Nichtigkeit und Personenschutz: Parteibezogene Einschränkung der Nichtigkeit von Rechtsgeschäften [1 ed.] 3161469828, 9783161578694, 9783161469824

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German Pages [505] Year 1998

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Table of contents :
Cover
Titel
Vorwort
Inhaltsübersicht
Inhaltsverzeichnis
Abkürzungsverzeichnis
Allgemeiner Teil
Kapitel 1: Einleitung
A) Problemstellung
I. Reduzierungen der Nichtigkeitswirkung in materieller Hinsicht
II. Relativierungen der Nichtigkeit in personaler Hinsicht?
B) Gang der Untersuchung
Kapitel 2: Zur Terminologie fehlerhafter Rechtsgeschäfte und ihrem inhaltlichen Zusammenhang
A) „Nicht-Rechtsgeschäfte“ und fehlerhafte Rechtsgeschäfte
B) Das Verhältnis der Begriffe Unwirksamkeit und Nichtigkeit zueinander
I. Nichtigkeit und Unwirksamkeit als Synonyma
II. Unwirksamkeit als Beschreibung der Rechtsfolge nichtiger Rechtsgeschäfte
III. Unwirksamkeit als Genus proximum
IV. Inhaltliche Differenzierung zwischen Nichtigkeit und Unwirksamkeit
C) Stellungnahme und Festlegung der in dieser Untersuchung verwendeten Terminologie
Kapitel 3: Die grundsätzlichen Rechtsfolgen der Nichtigkeit nach dem herkömmlichen Standpunkt der herrschenden Meinung
A) Grundsätzliche Nichtgeltung der beabsichtigten Rechtsfolgen
B) Heilungsmöglichkeiten
C) Von Amts wegen zu berücksichtigende ipso-iure-Wirkung
D) Berufung auf Nichtigkeit
E) Ausblick auf den weiteren Gang der Untersuchung
Kapitel 4: Geschichtliche Aspekte personalistisch orientierter Rechtsfolgen von Ungültigkeitsnormen unter besonderer Berücksichtigung der Entstehungsgeschichte des BGB
A) Differenzierte Ungültigkeitssanktionen im römischen Recht
I. Differenzierte Ungültigkeitsfolgen am Beispiel der Behandlung von Rechtsgeschäften Minderjähriger
II. Ungültigkeit nach ius civile und nach ius honorarium
III. Ipso iure eintretende Ungültigkeit
IV. Modifizierte Ungültigkeitsfolgen bei leges perfectae und leges imperfectae
V. Weitere Beispiele modifizierter Ungültigkeit
VI. Zwischenergebnis
VII. Überblick über die weitere Entwicklung
B) Modifikationen der Ungültigkeit in Kodifikationen, Gesetzesentwürfen und Einzelgesetzen der neueren Privatrechtsgeschichte
I. Württembergisches Landrecht von 1555
II. Codex Maximilianeus Bavaricus civilis von 1756
III. Ungültigkeitsbegriffe im Preußischen Allgemeinen Landrecht
IV. Der Hessische Entwurf
V. Der Bayerische Entwurf von 1861/1864
VI. Sächsisches Bürgerliches Gesetzbuch von 1863/1865
VII. Der Dresdener Entwurf von 1866
VIII. Preußische Gesetze
IX. Einzelne Reichsgesetze
X. Zusammenfassung
C) Die Lehre Savignys
D) Das Verständnis von der relativen Nichtigkeit im 19. Jahrhundert
I. Grundsätzliche Anerkennung einer relativen Nichtigkeit
1. Einleitung
2. Relative Nichtigkeit als eigenständige Ungültigkeitsart
3. Relative Nichtigkeit als Fall der Konvaleszenz
4. Relative Nichtigkeit als „schwebende Ungültigkeit“
5. Relative Nichtigkeit als Synonym für „Anfechtbarkeit“
6. Relative Nichtigkeit als „personale Teilunwirksamkeit“
II. Generelle Ablehnung einer relativen Nichtigkeit
III. Anwendungsfälle der relativen Nichtigkeit
1. Intercession einer Frau
2. Simulierte Rechtsgeschäfte
3. Negotia claudicantia
4. Eigenschaftsirrtum
5. Erzwungene oder durch Betrug veranlaßte Rechtsgeschäfte
6. Wucherische Rechtsgeschäfte
7. Pflichtteilsrecht
8. Veräußerung des fundus dotalis
9. Verstoß gegen die lex Falcidia
10. Verstoß gegen die lex Aelia Sentia
11. § 6 Abs. 1 Reichskonkursordnung
IV. Zwischenergebnis
E) Entstehungsgeschichte des BGB
I. Keine ausdrückliche Anerkennung einer eigenständigen relativen Nichtigkeit
II. Differenzierungen zwischen Allgemeininteressen und Individualinteressen schützenden Ungültigkeitsnormen in der Vorlage Gebhards zum Allgemeinen Teil aus dem Jahre 1875
III. Differenzierung zwischen Nichtigkeit und Anfechtbarkeit
IV. Aufrechterhaltung der Differenzierung zwischen Allgemeininteressen und Individualinteressen schützenden Ungültigkeitsnormen
1. Grundsätzliches
2. Behandlung von Veräußerungsverboten
3. Behandlung von Verbotsgesetzen
4. Behandlung der Rechtsgeschäfte Minderjähriger
5. Weitere Indizien für die Relevanz der Differenzierung zwischen Allgemeininteressen und Individualinteressen schützenden Ungültigkeitsgründen
F) Resümee
Kapitel 5: Personalistisch orientierte Relativierung der Nichtigkeitsfolgen in ausländischen Rechtsordnungen
A) Personalistisch orientierte Relativierung der Nichtigkeitsfolgen nach österreichischem Zivilrecht
I. Allgemeines
II. Schutzzweckorientierte Tendenzen im Bereich der Irrtumslehre
III. Die Normierung der laesio enormis in § 934 ABGB
IV. Relative Nichtigkeit als Rechtsfolge der Nichtigkeit im Rahmen des § 879 ABGB
1. Grundsätzliche Anerkennung der relativen Nichtigkeit
2. Eintrittsweise und Wirkung der relativen Nichtigkeit
3. Anwendungsfälle der relativen Nichtigkeit
a) Wucher
b) Sittenwidrigkeit
c) Allgemeine Geschäftsbedingungen
d) Verbotsgesetze
V. Zwischenergebnis
B) Personalistisch orientierte Relativierung der Nichtigkeitsfolgen nach schweizerischem Zivilrecht
I. Prinzip der absoluten Nichtigkeitswirkung
II. Tendenzen einer personalistisch orientierten Wirkung der Nichtigkeit
1. Relativierte Geltung der Teilnichtigkeit
2. Die Lehre Buchers von der Berücksichtigung des Normzwecks
III. Zwischenergebnis
C) Personalistisch orientierte Relativierung der Nichtigkeitsfolgen nach französischem Zivilrecht
I. Allgemeines
II. Differenzierungsmerkmale zwischen nullité absolue und nullité relative
III. Auswirkungen der Unterscheidung zwischen nullité absolue und nullité relative
1. Befugnis, die nullité geltend zu machen
2. Bestätigung des nichtigen Rechtsgeschäfts
3. Verjährung der Nichtigkeitsklage
IV. Folgen der nullité absolue und nullité relative nach ihrer Geltendmachung
V. Anwendungsfälle der nullité relative
1. Irrtum
2. Geschäftsunfähigkeit
3. Übervorteilung
4. Formvorschriften
5. Erwerbsverbote
6. Ordre public
VI. Zwischenergebnis
D) Personalistisch orientierte Relativierung der Nichtigkeitsfolgen nach englischem Zivilrecht
I. Differenzierung zwischen void und voidable contracts
II. Beispiele für voidable contracts
III. Beispiele für void contracts und deren schutzzweckorientierte Behandlung
1. Mistakes
2. Illegal contracts
E) Zwischenergebnis
Kapitel 6: Grundsätzliche Zulässigkeit der Differenzierung zwischen Nichtigkeitsvorschriften, die allgemeine Interessen schützen, und solchen, die Individualinteressen schützen
A) Gesetzlich vorhandene Differenzierungsansätze
I. Ausdrückliche zivilgesetzliche Differenzierungen
II. Strafgesetzliche Differenzierungen
III. Differenzierung im öffentlichen Recht
B) Standpunkte in Schrifttum und Rechtsprechung
C) Stellungnahme und Zwischenergebnis
Kapitel 7: Prinzipielle Bedenken gegen die Berücksichtigung personalistisch orientierter Schutzrichtungen von Nichtigkeitsvorschriften mit der Folge der einseitigen Disponibilität der Nichtigkeit
A) Gegenargumente
I. Mangelnde gesetzliche Normierung einer personalistisch orientierten Nichtigkeit
II. Systematische Bedenken
III. Keine Aufnahme der gemeinrechtlichen Regel nemo turpitudinem suam allegans auditur in die Nichtigkeitslehre
IV. Unzulässige Geltungsverschaffung des verbotenen Rechtsgeschäfts
V. Ungerechtfertigte Bevorteilung einer Partei
VI. Schwierigkeiten bei der Abgrenzung zwischen Vorschriften, die Individualinteressen schützen, und solchen, die öffentliche Interessen schützen
VII. Ausreichender vorhandener Schutz
1. Bestätigung gemäß § 141 BGB
2. Kondiktionssperre gemäß § 814, 1. Alt. BGB
B) Zwischenergebnis
Kapitel 8: Dogmatische Postamente personalistisch orientierter Rechtsfolgelösungen
A) Zivilrechtliche Rechtsinstrumente im Zusammenhang mit personalistisch orientierten Schutzzwecken
I. Anfechtbarkeit von Willenserklärungen
II. Die Wirkungen der schwebenden Unwirksamkeit
III. Formnichtigkeit und Heilungswirkung der Erfüllung
IV. Der personalistisch orientierte Schutzzweckgedanke halbzwingenden Gesetzesrechts
V. Widerrufs- und Widerspruchsrechte des Verbrauchers
VI. Zwischenergebnis
B) Weitere Belege für die Kohärenz zwischen personalistisch orientiertem Schutzzweck und Rechtsfolge
I. Beispiele aus dem BGB
1. Relative Unwirksamkeit von Verfügungen im Sinne des § 135 BGB
2. Zwischenverfügungen gemäß § 161 BGB
3. Zustimmung zur Verfügung eines Nichtberechtigten gemäß § 185 BGB
4. Vormerkungswidrige Verfügungen gemäß § 883 Abs. 2 BGB
5. Unwirksame Vereinbarungen gemäß § 506 BGB
6. Rechtsfolge eines Kaufverbots gemäß §§ 456 ff. BGB
7. Weitere im BGB normierte Anwendungsfälle personalistisch orientierter Unwirksamkeitsfolgen
II. Beispiele außerhalb des BGB
1. Vollstreckungsrechtliche Regelungen
2. Versicherungsrechtliche Regelungen
3. Handelsrechtliche Regelungen
C) Abstraktionsfähigkeit der Einzelfälle
D) Zusätzliche dogmatische Anhaltspunkte personalistisch orientierter Nichtigkeitswirkungen
I. Das Konkurrenzverhältnis zwischen § 123 und §§ 134, 138 BGB
II. Die Entwicklung der zivilrechtlichen Behandlung von Darlehensgeschäften bei Abschluß im Reisegewerbe
III. Mittelbare schutzzweckorientierte Modifizierungen des Nichtigkeitsbegriffs am Beispiel der Behandlung des Reurechts beim Irrtum und des Doppelverkaufs einer Speziessache
IV. Personalistisch orientierter Schutzzweck bei bereicherungsrechtlicher Rückabwicklung synallagmatischer Rechtsgeschäfte
V. Zivilprozeßrecht und nichtige Rechtsgeschäfte
1. Dispositionsmaxime und nichtige Rechtsgeschäfte
a) Auswirkungen der Dispositionsmaxime im Stadium der Verfahrenseinleitung
b) Auswirkungen der Dispositionsmaxime im laufenden Verfahren
aa) Standpunkt der herrschenden Meinung
bb) Die These Henckels
cc) Stellungnahme
2. Beibringungsmaxime und nichtige Rechtsgeschäfte
3. Beweisrecht
VI. Selbstbestimmungsrecht im Strafrecht
VII. Disponibilität von subjektiv-öffentlichen Rechten
1. Verzicht auf subjektiv-öffentliche Rechte
2. Individuelle Verfügbarkeit über Grundrechtspositionen
E) Sachgerechtigkeit der personalen Relativierung der Nichtigkeit
F) Zwischenergebnis
Kapitel 9: Korrektur der absoluten Nichtigkeitswirkung durch die Rechtsprechung
A) Einschränkungen der Sanktion des § 139 BGB mit Rücksicht auf Treu und Glauben
I. Grundsatz der absoluten Nichtigkeitswirkung
II. Einschränkung der Nichtigkeitswirkung
1. Einschränkung des § 139 BGB im Hinblick auf die Ratio des nichtigen Vertragsteils
2. Einschränkung des § 139 BGB im Hinblick auf die Ratio der Nichtigkeitsnorm
3. Einschränkung des § 139 BGB im Hinblick auf die Bedeutungslosigkeit des nichtigen Vertragsteils
III. Zwischenergebnis
B) Unzulässige Berufung auf die Formnichtigkeit eines Rechtsgeschäfts
C) Unzulässige Berufung auf andere Nichtigkeitsgründe
I. Unzulässige Berufung auf einen Einigungsmangel
II. Unzulässige Berufung auf fehlende Geschäftsfähigkeit bzw. mangelnde vormundschaftsgerichtliche Genehmigung
III. Unzulässige Berufung auf fehlende Vertretungsmacht
IV. Unzulässige Berufung auf fehlende Abtretbarkeit im Sinne des § 399 BGB
V. Unzulässige Berufung auf Tarifwidrigkeit im Transportwesen
VI. Unzulässige Berufung auf die Sittenwidrigkeit eines Rechtsgeschäfts gemäß § 138 BGB
VII. Unzulässige Berufung auf die Verbotswidrigkeit eines Rechtsgeschäfts gemäß § 134 BGB
VIII. Zwischenergebnis
D) Behandlung von Verstößen gegen preisrechtliche Vorschriften
E) Mittelbare Korrektur der absoluten Nichtigkeitswirkung durch das Rechtsinstitut der culpa in contrahendo
F) Beschränkung der Nichtigkeit gemäß § 134 BGB durch das „Aussteuer-Urteil“ des Oberlandesgerichts Stuttgart vom 1.4.1980
G) Zwischenergebnis
Kapitel 10: Tendenzen personalistisch orientierter Modifizierungen der absoluten Nichtigkeit im Schrifttum
A) Grundsätzliche Reduktion der absoluten Nichtigkeit über die Generalklausel des § 242 BGB
B) Die Differenzierung Manigks
C) Der Standpunkt Ulrich Hübners
D) Die Standpunkte Heinbuchs und Westphals
E) Die von Canaris entwickelten Modelle
I. Die These von der halbseitigen Teilnichtigkeit
II. Die These von der schwebenden Unwirksamkeit
III. Zwischenergebnis
F) Buchers Plädoyer „für mehr Aktionendenken“
G) Der Standpunkt Pawlowskis
H) Differenzierung der möglichen Nichtigkeitsfolgen durch Sack
I. Stärkere Berücksichtigung des Normzwecks
II. Analoge Anwendung der Anfechtungsregeln bzw. Annahme schwebender Wirksamkeit
J) Flumes Auffassung vom flexiblen Nichtigkeitsbegriff
K) Damms Vorstellung von Vertragsgerechtigkeit durch Rechtsfolgenbestimmung
L) Ablehnung der absoluten Nichtigkeitswirkung durch Ernst Wolf
M) Heinz Hübners These „zum Abbau von Nichtigkeitsvorschriften“
N) Stellungnahme und Zwischenergebnis
Kapitel 11: Abstrakte Bestimmung einer personalistisch orientierten Nichtigkeit
A) Zusammenfassung der bisherigen Erkenntnisse und Verifizierung der untersuchten These
B) Abstrakte Festlegung der zu modifizierenden Nichtigkeitsnormen
C) Auswirkungen einer personalistisch orientierten Nichtigkeit auf „Übermaß-Fälle“
D) Zur Notwendigkeit der Differenzierung zwischen erfüllten und noch unerfüllten Verträgen
E) Grenzen der einseitigen Disponibilität der zivilrechtlichen Nichtigkeit
I. Gesetzliche Grenzen
1. Strafrechtliche Parallelen, insbesondere gute Sitten
2. Zwingendes Gesetzesrecht
II. Verfassungsmäßige Grenzen
1. Schutz der Menschenwürde
2. Grenzen der allgemeinen Handlungsfreiheit
Besonderer Teil
Kapitel 12: Mögliche Anwendungsfälle personalistisch orientierter Nichtigkeit
A) Verbotsgesetze gemäß § 134 BGB
I. Mietrechtliche Verbotsgesetze
II. Arbeitsrechtliche Verbotsgesetze
1. Bürgerlichrechtliche Verbote
2. Arbeitszeitgesetz
3. Bundesurlaubsgesetz
4. Mutterschutzgesetz
5. Jugendarbeitsschutzgesetz
6. Grundrechte als Verbotsgesetze
III. Gewerberechtliche Verbotsgesetze
1. Genehmigungspflichtigkeit beruflicher und gewerblicher Tätigkeiten
a) Gewerberechtliche Genehmigungserfordernisse
b) Art. 1 § 1 Abs. 1 S. 1 RBeratG
c) § 32 KWG
d) § 5 Abs. 1 VAG
e) § 2 BÄrzteO, § 1 Heilpraktikergesetz
f) § 6 Heimgesetz
g) §§ 7, 12 FernUSG
h) Zwischenergebnis
2. Sonstige gewerberechtliche Gebote und Verbote
a) Personalistisch orientierte gewerberechtliche Vorschriften
b) Öffentliche Interessen schützende gewerberechtliche Vorschriften
3. Zwischenergebnis
IV. Handels- und Gesellschaftsrecht
V. Zwischenergebnis
B) Sittenwidrigkeit gemäß § 138 BGB
I. Grundsatz der absoluten Nichtigkeit
II. Dichotomie sittenwidriger Rechtsgeschäfte
1. Keine Disponibilität bei beiderseitigem sittenwidrigen Handeln
2. Möglichkeiten der Disponibilität bei einseitigem Sittenverstoß
a) Relevanz einer Disponibilität der Sittenwidrigkeit
b) Stellungnahme
C) Weitere Nichtigkeitsvorschriften des BGB
I. § 181 BGB
II. § 135 BGB
III. § 506 BGB
IV. Nichtigkeit von Gewährleistungsausschlüssen
V. Nichtigkeit von Formvorschriften
D) Relativierte Nichtigkeit „nicht gerechtfertigter“ Gestaltungserklärungen
I. Problemstellung
II. Lösung Ramraths
III. Stellungnahme
E) Unwirksamkeit Allgemeiner Geschäftsbedingungen
I. Vorhandene personalistisch orientierte Modifizierungen der Unwirksamkeitssanktion im Recht der Allgemeinen Geschäftsbedingungen
II. Weitergehende personale Relativierung der Unwirksamkeit Allgemeiner Geschäftsbedingungen
III. Auswirkungen auf das Problem der geltungserhaltenden Reduktion
F) Prozeßrechtliche Auswirkungen einer personalen Relativierung der Nichtigkeit
I. Formwidrige Schiedsverträge
1. Grundsätzliche Anwendbarkeit der materiellrechtlichen Unwirksamkeitslehre
2. Gesetzliche Hinweise für eine personale Relativierung
3. Weitergehende Modifizierung
II. Formwidrige Prorogationen
III. Auswirkungen auf die Wirksamkeitsvoraussetzungen von prozessualen „Gestaltungshandlungen“
G) Personalistisch orientierte Nichtigkeit im Kartellrecht
I. Behandlung kartellrechtlicher Folgeverträge
1. Problemstellung
2. Lösungsversuche in Rechtsprechung und Schrifttum
a) Der „Zement-Fall“
b) Der „Spediteurbedingungen-Fall“
c) Der „Brückenbauwerks-Fall“ des Oberlandesgerichts Celle
d) Weitere Stellungnahmen der Rechtsprechung
e) Der Standpunkt im Schrifttum
aa) Standpunkt der älteren Lehre
bb) Der Standpunkt aus heutiger Sicht
3. Personalistisch orientierte Nichtigkeit von Folgeverträgen kartellrechtswidriger Vereinbarungen
a) Zur Annahme absoluter Nichtigkeit von Folgeverträgen
b) Zur Annahme der Wirksamkeit von Folgeverträgen
c) Akzeptanz einer personalistisch orientierten Nichtigkeit von Folgeverträgen
d) Personalistisch orientierte Schutzrichtung des in § 1 GWB statuierten Kartellverbots
aa) Indirekte Hinweise in Literatur und Rechtsprechung
bb) Meinungsstand zur Ratio legis des § 1 GWB
cc) Kartellvertrag und Privatautonomie
4. Zusammenfassung
II. Ausdehnung des erzielten Ergebnisses auf andere kartell- oder wettbewerbsrechtliche Nichtigkeitsnormen
1. Modifizierte Nichtigkeit von Preis- und Konditionenbedingungen gemäß § 15 GWB
2. Modifizierte Nichtigkeit gemäß §§ 20, 21 GWB
3. Vertragsrechtliche Auswirkungen bei Verstößen gegen das Diskriminierungsverbot gemäß § 26 Abs. 2, 3, 4 GWB
III. Auswirkungen auf das europäische Kartellrecht
H) Personalistisch orientierte Nichtigkeit im Bereich des unlauteren Wettbewerbs
I. Problemstellung
II. Die Auswirkungen unlauteren Wettbewerbs auf hiervon beeinflußte Vertragsabschlüsse
1. Der Standpunkt der herrschenden Meinung
a) Grundsatz der Wirksamkeit von Folgeverträgen
b) Abweichende Standpunkte in Rechtsprechung und Schrifttum
2. Wettbewerbswidrige Durchsetzung von Folgeverträgen
III. Personalistisch orientierte Nichtigkeit von Folgeverträgen
IV. Zur personalistisch orientierten Ratio legis der Vorschriften des UWG
J) Zwischenergebnis
Kapitel 13: Rechtliche Ausgestaltung und dogmatische Einordnung des Rechtsinstituts einer personalistisch orientierten Nichtigkeit
A) Problemstellung
B) Möglichkeiten der rechtlichen Einordnung einer personalistisch orientierten Nichtigkeit
I. Entsprechende Anwendung der Anfechtungsregeln gemäß §§ 119 ff., 142 ff. BGB
1. Parallelen zwischen Anfechtbarkeit und hier vorgeschlagener Modifizierung der Nichtigkeit
2. Stellungnahme
II. Zuordnung der personal modifizierten Nichtigkeit zur relativen Unwirksamkeit im Sinne des § 135 BGB
1. Parallelen zwischen relativer Unwirksamkeit und hier vorgeschlagener modifizierter Nichtigkeit
2. Stellungnahme
III. Einordnung des Instituts einer personalistisch orientierten Nichtigkeit als Kündigungs-, Rücktritts- oder Widerrufsrecht
1. Allgemeine Vergleichbarkeit
2. Stellungnahme
a) Zuordnung zum Gestaltungsrecht der Kündigung
b) Zuordnung zum Gestaltungsrecht des Rücktritts
aa) Parallelen
bb) Stellungnahme
c) Zuordnung zum Gestaltungsrecht des Widerrufs
aa) Parallelen
bb) Stellungnahme
IV. Einordnung des Rechtsinstituts einer personalistisch orientierten Nichtigkeit unter das Institut der Teilnichtigkeit gemäß § 139 BGB
V. Entsprechende Anwendung der Heilungsvorschriften
VI. Personalistisch orientierte Nichtigkeit als Folge eines Schadensersatzanspruchs
1. Denkbare Varianten
2. Wirksamkeit des Rechtsgeschäfts bei Zuerkennung eines Schadensersatzanspruchs zugunsten des Verbotsgeschützten
VII. Dogmatische Einkleidung des Rechtsinstituts einer personalen Relativierung der Nichtigkeit als Einwand des unzulässigen bzw. treuwidrigen Rechtsmißbrauchs gemäß § 242 BGB
1. Allgemeines
2. Stellungnahme
VIII. Einordnung der personalistisch orientierten Nichtigkeit unter die Figur der schwebenden Unwirksamkeit
IX. Anerkennung einer Nichtigkeitsart sui generis
1. Terminologische Zulässigkeit einer personalistisch orientierten Nichtigkeit
2. Systematische Bedenken
3. Teleologische Auslegung
4. Rechtstechnische Aspekte
a) Auswirkungen auf die weitere Abwicklung des Rechtsgeschäfts
aa) Auswirkungen im Falle der Berufung auf die Nichtigkeit durch den Geschützten
bb) Auswirkungen im Falle des Festhaltens am Rechtsgeschäft
b) Konkrete rechtstechnische Ausgestaltung
aa) Grundmodelle einer Nichtigkeit sui generis
bb) Dogmatische Bewertung eines Verzichts auf die Geltendmachung der Nichtigkeit
cc) Zu berücksichtigende Umstände und Voraussetzungen
(1) Rechtsnatur
(a) Vergleichbare Rechtshandlungen
(b) Stellungnahme
(2) Weitere Voraussetzungen
(a) Für den Verzicht erforderliche Tatsachen- und Rechtskenntnis
(b) Unwiderruflichkeit des Verzichts
(c) Empfangsbedürftigkeit des Verzichts
(d) Frist für die Geltendmachung
(aa) Denkbare Ansätze
(bb) Stellungnahme
5. Zwischenergebnis
Kapitel 14: Schlußbetrachtung
Literaturverzeichnis
Sachregister
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Nichtigkeit und Personenschutz: Parteibezogene Einschränkung der Nichtigkeit von Rechtsgeschäften [1 ed.]
 3161469828, 9783161578694, 9783161469824

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JUS PRIVATUM Beiträge zum Privatrecht Band 34

A R T I BUS INü.SjEN

Roland Michael Beckmann

Nichtigkeit und Personenschutz Parteibezogene Einschränkung der Nichtigkeit von Rechtsgeschäften

Mohr Siebeck

Als Habilitationsschrift auf Empfehlung der Rechtswissenschaftlichen Fakultät der Universität zu Köln gedruckt mit Unterstützung der Deutschen Forschungsgemeinschaft.

Die Deutsche Bibliothek Beckmann, Roland

CIP-Einheitsaufnahme

Michael:

Nichtigkeit und Personenschutz : parteibezogene Einschränkung der Nichtigkeit von Rechtsgeschäften / Roland Michael Beckmann. - Tübingen : Mohr Siebeck, 1998 (Jus privatum ; Bd. 34) ISBN 3-16-146982-8

978-3-16-157869-4 Unveränderte eBook-Ausgabe 2019

© 1998 J.C.B. Mohr (Paul Siebeck) Tübingen. Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Das Buch wurde von Computersatz Staiger in Pfäffingen aus der Times Antiqua belichtet, von Guide-Druck in Tübingen auf säurefreies Werkdruckpapier der Papierfabrik Niefern gedruckt und von der Großbuchbinderei Heinr. Koch in Tübingen gebunden. ISSN 0941-0503

Vorwort Die Rechtsfolgen zivilrechtlicher Nichtigkeitsvorschriften sind gesetzlich nicht geregelt. Im Falles ihres Eingreifens tritt nach herkömmlicher Auffassung sogenannte absolute Nichtigkeit des betroffenen Rechtsgeschäfts ein: Jedermann kann sich auf die Nichtigkeit des Rechtsgeschäfts berufen und sie ist in einem Rechtsstreit von Amts wegen zu berücksichtigen. Die vorliegende Untersuchung stellt diese absoluten Nichtigkeitswirkungen in Frage. Sie weist nach, daß insbesondere in Fällen, in denen eine Nichtigkeitsnorm nicht den Schutz öffentlicher Interessen bezweckt, sondern auf den Schutz von Individualinteressen, also auf den Schutz bestimmter Personen oder Personengruppen gerichtet ist, die Rechtsfolge der absoluten Nichtigkeit verfehlt ist. In diesen Fällen ist dem geschützten Personenkreis die Berufung auf die Nichtigkeitsvorschrift zur Disposition zu stellen; nicht geschützte Personen dürfen die Nichtigkeit des Rechtsgeschäfts dagegen nicht geltend machen. Die Arbeit war Gegenstand des Habilitationsverfahrens vor der Rechtswissenschaftlichen Fakultät der Universität zu Köln, das ich im Wintersemester 1997/98 erfolgreich abgeschlossen habe. Die Untersuchung befindet sich auf dem Stand von März 1998. Mein besonderer Dank gilt Herrn Professor Dr. Ulrich Hübner, der mich zu der Aufnahme des Habilitationsvorhabens bewegt hat. Er hat das Projekt mit Rat und Tat begleitet und stand mir als Gesprächspartner stets zur Verfügung. Ebenso herzlich bedanke ich mich bei Herrn Professor Dr. Klaus Luig, der die Mühe des Zweitgutachtens auf sich genommen hat. Herzlichen Dank sage ich auch der Rudolf Siedersleben'sche Otto Wolff-Stiftung, Köln, für die Gewährung eines Habilitationsstipendiums, das mir ermöglicht hat, die Arbeit zügig fertigzustellen. Gleichermaßen danke ich der Deutschen Forschungsgemeinschaft für die Gewährung einer Druckkostenunterstützung. Vor allem bedanke ich mich bei meinen Eltern, die mir Ausbildung und Studium ermöglicht haben, und bei meiner Frau Annemarie für ihre ständige Unterstützung und Geduld bei der Fertigstellung der Arbeit. Ihnen und meinen Söhnen Laurenz und Lennart widme ich diese Arbeit. Vorst, im April 1998

Roland Michael Beckmann

Inhaltsübersicht Vorwort

V

Abkürzungsverzeichnis

XXIII

Allgemeiner Teil Kapitel

1: Einleitung

Kapitel

2: Zur Terminologie fehlerhafter Rechtsgeschäfte und ihrem inhaltlichen Z u s a m m e n h a n g

13

3: Die grundsätzlichen Rechtsfolgen der Nichtigkeit nach dem herkömmlichen Standpunkt der herrschenden Meinung

28

4: Geschichtliche Aspekte personalistisch orientierter Rechtsfolgen von Ungültigkeitsnormen unter besonderer Berücksichtigung der Entstehungsgeschichte des B G B

33

5: Personalistisch orientierte Relativierung der Nichtigkeitsfolgen in ausländischen Rechtsordnungen

90

Kapitel Kapitel

Kapitel Kapitel

3

6: Grundsätzliche Zulässigkeit der Differenzierung zwischen Nichtigkeitsvorschriften, die allgemeine Interessen schützen, und solchen, die Individualinteressen schützen

137

7: Prinzipielle Bedenken gegen die Berücksichtigung personalistisch orientierter Schutzrichtungen von Nichtigkeitsvorschriften mit der Folge der einseitigen Disponibilität der Nichtigkeit

146

8: Dogmatische Postamente personalistisch orientierter Rechtsfolgelösungen

158

9: Korrektur der absoluten Nichtigkeitswirkung durch die Rechtsprechung

215

Kapitel 10: Tendenzen personalistisch orientierter Modifizierungen der absoluten Nichtigkeit im Schrifttum

250

Kapitel 11: Abstrakte Bestimmung einer personalistisch orientierten Nichtigkeit

274

Kapitel

Kapitel Kapitel

Vili

Inhaltsübersicht

Besonderer Teil Kapitel 12: M ö g l i c h e A n w e n d u n g s f ä l l e personalistisch orientierter Nichtigkeit

297

Kapitel 13: R e c h t l i c h e A u s g e s t a l t u n g und d o g m a t i s c h e E i n o r d n u n g des Rechtsinstituts einer personalistisch orientierten Nichtigkeit . . Kapitel 14: S c h l u ß b e t r a c h t u n g

401 445

Literaturverzeichnis

451

Sachregister

471

Inhaltsverzeichnis Vorwort

V

Abkürzungsverzeichnis

XXIII

Allgemeiner Teil Kapitel 1: Einleitung

3

A) Problemstellung

3

I. Reduzierungen der Nichtigkeitswirkung in materieller Hinsicht

4

II. Relativierungen der Nichtigkeit in personaler Hinsicht?

5

B) Gang der Untersuchung

11

Kapitel 2: Zur Terminologie fehlerhafter Rechtsgeschäfte und ihrem inhaltlichen Zusammenhang

13

A) „Nicht-Rechtsgeschäfte" und fehlerhafte Rechtsgeschäfte

14

B) Das Verhältnis der Begriffe Unwirksamkeit und Nichtigkeit zueinander

16

I. Nichtigkeit und Unwirksamkeit als Synonyma II. Unwirksamkeit als Beschreibung der Rechtsfolge nichtiger Rechtsgeschäfte

17 17

III. Unwirksamkeit als Genus proximum

17

IV. Inhaltliche Differenzierung zwischen Nichtigkeit und Unwirksamkeit

19

C) Stellungnahme und Festlegung der in dieser Untersuchung verwendeten Terminologie

21

X

Inhaltsverzeichnis

Kapitel 3: D i e g r u n d s ä t z l i c h e n R e c h t s f o l g e n der N i c h t i g k e i t n a c h d e m h e r k ö m m l i c h e n S t a n d p u n k t der h e r r s c h e n d e n Meinung

28

A) Grundsätzliche Nichtgeltung der beabsichtigten Rechtsfolgen

28

B) Heilungsmöglichkeiten

29

C) Von Amts wegen zu berücksichtigende ipso-iure-Wirkung

29

D) Berufung auf Nichtigkeit

30

E) Ausblick auf den weiteren Gang der Untersuchung

32

Kapitel 4: G e s c h i c h t l i c h e A s p e k t e p e r s o n a l i s t i s c h orientierter R e c h t s f o l g e n von U n g ü l t i g k e i t s n o r m e n unter b e s o n d e r e r B e r ü c k s i c h t i g u n g der E n t s t e h u n g s g e s c h i c h t e des B G B . . .

33

A) Differenzierte Ungültigkeitssanktionen im römischen Recht

33

I. Differenzierte Ungültigkeitsfolgen am Beispiel der Behandlung von Rechtsgeschäften Minderjähriger

34

II. Ungültigkeit nach ius civile und nach ius honorarium III. Ipso iure eintretende Ungültigkeit IV. Modifizierte Ungültigkeitsfolgen bei leges

36 37

perfectae

und leges imperfectae V. Weitere Beispiele modifizierter Ungültigkeit VI. Zwischenergebnis VII. Überblick über die weitere Entwicklung B) Modifikationen der Ungültigkeit in Kodifikationen, Gesetzesentwürfen und Einzelgesetzen der neueren Privatrechtsgeschichte . . . I. Württembergisches Landrecht von 1555 II. Codex Maximilianeus Bavaricus civilis von 1756

40 41 45 46 47 47 48

III. Ungültigkeitsbegriffe im Preußischen Allgemeinen Landrecht . . . .

49

IV. Der Hessische Entwurf

51

V. Der Bayerische Entwurf von 1861/1864 VI. Sächsisches Bürgerliches Gesetzbuch von 1863/1865 VII. Der Dresdener Entwurf von 1866 VIII. Preußische Gesetze IX. Einzelne Reichsgesetze X. Zusammenfassung C) Die Lehre Savignys

52 53 54 55 56 56 57

Inhaltsverzeichnis D ) D a s V e r s t ä n d n i s v o n d e r r e l a t i v e n N i c h t i g k e i t im 19. J a h r h u n d e r t . . . I. Grundsätzliche Anerkennung einer relativen Nichtigkeit 1. 2. 3. 4. 5. 6.

Einleitung Relative Nichtigkeit Relative Nichtigkeit Relative Nichtigkeit Relative Nichtigkeit Relative Nichtigkeit

als als als als als

eigenständige Ungültigkeitsart Fall der Konvaleszenz „schwebende Ungültigkeit" Synonym für „Anfechtbarkeit" „personale Teilunwirksamkeit"

II. Generelle Ablehnung einer relativen Nichtigkeit III. Anwendungsfälle der relativen Nichtigkeit 1. 2. 3. 4. 5. 6. 7. 8. 9. 10. 11.

Intercession einer Frau Simulierte Rechtsgeschäfte Negotia claudicantia Eigenschaftsirrtum Erzwungene oder durch Betrug veranlaßte Rechtsgeschäfte Wucherische Rechtsgeschäfte Pflichtteilsrecht Veräußerung des fundus dotalis Verstoß gegen die lex Falcidia Verstoß gegen die lex Aelia Sentia § 6 Abs. 1 Reichskonkursordnung

IV. Zwischenergebnis E) E n t s t e h u n g s g e s c h i c h t e d e s B G B

XI 59 59 59 60 61 62 63 64 64 65 65 66 66 67 68 68 69 69 70 70 70 71 72

I. Keine ausdrückliche Anerkennung einer eigenständigen relativen Nichtigkeit

73

II. Differenzierungen zwischen Allgemeininteressen und Individualinteressen schützenden Ungültigkeitsnormen in der Vorlage Gebhards zum Allgemeinen Teil aus dem Jahre 1875

74

III. Differenzierung zwischen Nichtigkeit und Anfechtbarkeit

74

IV. Aufrechterhaltung der Differenzierung zwischen Allgemeininteressen und Individualinteressen schützenden Ungültigkeitsnormen

77

1. 2. 3. 4. 5.

Grundsätzliches Behandlung von Veräußerungsverboten Behandlung von Verbotsgesetzen Behandlung der Rechtsgeschäfte Minderjähriger Weitere Indizien für die Relevanz der Differenzierung zwischen Allgemeininteressen und Individualinteressen schützenden Ungültigkeitsgründen

F) R e s ü m e e

77 78 79 82

83 85

XII

Inhaltsverzeichnis

Kapitel 5: Personalistisch orientierte Relativierung der Nichtigkeitsfolgen in ausländischen Rechtsordnungen

90

A) Personalistisch orientierte Relativierung der Nichtigkeitsfolgen nach österreichischem Zivilrecht

90

I. Allgemeines

90

II. Schutzzweckorientierte Tendenzen im Bereich der Irrtumslehre

92

III. Die Normierung der laesio enormis in § 934 ABGB

93

IV. Relative Nichtigkeit als Rechtsfolge der Nichtigkeit im Rahmen des § 879 ABGB

94

1. Grundsätzliche Anerkennung der relativen Nichtigkeit 2. Eintrittsweise und Wirkung der relativen Nichtigkeit 3. Anwendungsfälle der relativen Nichtigkeit a) b) c) d)

Wucher Sittenwidrigkeit Allgemeine Geschäftsbedingungen Verbotsgesetze

94 95 97 97 99 99 101

V. Zwischenergebnis

105

B) Personalistisch orientierte Relativierung der Nichtigkeitsfolgen nach schweizerischem Zivilrecht

105

I. Prinzip der absoluten Nichtigkeitswirkung

105

II. Tendenzen einer personalistisch orientierten Wirkung der Nichtigkeit

106

1. Relativierte Geltung der Teilnichtigkeit 2. Die Lehre Buchers von der Berücksichtigung des Normzwecks

107 108

III. Zwischenergebnis

110

C) Personalistisch orientierte Relativierung der Nichtigkeitsfolgen nach französischem Zivilrecht

111

I. Allgemeines II. Differenzierungsmerkmale zwischen nullité und nullité relative

111 absolue

III. Auswirkungen der Unterscheidung zwischen nullité und nullité relative

112 absolue

1. Befugnis, die nullité geltend zu machen 2. Bestätigung des nichtigen Rechtsgeschäfts 3. Verjährung der Nichtigkeitsklage IV. Folgen der nullité absolue und nullité relative nach ihrer Geltendmachung

113. 113 113 114 115

Inhaltsverzeichnis V. Anwendungsfälle der nullité relative 1. 2. 3. 4. 5. 6.

Irrtum Geschäftsunfähigkeit Übervorteilung Formvorschriften Erwerbsverbote Ordre public

VI. Zwischenergebnis

XIII 115 115 116 117 117 119 119 123

D) Personalistisch orientierte Relativierung der Nichtigkeitsfolgen nach englischem Zivilrecht

124

I. Differenzierung zwischen void und voidable contracts

124

II. Beispiele für voidable contracts III. Beispiele für void contracts und deren schutzzweckorientierte Behandlung 1. Mistakes 2. Illegal contracts

E) Zwischenergebnis

125 127 127 129

134

Kapitel 6: Grundsätzliche Zulässigkeit der Differenzierung zwischen Nichtigkeitsvorschriften, die allgemeine Interessen schützen, und solchen, die Individualinteressen schützen 137 A) Gesetzlich vorhandene Differenzierungsansätze I. Ausdrückliche zivilgesetzliche Differenzierungen II. Strafgesetzliche Differenzierungen

138 138 139

III. Differenzierung im öffentlichen Recht

141

B) Standpunkte in Schrifttum und Rechtsprechung

142

C) Stellungnahme und Zwischenergebnis

144

Kapitel 7: Prinzipielle Bedenken gegen die Berücksichtigung personalistisch orientierter Schutzrichtungen von Nichtigkeitsvorschriften mit der Folge der einseitigen Disponibilität der Nichtigkeit

146

A) Gegenargumente

146

I. Mangelnde gesetzliche Normierung einer personalistisch orientierten Nichtigkeit II. Systematische Bedenken

146 148

XIV

Inhaltsverzeichnis

III. Keine Aufnahme der gemeinrechtlichen Regel nemo suam allegans auditur in die Nichtigkeitslehre

turpitudinem

IV. Unzulässige Geltungsverschaffung des verbotenen Rechtsgeschäfts V. Ungerechtfertigte Bevorteilung einer Partei VI. Schwierigkeiten bei der Abgrenzung zwischen Vorschriften, die Individualinteressen schützen, und solchen, die öffentliche Interessen schützen VII. Ausreichender vorhandener Schutz 1. Bestätigung gemäß § 141 BGB 2. Kondiktionssperre gemäß § 814, 1. Alt. BGB B) Zwischenergebnis

149 150 152

153 155 155 156 157

Kapitel 8: Dogmatische Postamente personalistisch orientierter Rechtsfolgelösungen A) Zivilrechtliche Rechtsinstrumente im Z u s a m m e n h a n g mit personalistisch orientierten Schutzzwecken I. Anfechtbarkeit von Willenserklärungen II. Die Wirkungen der schwebenden Unwirksamkeit

158 158 158 162

III. Formnichtigkeit und Heilungswirkung der Erfüllung

164

IV. Der personalistisch orientierte Schutzzweckgedanke halbzwingenden Gesetzesrechts

165

V. Widerrufs- und Widerspruchsrechte des Verbrauchers VI. Zwischenergebnis B) Weitere Belege für die Kohärenz zwischen personalistisch orientiertem Schutzzweck und Rechtsfolge I. Beispiele aus dem BGB 1. Relative Unwirksamkeit von Verfügungen im Sinne des §135 BGB 2. Zwischenverfügungen gemäß § 161 BGB 3. Zustimmung zur Verfügung eines Nichtberechtigten gemäß §185 BGB 4. Vormerkungswidrige Verfügungen gemäß § 883 Abs. 2 BGB 5. Unwirksame Vereinbarungen gemäß § 506 BGB 6. Rechtsfolge eines Kaufverbots gemäß §§ 456 ff. BGB 7. Weitere im BGB normierte Anwendungsfälle personalistisch orientierter Unwirksamkeitsfolgen II. Beispiele außerhalb des BGB

167 171 172 172 172 179 179 180 180 182 183 185

Inhaltsverzeichnis

XV

1. Vollstreckungsrechtliche Regelungen 2. Versicherungsrechtliche Regelungen 3. Handelsrechtliche Regelungen

185 186 187

C) Abstraktionsfähigkeit der Einzelfälle

188

D) Zusätzliche dogmatische Anhaltspunkte personalistisch orientierter Nichtigkeitswirkungen I. D a s K o n k u r r e n z v e r h ä l t n i s zwischen § 123 u n d §§ 134, 138 B G B II. Die E n t w i c k l u n g der zivilrechtlichen B e h a n d l u n g von D a r l e h e n s g e s c h ä f t e n bei A b s c h l u ß im R e i s e g e w e r b e

189 189 192

III. Mittelbare schutzzweckorientierte M o d i f i z i e r u n g e n des N i c h t i g k e i t s b e g r i f f s am Beispiel der B e h a n d l u n g d e s R e u r e c h t s beim Irrtum u n d des D o p p e l Verkaufs einer S p e z i e s s a c h e

194

IV. Personalistisch orientierter S c h u t z z w e c k bei b e r e i c h e r u n g s rechtlicher R ü c k a b w i c k l u n g synallagmatischer R e c h t s g e s c h ä f t e . .

197

V. Z i v i l p r o z e ß r e c h t und nichtige R e c h t s g e s c h ä f t e 1. Dispositionsmaxime und nichtige Rechtsgeschäfte a) Auswirkungen der Dispositionsmaxime im Stadium der Verfahrenseinleitung b) Auswirkungen der Dispositionsmaxime im laufenden Verfahren aa) Standpunkt der herrschenden Meinung bb) Die These Henckels cc) Stellungnahme 2. Beibringungsmaxime und nichtige Rechtsgeschäfte 3. Beweisrecht VI. S e l b s t b e s t i m m u n g s r e c h t im Strafrecht VII. Disponibilität von s u b j e k t i v - ö f f e n t l i c h e n R e c h t e n

198 198 198 200 201 203 204 206 208 208 208

1. Verzicht auf subjektiv-öffentliche Rechte

209

2. Individuelle Verfügbarkeit über Grundrechtspositionen

209

E) Sachgerechtigkeit der personalen Relativierung der Nichtigkeit . . . .

213

F) Z w i s c h e n e r g e b n i s

214

Kapitel 9: Korrektur der absoluten NichtigkeitsWirkung durch die Rechtsprechung

215

A ) E i n s c h r ä n k u n g e n d e r S a n k t i o n d e s § 139 B G B m i t R ü c k s i c h t auf Treu und G l a u b e n I. G r u n d s a t z der absoluten N i c h t i g k e i t s w i r k u n g II. E i n s c h r ä n k u n g der N i c h t i g k e i t s w i r k u n g

215 216 217

XVI

Inhaltsverzeichnis 1. Einschränkung des § 139 B G B im Hinblick auf die Ratio des nichtigen Vertragsteils 2. Einschränkung des § 139 B G B im Hinblick auf die Ratio der Nichtigkeitsnorm 3. Einschränkung des § 139 B G B im Hinblick auf die Bedeutungslosigkeit des nichtigen Vertragsteils

III. Zwischenergebnis

218 221 223

224

B) Unzulässige Berufung auf die Formnichtigkeit eines Rechtsgeschäfts

224

C) Unzulässige Berufung auf andere Nichtigkeitsgründe

227

I. Unzulässige Berufung auf einen Einigungsmangel

228

II. Unzulässige Berufung auf fehlende Geschäftsfähigkeit bzw. mangelnde vormundschaftsgerichtliche Genehmigung

228

III. Unzulässige Berufung auf fehlende Vertretungsmacht

230

IV. Unzulässige Berufung auf fehlende Abtretbarkeit im Sinne des § 399 BGB

230

V. Unzulässige Berufung auf Tarifwidrigkeit im Transportwesen. . . . 230 VI. Unzulässige Berufung auf die Sittenwidrigkeit eines Rechtsgeschäfts gemäß § 138 BGB

231

VII. Unzulässige Berufung auf die Verbotswidrigkeit eines Rechtsgeschäfts gemäß § 134 BGB

235

VIII. Zwischenergebnis

237

D) Behandlung von Verstößen gegen preisrechtliche Vorschriften

240

E) Mittelbare Korrektur der absoluten Nichtigkeitswirkung durch das Rechtsinstitut der culpa in contrahendo

242

F) Beschränkung der Nichtigkeit gemäß § 134 BGB durch das „Aussteuer-Urteil" des Oberlandesgerichts Stuttgart vom 1. 4. 1980 246 G) Zwischenergebnis

248

Kapitel 10: Tendenzen personalistisch orientierter Modifizierungen der absoluten Nichtigkeit im Schrifttum 250 A) Grundsätzliche Reduktion der absoluten Nichtigkeit über die Generalklausel des § 242 BGB

250

B) Die Differenzierung Manigks

252

C) Der Standpunkt Ulrich Hübners

253

D) Die Standpunkte Heinbuchs und Westphals

255

Inhaltsverzeichnis E) Die von Canaris entwickelten Modelle

XVII 256

I. Die These von der halbseitigen Teilnichtigkeit

258

II. Die These von der schwebenden Unwirksamkeit

259

III. Zwischenergebnis

260

F) Buchers Plädoyer „für mehr Aktionendenken"

261

G) Der Standpunkt Pawlowskis

265

H) Differenzierung der möglichen Nichtigkeitsfolgen durch Sack

267

I. Stärkere Berücksichtigung des Normzwecks

267

II. Analoge Anwendung der Anfechtungsregeln bzw. Annahme schwebender Wirksamkeit J)

Flumes Auffassung vom flexiblen Nichtigkeitsbegriff

268 268

K) Damms Vorstellung von Vertragsgerechtigkeit durch Rechtsfolgenbestimmung L) Ablehnung der absoluten Nichtigkeits Wirkung durch Ernst Wolf..

269 . 271

M) Heinz Hübners These „zum Abbau von Nichtigkeitsvorschriften". . 271 N) Stellungnahme und Zwischenergebnis

272

Kapitel 11: Abstrakte Bestimmung einer personalistisch orientierten Nichtigkeit

274

A) Zusammenfassung der bisherigen Erkenntnisse und Verifizierung der untersuchten These

274

B) Abstrakte Festlegung der zu modifizierenden Nichtigkeitsnormen . . 276 C) Auswirkungen einer personalistisch orientierten Nichtigkeit auf „Übermaß-Fälle"

278

D) Zur Notwendigkeit der Differenzierung zwischen erfüllten und noch unerfüllten Verträgen

284

E) Grenzen der einseitigen Disponibilität der zivilrechtlichen Nichtigkeit

286

I. Gesetzliche Grenzen 1. Strafrechtliche Parallelen, insbesondere gute Sitten 2. Zwingendes Gesetzesrecht II. Verfassungsmäßige Grenzen 1. Schutz der Menschenwürde 2. Grenzen der allgemeinen Handlungsfreiheit

287 287 287 289 289 292

XVIII

Inhaltsverzeichnis

Besonderer Teil Kapitel 12: Mögliche Anwendungsfälle personalistisch orientierter Nichtigkeit

297

A) Verbotsgesetze gemäß § 134 BGB

298

I. Mietrechtliche Verbotsgesetze

299

II. Arbeitsrechtliche Verbotsgesetze

302

1. Bürgerlichrechtliche Verbote

303

2. 3. 4. 5. 6.

