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German Pages 28 [29] Year 1971
Sitzungsberichte des Plenums und der problemgebundenen Klassen der Deutschen Akademie der Wissenschaften zu Berlin
A I JL 1970
Werner Balmer
NICOLAE BÄLCESCU (1819-1852)
Ein rumänischer revolutionärer Demokrat im Kampf für soziale und nationale Befreiung
AKADEMIE-VERLAG • BERLIN
Sitzungsberichte des Plenums und der problemgebundenen Klassen der Deutschen Akademie der Wissenschaften zu Berlin
Jahrgang 1970 • Nr. 1
Werner Bahner
NICOLAE BÄLCESCU (1819 - 1 8 5 2 )
Ein rumänischer revolutionärer Demokrat im Kampf für soziale und nationale Befreiung
AKADEMIE -VERLAG - BERLIN 1970
Vortrag gehalten von Herrn Werner Bahner in der Feierstunde der Deutschen Akademie der Wissenschaften zu Berlin und der Kommission für UNESCO-Arbeit der Deutschen Demokratischen Republik zu Ehren des 150. Geburtstages des rumänischen Historikers und Schriftstellers Nicolae Bälcescu am 30. Oktober 1969
Herausgegeben im Auftrage des Präsidenten der Deutschen Akademie der Wissenschaften zu Berlin von Vizepräsident Prof. Dr. Werner Hartke
Erschienen im Akademie-Verlag GmbH, 108 Berlin, Leipziger Str. 3—4 Copyright 1970 by Akademie-Verlag GmbH Lizenznummer: 202 • 100/257/70 Herstellung: IV/2/14 VEB Werkdruck, 445 Gräfenhainichen • 3451 Bestellnummer: 2010/70/V/l • ES 7 H EDV-Nr.: 751 822 9 4;50
Zu den historischen Persönlichkeiten, die durch ihr geistig-literarisches Schaffen und ihre unermüdliche, aufopferungsvolle politische Betätigung weit über ihre Zeit hinaus gewirkt haben, gehört ohne Zweifel Nicolae Bälcescu. 1 In der rumänischen Geschichte verkörpert er mehr als jeder andere fortschrittliche Schriftsteller des vergangenen Jahrhunderts die revolutionäre Tradition. Unmittelbar mit den Nöten der zur Fronarbeit gezwungenen bäuerlichen Schichten vertraut, aktionsfreudig der vordringlichen Aufgabe breiter nationaler Bewußtseinsbildung zugewandt und mit damals fortschrittlichen Anschauungen über die geschichtlichen Entwicklungsprozesse ausgerüstet, erkannte Bälcescu die inneren Zusammenhänge zwischen nationaler und sozialer Befreiungsbewegung. Sehr bald hatte er begriffen, daß die anzustrebende nationale Emanzipation nur dann wirklich realisiert werden konnte, wenn damit grundlegende gesellschaftliche Veränderungen im Inneren des Landes einhergingen, wenn die restio se Beseitigung aller feudalen Bindungen und Institutionen gelang.2 1 Vgl. folgende Ausgaben der Werke N. Bälcescus: Opere, t . I ( i , 2), Editie critica a d n o t a t ä cu o introducere de G. Zane, Bucuresti 1940; Opere, t . I V : Corespondentä. Scrisori, memorii, adrese, documente,notesimateriale. Editie critica de G. Zane, Bucuresti 1964; Opere, vol. I / I I , E d i t u r a Academiei, Bucuresti 1953; Opere alese, vol. I / I I , (Scriitori romàni). Editie ingrijitä de Andrei R u s u cu o p r e f a t ä de Gh. Georgescu-Buzäu, Bucuresti 1960. 2 Vgl. besonders folgende Studien : P . P . Panaitescu, Contributii la o biografie a lui N. Bälcescu, Bucuresti 1924; Studii si referate despre N. Bälcescu, vol. I, Bucuresti 1953; G. I. Gulian, Gindirea social-politicä a lui Nicolae Bälcescu, Bucuresti 1954, G. Georgescu-Buzäu, Bälcescu, Bucuresti 1956; P . Cornea, Nicolae Bälcescu — democratul revolutionär si scriitor, in : Studii de l i t e r a t u r ä r o m a n ä modernä, Bucuresti 1962, S. 219—267; C. B o c h m a n n , Beitrag zur B e s t i m m u n g des politisch-sozialen Weltbildes des rumänischen revolutionären D e m o k r a t e n Nicolae Bälcescu, Diss. Phil. F a k u l t ä t , Karl-Marx-Universität Leipzig 1966 (Manuskript) sowie: Die geschichtsphilosophische Terminologie bei Nicolae Bälcescu, in: Wissenschaftliche Zeitschrift der Karl-Marx-Universität Leipzig, Gesellschafts-
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Der rumänische Nationalstaat formierte sich im Verlauf des 19. Jahrhunderts. 3 I m Jahre 1859 erfolgte die Vereinigung der beiden Fürstentümer Moldau und Walachei unter Fürst Cuza. Doch seine nationale Selbständigkeit erlangte Rumänien erst, nachdem rumänische Truppen auf russischer Seite siegreich in dem Russisch-Türkischen Krieg von 1877/78 mitgekämpft hatten. Obgleich damit in der rumänischen Nationalgeschichte eine wichtige Etappe abgeschlossen war, brachten diese historischen Ereignisse noch keine endgültige Lösung der nationalen Emanzipation. I n Siebenbürgen blieb in politischer und kultureller Hinsicht nicht nur das Los von Millionen Rumänen im Nationalitätenkonglomerat der Habsburgischen Monarchie weiterhin ungewiß, auch im jungen rumänischen Nationalstaat tauchten ständig neue gesellschaftliche Probleme und Widersprüche auf, die vorwiegend aus Kompromissen mit den alten Kräften der Feudalität resultierten und nach Klärung drängten. Trotz durchgeführter Reformen erfüllten sich nicht die Hoffnungen und Ideale jener freiheitlich-demokratischen Kräfte, die sich in den beiden Fürstentümern um 1840 an die Spitze der nationalen und gesellschaftlichen Emanzipationsbestrebungen gesetzt hatten und die revolutionäre Erhebung von 1848 leiteten. Das rumänische Bürgertum gab in den letzten zwei Jahrzehnten des vergangenen Jahrhunderts diese revolutionären Traditionen preis. Es war mit den Großgrundbesitzern ein Bündnis eingegangen, das in den Annalen der rumänischen Geschichte als „schändliche Koalition" vermerkt wird und im Hinblick auf die Durchsetzung von fälligen antifeudal-demokratischen Gesetzen und Maßnahmen durch eine Politik der Halbheiten gekennzeichnet war. Das revolutionäre Vermächtnis von Bälcescu wurde nunmehr von bürgerlichen Ideologen entweder als das eines Schwärmers abgetan oder in chauvinistischer u n d Sprachwissenschaftliche Reihe X V (1966), S. 5 1 3 - 5 2 4 ; M. G. Losano, U n revoluzionario nella R o m a n i a del 1848: Nicolae Bälcescu, i n : Rivista storica italiana L X X V I I I (1966), fasc. 3, S. 1 - 3 9 ; Sutä-Selejan, Gindirea economicä a lui Nicolae Bälcescu, Bucuresti 1967; D. Popovici, L i t e r a t u r a revoltei: Nicolae Bälcescu, i n : R o m a n t i s m u l romänesc, Bucuresti 1969, S. 462—484; D. Berindei, Bälcescu, Bucuresti 1969. I n Revista de filozofie X V I (1969), N r . 9, S. 1101-1146 erschienen folgende Aufsätze: R . P a n t a z i , Conceptia filozoficä a lui Nicolae Bälcescu; D. Berindei, Nicolae Bälcescu, personalitate m a r c a n t ä a istoriografiei r o m ä n e s t i ; N. Isar, Critica monarhiei absolute si „republica democraticä" in conceptia lui Nicolae Bälcescu; N. Liu, Nicolae Bälcescu si istoriografia r o m a n t i c ä ; Gh. E p u r e , R a p o r t u l dintre libertate si egalitate in gindirea lui N. Bälcescu. 3 Vgl. I s t o r i a Romäniei, vol. II—IV, Bucuresti 1962—1964 sowie C. Bodea L u p t a romänilor p e n t r u u n i t a t e a nationalä 1834—1849, Bucuresti 1967.
