage ist das eine überwältigende Leistung. Es gehörte nun einmal zu den Gepflogenheiten dieser Art von Literatur, dem Gefeierten die unglaublichsten Heldentaten anzudichten. Mit der Alba ist tatsächlich die Elbe gemeint und nicht die Schwäbische Alb (was einige Forscher angenommen haben). Claudians Nachahmer Sidonius Apollinaris, den wir noch näher kennenlernen
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Claudii Claudiani Carmina, hg. v. Th. Birt ( M G H Auetores antiquissimi 10), Berlin 1892 (ND: München 1981), S. 197, hg. v. J.B. Hall, Leipzig 1985, S. 198f. T e x t mit einer deutschen Ubersetzung von K. Treu und H . Labuske, in: Griechische und lateinische Quellen [...], 4. Teil [ A n m . 16], S. 176-177.
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werden, versetzt die Franken in die sumpfigen Niederungen des Flusses.38 Übrigens würde der Unsinn nicht geringer, wenn Claudian bei Alba an die Schwäbische Alb gedacht hätte. Zu den Unglaublichkeiten zählen auch die Namen der besiegten Völker. In Claudians Schöpfungen werden Bezeichnungen der Gegenwart mit Erinnerungen aus der Literatur der Vorzeit bunt durcheinandergewürfelt. So läßt der Dichter die Bastarnen am Rhein auftreten. Mit ihnen zusammen kommen die Cherusker und die Kimbern an die Ufer des Grenzstroms, um vor Stilicho das Haupt zu beugen: Bastarnae venere truces [...] latisque paludibus exit / Cimber et ingentes Albin liquere Cherusci?9 Die Bastarnen passen noch nicht einmal räumlich zum Rhein, geschweige denn zeitlich. Die Kimbern und Cherusker waren seit Jahrhunderten verschwunden. Das heißt, Claudian wußte gar nicht, wer oder was sich hinter den von ihm gebrauchten Namen verbarg, sondern er entnahm sie auf gut Glück seinen literarischen Vorlagen. Nun stammen die Salier bei Claudius Claudianus aus den Schriften Julians des Abtrünnigen. Schon Theodor Birt, der die Werke des Dichters 1892 herausgegeben hat, führte eine Stelle aus dem uns bekannten Brief des Kaisers an die Athener als Vorlage für die Verse 227f. von Claudians Lobgedicht auf Stilicho an.40 Bei Julian steht selbstverständlich nicht das, was der Dichter daraus gemacht hat: Der Kaiser hatte lediglich festgestellt, daß die Gallier wegen der feindlichen Einfälle nicht einmal ihr Vieh weiden lassen konnten (natürlich links des Rheins). 41 Jedenfalls hat Claudian fünf Verse zuvor die Salier erwähnt, die bei Julian 36 Zeilen später auftauchen. Es sei darauf hingewiesen, daß Claudian die Salier nicht zu den Franken gerechnet hat. Claudian war ebenso Grieche wie Ammianus Marcellinus, nur daß er sich im Gegensatz zu seinem Sprachgenossen eine geradezu unglaubliche Gewandtheit im Gebrauch des Lateinischen angeeignet hatte. Bevor er sich aufs Verfertigen lateinischer Dichtungen verlegte, hatte er griechische Verse verfaßt. Folglich war er mit der Literatur seiner Muttersprache vertraut. So können uns seine Anleihen bei Julian nicht verwundern. Von Claudian abhängig ist nun wiederum Sidonius Apollinaris. Der vornehme Herr aus Gallien veröffentlichte am 1. Januar 456 in Rom ein Lobgedicht auf den Kaiser Avitus, der nicht nur sein Landsmann, sondern auch sein
38 39
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Stengers [Anm. 5], S. 31. Panegyricus dictus Honorio Augusto IV cos., v. 450-453, hg. v. Birt, S. 167, hg. v. Hall [Anm. 37], S. 77. Vgl. Treu-Labuske [Anm. 37], S. 168-169 und S. 482. Birt [Anm. 37], S. 197. Julian an die Athener 279B, hg. v. Bidez [Anm. 8], S. 225.
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Schwiegervater war. Sidonius hatte sich am Vorbild Claudians gebildet. 42 Aber er vergröberte und verzerrte sein Muster. Nach den Worten des Sidonius hätte der Wundermann Avitus an Kampftüchtigkeit die Heruler, die Hunnen, die Franken, die Sauromaten, die Salier und die Gelonen übertroffen: „Unterdessen hast du den Aetius begleitet, der sich häufig in den skythischen Kriegen hervorgetan hatte. So waffenberühmt er war, unternahm er nichts ohne dich, du jedoch das meiste ohne ihn. Denn nach dem Sieg über die Juthungen, dem norischen Feldzug mit dem Sieg über die Vindeliker befreite er im Verein mit dir die Belger, die von den wilden Burgundern bedrängt waren. Ubertroffen wurde da der Heruler im Lauf, der Hunne im Gebrauch des Wurfspießes, der Franke in der Kunst des Schwimmens, der Sarmate in der Führung des Schildes, der Salier in der Geschwindigkeit der Füße und der Gelone in der Handhabung des Sichelschwerts [...]" Aetium interea, Scytbico quia saepe duello est edoctus, sequeris; qui, quamquam celsus in armis, nil sine te gessit, cum plurima tute sine illo. Nam post Iuthungos et Norica bella subacto victor Vindelico Belgam, Burgundio quem trux presserat, absolvit iunctus tibi. Vincitur illic cursu Herulus, Chunus iaculis Francusque natatu, Sauromata clipeo, Salius pede, falce Gelonus [...].43 Wir werden hier mit einer vollen Gabe aus dem Namenschatz der spätantiken Dichtersprache bedacht, der entfernt von jeder Wirklichkeit bestand. Er war zustande gekommen, indem die Bezeichnungen von Völkern, die sich bei den Dichtern der Vergangenheit fanden, mit Namen der Gegenwart in einen T o p f geworfen wurden, wobei die Schreiberlinge mit vielen zeitgenössischen Bezeichnungen ebensowenig eine klare Vorstellung verbanden wie mit denen der Vorzeit: Von den Vindelikern und den Gelonen hatte man seit Jahrhunderten nichts gehört. Die Erstgenannten kamen bei Horaz 8 v. Chr.) vor {carmina 4,4,18 und 4,14,8). Die Gelonen stammten aus dem Werk Vergils 19 v. Chr.) oder gleichfalls von Horaz. Beide Völker spukten beharrlich durch die epische Dichtung und finden sich auch bei Claudian. Von ihm hat Sidonius Apollinaris
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A . Loyen, in: Sidoine Apollinaire, Bd. 1. Poemes. T e x t e etabli et traduit par A. Loyen, Paris 1960, S. X . Siehe auch H.S. Sivan: Sidonius Apollinaris, Theodoric II. and Gothic-Roman politics from Avitus t o Anthemius, in: Hermes, 117, 1989, S. 85-94, bes. S. 89.
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Sidonius Apollinaris: C a r m i n a 7, 230-237. Hg. v. C h . Luetjohann ( M G H Auetores antiquissimi 8), Berlin 1887 ( N D : München 1985), S. 209, hg. v. L o y e n [ A n m . 42], S. 63. D e r Text mit einer deutschen Ubersetzung von K. Treu und H . Labuske, in: Griechische und lateinische Quellen [...], 4. Teil [ A n m . 16], S. 362-363 mit Erläuterungen auf S. 559.
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ihre Namen übernommen: den der Vindeliker aus dem Bellum Geticum (= Bellum Pollentinum) v. 365: Barbaren hätten die Waldgebirge der Vindeliker und die Pässe Norikums besetzt (Vindelicos saltus et Norica claustra tenebantJ.44 Das Sichelschwert als Waffe der Gelonen erwähnt Claudian De consulatu Stilichonis 1,110.45 Ebenso bemerkt er, daß die Angehörigen dieses Volkes sich zu tätowieren pflegten. 46 Das veranlaßte Sidonius Apollinaris, an seine Erwähnung der Gelonen drei schwer verständliche Verse über den Zweck des Tätowierens anzuschließen. Während Claudian noch wußte, daß das Gebiet der Vindeliker innerhalb der römischen Grenzen lag und daß die Gelonen nach Südosteuropa gehörten, waren Sidonius Apollinaris die Raumvorstellungen völlig abhanden gekommen. Er machte die Vindeliker zu Reichsfeinden und ließ die Gelonen in Gallien auf den Plan treten. Vor diesem Hintergrund müssen wir seine Mitteilungen über die Franken und Salier betrachten. Da Sidonius Apollinaris beide Völker nebeneinaner nennt, könnte man übrigens aus seinen Worten ableiten, daß die Salier ebenso wenig mit den Franken zu tun hatten wie die Gelonen oder die Sauromaten - sofern man gesonnen ist, den Dichter ernst zu nehmen. Damit haben wir alle Stellen behandelt, an denen Sdlioi/Salii vorkommen. Das Ergebnis ist überraschend: Von Saliern ist nur im Zusammenhang mit Julian dem Abtrünnigen die Rede. Ihre Nennung als Zeitgenossen des Claudius Claudianus und des Sidonius Apollinaris erweist sich bei näherer Betrachtung als dichterische Freiheit oder hohles Geschwätz und geht ihrerseits unmittelbar oder mittelbar auf Julian zurück. Nach Sidonius Apollinaris kommt das Wort Salii/Sdlioi überhaupt nicht mehr vor, wenn wir von der Bezeichnung des Herrschergeschlechts absehen, das von 1024 bis 1125 den deutschen Thron innehatte.
3. Salisches Recht Wie wir bemerkt haben, gelten die Merowinger und ihre Untertanen der neuzeitlichen Geschichtswissenschaft als Salier, obwohl der Merowingerzeit das Wort Salii gänzlich unbekannt war. Wir müssen also verfolgen, wie die herrschende Meinung aufgekommen ist: Das im ersten Abschnitt erwähnte Rechtsbuch namens Lex Salica ist im Merowingerreich entstanden. Einige Forscher, darunter K.A. Eckhardt, der Herausgeber des Werkes in den Monumenta Germaniae Historica, verwenden für eine seiner Fassungen den Titel Pactus Legis
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Hg. v. Birt, S. 273, hg. v. Hall, S. 252 [Anm. 37], Hg. v. Birt, S. 193, hg. v. Hall, S. 194 [Anm. 37],
In Rufinum,
1,313, hg. v. Hall, S. 25 [Anm. 37],
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Salicae, der in einigen Handschriften vorkommt. Dieser Titel beruht wahrscheinlich auf dem Irrtum eines Abschreibers. 47 Der Unterschied ist für unsere Untersuchung ohne Belang. Wenn ich Lex Salica groß schreibe, meine ich das Rechtsbuch, und zwar auch diejenige seiner Fassungen, die Eckhardt als Pactus legis salicae herausgegeben hat. Die früheste Fassung des Werkes oder seine am frühesten aufgezeichneten Teile stammen wohl aus der Spätzeit Chlodwigs (t 511). Die Uberschrift lex salica hat man als „salfränkisches Recht", „Recht der salischen Franken" gedeutet. Man wird das unangenehme Gefühl nicht los, als ob damit eine Ubersetzung der Wortgruppe lex salica (Gen. legis salicae) gegeben werden sollte. Wie wir gleich bemerken wollen, ist die Übersetzung von lex salica als „salfränkisches Recht" ebenso abwegig wie die Ubersetzung von ins civile als „zivilrömisches Recht", „Recht der zivilen Römer" oder von ius Quiritium als „quiritrömisches Recht", „Recht der quiritischen Römer". Bevor wir diesen Satz beweisen, haben wir zu klären, wie man überhaupt dazu gekommen ist, lex salica als „salfränkisches Recht" zu verstehen. Rein grammatisch gesehen, könnte man lex salica als „Recht der Salier" übersetzen, wie man ius Quiritium als „Recht der Quiriten" wiedergeben kann. Wenn man weiter annimmt, das Wort Salier hätte einen Teil der Franken bezeichnet, könnte man die Aussage treffen, daß das Recht der Salier ein fränkisches Recht wäre - so, wie man behaupten könnte, daß das ius Quiritium ein römisches Recht gewesen wäre. Dennoch bleibt die Aussage, lex salica hieße „salfränkisches Recht", ebenso unzulässig wie die Aussage, ius Quiritium hätte „quiritrömisches Recht" bedeutet. Der Begriff des „salfränkischen Rechts" setzte als Gegenbegriff das „ribuarfränkische Recht", „das Recht der ribuarischen Franken" voraus. Diesen Begriff glaubte man in der Wortgruppe lex ribuaria zu finden. Wie wir bereits wissen, ist Lex Ribuaria der Titel eines anderen Rechtsbuches, das im fränkischen Reich entstanden ist und das als Gegenstück zur Lex Salica betrachtet wurde. N u n herrscht also inzwischen Einigkeit, daß das ribuarische Recht jünger ist als die Lex Salica und daß es auf ihr beruht. Folglich kann die Wortgruppe lex salica nicht das Recht des einen fränkischen „Teilstamms" im Gegensatz zum Recht des anderen fränkischen „Teilstamms" bezeichnet haben. Ein „rheinfränkisches Recht" hat es nie gegeben. Ich muß darauf hinweisen, weil man sich seit einiger Zeit die „Rheinfranken" als Gegenstück der „Salier" denkt (siehe oben, S. 60). Das salische Recht hat während des 6. Jahrhunderts auch in dem Gebiet gegol-
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H . Nehlsen: Zur Aktualität und Effektivität germanischer Rechtsaufzeichnungen, in: Recht und Schrift im Mittelalter, hg. v. P. Classen (Vorträge und Forschungen, Bd. 23), Sigmaringen 1977, S. 454.
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ten, wo nach der gegenwärtig herrschenden Auffassung die Rheinfranken und nach der ehemals herrschenden die Ribuarier gelebt haben.48 Wir haben davon auszugehen, daß das Wort salicus nicht von einem Volksnamen abgeleitet ist. In der Lex Salica kommt nun ein Ausdruck vor, der salicus enthält, ohne daß es der Allgemeinheit einfiele, dieses Wort hier als „salfränkisch", also als ein Namenadjektiv aufzufassen. Dieser Ausdruck lautet terra salica. Mehrere Handschriften unseres Rechtsbuches (nicht alle) enthalten diese Wortgruppe.49 Eckhardt hat tatsächlich „salfränkisches Land" übersetzt.50 Er hat aber nicht angemerkt, ob er terra salica auch dann als „salfränkisches Land" verstanden wissen wollte, wenn es außerhalb unseres Rechtsbuches vorkommt. Sonst fällt es nämlich kaum jemandem ein, terra salica als „salfränkisches Land", „Land der salischen Franken" zu übersetzen oder auch nur zu verstehen - und sich wohl gar als Gegensatz dazu „ribuarfränkisches" oder „rheinfränkisches" Land zu denken.51 Wenn aber lex salica wirklich „salfränkisches Recht" bedeutet hätte, müßte es auch erlaubt sein, terra salica als „salfränkisches Land" aufzufassen. Unter terra salica versteht man aber das ,Herrenland' oder ,Herrengut' und zwar mit Recht, denn terra salica ist mit casa indominicata ,Herrenhof' austauschbar52; und selilant = terra salica bildet eine althochdeutsch-lateinische Wortgleichung.53 Bei terra salica ist sich die herrschende Meinung also einig, daß salicus nicht von einem Eigennamen, sondern von einem Begriffswort abgeleitet ist. Merkwürdigerweise geht man stillschweigend darüber hinweg, daß die Dinge bei lex salica ganz anders liegen sollen, oder man behauptet sogar, terra salica hätte etymologisch nichts mit lex salica zu tun.54 Das ist aber ein verzweifelter Ausweg aus der Schwierigkeit, daß man salicus in der ersten Wortgruppe anders übersetzt als in der zweiten. Es ist vielmehr daran festzuhalten, daß salicus in lex
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So schon E. Mayer: Zur Entstehung der Lex Ribuariorum, München 1886, S. 22, Anm. 28. Pactus Legis Salicae 59,6, hg. v. K.A. Eckhardt (MGH Leges nationum germanicarum, 4/1), Hannover 1962, S. 223. Germanenrechte, Bd. 1: Die Gesetze des Merowingerreiches 481-714, hg. v. K.A.Eckhardt, I: Pactus Legis Salicae: Recensiones Merovingicae [2. Bearbeitung], Göttingen u.a. 1955, S. 171. Vgl. auch A. Bergengruen: Adel und Grundherrschaft im Merowingerreich (Vierteljahrschrift für Sozial- und Wirtschaftsgeschichte, Beiheft 41), Wiesbaden 1958, S. 48-58, bes. S. 53. H. Krawinkel: Untersuchungen zum fränkischen Benefizialrecht (Forschungen zum deutschen Recht 11/2), Weimar 1937, S. 135, Anm. 1. N. Wagner: Der Stammesname der Salier und die .westgermanische' Konsonantengemination, in: Zeitschrift für deutsches Altertum und deutsche Literatur, 118, 1989, S. 36. R. Schmidt-Wiegand: Franken und Alemannen. Zum Gebrauch der Stammesbezeichnungen in den Leges Barbarorum, in: Person und Gemeinschaft im Mittelalter. Karl Schmid zum 65. Geburtstag, Sigmaringen 1988, S. 70.
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salica etymologisch dasselbe darstellt wie in terra salica und als Begriffswort verstanden werden muß. Schon 1926 hatte Simon Stein salicus „nicht als Eigenname[n], sondern als einen generelleren Begriff" aufgefaßt. 55 Für diese Ansicht spricht, daß lex salica in den Quellen der Merowingerzeit das Gewohnheitsrecht und nicht das Rechtsbuch namens Lex Salica meinte. Jedenfalls läßt sich keine klare Bezugnahme auf das Rechtsbuch feststellen, wenn die damaligen Schriftdenkmäler von lex salica sprechen. 56 Ahnliches gilt für die Karolingerzeit: Das Rechtsbuch hieß lex salica „nur kat' exochen". 57 Wir Heutigen können ja auch unter dem Römischen Recht alles jemals im römischen Staat geltende Recht verstehen, obwohl wir vorzugsweise an das im Corpus iuris (civilis) um 530 aufgezeichnete Recht denken - nur daß die zweite Bedeutung in diesem Fall die geläufige ist.
4. Zur Etymologie des Wortes Salier Die Behauptung, das germanische Wort, von dem das griechisch/lateinische Salioi/Salii und das lateinische salicus abgeleitet sind, habe den Wert eines Begriffsworts und nicht eines Eigennamens gehabt, läßt sich mit Hilfe der Etymologie beweisen: Im Jahre 1989 hat Norbert Wagner eben dieses germanische Wort untersucht. Er stellt fest: „In der gesamten bisherigen Diskussion ist nun allerdings ein Umstand unberücksichtigt geblieben, nämlich der, daß ein Appellativum beibringbar ist, welches dem Stammesnamen in seiner Gänze entspricht." 58 Dieses Begriffswort ist unser neuhochdeutsches Geselle, ahd. gi-sell(i)o ,Gefährte, Freund, Mitstreiter - sodalis, collega, socius; Geselle, Genösse, Kamerad [...]'.59 Auch die Form sellun (ohne das Präfix ge-) ist im Althochdeutschen belegt, und zwar als Verdeutschung von lat. socii. Die vorauszusetzende germanische Wortform ohne ge-, also *saljon bildet genau die, als deren griechische Entsprechung Salioi erscheint. 60 Nicht folgen möchte ich Wagner darin, daß er *saljon als Ableitung von *sali ,Saal, Gebäude, Haus, Scheune' betrachtet und folglich ,Hausgenosse' als die ursprüngliche Bedeutung ansieht, die sich später zu ,Geselle, Gefährte,
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S. Stein: Lex und Capitula, in: Mitteilungen des Österreichischen Instituts f ü r Geschichtsforschung, 41, 1926, S. 296. Nehlsen [Anm. 47], S. 460 und 467. Stein [Anm. 55], S. 294 und 297. Wagner [Anm. 53], S. 37. Wagner [Anm. 53], S. 39. Wagner [Anm. 53], S. 38. Zu der auffälligen Tatsache, daß Wörter, die germanisch nach der «-Deklination gingen, im Lateinischen nach der o-Deklination gebeugt wurden, siehe ebd., S. 37f.
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Freund' entfaltet hätte.61 Vielmehr möchte ich mit Jost Trier annehmen, daß beide Bedeutungen (,Saal' und .Genösse') aus einer gemeinsamen Bezeichnung für Zaun und Mannring erwachsen sind. Daß sich hinter Salii ein Gemeindeoder Genossenschaftswort verbirgt, hätte man nämlich auch behaupten dürfen, bevor Wagners Aufsatz erschienen war, da die von Trier 1948 vorgeschlagene Etymologie in dieselbe Richtung führt. 62 Nur wäre die Zustimmung ohne Wagners Beitrag sicher sehr gering geblieben. Übrigens bestreitet dieser Forscher keineswegs, daß *saljon, als es in Gestalt von Sdlioi ins Griechische übernommen wurde, die Bedeutung ,Geselle, Gefährte, Freund' hatte (und nicht mehr die von ihm angenommene ,Hausgenosse').63 Wagner hat endgültig die unglückliche Vorstellung ausgeräumt, daß Salier von einer Landschaftsbezeichnung abgeleitet wäre. Vertreter dieser Ansicht glaubten, die Salier wären nach dem Namen eines Salzsees benannt worden, der an ihr Gebiet gegrenzt hätte, und dachten dabei an die Zuidersee. In Auseinandersetzung mit Ludwig Schmidt (1862-1944), dessen „Geschichte der deutschen Stämme bis zum Ausgang der Völkerwanderung" eine unentbehrliche Stoffsammlung bildet, hatte Jan de Vries dieser Meinung schon 1958 den Boden entzogen: „Die von Schmidt vorgeschlagene Etymologie ist jedenfalls ein Hirngespinst. Die Zuidersee war damals noch gar nicht entstanden, und der See Flevum oder wie er später heißt Almere hatte süßes und gar kein salziges Wasser." Ebenso wenig stammen die Salier aus der niederländischen Landschaft Salland·. „Die ältesten Formen des Gaunamens sind 814 (in) Salahom, 968 (in pago) Salo, 960 (in pago) Salaland. Wörter wie Salahom, Salalant bedeuten gewiß nicht ,Salzheim, Salzland'. Soll man sie mit dem Volksnamen der Salii verbinden, dann doch nur in diesem Sinne, daß sie von demselben Stamm abgeleitet worden sind." De Vries hat das Wort Salier (nicht als erster) mit „*sala ,Wohnung, großes Haus, Saal', und zwar in der besonderen Bedeutung ,Burg des Landesherrn'" in Verbindung gebracht.64 Salland kommt als Gebiets- oder Flurname keineswegs nur in den Niederlanden vor. Von ihm ist der Familienname Salander abgeleitet (der auf der ersten Silbe zu betonen ist). Wir halten also fest, daß das germanische *saljon, das dem Sdlioi Julians des Abtrünnigen zugrunde lag, kein Eigenname, sondern ein Begriffswort war. Seine neuhochdeutsche Entsprechung Geselle ist es nach wie vor. Es gibt keinerlei Hinweis, daß dieses germanische Wort jemals zu einem Eigennamen geworden wäre, es sei denn, man leitet den Namen des deutschen Königsgeschlechts unmittelbar daraus ab (siehe oben, S. 70). *Saljon war ein Genossenschafts-, Ge-
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Wagner [Anm. 53], S. 39f. J. Trier: Völkernamen, in: Westfälische Zeitschrift, 97, 1948, S. 26. Wagner [Anm. 53], S. 40. J. de Vries: Einige Bemerkungen zum Sachsenproblem, in: Westfälische Forschungen, 11, 1958, S. 5f.
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meinschafts- oder Gemeindewort wie Genösse, Gefährte, Landsmann oder lateinisch socius und civis. Salicus gehört - allerdings mit lateinisch-germanischer Verschränkung — zu den *saljon wie civilis zu den cives. Sprachlich (nicht etwa inhaltlich) ist lex salica wirklich mit den Wortgruppen ius civile oder lex publica vergleichbar. Es hatte etwa die Bedeutung ,landsmännisches Recht', ,gemeines Recht'. Vor dem Schluß, lex salica als „Recht des salischen Volkes" aufzufassen, hätte die Wortgruppe selber warnen müssen. Die anderen frühmittelalterlichen Rechtsbücher außer der Lex Ribuaria verbinden nämlich in ihrem Titel Lex mit dem Genetiv eines Namens, z.B. Lex Alamannorum, Lex Saxonum usw. Es ist also bereits unter dem rein grammatischen Gesichtspunkt wenig wahrscheinlich, daß lex salica auf einen Namen Bezug nimmt. Nun kennt die Lex Salica durchaus ein „Volk", aus dessen Mitte entsprossen zu sein sie behauptet; und sie nennt es beim Namen. Es handelt sich um die Franken. Der Sachverhalt wird bei der Betrachtung des längeren Prologs des Rechtsbuches sofort deutlich. (Es gibt auch einen kurzen Prolog.) Der längere Prolog beginnt mit einer Lobpreisung der Franken: „Das erlauchte Geschlecht (,Volk') der Franken [...] das tapfer in den Waffen ist [...]" (gens Francorum inclita [...] fortis in arma [...]).65 So geht es über mehrere Zeilen weiter. Dann wird beschrieben, wie die Lex Salica zustandegekommen sein soll. Die Mitteilung ist grammatisch unklar (unabhängig davon, ob sie sonst klar ist): Dictaverunt Salicam legem per proceris ipsius gentis, qui tunc temporis eiusdem erant rectores, electi de pluribus viris quattuor his nominibus: UUisogastis, Bodogastis, Salegastis et UUidogastis [...].6(5 Der Wortlaut läßt zwei Deutungen zu: entweder daß das erlauchte Geschlecht („Volk") der Franken vermittels der vier namentlich genannten Männer dieses Recht aufgezeichnet hätte, oder daß diese Männer das Recht aufgezeichnet hätten, nachdem sie von den Großen der Franken (ipsius gentis) dazu ausersehen worden wären. Wenn man salicus auf einen Volksnamen bezieht, ergibt sich in beiden Fällen der Sinn, daß das fränkische Volk das Recht des salischen Volks hätte aufzeichnen lassen, was eine wohl zu weit gehende Form der internationalen Zusammenarbeit wäre. Die Absonderlichkeit wird nicht beseitigt, indem man die Salier als Teilstamm o.ä. des Stammes oder der Völkerschaft der Franken betrachtet. Wie hätte der Stamm der Franken das Recht nur eines Teilstammes niederschreiben lassen können? „On ne confoit pas que l'on puisse ecrire: ,L'illustre peuple franc ... a fait rediger la loi du peuple salien'. On ne con^oit pas davantage que l'on ecrive: ,Quatre hommes elus par les grands du peuple franc (ipsius gentis) ont redige la
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Lex Salica, hg. v. K.A. Eckhardt (MGH Leges nationum germanicarum, 4/2), Hannover 1969, S. 2f. Lex Salica [Anm. 65], S. 4.
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loi du peuple sahen'."67 Von welcher Seite man sich auch der Frage nähert: Das Volk der Salier bleibt ein Nebelbild. Eine bisher nicht behandelte Deutungsmöglichkeit wäre die, Salici und Franci für austauschbar zu halten. Ihr Ergebnis stünde jedoch im genauen Gegensatz zur Lehre von der Zweiteilung der Franken.
5. Vom Gemeinschaftswort zum Herrschaftswort Wie steht es aber mit der Bedeutung von terra salica ,Herrenland'?68 Terra salica ist eine jüngere Bildung als lex salica. Terra salica ersetzt nämlich das bloße terra, das in der ältesten Textüberlieferung des Rechtsbuches noch steht. „Salica hinter terra ist eine Interpolation späterer Hss."69 Salicus dürfte früh die Bedeutung ,Herren-' angenommen haben. Diese Entwicklung müßte genauer verfolgt werden. Jedenfalls können Genossenschafts- oder Gemeindewörter zu Herrschaftswörtern werden. Sie mögen der außersprachlichen Entwicklung folgen, wenn eine Gemeinde (oder eine Republik) zu einer herrschaftlich (oder monarchisch) bestimmten Gesellschaft wird. Das lateinische publicus bildet ein Beispiel: In der Kaiserzeit konnte es das bezeichnen, was dem Herrscher gehörte. Umgekehrt kann das dem Herren Gebührende oder von ihm Ausgehende das allgemein Verbindliche sein und demnach mit einem Wort bezeichnet werden, das in der Allgemeinheit zu Hause ist. Zur Veranschaulichung sei das englische general genannt, das sowohl ,allgemein' („generell") als auch ,Haupt-', ,Ober-' („General-") und ,Feldherr' („General") bedeutet. Einstmals hat das deutsche gemein sich angeschickt, einen ähnlichen Weg einzuschlagen: Wenn Moses von Luther als gemeine Person bezeichnet wurde, so wollte der Reformator ihn als Inhaber eines öffentlichen Amtes, als Vorsteher der Gemein(d)e betrachtet wissen.70 Vorzugsweise konnte der König (und vorher der römische Kaiser) als der Herr {dominus) betrachtet werden. Nun bezeichnet die Lex Salica ihre eigenen Vorschriften als leges dominicae.n „Das Salische Recht nennt sich selbst lex
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Stengers [Anm. 5], S. 28. Siehe auch H. Tiefenbach: Studien zu Wörtern volkssprachiger Herkunft in karolingischen Königsurkunden (Münstersche Mittelalter-Schriften, Bd. 15), München 1973, S. 105-108. B. Krusch: Die Lex salica das älteste deutsche Gesetzbuch (Nachrichten von der Gesellschaft der Wissenschaften zu Göttingen, phil.-hist. Kl., Fachgruppe II, N . F . Bd. 1, Nr. 1), Berlin 1934, S. 10. J. Grimm und W. Grimm, Deutsches Wörterbuch, Bd. 4/1,2 bearbeitet v. R. Hildebrand und H. Wunderlich, Leipzig 1897, Sp. 3187. Pactus legis salicae 1,1 [Anm. 49], S. 18. Krusch [Anm. 69], S. 7.
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dominica." 72 Andererseits konnte sich salicus ,Herren-' auf das beziehen, was dem König gehörte oder gebührte. Eine in Trier am Ende des 10. Jahrhunderts auf den Namen Kaiser Ottos I. (936-973) gefälschte Urkunde bezeichnet salicas decimationes decimationes
(Akk. plur.) als landessprachlichen Ausdruck für
dominicales
,Herrenzehnten' im Sinne von Zehnten, die eigentlich dem König
gehörten: [...] dominicales, quas vulgo salicas vocant decimationes, quoniam essent nostrae
regales [...]. 73 Nach Stein hat man in der Karolingerzeit unter lex salica
königliches Recht verstanden. 74
6. Warum ist das Wort Salier als Völkername verstanden worden? Offensichtlich hat nun aber Julian der Abtrünnige das Wort Salioi als „Völker"namen aufgefaßt. Die anderen Schriftsteller des Altertums, die Salioi/Salii erwähnen, sind ihrem Vorbild gefolgt. Es bleibt zu klären, wieso der Kaiser ein germanisches Begriffswort, das ,Genosse', ,Landsmann' oder Ahnliches bedeutete, in solcher Weise mißverstehen konnte. Die nächstliegende Erklärung hat zu berücksichtigen, daß Gemeinschaftswörter den Angehörigen der Gemeinschaft als Anrede dienen. Den Außenstehenden erscheinen diese Wörter dann wie ein Name und können zu guter Letzt wirklich zum Namen werden. Das Gemeinschaftswort Eidgenosse, das ursprünglich den Schweizern untereinander als Anrede dienen konnte, gilt heute als zweiter Name der Schweizer. Es wäre denkbar, daß in einigen Sprachen eine Ableitung des Wortes Schweizer und in anderen eine Ableitung des Wortes Eidgenosse zur Bezeichnung der Schweizer werden könnte. (Das Wort Eidgenosse hat tatsächlich eine sehr merkwürdige Entwicklung durchgemacht. In der Form Hugenotten ist es nämlich zur Bezeichnung eines Teils der Franzosen geworden.) Dasselbe Volk kann in verschiedenen Sprachen mit etymologisch verschiedenen Wörtern bezeichnet werden. Das nächstliegende Beispiel bilden wir Deutschen: Wir heißen bei unseren westlichen Nachbarn Allemands, bei den Slawen Nemcy, in England Germans und in Finnland Saksa. Uberhaupt weicht die Selbstbenennung von Völkern oftmals von der Fremdbenennung ab; und die Fremden wissen vielfach nicht, wie ein Volk sich selber nennt. So können wir keineswegs voraussetzen, daß allen Europäern, die von Finnen reden, der eigene Name der Finnen bekannt ist. Dasselbe gilt im Falle der Albaner oder der Grie-
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Stein [ A n m . 55], S. 296.
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D O.I. 179. M G H Die Urkunden der deutschen Könige und Kaiser, Bd. 1, S. 261, 33f. Z u der betreffenden Urkunde und diesen Zehnten siehe: T h . K ö l z e n Studien zu den Urkundenfälschungen des Klosters St. Maximin von Trier (Vorträge und Forschungen, Sonderband 36), Sigmaringen 1989, S. 52-56.
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Stein [ A n m . 55], S. 296.
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chen, um von den Chinesen und anderen asiatischen Völkern zu schweigen. Eine solche Unkenntnis kann zur Folge haben, daß zwei verschiedene Völker erfunden werden, wenn es sich um ein einziges handelt: Der russische Name für die Georgier lautet gruziny. Ein „solides Handbuch", das außerhalb der Sowjetunion erschienen war und die Bevölkerung der Sowjetunion beschreiben wollte, belehrte folglich seine Leser, daß die Georgier ein anderes Volk wären als die Grusinier und gab - natürlich - für die Georgier eine andere Bevölkerungzahl an als für die „Grusinier". 75 Was die Salier angeht, so legt das Beispiel (das keineswegs vereinzelt da steht) die Vermutung nahe, daß Sdlioi im Brief Julians des Abtrünnigen (oben S. 60f.) dieselben Leute meint, die an anderer Stelle Franci genannt werden. Den Namen Franken (griech. Frdggoi) erwähnt Julian nämlich nicht. O b Fraggoi in den verlorenen Schriften des Kaisers vorkam, bleibt unklar. Wie wir feststellen konnten (oben S. 66), hat Ammianus Marcellinus möglicherweise sagen wollen, daß die Namen Salii und Franci austauschbar seien. Julian war der erste Kaiser, den den Siegernamen Francicus führte. Mitunter läßt sich der Punkt beobachten, von dem aus ein Genossenschaftswort, weil es den Genossen als Anrede dient, zum Namen werden kann: Der seinerzeit hochberühmte Altphilologe Ulrich von Wilamowitz-Moellendorf berichtet in seinen Erinnerungen, wie im Winter 1870/71 die französischen Kinder zu den deutschen Soldaten sagten: „Lansmann, du broutte," wenn sie von ihnen Brot haben wollten. 76 Sie hatten gehört, daß die Soldaten einander mit Landsmann anredeten, und gebrauchten den Ausdruck daher wie einen Namen. Wäre den Kindern das Wort Allemands,Deutsche' unbekannt gewesen, so hätten sie leicht dazu gelangen können, lansmann als Bezeichnung der Fremden zu verwenden. Dann wäre das Wort zum Völkernamen geworden. Julian hat vielleicht zunächst nicht gewußt, wie der Name der Leute lautete, die er Sdlioi nannte. An dem Genossenschaftswort Landsmann ist besonders bemerkenswert, daß es nur in fremder Umgebung gebraucht werden kann: In meiner Heimat kann ich niemanden mit Landsmann anreden. (In dichterischen Texten braucht die Fremde nur gedacht zu sein: „Landsmann, tröstet ihr mein Weib, wenn mir was Menschliches begegnet." Schiller, Wilhelm Teil, 1,1). Wir lernen daraus, daß die einzelnen Genossenschafts- und Gemeindewörter nicht beliebig gegeneinander ausgetauscht werden können. Ihre Färbung ist verschieden. Einige, durchaus nicht alle Gemeinschaftswörter können in bestimmten Textsorten von der Gemeinschaft als Selbstbezeichnung und nicht nur zur wechselseitigen Anrede gebraucht werden. Das verleitet Unkundige zu Mißver-
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V. A. Nikonov: Völkernamen, in: BNF N . F . 25, 1990, S. 28. U. v. Wilamowitz-Moellendorf: Erinnerungen 1848-1914, zweite ergänzte Aufl., Leipzig o.J., S. 121.
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ständnissen. Vor wenigen Jahrzehnten sang man in einem Teil Deutschlands ein Lied, in dem eine Zeile lautete: „Wir sind Kameraden, schmieden das Glück." Vor mehreren Jahrzehnten sang ein Teil der Deutschen ein Lied, in dem eine Zeile lautete: „Ich bin ein Preuße, kennt ihr meine Farben?" Auf welche Schriftwerke die Gelehrten in anderthalb Jahrtausenden angewiesen sind, wenn sie sich ein Bild von der Untergliederung Deutschlands während des 19. und 20. Jahrhunderts machen wollen, wissen wir nicht. Vielleicht kommen sie in die Lage, auf Liederbücher zurückzugreifen, so wie wir dürftige Rechtsaufzeichnungen benutzen müssen, um die politischen Verhältnisse des Frankenreichs zu beleuchten. Vielleicht lehren die Stammesforscher dann, daß der Stamm der Deutschen aus den Teilstämmen der Preußen und der Kameraden bestanden hätte. Wenn wir uns die Irrtümer veranschaulichen, die zustande kommen, weil Außenstehende ein Gemeinschaftswort als einen Namen mißdeuten, so brauchen wir uns nicht mit dem 19. und 20. Jahrhundert zu begnügen. Wir finden ein Beispiel aus dem Umkreis des frühmittelalterlichen Germanentums. Das ist die Bezeichnung Stellinga·. Der Geschichtsschreiber Nithard, ein Enkel Karls des Großen, hat den Krieg beschrieben, der von 840 bis 843 zwischen dem Kaiser Lothar und seinen beiden jüngeren Brüdern Ludwig dem Deutschen und Karl dem Kahlen tobte. 841 kam es in Sachsen zu einem Aufstand. Lothar hatte die unteren Stände dort zu einer Erhebung gegen Ludwig aufgewiegelt oder zumindest versucht, den Aufruhr zu seinen Gunsten zu nutzen. „Es ist das erstemal in der Geschichte der Germanen, daß die Beherrschten als Masse und mit eigenem Willen sich geltend machten." 77 Nithard erzählt nun unter anderem, die Aufständischen hätten sich „einen neuen Namen, nämlich Stellinga zugelegt" ([...] nomen novum
sibi, id est Stellinga, imposuerunt
[...]). 78 D a s W o r t erscheint
bei ihm an weiteren drei Stellen zur Bezeichnung der Aufrührer. Ebenso spricht der Bischof Prudentius von Troyes in dem von ihm verfaßten Teil der Jahrbücher von St. Bertin zum Jahre 841 von den Sachsen, die stellingi (oder Stellinga) heißen und von denen es in diesem Volk eine große Anzahl gibt ([...] Saxonibus qui stellingi [andere Lesart: Stellinga] appellantur,
quorum multiplicior
numerus
in
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eorum gente habetur [...]). Schließlich kommt das Wort noch in den Xantener Jahrbüchern vor: „In jenem Jahr [841] erstarkte in ganz Sachsen die Macht der Sklaven über ihre Herren sehr und sie beanspruchten für sich den Namen Stellingae" ([...] et nomen sibi usurpaverunt
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Stellingas
[...]). 80 Alle drei Verfasser
G. Neckel: Adel und Gefolgschaft, in: Ders.: Vom G e r m a n e n t u m , Leipzig 1944, S. 155. (Zuerst erschienen 1916). Nithard: Historiae 4,2, hg. von E. Müller ( M G H Scriptores rerum Germanicarum in usum scholarum), S. 42, 3f. Annales de Saint Bertin, hg. v. f F . Grat, J. Vielliard u. S. Clemencet, Paris 1964, S. 38f. Annales Xantenses zum J. 841, hg. v. B. v. Simson ( M G H Scriptores rerum Germanicarum in usum scholarum [12]), S. 12.
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scheinen das Wort für einen Eigennamen gehalten zu haben. Im Gegensatz zu den anderen „sächsischen" Wörtern, die Nithard im selben Atemzug mitteilt, übersetzt er es nicht ins Lateinische. Es ist bis in unsere Tage ein Rätsel geblieben. (Man beachte übrigens die unterschiedlichen Formen, die das Wort im Lateinischen angenommen hat: stellingi und stellingae.) Erst 1980 hat N. Wagner stellinga einleuchtend erklärt, nämlich als „.Gefährten, Genossen', gewiß eine passende und treffende Bezeichnung für die Gesamtheit der Mitglieder jener zum Zweck des Aufstandes beschworenen Vereinigung [...]". 81 Nithard und erst recht der Verfasser der Xantener Jahrbücher haben eine germanische Mundart, wahrscheinlich Althochdeutsch als Muttersprache gesprochen oder zumindest beherrscht. Prudentius von Troyes stammte zwar aus Spanien. Dennoch braucht er des Althochdeutschen nicht unkundig gewesen zu sein, denn die Führungsschicht des Karolingerreichs sprach Germanisch. Trotzdem scheint keiner der drei Verfasser stellinga als Begriffswort erkannt zu haben. So darf man vermuten, daß stellinga ,Genossen' auf das Altsächsische beschränkt war, obwohl bei Otfried von Weißenburg (4,16,4) notigistallo ,Gefährte in der Not' vorkommt. 82 Möglicherweise gehörte stellinga einem Soziolekt an83, der den hohen Herren nicht geläufig war. Wir wollen den Vergleich der Stellinga mit den Salii weiterführen: Nach dem einmaligen Vorkommen als Bezeichnung sächsischer Aufständischer verschwindet das Wort stellinga ebenso, wie einst das Wort Sdlioi nach dem einmaligen Vorkommen im Zusammenhang mit Julian dem Abtrünnigen verschwunden war, nur daß im zweiten Fall der tatsächliche Sachverhalt durch den Sprachgebrauch der spätlateinischen Dichter verschleiert worden ist. In beiden Fällen leben verwandte Wörter bis in unsere Tage weiter. (Zu stellinga gehören Stall und Stelle.) Wie die Worte des Ammianus Marcellinus möglicherweise den Schluß zulassen, daß der Verfasser die Bezeichnungen Franci und Salii für austauschbar hielt (oben, S. 66), so könnten wir aus Nithards Worten [...] Saxonibus, qui se Stellinga nominaverant [...]84 ableiten, daß die Bezeichnungen Saxones und Stellinga austauschbar wären, wenn wir nicht zufällig Genaueres über die Verhältnisse in Sachsen wüßten. Schließlich könnte man die Worte des Prudentius [...] ut Saxonibus, qui se Stellingi appellantur, quorum multiplicior numerus in eorum gente habetur [...] so auffassen, daß die Stellinga einen Teilstamm der Sachsen gebildet hätten. Vor all diesen Irrtümern bewahrt uns nur, daß die Uberlieferung mehr über den Zusammenhang verrät, in den die Stellinga gehören, als über den, in dem sich die Salioi/*Saljon befanden.
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N. Wagner: Der Name der Stellinga, in: B N F N . F . 15, 1980, S. 133. Wagner [Anm. 81], S. 131. Wagner [Anm. 81], S. 131. Nithard 4,2 [Anm. 78], S. 42, 11.
81
G a b es ein V o l k der Salier?
Wenn schon Nithard und seinen Zeitgenossen ein Begriffswort einer nahe verwandten Sprache als Eigenname zu erscheinen vermochte, wie leicht konnte dann Julian der Abtrünnige in denselben Irrtum verfallen: Das Germanische beherrschte er nicht. In Gallien konnte er sich mit den ostrheinischen Nachbarn des Landes nur vermittels des Lateinischen verständigen. Nun war es um Julians Kenntnis dieser Sprache nicht zum besten bestellt. Von der schöngeistigen lateinischen Literatur hatte er gar keine Ahnung.85 Die Verständigungsschwierigkeiten legten den Mißgriff nahe, daß der Kaiser ein Gemeinschaftswort der Germanen als Eigennamen auffaßte.
7. Das Aufkommen des Wortes salicus Wir haben uns noch mit dem Wort salicus zu beschäftigen. Es ist nicht anzunehmen, daß dieses Adjektiv vom lateinischen Salii abgeleitet wurde, denn das Substantiv war ja der Merowingerzeit völlig fremd. Salicus scheint vielmehr eine planmäßige Schöpfung gewesen zu sein, die sich an das germanische Substantiv *saljon anlehnte. Vermutlich hatte salicus einen ähnlichen Ursprung wie mehr als 250 Jahre später theodiscus, das offensichtlich im Umkreis Karls des Großen (Regierungszeit: 768-814) in Anlehnung an das germanische Substantiv theoda geprägt wurde.86 Wir brauchen aber keineswegs eine Vermutung durch eine andere zu stützen, denn vergleichbare Neubildungen von Wörtern lassen sich zu ganz verschiedenen Zeiten und unter ganz verschiedenen Voraussetzungen beobachten. Vielfach sollen sie ein wesentlich Besonderes oder Neuartiges des mit dem neuen Wort Bezeichneten ausdrücken. Mitunter erfolgt die Neuprägung auch, damit die Nebenvorstellungen ausgeschaltet werden, die das „richtige" Wort oder die eigentliche Übersetzung hervorruft. Statt eines neugebilde-
85
A . C a m e r o n : Claudian, O x f o r d 1970, S. 19.