305 308 309 310 311

Arbeitszeitgesetz Bundesurlaubsgesetz Mutterschutzgesetz Jugendarbeitsschutzgesetz Grundrechte als Verbotsgesetze

III. G e w e r b e r e c h t l i c h e Verbotsgesetze 1. Genehmigungspflichtigkeit beruflicher und gewerblicher Tätigkeiten a) Gewerberechtliche Genehmigungserfordernisse b) Art. 1 § 1 Abs. 1 S. 1 RBeratG c) § 32 K W G d) § 5 Abs. 1 VAG e) § 2 BÄrzteO, § 1 Heilpraktikergesetz f) § 6 Heimgesetz g) §§ 7, 12 FernUSG h) Zwischenergebnis 2. Sonstige gewerberechtliche Gebote und Verbote a) Personalistisch orientierte gewerberechtliche Vorschriften b) Öffentliche Interessen schützende gewerberechtliche Vorschriften 3. Zwischenergebnis IV. H a n d e l s - und G e s e l l s c h a f t s r e c h t V. Z w i s c h e n e r g e b n i s

B) Sittenwidrigkeit gemäß § 138 BGB I. G r u n d s a t z der absoluten Nichtigkeit II. D i c h o t o m i e sittenwidriger R e c h t s g e s c h ä f t e 1. Keine Disponibilität bei beiderseitigem sittenwidrigen Handeln 2. Möglichkeiten der Disponibilität bei einseitigem Sittenverstoß a) Relevanz einer Disponibilität der Sittenwidrigkeit b) Stellungnahme

313 313 313 317 318 318 319 320 320 320 322 322 324 325 326 327

328 328 330 331 331 332 333

Inhaltsverzeichnis C ) W e i t e r e N i c h t i g k e i t s v o r s c h r i f t e n des B G B

XIX 336

I. § 181 B G B

336

II. § 135 B G B

337

III. § 506 BGB

338

IV. Nichtigkeit von Gewährleistungsausschlüssen

338

V. Nichtigkeit von Formvorschriften D ) R e l a t i v i e r t e N i c h t i g k e i t „nicht g e r e c h t f e r t i g t e r " G e s t a l t u n g s erklärungen

339

342

I. Problemstellung

342

II. Lösung Ramraths

343

III. Stellungnahme E) U n w i r k s a m k e i t A l l g e m e i n e r G e s c h ä f t s b e d i n g u n g e n I. Vorhandene personalistisch orientierte Modifizierungen der Unwirksamkeitssanktion im Recht der Allgemeinen Geschäftsbedingungen II. Weitergehende personale Relativierung der Unwirksamkeit Allgemeiner Geschäftsbedingungen

344 348

349 352

III. Auswirkungen auf das Problem der geltungserhaltenden Reduktion

354

F) P r o z e ß r e c h t l i c h e A u s w i r k u n g e n einer p e r s o n a l e n R e l a t i v i e r u n g der Nichtigkeit

355

I. Formwidrige Schiedsverträge 1. Grundsätzliche Anwendbarkeit der materiellrechtlichen Unwirksamkeitslehre 2. Gesetzliche Hinweise für eine personale Relativierung 3. Weitergehende Modifizierung II. Formwidrige Prorogationen III. Auswirkungen auf die Wirksamkeitsvoraussetzungen von prozessualen „Gestaltungshandlungen"

355 355 356 357 358 359

G) Personalistisch orientierte Nichtigkeit im Kartellrecht

360

I. Behandlung kartellrechtlicher Folgeverträge

360

1. Problemstellung 2. Lösungsversuche in Rechtsprechung und Schrifttum a) Der „Zement-Fall" b) Der „Spediteurbedingungen-Fall" c) Der „Brückenbauwerks-Fall" des Oberlandesgerichts C e l l e . . . . d) Weitere Stellungnahmen der Rechtsprechung e) Der Standpunkt im Schrifttum

360 361 361 363 364 365 366

XX

Inhaltsverzeichnis aa) Standpunkt der älteren Lehre bb) Der Standpunkt aus heutiger Sicht 3. Personalistisch orientierte Nichtigkeit von Folgeverträgen kartellrechtswidriger Vereinbarungen a) Zur Annahme absoluter Nichtigkeit von Folgeverträgen b) Zur Annahme der Wirksamkeit von Folgeverträgen c) Akzeptanz einer personalistisch orientierten Nichtigkeit von Folgeverträgen d) Personalistisch orientierte Schutzrichtung des in § 1 G W B statuierten Kartellverbots aa) Indirekte Hinweise in Literatur und Rechtsprechung bb) Meinungsstand zur Ratio legis des § 1 G W B cc) Kartellvertrag und Privatautonomie 4. Zusammenfassung II. A u s d e h n u n g des erzielten E r g e b n i s s e s auf a n d e r e kartelloder wettbewerbsrechtliche Nichtigkeitsnormen 1. Modifizierte Nichtigkeit von Preis- und Konditionenbedingungen gemäß § 15 G W B 2. Modifizierte Nichtigkeit gemäß §§ 20, 21 G W B 3. Vertragsrechtliche Auswirkungen bei Verstößen gegen das Diskriminierungsverbot gemäß § 26 Abs. 2, 3, 4 G W B III. A u s w i r k u n g e n auf das e u r o p ä i s c h e Kartellrecht

366 367 369 369 371 372 376 376 376 379 381 382 382 384 385 387

H) Personalistisch orientierte Nichtigkeit im Bereich des unlauteren Wettbewerbs I. P r o b l e m s t e l l u n g II. D i e A u s w i r k u n g e n unlauteren W e t t b e w e r b s auf hiervon b e e i n f l u ß t e Vertragsabschlüsse 1. Der Standpunkt der herrschenden Meinung a) Grundsatz der Wirksamkeit von Folgeverträgen b) Abweichende Standpunkte in Rechtsprechung und Schrifttum 2. Wettbewerbswidrige Durchsetzung von Folgeverträgen

388 388 390 391 391 393 394

III. Personalistisch orientierte Nichtigkeit von F o l g e v e r t r ä g e n

397

IV. Z u r personalistisch orientierten Ratio legis der Vorschriften des U W G

398

J) Z w i s c h e n e r g e b n i s

400

Inhaltsverzeichnis

XXI

K a p i t e l 13: R e c h t l i c h e A u s g e s t a l t u n g u n d d o g m a t i s c h e E i n o r d n u n g des Rechtsinstituts einer personalistisch orientierten Nichtigkeit A) Problemstellung

401 401

B) Möglichkeiten der rechtlichen Einordnung einer personalistisch orientierten Nichtigkeit I. E n t s p r e c h e n d e A n w e n d u n g der A n f e c h t u n g s r e g e l n g e m ä ß §§ 119 ff., 142 ff. B G B

402

403

1. Parallelen zwischen Anfechtbarkeit und hier vorgeschlagener Modifizierung der Nichtigkeit 2. Stellungnahme

403 404

II. Z u o r d n u n g der personal m o d i f i z i e r t e n N i c h t i g k e i t zur relativen U n w i r k s a m k e i t im Sinne des § 135 B G B

408

1. Parallelen zwischen relativer Unwirksamkeit und hier vorgeschlagener modifizierter Nichtigkeit 2. Stellungnahme III. E i n o r d n u n g d e s Instituts einer personalistisch orientierten Nichtigkeit als K ü n d i g u n g s - , Rücktritts- oder W i d e r r u f s r e c h t . . . . 1. Allgemeine Vergleichbarkeit 2. Stellungnahme a) Zuordnung zum Gestaltungsrecht der Kündigung b) Zuordnung zum Gestaltungsrecht des Rücktritts aa) Parallelen bb) Stellungnahme c) Zuordnung zum Gestaltungsrecht des Widerrufs aa) Parallelen bb) Stellungnahme IV. E i n o r d n u n g des Rechtsinstituts einer personalistisch orientierten Nichtigkeit unter das Institut der Teilnichtigkeit gemäß § 1 3 9 BGB

408 409

411 411 411 411 412 412 413 414 414 416

417

V. E n t s p r e c h e n d e A n w e n d u n g der HeilungsVorschriften

418

VI. Personalistisch orientierte Nichtigkeit als F o l g e eines Schadensersatzanspruchs

419

1. Denkbare Varianten 2. Wirksamkeit des Rechtsgeschäfts bei Zuerkennung eines Schadensersatzanspruchs zugunsten des Verbotsgeschützten

419 420

XXII

Inhaltsverzeichnis

VII. D o g m a t i s c h e E i n k l e i d u n g des Rechtsinstituts einer p e r s o n a l e n Relativierung der Nichtigkeit als E i n w a n d des u n z u l ä s s i g e n bzw. treuwidrigen R e c h t s m i ß b r a u c h s g e m ä ß § 2 4 2 B G B 1. Allgemeines 2. Stellungnahme VIII. E i n o r d n u n g der personalistisch orientierten Nichtigkeit unter die Figur der s c h w e b e n d e n U n w i r k s a m k e i t IX. A n e r k e n n u n g einer Nichtigkeitsart sui generis 1. Terminologische Zulässigkeit einer personalistisch orientierten Nichtigkeit 2. Systematische Bedenken 3. Teleologische Auslegung 4. Rechtstechnische Aspekte a) Auswirkungen auf die weitere Abwicklung des Rechtsgeschäfts aa) Auswirkungen im Falle der Berufung auf die Nichtigkeit durch den Geschützten bb) Auswirkungen im Falle des Festhaltens am Rechtsgeschäft b) Konkrete rechtstechnische Ausgestaltung aa) Grundmodelle einer Nichtigkeit sui generis bb) Dogmatische Bewertung eines Verzichts auf die Geltendmachung der Nichtigkeit cc) Zu berücksichtigende Umstände und Voraussetzungen . . . . (1) Rechtsnatur (a) Vergleichbare Rechtshandlungen (b) Stellungnahme (2) Weitere Voraussetzungen (a) Für den Verzicht erforderliche Tatsachenund Rechtskenntnis (b) Unwiderruflichkeit des Verzichts (c) Empfangsbedürftigkeit des Verzichts (d) Frist für die Geltendmachung (aa) Denkbare Ansätze (bb) Stellungnahme 5. Zwischenergebnis

424 424 425 427 430 430 430 431 432 432 432 432 433 433 434 435 436 437 438 439 439 440 441 441 441 443 444

Kapitel 14: Schlußbetrachtung

445

Literaturverzeichnis

451

Sachregister

471

Abkürzungsverzeichnis a.A. a.F. a.M. ABGB Abs. AbzG AcP ADSp AFG AG AGB AGB-Gesetz/ AGBG AktG Alex. All E.R. Allg. ALR Alt. Amtsbl. AnfG

AVAVG AZO

andere Ansicht alte Fassung am Main Allgemeines Bürgerliches Gesetzbuch für Osterreich Absatz, Absätze Gesetz betreffend die Abzahlungsgeschäfte Archiv für civilistische Praxis Allgemeine Deutsche Spediteurbedingungen Arbeitsförderungsgesetz Amtsgericht Allgemeine Geschäftsbedingungen Gesetz zur Regelung des Rechts der Allgemeinen Geschäftsbedingungen Aktiengesetz Alexander All England Law Reports Allgemeines Allgemeines Landrecht für die Preußischen Staaten von 1794 Alternative Amtsblatt Gesetz betreffend die Anfechtung von Rechtshandlungen außerhalb des Konkursverfahrens Anhang Anmerkung Archiv für öffentliches Recht Nachschlagewerk des Bundesarbeitsgerichts Arbeitsgericht Arbeitszeitgesetz Artikel Gesetz über den Vertrieb ausländischer Investmentanteile und über die Besteuerung der Erträge aus ausländischen Investmentanteilen Gesetz über die Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung Arbeitszeitordnung

BAG(E) BArzteO BauR BAV BayObLG BayVbl

Bundesarbeitsgericht (Entscheidungen des Bundesarbeitsgerichts) Bundesärzteordnung Zeitschrift für das gesamte öffentliche und private Baurecht Bundesaufsichtsamt für das Versicherungswesen Bayerisches Oberstes Landesgericht Bayerische Verwaltungsblätter

Anh. Anm. AöR AP ArbG ArbZG Art. AuslInvestmG

XXIV BayVGH BB BBiG Bd. BGB BGB-RGRK BGBl. BGE BGH BGHSt BGHZ BR-Drucks. BRAGO BRAO brit. BT-Drucks. Buchst. Bull.civ.

Abkürzungsverzeichnis

BUrlG BVerfG(E) BVerwG(E) bzw.

Bayerischer Verwaltungsgerichtshof Der Betriebs-Berater Berufsbildungsgesetz Band Bürgerliches Gesetzbuch Reichsgerichtsrätekommentar, siehe Literaturverzeichnis Bundesgesetzblatt Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts Bundesgerichtshof Entscheidungen des Bundesgerichtshofs in Strafsachen Entscheidungen des Bundesgerichtshofs in Zivilsachen Drucksachen des Bundesrates Bundesrechtsanwaltsgebührenordnung Bundesrechtsanwaltsordnung britisch Drucksachen des Bundestages Buchstabe Bulletin des arrêts de la Cour de Cassation, chambres civiles (I, II, III), commerciale (IV) Bundesurlaubsgesetz Bundesverfassungsgericht (Entscheidungssammlung) Bundesverwaltungsgericht (Entscheidungssammlung) beziehungsweise

c. C. C.civ. c.i.c. cap. Cass.civ. Cass.com. Cass.req. Cels. Ch. Ch.D.

chapter Codex Iustinianus Code civil culpa in contrahendo caput Cour de Cassation, Chambre Civile Cour de Cassation, Chambre Commerciale Cour de Cassation, Chambre des Requêtes Celsus Law Reports, Chancery Division (ab 1891) Law Reports, Chancery Divsion (1875-1890)

d. D. d.h. D.R DB ders. DGemO Diocl. DM DNotZ DÖV DRiZ DVB1

der/ die/ das Digesta/ Dalloz das heißt Recueil Périodique et Critique Dalloz Der Betrieb derselbe Deutsche Gemeindeordnung Diocletianus Deutsche Mark Deutsche Notar-Zeitschrift Die öffentliche Verwaltung Deutsche Richterzeitung Deutsches Verwaltungsblatt

Abkürzungsverzeichnis DVO

Durchführungsverordnung

EG EGBGB EGKSV

EvBl.

Europäische Gemeinschaft Einführungsgesetz zum Bürgerlichen Gesetzbuch Vertrag über die Gründung der Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl Vertrag zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft Ehegesetz Einführung Einleitung Entwurf et cetera Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften (Sammlung der Rechtsprechung des EuGH) Evidenzblatt

EWG

Europäische Wirtschaftsgemeinschaft

f.

folgende/ für

FamRZ FernUSG ff. Fn. Gai. Gai. Inst. Gaz.Pal. gem. GenG GesO GewArch GewO GG ggf. GmbH GmbHG Großkomm. Gruchot GRUR GüKG GWB

Zeitschrift für das gesamte Familienrecht Fernunterrichtsschutzgesetz folgende Fußnote/ Fußnoten Gaius Gaius Institutiones Gazette du Palais gemäß Gesetz betreffend die Erwerbs- und Wirtschaftsgenossenschaften Gesamtvollstreckungsordnung Gewerbearchiv Gewerbeordnung Grundgesetz gegebenenfalls Gesellschaft mit beschränkter Haftung Gesetz betreffend die Gesellschaften mit beschränkter Haftung Großkommentar Gruchot, Beiträge zur Erläuterung des Deutschen Rechts Gewerblicher Rechtsschutz und Urheberrecht Güterkraftverkehrsgesetz Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen

H.L. H.L.C. h.M. Halbs. HandwO HansOLG HausTWG

House of Lords Clark's House of Lords Cases herrschende Meinung Halbsatz Handwerksordnung Hanseatisches Oberlandesgericht Gesetz über den Widerruf von Haustürgeschäften und ähnlichen Geschäften

EGV EheG Einf. Einl. Entw. etc. EuGH (Slg.)

XXV

XXVI

Abkürzungsverzeichnis

HGB hrsg./Hrsg.

Handelsgesetzbuch herausgegeben/Herausgeber

i.d.F. i.E. i.H.v. i.S.d. i.V.m. I. Iul.

in der Fassung im Ergebnis in Höhe von im Sinne des/im Sinne der in Verbindung mit Institutiones Iulius

JA JArbSchG JB1. JCP Jher.Jahrb. JR JuS JW JZ

Juristische Arbeitsblätter Jugendarbeitsschutzgesetz Juristische Blätter (Österreich) Juris-Classeur Périodique Jherings Jahrbücher der Dogmatik des bürgerlichen Rechts Juristische Rundschau Juristische Schulung Juristische Wochenschrift Juristenzeitung

K.B. KAGG Kap. KartVO kg KG KO KWG

Law Reports, Kings's Bench Division Gesetz über Kapitalanlagegesellschaften Kapitel Kartellverordnung von 1923 Kilogramm Kammergericht Konkursordnung Gesetz über das Kreditwesen

L.R. LAG LG lib. LM

Law Reports Landesarbeitsgericht Landgericht liber Nachschlagewerk des Bundesgerichtshofs, hrsg. v. Lindenmaier, Möhring u.a. limited Leipziger Zeitschrift für Deutsches Recht

Ltd. LZ m.w.N. MDR MHG Miet.Slg. Mod. Motive

MRegVO

mit weiteren Nachweisen Monatszeitschrift für Deutsches Recht Gesetz zur Regelung der Miethöhe Sammlung mietrechtlicher Entscheidungen (Osterreich) Modestinus Motive zu dem Entwürfe eines Bürgerlichen Gesetzbuches für das Deutsche Reich, Band I, Allgemeiner Theil; Band II, Recht der Schuldverhältnisse, siehe Literaturverzeichnis Militärregierungsverordnung

Abkürzungsverzeichnis MRVerbG

XXVII

MuSchG

Gesetz zur Verbesserung des Mietrechts und zur Begrenzung des Mietanstiegs sowie zur Regelung von Ingenieur- und Architektenleistungen Gesetz zum Schutz der erwerbstätigen Mutter

n.Chr. NJW NJW-RR Nov. Nr. NStZ NVwZ

nach Christus Neue Juristische Wochenschrift NJW-Rechtsprechungs-Report Zivilrecht Novellae Nummer, Nummern Neue Zeitschrift für Strafrecht Neue Zeitschrift für Verwaltungsrecht

OGH ÖJZ OLG OLGRspr.

Oberster Gerichtshof Österreichische Juristen-Zeitung Oberlandesgericht Die Rechtsprechung der Oberlandesgerichte auf dem Gebiete des Zivilrechts Entscheidungen der Oberlandesgerichte in Zivilsachen einschließlich der freiwilligen Gerichtsbarkeit Schweizerisches Obligationenrecht Oberverwaltungsrecht Gesetz über Ordnungswidrigkeiten

OLGZ OR OVG OWiG Paul. PflVersG Pomp. PreisAngVO Protokolle I

Paulus Pflichtversicherungsgesetz Pomponius Verordnung über Preisangaben Protokolle der Kommission für die zweite Lesung des Entwurfs des Bürgerlichen Gesetzbuchs, Band I, Allgemeiner Teil, siehe Literaturverzeichnis

Q.B.

Law Reports, Queen's Bench Division

R.G.O. RabattG RAGebO RBeratG RdA Recht RG RGBl. RGZ RIW/AWD RM Rn. RTD civ.

Reichsgewerbeordnung Rabattgesetz Rechtsanwaltsgebührenordnung Rechtsberatungsgesetz Recht der Arbeit Das Recht Reichsgericht Reichsgesetzblatt Amtliche Sammlung der Rechtsprechung des Reichsgerichts Recht der internationalen Wirtschaft Reichsmark Randnummer, Randnummern Revue trimestrielle du droit civil

S.

Seite, Seiten/ Satz

XXVIII SchwArbG See. SeuffA SJZ sog. Sp. StBG StGB str. SZ

Abkürzungsverzeichnis Gesetz zur Bekämpfung der Schwarzarbeit Section Seufferts Archiv für Entscheidungen der obersten Gerichte in den deutschen Staaten Schweizerische Juristen-Zeitung sogenannte Spalte Steuerberatungsgesetz Strafgesetzbuch streitig Entscheidungen des österreichischen Obersten Gerichtshofes in Zivilsachen

TVG

Tarifvertragsgesetz

u.a. u.s.w. Überbl. Ulp. USA UWG

und andere(n) und so weiter Überblick Ulpian United States of America Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb

v. v.Chr. VAG VerbrKrG VersR VG vgl. VglO VO Vor./ Vorbem. VVG VW VwGO

vor/ von/ versus vor Christus Versicherungsaufsichtsgesetz Gesetz über Verbraucherkredite Versicherungsrecht Verwaltungsgericht vergleiche Vergleichsordnung Verordnung Vorbemerkungen Gesetz über den Versicherungsvertrag Versicherungswirtschaft Verwaltungsgerichtsordnung

Warn. WB1. WiStG WM WoVermG WRP WuW WuW/E

Warneyer. Die Rechtsprechung des Reichsgerichts auf dem Gebiet des Zivilrechts Wirtschaftsrechtliche Blätter (Österreich) Wirtschaftsstrafgesetz Wertpapier-Mitteilungen Gesetz zur Regelung der Wohnungsvermittlung Wettbewerb in Recht und Praxis Wirtschaft und Wettbewerb WuW-Entscheidungssammlung zum Kartellrecht

z.B. ZfA ZGB

zum Beispiel Zeitschrift für Arbeitsrecht Zivilgesetzbuch (Schweiz)

Abkürzungsverzeichnis ZHR Ziff. ZIP ZMR ZPO ZRP ZSSt. ( R A / G A ) ZVG ZZP

XXIX

Zeitschrift für das gesamte Handels- und Wirtschaftsrecht Ziffer Zeitschrift für Wirtschaftsrecht Zeitschrift für Miet- und Raumrecht Zivilprozeßordnung Zeitschrift für Rechtspolitik Zeitschrift der Savigny-Stiftung für Rechtsgeschichte, Romanistische Abteilung/Germanistische Abteilung Gesetz über die Zwangsversteigerung und die Zwangsverwaltung Zeitschrift für Zivilprozeß

Allgemeiner Teil

Kapitel 1:

Einleitung A) Problemstellung „Ein nichtiges R e c h t s g e s c h ä f t wird in A n s e h u n g der g e w o l l t e n rechtlichen W i r k u n g e n so angesehen, als ob es nicht v o r g e n o m m e n w ä r e . "

Diese Definition des Begriffs der Nichtigkeit fand sich noch in § 108 des ersten Entwurfes des BGB 1 . Die „Väter" des BGB nahmen sie jedoch nicht in den zweiten Entwurf auf, „da der Begriff des nichtigen Rechtsgeschäftes in der Wissenschaft feststehe" 2 . Damit enthält das BGB seit Inkrafttreten keine nähere Bestimmung des für die Rechtsgeschäftslehre bedeutsamen Terminus der Nichtigkeit. Gleiches gilt für andere Begriffe, mit denen das BGB die Ungültigkeit von Rechtsgeschäften zum Ausdruck bringt, wie etwa für die Bezeichnung der Unwirksamkeit 3 . Der im ersten Entwurf des BGB definierte Nichtigkeitsbegriff ist durch eine strikte Annullierung der durch das Rechtsgeschäft beabsichtigten rechtlichen Wirkung charakterisiert. Knapp 100 Jahre nach Inkrafttreten des BGB hat diese konsequente Ungültigkeitswirkung des nichtigen Rechtsgeschäfts im Grundsatz immer noch Geltung 4 . Beschreibungen der Nichtigkeitswirkung aus heutiger Zeit stehen in Einklang mit der seinerzeit in Erwägung gezogenen Gesetzesbestimmung: Für Flume heißt Nichtigkeit nichts anderes, „als daß die rechtsgeschäftliche Regelung, wie sie nach dem Inhalt des Rechtsgeschäfts gelten soll, nicht gilt" 5 . H. Hübner formuliert, die Nichtigkeit führe dazu, „daß ein Rechtsgeschäft die seinem Inhalt entsprechende Wirkung nicht herbeizuführen mag" 6 . Und für Larenz und Wolf ist das nichtige Rechtsgeschäft dadurch geprägt, daß die intendierten Rechtsfolgen 1

Mugdan I, S . L X X X V I . Protokolle I, S. 125; anders noch Motive I, S. 217 („Mit d e m A u s d r u c k e Nichtigkeit wird in der Wissenschaft und Gesetzgebung ein bestimmter Begriff nicht so allgemein verbunden, daß der Begriffsinhalt als gegeben vorausgesetzt werden könnte."). 3 Nichtigkeit und Unwirksamkeit sind die insoweit am häufigsten verwendeten Begriffe; zu ihrer inhaltlichen Unterscheidung sowie zu weiteren „Ungültigkeitsbezeichnungen" siehe unten S. 13 ff. 2

4 Vgl. Beer, Relative Unwirksamkeit, § 6 , S . 3 0 f . ; S t a u d i n g e r / D i l c h e r , 12.Auflage, Einl. zu §§ 104 - 185 Rn. 67; Wiesner, S. 110. 5 Flume, Das Rechtsgeschäft, § 3 0 , 1, S . 5 4 7 ; ebenso B G H Z 107, 268, 270 („Ein nichtiges Rechtsgeschäft läßt die gewollten Rechtswirkungen von A n f a n g an nicht eintreten. Die Nichtigkeit wirkt grundsätzlich für und gegen alle, bedarf keiner Geltendmachung und ist im gerichtlichen Verfahren von A m t s wegen zu berücksichtigen."). 6 H. Hübner, Allgemeiner Teil, Rn. 929.

4

Kapitel

1:

Einleitung

des nichtigen Geschäfts im Grundsatz weder unter den Beteiligten noch in ihrem Verhältnis zu Dritten eintreten 7 .

I. Reduzierungen der Nichtigkeitswirkung in materieller Hinsicht Indes gilt eine rigorose Nichtigkeitsfolge heute nur noch im Grundsatz. Unter verschiedenen Aspekten haben Rechtsprechung und Rechtslehre Nichtigkeitssanktionen reduziert. Gravierende Restriktionen stellen die Lehre von den faktischen bzw. fehlerhaften Verträgen sowie die Lehre von der Beschränkung der Nichtigkeit dar 8 . Z u m einen sind sich Rechtsprechung und Lehre im wesentlichen darüber einig, daß an sich nichtigen Gesellschaftsverträgen einer bereits in Vollzug gesetzten Personengesellschaft - im Außenverhältnis wie auch unter den Gesellschaftern selbst - f ü r die Vergangenheit im Grundsatz Geltung zu verschaffen sei 9 . Auch wenn die Lehre von der fehlerhaften Gesellschaft unter dogmatischen Aspekten im einzelnen unterschiedlich begründet wird 1 0 , so ist nicht zu leugnen, daß von der prinzipiellen strikten Nichtigkeitssanktion abgewichen wird. Entsprechendes gilt für die Lehre vom fehlerhaften Arbeitsvertrag". Da die Rechtsfolge der Nichtigkeit nicht auf in Vollzug gesetzte Arbeitsverhältnisse „paßt", wird der nichtige Arbeitsvertrag f ü r die Vergangenheit grundsätzlich als wirksam betrachtet 1 2 . O b die f ü r das Gesellschafts- und Arbeitsrecht entwickelten Grundsätze generell für in Vollzug gesetzte Dauerschuldverhältnisse gelten, ist indes umstritten 1 3 . Neben der Lehre von den fehlerhaften Verträgen steht die Modifizierung der Nichtigkeitsfolge im Hinblick auf eine mögliche Aufrechterhaltung von Rechtsgeschäften mit reduziert-zulässigem Inhalt immer wieder zur Diskussion 1 4 . Ist bei-

7 Larenz/Wolf, Allgemeiner Teil, § 4 4 R n . 4 ; vgl. auch Kübler, in: Deutsches Rechts-Lexikon, Stichwort „Nichtigkeit": „Sie bewirkt, daß die Handlung die mit ihr angestrebten Rechtswirkungen nicht hervorbringen kann." Zu den Rechtsfolgen der Nichtigkeit ausführlicher noch unten S. 28 ff. 8 Vgl. U. Hübner, in: Festschrift für H. Hübner, S. 487; Pawlowski, Allgemeiner Teil, Rn. 485 ff. 9 Vgl. R G Z 165, 193 ff.; B G H Z 3, 285, 287 ff.; B G H Z 8, 157, 166; B G H Z 55, 5, 8 („gesicherter Bestandteil des Gesellschaftsrechts"); Haupt, S. 16 f f / , Honsell/Harrer, Z I P 1983, 259 f. (mit Nachweisen über die mittlerweile „kleine Bibliothek" zu diesem Thema); ausführlich Ulmer, in: Großk o m m . H G B , § 105 Rn. 327 ff.; Siebert, S. 40 ff.; Wiesner, passim. 10 Vgl. etwa K.Schmidt, A c P 186 (1986), 421, 424 ff.; Ulmer, in: G r o ß k o m m . H G B , § 105 Rn. 327 ff.; Wiesner, S. 42 ff. 11 Vgl. U. Hübner, in: Festschrift für H. Hübner, S. 487; Pawlowski, Allgemeiner Teil, Rn. 485. 12 B A G E 5, 58, 65 f.; B A G E 159, 1 6 1 ; B A G E 14, 180, 186 f.; Hanau/Adomeit, F III 5, S. 174 ff; Küßer, Der fehlerhafte Arbeitsvertrag; Lieb, Arbeitsrecht, Rn. 133 ii.\Schaub, § 35 III 3, S. 211; Siebert, S. 68 ff.; Walker, JA 1985, 138, 148 ff.; Zöllner/Loritz, § 11 III 1 b, S. 136 ff.; kritisch Sack, RdA 1975, 171, 173 f. 13 Vgl. Hönn, Z f A 1987, 61, 74 f.; dafür Horn, Vertragsdauer, S. 551, 588, 628; Pawlowski, Allgemeiner Teil, R n . 4 8 5 ; dagegen KG M D R 1967, 404 (Mietvertrag); Palandt///emnc/!.v, Einf. v. § 145 Rn. 29; Mayer-Maly, in: M ü n c h e n e r Kommentar, § 142 Rn. 15; Oetker, S. 424 ff. 14 Vgl. U. Hübner, in: Festschrift für H. Hübner, S . 4 8 7 ; Zimmermann, Totalnichtigkeit; Pawlowski, Allgemeiner Teil, R n . 4 8 7 ; Staudinger/Sac*, § 138 Rn. 109.

A)

5

Problemstellung

spielsweise ein Vertrag wegen Übermaßes gemäß § 138 BGB sittenwidrig, so stellt sich die Frage, ob der gesamte Vertrag nichtig ist oder ob sich die Nichtigkeitssanktion nur auf das gesetzwidrige Übermaß bezieht. Obwohl die herrschende Meinung vom Prinzip der Gesamtnichtigkeit ausgeht, mehren sich die Ausnahmen, in denen eine Aufrechterhaltung des noch zulässigen Teils akzeptiert wird 15 . Ohne diesen Konstellationen schon vorgreifen zu wollen - auf einzelne wird im Verlauf der Untersuchung noch einzugehen sein belegen diese Hinweise, daß von einer kompromißlosen Nichtigkeitssanktion nicht mehr die Rede sein kann. Die genannten Restriktionen der Nichtigkeit beziehen sich indes auf den Vertragsinhalt, stellen also „materielle Einschränkungen von Nichtigkeitsfolgen" dar 16 . Unter personalen Aspekten, insbesondere unter dem Gesichtspunkt, wer die Nichtigkeit eines Rechtsgeschäfts berechtigterweise geltend machen darf, scheinen dagegen Modifizierungen der Nichtigkeitssanktion kaum möglich zu sein. Diese Schlußfolgerung drängt sich jedenfalls auf, wenn man sich im folgenden weitere repräsentative Begriffsbestimmungen der Nichtigkeit vor Augen hält.

II. Relativierungen

der Nichtigkeit in personaler

Hinsicht?

Entsprechend der eingangs genannten Definition des ersten Entwurfs des BGB gilt auch heute noch fast allgemeingültig, daß sich „jedermann" auf die Nichtigkeit eines Rechtsgeschäftes ohne weiteres berufen kann; „im Rechtsstreit ist sie, wenn sie sich nur aus den in den Prozeß eingeführten Tatsachen ergibt, vom Gericht zu beachten, auch ohne daß sich eine Partei darauf beruft" 1 7 . In diesem Zusammenhang spricht man von sogenannter absoluter Nichtigkeit 18 . Insoweit stellt neben anderen Ungültigkeitsarten in erster Linie die Anfechtbarkeit von Rechtsgeschäften den Gegensatz der absoluten Nichtigkeit dar 19 . Bei der Anfechtbarkeit wird das Rechtsgeschäft nur dann nichtig, wenn sich der Anfechtungsberechtigte auf den Anfechtungsgrund beruft. Hierin sieht man den wesentlichen Unterschied zwischen Nichtigkeit und Anfechtbarkeit; so formulieren beispielsweise Larenz und

15

Vgl. aus jüngster Zeit Cahn, JZ 1997, 8 ff.; dazu unten S. 278 ff. U. Hühner, in: Festschrift für H. Hübner, S. 487, 488. 17 So Larenz/Wolf, Allgemeiner Teil, § 44 Rn. 5; entsprechende Begriffsbestimmungen finden sich in nahezu beliebiger Anzahl vgl. E r m a n I B r o x , Einl. § 104 Rn. 23; S t a u d i n g e r / D i l c h e r , 12. A u f lage, Einl. zu § § 1 0 4 - 1 8 5 R n . 6 9 ; Enneccerus/Nipperdey, Allgemeiner Teil I 2, § 202 I 5, S. 1211; H. Hübner, Allgemeiner Teil, R n . 9 3 0 ; Flume, Das Rechtsgeschäft, § 3 0 , 9, S . 5 5 6 ; P a l a n d t / / / e m richs, Uberbl. v. § 104 Rn. 27 (Nichtigkeit „wirkt für und gegen alle, bedarf keiner G e l t e n d m a c h u n g und ist von A m t s wegen zu berücksichtigen."); Mayer-Maly, in: M ü n c h e n e r Kommentar, § 134 Rn. 93; dazu noch näher unten S. 28 ff. Eine Ausnahme bilden die Fälle, in denen das Gesetz eine besondere Nichtigkeitsklage vorsieht; dazu unten S. 31. 16

18

Zu diesem Begriff noch unten S. 28 ff. Die Ungültigkeitsart der relativen Unwirksamkeit im Sinne des § 135 B G B führt zwar auch zu einer personalen Modifizierung der Ungültigkeit; indes geht es bei dieser Ungültigkeitsart primär darum, daß ein Rechtsgeschäft einer bestimmten Person gegenüber unwirksam, gegenüber anderen dagegen wirksam ist; insoweit steht hier eine andere Art der personalen Relativierung im Raum (zur relativen Unwirksamkeit unten S. 172 ff.). 19

6

Kapitel 1: Einleitung

Wolf, daß beim anfechtbaren Rechtseschäft, anders als beim nichtigen Geschäft, die Entscheidung darüber, ob es gelten soll oder nicht, dem Anfechungsberechtigten anheimgestellt sei 20 . Im Hinblick auf die auf den ersten Blick eindeutige Abgrenzung zum Institut der Anfechtbarkeit und angesichts der genannten, insoweit resoluten Begriffsbestimmungen der Nichtigkeit erscheinen Relativierungen der Nichtigkeit unter dem personalen Aspekt - also hinsichtlich der Frage, wer sich auf einen Nichtigkeitsgrund berufen darf - gegenstandslos. Entgegen dieser auf den ersten Blick unumstößlichen - f ü r und wider jedermann verbindlichen - Nichtigkeitswirkung, die sich fugenlos unter die Definition des ersten Entwurfs subsumieren läßt, sind in Rechtsprechung und Literatur indes Tendenzen sichtbar, die die Rechtsfolgen nichtiger Rechtsgeschäfte insbesondere in personaler Hinsicht zu differenzieren versuchen und das Prinzip, wonach sich „jedermann" auf die Nichtigkeit des Rechtsgeschäfts berufen darf, relativieren. Signifikantes Beispiel ist der Fall der treuwidrigen B e r u f u n g auf die Formnichtigkeit eines Rechtsgeschäfts, in dem einer Vertragsseite im Einzelfall die Beruf u n g auf die Formnichtigkeit wegen unzulässiger Rechtsausübung g e m ä ß § 242 B G B verwehrt wird; bereits die Rechtsprechung beschränkt diesen Fall nicht auf den der Formnichtigkeit, sondern wendet ihn vereinzelt auch auf andere Nichtigkeitsvorschriften an 2 1 . In diesen Konstellationen weicht die Rechtsprechung von dem Prinzip ab, daß „jedermann" berechtigterweise die Nichtigkeit geltend machen kann; sie relativiert die Nichtigkeitswirkung in personaler Hinsicht. Unter dogmatischen Aspekten wählt sie hierfür den Weg über die Generalklausel des § 242 BGB 2 2 . Eine noch gravierendere Relativierung der Nichtigkeit in personaler Hinsicht stellt folgende, bisher kaum beachtete, aber verblüffende Interpretation des § 134 B G B durch das Oberlandesgericht Stuttgart aus dem Jahre 1980 dar. Hier heißt es wörtlich: „Man wird bei § 134 BGB grundsätzlich drei Fallgruppen unterscheiden müssen: a) Gesetze, die Verträge verbieten, die ihres Inhalts wegen die berechtigten Interessen der Allgemeinheit oder Dritter schädigen oder gefährden. Sie sind schlechthin nichtig. b) Gesetze, die Verträge verbieten, die wegen ihres Inhalts oder wegen der Umstände des Vertragsschlusses die berechtigten Interessen eines Vertragspartners schädigen oder gefährden. Hier kann sich der Vertragsteil, der geschützt werden soll, immer auf die Nichtigkeit des Vertrags berufen, wenn das Festhalten am Vertrag dazu führte, gerade jene Schädigung oder Gefährdung aufrechtzuerhalten oder herbeizuführen, die das Verbot abwenden soll. Andererseits ist es dem Vertragsteil, der gegen das Verbot verstößt, versagt, sich zum Nachteil des durch das Verbot zu Schützenden auf sein eigenes verbotenes Verhalten zu berufen. c) Gesetze, die Verträge verbieten, die lediglich die öffentliche Ordnung gefährden (z.B. Verkauf am Sonntag oder nach Eintritt der Polizeistunde). Sie sind zivilrechtlich gültig." 2 3

20

LarenzAVolf, Allgemeiner Teil, § 44 Rn. 21. Siehe dazu unten S. 227 ff. 22 Außerdem kommt die Bereitstellung eines Schadensersatzanspruchs aus culpa in contrahendo in Betracht. 23 OLG Stuttgart NJW 1980, 1798, 1800 („Aussteuer-Fall"; ausführlich dazu noch S. 246 ff.). Diametral entgegen stehen dagegen folgende Ausführungen des BGH (BGHZ 58, 231, 235): „Ver21

A)

Problemstellung

7

Vor allem die in der Urteilspassage unter b) aufgeführte Fallgruppe frappiert in zweifacher Hinsicht. Zum einen erinnert die Formulierung des Oberlandesgerichts insoweit an das Rechtsinstitut der Anfechtung bzw. an die Einrede der unzulässigen Rechtsausübung gemäß § 242 BGB, obwohl das Gesetz in § 134 BGB die (absolute) Nichtigkeit des Rechtsgeschäfts vorschreibt. Zum anderen überraschen die Ausführungen, weil das Gericht die Nichtigkeit offenbar nicht durch Heranziehung des § 242 BGB relativiert, sondern die Modifizierung anscheinend unmittelbar aus § 134 BGB ableitet. Materiellrechtlicher Anlaß für die Bildung dieser Fallgruppe war für das Gericht der Umstand, daß es Verbotsgesetze gibt, die den Schutz bestimmter Personen bezwecken; unverkennbar will das Oberlandesgericht einen Zusammenhang zwischen einem solchen „personal orientierten" Schutzzweck und der entsprechenden Nichtigkeitsfolge in der Weise herstellen, daß sich nur der „durch das Verbot zu Schützende" auf die Verbotswidrigkeit berufen darf. Vergleichbare Akzeptanzen personaler Relativierung der Nichtigkeit finden sich aber auch im Schrifttum 24 : Neben anderen Ansätzen, auf die noch einzugehen sein wird 25 , sei an dieser Stelle zunächst nur auf die durch Canaris und U. Hübner geäußerten Vorstellungen einer relativierten Nichtigkeit in personaler Hinsicht hingewiesen. Im Rahmen des § 134 BGB hat Canaris den Begriff der halbseitigen Teilnichtigkeit in dem Sinne entwickelt, daß der durch eine Verbotsnorm geschützte Vertragsteil vertragliche Ansprüche behält, seinerseits jedoch nur aus ungerechtfertigter Bereicherung haftet 26 . Auch U.Hübner hat diesen Gedanken im Rahmen der Rechtsfolgen eines Verstoßes gegen § 181 BGB problematisiert 27 und die Frage aufgeworfen: „ M u ß nicht der P e r s o n e n k r e i s i.S.d. § 134 B G B , der sich auf die U n w i r k s a m k e i t s n o r m b e r u f e n k a n n , nach d e m j e w e i l i g e n Z w e c k dieser N o r m e i n g e s c h r ä n k t w e r d e n ? " 2 8

Die Bejahung der dieser Fragestellung immanenten These, die sich über den Anwendungsbereich des § 134 BGB hinaus für alle Nichtigkeitsgründe generalisieren läßt, setzt grundsätzlich die Klärung zweier Fragen voraus: Zum einen, daß es Verbots- und Nichtigkeitsnormen gibt, die den „Schutz bestimmter Personen" bezwecken; zum anderen ist erforderlich, daß der Begriff der Nichtigkeit unter dogmatischen Aspekten überhaupt personale Relativierungen in der Weise zuläßt, daß nur dem durch die Norm Geschützten die Berufung auf die Nichtigkeitsvorschrift zu konzedieren ist.

stößt ein Rechtsgeschäft gegen ein gesetzliches Verbot, so ist es nach dieser Vorschrift nichtig, auch wenn der durch das Verbot Geschützte es . w ü n s c h t ' und .freiwillig' abschließt." 24 Ausgehend von der ganz überwiegend Akzeptanz der absoluten Nichtigkeit überrascht etwa ein Hinweis, den Brox in seiner K o m m e n t i e r u n g bei Erman gibt: „Verletzt das Rechtsgeschäft nur die Interessen einzelner Personen, so ist es nur diesen gegenüber, also relativ unwirksam, im übrigen dagegen wirksam." ( E r m a n / B r o x , Einl. § 104 Rn. 23). 25 Siehe unten S. 250 ff. 26 Canaris, Gesetzliches Verbot, S. 31; dazu unten S. 256 ff. 27 U. Hübner, Interessenkonflikt und Vertretungsmacht, S. 104 ff.; dazu unten S. 253 ff. 28 U. Hübner, in: Festschrift für H. Hübner, S. 488.

8

Kapitel 1:

Einleitung

Die Beantwortung dieser Fragen ist nicht nur von dogmatischer Relevanz. Aus den verschiedensten Gründen gibt es - insbesondere bei der Abwicklung von Verträgen - Situationen, in denen eine Partei für sich den Standpunkt der Nichtigkeit des Rechtsgeschäfts in Anspruch nimmt, während die andere Seite an der Aufrechterhaltung des Vertrags interessiert ist. Augenfällig sind hiervon (indes auf wenige Einzelfälle beschränkt) auch die Verfasser des BGB ausgegangen, wie die Zuordnung der Tatbestände des § 123 BGB zur Anfechtbarkeit belegt. Der BGBGesetzgeber hat vorausgesetzt, daß das Opfer einer arglistigen Täuschung oder einer widerrechtlichen Drohung gleichwohl ein Interesse am Bestand des möglicherweise durch eine Straftat veranlaßten Rechtsgeschäfts haben kann 29 ; an sich wäre die Zuordnung zur Nichtigkeit naheliegender gewesen. Aber auch derjenige, zu dessen Gunsten ein Verbotsgesetz oder eine Nichtigkeitsnorm existiert, kann ein berechtigtes Interesse an der Aufrechterhaltung eines an sich nichtigen Vertrags besitzen, während für die andere - durch die Norm nicht geschützte - Seite die Nichtigkeit des Vertrags vorteilhaft ist. In erster Linie dürften solche widerstreitenden Interessen in Gründen wirtschaftlicher Natur wurzeln; es kommen aber auch andere Motive in Betracht, wie folgende Beispiele verdeutlichen: In der Praxis enthalten zahlreiche Verträge eine Preiserhöhungsklausel, die den Klauselverwender zu einseitigen Preiserhöhungen berechtigt. Die Rechtsprechung und wohl herrschende Lehre verlangen für die Wirksamkeit einer Preiserhöhungsklausel, die nicht vom speziellen Klauselverbot des § 11 Nr. 1 AGB-Gesetz erfaßt wird und damit der Generalklausel des § 9 AGB-Gesetz unterworfen ist, unter anderem, daß sie dem Vertragspartner bei Preissteigerungen, die einen bestimmten Schwellenwert überschreiten, ein Kündigungsrecht gewähren muß 30 . Darüber hinaus sind an derartige Preiserhöhungsklauseln hinsichtlich der Bestimmtheit hohe Anforderungen zu stellen 31 . Entspricht eine Preiserhöhungsklausel beispielsweise nicht den Anforderungen der erforderlichen Bestimmtheit, ist die (gesamte) Klausel gemäß § 9 AGB-Gesetz unwirksam. Erhöht nun der Klauselverwender aufgrund einer solchen - mangels Einhaltung des Konkretisierungsgebotes an sich unwirksamen - Klausel den Preis über den das Kündigungsrecht gewährenden Schwellenwert, so bedeutet dies nach herkömmlichem Nichtigkeitsverständnis nicht nur, daß die Preiserhöhung unwirksam ist; darüber hinaus geht - mangels wirksamer Preiserhöhung - das Kündigungsrecht zugunsten des Vertragspartners ins Leere. Möchte der Vertragspartner aber die - formal betrachtet gescheiterte - Preiserhöhung des Klauselverwenders dazu nutzen, den Vertrag aufgrund des Kündigungsrechts aufzulösen, so drängt sich die Frage auf, ob der Vertragspartner auf die „Geltendmachung" der Unwirksamkeit der Klausel „verzichten" und den Vertrag aufgrund der Klausel kündigen kann. Nach traditioneller Auslegung des § 9 AGB-Gesetz stünde dem Vertragspartner diese Möglichkeit 29

Vgl. Singer, Selbstbestimmung und Verkehrsschutz, § 13, S. 209. B G H N J W 1980, 2518; B G H N J W 1982, 331, 332; Paulusch, in: Zehn Jahre A G B - G e s e t z , S. 55, 77; kritisch Löwe BB 1982, 152, 157; offenlassend B G H N J W 1985, 2270, 2271; zum Meinungsstand Beckmann, S. 86 ff. 30

31 B G H N J W 1980, 2 5 1 8 , 2 5 1 9 ; B G H N J W 1 9 8 5 , 4 2 6 , 4 2 7 ; Wolf, in: Wolf/Horn/Lindacher, § 11 Nr. 1 Rn. 36; vgl. Beckmann, S. 62 ff.

A)

Problemstellung

9

nicht zu, da die Klausel unwirksam ist und demzufolge hiervon keine rechtliche Wirkung ausgeht; insbesondere steht dem Vertragspartner die Berufung auf die Unwirksamkeit der Klausel nicht zur Disposition, so daß sich „jedermann", also sogar auch der Klausel Verwender hierauf berufen kann, obwohl doch die Klauselverbote des AGB-Gesetzes gerade den Vertragspartner vor unangemessenen Klauseln schützen sollen 32 . Der Wertungswiderspruch ist evident. Der Unwirksamkeitsgrund wirkt sich in einem solchen Fall zum Nachteil dessen aus, der eigentlich geschützt werden soll. Warum soll sich der durch die Nichtigkeitsnorm Geschützte nicht des gesetzlichen Schutzes begeben dürfen, wenn es ihm vorteilhaft erscheint? Die herkömmliche Nichtigkeitslehre hat keine Lösung parat; auch die eingangs erwähnte Rechtsprechung zur treuwidrigen Berufung auf die Nichtigkeit hilft - wie noch zu zeigen sein wird - nicht weiter. Diese nur exemplarisch betrachtete Problematik stellt sich nicht allein im Recht der Allgemeinen Geschäftsbedingungen 33 ; vielmehr betrifft sie sämtliche privatrechtlichen Nichtigkeitsnormen, wie folgende Beispiele belegen: Ein Bezugsvertrag mit einer jahrzehntelangen Laufzeit kann unter bestimmten Voraussetzungen 34 wegen einer sittenwidrigen Bindung zum Nachteil des Abnehmers den Tatbestand des § 138 BGB verwirklichen. Ändern sich im Verlauf der Vertragsdauer die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen, so kann sich die langjährige, den Abnehmer ursprünglich knebelnde, Bindung zu seinem Vorteil wandeln. Da es für die Feststellung der Sittenwidrigkeit auf den Zeitpunkt des Vertragsschlusses ankommt 35 , könnte sich der Lieferant aber unter Zugrundelegung des absoluten Nichtigkeitsbegriffs nachträglich auf die Nichtigkeit des Bezugsvertrags berufen, obwohl die Nichtigkeit einseitig zum Schutze des Abnehmers angeordnet ist. Dieses Beispiel belegt, daß die Lehre von der absoluten Nichtigkeit in besonderen Fallkonstellationen den gerade nicht Schutzwürdigen begünstigt; weiter ist sie Beleg dafür, daß der Vertragspartner des gemäß § 138 Abs. 1 BGB sittenwidrig Handelnden - z.B. infolge veränderter tatsächlicher oder wirtschaftlicher Umstände - ein berechtigtes Interesse an der Aufrechterhaltung der an sich gemäß § 138 BGB nichtigen Vereinbarung haben kann 36 .

32 Wolf, in: Wolf/Horn/Lindacher, § 9 Rn. 4 (für § 9 AGB-Gesetz); Ulmer, in: Ulmer/Brandner/ Hensen, Einl. Rn. 28 f. (für das A G B - G e s e t z insgesamt). 33 Speziell im Recht der Allgemeinen Geschäftsbedingungen gibt es zwar Lösungsversuche zum Problem der „personalen Teilunwirksamkeit" (vgl. H.Schmidt, in: Ulmer/Brandner/Hensen, § 6 Rn. 16; ders., Vertragsfolgen, S. 115 f.; Lindacher, in: Wolf/Horn/Lindacher, § 6 Rn. 40); gleichwohl helfen diese weder in dem genannten Beispiel weiter, noch lassen sie sich auf andere Nichtigkeitsnormen verallgemeinern (vgl. dazu unten S. 349 ff.). 34 Zu den Voraussetzungen der Sittenwidrigkeit übermäßig langer Vertragsbindungen, insbesondere von Bierlieferungsverträgen vgl. S o e r g e l I H e f e r m e h l , § 138 Rn. 126 ff.; BGB-RGRK/Ärwger-Nieland/Zöller, § 138 Rn. 79; Mayer-Maly, in: M ü n c h e n e r Kommentar, § 138 Rn. 68; N e u m a n Geltungserhaltende Reduktion, S. 38 ff. 35 B G H Z 100, 353, 359; B G H Z 107, 92, 96; B G H N J W 1989, 1276, 1277; Soergel IHefermehl, § 138 Rn. 40 ff.; P a l a n d t / H e i n r i c h s , § 138 Rn. 9. 36 In diesem Sinne bereits v.Tuhr, Allgemeiner Teil II 2, § 70 IV, S. 4 3 Fn. 136; Stampe, A c P 108 (1912), 42, 80 f.