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Richtung verzerrt und verfälscht/* Erst mit der Errichtung der volksdemokratischen Ordnung waren in Rumänien entscheidende Voraussetzungen für eine umfassende historische Würdigung dieses fortschrittlichen Denkers gegeben. Es zeigte sich jetzt, daß die demokratischen Aspirationen Bälcescus auf einer höheren Ebene des gesellschaftlichen Entwicklungsprozesses verwirklicht wurden. Nicolae Bälcescu, der am 29. Juni 1819 in Bukarest geboren wurde, entstammte einer zur untersten Stufe des Bojarenstandes gehörenden Familie. Bereits auf dem Lyzeum Sfintul Sava erhielt er für seine weitere geistig-politische Entwicklung wesentliche Impulse, denn diese Lehranstalt bildete in jenen Jahren des sich vorbereitenden Umbruchs eine profilierte Stätte fortschrittlichen nationalen Denkens. Hier schon begann er, sich eingehend mit der Geschichte seines Volkes zu befassen. Da die finanzielle Lage seiner Familie keine Fortsetzung seiner Studien an einer ausländischen Universität zuließ, trat er im Jahre 1838 als Offiziersanwärter in die walachische Armee ein. Bei allen durch das Studium der Nationalgeschichte genährten Hoffnungen und bei allen zunächst erfolgreich unternommenen nationalerzieherischen Bestrebungen stieß der junge Bälcescu bald auf die durch das feudalabsolutistische Regime gesetzten Schranken. Er knüpfte daher engere Beziehungen zu nationalgesinnten demokratischen Kreisen, die den Haß des herrschenden Regimes immer mehr auf sich zogen und als „verdächtige Elemente" ständiger Überwachung ausgesetzt waren. Im Oktober 1840 wurde Bälcescu mit anderen Patrioten, darunter frühere Lehrer von ihm, verhaftet. Die Anklage warf ihnen vor, einen politischen Umsturz und die Ermordung des Fürsten geplant zu haben.5 Es wurden drakonische Urteile gefällt. Diejenigen, die als Anführer galten, erhielten eine Strafe von zehn Jahren Zwangsarbeit, die übrigen Beteiligten acht Jahre und Bälcescu als jüngster, noch minderjährig, kam mit drei Jahren Gefängnis davon. Obgleich Bälcescu seine Strafe nicht voll abzubüßen brauchte und im April 1842 wieder die Freiheit erhielt, hatten die unmenschlichen Zustände in dem Gefängnis von Märgineni seine Gesundheit zerrüttet. Er zog sich ein unheilbares Lungenleiden zu. In den folgenden Jahren wandte er sich der Publizistik zu, die trotz erschwerter politischer Bedingungen im Zuge der nationalen Emanzipa4 Vgl. hierzu die aufschlußreiche Studie von C. Bochmann, Leben und Werk Nicolae Bälcescus im Spiegel der rumänischen Literaturgeschichte, in: Beiträge zur rumänischen Philologie, hrsg. von W. Bahner, Berlin 1968, S. 9—29. 5 Vgl. Zane, Miscarea revolutionär» de la 1840 din Tara Romineascä, in: Studii si materiale de istorie modernä I I I (1963), S. 185—314.
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tionsbestrabungen einen beträchtlichen Aufschwung nahm. I n literarischkulturellen Vereinigungen fungierte er an herausragender Stelle, besonders nachdem seine 1844 veröffentlichte historische Studie über die Streitmacht und die militärische Kunst der Rumänen von der Gründung des Fürstentums der Walachei bis zur Gegenwart (Puterea armatä si arta militarä de la intemeierea Principatului Valahiei pinä acum) enthusiastischen Beifall bei seinen Landsleuten gefunden und über Rumänien hinaus Aufmerksamkeit erregt hatte. Mit seinen nun rasch aufeinander folgenden Aufsätzen und kritischen Untersuchungen wollte er bei seinen Landsleuten zur Erweckung und Festigung des Nationalbewußtseins beitragen. Er betätigte sich aktiv in der von ihm zusammen mit Ghica begründeten Geheimgesellschaft „Frä^ie", zu deutsch „Bruderschaft", die an dem konsequent antifeudalen demokratischen Programm der gewaltsam unterdrückten Bewegung von 1840 festhielt. Da er in seiner 1846 erschienenen Studie über die gesellschaftliche Lage der werktätigen Bauern in verschiedenen Epochen der rumänischen Geschichte (Despre starea sofialä a muncitorilor plugari in Principatele romäne in deosebite timpuri) trotz Zurückhaltung gegenüber den bestehenden Zuständen den Großgrundbesitz als Ergebnis eines usurpatorischen Aktes gebrandmarkt hatte, drohten ihm erneut Schwierigkeiten seitens der herrschenden Kreise. E r verließ deshalb so schnell wie möglich mit Hilfe patriotisch gesinnter Freunde seine Heimat und begab sich nach Paris, wo in zunehmendem Maße eine vorwiegend liberal bis demokratisch eingestellte junge rumänische Intelligenz ihre Studien absolvierte und darauf wartete, bei der herbeigesehnten Veränderung der inneren Struktur ihres Landes tatkräftig mitwirken zu können. Hier durfte Bälcescu auf Unterstützung durch alte Freunde zählen. Sein nunmehr zweijähriger Aufenthalt in Paris, der nur durch eine aus gesundheitlichen Gründen unternommene längere Reise nach Italien unterbrochen wurde, war für ihn in zweierlei Hinsicht bedeutungsvoll. Erstens hatte er nun Zugang zu reich ausgestatteten Bibliotheken und Archiven, die viel neues Material für seine Untersuchungen über die rumänische Geschichte boten. Zweitens herrschte in der französischen Hauptstadt eine von regen geistigen und politischen Auseinandersetzungen geprägte Atmosphäre, die Bälcescu wertvolle Anregungen vermittelte und seinen Gesichtskreis erweitern half. Als die Februarrevolution von 1848 ausbrach, schloß er sich sofort den Revolutionären an. Seinem Freund, dem bekannten Dichter Vasile Alecsandri, berichtete er in einem Brief 0 6 S. Opere (Ed. Zane), vol. IV, S. 86, Brief Nr. 33 vom 24. 2. 1848.
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von seiner Teilnahme an den Kämpfen jener Tage und übersandte ihm als Trophäe ein Stück Samt, das er vom Throne des Bürgerkönigs Louis Philippe herausgerissen hatte. Gleichzeitig begann er angesichts der in anderen Ländern erfolgenden revolutionären Erhebungen von Paris aus Vorbereitungen zu treffen, um den Sturz des feudalen Regimes in der Moldau und Walachei und die Befreiung des Landes von osmanischer Bevormundung einzuleiten. 7 Er organisierte eine Zusammenkunft aller sich in Paris aufhaltenden Rumänen, bei der ein bürgerlich-demokratisches Aktionsprogramm beraten und angenommen wurde. Weiterhin erfolgte eine Abstimmung hinsichtlich der geplanten Erhebung in der Moldau und der Walachei. Kurz darauf begaben sich die rumänischen Revolutionäre in ihre Heimat, um ihre Absichten in die Tat umzusetzen. Bälcescu traf im April 1848 in Muntenien ein und suchte die alten Freunde aus dem Geheimbund „Frä^ie" für die revolutionäre Sache zu gewinnen. Zu anderen Gruppen, besonders zu den gemäßigten Liberalen, wurden Verbindungen geknüpft. Entgegen Bälcescus R a t , rasch die allgemeine Stimmung nutzend, zu einer revolutionären Erhebung zu gelangen, entschied sich die Mehrheit des Revolutionskomitees jedoch zunächst dafür, die Entwicklung der Ereignisse in den benachbarten Staaten abzuwarten. Erst am 21. Juni kam es in Muntenien zum Ausbruch der Revolution. I n der Moldau war die Erhebung bereits niedergeschlagen worden, ehe überhaupt die von revolutionärem Geist beseelten Studenten aus Paris eingetroffen waren. Bälcescu gehörte zu den führenden Kräften der revolutionären Bewegung und wurde zum Sekretär der provisorischen Regierung ernannt. Als wesentliche Aufgaben betrachtete er die Propagierung der neuen demokratischen Grundsätze und Ziele sowie die Aufstellung von freiwilligen Kampfverbänden zum Schutz der Revolution. E r drang auf eine Ablösung der mit dem alten Regime verbundenen Beamten und Offiziere. Bei der sofort auf der Tagesordung stehenden Agrarfrage trat er für eine rasche, kompromißlose antifeudale Lösung ein. Die provisorische Regierung war jedoch viel zu heterogen zusammengesetzt, um konsequent die revolutionären Forderungen zu verwirklichen. Die meisten ihrer Mitglieder suchten zu einem Arrangement mit der Hohen Pforte zu gelangen, indem sie bei weiterer Anerkennung der osmanischen Oberhoheit eine stärkere Rücksichtnahme auf ihre Bestrebungen nach Autonomie erwarteten. Sie kamen daher den Wünschen der türkischen Regierung nach, ihre provisorische Regierung in eine „Fürstliche Statt7 Vgl. G. Georgescu-Buzäu, Activitatea lui N. Bälcescu pentru pregätirea dezlantuirii revolutiei din 1848, in: Studii I X (1956), S. 4 5 - 6 4 .