86
H . T h o m a s : Die D e u t s c h e n und die R e z e p t i o n ihres V o l k s n a m e n s , in: N o r d und Süd in der deutschen G e s c h i c h t e des Mittelalters, hg. v. W . Paravicini (Kieler H i s t o r i s c h e Studien, Bd. 34), Sigmaringen 1990, S. 2 4 (mit weiterführender Literatur). D e r s . : D a s Identitätsproblem der Deutschen im Mittelalter, in: G e s c h i c h t e in Wissenschaft und U n t e r r i c h t , 43, 1992, S. 135-156. E s b r a u c h t uns in diesem Z u s a m m e n h a n g nicht zu k ü m m e r n , o b dem lateinischen Adjektiv
theodiscus
ein entsprechendes
althochdeutsches
Adjektiv
thiutisk
vorausgegangen ist oder nicht. Siehe W . H a u b r i c h s , ,die tiutsche und die andern Zungen': V o n der Vielfalt und E n t w i c k l u n g eines Sprach- und Volksbegriffs, in: G e r m a n i s t i k und Deutschunterricht Germanistentags
im historischen W a n d e l , hg. v. J . J a n o t a (Vorträge des 1991), 1, T ü b i n g e n
Augsburger
1993, S. 23f. sowie die einschlägigen A r b e i t e n in:
Deutsch - W o r t und Begriff, hg. v. W . H a u b r i c h s (LiLi. Zeitschrift für Literaturwissenschaft und Linguistik, H e f t 94, Jg. 24, 1994). F e r n e r T h . Klein: A l t h o c h d e u t s c h diutisc und die Adjektive auf -isk im A l t - u n d M i t t e l h o c h d e u t s c h e n ,
in: Studien z u m
Altgermanischen.
Festschrift für H e i n r i c h B e c k , hg., v. H . U e c k e r (Ergänzungsbände z u m R e a l l e x i k o n der germanischen A l t e r t u m s k u n d e , Bd. 11), B e r l i n / N e w Y o r k 1994, S. 3 8 0 - 4 1 0 .
82
Matthias Springer
ten Wortes bedient man sich manchmal eines ungewöhnlichen. So ließen die Römer ihren Senat auf Griechisch mit dem Wort sygkletos bezeichnen, weil sie nicht wollten, daß er wie irgendein griechischer Stadtrat gerousia oder boule genannt würde. 87 (Gerusia hätte sich als Ubersetzung von senatus angeboten. Beides bedeutet ,Rat der Alten'.) In unserem Jahrhundert hat man sovetskij sojuz im Deutschen amtlich als Sowjetunion wiedergegeben. Der russische Ausdruck hätte bequem als *Räteunion oder *Rätebund übersetzt werden können, denn sovet bedeutet ,Rat'. Eine solche Ubersetzung hätte jedoch den Hinweis auf die Neuartigkeit des Bezeichneten vermissen lassen. Wie das Beispiel von Sowjet- im Deutschen (und anderen Sprachen) lehrt, verwandeln sich solche Prägungen leicht in Eigennamen. Manche Leute haben Sowjets geradezu in der Bedeutung ,Russen' gebraucht. Dabei lehnten sie die Prägung Sowjets nicht etwa unmittelbar an das russische sovet, sondern an das deutsche Bestimmungswort Sowjet- an, dessen Bedeutung in manch anderen Sprachen durch ein Adjektiv ausgedrückt werden muß. Eine Rückübersetzung von Sowjets .Russen' ins Russische ist unmöglich. Wir können annehmen, daß *saljon erstens im 4. Jahrhundert Julian den Abtrünnigen zur Bildung des griechischen Wortes Salioi angeregt hat sowie zweitens und unabhängig von Sdlioi/Salii zu Beginn des 6. Jahrhunderts die Prägung des lateinischen Adjektivs salicus veranlaßte. Salicus konnte nun die Färbung eines Namens (zumindest eines Namenadjektivs) annehmen. Schon in einigen Abschnitten der Lex Salica schillert es in dieser Weise, nämlich dort, wo es in sprachlichem Gegensatz zu Romanus steht und den Angehörigen eines Rechtsstandes (nicht etwa eines Volkes) bezeichnet. Zunächst wird es nur als Eigenschaftswort verwendet, das es von Hause aus ja ist.88 In späteren Ergänzungen des Rechtsbuches kommt es als Substantiv vor. 89 Der Unterschied zwischen dem Romanus und dem Salicus ist nicht etwa national oder „ethnisch". Überhaupt ist die Rechtszugehörigkeit der Menschen des Früh- und Hochmittelalters in keiner Weise mit dem Nationalitätsbegriff der Neuzeit auf einen Nenner zu bringen (auch nicht mit dem, was man sich gewöhnlich unter der Stammeszugehörigkeit vorstellt): Ein germanischer Freier, der nach ribuarischem Recht lebte und eine Sklavin heiratete, wurde Sklave des Herrn, dem die Frau gehörte. Ließ ihn der Herr nach römischem Recht frei, wurde er „Römer" (civis Romanus). Ließ ihn der Herr nach salischem Recht „durch Schatzwurf" frei, wurde derselbe Mann Salicus.30
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H. Dessau: Geschichte der römischen Kaiserzeit, Bd. 1, Berlin 1924, S. 55. Pactus legis salicae [Anm. 49], 14, 2, S. 64. Pactus legis salicae [Anm. 49], 71, S. 241. F. Lot: Les invasions germaniques, Paris z 1939, S. 256.
Gab es ein Volk der Salier?
83
Salicus ist austauschbar mit qui lege Salica vivit („wer nach salischem Recht lebt").91 Der Zusammenhang zwischen den salici und dem salischen Recht verhält sich also gerade umgekehrt zu dem, den man zwischen der Bezeichnung des Rechtsbuchs und den Salii herstellen zu können glaubte: Die Lex Salica ist nicht das Recht eines angeblichen Volkes der Salier, sondern das Substantiv salicus ist von dem gleichlautenden Adjektiv abgeleitet. Es ist kein Völkername, sondern bezeichnet den Angehörigen eines Rechtsstandes. Einerseits setzt salicus das Vorhandensein der Wortgruppe lex salica voraus, sei es als der Bezeichnung des Gewohnheitsrechts, sei es als der eines Rechtsbuchs; andererseits setzt ,salicus' als Gegenbegriff den nach dem römischen Recht lebenden Mann voraus. Obendrein blieb das Wort lateinischen Fachtexten vorbehalten und entstand überhaupt erst, weil die Juristen der Merowingerzeit es brauchten. Es hat nicht etwa als Völkername Eingang in das Germanische, ins „Fränkische" gefunden. 92 Jedenfalls haben wir die salischen Franken aus dem Verzeichnis der deutschen Stämme zu streichen.
Nachtrag zu S. 59 und S. 64f.: Mein verehrter althistorischer Kollege Prof. Dr. Martin Dreher hat mich freundlicherweise auf folgende Veröffentlichung aufmerksam gemacht: Roger S. Bagnall/Bernhard Palme, Franks in Sixth-century Egypt, in: Tyche 11, 1996, S. 1-9. Die Verfasser haben erstmals die Erwähnung von „Franken" (Fraggoi) in ägyptischen Papyri nachgewiesen. Die Nennung bezieht sich auf die zweite Hälfte des 6. Jahrhunderts. Bei diesen „Franken" handelte es sich um Kriegsleute oder Polizisten. Sie hießen nach einer ala oder cohors Francorum, die unter Diokletian nach Ägypten gekommen war. Die Einheit behielt ihren Namen, obwohl es sich bei den Soldaten längst um Einheimische handelte: „They were surely Franks in name only by the late sixth century" (S. 7.).
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Pactus legis Salicae [Anm. 49], 41,1, S. 154. Trier [Anm. 62], S. 26 setzt „altniederfränkisch Salon" an, bringt aber keine Belegstelle. Falls Salon vorkäme, wäre es als Lehenbildung innerhalb einer besonderen Textsorte zu betrachten: Kaufleute der deutschen Hanse haben sich im Ausland während des 14. Jahrhunderts gern „ghemeene koeplude uten Roomschen rike van Alemanien" genannt (Philipp Dollinger: Die Hanse, [1. Aufl.] Stuttgart 1966, S. 151). Alemannien als Bezeichnung für Deutschland ist eine Lehenbildung in einer besonderen Textsorte. Im deutschen Sprachschatz hatte Alemannien in dieser Bedeutung sonst keinen Platz.
Die Namengebung bei den Awaren V o n WALTER POHL
„Als Yesugai ba' atur den Temujin uge [...] und andere Tataren gefangen einbrachte, da befand sich Ho' elun ujin in der Schwangerschaft. Und gerade damals gebar sie den Dschingis Khan. So kam es, daß der Vater ihm den Namen Temujin gab, weil er ihm geboren wurde, als er den Temujin uge einbrachte." 1 Der Bericht der „Geheimen Geschichte der Mongolen" von der Namengebung bei Dschingis Khan verrät schon einiges über den problematischen Zusammenhang von Nomen und Gens bei Steppenvölkern. Von den Awaren ist ähnliches leider nicht erhalten. Nicht nur deshalb ist ein Beitrag über „Die Namengebung bei den Awaren" ein ebenso unvorsichtiges wie exotisches Unterfangen: Der Mediävist, der über Namengebung referiert, setzt sich ohnehin schon philologischer Kritik aus, umsomehr, wenn er dabei in Sprachwelten vorstößt, die ihm wenig vertraut sind, ins Sogdische, Tschuwaschische oder Mongolische. Zudem liegen Raum und Untersuchungsfeld einigermaßen am Rande des hier Diskutierten. Vor allem aber ist das Untersuchungsmaterial bestürzend dürftig. Mögen andere Namenforschungen mit dem Problem kämpfen, wie man Tausende von Personennamen erfaßt, ordnet und auswertet. Der Awarenforscher hat gerade ein Dutzend Namen in zeitgenössischen griechischen Quellen überliefert, dazu kommen einige wenige in verstreuten weiteren Hinweisen; so gut wie kein awarischer Personenname aus den sonst gutinformierten karolingischen Berichten. 2 Aus einem Vierteljahrtausend awarischer Herrschaft ist der Name eines einzigen Khagans überliefert, Baian, der etwa von 560 bis 582 regierte. Erst im Jahr 805 kennen wir wieder einen christianisierten Khagan von fränkischen Gnaden mit dem Namen Abraham. Doch vielleicht schärft gerade das fast völlig verblaßte Bild den Blick für Zusammenhänge zwischen Nomen und Gens. Daher möchte ich hier weder einen Uberblick über den reichhaltigen Bestand an möglichen Etymologien der awarischen Personennamen geben, noch von neuem die Argumentation aufrol-
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Geheime Geschichte der Mongolen, ed. W . Heissig, S. 18f. Das in griechischen Quellen erhaltene Namenmaterial ist gesammelt in Gyula Moravcsik, Byzantinoturcica, bes. Bd. 2 (Berlin, 2. A u f l . 1958), S. 303. Allgemein siehe Walter Pohl, Die Awaren. Ein Steppenvolk in Mitteleuropa, 567-822 n. Chr. (München 1988).
Die Namengebung bei den Awaren
85
len, welche Sprache die Awaren „wirklich" sprachen. Was ich als Mediävist dazu sagen kann, habe ich schon im Buch über die Awaren geschrieben. Ob die Awaren ursprünglich eine Turksprache oder einen mongolischen Dialekt verwendeten, scheint mir trotz sehr engagierten philologischen Meinungsstreits weder aufgrund der wenigen erhaltenen Namen noch aufgrund östlicher Lehnwörter in slawischen Sprachen entscheidbar. Nicht auszuschließen ist auch, was Gerhard Doerfer und Paolo Daffinä für die Attila-Hunnen verfochten, nämlich daß ihre Sprache keiner der bekannten Sprachgruppen angehörte, also inzwischen ausgestorben ist. 3 Nach sprachlichen Kriterien den Awaren das historische Etikett „Turkvolk" zu verleihen, halte ich in jedem Fall für ebenso nichtssagend wie irreführend. Jede historische Einteilung der frühmittelalterlichen Steppenvölker in ethnische Großgruppen wie iranisch, turanisch oder ähnlich kann sich weder auf Eigenbezeichnungen noch auf Fremdwahrnehmungen stützen; bekanntlich haben die Byzantiner lange Zeit keines der turksprachlichen Völker, sondern ausgerechnet die Ungarn als „Turkoi" bezeichnet. Statt solcher Zuordnungsfragen möchte ich einige Problemfelder der awarischen Namengebung diskutieren und ein paar allgemeine Thesen vorschlagen. Vielleicht kann das für jene, die mit naheliegenderem Namenmaterial arbeiten, einen kurzen Blick in einen fernen Spiegel bieten. Beginnen wir mit den Khaganen. Zwischen dem Auftauchen der Awaren in Europa, 558/59, und dem Untergang ihres Reichs um 800 ist Baian der einzige, dessen Namen wir erfahren. Selbst sein vertrauter Name trügt. Menander Protector, dessen Fragmente in den Excerpta de legationibus überliefert sind, ist der einzige, der ihn überhaupt nennt, und zwar häufig und in stilistischer Variation zu „ö Χ α γ ά ρ ο ς " . Nur einmal treten Titel und Name gemeinsam auf: ,,Βαιαρός ό των Άβάρων Χαγάρος". 4 Alle anderen byzantinischen Quellen nennen Baian wie seine Nachfolger einfach ,,ΧαγάϊΌς". Thronwechsel werden in der Regel nicht mitgeteilt. Daß man davon wußte, belegt nur eine Bemerkung des Theodor Synkellos in seinem Bericht über die Belagerung von Konstantinopel 626: „Die Herrschaft dieses Vaters" - Baian, dessen Namen er aber nicht nennt - „wurde auf seinen Sohn, den Nachfolger, vererbt, den älteren Bruder des Hundes von heute". 5 Im Westen wußte man noch weniger. Gregor
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Gerhard Doerfer, Zur Sprache der Hunnen. Central Asiatic Journal 17 (1973), S. 1-50; Paolo Daffina, Gli Unni e gli altri: Le testimonianze letterarie e le loro interpretazioni moderne. Popoli delle steppe, Settimane di Studio del centro italiano di studi sulP alto medioevo 35 (1988), S. 181-207. Menander, ed. Blockley, fr. 25, S. 216 (Excerpta de legationibus gentium, ed. K. de Boor, fr. 30). Theodor Synkellos, ed. L. Sternbach, Analecta Avarica 5,20-21.
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Walter Pohl
von Tours begnügt sich mit dem Titel: rex Chunorum ... vocabatur enim gaganus.b Fredegar, der sonst einige einzigartige Nachrichten über Ereignisse im Awarenreich um 630 zu bieten hat, hält das wohl für einen Namen: regem eorum gagano; an anderer Stelle läßt er den Titel nämlich weg: unus ex Α bares et alius ex Bulgaris stritten um das Chunorum regnum, weiß er zu berichten.7 Paulus Diaconus nennt mehrere Nachfolger Baians unterschiedslos Cacanus rex Hunorum, weiß aber auch, daß die Awaren in ihrer Sprache so den König nennen.8 Die karolingischen Quellen nennen den Awarenherrscher ebenfalls durchgehend caganus-, als ihm erstmals ein Name beigelegt wird, ist es bereits ein christlicher.9 Dieser Befund läßt sich, das sollte die kurze Auswahl an Beispielen verdeutlichen, nicht einfach durch Mangel an Nachrichten über den Awarenherrscher erklären. Theophylaktos Simokates füllt viele Seiten mit Details der Awarenkriege des Maurikios und mit Rededuellen zwischen dem Khagan und byzantinischen Gesandten; ihm verdanken wir auch die meisten der überlieferten Namen awarischer Botschafter. Den Namen des Khagans nennt er nie. Die zeitgenössischen Berichte von der Belagerung Konstantinopels 626 beschreiben eingehend das Verhalten des Khagans, wieder ohne Namen. Und den karolingischen Annalisten, die eine Reihe fremdartiger Titel überliefern, kann man auch nicht Ahnungslosigkeit vorhalten. Sicherlich erlaubte die Nennung des in Europa einzigartigen Khaganstitels schon ohne Namen eine Identifikation; und weder das Griechische, das in der Regel Namen wie Titel mit Artikel setzte, noch das Lateinische, wo er fehlte, erlaubten grammatikalisch eine Unterscheidung von Titel und Namen. Doch muß dahinter auch ein Prinzip awarischer Namengebung stecken, sonst hätten Fredegar oder Theodor Synkellos nicht zu so komplizierten Umschreibungen greifen müssen, wenn es darum ging, zwischen mehreren Herrschern zu unterscheiden. Hinter dem Titel verschwand der Personenname, hinter dem Amt der Amtsträger. Dieses Prinzip ist im Westen ja nicht ganz unbekannt, selbst wenn herrscherliche Repräsentation hier meist zum entgegengesetzten Mittel griff und
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Gregor von Tours, Historiae 4,29, edd. B. Krusch/W. Levison (MGH SRM 1/1, 2 1951), 5. 162. Fredegar, Chronica, ed. B. Krusch (MGH SRM 2, 1888), 4,48, S. 144; 4,72, S. 157. Paulus Diaconus, Historia Langobardorum, edd. L. Bethmann/G. Waitz (MGH Scriptores rerum Langobardicarum et Italicarum, 1861), 4,12, S. 121; 4,20, S. 123; 4,28, S. 125 (Cacanus rex Hunorum)·, 4,37, S. 128 (rex Avarorum, quem sua lingua cacanum appellant·, horum rex, id est cacanus}·, 4,51, S. 139 (ad regem Avarum cacanum)·, 5,2, S. 142; 5,18, S. 151 (cacano Avarum regt); die Nachrichten beziehen sich auf den Zeitraum von den letzten Jahren des 6. bis zum letzten Drittel des 7. Jahrhunderts und wurden knapp vor dem Ende des Awarenreiches niedergeschrieben. Annales s. Emmerami maiores a. 805, S. 93: Abraham cagonus baptizatus est super Fiskaha.
Die Namengebung bei den Awaren
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den Kaiser- und Königsnamen durch Inschriften, Münzen, Litaneien, Urkunden und ähnliches einzuschärfen suchte. Diese Verknappung des Herrschernamens hatte sich spätestens im S.Jahrhundert, als der awarische Machtaufbau wieder dem sezierenden Blick eines schriftkundigen Feindes ausgesetzt war, auf alle Amtsträger ausgedehnt. Karolingische Autoren nahmen eine differenzierte Hierarchie von Rangtiteln wahr. Neben dem Khagan wird der Iugurrus als Princeps mit Sitz im „Ring", dem Reichszentrum, genannt; über den Westteil des Reiches gebot der Tudun, die (Haupt)frau des Khagans trug den Titel Katun, eine Mehrzahl von optimates hatte den Rang eines Tarkhan. Alle diese Titel sind auch aus anderen Steppenreichen der Zeit bekannt, von Türken, Karachaniden und Chasaren; von den benachbarten Bulgaren stammen die in der Spätzeit genannten Titel Kapkhan und kana sybige, was der fränkische Annalist als Canizauci verstand.10 Ebenso starke bulgarische Bezüge gibt es bei dem griechisch geschriebenen Titel Boila Zoapan auf einem Stück des Schatzes von Nagyszentmiklos, der jüngst meist für awarisch gehalten wird. Der Titel Zupan ist ein Glied einer Kette, die weiter zu den Slawen führt, wo gegen Ende des 8. Jahrhunderts im - allerdings nur kopial überlieferten — Stiftbrief von Kremsmünster erstmals ein Jopan namens Thysso auftaucht.11 Die sehr hypothetische - türkische - Deutung, die Rona-Tas von einer Runeninschrift des Schatzes gibt, nimmt seinen Namen mit Butaul Zupan an.12 Abgesehen von den nach dem Untergang des Khaganates vergebenen Taufnamen wie Abraham und Theodor ist in den karolingischen Berichten neben all diesen Titeln nur ein einziger Name überliefert: Als 796 Pippin heranrückte, so berichtet das Preisgedicht auf den Sohn Karls des Großen, mußte sich der Khagan von den Seinen schwere Vorwürfe anhören. Einer der Unzufriedenen Avarorum genere wird genannt; er hieß Unguimeri und ist damit wohl ein Fall für die Germanisten. Bevor wir aber dieser Fährte folgen, noch ein Wort über die methodischen Implikationen dieser Namensverknappung. Die spätawarischen Rangtitel sind durch den Vergleich mit anderen Steppenreichen, wo über ihre Bedeutung mehr berichtet wird, eindeutig als Titel zu erweisen. Ein Titel, verwandt mit dem „Kolobros" der protobulgarischen Inschriften, dürfte auch hinter dem Namen des Priesters Bookolabras stecken, der eine Affäre mit einer Frau Baians hatte und vor dessen Rache zu den Byzantinern floh. 13 Die Vermutung liegt nahe,
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Pohl [Anm. 2], S. 292-306. Zum Zupan siehe Pohl [Anm. 2], S. 305; Herwig Wolfram, Grenzen und Räume. Geschichte Österreichs vor seiner Entstehung (Wien 1995), S. 310; Matthias Hardt, Der Supan. Ein Forschungsbericht. Zeitschrift für Ostforschung 39 (1990), S. 161-71. Andras Rona-Tas, Die Inschrift des Nadelbehälters von Szarvas (Ungarn). Ural-Altaische Jahrbücher N . F . 9 (1990), S. 1-30, bes. S. 24-27. Pohl [Anm. 2], S. 200.
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Walter Pohl
daß sich auch hinter weiteren frühawarischen Namen in Wirklichkeit Titel verbergen. Baians Name selbst könnte mit dem Titel „Ban" zusammenhängen, wie ihn spätere kroatische Fürsten trugen. In anderen Fällen gibt es nur schwache Indizien. Die beiden wichtigsten Gestalten am Hof Baians, Apsich und Targitios, sind jeweils über dreißig Jahre lang bezeugt. N u n gilt das auch für Zeitgenossen wie Justinian oder Brunhilde, und die Wirkungsdauer des Liberius, der noch im zweiundfünfzigsten Jahr seines Patriziats ein Flottenkommando erhielt, geht weit über alles hinaus, worüber man auch nur spekulieren dürfte, wenn man nicht wüßte, wie alt er tatsächlich war. Doch auch Alzeco/Alciocus kam im 7. Jahrhundert über dreißig Jahre nach seiner Flucht aus dem Α warenreich nach Benevent; die türkische Etymologie ,Sechs Pfeile', die bei seinem Namen naheliegt, würde gut zu einem Titel passen, da in der Steppe der Rang öfters durch die Zahl der Pfeile ausgedrückt wurde. 14 Heinrich Kunstmann hat versucht, die Namen der Slawenfürsten des 7. Jahrhunderts, Samo, Dervan und Walluc, etymologisch als Rangtitel aufzulösen, was in der Slawistik mit Reserve aufgenommen wurde. 15 Auch Samo war ja über dreißig Jahre aktiv; freilich legt unser Gewährsmann Fredegar großen Wert darauf, daß da ein einziger König an zwölf wendischen Frauen seine Zeugungskraft auslebte. Bei allen genannten awarischen wie slawischen Beispielen bleibt die Schwierigkeit, daß nur dort Rangtitel nachzuweisen sind, wo ein Wort anderswo als Titel bezeugt ist; auch Nachbenennung wäre ja eine Erklärung. Alles andere kann auch in einem weiten Ubergangsbereich von Ehrentiteln und Würdenamen liegen, der mit den Kategorien „Titel" und „Personenname" kaum sauber zu erfassen ist. Das Problem kann auch im Westen vorkommen; wann wird Flavius vom Personennamen zum Titel, und wann Senator vom Titel zum Personennamen? O b also der Wendenfürst Walluc besser als türkischer .Dicker' oder als slawischer ,maior dux' zu deuten ist, muß daher den zuständigen Philologen ebenso überlassen bleiben wie die Frage, ob der vornehme Aware Apsich vom alanisch-türkischen Hybrid ,kleines Pferd' kommt. 16 Daß gerade bei den Steppenvölkern die Titel kaum ethnische Scheidungen erlauben, selbst wo ihre etymologische Deutung naheliegt, wurde schon erwähnt; zum Teil gehen die awarischen Titel bis auf chinesische, iranische oder sogdische Bezeichnungen zurück und wurden später von allen Sprachgruppen benützt. Wie sieht es nun bei den awarischen Personennamen mit dem Zusammenhang von Nomen und Gens aus? Auch hier findet man überraschend wenig Namen, die ausschließlich bei den Awaren genannt werden. Baian kommt außer
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Pohl [Anm. 2], S. 268-70. Heinrich Kunstmann in einer Serie von Beiträgen in: Welt der Slawen 24 (1979), S. 1-21, sowie 25 (1980), S. 171-77 und S. 293-313. Vgl. dazu Pohl [Anm. 2], S. 257f. Otto Maenchen-Helfen, Die Welt der Hunnen (Wien/Köln/Graz 1978), S. 302.
Die Namengebung bei den Awaren
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bei den Awaren im 7. Jahrhundert bei den Bulgaren nördlich des Schwarzen Meeres und im 13. Jahrhundert bei den Mongolen vor.17 Der Gesandte Kandich erinnert an den alanischen Namen Candac (u.a. ein Saio Theoderichs). Apsich hieß zur selben Zeit ein byzantinischer Feldherr „hunnischer" Herkunft. 18 Beide Namen enden, wie oft bei den Attila-Hunnen, auf -ich. Der Name des Targitios kommt schon bei Herodot als Skythenkönig Targitaos vor; Herodot kannte übrigens auch einen Hyperboreer namens Abaris.19 Kunimon, Mitglied einer der ersten awarischen Gesandtschaften, trug den Namen des gleichzeitigen Gepidenkönigs. Von Unguimeri am Ende des Awarenreiches war schon die Rede. Weniger ergiebig sind wohl die Namen der Heerführer und Gesandten Solachos, Samur, Koch und Hermitzis. Viele Fragen werfen dagegen die beiden Namen auf, die im Zusammenhang mit der Flucht einer gemischten Gruppe von „Bulgaren" aus dem Awarenreich gegen Ende des 7. Jahrhunderts in den Miracula Demetrii genannt werden.20 Sie war aus den Nachkommen byzantinischer Gefangener, Awaren und Bulgaren zu einer neuen ethnischen Einheit zusammengewachsen, die in Thessalonike nach ihrer Herkunft aus dem Raum um Sirmium „Sermesianoi-Bulgaren" genannt wurden. Diese ethnische Zuordnung folgt einer eigenen Logik. Aware konnte offensichtlich nur sein, wer im Machtbereich des Khaganates blieb; kein einziges Mal ist während der Awarenzeit belegt, daß Emigranten den Awarennamen behalten konnten. Wenn awarische Untertanen sich als vorwiegend bäuerliche Bevölkerung anderswo ansiedelten, wurden sie Slawen genannt. Wenn eine Kriegergruppe aus dem Awarenreich abwanderte, wurde sie jedesmal als Bulgaren bezeichnet. Das hat nichts mit ihrem ethnischen Ursprung und wohl einiges mit dem funktionalen Charakter ethnischer Bezeichnungen im frühmittelalterlichen Südosteuropa zu tun. Der eine Anführer dieser Gruppe, dessen Mehrsprachigkeit ausdrücklich hervorgehoben wird, trug den byzantinischen Namen Mavros. Der andere hieß Kuver. Dieser Name ähnelt dem eines weiteren Bulgarenfürsten, Kuvrat, der bald nach 626 die awarische Herrschaft über die pontischen Steppen beendete. Man könnte ihn zudem mit dem Heros eponymos der Kroaten, Chrobatos, verbinden, der laut Konstantin Porphyrogennetos ebenfalls zur Zeit des Herakleios
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Pohl [Anm. 2], S. 176. Genannt 585/86 im Perserkrieg: Theophanes, ed. K. de Boor, AM 6077; Pohl [Anm. 2], S. 188; The Prosopography of the Later Roman Empire IIIA, S. 102; freilich könnte er auch awarischer Herkunft gewesen sein. Pohl [Anm. 2], S. 38. Miracula Sancti Demetrii 2,5, ed. P. Lemerle, Les plus anciens recueils des miracles de Saint Demetrius, Bd. 1 (Paris 1979). Dazu Pohl [Anm. 2], S. 274-82.
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Walter Pohl
auf dem nordwestlichen Balkan das awarische J o c h abschüttelte. 2 1 T r o t z unterschiedlicher Umstände und Schauplätze sind die drei Gestalten in allerlei Varianten als identisch oder verwandt bezeichnet worden. Ich nehme eher an, daß wir hier wieder einem Titel auf der Spur sind. V o n den ebenfalls zahlreichen angebotenen Etymologien würde sich das alttürkische qubrat/,sammeln' ten.
anbie-
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D o c h wie auch immer man den Namen erklärt, wesentlich ist hier die Beobachtung, daß gentile Namensdeutungen gerade beim Ursprung einer Gens zu kurz greifen. Alle drei Namen stammen aus Erzählungen, die den Ursprung einer ethnischen Gruppe beschreiben, und zwar in sehr unterschiedlichen Stadien mythischer Stilisierung. Die Geschichte in den Miracula Demetrii ist ein zeitgenössischer Bericht über Feinde, mit denen man es in Thessalonike zu tun bekam, und wird durch ein erhaltenes Bleisiegel bestätigt. Auch die Existenz Kuvrats ist durch mehrere unabhängige Quellen belegt, die ausführlicheren Nachrichten über ihn erhalten jedoch Elemente einer Origo gentis, die ihn - aus späterer Sicht - zum Stammvater aller bekannten Bulgarengruppen machen (einer seiner Söhne heißt übrigens Baian). Das Kroatenkapitel in D e administrando imperio ist völlig zur Wandersage stilisiert, mit eigenartigen Parallelen zur Kuvrat-Legende (in beiden Fällen ist von fünf Brüdern die Rede), obwohl von der Entstehung eines anderen Volkes erzählt wird. Die Beobachtung, daß das Namenmaterial in Ursprungssagen oft gerade nicht ethnisch spezifisch ist, trifft ja auch auf manche westliche Genealogien und Origines gentium zu. Jedenfalls läßt sie sich an den von Theophylakt genannten Stammvätern der Α waren erhärten, die Var und Chunni hießen. D e r Hunnenname ebenso wie die aus dem Iranischen stammende Silbe var (in der Bedeutung ,breit' in zahlreichen Flußnamen erscheinend) gehören seit vorchristlicher Zeit zu den häufigsten Namenelementen in der eurasischen Steppe. 23 Volksnamen, die Namen von Spitzenahnen ebenso wie Titel und Würdenamen wurden in der Steppenzone also gerade nicht dazu benützt, ethnische Unterscheidungen zu betonen, sondern um eine herrschende Gruppe an eine gemeinsame politische und kulturelle Tradition anzubinden und durch sie zu legitimieren. Übrigens leitete auch Isidor den Awarennamen von einem namengebenden König ab. 24
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Konstantin Porphyrogennetos, De administrando imperio, edd. G. Moravcsik/R. Jenkins, 30, S. 142. Dezsö Pais, A propos de l'etymologie de l'ethnique OGUR. Studia Turcica, ed. Louis Ligeti (Budapest 1971), S. 369, wohl eher als Haussigs türkisches qurt/,Wolf', Kunstmanns griechisches chorobatein/,Land durchschweifen' oder Kronsteiners char-vata/,freier Krieger'. Vgl. Pohl [Anm. 2], S. 261-282, mit Literaturangaben. Pohl [Anm. 2], S. 31-33. Isidor, Etymologiae, ed. W. Lindsay, 9,2,66.
Die Namengebung bei den Α waren
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Zu erwähnen bleibt noch der mögliche Beitrag der Awaren zur Namengebung bei ihren westlichen Nachbarn, den Erich Zöllner in einem 1950 erschienenen Aufsatz nachzuweisen versuchte. 25 Er schlägt vor, in bayerischen Urkunden des 8. und 9. Jahrhunderts belegte Personennamen von awarischen Rangtiteln abzuleiten: Chagan, Ilchagan und möglicherweise Chaganhart vom Khagan, den Freisinger Erzpriester Tarchanat vom Tarkhan und Zotan vom Tudun, der in einigen Annalen ebenfalls als lautverschobener Zotan auftaucht. Sogar Cotani, die Tochter Tassilos III., ließe sich mit dem awarischen Fürstinnentitel Katun verbinden. Freilich werden dem Germanisten unschwer naheliegendere germanische Etymologien einfallen. 26 Ein früherer Zotanus, der schon bei Gregor von Tours als Gesandter Gundovalds auftaucht, steht leider nur in einer Handschrift und dürfte interpoliert sein, auch wenn Gouberts Ableitung vom baskischen Wort für „ein gewisser" nicht überzeugt. 27 Von Zöllners Liste bleibt also wohl nichts übrig - das zeigte auch die Diskussion in Bad Homburg - was besser aus dem Awarischen herzuleiten wäre. Es bleibt höchstens die Frage, ob die zeitliche und örtliche Gruppierung der Belege zumindest einen gewissen Einfluß der prestigeträchtigen Titel des östlichen Nachbarn im spätagilolfingischen Bayern nahelegt - die systematische Erfassung der Personennamen im Rahmen des Nomen et gens-Projektes würde ihre Beantwortung sicher erleichtern. Awarische Herkunft der Namensträger wäre auch dadurch noch nicht nachgewiesen - Tarchanat kam aus einer der mächtigsten Familien des Isengaus, die Josef Sturm als Preisinger bezeichnete, und die sonst biedere Heriperhts, Adalos und Fritilos umfaßte. 28 Bei Personennamen, die an Ethnonyme anklingen, würde man eher erwarten, daß der so Benannte aus fremder Umgebung stammte. Auffällig ist zunächst, daß der Awarenname im bayerischen Bereich weder als Personen- noch als Ortsname auftaucht, doch paßt das sehr gut zu seiner auch sonst beobachteten restriktiven Verwendung. Das entgegengesetzte Problem hat man mit all den Hunis, Hunos, Hunberhts und zahlreichen weiteren Komposita, die jedenfalls kaum mit Massenzuwanderung awarischer „Hunnen" zu erklären sind. 29
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Erich Zöllner, Awarisches Namensgut in Bayern und Österreich. Mitteilungen des Instituts für Osterreichischen Geschichtsforschung 58 (1950), S. 244-66. Germanische Etymologien für Hagan und Zotto bietet etwa schon Ernst Förstemann, Altdeutsches Namenbuch (Bonn, 2. Aufl. 1900), Sp. 715-20 und Sp. 1676. Gregor von Tours, Historiae [Anm. 6], 7,32-33, S. 352-354; Pierre Goubert, Byzance avant 1'Islam 2/1 (Paris 1955), S. 42. Josef Sturm, Die Anfänge des Hauses Preysing (München 1931). Der Name wurde immer wieder zumindest indirekt vom Völkernamen abgeleitet, so von Förstemann [Anm. 26], Sp. 929-35, der ebenso wie M. Schönfeld, Wörterbuch der altgermanischen Personen- und Völkernamen (Heidelberg 1911), S. 142-44, aber auch germanische Alternativen anbietet. Interessant ist, daß der Hunnenname offensichtlich ebenso wie der Awarenname (vgl. Pohl [Anm. 2], S. 31-33) bei anderen Völkern die Bedeutung „riesig"
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Walter Pohl
Wie auch immer man die germanischen Personennamen mit dem Element „huni" etymologisch deutet, ihre große Verbreitung ist nur dadurch zu erklären, daß sie gerade nicht an irgendeine Form der ethnischen Herkunftsbezeichnung denken ließen. Etwas naheliegender ist es zunächst, beim selten, aber doch vorkommenden Bulgar/Pulgar einen Zusammenhang mit dem Bulgarennamen anzunehmen. 30 Der erste bekannte Träger dieses Namens ist ein westgotischer Amtsträger in Septimanien, der sich bald nach 600 in einem seiner erhaltenen Briefe ausgerechnet darüber Sorgen machte, Brunhilde könnte die Awaren gegen innere Gegner ins Frankenreich rufen.31 Im 9. Jahrhundert nennen das Salzburger und das Reichenauer Verbrüderungsbuch drei Mönche namens Pulgar, wozu der Ortsname Pulgarn bei Linz kommt. 32 Doch auch hier ist, wie die Diskussion ergab, eine germanische Deutung naheliegender. In all diesen Fällen ist der Historiker jedenfalls auf das Urteil der Philologen angewiesen. Insgesamt drängt sich jedoch die Vermutung auf, daß selbst im Sonderfall der Ethnonyme kein unvermittelter Bezug zwischen Nomen und Gens herzustellen ist. Vielleicht ist bei meinen Ausführungen erkennbar geworden, was die Rolle des Historikers in einer interdisziplinären Namenforschung sein könnte. Der Fall der Awaren führt uns in eine Namenlandschaft mit durchaus verschiedenartigen Funktionen und Formationen, über die durch listenförmige Erfassung und vergleichende philologische Analyse noch nicht alles ausgesagt ist. Namen und Titel zumindest der awarischen Führungsschicht gehören einer Symbolsprache an, die methodisch von der oder den Verständigungssprachen abzuheben ist. Ihre Herkunft und Funktion hat offensichtlich mehr mit der Verbreitung und Symbolik der Prestigegüter zu tun, wie sie sich etwa als Grabbeigaben finden, als mit vielen anderen Formen sprachlicher Kommunikation. Ebenso wie bei Tracht, Schmuck und Bewaffnung, ist bei awarischen Namen soziale Differenzierung vermutlich wichtiger als ethnische Unterscheidung. Der soziale Code, der diesen Namen und Titeln Bedeutung verlieh, ist aus Mangel an Beispielen kaum eingehender zu beschreiben. Doch fällt auf, wie wenig „typisch Awarisches" darin faßbar wird. Awarische Lehnworte oder Ortsnamen sind demgemäß dürftig, wenn man vom „Obor", dem Riesen der slawischen Sage, absieht. Als Fredegar in einer sagenhaften Passage einen Awaren im Kampf mit
annehmen konnte. Eine ethnische Ableitung der seit 7 3 1 / 3 6 in St. Gallen und Bayern bezeugten P N Ungarns, Hunger u.ä. von den Onoguren bzw. Ungarn schlägt Peter Kiraly, Die Personennamen Ungarns, Hungaer, Hunger, Hungarius, Onger, Wanger im 8.-9. Jahrhundert. Studia Slavica Hungarica 36 (1990), S. 221-225, vor, freilich ohne germanistische Etymologien überhaupt zu diskutieren. 31
Vgl. Förstemann [Anm. 26], Sp. 344. Epistolae Wisigoticae 11, ed. W . Gundlach (MGH Epistolae 3, 2 1957), S. 677f.; The Prosopography of the Later Roman Empire IIIA, S. 251f.
32
Zöllner [Anm. 25], S. 265.
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Die Namengebung bei den Awaren
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Theoderich dem Großen auftreten läßt, markiert er ihn durch den exotischen, aber wenig awarischen Namen Xerxer. 33 Selbst ein über die Verhältnisse an der fränkischen Ostgrenze erstaunlich gut informierter Chronist wußte also die Awaren nicht durch einen typischen Namen zutreffend zu markieren. Das spurlose Verschwinden der Awaren, das seit dem 9. Jahrhundert von Byzanz bis Rußland sprichwörtlich wurde, entspricht diesem Bild: „Sie sind verschwunden wie der Obor, von dem es weder Nachkommen noch Erben gibt." 34 Der Reichtum an Verweisen auf eine Symbolsprache, die weit über die awarische Kerngruppe hinaus nicht nur verstanden' wurde, sondern auch starken affektiven Gehalt hatte, erleichterte die imperialen Ambitionen der Führungsschicht des Khaganates. Theophylakt berichtet sogar, die Awaren hätten ihren Namen nur zur Täuschung angenommen, weil er bei den Nachbarn so schreckliche Erinnerungen heraufbeschwor. Kern der awarischen Ethnizität war eine politische Struktur, die den Amtsträger und seine Herkunft hinter Amt und Titel zurücktreten ließ - zumindest nach außen hin. So konnte, wie Fredegar berichtet, durchaus ein Bulgare danach streben, Awarenkhagan zu werden. Doch dadurch war awarische Identität auch auf einen politischen wie sprachlichen Raum beschränkt, der mit der militärischen Niederlage „spurlos" verschwand. Im Kontext des abendländischen Frühmittelalters ein Sonderfall, gewiß. Doch gerade dadurch ist er auch ein Hinweis auf die Bandbreite von Bezügen, die zwischen Nomen und Gens bestehen können.
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Fredegar [Anm. 7], 2,57, S. 80; in späteren Versionen der Gesta Theoderici heißt er Xerxes. Pohl [Anm. 2], S. 323.
Personennamen und Gruppenzugehörigkeit nach dem Zeugnis der merowingischen Königsurkunden V o n WERNER BERGMANN
Die merowingischen Königsurkunden sind die wohl am häufigsten untersuchte und publizierte Urkundengruppe. Seit den Tagen Mabillons sind sie vielfach ediert und in ihren Einzelteilen zum Teil akribisch untersucht worden. Der Bogen der Editionen spannt sich von Mabillon1, Brequigny2 und Pardessus3 bis hin zu der Diplomata-Ausgabe von Pertz jun.4 und dem Vorhaben einer Neuedition, die von der Monumenta Germaniae Historica nach dem Zweiten Weltkriege ins Auge gefaßt wurde. Eine Neuedition ist nach vielen Irrungen jetzt von Carlrichard Brühl in Angriff genommen worden. Die knapp 100 Urkunden, von denen lediglich 36 im Original erhalten sind, haben die Geschichtswissenschaft in höchst unterschiedlicher Weise interessiert. Einerseits sind sie Ausgangspunkt und Anlaß einer historischen Spezialdisziplin, der Diplomatik, andererseits ist das Interesse an ihnen durch ihre Vereinnahmung - vornehmlich im 19. Jahrhundert - sowohl für die französische als auch für die deutsche Geschichte intensiviert worden. Ausgangspunkt der intensiven Beschäftigung mit den Merowingerdiplomen bot die bewußt provokative Äußerung Papebrochs, daß alle vorkarolingischen Königsurkunden Fälschungen seien. Er veranlaßte damit Mabillon zu einer breit angelegten Untersuchung, De re diplomaticα5, in der nicht nur zum ersten Mal die Merowingerdiplome ediert und ihre Echtheit erwiesen wurde, sondern Mabillon legte mit diesem berühmt gewordenen Werk auch den Grundstein der modernen Urkundenlehre, deren methodische Grundlagen - bis heute wenig
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J. Mabillon, De re diplomatica libri VI, Paris 1681, 2. Aufl. 1709; Supplementum 1704. L.G.O.F. de Brequigny et G. de La Porte du Theil, Diplomata, chartae, epistolae et alia documenta ad res francias spectantia ..., 3 Bde., Paris 1791. J.M. Pardessus, Diplomata, chartae, epistolae, leges aliaque instrumenta ad res gallo-francicas spectantia, 2 Bde., Paris 1843-1849. G.H. Pertz, Monumenta Germaniae Historica. Diplomata imperii 1. Diplomata regum Francorum e Stirpe Merowingica, Diplomata maiorum domus regiae, Hannover 1872. Im folgenden werden die Urkunden nach der Zählung dieser Ausgabe zitiert, mit dem Kürzel „DM" (Plural „DDM"). Mabillon [Anm. 1],
Personennamen und Gruppenzugehörigkeit
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verändert - Bestand haben. Über diese wissenschaftsgeschichtlich bedeutsamen Funktion hinaus geht von den Königsurkunden eine gewisse Faszination aus, die immer wieder zur Auseinandersetzung mit diesen wenigen Stücken gereizt hat. Uberlieferungsgeschichtlich stehen sie an der Schnittstelle zwischen antikem Schrift- und mittelalterlichem Urkundenwesen. Sie sind mit ihren 36 Originalen die einzige umfänglichere Uberlieferung eines germanischen Nachfolgereiches auf römischen Boden, weder von Ostgoten- und Langobardenreich noch von den Vandalen und Westgoten sind originale Königsurkunden in dieser Zahl erhalten. Schließlich und endlich betreffen sie eine Zeit auf der Grenze zwischen Antike und Mittelalter, in der sich in weiten Bereichen grundlegende Dinge verändert haben. Darüber hinaus bieten sie die gleichsam authentischen Quellen über die Dynastie der Merowinger, der long-haired kings, wie WallaceHadrill 6 es einmal formuliert hat, die die Geschichte des Frankenreiches gut zweieinhalb Jahrhunderte - also ein Gutteil länger als die Karolinger - bestimmt haben. Diese Faszination in bezug auf diese wenigen Diplome zeigt sich auch nicht zuletzt daran, daß sie - mehr als alle anderen Urkunden mittelalterlicher Herrscher - abgebildet und faksimiliert worden sind. Schon Mabillon hatte seiner de re diplomaticα einige Abbildungen in Form von Kupferstichen beigefügt. Tardif und Letronne hatten in der Mitte des 19. Jahrhunderts die Merowingerdiplome in Stahlstichen faksimiliert herausgegeben. Die neuen Möglichkeiten der Photographie veranlaßten Philippe Lauer und Charles Samaran zu Beginn des 20. Jahrhunderts dazu, die erste photographische Faksimilierung vorzunehmen. 7 Dieses ist m.W. das erste historische Werk, das einen gesamten Urkundenfundus in photomechanischer Weise abgebildet hat. Zum zweiten Mal sind die Merowingeroriginale zu Beginn der 80ziger Jahre von Hartmut Atsma und Jean Vezin im Rahmen der Chartae Latinae Antiquiores8 herausgegeben worden, so daß nicht nur zwei abbildungstechnisch hervorragende Faksimilierungen zur Verfügung stehen, sondern darüber hinaus entsprechende Transkriptionen, die als Korrektiv für die schon kurz nach ihrem Erscheinen heftig kritisierte Ausgabe der MGH zur Verfügung stehen. Man wird für die heutige Fragestellung sich vornehmlich auf die originale Uberlieferung stützen müssen, zumindest was die Gruppenzugehörigkeit der Personen als auch die Orthographie der Namen angeht, wie im folgenden noch zu erläutern sein wird.