10

Kapitel

1:

Einleitung

Auch im Bereich spezialgesetzlicher Nichtigkeitsvorschriften ist es häufig der Fall, daß eine strikte Handhabung der absoluten Nichtigkeit unangemessene Ergebnisse mit sich bringt: Verpflichtet sich beispielsweise der Erwerber eines Grundstücks im Zusammenhang mit dem Erwerbsgeschäft, bei der Ausführung des auf diesem Grundstück zu errichtenden Bauwerks die Leistungen eines bestimmten Architekten in Anspruch zu nehmen, so ist diese Verpflichtung gemäß § 3 des Gesetzes zur Regelung von Ingenieur- und Architektenleistungen vom 4. 11. 1971 37 unwirksam; diese Vorschrift bezweckt primär, dem Grundstückserwerber das freie Wahlrecht bezüglich des Architekten zu sichern 38 . Indes kann die gesetzlich angeordnete Rechtsfolge der Unwirksamkeit zu schutzzweckwidrigen Resultaten führen, wenn beispielsweise der Erwerber - aus welchen Gründen auch immer - gerade an der Leistung dieses Architekten interessiert ist. Es stellt sich die Frage, ob der durch die Nichtigkeitsvorschrift geschützte Erwerber auf die Geltendmachung der Unwirksamkeit verzichten kann. Eine neue Sichtweise der Frage, wer sich zulässigerweise auf die Nichtigkeit eines Rechtsgeschäfts berufen darf bzw. ob ihre Geltendmachung ausschließlich einer am Rechtsgeschäft beteiligten Person zur Disposition zu stellen ist, kann auch im Kartellrecht Erkenntnisse, insbesondere für die Behandlung sogenannter kartellrechtswidriger Folgeverträge, mit sich bringen: Vereinbaren beispielsweise mehrere Unternehmer ein Marktaufteilungskartell, also ein Kartell, bei dem die Kartellmitglieder ihre Absatzgebiete mit der Abrede unter sich aufteilen, sich gegenseitig in ihren Kundenbereichen nicht zu stören, so stellt sich die Frage nach Auswirkungen eines solchen gemäß § 1 Abs. 1 GWB verbotenen Kartells auf die Wirksamkeit eines Folgevertrags, beispielsweise eines Kaufvertrags zwischen einem Kartellmitglied und einem Dritten: Erfährt der Dritte etwa von dem bestehenden Marktaufteilungskartell, so stellt sich für ihn die Frage, ob er an den Vertrag mit dem Kartellmitglied noch gebunden ist. Die herrschende Meinung nimmt die Wirksamkeit solcher Folgeverträge nicht zuletzt im Hinblick auf den Schutz des Dritten an, der möglicherweise ein Interesse an der Durchführung des Folgevertrags hat 39 . Indes ist die Frage berechtigt, ob dieser Schutzzweck es nicht rechtfertigt, über den Standpunkt der herrschenden Meinung hinaus dem Dritten die Nichtigkeit des Folgevertrags zur Disposition zu stellen, weil der Dritte nach Kenntniserlangung von dem Kartell von dem Folgevertrag wieder loskommen will. Eine befriedigende Lösung für die genannten Beispielsfälle könnte darin liegen, daß man generell im Falle des Eingreifens von Nichtigkeitsnormen, die dem Schutz bestimmter Personen dienen, allein dem Geschützten die Berufung auf die Nichtigkeit zur Disposition stellt. Damit ist der Gegenstand dieser Untersuchung umrissen, die der Frage nachgeht, ob es sachgerecht und dogmatisch zulässig ist,

37 BGBl. I S. 1749. Das Gesetz ist als Art. 10 des Gesetzes zur Verbesserung des Mietrechts und zur Begrenzung des Mietanstiegs sowie zur Regelung von Ingenieur- und Architektenleistungen (BGBl. I S. 1745) verkündet worden. 38 Vgl. BT-Drucks. 6/1549, S. 14 f.; O L G Düsseldorf BB 1975, 201, 202; S o e r g e l I H e f e r m e h l , § 139 Rn. 52; vgl. auch B G H N J W 1978, 6 3 9 f . ; B G H N J W 1978, 8 2 0 f . ; Hesse, BauR 1977, 73 ff. 39 Dazu eingehend unten S. 360 ff.

B) Gang der

Untersuchung

11

die Wirkungen der Nichtigkeit in personaler Hinsicht zu relativieren 40 . Die Untersuchung konzentriert sich allein auf die Frage nach einem Zusammenhang zwischen dem Schutzzweck von Nichtigkeitsnormen und einer einseitigen Disponibilität der Nichtigkeit.

B) Gang der Untersuchung Der Untersuchung liegt folgende Konzeption zugrunde: Das BGB und die zivilrechtlichen Nebengesetze verwenden zahlreiche Begriffe, um die Ungültigkeit von Rechtsgeschäften zum Ausdruck zu bringen; darüber hinaus kennt das Gesetz unterschiedliche Arten der Ungültigkeit. Bevor der Frage nach der Berechtigung einer personalen Relativierung der Nichtigkeit nachgegangen werden kann, ist es deshalb erforderlich, sich zunächst einen Überblick über die verschiedenen Arten der Ungültigkeit zu verschaffen 41 . Diesem terminologischen Abriß folgt die Aufarbeitung des schon berührten Meinungsstandes zu der Frage, was die herkömmliche Meinung unter absoluter Nichtigkeit versteht 42 . Im Anschluß hieran ist zu betrachten, ob in der Vergangenheit, insbesondere bei der Schaffung des BGB, Ansätze einer personalen Relativierung der Nichtigkeit existierten 43 . Interessante Hinweise für den Untersuchungsgegenstand gibt die anschließende Umschau auf vergleichbare Nichtigkeitsmodifizierungen, die in anderen Rechtsordnungen zu beobachten sind 44 . Im Anschluß an dieses rechtsvergleichende Kapitel wird der Frage nachgegangen, ob es überhaupt Nichtigkeitsnormen gibt, die dem Schutz bestimmter Personen dienen 45 . Sodann sollen allgemeine Argumente, die sich gegen eine personale Relativierung der Nichtigkeitsfolgen ins Feld führen ließen, auf ihre Stichhaltigkeit überprüft werden 46 . Hieran anschließend folgt eine - für die dogmatische Zulässigkeit der These wichtige - Untersuchung, ob die deutsche Privatrechtsordnung Ansätze oder Tendenzen enthält, die eine personale Relativierung der Nichtigkeit zulassen, sie vielleicht sogar indizieren 47 . Der allgemeine Teil dieser Arbeit endet mit einer Beleuchtung entsprechender Tendenzen in Rechtsprechung 48 und Schrifttum 49 . Hieran anschließend werden im besonderen Teil der 40 Hinzuweisen ist darauf, daß es im folgenden immer u m Fälle geht, bei denen die Parteien kein Einvernehmen erzielen; faktisch können die Parteien eines Rechtsgeschäfts viele Nichtigkeitsgründe umgehen - immer dann, wenn keine staatliche Kontrolle stattfindet - und damit Nichtigkeitswirkungen ausschalten. U m derartige Fälle geht es hier jedoch nicht. Die Untersuchung betrifft vielmehr Konstellationen, bei denen ein Beteiligter das Eingreifen eines Nichtigkeitsgrundes „geltend macht", während ein anderer die D u r c h f ü h r u n g des Rechtsgeschäfts anstrebt. 41 42 43 44 45 46 47 48 49

S. S. S. S. S. S. S. S. S.

13 ff. 28 ff. 33 ff. 90 ff. 137 ff. 146 ff. 158 ff. 215 ff. 2 5 0 ff.

12

Kapitel 7:

Einleitung

U n t e r s u c h u n g k o n k r e t e A n w e n d u n g s f ä l l e g e p r ü f t , in d e n e n eine p e r s o n a l e Relativierung geboten erscheint 5 0 . Zuletzt soll der Versuch u n t e r n o m m e n w e r d e n , aufg r u n d der b e h a n d e l t e n E i n z e l f ä l l e ein a l l g e m e i n g ü l t i g e s Prinzip und eine k o n k r e t e rechtliche A u s g e s t a l t u n g eines Instituts der p e r s o n a l e n Relativierung der Nichtigkeit zu f o r m u l i e r e n 5 1 .

50 51

S. 297 ff. S. 401 ff.

Kapitel 2:

Zur Terminologie fehlerhafter Rechtsgeschäfte und ihrem inhaltlichen Zusammenhang Wie eingangs erwähnt, verwendet das BGB zahlreiche Rechtsbegriffe, um die Wirkungslosigkeit eines Rechtsgeschäfts zum Ausdruck zu bringen. Die Bezeichnungen „unwirksam" 1 und „nichtig" 2 finden sich am häufigsten. Andere Bezeichnungen sind: „kraftlos" 3 , „unzulässig" 4 , „nicht sollen" 5 oder „nicht können" 6 . Der vor Inkrafttreten des BGB oft gebrauchte Begriff „ungültig" findet sich nur noch in Art. 198 Abs. 2, 207 EGBGB. Nach der Streichung der Legaldefinition des Begriffs der Nichtigkeit aus dem ersten Entwurf 7 finden sich im BGB weder Definitionen dieser Begriffe noch eine Klärung ihres Zusammenhangs. Dies überrascht auf den ersten Blick nicht. Zum einen vermeidet das BGB Definitionen 8 , zum anderen erscheinen die hauptsächlich gebrauchten Begriffe „unwirksam" und „nichtig" begrifflich und inhaltlich a priori aus sich heraus verständlich und wenig auslegungsbedürftig. Letzteres war - wie schon erwähnt 9 - auch der Grund für die

' §§63 Abs.2; 108Abs.2S. 1; 111 S. 1,2; 135 Abs. 1 S. 1; 161 Abs. 1 S. 1; 174S. 1; 176Abs.3; 177 Abs. 2 S. 1; § 184Abs. 7; 319 Abs. 2; 344; 354 S. 2; 357; 359 S. 1 ; 388 S. 2; 410Abs. 1 S . 2 ; 5 0 6 ; 537 Abs. 3; 543 S. 2; 549 Abs. 2 S. 3; 550 a; 554 Abs. 1 S. 3, Abs. 2 Nr. 2; 554 a S. 2; 554 b; 556 a Abs. 7; 557 Abs. 4; 557 a Abs. 2; 564 b Abs. 6; 565 Abs. 2 S. 4; 569 a Abs. 7; 574 S. 2; 580 a Abs. 2 S. 2; 779 Abs. 1; 878; 883 Abs. 2 S. 1; 888 Abs. 1; 925 Abs. 2; 1124 Abs. 2; 1125; 1126 S.3; 1160 Abs. 2; 1253 Abs. 1 S.2; 1366Abs.3,4; 1367; 1368; 1600bAbs. 1,3; 1600fAbs. 1; 1735 S.2; 1760 Abs.2; 1831 S. 1,2; 1950 S.2; 2000 S. 1; 2044 Abs.2 S. 1 ; 2077 Abs. 1 S. 1, Abs.2, 3; 2085; 2101 Abs. 1 S.2; 2109 Abs. 1 S. 1 ; 2113 Abs. 1 ; 2115 S. 1; 2160; 2162 Abs. 1, 2; 2161 Abs. 1; 2171 S. 1; 2180 Abs.2 S.2; 2195; 2201; 2 2 0 2 A b s . 2 S.2; 2225; 2268 Abs. 1; 2270; 2289 Abs. 1 S.2; 2298; 2336 Abs. 4; 2337 S. 2; 2338 Abs. 2 S. 2; 2339 Abs. 2; 2360 Abs. 2 BGB. 2

§§ 105Abs. 1,2; 116S. 1,2; 117Abs. 1 ; 118; 122Abs. 1,2; 125S. 1,2; 134; 138Abs. 1,2; 139; 140; 141 Abs. 1, 2; 142 Abs. 1, 2; 248 Abs. 1 306; 310; 312 Abs. 1 S. 1; 443; 476; 540; 637; 723 Abs. 3; 749 Abs. 3; 1136; 1229; 1297 Abs. 2; 1591; 1596 Abs. 1 Nr.2; 1600 i Abs. 2 S. 1 ; 1 6 1 5 e S . 2 ; 1671 Abs. 6; 1719 S. l ; 2 0 7 7 A b s . 1 S. 1; 2263; 2270 Abs. l ; 2 2 9 8 A b s . 1;2302BGB. 3 §§ 172 Abs. 2; 176 Abs. 1; 799 Abs. 1 S. 1 ; 808 Abs. 2 S. 2; 1162; 1170 Abs. 2 S. 2; 1171 Abs. 2 S.2; 2361 Abs. 1 S . 2 , A b s . 2 S . 1 ; 2368 Abs. 3 BGB. 4 §§ 180S. 1; 226; 567 S.2; 867 Abs. 1 S. 3; 906 Abs. 3; 980 Abs. 1; 1014; 1052Abs. 1 S.2; 1682 Abs.2 S . 2 BGB. 5 §§ 1645; 1781; 1782; 1784; 1823 BGB. 6 §§ 35; 38 S. 2; 137 S. 1 ; 276 Abs. 2; 745 Abs. 2; 1641 ; 2229 Abs. 4 BGB. 7 Siehe dazu oben S. 3. 8 Vgl. Planck, Allgemeiner Teil, S. 25. 9 Siehe oben S. 3.

14

Kapitel 2: Zur Terminologie fehlerhafter

Rechtsgeschäfte

Streichung der noch im ersten Entwurf des BGB enthaltenen Begriffsbestimmung 10 . Nach Inkrafttreten des BGB entwickelte die Wissenschaft eine fast unüberschaubare Vielzahl von Theorien, die die Klärung der im Gesetz verwandten Termini, insbesondere deren Verhältnis zueinander, zu klären versuchten"; aus heutiger Sicht sorgen vereinzelte Lösungsversuche indes für Verwirrung und beinhalten originelle Begründungsversuche 12 . Auf den ersten Blick haben sich die begrifflichen Auseinandersetzungen gelegt. Dementsprechend sind ausdrückliche Meinungsdispute über die Terminologie im Rahmen der Unwirksamkeitslehre in den Hintergrund getreten. Beer meint sogar, der frühere große Streit über das Verhältnis von Unwirksamkeit und Ungültigkeit sei völlig verschwunden 13 . Bei näherer Beleuchtung der Abhandlungen im Bereich der Unwirksamkeitslehre fällt allerdings auf, daß von einer einheitlichen Terminologie in der Wissenschaft immer noch keine Rede sein kann l 4 . Collier hat in diesem Zusammenhang von „fast chaotischer Begriffsverwirrung" 15 gesprochen. Um im Rahmen dieser Untersuchung von einer einheitlichen Terminologie ausgehen zu können, aber auch um möglicherweise nähere Aufschlüsse für die Beantwortung des in Rede stehenden Untersuchungsgegenstands zu erhalten, sind deshalb vorab die in Zusammenhang des nichtigen Rechtsgeschäfts verwandten Bezeichnungen sowie ihr inhaltliches Verhältnis zueinander zu beleuchten. Dabei soll sich die Betrachtung auf das „nichtige" und das „unwirksame" Rechtsgeschäft konzentrieren; gleichwohl bedarf es auch eines Blicks auf die hiermit zusammenhängenden Termini.

A) „Nicht-Rechtsgeschäfte" und fehlerhafte Rechtsgeschäfte Rechtsgeschäfte können aus einer Vielzahl von Gründen keine bzw. nicht die beabsichtigte Rechtswirkung entfalten oder rechtlich „angreifbar" sein. Das BGB spricht vor allem von nichtigen und unwirksamen Rechtsgeschäften, verwendet aber - wie eingangs dieses Kapitels erwähnt - auch zahlreiche andere Wendungen. Um alle Bezeichnungen übergreifend zu erfassen, spricht die ganz überwiegende

10 Protokolle I, S. 125; Leonhard ( S . 4 3 2 F n . 4 ) hat bereits im Jahre 1900 Zweifel hieran erhoben. 11 Vgl. etwa den Überblick bei Kadauke, S. 4 ff. 12 So heißt es bei Ehlert (S. 162): „ I s t , n i c h t i g ' gleich .nicht v o r h a n d e n ' ? Was besagt die Endsilbe , i g ' ? Bergig, waldig, sonnig ist nicht das, wo der Berg, der Wald, die Sonne ist, sondern wo etwas von Berg, Wald und Sonne ist. Nichtig drückt nicht aus, daß alles , N i c h t ' da ist, sondern nur, daß etwas .nicht' da ist; also nicht notwendig ein Nichtvorhandensein, sondern zunächst nur einen Mangel." 13 14 15

Beer, Relative Unwirksamkeit, § 6, 2, S. 29. Vgl. dazu unten S. 16 ff. Collier, S. 3.

A) „Nicht-Rechtsgeschäfte"

und fehlerhafte Rechtsgeschäfte

15

Anzahl von Stimmen vom „fehlerhaften Rechtsgeschäft" 1 6 ; treffend wird diese Bezeichnung als Oberbegriff für tatbestandlich vollendete, aber mit einem Mangel behaftete Rechtsgeschäfte gebraucht. Der im 19. Jahrhundert als Genus proximum verwandte Terminus „Ungültigkeit" hat sich nicht durchgesetzt 1 7 . Vielfach wird dem fehlerhaften Rechtsgeschäft das „Nicht-Rechtsgeschäft" 1 8 bzw. das „nicht zustande gekommene" 1 9 oder „unvollständige" 2 0 Rechtsgeschäft gegenübergestellt. Diese Begriffe werden verwandt, wenn die Tatbestandsvoraussetzungen eines Rechtsgeschäfts nicht verwirklicht sind 21 ; vielfach findet sich deshalb auch die Formulierung, der „äußere Tatbestand" sei in diesen Fällen nicht erfüllt 2 2 . Haben sich die präsumtiven Parteien eines Vertrags beispielsweise nicht über die wesentlichen Vertragsbestandteile geeinigt, liegen die Tatbestandsvoraussetzungen des Rechtsgeschäftes „Vertrag" nicht vor. Dementsprechend bezeichnen einige Stimmen diese Konstellation als „Nicht-Rechtsgeschäft" 2 3 . Das Gesetz aber spricht in § 154 Abs. 1 BGB vom „nicht geschlossenen" Vertrag. Treffender und damit vorzugswürdig ist deshalb die Bezeichnung des „nicht geschlossenen" oder - wie noch verbreiteter ist - des „nicht zustande gekommenen" 2 4 Rechtsgeschäfts. Über den Fall des Fehlens von Tatbestandsvoraussetzungen wird als weiteres Beispiel für ein nicht zustande gekommenes Rechtsgeschäft das Fehlen des für eine Willenserklärung notwendigen Rechtsbindungswillens genannt 2 5 . Dieser Fall belegt zugleich die unscharfe Grenze zum nichtigen Rechtsgeschäft, wenn man beispielsweise die §§ 116, 117 und 118 BGB als gesetzlich geregelte Fälle des feh-

16

Vom fehlerhaften Rechtsgeschäft sprechen beispielsweise E r m a n / B r o x , Einl. § 104 Rn. 23; Dernburg, Allgemeine Lehren, § 115, S. 388; Staudinger/D;7c/ier, 12. Auflage, Einl. zu §§ 105 185 Rn. 65; Giesen, Jura 1981, 23; Jauernig, Vor. § 104 Rn. 1 6 ; P a l a n d t / H e i n r i c h s , Überbl. v. § 104 Rn. 26; H. Hübner, Allgemeiner Teil, R n . 9 2 8 ; BGB-RGRK/Krüger-Nieland, Vor. § 104 Rn. 32; Lüke/Zawar, JuS 1970, 205. 17 So beispielsweise noch nach Inkrafttreten des B G B Enneccerus/Nipperdey, Allgemeiner Teil 12, § 2 0 2 VI, S. 1209; Manigk, Handwörterbuch, S. 292; v.Tuhr, Allgemeiner Teil II 1, § 5 5 , S . 2 7 3 ; Zepos, in: Festschrift f ü r Spiropoulos, S. 461. 18 Collier, S. 110; Flume, Das Rechtsgeschäft, § 30, 4, S. 550; Jauernig, Vor. § 104 Rn. 16; Pal a n d t / H e i n r i c h s , Überbl. v. § 104 Rn. 3; Manigk, Handwörterbuch, S . 2 9 2 , 302; Zepos, in: Festschrift für Spiropoulos, S. 4 6 1 , 4 6 7 ; E. Wolf( Allgemeiner Teil, § 10 A II b, S. 452) spricht von Nichtwirksamkeit; anders ältere Literaturansichten, wonach nicht zustande g e k o m m e n e Rechtsgeschäfte als unwirksam bezeichnet wurden, vgl. Jacobi, A c P 86 (1896), 51, 73. 19

B G H N J W 1992, 498; B G H W M 1982, 155, 156; B G H N J W 1974, 234, 235; P a l a n d t / / / e m richs, Überbl. v. § 104 Rn. 3; Enneccerus/Nipperdey, Allgemeiner Teil I 2, § 202, S. 1210. 20 v.Tuhr, Allgemeiner Teil II 1, § 52 I I I , S. 194 f. 21 Staudinger/Dilcher, 12. Auflage, Einl. zu §§ 104 - 185 Rn. 70; P a l a n d t / H e i n r i c h s , Überbl. v. § 104 Rn. 3; Jauernig, Vor. § 104 Rn. 16. 22 v.Tuhr, Allgemeiner Teil II 1, § 55, 2, S. 275 f. 23 Siehe Nachweise oben S. 15 Fn. 18. 24 Siehe Nachweise oben S. 15 Fn. 19. 25 Vgl. R G Z 68, 322, 328; Manigk, Handwörterbuch, S. 292, 302; Jauernig (Vor. § 104 Rn. 17) bezeichnet diesen Fall als scheinbares Rechtsgeschäft und ordnet ihn als Unterfall des NichtRechtsgeschäfts ein. In den Spezialfällen des mangelnden Rechtsbindungswillens in §§ 116, 117 B G B ist gleichwohl von Nichtigkeit die Rede.

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Kapitel 2: Zur Terminologie fehlerhafter

Rechtsgeschäfte

lenden Rechtsbindungswillens ansieht 2 6 . Denn der geheime Vorbehalt ( § 1 1 6 S. 2), das Scheingeschäft ( § 1 1 7 Abs. 1) und der Mangel der Ernstlichkeit (§ 118) begründen - jedenfalls nach dem Gesetzes wortlaut - die „Nichtigkeit" der Willenserklärung. Der praktische Unterschied zwischen einem nichtigen Rechtsgeschäft und einem nicht zustande g e k o m m e n e n Rechtsgeschäft liegt primär darin, daß § 141 B G B auf letztere keine A n w e n d u n g findet 2 7 .

B) Das Verhältnis der Begriffe Unwirksamkeit und Nichtigkeit zueinander Wie eingangs erwähnt 2 8 , verwendet das B G B zahlreiche Termini, um die Fehlerhaftigkeit eines Rechtsgeschäfts zum Ausdruck zu bringen. Bei näherer Beleuchtung zeigt sich, daß insbesondere über den Z u s a m m e n h a n g , in dem diese Begriffe zueinander stehen, wenig Einigkeit besteht. Gleiches gilt - was von größerer Relevanz ist - für die Inhalte der Begriffe „nichtig" und „unwirksam", die über die Definitionsdivergenzen hinaus ständigen Diskussionen und Veränderungen durch Wissenschaft und Rechtsprechung ausgesetzt sind. Die Terminologie des B G B wird - wie H.Hübner zurückhaltend feststellt - von einer „gewissen Definitionsunsicherheit" 2 9 geprägt. Flume gelangt zu der Erkenntnis, das B G B habe eine klare Abgrenzung der Begriffe „Nichtigkeit" und „Unwirksamkeit" vermieden 3 0 . Beer bezeichnet die Verwendung der Begriffe „nichtig" und „unwirksam" als wahllos 3 1 . Deutlich härter kritisiert Collier die Pluralität der Definitionen im Schrifttum, wenn er - wie schon erwähnt - von „fast chaotischer Begriffsverwirrung" spricht 3 2 . Zu den terminologischen und inhaltlichen Aspekten finden sich im wesentlichen vier Thesen, die sich teilweise überschneiden und vielfach in weitere Unteransichten aufgliedern lassen. Diese sollen im folgenden aufgezeigt werden.

26 Vgl. B G H Z 36, 84, 87 f. für § 117 B G B ; wie hier bereits Enneccerus/Nipperdey, Allgemeiner Teil 12, § 2 0 2 , S. 1210 Fn. 6. 27 B G H N J W 1987, 1698, 1699; StaudingerIDilcher, 12. Auflage, Einl. zu §§ 1 0 4 - 1 8 5 , R n . 7 0 ; Palandt/Heinrichs, § 141 Rn. 3; Kramer, in: Münchener Kommentar, § 154 Rn. 10; Soergel/Wb// § 154 R n . 2 ; Flume, Das Rechtsgeschäft, § 3 0 , 4, S . 5 5 0 ; kritisch bezüglich der Relevanz Enneccerus/Nipperdey, Allgemeiner Teil I 2, § 202, S. 1210 Fn. 6. 28 29 30 31 52

O b e n S . ¡3. H. Hühner, in: Festschrift für Wieacker, S. 399, 402. Flume, Das Rechtsgeschäft, § 30, 2, S. 548 f. Beer, Relative Unwirksamkeit, § 4, S. 20. Oben S. 14.

B) Das Verhältnis der Begriffe Unwirksamkeit und Nichtigkeit zueinander

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I. Nichtigkeit und Unwirksamkeit als Synonyma Vielerorts, insbesondere in der alltäglichen Rechtspraxis, werden die Bezeichnungen unwirksam und nichtig heutzutage synonym gebraucht. Auch im Schrifttum finden sich viele Ausführungen, in denen - teils ausdrücklich, teils konkludent diese Begriffe in übereinstimmendem Sinne verwandt werden 3 3 . Die synonymische Behandlung offenbart sich vereinzelt dann, wenn das B G B die Bezeichnung unwirksam gebraucht, die entsprechende Kommentierung oder Erläuterung aber von Nichtigkeit spricht 3 4 . Explizit und wohl am deutlichsten - allerdings ohne nähere Begründung - vertritt E. Wolf diese These. Ausdrücklich erklärt er, zwischen Unwirksamkeit und Nichtigkeit bestehe „inhaltlich kein Unterschied" 3 5 . U m einen scheinbaren Unterschied zu vermeiden, rät er deshalb von der Verwendung des Terminus „Nichtigkeit" ausdrücklich ab 3 6 . Nipperdey geht von derselben Prämisse aus, empfiehlt aber die gegenteilige Terminologie: U n w i r k s a m e Rechtsgeschäfte seien als „nichtig" zu bezeichnen 3 7 .

II. Unwirksamkeit als Beschreibung der nichtiger Rechtsgeschäfte

Rechtsfolge

In Z u s a m m e n h a n g mit der zuvor beschriebenen steht eine vereinzelt vorzufindende Begriffshandhabung, die mit dem Begriff „ u n w i r k s a m " die Rechtsfolge der Nichtigkeit beschreibt: Nichtigkeit „heißt, das Rechtsgeschäft ist von A n f a n g an unwirksam ..." 3 8 . Nach dieser Vorstellung stellen Unwirksamkeit und Nichtigkeit gleichfalls keine Gegensätze dar.

III. Unwirksamkeit als Genus

proximum

A m häufigsten findet sich heute die Verwendung der Bezeichnung Unwirksamkeit als Oberbegriff für verschiedene Fehler eines Rechtsgeschäft: Nichtigkeit, relative Unwirksamkeit, schwebende Unwirksamkeit und Anfechtbarkeit sind danach Arten der Unwirksamkeit 3 9 . Diese Begriffsbestimmung resultiert aus der Vorstel33

Beer, Relative Unwirksamkeit, § 6 , S . 6 1 ; E r m a n I B r o x , Einl. § 104 R n . 2 3 ; S o e r g e l / H e f e r mehl, Vor. § 116 Rn. 75; Enneccerus/Nipperdey, Allgemeiner Teil I 2, § 202, S. 1209 f.; E. Wolf Allgemeiner Teil, § 10, S. 452 Fn. 1; § 10 B III, S. 458 f. 34 Vgl. z.B. SoergelIStürner, § 925 Rn. 39. 35 E. Wolf Allgemeiner Teil, § 10, S . 4 5 2 F n . 1; § 10 B III, S . 4 5 8 f . 36 E. Wolf, Allgemeiner Teil, § 10, S . 4 5 2 F n . 1. 37 Enneccerus/Nipperdey, Allgemeiner Teil I 2, § 202, S. 1210. 38 Führich, § 8 1 1, S. 93. 39 Vgl. Beer, Relative Unwirksamkeit, § 6 , S . 3 0 ; ders., JA 1976, 75; Staudinger/Di/c/jir, 12. Auflage, Einl. zu §§ 104 - 185 Rn. 66; Führich, § 8 I, S. 93 f.; Gernhuber, Bürgerliches Recht, § 6 , S. 50 ff.; H. Hübner, Allgemeiner Teil, R n . 9 2 8 f f . ; Larenz/Wolf Allgemeiner Teil, § 4 4 R n . 3 ; Lüke/Zawar, JuS 1970, 205, 206; aus dem älteren Schrifttum: Crome, System des Bürgerlichen

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Kapitel 2: Zur Terminologie fehlerhafter

Rechtsgeschäfte

lung, an die Stelle des im 19. Jahrhundert gebrauchten Oberbegriffs Ungültigkeit sei der Terminus Unwirksamkeit getreten 4 0 . Schärfster Gegner dieser Terminologie ist E. Wolf, der es begrifflich für unmöglich hält, Arten der Unwirksamkeit zu bilden, „weil Unwirksamkeit das Nichtexistieren der Wirkung eines Rechtsgeschäfts bei dessen Vollendung, also nichts ist und weil Gattungen oder Arten von nichts nicht denkbar sind" 4 1 . Unter den Autoren, die den Begriff Unwirksamkeit als Oberbegriff verwenden, finden sich eine Reihe verschiedener „Unteransichten" 4 2 , von denen lediglich auf folgende besonders hingewiesen werden soll: Im Hinblick darauf, daß - ähnlich wie bei der Anfechtbarkeit - in einzelnen ausdrücklich gesetzlich normierten Fällen Nichtigkeit nur eintritt, wenn sie besonders geltend gemacht wird, bezeichnet insbesondere H. Hübner als besondere Art der Unwirksamkeit die Vernichtbarkeit durch Nichtigkeitsklage 4 3 . Hierzu zählt er die gesellschaftsrechtlichen Verfahren nach §§ 275 ff. AktG, § § 7 5 ff. G m b H G und § § 9 4 ff. GenG sowie die - ab 1.7.1998 allerdings außer Kraft tretende - Nichtigkeitsklage gemäß § § 2 3 ff. EheG. Als besondere Unwirksamkeitsart trifft man - in Abgrenzung zur schwebenden Unwirksamkeit - gelegentlich auch auf den Fall der „schwebenden Wirksamkeit". Hierunter werden im wesentlichen zwei Fälle verstanden: Allgemein umschreiben zum einen Lüke und Zawar den Schwebezustand der Anfechtbarkeit als schwebende Wirksamkeit. Der Schwebezustand verwandele sich durch die Ausübung des Anfechtungsrechts in rückwirkende Nichtigkeit, oder es trete endgültige Wirksamkeit ein, falls der Berechtigte sein Anfechtungsrecht verliere 4 4 . Der Ansicht Coings45 folgend beschreibt zum anderen Dilcher speziell die Wirkung des § 2113 Abs. 1 B G B als einen Fall der schwebenden Wirksamkeit 4 6 . Nach Rechts, § 8 0 , S . 3 4 5 ; Fischer, in: Festschrift für Wach, S. 181, 190; H.Lehmann, Handwörterbuch, S. 206, 208; Raestrup, S . 2 0 f . ; Planck, Allgemeiner Teil, S. 182 f.; v.Tuhr, Allgemeiner Teil II 1, § 55, S. 273; Gareis, § 139, S. 171. 40 Priem, § 12, S. 53. 41 E.Wolf, Allgemeiner Teil, § 10 B III, S. 458; ähnlich Manigk, Handwörterbuch, S. 292, 298. 42 Hefermehl ( S o e r g e l / H e f e r m e h l , Vor. § 116 Rn. 75) unterscheidet zwischen absoluter und relativer Unwirksamkeit auf der einen und endgültiger und vorläufiger Unwirksamkeit auf der anderen Seite; absolut und endgültig unwirksame Rechtsgeschäfte seien nichtig (ähnlich Staudinger/ Dilcher, 12. Auflage, Einl. zu §§ 1 0 4 - 1 0 5 , Rn. 66). Hefermehl gehört zu den wenigen Stimmen, die das anfechtbare Rechtsgeschäft nicht als Unwirksamkeitsart ansehen, sondern stellt diese gegenüber. v. Tuhr (Allgemeiner Teil II 1, § 55, S. 273 ff.) unterscheidet zwischen unvollendeten, nichtigen und anfechtbaren Rechtsgeschäften. Führich (§ 8, S. 92) nennt: Nichtigkeit, Anfechtbarkeit und Unwirksamkeit. Collier (S. 3) sieht in beiden Termini (Nichtigkeit und Unwirksamkeit) Oberbegriffe. Die überwiegende Anzahl von Autoren gehen von den genannten Unterarten Nichtigkeit, Anfechtbarkeit, relative und schwebende Unwirksamkeit aus (vgl. beispielsweise Larenz/Wolf Allgemeiner Teil, § 44 Rn. 3; Luke/Zawar, JuS 1970, 205, 206; Medicus, Allgemeiner Teil, Rn. 487 ff,; Planck, Allgemeiner Teil, S. 182 f.). 43 H. Hübner, Allgemeiner Teil, R n . 9 4 4 ; Lehmann/H. Hübner, Allgemeiner Teil, § 2 7 II 5, S. 181 f.; ähnlich Enneccerus/Nipperdey, Allgemeiner Teil I 2, § 2 0 2 , S. 1213. 44 Lüke/Zawar, JuS 1 9 7 0 , 2 0 5 , 2 0 6 . 45 Staudinger/Coing, 11. Auflage, Einl. vor § 104 Rn. 50. 46 Staudinger/Di/c/jer, 12. Auflage, Einl. zu §§ 104 - 185 Rn. 74; ihm folgend Beer, Relative Unwirksamkeit, § 6, 3.6, S. 41. G e m ä ß § 2113 Abs. 1 B G B ist die Verfügung des Vorerben über ein

B) Das Verhältnis der Begriffe

Unwirksamkeit

und Nichtigkeit

zueinander

19

dieser Ansicht ist eine Verfügung des Vorerben schwebend wirksam, solange sein Recht besteht 47 . Schließlich ist als Unteransicht zur herrschenden Begriffshandhabung noch eine Meinung zu nennen, die neben Nichtigkeit, Anfechtbarkeit, schwebender und relativer Unwirksamkeit unter dem Oberbegriff Unwirksamkeit (im weiteren Sinne) auch die „Unwirksamkeit im engeren Sinne" anerkennt 48 ; letztere wird inhaltlich insbesondere der Nichtigkeit gegenübergestellt. Damit ist diese Meinung als vermittelnde Ansicht zwischen herrschender Meinung und den Autoren anzusehen, die - wie im folgenden zu betrachten ist - eine inhaltliche Differenzierung zwischen Nichtigkeit und Unwirksamkeit treffen.

IV. Inhaltliche

Differenzierung und

zwischen

Nichtigkeit

Unwirksamkeit

Einer Meinungsgruppe zur Terminologie ist gemein, daß ihre Vertreter die Begriffe „unwirksam" und „nichtig" inhaltlich voneinander abgrenzen. Unterschiede weisen die Arten der Differenzierungen auf: Sehr oft findet sich heute der Standpunkt, daß das unwirksame Rechtsgeschäft zwar keine rechtliche Wirkung entfalte, aber noch wirksam werden könne, während das nichtige Rechtsgeschäft von Anfang an keine rechtliche Wirkung entfalte und auch später nicht mehr wirksam werden könne 49 ' 50 . zur Erbschaft gehörendes Grundstück (oder anderer Gegenstände im Sinne des § 2113 Abs. 1 B G B ) unwirksam, als sie das Recht des Nacherben vereiteln oder beeinträchtigen würde. 47 Daß die Verfügung bis zum Eintritt des Nacherbfalles wirksam ist, entspricht der herrschenden M e i n u n g ( B G H Z 52, 269, 270; SozrgtVHarder, § 2113 Rn. 14), ohne daß „ s c h w e b e n d e Wirksamkeit" als Terminus technicus gebraucht wird. Der B G H ( B G H Z 5 2 , 2 6 9 , 2 7 1 ) hat die Rechtslage vor Eintritt des Nacherbfalles mit der bei einem anfechtbaren Rechtsgeschäft vor der A u s ü b u n g des Anfechtungsrechts verglichen; einen Vergleich mit dem Schwebezustand eines genehmigungsbedürftigen Rechtsgeschäftes hat der B G H abgelehnt. Letztere A u s f ü h r u n g interpretiert Beer (Relative Unwirksamkeit, § 6, 3.6, S. 41 Fn. 108) unzutreffend, wenn er meint, der B G H habe damit der schwebenden Wirksamkeit eine Absage erteilt: Der B G H hat gerade einen Vergleich mit d e m Schwebezustand eines genehmigungsbedürftigen und damit schwebend unwirksamen Rechtsgeschäfts abgelehnt. 48 Leonhard, S. 432; Strohal, S. 2 ff.; Vollmar, S. 23 ff.; 37 ff.; vgl. auch Kadauke, S. 4, 8; ablehnend Beer, Relative Unwirksamkeit, § 6, 3.8, S. 44. 49 Flume, Das Rechtsgeschäft, § 3 0 , 2, S . 5 4 8 f . ; BGB-RGRK/Ä'rägiT-Me'/imi/, Vor. § 1 0 4 Rn. 32; M.Müller, Bestätigung, S. 16; Neumann-Duesberg, N J W 1965, 1895, 1896; ähnlich StaudingerIDilcher, 12. Auflage, Einl. zu §§ 104 - 185 R n . 7 1 ; früher bereits Dernburg, Allgemeine Lehren, § 155 II 3, S. 390; Ebbecke, Gruchot 63, S. 177 ff.; Ehlen, S. 216; Kuhlmann, S. 11; Titze, in: Rechtsvergleichendes Handwörterbuch, 5. Bd., S . 8 1 4 . Gegen einen inhaltlichen Unterschied zwischen Unwirksamkeit und Nichtigkeit vor allem E.Wolf, Allgemeiner Teil, § 10 B III, S. 458 f. 50 Für diesen Standpunkt läßt sich die Entwicklung der legislativen Fassung des § 7 Abs. 1 K O ins Feld führen. Ursprünglich waren nach dem Gesetzeswortlaut des § 6 Abs. 1 Reichskonkursordnung Rechtshandlungen, die der Gemeinschuldner nach E r ö f f n u n g des Verfahrens v o r g e n o m m e n hat, den Konkursgläubigern gegenüber nichtig (RGBl. 1877 S. 351, 352). Seit 1898 ist die Rechtsfolge nach § 7 Abs. 1 Unwirksamkeit der entsprechenden Rechtshandlung (vgl. RGBl. 1998 S. 612, 613).

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Kapitel 2: Zur Terminologie fehlerhafter

Rechtsgeschäfte

Fast die gegenteilige Differenzierung zu der heute vornehmlich vertretenen hat Manigk aufgestellt 5 1 : Wo das B G B die volle Wirkungslosigkeit eines Geschäfts endgültig, besonders im Gegensatz zu einem früheren Schwebezustand eintreten ließe, gebrauche es den Begriff unwirksam 5 2 . Nichtigkeit setze es dagegen in denjenigen Normen voraus, die die Konvaleszenz, die Bestätigung und die Konversion regelten. Vor allem kurz nach Inkrafttreten des B G B stand das Verhältnis von Nichtigkeit zur Unwirksamkeit in der Diskussion: Frühzeitig hat vor allem Leonhard geäußert, die unterschiedliche Verwendung der Termini „nichtig" und „unwirksam" könne kein Zufall sein. Leonhard differenzierte zwischen einem engen und einem weiten Unwirksamkeitsbegriff. Den weiten verwendete er übergreifend, in dem engen sah er einen inhaltlichen Gegensatz zur Nichtigkeit 5 3 . Er hat zum einen die These aufgestellt, daß dem nichtigen Rechtsgeschäft immer eine „gesetzliche Mißbilligung" immanent sei, während mit der Verwendung des Begriffs der Unwirksamkeit Neutralität zum Ausdruck k o m m e n solle 5 4 . Zum anderen unterwarf er dem engen Unwirksamkeitsbegriff die Fälle des bedingten Geschäfts, des Mangels in den Nebenumständen, des rechtsfremden Geschäfts sowie der relativen und schwebenden Unwirksamkeit. Den rechtlichen Unterschied zur Nichtigkeit erblickte er in der Unanwendbarkeit der §§ 140, 141 B G B auf diese Fälle 5 5 . Ebenfalls hat Strohal zwischen Unwirksamkeit im weiteren Sinne und Unwirksamkeit im engeren Sinne differenziert 5 6 . Zu der Unwirksamkeit im weiteren Sinne zählte er Nichtigkeit, Anfechtbarkeit und Unwirksamkeit im engeren Sinne. Mit letzterer wiederum bezeichnete er bedingte Rechtsgeschäfte und Arten der nicht endgültigen Wirkungslosigkeit, also vor allem schwebend unwirksame und heilbare Rechtsgeschäfte. Ehlert, der auch schon die Abgrenzung der Nichtigkeit von der Unwirksamkeit darin gesehen hat, daß das unwirksame Rechtsgeschäft im Gegensatz zum nichtigen noch wirksam werden könne 5 7 , hat insbesondere auf der Grundlage erbrechtlicher Normen 5 8 nach der Art des Grundes differenziert. Nichtigkeit sei ein „Geburtsfehler", der einem Rechtsgeschäft schon bei der Vornahme anhafte, während Unwirksamkeit ein „Geschick" sei, das einem wirksamen Rechtsgeschäft widerfahren könne 5 9 . Bei den von Ehlert genannten Unwirksamkeitsgründen handelt es sich folglich um solche, die die Unwirksamkeit durch - dem Rechtsgeschäft zeitlich nachfolgende - Ereignisse eintreten lassen. Ehlert hat außerdem einen Unterschied darin erblickt, daß Nichtigkeit ein Fehler eines Rechtsgeschäftes sei, „der 51

Manigk, Handwörterbuch, S. 292, 298. So in den §§ 108 Abs. 1, 111, 161, 174, 344, 354 S. 2, 359 S. 1 , 4 1 0 Abs. 1 B G B . 53 Leonhard, S. 433; vgl. Kadauke, S. 4 f . 54 Leonhard, S. 434; vgl. die Bedenken bei Collier, S. 106 f. 55 Leonhard, S . 4 3 3 . 56 Strohal, S. 2 ff. 57 Ehlert, S . 2 1 6 ; vgl. oben S. 1 9 F n . 4 9 . 58 Insbesondere § § 2 0 7 7 Abs. 1, 2; 2101 Abs. 1; 2160 ; 2169 Abs. 1; 2171 S. 1; 2201; 2336 Abs. 4; 2338 Abs. 2 B G B . Außerhalb des Erbrechts führt Ehlert für seine These die §§ 111 S . 2 , 174 S. 1 , 3 1 9 Abs. 2, 357, 359 S. l , 4 1 0 A b s . 1 S . 2 , 5 5 4 Abs. 1 S . 3 , 1160 Abs. 2, 1831 S. 1 B G B an. 59 Ehlert, S. 216; vgl. die Bedenken bei Collier, S. 107 ff. 52

C) Stellungnahme und Festlegung der hier verwendeten Terminologie

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auf einem nicht ausschließbaren Rechtsatze beruht", Unwirksamkeit könne hingegen unbeachtet bleiben 60 . Als weitere Unteransichten lassen sich schließlich noch die folgenden Stellungnahmen zur Terminologie katalogisieren: Kohler verwendete den Begriff „Unwirksamkeit" augenscheinlich nur bei Verfügungsverboten und Verfügungen eines Nichtberechtigten 61 . Dernburg bezog „Unwirksamkeit" nur auf bestimmte Wirkungsweisen, wie beispielsweise die heutige relative Unwirksamkeit 62 . Oettinger betonte praktische Auswirkungen der Differenzierung: Der Kläger habe im Rechtsstreit das Fehlen der Beweislast zu tragen 63 . Differenzierungen zwischen Nichtigkeit und Unwirksamkeit kommen auch bei denjenigen Ansichten zum Ausdruck, die die Voraussetzungen eines wirksamen Rechtsgeschäfts in Tatbestands-, Geltungs- und Wirksamkeitsvoraussetzungen aufteilten 64 . Geltungsvoraussetzungen sei das Nichtvorhandensein von Nichtigkeit und Anfechtbarkeit; Wirksamkeitsvoraussetzungen sei das Fehlen der schwebenden und relativen Unwirksamkeit.

C) Stellungnahme und Festlegung der in dieser Untersuchung verwendeten Terminologie Im Ausgangspunkt ist mit der überwiegenden Meinung zwischen nicht zustande gekommenen und fehlerhaften Rechtsgeschäften zu differenzieren. Es erscheint nahezu unbezweifelbar, daß es einen Unterschied macht, ob bereits Tatbestandsvoraussetzungen eines Rechtsgeschäfts fehlen oder ob ein an sich auf Tatbestandsseite erwachsenes Rechtsgeschäft Mängel aufweist. Beleg für diese Differenzierung ist auch die vom Gesetzgeber in § 154 Abs. 1 S. 1 BGB verwandte Formulierung. Liegen die Tatbestandsvoraussetzungen eines Rechtsgeschäfts nicht vor, ist vom „nicht zustande gekommenen" bzw. „nicht geschlossenen" Geschäft zu sprechen. Einzuräumen ist, daß trotz der an sich klaren Prämisse der Übergang vom nicht geschlossenen zum fehlerhaften Rechtsgeschäft - wie die § § 1 1 6 ff. BGB belegen - fließend bleibt 65 . Bei den fehlerhaften Rechtsgeschäften erscheint angezeigt, von der im BGB verwendeten Terminologie auszugehen, die aber das Manko der Uneinheitlichkeit aufweist. Die immer wieder vorzufindende These, Nichtigkeit beschreibe im Gegensatz zur Unwirksamkeit einen endgültigen und definitiven Zustand 66 , muß sich entgegenhalten lassen, daß das BGB diese Differenzierung nicht vornimmt. Dies zeigen 60

Ehlen, S . 2 1 9 . Kohler, Bürgerliches Recht, § 247 f., S. 554, 558. 62 Vgl. Dernburg, Allgemeine Lehren, § 115, S. 389 f. 63 Oettinger, S. 12 ff. 64 Vgl. Kuhlmann, S. 6 f.; Spethmann, S. 32 f.; Zauderer, samkeit, § 5, 2, S. 23; Kadauke, S. 6 f. 65 Siehe oben S. 15 f. 66 Siehe dazu oben S. 19. 61

S. 15 ff.; vgl. Beer, Relative Unwirk-

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Kapitel 2: Zur Terminologie fehlerhafter

Rechtsgeschäfte

bereits die klassischen Beispiele der schwebenden Unwirksamkeit im Minderjährigen- und Vertretungsrecht: W ü r d e das B G B in der Tat mit Unwirksamkeit keine endgültige Wirkungslosigkeit verbinden, so wäre die Formulierung in den §§ 108 Abs. 1, 177 Abs. 1 BGB, die ausdrücklich die Möglichkeit des Wirksamwerdens regeln, streng g e n o m m e n nicht notwendig gewesen. Vor allem aber wären die in diesem Regelungsbereich vorzufindenden unterschiedlichen Unwirksamkeitssanktionen nicht erklärbar. G e m ä ß § I I I S . 1 B G B ist beispielsweise ein einseitiges Rechtsgeschäft, das ein Minderjähriger ohne die erforderliche Einwilligung des gesetzlichen Vertreters vornimmt, unwirksam. Ein solches Rechtsgeschäft kann durch die nachträgliche Zustimmung nicht wirksam werden, erforderlich ist vielmehr eine Neuvornahme. Dies gilt zweifellos f ü r nicht e m p f a n g s b e d ü r f t i g e ebenso wie für empfangsbedürftige Willenserklärungen des Minderjährigen. Zwar nimmt man vielfach an, daß eine empfangsbedürftige Willenserklärung des Minderjährigen in entsprechender A n w e n d u n g der §§ 108, 109 B G B lediglich schwebend unwirksam ist und damit noch wirksam werden kann, wenn der Geschäftsgegner mit der Vornahme des Geschäfts ohne die an sich notwendige Einwilligung einverstanden ist 6 7 . Dies erscheint mit der Formulierung des Gesetzes aber nicht vereinbar, denn die § § 1 0 7 ff. B G B differenzieren gerade danach, ob ein Geschäft entweder noch wirksam werden kann (so das schwebend unwirksame Geschäft nach § 108 B G B auf der einen Seite), oder unwirksam ist und damit im Gegensatz zu § 108 B G B endgültig unwirksam bleibt (so das einseitige Rechtsgeschäft nach § 111 S. 1 B G B auf der anderen Seite). Weiteres gesetzliches Beispiel dafür, daß der Terminus „Unwirksamkeit" vom Gesetzgeber f ü r endgültig wirkungslose Rechtsgeschäfte verwandt wird, ist die Unwirksamkeit nach § 111 S. 2 BGB: Bei Vornahme eines einseitigen Rechtsgeschäfts durch einen Minderjährigen mit der erforderlichen Einwilligung ist das Rechtsgeschäft unwirksam, wenn der Minderjährige die Einwilligung nicht in schriftlicher Form vorlegt und der andere das Rechtsgeschäft aus diesem Grunde unverzüglich zurückweist. Wie auch hier ein Vergleich mit der legislativen Fassung des § 108 B G B belegt, kann dieses Rechtsgeschäft nicht mehr wirksam werden. Vielmehr ist auch hier eine N e u v o r n a h m e erforderlich. Damit ist das vom Minderjährigen abgeschlossene einseitige Rechtsgeschäft endgültig unwirksam. Für die unumstößliche Wirkung der Verwendung des Begriffs „ u n w i r k s a m " lassen sich zahlreiche weitere Beispiele ins Feld führen: So statuieren die §§ 174, 344, 3 8 8 , 9 2 5 Abs. 2, 1253 Abs. 1, 1831, 1950, 2101 Abs. 1 und 2202 Abs. 2 B G B als Rechtsfolge die Unwirksamkeit des betreffenden Geschäfts. Diese Vorschriften behandeln gleichfalls Fälle, die eine endgültige und definitive Wirkungslosigkeit begründen 6 8 . Es läßt sich also festhalten, daß das Gesetz die von den genannten Ansichten vorgenommene Unterscheidung zwischen Nichtigkeit und Unwirksamkeit nicht einhält, was Vertreter dieser Meinung sogar einräumen 6 9 . O h n e legislati-

67 68 m

Gitter, in: M ü n c h e n e r Kommentar, § 111 Rn. 7; Pa\andt/Heinrichs, Flume, Das Rechtsgeschäft, § 30, 1, S. 548. BCB-RGRKJ Krüger-Nieland, Vor. § 104 Rn. 32.

§ 111 Rn. 3.