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halterschaft" umzubilden. Bälcescu erblickte darin einen Verrat an der Revolution und weigerte sich, in einem solchen Gremium mitzuarbeiten. Er versuchte unter diesen Umständen, einen bewaffneten Widerstand gegen den zu erwartenden Einzug türkischer Truppen zu organisieren. Dieser Plan scheiterte jedoch. Als die türkische Armee in Muntenien einrückte, löste die provisorische Regierung bezeichnenderweise das aus dreißigtausend Freiwilligen bestehende Volksheer auf. Die Protektionsmächte erklärten die provisorische Regierung für abgesetzt. Die Führer der Revolution wurden verhaftet und dann des Landes verwiesen. Bälcescu begab sich daraufhin nach Siebenbürgen. Von hier aus bemühte er sich, die emigrierten Revolutionäre zu einem einheitlichen Vorgehen zu veranlassen, als diese weiterhin Anstrengungen unternahmen, für die Moldau und Walachei eine größere Autonomie zu erreichen. Als sich 1849 die Ungarn gegen die habsburgische Vormundschaft erhoben, wandte sich Bälcescu gegen jene Kräfte, welche die Rumänen Siebenbürgens auf Grund fadenscheiniger Versprechungen seitens der Krone zum Bündnis mit der habsburgischen Konterrevolution verleiten wollten. Er rief die in der habsburgischen Monarchie unterdrückten Völker zur gegenseitigen Solidarität auf und forderte ein gemeinsames Vorgehen. Als auch die ungarische Revolution gescheitert war, ging Bälcescu im Oktober 1849 wieder nach Paris. Hier intensivierte er, bereichert durch seine im revolutionären Kampf erworbenen Erfahrungen, seine historischen Studien. Außerdem betätigte er sich aktiv an den politischen Auseinandersetzungen innerhalb der rumänischen Emigrantengruppen und knüpfte Kontakte zu revolutionären Demokraten anderer Völker, die in der französischen Hauptstadt oder in London im Exil lebten. Durch sein rastloses Schaffen verschlechterte sich sein Gesundheitszustand zusehends. Er hoffte, durch Klimawechsel eine Besserung zu erreichen und begab sich deshalb nach Südfrankreich und schließlich nach Italien. Doch für sein Lungenleiden gab es keine Hilfe mehr. Am 2. Dezember 1852 verstarb Bälcescu in Palermo im Alter von nur 33 Jahren. Die europäische Geschichte des 19. Jahrhunderts ist im besonderen Maße durch die Herausbildung der kapitalistischen Konkurrenzgesellschaft und ihrer Negation, des Proletariats, sowie durch die Entstehung bürgerlicher Nationalstaaten und nationaler Befreiungs- und Einigungsbewegungen geprägt. Während sich um die Mitte des vergangenen Jahrhunderts die erstgenannte Entwicklungstendenz vor allem in England und Frankreich sehr deutlich abzeichnete, dominierte in Mittel-, Ost- und Südosteuropa die zweite Entwicklungstendenz. Die revolutionären
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Erhebungen von 1848/1849 in zahlreichen europäischen Hauptstädten bestätigten dies nachdrücklich. Zwar war am 24. Februar 1848 Louis Philippe von den Volksmassen und der liberalen Bourgeoisie vom Throne gestoßen worden, doch schon vier Monate später unterdrückte die bürgerliche Regierung blutig die proletarischen Kräfte, welche ihre Rechte selbstbewußt angemeldet hatten. Daß sich daraus auch Konsequenzen für die nationale Befreiungsbewegung in einzelnen europäischen Ländern ergaben, wurde schon von Karl Marx scharfsichtig festgehalten: „Die Niederlage der Arbeiterklasse in Frankreich, der Sieg der französischen Bourgeoisie war gleichzeitig die neue Knebelung der Nationalitäten, die das Krähen des gallischen Hahns mit heroischen Emanzipationsversuchen beantwortet hatten . . . Die Niederlage der Arbeiterklasse in Frankreich, der Sieg der französischen Bourgeoisie war gleichzeitig die Niederlage der Mittelklassen in allen europäischen Ländern, wo die Mittelklassen, einen Augenblick mit dem Volk vereint, das Krähen des gallischen Hahns mit blutiger Schilderhebung gegen den Feudalismus beantwortet hatten." 8 Die nach nationaler Einheit und Selbstbestimmung drängenden Rumänen befanden sich in der ersten Hälfte des vergangenen Jahrhunderts im eisernen Griff jener Mächte des feudalen Absolutismus, die sich gegenüber allen freiheitlichen Bestrebungen als militante Bastion der Konterrevolution erwiesen: I n Siebenbürgen, in der Bukowina und im Banat waren sie Untertanen der als Völkergefängnis charakterisierten Habsburger Monarchie. I n der Moldau und in der Walachei bildeten sie zwar in Form von zwei Fürstentümern geschlossene staatliche Einheiten, docli unterstanden sie der Oberhoheit des osmanischen Reiches, jenes nach Karl Marx reaktionärsten Gebildes Europas, und überdies machte sich noch das zaristische Rußland, der Gendarm der europäischen Reaktion, nach seinen Siegen über die Türken zum Protektor der beiden Fürstentümer. Nach dem Frieden von Adrianopel 1829 besetzten zaristische Truppen die Moldau und die Walachei. Sie blieben, bis die Türken 1834 ihre Kriegsschulden bezahlt hatten. Obgleich auf Grund der von der Protektionsmacht durchgeführten Reformen, besonders des Organischen Reglements, die Position der obersten Bojarenschicht politisch wie ökonomisch gefestigt wurde, schufen sie objektiv wesentliche Voraussetzungen für die in der späteren Vereinigung der beiden Fürstentümer deutlich sichtbar gewordene Herausbildung des rumänischen Nationalstaates. 8 Die revolutionäre Bewegung, in: Neue Rheinische Zeitung, Nr. 184 vom 1. 1. 1849. Siehe Karl Marx/Friedrich Engels, Werke ( = MEW), Bd. C, Berlin 1961, S. 149.
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Die rumänischen Bestrebungen nach nationaler Einheit und Eigenständigkeit waren Ausdruck jener gesellschaftlichen Entwicklung, die durch das allmähliche Anwachsen kapitalistischer Produktivkräfte gekennzeichnet war, einen erweiterten nationalen Markt erforderlich machte und entgegen allen Widerständen der Bojaren auf den Abbau feudaler Einrichtungen abzielte. Jene nationalen Bestrebungen erfuhren insbesondere auf dem Gebiet der Sprache, Literatur und Geschichtsschreibung eine umfassende ideologische Instrumentierung. Nationales Selbstverständnis und politische Rechtfertigung sowie Programmierung der nationalen und gesellschaftlichen Emanzipationsbewegung waren dabei miteinander innig verknüpft. 9 Bälcescu nahm in diesen Kämpfen eine herausragende Stellung ein. Er stand in der ersten Reihe jener fortschrittlichen demokratischen Denker, die sich in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts in verschiedenen europäischen Ländern um eine allseitige Erhellung und Begründung des Nationalgedankens bemühten. I n seinem Bestreben, das Nationalbewußtsein seiner Landsleute zu wecken, konnte Bälcescu an jene nationalen Emanzipationsbestrebungen anknüpfen, die zuerst Ende des 18. Jahrhunderts in Siebenbürgen einsetzten 10 und auch in der Moldau und Walachei auf starke Resonanz stießen. Obgleich die Rumänen damals mehr als sechzig Prozent der Gesamtbevölkerung Siebenbürgens ausmachten, galten sie nach der ständisch-feudalen siebenbürgischen Verfassung im Gegensatz zu den Ungarn, Sachsen und Szeklern nur als geduldete Nationalität. Sie meldeten ihre Ansprüche im Sinne politischer und kultureller Selbstbehauptung an, und ihre Wortführer trachteten danach, diese durch historische, ethnische, rechtliche, bevölkerungs- und kirchenpolitische Gesichtspunkte zu begründen. I n philologischen und historischen Abhandlungen rumä9 Vgl. D. Popovici, La littérature roumaine à l'époque des lumières, Sibiu 1945; Al. Rosetti/B. Cazacu, Istoria limbii romîne literare, vol. I : D e la origini pînâ la începutul secolului al X I X ~ l e a , Bucureçti 1961 ; Istoria gîndirii sociale si filozofice în Romînia, Bucuresti 1964; Gh. Bulgär, Problemele limbii literare în conceptia scriitorilor români, Bucuresti 1956; W. Bahner, Das Sprach- und Gesehiehtsbewußtsein in der rumänischen Literatur von 1780—1880, Berlin 1967; Istoria literaturii române, vol. I I : De la scoala ai'deleanä la Junimea, Bucuresti 1968. 10 Vgl. M. Ruffini, La scuola latinista romena (1780-1871), Roma 1941; R. Munteanu, Contributia scolii ardelene la cultivarea maselor, Bucuresti 1962; L. Blaga, Gîndirea româneasca înTransilvania insecolul a l X V I I I ~ l e a , Bucuresti 1966; D. Prodan, Supplex Libellus Valachorum, Bucuresti 1967.