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T.M. Wallace Hadrill, The long-haired kings, London 1962. Ph. Lauer, Ch. Samaran, Les diplomes originaux des Merovingiens. Fac-similies phototypiques avec notices et transcriptions ..., Paris 1908. H. Atsma, J. Vezin, Chartae Latinae Antiquiores. Facsimile-Edition of the latin Charters prior to the ninth Century, Teil XIII, France I, Dietikon/Ziirich 1981, Teil XIV, France II, Dietikon/Zürich 1982.
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Werner Bergmann
Die Frage, warum gerade diese Urkunden ein besonderes Interesse gefunden haben, wird man auf differenzierte Weise weiterhin zu beantworten haben. Sicherlich ist zum einen ihre Exklusivität ein Grund, zum anderen, daß Sie Einblick in eine höchst quellenarme Zeit gewähren. Für die Zeit zwischen der Herrschaft Chlodwigs zu Beginn des 6. Jahrhunderts bis auf die Herrschaft Chlothars II. (613-629) sind lediglich 10 abschriftlich erhaltene Stücke bekannt; die restlichen Stücke verteilen sich im wesentlichen auf die Zeit von der Mitte des 7. Jahrhunderts bis zum Ende der Merowingerherrschaft. Ihre Entstehung fällt also im wesentlichen in die Zeit, als die Herrschaft der Merowinger bereits weitgehend durch die Hausmeier bestimmt wird. Einschränkend für die Originale kommt noch hinzu, daß diese mit ganz geringen Ausnahmen aus dem Bestand des Klosters St. Denis stammen, also somit auch nur einen regional beschränkten Einblick gewähren. Statistisch gesehen verteilen sich die Urkunden so, daß wir für jedes zweite Jahr der Merowingerherrschaft eine Urkunde besitzen, praktisch findet sich nicht einmal von jedem König der Merowinger eine Urkunde, während auf die Herrschaft des völlig unbedeutenden und im Schatten der Karolinger stehenden Childeberth III. (694-711) mit 13 Urkunden die meisten fallen. Insofern m u ß man, bevor man sich den in den Urkunden genannten Personen zuwendet, vorausschicken, daß die Urkunden insgesamt gesehen nur einen im wesentlichen regionalen Einblick gewähren, und zwar in bezug auf Neustrien, und daß die Uberlieferung vornehmlich aus der Zeit stammt, in der die Merowingerkönige bereits ein Schattendasein unter ihren Hausmeiern fristen. Auf der sich so präsentierenden Quellengrundlage lassen sich die Urkunden in bezug auf die namentlich genannten Personen sicherlich grob in zwei Gruppen scheiden, und zwar 1. in die Diplome, die neben dem Aussteller, also dem jeweiligen merowingischen König, über deren Namen hier nicht zu handeln ist - in diesem Zusammenhang sei auf die Arbeit von Eugen Ewig in der Francia von 1991 verwiesen 9 - , den Empfänger der Urkunde, seltener der Adressat im diplomatischem Sinne, und die zuständigen Kanzleibeamten nennen, in einzelnen Fällen werden auch Intervenienten resp. Petenten namentlich erwähnt 2. in die Urkunden, in denen die Gefolgschaft des Königs, die Inhaber der Hofämter und weitere Inhaber von Ämtern genannt werden. Dieses ausführliche Verzeichnis von Personen trifft nur für einen Urkundentypus zu, und zwar
9
E. Ewig, Die Namengebung bei den ältesten Frankenkönigen und im merowingischen Königshaus. Mit genealogischen Tafeln und Notizen, in: Francia 18, 1991, S. 21-70.
Personennamen und Gruppenzugehörigkeit
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für die Gerichtsurkunden, die in der diplomatischen Forschung „Placita" genannt werden.10 Weiter einschränkend muß gesagt werden, daß auch nur bei einem bestimmten Typus der Gerichtsurkunden ganz offenbar die Notwendigkeit bestand, die Beisitzer zu nennen, und zwar in solchen Prozessen, an deren Ende ein abschließend eindeutiges Urteil gefunden worden war. Es würde hier zu weit führen, die Schriftlichkeit im Königsgericht der Merowinger zu strukturieren, für die personen- und namensgeschichtlichen Untersuchungen reicht sicherlich die Tatsache, daß die Masse der Personennennungen in den merowingischen Gerichtsurkunden erfolgt. Diese Personengruppen fungieren im Königsgericht als Beisitzer, denen nach germanischem Recht - ohne dies im einzelnen ausführen zu wollen - die Aufgabe der Rechts- bzw. Urteilsfindung zukommt. Es handelt sich hierbei um folgende Stücke: D D M 35, 36, 37, 64, 66 (mit 52 Personennamen) und DM 70, also sechs Diplome mit etwa 100 namentlich benannten Personen, die als Bestandteil des Gerichtes genannt werden. Zusätzlich gesondert betrachtet werden muß ein Diplom Chlodwigs II. von 654, Juni 22 n , über dessen besondere Form und Rechtsinhalt schon viel gelehrte Tinte geflossen ist.12 Diese Urkunde ist nämlich entgegen der traditionellen Form der Königsurkunde, die nur die kanzleimäßige Unterfertigung und in der Merowingerzeit die Unterschrift des Königs, im übrigen in den meisten Fällen nachweisbar eigenhändig, trug, von einer Vielzahl geistlicher und weltlicher Personen mitunterzeichnet worden, und dies wohl von den meisten eigenhändig. Dies ist gleichsam als Zeugenunterfertigung anzusehen, was dem Grundsatz der Unscheltbarkeit der Königsurkunde in den Germanenrechten entgegensteht. Diese 49 Personen, die dieses Diplom mitunterzeichnen, stellen ein diplomatisch/rechtsgeschichtliches Problem dar, das in diesem Zusammenhang jedoch nicht von Interesse ist. Betrachtet man zunächst die Zugehörigkeit dieser Personen zu sozialen und funktionalen Schichten, so ist prima vista festzustellen, daß sie zum näheren oder weiteren Umfeld des Königs gehören, die nach den Germanenrechten gemeinhin als Antrustionen - als Mitglieder des königlichen Gefolges - durch
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Zu diesen vgl. W. Bergmann, Untersuchungen zu den Gerichtsurkunden der Merowingerzeit, in: Archiv für Diplomatik 22, 1976, S. 1-186. Pertz [Anm. 4], DM 19, C h L A 13, Nr. 558. Vgl. E. Ewig, Spätantikes und fränkisches Gallien. Gesammelte Schriften, Bd. 1, hg. von H. Atsma, München 1976; Beihefte der Francia 3 / 1 ; S. 210ff. - F. Prinz, Frühes Mönchtum im Frankenreich. Kultur und Gesellschaft in Gallien, den Rheinlanden und Baiern. 4.-8. Jahrhundert, München 1965, S. 167ff.
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Werner Bergmann
ein erhöhtes Wergeid besonderen Schutz genießen. In den Urkunden werden sie - sofern überhaupt näher bezeichnet - als fideles nostri oder proceres nostri gekennzeichnet, was diese Zugehörigkeit deutlich macht. Diese allgemeinen Begriffe umfassen einerseits die Funktionsträger, d.h. die Inhaber der Hofämter, aber wohl auch die übrigen Amtsträger einschließlich der Kanzleibeamten und der Pfalzgrafen. Jedoch wird bei der Aufzählung der einzelnen Personen, die in dieser Form allgemein angesprochen werden, dann im einzelnen nach Funktion und Rang exakt unterschieden. So werden - um dies an einem Beispiel deutlich werden zu lassen - zunächst die Bischöfe, dann der Hausmeier, dann eine Gruppe, die mit optimates bezeichnet wird, genannt, dann folgen die Grafen, die domestict, die Seneschalken und abschließend der Pfalzgraf. Man wird also davon ausgehen können, daß sich die in der Umgebung des Königs genannten Personen in drei Gruppen aufteilen lassen: 1. die Bischöfe, die in dieser Zeit schon mehr oder weniger weltliche Aufgaben übernommen haben 2. die optimates, hinter denen sich wohl der sich herausbildende Adel, der seine Bedeutung auf den Grundbesitz zurückführt, verbirgt 3. die Vertreter der königlichen Verwaltung der Gaue und der einzelnen Civitates, die Grafen, und schließlich 4. die Mitglieder des Hofstaates und die Inhaber der Hofämter. Innerhalb dieser Gruppenbezeichnung wird durch die konsequente Einhaltung dieser Reihung sicherlich eine Rangfolge gekennzeichnet worden sein. Diese Struktur läßt sich im Prinzip auch bei den Unterschriften unter dem Diplom Chlodwigs II. feststellen, insofern als dort die geistlichen Würdenträger vornehmlich auf der linken Seite der Königsunterschrift zu finden sind. Es wird also davon auszugehen sein, daß unter den Sammelbegriffen sich noch eine eindeutige strukturierte Abstufung erkennen läßt. Äußerst umstritten ist die Frage, ob dieser so gekennzeichneten herausgehobenen Personengruppe ein gemeinsamer Ehrentitel zusteht, nämlich die Titulatur mit vir inluster. Diese Frage hat seit der Edition der Merowingerurkunden durch Pertz stetige zunächst auf die Diplomatik beschränkte Diskussion gefunden. Pertz hatte, wie andere zuvor, die der Intitulatio folgende Kürzung v. inl. mit vir inluster aufgelöst und somit zum Königstitel gezogen. Krusch - im wesentlichen der Argumentation Julien Havets 13 folgend - hatte in seinem Verriß der Pertz'schen Arbeit unter anderem diese Entscheidung moniert und gleichsam höhnisch mit dem Hinweis, daß die Zöllner von Marseille auch als viri inlustri bezeichnet worden ieien, die Entscheidung von Pertz, den vir-
13
J. Havet, Questions Merovingiennes I: La formule: N. rex francorum v. inl., in: Bibliotheque de l'Ecole des Chartes 46, 1885, S. 138-149.
Personennamen und Gruppenzugehörigkeit
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inluster-T'\.te\ zur Intitulatio zu ziehen, was im übrigen dem damaligen Forschungsstand entsprach, niedergemacht. 14 Daher sahen sich Lauer und Samaran bei ihrer Transkription genötigt, die strittige Kürzung mit viris inlustribus - also als Inscriptio, eine allgemeine Anrede der Getreuen - aufzulösen, ohne allerdings eine entsprechende Begründung zu geben. Damit würde dieser ursprünglich spätrömische Ehrentitel im Grunde allen Angehörigen der höheren Schichten zuteil. Atsma und Vezin klammern in ihrer Transkription in den Chartae Latinae Antiquiores dieses Problem insofern aus, als sie diese Kürzung - entgegen ihrem übrigen Bemühen - nicht auflösen. Herwig Wolfram hat in seiner Untersuchung zu den Intitulationes 15 die einzelnen Argumentationsstränge zusammengetragen und verschiedene Erklärungsmodelle deutlich gemacht. Soviel scheint indes festzustehen: Das vir-inluster-Problem läßt sich mit paläographischen und diplomatischen Methoden sicherlich nicht zweifelsfrei lösen. Dennoch ist, sofern man die abschriftliche Uberlieferung außen vor läßt, da die Abschreiber und Kopisten auch an der Auflösung dieser Kürzung sicherlich gescheitert sind, ein gewisser differenzierter Gebrauch dieses Ehrentitel innerhalb der bereits definierten Gruppe festzustellen. Seit der Mitte des 7. Jahrhunderts ist in den Originalen der Merowingerkönige der vir-inluster-Titel bestimmten Personengruppen vorbehalten, und zwar durchgängig den Hausmeiern, die im Kontext der Urkunden stets mit diesem Titel versehen werden, darüber hinaus den Pfalzgrafen, die aber, wenn sie so bezeichnet werden, stellvertretend für den König handeln. Ganz deutlich wird diese Unterscheidung in der schon erwähnten Urkunde Chlodwigs II. von 653 16 , in der bei den einzelnen Unterfertigungen sehr wohl zwischen den viris inlustribus und denen, die diesen Titel nicht tragen, unterschieden wird. So bezeichnen sich neben dem Hausmeier Radbert und dem Pfalzgraf Aigulf nur der domesticus Ermenricus, Merulf, Bertecarius, Austrobertus, Probatus, Auderadus patricius und Madalfridus mit diesem Titel, also nur etwas mehr als 10% der unterzeichnenden Personen. Leider lassen sich die mit diesem Ehrentitel versehenen Personen bis auf die Amtsinhaber historisch nicht weiter fassen, so daß Ebling im Zirkelschluß sie den proceres des Königs spekulativ zuweist, wozu sie aufgrund ihrer Funktion wohl eo ipso gehören.
14
B. Krusch, D e r Titel der fränkischen Könige, in: Studien zur fränkischen Diplomatik, Berlin
15
H . Wolfram, Intitulatio I. Lateinische Königs- und Fürstentitel bis zum Ende des 8. Jahr-
1937, S. 5-39. hunderts, G r a z / W i e n / K ö l n , 1967, S. 116-127. "
Vgl. die Abbildung bei A t s m a [Anm. 8], S. 40f.
100
Werner Bergmann
Einen weiteren Hinweis gibt eine Urkunde Theuderichs III. von 67717, eins der wenigen Originale, das eine ausführliche Inscriptio aufweist. Hier werden Audoberthus und Roccontus eindeutig mit dem vir-inluster-Titel belegt. Diese werden als patricii bezeichnet, haben also Amtsfunktion, wenn auch über ihre Person weiter nichts bekannt ist. Beispiele für den Gebrauch der vir-inlusterTitulatur lassen sich sicherlich vermehren. Als Fazit in unserem Zusammenhang läßt sich feststellen, daß zumindest bis zum Ende des 7. Jahrhunderts die Zuweisung dieses Titels auf eine eindeutig abzugrenzende Personengruppe feststellbar ist, und zwar 1. die hervorragenden Amtsträger des königlichen Hofes, allen voran zumindest in der zweiten Hälfte des 7. Jahrhunderts die Hausmeier. Durchgängig werden die jeweiligen Pfalzgrafen mit dieser Ehrenbezeichnung belegt, regelmäßig die Inhaber der hohen Hofämter. 2. ein deutlich abgrenzbarer Teil der optimates, des sich herausbildenden Grundadels, der sich durch bewußte Führung des vir-inluster-T'ite\s von den übrigen unterscheidet. Dies zeigt zumindest das schon herangezogene Diplom Chlothars III. Deutlich festzustellen ist auch, daß es sich eindeutig um einen weltlichen Titel handelt. Für die Bischöfe, die im Merowingerreich eine nicht unbedeutende Rolle spielen, läßt sich dieser Titel nicht nachweisen. Daß dieser Titel eine durchaus hervorhebende Bedeutung besaß, zeigt sich daran, daß im 8. Jahrhundert dieser zum feststehenden Terminus der Hausmeiertitulatur geworden ist. Man wird also folglich für die Zeit des 7. Jahrhunderts davon ausgehen müssen, daß diese Titulatur eine rangmäßige Heraushebung darstellt, auf die durchaus Wert gelegt wurde. Die Frage, die in diesem Zusammenhang interessieren muß, ist die, ob es sich um einem erblichen oder an ein Amt gebundenen Titel handelt. In bezug auf das Hausmeieramt läßt sich festhalten, daß die frühen Hausmeier ganz offensichtlich diesen Titel noch nicht mit dem Amt verbinden konnten, sondern erst mit ihrem Aufstieg diesen für sich in Anspruch nahmen und schließlich dieser dann zur Titulatur der Hausmeier zählt. Ausgangspunkt dieses Ehrentitels ist im wesentlichen der Codex Theodosianus, nach dem mit vir inluster die ranghöchsten Beamten der späten Kaiserzeit mit diesem Ehrentitel versehen worden sind. Gerade aber wesentliche Bestimmungen des Theodosianus leben in der Lex Romana Visigothorum fort, die die Rechtsgrundlage zumindest für die romanischen Bevölkerungsteile im Merowingerreich darstellt. Insofern besteht hier die Möglichkeit, Kenntnis über die Bedeutung dieses Titels zu erlangen. In der Tat läßt sich, wenn man von den Originalen der zweiten Hälfte des 7. Jahrhunderts ausgeht, ein durchaus selektiver Gebrauch dieser Titulatur feststellen. Dieser
17
Vgl. Text und Abbildung bei A t s m a [Anm. 8], S. 68ff.
Personennamen und Gruppenzugehörigkeit
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beschränkt sich ganz eindeutig auf die höchsten Amtsträger, d.h. die Hausmeier, die duces und patricii sowie auf die Pfalzgrafen, die regelmäßig mit dieser Titulatur ausgezeichnet werden. In einigen wenigen Fällen sind auch die Inhaber der unteren Hofämter, z.B. der domesticus mit diesem Prädikat versehen, jedoch finden sich hierfür stets hinreichende Begründungen, wie z.B. für Ermenricus, dem domesticus Chlodwigs II. Für alle diejenigen Personen, die mit dem Prädikat des vir inluster bezeichnet werden, und für die sich keine Amtsfunktion nachweisen läßt, ist zu konstatieren, daß sie nicht näher zu definieren sind. Aus diesem Befund, der - und dies sei zugegeben - auf einer notwendigerweise schmalen Quellenbasis beruht, läßt sich die These wagen, daß die Vergabe des vir-inluster-Titels mit der Ausübung eines hohen Amtes am Königshofe einhergeht, daß darüber hinaus der Verlust des Amtes bzw. nach Beendigung der Aufgaben, die mit dem Amt verbunden sind, auch die Amtsbezeichnung verschwindet und sich auf den neuen Amtsinhaber überträgt, der Ehrentitel des vir inluster für den ehemaligen Amtsinhaber aber erhalten bleibt. Damit würden sich die bereits erwähnten viri inlustri, über die ansonsten weiter nichts bekannt ist, dann durchaus erklären lassen. Daß mit der Übernahme eines hohen Hofamtes auch die Verleihung des vir-inluster-Tite\s üblich ist, zeigt sich überzeugend an Ebroin. In dem genannten Diplom unterfertigt er noch schlicht mit: Ebroinus subscripsi; das Diplom von 688 bezeichnet ihn noch posthum als vir inluster, gemäß seiner Funktion als Hausmeier. Geht man weiterhin davon aus, daß die Reihenfolge der Unterfertigungen in dem genannten Diplom Chlodwigs II. auch eine Rangabfolge der unterfertigen Personen darstellt, so wird deutlich, daß links von der Unterfertigung des Königs die herausragenden geistlichen Würdenträger und die wesentlichen Amtsinhaber unterfertigen, so der Hausmeier Radbert, der Pfalzgraf Aigulf und der domesticus Ermenricus, aber auch - und dies stützt die o.g. These nachhaltig - bis auf eine Ausnahme alle Inhaber des i>z>-m/w5£er-Prädikats. Diese Ausnahme ist der patricius Auderadus, der nach Ebling als patricius in Burgund zu kennzeichnen ist18, der somit mit den Rechtsinhalten des Diploms nur bedingt in Verbindung zu bringen ist. Die These, daß mit der Berufung in ein hohes Hofamt die Verleihung des vir-inluster^\x.e\s einhergeht, der dann nach Erfüllung des Amtes dem ehemaligen Amtsträger erhalten bleibt, wäre sicherlich noch im einzelnen zu begründen, jedoch scheint sie mir eine mögliche Erklärung für den eindeutig selektiven Gebrauch des vir-inluster-T\xt\s in der zweiten Hälfte des 7. Jahrhunderts und auch die Erklärung dafür, daß die Hausmeier bei ihrem Aufstieg diesen Titel für sich in Anspruch nehmen und schließlich ihrer Titulatur hinzufügen. Deshalb
18
H. Ebling, Prosopographie der Amtsträger des Merowingerreiches von Chlothar II. (613) bis Karl Martell (741), Beihefte der Francia 2, München 1974, S. 63f.
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Werner Bergmann
erscheint die Annahme, daß es sich bei den Trägern des vir-inluster-Titels einerseits um Inhaber von hohen Amtern, andererseits aber um solche gehandelt hat, die bereits ein solches Amt innegehabt haben und als Kennzeichen dieses Faktum den Illustrat weiter führen, durchaus begründet. Legt man diese Annahme zugrunde, so ergäbe sich möglicherweise eine Eingrenzung und äußerliche Kennzeichnung der Antrustionen der Germanenrechte, die durch ein besonderes Wergeid geschützt sind. Neben dieser Möglichkeit wird man als gesichert festhalten müssen, daß die Inhaber dieses Titels in der Regel der Schicht der optimates entstammen und zum überwiegenden Teil in Verbindung zu bringen sind mit Funktionen am Königshof, eindeutig sich also von den übrigen optimates abgrenzen. Man wird somit im wesentlichen in bezug auf die merowingischen Königsurkunden von folgenden Personengruppen ausgehen müssen: 1. die unmittelbar am Hofe agierenden Amtsträger 2. die geistlichen Würdenträger 3. die „Großen" des Reiches, die regelmäßig als optimates bezeichnet werden, und schließlich 4. diejenigen, die ebenfalls zu letzteren zählen, aber mit dem Titel vir inluster ausgezeichnet sind und so ihre Verbindung zu den Amtsträgern dokumentieren. Aufgrund dieser Zuordnungskriterien läßt sich die überwiegende Zahl der Personen einer bestimmten sozialen resp. funktionalen Schicht zuordnen. Um die Verteilung zu verdeutlichen, seien hier zwei Diplome als Beispiel herangezogen: In der Urkunde Chlodwigs II. von 654 (DM 19) finden sich 8 geistliche Würdenträger, 3 Inhaber königlicher Amter sowie 6 Mitglieder der optimatesSchicht, die den vir-inluster-Tite\ tragen. Noch deutlicher wird diese Trennung im Placitum Chlodwigs III. von 692/ 693 (DM 66), in dem 52 Personen genannt werden, und zwar: 12 Bischöfe, 12 Vertreter der optimates, 9 comites und 8 grafiones sowie 11 Inhaber von Hofämtern. Deutlich ist auch hier, daß lediglich weltliche Würdenträger aus dem Kreis der optimates und die königlichen Amtsträger mit diesem Titel versehen werden. Man wird diesem vir-inluster-T'ite\ für die Zeit der merowingischen Könige zusammenfassend sicherlich eine besondere Bedeutung in bezug auf den gesellschaftlichen und sozialen Rang der Träger zubilligen müssen, wenn auch sicherlich zeitlich differenziert. In den zweieinhalb Jahrhunderten, die die Merowingerdynastie andauerte, wird eine Veränderung der Bedeutung eingetreten sein, die es am Einzelfall zu verifizieren gilt.
Personennamen und Gruppenzugehörigkeit
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Wendet man sich nun den Personen, ihren Namen und ihren Verwandtschaftsverhältnissen zu, so ist zunächst festzustellen, daß die Zuverlässigkeit der Namenlesung in den merowingischen Königsurkunden nur scheinbar in den meisten Fällen gesichert ist. Die Editionen haben sich bis hin auf die Edition von Pertz, der weitgehend - wie noch heute in den Archives Nationales aufgehobenen Manuskripten deutlich - den Transkriptionen von Letronne und Teulet folgte, auf eine scheinbar einheitliche Namensschreibung festgelegt. Daß diese bei weitem nicht so gesichert ist, zeigt sich vor allem im Bereich der auf Papyrus geschriebenen Originale, die insbesondere in den letzten Jahrzehnten durch ihre Einbettung, aber auch durch Vergilbung aufgrund von Lichteinfall sehr gelitten haben, so besonders das Exemplar in der Bibliotheque Nationale. Somit folgt man am sichersten den Transkriptionen von Lauer und Samaran sowie von Vezin und Atsma, um zu einem gesicherten Befund zu kommen. Hinzu kommt, daß sich eine Reihe von Namen, z.B. auf dem schon erwähnten Diplom Chlodwigs II., die von den Altvorderen gelesen wurden, heute nicht mehr finden bzw. nachweisen lassen.19 Teilweise kommt es auch zu nicht unerheblichen Verlesungen. So liest Pertz, um nur ein Beispiel zu nennen, in der genannten Urkunde als Subskription - wohl dem Kupferstich und der Autorität Mabillons folgend: Aegynarus subscripsi·, im Original findet sich aber mehr als deutlich Aegyna subscripsi. Diese Schwierigkeiten der gesicherten Lesung von Personennamen ist zumindest bei den Papyrusoriginalen durchgängig. So werden in nicht unerheblicher Bandbreite unterschiedliche Formen angegeben, z.B. von Ralcus, der auch Malchardus gelesen wird, Richoaldus anstelle von Sicoaldus oder die eindeutige Schreibweise Madalfrido als Gadefredus. Hier ist der jetzige Bearbeiter der Merowingerdiplome nicht zu beneiden, aber auch nicht derjenige, der die Personennamen für das Projekt nomen et gens aufzubereiten hat. Als Leitschnur können eigentlich nur die in der originalen Uberlieferung enthaltenen Namen gelten, da mit Wahrscheinlichkeit davon ausgegangen werden kann, daß nicht nur die moderne Diplomatik und Paläographie Schwierigkeiten mit der Entzifferung der Personennamen hatte. Zu den Leseschwierigkeiten treten eine Reihe anderer Gewohnheiten, so die Bildung von Kurzformen und eine nicht einheitliche Orthographie in der Namenschreibung. So ist, wie aus dem historischen Kontext sich einwandfrei ergibt, Audoinus, Referendar Dagoberts I. von 632-63820 und Bischof von Rouen 641-684, identisch mit Odo, Hodo oder Dado, wie ihn Fredegar21 nennt. Andererseits ist aber der bereits erwähnte Aegyna von 654 - folgt man der einschlägigen Litera-
" 20
21
Vgl. Atsma [Anm. 8], Bd. XIII, S. 39. H. Bresslau, Handbuch der Urkundenlehre für Deutschland und Italien, Band 1, 4. Aufl., Berlin 1969, S. 366. Vgl. Ebling [Anm. 18], S. 124f.
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tur 22 - nicht identisch mit dem sächsischen Herzog Dagoberts I., Aegyna, der bis in die Vierziger Jahre des 7. Jahrhunderts nachweisbar ist. Sicherlich wäre es auch vermessen, wenn man diese Subscriptio, die sich deutlich von den übrigen abhebt und sich an hervorragender Stelle findet, mit Aega zu identifizieren, der an der Seite der Königin Nantilde die Regentschaft für den minderjährigen Chlodwig II. führt, da Fredegar dessen Tod für 641 vermeldet. 23 So bleibt zunächst nur die lapidare Feststellung, daß dieser mit graezisierenden Majuskeln unterfertigende Große nicht näher bekannt ist. Sind die Großen des Reiches der Papyrusurkunden durch die ergänzenden Nachrichten des Fredegar und seiner Fortsetzer zumindest in einigen Fällen näher zu kennzeichnen, so ist für das 8. Jahrhundert zwar eine größere Anzahl von Personen greifbar, aber ihr Wirken und ihre Familienverhältnisse bleiben weitgehend im Dunkeln, da ergänzende Quellen entweder nicht vorhanden sind oder stumm bleiben. Dies gilt vor allem für die weltlichen Großen und die Amtsträger, während sich die geistlichen Würdenträger zumindest den einzelnen Episkopaten zuordnen lassen. U m dies zu exemplifizieren sei das schon erwähnte Placitum Chlodwigs III. herangezogen, das als Beisitzer in einem Gerichtsverfahren 52 Personen nennt, und zwar Bischöfe, weltliche Große optimates sowie Amtsträger: comites, grafiones, domestici, referendarii, senescalci und den Pfalzgrafen. Von den 12 Bischöfen lassen sich lediglich drei nicht eindeutig einem Bistum zuordnen. Von den ebenfalls 12 weltlichen Großen läßt sich lediglich einer andeutungsweise näher fassen. Die restlichen zehn sind uns nur aus diesem Diplom oder anderen Diplomen bekannt. Der hier genannte Nordeberchthus ist möglicherweise identisch mit einem gleichnamigen Kanzleibeamten Childeberts III.24 oder/und dem Vater der in DM 94 von 727 genannten Ermentheus und Guntechar. Bei den übrigen kommt man über Vermutungen und Hypothesen nicht hinaus. Nicht wesentlich abweichend gestaltet sich der Befund über die Amtsträger. Von den 9 genannten comites lassen sich lediglich zwei annähernd zuweisen. Der comes Ghislemarus findet sich zu Beginn des 8. Jahrhundert als Pfalzgraf Childeberts III. wieder 25 ; er hat also Karriere gemacht, jedoch weitere Nachrichten fehlen. Jonathan fällt nicht allein durch seinen biblischen Namen auf, sondern er fungiert ein weiteres Mal als Beisitzer im Königsgericht. Gleiches gilt auch in bezug auf die grafiones, deren Namen sowohl auf germanische, z.B. Chrodmundus, als auch auf romanische Herkunft, z.B. Auriiianus, schließen lassen. Lediglich die Hofbeamten lassen sich durch ihre weitere Verwendung am
22 23 24 25
So zusammenfassend Ebling [Anm. 18], S. 38f. und S. 42f. Fredegar IV, 83 (MGH SRM 2, S. 163). Vgl. Bresslau [Anm. 20], S. 368. Ebling [Anm. 18], S. 160f.
Personennamen und Gruppenzugehörigkeit
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Hofe näher fassen. So avanciert der domesticus Raganfred zum Hausmeier unter Chilperich II., Vulfolaecus läßt sich als Mitglied der Kanzlei unter Theuderich III., Chlodwig III. und Childebert III. nachweisen, dersenescalcus Hugobercthus wiederum wird unter Childebert III. in das Amt des Pfalzgrafen berufen. Insgesamt gesehen sind die Möglichkeiten der Erfaßbarkeit der Personen der merowingischen Königsurkunden verhältnismäßig dürftig, zumal die Zuordnung zu den historiographischen Quellen in den wenigsten Fällen gelingt. Deutlicher gelingt es bei den geistlichen Würdenträgern aus der Umgebung des Königs, von denen einige wenige auch die Ehre der Altäre erlangt haben, wie z.B. der Bischof Eligius, der das Diplom Chlodwigs II. in schönen gleichmäßigen lateinischen Majuskeln mitunterfertigt. Als Goldschmied und Münzmeister sowie als Bischof von Noyon, der sich um die Missionierung der germanischen Randgruppen nördlich des Merowingereinflusses verdient gemacht hat, erfuhr er sehr schnell die Verehrung als Heiliger und avancierte im späten Mittelalter zum Schutzpatron der Schmiede und wurde um Unterstützung bei Pferdekrankheiten angerufen. Darüber hinaus finden sich von diesem Merowingerheiligen bis heute einige Kirchenpatronate. Versucht man einen zusammenfassenden Überblick über Personen und Personengruppen in den merowingischen Königsurkunden, so ergeben sich als weitgehend sichere Feststellungen: 1. Personen lassen sich in ihrer Funktion und ihrem sozialen Umfeld, nicht aber in ihren familiären/verwandtschaftlichen Zusammenhängen näher eingrenzen. 2. Erkennbar unterscheiden sich Rangfolgen. Neben die geistlichen Würdenträger treten die weltlichen Großen, wobei die Amtsinhaber in der Regel herausragen und dies möglicherweise mit der Führung des vir-inluster-Titels in Verbindung zu bringen ist. 3. Die Zuordnung der Personen in bezug auf ihre fränkische oder romanische Herkunft gelingt lediglich anhand des Namenmaterials, wobei etwa 15% der genannten Personen romanische Namen tragen. Uber diese drei Punkte hinaus sprechen eine Reihe von Indizien dafür, daß zumindest seit der zweiten Hälfte des 7. Jahrhunderts aktuelle, aber auch abgeschlossene Amtsfunktion durch die Verleihung des vir-inluster-Tite\s dokumentiert wird. Diese Beobachtung bietet vielleicht einen Ansatz, die vir-inlusterProblematik einer Lösung näher zu bringen.
Die Namengebung in den Unterschichten der Karolingerzeit V o n DIETER HÄGERMANN
D e r sehr allgemein gehaltene Titel meines Beitrages bedarf einer Präzisierung sowohl im Hinblick auf das Quellenmaterial, das meinen Überlegungen zu Grunde liegt, als auch auf die eigentliche Fragestellung. W i r gehen ausschließlich von urbarialen Texten aus, Aufzeichnungen mithin, die vom Ertrag bestimmter Wirtschaftsobjekte handeln in F o r m von Abgaben, aber auch von Diensten, und von deren Leistungsträgern. Was unsere Fragestellung angeht, so beabsichtigen wir keinesfalls, so reizvoll diese Untersuchung auch sein dürfte, einzelne Namensformen oder gar Systeme der Namengebung -
Adaptionen,
Kompositionsverfahren, Leit- oder Modenamen - zu untersuchen, sondern wir wollen auf die Namengebung bzw. -führung von Unterschichten im Kontext iuristisch-ständischer, sozialer und familiarer Merkmale als Spiegel bestimmter Wirtschafts-, Lebens- und Herrschaftsformen der frühmittelalterlichen Epoche und ihrer Wandlungen hinweisen. Den Terminus .Unterschicht' verwende ich lediglich als Arbeitsbegriff, der den dergestalt bezeichneten Personenkreis von der ,Oberschicht' der ,Großen' - Adel und Amtsträger - , aber auch von der Mittelschicht - den ,mediocres' unserer Quellen - abhebt, etwa von freien Bauern, kleinen Vasallen und Benefiziaren, jener Spezies also, der wir beispielsweise in den Traditionscodices von Weißenburg und Freising, aber auch im St. Galler Urkundenmaterial begegnen. Als Angehörige der ,Unterschicht' begreifen wir demnach mancipia und servi, Kolonen und Liten, Wachs- und Kopfzinser, Freigelassene und .Fremde' (extranei) samt ihren Angehörigen, kurzum jenes bunte Gemisch, das sich im N e t z der mittelalterlichen .familia' in ihren vielfältigen rechtlichen, sozialen und ökonomischen Bindungen fängt. Vertreter insbesondere der Oberschicht sind in unseren erzählenden Quellen -
Geschichte handelt vom Menschen! - allgegenwärtig, Hörige hingegen - ein
Terminus, der die differenzierte soziale Wirklichkeit innerhalb der ,familia' trifft -
sind mangels Freiheit, Freizügigkeit, disponibler Gütermasse
und
Testierrechtes in der Regel nur als Verkörperung besonders lobenswerter bzw. verwerflicher Aktionen und Reaktionen im historiographis'chen Kontext präsent, vor allem aber sind sie als O b j e k t e von Schenkung und Tausch, Kauf und
Die Namengebung in den Unterschichten der Karolingerzeit
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Verkauf, häufig gar als unbezifferte Menge wie das ,liebe Vieh' in Pertinenzformeln und Globaltraditionen allgegenwärtig. Als Individuen, deren soziales Umfeld gelegentlich eine schärfere Ausleuchtung erfährt, finden sich Angehörige dieser Unterschicht - hier häufig in Nachbarschaft mit .mediocres' - in karolingerzeitlichen Miracula und Translationsaufzeichnungen, die Heilungswunder sehr häufig mit Namensangabe, Geschlecht, Personenstand, Herkunft, Zugehörigkeit und Krankheitsbild zuverlässig dokumentieren. (Für den Bremer Raum etwa: Miracula Sancti Willehadi, Translatio Sancti Alexandri). Aber auch und vor allem urbariale Quellen, Polyptycha und Inventare als Zeugnisse von Herrschaft (dominatio) über Land und Leute, Bauern und Grundbesitz, geben uns über statistische Angaben zum Inventar der Wirtschaftsobjekte und deren Ertrag in Abgaben und Diensten hinaus nicht selten durch Namensnennung die Inhaber dieser Höfe und ihrer Familien - hier sowohl im engeren, modernen als auch seinem mittelalterlichen Bedeutungsfeld verstanden - als individuelle Leistungsträger zu erkennen. Wie bereits Heinrich Löffler in einem wichtigen Beitrag zum Thema Hörigennamen dargelegt hat, ist eine Voraussetzung zur sozialen Gruppierung überlieferter Namen in der Tat, „daß sich die Träger dieser Namen mit Hilfe anderer Kriterien als denen des Namens in soziale Gruppen einteilen lassen."1 Ludolf Kuchenbuch hat sich unlängst mehrfach mit dem Problem urbarialer Texte im Zusammenhang mit Schriftlichkeit und ,Verschriftung' beschäftigt und hat dabei den offenkundigen Kontrast von umfangreicher Detailaufnahme und verkürzter Summe herausgestellt, die als ,wenig vieles' der Empfängerseite, dem Grundherrn, bereits abstrahierend als Ubersicht diente.2 Dem personalen Raster der Inventarisierung als protokolliertes, durch Befragung ermitteltes Wissen hat Kuchenbuch nur insofern seine Aufmerksamkeit zugewandt, als er am Beispiel des Breve von Limonta (Comer See) auf die wichtige Rolle von neun Alten, die ihr Wissen über den Hof und seine Leistungspflicht auf Befragen kundtun, vermerkt und dem Problem des Verschriftungsaktes nachgeht.3 Die namentlich genannten ,boni homines' haften mit Eid und Leumund für ihr Zeugnis, das sowohl für Hörige als auch für die Herrschaft in gleicher Weise verbindlich ist: „Neben die mündliche Gedächtnis- und Erinnerungspraxis der Bauern war nun eine von ihnen selbst
1
2
3
H. Löffler: Die Hörigennamen in den älteren St. Galler Urkunden. In: Beiträge zur Namenforschung. Neue Folge 4, 1969, S. 193. Zu den soziologischen Aspekten des Namensmaterials vgl. St. Sonderegger: Personennanen des Mittelalters. V o m Sinn ihrer Erforschung. In: Memoria. D e r geschichtliche Zeugniswert des liturgischen Gedenkens im Mittelalter. Hg. v. K. Schmid und J. Wollasch, 1984, S. 255-284. L. Kuchenbuch: Teilen, Aufzählen, Summieren. Zum Verfahren in ausgewählten Güter- und Einkünfteverzeichnissen des 9. Jahrhunderts. In: Schriftlichkeit im frühen Mittelalter. Hg. v. U. Schaefer, 1993, S. 1 8 1 f f . , bes. S. 195ff. Kuchenbuch [ A n m . 2], S. 183f.
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eidlich verbürgte Schriftfassung getreten." 4 Diese konnte, wie etwa die bekannte Urkunde König Pippins I. von Aquitanien aus dem Jahr 828 lehrt, sehr wohl gegen die Bauern vor Gericht verwandt werden. 5 In Gestalt und Häufigkeit der Namensgebung in urbarialen Quellen spiegeln sich zugleich die Entwicklungsstufen der frühmittelalterlichen Agrarverfassung. So wenig in der sog. merowingischen Gutsherrschaft, deren Erforschung ein dringendes Desiderat darstellt, der oftmals nicht unbeträchtliche Besatz an männlichen und weiblichen mancipia einer Individualisierung durch Namen bedurfte, so wichtig und wissenswert mußten Name, Rechtsstand, Geschlecht, familiare Stellung abhängiger, aber selbständig wirtschaftender Bauern sein, deren Höfe von ehemals Freien, jetzt als Kolonen Bezeichneten, bzw. von abgeschichteten servi als mansi ingenuiles bzw. serviles bearbeitet wurden und von deren Leistungen in Gestalt von Abgaben und Diensten nicht zum wenigsten die ökonomische Basis der Oberschicht abhing, ganz zu schweigen von dem Umstand, daß diese Höfe als Teil des systeme bipartite sich zu allermeist in Gemengelage mit Besitzungen anderer Grundherren vor Ort befanden. Diese Personen haften zumindest in der karolingischen Epoche als namentlich erfaßte Leistungsträger für den Ertrag ihrer Höfe. Dieser Ertrag - das Urbar - wird zwar mehr und mehr zu einer dinglichen Belastung der Wirtschaftsobjekte, gleichwohl blieb die personale Komponente - ausgedrückt in Namen und Appositionen - im Herrschaftsverhältnis der ,familia' unverändert wichtig, hierin durchaus vergleichbar den Lehnskontrakten der Oberschicht, die sich auch nicht auf das dingliche Substrat (H. Mitteis) des Rechtsverhältnisses reduzierten. Persönliche Verantwortlichkeit und dingliche Belastung bleiben untrennbar miteinander verbunden - auch wenn diese doppelte Fixierung in den fraglichen Texten nicht immer ins Auge springt. Dies liegt nicht primär in unterschiedlich ausgestalteten Rechtsverhälnissen begründet, sondern in der Anlage oder in dem erkenntnisleitenden Interesse der jeweiligen Datenaufnahme. 6 Zur Erläuterung des Gesagten möge ein allgemein bekanntes Beispiel dienen: So hat das Urbar von Staffelsee, vermutlich im ersten Jahrzehnt des 9. Jahrhunderts anläßlich der Inkoroporation der dortigen Kirche samt deren Grundbesitz in das Bistum Augsburg aufgezeichnet, seinem Charakter als Inventar entsprechend zwar die Ausstattung von Kirche und Herrenhof im Detail aufgenommen, die ingenuilen und servilen Mansen und ihre unterschiedliche Belastung
4
5 6
L. Kuchenbuch: Verrechtlichung von Erinnerung im Medium der Schrift (9. Jahrhundert). In: Mnemosyne. Formen und Funktionen der kulturellen Erinnerung. Hg. v. A. Assmann und D. Harth, 1991, S. 41. Ebd., S. 37 mit Nachweisen. D. Hägermann: Quellenkritische Bemerkungen zu den karolingerzeitlichen Urbaren. In: Strukturen der frühen Grundherrschaft im Mittelalter. Hg. v. W . Rösener, 1989, S. 48f.
Die Namengebung in den Unterschichten der Karolingerzeit
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aber nur en bloc und in Ziffern erfaßt, die der Gesamtsumme des Augsburger urbarialen Besitzes ohne Mühe einverleibt werden konnten. Auch das Polyptychon von St. Bertin in Flandern, zwischen 844 und 849 entstanden bzw. aufgezeichnet, ließe sich als Muster für diesen Aufnahmetypus heranziehen. 7 Diese abstrahierende Technik, dem entwickelten Modell der ,klassischen' Grundherrschaft adäquat, ist dennoch die Ausnahme unter den rund 30 urbarialen Texten des karolingischen Zeitalters und einigen Vorstufen in älteren Zeiten. Wir müssen uns aus Platzgründen mit wenigen exempla begnügen, hoffen aber, mit diesem ersten tastenden Versuch Anregungen zu weiteren Analysen des Materials geben zu können. In einem fragmentarisch überlieferten Papyrusrotulus der Kirche von Ravenna aus der Mitte des 6. Jahrhunderts, Papyrus 3 nach der Edition von Tjäder 8 , der bereits die Genese des bipartiten Systems erkennen läßt, werden dem Schema der Aufnahme nach Landgut (saltus) und Hofstellen (colonicae) folgend auch die Verantwortlichen für die Lieferung von Geld und Naturalzinsen sowie Frondiensten mit Namen genannt, so der ,vilicus' für das Gesamtobjekt, Kolonen und Bauern für ihren jeweiligen Hof. Ein Priester wird als Inhaber eines geschenkten Sumpfgebietes verzeichnet; einer colonica - qui nuper ordenata est, ut post quinqennio possit aliquid praestare - fehlt konsequenterweise noch jedwede Namennennung! In den Kontext dieser frühen urbarialen Zeugnisse gehören auch die sogenannten documents comptables von Saint-Martin in Tours, um 700 aufgezeichnet und ebenfalls fragmentarisch auf 31 bzw. 27 Pergamentstücken überliefert, die einen ganz unmittelbaren Einblick in die konkrete Güterverwaltung einer geistlichen Institution im Ausgang der merowingischen Epoche vermitteln. 9 Auch diese ordenatio des Abtes Agiricus geht von einzelnen colonicae - Hofstellenverbände - aus und nimmt die jeweiligen Leistungsträger und ihre Abgaben als Entgelt für agrarium und lignaritium namentlich und mit entsprechenden Ziffern auf. Diese Notizen ermöglichen ihrerseits eine Summe am Schluß der jeweiligen Aufzeichnung, soweit der Uberlieferungszustand der Texte diese allgemeine Aussage rechtfertigen kann.
7
Kuchenbuch [ A n m . 1], S. 193 mit Nachweisen.
8
J . O . Tjäder: Die nichtliterarischen Papyri Italiens aus der Zeit 445-700, 1955, S. 184ff. Z u r Sache: J. Percival: Seigneurial aspects of late R o m a n estate management. In: English Historical Review 332, 1969, S. 449ff.; W . Goffart: F r o m R o m a n taxation t o mediaeval seigneurie. In: Speculum 47, 1972, S. 385ff. und D. Hägermann: Einige Aspekte der Grundherrschaft in den fränkischen formulae und in den leges des Frühmittelalters. In: Le Grand D o m a i n e aux epoques merovingienne et carolingienne. Hg. v. A . Verhulst, 1985, S. 53f.
'
Vgl. P. Gasnault: D o c u m e n t s comptables de Saint-Martin de Tours a l'epoque merovingienne, 1975, und ders.: Chartae latinae antiquiores 18, 1985, S. 3-61 ( C h L A 659); zur Sache vgl. zuletzt mit weiteren Literaturangaben J. Durliat: Qu'est-ce qu'une polyptyque? In: Media in Francia ... Recueil de melanges offert a Karl Ferdinand Werner, 1989, S. 129ff., und Hägermann [ A n m . 8], S. 54.