C) Stellungnahme und Festlegung der hier verwendeten

Terminologie

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ve Verankerung aber kann die in Rede stehende Terminologie nur schwerlich Bestand haben. Überdies läßt sich dieser inhaltlichen Separierung der Begriffe „unwirksam" und „nichtig" entgegenhalten, daß das BGB den Begriff „nichtig" auch dann verwendet, wenn das betreffende Rechtsgeschäft noch wirksam werden kann, mithin keine endgültige Fehlerhaftigkeit im Raum steht: Als Beispiele lassen sich die Fälle der Heilung nach §§ 313 S. 2, 518 Abs. 2 oder § 766 S. 2 BGB nennen. Auch wenn man Larenz darin folgt, daß „in den ... Fällen der nachträglichen Heilung eines Formmangels die Form nicht nachgeholt wird, sondern nunmehr als entbehrlich erscheint" 7 0 , bedeutet die Bezeichnung „nichtig" in § 125 S. 1 BGB keine in jedem Falle endgültige Wirkungslosigkeit. Vergleichbare Wirkungsweisen finden sich auch außerhalb des BGB. Die in § 6 Abs. 1 VerbrKrG angeordnete „Nichtigkeit" eines Kreditvertrags zieht ebensowenig eine endgültige Wirkung nach sich: Unter den Voraussetzungen der folgenden Absätze wird das nach § 6 Abs. 1 VerbrKrG nichtige Rechtsgeschäft nachträglich gültig. Diese Beispiele belegen, daß die Zivilrechtsordnung den Begriff „nichtig" nicht ausschließlich im Sinne einer endgültigen Wirkungslosigkeit verwendet; ebensowenig konnte festgestellt werden, nur der Begriff „unwirksam" beinhalte die Möglichkeit des späteren Wirksamwerdens. Vor dem Hintergrund dieser Ausführungen soll nun ein Blick auf Einzelansichten im Schrifttum geworfen werden. Mit dem zuvor Gesagten ist die These Manigks71 widerlegt, nach der das BGB mit der Verwendung des Begriffs „unwirksam" immer die endgültige Wirkungslosigkeit eines Rechtsgeschäfts meint. Wie soeben beispielhaft gezeigt, gibt es zwar eine Anzahl von Fällen, in denen diese Prämisse zutrifft. Gleichwohl kennt das BGB als „unwirksam" bezeichnete Rechtsgeschäfte, die die Wirkungslosigkeit endgültig trifft. Zu denken ist an die Genehmigungsfähigkeit gemäß § 108 und § 177 BGB oder an die Genehmigungsfähigkeit von Zwischenverfügungen, die gegen § 161 Abs. 1 BGB verstoßen und an sich unwirksam sind, aber durch Genehmigung des Verfügungsberechtigten wirksam werden können. Auch Manigks These, Nichtigkeit setze das BGB in den Normen voraus, die die Konvaleszenz, die Bestätigung und die Konversion regeln, erscheint nicht verallgemeinerungsfähig. Zwar setzen Umdeutung und Bestätigung in den §§ 140, 141 BGB ein nichtiges Rechtsgeschäft voraus. Gleichwohl gelten diese Normen auch für vom Gesetz als unwirksam bezeichnete Rechtsgeschäfte, die nicht mehr wirksam werden können. Für die These Leonhards, wonach „nichtig" die Mißbilligung des Gesetzgebers zum Ausdruck bringe, während „unwirksam" eine neutrale Ausdrucksweise darstelle, bestehen keine Anhaltspunkte 7 2 . Berechtigt dürfte die Annahme sein, daß der Gesetzgeber jedes Rechtsgeschäft mißbilligt, dem er keine Geltung verschafft. Ebensowenig dürfte Leonhards Theorie, die Fälle des bedingten Geschäfts, des Mangels in den Nebenumständen, des rechtsfremden Geschäfts und der relativen 70 71 72

Larenz, Allgemeiner Teil, 7. Auflage, § 23 I, S. 455. Siehe oben S. 20. Ebenso Collier, S. 106.

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Kapitel 2: Zur Terminologie fehlerhafter

Rechtsgeschäfte

und schwebenden Unwirksamkeit fielen unter den Unwirksamkeitsbegriff, terminologisch weiterhelfen. Damit sollen wohl nur die Fälle zusammengefaßt sein, in denen das Gesetz diese Begriffe verwendet. Eine unabweisliche inhaltliche Unterscheidung zur Nichtigkeit oder anderen die Fehlerhaftigkeit umschreibende Begriffen läßt sich aus dieser These nicht herleiten. So ist schon nicht erkennbar, warum §§ 140, 141 B G B beispielsweise auf die Fälle des „Mangels in den N e b e n u m ständen" oder des „rechtsfremden G e s c h ä f t s " nicht anwendbar sein sollen. Die Differenzierung Ehlerts, nach der Nichtigkeit einen „Geburtsfehler" und Unwirksamkeit ein „Geschick" eines Rechtsgeschäfts darstellt, hat bereits Collier überzeugend widerlegt: Auch wenn sich erbrechtliche Unwirksamkeitsnormen zugunsten dieser These anführen ließen 7 3 , läßt sie sich nicht verallgemeinern. So befremdet es, will man etwa bei einem einseitigen Rechtsgeschäft eines Minderjährigen, das ohne die erforderliche Einwilligung des gesetzlichen Vertreters unwirksam ist, die Rechtsfolge des § 111 S. 1 B G B als „Geschick" des Rechtsgeschäfts bezeichnen. Gleiches gilt beispielsweise auch für §§ 135 Abs. 1 B G B , 388 S. 2 BGB. Zweifelhaft ist auch die These Ehlerts, Nichtigkeit sei ein Fehler, der auf einem nicht ausschließbaren Rechtssatze beruhe, während Unwirksamkeit unbeachtet bleiben könne 7 4 . Ob eine Nichtigkeits- oder Unwirksamkeitsvorschrift dispositiv ist, ergibt sich durch Auslegung und hängt nicht von der legislativen Formulierung ab. Ehlert versucht seine These unter anderen mit einer möglichen Einschränkung der Rechtsfolgen des § 925 Abs. 2 BGB, wonach bedingte und unbefristete Auflassungen „unwirksam" sind, zu begründen: N e h m e das Grundbuchamt eine Eigentumsumschreibung aufgrund einer befristeten Auflassung - beispielsweise mit dem Inhalt, daß das Eigentum nach drei Jahren an den Veräußerer zurückfallen soll - vor, so sei die „Sache abgetan". Anders zu beurteilen sei die Rechtslage, wenn § 925 Abs. 2 B G B bedingte und befristete Auflassungen f ü r nichtig erklären würde. Ehlert, der in seinem Musterfall nicht erörtert, ob mit der Eintragung im Grundbuch auch eine unter Zeitbestimmung erfolgte Auflassung wirksam geworden ist, belegt mit diesem Beispiel die Haltlosigkeit seiner These. Die Absage des § 925 Abs. 2 B G B an bedingte und befristete Auflassungen dient der Rechtssicherheit. Das Grundbuch soll über das Eigentum am Grundstück sichere Auskunft geben. Eine Eintragung aufgrund einer bedingten oder befristeten Auflassung steht diesem Gesetzeszweck kraß zuwider. Vielmehr sind solche Auflassungen endgültig unwirksam. Die Eintragung in das Grundbuch kann das Erfordernis unbedingter bzw. unbefristeter Auflassung nicht entbehrlich machen. Auch die Terminologien Kohlers, der „Unwirksamkeit" nur auf Verfügungsverböte und Verfügungen eines Nichtberechtigten bezogen hat 7 5 , und Dernburgs, der unter „Unwirksamkeit" nur bestimmte Wirkungsweisen verstanden hat 7 6 , sind mit dem Sprachgebrauch des B G B unvereinbar: Erstere These scheitert daran, daß es de lege lata andere Unwirksamkeitsgründe gibt als Verfügungsverbote und daß

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Vgl. Collier, S. 107 f. Ehlert, S. 219. Kohler, Bürgerliches Recht, § 247, S. 554, 558. Dernburg, Allgemeine Lehren, § 115, S. 389.

C) Stellungnahme

und Festlegung

der hier verwendeten

Terminologie

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diese G r ü n d e k e i n e s w e g s nur V e r f ü g u n g e n b e t r e f f e n ; letztere T h e o r i e ist nicht vereinbar mit der Tatsache, d a ß U n w i r k s a m k e i t nicht nur spezielle F o l g e n w i e bei der relativen oder s c h w e b e n d e n U n w i r k s a m k e i t nach sich zieht. Es gibt z a h l r e i c h e die keine spezielle W i r k u n g s w e i s e in Sinne Fälle - wie z.B. §§ 111, 174 B G B Dernburgs statuieren. Wenig stringent ist auch die T h e s e Oettingers, w o n a c h f ü r das F e h l e n der N i c h tigkeit der Kläger b e w e i s p f l i c h t i g sei 7 7 . U n a b h ä n g i g d a v o n , d a ß z u m einen der A n s a t z über die B e w e i s l a s t f ü r die Frage der T e r m i n o l o g i e u n d inhaltlichen Unters c h e i d u n g überrascht, z u m anderen die Beweislast grundsätzlich nicht nach der p r o z e s s u a l e n Parteirolle, sondern nach materiellem Recht zu b e a n t w o r t e n ist, bestehen g e g e n diese T h e o r i e nach allgemeinen B e w e i s g r u n d s ä t z e n e r h e b l i c h e Bed e n k e n . S o w e i t keine gesetzlichen Regeln bestehen, trägt die j e w e i l i g e P r o z e ß p a r tei die Beweislast j e w e i l s f ü r die Tatsachen, die eine ihr g ü n s t i g e N o r m a u s f ü l l e n . B e r u f t sich b e i s p i e l s w e i s e der S c h u l d n e r auf die Sittenwidrigkeit eines Vertrags, obliegt ihm die B e w e i s l a s t f ü r die objektiven u n d subjektiven Voraussetzungen der Sittenwidrigkeit 7 8 . G l e i c h e s gilt aber auch f ü r die Fälle, in d e n e n das G e s e t z U n w i r k s a m k e i t s g r ü n d e aufstellt: Wer sich beispielsweise auf die f e h l e n d e G e s c h ä f t s f ä h i g k e i t b e r u f t , hat h i e r f ü r auch den B e w e i s anzutreten 7 9 . D i e A n s i c h t , die W i r k s a m k e i t von R e c h t s g e s c h ä f t e n von „ G e l t u n g s - und W i r k s a m k e i t s v o r a u s s e t z u n g e n " a b h ä n g e n zu lassen - w o b e i G e l t u n g s v o r a u s s e t z u n g e n das N i c h t v o r h a n d e n s e i n von Nichtigkeit und A n f e c h t b a r k e i t u n d W i r k s a m k e i t s v o r a u s s e t z u n g e n das Fehlen der s c h w e b e n d e n und relativen U n w i r k s a m k e i t darstellen sollen 8 0 - , m a c h t einen f o r m a l e n Eindruck. Diese T h e s e ist E r g e b n i s einer b e g r i f f s j u r i s t i s c h e n B e t r a c h t u n g s w e i s e , die im übrigen keine Stellung zu der unterschiedlichen V e r w e n d u n g der B e g r i f f e „ u n w i r k s a m " und „ n i c h t i g " n i m m t . D i e F o r d e r u n g , den T e r m i n u s „ u n w i r k s a m " als O b e r b e g r i f f in G e b r a u c h zu nehm e n 8 1 , läßt sich z u m einen damit erklären, d a ß er nach A n s i c h t vieler A u t o r e n an die Stelle des vor Inkrafttreten des B G B bis dahin ü b e r g r e i f e n d v e r w e n d e t e n Begriffs „ u n g ü l t i g " getreten ist. Z u m anderen veranlassen die speziellen A r t e n der s c h w e b e n d e n und der relativen U n w i r k s a m k e i t dazu, diesen T e r m i n u s in ausbreitender W e i s e zu g e b r a u c h e n . G l e i c h w o h l erscheint es f r a g w ü r d i g , im R a h m e n der T e r m i n o l o g i e diese Bez e i c h n u n g allgemein als O b e r b e g r i f f a n z u s e h e n . J e d e n f a l l s v e r w e n d e t d a s G e s e t z im Einzelfall die B e g r i f f e „ u n w i r k s a m " und „ n i c h t i g " o h n e inhaltliche U n t e r s c h e i d u n g . So ist i n s g e s a m t festzuhalten: O b w o h l das S c h r i f t t u m i m m e r w i e d e r den Versuch u n t e r n o m m e n hat, d e n unterschiedlichen S p r a c h g e b r a u c h des G e s e t z g e b e r s in ein S c h e m a zu p r e s s e n , hat der Blick auf die im Gesetz v e r w a n d t e n Termini den S c h l u ß o f f e n b a r w e r d e n las77

Oettinger,S. 14 ff.

78

BGHZ 53,369,379; BGHZ 95,81, 85; BGH NJW 1974, 1821;BGHNJW 1979, 2089; Soer-

gel/Hefermehl, § 138 Rn. 62; vgl. auch Staudinger/ScicÄ:, § 138 Rn. 75. 7 " ErmanIBrox, Vor. § 104 Rn. 17; Soergel/Hefermehl, § 104 Rn.9; BGB-RGRKJKrüger-Nieland, § 104 Rn. 22. 80 81

Siehe oben S. 21. Siehe oben S. 17 ff.

26

Kapitel 2: Zur Terminologie fehlerhafter

Rechtsgeschäfte

sen, daß die Verwendung der Begriffe „unwirksam" und „nichtig" keinem konsequenten Prinzip unterliegt. Sicherlich wäre ein einheitlicher Sprachgebrauch des Gesetzgebers f ü r die Rechtsanwendung von Vorteil; gleichwohl ist er nicht notwendig. Dies gilt insbesondere, wenn - wie die meisten der hier dargelegten - Thesen den Ansatz ihrer Unterscheidung auf der Rechtsfolgenseite suchen. Ob ein Rechtsgeschäft endgültig fehlerhaft ist oder eine Heilung möglich ist, kann sich, muß sich aber nicht a priori aus der Verwendung eines bestimmten Begriffs ergeben. Die tatsächliche Rechtswirkung eines Nichtigkeits- oder Unwirksamkeitsgrundes kann sich, egal welche Bezeichnung das Gesetz verwendet, entscheidend nur aus dem materiellen Grund selbst ergeben, nicht aber aus einer unter formalen und begrifflichen Gesichtspunkten aufgebauten Terminologie. Es ist falsch - wie auch Kuhlmann*2 zutreffend festgestellt hat - , die Art der Fehlerhaftigkeit nach der Rechtsfolge und nicht nach der Ursache zu bestimmen. Deshalb wird zu Recht zunehmend darauf Wert gelegt, daß die Rechtsfolgen fehlerhafter Rechtsgeschäfte heute keinem starren Prinzip mehr unterliegen. Für die in dieser Untersuchung zugrunde gelegte Terminologie folgt aus den vorstehenden Überlegungen folgendes: Die Untersuchung hat erhellt, daß der Sprachgebrauch des BGB, insbesondere die Verwendung der Begriffe „unwirksam" und „nichtig", grundsätzlich nicht den Schluß auf eine bestimmte Art der Fehlerhaftigkeit zuläßt. Vielfach gebraucht das B G B diese Begriffe hinsichtlich Rechtswirkung und A n w e n d u n g gleichbedeutend, weil des weiteren kein durchschlagender Grund f ü r die Überordnung des einen Begriffs über den anderen ersichtlich ist. Deshalb werden in dieser Arbeit die Begriffe „ u n w i r k s a m " und „nichtig" synonym verwendet 8 3 . Dabei wird in erster Linie die Bezeichnung „Nichtigkeit" gebraucht. Nach ganz überwiegender Ansicht tritt die Wirkung der Nichtigkeit nicht nur dann ein, wenn das Gesetz ein Rechtsgeschäft als nichtig bezeichnet; vielmehr ist grundsätzlich dieselbe Rechtsfolge gemeint, wenn von „Unwirksamkeit" die Rede ist 84 oder ein Rechtsgeschäft nach dem Gesetz „nicht vorgenommen werden kann" 8 5 . Des weiteren werden in dieser Untersuchung in Einklang mit der herrschenden Meinung der Nichtigkeit andere Arten fehlerhafter Rechtsgeschäfte gegenübergestellt. Hierzu zählen vor allem die Fälle der Anfechtbarkeit, der schwebenden 8 6 82

Kuhlmann, S. 10. Grundsätzlich ebenso die oben S. 17 Fn. 33 genannten Autoren. 84 Beispielsweise in den §§ 111 S. 1 und 2, 1 7 4 S . 1, 344, 388 S. 2, 925 Abs. 2, 1253 Abs. 1 S . 2 , 1367, 1831, 1950 S . 2 , 2101 Abs. 1 S . 2 , 2202 Abs. 2 S. 2 B G B , §§ 9 ff. A G B - G e s e t z ; vgl. Erman/ Brox, Einl. § 104 Rn. 24; Staudinger/DiVcfcer, 12. Auflage, Einl. zu § § 1 0 4 - 1 8 5 Rn. 67; Jauernig, Vor § 104 Rn. 18; B G B - R G R K I K r ü g e r - N i e l a n d , Vor. § 104 R n . 3 2 ; Planck, Allgemeiner Teil, S. 182; v. Tuhr, Allgemeiner Teil II 1, § 55, 2, S. 277 Fn. 24; E.Wolf, Allgemeiner Teil, § 10 B III, S. 458 f. 83

85 Beispielsweise in den § § 3 5 , 38 S . 2 , 137 S. 1, 276 Abs. 2 B G B ; vgl. E r m a n / ß / r « , Einl. § 104 Rn. 24; Staudinger/Di/c/jer, 12. Auflage, Einl. zu §§ 1 0 4 - 185 Rn. 67; Flume, Das Rechtsgeschäft, § 30, 2, S. 4 5 8 f.; P a l a n d t / H e i n r i c h s , Einl. v. § 104 Rn. 29; Planck, Allgemeiner Teil, S. 182; v.Tuhr, Allgemeiner Teil I I I , § 55, 2, S. 211 Fn. 24; E. Wolf, Allgemeiner Teil, § 10 C II a, S. 461. 86

E. WW/(Allgemeiner Teil, § 10 B III, S. 458 f.) lehnt die Differenzierung zwischen endgültiger Nichtigkeit und schwebender Unwirksamkeit ab, weil in beiden Fällen der Zustand der „gegenwärtigen U n w i r k s a m k e i t " übereinstimme.

C) Stellungnahme

und Festlegung der hier verwendeten

Terminologie

27

und der relativen Unwirksamkeit. Letzteren ist gemein, daß der Eintritt der Fehlerhaftigkeit vom Verhalten bestimmter am Rechtsgeschäft beteiligter Personen abhängt. Da dieser Gedanke im weiteren Verlauf der Untersuchung auf nichtige Rechtsgeschäfte übertragen werden soll, werden die wesentlichen Eigenschaften dieser Arten fehlerhafter Rechtsgeschäfte gesondert betrachtet werden 8 7 . Vorab sind aber die wesentlichen Eigenschaften der Nichtigkeit zu beleuchten und zu klären, welche Rechtswirkungen die herrschende Meinung nichtigen Rechtsgeschäften z u k o m m e n läßt.

87

Siehe dazu unten S. 158 ff.

K a p i t e l 3:

Die grundsätzlichen Rechtsfolgen der Nichtigkeit nach dem herkömmlichen Standpunkt der herrschenden Meinung Nach der heute herrschenden Meinung weist die Wirkung der Nichtigkeit auf der Grundlage ihrer Definition im ersten Entwurf des B G B verschiedene Facetten auf 1 :

A) Grundsätzliche Nichtgeltung der beabsichtigten Rechtsfolgen Sind die Voraussetzungen eines Nichtigkeitsgrundes erfüllt, bleibt das nichtige Rechtsgeschäft als vorgenommener Akt existent; die von den Parteien eines Rechtsgeschäfts nach seinem Inhalt beabsichtigten Rechtsfolgen treten grundsätzlich nicht ein 2 . Zu diesem Prinzip gibt es indes evidente Ausnahmen, in denen das nichtige Rechtsgeschäft gleichwohl Rechtsfolgen auslöst 3 : Die weitreichendsten gesetzlich verankerten Folgen hat eine U m d e u t u n g nach § 140 BGB. Sie führt zu einer Annäherung an die beabsichtigten Rechtsfolgen, weil sie dem mutmaßlichen Parteiwillen entsprechen muß. Andere im Gesetz geregelte Fälle, in denen das nichtige Rechtsgeschäft Rechtsfolgen nach sich zieht, sind die Schadensersatzpflicht gemäß § 307 B G B oder § 122 BGB 4 . Auch Rechtsprechung und Wissenschaft haben - wie eingangs erwähnt 5 - mit den Grundsätzen zum fehlerhaften 1 Beer, Relative Unwirksamkeit, § 6, S. 30 f.; Staudinger/Di/cfter, 12. Auflage, Einl. zu §§ 1 0 4 185 Rn. 67; Wiesner, S. 110. 2 Beer, Relative Unwirksamkeit, § 6, S. 31; E r m a n I B r o x , Einl. § 104 Rn. 24; Staudinger/Di/c/ier, 12. Auflage, Einl. zu §§ 104 - 185 Rn. 68; Jauernig, Vor. § 104 Rn. 18; S o e r g e l I H e f e r m e h l , Vor. § 116 Rn. 76; VnUnAUHeinrichs, Überbl. v. § 104 R n . 2 8 ; H. Hühner, Allgemeiner Teil, R n . 9 2 9 ; BGB-RGRK/Krüger-Nieland, Vor. 104 Rn. 33; Larenz/Wolf, Allgemeiner Teil, § 44 Rn. 6; Enneccerus/Nipperdey, Allgemeiner Teil I 2, § 202, S. 1211. 1

Kritisch gegenüber ähnlichen Formulierungen E. Wolf, Allgemeiner Teil, § 10 B III, S . 4 5 9 . Flume, Das Rechtsgeschäft, § 30, 1, S. 548; Jauernig, Vor. § 104 Rn. 18; H. Hübner, Allgemeiner Teil, Rn. 929; SoergeUHefermehl, Vor. § 116 Rn. 75; Palandt/Heinrichs, Überbl. v. § 104 Rn. 28; Larenz/Wolf, Allgemeiner Teil, § 44 Rn. 6; Lüke/Zawar, JuS 1970, 205, 207; B G B - R G R K / K r ü g e r Nieland, Vor. § 104 Rn. 33; Planck, Allgemeiner Teil, S. 182. Des weiteren können auch vertragliche Nebenpflichten fortbestehen (vgl. Canaris, JZ 1965, 475 ff.). 4

5

Oben S. 4 f.

C) Von Amts wegen zu berücksichtigende

ipso-iure-Wirkung

29

Arbeitsvertrag oder zur f e h l e r h a f t e n Gesellschaft, aber auch auf der G r u n d l a g e der S a l d o t h e o r i e 6 im B e r e i c h e r u n g s r e c h t R e c h t s f o l g e n nichtiger R e c h t s g e s c h ä f t e anerkannt.

B) Heilungsmöglichkeiten N a c h vielfach vertretener A n s i c h t kann ein nichtiges R e c h t s g e s c h ä f t nachträglich nicht m e h r w i r k s a m w e r d e n 7 ; grundsätzlich k o m m t eine H e i l u n g nicht in Betracht 8 . Verwendet m a n - w i e hier - die B e g r i f f e „ u n w i r k s a m " und „ n i c h t i g " syno n y m , stellt das endgültige A u s b l e i b e n der R e c h t s w i r k u n g k e i n e b e s o n d e r e E i g e n s c h a f t dar 9 . D a s schließt aber nicht aus, daß es z a h l r e i c h e N i c h t i g k e i t s f ä l l e mit e n d g ü l t i g e r W i r k u n g s l o s i g k e i t gibt.

C) Von Amts wegen zu berücksichtigende ipso-iure-Wirkung Nichtigkeit tritt nach g a n z h e r r s c h e n d e r M e i n u n g grundsätzlich o h n e b e s o n d e r e G e l t e n d m a c h u n g durch eine der beteiligten Parteien „ipso iure" 1 0 bzw. „per s e " n ein; sie ist von A m t s w e g e n zu berücksichtigen 1 2 . L i e g e n also die V o r a u s s e t z u n g e n eines N i c h t i g k e i t s g r u n d e s vor, so bedarf es zur H e r b e i f ü h r u n g der N i c h t i g k e i t s f o l ge prinzipiell w e d e r einer a u s d r ü c k l i c h e n B e r u f u n g auf diese in F o r m einer privatrechtlichen G e s t a l t u n g s e r k l ä r u n g noch einer Nichtigkeitsklage. Im P r o z e ß hat das G e r i c h t die Nichtigkeit zu berücksichtigen, w e n n sie sich aus d e m tatsächlichen P r o z e ß s t o f f ergibt, auch w e n n sich keine der Parteien a u s d r ü c k l i c h auf den betref-

6

Siehe hierzu noch S. 197 f. Vgl. H. Hühner, Allgemeiner Teil, Rn. 932; Palandt/Heinrichs, Überbl. v. § 104 Rn. 27; B G B RGRK/Krüger-Nieland, Vor. § 104 Rn. 33; Larenz/Wolf Allgemeiner Teil, § 44 Rn. 4; Planck, Allgemeiner Teil, S. 182. 8 Staudinger/Di/cÄer, 12. Auflage, Einl. zu §§ 104 - 185 Rn. 70; Jauernig, Vor. § 104 Rn. 18; Lüke/Zawar, JuS 1970, 205, 207. A u s n a h m e n stellen aber beispielsweise §§ 313 S. 2, 518 Abs. 2, 766 S . 2 B G B dar, weil sie die Heilung formnichtiger Rechtsgeschäfte vorsehen und damit das Rechtsgeschäft „nachträglich wirksam w e r d e n " lassen. Larenz (Allgemeiner Teil, 7. Auflage, § 23 I, S . 4 5 5 ) sieht hierin keinen Widerspruch zur Beschreibung der Nichtigkeit, weil die genannten Vorschriften das Formerfordernis lediglich entbehrlich machen sollen (vgl. oben S. 23). 7

9

Ebenso E. Wolf, Allgemeiner Teil, § 10 B III, S . 4 5 9 . H. Hübner, Allgemeiner Teil, Rn. 944; v.Tuhr, Allgemeiner Teil II 1, § 56 I, S. 280. 11 Flume, Das Rechtsgeschäft, § 30, 9, S. 556. 12 B G H Z 107, 268, 270; Beer, Relative Unwirksamkeit, § 6 , S . 3 1 ; E r m a n / B r o x , Einl. § 104 Rn. 24; Staudiner/Comg, 11. Auflage, Einl. vor § 104 Rn. 30; Collier, S . 4 7 ; Staudinger/D/Zc/ier, 12. Auflage, Einl. zu §§ 104 - 185 R n . 6 9 ; Führich, § 8 1 1 , S . 9 3 ; Palandt /Heinrichs, Überbl. v. § 104 Rn. 27; H. Hübner, Allgemeiner Teil, Rn. 930; Larenz/Wolf, Allgemeiner Teil, § 4 4 R n . 5 ; Lüke/Zawar, JuS 1970, 205, 207; Mayer-Maly, in; M ü n c h e n e r / K o m m e n t a r , § 134 Rn. 93; Enneccerus/Nipperdey, Allgemeiner Teil I 2, § 202, S. 1211; v.Tuhr, Allgemeiner Teil II 1, § 56 I, S. 280; kritisch E.Wolf, Allgemeiner Teil, § 10 B III, S . 4 5 9 ; ausdrücklich gegen eine ipso-iure-Wirkung Manigk, Handwörterbuch, S. 292, 295 f. 10

Kapitel 3: Die grundsätzlichen

30

Rechtsfolgen

der

Nichtigkeit

f e n d e n N i c h t i g k e i t s g r u n d b e r u f t . Dies wird vielfach als „absolute W i r k u n g " der Nichtigkeit bezeichnet 1 3 . G l e i c h w o h l kennt bereits das Gesetz A u s n a h m e n von der i p s o - i u r e - W i r k u n g der Nichtigkeit. In Spezialfällen ist zur G e l t e n d m a c h u n g der Nichtigkeit eine besondere N i c h t i g k e i t s k l a g e erforderlich 1 4 . D a s G e s e l l s c h a f t s r e c h t kennt die K l a g e auf gerichtliche N i c h t i g k e i t s e r k l ä r u n g einer A G (§§ 275 ff. A k t G ) , einer G m b H (§§ 7 5 ff. G m b H G ) , einer G e n o s s e n s c h a f t (§§ 9 4 ff. G e n G ) s o w i e einer O H G 1 5 . Zu den A u s n a h m e n der ipso-iure-Nichtigkeit ist des weiteren die Feststellung der Nichtigkeit einer E h e zu r e c h n e n (§§ 23 f. E h e G ) , die indes ab 1.7. 1998 außer K r a f t tritt.

D) Berufung auf Nichtigkeit A u f die Nichtigkeit kann sich nach a l l g e m e i n e r M e i n u n g „ j e d e r m a n n " b e r u f e n 1 6 . A u c h diese E i g e n s c h a f t wird als „absolute W i r k u n g " bezeichnet 1 7 . Im R a h m e n schuldrechtlicher Verträge, die nur im Verhältnis der Vertragspartner gelten 1 8 , überrascht diese Ansicht. Für solche Verträge wird man diese E i g e n schaft so zu verstehen haben, d a ß sich nach h e r r s c h e n d e r A n s i c h t die beteiligten Vertragspartner auf die N i c h t i g k e i t des R e c h t s g e s c h ä f t s „ b e r u f e n " d ü r f e n . Eine a n d e r e B e t r a c h t u n g ginge fehl: Dritte sind nur dann berechtigt, die Nichtigkeit einer schuldrechtlichen B e z i e h u n g gerichtlich geltend zu m a c h e n , w e n n ihnen ein rechtliches Interesse z u e r k a n n t w e r d e n kann, k r a f t dessen ihnen ein Feststellungsinteresse z u z u s p r e c h e n ist. O h n e Feststellungsinteresse ist die B e r u f u n g eines Dritten auf die Nichtigkeit g e m ä ß § 2 5 6 Z P O o h n e h i n nicht m ö g l i c h . S c h o n deshalb überrascht die g e n a n n t e , i m m e r w i e d e r v o r z u f i n d e n d e F o r m u l i e r u n g zur R e i c h w e i t e der Nichtigkeit, w a s nur vereinzelt e r k a n n t wird. R i c h t i g e r w e i s e können die in R e d e stehenden S t i m m e n zur absoluten W i r k u n g der Nichtigkeit nur so 13 H. Hübner, Allgemeiner Teil, R n . 9 3 1 ; Mayer-Maly, in: M ü n c h e n e r Kommentar, § 134 Rn. 93; Lüke/Zawar, JuS 1970, 205, 207; Pawlowski, Willenserklärungen, § 5 II 6, S. 120. 14 Vgl. E r m a n I B r o x , Einl. § 1 0 4 R n , 2 4 ; Staudinger/D/Zc/ier, 12. Auflage, Einl. zu § § 1 0 4 - 1 8 5 Rn. 69; H. Hübner, Allgemeiner Teil, Rn. 944. 15 B G H Z 3, 285, 287 ff. 16 R G Z 78, 347 354; R G Z 111, 26, 28 („Ist ein Rechtsgeschäft, weil es gegen ein gesetzliches Verbot verstößt, gemäß § 134 B G B nichtig, so ist diese Nichtigkeit eine absolute. Sie zerstört das Rechtsgeschäft, gleichgültig, ob die Beteiligten seinen Inhalt und seine Wirkungen billigen oder nicht."); R G J W 1930, 907, 908; Staudinger/DiVc/ier, 12. Auflage, Einl. zu §§ 104 - 105 Rn. 69; Führich, § 8 I 1, S. 93; Soergel IHefermehl, Vor. § 116 Rn. 76; Palandt /Heinrichs, Überbl. v. § 104 Rn. 27; H. Hübner, Allgemeiner Teil, Rn. 9 3 0 (mit Einschränkungen); Jauernig, Vor. § 104 Rn. 18; BGB-RGRK/Krüger-Nieland, Vor. § 104 Rn. 32; Larenz/Wolf\Allgemeiner Teil, § 44 Rn. 5; Enneccerus/Nipperdey, Allgemeiner Teil I 2, § 202, S. 1211; v.Tuhr, Allgemeiner Teil II 1, § 56 III, S. 282; besonders streng Flume (Das Rechtsgeschäft, § 30, 9, S. 556), nach dessen Ansicht diese Wirkung selbst dann gelten soll, „wenn die Nichtigkeit in Hinsicht auf die Rechte einer bestimmten Person von der Rechtsordnung statuiert ist, so im Falle des § 161". 17

R G Z 111, 26, 28; Führich, § 8 1 1, S . 9 3 ; Mayer-Maly, in: Münchener Kommentar, § 134 Rn. 93; v.Tuhr, Allgemeiner Teil II 1, § 56 III, S. 282. 18 Vgl. hierzu Henke, Zur sog. Relativität des Schuldverhältnisses.

D) Berufung

auf

Nichtigkeit

31

verstanden werden, daß die Nichtigkeit jeder am Rechtsgeschäft rechtlich Interessierte geltend machen kann 19 . Wenn deshalb im folgenden davon die Rede ist, daß sich „jedermann" auf die Nichtigkeit berufen kann, ist damit jeder rechtlich Interessierte gemeint. Gesetzliche Ausnahmen von diesem Grundsatz sind wiederum die erwähnten Fälle im Gesellschaftsrecht und im Eherecht: Zur Nichtigkeitsklage sind in den oben erwähnten Fällen gemäß § 275 AktG nur Aktionäre, Vorstands- und Aufsichtsratsmitglieder befugt; entsprechendes gilt für die Genossenschaft (§ 94 GenG) und die GmbH (§ 75 GmbHG). Dabei sind die Begriffe „berufen" bzw. „geltend machen" nicht im Sinne einer Gestaltungserklärung nach Art einer Anfechtungserklärung oder einer Widerrufserklärung zu verstehen. Wenn davon die Rede ist, daß sich „jemand auf die Nichtigkeit berufen" bzw. diese „geltend machen" kann, so geht es nur darum, daß ein rechtlicher Standpunkt zum Ausdruck gebracht wird. Einer Gestaltungserklärung gleich kommenden Berufung bedarf es nicht, weil Nichtigkeit von Amts wegen zu berücksichtigen ist. Wenn jemand die Zahlung aufgrund eines Vertrags verweigert und sich zur Begründung auf die Nichtigkeit desselben „beruft", bringt er damit lediglich eine Rechtsauffassung zum Ausdruck. Grundsätzlich kann sich nach überwiegender Ansicht im Schrifttum jedermann auf die Nichtigkeit eines Rechtsgeschäfts berufen. Dies gilt vor allem für die an dem Rechtsgeschäft Beteiligten. Abgesehen von noch zu beleuchtenden Ausnahmen geht auch die Rechtsprechung von dieser Prämisse aus. So heißt es schon in einer Entscheidung des Reichsgerichts: „Geltend gemacht werden kann die Nichtigkeit daher auch von dem Teile, der sich selbst eines Verstoßes gegen die guten Sitten schuldig gemacht hat (...). Auch kann dem Vertragsteile, der unter Berufung auf die Nichtigkeit die Erfüllung verweigert, nicht die Einrede der Arglist entgegengehalten werden (,..)." 2 0

Der Bundesgerichtshof hat diese Rechtsprechung zur absoluten Wirkung der Nichtigkeit im Hinblick auf sittenwidrige Rechtsgeschäfte fortgesetzt 21 . Danach kann auch demjenigen, der sich an einem sittenwidrigen Rechtsgeschäft beteiligt hat, nicht die Berufung auf die Sittenwidrigkeit versagt werden. Ausdrücklich hat dies auch das BAG anerkannt: 19

Nur selten findet sich hierauf ein Hinweis, vgl. etwa Lange, Allgemeiner Teil, 15. Auflage, § 4 9 1 2 , S. 307. 20 RGZ 160, 52, 56; ähnlich RGZ 72, 342, 343; RGZ 78, 347, 354 („Die Nichtigkeit eines Rechtsgeschäfts wirkt an sich schlechthin und kann von jedem Beteiligten gegen jeden geltend gemacht werden."); RG Recht 1907, Sp. 633 Nr. 1283 („Auf die Nichtigkeit eines gegen die guten Sitten verstoßenden Rechtsgeschäfts kann sich auch ein Dritter berufen, ohne dem Vorwurf der Arglist zu verfallen."); RG LZ 1922,Sp. 158, 159;RGLZ 1927, Sp. 448,449; RGZ 150, 181, 186 (,,... denn die Nichtigkeit kann auch derjenige geltend machen, dessen Handlungsweise ebenfalls gegen die guten Sitten verstoßen hat"); RGZ 162, 322, 329. 21 Vgl. etwa BGHZ 27,172,180; B G H Z 4 1 , 3 4 1 , 3 4 4 f.; BGHZ60, 102,105; vgl. auch BGH LM GüKG Nr. 34; BGH MDR 1974, 379 bezüglich der zulässigen Berufung auf eine tarifwidrige Entgeltvereinbarung; vgl. des weiteren B G H W M 1980,104, 105 betreffend die Berufung auf die Nichtigkeit eines von beiden Parteien wegen Schwarzkaufs bewußt unrichtig beurkundeten Kaufpreises in einem Grundstückskaufvertrag.

32

Kapitel 3: Die grundsätzlichen

Rechtsfolgen

der

Nichtigkeit

„Das LAG verkennt jedoch wie auch ... das Arbeitsgericht, daß gegenüber den zwingenden Rechtswirkungen des § 138 Abs. 1 BGB ein Einwand aus § 242 BGB nicht in Betracht kommt. Gerade weil über eine Berufung auf einen Verstoß gegen Treu und Glauben die Rechtswirkungen des § 138 Abs. 1 BGB nicht wieder beseitigt werden sollen, d.h. einem sittenwidrigen Geschäft über den Umweg der unzulässigen Rechtsausübung nicht wieder rechtliche Geltung verschafft werden soll, kann sich vielmehr jedermann auf die Sittenwidrigkeit berufen, also auch derjenige, der seinerseits - wie vorliegend die Beklagte - selbst gegen die guten Sitten verstoßen hat". 22

G a n z deutlich hat auch das H a n s e a t i s c h e O b e r l a n d e s g e r i c h t H a m b u r g die Nichtigkeit in e i n e m absoluten Sinne a u f g e f a ß t : Die auf § 134 B G B b e r u h e n d e Nichtigkeit habe absolute W i r k u n g und sei im P r o z e ß selbst dann zu b e r ü c k s i c h t i g e n , w e n n sich keine Partei darauf b e r u f e oder die Parteien sogar andere R e c h t s w i r k u n g e n anstrebten. D e s h a l b verstoße die B e r u f u n g auf die Nichtigkeit eines g e g e n die allg e m e i n e n S t r a f g e s e t z e v e r s t o ß e n d e n R e c h t s g e s c h ä f t s nicht gegen Treu und G l a u ben 2 3 .

E) Ausblick auf den weiteren Gang der Untersuchung I n s b e s o n d e r e die E i g e n s c h a f t e n , die die h e r k ö m m l i c h e A u f f a s s u n g als absolute N i c h t i g k e i t s w i r k u n g versteht, sollen in dieser U n t e r s u c h u n g einer kritischen W ü r d i g u n g unterzogen w e r d e n . U n t e r der noch zu ü b e r p r ü f e n d e n P r ä m i s s e , d a ß es N i c h t i g k e i t s g r ü n d e gibt, die ausschließlich o d e r z u m i n d e s t p r i m ä r den S c h u t z von Individualinteressen b e z w e c k e n , drängt sich die F r a g e auf, o b das Prinzip der absoluten N i c h t i g k e i t s w i r k u n g unbestreitbar u n d berechtigt ist. Betrachtet man die F r a g e zunächst aus historischer Sicht, so zeigt sich, daß es im Bereich f e h l e r h a f t e r R e c h t s g e s c h ä f t e schon i m m e r M o d i f i z i e r u n g e n der Nichtigkeit in personaler Hinsicht gab. Darauf soll im f o l g e n d e n zunächst das A u g e n m e r k gerichtet w e r d e n . D a b e i wird ein S c h w e r p u n k t in der A n a l y s e liegen, o b bei der E n t s t e h u n g des B G B die heute fast u n u m s t ö ß l i c h a n g e n o m m e n e absolute N i c h t i g k e i t s w i r k u n g tatsächlich intendiert war.

22 23

BAGNJW 1976, 1958, 1959. HansOLG Hamburg MDR 1962, 213.

Kapitel 4:

Geschichtliche Aspekte personalistisch orientierter Rechtsfolgen von Ungültigkeitsnormen unter besonderer Berücksichtigung der Entstehungsgeschichte des BGB A) Differenzierte Ungültigkeitssanktionen im römischen Recht Das römische Recht hat einen allgemeinen Begriff der Ungültigkeit nicht entwikkelt 1 ; so finden sich in den römischen Quellen circa 30 verschiedene Termini 2 . Als Ursache wird zum einen angeführt, das römische Recht habe keine allgemeine Rechtsgeschäftslehre erarbeitet; zum anderen habe das „aktionenrechtliche" Denken bewirkt, daß Ungültigkeitsgründe in den Hintergrund getreten seien 3 . Dementsprechend hat das römische Recht auch nicht den Versuch unternommen, die verschiedenen Erscheinungsformen der Ungültigkeit von Rechtsgeschäften auf allgemeine Gesichtspunkte zusammenzufassen. Andererseits darf aber nicht verkannt werden, daß das römische Recht durchaus unterschiedliche Ungültigkeitsfolgen kannte. Auf der einen Seite findet sich eine vom Willen der Beteiligten unabhängi1 Alexander, S. 4 f.; Christians, S. 9; Gradenwitz, Ungültigkeit, S. 1; Härder, A c P 173 (1973), 209, 210; Hartkamp, Z w a n g im römischen Recht, § 13, S. 73 Fn. 1; Honsell/Mayer-Maly/Selb, § 50, S. 114; H. Hübner, in: Festschrift für Wieacker, S. 399; Jörs/Kunkel/Wenger, § 59, S. 103; Käser, Das Römische Privatrecht I, § 6 0 , S . 2 4 6 ; v.Lübtow, S . 7 3 ; Mitteis, Römisches Privatrecht, § 14, S . 2 3 7 ; M.Müller, Bestätigung, S. 160; Rubel, Grundzüge, § 6, S. 13; Siber, § 126 I, S. 429; v.Tuhr, Allgemeiner Teil II 1, § 5 5 , S . 2 7 3 F n . 4 ; Zimmermann, Totalnichtigkeit, S. 121; anders Savigny, System IV, § 202, S. 538, der formuliert: „Die Römischen Juristen pflegen den Gegensatz der Nichtigkeit und Anfechtbarkeit mit großer Sicherheit zu behandeln, und es werden selten Fälle vorkommen, worin die A n w e n d u n g des einen oder des andern Begriffs zweifelhaft bleiben möchte; selbst die Kunstausdrücke sind in den wichtigsten Anwendungen bestimmt und unzweideutig, obgleich es auch nicht an einzelnen Fällen eines schwankenden Sprachgebrauchs fehlt"; kritisch ebenfalls Apelt, S. 1 ff.; vgl. auch Hellmann, Unwirksamkeit, S. 1, der darauf hinweist, unsere heutige Rechtsordnung habe zwar eine Theorie der Rechtsgeschäfte entwickelt, verwende gleichwohl über 30 Wendungen zur Bezeichnung der Unwirksamkeit. 2

Käser, Das Römisches Privatrecht I, § 60 I, S. 246 f.; Mitteis, Römisches Privatrecht, § 1 4 1 , S. 237; vgl. die Quellenstudien bei Hellmann, Unwirksamkeit, S. 1 ff.; ders., Z S S t . ( R A ) 23 (1902), 3 8 0 f f . ; ders., ZSSt.(RA) 24 (1903), 50 ff; nullum, nullius momenti, inutile gehören zu den am häufigsten verwendeten Ungültigkeitsbegriffen. 3

Härder, A c P 173 (1973), 209, 210; Käser, Das Römisches Privatrecht I, § 601, S. 246; § 5 6 1 1 , S. 227; a.A. Hellmann, Unwirksamkeit, S. 1.

34

Kapitel

4:

Geschichtliche

Aspekte

ge, unmittelbar gegen jedermann wirkende Ungültigkeit, die im folgenden als ipso-iure-Ungültigkeit oder absolute Ungültigkeit bezeichnet wird. Andererseits existierten auch modifizierte Formen der Ungültigkeit, die beispielsweise nur einseitig durch die betroffene Person geltend gemacht werden konnten 4 .

I. Differenzierte Ungültigkeitsfolgen von Rechtsgeschäften

am Beispiel der Minderjähriger

Behandlung

Die Vorstellung unterschiedlicher Arten der Ungültigkeit wird deutlich bei der Behandlung der Rechtsgeschäfte Minderjähriger. Grundsätzlich trat unmittelbar wirkende Ungültigkeit bei mangelnder Geschäftsfähigkeit ein 5 : Von infantes6 und infanti proximi1 geschlossene Rechtsgeschäfte konnten keine rechtliche Wirkung erzeugen 8 . Eine differenziertere Behandlung nahm das römische Recht dagegen bei impúberes infantia maiores9 sowie minores viginti quinqué annis[0 aufgrund der lex Laetoria11 vor. Impúberes infantia maiores konnten grundsätzlich Rechtsgeschäfte abschließen 12 , vor allem solche, die ihre Rechtslage verbesserten. Für gegenseitige Verträge, mit denen impúberes infantia maiores Verpflichtungen eingingen, bedurften sie hingegen der Zustimmung ihres Vormundes. Ein personalistischer Einschlag -zumindest aber eine differenzierte Ungültigkeitsfolge - kommt bei der Behandlung gegenseitiger Verträge zum Ausdruck, die impúberes infantia maiores ohne diese erforderliche Zustimmung ihres Vormundes abgeschlossen 4 Vgl. Endemann, Römisches Privatrecht, § 2 0 I V a, b, S. 56 f.; Hellmann, Unwirksamkeit, S. 4; Mitteis, Römisches Privatrecht, § 14 II 1, S. 240; zweifelnd Gradenwitz, Ungültigkeit, S. 326. 5 Hansell, Römisches Recht, § 11 II 5, S. 37; Jörs/Kunkel/Wenger, § 62, 2 a, S. 106; Käser, Das Römische Privatrecht I, § 60 I 5, S. 249; Knothe, § 2 II 1, S. 19 f.; Siber, § 1261 1 a, S . 4 2 9 . 6 Gemeint sind Kinder, die nicht sprechen konnten; das justinianische Recht führte die Grenze des vollendeten siebten Jahres ein; vgl. Hausmaninger/Selb, 3. Kap. I 2, S. 130; Knothe, § 2 1 1 , S. 7 f. 7 Hierunter sind U n m ü n d i g e zu verstehen, die zwar das Alter der infantia bereits überschritten haben, deren verstandesmäßige Entwicklung diesen aber entspricht (vgl. Knothe, § 2 I 2, S. 18). 8 Gai. Inst. III, 109 (Nam infans et qui infanti proximus est non multum afurioso differt, quia huius aetatis pupilli nullum intellectum habent)', Gai. D. 44, 7, 1, 12 (Furiosum, sive stipulatur sive promittat, nihil agere natura manifestum est. Huic proximus est, qui eius aetatis est, ut nondum intellegat, quid agatur)\ vgl. auch Endemann, Römisches Privatrecht, § 20 IV a, S. 57, der die Ungültigkeit eines von einem infans geschlossenen Rechtsgeschäfts als Beispiel eines „toten Nichtgeschäftes" herausstellt und vom vernichtbaren oder anfechtbaren Geschäft abgrenzt. 9 Hierbei handelte es sich um die Altersstufe vor dem Eintritt der Mündigkeit, welche entweder nach dem individuellen Reifezustand eintrat oder bei Knaben durch Anlegen der Mannestoga manifestiert wurde bzw. mit der Vollendung des 14. Lebensjahres eintrat, vgl. Käser, Das Römische Privatrecht I, § 62 II 2, S. 275; Knothe, § 3 I 1, S. 22 f. 10 Also desjenigen, der mündig, aber noch nicht 25 Jahre alt war; vgl. Jörs/Kunkel/Wenger, §51, 1 c, S. SS-, Knothe, § 4 1 , S . 5 4 . 11 Zur lex Laetoria Käser, Verbotsgesetze, § 6 , S . 3 9 f f . ; Knothe, § 4 , S . 5 3 f f . ; Savigny, Vermischte Schriften II, S. 321 ff. Zu dem nach Ansicht Käsers beendeten Streit u m die Bezeichnung Laetoria oder Plaetoria, vgl. Käser, ZSSt.(RA) 101 (1984), 1,42. 12 Jörs/Kunkel/Wenger, § 51, 1 b, S. 87; Käser, Das Römische Privatrecht I, § 65 II 2, S. 275; Knothe, § 3 II l , S . 2 9 f f .

A) Differenzierte

Ungiiltigkeitssanktionen

im römischen

Recht

35

hatten. In diesem Fall war nur ihre Berechtigung wirksam, verpflichtet wurden sie hingegen nicht 13 : Si quis a pupillo sine tutoris auctoritate emerit, ex uno latere constat contractus: obligatus est pupillo, pupillum sibi non obligatu.

nam qui emit,

Auch wenn der Minderjährige diese einseitige Berechtigung nicht durchsetzen konnte, ohne die Gegenansprüche voll anzuerkennen 15 bzw. zur Herausgabe des Erlangten verpflichtet war 16 , zeigt diese später als negotium claudicans bezeichnete Figur, daß dem römischen Zivilrecht der Gedanke einer differenzierenden Betrachtung von Ungültigkeitsfolgen unter Schutzzweckgesichtspunkten nicht fern lag. Praktisch wirkte diese Konstruktion so, daß dem Unmündigen bzw. seinem Tutor das Recht eingeräumt war, einseitig darüber zu entscheiden, ob der Vertrag erfüllt werden soll oder nicht 17 . Eine vergleichbare Rechtsfolge findet sich auch bei der Behandlung der Rechtsgeschäfte von minores viginti quinque annis, die grundsätzlich gültig waren. Gleichwohl wurde auch der minor noch geschützt: Die lex Laetoria sollte ihn vor Übervorteilung bewahren. Ein Verstoß gegen dieses Verbot begründete zwar keine Ungültigkeit nach ius civile]S. Jedoch gewährte das Honorarrecht dem minor weitergehenden Schutz. Zum einen konnte der minor sich vor dem Prätor auf eine exceptio legis Laetoriae19 berufen und die Übervorteilung geltend machen 2 0 . Darüber hinaus stand dem übervorteilten minor eine prätorische in integrum restitutio zur Seite 21 . Hierbei handelte es sich um honorarrechtliche Instrumente, die grundsätzlich nur auf Gesuch des Betroffenen Berücksichtigung fanden. 13 Käser, Das Römische Privatrecht I, § 65 II 2, S. 276; Knothe, § 3 II 2, S. 36; Niederländer, S. 90 f. 14 Ulp. D. 19, 1, 13, 29; vgl. auch I. 1,21 (Unde in his causis, ex quibus mutuae obligationes nascuntur, in emptionibus venditionibus, loeationibus conductionibus, mandatis, depositis, si tutoris auctoritas non interveniat, ipsi quidem qui cum his contrahunt obligantur, at invicem pupilli non obligantur). 15 Knothe, § 3 II 2, S. 37 f.; Niederländer, S. 90 f. 16 Vgl. Käser, Das Römische Privatrecht I, § 65 II, S. 276. 17 Bekker, ZSSt.(RA) 15 (1894), 145, 193; Knothe, § 3 II 2, S. 38 f. 18 Käser, Verbotsgesetze, § 6 1, S.40; insbesondere zu den umstrittenen Rechtsfolgen der lex Laetoria und ihre Einordnung als lex minus quam perfecta oder als lex imperfecta. 19 Der Name ist nicht überliefert, Käser, Das Römische Privatrecht I, § 65, S. 277 Fn. 25; Lenel, Edictum perpetuum, S. 493. 20 Käser, Das Römische Privatrecht I, § 65 II 3, S. 277; Knothe, § 4 II 1, S. 61; vgl. Paul. D. 44, 1, 7, 1 (Intercessionis quoque exceptio, item quod libertatis onerande causa petitur, etiam fideiuusori competit, idem dicitur et si pro filio familias contra senatus consultum quis fideiusserit, aut pro minore viginti quinque annis circumscriptio); Gai. Inst. IV, 57 (loquimur autem exceptis minoribus XXV annorum; nam huius aetatis hominibus in omnibus rebus lapsis praetor succurrit). 21 Vgl. Käser, Verbotsgesetze, § 6 I, S. 39; Knothe, § 4 II 2, S. 62 f.; Kränzlein, in: Gedenkschrift für R. Schmidt, S. 393; Lenel, ZSSt.(RA) 35 (1914), 129, 133; Seidl, Rn.45, S. 16; vgl. Alex. C. 2, 24, 2 (Minoribus annis viginti quinque etiam in his, quae praesentibus tutoribus vel curatoribus in iudicio vel extra iudicium gestafuerit, in integrum restitutionis auxilium superesse, si circumventi sunt, placuit); Diocl. C. 2, 21, 4 (Si minorem te quinque et viginti annis fuisse, cum contraheres, ostenderis, et tempora restitutionis praestituta excessisse ab adversario tuo comprobatum nonfuerit, praeses provinciae in integrum restitutionis dare tibi auxilium debeat).