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nischer Gelehrter aus Siebenbürgen erfuhren diese nationalen Aspirationen ihren ideologischen Niederschlag und dienten zugleich dazu, das Nationalbewußtsein bei ihren Mitbürgern entwickeln zu helfen. Vor allem durch die Betonung der ethnischen Herkunft von den Römern und durch eine direkte Herleitung der Muttersprache vom Latein sollten die erhobenen Ansprüche legitimiert werden. Dieses Latinitätsbewußtsein ist zwar in der rumänischen Literatur früh schon anzutreffen, doch erst die Repräsentanten der sogenannten Siebenbiirgischen Schule bauten es zu einem Angelpunkt ihrer nationalen Ideologie aus und verbanden es mit ihren vom Josephinismus beeinflußten aufklärerisch-volksbildnerischen Anstrengungen. Auch in der Walachei und der Moldau beschränkten sich die nationalen Emanzipationsbewegungen zwar zunächst auf die sprachlichkulturellen Bereiche, doch sollte der 1821 erfolgte Aufstand Tudor Vladimirescus blitzartig demonstrieren, welch unbändiger Drang nach nationaler Unabhängigkeit sich hier gestaut hatte. 11 Obgleich Vladimirescus Unternehmen scheiterte, brachte es dennoch das Ende der Phanariotenherrschaft. Die Hohe Pforte hielt es angesichts jener Erhebung für ratsamer, sowohl in der Walachei als auch in der Moldau statt einem Griechen aus der oberen Verwaltungsspitze wieder einen Vertreter der einheimischen Aristokratie als Fürsten einzusetzen. Die Formung einer einheitlichen, ausdrucksvollen rumänischen Nationalsprache und einer modernen Nationalliteratur rückte nach 1830 als wichtiges nationales Anliegen immer stärker ins öffentliche Bewußtsein und charakterisierte in wesentlichen Partien das sich entfaltende geistige Leben. Es sollte sich bei der nationalen Bewußtseinsbildung als ein wesentliches Element erweisen. Um 1840 erfolgte indessen insofern eine Wende, als nun alle hierbei auftretenden Probleme nicht mehr von einer als nationale Vorhut betrachteten Intelligenz im aufklärerisch-abstrakten Sinne entschieden werden sollten. Es war nur der Ausdruck eines gewachsenen und demokratischer orientierten Nationalbewußtseins, wenn nunmehr verlangt wurde, die nationale Eigenständigkeit und das Aufdecken der eigenen lebenskräftigen Traditionen in den Mittelpunkt zu rücken. 12 Die eigene Sprache und Kultur sollte nicht mehr beständig an 11 Vgl. N. Adäniloaie, Boierii si räscoala condusä de Tudor Vladimirescu, Bucureçti 1956; A. Otetea, 140 de ani de la räscoala condusä de Tudor Vladimirescu, in: Lupta de clasä X L I (1961), Nr. 5, S. 41—58. 12 Vgl. P. Cornea, O epocä luminoasä a literaturii romane: epoca 1848, in: Studii de literaturä rominä modernä, Bucuresti 1962, S. 103—151 sowie Considérations sur le rapport entre la tradition et l'innovation dans l'idéologie littéraire de l'époque de 1848, in: Revue roumaine d'histoire
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denen fremder Völker gemessen werden. Das nationalerzieherische Programm wurde neu und weiter gefaßt. Gegenüber früherer Zeit sind sehr augenfällig: ein stärker profiliertes nationales Geschichtsbewußtsein, die Entdeckung des Wertes der Volksdichtung und die Forderung nach einer die eigenen nationalen Probleme darstellenden Kunst und Literatur. Mihail Kogälniceanu, ein maßgeblicher liberaldenkender Vertreter jener neuen nationalromantischen Richtung, formulierte dies mit den Worten: „Die Künste und die Literatur, die Äußerungen des Geistes, haben nur dort Lebenserwartung, wo sie ihre Herkunft aus dem Stamm der Völker selbst herleiten. Sonst sind sie nur einige exotische Pflanzen, die der erste Wind erfrieren oder verdorren läßt. Um eine nationale Kunst und Literatur zu besitzen, ist es erforderlich, daß diese mit der Gesellschaft, mit den Überzeugungen, mit den Sitten, in einem Wort, mit unserer Geschichte verbunden sind."13 Auch die Kenntnis der eigenen Geschichte, betonte Kogälniceanu, sei für die Nation lebensnotwendig, denn sie fördere die Selbsterkenntnis, weise den Weg in die zukünftige Entwicklung und stärke den Patriotismus. Als sich Bälcescu publizistisch zu betätigen begann, schloß er sich jenen nationalromantischen Bestrebungen an und versuchte, in diesem Sinne zur Erweckung und Festigung des rumänischen Nationalbewußtseins beizutragen. In der Geschichtsschreibung boten sich seines Erachtens vorzügliche Möglichkeiten, den Anspruch auf nationale Unabhängigkeit und Einheit zu begründen, das Volk als den wahren Träger der geschichtlichen Entwicklung herauszustellen und die geforderte Veränderung der bestehenden gesellschaftlichen Verhältnisse als notwendig und gesetzmäßig zu erweisen. Zugleich versprach eine solche Geschichtsschreibung ein wertvolles Instrument im Dienste nationaler Bewußtseinsbildung zu sein, denn Kenntnis der Vergangenheit hieß für Bälcescu Selbstverständigung in der Gegenwart im Hinblick auf die in unmittelbarer Zukunft zu bewältigenden Aufgaben. Der Aktualitätsbezug der Geschichte stand für Bälcescu außer Frage. Die Geschichte wurde zum Unterpfand für das I I (1963), S. 265—285; P. Cornca/M. Zamfir, Gindirea romäneascä in cpoca pasoptistä, 2 Bde, Bucuresti, 1968/1969. 13 Opere, t. I : Scrieri istorice. Editic criticä adnotatä cu o introducere si note de A. Otetea, Bucuresti 1946, S. 674: „Ariele si literatura, expresiile inteligentei, n'au sperantä de viatä, decät acolo unde ele isi trag originea din insäsi tulpina popoarelor. Altmintrelea ele nu sunt decät niste plante exotice pre care cel intäi vänt ori lo ingheatä, ori le usucä. Ca sä avem arte si literatura nationalä, trebue ca ele sä fie legate cu societatea, cu credintele, cu obiceiurile, intr'un cuvänt cu istoria noasträ."