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Nicht wenige dieser Angaben aber sind mit einem Federzug durchgestrichen als Hinweis auf die offenbar bereits erfolgte Ablieferung des Solls oder sind durch Ergänzungen anderer Hand - zumeist in tironischen Noten - auf den letzten Stand gebracht worden, etwa dergestalt: De reliquo renuit oder de reliquo dedit bzw. häufig: reddet lignum. Name und Leistung bleiben weiterhin konstant miteinander verknüpft und sind jenseits der Summen für den Grundherrn direkt abrufbar. Von besonderem Wert für unsere Fragestellung nach der Namengebung in den Unterschichten, nicht nur durch den relativ frühen Zeitpunkt ihrer Aufzeichnung, sondern auch wegen ihrer erkenntnisleitenden Interessen, sind die descriptiones von 13 villae aus dem Grundbesitz der Abtei S. Victor in Marseille hervorzuheben. Dieser 813 und 814 auf Anordnung des damaligen Abtes (und zugleich Bischofs von Marseille) Wadald(us) zusammengestellte Rotulus führt unter dem Rubrum jeweils einer villa die zugehörigen colonicae - hier einzelne Hofstellen - und ihre namentlich genannten Leistungsträger auf und zugleich - damit weit über die documents comptables von Tours hinausgehend - die Mitglieder der ,familia', den personalen Besatz des jeweiligen Hofes.10 Doch bleibt es nicht bei dieser quantitativen Ausweitung. Das Aufnahmeformular erfährt eine bedeutsame Ergänzung im Hinblick auf die Individualität der genannten Personen, deren Geschlecht, Rechtsstellung, Familienstand, Alter der Kinder und auf Besonderheiten, die bei der breviatio vor Ort als festhaltenswert für die aktuelle Bewirtschaftung der Höfe und ihrer Erträge erachtet wurden - Ausdifferenzierungen, die nur mit Hilfe von Namensangaben möglich und sinnvoll waren. Auf den Namen des Halters - auch weibliche Verantwortliche als Leistungsträger, etwa Witwen, sind belegt11 - folgt zumeist die Angabe seines Rechtsstandes, häufig colonus, aber auch mancipium, gelegentlich accola; diesem schließt sich der Name der Ehefrau an, in der Regel ohne Hinweis auf deren Rechtsstatus, ferner Name, Geschlecht und Alter der Kinder, entweder in Jahren oder nach Lebensabschnitten, so baccalarius oder baccalaria - erwachsene Personen ohne eigenen Hausstand, gelegentlich mit dem Zusatz ad scola hier: zum Herrendienst bestimmt. Aber auch Söhne und Töchter mit eigenen Hausstand sind in nicht weniger als einem Drittel der colonicae aufgezählt und
10
11
Vgl. B. Guerard: Cartulaire de l'abbaye de St.-Victor-de Marseille. Bd. 2, 1857, S. 622-654. Zur Sache vgl. St. Weinberger: Peasant Households in Provence: ca. 800-1000. In: Speculum 48, 1973, S. 247-257; M. Zerner-Chardavoine: Enfants et jeunes au IX 5 siecle. La demographie du polyptique de Marseille, 813-414. In: Provence Historique 126, 1981, S. 355-377. Zum Namensmaterial vgl. vor allem die these von A. Bergh, Etudes d'anthroponymie provencale. I. Les noms de personne du Polyptyque de Wadalde (a. 814), Göteborg 1941, die S. 8f. auch einige bessere Lesungen enthält und am Schluß ein verkleinertes Facsimile des Rotulus. Auf diese wichtige Arbeit wies mich liebenswürdigerweise Herr Kollege Kremer, Trier, hin. Guerard [Anm. 10], S. 640 Nr. 69.
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legen damit Zeugnis für die auch sonst zu beobachtende sogenannte Mehrfachbesetzung von Hofstellen ab. Nicht zuletzt sind auch infantes ad über, Säuglinge, vermerkt, die offenkundig noch keinen Namen tragen. Trotz der hohen Sterblichkeitsrate dieser Kleinkinder und ihrer Namenlosigkeit schien es den Aufnahmekommissionen angezeigt, diese potentiellen Mitglieder der ,familia' als mögliche zukünftige Leistungsträger in die descriptio aufzunehmen. Die Altersangaben für die Kinder schwanken zwischen einem und fünfzehn Jahren - mithin lag das Alter der infantes ad über unter einem, das der baccalarii oder baccalarie über fünfzehn Jahren.12 Uber das Alter hinaus werden nicht selten auch Funktionen dieser Kinder angeführt, so als clericus und - bereits erwähnt - ihre Bestimmung ad scola. Damit nicht genug! So vermerkt der Text auch mangelnde körperliche oder geistige Integrität, die spätere Leistungen eben nicht erwarten lassen, eingefangen in dem Terminus debilis für Söhne und Töchter, der überdies und verständlicherweise die Altersangabe überflüssig macht: Ingilbertus, filius baccalarius, debilis oder auch Gaudila, filia, debilis.13 Die durch das Mittel der Namengebung in toto aufgeführten Familien der Halter variieren naturgemäß nach Anzahl und Binnenstruktur. Zu allermeist handelt es sich um eine Kernfamilie im modernen Verständnis mit Kleinkindern, erwachsenen Söhnen und Töchtern mit und ohne eigenen Hausstand und sonstige Verwandte, wobei freilich die Namenformen allein nur relativ sparsam die tatsächlichen oder vermuteten Verwandtschaftsbeziehungen offenlegen. Nach der sorgfältigen Analyse des Materials durch Ake Bergh sind in den descriptiones insgeamt 812 Personen namentlich verzeichnet, 416 Männer und 336 Frauen. Insgesamt entfallen auf diese 812 Personen 497 unterschiedliche Namen, 264 Männer- und 233 Frauennamen. Es überwiegen Namen griechisch-lateinischer Herkunft gegenüber Namen germanischen Ursprungs - das Verhältnis beträgt bei den Männern 133 zu 98, bei den Frauen 104 zu 102, ,hybride' Formen sind mit 23 zu 15 angegeben, 10 bzw. 12 Namen sind etymologisch unklar. Diese Tatsache ist offenkundig nicht nur bedingt durch die Verwendung biblischer oder christlicher Namen, insbesondere von Heiligen. Die Provence war früher und stärker romanisiert worden als andere Teile des Imperiums, der fränkische Einfluß blieb vergleichsweise gering, so daß nicht nur christliches Namensgut, sondern auch profane antike Namen (Augustus, Aurelianus) überdauerten. Dies steht etwa im deutlichen Gegensatz zur Pariser Abtei Saint-Germain-des-Pres, deren germanischer Namenanteil das Neunfache des sonstigen Namenvorkom-
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Vgl. zum Thema Kinder vor allem M. Zerner-Chardavoine [Anm. 10]; allgemeiner J.-P. Devroey: Les methodes d'analyse demographique des polyptiques du haut Moyen Age. In: Acta Historica Bruxellensia 4, 1981, S. 77-88 und P. Toubert: La part du Grand Domaine dans le decollage economique de l'occident. In: Flaran 10. La croissance agricole du haut moyen äge, 1988, S. 53ff., bes. S. 56f. Guerard [Anm. 10], S. 646 Nr. 51 bzw. S. 651 Nr. 1.
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mens übersteigt. 14 Mit 101 Heiligennamen - 12,4% des Materials - läßt sich die These belegen, daß dieses spezifische Namengut sich zumindest in der Provence bereits im 9. Jahrhundert verbreitet hat, nicht erst im 12. Jahrhundert, wie vielfach angenommen worden ist, zumal Lokalheilige - etwa Victor - nur zweimal unter den Namen des Rotulus figurieren. D a ß die engen Beziehungen zwischen Eltern und sonstigen Verwandten auch in den Namen bzw. in Namensbestandteilen der Kinder erkennbar sind, ist eine bare Selbstverständlichkeit. Stephanus findet seine Entsprechung in Stephania, Dructaldus in Dructerigus, Waldebertus in Baldebertus, Tudomaris in Rigomaris oder Basilius in Basilia. Dennoch überrascht zunächst, daß nach den Untersuchungen Berghs nur in 11 bzw. 26 Fällen der familiare Zusammenhang durch das Mittel der Namengebung (Appellation, Namensbestandteil - Lexem - und Alliteration) offenkundig ist, während in nicht weniger als 34 Fällen kein Hinweis durch die Namensform erfolgt. Dies entspricht freilich den Beobachtungen Löfflers am frühen St. Galler Urkundenmaterial. Von 151 Familien in mindestens zwei Generationen zeigen hier 94 (!) Familien keinerlei durch Namen allein vermittelte Bindung. 15 Gemeinsame familiare Strukturen benachbarter Höfe der colonica lassen sich mit Hilfe des Namenmaterials jedenfalls nicht ausmachen - im Gegensatz etwa zur Situation in Saint-Germain-desPres. 16 Die Namen selbst erscheinen in aller Regel in ihrer Vollform. Nur wenige Kurzformen wie Alda, Beno, Berta, Inga oder Teodo sind belegt, hingegen aber einige .Lallformen' (Kosenamen) wie Babo oder Doda. Kurzform mit ,Spitzname' kombiniert findet sich in Namen wie Saisa oder Saxo als Hinweis auf sächsische Abkunft des Namensträgers bzw. der Namensträgerin. Bemerkenswert ist auch die ganz gelegentliche Bildung eines Namens nach der Bezeichnung eines Besitzes. So stammt ein Incaladius tatsächlich aus der colonica Incaladio. Die aufgegebenen oder derzeit brachliegenden Hofstellen werden .namenlos' lediglich als colonicae apsae aufgeführt, gelegentlich gibt es wohl einen spezifischen Hinweis auf die entflohenen (oder umgesetzen?) ehemaligen Halter bzw. Inhaber: Juvinus et uxor, cum infantes [sic!] suos ad requirendumt7 Die nur in Stichworten angezeigte Informationsdichte dieser descriptiones erlaubt über das Mittel der Namengebung weitgehende Rückschlüsse auf die
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Bergh [Anm. 10], S. 184ff. Bergh [Anm. 10], S. 196ff. und Löffler [Anm. 1], S. 204. Vgl. dazu H . W . Goetz, Zur Namengebung bäuerlicher Schichten im Frühmittelalter. Untersuchungen mit Berechnungen anhand des Polyptychons von Saint-Germain-des-Pres. In: Francia 15, 1987, S. 852-877 und von sprachwissenschaftlicher Seite einschlägig N. Wagner: Zum Fugenkonsonantismus und anderem in westfränkischen Personennamen. In: Beiträge zur Namenforschung 24, 1989, S. 121ff, bes. S. 130ff. Guerard [Anm. 10], S. 635 Nr. 21.
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Struktur der Höfe, die beträchtlich über bloßes Zahlenmaterial hinausgehen. Die Angaben zur ständischen Zugehörigkeit des Leistungsträgers bzw. dessen weiblichen Pendants und gegebenenfalls seines Ehepartners lassen hinsichtlich der Rechtsstellung von Kindern die unabweisbaren Konsequenzen aus „Mischehen" deutlich erkennen: Frederada mancipium [sie!], marito ingenuo, Simplicia filia annorum V, infans ad uber}% Die Kinder folgen unzweifelhaft der „ärgeren" Hand - anderenfalls fehlten sie in der descriptio. Bereits an diesem Beispiel läßt sich erkennen, daß die nach dem Schema villa - colonica - Leistungsträger angelegten Verzeichnisse eine Namennennung unterlassen, sofern die über ihren Rechtsstatus als ,frei' oder als ,auswärtige' (extraneus, extranea) gekennzeichnete Person nicht zur ,familia', zum engeren Klosterverband, zählt und dementsprechend als Hörige in strengem Wortsinn nicht erfaßt werden kann. Als weitere Beispiele dieser Aufnahmemodalität seien genannt: Onoria filia, marito extraneo (zur ,familia' des Halters gehörig) oder Dructaldus accola, uxore extranea (Halter und Frau). 19 Auch hierin wird deutlich, daß die Grundherrschaft als Wirtschafts-, Lebens- und Herrschaftsprinzip keineswegs ein abgeschlossenes System im Sinne der alten Hauswirtschaft darstellt, sondern durch horizontale und vertikale Mobilität gekennzeichnet ist, die stetigen Wandel verbürgt. Aber nicht nur der aktuelle personale Besatz (und sein Leistungssoll) der Einzelhöfe findet die notwendige Aufmerksamkeit der Kommission, auch die zum Zeitpunkt der Erhebung nicht anwesenden, möglicherweise entlaufenen oder umgesetzten Hörigen werden entweder im Breve des Einzelhofes oder in der Summa der villa vermerkt: Colonica N. - Deidona vidua, Eligia filia annorum V, Aurelianus, filius ad requirendum.20 Deshalb unterblieb bei dem vermißten Sohn die Altersangabe. Besonders charakteristisch ist freilich der Requirendum-Versuch im Kontext von verlassenen bzw. aufgegebenen Höfen, den ,colonicae apsae': Colonica ad oliveto apsta I. Stephanus cum filios suos ad requirendum.21 Gleiches gilt für den bereits erwähnten Summenachtrag. Keineswegs sind als Leistungsträger nur männliche Hofhalter (maneipia oder coloni) aufgeführt, wir finden mehrfach als Verantwortliche Frauen, sogar Frauenhaushalte ohne Männer: Colonica in N. Rutica, colona, Juannia, marito extraneo, Rentrudis, marito extraneo bzw. Colonica in N., Marta, femina, Maria vidua, Anastasia filia baccalaria, Elegia, filia annorum V, infans ad über.21 Aber auch Witwen als Hofhalter finden Erwähnung: Imbi colonica. Lautrudis vidua, Gisilardus filius
18
" 20 21 22
Ebd., Ebd., Ebd., Ebd., Ebd.,
S. S. S. S. S.
653 634 640 635 640
Nr. Nr. Nr. Nr. Nr.
4. 2 bzw. S. 637 Nr. 1. 10. 1. 6 bzw. S. 635 Nr. 11.
114
Dieter Hägermann
annorum X, Lauteria filia annorum VP Schließlich ist von Bedeutung, daß die Abtei über ihre Aufnahmekommissionen vor Ort nicht nur Leistungsträger und Leistung ermittelt, sondern auch häufig versucht, diese erstmals oder erneut als solche festzulegen, etwa nach dem Vorgang: Colonica in N. Ursius clericus, mancipium Lupus, filius, uxore extranea, qui ipsa colonica regere debet.24 Inhaber des Hofes ist der Priester, sein Sohn aber ist der Leistungsträger, an ihn hält sich die Abtei bzw. der zuständige villicus. Ein anderes Beispiel: Inibi colonica N. Dominicus colonus, uxore extranea. Maximus filius baccalarius, qui ipsa colonica regere debeat. Hier soll offenbar der Sohn die Pflichten der Eltern übernehmen. 25 Gleiches - die Übertragung der Leistung an genannte Personen - gilt möglicherweise auch für Hofstellen, deren eigentlicher Halter als ,relevatus' - entpflichtet? - bezeichnet wird im Gegensatz zu dem Zweitgenannten: qui ipsa colonica regere debet.26 Das personale Spektrum findet sich ferner über die Halter und ihre Ehefrauen bzw. Kinder erweitert um Kleriker bzw. Priester, die ihrem Status nach unzweifelhaft der Hörigenschicht angehören - dies trotz aller gegenteiligen Synodalbeschlüsse und Kapitularien. 27 Ferner lassen sich unter den primär als Kolonen und Manzipien bezeichneten Hofhaltern und deren Familien auch besondere Leistungs- und Funktionsträger ausmachen, so ein (servus) quotidianus als Aufseher von Schafherden, der dementsprechend - Tagesfron! - keinen Zins zahlt und dem überdies sein Sohn entlaufen ist - filius ad requirendum!28 Genannt werden ferner ein Reitender Bote', equitarius, der einen Geldzins zahlt, ein Schmied, faber, entsprechend wohl der ,colonica in fabricas' (Schmiede), ein Schafhirt, verbecarius und schließlich ein Handwerker, artifex, dem die Familie (Frau und Kinder) abhanden gekommen ist.29 Im Kontext dieser noch nicht eigentlich grundherrschaftlich strukturierten Kolonien, die nicht auf Dienste, sondern primär auf Abgaben abgestellt sind und deren Leistungsträger sehr genau erfaßt werden, finden sich auch Namen von Benefiziaren bzw. von Prekaristen überliefert, die einen oder mehrere Höfe einer villa in der Form der Landleihe besitzen, deren Belastung mithin weiter fortbesteht: Inibi in vilare, in Tulpino, in ipso vilare quem Autramnus in beneficio habet, pasco verberes X30 Damit haben wir an einigen wenigen, allerdings signifikanten Texten die Möglichkeiten einer differenzierten Analyse sozialer, familiarer und wirtschaftli23 24 25 26 27 28 29 30
Ebd., S. 640 Nr. 9 (auch Nr. 10). Ebd., S. 638 Nr. 20. Ebd., S. 645 Nr. 46. Ebd., S. 651 Μ Nr. 1 bzw. S. 654 Nr. 12. Z.B. S. 633 Nr. 1 oder S. 653 Nr. 9. Ebd., S. 654 Nr. 14. Ebd., S. 338 Nr. 19; S. 642 Nr. 3 und S. 640 Nr. 8; S. 643 Nr. 19. Ebd., S. 644 Nr. 36 und bereits Nr. 35: apste II, quem [sie!] Autramnus pasco verberes III.
in beneficio abet,
Die Namengebung in den Unterschichten der Karolingerzeit
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eher Verhältnisse im Umfeld von Namennennungen von Unterschichten vorgeführt, Möglichkeiten, die sich fast ausschließlich über das Namenmaterial eröffnen. Hier gilt es in Zukunft weitere Untersuchungen vorzunehmen und auch andere Textsorten - etwa Privaturkunden, formulae, Testamente - in dieses Vorhaben einzubeziehen.
Nobilis non vilis, cuius et nomen et genus scitur. Von JÖRG JARNUT
Nobilis non vilis, cuius et nomen et genus scitur. Diese knappe Definition des Adels findet sich in Isidors „Etymologiae" und zwar im 10. des bekanntlich 20 Bücher umfassenden Werkes.1 Das 10. Buch ist das am wenigsten homogene von allen. Es trägt den nichtssagenden Titel „De vocabulis" und stellt sozusagen einen Anhang zum 9. dar, das „De linguis, gentibus, regnis, militia, civibus, affinitatibus" handelt.2 Es ist in sich alphabetisch geordnet, und der erste Begriff unter „N" ist eben nobilis, der wie gerade zitiert umschrieben wird. Ihm folgen nubilis, nemo, nullus und Dutzende anderer, mit „N" beginnender Begriffe.3 Adlig und nicht wertlos oder verächtlich ist also derjenige, dessen Namen und Geschlecht man kennt. Offensichtlich ist man demzufolge weder adlig, wenn man nur einen berühmten Namen hat, noch wenn man nur einem bekannten Geschlecht angehört, was für einen Sozialhistoriker einigermaßen befremdlich wirkt. Namen und Geschlecht, beide müssen also der Welt bekannt sein, sonst ist man nicht nobilis. Der für das frühmittelalterliche wie auch für andere Formen archaischen Denkens sinnhafte, wenn nicht sogar magische Bezug zwischen res und nomen hat auch den Aspekt, daß die Benennung der erste Akt des Erkennens eines Objektes ist. Das hat Jacques Fontaine bezogen auf Isidors von spätantiken Grammatikern übernommene etymologische Methode präzise so umschrieben: „Nommer est l'acte premier et essentiel de la connaissance".4 Kenntnis der Bezeichnung und des Bezeichneten sind bei Isidor so eng verknüpft, daß er an anderer Stelle seiner „Etymologiae" formulieren kann: Nomen dictum quasi notamen, quod nobis vocabulo suo res notas efficiat. Nisi enim nomen scieris, cognitio rerum pent.5 Wir werden im Folgenden davon auszugehen haben, daß die zentrale Bedeutung, die dem nomen für die Kennzeichnung und das Erken-
1
Isidor von Sevilla, Etymologiae sive origines, hg. v. Wallace Martin Lindsay, Oxford 1911, Bd. 1, X , 1 8 4 .
2
Isidor von Sevilla [ A n m . 1], I X .
3
W i e A n m . 1.
4
Jacques Fontaine, Isidore de Seville et la culture classique dans l'Espagne wisigothique, 2 Bde. u. 1 Supplementbd., Paris 2 1983, das Zitat Bd. 1, S. 50.
5
Isidor von Sevilla [ A n m . 1], 1,7,1.
Nobilis non vilis
nen der Dinge zukommt, nach Isidor auch für die Unterart des nomen und den damit bezeichneten Menschen anzunehmen ist.
117 proprium
Die Verbindung von nomen, genus und scire ist sozusagen zentral für das Thema unseres Symposiums, denn sie zeigt doch, daß der in seinem intellektuellen Einfluß auf das Frühmittelalter kaum zu überschätzende Bischof von Sevilla die Frage nach der historischen Aussagekraft der Personennamen seiner Zeit in einer überraschend expliziten Form wenigstens für eine Gruppe der Gesellschaft, die zudem die führende ist, eindeutig bejaht. Daß diese positive Antwort von einem berufenen Sachkenner formuliert wird, ist nicht minder wichtig. Isidor entstammte nämlich einer der großen Familien des hispanisch-senatorischen Adels und kannte natürlich die Namengebung dieser Gruppe sehr genau. Zugleich hatte er intensiven Umgang mit dem westgotischen Adel seiner Zeit und unterhielt zahlreiche Beziehungen über die Halbinsel hinaus zu anderen führenden Gestalten im westlichen Europa. 6 Daß der Name einen Adligen als solchen auswies und darüber hinaus ermöglichte, ihn einer Familie zuzuordnen, beweist auch eine Stelle aus dem althochdeutschen Hildebrandslied. In diesem Lied, dessen Vorgeschichte bis in die Völkerwanderungszeit zurückreicht, während es in der vorliegenden F o r m erst um 800 aufgezeichnet wurde, berichtet der Dichter über das Zusammentreffen Hildebrands und Hadubrands, die einander unbekannt waren: Hiltibraht grimihalta,
Heribrates sunu - her was heroro man,
ferahes frotoro - ;
her fragen gistuont
fohem w o r t u m
hwer sin fater wari
fireo in folche,
„eddo hwelihhes cnuosles du sis.
Ibu du mir enan sages
ik m e de odre wet,
chind, in chunincriche: chud ist mir al irmindeot",
also: „Hildebrand sprach, Heribrands Sohn -
er war der ältere, der mit höherem Lebensalter
-;
er begann zu fragen mit wenigen W o r t e n , wer sein Vater sei im Menschenvolk, ,oder aus welcher Sippe du sein magst. W e n n du mir einen nennst, kenne ich die anderen, junger Mann, im Königreich: Bekannt ist mir die ganze Heldenschar'". 7
Im Folgenden werden wir nun versuchen herauszuarbeiten, was es den Zeitgenossen ermöglichte, vom Namen her die soziale Stellung einer Person und insbesondere ihren Familienhintergrund zu entschlüsseln und warum den Nachgeborenen diese Operationen kaum noch möglich oder gar völlig versagt sind. Sodann wollen wir an einigen adligen Familien zeigen, wie sich die Namenge-
6
Vgl. z.B. Fontaine [ A n m . 4], Bd. 1, S. 1-9 oder Hans-Joachim Diesner, Isidor v o n Sevilla und seine Zeit, Stuttgart 1973, bes. S. 9-18.
7
Der Text und die Ubersetzung bei Rosemarie Lühr, Studien zur Sprache des Hildebrandliedes, 2 Bde., Frankfurt am M a i n / B e r n 1982, Bd. 1, S. 2.
118
Jörg Jarnut
bung konkret darstellte, die es ermöglichte, ihre Träger als nobilis zu erweisen. Dabei werden wir uns sehr bewußt auf die Zeit vor der Jährtausendwende beschränken. Den beiden für das westliche frühmittelalterliche Europa relevanten Systemen der Namengebung, nämlich dem lateinischen und dem germanischsprachigen, ist inhärent, daß sie mit dem Personennamen nicht nur das Individuum bezeichnen, sondern auch seine familiale Zuordnung. Das ist allgemein bekannt. Das klassische römische System der tria nomina, also mit praenomen, nomen gentile und cognomen macht schon in diesen Termini deutlich, wie diese Zuordnung geschieht, daß also Gaius Iulius Caesar ein Julier war. Aber schon seit dem 3. Jahrhundert wurde diese Dreinamigkeit selbst bei hochgestellten Familien zunehmend durch die Einnamigkeit abgelöst, so daß auch bei vielen adligen, d.h. senatorischen Familien das Kind nur noch mit einem Namen benannt wurde. 8 Zwar gibt es nicht wenige Beispiele dafür, daß man etwa durch leichte Variationen der Namen ausdrückte, daß zwischen ihren Trägern verwandtschaftliche Zusammenhänge bestanden, etwa nach dem Muster Claudius - Claudianus - Claudia, aber diese Möglichkeiten waren schon sprachlich äußerst beschränkt, und die weitaus meisten Angehörigen dieser führenden Familien mußten sich mit Namen bescheiden, die ihre familialen Zugehörigkeiten nicht erkennbar werden ließen. Ebenso bekannt ist, daß in den germanischen Sprachen Alliteration, Variation und Nachbenennung bei den Personennamen dieselbe Funktion erfüllten, also im Namen familiale Zusammenhänge zu signalisieren. Die Reihen Heribrand - Hildebrand - Hadubrand und Sigibert - Childebert - Theudebert, die eine aus dem Hildebrandslied, die andere die Liste der austrasischen Merowingerkönige zwischen 575 und 612, verdeutlichen das Gemeinte ebenso wie die Abfolge Heinrich - Otto - Otto - Otto - Heinrich, also die Aufzählung der ottonischen Könige. Die Frage, die sich nun aus der Perspektive unserer Themenstellung erhebt, ist, ob der Personenname wirklich ausreicht, um nach der Behauptung Hildebrands seinen Träger in seinen familialen Zusammenhängen einzuordnen und damit indirekt seine soziale Stellung, also ggf. auch seinen Adel, zu erweisen. Oder, wenn wir diese Frage in der Optik Isidors formulieren: War der Name so beschaffen, daß er verbunden mit der Kenntnis der Familie seines Trägers diesen als adlig auswies? Die Antwort, die die moderne Forschung auf diese Frage gegeben hat, ist zunächst eine quantitative, was nicht verwundern kann, wenn man den Einfluß
8
Vgl. Jiro Kajanto, Onomastic Studies in the Early Christian Inscriptions of Rome and Carthage, Helsinki 1963, bes. S. 9-17; Michael Mitterauer, Ahnen und Heilige. Namengebung in der europäischen Geschichte, München 1993, S. 84f.
Nobilis n o n vilis
119
der mathematisch strukturierten Natur- auf die Geisteswissenschaften seit dem 19. Jahrhundert berücksichtigt. Adlige Namen seien also selten, wenn nicht gar exklusiv. Ihre Seltenheit oder Einmaligkeit würde also ausreichen, um ihren Träger eindeutig und damit auch in seiner Nobilität sicher zu identifizieren. Jeder, der sich nur einmal mit Namenstudien beschäftigt hat, weiß wie fragwürdig derartige Ansichten sind. Zwar gibt es im Frankenreich nicht beliebig viele Chlodwigs im 6. und 7. Jahrhundert, aber dieser Name wird in der Form Ludwig seit dem 9./10. Jahrhundert zu einem häufigen Namen, wie Nachforschungen in der Duisburger Datenbank ergaben. 9 Und daß die Königsnamen Heinrich und Konrad im Hochmittelalter zu Hinz und Kunz werden konnten, ist jedem Mediävisten bekannt. Wenn Urteile über Häufigkeit, Seltenheit oder Exklusivität von Namen nicht rein willkürlich und damit völlig irreführend sein sollen, muß nach der Quellenbasis dieser Urteilsbildung und nach deren Kriterien gefragt werden. Zunächst ist dabei einmal festzuhalten, daß für unseren Zeitraum außer für das italische regnum Langobardorum und das hispanische regnum Gothorum bisher keine auch nur einigermaßen vollständige Prosopographie vorliegt. 10 Das bedeutet, daß für alle anderen Reichsbildungen und auch für Italien und Spanien mit Ausnahme der Jahre 568-774 bzw. 507-711 zur Zeit überhaupt keine zuverlässige Basis zur Verfügung steht, die einigermaßen sinnvolle Aussagen über Häufigkeit, Seltenheit oder Exklusivität von Personennamen in größeren Herrschaftsgebieten ermöglichte. Wenige Beispiele mögen genügen, u m die Fragwürdigkeit von Urteilen über Namenhäufigkeit ohne gesicherte Quellenbasis zu erweisen. Dazu soll die angebliche Exklusivität von Namen der höchsten Adelsgruppe, also der Könige, überprüft werden. Allgemeine Uberzeugung ist z.B., daß bis zum 8. Jahrhundert „Pippin" und „Karl" exklusive Arnulfinger- und damit ab 751 exklusive Königsnamen gewesen seien. Diese Annahme könnte für das Frankenreich vielleicht zutreffend sein, wie Recherchen in der natürlich nicht vollständigen Duisburger Datenbank ergaben. Aber 765 ist im toskanischen Chiusi ein Pippin und 770 sind wiederum in der Toskana gleich zwei Grundbesitzer namens „Karl" bezeugt.11 Der Einwand, dies seien ja Beispiele aus dem Langobardenreich, ist solange nicht wirklich stichhaltig, als das bisher
9
Zum 9. Jahrhundert sind dort zahlreiche Personen namens „Ludwig" erfaßt. Vgl. etwa die unter dem Lemma h 406 erfaßten Belege in: Das Verbrüderungsbuch der Abtei Reichenau, hg. von Johanne Autenrieth, Dieter Geuenich u n d Karl Schmid, Hannover 1979 ( M G H Libri memoriales et necrologia. Nova Series 1), S. 107.
10
Jörg Jarnut, Prosopographische und sozialgeschichtliche Studien zum Langobardenreich in Italien (568-774), Bonn 1972; Luis A. Garcia Moreno, Prosopografia del reino visigodo de Toledo, Salamanca 1974; Gerd Kampers, Personengeschichtliche Studien zum Westgotenreich in Spanien, Münster 1979. Jarnut [Anm. 10], S. 193, N r . 1089; S. 153, N r . 807.
11
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Jörg Jarnut
nur höchst ausschnitthaft erfaßte fränkische Namenmaterial allenfalls vage Vermutungen über das Vorhandensein dieser Namen im Frankenreich außerhalb der Familie der Arnulfinger zuläßt. N o c h ein Beispiel für die Fragwürdigkeit der Vermutung, wenigstens Königsnamen seien selten oder gar einmalig gewesen: Von den zehn Langobardenkönigen des 8. Jahrhunderts, dem Jahrhundert, aus dem eine einigermaßen breite langobardische Uberlieferung vorliegt, trägt lediglich der letzte einen, ich sage jetzt schon, scheinbar exklusiven Namen, nämlich Adelgis. Sonst stellen sich die Verhältnisse so dar: Es gibt im Langobardenreich des 8. Jahrhunderts 13 Männer namens „Liutpert", 17 namens „Raginpert", 5 namens „Aripert", 8 namens „Ansprand", 2 namens „Liutprand", 8 namens „Hildeprand", 7 namens „Ratchis", 3 namens „Aistulf" und schließlich ebenfalls 3 namens „Desiderius". 1 2 Wir wollen nun eine weitere Hilfsüberlegung anstellen, um etwas zu dem Problem der Namenhäufigkeit beizutragen. Unterstellen wir einmal - durchaus im Einklang mit entsprechenden demographischen Hypothesen - , daß im langobardischen Italien durchschnittlich 3 Millionen Menschen wohnten, dann bedeutet dies, daß zwischen 568 und 774 dort etwa 24 Millionen Individuen lebten, wenn wir eine Generation mit 25 Jahren ansetzen. Von diesen sind in unserem Quellenmaterial knapp 4000 mit ihrem Namen bezeugt, d.h. 0,17 Promille oder anschaulicher: jeder 6000. der damals existierenden Menschen hat in unserem Quellenmaterial onomastisch verwertbare Spuren hinterlassen. Die vorgeführten Zahlen zeigen wohl nur Folgendes sicher: Absolute Exklusivität eines Namens dürfte fast auszuschließen sein, Seltenheit und Häufigkeit müssen genau definiert werden. Dabei sind u.a. wenigstens Zeit, Raum und Schicht zu berücksichtigen, um unter der Voraussetzung einer möglichst vollständigen Erfassung des Materials zu wenigstens halbwegs sinnvollen Einschätzungen zu gelangen, die dann aber noch einmal auf ihre Relevanz in Hinsicht auf die extreme Ausschnitthaftigkeit des uns überlieferten Namengutes überprüft werden müssen. Die eben vorgetragenenen quantitativen Überlegungen zeigen, daß Exklusivität oder Seltenheit eines Namens für sich genommen in vielen Fällen wohl auch dem kundigen Zeitgenossen nicht genügten, um ihren Träger sicher zu identifizieren und damit z.B. als adlig oder einem bestimmten Geschlecht zugehörig zu bestimmen. Wir müssen uns darüber klar werden, daß der N a m e ein zentraler Bestandteil eines komplexen Zeichen- und Beziehungssystems war, das seinen Träger als Person charakterisierte und definierte und damit für die Zeitgenossen identifizierbar machte. Ich möchte im Folgenden - ohne jeden Anspruch auf
12
Jarnut [Anm. 10], S. 36, Nr. 9; S. 159f., Nr. 851 u. S. 306, Nr. 216; S. 198f., Nr. 1125 u. S. 316, Nr. 291; S. 59, Nr. 167; S. 55, Nr. 132; S. 160, Nr. 853; S. 147, Nr. 775 u. S. 302, Nr. 185; S. 203, Nr. 1147; S. 62, Nr. 186; S. 98, Nr. 455.
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Vollständigkeit - einige Elemente aufführen, die dieses System konstituieren. Die Körperlichkeit des Menschen mit ihren unzähligen Aspekten ist da wohl zuerst zu nennen: groß - klein, alt - jung, blond - schwarzhaarig, schmallippig mit wulstigen Lippen, ich breche hier ab, um weitere Trivialitäten zu vermeiden. Der Mensch wird aber auch durch seine Gestik und Mimik und durch seine Sprache charakterisiert. Das tun aber auch, unterstellen wir einmal, er sei ein adliger Herr, seine Kleidung, seine Bewaffnung, sein Schmuck, seine Pferde oder seine Hunde. Zudem wird dieser Mensch sich an Orten aufhalten, die seine Zeitgenossen zwanglos zu ihm in Beziehung setzen können, an anderen wird er nie auftauchen. Weiterhin wird er Tätigkeiten ausüben, die von seinen Zeitgenossen von ihm erwartet werden, während er andere fast mit Sicherheit niemals übernehmen wird. Der adlige Herr jagt eben, er wird kaum jemals hinter einem Pflug hergehen. Konstruieren wir ein Beispiel, um das Gemeinte noch deutlicher werden zu lassen: Wenn Hildebrand einen schlanken, blonden, schmallippigen Herrn, der sich elegant bewegt und in gelbe, grüne und rote Seide gewandet gravitätisch auftritt und spricht, mit kostbaren Waffen aus Brescia ausgestattet und auf einem edlen Rapphengst aus Thüringen reitend, umgeben von ebenso edlen Jagdhunden aus England trifft, wie er sich, umringt von zahlreichen Abhängigen, zur Jagd vorbereitet, dann braucht dieser Herr wohl nur noch seinen Namen „Adelbert" zu nennen, damit der kundige Alte ihn genau einordnen kann. Gleicht dieser Adelbert nicht Rotpert, seinem Onkel, außerordentlich? Hatten nicht Theudebert und Adelbert, sein Vater und Großvater, schon immer bunte Seide, Brescianer Waffen, Thüringer Rappen und englische Jagdhunde bevorzugt? Das Beispiel zeigt, daß in einer elitären und damit zahlenmäßig kleinen Schicht der Name und die seinem Träger zugeordneten Attribute für einen welterfahrenen Zeitgenossen genügen konnten, ihn sicher in seine familialen und sozialen Zusammenhänge einzuordnen. Die Situation der persönlichen Begegnung ist aber mit Sicherheit nicht das, an was Isidor dachte, als er seine Adelsdefinition niederschrieb. Er dachte vielmehr daran, daß man einen Namen und eine verwandtschaftliche Zuordnung zur Kenntnis nahm und sofort wußte, daß der so Charakterisierte ein adliger Herr (oder auch eine adlige Dame) war. Verkürzt gesagt kann man also feststellen, daß die Prominenz des durch seinen Namen bestimmten Individuums wie die seiner Familie Nobilität ausmachten. Wenigstens andeutend sei vermerkt, daß die Prominenz natürlich erworben werden mußte, z.B. durch kriegerische Heldentaten, politische Leistungen, durch in die Öffentlichkeit wirkende glänzende Selbstinszenierungen bei Festen, Feiern oder großen Jagden, z.B. aber auch durch prachtvolle Bauten oder Mäzenatentum. All dies und vieles andere war geeignet, einem Menschen das heiß ersehnte, in unseren Quellen so häufig erwähnte nomen praeclarum oder gar aetemum zu verschaffen. Wenn sich
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Jörg Jarnut
nun nicht nur mit dem Namen des Individuums, sondern auch mit dem seiner Vorfahren und Verwandten eine derartige Prominenz verband, so daß man ihr genus kannte, dann war der prominente Namenträger ein nobilis. Zweifellos waren sich die frühmittelalterlichen adligen Familien sehr bewußt, welche Bedeutung der Namengebung für ihre Kinder für deren gesellschaftliche Positionierung zukam. Wenn man seinem Kind den richtigen Namen gab, signalisierte man möglicherweise das verpflichtende, aber auch verheißungsvolle exemplum eines Vorfahren oder sonstigen Verwandten, dessen Macht, Ansehen und Prominenz dem so Benannten zum Vorbild gereichen konnten. U b e r ein besonders schönes Beispiel für ein derartiges Verhalten bei der Namengebung berichtet uns Gregor von Tours. Als sich König Guntram 591 Fredegund und ihren neustrischen Großen annäherte, erklärte er sich auch bereit, deren siebenjährigen Sohn aus der Taufe zu heben. Das Kind erhielt den Namen seines berühmten mächtigen Großvaters „Chlothar". Bei diesem Akt soll Guntram gesagt haben: Crescat puer et huius sit nominis exsecutor ac tale potentia polleat, sicut ille quondam, cuius nomen indeptus estu, also etwa: „Der Knabe möge gedeihen und das ausführen, was sein Name besagt [also ein berühmter Krieger zu sein]; auch soll er in solcher Machtfülle blühen wie einst der, dessen Namen er erhalten hat". In jedem Falle schaffte man mit der richtigen Namenwahl sozusagen die besten kommunikationstechnischen oder - weniger modernistisch - mnemotechnischen Voraussetzungen für die Prominenz des eigenen Kindes. Mitglieder der adligen Gesellschaft kannten diesen Namen und ordneten ihn der richtigen Familie zu, das taten aber auch Sänger, Dichter, Geschichtsschreiber oder andere durch ihre Werke Prominenz erzeugende Meinungsproduzenten, die zudem den ihnen ohnehin schon lange bekannten Namen nicht so leicht aus dem Gedächtnis verloren, sondern stets präsent hatten. Wenn es die angedeuteten Methoden gab, durch die Namengebung ein Individuum und seine Familie als nobilis herauszustellen, so ist es verständlich, daß man ebenso über Mittel verfügte, ein Mitglied der Familie, das die in ihn gesetzten Erwartungen nicht erfüllt hatte, dadurch aus der Erinnerung zu tilgen, daß man seinen Namen in Zukunft nicht mehr an Mitglieder der eigenen Familie vergab. W i r wollen nun an wenigen konkreten Beispielen vorführen, wie diese Mechanismen adliger Namengebung funktionierten. Bewußt haben wir dabei ebenso Familien ausgewählt, die in römischen Traditionen standen, wie solche, die germanische Wurzeln hatten. Stroheker und Heinzelmann haben zeigen können, wie stark adlige Familientraditionen die Namenwahl in den gallischen
13
Gregor von Tours, Libri historiarum X , hg. v. Bruno Krusch und Wilhelm Levison (MGH SRM I, Hannover 2 1951) X,28, S. 522.
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senatorischen Führungsschichten des 4. bis 7. Jahrhunderts bestimmt haben. Als einzige Beispiele dafür seien nur die Apollinares, die Aviti und die Magni angeführt. 14 Als ein weiteres, spätes Beispiel für das ausgeprägte Familienbewußtsein und den daraus resultierenden ausgeprägten Namenstolz spätantiker Eliten ist das Verhalten der rätischen Viktoriden zu sehen. 15 Sehr gut untersucht ist das Namengut der Merowinger. Auffällig ist, daß sich bei ihnen durch Variation im 6. Jahrhundert ein kleiner Fundus von Männernamen herausbildet, die in der zweiten Hälfte jenes Jahrhunderts wiederholt werden. Der Bestand wird seit dem 7. Jahrhundert nicht mehr erweitert. Hingegen ist der Fundus ihrer Frauennamen weniger eng und weniger abgeschlossen. 16 Weit weniger erforscht ist erstaunlicherweise die Namengebung bei den Karolingern, obwohl sie weit mehr Material als die merowingische liefert. 17 Besonders erklärungsbedürftig ist, warum von den he raus ragenden Karolingern der ersten beiden Generationen aus der ersten Hälfte des 7. Jahrhunderts die Namen Arnulfs, des Bischofs von Metz, und seiner Söhne Chlodulf und Ansegisel völlig in den Hintergrund treten, während die Pippins und Grimoalds bis in das 9. Jahrhundert hinein zum Kernbestand des karolingischen Namengutes gehörten. Einerseits könnte dies dadurch zu erklären sein, daß Pippin I. einer adligeren Familie entstammte als Arnulf, entscheidender aber dürfte sein, daß Chlodulf eine eher negative Erinnerung hinterließ und Ansegisel ermordet wurde, ohne vorher nennenswerte Taten vollbracht zu haben. 18 Immerhin versuchte man am Ende des 8. Jahrhunderts seinen Namen dazu zu benutzen, die Pippiniden an die Trojaner sozusagen anzusippen, indem man ihn mit „Anchises" gleichsetzte und damit die Erinnerung an den Vater des Aeneas beschwor. Diese gelehrte Konstruktion des Paulus Diaconus diente also dazu, die im spätantiken Gallien wie bei den Franken weitverbreitete Trojanersage für die karolingische Propaganda und Selbstdarstellung verfügbar zu machen. 19
Vgl. ss.w. bei Karl Friedrich Stroheker, Der senatorische Adel im spätantiken Gallien, Tübingen 1948, und Martin Heinzelmann, Bischofsherrschaft in Gallien, München 1976. 15 Vgl. Otto P. Clavadetscher, Zur Verfassungsgeschichte des merowingischen Rätiens, Francia 8 (1974) S. 60-70. 16 Vgl. Eugen Ewig, Die Namengebung bei den ältesten Frankenkönigen und im merowingischen Königshaus, Francia 18/1 (1991) S. 21-69. 17 Den besten Zugang auch zum Namengut der Karolinger bieten die beiden grundlegenden, im Karlswerk veröffentlichten prosopographischen Studien von Eduard Hlawitschka, Die Vorfahren Karls des Großen, in: Karl der Große, Bd. 1: Persönlichkeit und Geschichte, hg. v. Helmut Beumann, Düsseldorf 1965, S. 51-82 und Karl Ferdinand Werner, Die Nachkommen Karls des Großen bis um das Jahr 1000, in: Karl der Große, Bd. 4: Das Nachleben, hg. von Wolfgang Braunfels und Percy Ernst Schramm, Düsseldorf 1967, S. 403-482. 18 Vgl. etwa Ulrich Nonn, Chlodulf, in: Lexikon des Mittelalters 2 (1983) Sp. 1862f. und Eduard Hlawitschka, Ansegisel, in: ebd. 1 (1980) Sp. 678. " Paulus Diaconus, Gesta episcoporum Mettensium, hg. v. Georg Heinrich Pertz (MGH Scriptores II, Hannover 1829) S. 260-268, hier S. 264. 14
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Jörg Jarnut
Hingegen ist kaum verständlich, warum Arnulfs Namen erst wieder nach vier Generationen und auch danach nur sehr gelegentlich und dann nur für uneheliche Söhne verwendet wurde, wenn man das überaus positive Bild des karolingischen Spitzenahnen akzeptiert, das die karolingische Hofhistoriographie und auch die moderne Forschung von ihm zeichnen. 20 War er hingegen der politisch kläglich Gescheiterte, der 629 von Chlothar II. entmachtet wurde, wie ich ihn sehe, erklärt sich dieses Namenverhalten zwanglos. 21 In der dritten Generation nach Pippin I. und Bischof Arnulf, wurde Pippin II. ein Sohn geboren, dem er den Namen Karl gab. Entgegen weit verbreiteter Ansicht war dieser Karl kein sog. Friedelkind Pippins, sondern entstammte einer vollgültigen Ehe.22 Die Wahl seines auch philologisch schwer deutbaren Namens, der so gar nicht dem traditionellen Schema der zweigliedrigen, wert- und prestigebeladenen Personennamen dieser Zeit entspricht, wäre noch auffälliger, wenn nicht Pippin seinen ältesten Sohn ähnlich unkonventionell Drogo genannt hätte. Uns bleibt leider verborgen, was ihn, der selbst einen wenig klangvollen Namen trug, zu dieser Wahl veranlaßt haben könnte. Die herausragenden Erfolge Karls, dem erst seit dem Ende des 9. Jahrhunderts der Beiname „martellus" beigelegt wurde 23 , machen verständlich, daß sein Name nun zu den herausragenden in seiner Familie zählte. Folgerichtig benannte der später zum König aufgestiegene Pippin seinen ältesten Sohn mit diesem Namen. Die exzeptionelle Stellung, die dieser große Karl erringen konnte, der schon für die Zeitgenossen zum Namengeber für seine ganze Dynastie wurde, erklärt, daß bis zur Mitte des 10. Jahrhunderts in jeder Generation regierende karolingische Könige einen ihrer Söhne Karl nannten. Karl der Große unterstrich seinen Anspruch auf eine ihn selbst überdauernde Herrschaft, indem er seinen ältesten Sohn Pippin nannte. Karls ärgster Feind war sein jüngerer Bruder Karlmann, der 770 in rivalisierender Absicht seinem ältesten Sohn ebenfalls den Namen Pippin gab und damit gleichgeartete Herrschaftsansprüche signalisierte. Das Pikante an dieser Namenwahl bestand darin, daß Karls Pippin bucklig und damit nach frühmittelalterlichen Vorstellungen nur bedingt oder gar nicht herrschaftsfähig war. Damit war es Karlmanns gesunder Pippin, der die Zukunft der Dynastie sicherte und so die Stellung seines Vaters erheblich stärkte. Erst die Geburt seines zweiten, gesunden Sohnes im Jahre 772, den er
20
Vgl. zuletzt z.B. Rudolf Schieffer, Die Karolinger, Stuttgart/Berlin/Köln 1992, S. 12-17.