36

Kapitel 4: Geschichtliche

Aspekte

Diese Beispiele zeigen nicht nur, daß das römische Privatrecht unterschiedliche Arten der Ungültigkeit kannte. Sie hatte ihre Grundlage in der das klassische Privatrecht prägenden Differenzierung zwischen ius civile und ius honorarium (bzw. praetorium)22. Diese Unterscheidung wirkte sich auf die Behandlung der Ungültigkeit von Rechtsgeschäften aus 2 3 . Einerseits ließ der Prätor Geschäfte gelten, die nach ius civile unwirksam waren, andererseits erkannte er andere nicht an, die das ius civile für wirksam erachtete.

II. Ungültigkeit nach ius civile und nach ius

honorarium

Ungültigkeit trat nach ius civile grundsätzlich ipso iure ein; einer Geltendmachung der Unwirksamkeit eines Rechtsgeschäftes bedurfte es nicht 2 4 ; j e d e r m a n n konnte sich auf die Ungültigkeit berufen 2 5 . Mitteis hat von einer „mechanisch" eintretenden zivilen Ungültigkeit gesprochen, die die Interessen der durch die Ungültigkeitsnorm geschützte Person oftmals nicht ausreichend berücksichtigt hätte 2 6 . Andererseits kannte das ius civile auch eine Ungültigkeitsart, deren Eintritt in der Hand einer bestimmten Person lag; verschiedentlich wird diese Ungültigkeitsart heute als „ A n f e c h t u n g " bezeichnet 2 7 . Als Beispiel wird insbesondere auf die noch zu behandelnde querela inofficiosi testamenti verwiesen 2 8 . Diese „Anfechtungsmöglichkeit" darf aber nicht mit der Anfechtbarkeit unserer Rechtsordnung gleichgestellt werden, weil sie andere Sachverhalte betraf. Zu bedenken ist aber auch, daß viele Ungültigkeitsnormen des ius civile keine Angaben über die Rechtsfolgen eines Verstoßes machten 2 9 .

22 Z u m grundsätzlichen Unterschied vgl. etwa Käser, Rechtsquellen, S. 84 ff; ders. ZSSt.(RA) 101 (1984), 1 ff. 23 Käser, Das Römische Privatrecht I, § 6 0 I, S. 248; Honsell/Mayer-Maly/Selb, § 5 1 , S. 115; Honseil, Römisches Recht, § 11 I, S. 35; Jörs/Kunkel/Wenger, § 60, 1, S. 103; Endemann, Verbotsgesetze, S. 9; Hartkamp, Z w a n g im römischen Recht, § 13, S. 73 Fn. 1; einschränkend Käser, Verb o t s g e s e t z e s 17, S. 110 f. 24 Hansell, Römisches Recht, § 11 I, S. 35; Jörs/Kunkel/Wenger, § 60, 2, S. 103 f.; Käser, Das Römische Privatrecht I, § 60 I 1, S . 2 4 7 ; Mitteis, Römisches Privatrecht, § 14 II 1, S . 2 4 0 , 242; v. Lüttow, S . 7 3 f f . Der Gedanke einer unmittelbar eintretenden Ungültigkeit wird z.B. durch die Regel Quod nullum est, rescindi non potest (zitiert nach Liebs, S. 181) deutlich. 25 v.Lübtow, S. 73 ff.; vgl. Schlossmann, S. 7 ff.; a.A. für das durch metus erzwungene Rechtsgeschäft Hartkamp, Z w a n g im römischen Recht, § 13, S. 75 Fn. 8, der die Frage a u f g e w o r f e n hat, ob zivilrechtliche Ungültigkeit ipso iure eintritt (somit von j e d e r m a n n geltend gemacht werden kann) oder einer „Anfechtbarkeit" bzw. „relativen Nichtigkeit" entspricht mit der Folge, daß die Geltendmachung ausschließlich vom Willen des Betroffenen abhängt. 26

Mitteis, Römisches Privatrecht, § 14 II 1, S. 240. Vgl. z.B. Jörs/Kunkel/Wenger, § 6 0 , 2 , S. 104-,Siber,§ 1261 1 a, S. 429, differenziert zwischen Unwirksamkeit kraft zwingenden Rechts und kraft nachgiebigen Rechts. 28 Jörs/Kunkel/Wenger, § 60, 2, S. 104; Käser, Das Römische Privatrecht I, S. 247; M. Müller, Bestätigung, S. 162; dazu noch unten S. 44. 29 Vgl. Honsell/Mayer-Maly/Selb, § 50, S. 115; Jörs/Kunkel/Wenger, § 59, S. 103; S / ^ r , § 1261, S. 429; Selb, in: Festschrift für H. Hübner, S. 253 ff.; Hartkamp, Zwang im römischen Recht, § 13, S. 75 f. Fn. 8. 27

A) Differenzierte Ungültigkeitssanktionen im römischen Recht

37

Daß dem römischen Recht der Gedanke modifizierter Ungültigkeitsarten, insbesondere in die Disposition einer Partei gestellter Ungültigkeit, bekannt war, läßt sich des weiteren mit dem Hinweis auf die schon erwähnten honorarrechtlichen Rechtsinstitute wie die exceptio oder die in integrum restitutio™*1 belegen. Diese prozessualen Mittel berücksichtigte der Prätor grundsätzlich nur auf Verlangen des Betroffenen, weshalb Käser insbesondere die in integrum restitutio als „Anfechtung nach Honorarrecht" bezeichnet hat 32 . Allerdings gab es bei den exceptiones auch Fälle, die ohne Geltendmachung durch den Betroffenen vom Prätor „von Amts wegen" Berücksichtigung fanden 33 . Daß mit der Existenz der exceptiones oder der in integrum restitutio differenzierte Vorstellungen von Ungültigkeitswirkungen, insbesondere von der Art des Eintritts, vorhanden waren, belegt die Möglichkeit des Prätors, eine actio unabhängig vom Willen der Beteiligten durch Denegation zurückzuweisen.

III. Ipso iure eintretende

Ungültigkeit

Neben den noch näher zu betrachtenden honorarrechtlichen Instrumenten verwenden die Quellen im Zusammenhang von ungültigen Rechtsgeschäften verschiedentlich den Begriff ipso iure. Die Verwendung dieses Terminus bedeutet, daß der betreffende Umstand im Prozeß unmittelbar „kraft Rechts" berücksichtigt werden mußte, ohne daß es seiner Erwähnung in einer exceptio bedurfte 34 . Geht es um ungültige Rechtsvorgänge, sprechen die Quellen allerdings nur in wenigen Fällen expressis verbis von ipso iure eintretender Ungültigkeit. Einer dieser Fälle ist der, daß ein minor aufgrund arglistiger Täuschung einen Gesellschaftsvertrag abgeschlossen hat 35 . Ipso iure ungültig konnte auch ein zwischen einem Freigelassenen und dem Freilassenden geschlossener Gesellschaftsvertrag sein: 10 Zur in integrum restitutio Hartkamp, in: Festschrift für Daube, S. 131 ff.; Käser, Z S S t . ( R A ) 94 (1977), 101 ff.; Kupisch, in integrum restitutio. 31 v. Lübtow (S. 73) hat darauf hingewiesen, daß man auch diese Instrumente nicht in unserer heutiges Verständnis von der Anfechtbarkeit „hineinpressen" darf. 32 Käser, Das Römische Privatrecht I, § 60 I 2, S. 248 Fn. 15. 33 Wie beispielsweise die exceptio senatusconsulti Vellaeani (auf die noch später einzugehen sein wird, unten S. 43); vgl. Jörs/KunkelAVenger, § 60, 3, S. 1 0 4 F n . 6; Käser, Das Römische Privatrecht I, § 55 II, S. 226 Fn. 21. 34 Käser, Das Römische Privatrecht I, § 4 9 , S . 2 0 1 F n . 2 8 ; ders., Z S S t . ( R A ) 101, 1, 13; Heumann/Seckel, S. 288; in diesem Sinne auch Siber, § 36 1 a, S. 16; dies wird beispielsweise bei Paul. D. 44, 7, 34 deutlich: Hier wird ausdrücklich zwischen ipso-iure-Wirkung und G e l t e n d m a c h u n g durch exceptio differenziert wird: Si is, ciu rem commodavero, eam subrierit, tenebitur qiudem et commodati actione et condictione sed altera actio peremit aut ipso iure aut per exceptionem, quod est tulius. Der Begriff ipso jure findet sich darüber hinaus auch im Z u s a m m e n h a n g mit der Erfüllungswirkung, vgl. Käser, Das Römische Privatrecht I, § 148 II, S. 634 f. 35 Vgl. Ulp. D. 4, 4, 16, 1 (Item relatum est apudLabeonem, si minor circumscriptus societatem coierit vei etiam donationis causa, nuilam esse societatem nec inter maiores qiudem et ideo cessare partes praetoris: idem et Ofilius respondit: satis enim ipso iure munitus est); weitere Stellen, die im Z u s a m m e n h a n g mit fehlerhaften Geschäften den Begriff ipso iure verwenden, sind Paul. D. 17, 2, 3, 3 (Societas si dolo mala aut fraudandi causa coita sit, ipso iure nullius momenti est, quia fides bona

38

Kapitel

Labeo palam

ait libertatis esse36.

causa

societatem

4:

Geschichtliche

inter libertum

Aspekte

et patronum

factam

ipso iure nihil

valere

Der Terminus ipso iure findet sich weiterhin im Zusammenhang mit dem Verbot von Schenkungsversprechen unter Ehegatten 37 . Gradenwitz hat deshalb die Ungültigkeit eines Schenkungsversprechens unter Ehegatten als Beispiel absoluter Ungültigkeit genannt 38 . Danach mußte die Ungültigkeit ex officio berücksichtigt werden und bedurfte keiner Geltendmachung durch den Beklagten; sie trat ipso iure ein. Ausdrücklich finden sich im Schrifttum ansonsten keine Stimmen, die von absoluter Nichtigkeit nach heutigem Verständnis nur für den Fall ausgehen, daß die Quellen den Begriff ipso iure verwenden. Aus der Verwendung dieses Terminus auf eine besondere Nichtigkeitsart zu schließen, hat insbesondere Endemann in Zweifel gezogen 39 . Heute wird die Formulierung ipso iure im Rahmen der Frage nach den Ungültigkeitswirkungen im römischen Recht kaum in die Diskussion einbezogen. Beleg hierfür sind die Ausführungen Hellmanns, der aus zahlreichen Termini absolut wirkende Ungültigkeit gefolgert hat, ohne dem Begriff ipso iure überhaupt Bedeutung beizumessen 40 . Aus dem römischen Recht lassen sich mit dem Schrifttum folgende Beispiele der absoluten Nichtigkeit anführen: Bei Verstoß gegen eine notwendige Form konnte die betreffende Handlung keine rechtliche Wirkung hervorrufen 41 ; man kann von unmittelbar wirkender Ungülcontraria est fraudi et dolo); C . 2, 30, 3 ( Q u o s retrahi in servìtutem postulatis, si non in Consilio causa cognita, cum minores annis vigintifuissetis, manumisistis, non per in integrum restitutionem, sed ipso iure persequi potestatis). 36

Ulp. D . 38, 1 , 3 6 . U l p . D . 24, 1, 3, 10 (Sciendum autem est ita interdictam inter virum et uxorem donationem, ut ipso iure nihil valeat quod actum est); Ulp. D. 24, 1, 1 (Moribus apud nos receptum est, ne inter virum et uxorem donationes); zu d e m Streit, o b d a s Verbot auf G e w o h n h e i t s r e c h t o d e r auf e i n e m A u g u s t e i s c h e n E h e g e s e t z beruht, vgl. Rabel, G r u n d z ü g e , § 121, S. 193 Fn. 2. D i e ipso iure eintret e n d e U n g ü l t i g k e i t w i r d a u c h deutlich an e i n e m B e i s p i e l , in d e m der S a c h s c h e n k e r E i g e n t ü m e r bleibt und die S a c h e vindizieren k a n n , vgl. Käser D a s R ö m i s c h e P r i v a t r e c h t I, § 7 9 III 1, S. 331 f. m i t V e r w e i s auf Ulp. D . 24, 1 , 5 , 18; vgl. a u c h A l e x . C. 5, 1 6 , 7 (Si ex voluntata patris tuifilio tutoris nupta es, collata in maritim donatio ipso iure irrita est); Z w e i f e l hegt Endemann, Verbotsgesetze, S. 3 2 Fn. 3, d e r darlegt, d a ß die eigentlich klare F o r m u l i e r u n g bei U l p . D . 24, 1 , 3 , 10 (ut ipso iure nihil valeat) nicht e i n g e h a l t e n w ü r d e . 37

38 Gradenwitz, U n g ü l t i g k e i t , S. 2 1 4 f.; Rabel, G r u n d z ü g e , § 121, S. 193 f.; Mitteis b e z e i c h n e t diesen Fall als einen der relativen N i c h t i g k e i t ; allerdings versteht Mitteis u n t e r relativer N i c h t i g k e i t die M ö g l i c h k e i t der K o n v a l e s z e n z , vgl. Mitteis, R ö m i s c h e s Privatrecht, § 14 II 1, S. 2 4 2 ; d a g e g e n Hellmann, U n w i r k s a m k e i t , S. 6 f., der hierin einen Fall „ d e r b e d i n g t e n N i c h t i g k e i t " erblickt; z.B. sei die mala fide emtio von M ü n d e l g u t d u r c h den T u t o r n u r nichtig, w e n n d a s v o l l j ä h r i g g e w o r d e n e Mündel den Kauf nicht genehmige. 39

Endemann, V e r b o t s g e s e t z e , S. 15 ( „ D i e r ö m i s c h e n Juristen g e b r a u c h e n d i e A u s d r ü c k e : nullum esse, ipso iure non valere, irritum esse, revocati, rescindi, infirmari u n d a n d e r e derart o h n e t e c h n i s c h e U n t e r s c h e i d u n g , d a ß n u r ein S c h l u ß d a h i n m ö g l i c h ist, d a ß sie e i n e d e n m o d e r n e n B e g r i f f e n N i c h t i g k e i t und A n f e c h t b a r k e i t e n t s p r e c h e n d e S c h e i d u n g nicht k a n n t e n . " ) . 40

Hellmann, Unwirksamkeit, passim. Honseil, R ö m i s c h e s R e c h t , § 11 II 5, S. 37; Jörs/KunkelAVenger, § 61, 2 b, S. 105; Käser, D a s R ö m i s c h e Privatrecht I, § 8 II, S. 39; Siber, § 126 I 1 a, S. 4 2 9 . B e i s p i e l e f ü r F o r m a l g e s c h ä f t e sind 41

A) Differenzierte Ungültigkeitssanktionen im römischen Recht

39

tigkeit sprechen. Gleiches gilt für tatsächlich oder rechtlich unmögliche Leistungsversprechen 42 . Möglicherweise lassen sich auch bestimmte Irrtumsfälle unter den Begriff der absoluten Nichtigkeit subsumieren: Seitdem das römische Recht bei der Auslegung von Rechtsgeschäften auch den inneren Willen miteinbezog, war Voraussetzung für das Zustandekommen eines wirksamen Vertrags 43 die Übereinstimmung der inneren Willensrichtung der Parteien; fehlte diese, konnte kein gültiger Vertrag entstehen 44 . Infolgedessen brauchte das römische Recht nicht zwischen Irrtum und Dissens zu unterscheiden. Entscheidend war vielmehr in diesen Fällen, ob eine fehlende Willensbildung einen Dissens begründete. Als Exempel lassen sich der error in corpore45 oder der Irrtum über den Vertragstyp 46 ins Feld führen. Unter dem Gesichtspunkt, daß es weder einer Anfechtung noch nachträglichen Vernichtung bedurfte, werden solche Irrtumsfälle unter den Begriff der absolut nichtigen Verträge subsumiert 47 . Darüber hinaus konnte ipso iure wirkende Ungültigkeit bei Verstößen gegen leges perfectae eintreten. Im Gegensatz zu den hiervon abzugrenzenden leges minus quam perfectae, die die Vornahme eines Geschäfts mit Strafe bedrohten, und zu leges imperfectae, die weder Nichtigkeit noch Strafe androhten, führte ein Verstoß gegen leges perfectae grundsätzlich zur unmittelbar wirkenden Ungül-

negotia per aes et libram, in iure cessio oder die stipulatio; vgl. zu Formalgeschäften Jörs/Kunkel/ Wenger, §§ 52 ff. S. 89 ff.; Käser, Das Römische Privatrecht I, §§ 9 ff., S. 41 ff. 42 Jörs/Kunkel/Wenger, § 6 1 , 1 a, S. 105; Siber, § 126 I 1 a, S . 4 3 0 ; Gai. Inst. III, 99 (Praetera inutilis est stipulatio, si quis ignorans rem suam esse dari sibi eam stipletur; quippe quod est, id ei dari non potesiy, Cels. D. 50, 17, 185 (Impossibilium nulla obligatio est)\ Paul. D. 18, 1, 15 (Et si consensum fuerit in corpus, id tarnen in rerum natura ante venditionem esse desierit, nulla emptio est); Ulp. D. 50, 1 7 , 4 5 (Neque pigmus neque depositum nequeprecarium neque emptio neque locatio rei suae consistere potest). Gleichwohl sei auf die von Käser, Das Römische Privatrecht I, § 115 II 1, S . 4 9 0 m.w.N., genannten Einschränkungen hingewiesen, wonach dem gutgläubigen K ä u f e r Ersatz des Schadens zugestanden wurde. Zur Behandlung der Unmöglichkeit im römischen Recht Wollschläger (§ 2, S. 7 ff.), der auf die streng kasuistische Behandlung hinweist und als Beispiele für die Ungültigkeitswirkung die Stipulation und den Kauf heranzieht; vgl. zur Unmöglichkeitslehre auch Medicus, ZSSt.(RA) 8 6 ( 1 9 6 9 ) , 67 ff.; Rabel, in: Festschrift f ü r Bekker, S. 171, 194 ff.; Siber, § 7 4 , S. 175. 43

Zunächst nur bei formfreien Rechtsgeschäften, später auch bei Formalakten. Käser, Das Römische Privatrecht I, § 58 I 1, S. 235; § 58 II 1, S. 237. Die Entwicklung der Willensdoktrin führte auch dazu, daß das simulierte Rechtsgeschäft unbeachtlich war, vgl. Käser, Das Römische Privatrecht I, § 59 II, S. 243; Siber, § 126 III 2, S. 436; grundsätzlich Fiume, in: Festschrift für F.Schulz, S. 209 ff. 45 Vgl. Jörs/Kunkel/Wenger, § 62, 2 c, S. 108 f.; Ulp. D. 18, 1 , 9 (In venditionibus et emptionibus consensum debere intercedere palam est: ceterum sive in ipas emptione dissentient sive in pretio sive in quo alio, emptio imperfecta est. si igitur ego mefundum emere putarem Cornelianum, tu mihi te vendere Sempronianum putasti, quia in corpore dissensimus, emptio nulla est). 46 Ulp. D. 12, 1, 18 (Si ego pecuniam tibi quasi donaturus dedero, tu quasi mutuam accipias, Iulianus scribit donationem non esse: sed an mutua sit, videndum. Et puto nec mutuam esse magisque nummos accipientis non fieri, cum alia opinione acceperit). Für andere Irrtümer finden sich - j e nach konkretem Inhalt - divergierende Fundstellen, vgl. Käser, Römisches Privatrecht, § 8 II 1 a, S. 53 f. 44

47

Vgl. Jörs/Kunkel/Wenger,

§§ 59 ff. (§ 62), S. 103 ff. (S. 106 ff.).

40

Kapitel 4: Geschichtliche Aspekte

tigkeit 48 ' 49 . Als Beispiel hierfür ist der Verstoß gegen die lex Voconia zu nennen 50 . Danach konnte eine Frau nicht von einem Mitglied der ersten ZensusKlasse als Erbin eingesetzt werden 51 . Ziel dieses Verbots war die Verhinderung der Zersplitterung von Vermögen, wie es bei Frauen befürchtet wurde; dieses Telos sieht Käser nur durch eine ipso iure eintretende Ungültigkeit als erreichbar an. Nach wohl überwiegender Meinung soll es sich deshalb um eine lex perfecta handeln, deren Verletzung eine ipso iure eintretende Ungültigkeit begründete 52 . Gleiches gilt beispielsweise für einen Verstoß gegen die lex Cornelia de sponsu. Diese begrenzte die Übernahme einer Bürgschaft, die innerhalb eines Jahres unter denselben Beteiligten vorgenommen wurde, auf einen bestimmten Höchstbetrag 53 . Dieser Überblick hat gezeigt, daß das römische Recht zahlreiche Fälle absoluter Nichtigkeit im heute verstandenen Sinne kannte. Indes sind hierzu aber nicht nur die Beispiele, in denen ausdrücklich von ipso iure eintretender Ungültigkeit die Rede ist, zu zählen. Wie im folgenden zu betrachten ist, kannte das römische Recht daneben auch zahlreiche Fälle, in denen die „Berufung" auf die Ungültigkeitsnorm einzelnen, regelmäßig der geschützten Person, zur Disposition gestellt wurde.

IV. Modifizierte

Ungültigkeitsfolgen und leges

bei leges

perfectae

imperfectae

Im Bereich der leges perfectae finden sich personalistisch orientierte Modifizierungen der ipso iure eintretenden Ungültigkeit. Nach verschiedenen Ansichten war es bei einigen leges perfectae möglich, daß der Betroffene auf die Geltendmachung der Nichtigkeit verzichtete. Sowohl bei der lex Aelia Sentia als auch nach der lex Falcidia soll dies der Fall gewesen sein. Erstere erklärte Freilassungen in fraudem creditorum für nichtig 54 . Nach der lex Falcidia muß jedes Erbteil zu ei48 Honsell/Mayer-Maly/Selb, § 52 II 1, S. 117; Käser, Verbotsgesetze, § 1 I, S. 9 Fn. 2; § 10 I 2, S. 62 f.; a.A. Endemann, Verbotsgesetze, S. 14 f. 49 Zur Abgrenzung vgl. Endemann, Verbotsgesetze, S. 9 ff. 50 Käser, Verbotsgesetze, § 8 I 1, S. 51. 51 Gai. Inst. II, 274 (Item Mutier, quae ab eo, qui centum mitia aeris census est, per legem Voconiam heres instituí non potest). 52 Käser, Verbotsgesetze, § 8 I 1, S. 51; Mitteis, Römisches Privatrecht, § 14 III, S. 248 Fn. 51; Kahn, 29 f. 53 Gai. Inst. III, 124 (Idem pro eodem apud eundem eodem anno vetatur in ampliorem summam obligari creditae pecuniae quam in XX milia)\für ipso-iure-Wirkung Käser, Verbotsgesetze, § 9 1 1 , S. 54; Mitteis, Römisches Privatrecht, § 14 III, S. 248 Fn. 51; zweifelnd Lenel, Edictum perpetuum, S.211. 54 Gai. Inst. I, 37 (Nam is, qui in fraudem creditorum uel in fraudem patroni manumittit, nihil agit, quia lex Aelia Sentia inpedit libertatem)-, vgl. Schulz, ZSSt.(RA) 48 (1928), 197, 258 f. (für das klassische Recht Verzichtbarkeit ablehnend, nach justinianischem Recht f ü h r e der Verstoß zur schwebenden Nichtigkeit); für die Möglichkeit des Verzichts auf die G e l t e n d m a c h u n g Käser, Verbotsgesetze, § 9 1 4 , S. 56, § 1013, S. 63. Mitteis (Römisches Privatrecht, § 14 II 1, S. 243) sieht hierin einen Fall der Konvaleszenz, den er als relative Nichtigkeit bezeichnet (siehe schon oben S. 38 Fn. 38); dagegen wieder Hellmann, Unwirksamkeit, S. 6 f. („bedingte Nichtigkeit").

A) Differenzierte

Ungültigkeitssanktionen

im römischen

Recht

41

nem Viertel seines Wertes von Legaten befreit sein. Soweit auch dieses Viertel belastet war, waren die Legate unwirksam 55 . Der Eintritt der Unwirksamkeit konnte allerdings nach Ansicht Käsers durch Verzicht ausgeschlossen werden 56 . Im Bereich der leges imperfectae findet sich ebenfalls ein Instrument, das die Geltendmachung eines Verstoßes gegen ein Verbotsgesetz dem Betroffenen zur Disposition stellte. Die lex Cincia aus dem Jahre 204 v.Chr. verbot die Annahme von Schenkungen über einen bestimmten, heute unbekannten Gesamtbetrag. Ausgenommen von diesem Verbot waren näher bezeichnete Verwandte des Schenkers. Über den Gesetzeszweck ist man sich nicht einig: Während manche den Hauptzweck des Verbots in der Bekämpfung der Verschwendungssucht und Verschleuderung großer Vermögen erblicken 57 , sehen andere den Schutz des Schenkers im Vordergrund 58 . Als lex imperfecta bedrohte das Gesetz die Verletzung ausdrücklich weder mit Nichtigkeit noch mit Strafe. Gleichwohl konnte sich der Schenker auf dieses Verbot berufen, indem ihm die exceptio legis Cinciae zur Seite stand 59 . Hierdurch wurde die Geltendmachung des Gesetzesverstoßes dem Berechtigten zur Disposition gestellt. Dieses Beispiel ist vergleichbar mit der Behandlung des Verstoßes gegen das senatusconsultum Macedonianum aus dem 1. Jahrhundert n.Chr. Dieses verbot die Erteilung von Gelddarlehen an Haussöhne. Hintergrund dieses Verbots soll sein, daß ein von seinen Gläubigern insistierter Haussohn seinen Vater getötet hatte 60 . Der Verstoß gegen dieses Verbot konnte ebenfalls auf Verlangen des Betroffenen - im Wege der exceptio senatusconsulti Macedoniani im Prozeß Berücksichtigung finden. Es läßt sich resümieren: Das römische Recht erkannte auch im Bereich der Verbotsgesetze Modifizierungen der Ungültigkeitsfolgen an: Nicht nur durch die grundsätzlichen Unterschiede zwischen den drei Arten von Verbotsgesetzen, sondern auch innerhalb der leges perfectae fand offenbar eine Modifizierung statt, die sich insbesondere in der Art des Eintritts der Ungültigkeit auswirkte.

V. Weitere Beispiele modifizierter

Ungültigkeit

Hinweise auf eine differenzierte Behandlung von Nichtigkeitsfolgen finden sich überdies in anderen Fällen. Stipulationen, die auf die Vornahme einer sittenwidrigen Handlung gerichtet waren, waren zwar grundsätzlich ipso iure nichtig 61 ; ergab 55

Käser, Verbotsgesetze, § 9 I 2, S. 54. Käser, Verbotsgesetze, § 9 I 2, S. 55. 57 Wesener, ZSSt.(RA) 78 (1961), 485, 486 f. 58 Käser, Verbotsgesetze, § 3 II 3, S. 26. 59 Jörs/Kunkel/Wenger, § 153, 2, S. 246; Käser, Das Römische Privatrecht I § 140 I 3, S. 605. 60 Käser, Römisches Privatrecht, § 39 I 2, S. 1B5. 61 Käser, Verbotsgesetze, § 12, S. 77 ff.: ders., Das Römische Privatrecht I, § 60 II 2, S. 251; Siber,§ 1261 1 a, S. 430; Zimmermann, Totalnichtigkeit, S. 122; vgl. Pomp. D. 45, 1,27 (Veluti si quis homicidium vel sacrilegium se facturum promittat, sed officio quoque praetoris continetur ex huiusmodi obligationibus actionem denegari); Ulp. D. 45, 1, 26 (Generaliter novimus turpes stipulationes nullius esse momenti); Diocl. C. 8, 38, 4 (Ex eo instrumenta nullam vos habere actionem, quill 56

42

Kapitel 4: Geschichtliche Aspekte

sich die Sittenwidrigkeit nicht unmittelbar aus dem Rechtsgeschäft, war dieses vielmehr auf eine neutrale Leistung gerichtet und lediglich die causa sittenwidrig, bedurfte es der Geltendmachung durch exceptio62. Zivilrechtlich gültig waren prinzipiell auch durch dolus oder metus zustande gekommene Formal verträge 63 ; sie konnten jedoch nach prätorischem Recht durch exceptio doli bzw. exceptio metus causa oder in integrum restitutio64 entkräftet werden 65 . Daneben stand dem Betroffenen die actio de dolo bzw. actio quod metus causa zu 66 . Es kam demzufolge zu einem Zusammenspiel zwischen ziviler Gültigkeit und honorarischer Ungültigkeit, das mancherorts als Anfechtbarkeit bezeichnet wird 67 . Letztere trat nicht automatisch ein, sondern hing von der Geltendmachung durch den Gezwungenen ab 68 . Unterschiedlich wird dagegen die zivile Rechtsfolge der durch metus herbeigeführten formfreien Rechtsgeschäfte beurteilt: Teilweise wird das Geschäft als zivilrechtlich ungültig eingestuft 69 ; herrschend ist dagegen der Standpunkt, daß das Rechtsgeschäft grundsätzlich gültig gewesen sei 70 . contra bonos mores de successione futura interposita fuit stipulatio, manifestum est, cum omnia, quae contra bonos mores vel in pacto vel in stipulationae deducuntur, nullius momenti sint). Zur Entwicklung insgesamt H.Schmidt, Die Lehre von der Sittenwidrigkeit der Rechtsgeschäfte in historischer Sicht. 62 Vgl. Jörs/Kunkel/Wenger, § 6 1 , 1 c, S. 105; Käser, Das Römische Privatrecht I, § 6 0 II 2, S. 251; ders., Verbotsgesetze, § 13, S . 8 0 f f . ; Honseil, Römisches Recht, § 11 II 3, S . 3 6 f . Gleichwohl trat diese Differenzierung nicht immer deutlich hervor. So gab es gerade in diesem Bereich Fälle, bei denen die G e l t e n d m a c h u n g der exceptio nicht zur Disposition gestellt wurde, sondern unter magistratischem Druck erfolgte (vgl. Käser, Das Römische Privatrecht I, § 55 II, S. 226 Fn. 21; Jörs/Kunkel/Wenger, § 61, 1 c, S. 104 Fn. 6). 63 Jörs/Kunkel/Wenger, § 62, 2 d, S. 109; Siber, § 126 III 3, S. 437; für das durch metus herbeigeführte Rechtsgeschäft Hartkamp, Z w a n g im römischen Recht, § 13, 1, S. 74; § 16, S. 127 ff. m.w.N. Vor allem in der nachklassischen Zeit konnte aber das erzwungene Rechtsgeschäft als nichtig behandelt werden, vgl. Jörs/Kunkel/Wenger, § 62, 2 d, S. 110; Siber, S. 437 Fn. 30. 64

Für dolus Str., vgl. Hartkamp, in: Festschrift für Daube, S. 131 ff.; Käser, ZSSt.(RA) 94 (1977), 101, 143; ablehnend v.Lübtow, S. 87 ff.; Wacke, Z S S t . ( R A ) 88 (1971), 105 ff.; dafür Levy, ZSSt.(RA) 50 (1930), 645, 648 f. 65 Hartkamp, Z w a n g im römischen Recht, § 13, 1, S. 74; v.Lübtow, S. 81. 66 Jörs/Kunkel/Wenger, S. 160f.; v.Lübtow, S. 81. 67 Hartkamp, Z w a n g im römischen Recht, § 13, S. 74 Fn. 7, und v.Lübtow, S. 73, weisen darauf hin, daß der Terminus der Anfechtbarkeit nicht mit der Anfechtung im Sinne des B G B übereinstimmt. W ä h r e n d letztere das angefochtene Rechtsgeschäft als nicht m e h r vorhandenen erscheinen lassen, würde j e n e Anfechtbarkeit - wie diejenige im gemeinrechtlichen Sinne - lediglich die Folge des an sich gültigen Geschäfts dauernd h e m m e n (vgl. bereits oben S. 37 Fn. 31). 68 Hartkamp, Z w a n g im römischen Recht, § 13, S. 73 f. 69 Beseler, ZSSt.(RA) 44 (1924), 359, 362 f.; Hartkamp (Zwang im römischen Recht, § 13, S. 75 Fn. 8), definiert den Begriff der Ungültigkeit in diesem Z u s a m m e n h a n g entgegen der wohl überwiegenden Ansicht nicht als ipso iure eintretende Ungültigkeit, sondern versteht ihn im Sinne einer „Anfechtbarkeit" bzw. „schwebenden Nichtigkeit": „Ein Schutz gegen Zwang wird im Interesse des G e z w u n g e n e n gewährt. Nur ihm sollte die Entscheidung überlassen bleiben, ob er davon Gebrauch macht, sich also den Rechtsfolgen des erzwungenen Rechtsgeschäfts zu entziehen wünscht oder nicht". 70

Käser, Das Römische Privatrecht I, § 59 III 1, S. 243; Jörs/Kunkel/Wenger, § 62, 2 d, S. 109; Dulckeit, in: Festschrift für F.Schulz, S. 148, 184; ausführlich die differenzierende Untersuchung Hartkamps, Z w a n g im römischen Recht, § 13, S. 73 ff.

A) Differenzierte Ungültigkeitssanktionen im römischen Recht

43

Im nachklassischen Recht war die Aufhebung der Unterscheidung zwischen ius civile und ius honorarium Ursache dafür, daß man durch metus herbeigeführte Rechtsgeschäfte für ungültig erachtete 71 . Nach überwiegender Ansicht soll die Ungültigkeit aber nur dann Berücksichtigung finden, wenn sich der Benachteiligte hierauf berief 72 . Käser spricht hier von „Anfechtung" 73 , Hartkamp verwendet den Terminus „relative Nichtigkeit" 74 . Die justinianischen Quellen deuten wiederum überwiegend auf die grundsätzliche Gültigkeit des durch metus herbeigeführten Rechtsgeschäfts 75 , was die überwiegende Ansicht auch aus den Quellen schlußfolgert 76 . Der Betroffene konnte sich auf die Fehlerhaftigkeit berufen, indem er selbst die actio quod metus causa erhob oder sich auf die exceptio metus berief 77 . Die zur Disposition einer Partei gestellte Geltendmachung der Ungültigkeit kommt durch alle im Wege der exceptio erhobenen „Vertragsmängel" zum Ausdruck. Exemplarisch seien Interzessionsgeschäfte der Frau genannt. Nach dem senatusconsultum Vellaeanum waren Verpflichtungen von Frauen aus Bürgschaft und Darlehen unzulässig, wenn sie sich als Eintreten für andere Personen darstellten. Damit sollten Frauen geschützt werden, die in Rechtssachen unerfahren waren, insbesondere wenn es um Geschäfte in fremdem Interesse ging. Gleichwohl waren solche Verpflichtungen grundsätzlich gültig, im Falle der Klage durch den Gläubiger konnten sie aber durch exceptio senatusconsulti Vellaeani entkräftet werden 78 . Darüber hinaus gab es auch nach dem klassischen ius civile anfechtungsähnliche Instrumente, die dem Berechtigten ermöglichten, ein Rechtsgeschäft nachträglich zu entkräften. Ohne eine Generalisierung vornehmen zu wollen, kannte das römische Recht unterschiedliche Rechtsfolgen bei fehlerhaften Rechtsgeschäften, die durch verschiedene Rechtsmittel geltend zu machen waren 79 ' 80 . 71

Käser, Das Römische Privatrecht I, § 2 0 1 VI 1, S . 8 9 f . ; Hartkamp, Z w a n g im römischen Recht, § 2 0 , 2, S. 175 f. m.w.N. 72 Käser, Das Römische Privatrecht II, § 2 0 1 VI 1, S . 9 0 F n . 4 5 ; Hartkamp, Z w a n g im römischen Recht, § 20 Ziff. 2, S. 176; a.A. noch Levy, ZSSt.(RA) 4 9 (1929), 230, 242. 73 Käser, Das Römische Privatrecht II, § 201 VI 1, S. 90 Fn. 45. 74 Hartkamp, Z w a n g im römischen Recht, § 20 Ziff. 2, S. 176; dagegen Käser, Das R ö m i s c h e Privatrecht II, § 2 0 1 VI 1, S . 9 0 F n . 4 5 . 75 Hartkamp, Z w a n g im römischen Recht, § 21 Ziff. 1, S. 177 ff. m.w.N. 76 Hartkamp, Z w a n g im römischen Recht, § 21 Ziff. 4, S. 182 ff. 77 Käser, Das Römische Privatrecht II, § 2 0 1 VI 2, S . 9 0 ; Hartkamp, Z w a n g im römischen Recht, § 2 1 Ziff. 5, S. 184 ff. 78 Iul. D. 16, 1, 16, 1 (Si ab ea mutiere, quae contra senatus consultum intercessisset, fideiussorum accepissem; Gaius Cassius respondit ita demum dideiussori exceptionem dandam, si a mutiere rogatus fuisset); vgl. Jörs/KunkelAVenger, § 133,3, S. 217; Käser, Das R ö m i s c h e Privatrecht I, § 156, S. 667; Kupisch, § 2 III, S. 16. Die exceptio senatusconsulti Vellaeani wird exemplarisch als A u s n a h m e von dem Grundsatz ins Feld geführt, daß exceptiones auf Verlangen des Beklagten Berücksichtigung fanden (Jörs/Kunkel/Wenger, § 60, 3, S. 104 Fn. 6). 79 Käser, Das R ö m i s c h e Privatrecht I, § 60 I 1, S. 247; Honsell/Mayer-Maly/Selb, § 51, S. 115; Dernburg, Allgemeine Lehren, § 115 I, S. 389; kritisch gegenüber der T h e s e der mangelnden Differenzierung wiederum Hellmann, Unwirksamkeit, S. 4. 80 Die von Hellmann (Unwirksamkeit, S. 4; ders., Z S S t . [ R A ] 24 [1903], 50, 87 ff.) aufgestellte

44

Kapitel 4: Geschichtliche Aspekte

Als Beispiel ist die querela inofficiosi testamenti&l zu nennen. Mit dieser Klage konnten die nächsten, im Testament des Erblassers nicht hinreichend bedachten Angehörigen des Erblassers das Testament angreifen. Aus der Nov. 115 aus dem Jahre 542 n.Chr. ergab sich indes, aus welchem Grund der Erblasser einen nahen Angehörigen berechtigterweise doch von der Erbfolge ausschließen konnte. War die Klage erfolgreich, wurde das Testament aufgrund des Urteils aufgehoben 8 2 . Der Erfolg der Klage hing davon ab, ob die nicht ausreichende Berücksichtigung pflichtwidrig erfolgte. Diese wurde mit der Begründung angenommen, der Erblasser habe nicht sanae mentis gehandelt 83 . Dieses Exempel verdeutlicht den Unterschied zur ipso iure eintretenden Ungültigkeit: Fehlte dem Erblasser die Testierfähigkeit - war er beispielsweise bei Errichtung des Testaments unzurechnungsfähig - , so war das Testament nulluni; der Geltendmachung der Ungültigkeit bedurfte es in diesem Falle nicht 84 . Als weiterer Fall nachträglicher Vernichtbarkeit, der Anfechtbarkeit vergleichbar, wird teilweise 85 auch die Rechtsfolge bei Verstoß gegen die lex Cicereia86 angesehen. Hatten sich mehrere Personen für eine Schuld verbürgt, so haftete jeder Mitbürge zu gleichen Teilen 87 . Um Klarheit über die Anzahl der Mitbürgen zu haben, mußte der Gläubiger aufgrund der lex Cicereia öffentlich erklären, für welche Forderungen er Bürgen aufnehme und wieviele. Nahm der Gläubiger die Verkündung nicht vor, konnten die Bürgen gerichtlich feststellen lassen, daß der Gläubiger entgegen der lex Cicereia die Verkündung unterlassen habe. Folge war, daß die Bürgen frei wurden 88 . Mithin traten die Wirkungen des Verstoßes gegen die lex Cicereia nur infolge einer besonderen Geltendmachung durch die Betroffenen ein. Modifizierungen der Ungültigkeitsfolgen wurden überdies deutlich bei der nachklassischen laesio enormis, die dem Verkäufer, der einen Gegenstand für weniger als die Hälfte seines objektiven Wertes verkaufte, das Recht einräumte, vom These, die „Anfechtbarkeit k o m m e durch Termini wie retractere, rescindere, revocare zum Ausdruck, ist auf Kritik gestoßen (vgl. Käser [Verbotsgesetze, § 7 , S . 4 3 ] zum Begriff rescindere). Mitteis nennt den Ausdruck irritus als oft verwendete Bezeichnung für nachträgliche Vernichtbarkeit (Römisches Privatrecht, § 14 I, S. 238). Gradenwitz. (Ungültigkeit, S. 328) erachtet allerdings eine Einteilung in Ungültigkeitstatbestände, die der Richter ex officio zu berücksichtigen hat, und solche, die zur Disposition eines der Beteiligten steht, für nicht möglich. 81 I. 2, 18; D. 5, 2; C. 3, 28; vgl. Mitteis, Römisches Privatrecht, § 14 II 1, S. 241; Hellmann, Unwirksamkeit, S. 5; Honsell/Mayer-Maly/Selb, § 51, S. 115; Krüger, ZSSt.(RA) 57 (1937), 94, 97. 82 Ulp. D. 5, 2, 8, 16 (Si ex causa de inofficiosi cognoverit iudex et pronuntiaverit contra testamentum nec fuerit provocatum, ipso iure rescissum est). 83 1.2, 18 (Quid plerumque parentes sine causa iiberos suos vel exheredant vel omittunt, inductum est, ut de inofficioso testamento agere possint liberi, qui queruntur aut inique se exheredatos aut inique praeteritos, hoc colore, quasi non sanae mentis fuerunt, cum testamentum ordinären!, sed hoc dicitur, non quasi verefuriosus sit, sed officio pietatis: nam si verefuriosus est, nullum est testamentum). 84

1.2, 18 (vgl. soeben Fn. 83). So z.B. Mitteis, Römisches Privatrecht, § 14 II 1, S. 240 f. 86 Gai. Inst. III, 123; dazu Hackl, S. 257 ff. 87 A u f g r u n d der lex Furia, vgl. Käser, Das Römische Privatrecht I, § 155 II 3 a, S. 662. 88 Käser, Das Römische Privatrecht 1, § 155 II 3 a, S. 662; kritisch Hellmann, Unwirksamkeit, S. 5, wonach keine ex-tunc-Wirkung, sondern lediglich die rechtsgültig entstandene Obligation mit ex-nunc-Wirkung aufgehoben werde. 85

A) Differenzierte Ungültigkeitssanktionen im römischen Recht

45

Käufer nachträglich die Differenz zwischen dem gezahlten und dem gerechten Preis zu verlangen oder das Geschäft rückgängig zu machen 89 . Über diese Beispiele für Fälle einer differenzierenden Behandlung der Ungültigkeit hinaus kannte das römische Recht -in Ausnahmefällen - die Konvaleszenz fehlerhafter Rechtsgeschäfte. Exemplarisch sei die Heilung einer an sich nicht gültigen Schenkung unter Ehegatten genannt, die mit dem Tod des Schenkers gültig werden konnte 90 . Auch die Bestätigung eines (ursprünglich) angreifbaren Geschäfts hinderte den mittlerweile volljährig gewordenen übervorteilten Minderjährigen, gegen dieses Geschäft vorzugehen 91 . Im Einzelfall wurde hier also mit dem Wegfall des zu schützenden Interesses die absolute Wirkung der Nichtigkeit relativiert. Ob dem römischen Recht auch Fälle bekannt waren, die dem heutigen Verständnis der sachenrechtlichen relativen Unwirksamkeit vergleichbar sind, wird unterschiedlich beurteilt. Diskutiert wird die lex Iulia defundo dotali92, die offensichtlich keine gegenüber jedermann wirkende absolute Nichtigkeit begründete. Die verbotene Veräußerung eines zur Mitgift gehörigen Grundstücks soll nur gegenüber der Frau, nicht Dritten gegenüber unwirksam gewesen sein 93 . Hierbei handelt es sich um ein mit dem § 135 BGB vergleichbares relatives Veräußerungsverbot.

VI. Zwischenergebnis Die betrachteten Beispiele belegen, daß es im römischen Recht Ungültigkeitsgründe gab, die nicht „automatisch" zum Eintritt der Ungültigkeit führten, sondern erst durch entsprechende Geltendmachung durch den Betroffenen hervorgerufen wurden. Auch wenn der Begriff der Ungültigkeit im römischen Privatrecht wenig durchgebildet war, hat der Überblick gezeigt, daß die Kasuistik dieser Epoche verschiedenartige Ungültigkeitsarten kannte. Bereits die unterschiedliche Behandlung der Rechtsfolgen im Bereich des Minderjährigenrechts belegt, daß das römische Privatrecht zu differenzieren wußte. Dabei deutet insbesondere die Behandlung gegenseitiger Verträge von impubes infantia maiores - nur deren Verpflichtung war ungültig, während ihre Berechtigung im Grundsatz Bestand hatte - auf eine schutzzweckorientierte Betrachtung des zugrundeliegenden Ungültigkeitsgrundes hin. Ähnliches läßt sich aus der Beurteilung von Geschäften schließen, die der lex Laetoria widersprachen. Dem übervorteilten minor stand die exceptio legis Laetoriae zur Seite, ohne daß das Rechtsgeschäft eo ipso ungültig war. Gewisse Schutzzweckorientierungen lagen überdies der Behandlung eines Verstoßes gegen 89 C. 4, 44, 2; umfassend Becker, Die Lehre von der laesio enormis aus der Sicht der heutigen Wucherproblematik. 90 Vgl. Käser, Das Römische Privatrecht I, § 79 III 1, S. 332. 91 Honsell/Mayer-Maly/Selb, § 54 I, S. 128 f. 92 D. 23, 5, 1. 93 Käser, Römisches Privatrecht, 2. Aufl. 1962, § 59 A n m . II 5, S. 230; zweifelnd ders., Verbotsgesetze, § 9 A n m . I 4, S . 5 6 f . ; Honsell/Mayer-Maly/Selb, § 5 1 , S. 116 Fn. 8; Pfringsheim, ZSSt. (RA) 44 (1924), 551 552.

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Kapitel 4: Geschichtliche Aspekte

die lex Falcidia zugrunde; der Betroffene konnte offenbar auf die dort ausgesprochene Ungültigkeitswirkung verzichten. Auch durch dolus oder metus veranlaßte Rechtsgeschäfte waren nicht partout ungültig; vielmehr standen auch hier dem betroffenen Opfer mit den entsprechenden exceptiones bzw. der in integrum restitutio Einredemöglichkeiten zu. Gleiches gilt für die querela inofficiosi testamenti, die sich als typisches Beispiel einer „Anfechtungsmöglichkeit" nach dem ius civile darstellt. Überdies läßt sich das Instrument der laesio enormis als Indiz für eine modifizierte Behandlung der Ungültigkeit heranziehen. Ohne den kasuistischen Charakter der genannten Beispiele und den topisch-diskursiven Denkstil der klassischen Juristen in den Hintergrund rücken zu wollen, läßt sich festhalten, daß das römische Privatrecht keine starren Ungültigkeitsarten kannte, vielmehr im Einzelfall offensichtlich Differenzierungen vornahm. In einigen Konstellationen wurde unverkennbar dem durch das Verbot oder Gebot Geschützten die entsprechende Einredemöglichkeit zur Seite gestellt. Unabhängig davon, ob diesen Fällen eine bewußte oder unbewußte Schutzzweckorientierung zugrundeliegt, läßt sich ihr tatsächlicher Zusammenhang nicht in Abrede stellen.

VII. Überblick über die weitere Entwicklung Wie schon das römische Recht legten auch die folgenden Epochen bis hin zur Rezeption und zu den Juristen des Usus Modernus keinen zusammenfassenden Begriff der Unwirksamkeit fest 94 . Der Grund liegt darin, daß die Glossatoren und Kommentatoren primär einzelne Fundstellen in den Quellen analysierten und dabei überwiegend eine fallbezogene Betrachtung anstellten; auch die Juristen des Usus Modernus operierten kasuistisch 95 . Gleichwohl lassen sich auch in der Literatur der Rezeptionszeit Differenzierungen der Rechtsfolgen bei ungültigen Rechtsgeschäften aufspüren. So hat H.Schmidt daraufhingewiesen, daß hier der Gedanke einer ipso iure eintretenden Ungültigkeit ebenso existent war wie eine „Ungültigkeit", die nur infolge ihrer Geltendmachung zu berücksichtigen war: Freigius unterschied im Rahmen der Kommentierung zu D. 45, 1, 26 und 27 96 ausdrücklich zwischen unsittlichen Versprechen, die ipso iure nulla waren, und solchen, die an sich gültig waren, deren Unsittlichkeit aber durch exceptio geltend gemacht werden konnte 97 . Ob die Ungültigkeit ipso iure eintreten sollte oder durch exceptio geltend zu machen war, sollte sich danach richten, ob es sich um einen beiderseitigen Verstoß handelte oder ob lediglich ein einseitiger Makel vorlag. Im Falle der beidseitigen „Schändlichkeit" war das Versprechen ipso iure ungültig, beim einseitigen Verstoß war die „Schändlichkeit" durch exceptio geltend zu machen.