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Engagement in den gesellschaftlichen Auseinandersetzungen der Gegenwart. I n der Ankündigung der von ihm mit Treboniu-Laurian herausgegebenen Zeitschrift Magazin istoric pentru Dada beschwor Bälcescu geradezu die Notwendigkeit einer Nationalgeschichte für die politische Existenz seines Volkes. Programmatisch heißt es hier: „Die Geschichte ist das erste Buch einer Nation. I n ihr erblickt sie ihre Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft. Eine Nation ohne Geschichte ist ein noch barbarisches Volk, und wehe jenem Volk, das seine Religion der Erinnerungen verloren hat. Wir Rumänen der drei Provinzen Dakiens befinden uns in einer solchen Lage. Denn obgleich sich viele, sowohl Fremde als auch Einheimische, mit der Abfassung unserer Geschichte befaßt haben, können wir noch sagen, daß wir im Bewußtsein bis jetzt überhaupt keine Geschichte haben." 1 4 Bälcescu wirft diesen Geschichtsschreibern vor, nur Herrscherbiographien geliefert zu haben, und dies auch noch unkritisch. Über das Interessante der Geschichte hingegen hätten sie geschwiegen, denn die Institutionen, der Handel und das Gewerbe, das geistig-moralische Leben, die Sitten und Lebensformen fielen überhaupt nicht in ihr Blickfeld. Kogälniceanu folgend, forderte Bälcescu gründliches Quellenstudium und die vorrangige Einbeziehung des gesamtgesellschaftlichen Aspekts in eine historische Darstellung. Diese neuen wissenschaftlichen Erfordernisse waren für eine nationale Geschichtsschreibung, die das Volk als Akteur der Entwicklung begriff, vordringliches Gebot, und Bälcescu selbst gab mit seinen auf gründlichen Quellenkenntnissen beruhenden geschichtlichen Abhandlungen hierfür ein bemerkenswertes Beispiel. Auch spätere positivistische Historiker, die in Bälcescus historiographischen Studien manche Daten korrigierten und einige allgemeine Entwicklungslinien als unverzeihliche Modernisierungen rügten, mußten eingestehen, daß die auf wissenschaftlicher Grundlage betriebene moderne Geschichtsschreibung in Rumänien erst mit Bälcescu und Kogälniceanu einsetzt. Völlig fremd aber erschien ihnen die für Bälcescu charakteristische Überzeugung, daß zwischen den gesellschaftlichen Kämpfen der Gegenwart und der Geschichtsschreibung ein innerer Zusammenhang besteht. Geschichtsschreibung und Geschichtsbewußtsein 14 Opere (Ed. Zane), t. I, 1, S. 101: „Istoria este cea dint&i carte a unei natii. Intr'insa ea isi vede trecutul, prezentul si viitorul. O natie färä istorie este un popor incä barbar, si vai de acel poporcaresi-apierdutreligiasuvenirilor. Intr'o asemenea stare ne afläm noi Romänii din cäte trele provincii ale Daciei. Cäci desi multi, atät sträini cat si p&mänteni, s'au ocupat cu scrierea istoriei noastre, noi incä putem zice, in constiintä, cä pänä acum n'avem de loc istorie."
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sind für Bälcescu innig miteinander verquickt. Sie bilden entscheidende Paktoren in der nationalen Bewußtseinsbildung. In seinem Vorwort über die Quellen zur Geschichte der Rumänen (Cuvänt preliminariu despre izvoarele istoria Romänilor) drückt er dies wie folgt aus: „Den Rumänen t u t es heute not, sich in Vaterlandsliebe und Mut zu festigen und sich einen standhaften Charakter anzueignen. Das könnten sie erreichen, so meinen wir, wenn sie eine gute Geschichte ihres Volkes hätten und wenn diese in genügendem Maße verbreitet wäre." 15 Bälcescu beschäftigte sich in seinen historischen Studien besonders mit den Abschnitten der rumänischen Geschichte, die im Zuge der nationalen Emanzipationsbestrebungen allgemein als glorreiche Zeiten betrachtet wurden. Es waren jene Jahrhunderte der mittelalterlichen Geschichte, in denen die noch jungen Fürstentümer der Moldau und Walachei den osmanischen Heeren heldenhaften Widerstand leisteten. Als Gipfelpunkt dieser historiographischen Bemühungen hat ohne Zweifel sein Werk Die Rumänen unter Fürst Mihai dem Tapferen (Romänii supt Mihai-Voievod Viteazul) zu gelten, an dem er in seinen beiden letzten Lebensjahren konzentriert arbeitete. Obgleich es Fragment geblieben ist — die beiden geplanten letzten Kapitel fehlen — stellt diese Schrift das bedeutendste Geschichtswerk jener Zeit dar. Dank seiner außergewöhnlichen literarischen Qualitäten zählt es mit zu den Maßstäbe setzenden Erscheinungen der rumänischen Literatur des 19. Jahrhunderts. Bälcescu fühlte sich deshalb von diesem Fürsten und seiner Zeit sehr angezogen, weil für ihn hierbei das brisante Thema der nationalen Einheit in den Grundzügen vorgezeichnet war. Hier bot sich Gelegenheit seiner Geschichtskonzeption gemäß, ein breites Gemälde der gesellschaftlichen Verhältnisse in den beiden Fürstentümern und in Siebenbürgen um die Wende vom 16. zum 17. Jahrhundert zu entwickeln, das aktuelle Forderungen implizierte und in der Gegenwart noch ungelöste Probleme als bereits in der Vergangenheit verborgene Fehlerquellen aufdeckte. Bälcescu ging es nicht um eine Apologetik dieses rumänischen Fürsten. Er zeigte, daß dieser nur erfolgreich war, wenn er in Übereinstimmung mit den Interessen des Volkes handelte, und einen folgenreichen Fehler beging, als er auf Drängen der Bojaren die Bauern an die Scholle kettete, die Leibeigenschaft forcierte. Bälcescu folgerte im 5. Buch, Kapitel 10: „Unglücklicherweise begriff Mihai niemals, daß im Volk und nur im Volk seine wirkliche Macht, seine 15 E b e n d a , S. 107: „Romanii au t r e b u i n t ä astazi sä intemeieze in patriotism si in curaj si sa cästige statornicie in caracter. Aceste rezultate credem ca s'ar dobändi cänd ei ar avea o b u n ä istorie nationale si cänd aceasta ar fi indestul r ä s p ä n d i t ä . "
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wirkliche Stütze lag. Er h a t t e sie bald bei den Adligen, bald im Heer und in den Söldnerscharen, bald in Österreich gesucht." l ü Auch wenn Bälcescu das Nationalgefühl seiner Zeit in die rumänische Geschichte des Mittelalters ungerechtfertigterweise zurückprojizierte und seine Geschichtsauffassung manch idealistischen Zug besaß, war er jedoch stets darauf aus, die Feudalverhältnisse als ungerecht anzuprangern und sie auf einen usurpatorischen Akt zurückzuführen. Bälcescu evozierte nicht nur anschaulich in wohlabgewogenen sprachlichen Perioden 1 7 das Bild vergangener Zustände der rumänischen Geschichte in ihrem aktuellen Bezug zur nationalen und gesellschaftlichen Emanzipationsbewegung, er deckte auch unmittelbar historisch-gesellschaftliche Entwicklungslinien in der Geschichte seines Volkes auf. Sehr aufschlußreich sind hierbei vor allem seine Ausführungen über den Gang der Revolution in der Geschichte der R u m ä n e n : Mersul revolufiei in istoria romdnilor. Die rumänische Revolution von 1848 betrachtete er als Ergebnis einer inneren gesellschaftlichen Entwicklung. Anschauungen, wonach es sich bei diesen Ereignissen nur um ein einmaliges, wenig zukunftsträchtiges Komplott einer kleinen Verschwörergruppe gehandelt habe oder um einen schwachen Widerhall der allgemein europäischen Revolution — wie es auch später bürgerliche Historiker immer wieder behaupteten — lehnte Bälcescu als nicht zutreffend und geschichtsfremd ab. F ü r ihn ist die geschichtliche Entwicklung die Entfaltung der nationalen Potenzen in unmittelbarem Zusammenhang mit dem geschichtlichen Fortschritt. Der geschichtliche Fortschritt wiederum besteht f ü r ihn, hierbei westeuropäischen demokratischen Denkern folgend, in einer zunehmenden moralisch-geistigen Vervollkommnung 1 8 , die in gesellschaftlicher Hinsicht eine allmähliche Demokratisierung einschließt und die breiten Massen schließlich zu bewußten mitregierenden Staatsbürgern macht. Da Bälcescu wie andere demokratische Verfechter des Nationalgedankens jener Zeit den Begriff der Nation unhistorisch f a ß t und zu einer meta16 Opere alese (Ed. A. Rusu), vol. II, S. 333: „Din nenoricire, Mihai nu pricepu niciodata cä in popol si numai in popol e adevärata lui putere, adeväratul sau sprijin. El il cäutase cänd in nobili, cind in armie si in ostile mercenare, cind in Austria." 17 Vgl. T. Vianu, Studii de stilisticä, Bucuresti 1968, S. 198ff.: Tehnica basoreliefului in proza lui N. Bälcescu sowie S. 202ff.: Nicolae Bälcescu, artist al cuvintului. 18 Vgl. B. Reizov, L'historiographie romantique frangaise (1815—1830), Moscou 1959.