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Vgl· Jörg Jarnut, Agilolfingerstudien. Untersuchungen zur Geschichte einer adligen Familie im 6. und 7. Jahrhundert, Stuttgart 1986, S. 71-74. Vgl. dazu Waltraud Joch, Karl Martell - ein minderberechtigter Erbe Pippins?, in: Karl Martell in seiner Zeit, hg. v. Jörg Jarnut/Ulrich Nonn/Michael Richter, Sigmaringen 1994, S. 149-169. S. dazu Ulrich Nonn, Das Bild Karl Martells in den lateinischen Quellen vornehmlich des 8. und 9. Jahrhunderts, Frühmittelalterliche Studien 4 (1970) S. 70-137, hier S. 124-137.
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Nobilis non vilis
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selbstbewußt nach dem Urgroßvater und wohl auch nach sich selbst benannte, befreite Karl aus dieser Zwangssituation 24 , die er 781 endgültig bereinigte, als er durch Papst Hadrian seinen ursprünglich Karlmann benannten drittältesten Sohn bei der Taufe in Pippin umbenennen ließ und damit den buckligen gleichnamigen Sohn zugleich von der Erbfolge ausschloß. 25 Wie politisch adlige Namengebung im Frühmittelalter sein konnte, zeigt auch die Wahl der Namen, die Karl 778 traf, um seine gerade von Hildegard geborenen Zwillinge zu benennen. Nach seiner schweren, seine Stellung insbesondere in Aquitanien gefährdenden Niederlage in Spanien und nach den verheerenden Angriffen der Sachsen bis hin zum Rhein nannte er seine kleinen Söhne Chlodwig und Chlothar. Er wählte damit die Namen der Merowingerkönige, die Aquitanien unter fränkische Herrschaft gebracht bzw. die Sachsen entscheidend besiegt hatten. So signalisierte er seinen Franken seine Zuversicht und seinen ungebrochenen Siegeswillen trotz der verschiedenen Rückschläge. 26 Es ist ein Paradox, daß der nicht einmal in seiner eigenen Dynastie besonders hervorgehobene Namen des Reichsgründers Chlodwig in der Folgezeit in der Form „Ludwig" zum wichtigsten fränkischen und dann französischen Herrschernamen wurde, was auch aus der Perspektive der Namengebung die besondere, fränkische Qualität des französischen Selbstbewußtseins unterstreicht. 27 Bei dieser gerade am Beispiel der Karolinger demonstrierten überragenden Bedeutung des Namens, der zugleich das Individuum wie dessen Familienzugehörigkeit in synchroner wie in diachroner Dimension kennzeichnet, für die adlige Stellung und das adlige Selbstbewußtsein verwundert es nicht, daß auch alle anderen frühmittelalterlichen Dynastien und alle uns bekannten großen Adelsfamilien über einen eng begrenzten, klar umschriebenen Namenfundus verfügten. Wer entsprechend gekleidet, geschmückt und bewaffnet, mit entsprechender Gestik, Mimik und Sprache einen derartigen Namen nannte, um sich selbst zu identifizieren, entfaltete - ich möchte dies noch einmal wiederholen - ein Zeichensystem, das darauf angelegt war, in einer Welt der Symbole und Rituale die eigene Stellung eindeutig und unangreifbar zu definieren. Wenn nun aber jemand in eine Spitzenposition aufstieg, der wegen seiner bisherigen Familientraditionen einen für seine neue Stellung nicht kennzeich-
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Vgl. Jörg Jarnut, Ein Bruderkampf und seine Folgen: Die Krise des Frankenreiches (768771), in: Herrschaft, Kirche, Kultur. Beiträge zur Geschichte des Mittelalters, hg. v. Georg Jenal, Festschrift für Friedrich Prinz zu seinem 65. Geburtstag, Stuttgart 1993, S. 165-176. Vgl. Schieffer [Anm. 20], S. 81. Vgl. Jörg Jarnut, Chlodwig und Chlothar. Anmerkungen zu den N a m e n zweier Söhne Karls des Großen, Francia 12 (1985) S. 645-651. Vgl. dazu Bernd Schneidmüller, Karolingische Tradition und frühes französisches Königtum. Untersuchungen zur Herrschaftslegitimation der westfränkisch-französischen Monarchie, Wiesbaden 1979, passim.
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Jörg Jarnut
nenden Namen trug, konnte er diesen Mangel für seine Person nicht beheben, aber er konnte wenigstens seinen Kindern kompensatorisch adlige Namen geben. Das vielleicht schönste frühmittelalterliche Beispiel für ein solches Verhalten ist das des aus unteren Adelsschichten über hohe Amter zum Langobardenkönig aufgestiegenen Desiderius, des einzigen Herrschers seines Volkes, der einen lateinischen Namen trug. Er nannte seine Kinder Adelgis, Adelperga, Anselperga und Liutperga. Insbesondere der Name seines einzigen Sohnes Adelgis mit dem Bestimmungswort „Adel" verweist auf diese Zusammenhänge·28 Die vorausgegangenen Ausführungen haben wohl mit hinlänglicher Deutlichkeit gezeigt, daß die frühmittelalterlichen Personennamen in höchstem Maße familiale Gruppenbildungen abbilden und vor allem daß sie darüber hinaus bei adligen Familien Teil eines komplexen Zeichensystems waren, das ihre Nobilität den Zeitgenossen geradezu plakativ offenbarte. In einer Gesellschaft, in der nach Isidor dem nomen definitorische Qualitäten für die Sozialkategorie „Adel" zukamen, war eben - wie Michael Mitterauer formuliert hat - „der Akt der Namengebung [...] die eigentliche soziale Geburt des Menschen". 29 Es ist sicher auch erkennbar geworden, welch extrem eingeschränkte Kenntnisse wir von den Motiven dieser Namengebung haben können, ja wie extrem wenig wir überhaupt wegen der Überlieferungslage über die Personennamen des Frühmittelalters wissen können. Dies sollte aber kein Anlaß zur Resignation sein, sondern vielmehr Ansporn, das Wenige an Überliefertem zu sammeln, zu sichten und unter möglichst vielen Gesichtspunkten angemessen auszuwerten. So können wir Nachgeborenen uns wenigstens Partikel des über die Personennamen erschließbaren Wissens über die Welt erwerben, das etwa einem Hildebrand oder aber auch einem Isidor von Sevilla eigen war.
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Vgl. Jarnut [ A n m . 10], S. 98, 348f. Michael Mitterauer, Abdallah und Godelive. Z u m Status von Frauen und Männern im Spiegel „heiliger N a m e n " , in: Die Religion der Geschlechter. Historische Aspekte religiöser Mentalitäten. L ' h o m m e . Schriften. Reihe zur feministischen Geschichtswissenschaft 1 (1995), hg. v. Edith Saurer, S. 45-72, das Zitat S. 45f.
Namengebung und adliges Selbstverständnis V o n GERD ALTHOFF
Im Folgenden soll zunächst skizziert werden, welche Möglichkeiten das Phänomen der adligen Namengebung und die ihr zugrundeliegenden Regeln der historischen Forschung eröffnet hat und welche Limits ihr gesetzt waren. Ferner möchte ich an einigen Beispielen zeigen, auf welchen Feldern aus meiner Sicht und meinen Forschungsinteressen neue Beobachtungen und neue Untersuchungen das bisherige Bild ergänzen und differenzieren können. Es ist allgemein bekannt, daß die genealogisch-besitzgeschichtliche Methode die historische Erforschung des mittelalterlichen Adels seit Jahrhunderten geprägt hat.1 Der sozusagen genealogische Teil dieser Methode basierte weitestgehend auf der Voraussetzung, daß die Namengebung in mittelalterlichen Adelsfamilien bestimmten Regeln folgte. Dies haben im Grunde genommen schon mittelalterliche Historiker gewußt und zum Teil sehr spekulativ zur Ansippung von Adelsgeschlechtern an berühmte Vorfahren ausgenutzt. Es fehlt die Zeit, dies vorzuführen, doch gäbe es für diesen Sachverhalt viele Beipiele, etwa von den Thüringer-Landgrafen, von den Staufern oder auch von den Habsburgern.2
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Vgl. etwa Wilhelm Störmer, Früher Adel. Studien zur politischen Führungsschicht im fränkisch-deutschen Reich vom 8. bis 11. Jahrhundert, 2 Bde. [Monographien zur Geschichte des Mittelalters 6/1.2.], Stuttgart 1973, der S. 29ff. einen Abriß der Forschungsgeschichte bietet; vgl. auch den Artikel ,Adel' von Karl F. Werner u.a., in: Lexikon des Mittelalters, Bd. 1, Sp. 118-141; vgl. ferner Reinhard Wenskus, Sächsischer Stammesadel und fränkischer Reichsadel [Abhandlungen der Akademie der Wissenschaften in Göttingen, phil.-hist. Klasse, dritte Folge, Nr. 93], Göttingen 1976, bes. S. 66ff.; s. auch die Hinweise bei Karl-Heinz Spieß, Familie und Verwandtschaft im deutschen Hochadel des Spätmittelalters, 13. bis Anfang des 16. Jahrhundert [Vierteljahresschrift für Sozial- und Wirtschaftsgeschichte. Beihefte Nr. 111], Stuttgart 1993, S. 514ff. und demnächst die von Dieter Mertens und Thomas Zotz in einem Sonderheft des Konstanzer Arbeitskreis herausgegebene Habilitation von Karl Schmid, Geblüt - Herrschaft - Geschlechterbewußtsein. Grundfragen zum Verständnis des mittelalterlichen Adels, Freiburg 1961 [masch.schriftl.]. Vgl. dazu Gerd Althoff, Genealogische und andere Fiktionen in mittelalterlicher Historiographie, in: Fälschungen im Mittelalter, Bd. 1 [Schriften der M G H 33/1], Hannover 1988, S. 417-441; Jürgen Petersohn, Die Ludowinger. Selbstverständnis und Memoria eines hochmittelalterlichen Reichsfürstengeschlechts, in: Blätter für deutsche Landesgeschichte 129,1993, S. 1-39. Zu den Staufern: vgl. Karl Schmid, „De regia Stirpe Waiblingensium". Bemerkungen zum Selbstverständnis der Staufer, in: Zeitschrift für die Geschichte des Ober-
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Gerd Althoff
In allen Fällen dienten auffällige Namen wie Ludwig, Clodius oder Odbert als Ausgangspunkt einer fiktiven Ansippung, die auf dem Wissen basierte, daß in Adelsgeschlechtern die Namengebung nach bestimmten Regeln vorgenommen wurde und man daher vom Namen auf die verwandtschaftliche Zugehörigkeit schließen konnte. Die genealogische Forschung des 19. und 20. Jahrhunderts hat auf diesem Felde viel geleistet, wenn auch nicht zu übersehen ist, daß sich Spreu unter dem Weizen verbirgt, der auf diese Weise geerntet wurde. Ich nenne nur zwei neuere Beipiele für diesen Sachverhalt, um die grundsätzliche Problematik deutlich zu machen. Mit genealogisch-besitzgeschichtlichen Argumenten hat etwa Hansmartin Decker-Hauff noch 1977 im Staufer-Katalog die Vorfahren der Staufer bis ins 9. Jahrhundert und ins Wiener Becken verfolgt. 3 Die Staufer selbst haben diese Vorfahren im Wiener Becken zweifelsohne nicht gekannt - was nicht alles, aber viel über den Sinn solcher Rekonstruktion aussagt. Im Jahre 1976 erschien der umfassende Versuch Reinhard Wenskus', „Traditionsverbände" im sächsischen Stammesadel auf der Basis der Regeln der Namengebung zu rekonstruieren. 4 Er nutzte hierzu sowohl die Gewohnheiten der Nachbenennung als auch die der Namenvariation, bei denen nur ein Bestandteil des Namens signifikant für die Gewohnheiten der Adelsfamilie war, während der andere variiert wurde. Ich denke, daß man heute wohl sagen darf, daß weder Decker-Hauff noch Wenskus mit ihren Versuchen viel Anklang gefunden haben und es ist auch bekannt, warum dies so war. Ein Grund: Namenvariation wie Nachbenennung wurden in den Verwandtengruppen des mittelalterlichen Adels als Gewohnheiten praktiziert, von denen man auch abweichen konnte. Die Menschen waren also nicht Sklaven dieser Gewohnheiten sondern beachteten sie - oder auch nicht. In nicht wenigen Fällen, von denen gleich die Rede sein wird, wichen sie von ihnen ab. Und diese Fälle sind historisch gewiß nicht uninteressanter als diejenigen, in denen die Namengebung den Gewohnheiten folgte. Daraus ergibt sich, daß die Namengebung zwar eine Hilfe bei der Rekonstruktion verwandtschaftlicher Zusammenhänge darstellt, als methodische Leitidee bei dieser Rekonstruktion jedoch auch deutliche Grenzen hat, selbst wenn sie durch besitzgeschichtliche Beobachtungen unterfüttert wird. Zwar hat
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rheins 124, N.F. 85, 1976, S. 63-73. Wiederabdruck in: ders., Gebetsgedenken und adliges Selbstverständnis im Mittelalter. Ausgewählte Beiträge, Sigmaringen 1983, S. 454-466; zu den Habsburgern: vgl. Dieter Mertens, Die Habsburger als Nachfahren und als Vorfahren der Zähringer, mit einem Exkurs zum Grabmal Bertholds V., in: Die Zähringer. Eine Tradition und ihre Erforschung, hg. v. Karl Schmid [Veröffentlichung zur Zähringer-Ausstellung 1], Sigmaringen 1986, S. 151-174. Hansmartin Decker-Hauff, Das Staufische Haus, in: Die Zeit der Staufer. Geschichte Kunst - Kultur. Katalog der Ausstellung, Stuttgart 1977, Bd. 3: Aufsätze, S. 339-374, bes. S. 341. Vgl. Wenskus [Anm. 1], S. 464 u.ö.
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noch unlängst Karl-Heinz Spieß bei seinen Untersuchungen zum spätmittelalterlichen Adel des Reiches ausgerechnet, daß in seinem Material etwa Nachbenennungen der Söhne nach dem Vater in 72 von 174 untersuchten Fällen zu beobachten sind, weitere 42 trugen den Namen des Großvaters väterlicherseits, 32 bekamen den Namen des Großvaters von der Mutterseite, 24 Mal gaben die Vaterbrüder ihren Namen, nur viermal dagegen die Mutterbrüder. 5 Somit ergibt sich in der Summe, daß zur Namengebung ausschließlich Namengut verwandt wurde, das in agnatischen oder kognatischen Linien bereits zuvor benutzt worden war. Doch scheint dieses Ergebnis für den früh- und hochmittelalterlichen Adel des Reiches nicht repräsentativ zu sein. Zwei Prozesse oder Erscheinungen stehen solcherart Systematik vor allem entgegen. Einmal der sogenannte Namenschwund, der vom 9. zum 11. Jahrhundert zu beobachten ist. Die differenzierte Namenlandschaft der Karolingerzeit und früherer Jahrhunderte wird in diesem Prozeß ersetzt durch eine uniformere, in der viel weniger Namen, diese aber zwangsläufig um so häufiger benutzt wurden. 6 In diesem Prozeß muß genauso zwangsläufig ein Charakteristikum frühmittelalterlicher Namengebung tangiert worden sein, das Voraussetzung für die Nutzung der Namengebung zur Rekonstruktion verwandtschaftlicher Zusammenhänge ist: die Exklusivität der Namen im Besitz bestimmter Verwandtengruppen. Michael Mitterauer verdanken wir die schöne Geschichte von den 117 Wilhelmen, die im 12. Jahrhundert anläßlich eines Festes zusammen speisten, so die Tatsache ihrer Namensvetternschaft feiernd. Richarde, Heinriche und Konrade hätten im Westen oder im Osten Vergleichbares tun können. Bis heute sprechen wir von ,Hinz und Kunz' und rekurrieren damit bewußt oder unbewußt auf diesen Vorgang. Namenschwund und der damit einhergehende Verlust der Exklusivität der Namen behindern also eine Erforschung verwandtschaftlicher Zusammenhänge im mittelalterlichen Adel doch so gravierend, daß die Adelsforschung in den letzten Jahrzehnten verstärkt neue Wege gegangen ist. Sie interessierte sich mehr für adliges Bewußtsein und Selbstverständnis als für die Aufdeckung von verwandtschaftlichen Zusammenhängen, die den Adligen selbst gar nicht bekannt waren. 7 Jedenfalls sind intensive Versuche, die
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Vgl. Spieß [Anm. 1], S. 515f. Michael Mitterauer, Ahnen und Heilige. Namengebung in der europäischen Geschichte, München 1993, S. 243. Z u m Prozeß des Namensschwundes: vgl. den gleichnamigen Abschnitt ebd., S. 241-403; die Geschichte von den 117 Wilhelmen findet sich auf S. 243. Hier haben namentlich Aufsätze meines Lehrers Karl Schmid wegweisend gewirkt, vgl. v.a.: Zur Problematik von Familie, Sippe und Geschlecht, Haus und Dynastie beim mittelalterlichen Adel. Vorfragen zum Thema ,Adel und Herrschaft im Mittelalter', in: Zeitschrift für die Geschichte des Oberrheins 105, N.F. 66, 1957, S. 1-62; ders., Uber die Struktur des Adels im früheren Mittelalter, in: Jahrbuch zur fränkischen Landesforschung 19, 1959, S. 123; beide wieder in: ders., Gebetsgedenken und adliges Selbstverständnis [Anm. 2], S. 183244 und S. 245-267.
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den zahllosen genealogischen Arbeiten über einzelne Adelsfamilien oder auch den Adel einer Region, eines Stammesgebiets aus älteren Zeiten zur Seite zu stellen wären, meines Wissens nicht mehr gemacht worden. 8 Es scheint, als sei das Verantwortbare an Rekonstruktion in den meisten Fällen geleistet, das Bewußtsein der hier nur kurz skizzierten Probleme und Grenzen allgemein geworden. Die Gründe für diesen Prozeß des Namenschwundes sind nicht letztlich geklärt. Mit Mitterauer würde ich unterstreichen, daß eine Tatsache von größter Bedeutung ist: Fürstennamen verloren wohl im endenden 9. und beginnenden 10. Jahrhundert ihre Exklusivität und standen auch anderen Verwandtengruppen offen. 9 Dürfte es bis heute kaum gelingen, in der Karolingerzeit einen Träger des Namens Karl oder Pippin zu finden, der nicht Karolinger war, so ist ein vergleichbares Unterfangen in der Ottonen- oder Kapetingerzeit mit den Namen dieser Königsgeschlechter eher in der Gefahr, an etwas anderem zu scheitern, nämlich an der Größenordnung, in der die fraglichen Namen im Adel der jeweiligen Länder Verwendung fanden. 10 Warum aber gaben die Führungsschichten - und hier allen voran die neuen Königsgeschlechter - die Namen als Ausweise ihres Ranges und ihrer Exklusivität auf? Mitterauer hat als Ursache vor allem die Bindung des Lehnswesens diskutiert, in der es Vasallen erlaubt worden sein muß, den Namen des Lehnsherrn in der Familie des Vasallen zu nutzen."
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Ausnahmen bestätigen die Regel: vgl. etwa Gabriele Rupp, Die Eckhardiner, Markgrafen von Meißen, und ihre Beziehungen zum Reich und zu den Piasten [Europäische Hochschulschriften, Reihe III: Geschichte und ihre Hilfswissenschaften, Bd. 691], Frankfurt a.M. u.a., 1996. Mitterauer [Anm. 6], S. 293. Jörg Jarnut, Paderborn, wies in der Diskussion meines Vortrags darauf hin, daß bei genauerem Nachsuchen Nicht-Karolinger als Träger des Namens Karl oder Pippin auch in der Karolingerzeit in erheblicher Anzahl nachweisbar sein dürften. Diesen Optimismus teile ich nicht. Er verwies dafür auf die Namensnennungen in den Zeugenlisten von Freisinger Urkunden; vgl. Theodor Bitterauf, Die Traditionen des Hochstift Freising, 2 Bde., München 1905-1909. Dort findet sich zwischen 769 und 828 der Name Pippin viermal ohne eindeutige Zuordnung zur Familie der Karolinger verzeichnet: die Belege lauten in chronologischer Reihenfolge: Tassilo macht eine Schenkung zu Aufhausen an die Kirche zu Moosen, ca. 769; als Zeuge wird ein Pippipresbiter genannt (Bd. 1, S. 63). Die Nonne Engilfrit und ihr Bruder Kundperth erkennen die Schenkung ihres Vaters zu „Paldilinkerka" an, Regensburg, 11. Juni 802; unter den Zeugen findet sich ein Pippi comis (Bd. 1, S. 174). Bischof Atto vergleicht sich mit den Äbten Adalbert und Maginhard über strittige Kirchen, Tegernsee am 16. Juni 804. Erneut wird die Anwesenheit eines Pippinus comes erwähnt. Am 23. Juli 828 wird ein Pippi als Zeuge der Ubergabe von Unfreien und Land an das Kloster Schäftlarn genannt. Eine mögliche Verwandtschaft dieser Personen zu den Karolingern hat bereits Störmer [Anm. 1], S. 323, diskutiert. Dagegen erübrigt es sich wohl, Belege für die Verbreitung der Namen Heinrich, Konrad oder Otto im Adel des 10.-12. Jahrhunderts beizubringen. Mitterauer [Anm. 6], S. 297.
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Die Aussage ist sehr einleuchtend, weil sie vor allem die Größenordnung des Phänomens zu erklären in der Lage ist. Dies könnten weitere sicherlich relevante Erscheinungen wie etwa die Taufpatenschaften allein nämlich nicht.12 Dennoch bleibt natürlich die Frage, warum diese Änderung gerade im endenden 9. und 10. Jahrhundert passierte, und sie nicht mehr die Namen des karolingischen Königsgeschlechtes sondern die der nachfolgenden Dynastien und großen Adelsfamilien erfaßte. Eine schlüssige Erklärung für die Änderungen zu diesem Zeitpunkt habe ich nicht anzubieten, doch wird man zumindest darauf hinweisen dürfen, daß sich in der gleichen Zeit sozusagen der Abstand zwischen Königen und den Großen deutlich verringerte. Es etablierte sich die adlige Mitsprache an der Königsherrschaft, der Adelskonsens wurde eine Möglichkeit der Einflußnahme auf Entscheidungen des Herrschers und eine Möglichkeit der Kontrolle dieser Entscheidungen.13 Die Zeiten der Not und des Kampfes aller gegen alle, wie sie die Krise des Karolingerreiches mit sich brachte, beförderten überdies neue Formen der Bindung der Herrscher an die Großen, unter denen ich die amicitia nicht nur deshalb besonders hervorhebe, weil ich mich mit ihr intensiver beschäftigt habe.14 So könnte die prinzipielle Gleichrangigkeit, die sich Freunde nach den Vorstellungen der Zeit zugestanden, dafür verantwortlich sein, daß Exklusivität abgebaut wurde - auch im Bereich der Namengebung. Man benutzte den Namen von Freunden hohen Ranges, gerne auch den des Königs. Und man kann sich sicher vorstellen, daß eine solche Praxis, wenn sie einmal in den höchsten Schichten der Gesellschaft einsetzte, schnell weitere Kreise erreichte. Die hier kurz skizzierten Erscheinungen bewirkten in ihrer Summe also, daß in der Forschung das Phänomen der Namengebung als ein eminent historisches Phänomen ernst genommen wurde und die mehr formalistische Nutzung dieser Erscheinung in den Hintergrund trat. Und ich bekenne an dieser Stelle dankbar, daß ich bisher im wesentlichen das wiederholt habe, was mein Lehrer Karl 12
Allgemein zur Taufpatenschaft vgl. A r n o l d Angenendt, Kaiserherrschaft und Königstaufe. Kaiser, Könige und Päpste als geistliche Patrone in der abendländischen Missionsgeschichte [Arbeiten zur Frühmittelalterforschung 15], Berlin/New Y o r k 1984; Bernd Jussen, Patenschaft und A d o p t i o n im frühen Mittelalter. Künstliche Verwandtschaft als soziale Praxis [Veröffentlichungen des Max-Planck-Instituts f ü r Geschichte 98], Göttingen 1991.
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Vgl. dazu Jürgen Hannig, Consensus Fidelium. Frühfeudale Interpretationen des Verhältnisses v o n Königtum und Adel am Beispiel des Frankenreiches [Monographien zur Geschichte des Mittelalters 27], Stuttgart 1982; G e r d A l t h o f f , Verwandte, Freunde und Getreue. Zum politischen Stellenwert der Gruppenbildung im früheren Mittelalter, Darmstadt 1990, S. 8 I f f . Reinhard Schneider, Brüdergemeine und Schwurfreundschaft. D e r Auflösungsprozeß des Karolingerreiches im Spiegel der caritas-Terminologie in den Verträgen der karolingischen Teilkönige des 9. Jahrhunderts [Historische Studien 388], Lübeck, Hamburg 1964; G e r d A l t h o f f , Amicitiae und pacta. Bündnis, Einung, Politik und Gebetsgedenken im beginnenden 10. Jahrhundert [ M G H Schriften, Bd. 37], Hannover 1992.
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Schmid anderen und mir durch seine Arbeiten, fast intensiver aber noch durch die zahllosen Diskussionen nahebrachte, die er über die historischen Dimensionen der Namengebung und ihren Stellenwert für das Verständnis des mittelalterlichen Adels zu führen pflegte. Diese grundsätzliche Einsicht, daß sich in der Namengebung adliges Bewußtsein offenbart, ist auch die Leitidee meiner folgenden Überlegungen, die ich, wie ich gerne zugebe, als Schüler Karl Schmids ein wenig epigonenhaft in den von ihm gelegten Bahnen anstellen werde. Adliges Selbstverständnis via Namengebung offenbart sich wohl gerade dann in besonders interessanter Weise, wenn die Namengebung von den gängigen Gewohnheiten abwich und ungewöhnliche Wege ging. Auf diesen Sachverhalt konzentrieren sich daher die folgenden Beispiele und Überlegungen. Beginnen möchte ich mit einem sehr bekannten Phänomen: mit einem Beispiel für die Tatsache, daß eine vorteilhafte Heirat, die einen Zuwachs an Rang und Prestige mit sich brachte, auch die Gewohnheiten der Namengebung beeinflußte. In solchen Fällen gewinnen nämlich die Namen der ranghöheren Seite Dominanz, auch wenn es die kognatische, die Seite der Frau war, die für die Rangerhöhung sorgte. 15 Dies war in wirklich eklatanter Weise der Fall, als der rheinische Pfalzgraf Ezzo am Ende des 10. Jahrhunderts eine ottonische Königstochter Mathilde, eine Schwester des regierenden Herrschers Ottos III. heiratete. 16 Die Tatsache dieser Heirat war wirklich außergewöhnlich, da die Ottonen ihre Töchter seit der Mitte des 10. Jahrhunderts dem Adel des Reiches vorenthalten und zu Äbtissinnen ihrer Hausklöster gemacht hatten - nach den Erfahrungen der Karolinger mit den Heiraten ihrer Töchter in den einheimischen Adel und auch eigenen Erfahrungen kein ganz unverständlicher Schritt. Das Abgehen von dieser Regel war offensichtlich so überraschend, daß sich in Brauweilerer Überlieferung, also in der Überlieferung des Hausklosters dieser Pfalzgrafenfamilie, die anekdotische Erklärung für das eigentlich Unerklärliche findet. Pfalzgraf Ezzo habe mit O t t o III. Würfel gespielt und für den Fall seines Sieges sich eine res optima des Gegenspielers aussuchen dürfen. Gewünscht habe er sich dann die
15
Vgl. dazu zuletzt Hans-Werner Goetz, Frauenbild und Frauenleben im Frankenreich, Weimar/Köln/Wien
1995, S. 223ff.; grundlegend Karl Schmid, Heirat, Familienfolge, Ge-
schlechterbewußtsein, in: Ii matrimonio nella societa altomedievale [Settimane di studio del C e n t r o italiano di studi sull'alto medioevo 24], Spoleto 1977, S. 103-137; wieder in: ders., Gebetsgedenken [ A n m . 2], S. 388-423. 16
Zu Pfalzgraf Ezzo: vgl. Ursula Lewald, Die Ezzonen. Das Schicksal eines rheinischen Fürstengeschlechts, in: Rheinische Vierteljahresblätter 4 3 , 1 9 7 9 , S. 120-168, bes. S. 122-142; Helmuth Kluger, P r o p t e r claritatem generis. Genealogisches zur Familie der Ezzonen, in: Köln. Stadt und Bistum in Kirche und Reich des Mittelalters. Festschrift für Odilo Engels zum 65. Geburtstag, hg. v. H a n n a Vollrath und Stefan Weinfurter, K ö l n / W e i m a r / W i e n 1993, S. 223258; vgl. auch Winfried Glocker, Die Verwandten der O t t o n e n und ihre Bedeutung in der Politik. Studien zur Familienpolitik und zur Genealogie des sächsischen Kaiserhauses, Köln 1989, S. 211-217.
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Schwester des Herrschers als Gemahlin.17 Für unsere Überlegungen wichtig sind aber vor allem die Kinder dieses gräflich-königlichen Paares - und glücklicherweise hatten sie deren 10, drei Söhne und sieben Töchter. Man muß nur die Namen nennen, um zu verdeutlichen, welche Konsequenz diese vorteilhafte Heirat hatte: Liudolf, Otto und Hermann hießen die Söhne, Richenza, Adelheid, Theophanu, Heilwich, Mathilde, Ida, Sophia die Töchter.18 Mit Ausnahme von Hermann, des 3. Sohnes, und Richenza, der wahrscheinlich ältesten Tochter - ich stütze mich hier auf die zahlreichen genealogischen Arbeiten zu den rheinischen Pfalzgrafen - , wurde nur Namengut der liudolfingisch-ottonischen Königsfamilie verwandt. Die Namengebung des Paares Ezzo-Mathilde schreit also geradezu die Tatsache des königlichen Geblüts ihrer Kinder heraus. Damit aber ist die politische Dimension oder besser gesagt Brisanz dieser Namenwahl noch nicht annähernd im Blick. Kluger beginnt seine Schilderung des Lebensweges der Töchter aus dieser Verbindung mit dem bemerkenswerten Satz: „Sechs seiner Schwestern [vorher war von Hermann, dem Erzbischof von Köln, die Rede] schlugen wie er die geistliche Laufbahn ein, fünf von ihnen leiteten klösterliche bzw. stiftische Gemeinschaften [...]"19. Dies klingt so, als ob das Einschlagen geistlicher Laufbahnen in das Ermessen der jungen Damen
17
Der Bericht findet sich in der .Fundatio monasterii Brunwilarensis', hg. v. H e r m a n n Pabst, in: Archiv der Gesellschaft für ältere deutsche Geschichtskunde 12, 1858-1874, S. 145-200, Kap. 6, S. 158f.: Siquidem imperatrix in dtsponendis Galliae Germaniaeque negotiis viri prudentissimi, domini Ezonis semper intenta consilio, cuius numquam ad baec decenter perfictenda vacabat auxilio, in Aquisgrani palatio interim moratur cum filio, scilicet Ottone tertio. Qui inter reliqua admirandae in eo sagacitatis indicia adeo peritus effulsit in construendo sive dissolvendo flexuoso cdearum scemate, ut neminem crederet fore, qui in hac arte praevaleret adversum se. Quadam ergo die domnum comitem palatinum compellat, quatenus secum ad tabulam alearum e regione sedeat, ordinem disponat, pariterque iocosam congressionis stropham promoveat. Ea vero altrinsecus proposita conditio est, ut, cui per tres continuas vices victoria proveniret, alterius potiretur rebus, optimis etiam, quibus vellet. Pariter igitur considunt, ludo confligunt: domnus Ezo, invocato sanctae Trinitatis auxilio, ter victor extat. Deinde, tametsi impetrare desperaret, quod divinitate procul dubio aspirante diu optaverat, sororem eius sibi ab ipso dari in coniugium postulat. Cernens ille, ludum ad seria processisse, simulque ex consultu eorum qui mterfuerant tractans, earn rem ex Dei nutu provenisse, non esse regii honoris si mendax fieret suae sponsionis, ipsum etiam apud avum, apud patrem, postremo apud semet ipsum plurimum potuisse: propositae conditionis fidem manus in manu confirmat impositione, quatenus iuxta apostolum castum conubium et tborum immaculatum cum sua servaret sorore. Palatmus comes collectis suorum copüs Asnide properat, venerabilem puellam edicto regis ad praesentiam vocat, fratre iubente, matre volente earn suam fore sponsam enunciat. Amita vero eius pertinaciter obsistit; sed sive eius potestate sive regia maiestate territa cedit. Mathilt sponsalium more annulo subarratur: in Brunwilre praedio comitis palatini nuptiae parantur atque, in ambobus a sacerdotibus Christi patriarcharum benedictionibus completis, eundem ad locum non tarn velociter quam laetanter festinatur.
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Vgl. Glocker [Anm. 16], S. 215 u. 317ff; vgl. die Aufzählung der Kinder in der .Fundatio monasterii Brunwilarensis' [Anm. 17], Kap. 7ff., S. 160ff. Kluger [Anm. 16], S. 241.
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Gerd Althoff
gestellt gewesen wäre. Ich würde aus dem Tatbestand dagegen folgern, man hat den Damen keine Ehen mit Adligen gestattet und kann auch sagen, wer verantwortlich war. Die einzige der Schwestern, die eine Ehe einging, war nämlich Richenza - vielleicht nicht zufällig diejenige, die keinen ottonischen Namen trug. 20 Doch wie dem auch sei, sie heiratete jedenfalls keinen Adligen des Reiches sondern den Sohn des Polenherrschers Boleslaw Chrobry, Miezko II.; und sie tat dies im Zusammenhang der Beendigung der sogenannten Polenkriege zwischen Kaiser Heinrich II. und Boleslaw im Jahre 1013.21 Obses pacis, Garantin oder Geisel des Friedens wird die Frau in vergleichbaren Fällen genannt;22 die verwandtschaftliche Bindung zwischen Ottonen und Piasten sollte also den Frieden sichern. Damit heiratete Richenza also im politischen Interesse Kaiser Heinrichs II. und in ihm als Verwandten und natürlich auch Lehnsherrn des Pfalzgrafen haben wir mit einiger Gewißheit denjenigen zu sehen, dem nicht daran gelegen sein konnte, daß sich das königliche Geblüt der Ottonen sozusagen im Adel des Reiches ausbreitete. Nicht die Eltern werden also dieses für dynastisches Denken kostbare Gut der sieben Töchter ungenutzt zur Stiftung von Bündnissen und Netzwerken gelassen haben, vielmehr wird man eine Beteiligung des Königs an der Entscheidung begründet vermuten dürfen. Staufer und Weifen haben ja in den folgenden Jahrhunderten vorgeführt, zu welchem Bewußtsein und zu welchen Problemen es führte, wenn eine Tochter aus königlichem Geblüt in eine Adelsfamilie einheiratete.23 Dies dürfte auch vorher nicht unbekannt gewesen sein. Das von den Eltern in den Namen ausgedrückte Bewußtsein königlichen Ranges ihrer Kinder wurde also in politischer Hinsicht gewissermaßen neutralisiert, indem man die Töchter dem geistlichen Stand überantwortete. Fortfahren möchte ich mit einem Sachverhalt, den man die Tabuisierung eines Namens nennen könnte. Bekannt ist etwa, daß der Name Tassilo in den Quellen nach dem Sturz des Bayernherzogs in Bayern wie anderenorts nicht
20
In der Diskussion meines Vortrags wies Heinrich Tiefenbach, Regensburg, darauf hin, daß auch Richenza als .Ottonenname' gelten könne, da das Erstglied Rieh- in Heinrich wiederkehre. W ä r e dies richtig, ließe sich die Zahl der ,Ottonennamen' in bisher ungeahnter Weise vermehren. Ich würde jedoch dazu raten, nicht Namenbestandteile, sondern nur ganze und in der Königsfamilie auch benutzte N a m e n als solche zu deklarieren.
21
Siehe hierzu Christian Lübke, Regesten zur Geschichte der Slaven an Elbe und Oder (vom Jahre 9 0 0 an), Berlin 1984-1988; Teil III, Berlin 1986, Regesten 983-1013, N r . 4 6 4 f , S. 315ff. ; Teil IV, Regesten 1013-1057, N r . 465a, S. 15f.
22
Einen Beleg für diese Bezeichnung bieten die Annales Alamannici, hg. v. Georg Heinrich Pertz, in: M G H Scriptores 1, Hannover 1826, S. 22-60; S. 56, a. 913: Ipso anno
Erchanger
cum rege pacificatus est, cuius sororem, Liupoldi relictam, rex tamquam pacts obstdem in matrimonium 23
aeeepit; vgl. auch Gerd Althoff, Amicitiae und pacta [ A n m . 14], S. 244.
Dies zeigt sowohl das Beispiel der Heirat der Salierin Agnes in die staufische Familie wie das Beispiel der Heirat Gertruds, der Tochter Kaiser Lothars, mit Heinrich dem Stolzen.
Namengebung und adliges Selbstverständnis
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mehr begegnet. 24 Man geht wohl nicht fehl in der Annahme, daß eine Vergabe dieses Namens als eine politische Aussage und von den Karolingern bzw. deren Amtsträgern als Affront aufgefaßt worden wäre. Ahnlich ist der Befund beim Namen Widukind, den bekanntlich ein anderer prominenter Gegner Karls des Großen trug. Auch wenn sein Schicksal nicht in gleicher Weise feststeht wie das des Bayernherzogs, ist ein Befund sicher: der Name Widukind wurde nach der Taufe des Sachsenherzogs nur noch Personen gegeben, die für die geistliche Laufbahn vorgesehen waren, d.h. konkret, die Mönche werden sollten. 25 Ich habe die einschlägigen Belege aus den Klöstern Reichenau, St. Gallen, Fulda und Corvey gesammelt und unabhängig davon, ob meine Identifizierung des Reichenauer Widukinds mit dem Sachsenherzog richtig ist, ergab diese Sammlung, daß es mit einiger Wahrscheinlichkeit Personen aus dem Kreis der Nachfahren Widukinds waren, die den Klöstern übergeben wurden. Demgegenüber gibt es im 9. und 10. Jahrhundert keine weltlichen Herrschaftsträger dieses Namens. Daraus läßt sich folgern, daß die Vergabe des Namens Widukind bewußt nur an solche Söhne erfolgte, die zur Klosterlaufbahn vorherbestimmt waren - eine solche Entscheidung fiel bekanntlich sehr früh. Damit wäre die Namengebung aber ein deutliches Indiz für ein bestimmtes Bewußtsein in dem Verwandtenkreis der Nachfahren Widukinds, des Bewußtseins nämlich, gerade Personen dieses Namens Gott darbringen zu müssen - gewissermaßen als Ausgleich für die Taten des heidnischen Vorfahren. Ein Befund, der dem gerade geschilderten in mehrfacher Hinsicht vergleichbar ist, findet sich im 10. und beginnenden 11. Jahrhundert im verwandtschaftlichen Umfeld der ottonischen Königsfamilie: Auffällig viele Mitglieder dieses Verwandtenkreises, die die geistliche Laufbahn einschlugen, trugen den Namen Brun. Am bekanntesten ist der Bruder Ottos des Großen und Erzbischof von Köln namens Brun. Den Namen trug aber auch ein Bruder Heinrichs II., der Bischof von Augsburg war; den Namen trug Brun von Kärnten, der spätere Papst Gregor V., der Nachkomme Liudolfs und somit Urenkel Ottos des Großen war; den Namen trug Bischof Brun von Verden, der mit der Wichmannschen Linie der Billunger in verwandtschaftlichem Zusammenhang stand und somit auch Verwandter der Königin Mathilde war; den Namen trug noch Brun von Würzburg, ein Vetter Konrads II. und somit Verwandter der Ottonen. 26 Dagegen benutzte man den Namen Brun offensichtlich nicht für 24
25
26
Allgemein zum Sturz Tassilos vgl. Matthias Becher, Eid und Herrschaft. Untersuchungen zum Herrscherethos Karls des Großen [Vorträge und Forschungen, Sonderband 39], Sigmaringen 1993, S. 21-73; Joachim Jahn, Ducatus Baiuvariorum. Das bairische Herzogtum der Agilolfinger [Monographien zur Geschichte des Mittelalters 35], Stuttgart 1991, S. 522-550. Gerd Althoff, Der Sachsenherzog Widukind als Mönch auf der Reichenau. Ein Beitrag zur Kritik des Widukind-Mythos, in: Frühmittelalterliche Studien 17, 1983, S. 251-279; für diese und die folgenden Aussagen vgl. S. 257-260. Glocker [Anm. 16], S. 275 (Brun v. Köln); S. 305 (Brun v. Augsburg); S. 316 (Brun v.
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Gerd Althoff
Personen, die weltliche Karrieren machen sollten. Es fragt sich daher, ob dies Zufall oder Ergebnis eines bewußten Aktes der Namengebung ist. Nun könnte man einmal davon ausgehen, daß der berühmte Bruder Ottos des Großen, Brun von Köln, und sein Prestige Anlaß zu dieser gezielten Verwendung des Namens Brun für Geistliche war. Das hat sicher Einiges für sich, erklärt aber eigentlich noch nicht, warum der Name im weltlichen Bereich nicht mehr begegnet. Zur Erklärung des Phänomens könnte helfen, daß es in der frühen Phase der liudolfingischen Geschichte in der Tat einen weltlichen Herrschaftsträger dieses Namens gegeben hatte, nämlich den ältesten Sohn des Stammvaters dieser Adelsgruppe, des dux Liudolf. Nur hatte dieser Brun am 2. Februar 880 als Führer eines sächsischen Aufgebots gegen die Dänen eine vollständige Niederlage einstecken müssen und hatte in der Schlacht mit zwei Bischöfen und einer größeren Anzahl satellites regis sein Leben verloren. 27 An der Bewältigung dieses Makels haben Autoren ottonischer Historiographie nachweislich gearbeitet, die aber auch nicht um die Feststellung herumkamen, Bruns jüngerer Bruder Otto, der Erlauchte, sei in jeglicher virtus dem älteren überlegen gewesen.28 Daher liegt die Frage nahe, inwieweit auch die Namen der späteren Geistlichen aus dem Umkreis der Ottonen Zeugnisse der Bewältigung dieses Makels sind, ob anders formuliert, die Geistlichen namens Brun nicht Versuche darstellen, Gott, dessen Zorn in den Vorstellungen der Zeit den Untergang des Heeres und seines Anführers verursacht hatte, gegenüber der Verwandtengruppe durch die Oblation von Kindern namens Brun gnädig zu stimmen. Man wird diese Motivation zumindest neben derjenigen in Betracht ziehen, das Prestige Bruns von Köln habe die Nachbenennungen verursacht. Aber selbst wenn es nur das Prestige Bruns gewesen sein sollte, wäre der Fall ein Beispiel dafür, wie die Namengebung auf Grund außergewöhnlicher Geschehnisse von den bis dahin praktizierten Gewohnheiten abweicht. Wenn die Annahme richtig ist, daß bei außergewöhnlichen Vorgängen Reflexe bis in die Namengebung zu beobachten sind, dann kann man auch einen Umkehrschluß auf die Probe stellen: Ist die auffällige Abkehr von solchen
27
28
Kärnten); S. 336 (Brun v. Würzburg); Gerd Althoff, Adels- und Königsfamilien im Spiegel ihrer Memorialüberlieferung. Studien zum Totengedenken der Billunger und Ottonen [Münstersche Mittelalterschriften 47], München 1984, S. 327f. (Brun v. Köln); S. 317f. (Brun v. Verden); S. 302 (Brun v. Würzburg). Ernst Dümmler, Geschichte des ostfränkischen Reiches, Bd. 3 [Jahrbücher der Deutschen Geschichte], Leipzig 1888, S. 135ff. Widukindi monachi Corbeiensis Rerum Gestarum Saxonicum libri tres, neubearbeitet v. Paul Hirsch in Verbindung mit Hans-Eberhard Lohmann [MGH Scriptores rerum Germanicarum 60], Hannover 5 1935,1,16, S. 26: Ex quibus Brun cum ducatum administrasset totius Saxoniae, duxit exercitum contra Danos, et inundatione repentina circumfusus non habens locum pugnandi periit cum omni exercitu, fratri natu quidem minori, sed omni virtute multo potiori relinquens ducatum.