94

Härder, A c P 173 (1973), 209, 2 1 0 ; / / . Hübner, in: Festschrift für Wieacker, S. 399 f. H. Hübner, in: Festschrift für Wieacker, S. 399; für die Behandlung sittenwidriger Verträge H.Schmidt, Lehre von der Sittenwidrigkeit, S. 22, 62 f. 96 Siehe schon oben S. 41 Fn. 61. 97 Vgl. H.Schmidt, Lehre von der Sittenwidrigkeit, S. 10 m.w.N. 95

B) Weitere Modifikationen

der

Ungültigkeit

47

Abstraktere Behandlungen der Ungültigkeitslehre finden sich sodann bei den Juristen des Naturrechts. Hugo Grotius gilt als einer der ersten, der Ungültigkeitsgründe strukturiert hat. In seinem Werk De iure belli ac pacis hat er Rechtsfolgen der Geschäftsunfähigkeit, des Irrtums, der arglistigen Täuschung und der objektiven Unmöglichkeit systematisch dargestellt 98 . Dieser Systematisierung schloß sich Pufendorf a n " . Thomasius untersuchte unter Bezugnahme auf Pufendorf und Grotius ausführlich einzelne Fehlerquellen 100 , nach ihm auch Christian Woljfxm. Nichtigkeit als Rechtsfolge übernimmt ausdrücklich Nettelbladt für das positive Recht 102 .

B) Modifikationen der Ungültigkeit in Kodifikationen, Gesetzesentwürfen und Einzelgesetzen der neueren Privatrechtsgeschichte Noch bevor Savigny als einer der ersten Rechtsfolgen der Ungültigkeit strukturiert hat 103 , finden sich in zahlreichen Gesetzeswerken - sei es in Kodifikationen, Gesetzesentwürfen oder Gesetzen - Hinweise, die die Tendenz einer beschränkten Ungültigkeitswirkung zum Ausdruck brachten und bestimmten Personen die Berufung auf Gesetzesverstöße zur Disposition stellten. Vornehmlich betroffen waren das Minderjährigenrecht und die unter Täuschung oder Drohung zustande gekommenen Verträge; dementsprechend handelt es sich meist um Fälle, die nach heutigem Verständnis der schwebenden Unwirksamkeit oder der Anfechtbarkeit zuzuordnen sind. Solche modifizierte Erscheinungsformen der Ungültigkeit werden im folgenden beleuchtet. Auch wenn sich in diesen Rechtsordnungen noch keine strukturierten Ungültigkeitsbegriffe finden, ist signifikant, daß im Einzelfall offensichtlich ein Zusammenhang zwischen dem personalistisch orientierten Normzweck und der in diesem Sinne relativierten Ungültigkeitssanktion besteht.

I. Württembergisches Landrecht von 1555 Das Württembergische Landrecht von 1555 104 , das als Vorbild für spätere städtische oder landesrechtliche Kodifikationen starken Einfluß ausübte, war durch das römische Recht geprägt 105 . Wenngleich auch dieses Gesetz keinen allgemeinen 98

Grotius, 2,11,5 ff., S. 238 ff; vgl. auch Grotius, Inieidinge tot de hollandsche rechts-geleerdheid, III 1,S. 194 ff. 99 Pufendorf, lib. III, cap. 6. 100 Thomasius, lib. II, cap. 7, § 1, 34 ff. 101 Wolff, Ius naturae, pars. III, cap. 4, §§ 569 ff. 102 Nettelbladt, §§ 217 ff. Zum Einfluß des Naturrechts auf das positive Recht Luig, ZSSt. (GA) 96 (1979), 38 ff.; Voppel, passim. 103 Siehe dazu unten S. 57 f. 104 Abgedruckt bei Kunkel/Thieme/Beyerle, Bd. I 2, S. 79 ff. 105 Vgl. hierzu Stobbe, § 85, S. 384 ff.

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Kapitel 4: Geschichtliche

Aspekte

Begriff der Ungültigkeit f o r m u l i e r t e , sind m o d i f i z i e r t e E r s c h e i n u n g e n im Bereich der Ungültigkeit zu registrieren. G e m ä ß Teil II K a p . 9 Ziff. 1 waren b e i s p i e l s w e i s e v e r p f l i c h t e n d e K o n t r a k t e des M ü n d e l s „ u n k r ä f t i g " , w ä h r e n d einseitige A n s p r ü c h e der „ b e v ö g t e n P e r s o n e n " B e s t a n d hatten: „Was aber ein vogtbare Person darüber verenderte, soll derselbig Contract und Handlung, wiefern es der vogtbaren Personen zu Schaden und Nachteil raichte, zu Unkreften sein und heißen. Doch so den bevögten Personen etwas versprochen oder nachgelassen were, soll dasselbig, ob sie wollen, Kraft und Bestand haben, on verhindert, das kein Vogt oder Vormunder dabei gewesen."

O f f e n s i c h t l i c h sollte diese Vorschrift das M ü n d e l mit der F o l g e schützen, d a ß Verp f l i c h t u n g e n zu dessen Lasten keine W i r k u n g hatten, w ä h r e n d B e r e c h t i g u n g e n des M ü n d e l s gültig sein sollten. D e r personalistisch orientierte S c h u t z z w e c k wirke sich also unmittelbar auf die k o n k r e t e Ungültigkeitssanktion aus.

II. Codex Maximilianeus

Bavaricus civilis von 1756

A u c h d e m C o d e x M a x i m i l i a n e u s Bavaricus civilis 1 0 6 , d e m bayerischen L a n d r e c h t von 1756, waren nach personalistisch orientierten S c h u t z z w e c k g e s i c h t s p u n k t e n ausgerichtete U n g ü l t i g k e i t s f ä l l e b e k a n n t . E t w a die B e h a n d l u n g von G e s c h ä f t e n der unter V o r m u n d s c h a f t gestellten P e r s o n e n w a r ein G e g e n s t a n d m o d i f i z i e r t e r Ungültigkeit, w a s in 1 7 § 17 z u m A u s d r u c k k o m m t : „Was der Pupill in seinen Sachen ohne Bewilligung und Authorität des Vormundes thut oder handlet, hat wenigst auf seiner Seite keine Kraft und Verbindlichkeit, wohl hingegen ist und bleibt der andere, welcher sich mit ihm einlaßt, verbunden, wenn der Pupill Vortheil davon hat, und seines Orts gleichfalls praestanda prästiren will."

Diese Vorschrift will die B e h a n d l u n g gegenseitiger Verträge von M i n d e r j ä h r i g e n d e m r ö m i s c h e n Recht e n t n e h m e n 1 0 7 . G l e i c h w o h l ist auch dieser R e c h t s o r d n u n g ein a l l g e m e i n e r Begriff der Ungültigkeit f r e m d , o b w o h l sie die U n t e r s c h e i d u n g z w i s c h e n ipso iure und d u r c h E i n r e d e eintretende Ungültigkeit voraussetzte: „Zweytens ist heut zu Tag kein Unterschied mehr, ob die Obligation ipso iure, oder nur OpeExceptionibus erlösche".

Des weiteren sind Versuche erkennbar, die die R e c h t s w i r k u n g der Ungültigkeit näher regelten, wie b e i s p i e l s w e i s e VI 1 § 2 4 u n d § 25 belegen: „Ermangelt es aber der Convention an obverstandenen Haupt-Requisitis, zufoerderst an dem Consens derjenigen, welche dadurch gebunden werden sollen, so ist dieselbe gleich anfänglich ungültig, und erlangt durch die nachfolgende Ratification und Bestattigung ihre Kraft erst ä tempore Ratificationis".

A n d e r e r s e i t s k a n n t e der C o d e x M a x i m i l a n e u s B a v a r i c u s auch m o d i f i z i e r t e Form e n dergestalt, d a ß er d e m Berechtigten ein „Wahlrecht" e i n r ä u m t e . IV 1 § 25 dif106 107

Codex Maximilaneus Bavaricus, München 1759. Dazu oben S. 34 ff.

B) Weitere Modifikationen der Ungültigkeit

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ferenzierte im Bereich der durch Betrug veranlaßten rechtsgeschäftlichen Erklärung danach, ob die Täuschung durch einen Dritten oder durch den Vertragspartner verübt worden war: „ Z w e y t e n f a l l s hat der Beleidigte die Wahl, ob er den C o n t r a c t u m s t o s s e n , o d e r d a b e y b e h a r r e n , und nur P r a e s t a t t i o n e m Doli, das ist die S c h a d e n s - A b t h u u n g b e g e h r e n w o l l e " .

Beide Beispiele - der Betrug durch den Vertragspartner wie die Regelung des Minderjährigenrechts - lassen darauf schließen, daß es um den Schutz bestimmter Personen geht; in beiden Fällen ordnete das Gesetz keine ipso iure eintretende Ungültigkeit ein, sondern paßte die Ungültigkeitsfolge unverkennbar einem personalistisch orientierten Schutzzweck an.

III. Ungültigkeitsbegriffe im Preußischen Allgemeinen Landrecht Im Preußischen Allgemeinen Landrecht (ALR) von 1794 108 finden sich verschiedene Ungültigkeitsbegriffe. Allgemeine Regeln über die Ungültigkeit der Rechtsgeschäfte stellt das ALR nicht auf. Die Rechtswirkung ergibt sich aus den jeweiligen Normen; diese sind indes äußerst unbestimmt, so daß oft kaum erkennbar ist, welche Rechtswirkung eintreten sollte 109 . Das ALR verwendet Begriffe wie „Nichtigkeit" 1 1 0 , „unverbindlich" 1 1 1 , „ungültig" 1 1 2 , „entkräftet" 1 1 3 oder „unk r ä f t i g " " 4 , so daß ein allgemeiner Sprachgebrauch im ALR nicht erkennbar i s t " 5 . Auch zu der Frage, ob Ungültigkeit per se eintreten sollte oder unter Schutzzweckgesichtspunkten nur von bestimmten Personen geltend gemacht werden konnte, läßt das ALR keine einheitliche Struktur erkennen. Einerseits finden sich Nichtigkeitsvorschriften, die anscheinend auf eine „automatisch" eintretende Ungültigkeit schließen lassen, andererseits enthält das ALR auch solche, die dem Betroffenen die Berufung auf die Nichtigkeit zugestanden. Die Formulierungen in 14

los Allgemeines Landrecht f ü r die Preußischen Staaten von 1794, Textausgabe 1970. 109

Fischer, Preußisches Privatrecht, § 16, S. 84. „Ist der angeblich gezwungene, betrogene, oder sonst im Irrthume gewesene Theil verstorben, ohne die Nichtigkeit der Ehe zu rügen: so kann die Ehe von dessen Nichtigkeit nicht mehr angefochten werden." (II 4 § 23). 111 „Vielmehr ist j e d e durch Betrug veranlaßte Willenserklärung für den Betrogenen unverbindlich." (I 4 § 85). 112 „Erzwungene Willenserklärungen sind auch alsdann ungültig, wenn die Gewalt oder der Zwang nicht von dem, zu dessen Vortheil die Erklärung gereichen soll, sondern von einem Dritten, verübt worden." (I 4 § 42); „Irrtum in dem Wesentlichen des Geschäfts oder in dem Hauptgegenstand der Willenserklärung macht dieselbe ungültig." (I 4 § 75). 113 „Dadurch aber, daß eine drohende G e f a h r zu der Willenserklärung bloß Anlaß gegeben hat, wird diese noch nicht entkräftet." (I 4 § 43). 114 „Auch gefährliche Bedrohungen des Lebens, der Gesundheit, d e r F r e y h e i t und Ehre, machen j e d e darauf erfolgende Willensäußerung unkräftig." (I 4 § 33). 115 Schlottmann, S. 10; Härder, A c P 173 (1973), 209, 213. 110

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Kapitel 4: Geschichtliche

Aspekte

§ 3 1 1 1 6 , 1 4 § 3 3 1 1 7 , 1 4 § 4 2 1 1 8 , 1 4 § 43 1 1 9 und 14 § 75 1 2 0 deuten auf eine per se wirkende Ungültigkeit hin. Darüber hinaus lassen sich im ALR Konstruktionen aufspüren, die mit der heutigen Rechtsordnung vergleichbar sind 121 . Interesse weckt überdies die Tatsache, daß das ALR auch den Terminus „Anfechtung" kannte 1 2 2 . Des weiteren existierten Vorschriften, die die Berufung auf die Ungültigkeit anscheinend der durch die Vorschrift geschützten Person überließen. Besonders deutlich wird dies in 14 § 84 und § 85: „In keinem Falle aber kann derjenige, welcher einen Irrthum wissentlich und vorsetzlich veranlaßt hat, daraus ein Recht erwerben." (I 4 § 84) „Vielmehr ist jede durch Betrug veranlaßte Willenserklärung für den Betrogenen unverbindlich." (I 4 § 85)

Im Falle der durch Betrug veranlaßten Willenserklärung war dem Betrogenen sogar ein Wahlrecht zwischen der Aufhebung oder der Aufrechterhaltung des Vertrages eingeräumt: „Jeder Betrug, wodurch jemand zur Errichtung eines Contracts verleitet worden, berechtigt den Betrogenen, davon wieder abzugehen." (I 5 § 349) „Er kann aber auch bey dem Vertrage stehen bleiben, und nur den Ersatz des durch den Betrug verursachten Schadens fordern." (I 5 § 350)

Diese Formulierungen, wie auch eine familienrechtliche Vorschrift in II 1 § 42 1 2 3 , lassen den Schluß zu, daß dem ALR der Gedanke immanent war, daß sich nur derjenige, zu dessen Schutz das Verbot galt, auf die Ungültigkeit berufen durfte 1 2 4 . Auch wenn sich unterschiedliche Arten des Ungültigkeitseintritts eruieren lassen, bleibt es bei der Feststellung, daß eine einheitliche Struktur gerade hinsichtlich der Art und Weise des Eintritts der Ungültigkeit nicht vorlag: Durch physische Gewalt hervorgerufene Willensäußerungen waren „unverbindlich" 1 2 5 bzw. „ungültig" 1 2 6 , während „wegen erlittenen Zwanges" begründete, sonst rechtsbeständige Willenserklärungen angefochten werden mußten 1 2 7 .

116 „Äußerungen des Willens, wozu jemand durch physische Gewalt genötigt worden ist, haben keine verbindliche Kraft." (14 § 31). 117 Siehe oben S. 49 Fn. 114. 118 Siehe oben S. 49 Fn. 112. 119 Siehe oben S. 49 Fn. 113. 120 Siehe oben S. 49 Fn. 112. 121 In II 1 § 41 heißt es etwa: „Eine durch Zwang, Betrug oder Irrtum veranlaßte Ehe wird verbindlich, wenn sie nach entdecktem Irrtum oder Betrug oder nach aufgehobenem Zwang ausdrücklich genehmigt oder länger als sechs Wochen nach diesem Zeitpunkt freiwillig fortgesetzt wird." Diese Formulierung erinnert an den heutigen Begriff der schwebenden Unwirksamkeit. 122 „Wer eine sonst rechtsbeständige Willenserklärung wegen erlittenen Zwanges anfechten will, muß dieses, sobald er einen Richter hat antreten können, spätestens aber binnen acht Tagen nach diesem Zeitpunkt gerichtlich anzeigen." (I 4 § 45). 123 „Ist der angeblich gezwungene, betrogene, oder sonst im Irrthume gewesene Theil verstorben, ohne die Nichtigkeit der Ehe zu rügen: so kann die Ehe von dessen Erben nicht mehr angefochten werden." (II 1 §42). 124 Vgl. Fischer, Preußisches Privatrecht, § 17, S. 89 f. 125 14 § 31, siehe oben S. 50 Fn. 116. 126 14 §42, siehe oben S . 4 9 F n . 112. 127 14 §45, siehe oben S. 50 Fn. 122.

B) Weitere Modifikationen der Ungültigkeit

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Zum ALR läßt sich damit feststellen: Ein allgemeiner Gebrauch der Begriffe „Unwirksamkeit" und „Ungültigkeit" ist nicht erkennbar. Uneinheitlichkeit läßt sich auch für die Rechtsfolgenseite konstatieren, insbesondere für die Frage „auf welche Weise" die Ungültigkeit eintritt. Jedenfalls aber kannte das A L R im Einzelfall Differenzierungen, die die Geltendmachung der Gesetzwidrigkeit der betroffenen Person zur Disposition stellten.

IV. Der Hessische Entwurf Die Entwürfe und Kodifikationsbestrebungen des 19. Jahrhunderts waren stark durch das gemeine Recht geprägt, auf dessen Lehren noch einzugehen sein wird 1 2 8 . Der hessische Entwurf 1 2 9 eröffnete die Möglichkeit, die Berufung auf die Ungültigkeit in die Disposition des Betroffenen zu stellen; er enthielt sogar Regeln, die explizit zwischen ipso iure eintretender Ungültigkeit und einer solchen, die nur bei entsprechender Geltendmachung durch den Betroffenen eintrat, differenzieren: „Ist ein Vertrag im Gefolge wesentlichen Irrthums, Betruges oder Zwanges abgeschlossen worden, so ist er nicht sofort schon kraft des Gesetzes (ipso iure) ungültig, vielmehr begründet derselbe nur eine Klage auf Nichtigerklärung." (Vierte Abtheilung Erstes Buch Art. 75)

Neben Verkehrsschutzinteressen begründeten die Motive zu Art. 75 diese Regelung ausdrücklich mit den Interessen der betroffenen Partei: Ipso iure eintretende Ungültigkeit sei nicht sachgerecht, weil der Irrende, Betrogene oder Gezwungene nach Kenntnisnahme des Aufhebungsgrundes möglicherweise ein Interesse hätte, den Vertrag aufrechtzuerhalten. Wie viele andere Kodifikationen und Entwürfe dieser Zeit kannte der hessische Entwurf des weiteren im Bereich des Minderjährigenrechts eine besondere Art der Geltendmachung des Mangels: „Unfähig, ohne Zustimmung ihrer gesetzlichen Vertreter durch einen Vertrag sich zu verpflichten, sind Minderjährige über 7 Jahre. Sie können die ohne jene Zustimmung eingegangenen Verträge als ungültig anfechten und haften nur wann und in so weit sie sich durch solche bereichert finden." (Vierte Abtheilung Erstes Buch Art. 49)

Verträge des schutzbedürftigen Minderjährigen sollten also nicht per se als ungültig behandelt werden; vielmehr wurden diesen der Rekurs auf die Fehlerhaftigkeit des Geschäfts zur Disposition gestellt. Auch wenn dem hessischen Entwurf damit modifizierte Arten der Ungültigkeit im Einzelfall, insbesondere der Zusammenhang zwischen parteibezogenen Schutzzwecken und Vernichtbarkeit des betroffenen Rechtsgeschäfts bekannt waren, fehlte ihm eine allgemeine Systematik. 128

Siehe unten S. 57 ff. Entwurf eines bürgerlichen Gesetzbuches für das Großherzogtum Hessen nebst Motiven, 1842 - 1853; vgl. dazu Dölemeyer, in: Handbuch der Rechtsquellen der Privatrechtsgeschichte, Bd. III 2, S. 1518 ff. 129

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Kapitel 4: Geschichtliche

Aspekte

V. Der Bayerische Entwurf von 1861/1864 D e r bayerische E n t w u r f von 1861/1864 1 3 0 w a r im Bereich der U n g ü l t i g k e i t s l e h r e um S y s t e m a t i s i e r u n g b e m ü h t . Dies zeigen die Art. 8 0 ff. des 1. Teils, in d e m sich a l l g e m e i n e R e g e l n über Nichtigkeit u n d A n f e c h t b a r k e i t finden. D a b e i b e s c h r e i b e n die Art. 80 A b s . 1 und Art. 83 die W i r k u n g e n dieser beiden U n g ü l t i g k e i t s a r t e n 1 3 1 . A n f e c h t b a r k e i t k o n n t e in f o l g e n d e n Konstellationen eintreten: Ü b e r n a h m ein M i n d e r j ä h r i g e r eine Verpflichtung, so w a r das R e c h t s g e s c h ä f t grundsätzlich gültig. G l e i c h w o h l stand d e m M i n d e r j ä h r i g e n ein A n f e c h t u n g s r e c h t zur Seite (Teil I. Art. 4, Art. 83). A n d e r e r s e i t s h o b die B e k r ä f t i g u n g durch den Vertreter o d e r d u r c h den mittlerweile Volljährigen die A n f e c h t b a r k e i t auf. D e r A n f e c h t b a r k e i t unterfiel des weiteren g e m ä ß Teil I Art. 2 0 A b s . 2 das d u r c h Z w a n g veranlaßte R e c h t s g e s c h ä f t u n d g e m ä ß Teil I Art. 29 der d u r c h B e t r u g veranlaßte „ a u ß e r w e s e n t l i c h e Irrt h u m " 1 3 2 . D a r ü b e r hinaus trat bei Verstößen gegen V e r ä u ß e r u n g s v e r b o t e , die nicht d e m ö f f e n t l i c h e n Interesse, sondern einer anderen Person dienten, nach d e m B a y e rischen E n t w u r f als R e c h t s f o l g e A n f e c h t b a r k e i t ein. Die V e r ä u ß e r u n g g e g e n ein im ö f f e n t l i c h e n Interesse erlassenes Verbot b e g r ü n d e t e d a g e g e n Nichtigkeit: „ D i e V e r ä u ß e r u n g einer S a c h e (Art. 5 Theil I) g e g e n ein im ö f f e n t l i c h e n Interesse e r l a s s e n e s gesetzliches Verbot ist nichtig. Die V e r ä u ß e r u n g g e g e n ein gesetzliches, w e l c h e s lediglich im Interesse eines Betheiligten erlassen ist, s o w i e die V e r ä u ß e r u n g gegen ein r e c h t s k r ä f t i g e s richterliches o d e r g e g e n ein rechtsw i r k s a m e s letztwilliges oder v e r t r a g s m ä ß i g e s Verbot kann von d e m Betheiligten g e g e n d e n Erwerber angefochten werden."

I n s b e s o n d e r e das zuletzt g e n a n n t e Beispiel belegt e i n d r u c k s v o l l , d a ß die D i f f e r e n z i e r u n g z w i s c h e n ipso iure eintretender Nichtigkeit und einer Partei zur Disposition gestellter Nichtigkeit ( A n f e c h t b a r k e i t ) F o l g e s c h u t z z w e c k o r i e n t i e r t e r G e sichtspunkte war. D i e M o t i v e z u m „ E n t w ü r f e eines b ü r g e r l i c h e n G e s e t z b u c h e s f ü r das K ö n i g reich B a y e r n " bestätigen, d a ß personalistisch orientierte S c h u t z z w e c k g e s i c h t s p u n k t e die D i f f e r e n z i e r u n g z w i s c h e n Nichtigkeit und A n f e c h t b a r k e i t veranlaßt h a b e n : D a s nichtige R e c h t s g e s c h ä f t m ü s s e n o t w e n d i g e r w e i s e schlechthin, also f ü r j e d e n dabei Beteiligten w i r k u n g s l o s sein, „so d a ß auch d e r j e n i g e , in dessen e i g e n e r H a n d l u n g der G r u n d der Nichtigkeit liegt, sich auf dieselbe b e r u f e n k a n n " . A n d e r s sei d a g e g e n die Situation bei der A n f e c h t b a r k e i t . D e r G r u n d f ü r die A n f e c h t u n g w i r k e nur f ü r j e n e n Teil, d e m das A n f e c h t u n g s r e c h t zustehe, z.B. b e i m Z w a n g nur d e m G e z w u n g e n e n o d e r b e i m B e t r u g nur d e m B e t r o g e n e n , „nicht aber f ü r den Z w i n g e n d e n o d e r f ü r den B e t r ü g e r " 1 3 3 .

130

Entwurf eines Bürgerlichen Gesetzbuchs für das Königreich Bayern, Neudruck 1973. „Ein nichtiges Rechtsgeschäft ist hinsichtlich seiner rechtlichen Wirkung als nicht abgeschlossen oder vorgenommen zu betrachten." (Teil I Art. 80 Abs. 1); „Anfechtbar ist dasjenige Rechtsgeschäft, welches zwar an sich zu Recht besteht, dessen A u f h e b u n g jedoch von einem Betheiligten verlangt werden kann." (Teil 1 Art. 83 Abs. 1). 131

132 Der „wesentliche Irrthum" begründete gemäß Teil I Art. 23 ohnehin die Ungültigkeit des Rechtsgeschäfts.

B) Weitere Modifikationen

der

53

Ungültigkeit

Damit kannte auch der bayerische Entwurf ein System modifizierter Ungültigkeitsarten; insbesondere lag ein Differenzierungsgrund darin, daß sich auf bestimmte Ungültigkeitsgründe nur die geschützte Partei berufen durfte. Gleichwohl hielt der Entwurf dieses System nicht strikt ein. Differenzierte er bei der Behandlung von Veräußerungsverboten hinsichtlich der Ungültigkeitsart ausdrücklich nach dem geschützten Interesse, kannte er bei Verstößen gegen allgemeine Verbotsgesetze im Bereich des Schuldrechts diese Differenzierung nicht, denn gemäß Teil II Art. 24 waren gegen Verbotsgesetze verstoßende Schuldverträge generell ungültig.

VI. Sächsisches Bürgerliches Gesetzbuch von

1863/1865

Das im Jahre 1865 in Kraft getretene Bürgerliche Gesetzbuch f ü r das Königreich Sachsen 1 3 4 basiert auf gemeinem Recht; Abweichungen finden sich aber unter anderem bei der Behandlung der Ungültigkeit von Rechtsgeschäften 1 3 5 . Wie andere Kodifikationen und Entwürfe dieser Zeit unterschied auch das sächsische Bürgerliche Gesetzbuch in den §§ 103 ff. zwischen Nichtigkeit und Anfechtbarkeit 1 3 6 . Damit differenzierte auch diese Kodifikation zwischen ipso iure eintretender Nichtigkeit und der durch Bereitstellung eines Anfechtungsrechts zur Disposition des Berechtigten gestellten Ungültigkeit. Exemplarisch ist daneben das Minderjährigenrecht zu nennen. So statuierte § 787: „Personen, deren Handlungsfähigkeit beschränkt ist, können ein Versprechen, welches blos zu ihren Gunsten gereicht, annehmen. Gehen sie eine Verpflichtung ein, so können, so lange das Verhältnis besteht, in Folge dessen ihre Handlungsfähigkeit beschränkt ist, die Personen, deren Einwilligung zu dem Vertrage erforderlich ist, und wenn das fragliche Verhältnis aufgehört hat, sie selbst den Vertrag entweder genehmigen oder für nichtig erklären. Im ersteren Fall ist der Vertrag als von Anfang gültig, im letzteren als von Anfang an nichtig zu betrachten."

Weitere Fälle waren auch in diesem Gesetz die durch Furcht (§§ 93, 831) oder Betrug veranlaßten Willenserklärungen (§ 833) 1 3 7 . Des weiteren ist die Behandlung 133

Entwurf eines Bürgerlichen Gesetzbuchs für das Königreich Bayern, Neudruck 1973, S. 339 ff. 134 Bürgerliches Gesetzbuch für das Königreich Sachsen von 1863/1865, Neudruck 1973. 135 Vgl. zur Entstehungsgeschichte und zum grundsätzlichen Inhalt Dölemeyer, in: Handbuch der Rechtsquellen der Privatrechtsgeschichte, Bd. III 2, S. 1540 ff. 136 „Nichtige Rechtsgeschäfte werden in ihren Haupt- und Nebenbestimmungen so angesehen, als wären sie nicht errichtet. Was von dem Inhalte des nichtigen Rechtsgeschäfts als besonderes Rechtsgeschäft bestehen kann, bleibt gültig; insbesondere bleibt, wenn die Nichtigkeit darauf beruht, daß der Gegenstand eines Rechtsgeschäfts eine gewisse Größe übersteigt, dasselbe bis zu dem erlaubten Betrage gültig." (§ 103); „Ein anfechtbares Rechtsgeschäft gilt als bestehend, bis die Anfechtung desselben erklärt ist. Erfolgt von Dem, der es anfechten kann, eine Genehmigung, so gilt letztere als ein Verzicht auf das Recht der Anfechtung." (§ 107). 137 „Ist jemand zu einem Rechtsgeschäfte widerrechtlicherweise durch Erregung einer gegründeten Furcht genöthigt worden, so kann er das Rechtsgeschäft anfechten." (§93); „Wer durch widerrechtlich erregte gegründete Furcht zu Eingehung eines Vertrages genöthigt worden ist, kann bei dem Vertrage stehen bleiben oder denselben anfechten" (§831); „Wird eine der Vertragsschließen-

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Kapitel 4: Geschichtliche

Aspekte

von Verstößen gegen Veräußerungsverbote zu nennen, der ebenfalls differenzierende Wirkungen innewohnten. Entweder war eine solche Veräußerung gemäß § 223 138 nichtig oder die Veräußerung war gültig, jedoch wurde dem Betroffenen ein Entschädigungsanspruch eingeräumt. Auch wenn diese alternative Behandlung bei Verstößen gegen Veräußerungsverbote einer starren Ungültigkeitsregelung eine Absage erteilte, kommen in § 223 Schutzzweckgesichtspunkte zum Ausdruck.

VII. Der Dresdener Entwurf von 1866 Der Dresdener Entwurf 1 3 9 kannte ebenfalls parteibezogene Modifikationen der Ungültigkeitswirkung. In den Art. 136 ff. 1 4 0 differenzierte der Entwurf gleichfalls zwischen nichtigen und anfechtbaren Verträgen. Dabei lag die Vorstellung zugrunde, daß Nichtigkeit ipso iure eintritt, während die Anfechtung dazu berechtigt, dem Vertrag durch einseitige Erklärung die Gültigkeit zu entziehen. Auch der Dresdener Entwurf stellte im Minderjährigenrecht dem Betroffenen die Geltendmachung der Ungültigkeit zur Disposition. Hatte ein Minderjähriger ohne erforderliche Zustimmung seines gesetzlichen Vertreters einen Vertrag geschlossen, so konnte dieser bzw. der mittlerweile Volljährige den Vertrag genehmigen oder anfechten: Gemäß Art. 24 war der Vertrag im ersten Fall von von Anfang an gültig und im anderen Fall als ex tunc unwirksam zu betrachten 141 . Interesse weckt die Tatsache, daß auch dieser Entwurf dem Betroffenen bzw. seinem Stellvertreter ein Anfechtungsrecht im Sinne der genannten besonderen Ungültigkeitsart einräumte. Dies bringt deutlich zum Ausdruck, daß der Begriff „Anfechtbarkeit" im vergangenen Jahrhundert deutlich weiter gefaßt war als im später beschlossenen Allgemeinen Teil des BGB. Der Beispielsfall aus dem Minderjährigenrecht bringt durch die Einräumung des Anfechtungsrechts deutlich zum Ausden Personen von der anderen zur Eingehung des Vertrages durch Betrug vermocht, so kann sie bei dem Vertrage stehen bleiben oder denselben anfechten." (§ 833 S. 1). 138 „Veräußerungen gegen ein gesetzliches, gegen ein nach M a ß g a b e der Gesetze vom Gerichte unter A n d r o h u n g der Nichtigkeit erlassenes, gegen ein in einem letzten Willen zu Gunsten eines Dritten vom Eigenthümer angeordnetes, oder gegen ein in einem Vertrage mit der Wirkung einer auflösenden Bedingung festgesetztes Verbot sind nichtig, a u s g e n o m m e n wenn die Veräußerung in Folge des Rechtes eines anderen geschehen mußte. In anderen Fällen eines Veräußerungsverbotes besteht die demselben zuwiderlaufende Veräußerung, vorbehaltlich der Verbindlichkeit des Zuwiderhandeln, den Betheiligten zu entschädigen." (§ 223). 139 Dresdener Entwurf eines allgemeinen deutschen Gesetzes über Schuldverhältnisse von 1866, Neudruck Aalen 1973. 140 „Ein nichtiger Vertrag ist so anzusehen, als ob er nicht geschlossen worden wäre, ohne daß es der Erwirkung einer Nichtigkeitserklärung bedarf." (Art. 136); „Ein anfechtbarer Vertrag gilt als zu Recht bestehend, bis derselbe von dem hierzu Berechtigten angefochten wird." (Art. 139 Abs. 1). 141 „Verträge, welche von einer in ihrer Vertragsfähigkeit beschränkten Person ohne Einwilligung ihres gesetzlichen Vertreters geschlossen worden sind, können während der Dauer j e n e r Beschränkung von Letzteren und nach d e m A u f h ö r e n der Beschränkung von d e m Vertragsschließenden selbst genehmigt oder angefochten werden; im ersteren Falle ist der Vertrag als von A n f a n g giltig, im letzteren als von A n f a n g an unwirksam zu betrachten." (Art. 24 Abs. 2).

B) Weitere Modifikationen

der

Ungültigkeit

55

druck, daß die Geltendmachung der Ungültigkeit dem Geschützten zur Disposition stand. Gleiches gilt wiederum auch nach diesem Entwurf für die durch Betrug oder Furcht veranlaßten Verträge, die gemäß Art. 67 ff. dem Betroffenen ein Anfechtungsrecht zur Seite stellten und damit ebenfalls die ipso-iure-Wirkung der Ungültigkeit modifizierten.

VIII. Preußische

Gesetze

Auch einzelne preußische Gesetze belegen, daß im vergangenen Jahrhundert die Vorstellung einer differenzierten Behandlung von Ungültigkeitsnormen dominierte, die aus parteibezogenen Schutzzwecken als notwendig erachtet wurde. Ein preußisches Gesetz aus dem Jahre 1875 142 relativierte beispielsweise die Ungültigkeit im Bereich des Minderjährigenrechts im Sinne einer „personalen Teilnichtigkeit". Nach §§ 1 ff. konnte ein Minderjähriger ohne Genehmigung des Vertreters durch Rechtsgeschäft weder Verbindlichkeiten übernehmen noch Rechte aufgeben; der Vertragspartner war aber an das unwirksame Rechtsgeschäft gebunden und wurde erst frei, wenn der Vertreter die Genehmigung verweigerte 143 . Als weiteres Beispiel für modifizierte Arten der Ungültigkeit ist die preußische Gesetzgebung über die Zulässigkeit von Zinsvereinbarungen zu nennen: Die in 111 §§ 804 f. ALR normierte Festsetzung der Zinsen für kreditierte Forderungen ersetzte im Jahre 1866 ein „Zinsfreiheitsgesetz" durch den Grundsatz der Zinsfreiheit 144 . Die Beschränkung der Ungültigkeit lag bei der Behandlung eines Zinssatzes von 6 %. Ein solcher Zinssatz ließ die Wirksamkeit des Vertrages zwar unberührt, räumte dem Schuldner aber ein gesetzliches Kündigungsrecht ein, so daß sich dieser einseitig von dem Vertrag lösen konnte. Gerade dieses Beispiel ist ein besonders anschaulicher Beleg dafür, daß es die geschützte Partei in der Hand hatte, sich auf einen Gesetzesverstoß zu berufen - im Gegensatz zur ipso iure eintretenden Ungültigkeit.

142 Gesetz vom 12.7.1875 betreffend die Geschäftsfähigkeit Minderjähriger und die Aufhebung der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Minderjährigkeit, Gesetz-Sammlung für die Königlich Preußischen Staaten 1875, S. 518. 143 Zum Minderjährigenrecht im preußischen Recht, vgl. Fischer, Preußisches Privatrecht, § 13, S. 54 ff. 144 Als Gesetz übernommen durch den Norddeutschen Bund; vgl. Gesetz betreffend die vertragsmäßigen Zinsen vom 14.11.1867, Bundesgesetzblatt des Norddeutschen Bundes 1867, S. 159 ff. Zu den preußischen Regeln über die Zinsen allgemein, vgl. Fischer, Preußisches Privatrecht, §54, S. 316 ff.

56

Kapitel 4: Geschichtliche

IX. Einzelne

Aspekte

Reichsgesetze

Erwähnung finden muß des weiteren, daß bereits verschiedene frühe Reichsgesetze einseitige Verbote aussprachen. Exemplarisch sei verwiesen auf § § 1 , 6 des Gesetzes betreffend die Inhaberpapiere mit Prämien 1 4 5 . Danach war unter anderem die Ausgabe bestimmter Inhaberpapiere mit Prämie im Sinne des § 1 dieses Gesetzes, also das rechtsgeschäftliche Verhalten einer Vertragsseite, verboten; Verstöße wurden unter Strafe gestellt. Auch §§ 55 ff. des Bankgesetzes vom 14. 3. 1875 1 4 6 erklärte Verstöße gegen bestimmte einseitig wirkende Verbote für strafbar. Das Strafgesetzbuch vom 15. 5. 1871 1 4 7 kannte in den §§ 301, 302 einseitig wirkende rechtsgeschäftliche Verbote. Beispielsweise war gemäß § 301 StGB strafbar, wer in gewinnsüchtiger Absicht und unter Benutzung des Leichtsinns oder der Unerfahrenheit eines Minderjährigen sich von demselben Schuldscheine, Wechsel, Empfangsbekenntnisse, Bürgschaftsinstrumente oder eine andere, eine Verpflichtung enthaltende Urkunde ausstellen oder auch nur mündlich ein Zahlungsversprechen erteilen ließ. Durch das Gesetz betreffend den Wucher vom 24. 5. 1880 1 4 8 wurde wiederum der Wuchertatbestand in das StGB a u f g e n o m m e n e n , gleichfalls handelt es sich um die Ahndung eines einseitig wirkenden rechtsgeschäftlichen Verbots. Dies gilt auch für §§ 146 ff. Reichsgewerbeordnung vom 1. 7. 18 8 3 1 4 9 , die zahlreiche einseitig wirkende Verbote unter Strafe stellten. Die Existenz dieser Vorschriften bringt ebenfalls Vorstellungen differenzierter Ungültigkeitswirkungen zum Ausdruck.

X.

Zusammenfassung

Der Blick auf einzelne Kodifikationen, Gesetzesentwürfe und Einzelgesetze aus der Zeit vor der Entstehung des B G B hat gezeigt, daß in zahlreichen Einzelfällen „personalistisch orientierte", oder anders formuliert „parteibezogene", Modifikationen von der grundsätzlich geltenden ipso-iure-Wirkung der Nichtigkeit vorhanden waren. Auch wenn feststehende Terminologien nicht zu finden sind, so war den beispielhaft aufgeführten Gesetzeswerken der Gedanke immanent, daß einem am Rechtsgeschäft Beteiligten der Rekurs auf einen Ungültigkeitsgrund oder eines Gesetzesverstoßes zur Disposition zu stellen war. In den meisten Fällen ging es dabei um den Schutz bestimmter Personen, wie um den Schutz des Minderjährigen, des Betrogenen bzw. Bedrohten oder um Veräußerungsverbote. Vielfach war in diesen Fällen die Rede von Anfechtbarkeit des betroffenen Rechtsgeschäfts. 145

Gesetz vom 8.6.1871, RGBl. S. 210. Gesetz vom 14.3.1875, RGBl. S. 177. § 7 des Gesetzes verbot beispielsweise Banken, die Noten ausgaben, Wechsel zu akzeptieren. 147 Gesetz vom 15.5.1971, RGBl. S. 127. 148 Gesetz vom 24.5.1880, RGBl. S. 109. Das in § 302 a StGB normierte Verbot richtete sich gegen den Wucherer. G e m ä ß Art. 3 des Gesetzes vom 24.5.1880 war allerdings der Vertrag „ungültig". Insoweit kannte dieses Gesetz keine Wahlmöglichkeit zugunsten des Betroffenen. 149 Gesetz vom 1.7.1883, RGBl. S. 177. 146

C) Die Lehre Savignys

57

C) Die Lehre Savignys Im 19. Jahrhundert entwickelte sich als übergreifender Begriff für die Wirkungslosigkeit eines Rechtsgeschäfts die Bezeichnung „Ungültigkeit". So verwendeten beispielsweise Windscheid150 und Savigny]5i diesen Terminus als Oberbegriff. Die Dominanz des Begriffs „Ungültigkeit" hielt sich bis zum ersten Entwurf des B G B : Der Siebente Titel (des Ersten Buches, 4. Abschnitt) stand noch unter der Überschrift „Ungültigkeit der Rechtsgeschäfte" 1 5 2 . Diese Überschrift wie auch die geplante Definition des Terminus „Nichtigkeit" in § 108 des ersten Entwurfs wurden indes durch die Kommission für die zweite Lesung des Entwurfs des B G B gestrichen 1 5 3 . Savigny hat als wohl einer der ersten die unterschiedlichen Rechtsfolgen bei Ungültigkeit von Rechtsgeschäften strukturiert 1 5 4 . Es folgten nicht nur viele seiner Systematik 1 5 5 , sondern diese wurde zudem später Grundlage des B G B . Savigny gilt deshalb auch als Vordenker des Begriffs der Anfechtbarkeit 1 5 6 . Savigny unterteilte die Ungültigkeit in 1) vollständige und unvollständige, 2) entschiedene und unentschiedene, 3) gleichzeitige und ungleichzeitige 1 5 7 . „Vollständige Ungültigkeit" nannte Savigny diejenige, welche in einer reinen Verneinung der Wirksamkeit besteht; hierfür verwandte er den Begriff „Nichtigkeit" 1 5 8 . Für den Untersuchungsgegenstand dieser Arbeit ist vor allem interessant, was Savigny unter „unvollständiger Ungültigkeit" verstand: „Die u n v o l l s t ä n d i g e U n g ü l t i g k e i t ist ihrer N a t u r nach höchst m a n n i c h f a l t i g , da sie in den vers c h i e d e n s t e n Arten und G r a d e n der G e g e n w i r k u n g g e g e n eine j u r i s t i s c h e T h a t s a c h e d e n k b a r ist. Sie k o m m t vor in Gestalt einer K l a g e (a), einer Exception (b), einer O b l i g a t i o n auf neue juristische H a n d l u n g von e i n e m , der f r ü h e r e n T h a t s a c h e e n t g e g e n s e t z t e n , E r f o l g (c); f e r n e r d u r c h d e n A n t r a g auf Restitution, oder auf B o n o r u m p o s s e s s i o contra tabulas. Ich b e z e i c h n e diese h ö c h s t m a n n i c h f a l t i g e n Fälle mit d e m g e m e i n s a m e n N a m e n der A n f e c h t b a r k e i t eines R e c h t s v e r h ä l t n i s -

150 Windscheid, Zur Lehre des Code Napoleon von der Ungültigkeit der Rechtsgeschäfte; vgl. Dernburg, Pandekten I, § 120, S. 281; Harder, AcP 173 (1973), 209, 211. 151 Savigny, System IV, § 202, S. 536 ff. 152 Vgl. Motive I, S. 216. 151 Protokolle I, S. 125; siehe bereits oben S. 3. 154 Zuvor hatte Heise (S.31 ff.) die Mängel der Rechtsgeschäfte in a) Nullität, b) Infirmation und Rescission, c) Convalescenz und d) Conversion unterteilt. 155 Vgl. nur Windscheid, Pandekten I, § 82, S. 246 ff. 156 Harder, A c P 173 (1973), 209, 211. 157 Savigny, System IV, § 202, S. 536. 158 Savigny, System IV, § 202, S. 536, 537. I5 ' Savigny, System IV, § 202, S. 537.

58

Kapitel 4: Geschichtliche

Aspekte

Diese Beschreibung zeigt, daß Savigny bei fehlerhaften Rechtsgeschäften nicht per se von „automatischer" Ungültigkeit ausging. Vielmehr gab es f ü r ihn auch eine Ungültigkeit, die nur bei einer Geltendmachung durch den Betroffenen eintreten sollte. Savigny nannte diese Ungültigkeitsart „Anfechtbarkeit". Hierbei beschränkte er die Fälle dieser Anfechtbarkeit nicht auf diejenigen, die nach heutigem Verständnis unter den Begriff subsumiert werden 1 6 0 . So nennt er Beispiele, die von den Anfechtungstatbeständen der § § 1 1 9 ff. B G B nicht erfaßt werden: „Wenn ein Unmündiger einen gegenseitigen Vertrag, z.B. einen Kauf, schließt, so hängt es von ihm, oder von dem ihn vertretenden Vormund, ab, ob der Vertrag durchaus gültig oder durchaus nichtig seyn soll; der Wille des Gegners hat darauf keinen Einfluß. Wenn ein Gesellschafter den Societätsvertrag dem abwesenden anderen Gesellschafter, entweder durch einen Brief, oder durch den Procurator dieses Andern, aufkündigt, so vergeht mehr oder weniger Zeit, ehe die ausgesprochene Erklärung dem Anderen bekannt wird; ob nun in dieser Zwischenzeit die Societät für durchaus gültig, oder durchaus nichtig, gehalten werden soll, hängt von der Willkür des Anderen ab, der die Kündigung erst später erfahren hat." 1 6 1

Savigny wies darauf hin, daß solche von persönlicher Willkür abhängige Nichtigkeit auch als „relative Ungültigkeit" bezeichnet werde. Den Gegensatz hierzu bildete er mit dem Begriff „absolute Nullität", bei der diese Abhängigkeit der Gültigkeit von der persönlichen Willkür eines anderen nicht vorhanden sei: „Menschliche Willkühr ist der Grund der Ungültigkeit in allen Fällen der bloßen Anfechtbarkeit. Denn eine Klage, Exception, Restitution u.s.w. entkräftet ein Rechtsverhältnis nur, wenn eine bestimmte, dazu berechtigte Person dieses will, und Etwas dazu thut; außerdem bleibt das ursprüngliche Rechtsverhältniß in seiner ungeschwächten Kraft. Manche nennen eine solche, von persönlicher Willkühr abhängige, Ungültigkeit, eine relative, im Gegensatz der absoluten, bey welcher diese Abhängigkeit nicht vorhanden seyn würde." 1 6 2

Savigny verstand damit unter „Anfechtbarkeit" und „relativer Nullität" inhaltlich das gleiche 1 6 3 . Diese begriffliche Zuordnung ist aber nicht entscheidend. Wesentlich ist vielmehr die Systematik, die die Ungültigkeit modifizierte. Savigny prägte die Unterscheidung zwischen ipso iure eintretender Ungültigkeit und der von der „Willkür" eines der Beteiligten abhängenden Ungültigkeit. Diese Differenzierung wirkte sich - was im folgenden zu zeigen ist - auf die gemeinrechtliche Lehre dieser Zeit aus.

160 161 162 163

Vgl. Harder, AcP 173 (1973), 209, 212. Savigny, System IV, § 202, S. 541. Savigny, System IV, § 202, S. 539. Diese Auffassung teilten viele Autoren, siehe unten S. 63 f.

D) Das Verständnis von der relativen Nichtigkeit im 19. Jahrhundert

59

D) Das Verständnis von der relativen Nichtigkeit im 19. Jahrhundert I. Grundsätzliche Anerkennung einer relativen

Nichtigkeit

1. Einleitung Die Strukturierung der Ungültigkeit durch Savigny, vor allem die Anerkennung differenzierter Rechtsfolgen sollte ihre Bedeutung behalten. Savigny bezeichnete die von der Geltendmachung des Betroffenen abhängige Ungültigkeit zwar als Anfechtbarkeit, während er - wie bereits erwähnt - lediglich darauf hinwies, daß andere Autoren in diesem Falle von „relativer Nullität" sprachen. Die schon aufgeführten Fälle 1 6 4 zeigen aber, daß diese „Anfechtbarkeit" weiter reichte oder zumindest andere Fallkonstellationen erfaßte als die auf wenige Anfechtungsgründe reduzierte Anfechtung nach den §§ 119 ff. BGB. Vielmehr subsumierte Savigny alle Einwendungsfälle unter die unvollendete Ungültigkeit 1 6 5 . Die genannten Beispiele belegen aber auch, daß Savigny unter „relativer Ungültigkeit" nicht zwingend den heute geläufigen Terminus der „relativen Unwirksamkeit" verstand. Bezieht sich der heute gültige Begriff nach überwiegender Meinung nur auf Verfügungen 1 6 6 , so verwandte Savigny die „Anfechtbarkeit" bzw. „relative Nullität" auch im Rahmen schuldrechtlicher Beziehungen. Aus heutiger Sicht überrascht der umfassende Anwendungsbereich der unvollständigen Ungültigkeit bzw. Anfechtbarkeit im Sinne Savignys. Diese oder ähnliche Vorstellungen waren im 19. Jahrhundert weitverbreitet, wenngleich sich keine einheitliche Meinung durchzusetzen vermochte. Das breite Spektrum der verschiedenen Positionen zeigt sich schon an der Vielzahl der in diesem Zusammenhang verwandten Termini. Bereits Savigny hat - wie schon erwähnt - darauf hingewiesen, daß die von ihm als „unvollständige Ungültigkeit" bezeichnete Kategorie von anderen „relative Nullität" genannt werde. Darüber hinaus fanden sich die Bezeichnungen „relative Ungültigkeit", „relative Nichtigkeit" oder „respective Nichtigkeit" 1 6 7 . Auch wenn bis zum Inkrafttreten des BGB im einzelnen vieles streitig geblieben ist, so lassen sich im wesentlichen fünf Ansichten 1 6 8 zu der Frage zusammenfassen, was unter dem Begriff der relativen Nichtigkeit zu verstehen ist.