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physischen Wesenheit verabsolutiert, existiert für ihn auch die rumänische Nation seit dem. Altertum. Das römische Dakien wird so zur Wiege der eigenen Nation. Als die Feudalkräfte die Oberhand erlangten, folgerte Bälcescu, entsprach dies zwar dem historischen Fortschritt, doch für die nationale Idee bedeutete dies eine große Gefahr: „Die Bojaren, indem sie sich vom Volk isolierten und es unterdrückten, machten es apathisch und unempfindlich gegenüber den Nöten des Landes. Das Volk kam durch Knechtschaft und Armut so herunter wie die Bojaren durch Reichtum und Unterdrückung." 1 9 Auf Grand dieser Lage wurden die rumänischen Fürstentümer bald eine Beute des Osmanischen Reiches. I m Aufstand Tudor Vladimirescus von 1821 erblickte Bälcescu eine entscheidende nationale wie soziale Tat, die für die weiteren Emanzipationsbestrebungen gleichsam als Fanal einen wesentlichen Ausgangspunkt bildete. Erste nationale Freiheiten waren damit zwar zurückerobert worden, folgerte Bälcescu, doch die Ausbeutung breiter Schichten blieb nicht nur erhalten, sondern wurde teilweise noch verstärkt und staatlicherseits sanktioniert. I m Zuge der weiteren Entwicklung mußte über die 1821 proklamierten Ziele hinausgegangen werden,und Bälcescu meinte rückblickend: „Jetzt genüge es nicht mehr nur zu wollen, daß der Staat in einen rumänischen verwandelt werde, es mußte auch noch das Problem der Armut des Volkes gelöst und eine andere Eigentumsform, die Grundlage der Gesellschaft, des Reichtums und öffentlichen Wohls, geschaffen werden." 2 0 Das Ziel der Revolution von 1848 war daher die völlige Zerschlagung der Feudalstruktur und die Errichtung einer bürgerlich-demokratischen Ordnung. Diese Forderung blieb nach dem Scheitern der Revolution verstärkt bestehen und bedurfte in Bälcescus Augen unbedingt noch der Ergänzung durch das Recht auf nationale Unabhängigkeit. Dieser nationalgeschichtliche Aufriß Bälcescus läßt erkennen, welch ausschlaggebende Bedeutung er der Agrarfrage beimaß. Ohne deren konsequente Klärung konnte es seines Erachtens zu keiner wirklich umfassenden gesellschaftlichen wie nationalen Emanzipation kommen. I n der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts zeigte sich, daß durch das neuartige Zusammenspiel von feudalen und kapitalistischen Ausbeutungsformen die Agrarfrage in den beiden Fürstentümern in ein akutes Stadium gelangt 19 Opere (Ed. Zane), t. I, 2, S. 100: „Boierii izoländu-se de popor apäsändu-1, il fac apatic si nepäsätor la nevoile tärii. Poporul se degradeazä prin robie si säräcie ca si boierii prin bogätie si asuprire." 20 Ebenda, S. 103: „Acum nu era de ajuns a voi numai ca statul sa se facä romänesc, trebuia incä a deslega problemul säräciei poporului, a da o altä organizatie proprietatii, baza sotietatii, a bogätiei si fericirii publice."
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war. Da nach der Beendigung des Russisch-Türkischen Krieges durch den 1829 erfolgten Friedensschluß von Adrianopel das türkische Handelsmonopol für die rumänischen Gebiete aufgehoben wurde, ließen sich die Großgrundbesitzer nicht die Gelegenheit entgehen, auf Grund der auf dem internationalen Markt gestiegenen Nachfrage nach Getreide die landwirtschaftliche Produktion gewaltig zu erhöhen. Obgleich die Leibeigenschaft schon um die Mitte des 18. Jahrhunderts abgeschafft worden war, bot nichtsdestoweniger die Verfassung des Organischen Reglements die Möglichkeit, eine Steigerung der Fronleistungen von den Bauern zu erzwingen. Karl Marx ging im „Kapital'" auf diese von brutaler Profitgier bestimmte Lage der rumänischen Bauern ein und schrieb: „Sobald aber Völker, deren Produktion sich noch in den niedrigeren Formen der Sklavenarbeit, Fronarbeit usw. bewegt, hineingezogen werden in einen durch die kapitalistische Produktionsweise beherrschten Weltmarkt, der den Verkauf ihrer Produkte ins Ausland zum vorwiegenden Interesse entwickelt, wird den barbarischen Greueln der Sklaverei, Leibeigenschaft usw. der zivilisierte Greuel der Überarbeit aufgepfropft.'^ 1 Bälcescu analysierte als erster diese Situation eingehend in mehreren Studien und Aufsätzen. Darunter befand sich auch seine 1850 verfaßte Broschüre Question économique des principautés danubiennes, die anonym in Paris erschien. Elias Regnault übernahm diese Ausführungen vielfach wörtlich in seiner Histoire politique et sociale des Principautés danubiennes, Paris 1853, als er die Agrarfrage behandelte, ohne die Quelle anzugeben. Karl Marx stützte sich im ersten Band des Kapital gerade auf diesen Abschnitt des Buches von Regnault (S. 288—321), indem er einige seiner theoretischen Überlegungen am rumänischen Beispiel erläuterte. Daß sich Karl Marx gerade diesem Abschnitt zuwandte, war sicherlich nicht zufällig, denn Bälcescus Auffassungen von der Gesellschaft und Geschichte führten zumindest in einigen fruchtbaren Ansätzen zu Marx' Betrachtungsweise hin, so die Rolle des Klassenkampfes, die Ausbeutung des Menschen durch den Menschen, der Zusammenhang von gesellschaftlichen und ökonomischen Erscheinungsformen. 22 Bälcescus Ausführungen in Question économique des principautés danubiennes sind eine scharfe Anklage des rumänischen Feudalregimes. Sie zeigen, wie es historisch zur Herausbildung der Leibeigenschaft kam und welche ungeheure Ausbeutung der werktätigen Bauern damit verknüpft 21 M E W , B d . 23, S. 250. 22 Vgl. a u c h G. Z a n e , M a r x si B ä l c e s c u , Iasi 1927. 2
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war. Vor allem brachten sie eine detaillierte Untersuchung der ökonomischen Verhältnisse unter den nach 1830 einsetzenden Bedingungen des „Organischen Reglements", jenes „Kodex der Fronarbeit", um Marx* Ausdruck zu gebrauchen. Bälcescu plädierte leidenschaftlich dafür, die fronpflichtigen Bauern in freie Grundbesitzer zu verwandeln und jede Form von feudaler Abhängigkeit aufzuheben. Der bürgerliche Eigentumsgedanke, auch als Voraussetzung echten staatsbürgerlichen Einsatzes, war in seinen politischen Vorstellungen zu sehr verwurzelt, als daß der Blick sich auf das kollektive Eigentum erstreckt hätte. I n Paris wurde er zwar mit kommunistischen Ideen konfrontiert. Doch in erster Linie mit den unmittelbaren Problemen seiner Heimat beschäftigt, erblickte er darin keine reelle Handhabe. Bälcescu forderte in mehreren Aufsätzen immer wieder, den werktätigen Bauern zum Grundbesitzer zu machen, und versuchte, die Notwendigkeit dieses Kleineigentums mit politischen, moralischen und ökonomischen Gesichtspunkten zu begründen. Dabei floß zwar manches aus dem Ideengut kleinbürgerlicher französischer Sozialisten 23 in seine Argumentation mit ein, doch ist auch hier der Gedanke vorherrschend, wie damit für Rumänien das Fundament einer bürgerlich-demokratischen Republik geschaffen werden könnte. Durch eine gesicherte ökonomische Existenz glaubt er, würde der rumänische Bauer ein gesteigertes und von hohem Patriotismus erfülltes Nationalbewußtsein entwickeln, das fortan die Gewähr biete, die zu erkämpfende nationale Selbständigkeit gegenüber allen Angriffen von außen zu sichern. Bälcescus Vertrauen in die K r a f t der Volksmassen kam so auch hier zum Ausdruck und bildete einen Kardinalpunkt seines Denkens. Bezüglich der Gesellschaftsreform bei den Rumänen (Reforma so\ialä la romàni) lautet sein Fazit: „Nur durch die Bodenverteilung können wir so den Bauern die Freiheit garantieren, das Recht auf Eigentum dauerhaft begründen und das Volk an seinem Schutz interessieren, . . . den bäuerlichen Ackerbau und den Handel entwickeln, den gesellschaftlichen Reichtum begründen und durch Wohlstand die Bevölkerungszahl erhöhen." 24 23 Vgl. G. Zane, L'idéologie révolutionnaire dans les Principautés Roumaines et le socialisme prémarxiste à l'époque de 1848, in: Revue des sciences sociales, série économie-sciences juridiques, VI (1962), S. 191—215. 24 Opere alese (Ed. A. Rusu), vol. I, S. 297: „într-acest chip, prin împroprietärire numai, putem asigura libertatea täranilor, întemeiem statornic dreptul proprietätii, interesînd poporul în apärarea lui, . . . dezvoltam agricultura si comerciul tärilor, punem baza bogätiei publice, crestem par l'aisance populatia."