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Gewohnheiten ein Indiz für einen ungewöhnlichen Vorgang, auch wenn dieser als solcher ansonsten nicht klar erkennbar ist? Ich nehme für diese Frage wieder ein ottonisches Beispiel. Im Jahre 929 heiratete Otto, der älteste Sohn Heinrichs I., die englische Königstochter Edgith. Das Ereignis ist bis in die letzten Wochen immer wieder - und sehr kontrovers - diskutiert worden. 29 In der Tat ging es bei diesen Kontroversen nicht um Kleinigkeiten, sondern um sehr grundsätzliche Probleme der ottonischen Königsdynastie und darüber hinaus um verfassungsgeschichtliche Fragen zur Geschichte des Königtums von grundsätzlicher Bedeutung. Stichworte sind Hausordnung Heinrichs I., Individualsukzession, Rechtsverbindlichkeit der Designation u.a. Was hat dies alles mit Namengebung zu tun? Etwas schon: Im Jahre 930 und 931 wurden dem jungen Paar zwei Kinder geboren, ein Junge und ein Mädchen. Nach den Gewohnheiten der Namengebung hätte man etwa den Namen des Großvaters väterlicherseits, also Heinrich für den Jungen, den Namen der Großmutter, also Mathilde, für das Mädchen erwartet. Nicht überraschend wäre vielleicht auch, wenn die Tatsache der königlichen Abstammung der Mutter sich in dem einen oder anderen Fall bemerkbar gemacht, also ein Name aus der englischen Königsfamilie übernommen worden wäre. Doch nichts von all dem geschah, die Kinder bekamen die Namen Liudolf und Liudgard.50 Gewiß sind dies Liudolfingernamen, doch evozieren sie gerade nicht die königliche Qualität der neuen Dynastie sondern rekurrieren auf den ältesten den Ottonen und uns bekannten Ahnen des Geschlechts. Ich weiß auch nicht, welche programmatische Absicht hinter dieser Namengebung stand, ich bin mir jedoch sehr sicher, daß man in dieser Situation nicht einfach gedankenlos gehandelt hat. In Zusammenhang mit dieser Namengebung wird man wohl das eigenartige Faktum diskutieren müssen, daß Otto und seine Gemahlin Edgith von 929 bis zum Tode Heinrichs I. 936 nicht ein einziges Mal zusammen mit dem regierenden Königspaar in den Quellen bezeugt sind. Die überhaupt einzige Erwähnung aus diesem Zeitraum ist ein Gedenkeintrag auf der Reichenau, der Otto, Edgith und Liudolf am Beginn einer großen Personengruppe nennt, die Personen um Bischof Balderich von Utrecht
29
Siehe dazu zuletzt die Beiträge v o n Hartmut H o f f m a n n , Ottonische Fragen, in: Deutsches A r c h i v für Erforschung des Mittelalters 51, 1995, S. 53-82, S. 57-60 und Wolfgang Georgi, Bischof Keonwald v o n Worcester und die Heirat O t t o s I. mit Edgitha im Jahre 929, in: Historisches Jahrbuch 1 1 5 , 1995, S. 1-40. O h n e hier auf Einzelheiten eingehen zu können, sei doch angemerkt, daß ich ein Hauptargument Georgis zur Lösung der Probleme um den Eintrag des O t t o rex auf pag. 63 des Reichenauer Verbrüderungsbuch nicht f ü r weiterführend halte. Georgi meint (S. 10), der Eintrag sei auf der Reichenau zunächst als Zettel liegengeblieben und erst nach 936, dem Regierungsantritt Ottos, ins Verbrüderungsbuch eingetragen worden. So sei der rex-Titel erklärlich. Dieser A n n a h m e mangelt es an jeder Wahrscheinlichkeit.
30
Glocker [ A n m . 16], S. 18; zu Liudolf: ebd., S. 278f., zu Liudgard: ebd., S. 279.
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Gerd A l t h o f f
anführt. 31 Ich kann auf die Probleme, die er aufwirft, hier nicht näher eingehen. Doch ergänzen sich die beiden Befunde nicht schlecht, der Distanz in der Namengebung entspricht eine Distanz im unmittelbaren Umgang miteinander. Ein anderes Beispiel: Im Jahre 1177 beobachtet man eine ungewöhnliche Namengebung in der staufischen Königsfamilie. Der fünfte Sohn Friedrich Barbarossas erhielt den Namen Philipp. Es handelt sich um den späteren König Philipp von Schwaben, der als Kind jedoch zunächst zur geistlichen Laufbahn bestimmt worden war.52 Der Name Phillipp war vordem nie von den Staufern verwendet worden. Die Namengebung bedeutet also eine Abkehr von den in diesem Geschlecht geübten Gewohnheiten. Nun könnte man gewiß mit Recht darauf hinweisen, daß die Vielzahl der Söhne zu einem ungewöhnlichen Namen zwang, da die gebräuchlichen bereits vergeben waren. Dies mag sicher ein oder der Hauptgrund für einen neuen Namen gewesen sein. Dennoch ist der Vorgang interessant, weil der Name keineswegs ohne einen bestimmten Grund gewählt wurde. Namengeber des jungen Königssohnes war nämlich mit einiger Wahrscheinlichkeit der Kölner Erzbischof Philipp von Heinsberg, der gerade in den fraglichen Jahren als ein überaus wichtiger Helfer und Vertrauter Barbarossas in kniffligen politischen Fragen wirkte. Er war maßgeblich an den Verhandlungen in Italien beteiligt, die zum Frieden von Venedig (1177) und damit zum Ausgleich mit dem lange bekämpften Papst Alexander III. führten." Noch wichtiger aber war, daß er 1178 in Deutschland die Führung der Kräfte übernahm, die sich gegen Heinrich den Löwen verschworen und so auf dessen Sturz hinarbeiteten.54 Barbarossas Beteiligung an diesen Aktivitäten ist in keiner Quelle expressis verbis erwähnt, aber immer schon gemutmaßt worden, da die Entwicklung allzu logisch aus den Konsequenzen der Hilfeverweigerung des Löwen in Chiavenna abzuleiten ist. Damit bekommen aber mögliche Taufpatenschaft und die Namengebung eine erhebliche politische Brisanz. Sie markieren ein Bündnis Friedrichs mit dem Kölner Erzbischof und
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33
34
A l t h o f f , Amicitiae [ A n m . 14], S. 192. Zu Geburt und Jugend Philipps v o n Schwaben: siehe Eduard W i n k e l m a n n , Philipp v o n Schwaben und O t t o IV. v o n Braunschweig (1197-1218), 2 Bde. [Jahrbücher der Deutschen Geschichte], Leipzig 1873-78, Bd. 1, S. 14f.; Franz Assmann, Friedrich Barbarossas Kinder, in: Deutsches A r c h i v f ü r Erforschung des Mittelalters 33, 1977, S. 435-472; zum Zusammenhang der Namengebung Philipps mit der Anwesenheit des K ö l n e r Erzbischofs in Pavia vgl. S. 463ff. Klaus Schreiner, V o m geschichtlichen Ereignis zum historischen Exempel, in: MittelalterRezeption, hg. v. Peter Wapnewski, Stuttgart 1986, S. 145-176; Ferdinand Opll, Friedrich Barbarossa [Gestalten des Mittelalters und der Renaisance], Darmstadt 1990, S. 120f. Vgl. dazu zuletzt Stefan Weinfurter, Erzbischof Philipp v o n K ö l n und der Sturz Heinrichs des Löwen, in: Köln. Stadt und Bistum in Kirche und Reich des Mittelalters [Anm. 16], S. 455-481; vgl. bes. S. 467, 470 und 477f. W e i n f u r t e r legt dar, daß der Sturz Heinrichs des Löwen v o r allem auf die Initiative Philipps v o n Heinsberg zurückzuführen ist, der den Kaiser zum Vorgehen gegen den sächsichen Herzog drängte.
Namengebung und adliges Selbstverständnis
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zugleich eine demonstrative Ehrung Philipps durch die Tatsache, daß sein Name nun im Königsgeschlecht getragen wurde. Man geht wohl kaum fehl in der Schlußfolgerung, daß in dieser Ehrung Philipps Vorbereitungen Barbarossas zur Auseinandersetzung mit Heinrich dem Löwen faßbar werden. Der Kölner Erzbischof hat diese immateriellen Vorleistungen Barbarossas mit entsprechenden Gegenleistungen beantwortet: Er war die treibende Kraft im Kampf gegen den Löwen. Der vorgegebene Rahmen erlaubt es nicht, weitere Beispiele zu diskutieren. Mein grundsätzliches Anliegen aber sollte auch so deutlich sein: die adlige Namengebung als ein Zeugnis adligen Selbstverständnisses ernst zu nehmen. Ein Zeugnis, das so sprechend sein kann wie die Ausführungen in adliger Hausüberlieferung über die Taten oder die Vornehmheit des Geschlechts. In den Namen konkretisierten sich Ansprüche und Verbindungen des Adels, allerdings nur für diejenigen, die diese Sprache der Namen verstehen konnten. Auf diesem Felde aber hatten mittelalterliche Adlige aller Wahrscheinlichkeit nach größere Fähigkeiten als moderne Forscher. Und sie hatten die Möglichkeit nachzufragen, während wir das Motiv für die Namengebung, die Botschaft, die von dem Namen ausgehen sollte, erschließen müssen. Damit ergibt sich geradezu notwendig ein Stringenzproblem, denn plausibel sind häufig mehrere Möglichkeiten.
Nomen gentis. Nations- und Namenbildung im nachkarolingischen Europa 1 V o n B E R N D SCHNEIDMÜLLER
Aus den Sprachen entstanden die Völker! So sahen es mittelalterliche Autoritäten, die über den Zusammenhang von Sprache und Volk wie über Unterscheidungsmerkmale von Völkern nachdachten. Isidor von Sevilla, der im neunten Buch seiner Etymologien De Unguis, gentibus, regnis, militia, civibus, ajfinitatibus handelte, brachte es auf den Punkt: Er wollte erst über die Sprachen, dann über die Völker handeln, weil die Völker aus den Sprachen, nicht die Sprachen aus den Völkern entstanden seien, quia ex Unguis gentes, non ex gentibus linguae exortae sunt.1 Auch 300 Jahre später war die Sprache ein entscheidendes Kriterium für die Definition von Volk, als Regino von Prüm in seinem Dedikationsbrief zu De synodalibus causis an Erzbischof Hatto von Mainz schrieb, Völker könne man anhand ihrer Abstammung, ihrer Sitten, ihrer Sprache und ihrer Gesetze voneinander unterscheiden, ... diversae nationes populorum inter se discrepant genere moribus lingua legibus,5 Die vielfältigen hoch- und spätmittelalterlichen Zeugnisse für Sprache als Identifikations- und Abgrenzungsmerkmal von Gruppen und Verbänden, bequem in Arno Borsts monumentalem Werk über den „Turmbau von Babel" zusammengestellt4, haben gleichwohl die moderne Mediaevistik nicht über1
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Mit Anmerkungen versehene Fassung des Vortrags vom 14.12.1995 in Bad Homburg. Nicht die angemessene Würdigung der angesprochenen vielfältigen Faktoren wird angestrebt, sondern die Zuspitzung methodischer Einsichten in die Erforschung mittelalterlicher Gruppenbildung für das interdisziplinäre Gespräch von Philologen und Historikern. Isidor von Sevilla: Etymologiarum sive originum libri X X , hg. von Wallace Μ. Lindsay, Bd. 1, Oxford 1911, lib. IX I. Nec non et illud sciendum, quod, sicut diversae nationes populorum inter se discrepant genere moribus lingua legibus, ita sancta universalis aecclesia toto orbe terrarum diffusa, quamvis in unitate fidei coniungatur, tarnen consuetudinibus aecclesiasticis ab invicem differt, Epistula Reginonis ad Hathonem archiepiscopum missa, in: Regino von Prüm: Chronicon, ed. Friedrich Kurze, MGH Scriptores rerum Germanicarum in usum scholarum [50], Hannover 1890, S. X X . Arno Borst: Der Turmbau von Babel. Geschichte der Meinungen über Ursprung und
N o m e n gentis
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zeugen können. Die Bedeutung der Sprache für das Entstehen der mittelalterlichen Nationen wurde zwar deswegen nicht geleugnet, weil Nationsbildung einen Bewußtseinsvorgang im Sinne eines Kommunikationsprozesses darstelle. Gleichwohl schätzt die moderne Geschichtswissenschaft sprachliche Faktoren bei der politischen Verbandsbildung eher gering ein. So konstatierte Joachim Ehlers, daß die Sprache eine „weit überschätzte Antriebskraft für das Entstehen politischer Großverbände, Reiche und Nationen" sei, während in germanistischen Reaktionen erneut auf die Bedeutung von Sprache wie auf die frühmittelalterliche „Territorialisierung des Sprachbegriffs" verwiesen wird. 5 Größerer Wertschätzung erfreut sich in den letzten Jahren und Jahrzehnten die Begriffsgeschichte, die Sprach- und Begriffswandel als Wandel politischsozialen Bewußtseins deutet. Quellenbezogene Forschungen zur Entstehung der Nationen im nachkarolingischen Europa richteten ihr Augenmerk seit der Studie Fritz Vigeners 6 auf terminologische Befunde, wollten aus neuen Namen neue Sachen entwickeln. Sprache und Begriff, Name und Sache stehen also zur Debatte. Der früher gepflegte Diskurs von Germanistik und Historie ist in der Nachkriegszeit nicht zuletzt aus wissenschaftsgeschichtlichen Gründen ins Stocken geraten, zumal die bekannten Belege über Generationen hinweg mit dem Vorverständnis der neuzeitlichen Nation als Sprach- und Kulturnation interpretiert wurden. Erst langsam vermögen wir uns von neuzeitlichen Wünschen einer rückwärtsgewandten Gegenwartsverankerung der Deutschen frei zu machen und beobachten seit wenigen Jahren einen zaghaften interdisziplinären Neuansatz der Bemühungen um Wort und Begriff „deutsch" im früheren Mittelalter. 7
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Vielfalt der Sprachen und Völker, 4 Bde. in 6 Teilen, Stuttgart 1957-1963. Das Zitat bei Joachim Ehlers: Die Entstehung des deutschen Reiches (Enzyklopädie deutscher Geschichte 31), München 1994, S. 49; vgl. dort auch S. 43: „Ethnien gehen nicht aus Sprachgemeinschaften h e r v o r und bilden v o n sich aus keine politischen Einheiten; sie sind vielmehr deren Resultate, oft gleichzeitig mit der Formierung einer Sprachgemeinschaft." Zur germanistischen K r i t i k an Ehlers' Thesen Wolfgang Haubrichs: „die tiutsche und die andern zungen": V o n der Vielfalt und Entwicklung eines Sprach- und Volksbegriffs, in: Vorträge des Augsburger Germanistentags 1991, Bd. 1, hg. v. Johannes Janota, Tübingen 1993, S. 21-41, das Zitat S. 30. Fritz Vigener: Bezeichnungen f ü r V o l k und Land der Deutschen v o m 10. bis z u m 13. Jahrhundert, Heidelberg 1901. Vgl. die Zusammenfassung des älteren Forschungsstandes bei Helmut de Boor: Die deutsche Literatur v o n Karl dem G r o ß e n bis zum Beginn der höfischen Dichtung, 770-1170, 9. A u f l . bearbeitet v o n Herbert Kolb, München 1979; Der V o l k s n a m e Deutsch, hg. v. Hans Eggers (Wege der Forschung 156), Darmstadt 1970; H e r m a n n Jakobs: D e r Volksbegriff in den historischen Deutungen des Namens Deutsch, in: Rheinische Vierteljahrsblätter 32, 1968, S. 86-104; Karl Heinrich Rexroth: Volkssprache und werdendes Volksbewußtsein im ostfränkischen Reich, in: Aspekte der Nationenbildung im Mittelalter, hg. v. Helmut Beumann/Werner Schröder (Nationes 1), Sigmaringen 1978, S. 275-315. - Vgl. jetzt v o n historischer Seite die Arbeiten v o n Heinz Thomas: Regnum Teutonicorum = diutiskono richi?
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Bernd Schneidmüller
Die vielfältigen Positionen und Diskussionen können an dieser Stelle kaum angemessen ausgebreitet oder gewürdigt werden. 8 Als bloßer Zaungast des seit einiger Zeit betriebenen Vorhabens „Nomen et gens" mit eigenen Forschungsinteressen eher in der Begriffs- als in der Namengeschichte und zudem eher im Hoch- denn im Frühmittelalter habe ich die freundliche Einladung zu diesem Beitrag deshalb gerne angenommen, weil unter dem Eindruck der Arbeiten von Wenskus 9 aus begriffsgeschichtlichen Vergleichen frühmittelalterlicher Ethnogenese10 und nachkarolingischer Nationsbildung 11 wichtige Anregungen zu er-
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Bemerkungen zur Doppelwahl des Jahres 919, in: Rheinische Vierteljahrsblätter 40, 1976, S. 17-45; Ders.: Theodiscus - diutisk - regnum Teutonicorum. Zu einer neuen Studie über die Anfänge des deutschen Sprach- und Volksnamens, in: Rheinische Vierteljahrsblätter 51, 1987, S. 287-302 [kritische Auseinandersetzung mit Ingrid Strasser: diutisk - deutsch. Neue Überlegungen zur Entstehung der Sprachbezeichnung (Sitzungsberichte der Osterreichischen Akademie der Wissenschaften, phil.-hist. Kl. 444), Wien 1984]; Ders.: Der Ursprung des Wortes Theodiscus, in: Historische Zeitschrift 247, 1988, S. 295-331; Ders.: Die Deutschen und die Rezeption ihres Volksnamens, in: Nord und Süd in der deutschen Geschichte des Mittelalters, hg. v. Werner Paravicini (Kieler Historische Studien 34), Sigmaringen 1990, S. 19-50; Ders.: Frenkisk. Zur Geschichte von theodiscus und teutonicus im Frankenreich des 9. Jahrhunderts, in: Beiträge zur Geschichte des Regnum Francorum, hg. v. Rudolf Schieffer (Beihefte der Francia 22), Sigmaringen 1990, S. 67-95; Ders.: Zur Geschichte des Wortes „deutsch" vom Ende des 11. bis zur Mitte des 13. Jahrhunderts, in: Geschichtliche Landeskunde der Rheinlande. Regionale Befunde und raumübergreifende Perspektiven. Georg Droege zum Gedenken, hg. v. Marlene Nikolay-Panter/Wilhelm Janssen/Wolfgang Herborn, Köln/Weimar/Wien 1994, S. 131-158. - Den neueren germanistischen Forschungsstand bieten die Gesamtdarstellungen von Dieter Kartschoke: Geschichte der deutschen Literatur im frühen Mittelalter, München 1990; Wolfgang Haubrichs: Die Anfänge: Versuche volkssprachiger Schriftlichkeit im frühen Mittelalter (ca. 700-1050/60) (Geschichte der deutschen Literatur von den Anfängen bis zum Beginn der Neuzeit 1/1), Tübingen 2. Aufl. 1995. Vgl. außerdem - auch zur Kritik an den Studien von Heinz Thomas - Ingo Reiffenstein: Bezeichnungen der deutschen Gesamtsprache, in: Sprachgeschichte. Ein Handbuch zur Geschichte der deutschen Sprache und ihrer Erforschung, 2. Halbband, hg. v. Werner Besch/Oskar Reichmann/Stefan Sonderegger (Handbücher zur Sprach- und Kommunikationswissenschaft 2.2), Berlin/New York 1985, Sp. 1717-1727; Deutsch - Wort und Begriff, hg. v. Wolfgang Haubrichs (Zeitschrift für Literaturwissenschaft und Linguistik 94), Göttingen 1994 (darin insbesondere die Beiträge von Thomas Klein und Otfrid Ehrismann). Vgl. die Bemerkungen von Ehlers [Anm. 5], S. 41-55, 94-104; Bernd Schneidmüller: Reich Volk - Nation: Die Entstehung des deutschen Reiches und der deutschen Nation im Mittelalter, in: Mittelalterliche nationes - neuzeitliche Nationen. Probleme der Nationenbildung in Europa, hg. v. Almut Bues/Rex Rexheuser (Deutsches Historisches Institut Warschau. Quellen und Studien 2), Wiesbaden 1995, S. 73-101. Reinhard Wenskus: Stammesbildung und Verfassung. Das Werden der frühmittelalterlichen gentes, Köln/Graz 1961. Vgl. aus der neueren Forschung nur Herwig Wolfram: Geschichte der Goten. Von den Anfängen bis zur Mitte des sechsten Jahrhunderts. Entwurf einer historischen Ethnographie, München 1979; Die Bayern und ihre Nachbarn, 2 Bde., hg. von Herwig Wolfram/Andreas Schwarcz (Denkschriften der Osterreichischen Akademie der Wissenschaften, phil.-hist. Kl. 179), Wien 1985; Typen der Ethnogenese unter besonderer Berücksichtigung der Bayern, Bd. 1, hg. v. Herwig Wolfram/Walter Pohl; Bd. 2, hg. v. Herwig Friesinger/Falko Daim
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hoffen sind. Besonders scheint die weitere Beschäftigung mit der Frage lohnend, ob und wie aus politischen Verbands- und Volksbezeichnungen, aus den nomina gentium, Einsichten in Gruppenbildungen zu gewinnen sind, die wir dann als Ethnogenese und/oder Nationsbildung ansprechen könnten. In Verfolgung und teilweiser Modifizierung eigener Arbeiten zur politischgeographischen Terminologie im hochmittelalterlichen Frankreich12 sollen hier in einem die deutsche und französische Geschichte vergleichenden Ansatz zugespitzte Thesen formuliert werden, die weniger dem Gebot klugen und empirisch gesicherten Abwägens denn der auch die Chance der Hypothesenbildung nutzenden Suche nach neuen Einsichten in ein altes Thema verpflichtet sind. Dabei sind aus dem weiten Feld der Forschung zur mittelalterlichen Nationsbildung einige Probleme zu formulieren, wobei der gebotenen Kürze halber meist auf das Referat von Fakten und von inzwischen fast unübersehbaren Forschungspositionen verzichtet wird. Vielmehr sind die folgenden drei Aspekte anzusprechen.
1. gens - Volk oder Stamm? Die Begrifflichkeit der nachkarolingischen Quellen war in entscheidendem Maß vorgeprägt von der normsetzenden Realität lateinischer Schriftlichkeit, von geographischen Vorstellungen klassischer Autoren wie von einem Benennungssystem, das auf antiker Grundlage im Gefolge von Landnahme und Ethnogenese des Frühmittelalters entstanden war. An diesem Gefüge rüttelte der Wandel politischer Wirklichkeit kaum oder allenfalls langsam. Typisch war nicht Begriffswandel, sondern Begriffskontinuität. Es gilt dabei zwischen Name und Sache zu unterscheiden, denn scheinbar gleichbleibende Volksbezeichnungen konnten in unterschiedlichen Jahrhunderten des Mittelalters Verschiedenes meinen. Hier wird das Wort „Volk" bewußt anstelle von „Stamm" benutzt, da der Stammesbegriff romantischer Färbung, nicht zuletzt durch die Idee vom über(Denkschriften der Österreichischen Akademie der Wissenschaften, phil.-hist. Kl. 201, 204), W i e n 1990. 11
Vgl. dazu die Bände 1-9 der Reihe Nationes. Historische und philologische Untersuchungen zur Entstehung der europäischen Nationen im Mittelalter, hg. v. Helmut Beumann/Werner Schröder, Sigmaringen 1975-1991; außerdem Joachim Ehlers: Die Entstehung der Nationen und das mittelalterliche Reich, in: Geschichte in Wissenschaft und Unterricht 43, 1992, S. 264-274; Ders.: Mittelalterliche Voraussetzungen f ü r nationale Identität in der Neuzeit, in: Nationale und kulturelle Identität. Studien zur Entwicklung des kollektiven Bewußtseins in der Neuzeit, hg. v. Bernhard Giesen, Frankfurt am Main 1991, S. 77-99.
12
Bernd Schneidmüller: N o m e n patriae. Die Entstehung Frankreichs in der politisch-geographischen Terminologie (10.-13. Jahrhunderts) (Nationes 7), Sigmaringen 1987.
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Bernd Schneidmüller
zeitlichen deutschen Volk entwickelt, Stämme als Bausteine eines größeren Ganzen begriff. 13 Erst neuerdings wird unter dem Eindruck zunehmender Verunsicherung über die Anfänge der deutschen und französischen Geschichte 14 Ernst gemacht mit der Erforschung permanenter Ethnogenesen unterhalb der Ebene der mittelalterlichen Nationen. Matthias Becher hat soeben die sächsische Volksbildung als einen Prozeß beschrieben, der nicht allein den „Schmelztiegel des Karolingerreiches" bis ins 9./10. Jahrhundert überdauerte, sondern überhaupt erst unter den Prämissen fränkischer Suprematie faßbar wird. 15 Wenn die verfassungsgeschichtlichen Lehren vom älteren und jüngeren Stammesherzogtum zu Recht erschüttert wurden 16 , so sollte man auch die Differenzierung älterer und jüngerer Völker, konkret unterschiedliche Erscheinungs- und Qualitätsformen vor- und nachkarolingischer Ethnogenesen und die Parallelität hochmittelalterlicher Verbandsbildungen auf verschiedenen Stufen konsequenter zum Gegenstand wissenschaftlicher Beschäftigung machen. Das eine als Reichs-, das andere als Landesgeschichte zu betreiben, geht an den Befunden völlig vorbei und zementiert das hierarchisierende Gebäude von deutscher und französischer Nation einerseits, Herzogtümern, Fürstentümern oder Stämmen andererseits, weitergedacht zwischen den großen europäischen Reichen und kleineren Regionen. Eine solche stufende Wertigkeit kannte weder das Mittelalter noch die frühe Neuzeit. Es ist darauf hingewiesen worden, daß der Begriff Deutschland erst langsam die mittelalterlich zunächst im Plural verwandten deutschen Lande
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Zur mittelalterlichen Begriffsgeschichte jetzt grundlegend Karl Ferdinand Werner: Artikel Volk, Nation, Nationalismus, Masse (Abschnitt III-V), in: Geschichtliche Grundbegriffe 7, Stuttgart 1992, S. 171-281. Vgl. zur mittelalterlichen Wortgeschichte Otfrid Ehrismann: Volk. Mediävistische Studien zur Semantik und Pragmatik von Kollektiven (Göppinger Arbeiten zur Germanistik 575), Göppingen 1993. Zu den kontrovers diskutierten Anfängen der deutschen Geschichte vgl. neben der unten Anm. 27 genannten Literatur Eduard Hlawitschka: Von der großfränkischen zur deutschen Geschichte. Kriterien der Wende (Sudetendeutsche Akademie der Wissenschaften und Künste. Geisteswissenschaftliche Klasse. Sitzungsberichte 1988, 2), München 1988. Zu den Anfängen der französischen Geschichte Joachim Ehlers: Die Anfänge der französischen Geschichte, in: Historische Zeitschrift 240, 1985, S. 1-44; Bernd Schneidmüller: Ottonische Familienpolitik und französische Nationsbildung im Zeitalter der Theophanu, in: Kaiserin Theophanu. Die Begegnung des Ostens und Westens um die Wende des ersten Jahrtausends 2, hg. v. Anton von Euw/Peter Schreiner, Köln 1991, S. 345-359; Karl Ferdinand Werner: Les origines (avant l'an mil) (Histoire de France 1), Paris 1984; deutsche Ubersetzung: Die Ursprünge Frankreichs bis zum Jahr 1000, Stuttgart 1989. Vgl. die Rezension von Joachim Ehlers, in: Göttingische Gelehrte Anzeigen 242, 1990, S. 252-258. Matthias Becher: Rex, dux und gens. Untersuchungen zur Entstehung des sächsischen Herzogtums im 9. und 10. Jahrhundert (Historische Studien 444), Husum 1996. Hans-Werner Goetz: „Dux" und „ducatus". Begriffs- und verfassungsgeschichtliche Untersuchungen zur Entstehung des sogenannten „jüngeren" Stammesherzogtums an der Wende vom neunten zum zehnten Jahrhundert, Bochum 1977.
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überwölbte 17 , und das mag auch für die Integration der deutschen Völker in die deutsche Nation gelten. 18 In der Formierungsphase des ostfränkisch-deutschen Reiches existierten aber weder die deutsche Nation noch die deutschen Völker, sondern gentes, die auf älteren Wurzeln ihre entscheidende Prägung durch die Klammer des fränkischen Großreichs erhalten hatten. Ihre permanente Ethnogenese begleitete den Zerfall des Karolingerreichs und setzte im 9. und 10. Jahrhundert immer wieder an, eine Ethnogenese, die sich um Adelsgruppen und Einzelpersonen kristallisierte. Besonders deutlich läßt sich dies in Lotharingien erkennen, wo ein personenbezogener, später verdinglichter Reichsname (regnum Lotbarii, regnum Lothariense, Lotharingia) über eine weitgehend fränkische Bevölkerung gestülpt wurde, die sich dann nach diesem Namen nannte. 19 Die später abgebrochene lotharingische Verbandsbildung belegt eindrucksvoll die Wandelbarkeit politischen Bewußtseins über ethnische, sprachliche und kulturelle Identitäten hinweg. Vergleichbares darf für andere Verbände angenommen werden, die sich zwar Sachsen, Franken, Alemannen, Bayern, Burgunder oder Aquitanier nannten, mit den Völkern der Landnahmezeit aber nur noch das nomen gentis gemein hatten. Der Bezug auf deren territoriale und institutionelle Substrate im früheren Mittelalter, den die deutsche verfassungsgeschichtliche Forschung zunächst in ihrer Konzentration auf Personenverbände, neuerdings auf soziale Gruppen weitgehend vernachlässigt, sollte unser stärkeres Interesse finden. Die Namen und die immer wieder aufgegriffenen und neu instrumentalisierten Traditionen der Völker machten sich nämlich an Räumen fest, an der Francia, an der Saxonia, an der Aquitania. Darum ist trotz mancher Vorbehalte im Einzelnen das regmi-Konzept Karl Ferdinand Werners 20 tauglicher zur Beschreibung frühmittelalterlicher Raum- und Herrschaftsvorstellungen als das Insistieren auf verbandsbezogenen Kontinuitäten, deutsch: auf Stämmen.
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Karl Ferdinand Werner: V o n den „Regna" des Frankenreichs zu den „deutschen Landen",
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Heinz Thomas: Julius Caesar und die Deutschen. Z u Ursprung und Gehalt eines deutschen
in: Zeitschrift für Literaturwissenschaft und Linguistik 94, 1994, S. 69-81. Geschichtsbewußtseins in der Zeit Gregors VII. und Heinrichs IV., in: Die Salier und das Reich 3 { hg. v. Stefan Weinfurter, Sigmaringen 1991, S. 245-277; Schneidmüller [ A n m . 8], S. 95ff. 19
Bernd Schneidmüller: Regnum und ducatus. Identität und Integration in der lothringischen Geschichte des 9. bis 11. Jahrhunderts, in: Rheinische Vierteljahrsblätter 5 1 , 1 9 8 7 , S. 81-114; Matthias Werner: Der Herzog von Lothringen in salischer Zeit, in: Die Salier und das Reich 1, hg. v. Stefan Weinfurter, Sigmaringen 1991, S. 367-473.
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Karl Ferdinand Werner: V o m Frankenreich zur Entfaltung Deutschlands und Frankreichs. Ursprünge - Strukturen - Beziehungen. Ausgewählte Beiträge, Sigmaringen 1984, S. 261ff., 278ff., 31 Iff.
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2. Namenkontinuität und politischer Wandel Stellt man die Traditionalität antiker und frühmittelalterlicher Volks- und Ländernamen in Rechnung, so verfügten unsere mittelalterlichen Autoren zur Beschreibung ihrer politischen Lebenswelt nur über einen beschränkten Vorrat von nomina gentium oder nomina regnorum, zudem noch arg gefiltert durch die Bedingungen einer auf kleine Trägergruppen begrenzten lateinischen Schriftkultur.21 Die damit verbundenen Probleme sind häufig diskutiert worden. Da wir als Historiker unsere abstrahierende Wirklichkeit aus den Quellen und ihrer Kritik konstituieren und die Basis unserer Wissenschaft in der nüchternen Uberprüfbarkeit der Quellenarbeit und -interpretation liegt, sollte angesichts neuerer modischer Bestrebungen in der deutschen Mediaevistik nachdrücklich unterstrichen werden, daß wir Geschichte nicht gegen die Quellen trotz all ihrer Beschränktheit schreiben können und wollen.22 Auch wenn uns damit der Weg zu den Herzen und Köpfen der allermeisten mittelalterlichen Menschen dauerhaft verschlossen bleibt23, dürfen wir aus dem Studium der lateinischen Schriftkultur eine ganze Reihe wichtiger Ergebnisse erwarten, die ihre Konturen nicht aus einer repräsentativen Wahrheit an sich, sondern aus unseren Fragestellungen und Perspektiven erlangen. Die Beschäftigung mit der nachkarolingischen Nationsbildung, hier einmal auf das Herauswachsen Deutschlands und Frankreichs aus dem karolingischen Großreich beschränkt, führt den vorwiegend philologisch arbeitenden Historiker in ein Paradefeld wissenschaftlichen Dissenses. Unsere Quellen konnten Nationsbildung deshalb nicht beschreiben, weil sie das Ergebnis jenes historischen Prozesses nicht kannten, an dessen Ende die Nation stand. So dürfen wir ihnen nur Indizien für den Wandel abringen. Darum geht der eher auf politische denn auf bewußtseins- und ideengeschichtliche Aspekte der Nationsbildung ausgerichtete Ansatz von Carlrichard Brühl am Kern
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Joachim Ehlers: Schriftkultur, Ethnogenese und Nationsbildung in ottonischer Zeit, in: Frühmittelalterliche Studien 23, 1989, S. 302-317. Vgl. dazu die neueren, auch methodisch bedeutsamen Diskussionen um den Quellenwert der zeitgenössischen Berichte über die Königswahlen v o n 9 1 9 und 936, Johannes Fried: Der W e g in die Geschichte. Die Ursprünge Deutschlands (Propyläen Geschichte Deutschlands 1), Berlin 1994; Ders.: Die Königserhebung Heinrichs I. Erinnerung, Mündlichkeit und Traditionsbildung im 10. Jahrhundert, in: Mittelalterforschung nach der Wende 1989, hg. v. Michael Borgolte (Historische Zeitschrift. Beihefte 20), München 1995, S. 267-318; Hagen Keller: W i d u k i n d s Bericht über die Aachener W a h l und Krönung Ottos I., in: Frühmittelalterliche Studien 29, 1995, S. 390-453. Frantisek Graus: Mentalität - Versuch einer Begriffsbestimmung und Methoden der Untersuchung, in: Mentalitäten im Mittelalter. Methodische und inhaltliche Probleme, hg. v. Frantisek Graus, Sigmaringen 1987, S. 9-48.
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des Problems vorbei, wenn er mit seiner bis zur Vernichtung neigenden Quellenkritik über die Ablehnung von „Schwätzern" und „sächsischen Geschichtskonstrukteuren" zur Wirklichkeit vordringen will und die Terminologie seiner Quellen an eben dieser von ihm konstruierten Wirklichkeit beurteilt. 24 Noch immer prägend, aber auf andere Art nicht minder problematisch ist das Postulat Karl Ferdinand Werners: „Die Frage ist also nicht, wie Menschen Mitteleuropas von ihrer gemeinsamen Sprache her zu einem Volk der Deutschen wurden, sondern, wann der ostfränkische Staat unter den ottonischsalischen Herrschern den Namen ,Deutschland' erhalten hat, bzw. wann die in ihm lebenden Völker, die seit z.T. mehr als einem halben Jahrtausend bekannten Franken, Sachsen, Bayern, Alamannen zusätzlich zu ihrem bisherigen Volksnamen umfassend ,Deutsche' genannt wurden". 25 Die Suche nach Erstbelegen ist legitim und hielt Generationen von quellenkritisch skrupulösen Historikern in Atem, doch setzt sie voraus, daß erst mit dem Namen die Sache, mit „Deutschland" die „deutsche Geschichte" in der Welt sei. Werners Aussage mißt der Neubildung von Begriffen als Indiz für politischen Wandel eine unangemessen große Bedeutung bei. Darum haben jetzt jene Kolleginnen und Kollegen Konjunktur, die den bisher so früh gesetzten Beginn deutscher und französischer Geschichte immer weiter hinausrücken. 1972 war Brühls These vom Beginn der deutschen Geschichte im frühen 11. Jahrhundert 26 ein Stein des Anstoßes für jene Mediaevisten, die damals noch um die Jahre 843, 888, 911, 919 oder 936 debattierten. 27 In seinem großen Buch „Deutschland - Frankreich. Die Geburt zweier Völker" von 1990 schob Brühl den Beginn sogar ins 12. Jahrhundert hinaus. 28 Auch in Frankreich beginnt ein allmählicher Ablösungsprozeß von jener etatistischen
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Carlrichard Brühl: Deutschland - Frankreich. Die Geburt zweier Völker, K ö l n / W i e n 1990. Vgl. dazu auch Bernd Schneidmüller: Widukind von Corvey, Richer von Reims und der Wandel politischen Bewußtseins im 10. Jahrhundert, in: Beiträge zur mittelalterlichen Reichs- und Nationsbildung in Deutschland und Frankreich, hg. v. Carlrichard Brühl/Bernd Schneidmüller (Historische Zeitschrift. Beihefte 24), München 1997, S. 83-102. Karl Ferdinand Werner: Artikel Deutschland, in: Lexikon des Mittelalters 3, M ü n c h e n / Z ü rich 1986, Sp. 784. Carlrichard Brühl: Die Anfänge der deutschen Geschichte (Sitzungsberichte der Wissenschaftlichen Gesellschaft an der Johann Wolfgang Goethe-Universität Frankfurt am Main 10, 5), Wiesbaden 1972. Eine Zusammenstellung älterer Ansätze in: Die Entstehung des deutschen Reiches (Deutschland um 900), hg. v. Hellmut Kämpf (Wege der Forschung 1), Darmstadt 1956; vgl. dann Walter Schlesinger: Kaiser Arnulf und die Entstehung des deutschen Staates und Volkes, in: Ders.: Beiträge zur deutschen Verfassungsgeschichte des Mittelalters 1, Göttingen 1963, S. 233-244 [ N D von 1941]. Zur Kritik des bei Schlesinger benutzten Verständnisses von Volk Joachim Ehlers: Rezension zu Walter Schlesinger, Ausgewählte Aufsätze, Sigmaringen 1987, in: Göttingische Gelehrte Anzeigen 240, 1988, S. 263-282. Brühl [Anm. 24], S. 715ff.
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Kontinuität, die schon Karl den Kahlen als „roi de France" begriff.29 Jetzt spricht Duby noch die Könige des frühen 12. Jahrhunderts vorsichtig als „rois des Francs" an.30 Es besteht kaum eine Chance, daß die heftigen Diskussionen über die „Geburt", „Entstehung" Deutschlands und Frankreichs oder über die „Kriterien der Wende" zum baldigen Abschluß gelangen. Die mit der Suche nach den Kulminationspunkten einer gestreckten Nationsbildung verbundenen Streitpunkte können nämlich nicht wie in der mittelalterlichen Diplomatik einem disaimen veri acfalsi unterzogen werden. Die Debatten werden deshalb anhalten, weil die gegebenen Antworten aus u n s e r e n Perspektiven von mittelalterlicher Geschichte und je eigener Gegenwart erwachsen; dieser niederschmetternden Relativität seiner Produktivität sollte sich der Historiker ruhig bewußt bleiben. Die nachdrücklich eingeforderte Arbeit mit den Quellen verlangt zuvorderst die Auseinandersetzung mit der mittelalterlichen Begriffsgeschichte, mit den nomina gentium, ihrer Beharrlichkeit und ihrem Wandel. Freilich führt uns die bloße Erhebung der Befunde noch nicht zu ihrer Interpretation. In Auseinandersetzung mit der gerade zitierten Forderung Werners, im neuen Namen die Entstehung der neuen Sache zu suchen, sollen einige kritische Überlegungen zum Umgang mit diesen Befunden formuliert werden. Uber Generationen läßt sich die fränkische Prägung der karolingischen Nachfolgereiche beobachten, was angesichts ethnischer Kontinuitäten zumal der Führungsgruppen nicht verwundern sollte. Die mittelalterliche Nationsbildung brachte dann neue Gebilde auf supragentiler Grundlage hervor. Irritierend ist, daß diese gerade keine neuen Namen erhielten. Freilich wurden die überkommenen Bezeichnungen in ihrem Sinngehalt neu aufgeladen. Die bloße Beobachtung der Namenkontinuität führt darum am Wandel der Bedeutungsinhalte vorbei. Neue Namen markieren, um es auf den Punkt zu bringen, nicht den einsetzenden politischen oder ideengeschichtlichen Wandel, nein, - sie schließen ihn ab, indem sie bei einigen Unterschieden in Frankreich und Deutschland Indizien für das Einsickern einer neuen Qualität von Reich und Volk ins zeitgenössische Bewußtsein liefern. Die Terminologie im westfränkisch-französischen Reich verbietet es eigentlich, die biologistische Metapher „Geburt" überhaupt zu benutzen. Denn das regnum Francorum schlüpfte gleichsam unbemerkt aus dem regnum Francorum heraus, aus dem rex Francorum wurde der rex Francorum, die Francia wandelte sich zur Francia. Bloße Begriffsgeschichte als Addition von Belegen hilft bei der
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So im Titel der kritischen Urkundenedition: Recueil des actes de Charles II le Chauve roi de France, 3 Bde., ed. Georges Tessier, Paris 1943-1955.
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Georges Duby: Le moyen äge de Hugues Capet a Jeanne d'Arc 987-1460, Paris 1987, S. 346f.
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Beschreibung dieses Wandels vom karolingischen Frankenreich zum westfränkischen Reich und schließlich zu Frankreich nicht weiter. Deutungshilfen werden allein einem kombinierenden Ansatz verdankt. Er macht uns deutlich, seit wann man nur noch den eigenen Verband und das eigene Reich als fränkisch-französisch ansprach, wann die ältere Francia-Terminologie mit der Vorstellung von der Gallia ohne die Germania verbunden wurde, wann Reich und Land mit positiven Emotionen besetzt und als eigene Lebenswelt begriffen wurden. Dieser Vorgang währte lange, vom 9. bis zum 12. Jahrhundert. Um ihn in seinen entscheidenden Etappen zu beschreiben, darf man die Quellen nicht nur nach ihrer Repräsentativität beurteilen. Auch wenn sich die Bezeichnungen rex Francorum oder regnum Francorum behaupteten, verdient die begriffliche Experimentierphase westfränkisch-französischer Quellen um die Jahrtausendwende unser Interesse, als man die Austauschbarkeit von Francia und Gallia erprobte und damit den politischen Realitäten einer auf den Westen des ehemaligen fränkischen Großreichs bezogenen Francia Rechnung trug. 31 Selbst in der offiziellen Terminologie der Kanzlei wurde die integrierende Kraft von König und Reich in aufeinanderfolgenden Generationen unterschiedlich beurteilt. So erweiterte Ludwig VII. nach der Heirat mit der aquitanischen Erbtochter Eleonore seine Intitulatio zu rex Francorum et dux Aquitanorum und würdigte damit den angestrebten realen Machtgewinn. 32 Sein Sohn Philipp II. Augustus wie dessen Nachfolger beharrten in ihrer erfolgreichen Expansionspolitik, die von der Krondomäne auf das Königreich ausgrifP 3 , dann auf der alten Intitulatio rex Francorum34 und formulierten so ein Gegenmodell zum additiven, verschiedene Würden und Länder vereinigenden Herrschertitel ihrer anglonormannischen Rivalen. In seiner personenverbandsbezogenen Beharrungskraft angesichts vergleichbarer Intitulationes fast archaisch anmutend, spiegelt der bis in die Neuzeit benutzte Titel rex Francorum wie die Reichsbezeichnung als regnum
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Schneidmüller [Anm. 12], S. 49ff. Elie Berger: La formule „Rex Francorum et dux Aquitanorum" dans les actes de Louis VII, in: Bibliotheque de l'Ecole des chartes 45, 1884, S. 305-313; Klaus Lohrmann: Die Titel der Kapetinger bis zum Tod Ludwigs VII., in: Intitulatio III. Lateinische Herrschertitel und Herrschertitulaturen vom 7. bis zum 13. Jahrhundert, hg. v. Herwig Wolfram/Anton Scharer (Mitteilungen des Instituts für Osterreichische Geschichtsforschung. Ergänzungsband 29), Wien/Köln/Graz 1988, S. 201-256, hier S. 251-254. John W. Baldwin: The Government of Philip Augustus. Foundations of French Royal Power in the Middle Ages, Berkeley/Los Angeles/London 1986, S. 191ff. Bernd Schneidmüller: Herrscher über Land oder Leute? Der kapetingische Herrschertitel in der Zeit Philipps II. August und seiner Nachfolger (1180-1270), in: Intitulatio III. Lateinische Herrschertitel und Herrschertitulaturen vom 7. bis zum 13. Jahrhundert, hg. v. Herwig Wolfram/Anton Scharer (Mitteilungen des Instituts für Osterreichische Geschichtsforschung. Ergänzungsband 29), Wien/Köln/Graz 1988, S. 131-162.