164

Siehe oben S. 58. So Beer, Relative Unwirksamkeit, § 3, 2, S. 17. 166 Vgl. Beer, Relative Unwirksamkeit, § 16, 4.3.4, S. 130. 167 Vgl. Savigny, System IV, § 202, S. 539; Mitteis, Iher.Jahrb. 28 (1889), 85, 86; Brandis, Zeitschrift für Civilrecht und Prozeß 1834, S. 121; Windscheid, Pandekten I, § 82, S. 250 Fn. 8; Priem, § 9, S. 25 f. 168 Vgl. auch Christians (S. 10 f.), der von drei Hauptansichten über das Wesen der „relativen Nichtigkeit" spricht. 165

60

Kapitel 4: Geschichtliche

2. Relative Nichtigkeit

als eigenständige

Aspekte

Ungiiltigkeitsart

Vielfach verstand man unter dem Begriff „relative Nichtigkeit" eine Nichtigkeitsart, auf die sich nur bestimmte Personen berufen dürfen 1 6 9 . Die relative Nichtigkeit stellte danach einen Unterfall der Nichtigkeit dar, deren Besonderheit im Gegensatz zur absoluten Nichtigkeit darin lag, daß sich nur der betroffene Vertragspartner auf sie berufen durfte. Nur wenn der Betroffene die Nichtigkeit geltend machte, war der Vertrag nicht gültig. So formulierte beispielsweise Dernburg: „Die Nichtigkeit ist eine relative, w e n n sie nicht von j e d e m bei ihr Interessierten und nicht in allen Fällen geltend g e m a c h t w e r d e n kann. H ä u f i g f ü h r e n n ä m l i c h E r w ä g u n g e n der Z w e c k m ä ß i g k e i t , der Billigkeit, der guten O r d n u n g dahin, g e w i s s e n P e r s o n e n die G e l t e n d m a c h u n g von N i c h t i g k e i t e n a b z u s c h n e i d e n und sie b e s t i m m t e n A n f e c h t u n g s b e r e c h t i g t e n allein zu e r ö f f nen."170

Diese Umschreibung der relativen Nichtigkeit belegt, daß sie nicht nur Willensbildungsmängel erfassen sollte und damit nicht unbedingt mit der Anfechtung nach heutigen Vorstellungen identisch war 1 7 1 . Denn Dernburg nennt als Gründe für das Eingreifen der relativen Nichtigkeit Erwägungen der Zweckmäßigkeit, der Billigkeit, der guten Ordnung - Ursachen, die über den Bereich von Irrtumsfällen hinausgehen. Deutlich wurde die relative Nichtigkeit von der absoluten abgegrenzt: Auf die absolute Nichtigkeit könne sich jeder, welcher rechtlich an dem Geschäfte interessiert ist, auf die relative aber nur bestimmte Personen berufen 1 7 2 . Priem verwandte den Begriff der „respectiven Nichtigkeit" in diesem Sinne, den er wie folgt definierte: „Die Nichtigkeit ist eine respective, w e n n sie nur von einer b e s t i m m t e n P e r s o n geltend g e m a c h t w e r d e n k a n n , und e i n m a l geltend g e m a c h t , f ü r alle Beteiligten w i r k t . " 1 7 3

Nach Ansicht von Priem war zwischen „respectiver" Nichtigkeit und Anfechtbarkeit zu differenzieren: Während die Anfechtung an gewisse Formvoraussetzungen gebunden sei, erfordere die Vernichtung eines „respectiv" nichtigen Rechtsgeschäfts nur eine formlose Erklärung. Bei der respectiven Nichtigkeit entscheide

169 Dernburg, Pandekten I, § 1 2 0 , S . 2 8 3 ; Priem, § 9 , S . 2 6 ; Seuffert, § 8 2 , S. 112; Unger, S. 149ff.; v.Wening-Ingenheim, Lehrbuch des Gemeinen Civilrechts, § 9 1 , S. 160; Windscheid/ Kipp, Pandektenrecht I, § 82, S. 426; ähnlich Holder, § 58, S. 306; vgl. auch Sintenis, § 24 S. 215 Fn. 17; noch nach Inkrafttreten des BGB: Stampe, A c P 108 (1912), 42, 80 f.; vgl. auch Christians, S. 11; Knothe, § 12 III 2 a, S. 213 f.; Kuhlmann, S . 5 ; Lobinger, A c P 195 (1995), 274; Schachian, S. 193. 170

Dernburg, Pandekten I, § 120, S. 283. Siehe zu weiteren Interpretationen der relativen Nichtigkeit unten S. 61 ff. 172 KWening-lngenheim, Lehrbuch des Gemeinen Civilrechts, § 91, S. 160. 173 Priem, § 9, S. 26; ähnlich Christians, S. 11 ( „ . . . die zweite, bei Weitem überwiegende Ansicht bezeichnet mit dem Ausdruck .relative Nichtigkeit', diejenige Nichtigkeit, die nicht von allen beteiligten Personen geltend gemacht werden kann; beruft sich in solchem Falle die dazu berechtigte Person auf die Nichtigkeit des Rechtsgeschäfts, dann soll dasselbe als nicht vorhanden angesehen werden, beruft sich die berechtigte Person nicht auf die Nichtigkeit, dann soll das Rechtsgeschäft gültig sein und die volle Kraft haben, die bei seinem Abschlüsse gewollten Wirkungen hervorbringen."). 171

D) Das Verständnis

von der relativen

Nichtigkeit

im 19. Jahrhundert

61

der Wille der berechtigten Person, ob überhaupt „irgendwelche Wirksamkeit" des Rechtsgeschäfts zutage treten soll; bei der Anfechtbarkeit werde entschieden, ob eine bereits hervorgebrachte Wirkung zur tatsächlichen Geltung gelangen solle oder nicht. Darüber hinaus sah Priem einen Unterschied darin, daß bei respectiv nichtigen Rechtsgeschäften nach geschehener Berufung auf die Nichtigkeit inzwischen erworbene Rechte Dritter stets untergehen würden, was bei angefochtenen Rechtsgeschäften nicht der Fall sei. Ein weiterer Vertreter dieser Position ist Baron, der ebenfalls die relative Nichtigkeit als einen Unterfall der Nichtigkeit ansah. Die Nichtigkeit hänge zuweilen von der Willkür einer Partei oder einer dritten beteiligten Person ab; diese könne erklären, daß das Rechtsgeschäft als nichtig oder als gültig behandelt werden solle 1 7 4 . Auch Baron grenzte die relative Nullität von der Anfechtbarkeit ab, ohne allerdings den Unterschied zu benennen. Ganz deutlich wird dieses Verständnis von der relativen Nichtigkeit auch bei Holder. Im Gegensatz zur absoluten Nichtigkeit könne die Ungültigkeit des Rechtsaktes eine „relative oder in Ansehung der durch seinen Inhalt berührten Personen beschränkte" sein, weil der Grund der Ungültigkeit ein solcher ist, welchem nur zu Gunsten oder Ungunsten bestimmter Beteiligter Bedeutung zukommt" 1 7 5 . Diese Einschränkung der Ungültigkeits wirkung durch die Vertreter der gemeinrechtlichen Lehre zeigt sich beispielsweise auch bei der Behandlung von Veräußerungsverboten: So wurde die Geltung der absoluten Nichtigkeit in der Weise in Frage gestellt, daß der gegen ein zum Schutz privater Interessen angeordnetes Veräußerungsverbot Verstoßende sich selbst nicht auf die Nichtigkeit berufen durfte 1 7 6 . Die beleuchteten A u s f ü h r u n g e n nehmen fast durchweg eine allgemeine Betrachtung der Abgrenzung zwischen relativer und absoluter Nichtigkeit vor. Die bei Ungültigkeitsgründen bestehenden unterschiedlichen Interessenlagen und die hieraus resultierenden Rechtsfolgen lassen sich deshalb als materielles Prinzip der Ungültigkeitslehre im 19. Jahrhundert einordnen. Wurde der Begriff der relativen Nichtigkeit im 19. Jahrhundert in weitem Umfang im vorgenannten Sinne gebraucht 1 7 7 , wurde er andererseits vielfach in einem Sinne interpretiert, der den heutzutage in der Unwirksamkeitslehre vertrauten Instrumentarien nahekommt.

3. Relative Nichtigkeit

als Fall der

Konvaleszenz

Vielfach wurde unter relativer Nichtigkeit diejenige Nichtigkeit verstanden, die die Konvaleszenz eines Rechtsgeschäfts in der Weise zuläßt, daß sie durch nach-

174

Baron, § 64, S. 111. Holder, § 58, S. 302. 176 Vgl. Thibaut, §584 Note i; ablehnend Windscheid, Pandekten I, § 172 a, S.595 Fn.2; vgl. Gebhard, Begründung des Teilentwurfs, S. 153. 177 Strohal, S. 19. 175

62

Kapitel 4: Geschichtliche Aspekte

folgende Einwilligung oder Verzicht der verletzten Person bewirkt werden kann 178 , v. Wächter formulierte: „ E s giebt n ä m l i c h nichtige G e s c h ä f t e , d e n e n unser Recht e i n e n K e i m der G ü l t i g k e i t beilegt, ind e m es bei ihnen einer der Parteien die B e f u g n i s giebt, w e n n sie wolle, d u r c h spätere G e n e h m i g u n g d e m G e s c h ä f t r ü c k w ä r t s Gültigkeit zu v e r s c h a f f e n , w o b e i dann das G e s c h ä f t so zu b e h a n deln ist, als ob es von A n f a n g gültig g e s c h l o s s e n w o r d e n wäre. ... S o lange aber diese von ihrem G e n e h m i g u n g s r e c h t keinen G e b r a u c h m a c h t , ist das G e s c h ä f t als nichtiges (es ist an sich nichtig), und w e n n sie ü b e r h a u p t keinen G e b r a u c h d a v o n m a c h t , so bleibt das G e s c h ä f t f ü r alle Betheiligten nichtig. A m g e e i g n e t s t e n b e z e i c h n e t m a n diesen Fall d u r c h heilbare Nichtigkeit. Die M e i s t e n aber g e b r a u c h e n d a f ü r die B e z e i c h n u n g , r e s p e k t i v e ' o d e r , r e l a t i v e ' N i c h t i g k e i t . " 1 7 9

In diese Richtung tendierte auch Mitteis: Relative Nichtigkeit bestehe nur solange, als der Schutz bestimmter Interessenten es erfordere. Sie sei von Anfechtbarkeit dadurch zu unterscheiden, daß sie nicht bloß auf eine Anfechtungserklärung der Interessenten hin zu berücksichtigen sei. Von der absoluten Nichtigkeit hebe sich relative Nichtigkeit wiederum dadurch ab, daß sie behoben werde, wenn das durch sie zu schützende Interesse entfalle 180 . Mit dem Wegfall des zu schützenden Interesses konvalesziere das Rechtsgeschäft.

4. Relative Nichtigkeit als „schwebende

Ungültigkeit"

Letztere Vorstellung von der relativen Nichtigkeit erinnert an die von Windscheid und Kipp noch nach Inkrafttreten des BGB geäußerte Position: Auf der Grundlage der von Savigny entwickelten Differenzierung zwischen entschiedener und unentschiedener Ungültigkeit ähnelt ihre Vorstellung von der relativen Nichtigkeit an die im BGB existente schwebende Unwirksamkeit. Windscheid und Kipp differenzierten wie Savigny zwischen entschiedener und unentschiedener Nichtigkeit: Unentschieden sei ein Rechtsgeschäft, wenn das Existentwerden des Geschäfts von dem Eintritt einer noch ungewissen äußeren Einwirkung abhänge, so daß weder Gültigkeit noch Nichtigkeit vorhanden sei. Geschehe dieses Einwirken durch Willenserklärung einer beteiligten Person, so daß also die Nichtigkeit von dem Willen dieser abhänge, so könne man diesen Fall der unentschiedenen Ungültigkeit auch „nullitas respectiva" nennen 181 .

178 Vgl. Brandis, Zeitschrift für Civilrecht und Prozeßrecht 1834, S. 121, 122; Sintenis, § 2 4 S. 215 Fn. 17; v.Wächter, Pandekten I, § 84, S. 424, 425, 435; vgl. Christians, S. 11; Heven, S. 2 2 f . ; Schachian, S. 192. 179 v. Wächter, Pandekten I, § 84 III, S. 4 2 4 f.; allerdings erachtete v. Wächter die Bezeichnung „respektive" oder „relative" Nichtigkeit für ungeeignet. 180 Mitteis, Römisches Privatrecht, § 14 II 1, S. 242. 181 Windscheid/Kipp, Pandektenrecht I, § 82, S. 427 f., Fn. 8; ebenso Priem, § 9, S. 25.

D) Das Verständnis von der relativen Nichtigkeit im 19. Jahrhundert 5. Relative Nichtigkeit

als Synonym für

63

„Anfechtbarkeit"

Den zuvor genannten Ansichten zur relativen Nichtigkeit ist gemein, daß sie die relative Nichtigkeit von der Anfechtbarkeit abgrenzen. Es findet sich aber auch der gegenteilige Standpunkt, wonach „relative Nichtigkeit" und „Anfechtbarkeit" keine Unterschiede aufweisen: Puchta unterschied im Rahmen der Frage nach der Ungültigkeit zwischen Nichtigkeit und Anfechtbarkeit. Ein Rechtsgeschäft sei ungültig, wenn der Mangel eines wesentlichen Erfordernisses entweder von Anfang an seine wirksame Errichtung ausschließe oder - wenn es ohne einen solchen Mangel errichtet worden ist - sein Fortbestehen hindere. In beiden Fällen könne die Ungültigkeit entweder Nichtigkeit oder Anfechtbarkeit sein. Anfechtbarkeit bzw. Rescissibilität sollte nach seiner Auffassung vorliegen, wenn der sie verursachende Umstand einer „Person das Recht gibt, das Geschäft in seinen Wirkungen als nichtbestehend zu behandeln, so daß es als bestehend gilt, wenn und so lange jene nicht von dieser Befugnis Gebrauch macht" 1 8 2 . Erfolgen könne die Anfechtung durch „gerichtliche Rechtsmittel", aber auch durch außergerichtliche Erklärung; im letzteren Fall spricht Puchta ebenfalls von „relativer Nullität" 1 8 3 . Da es sich letztlich aber um einen Fall der Anfechtbarkeit und nicht um einen Nichtigkeitsfall handele, sei der Begriff zu vermeiden. Gleichermaßen bejahten auch Salkowski, Mitteis und Windscheid Identität zwischen relativer Nichtigkeit und Anfechtbarkeit 1 8 4 . Windscheid knüpfte an die These Savignys an. Er unterteilte die ungültigen Rechtsgeschäfte in nichtige und anfechtbare. Letztere bezeichnete er wie jener als relativ ungültige Rechtsgeschäfte. Obwohl Windscheid den Terminus „Anfechtbarkeit" als gebräuchlicher erachtete, hielt er ihn für unpassender. Denn die Möglichkeit der Einrede - nach Ansicht Windscheids ebenfalls ein Fall der Anfechtbarkeit - beschreibe der Begriff der Anfechtbarkeit „schlecht" 1 8 5 . Der Unterschied zwischen nichtigen und anfechtbaren Rechtsgeschäften lag nach dem Standpunkt Windscheids ebenfalls in der Art und Weise des Eintritts bzw. der Geltendmachung. Nach dieser Ansicht konnte ein nichtiges Rechtsgeschäft von vornherein keine Wirkung erzeugen - es sei zu behandeln, als wäre es nie abgeschlossen worden. Das Rechtsgeschäft sei nichtig, ohne daß es einer besonderen Geltendmachung bedürfe. Dem nichtigen Rechtsge182

Puchta, § 67, S. 105. Puchta, § 67, S. 105 A n m . e; auf diesen Bezug n e h m e n d Arndts, Pandekten, § 79, A n m . 2 S. 131 \Seuffert, § 83, S. 112 f. (ohne allerdings den Begriff der relativen Nichtigkeit zu verwenden); vgl. auch Cosack (§ 53, S. 157), der Parallelen zwischen Anfechtbarkeit und relativer Nichtigkeit betont. Hartkamp (§ 20, 2, S. 176; § 13, S. 75 Fn. 8) versteht offensichtlich heute noch unter „relativer Nichtigkeit" ein Synonym für Anfechtbarkeit; so bereits Gradenwitz, Anfechtung, S. 19. Käser (Das Römische Privatrecht II, § 201, S. 90 Fn. 45) lehnt diese Terminologie ab: Die deutsche Zivilrechtsdogmatik verstehe unter „relativer Unwirksamkeit" eine solche, die das G e s c h ä f t nur gegenüber bestimmten Personen entkräftet und zwar unabhängig von einer Erklärung dieser geschützten Personen. Jüngst hat Wilhelm (S. 39) die Begriffe Anfechtbarkeit und relative Nichtigkeit noch synonym verwendet. 183

184

Salkowski, § 29, S. 83\ Mitteis, Jher.Jahrb. 28 (1889), 85, 116; Windscheid, Pandekten I, § 82, S. 245 ff.; wohl auch Knoke, in: Festgabe für Güterbock, S. 401, 405; Heven, S. 21 ff. 185 Windscheid, Pandekten I, § 82, S. 249 Fn. 7.

64

Kapitel 4: Geschichtliche

Aspekte

schäft sei das anfechtbare Rechtsgeschäft gegenüberzustellen, das die beabsichtigte rechtliche Wirkung zwar erzeuge, diese aber durch die Reaktion einer Partei entfallen könne. Als eine solche Reaktion sei eine Einrede denkbar, es k o m m e aber auch die A u f h e b u n g des Rechtsgeschäfts durch eine einfache Erklärung der betroffenen Partei oder eine gerichtliche Nichtigkeitserklärung in Betracht.

6. Relative Nichtigkeit

als „personale

Teilunwirksamkeit"

Relative Nichtigkeit wurde darüber hinaus in einer Art interpretiert, die der Wirkung der relativen Unwirksamkeit von Verfügungen nach heutiger Vorstellung gleicht. Ein Rechtsgeschäft sei bei relativer Nichtigkeit lediglich im Verhältnis zu einer bestimmten Person als nicht vorhanden zu betrachten, für andere aber wirksam 1 8 6 . Jacobi formulierte beispielsweise: „Gibt es v e r s c h i e d e n e Arten der N i c h t i g k e i t ? M a n wird nicht u m h i n k ö n n e n , neben der die Regel b i l d e n d e n allseitigen Nichtigkeit als A u s n a h m e a u c h eine einseitige (relative) Nichtigkeit anzue r k e n n e n . D e n n es ist unter U m s t ä n d e n p r a k t i s c h e s B e d ü r f n i s der R e c h t s o r d n u n g , g e w i s s e R e c h t s g e s c h ä f t e nicht allseitig, s o n d e r n nur n a c h einer Seite hin als rechtlich nicht v o r h a n d e n zu betrachten."187

Von dieser Vorstellung einer relativen Nichtigkeit ging auch Holder

II. Generelle Ablehnung einer relativen

aus 1 8 8 .

Nichtigkeit

Der Überblick hat zutage gefördert, welche unterschiedlichen Vorstellungen mit dem Begriff der „relativen Nichtigkeit" verknüpft wurden. Daneben finden sich widersprüchliche Stellungnahmen - wie etwa bei Regelsberger, der diesen Begriff einerseits f ü r entbehrlich erachtete 1 8 9 , an anderer Stelle die Existenz der relativen Nichtigkeit indes offenbar anerkannte 1 9 0 . Des weiteren lassen sich Kontrapositionen anführen, die die genannten Vorstellungen von der relativen Nichtigkeit ausdrücklich ablehnten 1 9 1 : Brinz hielt die relative Nichtigkeit f ü r entbehrlich, weil die Nichtigkeit eines Rechtsgeschäfts nicht anders denkbar sei, als daß es von A n f a n g an nichtig sei 1 9 2 . Scharfer Opponent war vor allem auch Brandis. So sah Brandis die Anerkennung der relativen Nichtigkeit als eine dem pandektischen Nichtigkeitsbegriff widersprechende Figur an, die streng auf eventuell v o r k o m m e n d e Ein-

186 Vgl. Brandis, Zeitschrift für Civilrecht und Prozeß 1834, S. 121, 124; Christians, S. 11; Cosack, § 53, S. 156; Oertmann, Allgemeiner Theil, §§ 139 ff. Vorbem. Anm. 2, S. 506 f. 187 Jacobi, A c P 86 (1896), 51, 76; ablehnend Windscheid, Pandekten I, § 82, S. 250 Fn. 8. 188 Holder, § 58, S. 306. 189 Regelsherger, § 174, S. 635. 190 Regelsherger, § 142, S. 525, 526. 191 Vgl. Christians, S. 16 ff., 25 ff. 192 Brinz, § 3 7 6 , S. 1634.

D) Das Verständnis von der relativen Nichtigkeit im 19. Jahrhundert

65

zelfälle zu beschränken sei 193 . Nach Auffassung Brandis' trat Ungültigkeit immer „von selbst" ein, ohne daß es einer Anfechtung oder Umstoßung bedürfe; dies sei das charakteristische Merkmal der Ungültigkeit. Die bloße Berufung auf einen Nichtigkeitsgrund könne die Nichtigkeit nicht erst einführen, sie spreche lediglich die bereits vorhandene Nichtigkeit aus 194 . Als Nachweis führte Brandis Nichtigkeitsbeispiele des römischen Rechts an, die zur absoluten Nichtigkeit geführt hätten, obwohl die Nichtigkeitsgründe den Schutz bestimmter Personen bezweckten. So nennt Brandis exemplarisch die Nichtigkeit des Testaments wegen stillschweigender Übergehung eines Angehörigen. Der Erblasser mußte seine Angehörigen entweder als Erben einsetzen oder ausdrücklich enterben; anderenfalls war das Testament nichtig. Da dieses Verbot den Schutz der Angehörigen bezweckte, spreche die angeordnete absolute Wirkung der Nichtigkeit gegen die Existenz einer relativen Nichtigkeit 195 .

III. Anwendungsfälle

der relativen

Nichtigkeit

Trotz der Gegenansichten herrschte die Anerkennung einer relativen Nichtigkeit - in verschiedenen Facetten ihrer Wirkung - vor. Im folgenden sollen deshalb Anwendungsfälle der relativen Nichtigkeit betrachtet werden. Dabei werden - der Zielsetzung dieser Untersuchung entsprechend - solche Fälle hervorgehoben, die auf dem Standpunkt basieren, relative Nichtigkeit stelle dem Geschützten die Berufung auf die Ungültigkeit zur Disposition 196 .

1. Intercession einer Frau Das römisch-rechtliche senatusconsultum Vellaeanum verbot die Intercession einer Frau, d.h. es untersagte dieser, bestimmte Verbindlichkeiten im Interesse Dritter einzugehen 197 . Dieses Verbot hatte im gemeinen Recht noch Bestand. Insbesondere Baron erachtete dieses Verbot als einen Fall der relativen Nichtigkeit. Dies hatte seiner Ansicht nach zur Folge, daß die Nichtigkeit der Intercession vom Willen der betroffenen Frau abhing; diese könne erklären, ob das Rechtsgeschäft als nichtig oder als gültig zu behandeln sei 198 . 193

Brandis, Zeitschrift für Civilrecht und Prozeß 1834, S. 121, 126; dagegen wiederum Unger, S. 150 f. Fn. 42. 1,4 Brandis, Zeitschrift für Civilrecht und Prozeß 1834, S. 121, 123; ebenso Puchta, § 67, S. 105 A n m . d ; Sinlenis, § 24 S. 215 Fn. 17; v.Wächter, Pandekten I, § 84, S . 4 3 4 . 195 Brandis, Zeitschrift für Civilrecht und Prozeß 1834, S. 121, 127 ff.; a.A. Priem, § 9 , S . 2 8 . Gegen die Existenz einer relativen Nichtigkeit wandte Brandis des weiteren ein, daß der Veräußerer eine Sache vom Erwerber vindizieren könne, auch wenn die Unwirksamkeit der Verfügung den Schutz eines Dritten bezwecke (Zeitschrift für Civilrecht und Prozeß 1834, S. 121, 131 f.; a.A. wiederum Priem, § 9, S. 28). 196 197 198

Siehe oben S. 60 f. Siehe bereits oben S. 43. Baron, § 64, S. 111; § 255, S. 424; abweichend Windscheid/Kipp,

Pandektenrecht II, § 487,

66 2. Simulierte

Kapitel 4: Geschichtliche Aspekte Rechtsgeschäfte

Insbesondere Dernburg und Priem haben bei bestimmten simulierten Geschäften eine relative Nichtigkeit im Verhältnis zu Dritten angenommen. Veräußere beispielsweise der Scheinkäufer die zum Scheine gekaufte Sache an einen gutgläubigen Erwerber weiter, so werde dieser Eigentümer; das simulierte Rechtsgeschäft sei zwar nichtig, diese Nichtigkeit könne aber gegenüber dem gutgläubigen Dritten nicht geltend gemacht werden. Vielmehr stehe es im Belieben des Dritten, ob er an dem Geschäft festhalten wolle oder nicht 199 . Vergleichbar sei die Rechtslage bei einer simulierten Zession 200 . Das BGB kennt diese Rechtsfolge bei Scheingeschäften nicht. Die im vergangenen Jahrhundert unter dem Gesichtspunkt der relativen Nichtigkeit diskutierte Fallkonstellation ist indes aus heutiger Sicht durch die Gutglaubensvorschriften der §§ 932 ff., 409 BGB im Ergebnis im Sinne der Vertreter der relativen Nichtigkeit geregelt: Faktisch steht es dem gutgläubigen Erwerber bzw. dem Schuldner frei, sich auf diese ihn schützenden Regelungen zu berufen.

3. Negotia

claudicantia

Relative Nichtigkeit wurde des weiteren bei negotia claudicantia diskutiert, d.h. bei gegenseitigen Verträgen, die „auf einer Seite fehlerhaft" waren 201 . Teilweise wurde die Ansicht vertreten, daß in diesem Falle relative Nichtigkeit anzunehmen sei 202 . Vertreter dieser Ansicht haben sich vor allem auf Savigny berufen. Als Beispiel wurde der Vertragsschluß des Unmündigen genannt: Schließe ein Unmündiger einen gegenseitigen Vertrag ab, so stehe es in der Wahl des Vormundes, ob der Vertrag gültig oder nichtig sei 203 . Es sei damit zugleich in sein Belieben gestellt, den Vertrag insgesamt anzuerkennen oder abzulehnen. Damit handelt es sich um einen ganz typischen Fall im Sinne der oben genannten, von Priem formulierten Definition der relativen Nichtigkeit 204 . Er wurde auch von Mommsen befürwortet, der den Pupillen bzw. den Tutor vor die Alternative gestellt sah, ob er das Geschäft bestehen lassen will oder ob er hiervon insgesamt Abstand nimmt 205 . Nicht im SinS. 1136, wonach die Intercession durch Exception aufzuheben sei: „Eine Verbindlichkeit, welche entgegen den hier aufgestellten Regeln eingegangen worden ist, ist zwar nicht nichtig, aber die Frau kann sich derselben gegenüber durch eine Einrede schützen und zwar nur in der Executionsinstanz."; zustimmend Priem, § 10 A II, S. 33 ff. 199 Dernburg, Pandekten I, § 100, 1, S. 231; vgl. auch Priem, § 10 A I , S. 31. 200 Vgl. insbesondere Priem, § 10 A I , S. 32. 201 Siehe zum Begriff bereits oben S. 35. 202 priemj § i g i n , s . 36; vgl. Christians, S. 30 f. („Die Verteidiger des Begriffs der ,relativen Nichtigkeit' behaupten, daß bei den zweiseitigen Verträgen der pupillus, die dieser sine tutoris auctoritate abgeschlossen habe, es vollkommen von dem Willen des pupillus abhängig sei, ob der Vertrag bestehen solle oder nicht."); vgl. auch Windscheid, Pandekten II, § 321, S. 251 Fn. 23. 203 Savigny, System IV, § 202, S. 537; Puchta, Priem, § 10 A III, S . 3 6 f . 204 Siehe oben S. 60. 205 Mommsen, S. 419.

§ 232, S. 358; vgl. Knothe,

§ 17 II 2 a, S. 213;

D) Das Verständnis von der relativen Nichtigkeit im 19. Jahrhundert

67

ne der genannten Definition der relativen Nichtigkeit - in der Wirkung aber durchaus vergleichbar - hat auch v. Wächter diese Konstellation beurteilt: Er hat in diesem Falle das Geschäft für nichtig gehalten, gleichwohl die Möglichkeit der im Belieben des Geschützten stehenden Konvaleszenz angenommen 2 0 6 . Auch hier zeigt sich eine Parallele zur Rechtslage nach dem BGB: Ein ohne Einwilligung des gesetzlichen Vertreters abgeschlossener Vertrag hängt gemäß § 108 Abs. 1 BGB von der Genehmigung des Vertreters ab. Wurde der Vertragsschluß eines Unmündigen teils als Fall der relativen Nichtigkeit betrachtet, teils als Fall der Konvaleszenz, so wird deutlich, daß die schwebende Unwirksamkeit als ein „umgekehrter Fall der relativen Nichtigkeit" verstanden werden kann. Gleichwohl wurde dieser Anwendungsfall der relativen Nichtigkeit im 19. Jahrhundert auch bezweifelt. Vor allem Brandis vertrat eine Gegenposition, der sich Priem anschloß 207 . Brandis schloß aus römischen Quellen 208 , daß die Verpflichtungen beider Vertragspartner streng zu trennen seien; die Wirksamkeit beider Rechtsverhältnisse sei nach den für die einseitigen Rechtsgeschäfte geltenden Regeln zu beurteilen. Mit dieser Argumentation glaubte Brandis den Vertretern der relativen Nichtigkeit die Grundlage ihrer These zu entziehen.

4.

Eigenschaftsirrtum

Teilweise wurde relative Nichtigkeit beim Irrtum über wesentliche Eigenschaften einer Sache angenommen 2 0 9 . Kontrovers wurde allerdings nicht nur die Rechtsfolge diskutiert, sondern auch die Frage, ob der Irrtum über wesentliche Eigenschaften überhaupt rechtliche Auswirkungen habe. Von der Lehre Savignys ausgehend hat die wohl überwiegende Meinung den Eigenschaftsirrtum anerkannt 210 , als Rechtsfolge allerdings absolute Nichtigkeit angenommen 2 1 1 . Dem hat insbesondere Mitteis entgegengehalten, es sei kein Grund ersichtlich, warum sich die Gegenpartei oder ein Dritter auf den Eigenschaftsirrtum des Irrenden berufen könne. Wenn auch der Bindungswille des einem Irrtum Unterliegendem fehle, so würden sich alle anderen für gebunden gehalten. Deshalb könne nur dem, der sich geirrt habe, die Möglichkeit, sich auf den Irrtum zu berufen, zugebilligt werden. Priem formuliert: „Error in substantia erzeugt Nichtigkeit des Geschäftes; doch ist die Berufung auf dieselbe weder dem Mitkontrahenten noch dritten Personen gestattet, die Nichtigkeit ist eine respektive; dieselbe entspringt aus dem Wesen des Irrtums, und deshalb ist hinzuzufügen, dass sie in glei206

v. Wächter, Pandekten I, § 84, S. 432. Brandis, Zeitschrift für Civilrecht und Prozeß 1834, S. 157 ff.; Priem, § 10 A III, S . 3 7 f . 208 Ulp. D. 19, 1, 13,29;Ulp. D. 26, 8, 5, 1;I. 1,21. 209 Goldschmidt, §62 S. 33 Fn. 8; Schlossmann, S. 18 Fn.26; vgl. Oertmann, Jher.Jahrb. 66 (1916), 130, 192 Fn. 2; Priem, § 10 AIV, S. 39 ff; a.A. die wohl überwiegende Meinung: v.Wächter, Pandekten II, § 186, S. 373; Windscheid, Pandekten I, § 76 a Anm. e, S. 229 ff., die absolute Nichtigkeit annahmen. 210 Savigny, System III, §§ 137, 138, S. 276 ff.; a.A. Zitelmann, S. 549 ff., 584; vgl. Priem § 10 A IV, S. 39. 211 V. Wächter, Pandekten II, § 186, S. 373; Windscheid, Pandekten I, § 76 a Anm. e, S. 229 ff. 207

68

Kapitel 4: Geschichtliche

Aspekte

eher Weise wie bei g e g e n s e i t i g e n Verträgen, auch bei S c h e n k u n g e n , b e i m P f a n d v e r t r a g , s o w i e bei dinglichen Verträgen ü b e r h a u p t Platz g r e i f t . " 2 1 2

Gerade die Behandlung des Eigenschaftsirrtums zeigt deutlich die Parallele zwischen relativer Nichtigkeit im Sinne der Gedankenwelt des 19. Jahrhunderts und Anfechtbarkeit nach heutiger Vorstellung. So nimmt es nicht wunder, daß - wie erwähnt - verschiedene Autoren bereits früher die relative Nichtigkeit mit der Anfechtbarkeit gleichsetzten 2 1 3 .

5. Erzwungene

oder durch Betrug veranlaßte

Rechtsgeschäfte

Windscheid, der die Begriffe Anfechtbarkeit und relative Ungültigkeit synonym verwandte, nannte als typische Fälle dieser Ungültigkeitsart die durch betrügerische Absicht oder durch Z w a n g hervorgerufenen Willenserklärungen. Beide Willenserklärungen seien grundsätzlich gültig, aber durch verschiedene, dem Berechtigten zustehende Rechte angreifbar 2 1 4 . So stünde ihm die exceptio zur Seite oder er könne im Wege einer actio die Wiederherstellung des früheren Zustandes verlangen. Bei der durch Z w a n g veranlaßten Willenserklärung könne der Berechtigte außerdem die in integrum restitutio215 verlangen. Alle dem Berechtigten zur Verfügung stehenden Mittel stellten typische Fälle dieser Ungültigkeitskategorie dar 2 1 6 .

6. Wucherische

Rechtsgeschäfte

Vereinzelt findet sich die Ansicht, daß wucherische Rechtsgeschäfte als Fälle relativer Nichtigkeit einzuordnen sind. Noch in diesem Jahrhundert hat etwa Stampe die Behandlung des Wuchers gemäß § 138 Abs. 2 B G B als einen Fall der relativen Nichtigkeit angesehen 2 1 7 : Der Wucherer könne sich nicht auf die Nichtigkeit berufen, während es dem Bewucherten - wenn er z.B. infolge veränderter Umstände nach Vertragsschluß an der Aufrechterhaltung des Geschäfts interessiert sei - frei stehen müsse, Ansprüche aus dem an sich nichtigen Rechtsgeschäft herzuleiten. Als Beispiel nennt Stampe, daß der Wucherer den Bewucherten durch „Wucher, Erpressung oder Betrug" dazu bringt, ein Tauschgeschäft über wertlose Aktien gegen ein wertvolles Automobil einzugehen. Trotz des Wortlauts des § 138 B G B dürfte der Wucherer nicht die Nichtigkeit des Geschäfts zu seinen Gunsten gegen den Bewucherten ausspielen. Stiegen beispielsweise die Aktien durch Veränderung der Konjunktur nachträglich in unerwartetem Maße, so könne der Wucherer einer Klage des Bewucherten auf Lieferung der Aktien nicht die Einwendung der Nichtig-

212 213 214 215 216 217

PriemA 10 A IV, S. 42 f. Siehe oben Seite 63 f. Windscheid, Pandekten 1, § 78, S. 234 f. (Betrug); § 80, S. 240 f. (Zwang). Dazu schon oben S. 37. Windscheid, Pandekten I, § 82, S. 248. Stampe, AcP 108 (1912), 42, 80 f.

Dj Das Verständnis von der relativen Nichtigkeit im 19. Jahrhundert

69

keit entgegenhalten. Die Nichtigkeit sei eine relative. Folge sei des weiteren, daß Nichtigkeit wegen Wuchers zugunsten des Wucherers nicht von Amts wegen berücksichtigt werden dürfe. Zur Begründung trägt Stampe vor, der Satz, daß niemand sich zu seinem Vorteil auf seinen eigenen dolus berufen könne, gelte auch unter der Herrschaft des BGB, „wenngleich als allgemeiner nur kraft,Analogie', die aber in den vielen Einzelbestimmungen des BGB eine sichere Grundlage" habe 218 .

7.

Pflichtteilsrecht

Aus dem Gedanken der querela inojficiosi testamenti beruhend wurde des weiteren ein Testament, das gegen die Nov. 115219 verstieß, der relativen Nichtigkeit unterworfen 220 . Die Nov. 115 regelte ein Pflichtteilsrecht zugunsten naher Angehöriger, die durch Testament von der Erbfolge ausgeschlossen waren; sie enumerierte die Gründe, aus denen der Erblasser die Angehörigen berechtigterweise übergehen durfte. Verschiedene Stimmen nahmen einen Fall der relativen Nichtigkeit an. Sie stellten es in die Wahl des verletzten Noterben, ob er die Nichtigkeit geltend machen wollte oder nicht. Sterbe er selbst vor dem Erbfall oder verzichte er, so sei das Testament wirksam. Dies folge aus dem Zweck der Nov. 115, die ausschließlich die Noterben schütze. Gegen diesen Fall der relativen Nichtigkeit haben sich vor allem Brandis und Vangerow ausgesprochen 221 , weil die Nov. 115 nicht zu erkennen gebe, auf welche Weise die verletzten Noterben geschützt werden sollten.

8. Veräußerung des fundus

dotalis

Nach der lex lulia de fundo dotali222 war die Veräußerung des fundus dotalis ohne Zustimmung der Ehefrau nichtig. Verschiedentlich wurde dieser Fall im Sinne einer relativen Nichtigkeit interpretiert 223 : Der Ehemann könne sich nicht auf die Nichtigkeit berufen und das Veräußerte nicht vindizieren, weil die Veräußerung nur zu Gunsten seiner Frau für nichtig erklärt sei 224 .

218

Stampe, A c P 108 (1912), 42, 81. Zur Nov. 115 siehe bereits oben S. 44. 220 Bluntschli, § 25, S. 241; vgl. Arndts, Civilistische Schriften II, S. 586 ff.; Christians, S. 29 f.; Priem, § 10 B I, S. 43; a.A .Brandis, Zeitschrift für Civilrecht und Prozeß 1834, S. 121, 129. 221 Brandis, Zeitschrift für Civilrecht und Prozeß 1834, S. 157, 199 ff; Vangerow, §485, S. 294 f.; i.E. Christians, S. 30; Priem, § 10 B I, S . 4 3 f f . 222 D. 23, 5, 1; siehe bereits oben S. 45. 223 Vgl. Christians, S. 27. 224 v.Wening-Ingenheim, Zeitschrift für Civilrecht und Prozeß 1828, S. 353, 364 ( „ . . . der Ehemann, welcher gegen das gesetzliche Verbot den fundus dotalis weggiebt, kann, obwohl die Handlung ungültig und nichtig, doch f ü r seine Person sich nicht darauf berufen, darf nicht vindicieren."); ablehnend Brandis, Zeitschrift für Civilrecht und Prozeß 1834, S. 157, 191; Christians, S. 28 f. 219

70

Kapitel 4: Geschichtliche Aspekte

9. Verstoß gegen die lex Falcidia Nach der lex Falcidia225 durften maximal drei Viertel des Erbes mit einem Vermächtnis beschwert sein; ein Viertel mußte dem Erben erhalten bleiben. War das Erbe aber mit mehr als drei Viertel durch Vermächtnisse belastet, galten diese hinsichtlich des überschießenden Teils als nichtig, d.h. alle Legate wurden verhältnismäßig gekürzt. Insbesondere Priem hat die Frage aufgeworfen, ob es sich hierbei um einen Fall der absoluten oder der „respectiven" Nichtigkeit handele 226 . Würde es sich um eine absolute Nichtigkeit handeln, sei es Sache des Richters, sie von Amts wegen zu berücksichtigen, sobald die Beschwer gegen die lex Falcidia feststünde. Wenn - im Falle der Klage des Vermächtnisnehmers auf Auszahlung des Legates - sich der Erbe nicht auf die lex Falcidia berufen wolle, müsse das Gericht die Rechtsfolge der lex Falcidia gleichwohl aussprechen. Mit dieser Schlußfolgerung spricht Priem ein grundsätzliches - auch heute noch wenig diskutiertes - Problem der Nichtigkeit an, nämlich die Frage, ob auf die Nichtigkeitswirkung in zulässiger Weise verzichtet werden kann. Da nach Ansicht Priems im Falle der absoluten Nichtigkeit ein Verzicht auf die Geltendmachung nicht möglich sei, sei die Anerkennung der relativen Nichtigkeit gerade bei dieser Fallkonstellation unumgänglich. Die lex Falcidia sei damit zu erklären, daß in die Wahl des Erben gestellt sei, ob er die „Überschwerung" gegen sich gelten lassen wolle oder nicht. Verzichte er auf die Geltendmachung der Nichtigkeit, sei die „Überscherung" wirksam; berufe er sich auf die Nichtigkeit, so sei das Vermächtnis zu diesem Teile nichtig. „So trifft also hier teilweise und respektive Nichtigkeit zusammen" 2 2 7 .

10. Verstoß gegen die lex Aelia Sentia Vereinzelt wurde auch der Verstoß gegen die lex Aelia Sentia228, die Freilassungen, die der Überschuldete zur Benachteiligung seiner Gläubiger oder zur Verkürzung des Pflichtteilsrechts seines Patrons vollzieht, für nichtig erklärt, als Fall der relativen Nichtigkeit angeführt 229 .

11. § 6 Abs. 1

Reichskonkursordnung

Gegen § 6 Abs. 1 Reichskonkursordnung 2 3 0 verstoßende Rechtshandlungen wurden ebenfalls vielfach als relativ nichtig im Sinne der oben beschriebenen Vorstel225

Zur lex Falcidia siehe oben S. 40 f. Priem, § 1 0 B II, S. 46 ff. 227 Priem, § 1 0 B II, S. 48. 228 Dazu schon oben S. 40. 229 Vgl. Christians, S . 2 8 f . 230 „Rechtshandlungen, welche der Gemeinschuldner nach E r ö f f n u n g des Verfahrens vorgen o m m e n hat, sind den Konkursgläubigern gegenüber nichtig." Die Rechtsfolge der Nichtigkeit wurde 1898 durch die der Unwirksamkeit ersetzt. Bis auf die angegebene Rechtsfolge entspricht § 6 226

D) Das Verständnis von der relativen Nichtigkeit im 19. Jahrhundert

71

lung angesehen 231 . Obwohl es nach den Motiven zu dieser Vorschrift nicht erst einer Tätigkeit, insbesondere nicht eines Rechtsmittels bedarf, um die Ungültigkeit der Verfügungen des Schuldners herbeizuführen, hat Priem auch in dieser Nichtigkeitsanordnung einen Fall der relativen Nichtigkeit erblickt 232 . Insbesondere führte Priem diesen Standpunkt darauf zurück, daß die Rechtshandlung den Konkursgläubigern gegenüber nichtig sei: Aus Gesetzestext und Motiven könne geschlossen werden, daß die vorgenommenen Rechtshandlungen nichtig seien, aber eben nur den Konkursgläubigern gegenüber; damit liege „respective" Nichtigkeit vor. Unter Berufung auf die Theorie der relativen Nichtigkeit führt Mandry aus, die Nichtigkeit hänge von dem Willen der Konkursgläubiger bzw. des Konkursgläubigers ab; weder ein dritter Kontrahent noch der Gemeinschuldner, noch irgendein anderer könnten sich auf die Nichtigkeit berufen. Eine „nur um der Interessen bestimmter Personen willen und nur für den Umfang dieser Interessen statuierte Ungültigkeit" hänge vom Willen der interessierten Personen ab 233 .

IV. Zwischenergebnis Obwohl Einzelheiten streitig waren 234 , läßt sich festhalten, daß im 19. Jahrhundert der Gedanke, nach dem sich nur bestimmte Personen auf Nichtigkeitsvorschriften berufen durften, existent war. Vielfach wurde dieses Phänomen unter den Begriff der relativen Nichtigkeit subsumiert. Vieles deutet darauf hin, daß mit den Termini „relative Nichtigkeit" und „Anfechtbarkeit" hinsichtlich der Rechtstechnik das gleiche gemeint war, wichen auch die Ansichten über die unter diese Begriffe zu subsumierenden Fälle teilweise voneinander ab. Auch wenn die Eigenständigkeit des Instituts der relativen Nichtigkeit bestritten war, so hatte jedenfalls der Ausdruck „Anfechtbarkeit" in der gemeinrechtlichen Lehre im Vergleich zur heutigen Reichweite eine umfassendere Bedeutung und erfaßte mehr Anwendungsfälle, als es heute der Fall ist. Dies zeigt sich zum einen an den aufgeführten Beispielen, zum anderen aber an den allgemeinen Definitionsversuchen der relativen Nichtigkeit. Ein Rechtsinstitut oder eine Nichtigkeitsart, die sich inhaltlich mit der relativen Nichtigkeit als eigenständige Ungültigkeitsart vergleichen läßt, findet sich heute nicht mehr ausdrücklich. Im Gegenteil: Die im Allgemeinen Teil des BGB geregelAbs. 1 Reichskonkursordnung damit § 7 Abs. 1 KO, wo als Rechtsfolge „ U n w i r k s a m k e i t " gilt; siehe bereits oben S. 1 9 F n . 5 0 . 231 Vgl. Christians, S . 3 6 f . m.w.N. („Die .relative Nichtigkeit' des § 6 Konkursordnung wird einmal so aufgefaßt als diejenige Nichtigkeit, auf die nicht alle Beteiligten sich berufen dürfen ..."). 232 Priem, § 11 S. 48 ff.; ebenso Baron, § 6 4 I 1, S. 111 \ De rnburg, Pandekten I, § 120, S . 2 7 6 ; Mandry, § 10, 3 a, S. 116; Windscheid, Pandekten I, § 8 2 , S . 2 5 0 f . Fn. 8; vgl. auch Oertmann, Jher.Jahrb. 66 (1916), 130, 276 f.; ablehnend Brandis, Zeitschrift f ü r Civilrecht und Prozeß 1834, S. 157, 197 ff. 233

Mandry, § 10, 3 a, S. 116 Fn. 9. Vgl. nur Mitteis, Jher.Jahrb. 28 (1889), 85, 87, („Wir wenigstens haben bei Ausarbeitung der nachfolgenden Darstellung erfahren, daß kaum irgendetwas schwieriger ist, als die auf d e m vorliegenden Gebiete herrschenden Gegensätze auf bestimmte Linien zurückzuführen und mit N a m e n zu belegen"). 234

72

Kapitel 4: Geschichtliche

Aspekte

te Anfechtung beschränkt sich auf wenige Einzelfälle. Explizit hat damit weder die relative Nichtigkeit noch die umfassende Bedeutung der Anfechtung der gemeinrechtlichen Lehre den Weg ins B G B gefunden. Endemann hat hieraus geschlossen, das B G B habe eine solche relative Nichtigkeit nicht anerkannt 2 3 5 . Anders ist der Standpunkt Priems, der die relative Nichtigkeit des gemeinen Rechts im B G B wiederfindet 2 3 6 : Neben der Nichtigkeit als völlige und der Anfechtbarkeit als modifizierte Unwirksamkeit gebe es im B G B mit der schwebenden Unwirksamkeit eine Wirkungslosigkeit, die weder vollständig das Gepräge der einen noch der anderen trage. Schwebende Unwirksamkeit wirke nur bestimmten Personen gegenüber und nur dann, wenn sich der Betroffene hierauf berufe. Nicht zu Unrecht stellt Priem deshalb fest, daß diese Folgen der relativen Nichtigkeit entsprächen. Inhaltlich gelte dies auch f ü r das Institut der Anfechtbarkeit: Die U m w a n d l u n g eines bezüglich der Wirksamkeit in verschleiertem Zustande befindlichen Geschäfts in ein von vornherein nichtiges mit dinglicher Wirkung durch Privatverfügung sei nichts anderes als „respective" Nichtigkeit. Das B G B habe dem Wortlaut nach den Begriff der „respectiven" Nichtigkeit vermieden, inhaltlich finde er sich aber wieder. Darüber hinaus ist Priem davon überzeugt, daß alle Fälle, die er der relativen Nichtigkeit unterstellt hat, - soweit ihre grundsätzliche Existenz ins B G B ü b e r n o m m e n wurde - im B G B inhaltlich letztlich genauso behandelt würden wie sie als relative Nichtigkeit im gemeinen Recht beurteilt wurden. Dies gelte für simulierte Rechtsgeschäfte und für den Eigenschaftsirrtum, aber auch für das Rechtsgeschäft des Minderjährigen. Gleichwohl enthält das B G B eine relative Nichtigkeit im Sinne der gemeinrechtlichen Lehre jedenfalls nicht ausdrücklich. Obwohl diese Nichtigkeitsart von fast allen Autoren des vergangenen Jahrhunderts diskutiert wurde und vielfach auch anerkannt war, stellt sich die Frage, w a r u m sich diese Anerkennung im B G B explizit nicht widerspiegelt, denn mit der Kodifikation des bürgerlichen Rechts sollte grundsätzlich kein neues Recht geschaffen werden, sondern das bestehende Recht normiert und vereinheitlicht werden 2 3 7 . Eine Antwort läßt sich nur in der Entstehungsgeschichte des B G B finden.

E) Entstehungsgeschichte des BGB In der Vorarbeit zum B G B wurden die Vorstellungen der gemeinrechtlichen Lehre von der relativen Nichtigkeit nur vereinzelt ausdrücklich Gegenstand der Erörterungen. Gleichwohl war sich der Redaktor des Allgemeinen Teils, Albert Gebhard, der Existenz dieser Vorstellungen bewußt. Sie wurden Gegenstand der Entstehungsgeschichte des BGB.

235

Endemann,

Lehrbuch des Bürgerlichen Rechts, S. 318 Fn. 4.

2_% P r i e m ^ § il, s. 58. 237

Schubert,

Materialien, S. 35; Hromadka,

S. 167.

73

E) Entstehungsgeschichte des BGB

I. Keine ausdrückliche Anerkennung einer relativen Nichtigkeit

eigenständigen

Im Abschnitt „Ungültigkeit" seiner Vorlage zum Allgemeinen Teil 238 hat sich Gebhard ausdrücklich mit der relativen Nichtigkeit der gemeinrechtlichen Lehre auseinandergesetzt. Ein praktisches Bedürfnis zur expliziten Aufnahme der relativen Nichtigkeit in das BGB lehnte Gebhard indes ab. Wörtlich heißt es in seiner Vorlage: „Mit der Bezeichnung ,relative Nichtigkeit' werden verschiedene Begriffe verbunden. Das relativ nichtige Rechtsgeschäft wird betrachtet: 1. als ein an sich nichtiges Rechtsgeschäft, dessen Nichtigkeit aber durch den Willen einer Partei heilbar ist; s.g. heilbare Nichtigkeit (Wächter II S. 666). 2. als ein an sich gültiges Rechtsgeschäft, das durch den Willen eines Betheiligten rückwärts vernichtet, von Anfang an und nach allen Seiten unwirksam gemacht wird (Wächter II, S. 669). 3. als ein Rechtsgeschäft, von dem vorerst ungewiß ist, ob es gültig oder nichtig sei. Die Lösung der Ungewißheit erfolgt durch die Willenserklärung des Entscheidungsberechtigten. Erfolgt sie im Sinne der Gültigkeit, so enthüllt sich jetzt, daß das Rechtsgeschäft von Anfang an gültig, erfolgt sie im Sinne der Nichtigkeit, so enthüllt sich, daß es von Anfang an nichtig war (Windscheid § 82 Ziffer 2). Ein praktisches Bedürfniß zur Annahme der relativen Nichtigkeit in der einen oder anderen Form dürfte nicht vorliegen. - Der Bayerische Entwurf nimmt bei wesentlichem Irrthum heilbare Nichtigkeit an (Art. 24. 81), und statuiert bei dem unter dem Einfluß des wesentlichen Irrthums vollzogenen Rechtsgeschäft eine Vernichtungsklage (I. Art. 30 Abs. 30), nach dem hessischen Entwurf entsteht in Folge wesentlichen Irrthums oder Zwangs heilbare, durch Klage auf Nichtigerklärung geltend zu machende Nichtigkeit des Vertrags (Art. 63. 69. 71. 75). Nach dem Züricher Gb. verhindert wesentlicher Irrthum ,das Zustandekommen des Vertrags' (Art. 926), die Nichtigkeit muß aber durch Klage auf Nichtigerklärung geltend gemacht werden (Art. 932). Nach oesterreichischem Recht ist ein Vertrag, bei welchem Zwang, Betrug oder Irrthum unterlief, gleichfalls heilbar nichtig, und die Nichtigkeit im Wege der Klage geltend zu machen (§ 877)." 2 ; w

Abgesehen davon, daß Gebhard die im gemeinen Recht vorzufindenden Vorstellungen der relativen Nichtigkeit nicht vollständig erwähnt, ging er davon aus, daß Nichtigkeit und Anfechtbarkeit als Arten der Ungültigkeit ausreichten; er erteilte einer weiteren Differenzierung im Sinne einer relativen Nichtigkeit nach der gemeinrechtlichen Lehre mangels praktischen Bedürfnisses eine Absage.

238 Abgedruckt bei Jakobs/Schubert, Unveröffentlichte Quellen, Allgemeiner Teil Teilband 1, S. 739 ff. 239 Gebhard, in: Jakobs/Schubert, Unveröffentlichte Quellen, Allgemeiner Teil Teilband 1, S. 749.