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Auch die nationale Frage prüfte Bälcescu eingehend unter den neuen gesellschaftlichen Erfordernissen, die seiner Ansicht nach auf die Herausbildung einer bürgerlich-demokratischen Ordnung hinauslaufen. Obgleich Bälcescu in diesem Zusammenhang mancher Illusion und utopischen Vorstellung erlag, da er die Schattenseiten und Grenzen der bürgerlichen Gesellschaftsformation noch nicht wahrnahm, entwarf er Grundsätze, die bei allen Abstrichen heute noch aktuell sind. Die revolutionären Ereignisse in Siebenbürgen hatten ihm deutlich vor Augen geführt, daß der bürgerliche Nationalismus die Frage der nationalen Selbstbestimmung keiner Klärung zuführen konnte. E r sah voraus, daß die nationalen Emanzipationsbestrebungen der ungarischen Revolutionäre scheitern würden, wenn die ungarische Regierung sich nicht gleichzeitig auch für die Gleichberechtigung der anderen unterdrückten Nationalitäten in der habsburgischen Monarchie mit einsetzte und so eine revolutionäre Einheitsfront schuf. I n dem Geschichtswerk über den Fürsten Mihai den Tapferen schreibt Bälcescu vorausschauend und Bilanz ziehend aus den Kämpfen des Jahres 1599 und der Revolution von 1848: „Das in Siebenbürgen zu lösende Problem war und ist nicht so, wie es sich die Rumänen, die Ungarn, die Sachsen oder Szekler vorstellen, nämlich, daß sie als einzige im Lande bleiben und die anderen Völker verjagt werden. Indem das allgemeine Recht oder die Gleichheit für alle Menschen und Nationen verkündet wird, muß vielmehr das Mittel zu einem harmonischen Miteinander gefunden werden durch die Bildung eines förderativen Staates." 2 5 Karl Marx beurteilte damals die nationalistische Haltung der bürgerlichliberalen Vertreter der einzelnen Nationalitäten in der habsburgischen Monarchie wie folgt: „Das Geheimnis der Langlebigkeit des österreichischen Reiches ist gerade dieser provinzielle Egoismus, der jedes Volk mit der Illusion blendet, es könne seine Freiheit erringen, wenn es die Unabhängigkeit des anderen Volkes opfere." 28 Zu dem Zeitpunkt, als in Mittel-, Ost- und Südosteuropa die Erhebung der unterdrückten Nationalitäten für Unabhängigkeit und der Sturz des feudalen Absolutismus auf der Tagesordnung der gesellschaftlichen Aus25 Ebenda, vol. II, S. 281: „Problomul de dezlegat in Ardeal era si este nu cum vor face rominii, ungurii, sasii si säcuii ca sä rämiie numai ei singuri intr-acea tarä si sa goneascä pe celelalte popoare, ci, proclamind dreptul comun sau egalitatea pentru individe si nationalitä^i, sä caute mijlocul de a armoniza impreuna alcatuind un stat federativ." 26 Die Note Reschid Paschas — Eine italienische Zeitung über die orientalische Frage. New York Daily Tribüne Nr. 4068 vom 2. Mai 1854, in: MEW, Bd. 10, S. 203. 9»
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einandersetzungen standen, mußten die damals von den Anarchisten erhobenen Forderungen einer vom Prinzip des Individualismus bestimmten Neugliederung nationaler Verbände und die baldige Erwartung einer durch die Liquidierung des Staates hervorgerufenen klassenlosen Gesellschaft nicht nur als pseudorevolutionäre Gebärde erscheinen, sondern auch den konkreten politischen Kampf mit dem Ziel einer bürgerlich-demokratischen Revolution lähmen. 27 Da es unter den im Exil befindlichen rumänischen Revolutionären auch einen von Proudhon inspirierten linksextremistischen Flügel gab 28 , hatte sich Bälcescu auch mit ihnen auseinanderzusetzen. Auf der einen Seite rügte er die Inkonsequenz der kompromißlerischen Liberalen, auf der anderen Seite t r a t er jenen Radikalen entgegen, die völlig abstrakt, von nebulösem Wunschdenken beherrscht, die politische Situation in Rumänien beurteilten. Bälcescu bezog in diesen Auseinandersetzungen eine Position, die den historisch-gesellschaftlichen Bedingungen und Möglichkeiten in seinem Lande entsprach und sowohl von der Weite seines gesellschaftspolitischen Denkens Zeugnis ablegt als auch von seinem sicheren Blick für gesellschaftliche Realitäten. Zum Schluß sei noch kurz eine Frage aufgeworfen, die in der rumänischen Geschichts- und Literaturwissenschaft immer wieder gestellt und recht unterschiedlich, ja geradezu konträr beantwortet worden ist: I n welchem Maße wurden bedeutende rumänische Dichter und Denker des vergangenen Jahrhunderts, die wie viele Angehörige der jungen rumänischen Intelligenz in Westeuropa, speziell in Frankreich, studierten, von den dortigen ideologischen und literarischen Strömungen in ihrer Gedankenwelt oder in ihrem künstlerischen Schaffen beeinflußt? Während einige positivistisch eingestellte Forscher anhand zahlreicher Übereinstimmungen eine mechanistische Einflußtheorie entwickelten, war für andere Gelehrte allein die Berücksichtigung dieses Umstands mit dem Stigma des Kosmopolitismus behaftet. Wir meinen, daß diese Anregungen und Impulse von außen nicht negiert werden dürfen. Es hängt dabei indessen von der inneren Entwicklung eines Landes ab, inwieweit und in welchem Umfang es dabei zu einer Rezeption im Sinne eines schöpferischen Prozesses kommt. 27 Vgl. W . Krauss, Marx u n d Engels in ihrer Stellungnahme zur nationalen Frage, i n : Zeitschrift f ü r Philosophie I I I (1954), S. 603. 28 Vgl. hierzu D. Popovici, „ S a n t a C e t a t e " intre utopie si poezie, Bucuresti 1935, S. 72ff. Aufschlußreich ist auch ein Brief an I . Ghica v o m 26. 10. 1850, in d e m Bälcescu die anarchistische Position von C. A. Rosseti angreift. S. Opere (Ed. Zane), vol. IV, S. 338/399.
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Ohne Zweifel war Bälcescus Denken in einigen Grundanschauungen vornehmlich Jules Michelet 29 und Giuseppe Mazzini 30 verpflichtet, jenen linksbürgerlich orientierten Republikanern, die mit ihren politischen Ideen über ihre Länder hinauswirkten. Den jungen rumänischen Revolutionär beeindruckte bei Michelet nachhaltig der enthusiastisch propagierte Volksbegriff 31 . Michelet, der von sich behauptet: je suis né peuple, j'avais le peuple dans le cœur 3 -, suchte das Volk als Träger der Geschichte zu fassen, und begriff sich als dessen Anwalt. Er schenkte dem Volk uneingeschränktes Vertrauen. Die Volksweisheit, der „instinct populaire", war seines Erachtens untrüglich. Auch Michelets Geschichtskonzeption, wonach sich der Sinn der Geschichte im Portschritt zur Humanität manifestierte und jede Nation nur durch die Entfaltung ihrer Eigenheiten zur universellen Harmonie der Menschheit beizutragen vermöge, fanden in Bälcescus Schriften ihren Niederschlag. I n ähnlicher Weise war auch von Mazzini die nationale Emanzipation geschichtsphilosophisch artikuliert worden. 33 Seine Folgerungen besagten, daß die Nation zwar der Menschheit untergeordnet sei, sich aber nur durch die freie, ungehemmte Entwicklung jeder Nation eine reale Voraussetzung f ü r die Verwirklichung der allgemeinen Mission der Menschheit ergäbe. Mazzini, in dem Bälcescu den bedeutendsten Revolutionär seiner Zeit erblickte3'», stand bei den fortschrittlich gesinnten bürgerlichen Kreisen Europas in dem Ruf eines Apostels der revolutionären Verschwörung. Seine Losung „Pensiero e Azione" beinhaltete, durch politische Agitation und durch in Geheimbünden vorbereitete Aufstände die an der Macht befindlichen Regierungen zu stürzen. Er selbst stellte sich an die Spitze solcher auf die Schaffung einer einheitlichen italienischen Republik ab29 Vgl. I. Breazu, Michelet si românii. Studii de literatuiä comparata, Cluj 1935 (Kap. V I : Michelet si Bälcescu, S. lOlff.). 30 Vgl. A. Baiaci, Legäturile lui Nicolae Bälcescu cu Giuseppe Mazzini si Italia, in: Studii italiene I, Bucuresti 1958, S. 357—379. 31 Vgl. Oeuvres complètes, 40 Bde, Paris 1893—1898, besonders Le peuple, Paris 1846 sowie P. Viallaneix, La Voie royale. Essai sur l'idée de peuple dans l'œuvre de Michelet, Paris 1959; W. Alff, Michelets Ideen, Genève/ Paris 1966. 32 Nos fils, Paris (1869), S. 300. 33 Vgl. Scritti editi ed inediti, 100 Bde, Imola 1906-1943 sowie O. Vossler, Mazzinis politisches Denken und Wollen in den geistigen Strömungen seiner Zeit, München/Berlin 1927 und Der Nationalgedanke von Rousseau bis Ranke, München/Berlin 1937. 34 Vgl. Opere (Ed. Zane), vol. IV, S. 307 (Brief an A. Zane vom 16. 6. 1850).