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Francorum oder regnum Franciae einen entscheidenden Wesenszug der nachkarolingischen Begriffsgeschichte. Die entstehenden Nationen wurden nicht in gentilen, sondern in institutionellen, auf König und Reich bezogenen Namen beschrieben. Francia meinte bis weit ins Spätmittelalter hinein das Land der weiteren Ile-de-France, regnum Franciae markierte einen geographisch darüber hinausgreifenden politischen Verband von der Maas bis zum Ozean und den Pyrenäen. 35 Die aus dem Frühmittelalter überkommene geographische Terminologie wurde also politisch-institutionell aufgeladen und muß bei scheinbarer Konstanz in ihrem entscheidenden Bedeutungswandel begriffen werden. Daß dies nicht bloß das Arbeitsergebnis des modernen Historikers ist, kann aus französischen Quellen des Hochmittelalters erhellt werden. Als an der Wende vom 12. zum 13. Jahrhundert der dem kapetingischen Hof nahestehende Geschichtsschreiber Rigord von St-Denis bei der Beschäftigung mit dem regnum Francorum im Wandel der Zeiten zur Einsicht gelangte, daß es einen doppelten Sinn von regnum gebe, einen large und einen stricte*, überlieferte er uns den entscheidenden Beleg für die Rationalisierung einer bisher gleichsam selbstverständlich benutzten politisch-geographischen Terminologie. Wenig später sprach Giraldus Cambrensis die unterschiedliche Ausdehnung des Frankenreiches unter Karl dem Großen und Philipp II. Augustus an:37 Die Namen waren geblieben, doch die gewandelte Qualität hatte man erkannt, semantischer wie Bewußtseinswandel in Sprachkontinuität!
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Schneidmüller [Anm. 12], S. 228ff. Verumtamen diligenter attendendum est quod hoc nomen, videlicet regnum Francorum, quandoque large quandoque stricte accipitur: large quando Franci ubicumque manerent sive in Austriam, sive in Alemanniam, sive in Germaniam superiorem vel inferiorem, vel Galliam Belgicam, vel Narbonensem inhabitantes, regnum Francorum vocabantur, sicuti decern tribus Judeorum in Samariam regnum Israel vocabantur, et duodecim tribus tempore David et Salomons simili vocabulo nuncupate sunt. Stricte vero regnum Francorum accipitur quando sola Gallia Belgica regnum Francorum vocatur, que est infra Renum, Mosam et Ligerim coartata, quam Galliam appropriate vocabulo, modemi Franciam vocant. Modo vero, propter insolentiam regum Francorum, nec tarnen terram istam quam Franciam vocant juribus suis in integrum habere merentur. Excecavit enim illos pestis ambitionis et avaricie et quasi in reprobum sensum traditi, non faciunt ea que conveniunt. Dieser Textauszug aus dem nur fragmentarisch erhaltenen und ungedruckten Chronicon regum Francorum (Handschrift in Soissons, Bibliotheque municipale, Ms. 129) ist ediert von Henri-Francis Delaborde, Notice sur les ouvrages et sur la vie de Rigord moine de Saint-Denis, in: Bibliotheque de l'Ecole des chartes 45, 1884, S. 585-614, hier S. 604. Philipp II. habe bei einem Feldzug darüber gegrübelt, ob es ihm oder einem anderen Francorum rex vergönnt sein möge, quod Franciae regnum in statum pristinum eamque celsitudinem et amplitudinem quam tempore Karoli quondam habuerat reformare, Giraldus Cambrensis, De principis instructione liber, ed. George F. Warner, Giraldi Cambrensis Opera 8 (Rerum Britannicarum medii aevi scriptores 21), London 1891, Dist. III, cap. 25, S. 294.
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Es wäre abwegig, wollte man den Beginn der französischen Geschichte mit solchen hochmittelalterlichen Einsichten einsetzen lassen. Die genannten Quellen, denen die breite administrative Terminologie der kapetingischen Kanzlei und Gerichtsbarkeit zur Seite zu rücken wäre, spiegeln die vollzogene Apperzeption eines Zustands, nicht dessen gestreckte Genese. Diese Beobachtung scheint wichtig festzuhalten, wenn wir uns mit den ostfränkisch-deutschen Befunden befassen. Die bloße Suche nach den neuen Namen „Reich der Deutschen", „deutsches Reich", „Deutschland" oder mittelalterlich korrekter „deutsche Lande" führt uns nämlich nicht zu den Anfängen deutscher Geschichte.38 Auch hier gilt, daß sich nachkarolingische Ethnogenesen in der Persistenz antiker und frühmittelalterlicher Terminologie abspielten, in einer römisch-fränkischen Begrifflichkeit, die nur blaß und allenfalls zeitweise sächsisch verbrämt wurde.39 Der Wandel tritt wieder in begrifflichen Kontinuitäten hervor, in der Fortdauer des um den römischen Reichsnamen erweiterten Frankennamens, der die von der neuzeitlichen Mediaevistik erwartete terminologische Neubildung auf Dauer obsolet machte. Beharrlich herausgestrichene Gegensätze wie die römische renovatio Ottos III. oder die fränkische renovatio Heinrichs II. ebnen sich darum ein.40 Die fränkisch-römische Prägung führte erst Jahrzehnte später unter dem Eindruck verstetigter Integration des regnum Italiae zur das Neue bewältigenden historischen Reflexion, auf die Heinz Thomas hingewiesen hat: Das Annolied und die breiter überlieferte und rezipierte Kaiserchronik applizierten den Deutschen gelehrt-gekonnt endlich die Geschichte ihrer Volkswerdung und schufen damit die Analogie zu den seit merowingischer Zeit beobachteten Konstruktionen von Volksgeschichten. Uber die Abstammungssagen von Schwaben, Bayern, Sachsen und Franken als Trägern des neuen Großvolkes wölbte sich die von Thomas so genannte „Origo gentis Teutonicorum". Sie schrieb dem Wirken Caesars die Entstehung des deutschen Volkes über den vier Völkern der Schwaben, Bayern, Sachsen und Franken zu.41
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Vgl. die Belegsammlungen bei Wolfgang Eggert: Das ostfränkisch-deutsche Reich in der Auffassung seiner Zeitgenossen (Forschungen z u r mittelalterlichen Geschichte 21), W i e n / K ö l n / G r a z 1973; Eckhard Müller-Mertens: Regnum Teutonicum. A u f k o m m e n und Verbreitung der deutschen Reichs- und Königsauffassung im früheren Mittelalter (Forschungen zur mittelalterlichen Geschichte 15), W i e n / K ö l n / G r a z 1970; Wolfgang Eggert: Ostfränkisch fränkisch - sächsisch - römisch - deutsch. Z u r Benennung des rechtsrheinisch-nordalpinen Reiches bis zum Investiturstreit, in: Frühmittelalterliche Studien 26, 1992, S. 239-273. Wolfgang Eggert/Barbara Pätzold: W i r - G e f ü h l und regnum Saxonum bei frühmittelalterlichen Geschichtsschreibern (Forschungen zur mittelalterlichen Geschichte 31), Weimar 1984. Knut Görich: O t t o III. Romanus Saxonicus et Italicus. Kaiserliche R o m p o l i t i k und sächsische Historiographie (Historische Forschungen 18), Sigmaringen 1993. Thomas [ A n m . 18], S. 253ff.
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In dieser Epoche erst, am Ende des 11. Jahrhunderts, konnte Norbert von Iburg in seiner Vita Bennonis die Entstehung des deutschen Volkes, der universa gens Teutonica, vom Sieg Karls des Großen über die Sachsen herleiten. 42 Nur wenig später stellte O t t o von Freising seine bekannten Überlegungen über den fränkischen oder deutschen Charakter des Reiches an. 43 Sie-blieben nicht zuletzt deshalb so unentschieden, weil die Entstehung der deutschen Nation anders als die der französischen nur imperial-römisch gedacht und Widersprüche zwischen fränkisch, römisch und deutsch nur akademisch konstruiert werden konnten. Die Mär vom antiken Ursprung des deutschen Volkes in römischer Bewährung entwickelte sich nicht zum entscheidenden Baustein deutschen Selbstbewußtseins in alteuropäischer Zeit und fand in den kleindeutschen Denkschemata einer deutschen Kaisergeschichte kaum Beachtung. Doch die gelehrten Arbeiten des späten 11. und des 12. Jahrhunderts suchten in der Konstruktion einer supragentilen Abstammungssage Fehlendes nachzuholen und belegen schon deshalb einen gewissen Abschluß der Nationsbildung, weil man sich ihrer bewußt wurde und sie in Parallele zu längst beschriebenen vergleichbaren Prozessen setzte. Die Uberlieferung kennzeichnet den Prozeß der Bewußtwerdung neuer, deutscher Identität unter dem Eindruck der Italienfahrten, nahm aber sogleich die Vielfalt der deutschen Völker und ihrer Reiche neben der überwölbenden Nation in den Blick. Begriffswandel oder neue Namen markierten im nachkarolingischen Europa also nicht den Anfang einer neuen politischen Qualität, die wir verabredungsgemäß als mittelalterliche Nationsbildung bezeichnen wollen. 44 Sie spiegeln vielmehr die zunehmende Selbstverständlichkeit in der zeitgenössischen Wahrnehmung. Gewiß sind in Frankreich und Deutschland ganz unterschiedliche Befunde auszumachen, hier die Kontinuität fränkischer Terminologie, dort die Neubildung der Landes- und Volksbezeichnung. Indem der Herrschaftsverband aber fränkisch-französisch oder fränkisch-römisch beschrieben wurde, offenbart sich das Charakteristikum nachkarolingischer Nationsbildung. Sie drückte sich weder in der Addition von Volksnamen noch in neuen nomina gentium aus, sondern vollzog sich im Rahmen von Verbänden oder Institutionen, war auf das regnum oder Imperium, auf den rex
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Norbert von Iburg, Vita Bennonis II. episcopi Osnabrugensis, ed. Harry Bresslau, M G H Scriptores rerum Germanicarum in usum scholarum [56], Hannover/Leipzig 1902, cap. 13, S. 16.
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Otto von Freising, Chronica sive historia de duabus civitatibus, ed. Adolf Hofmeister, M G H Scriptores rerum Germanicarum in usum scholarum [45], Hannover/Leipzig 1912, VI 17, S. 276f.
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Hinweise und Literatur zur Sache bei Joachim Ehlers: Artikel Natio, in: Lexikon des Mittelahers 6, München/Zürich 1993, Sp. 1035-1038.
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oder imperator bezogen und mit traditionalen Reichsvölkern wie Franken oder Römern verknüpft. Anders als es kleindeutsche Historiker des 19. und 20. Jahrhunderts ersehnten, konnte und brauchte die deutsche Nation des Spätmittelalters das Römerreich nicht zu ersetzen: Die deutsche Nation entstand im Römerreich, die französische im Frankenreich, nachkarolingische Ethnogenese war Ergebnis politischer Formierung! Für die Erforschung der mittelalterlichen Nationsbildung hat die Präzisierung der Aussagekraft von Begriffsgeschichte Konsequenzen, die abschließend wenigstens anzudeuten sind.45
3. Vom Reich zum Volk Die nachkarolingische Reichsbildung läßt sich weit einfacher als die Nationsbildung fassen, auch wenn die entstehenden regna erheblichen quantitativen wie qualitativen Transformationsprozessen unterworfen waren. Allen modernen Spätdatierern zum Trotz, muß der Beginn der ostfränkisch-deutschen und der westfränkisch-französischen Geschichte im 9. Jahrhundert gesehen werden, das aus den neueren Diskussionen weitgehend herauszufallen scheint. Auch wenn sich 842 nicht Deutsche und Franzosen in Straßburg ihre Eide leisteten, auch wenn die Grenzziehungen von Verdun, Meerssen und Ribemont Angelegenheiten nicht von Völkern, sondern von karolingischen Königen waren, im 9. Jahrhundert entstanden jedenfalls langwirkende Strukturen im Gefüge sowohl der fränkischen Nachfolgereiche als auch des Miteinanders von Königtum und Adel innerhalb dieser regna, die selbst wiederum kleinere regna und bei fränkischer Dominanz mehrere Völker in sich vereinten. Trotz der herausragenden Funktion des Königtums für die Reichsbildung scheint gerade das in der zweiten Hälfte des 9. Jahrhunderts weit offenere Gefüge von Königtum und Adel eine Epoche zu charakterisieren, in der diese neuen supragentilen, durchaus noch auf den Herrscher gerichteten 46 und zunächst nach ihm benannten regna entstanden, das regnum Karoli, das regnum Lotharii, das regnum Ludovici, die Francia et Saxonia Ludwigs des Jüngeren. 47 Die Köni45
Die folgenden Partien berühren sich mit meinen Ausführungen im A n m . 8 genannten Band, dort S. 89ff.
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Johannes Fried: D e r karolingische Herrschaftsverband im 9. Jh. zwischen „Kirche" und „Königshaus", in: Historische Zeitschrift 235, 1982, S. 1-43; H a n s - W e r n e r Goetz: Regnum: Z u m politischen Denken der Karolingerzeit, in: Zeitschrift der Savigny-Stiftung für Rechtsgeschichte. Germanistische Abteilung 1 0 4 , 1 9 8 7 , S. 110-189; Johannes Fried: Gens und
regnum.
Wahrnehmungs- und Deutungskategorien politischen Wandels im früheren Mittelalter. Bemerkungen zur doppelten Theoriebindung des Historikers, in: Sozialer Wandel im Mittelalter. Wahrnehmungsformen, Erklärungsmuster, Regelungsmechanismen, hg. v. Jürgen Miethke/Klaus Schreiner, Sigmaringen 1994, S. 73-104. 47
Eugen Ewig: Beobachtungen zur politisch-geographischen Terminologie des fränkischen
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ge legitimierten zwar ihre Stellung aus ihrer Herkunft, regierten aber aus dem Konsens mit dem Adel und agierten grenzüberschreitend stets als „eingeladene" Könige. Auf einen solchen Herrschaftskonsens in Westfranken haben Peter Classen und Elisabeth Magnou-Nortier hingewiesen. 48 Für Ostfranken wäre er gewiß noch genauer zu untersuchen und manche Lehren vom programmatischen Neuanfang Heinrichs I. in amicitiae und pacta zu überprüfen. 49 Sowohl die Wurzeln der Reiche als auch die Wurzeln der politischen Gruppen und Verbände innerhalb der regna reichen deutlicher ins 9. Jahrhundert zurück und mahnen zur Vorsicht gegenüber gerne postulierten Neuansätzen des 10. Jahrhunderts, da die Geschichte der fränkischen Reiche schon seit den letzten Jahren Ludwigs des Frommen von Adelsverbänden unter der Leitung von Königen geprägt wurde. Reichsbildung erfolgte also aus dem Miteinander von Königtum und Adel, auch wenn der sich langsam entfaltende monarchische Lehnsverband die einigende Klammer bot. Die Entstehung politischer Verbände auf multiethnischer Basis als Grundlage der mittelalterlichen Nationsbildung kann wohl nur aus dieser Interaktion von Königtum und Adel begriffen werden. Sie prägte von der Mitte des 9. bis in die Mitte des 10. Jahrhunderts die Politik der karolingischen Nachfolgereiche und wirkte reichsbildend. Die stärkere Betonung der monarchischen Sonderstellung ging in der Mitte des 10. Jahrhunderts einher mit der Kaiser- und Italienpolitik, die die Ausbildung der deutschen Nation im Reich der Ottonen und Salier begleitete und im Westen zur Formulierung eigener Selbständigkeit und Unabhängigkeit nötigte. Die von Carlrichard Brühl bis ins 11. Jahrhundert beobachtete Dauerhaftigkeit des Frankennamens taugt wenig zur Erkenntnis der entscheidenden
48
49
Großreiches und der Teilreiche des 9. Jahrhunderts, in: Ders.: Spätantikes und fränkisches Gallien. Gesammelte Schriften (1952-1973) 1 (Beihefte der Francia 3, 1), Zürich/München 1976, S. 323-361; Josef Semmler: Francia Saxoniaque oder Die ostfränkische Reichsteilung von 865/76 und die Folgen, in: Deutsches Archiv 46, 1990, S. 337-374; Wolfgang Eggert: „Franken und Sachsen" bei Notker, Widukind und anderen. Zu einem Aufsatz von Josef Semmler, in: Historiographie im frühen Mittelalter, hg. v. Anton Scharer/Georg Scheibelreiter (Veröffentlichungen des Instituts für Osterreichische Geschichtsforschung 32), Wien/ München 1994, S. 514-530. Peter Classen: Die Verträge von Verdun und von Coulaines als politische Grundlage des westfränkischen Reiches, in: Historische Zeitschrift 196, 1963, S. 1-35; Elisabeth MagnouNortier: Foi et fidelite. Recherches sur Devolution des liens personnels chez les Francs du VII ime au IX i m e siecle (Publications de l'Universite de Toulouse-Le Mirail A 28), Toulouse 1976; Dies.: Nouveaux propos sur „Foi et fidelite", in: Francia 7, 1979, S. 537-550. Gerd Althoff: Amicitiae und Pacta. Bündnis, Einung, Politik und Gebetsgedenken im beginnenden 10. Jahrhundert (Schriften der M G H 37), Hannover 1992; Walther Kienast: Die fränkische Vasallität. Von den Hausmeiern bis zu Ludwig dem Kind und Karl dem Einfältigen, hg. v. Peter Herde (Frankfurter Wissenschaftliche Beiträge. Kulturwissenschaftliche Reihe 18), Frankfurt am Main 1990.
Nomen gentis
155
Phasen im Wandel von der fränkischen zur deutschen und französischen Geschichte. Die Anfänge sind vielmehr in der zweiten Hälfte des 10. Jahrhunderts zu suchen, als Heidenkampf, Italienfahrten, monarchische Raumerfassung und Imperialisierung des politischen Verbandes bei gleichzeitiger Bewußtwerdung nordalpiner Besonderheiten zu gemeinschaftsstiftenden Faktoren erwuchsen und der Handlungsrahmen des ehemaligen karolingischen Großreichs zugunsten neuer Orientierungen aufgelöst wurde. Erst seit der zweiten Hälfte des 11. Jahrhunderts wurde die deutsche Ethnogenese reflektiert und in die Geschichte mittelalterlicher Volksbildung eingefügt, beschrieb der Name gens Teutonica das Ergebnis des stattgefundenen Wandels. Noch später wurden in Frankreich die unterschiedlichen historischen Bedeutungsinhalte des eigenen Königs- und Reichsnamens wahrgenommen. Die nachkarolingischen Ethnogenesen blieben eingebettet in gleichzeitige Verbandsbildungen der Völker in Deutschland und Frankreich. Diese Völker sind der deutschen Nation nicht qualitativ unterzuordnen. Allenfalls verabredungsgemäß können wir den Begriff der deutschen Nation über die andauernde Pluralität der deutschen Völker und Lande wölben, denn erst die neuzeitliche Stilisierung der Nation als gleichsam natürlicher Lebensgemeinschaft ließ die Identifikation mit dem Land zur regionalen Identität unterhalb nationaler Bindung verkommen. 5 0 Das Mittelalter blieb vielmehr von den Ethnogenesen auf unterschiedlichen Ebenen geprägt. Das daraus resultierende politische Bewußtsein entstand aus gemeinschaftlichem Handeln, aus dem Herrschaftskonsens sowie aus der daraus erwachsenden Uberzeugung von gemeinsamer Geschichte und politischer Kultur. Wenn neuerdings Wert darauf gelegt wird, daß die mittelalterlichen Nationen aus ihren Reichen herauswuchsen und nicht umgekehrt und wenn diese für Frankreich seit jeher akzeptierte Lehre nun auch für das ostfränkisch-deutsche Beispiel erhärtet werden kann, dann ist endlich jene mythisch-mystische, blutsund volksbezogene Fundierung der deutschen Nation, die sich im früheren Mittelalter angeblich ihren Staat schuf, überwunden, ein nicht zu unterschätzender Beitrag der Mediaevistik für die Etablierung einer politischen Kultur unseres Landes.
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Bernd Schneidmüller: Regionale Identität und soziale Gruppen im deutschen Mittelalter: Zur Einführung, in: Regionale Identität und soziale Gruppen im deutschen Mittelalter, hg. v. Peter Moraw (Zeitschrift für historische Forschung. Beiheft 14), Berlin 1992, S. 9-13; Ders.: Friesen - Weifen - Braunschweiger. Träger regionaler Identität im 13. Jahrhundert, in: Identite nationale et conscience regionale en France et en Allemagne du moyen äge a l'epoque moderne, hg. v. Rainer Babel/Jean-Marie Moeglin (Beihefte der Francia 39), Sigmaringen 1997, S. 305-324.
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Bernd Schneidmüller
Sieht man im Reich und damit in der mehr oder minder rationalen Verfaßtheit des politischen Verbandes den Wurzelgrund nachkarolingischer Nationsbildung, so wird deutlich, wie wenig die eingangs genannten frühmittelalterlichen Autoritäten uns bei unserer Beschreibung und Analyse weiterhelfen. Der Sprache und ihren Begriffen ringt der Historiker Indizien des Wandels ab, doch die nachkarolingischen gentes entstanden ebensowenig aus den linguae wie ihre völkerwanderungszeitlichen Vorläufer.
Die langobardischen Personennamen in Italien: nomen und gens aus der Sicht der linguistischen Analyse Von MARIA GIOVANNA ARCAMONE
0. Vor hundert Jahren veröffentlichte Wilhelm Bruckner „Die Sprache der Langobarden", das einzige, wenn auch zum Teil überholte Werk, das es bisher über die Sprache der Langobarden gibt. 1 Mein Beitrag zu den langobardischen Personennamen scheint mir eine gute Gelegenheit zu sein, des Forschers zu gedenken, dem all die sehr viel verdanken, die sich nach ihm mit den Langobarden beschäftigt haben, mit den Germanen also, die im Jahre 568 nach Italien kamen, wo sie durch ihren ureigenen kulturellen Beitrag zur - neben der lateinischen und griechischen - wichtigsten Komponente der im Entstehen begriffenen italienischen Kultur wurden. 2 Ich möchte hier nur zwei Beispiele aus dem Bereich
1
2
Wilhelm Bruckner: Die Sprache der Langobarden, Straßburg 1895, Nachdruck Berlin 1969. Weitere Untersuchungen der langobardischen Sprache bei Ernst Gamillscheg: Romania Germanica: Sprach- und Siedlungsgeschichte der Germanen auf dem Boden des alten Römerreichs, 3 Bde., Berlin/Leipzig 1934-36, Bd. II, 1935, Teil IV: Die Langobarden, S. 57-229; Francesco Sabatini: Riflessi linguistici della dominazione longobarda nell'Italia mediana e meridionale, in: Atti e memorie dell'Accademia toscana di Scienze e Lettere La Colombaria X X V I I I , N.F. X I V , 1963-1964, S. 123-249; Maria G. Arcamone, I Germani d'Italia: lingue e .documenti' linguistici, in: Magistra Barbaritas - I Barbari d'Italia, Libri Scheiwiller Milano 1984 ( = Antica Madre. Collana di studi sull'Italia antica, hg. von Giovanni Pugliese Carratelli), S. 381-409; dies.: L'elemento germanico antico, medievale e moderno, in: Storia della lingua italiana, hg. v. Pietro Trifone/Luca Serianni, Torino 1993-95, Bd. III: Le altre lingue, S. 751-790. Was einzelne Aspekte der Sprache der Langobarden betrifft, siehe die kommentierte Bibliographie in dies.: II dopo-Gamillscheg in Italia, in: Filologia romanza - Filologia germanica: intersezioni e diffrazioni, Verona 3-5 Aprile 1995 [im Druck]. Zur politischen Geschichte und Verfassungsgeschichte der Langobarden vor und nach ihrer Ankunft in Italien siehe Paolo Delogu: II regno longobardo, in: Andre Guillou/Gherardo Ortalli: Longobardi e Bizantini, Torino 1980, S. 3-216; Horst Ebling/Jörg Jarnut/Gerd Kampers: Nomen et gens, Untersuchungen zu den Führungsschichten des Franken-, Langobarden- und Westgotenreiches im 6. und 7. Jahrhundert, in: Francia 7, 1980, S. 687-745, ebd. S. 701-706; Jörg Jarnut: Geschichte der Langobarden, Stuttgart/Berlin/Mainz 1982 (ital. Ubersetzung u.d.T. „Storia dei Longobardi", Torino 1995) und die dort zitierte Literatur. Siehe ferner Stefano Gasparri: La cultura tradizionale dei Longobardi. Struttura tribale e resistenze pagane, Spoleto 1983 ( = C e n t r o Italiano di Studi sull'Alto Medioevo, 6); Magistra Barbaritas [Anm. 1], passim, und die dort angeführte umfangreiche Literatur; Claudio Azzara/Stefano Gasparri: Le leggi dei Longobardi. Storia, memoria e diritto di un popolo germa-
158
Maria Giovanna Arcamone
der Namenkunde als Beleg dafür anführen: Einer der verbreitetsten italienischen Familiennamen ist Romualdi, der auf den in der langobardischen Adelstradition stehenden Personennamen Romuald zurückgeht, einen Namen, den unter anderem die langobardischen Herzöge von Benevent trugen. Einer der letzten Präsidenten der italienischen Republik hieß Pertini, eine Diminutivform des langobardischen Hypokoristikums Perto, das zusammen mit Petto und seinen Ableitungen zu den am häufigsten vorkommenden onomastischen Formen im italienischen Mittelalter gehört. 3 1. In Anbetracht der ethnischen, sozialen und sprachlichen Mischung in Italien zur Zeit der Langobarden empfiehlt sich eine interdisziplinäre Zusammenarbeit von Sprachwissenschaftlern, Philologen und Historikern, wenn es darum geht, das aus diesem Zeitraum belegte und schon relativ gut bekannte Corpus von Personennamen zu analysieren, um zu versuchen herauszufinden, in welchen Fällen das germanische nomen der langobardischen gens entspricht. Dies ist geradezu notwendig in den häufigen Fällen, in denen die schriftlichen Quellen aus langobardischer Zeit, die bekanntlich sehr unterschiedlich und spärlich sind, keine expliziten Angaben zur gens liefern, der die in ihnen erwähnten Personen jeweils angehören. Es ist bekannt, daß es in Italien in der langobardischen Zeit zahlreiche Namen germanischer Herkunft gab - vor allem westgotische, ostgotische, langobardische, sächsische und fränkische, aber auch andere - , die von den verschiedenen, aufeinanderfolgenden Zuwanderungen germanischsprachiger Individuen auf die Halbinsel in den letzten Phasen des römischen Kaisertums herrühren. 4
3
4
nico, Milano 1992 ( = L e Fonti, 1); Neil Christie: The Lombards. The Ancient Longobards, Oxford/Großbritannien und Cambridge/Mass. 1995, und die reiche Spezialliteratur; Stefano Maria Cingolani: Le Storie dei Longobardi. D a l l O r i g i n e a Paolo Diacono, Roma 1995. Es gibt zahlreiche italienische Familiennamen, die von langobardischen - und generell germanischen - anthroponomastischen Formen herrühren; weitere Beispiele in Maria G. Arcamone: Cognomi da antroponimi di origine germanica in Campania, in: Annali dell' Istituto Orientale di Napoli - Filologia Germanica 28-29, 1985-86 (1987), S. 17-38; dies.: La tipologia dei cognomi italiani, in: Dictionnaire historique des noms de famille romans. Actes du premier Colloque Treves 10-13 decembre 1987, hg. v. Dieter Kremer, Tübingen 1990, S. 95-99 (=Patronymica Romanica, 1); E. De Feiice: Dizionario dei cognomi italiani, Milano 1978 und spätere Nachdrucke. Für die Zeit vor dem Zusammenbruch des römischen Reichs siehe jetzt Germani in Italia, hg. v. Barbara u. Piergiuseppe Scardigli, Roma 1994 (=Monografie scientifiche-Scienze umane e Sociali del Consiglio Nazionale delle Ricerche) und die dort enthaltenen umfangreichen Literaturhinweise; Maria G. Arcamone: „Adiut" in P. Tjäder 7e „Boherde" in P. Tjäder 36, in: Abruzzo 23-28, 1985-1990 (1990) ( - S c r i t t i offerti a Ettore Paratore ottuagenario), hg. v. Marcello Di Giovanni, S. 411-418. Für die Folgezeit siehe den umfangreichen neueren Sammelband I Goti, Milano 1994 ( = Katalog der Ausstellung „I Goti", Milano, Palazzo Reale, 28 gennaio-8 maggio 1994), und die dort angeführte Spezialliteratur; zu den linguistischen Aspekten siehe dort insbesondere die Beiträge von Carlo Alberto Mastrelli:
Die langobardischen Personennamen in Italien
159
Zudem hatten die Langobarden selbst Angehörige anderer - germanischer und nichtgermanischer - Völker mit nach Italien gebracht, die sich ihnen mehr oder weniger spontan angeschlossen hatten (Eruier, Gepiden, Sachsen, Avaren usw.), so daß sich hinter dem Namen ,Langobarden' außer den eigentlichen Langobarden als führendem Stamm auch ein umfangreicher Zusammenschluß verschiedener ethnischer Gruppen verbirgt. Außerdem darf man nicht vergessen, daß das langobardische Königsgeschlecht sich in der Völkerwanderungszeit und auch noch während des regnutn in Italien des öfteren mit Angehörigen anderer Stämme verschwägert hatte, um so die dynastische Kontinuität im Falle fehlender ebenbürtiger Heiratskandidaten im eigenen Stamm durch entsprechende Nachkommenschaft aus solchen Eheschließungen sicherzustellen. Der heterogene Charakter der Völker, die unter dem Namen der Langobarden nach Italien gelangten und dort jahrhundertelang die Vorherrschaft innehatten, bevor sie im italienischen Volk aufgingen, spiegelt sich sicherlich auch in ihrer Onomastik wider, bei der man folglich neben langobardischen auch mit Elementen anderer Stämme rechnen muß. Es ist deshalb überflüssig zu wiederholen, daß nicht alle in diesem Zeitraum in Italien belegten germanischen Formen auf die langobardische gens zurückzuführen sind; das legen weibliche Anthroponyme, wie beispielsweise Hosdeleua' (< *uzda- + *-leubö-)b, nahe, ein Name, der im Jahr 735 in Norditalien, in der
5
6
I Goti e il gotico, S. 276-279 und I Visigoti: lingua e cultura, S. 362-365; ders.: Prestiti lessicali gotici: un aggiornamento, in: Teodorico il Grande e i Goti d'Italia, Milano 2-6 novembre 1992, Spoleto 1993, S. 183-199. Eine kommentierte Bibliographie bietet Maria Giovanna Arcamone: „Antroponimia tra tardo antico e alto medioevo, in: La cultura in Italia tra Tardo Antico e Alto Medioevo ( = A t t i del Convegno tenuto a Roma, Consiglio Nazionale delle Ricerche, dal 12 al 16 novembre 1979), 2 Bde., Roma 1981, Bd. I, S. 222240. Da uns kein Dokument in langobardischer Sprache überliefert ist, wird, um Verwechslungen mit den rekonstruierten Formen des Germanischen zu vermeiden, hier und im folgenden in den Fällen, in denen dies aufgrund eines Vergleichs der italienischen und der ahd. Resultate möglich ist, die phonetische Gestalt des Langobardischen rekonstruiert und direkt mit Hilfe des internationalen phonetischen Alphabets wiedergegeben. Hier für das Langobardische müßte man von einer Form vom T y p /ordaleopa/ mit Rotazismus / z / > / r / und Verhärtung von / b / > / p / ausgehen. Auch Horst Ebling/Jörg Jarnut/Gerd Kampers [Anm. 2] führen diesen Namen unter denen auf, für die ostgotische Herkunft vermutet wird. Die etymologischen Interpretationen der germanischen Namen stammen von mir; ich habe dabei dankbar die einschlägigen Wörterbücher und Standardwerke benutzt, insbesondere Gottfried Schramm: Namenschatz und Dichtersprache. Studien zu den zweigliedrigen Personennamen der Germanen, Göttingen 1957 (= Ergänzungshefte zur Zeitschrift für vergleichende Sprachforschung auf dem Gebiet der indogermanischen Sprachen, Nr. 15), passim, und Henning Kaufmann: Ergänzungsband zu Ernst Förstemann Personennamen, München/ Hildesheim 1968, passim. Bei der Rekonstruktion der germanischen Stämme bleiben die Latinisierungselemente der Belege (Endungen etc.) unberücksichtigt. Für Hinweise zur Form der Transkription der onomastischen Komposita danke ich Albrecht Greule. Die Gründe
Maria Giovanna Arcamone
160
Gegend zwischen P a r m a und Piacenza ( C D L 7 , I, N r . 52, B o r g o San D o n n i n o , or.) belegt ist, oder e t w a Himnigilda *sibjö- + *-gernö-).
(
*Wtg(a)l-, *-(u)l-. Bsp.: j) 1-Erweiterung: signum Wicol-berti (a. 778 kop.) in Fessenheim bei Straßburg (Elsaß)24. *Segu- (zu ahd. sigu, as. sigi- ,Sieg') > *Sig(u)l-, -(i)l-, *Sig(i)n-) *Sig(u)r-: Bspe: k) 1-Erweiterung: Siglibaldo [mit Metathese aus < *Sigil-bald\ Dat., Reichenauer Mönchsliste (a. 760/62?) aus Ste. Croix, Meaux, unter Abtbischof Wolframnus 25 . 1) 1-Erweiterung: Sigleberti Gen., Sigil-bertus, Zeuge (a. 756-762 kop.) im Charpaignegau in Gorzer Urkunden 26 . m) n-Erweiterung: Sigen-old(us), Bischof von Meaux (8. Jh.?)27. n) r-Erweiterung: Sigur-marus, Zeuge (a. 741 kop.), Benken in der Nähe des Zürichsees28. *Ingwa-, -wi, *Ingu- (vgl. den bei Tacitus überlieferten germanischen Stammheros Ingvio, an. Yngvi, ags. Ing) > Ingfaß-, Ing(i)l-: Bsp.: o) 1-Erweiterung: Ingel-trudis (8. Jh. kop.), mancipium in Cherville, Gde. Oinville-sous-Auneau bei Jouy im Gau von Chartres29. *Hroth- (zu an. hrodr, ags. hred, Dat. Sg. hrodor ,Ruhm') > Hrod(a)lBsp.: p) Crudelberto Dat., Chrodelberto Dat. [mit Ersatzlautschreibung (er), (ehr) < *Hrodal-bert], Grundbesitzerund Zeuge (a. 709? kop.) bei St. Mihiel (Dep. Meuse) an der Maas30.
IV. Wann erscheinen die ersten Formen dieser sekundären Stammerweiterungen in der germanischen Namengebung? Reicherts .Lexikon der altgermanischen Namen' enthält bis zum Ende des 6. Jahrhunderts keinen Beleg mit erweitertem
24
25 26 27
28 29
30
J.D. Schoepflin, Alsatia diplomatica, Mannheim 1772, Nr. LV (aus dem Murbacher Kartular). Verbrüderungsbuch Reichenau [Anm. 17], p. 69 A l . Cartulaire Gorze [Anm. 20] Nr. 4. 8. Abbe Duchesne, Fastes episcopaux de l'ancienne Gaule, Paris 1907-15, Bd. 2, S. 478: Die ,Gallia Christiana' nennt ihn nach dem verlorenen Bischofskatalog des 9. Jhs. Urkundenbuch der Abtei Sanct Gallen, Bd. 1, hg. v. H. Wartmann, St. Gallen 1863, Nr. 7. Cartulaire de l'eglise de Notre-Dame de Chartres, hg. v. E. de l'Epinois, Chartres 1862-65, Nr. II, S. 69. Pardessus [Anm. 19], Nr. 475.
197
Stammerweiterung bei Personennamen
Stamm; nichts findet sich im (echten) Testament des Remigius; nichts findet sich bei Gregor; nichts findet sich - mit einer Ausnahme, die aber wahrscheinlich ins 7. Jahrhundert gehört - unter den Münzmeisternamen; nichts unter den frühesten Belegen der christlichen Inschriften. Erst im 7. Jahrhundert wird man fündig. Ein Blick auf den Katalog der 35 Belege des 7. Jahrhunderts im Anhang ergibt als Erstnennungen:
- Nr. 32 Wandregiselus cognomento
Wando aus dem Raum von Verdun, gebo-
ren ca. a. 610; dies ist der spätere Abt von Fontenelles-St. Wandrille (f vor 672). - Nr. 23 Sadalberga, Tochter des elsässischen dux Gundoin, dessen Hof im südlichen Lothringen im Saintois a.d. Maas lag, geboren ca. a. 615. - Nr. 1 Ablebertus, zwischen ca. a. 627 und a. 645/52 Bischof von Cambrai, also wohl auch etwa am Anfang des Jahrhunderts geboren. - Nr. 3 Herenulfus, Diakon in Verdun, Zeuge a. 634, daher wohl auch gegen Anfang des Jahrhunderts geboren. - Nr. 18 Mactregisil < *Mahtar-, Schenker an den a. 614/27-655 amtierenden Bischof Desiderius von Cahors; da dieser Bischof nachweislich enge Bindungen an die Bischöfe Paulus von Verdun und Abbo von Metz besaß und die austrasischen Bistümer ebenso wie der austrasische Adel um diese Zeit Besitz im austrasischen Teil Aquitaniens erwarben, muß - zumal wenn man die Isolierung dieser Stammerweiterung im Süden bedenkt - auch dieser Grundbesitzer nicht unbedingt aus dem Süden stammen. Für die Genese der merowingischen Stammerweiterungen im germanischen Namensystem kommt man also auf den Beginn des 7. Jahrhunderts zurück.
V. Im 8. Jahrhundert steigert sich die Zahl der Belege von 35 auf über 130. Das ist gewiß der Vermehrung der erhaltenen Uberlieferung zuzuschreiben. Nicht kann man jedoch daraus die Umstrukturierung im Formenbestand der Erweiterungen erklären. -1
-n
-r
7. Jh.
37%
20%
43%
8. Jh.
55%
30%
15%
Die Dominanz der 1-Erweiterungen im 8. Jahrhundert, die sich im 9. Jahrhundert fortsetzt, ist nämlich - wie diese Statistik zeigt - keineswegs von Anfang an gegeben; im 7. Jahrhundert steht der zweite Liquid -r durchaus gleichberechtigt, ja führend daneben, während der Aufstieg der Nasalerweiterungen noch
198
Wolfgang Haubrichs
keineswegs sichtbar ist. Es ist schwer, ja eigentlich beim jetzigen Stand der Forschung fast unmöglich, einen Grund für diese Entwicklung anzugeben. Man wird zunächst an ein Bündel formaler Anregungen denken dürfen: Zunächst einmal lag ja die alte (und bereits geschilderte) Proportionalität der Variation zwischen Lang- und Kurzformen eines Stammes (St) stets bereit, so daß neues *Godal-
im Verhältnis zu *God(a)-
im Verhältnis zu gekürztem
*Athal-
St + (V) (L,N,R)
:
gleichwertig erscheinen mußte mit
*Atha-.
St
God-a-l-
God(a)St -
St (-Ι,-η,-r)
Athal(a)-
(L,N,R)
Atha-
Variationen von Namen, wie sie im 7. und 8. Jahrhundert mehrfach für einund dieselbe Person bezeugt sind, belegen dieses Bewußtsein der Sprachteilnehmer: 1) Erphan-ramnus
:
Erp(h)e-ramnus,
a. 742-762 Zeuge im Unterelsaß zw. Hagenau und Weißenburg 31 2) Chatal-ricus
:
Chat-icus
vor a. 674 dux im Elsaß 32 3) Helmen-gaudo
D.
a. 752-758 fidelis 4) Helmen-gaudus
: Kg. :
Helme-gaudo
D.
Pippins 33 Helm-gaudus
a. 7 9 9 / 8 0 0 - nach 803, comes und missus Karls des Großen 3 4 5) Sigil-boldus
:
Sigis-bofljdus
8. Jh., Bischof v. Seez35 6)
Wig-l-anus
:
Wig-n-arius
a. 767-773 N o t a r in Lorsch und Gorze 36 .
31
Traditiones Wizenburgenses. Die Urkunden des Klostes Weißenburg 661-864, hg. v. K. Glöckner/A. Doli, Darmstadt 1979, Nr. 179. 52. 139. 91.
32
Vgl. oben A n m . 18. Jean Mabillon: De re diplomatica. Lutetiae Parisiorum 1681, [hier benutzt: Paris 1709], S. 491 Nr. X L [ex archivo Dionysiano]; S. 494 Nr. X L I V [ex autographo Dionysiano]; Cartulaire Generale de Paris, hg. v. R. de Lasteyrie, Paris 1887, Nr. 20. Papst Leo III. nennt ihn in einem Brief an Karl den Großen Helmengaudus comes·. M G H Epistulae V, Nr. 1, S. 87ff.; Nr. 2, S. 89ff.; in einem Versepitaph Theodulfs von Orleans ( M G H Poetae I, S. 532) wird er - mit hyperkorrekter, romanisch beeinflußter Schreibung (al) statt (au) - Helmengaldus nobilis heros genannt. Die ,Annales Einhardi' nennen ihn a. 802/03 Helmgaudum comitem ( M G H Scriptores I, S. 190); die ,Annales Maximini' ( M G H Scriptores XIII, S. 23) ebenso.
33
34
35
Duchesne [Anm. 27], Bd. 2, S. 230.
36
Codex Laureshamensis, 3 Bde., Darmstadt 1929-36, Nr. 553. 297. 301 (z.T. mit Verschreibungen); Cart. Gorze [Anm. 20], Nr. 20. Vgl. W. Haubrichs: Der Codex Laureshamensis als Quelle von Siedlungsnamen. In: Ortsname und Urkunde. Frühmittelalterliche Ortsnamen-
199
Stammerweiterung bei Personennamen
Doch reicht dieses Modell bereits gemeingermanischer Namenstamm-Variation 37 als Erklärungsbasis keineswegs aus: Es lag ja längst bereit und stand allen gentes der Germanen zur Verfügung. Warum also entsteht diese sekundäre Variation erst um 600 und wieso nur in einem doch relativ eng umgrenzten Areal der Germania? Natürlich kann es Anregungen aus dem Wortschatz gegeben haben: Bildungen, vor allem solche, die / l / , aber auch - in geringerem Umfange - / n / und / r / enthielten, lagen schon in der germanischen Gemeinsprache bereit38, wurden aber auch bei den westgermanischen gentes - nach durchaus unterschiedlichen Regeln - noch neu gebildet39: -
ahd. weibil ,Amtsdiener' zu ahd. weibon ,sich hin und her bewegen' westgerm. budila- ,Aufbieter, Büttel' zu *beudan ,bieten' altfrk. *thungin ,Gerichtssprecher', schwundstufige Ableitung zu thing Rechtssache, Gerichtsversammlung' - ahd. as. druhtin ,Herr, Gefolgschaftsherr' zu germ. *druhti f. ,Schar, Gefolgschaft' - ahd. muntar .lebhaft, wach, eifrig' < westgerm. (?) *mundra- ahd. mardar ,Marder', as. marprin ,aus Marderfell' mit r-Ableitung im Vergleich zu einfachem ahd. mard, ags. mearp. Es gibt auch Stammerweiterungen bei Namen, in denen es von Anfang an oder in späterer Umetymologisierung zu Uberschneidung mit dem Wortschatz gekommen ist: - Namen auf Faegil-, Fagar- sind gewiß zunächst als Erweiterungen eines aus Fagin- ,froh' (vgl. ags. faegen, an. feginn) verkürzten Stammes Fag(a), doch mag sich schon bald die r-Variante an ahd. fagar ,hübsch' angelehnt haben40.
Überlieferung, hg. v. R . Schützeichel (Beiträge zur Namenforschung, N . F . , Beiheft 39), Heidelberg 1990, S. 152. 37
Weitere Variationsbeispiele des 9. Jhs. aus langobardischem K o n t e x t bei Schramm [ A n m . 3],
38
Vgl. z.B. zu -1 ahd.
S. 156.
adal < germ, *apala- n. .Geschlecht, Herkunft, Wesen' (vgl. an. adal); odil, ags. aedel < germ. *opala n. .Erbbesitz, Herkunftsort* (vgl. an. opaf); ahd. as. mahal, ags. maedel < germ. *'mapla n. .festes W o r t , Verhandlung, Versammlung' (vgl. got. mapl, an. mal); ahd. as. gisal, ags. gisel < germ. *geisla m. .Geisel' (vgl. an. gist); as. idal, ags. idel, ahd. ital < westgerm. *tdla .eitel, nichtig, leer'; ahd. geisila, mndl. gesele < westgerm. *gaislon f. .Peitsche' (vgl. an. geisli m. .Stab, Strahl') , mit 1-Suffix zu germ. *geiza ,Ger'. Z u -r vgl. etwa ahd. tapfar .schwer, gewichtig', ne. dapper .gewandt' < germ. *dapra (vgl. an. dapr .traurig, betrübt'; as. ahd. bittar, ags. biter < germ. *bitra .bitter' (vgl. an. bitr)\ ferner die Varianten germ. *austa : germ. *austar(a) .Osten'; germ. *westa : *westar(a) .Westen'. Vgl. as.
die entsprechenden Stichworte bei F. Kluge/E. Seebold: Etymologisches Wörterbuch der deutschen Sprache, B e r l i n / N e w Y o r k " 1 9 8 9 , S. 10. 256. 2 5 3 . 172. 721. 88. 520. 789. 39
Vgl. u.a. Kluge/Seebold [ A n m . 38], S. 782. 117. 493. 461.