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zielenden Aktionen. Ständig von der Geheimpolizei der verschiedenen italienischen Staatsregierungen verfolgt, wurde er schon zu seinen Lebzeiten eine legendäre Gestalt. Bälcescu fühlte sich überdies besonders von der Forderung Mazzinis angesprochen, daß ein revolutionäres Volk seine Ziele nur mit eigener K r a f t erreichen könne und sich niemals auf die Hilfe fremder Völker oder auf die Versprechungen der eigenen Regierung verlassen sollte. Die hier erwähnten politischen und geschieh tsphilosopliischen Anschauungen Michelets und Mazzinis weisen trotz aller fortschrittlichen Aspekte typische Züge eines kleinbürgerlichen Fraternisierens und bei allem Antiklerikalismus eine religiös gefärbte idealistische Geschichtskonzeption auf. Dabei dominiert ein ziemlich konturenloses humanitäres Sendungsbewußtsein. Obgleich der Volksbegriff bei Miclielet in erster Linie die Unterdrückten, die werktätigen Massen einschloß, blieben die Tatsachen des Klassenkampfes innerhalb der bürgerlichen Nation ebenso unberücksichtigt wie die sozialökonomischen Probleme. Karl Marx und Friedrich Engels nahmen zwar nicht speziell zu Michelets Werken Stellung, doch erkannten sie sofort im politischen Tageskampf, welche gefährliche Wirkung auf die Formierung der proletarischen Kräfte im Klassenkampf von kleinbürgerlichen Auffassungen ausgehen konnte, die auf recht vagen Ideen einer allgemeinen Brüderlichkeit und einer universalen Gerechtigkeit basierten und keinen wirklich konkreten Bezug auf die realen gesellschaftlichen Widersprüche und Spannungen boten. Aus diesem Grunde setzten sie sich konsequent mit allen kleinbürgerlichen Varianten der Demokratie auseinander, und in Sonderheit analysierten sie kritisch die Anschauungen und das Verhalten jener bürgerlich demokratischen Linken, die auf Initiative Mazzinis im Juni 1850 den Zentralausschuß der Europäischen Demokratie in London gründeten, der sich bereits 1852 auf Grund der zahlreichen Zwistigkeiten unter den einzelnen Emigrantengruppen wieder auflöste. Mazzini und seinen Anhängern warfen Marx und Engels vor, revolutionäre Erhebungen zu inszenieren, ohne auf die realen ökonomischen und politischen Verhältnisse gebührend Rücksicht zu nehmen und ohne über ein echtes politisches Programm nach der Revolution zu verfügen. Der revolutionäre Akt war für sie die Hauptsache und wurde dadurch vielfach zum Putsch degradiert. 35 Weiterhin be35 Vgl. MEW, Bd. 7, S. 461: „Ihre Vorstellungen von gesellschaftlichen Organisationen sind sehr frappant wiedergegeben: ein Zusammenlauf auf der Straße, ein Krawall, ein Händedruck, und alles ist fertig. Die Revolution besteht für sie überhaupt bloß im Sturz der bestehenden Regierung; ist dies Ziel erreicht, so ist ,der Sieg' errungen."
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mangelten sie, daß Mazzini in seinen revolutionären Bemühungen ausschließlich an die städtischen Schichten Italiens appellierte, jedoch für die Probleme der zum Teil noch unter feudalen Bedingungen lebenden Bauern kein Interesse aufbrachte 31 ' und diese so völlig der konterrevolutionären Propaganda auslieferte. Bälcescu operierte und argumentierte zwar mit Losungen und Anschauungen, wie sie Mazzini und Michelet vorbrachten, doch verlor er dabei nie die soziale Frage in seinem Land aus den Augen. Ganz im Gegensatz zu Mazzini galt seine besondere Aufmerksamkeit der bäuerlichen Bevölkerung. Dadurch erhielten seine Ausführungen stets eine konkrete politische Bezogenheit. Wie aus zwei Briefen von ihm hervorgeht 37 , lehrten ihn seine eigenen revolutionären Erfahrungen, daß den vom Zentralausschuß der Europäischen Demokratie unternommenen Bemühungen kein Erfolg beschieden sein konnte, da sie zu farblos waren und nicht genügend auf die realen gesellschaftlichen Bedingungen des jeweiligen Landes Rücksicht nahmen. I n der gesellschaftlichen Entwicklung Europas um die Mitte des 19. Jahrhunderts zeigte sich vom Westen nach Südosten ein Gefälle, das uns für die Einschätzung der revolutionären Bestrebungen Bälcescus wichtig erscheint. Während beispielsweise in Frankreich die fortgeschrittensten politisch-ideologischen Einsichten nur von der Position des Proletariats her zu formulieren waren, ergab sich damals für Rumänien als fortgeschrittenste Konsequenz, dem Stand der gesellschaftlichen Entwicklung gemäß, die völlige Beseitigung des Feudalismus und die Formierung eines Nationalstaates. Indem Bälcescu kompromißlos dafür eintrat und dies ideologisch allseitig begründen half, war es ihm objektiv auch in der historischen Tragweite möglich, seine bürgerlich-demokratischen Zeit- und Gesinnungsgenossen in Westeuropa zu übertreffen. Von ihnen empfing er zwar manche Impulse und Argumente, doch da er sie schöpferisch in seine Überlegungen über die konkrete geschichtlich-gesellschaftliche Situation seines 36 Vgl. MEW, Bd. 8, S. 549: „Die Partei Mazzinis ist ein gutes Stück weitergekommen, indem sie endlich zur Überzeugung gelangt ist, selbst bei nationalen Erhebungen gegen fremden Despotismus gäbe es solch ein Ding wie Klassenunterschiede, und es seien nicht die oberen Klassen, von denen man in unserer Zeit revolutionäre Bewegungen erwarten dürfe. Vielleicht werden sie sich ernstlich mit der materiellen Lage des italienischen Landvolkes beschäftigen müssen, wenn sie ein Echo auf ihren Ruf ,Dio e popolo' erwecken wollen." 37 Opere (Ed. Zane), t. IV, S. 336 und 347 (Briefe an I. Ghica vom 16. 10. und 26. 11. 1850).
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Landes einbezog, sie ummünzte und modifizierte, erhielten sie angesichts der erforderlichen Liquidierung des Feudalsystems in Rumänien eine historische Reichweite und Stoßkraft, die von unseren geschichtlichen Erfahrungen aus den Ideen und Bestrebungen Michelets oder Mazzinis nicht im gleichen Maße zuerkannt werden können. Bälcescu gewann die Einsicht, daß es ohne eine radikale Veränderung der bestehenden sozialen Struktur auch keine Lösung der nationalen Frage geben konnte. Zugleich trachtete er in seinem Denken und Handeln nach einer Entschärfung der hochexplosiven Nationalitätenfrage. Die innere Konsequenz dieser Bestrebungen konnte in den wissenschaftlichen Sozialismus einmünden, der erstmals eine heute in den sozialistischen Ländern verwirklichte, echte Lösung geboten hat.
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