40
Vgl. Schramm [ A n m . 3], S. 153; Kaufmann [ A n m . 4], S. 92f.; Ders. [ A n m . 18], S. 111. D e n Beispielen für den Stamm
Fagar-
bei Förstemann und Kaufmann ist hinzuzufügen
Fagarbilt
200
Wolfgang Haubrichs
Man sieht also: Anregungen aus dem Wortschatz sind wahrscheinlich, ja belegbar, aber wohl nicht so umfassend und selbstverständlich, als daß sie das Gesamtphänomen zu erklären vermöchten. Und es bliebe ja auch hier zu fragen, warum die im gesamten westgermanischen Raum verbreiteten morphologischen Muster des Wortschatzes nur im Zentrum des Merowingerreiches gewirkt haben. Die Finalität der sekundär erweiterten Namenstämme muß also woanders gesucht werden, im semantischen und wohl auch im pragmatischen Bereich. Es ist auffällig, daß es für die Erweiterungen in den frühen Belegen vor 800 zumindest eine Restriktion gibt, die auf der semantischen Ebene liegt: theriophore Stämme, Tierbezeichnungen, werden nicht erweitert, nicht *Wulfa- ,Wolf', nicht *Bera-, *Berin, *Bernau ,Bär', nicht *Ebur- ,Eber' und die Kürzung *Eba-, nicht *Hunda- ,Hund' bzw. ,Wolf', nicht *Ehwa- ,Pferd' noch auch *Hrabna,Rabe' mit seiner Kürzung Hraha-. Wie ist dieser Befund zu erklären? Meines Erachtens lag der Grund für diese Restriktion in der Bedeutung und der Funktion der Tierstämme im germanischen Namensystem, die schon Gottfried Schramm benannte: „Das Raubtier ist hier Mannbezeichnung; denn in ein vernichtendes Raubtier fühlte sich der Mann verwandelt, wenn er in die Schlacht eintrat ..."41. Die Tierbezeichnung kennzeichnet den Krieger, der Agent, Handelnder ist. Sollte nicht der Grund für die Restriktion bei Tiernamen darin gelegen haben, daß die Erweiterungen auf -1, -n, -r einen Sinn hatten, der sie an nomina agentis wie Büttel, Weibel, Thungin, Druhtin bzw. an Tierbezeichnungen wie Marder annäherte? Einen theriophoren Stamm mit dem Sinn eines nomen agentis zu erweitern, wäre dann ,sinnlos' gewesen und unterblieben? Jedenfalls deutet die semantische Restriktion im Bereich der Tierbezeichnungen darauf, daß die Erweiterung von Stämmen nicht bloß spielerisch vorgenommen wurde, sondern auch eine Bedeutungskomponente besaß. Eine Beobachtung, die in den pragmatischen Bereich der Entstehung führt, mag hinzukommen. Alle eindeutig vor 690 zu setzenden Namenbelege gehören Personen von Rang und Stand bzw. deren Familien an: Bischöfe, Klostergründer, Abte, Diakone, duces, Seneschalke, Großgrundbesitzer und Besitzer von castra: Erst a. 697/98 in Pippins und seiner Gemahlin villa Echternach sowie in den vielleicht erst ins 8. Jahrhundert zu setzenden Zinslisten von St. Martin in Tours kommen coloni und ein Freigelassener mit stammerweiterten Personennamen vor42. Sollte sich im Namenbrauch der Stammerweiterung das Distinktionsbedürfnis gewisser Schichten des selbstbewußten Adels des 7. Jahrhunderts
41 42
a. 772/92 kop.: Codex Laureshamensis [Anm. 36] Nr. 3124 = 3718b. Das Adjektiv /agar findet sich (samt Ableitungen) nur in der Fuldaer Tatianübersetzung, dürfte also als Wortbildung genuin fränkisch sein. Schramm [Anm. 3], S. 78. Vgl. Katalog Nr. 14. 16. 20. 21. 22. 26.
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abbilden? Ein Brauch, der dann bald von anderen sozialen Gruppen nachgeahmt und damit (vor allem in Zentralfrankreich) verallgemeinert worden wäre?
VI. Es sind noch wenige Worte über die Diatopik, die Geographie der stammerweiterten Personennamen zu sagen. Wer die beigegebene Karte betrachtet, wird unschwer feststellen, daß sich die stärkste Konzentration unseres Namentypus zwischen Seine und Rhein findet, wobei in den Belegen des 7. Jahrhunderts - dies ist aber ganz eindeutig ein Resultat der Quellenlage - der Pariser Raum am stärksten hervortritt. Wer jedoch die Namenbelege näher ansieht, die ganz eng an das Jahr 600 heranführen, also in die Entstehungszone des Namenbrauchs geleiten, wird auch feststellen, daß sie samt und sonders aus der Mitte des Raumes zwischen Seine und Rhein, der Kernzone des fränkischen Reiches, und zwar aus den Regionen um Maas und Scheide stammen: - Wandregisil aus Verdun - Sadalberga, Tochter des dux Gundoin aus dem Saintois südlich von Toul - (H)Erenulfus, Diakon der Verduner Kirche - der erst später überlieferte Ortsname Bodalgises marca in Variation zu Bokkenheim bei Worms, führt nah an Gruppen heran, die bei der Gründung der Abteien Tholey im Saarland, Lubeln/Longeville östlich Metz und Amay an der Maas westl. Lüttich beteiligt waren 43 . - Ablebert, Bischof von Cambrai, stammte aus Brabant. Ist dies Zufall? Dies sind auch die Regionen, die zugleich den aktivsten Interferenzraum zwischen Romanen und Franken im Merowingerreich bildeten. 44 Der Namenbrauch hätte, wenn wir uns hier das Entstehungszentrum denken, nach Westen und Osten expandiert, hätte damit den Kern des Frankenreichs erfaßt. Die Stammerweiterung - wie es etwa H. Kaufmann tut45 - ausschließlich als westfränkisch zu buchen, halte ich für ungerechtfertigt und zudem für
45
44
45
M. Dolch/A. Greule: Historisches Siedlungsnamenbuch der Pfalz, Speyer 1991, S. 70; W . Haubrichs: Die Tholeyer Abtslisten des Mittelalters. Philologische, onomastische und chronologische Untersuchungen, Saarbrücken 1986, S. 119; ders. [Anm. 36], S. 155ff. Neuerdings nimmt N. Wagner: Haus und Hof in den germanischen Personennamen, in: Haus und Hof in ur- und frühgeschichtlicher Zeit, hg. v. H. Beck/H. Steuer, Göttingen 1997, S. 361f., ein Namenelement ahd. *bodal < germ. *bupla- ,Haus, Hof, Grundbesitz' an. Schramm [Anm. 3], S. 157 glaubt neben den für ihn westfränkischen (und langobardischen) Erweiterungen auf -1, -r, -n zahlreiche s-Erweiterungen von Stämmen (Sigis-, Alisiardus, Brunissard etc.) im burgundischen Bereich und die Kürzung alter Erweiterungen bei den Westgoten feststellen zu können. Kaufmann [Anm. 4], S. 86ff.
Stammerweiterung bei Personennamen
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anachronistisch, da ein bereits ausdifferenziertes Westfränkisch für das 7. Jahrhundert kaum anzunehmen ist. Anders steht es mit den Namenzeugnissen, die sich recht spät, aber dann doch dichter, in Bayern und teilweise auch in Alamannien finden. Kann man die meisten alamannischen Belege, von einem an der Donau abgesehen, noch auf Grenzkontakte und Grenzentlehnungen zurückführen, so ist dies bei den bairischen Namen um Salzburg, Passau, Regensburg und Freising nicht möglich46. Jedoch fällt bei diesen sofort auf, daß die das 7. Jahrhundert so intensiv prägenden r-Erweiterungen völlig fehlen und die ganze Namenlandschaft vorwiegend von 1-Erweiterungen gefüllt wird. Bei näherem Besehen reduziert sich die Vielfalt der Belege auf wenige Typen: -
Gundal-
-
Gamal- (vorwiegend: Gamal-bert)
(vorwiegend:
Gundal-bert)
- Chadal· -
Bodal-
(vorwiegend:
Bodal-unc)
Der Verdacht liegt nahe, daß in diesem in starkem Gegensatz zur Vielfalt des Westens stehenden eintönigen Namenbild Familienbindungen sich spiegeln und Nachbenennungen eine Rolle spielen. In der Tat hat die Forschung schon von einer Gruppe um den Gründer von Metten bei Straubing, den Priester und Grundherren Gamalbert 47 sowie von einer zwischen Isar und Inn tätigen Gundalbert-Sippe gesprochen 48 . Chadalhoh heißt ein wohl der Etichonen-Sippe zuzuweisender Markgraf von Friaul 49 ; der Chadaloh, Sohn des Perahtold, der a. 790 an der Donau bei Riedlingen auftritt, ist wohl auch einer einflußreichen Hochadelsfamilie zuzurechnen 50 .
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47
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50
Die Belege finden sich vorwiegend in den Traditionen der Hochstifte Regensburg [Anm. 23], Freising [Anm. 23] und Passau [Anm. 23] sowie in Salzburger Urkunden: Vgl. Salzburger Urkundenbuch, 2 Bde., hg. v. W. Hauthaler/F. Martin, Salzburg 1910/16; K. Schmid: Probleme der Erschließung des Salzburger Verbrüderungsbuches. In: Frühes Mönchtum in Salzburg, hg. v. E. Zwink, Salzburg 1893, S. 175-196. Vita Gamalberti presbyteri Michaelbuchensis, M G H SRM VII, S. 183ff. Er war verwandt mit dem ersten Abt Utto, so daß der Mönch Gamalbert, der in der Reichenauer Utto-Liste (ca. a. 770) aus Kloster Metten steht, wohl identisch mit ihm ist: Verbrüderungsbuch Reichenau [Anm. 17], p. 30 C2. Vgl. F. Prinz: Die Anfänge der Benediktinerabtei Metten. In: Zeitschrift für Bayerische Landesgeschichte 25, 1962, S. 26ff. Außer einem unweit angesiedelten Grundbesitzer Camalheri a. 764/81 - Trad. Passau [Anm. 23] Nr. 10 - sind die mit Gamal- zusammengesetzten Namen im Westen beheimatet, in Remiremont, Corbie und Faremoutiers bei Meaux (2x), wozu auch wohl zwei Mönche aus Murbach, das im 8. Jahrhundert intensive Beziehungen zu Meaux unterhält, gehören. Prinz [Anm. 47], S. 30, der eine Verwandtschaft mit dem Mettener Gründer Gamalbert annimmt. Daher auch wohl der Mönch der Utto-Liste aus Metten (ca. a. 770) mit Namen Cundalbert hierher gehörig. Vgl. oben Anm. 23. Vgl. oben Anm. 18. Chadalhoh findet sich im 8. Jh. zweimal im Salzburger Verbrüderungsbuch. Perahtold und seine Gattin Gerlinda schenken a. 790 Or. Güter und ihre Kirche in Zell bei
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Die zunächst recht zahlreich scheinenden bairisch-alamannischen Belege des 8. Jahrhunderts konzentrieren sich also wohl auf wenige Traditionskreise. Es kommt noch eine Beobachtung hinzu. Wo überhaupt Romanisierungsspuren sprachlich zu erwarten sind (also nicht bei Gamal-, Gundal-, Bodal-), zeigen sich diese auch überhaus häufig. 1) Romanischer Ersatzlaut [k] (Schreibung (ch)) für germ, [h]: - Chadaloh (a. 790 Or.), Sohn des Perahtold a.d. Donau - Chadaloh (ca. a. 784), Salzburger Verbrüderungsbuch 2) h-Schwund im Anlaut nebentoniger Silben: - Chadal-oh < -höh - Tarchan-at (a. 764-791, kop.; Archipresbyter in Freising) < *Dark-anhad-, [zu den Stämmen *Dark- .dunkel' + *Hath(u) .Kampf']51 3) Romanischer Ersatzlaut [e] für germ, [eu]: - Dedal-gar (a. 776 kop., Zeuge für eine Schenkung an Abt Waldrich von Schäftlarn, zugleich Bischof von Langres) < *Theud-al-gair- [zu den Stämmen *Theuda- ,Volk, Stamm' + westgerm. *Gaira- ,Ger']52 4) Romanischer Ersatzlaut [a] für germ, [ai]: - Dedal-gar < -gair- Arin-drud (Bezugszeit Ende 7./Anfang 8. Jh., Aufzeichnung im Salzburger Verbrüderungsbuch ca. a. 784) < westgerm. Air-in-thrudi5i. Sowohl die Konzentration auf wenige Personennamen als auch die oft romanisierte Lautform deuten auf Import dieser Namen aus dem Westen. Daß sie nicht bodenständig sind, dürfte sich auch daraus ergeben, daß die stammerweiterten Personennamen östlich des Rheins schon im 9. Jahrhundert abnehmen und bald nahezu ganz verschwinden.
51
52 53
Riedlingen und Zustimmung ihrer Söhne Chadalohi et Paldeberti an St. Gallen: Wirttembergischs Urkundenbuch, Bd. 1, Stuttgart 1849, Nr. 38. Trad. Freising [Anm. 23] Nr. 24: a. 767 Tarchnat; Nr. 43: a. 772 Tarchanat; Nr. 68: a. 775 Tarchnat; Nr. 95: a. 779 Tarcbanaat; Nr. 112: a. 780 Tarchnat; Nr. 105: a. 782 Tarchnat; Nr. I l l : a. 7 8 3 / 9 0 Tarchanat mit Bruder Heribert; Nr. 138: a. 790/808 Tarchanat-, Nr. 140: a. 791 Tarchnat. Eine gelegentlich vorgeschlagene awarische Ableitung des Namens scheint mir nicht nötig. Monumenta Boica VIII, S. 364f. Nr. III. Erindruda, die Nichte Bischof Hrodberts von Salzburg, in dieser Namenform auch in der .Notitia Arnonis' und in den ,Breves Notitiae' (Ende 8. Jh.), als Anndrud abbatissa, erste Äbtissin des Klosters auf dem Salzburger Nonnberg, aber um 784 im Salzburger Verbrüderungsbuch, ist zu westgerm. *aird < germ. *aizö f. .Achtung, Ehre' zu stellen. Die Formen mit [e] spiegeln die ahd. Entwicklung des germ, [ai] (vgl. ahd. era), die Form mit [a] zeigt romanischen Lautersatz. Vgl. zu Hrodbert/Rupert H. Wolfram: Die Geburt Mitteleuropas. Geschichte Österreichs vor seiner Entstehung 378-907, Berlin 1987, S. 122ff. mit weiterführender Literatur.
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Stammerweiterung bei Personennamen
VII. Als Resultate lassen sich für die merowingischen Stammerweiterungen feststellen: 1. Es handelt sich um ein von der älteren gemeingermanischen namenrhythmischen Variation distinkt zu haltendes Phänomen; 2. Die Erweiterung tritt nicht bei allen Stämmen ein, sondern unterliegt semantischen Restriktionen (etwa bei den theriophoren Stämmen); 3. Die Erscheinung setzt in der um 600 geborenen Generation (vermutlich oberschichtlich) ein; 4. Sie verdankt sich offenbar dem romanisch-germanischen Interferenzraum um Maas und Scheide und breitet sich (ohne spezifisch westfränkisch genannt werden zu können) schnell bis an Seine und Rhein aus. Viele Detailfragen der Entstehung, der räumlichen Ausbreitung, der sozialen Einbettung dieses Prozesses müsen vorläufig offen bleiben. Hier kann nur eine kontextstarke, philologisch und überlieferungskritisch saubere Datenbank helfen. In manchen Fällen, wie z.B bei der Beseitigung der Lücken im Teppich der Ausbreitung, wird nur ein Einbezug des in den frühen Ortsnamentypen gespeicherten Personennamenmaterials helfen.
Anhang: Katalog der Stammerweiterungen in Personennamen des 7. Jahrhunderts: 1)
2)
Ablebertus [< *Abal- zum Stamm *Aba-, vgl. got. aba ,Mann, Gatte'], Bischof v. Cambrai zw. ca. 627 u. 645/52 (11. Jh. nach älterem Bischofskatalog).54 Erindrudam, -em Α., Arindrud abbatissa [ < *Erin- zum Stamm '''Era- < westgerm. *airo (romanisiert *ar-) < germ. *aizo f. ,Achtung, Ehre'], Nichte des vom Mittelrhein (?) gekommenen Abtbischofs Hrodbert von Salzburg, erste Äbtissin des Klosters auf dem Nonnberg (Ende 7. Jh.?). 55
3)
Herenulfus diaconus [vgl. Nr.2], Zeuge (a. 634 kop. 10. Jh.) in Verdun. 56
Gesta e p i s c o p o r u m
Cameracensium,
MGH
Scriptores VII, S. 4 0 8 ; vgl.
Duchesne
[ A n m . 27], Bd. 3, S. 110. Beachtenwert ist die Metathese des stammschließenden Vokals. Die ,Gesta' vermerken ferner zu Α . : ab incolis vero et vicinis Emelbertus dieser angebliche familiäre Zweitname -
dicebatur.
dem Bruder der hl. Gudula angehörig
überhaupt die selbe Person bezeichnet, eine romanische Entwicklungsform Emelbert Dissimilation
mit Assimilation Salla-. C h L A [Anm. 10] XIV Nr. 580. Bemerkenswert die Metathese des stammschließenden Konsonanten. Vita Ermenlandi abbatis Antrensis, M G H SRM V, S. 703, Z. 20. C h L A [Anm. 10] XVIII, Bl. XVIIa, c. 19. Bemerkenswert die Metathese des stammschließenden Konsonanten. Vgl. zum Stamm Sagan- den frater noster Saganaldus, den Abt Doto von Luxeuil an Bischof Lull von Mainz a. 755/86 wegen einer Gebetsverbrüderungsliste an den Rhein schickte: M G H Epistulae III, S. 419, Nr. 133.
Stammerweiterung bei Personennamen
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,Volk, Stamm'], von Königin Balthildis (f n. 677), Äbtissin von Chelles, als Äbtissin in Jouarre (nach 658) eingesetzt.80 28) Tedelmarus abba [< *Theudal-, romanisiert mit eu > e, vgl. Nr. 27], Abt von St. Germain-des-Pres nach a. 691 (Ann. S. Germani, 11. Jh.). 81 29) Uualdromarus [< *Waldar- zum Stamm *Walda·, vgl. got. waldan, an. valda, ags. wealdan, ahd. waltan ,herrschen'], Ausstellereiner Tauschurkunde (a. 697 Or.) in Bougival a.d. Seine n. Paris.82 30) Guaudremarus abba [ < * Waldar- (mit romanisch al > au und Schreibung gu für germ, w), vgl. Nr. 29], Abt von St. Germain-des-Pres, nach a. 691 (Ann. S. Germani, 11. Jh.). 83 31) UuandreberftoJ Ό. [> * Wandar- zum Stamm *Wanda-, vgl. germ. *wandeja- sw. V. ,wenden', germ. *wand-a st. V. .winden', as. wandlön ahd. wantalön ,wandeln', ags. wandrian, mhd. wandern], Zeuge (a. 6 9 0 / 9 1 Or.) in Chambly a.d. Oise zw. Paris und Senlis.84 32) Wandregiselus cognomento Wando oriundus terreturio Verdonensium natalibus nobilis (Vita Wandregisili abb. Fontanellensis, 7. Jh.), Wandregisilus abbas (a. 680 kop.) [vgl. Nr. 31], geboren ca. 610 bei Verdun, lebt unter Kg. Dagobert (625-638) in Montfaucon (Meuse), a. 641 nach Rouen, Gründung eines Klosters an der unteren Seine (St. Wandrille), f vor 672. 85 33) venerabilis Uuandremarus [vgl. Nr. 31], Vorsteher einer Pariser Kirche, Grundbesitzer bei Etampes (a. 6 9 0 / 9 1 Or.). 86
80
81 82
83
84
85
86
Vita Bertilae abbatissae Calensis, M G H SRM VI, S. 102, Ζ. 1; 104, 2 . 27; 105, Z. 6. In der ,Vita S. Balthildae' steht: dominum Teutlebildem poposcit abbatissam, Acta Sanctorum Januar III, Sp. 350 A/B. Bemerkenswert die Metathese des stammschließenden Konsonanten. Besitz der avae suae Theodilhüdae des Abtes A soar MS von Prüm im Anjou erwähnt eine Prümer Urkunde a. 797 kop. Vgl. H. Beyer: Urkundenbuch zur Geschichte der ... mittelrheinischen Territorien, Coblenz 1860, Bd. 1, Nr. 37. Annales S. Germani, MGH SS III, S. 167. ChLA [Anm. 10] CIV, Nr. 582. Schreibungen: uualdrfomaroj, ualdromarfusj. Bemerkenswert die Metathese des stammschließenden Konsonanten. Annales S. Germani, MGH SS VII 167. Es handelt sich um den Vorgänger von Nr. 28. Vgl. Anm. 82. ChLA [Anm. 10] XIII, Nr. 571. Schreibung: UuandreberftoJ. Bemerkenswert die Metathese des stammschließenden Konsonanten. Eine Zeugenunterschrift Uuandreberto, die sich durchaus noch auf die gleiche Person beziehen könnte, findet sich a. 714 in Reims: ChLA [Anm. 10] XVII, Nr. 656. Vita Wandregisili abbatis Fontanellensis, M G H SRM V, S. 13ff.; Pardessus [Anm. 19], Nr. 391. Bemerkenswert die Metathese des stammschließenden Konsonanten; ferner der begleitende Kurzname als cognomen. ChLA [Anm. 10] XIII, Nr. 571. Vgl. Anm. 84.
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34) siniscalcis Uuidrachado ... (a. 658 Or.), Vidrehadus jussus (a. 660 kop.) [ < *Widor- zum Stamm *Widu-, vgl. an. vidr, ags. as. widu, ahd. witu m. ,ΗοΙζ, Wald'], Seneschalk und jussus Kg. Chlothars III., der neben Königin Balthilde als einziger ein Königsdiplom für Corbie unterzeichnet. 87 35) Uuineloald[
e - % 5 1 g a S S 8 > Q. ο
_Φ — ü >Φ £ Φ « co •α Ό CO c Uso (+Zusenkoben) 1.2. Komposita: (-brücke), -bür, -bürg, -dorf, -eck, -hafen, -hausen, -heim, -hofen, (-kirch), (-mühle), -stall, -stat, -stein, (-stuol), -weiler •brücke·. Dudo (Dudenbrücken), *Dudeman (Koseform) (+Dulmannsbrücke) •bür. Baldo > Ballo (Böllenborn), Burto (Buborn), Lantmunt (Lambsborn) •bürg·. Eburo (Ebernburg), Ruppert (Ruppertsberg) -dorf·. Enzo (+Enzendorf), Maxi(milian) (Maxdorf), *Regich/*Regichil (Reisdorf) -eck·. Rupprecht (Ruppertsecken) -hafen·. Ludwig (Ludwigshafen) -hausen·. Affo (+Affenhausen), * A z o (+Atzenhausen), Benno (Bennhausen), Botto (Bettenhausen), *Buot-heri (Biedershausen), Buobo (Bubenhausen 1 + 2 + 3 ) , Burg-hart (+Burghardshausen), Herizo (Erzenhausen), Fridilo (Friedelhausen), Gras-olf (+Grasolfeshusen), Hado (+Hadenhausen), Hör-
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nung „Bastard" (+Harnischhausen), Hüno (+Haimhausen), Hachilo (+Hechelhausen), Heinzeman/Heinz (Heinzenhausen), Her-mär (+Helmershausen), Heri-gild (Hergelshausen), Herting/Hartung (Hertlingshausen), Haddo/ Hatto (Hettenhausen), Hizo (+Hitschausen), Huzo (Hütschenhausen), Humbrat (+Hummertshausen), "'Ugilo (+Ihlhausen), Erman (Immetshausen), Enziman (+Inzmanshausen), *Kunigilo (+Königeinhusen), *Kutto (+Kuttenhausen), *Lüdhart (+Laudershausen), *Lufo (+Laufhausen), Malo (+Melhausen), *Mucko (Mückenhausenl + 2), Nerito (+Nirthausen), O f f o / Uffo (+Offhausen), *Radil (+Redelsen), Regin-bald (+Reinboltshausen), Rokko/*Rocho (Rockenhausen), Salaman (+Salmanshausen), *Snakko (Schneckenhausen), *Skredin (+Schreinshausen), Sicko (Seckenhusen), Stolze (+Stolzenhagen), Wal(a)h (Walshausen), Werni (Wershausen), Wezo (+Wetzenhausen), *Sigero (+Ziegernhausen) -heim: Ago (+Ainheim), Alb-wolf (Albisheim), *Awolf (Albsheim), *Ansulo/ -alo (+Anselheim), *Ar-bot (Arzheim), *Azzala (FN?) (Asselheim), *Asso (Assenheim), Babo (+Babenheim), Ballo (+Baiheim), Ethnonym Thuringa (Bad Dürkheim), *Bend-rid (Beindersheim), Ballo (Bellheim), Bosin (Biedesheim), *Bidsi-rich (Bissersheiml + 2), Blad-mär (+Blatmaresheiml+ 2), *Blid-heri > Bieder (Bledesbach), Babo (Bobenheim 1+ 2), Bukko/Buggo (Bockenheim), Bruno (Bornheiml + 2), Buobo (Bubenheim), *Daga-gast > Dagast, Dago/Dak(k)o (Dackenheim), Didin (Deidesheim), Ebur-olf, Eburin (Ebertsheim), Aud-win (Edesheim), Ag-rid (Eigersheim), *Egin-bald (+Eimoldisheim), Ansi-lint (FN) (Einselthum), "Agil-muot (Elmsheim), *Erkan-bald (+Erkelsheim), Erp-olf (Erpolzheim), Faro (+Farenheim), Fido (+Fidenheim), *Flan-mär (Flomersheim), Fri-mär (Freimersheim), ''Fragin (Freinsheim), Frid-olf (Friedelsheim), Friso (Friesenheim), *Gago (Fußgönheim, Rheingönheim), Gawi-rfch (Gauersheim), *Gern-mär (Germersheim), Garin (*Gernesheim), Ger-old (Gerolsheim), Gillo (Göllheim), Ginno (Gönnheim), *Gauts-win (+Gössesheim), *Gund-mar (Gommersheim), Goz-bold (+Gosboldsheim), *Nittin (Großniedesheim), Gundo (Guntheim), *Gund-ram (+Guntramesheim), Hanfo (< Hampo) (+Hanfenheim), Hedin (Heidesheim), Heming (Hemsheim), Heri (Herxheiml + 2), Hasso (Heßheim), Hitto ( < Hilto) (Hettetiheim), *Hüchilo (Heuchelheim 1 + 2), Hildin (Hillensheim), *Ugilo (Iggelheim/, Ulfin (Ilbesheiml + 2), Immin ( < Irmin) (Immesheim), Ingo (Ingenheim), *Ensich/*Ensing (Insheim), Hukin (Ixheim), *Kernzo (Kerzenheim), *Kindo (Kindenheim), *Uzilin (Kleinniedesheim), *Cnuttil (Knittelsheim), Lantmund (Lambsheim), Lambert (+Lammersheiml), Liutmär (Laumersheim), Liut-heri (Lautersheim), *Liudilo (Leidelheim), *Leidmär (Leimersheim), *Lide-rich/*Liedrich ( < *Liude-rich) (+Lidersheim), Landi-rich (^Lindesheim), Mau wo (Marnheim 1), Marro (+Marnheim2), Maso (+Masenheim), Maucho (Mauchenheim), Maht-heri (Mechtersheim), Macko/
Personennamen in Ortsnamen
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Macho (Meckenheim), *Meld-rid (Mertesheim), Merilo (Mörlheim), Morin (Mörzheim), Mor (Morscheim), Mundo (Mundenheim), *Munzin (*Munzinsheim), O k k o (+ Ockenheim), ^Odaro/^Ottaro (Odernheim), Agar < *Agihari (Oggersheim), Auda-mär (+Omersheim), Odramm (Ormsheim), *Aut(h)eri (Ottersheim 1,2), roman. Patrinus (Pettersheim), *Blindo (+Plintheim), Kugo/Kugicho (Queichheim2), Richo (+Richenesheim), Rät-heri (Rödersheim), *Rosso/*Rosi (+Rößheim), *(H)ruod-heri/Ruodin (Rittersheim), *Rok (Roxheim), *Ruocho (Ruchheim), Ruod-leih/Ruodil (Rülzheim), Sasso (+Sassenheim), Süso (Sausenheim), *Swäbicho (Schwegenheim), *Sweino (+Schweinheim), *Stodaro (Studernheim), *Turni (+Turnesheim), Udemär (+Udemarsheim), Wacko/Wacho (Wachenheim), Walah (Waldsee, Walsheim), *Wands/*Wandso/Wand(i) (Wandsheim), Watto (Wattenheim), Wizzo (Weisenheim am Berg), Wini-frid (+Winifridesheim), Windo/*Winidaro (*'Winternheim), *Wola-munt (Wollmesheim) -hofen·. A b b o / A p p o (Appenhofen), D ü d o / D u t t o (Dudenhofen), Geuder (Ubername!) (+Geidershof), Hago (Hanhofen), Liudo (Leithofen), Moricho (+Morchenhofen), Wazo/*Wasso (Wassenhoven) -kirch: Diet-lint (FN) (Dielkirchen), Heimo (Heimkirchen), *Räd (Rathskirchen), Rich-bald (Reipoltskirchen), Rud-hard (Rudolphskirchen) -mühle: Lambrecht (Lampertsmühle) -stall: Habo (Hauptstuhl), Liudo (+Leidenstall) -stat: Dando (Dannstadt), Ala-rid (Ellerstadt), Grim-deo (Grünstadt), *Kagalo ( < *Gagalo) (Kallstadt), *Liuzilo (Leistadt), Liebo (Liebsthal), Muot-heri (Mutterstadt), Oddar (Otterstadt), Salo (Saalstadt), *Skiffo/*Skif-heri (Schifferstadt), Walah (+Walahstede) -stein: Affo (+Affenstein), *Azo (+Atzenstein), Bilo (+Bilstein), slaw.(?) *Kolugo (Colgenstein), Diet-mär (Diemerstein), Dier-munt (Dirmstein), Albo (Elmstein), Abo/Appo (Eppstein), Erpfo/Erfo (Erfenstein), Franko (Frankenstein), Gode-mär (Godramstein), *Hocko (+Hockstein), * U n k / U n k o (Ungstein), Wolfo (Wolfstein) -stuol „Hochsitz, Thron, Richterstuhl": Nanno (Landstuhl) -weiler: Achto (+Achtweiler), Adal-beraht (Albersweiler), A n n o (Annweiler), Anzo (+Anzweiler), *Alho (Archenweiler), Ü t o (+Autweiler), Batto (Battweiler), Budo (+Baudweiler), Berni (Berschweiler), Berht-olf (+Bertolfeswilre), Bero (+Berweilerl), Ber-hard (Berzweiler), Burko (Birkweilerl+ 2), Bondo (+Bontweiler), Baso (+Bosweiler), Boppo (+Botwilre), Brunicho (Branchweiler, + B r e u n i c h w e i l e r , Breunigweiler), Brungo > B r u n k o (+Brunkweilerl+ 2), Brüning (+Brunsweiler), Bukko (+Buchwilre), Büdo/ Butto (+Büdtweiler), *Bobo (Burrweiler), Dando (Dennweiler), Diezo (Dietschweiler), Diemin (+Dimschweiler), Diedo (Dittweiler), Drudni (Drusweiler), Dunzo (Dunzweiler), D u o d o / D u t t o (Duttweiler), Ecko (+Eckweiler),
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Albrecht Greule
Ago (Ehweiler), Erpfo/Erfo (Erfweiler), Ernust (Ernstweiler), Azo (Eßweilerl + 2), *Folko > Focko (+Fockweiler), Franko (Frankweiler), *Fruodin (+Freinsweiler), Fruodi (Frutzweiler), Gero (Gaugrehweiler), Geriso/Gero (Gehrweiler), *Gail-hard/Gailo (Geilweiler), Geri (Gersweilerl+ 2), *Garto (+Gertweiler), Gero (+Gerweiler), Gundin (Ginsweiler), Giri (< Geri)(+Gireswilre), Glizo (Gleisweiler), Göro (+Gorweiler), *Goz-berht (Gossersweiler), *Gund-mund ( > Gumment) (Gumbsweiler), Gunt-hari (Gundersweiler), Gunzo (+Guntzweiler), Huso (Hausweiler), Hun-frid (Hefersweiler), Heinzo (+Heinzweiler), Hericho (Herchweiler), Heri-gard (FN) (Hergersweiler), Heriso (Herschweiler), Herting (+Hertensweiler), Herizo (+Herzweiler), Hubo (+Heubweiler), Hinzo (Hinzweiler), Agi (Höheischweiler), *Hüdo/*Hut(t)o (+Hüttweiler), *Imizin/ >i lmizilin (Imsweiler), *Inge-muot/Engil-muot (FN) (Ingweiler), *Jucho (+Jocheweiler 1 + 2), Kadolt (+Kadeswilre), Kazo (Katzweiler), Knuzi (+Kneuschweiler), *Kulo/Kolo (Kollweiler), Lando (Langweiler), Lant-swinda (FN) (Leinsweiler), *Litto ( < Liudo) (Lettweiler), Löno (Lohnweiler), *Lut-heri (+Lutersweiler), Manno (+Mannweilerl+ 2), Maso (Maßweiler), Milo (Meinweiler), Maginzo (+Menzweiler), Mörizo (Merzweiler), *Mannicho (Münchweiler^, Diezo (Nanzdiezweiler), Nand/Nanzo (Nanzweiler), *Nant-heri (+Nentersweiler), *Nerizo (Nerzweiler), *Naro (+Nörweiler), Noto (Nothweiler), Nan din (Nünschweiler), Offo/Uffo (Offweiler), Blidi (Pleisweiler), Raban (Ransweiler), "'Rad (Rathsweiler), Rago/*Racho (Reckweiler), Raho (Rehweiler), Rich-(h)art (Reichartsweiler), Richo (Reichweiler), Riso (Reisweiler), Ragi (+Reschweiler), Ruozo (Rieschweiler), (H)rim (Rimschweiler), Rundi (+Rintzweiler), Räzo (+Rotzenweiler), *Rukko (Rückweiler), Rupprecht (Ruppertsweilerl + 2), *Rulich (Liudgeriden gleichfalls unbekannt bleibt, oder im Falle von A 1, wo sich orthographische Eigenheiten der Heliandüberlieferung spiegeln. Das macht zugleich deutlich, daß nicht alle sprachlichen Besonderheiten aus Werdens historischer Situation (friesische Gründersippe und auch friesische Konventsmitglieder) oder der topographischen Lage (im Grenzbereich zu fränkischen Gebieten) herzuleiten sind, so beachtenswert diese Faktoren auch sind. Werdens Besitz umfaßt nun aber gerade auch Grundeigentum im nichtsächsischen Sprachraum (man vergleiche die beigefügte Karte). Man war sich im Kloster, wie eine Äußerung 34 der Liudgervita Altfrids anläßlich der Bischofsweihe Liudgers zeigt, der Tatsache der trium gubernacula plebium, nämlich Sachsen, Friesen und Franken, voll bewußt. Aus diesen Regionen werden ebenfalls Abgabepflichtige und Ortsnamen im Urbar Α genannt. Hier stellt sich die Frage, wieweit die sprachlichen Unterschiede, die dabei im Vergleich zu Westfalen vorhanden gewesen sein müssen, ihren Niederschlag in den verwendeten Graphien finden. 5. Der Blick richtet sich dabei auf zwei Regionen: auf den Werdener Besitz um Friemersheim 35 , der dem niederfränkischen Sprachraum zuzurechnen ist, und auf den Besitz im östlichen Friesland in Gegenden, die erst im Laufe des Mittelalters sprachlich vom Friesischen zum Niederdeutschen übergingen. W. Schiaug
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Dazu Heinrich Tiefenbach, Xanten - Essen - Köln. Untersuchungen zur Nordgrenze des Althochdeutschen an niederrheinischen Personennamen des neunten bis elften Jahrhunderts (Studien zum Althochdeutschen 3), Göttingen 1984, besonders S. 209-212.
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W. Diekamp [Anm. 3], S. 29.
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Erich Wisplinghoff: Der Raum von Friemersheim. Untersuchungen zu seiner Geschichte im frühen Mittelalter (Schriftenreihe der Stadt Rheinhausen 2), Rheinhausen/Neustadt an der Aisch 1961; Erich Wisplinghoff: Bäuerliches Leben am Niederrhein im Rahmen der benediktinischen Grundherrschaft, in: Villa - Curtis - Grangia. Landwirtschaft zwischen Loire und Rhein von der Römerzeit zum Hochmittelalter, hg. v. Walter Janssen und Dietrich Lohrmann (Beihefte der Francia 11), München 1983, S. 149-163.
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Heinrich Tiefenbach
hat sämtliche Namen aus niederfränkischen und friesischen Gebieten aus seinen Sammlungen ausgeschlossen. Diese Entscheidung beruht nur auf außersprachlichen Gegebenheiten. Die Möglichkeit, daß auch hier sächsische Schreibweisen und Sprachformen auftreten, kommt somit gar nicht erst in den Blick. 36 Bei K. Bohn erscheinen hingegen dreiteilige Materialübersichten: sächsisch, niederfränkisch und friesisch. In seinen Erörterungen wird das Bemühen sichtbar, zwischen der landsmannschaftlichen Zugehörigkeit des Namenträgers und der regionalen Prägung der Graphie zu unterscheiden. Die Voraussetzungen für eine solche Differenzierung sind hier freilich nicht allzu günstig. Das Altniederfränkische (oder Altniederländische) kennen wir nur aus wenigen zeitgleich in diesem Sprachraum entstandenen Denkmälern. Die den Werdener Namen zeitlich und räumlich noch am nächsten stehende Quelle bilden die Namen des 9.-11. Jahrhunderts, die die Anlagehand in der Mitte des 11. Jahrhunderts in das Nekrolog des Xantener Viktorstifts eingetragen hat. 37 Die Namenträger sind allerdings insgesamt einer anderen sozialen Schicht zuzuweisen als die der Werdener Urbare. Noch schlechter steht es mit gleichzeitigem friesischen Vergleichsmaterial. ,Altfriesisch' 38 wird die Sprache eines Gebietes zwischen heutigem IJsselmeer und der Weser genannt, die vor allem in Rechtshandschriften ab dem 13. Jahrhundert überliefert ist. Trotz dieser späten Bezeugung ist das Friesische in seinem sprachlichen Habitus klar als eigen-
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Davon abgesehen besteht auch das Problem einer klaren Scheidung zwischen sächsischen und fränkischen Sprachgebieten. O b etwa das von K. Bohn [Anm. 1] und W . Schiaug [Anm. 11] S. 20 kommentarlos zum Fränkischen gerechnete Amt Grimhers bei Oldenzaal (Kö. § 42) tatsächlich so zu beurteilen ist, ist zumindest fraglich. Zum Problem der Sprachgrenze in diesem Raum (auch mit sprachhistorischen Überlegungen) Ludger Kremer: Grenzmundarten und Mundartgrenzen. Untersuchungen zur wortgeographischen Funktion der Staatsgrenze im ostniederländisch-westfälischen Grenzgebiet. I. Text; II. Tabellen und Karten (Niederdeutsche Studien 28), K ö l n / W i e n 1979; Ludger Kremer: Kontinuum oder Bruchstelle? Zur Entwicklung der Grenzdialekte zwischen Vechtegebiet und Niederrhein, in: Grenzdialekte. Studien zur Entwicklung kontinentalwestgermanischer Dialektkontinua, Germanistische Linguistik 101-103 (1990) S. 85-123; ferner im gleichen Sammelband Hermann Niebaum: Staatsgrenze als Bruchstelle? Die Grenzdialekte zwischen Dollart und Vechtegebiet, S. 49-83. Zur Grenzsituation Werdens Hermann Niebaum: Zur niederfränkisch-niedersächsischen Sprachgrenze im Duisburger Raum, in: Sprache an Rhein und Ruhr. Dialektologische und soziolinguistische Studien zur sprachlichen Situation im Rhein-RuhrGebiet und ihrer Geschichte. Hg. v. Arend Mihm (Zeitschrift für Dialektologie und Linguistik. Beihefte 50), Wiesbaden/Stuttgart 1985, S. 63-82. H. Tiefenbach [Anm. 33] S. 48-111. Zum Forschungsstand sei auf den Sammelband Aspects of Old Frisian Philology, ed. by R o l f H . Bremmer Jr, Geart van der Meer and Oebele Vries, Amsterdamer Beiträge zur Alteren Germanistik 31/32 (1990), verwiesen. Zu den altfriesischen Personennamen (auch denen der Werdener Urbare) zuletzt zusammenfassend U[lf] Timmermann in: Reallexikon der Germanischen Altertumskunde, hg. v. Heinrich Beck, Heiko Steuer, Dieter Timpe, X , Lieferung 1/2, Berlin/New York 1996, S. 17-26.
Schreibsprachliche und gentile Prägung von Personennamen
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ständige germanische Sprache erkennbar. So kann vielleicht doch auch hier mit der nötigen Vorsicht eine Entscheidung ,friesisch oder nichtfriesisch' versucht werden. Zum Beispiel ist in der ältesten Urkunde des Werdener Chartulars (a. 793) 39 bei der Zeugennennung das Signum
Raeddegi
als altsächsische Graphie
ohne Parallele. Die Schreibung von germ. / j e / (e1) als (ae) und die Tonerhöhung von a > e in -deg stimmen hingegen völlig zum Friesischen, so daß hier vermutlich eine friesische Graphie vorliegt, wogegen auch vom sachlichen Inhalt der Urkunde her keine Bedenken bestehen. Ob diese Graphie durch die gentile Zugehörigkeit des Namenträgers, des Urkundenschreibers oder gar des Chartularschreibers bedingt ist, ist damit noch nicht beantwortet. Auch das Werdener Chartular harrt noch einer monographischen Bearbeitung. Die übrigen Zeugennamen der genannten Urkunde zeigen teils Schreibungen, die im Altsächsischen und Altfriesischen gleichermaßen gängig sind (etwa Thiadulß), bei anderen kann ihr friesischer Charakter in Zweifel gezogen werden. 40 Ein vergleichbarer Befund ergibt sich für die Namen des Urbars A, die als Nennungen von Friesen angesehen werden können. Sie finden sich einmal in der großen Schenkungsurkunde Folkers 41 vom Jahre 855, mit der das Urbar A eingeleitet wird, und dann in dem von Händen des 10. Jahrhunderts eingetragenen „ostfriesischen Register" A 2. 42 Vom orthographischen Befund her unterscheiden sie sich nicht signifikant von den zuvor skizzierten Gewohnheiten, soweit das ohne eine eingehende Analyse, die die Ortsnamen vollständig berück-
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D.P. Blok [Anm. 23] Nr. 1. Schi. [Anm. 11] S. 142, hat den Beleg Raeddegus kommentarlos aufgenommen, verzeichnet die anderen Zeugenunterschriften dieser Urkunde aber ganz unsystematisch. So fehlt Fledradus, dessen Erstglied vermutlich zu germ. *fle-di- .Reinheit' gestellt und wegen der westfränkischen Frauennamen auf -fledis, -fleda als fränkisch betrachtet worden sein könnte. Einen Parallelbeleg für das Erstglied aus der engeren Werdener Umgebung bietet Flatmaras-beki .Flandersbach' (9 km südlich von Werden), das in Urbar A 1 (Kö. S. 35,1) in einer Eintragung des 10. Jahrhunderts erscheint und Auslautverhärtung des Erstglieds aufweist (ähnlich Botmoreshem Kö. S. 80,2 in A 4 gegenüber Bodmareshem Kö. S. 24,19 A 1). Μ. Gysseling: Chronologie van enkele klankverschijnselen in het oudste Fries, in: Fryske studzjes oanbean oan prof. dr. J. Η. Brouwer, Assen 1960, S. 77-80, hier S. 79, erörtert Fledradus unter den Zeugnissen des Friesischen. Kö. § 2, S. 9-15. Die hereditas, die in Frisia gelegen ist, wird in der Urkunde getrennt aufgeführt (S. 13,13ff.), nach R. Kötzschkes Ansicht (S. 9) als Einschub aus einem ErbgutVerzeichnis, da die abschließende Zeugenliste nur solche secundum legem Ripuariorum und nomina testium qui in orientali ripa Hrenifluminis constituti esse (S. 15,7ff.) nennt. Daher sei die zu Beginn erwähnte Anwesenheit von Zeugen secundum legem Ripuariam et Salicam nec non secundum euua (< euna) Fresonum (S. 10,11-12) gleichfalls Einschub. §§ 21-24, Kö. S. 46-54. Der Beginn mitten im Text einer Urkunde auf fol. 22r weist auf Textverluste am Anfang. Teilweise finden sich Abschnitte dieses Registers als jüngere Nachträge in den freigebliebenen Räumen von A 1: S. 49,24ff. = S. 41,16ff.; S. 50,9ff. = S. 35,10ff. (auf der beigegebenen Karte sind in diesen Fällen nur die Signaturen für A 2 verzeichnet).
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Heinrich Tiefenbach
sichtigen müßte, gesagt werden kann. Auch der Anteil der „nordseegermanischen" Eigenheiten, also der Züge, die die ältere Forschung als „anglo-friesisch" oder „ingwäonisch" bezeichnet hat, liegt nicht erkennbar über dem Umfang, den diese Schreibungen sonst einnehmen, und sind bei weitem nicht mit dem zu vergleichen, was in dieser Beziehung das neuaufgefundene Straubinger Heliandfragment bietet, das von Teilen der Forschung deshalb als friesisches Sprachzeugnis angesprochen wird. 43 Aber die Namengraphien stimmen häufig zu dem Bild, das für friesische Namenträger zu erwarten ist, etwa bei der Entwicklung Kurzvokal + η vor stimmlosem Reibelaut zum Langvokal mit Nasalschwund (das ,Nasalspirantengesetz', so in UUlfnoth A l 4 4 oder Nothering-tiochi A 245 aus germ. *nanft; mit Vokal α in Osnath46 oder Frithunathas-thorpe*7). Ihnen lassen sich aber stets Parallelen aus den westfälischen Teilen zur Seite stellen. 48 Exklusive Frisismen, wie die Tonerhöhung, die K. Bohn 4 9 für das zweimalige Edulues uurd/Edulfesuur