74

Kapitel 4: Geschichtliche Aspekte

II. Differenzierungen zwischen Allgemeininteressen und Individualinteressen schützenden Ungültigkeitsnormen in der Vorlage Gebhards zum Allgemeinen Teil aus dem Jahre 1875 Gebhard ging gleichwohl von der Prämisse aus, daß als Grund für die Ungültigkeit eines Rechtsgeschäfts prinzipiell zwei Interessenlagen im Raum stehen könnten: Gültigkeitserfordernisse für Rechtsgeschäfte könnten zum einen „im Interesse der allgemeinen Rechtsordnung", zum anderen „im Interesse gewisser, bei dem Rechtsakt beteiligter, durch den Mangel beeinträchtigter Personen" angeordnet sein. Aufgrund dieser beiden Interessenlagen hat Gebhard die Unterscheidung zwischen Nichtigkeit und Anfechtbarkeit entwickelt. Bestehe das Gültigkeitserfordernis im Interesse der allgemeinen Rechtsordnung, so wirke der Mangel desselben absolut und unmittelbar: „Absolut: d.h. er wirkt, mögen die Betheiligten dies wollen oder nicht wollen ..." 2 4 °

Dieser absoluten Wirkung der Nichtigkeit unterstellte Gebhard also Nichtigkeitsgründe, die im Interesse der allgemeinen Rechtsordnung angeordnet sind. Gebhard beschrieb diese Nichtigkeitswirkungen bereits in der Weise, wie sie heute noch charakterisiert werden. Dabei hob er hervor, daß die Berufung auf die Nichtigkeit jedem zustehe und sie im Prozeß vom Richter von Amts wegen zu berücksichtigen sei. Inhaltsgleiche Formulierungen sind in den Lehrbüchern aus heutiger Zeit zum Allgemeinen Teil beinahe wörtlich nachzulesen 241 . Dies belegt den Einfluß Gebhards auf die Unwirksamkeitslehre, insbesondere daß sich seine Vorstellung von der absoluten Wirkung der Nichtigkeit durchgesetzt hat. Allerdings war die absolut wirkende Nichtigkeit nicht die einzige Ungültigkeitsart, von der Gebhard ausging. Bestehe der Nichtigkeitsgrund im Interesse eines Beteiligten, so wirke der Mangel desselben nur relativ und mittelbar: „Relativ: d.h. er wirkt nur, wenn der Betheiligte will, daß er wirken soll; mittelbar: d.h. die wirkende Kraft des Rechtsgeschäfts ist nicht von vorn herein ausgeschlossen, sondern nur in ihrer Leistungsfähigkeit gemindert; das Rechtsgeschäft erzeugt zunächst die rechtliche Wirkung, auf die es gerichtet ist, diese Wirkung kann aber durch eine gegen die geschwächte wirkende Kraft geführten Angriff aufgehoben werden, so daß sich das Rechtsgeschäft als unfähig erweist, den thatsächlichen Zustand zu schaffen, dessen Herbeiführung sein Zweck war." 2 4 2

III. Differenzierung

zwischen Nichtigkeit und

Anfechtbarkeit

Ausgehend von der Differenzierung dieser Motive eines Nichtigkeitsgrundes prägte Gebhard die Unterscheidung zwischen Nichtigkeit und Anfechtbarkeit im heute verstandenen Sinne. Eine zwischen diesen Polen liegende relative Nichtig24(1

Gebhard, in: Jakobs/Schubert,

Unveröffentlichte Quellen, Allgemeiner Teil Teilband 1,

Siehe oben S. 28 ff. Gebhard, in: Jakobs/Schubert,

Unveröffentlichte Quellen, Allgemeiner Teil Teilband 1,

S. 740. 241 242

S. 740.

E) Entstehungsgeschichte des BGB

75

keit erachtete Gebhard - wie schon gesagt 243 - für entbehrlich. Gebhard hat damit die Differenzierung zwischen Nichtigkeit und Anfechtbarkeit explizit auch mit den unterschiedlichen Interessenlagen, die bei Ungültigkeitsgründen im Raum stehen können, begründet. Er hat damit diese unterschiedlichen Interessenlagen als inhaltlichen Grund für die Differenzierung zwischen Nichtigkeit und Anfechtbarkeit zum Ausdruck gebracht. Geht man davon aus, daß die oben beschriebenen Erscheinungsformen der relativen Nichtigkeit 244 ebenfalls Nichtigkeitsgründe betreffen, die nicht im Interesse der allgemeinen Rechtsordnung aufgestellt sind, sondern Individualinteressen schützen, erscheint es fragwürdig, ob nicht neben der Nichtigkeit und Anfechtbarkeit eine dritte Ungültigkeitsart indiziert war. Die Anerkennung einer weiteren Nichtigkeitsart wäre nur dann entbehrlich, wenn die Anfechtbarkeit alle Nichtigkeitsgründe erfassen würde, die „im Interesse gewisser, bei dem Rechtsgeschäft beteiligter, durch den Mangel beeinträchtigter Personen" erlassen sind. Die in Rede stehende Vorlage, in der Gebhard die grundsätzliche Differenzierung zwischen Nichtigkeit und Anfechtbarkeit begründete, erweckt aber den Eindruck, daß der Redaktor des Allgemeinen Teils als Ungültigkeitsgründe, die individuellen Interessenschutz gewähren, lediglich Irrtumsfälle und Fälle der durch Täuschung oder Zwang hervorgerufenen Willenserklärungen erfaßte: „Die allgemeinen Erfordernisse der letzteren Art (Nichtigkeitsgründe, die im Interesse eines Beteiligten gelten) betreffen vorzugsweise die Freiheit der individuellen Willensbestimmung, die Abwesenheit widerrechtlicher Einwirkungen, welche einen Widerspruch zwischen dem wirklichen und dem wahren oder eigentlichen Willen hervorzurufen geeignet sind (Mangel des Zwangs und Betrugs)." 2 4 5

Deutlich wird dieser Standpunkt Gebhards auch in den oben zitierten Ausführungen 246 , mit denen er das praktische Bedürfnis zur Annahme der relativen Nichtigkeit verneinte und sich zur Begründung ausschließlich auf Irrtumsfälle berief. Ob allerdings diese Fälle in der Tat alle „im Interesse gewisser, bei dem Rechtsgeschäft beteiligter, durch den Mangel beeinträchtigter Personen" gesetzte Ungültigkeitsgründe sind, insbesondere ob damit die Anfechtbarkeit erschöpfend erfaßt sind, ist zweifelhaft. Zweifel resultieren daraus, daß Gebhard als Grundlage für die Unterscheidung zwischen Nichtigkeit und Anfechtbarkeit die Differenzierung nach den Interessen der allgemeinen Rechtsordnung und Individualinteressen vornahm. Obwohl Gebhard in der Vorlage zum Allgemeinen Teil unter das Institut der Anfechtbarkeit ausschließlich durch Zwang oder Betrug veranlaßte Willenserklärungen subsumierte und dadurch der Eindruck entstehen könnte, er habe nur diese Fälle als Anfechtungsfälle vorgeschlagen, findet sich in der gleichen Vorlage im

243 244 245

Siehe oben S. 73 f. Siehe oben S. 65 ff. Gebhard, in: Jakobs/Schubert,

S. 740. 246

Siehe oben S. 73.

Unveröffentlichte Quellen, Allgemeiner Teil Teilband

76

Kapitel 4: Geschichtliche

Aspekte

R a h m e n der G e s c h ä f t s f ä h i g k e i t M i n d e r j ä h r i g e r 2 4 7 ein weiteres A n w e n d u n g s g e biet der A n f e c h t b a r k e i t . Gebhard schlug hier vor, b e s t i m m t e R e c h t s g e s c h ä f t e M i n d e r j ä h r i g e r der A n f e c h t u n g zu u n t e r w e r f e n 2 4 8 , w a s sich nahtlos e i n p a ß t e in das von Gebhard in der Vorlage ü b e r die Ungültigkeit der R e c h t s g e s c h ä f t e a u f g e s t e l l t e allg e m e i n e Prinzip f ü r die D i f f e r e n z i e r u n g von Nichtigkeit und A n f e c h t b a r k e i t . G l e i c h w o h l fällt auf, d a ß Gebhard - j e d e n f a l l s nach der Vorlage über die U n g ü l t i g keit der R e c h t s g e s c h ä f t e - dieses a l l g e m e i n e , auf S c h u t z z w e c k g e s i c h t s p u n k t e n b a s i e r e n d e materielle Prinzip auf M ä n g e l bei der W i l l e n s b e e i n f l u s s u n g b e s c h r ä n k te. Für Irrtumsfälle und durch Z w a n g o d e r B e t r u g veranlaßte W i l l e n s e r k l ä r u n g e n ist dies o f f e n k u n d i g . G l e i c h e s gilt aber auch f ü r R e c h t s g e s c h ä f t e M i n d e r j ä h r i g e r , weil - w i e Gebhard später im Teilentwurf des A l l g e m e i n e n Teils b e g r ü n d e t e - , „sie in Folge ihrer geistigen U n r e i f e u n d U n e r f a h r e n h e i t die B e d e u t u n g u n d T r a g w e i t e der von ihnen im R e c h t s v e r k e h r v o r g e n o m m e n e n H a n d l u n g e n nicht richtig zu beurtheilen im S t a n d e sind" 2 4 9 . E i n e b e s o n d e r e m o d i f i z i e r t e B e h a n d l u n g von Verbotsgesetzen hielt nach den A u s f ü h r u n g e n in dieser Vorlage (noch) nicht f ü r n o t w e n d i g :

Gebhard

„Die E r f o r d e r n i s s e der Gültigkeit, w e l c h e sich nicht schon aus d e m W e s e n des R e c h t s g e s c h ä f t s e r g e b e n , k ö n n e n gesetzt sein im Interesse der a l l g e m e i n e n R e c h t s o r d n u n g , o d e r im Interesse gewisser, bei d e m R e c h t s g e s c h ä f t betheiligter, d u r c h d e n M a n g e l beeinträchtigter P e r s o n e n . Zu den ersteren g e h ö r e n : O b j e c t i v e V e r f ü g u n g s b e r e c h t i g u n g ( V e r f ü g u n g innerhalb der e i g e n e n R e c h t s s p h ä r e ) und Erlaubtheit d e s W i l l e n s i n h a l t s . " 2 5 0

Die von Gebhard v o r g e s c h l a g e n e g r u n d s ä t z l i c h e D i f f e r e n z i e r u n g z w i s c h e n N i c h tigkeit u n d A n f e c h t b a r k e i t hat die 1. K o m m i s s i o n in ihrer S i t z u n g v o m 5. 10. 1875 akzeptiert. B e m e r k e n s w e r t ist der H i n w e i s der 1. K o m m i s s i o n , d a ß im R a h m e n der Ungültigkeit keine zu starren D e f i n i t i o n e n oder R e g e l u n g e n a u f z u n e h m e n seien, u m R a u m f ü r m o d i f i z i e r t e Ungültigkeitsarten zu lassen 2 5 1 . In den B e r a t u n g e n trug Windscheid seine Vorstellung von der A n f e c h t b a r k e i t vor 2 5 2 . D a n a c h w a r A n f e c h t barkeit d i e j e n i g e Art der Ungültigkeit der R e c h t s g e s c h ä f t e , k r a f t d e r e n d a s Rechtsg e s c h ä f t die von ihm beabsichtigte rechtliche W i r k u n g z w a r erzeugt, aber in einer M a n g e l h a f t i g k e i t , d a ß dieselbe nicht i m s t a n d e ist, den ihr e n t s p r e c h e n d e n Z u s t a n d der Verhältnisse g e g e n den Willen des A n f e c h t u n g s b e r e c h t i g t e n h e r v o r z u r u f e n . 247 Abgedruckt bei Jakobs/Schubert, Unveröffentlichte Quellen, Allgemeiner Teil Teilband 1, S. 4 9 8 ff. 248 Vgl. auch den Vorschlag, den der Redaktor des Obligationenrechts, v. Kübel, im R a h m e n der Vorlage über die Schließung von Verträgen der in der Geschäftsfähigkeit Beschränkten (abgedruckt bei Jakobs/Schubert, Unveröffentlichte Quellen, Allgemeiner Teil Teilband 1, S. 506 ff.) gemacht hat und der eher Grundlage der späteren Gesetzesfassung wurde. Bereits in den Beratungen der 1. Kommission schloß sich die Mehrheit inhaltlich dem Vorschlag v. Kübels an, so daß wiederum der von Gebhard verfaßte Entwurf in § 82 keine Anfechtungsregel mehr enthielt. 249 250

Gebhard, Gebhard,

Begründung des Teilentwurfs, S. 22 f. in: Jakobs/Schubert, Unveröffentlichte Quellen, Allgemeiner Teil Teilband 1,

S. 740. 251 Vgl. Protokoll der Sitzung der 1. Kommission vom 5.10.1875, in: Jakobs/Schubert, Unveröffentlichte Quellen, Allgemeiner Teil Teilband 1, S. 751. 252 Vgl. Anlage zum Protokoll der Sitzung der 1. Kommission vom 7.10.1875, in: Jakobs/Schubert, Unveröffentlichte Quellen, Allgemeiner Teil Teilband 1, S. 753.

E) Entstehungsgeschichte des BGB

77

Windscheid beschrieb zwar in erster Linie die Technik der Anfechtbarkeit. Gleichwohl ist nicht erkennbar, daß er dieses Rechtsinstitut auf die später Gesetz gewordenen drei Anfechtungsfälle des Allgemeinen Teils beschränkt sehen wollte. Die Ausführungen Windscheids sind erste Anzeichen dafür, daß im Rahmen der Entstehungsgeschichte, insbesondere im Rahmen der Abgrenzung von Nichtigkeit und Anfechtbarkeit zunehmend die Techniken dieser Ungültigkeitsarten in den Vordergrund rückten, während die materielle Begründung dieser Unterscheidung 253 , die Gebhard in seiner Vorlage im Jahre 1875 noch gegeben hatte, in der Diskussion zunehmend in den Hintergrund rückte. Der im Jahre 1880 von Gebhard fertiggestellte Teilentwurf des Allgemeinen Teils enthielt nur zwei Anfechtungsfälle: In § 101 war die durch Furcht oder Betrug veranlaßte Willenserklärung der Anfechtung unterworfen. Der Irrtum über wesentliche Bestandteile des Rechtsgeschäfts führte dagegen gemäß § 98 des Teilentwurfs noch zur Nichtigkeit 254 . Damit findet sich der bereits in der Vorlage Gebhards aus dem Jahre 1875 zum Ausdruck gekommene beschränkte Anwendungsbereich der Anfechtbarkeit auch im Teilentwurf wieder. Gebhard schränkte ihn sogar noch weiter ein: Beschrieb er in der Vorlage auch noch Irrtumsfälle als Anfechtungsfälle, so waren diese im Teilentwurf gemäß § 98 auch der (absoluten) Nichtigkeit zugeordnet. Erst im zweiten Entwurf wurden der Inhalts- und der Erklärungsirrtum der Anfechtbarkeit unterstellt. Ein wesentlicher Grund hierfür war, daß sich nur der dem Irrtum unterliegende auf seinen Willensmangel berufen können sollte, während sich der irrtumsfreie Vertragspartner an seiner Erklärung festhalten lassen mußte 2 5 5 .

IV. Aufrechterhaltung der Differenzierung zwischen Allgemeininteressen und Individualinteressen schützenden Ungültigkeitsnormen 1.

Grundsätzliches

In der Begründung des Teilentwurfs beschäftigte sich Gebhard vornehmlich mit technischen Fragen, insbesondere setzte er sich ausführlich mit der Differenzierung zwischen unmittelbar und mittelbar wirkender Anfechtbarkeit auseinander. Auf die in der Vorlage aus dem Jahre 1875 gegebene materielle Begründung der Unterscheidung zwischen Nichtigkeit und Anfechtbarkeit - also Nichtigkeit im Falle des Schutzes der Interessen der allgemeinen Rechtsordnung einerseits und Anfechtung im Falle des Schutz von Individualinteressen andererseits 256 - ging Gebhard ausdrücklich nicht mehr ein: 253

Siehe oben S. 74. Diese Rechtsfolge hielt sich noch bis zum ersten Entwurf, wurde aber im zweiten Entwurf als Anfechtbarkeit ausgestaltet. 255 Vgl. Lobinger, A c P 195 (1995), 274 f. 256 Siehe oben S. 74. 254

Kapitel 4: Geschichtliche Aspekte

78

„Ob der Unterschied zwischen Nichtigkeit und Anfechtbarkeit ein innerlich in der Struktur der Rechte begründeter sei (vgl. Dernburg I. 371), wird stets der Untersuchung der Wissenschaft unterstellt bleiben. An dieser Stelle ist die lösende Aufgabe eine beschränkte." 2 5 7

Hieraus ließe sich in zwei Richtungen argumentieren: Entweder wollte Gebhard den ursprünglich genannten materiellen Differenzierungsgrund nicht mehr aufrechterhalten oder dieser inhaltliche Ansatz lag stillschweigend auch noch dem Teilentwurf zugrunde. Der einzige im Allgemeinen Teil des Teilentwurfs geregelte Anfechtungsfall - Anfechtbarkeit der durch Furcht oder Betrug veranlaßten Willenserklärung - läßt auf die Richtigkeit der letzteren These schließen. Für diese Deutung spricht ferner, daß man in der Entstehungsgeschichte des BGB explizit von dem Differenzierungsgrund Gebhards nicht abgewichen ist. Auch die Bezugnahme Gebhards auf die Systematik Savignys25^ indiziert, daß die Differenzierung zwischen Anfechtbarkeit und Nichtigkeit diesem materiellen Prinzip weiterhin zugrunde liegen sollte: Savigny hatte unter den Begriff der Anfechtbarkeit deutlich mehr Fälle subsumiert als Gebhard im Teilentwurf des BGB 2 5 9 ; dabei waren die Anfechtungsfälle Savignys an Schutzzweckgesichtspunkten orientiert. Nach dessen Systematik konnte die „Nichtigkeit von der Willkür einer bestimmten dabey betheiligten Person" abhängen 260 . Wenn aber die Nichtigkeit von der „Willkür" einer bestimmten Person abhängen sollte, läßt sich dies dafür anführen, daß der Grund für die Nichtigkeit im Interesse dieser Person liegt. Damit spricht die Zugrundelegung der Systematik Savignys dafür, daß der materielle Grund für die Differenzierung Gebhards zwischen (absoluter) Nichtigkeit und Anfechtbarkeit in der Unterscheidung des Nichtigkeitszwecks nach Interessen der allgemeinen Rechtsordnung einerseits und Individualinteressen andererseits liegen sollte.

2. Behandlung von

Veräußerungsverboten

Die materielle Begründung für die Differenzierung zwischen Anfechtbarkeit und Nichtigkeit, die Gebhard in der Vorlage aus dem Jahre 1875 ausdrücklich hervorhob und die in der Begründung seines Teilentwurfs explizit nicht mehr zu finden ist, kommt auch in anderen Vorschriften des Teilentwurfs deutlich zum Ausdruck. So differenzierte Gebhard bei Veräußerungsverboten ausdrücklich zwischen solchen, die im öffentlichen Interesse erlassen sind, und solchen, welche dem Schutz einzelner Personen dienen. In § 109 Abs. 1, 2 des Teilentwurfs heißt es: „Verstößt die Vornahme eines Rechtsgeschäfts gegen ein im öffentlichen Interesse erlassenes Veräußerungsverbot, so ist das Rechtsgeschäft nichtig. Verstößt die Vornahme eines Rechtsgeschäfts gegen ein gesetzliches oder richterliches Veräußerungsverbot, welches zum Schutze der Interessen einer anderen Person dient, so ist der Eintritt der rechtlichen Wirkungen des Rechtsgeschäfts von der Bedingung abhängig, daß die Verfü-

257 258 259 260

Gebhard, Begründung des Teilentwurfs, S. 195. Vgl. Gebhard, Begründung des Teilentwurfs, S. 191, 195. Siehe oben S. 57 ff. Savigny, System IV, § 202, S. 541.

E) Entstehungsgeschichte

des

BGB

79

gungsbeschränkung später hinwegfällt oder daß derjenige, zu dessen Gunsten das Veräußerungsverbot besteht, seine Genehmigung ertheilt."

Auch wenn der Verstoß gegen ein Individualinteressen schützendes Veräußerungsverbot danach kein Anfechtungsrecht begründete - was den Grundsätzen der Vorlage Gebhards aus dem Jahre 1875 entsprochen hätte und was Gebhard auch in der Begründung des Teilentwurfs zumindest in Erwägung gezogen hatte 261 so modifizierte § 109 Abs. 2 des Teilentwurfs die grundsätzlichen absoluten Wirkungen der Nichtigkeit. Zur Begründung hierfür führte Gebhard an, daß ein Veräußerungsverbot, das dem Schutz privater Interessen diene, keine absolute Nichtigkeit begründen dürfe, weil solche Veräußerungsverbote in ihrer Wirkung nicht weitergehen könnten, als dieser Schutz es erfordere; der Eintritt absoluter Nichtigkeit ginge zu weit. Mithin läßt sich § 109 Abs. 2 des Teilentwurfs ebenfalls als Indiz dafür werten, daß auch dem Teilentwurf der materielle Grund der differenzierenden Behandlung von Nichtigkeitsfolgen nach Schutzzweckgesichtspunkten immanent war.

3. Behandlung von Verbotsgesetzen Deutliche Modifikationen der Ungültigkeitswirkung enthalten die Regelungen des Teilentwurfs über Verbotsgesetze, insbesondere die dazu abgefaßten Begründungen. Die dahinter stehenden materiellen Gründe waren - wie noch zu zeigen sein wird - der späteren Gesetzesfassung immanent. Auszugehen ist von § 108 des Teilentwurfs, in dem es hieß: „Ein Rechtsgeschäft, durch dessen Vornahme einer Rechtspflicht zuwider gehandelt wird, ist nichtig, sofern nicht dem die Rechtspflicht begründenden Gesetze eine andere Absicht zu entnehmen ist. Die vorstehende Bestimmung findet keine Anwendung auf Verträge, deren Eingehung nur auf Seite des einen Vertragsschließenden eine pflichtwidrige Handlung bildet."

Insbesondere die Begründung zu § 108 Abs. 2 des Teilentwurfs belegt, daß Gebhard davon ausging, daß Verbotsgesetze nicht nur absolute Nichtigkeit hervorrufen können, sondern eine modifizierte Betrachtung angezeigt ist. Gebhard begründete die Ausnahme nach § 108 Abs. 2 vor allem mit Schutzzweckerwägungen: „Die Regel, daß verbotene Willenserklärungen nichtig seien, erleidet eine weitgreifende Beschränkung. Sie würde an sich zu der Konsequenz führen, daß bei Verträgen, wenn die Pflichtwidrigkeit auch nur auf der einen Seite liegt, dennoch Nichtigkeit eintritt und somit der unschuldige Theil von den Folgen der verbotenen Handlung des anderen Theils verletzt wird. ... Wenn nämlich der unschuldige Theil durch den Vertrag in rechtswidriger Weise verletzt ist, so wird zu seinen Gunsten und zur Aufhebung der Verletzung, sei es direkte Anfechtbarkeit, sei es relative Ungültigkeit gewährt. Um zu wissen, wie dem Unschuldigen geholfen werde, wird man zurückzugehen haben auf die Lehre vom Zwang und Betrug, soweit in den Einzelbestimmungen eine besondere Regelung nicht enthalten ist. Nichtigkeit wird nur in wenigen Fällen eine angemesse261

Vgl. Gebhard, Begründung des Teilentwurfs, S. 153: „Der Entwurf glaubt nicht von Anfechtbarkeit reden zu sollen, weil hier nicht einer Willenserklärung die Kraft beigelegt ist, daß sie das Geschäft von Anfang an unwirksam mache".

80

Kapitel 4: Geschichtliche

Aspekte

ne Folge sein, n ä m l i c h n u r dann, w e n n ein Interesse des u n s c h u l d i g e n Theils das R e c h t s g e s c h ä f t als gültig zu b e h a n d e l n nicht w o h l d e n k b a r ist." 2 6 2

Bei einseitigen Verstößen gegen Verbotsgesetze war nach dem Standpunkt Gebhards also der grundsätzliche Eintritt der absoluten Nichtigkeit keine für beide Vertragsseiten angemessene Sanktion. Als angemessene Rechtsfolge sprach sich Gebhard - unter B e r u f u n g auf die gemeinrechtliche Lehre - für modifizierte Ungültigkeitsregeln aus. Als Beispiel nannte er die Rechtsfolgen bei Verstößen gegen §§ 301, 302 StGB a.F. Diese Vorschriften stellten es unter Strafe, Minderjährigen bestimmte Leistungsversprechen abzulocken. Gebhard argumentierte, in solchen Fällen des einseitigen Verstoßes gegen das Verbotsgesetz sei eine starre Anwendung der Nichtigkeitswirkung unangemessen, weil für den Minderjährigen - j e nach Fallkonstellation - die Aufrechterhaltung des Vertrages durchaus günstiger sein könnte: „Bei d e n in §§ 301, 302 unter S t r a f e gestellten Vergehen d e s s t r a f b a r e n E i g e n n u t z e s z u m N a c h teil M i n d e r j ä h r i g e r d u r c h A b l o c k u n g von L e i s t u n g s v e r s p r e c h e n , S c h u l d s c h e i n e n , W e c h s e l n , E m p f a n g s b e k e n n t n i s s e n , B ü r g s c h a f t s i n s t r u m e n t e n wird sich die G e l t u n g d e s G e s c h ä f t s nach den R e g e l n über die G e s c h ä f t e der in der G e s c h ä f t s f ä h i g k e i t b e s c h r ä n k t e n P e r s o n e n beurtheilen und statt der Nichtigkeit die M ö g l i c h k e i t einer Gültigkeit in F o l g e G e n e h m i g u n g d e s G e s c h ä f t s o f f e n b l e i b e n , soweit ein d e n k b a r e s Interesse des M i n d e r j ä h r i g e n an der A u f r e c h t e r h a l t u n g stattfindet."263

Als weiteres Beispiel nannte Gebhard §§ 134 ff. Reichsgewerbeordnung:

die Folgen des Verstoßes gegen die

„Wird z w i s c h e n d e m F a b r i k i n h a b e r und A r b e i t e r ein Vertrag w e g e n H i n g a b e von Waaren an Z a h l u n g s s t a t t auf die L o h n f o r d e r u n g g e s c h l o s s e n , so kann der A r b e i t e r nach s e i n e m Belieben diesen Vertrag als nicht v e r b i n d l i c h und die Libertation als nicht eingetreten b e h a n d e l n ; er kann n ä m l i c h n a c h § 137 der R . G . O . j e d e r z e i t die B e z a h l u n g seiner F o r d e r u n g in b a a r e m G e l d e verlangen, o h n e daß ihm nur eine E i n r e d e aus der H i n g a b e an Z a h l u n g s s t a t t e n t g e g e n g e s e t z t werden k a n n . " 2 6 4

Gebhard postulierte sogar, bei einseitigen Verstößen gegen Verbotsgesetze greife regelmäßig Anfechtbarkeit oder relative Nichtigkeit Platz, „da hiermit den Interessen des verletzten unschuldigen Theils besser entsprochen wird als durch die Nichtigkeit". Es läßt sich festhalten, daß Gebhard die besondere Ausnahmeregelung in § 108 Abs. 2 des Teilentwurfs ausdrücklich aus Schutzzweckgesichtspunkten für erforderlich hielt. Mithin ist auch den Regelungen über Verbotsgesetze im Teilentwurf eine materielle Rechtfertigung einer modifizierten Behandlung der Nichtigkeit immanent. Dieser materielle Grund f ü r die Einschränkung der absoluten Nichtigkeit in Richtung einer schutzzweckorientierten Behandlung der Nichtigkeit fand dann auch Eingang in die spätere Gesetzesfassung. Zwar hat bereits die 1. Kommission den Vorschlag Gebhards, f ü r einseitige Gesetzesverstöße eine besondere Rege262 263 264

Gebhard, Gebhard, Gebhard,

Begründung des Teilentwurfs, S. 145. Begründung des Teilentwurfs, S. 145. Begründung des Teilentwurfs, S. 146.

E) Entstehungsgeschichte des BGB

81

lung aufzustellen, gestrichen. Gleichwohl ist der materielle Gedanke, den Gebhard hinter dieser Regelung gesehen hat, aufrechterhalten geblieben. Denn die 1. Kommission hat inhaltlich den Vorschlag Gebhards, der durch § 108 Abs. 2 des Teilentwurfs zum Ausdruck kommen sollte, akzeptiert und lediglich die Aufnahme einer ausdrücklichen Sonderregelung für entbehrlich erachtet. Nach Ansicht der 1. Kommission erfaßte bereits die - durch die Kommission ebenfalls geänderte Fassung des Abs. 1 - den Regelungsgehalt von § 108 Abs. 2 des Teilentwurfs: § 108 des Teilentwurfs war in der Sitzung der 1. Kommission vom 7. 12. 1881 Gegenstand der Beratungen 265 . Der Vorschlag Gebhards wurde geändert und mit allseitiger Zustimmung folgende Fassung beschlossen: „Ein R e c h t s g e s c h ä f t , dessen V o r n a h m e durch Gesetz v e r b o t e n ist, ist nichtig, sofern nicht das G e s e t z ein A n d e r e s e r g i e b t . " 2 6 6

In diesem Zusammenhang strich die 1. Kommission die von Gebhard vorgeschlagene Ausnahmeregel als überflüssig, hielt aber - und das ist entscheidend - den materiellen Inhalt dieser Regel explizit aufrecht: „ A b s a t z 2 w u r d e d e m von einer Seite gestellten A n t r a g e e n t s p r e c h e n d gestrichen. M a n e r w o g : n a c h d e m s o e b e n g e f a ß t e n B e s c h l ü s s e w ü r d e er auf d i e j e n i g e n Verträge zu b e s c h r ä n k e n sein, deren E i n g e h u n g auf Seiten des einen Vertragschließenden g e g e n ein V e r b o t s g e s e t z verstößt; insoweit aber e r s c h e i n e derselbe, da er e b e n f a l l s auf die B e u r t h e i l u n g des e i n z e l n e n Falls n a c h der T e n d e n z des G e s e t z e s a b h e b e , schon durch den Z u s a t z in A b s a t z 1 , s o f e r n das G e s e t z nicht ein A n d e r e s e r g i e b t ' zur G e n ü g e g e d e c k t . " 2 6 7

Diese Ausführungen belegen, daß die 1. Kommission die von Gebhard vorgeschlagene Ausnahmeregel in § 108 Abs. 2 und damit auch den zugrunde liegenden materiellen Grund akzeptiert hat; sie erachtete lediglich eine ausdrückliche Aufnahme in das Gesetz für überflüssig, weil diese bereits vom neu gefaßten Abs. 1 inhaltlich erfaßt sein würde. Diese Regelung über die Behandlung von Verbotsgesetzen wurde im weiteren Gesetzgebungsverfahren im wesentlichen nicht mehr geändert. Abgesehen von Änderungen der Formulierung 268 fand eine Diskussion über den Inhalt dieser Vorschrift noch einmal bei Beratungen der XII. Kommission des Reichstages kurz vor Ende des Gesetzgebungsverfahrens statt. Es ging der Antrag ein, die späteren §§ 134, 138 BGB in einer Vorschrift zusammenzufassen und wie folgt zu formulieren 269 : 265

Vgl. Jakobs/Schubert, Unveröffentlichte Quellen, Allgemeiner Teil Teilband 1, S. 713 ff. Die genaue Diktion bezüglich des 1. Halbsatzes sollte allerdings noch der Redaktion vorbehalten bleiben; vgl. Jakobs/Schubert, Unveröffentlichte Quellen, Allgemeiner Teil Teilband 1, S. 714. 267 Protokoll der 30. Sitzung vom 7.12.1881, in: Jakobs/Schubert, Unveröffentlichte Quellen, Allgemeiner Teil Teilband 1, S. 715. 268 Die 1. Kommission änderte den Wortlaut der Vorschrift noch einmal, so daß die Fassung im ersten Entwurf lautete: „Ein Rechtsgeschäft, dessen Vornahme durch Gesetz verboten ist, ist nichtig, sofern nicht aus dem Gesetz ein Anderes sich ergiebt". Die Vorkommission des Reichsjustizamtes gab d e m § 105 die Fassung: „Ein Rechtsgeschäft, welches gegen ein gesetzliches Verbot verstößt, ist nichtig, sofern nicht aus dem Gesetze ein Anderes ergiebt". An diesen Wortlaut hielt sich auch die 2. Kommission in § 100 des zweiten Entwurfs; vgl. zum vorstehenden und folgenden Jakobs/Schubert, Unveröffentlichte Quellen, Allgemeiner Teil Teilband 1, S. 717 ff. 266

269

Vgl. Jakobs/Schubert,

Unveröffentlichte Quellen, Allgemeiner Teil Teilband 1, S. 735 f.

82

Kapitel

4: Geschichtliche

Aspekte

„Ein Rechtsgeschäft, das gegen ein gesetzliches Verbot, gegen die öffentliche Ordnung oder gegen die guten Sitten verstößt, ist nichtig".

Neben der redaktionellen Zusammenfassung dieser Paragraphen enthielt der Antrag auch den Vorschlag, den zweiten Halbsatz („sofern sich nicht aus dem Gesetz ein Anderes ergiebt") zu streichen. Zur Begründung hieß es, dieser Satz sei überflüssig, weil er sich von selbst verstehe. Nach einer Stellungnahme Gebhards zu diesem Antrag sprach sich allerdings die Mehrheit der Kommission gegen diesen Antrag aus 270 . Es läßt sich deshalb feststellen: Die spätere Gesetzesfassung entsprach inhaltlich der von der 1. Kommission beschlossenen Fassung. Diese anerkannte ausdrücklich die inhaltliche Übereinstimmung der beschlossenen Fassung mit den Vorschlägen Gebhards. Damit ist erwiesen, daß der Regelungsgehalt von § 108 Abs. 2 des Teilentwurfs und damit einhergehend auch eine materielle Differenzierung nach personalistisch orientierten Schutzzweckgesichtspunkten im Gesetzgebungsverfahren anerkannt wurde und somit dem heutigen Paragraphen § 134 BGB immanent ist.

4. Behandlung der Rechtsgeschäfte

Minderjähriger

Während aufgrund der Vorlage zur Ungültigkeit der Rechtsgeschäfte der Eindruck entstehen konnte, die materielle Differenzierung nach dem verfolgten Schutz führe immer zu der Alternative Nichtigkeit oder Anfechtbarkeit, kommen im Teilentwurf des Allgemeinen Teils auch andere modifizierte Ungültigkeitsarten zum Ausdruck. Deutlich wird dies bei der Behandlung der Verträge Minderjähriger 2 7 1 . Während Gebhard in der Vorlage über die Geschäftsfähigkeit Minderjähriger im Falle eines ohne Einwilligung des gesetzlichen Vertreters abgeschlossenen Vertrags Anfechtbarkeit als Rechtsfolge vorgeschlagen hatte, ging sein Teilentwurf in § 82 noch von der Genehmigungsbedürftigkeit des Rechtsgeschäfts aus. Wenngleich sich damit in erster Linie die Technik der Behandlung solcher Verträge änderte, so handelte es sich - wie Gebhard explizit ausführte - um ein Instrument zum Schutze von Individualinteressen: „Aus der vorstehenden Übersicht ergiebt sich, daß die bestehenden Rechte übereinstimmend bestrebt sind, Minderjährige gegen die Gefahren zu schützen, welche für sie daraus entspringen, daß sie in Folge ihrer geistigen Unreife und Unerfahrenheit die Bedeutung und Tragweite der von ihnen im Rechtsverkehr vorgenommenen Handlungen nicht richtig zu beurtheilen im Stande sind." 2 7 2

270 Auch entsprechende weitere Anträge in der 2. Lesung dieser Kommission sowie im Plenum des Reichstags wurden später abgelehnt (vgl. Jakobs/Schubert, Unveröffentlichte Quellen, Allgemeiner Teil Teilband 1, S. 736 ff.) 271 Dazu auch schon oben S. 76. 272 Gebhard, Begründung des Teilentwurfs, S. 22 f.

E) Entstehungsgeschichte

des BGB

83

5. Weitere Indizien für die Relevanz der Differenzierung zwischen Allgemeininteressen und Individualinteressen schützenden Ungültigkeitsgründen Entsprechend dem Teilentwurf Gebhards finden sich im Allgemeinen Teil des ersten Entwurfs Anfechtungsfälle nur bei den durch Drohung oder Betrug veranlaßten Willenserklärungen (§ 103 des ersten Entwurfs). Wie bereits der Teilentwurf geht der erste Entwurf ebenfalls von den beiden Ungültigkeitsarten Nichtigkeit und Anfechtbarkeit aus 2 7 3 . Genausowenig wie der Teilentwurf eine ausdrückliche materielle Begründung für diese Differenzierung enthält, findet sich in den Motiven zum ersten Entwurf eine inhaltliche Begründung für diese Abgrenzung. Sie wird aber angedeutet: „Im Allgemeinen ist davon auszugehen, daß das Anfechtungsrecht nur demjenigen zusteht, zu dessen Schutze die Entkräftung des Rechtsgeschäftes nachgelassen ist." 2 7 4

Gebhard hatte in seiner Vorlage aus dem Jahre 1875 frühzeitig die absolute Wirkung vorgegeben. Wie aber bereits in den Beratungen der 1. Kommission zum Ausdruck gekommen war, machten auch die Motive deutlich, daß Modifikationen als unumgänglich angesehen wurden, um ein zu starres System zu verhindern. So läßt sich den Motiven entnehmen, daß die absolute Wirkung der Nichtigkeit nicht zwingend die einzige mögliche Rechtsfolge bei Verstößen gegen Verbotsgesetze ist: Grundsätzlich führe zwar ein Verstoß gegen ein Gesetz, das die Vornahme eines Rechtsgeschäfts verbietet bzw. mit Strafe belegt, zur Nichtigkeit, auch wenn das Verbotsgesetz dies nicht ausdrücklich ausspreche 2 7 5 . Weiter heißt es: „Die Ausnahmen sind durch den der Vorschrift beigefügten, der gegentheiligen Absicht des Gesetzes Rechnung tragenden Vorbehalt gedeckt. Anders liegen meist die Fälle, in welchem bei einem Vertrage das Verbot nur den einen Theil trifft. Der Regel nach wird anzunehmen sein, daß der Vertrag als solcher in einem derartigen Falle nicht ungültig ist. Es kommt indessen hier gleichfalls auf die Absicht des Gesetzes im einzelnen Falle an, und der Vorbehalt genügt daher auch in dieser Richtung." 2 7 6

Die Notwendigkeit modifizierter Erscheinungsformen der Nichtigkeit wird darüber hinaus in den Motiven bei der Behandlung von Veräußerungsverboten deutlich. Der genannte Vorschlag Gebhards über die Behandlung von Veräußerungsverboten hat die Beratungen der 1. Kommission nicht überstanden. Gleichwohl hat die 1. Kommission lediglich die Technik der Rechtsfolge und Formulierungsänderungen vorgenommen 2 7 7 . Allerdings - und dies ist entscheidend - erkannte die 1. Kommission den hinter dem Vorschlag Gebhards stehenden materiellen Differenzierungsgrund an. Sie hielt § 109 Abs. 1 des Teilentwurfs Gebhards21*, der die 273

Motive I, S. 216. Motive I, S. 221. 275 Motive I, S. 210. 276 Motive I, S. 210. 277 Vgl. Protokoll der 30. Sitzung vom 7. 12. 1881, in: Jakobs/Schubert, len, Allgemeiner Teil Teilband 1, S. 716 ff. 278 Siehe oben S. 78 f. 274

Unveröffentlichte Quel-

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Kapitel 4: Geschichtliche

Aspekte

absolute Nichtigkeit für im öffentlichen Interesse erlassene Veräußerungsverbote anordnete, jedoch für nicht notwendig: „ A b s a t z 1 w u r d e sachlich nicht b e a n s t a n d e t , der R e d a k t i o n j e d o c h die P r ü f u n g v o r b e h a l t e n , ob es im Hinblick auf die v o r h e r g e h e n d e B e s t i m m u n g noch nöthig sein w e r d e , die N i c h t i g k e i t eines g e g e n ein absolutes V e r ä u ß e r u n g s v e r b o t v e r s t o ß e n d e n R e c h t s g e s c h ä f t s b e s o n d e r s a u s z u s p r e chen."279

Statt der von Gebhard vorgeschlagenen Genehmigungsbedürftigkeit solcher Rechtsgeschäfte, die gegen ein im Interesse einer anderen Person erlassenes Veräußerungsverbot verstoßen 2 8 0 , setzte sich die 1. Kommission für eine relative Unwirksamkeit als Rechtsfolge ein. Auch wenn hiermit eine andere als die von Gebhard vorgeschlagene Regelungstechnik beschlossen wurde, so ändert dies nichts daran, daß die 1. Kommission das materielle Erfordernis einer modifizierten Ungültigkeit bei Veräußerungsverboten grundsätzlich akzeptierte. Sie schlug lediglich eine andere Formulierung vor: „Bei der R e d a k t i o n soll f e r n e r g e p r ü f t w e r d e n , o b d e m E n t w ü r f e in der S c h e i d u n g z w i s c h e n V e r ä u ß e r u n g s v e r b o t e n , die im ö f f e n t l i c h e n Interesse erlassen sind, und solchen V e r ä u ß e r u n g s verboten, w e l c h e z u m Schutze der Interessen E i n z e l n e r dienen, zu f o l g e n oder ob einerseits von V e r ä u ß e r u n g s v e r b o t e n schlechthin, andrerseits von V e r ä u ß e r u n g s v e r b o t e n , w e l c h e zu G u n s t e n b e s t i m m t e r P e r s o n e n erlassen sind, g e s p r o c h e n w e r d e n soll . . . " 2 8 1

In späteren Beratungen diskutierte die 1. Kommission noch intensiv darüber, ob dem durch die Veräußerung Betroffenen noch weitergehende Rechte einzuräumen seien bzw. wie der Begriff der Veräußerung auszulegen sei. An dem materiellen Grund f ü r die besondere Behandlung änderte sich jedoch nichts mehr. Ausdrücklich stellen die Motive die Wirkung eines Veräußerungsverbotes in Abhängigkeit zum Schutzzweck desselben 2 8 2 . Nach den möglichen Schutzrichtungen - entweder sei der Zweck eines Veräußerungsverbotes auf den Schutz der Interessen aller oder auf den Schutz der Interessen einzelner Personen gerichtet - habe sich auch die Rechtsfolge eines Verstoßes gegen ein Veräußerungsverbot zu orientieren. Das im Interesse aller, im öffentlichen Interesse ergehende Verbot wirke seiner Natur nach unbeschränkt: Die zuwiderlaufende Veräußerung sei nichtig. D e m g e g e n ü b e r gehe das zum Schutze einzelner angeordnete Verbot in seiner Wirkung nicht weiter, als dieser Schutz es erfordere. Mit anderen Worten sollte bei einem Verbotstatbestand die rechtliche Sanktion nicht weitergehen, als die geschützten Interessen es erforderten 2 8 3 . Absolute Nichtigkeit könne deshalb bei Veräußerungsverboten, die den Schutz bestimmter Personen bezwecken, nicht die angemessene Folge sein. In Betracht kämen verschiedene Möglichkeiten: Denkbar sei ein Schadensersatzanspruch des durch die Verfügung Verletzten, wie es § 223 des sächsischen

279 Protokoll der 30. Sitzung vom 7. 12. 1881, in: Jakobs/Schubert, Unveröffentlichte Quellen, Allgemeiner Teil Teilband 1, S. 716. 280 Vgl. § 109 Abs. 2 des Teilentwurfs (oben S. 78 f.). 281 Protokoll der 30. Sitzung vom 7. 12. 1881, in: Jakobs/Schubert, Unveröffentlichte Quellen, Allgemeiner Teil Teilband 1, S. 717. 282 Motive I, S. 212. 283 Dilcher spricht sogar von einem Grundsatz (Staudinger/Di/c/jer, 12. Auflage, § 135 Rn. 4).

F) Resümee

85

Gesetzbuches vorsah. In Betracht zu ziehen sei auch - wie nach dem bayerischen EntwurfTeil III Art. 91 i.V.m.Teil IArt. 84 vorgesehen 2 8 4 - d i e Anfechtbarkeit des dem Verbot zuwiderlaufenden Rechtsgeschäfts. Als weitere Möglichkeit zogen die Motive - wie es Gebhard in § 109 des Teilentwurfs vorgeschlagen hatte - die Genehmigungsbedürftigkeit der gegen ein Veräußerungsverbot verstoßenden Verfügung in Betracht. Letztlich entschied sich die 1. Kommission aber für die relative Unwirksamkeit einer solchen Verfügung. Unabhängig davon, a u f w e i c h e Rechtstechnik sich die 1. Kommission verständigte: Eklatant ist das zugrunde liegende Prinzip, wonach der Verstoß gegen ein Veräußerungsverbot, das dem Schutz der Interessen aller dient, zur absoluten Nichtigkeit führen sollte, während das dem Schutz individueller Interessen dienende Veräußerungsverbot modifizierte Nichtigkeitswirkungen begründen sollte. Auch die weiteren Beratungen gingen teils ausdrücklich, teils stillschweigend von diesem materiellen Differenzierungsgrund aus 2 8 5 . Es bestehen keine Bedenken, dieses für Veräußerungsverbote aufgestellte Prinzip auf alle Verbote und Nichtigkeitsvorschriften auszudehnen. Jedenfalls belegen die Motive, daß die verschiedenen Rechtswirkungen von Nichtigkeitsnormen diesem materiellen Prinzip unterliegen sollten. Dabei ist unerheblich, daß die Motive dies nicht als generelle These, sondern nur partiell zum Ausdruck bringen.

F) Resümee Der historische Überblick hat gezeigt, daß bereits im römischen Recht der Gedanke existierte, Nichtigkeit nicht ausschließlich absolut wirken zu lassen, sondern vielmehr im Einzelfall die Geltendmachung einer Ungültigkeitsfolge nur bestimmten Personen einzuräumen. Wenn ein Rechtsgeschäft Fehler aufwies, gab es - abhängig davon, welche Interessen der Wirksamkeit im Wege standen - unterschiedliche Arten, um den Fehler geltend zu machen. Durch das römische Recht geprägt, finden sich auch in - hier exemplarisch beleuchteten 2 8 6 - Rechtsordnungen der neueren Privatrechtsgeschichte entsprechende differenzierende Instrumentarien. Savigny hat die in der Rechtslehre entwickelten Ungültigkeitsarten verallgemeinert und zwischen vollendeter und unvollendeter Ungültigkeit unterschieden. Im vergangenen Jahrhundert prägte das gemeine Recht die - wenn auch nicht unumstrittene - Lehre von der relativen Nichtigkeit. Diese basierte auf dem Prinzip, daß Ungültigkeitsnormen entweder dem Interesse der Allgemeinheit oder dem Interesse bestimmter, an dem Rechtsgeschäft beteilig-

284

Siehe oben S . 5 2 . Vgl. z.B. das Protokoll der Sitzung des Reichsjustizamtes vom 10.2. 1891 (\n: Jakobs/Schubert, Unveröffentlichte Quellen, Allgemeiner Teil Teilband 1, S. 730), in dem es heißt: „Der Absatz 1 des § 107 wurde sachlich gebilligt, doch hielt man eine kürzere und Ubersichtlichere Fassung für geboten"; vgl. des weiteren die Beratungen der 2. Kommission (Protokolle I, S. 125): „Die sonstigen Abweichungen von dem Entw. sind lediglich formeller Art". 285

286

Siehe oben S. 47 ff.

86

Kapitel 4: Geschichtliche Aspekte

ter Personen zu dienen bestimmt sind. Teils wurde hierin eine eigenständige Ungültigkeitsart gesehen, teils deckte sich die Vorstellung mit dem heutigen Verständnis von der Anfechtbarkeit. Jedenfalls wurde bei dieser relativen Nichtigkeit die Berufung auf die Ungültigkeit der geschützten Partei zur Disposition gestellt; darüber hinaus erstreckte sie sich auf andere Fälle als der Anwendungsbereich der §§119 ff. BGB. In das BGB wurde diese Vorstellung der relativen Nichtigkeit aus dem 19. Jahrhundert nicht explizit übernommen. Ausdrücklich wurde lediglich die relative Unwirksamkeit bei Verstoß gegen Veräußerungsverbote anerkannt 287 . Bemerkenswert ist, daß noch im Jahre 1906 Windscheid die relative Unwirksamkeit im Sinne des § 161 BGB von der relativen Nichtigkeit im Sinne der im 19. Jahrhundert vorzufindenden Auffassung abgrenzte 288 . Der Grund für die anscheinende Nichtberücksichtigung einer relativen Nichtigkeit im Sinne der Vorstellungen des 19. Jahrhunderts liegt offenbar darin, daß die relative Nichtigkeit teilweise mit der Anfechtung gleichgesetzt wurde 289 bzw. es für ausreichend erachtet wurde, die heutigen Fälle der Anfechtbarkeit und der schwebenden Unwirksamkeit der geschützten Partei zur Disposition zu stellen: Der erste Entwurf verstand unter Ungültigkeit sowohl Nichtigkeit als auch Anfechtbarkeit 290 . Wurde aber die relative Nichtigkeit mit der Anfechtbarkeit gleichgesetzt, so kann die anscheinend festzustellende Nichtberücksichtigung dieser Rechtsfigur im ersten Entwurf hierauf zurückzuführen sein. Hiervon geht beispielsweise auch Dernburg aus, der darauf hinweist, daß der Begriff der relativen Nichtigkeit als Anfechtbarkeit in das BGB eingegangen sei 291 . Ähnlich sah dies auch Oertmann: „Die neueren Verfechter einer relativen Nichtigkeit stellen sich diese meist als eine Nichtigkeit vor, deren Geltendmachung vom Willensakte einer bestimmten Person abhängt, bei der also das Geschäft mangels solchen Willensaktes giltig bleibt (...). Oder, ähnlich, als eine heilbare Nichtigkeit. Logische Bedenken stehen einer derartigen Konstruktion keineswegs entgegen, und es fragt sich nur, wie weit das jeweilige positive Recht von ihr Gebrauch gemacht habe. Sicher ist aber andererseits, daß eine solche relative Nichtigkeit eng mit dem zusammengehört, was das bürgerliche Gesetzbuch jetzt als Anfechtbarkeit bezeichnet." 2 9 2

Oertmann und Dernburg gehen also davon aus, daß die relative Nichtigkeit im Sinne des gemeinen Rechts mit dem Rechtsinstitut der Anfechtung Eingang ins BGB gefunden hat. Hieran bestehen nach den bisherigen Feststellungen keine Bedenken. Die entscheidende Frage lautet aber, ob die Einbettung in das Instrument der Anfechtung die Vorstellung von der relativen Nichtigkeit des gemeinen Rechts 287

Motive I, S. 212. Windscheid/Kipp, Pandekten I, § 82, S. 432. 289 Siehe oben Seite 63 f. 290 Motive I, S. 216. 291 Dernburg, Pandekten I, § 120, S. 283 Fn. 10 („Das BGB bezeichnet,relative Nichtigkeit' als Anfechtbarkeit'"); ebenso Christians, S.40 („Die .relative Nichtigkeit', als eine Nichtigkeit gefaßt, die nur bestimmte Beteiligte geltend machen dürfen, deckt sich mit der .Anfechtbarkeit' des Bürgerlichen Gesetzbuchs."); Schachian, S. 193; a.A. Stampe (AcP 108 [1912], 42, 80 f.), der noch nach Inkrafttreten des BGB von der Existenz einer relativen Nichtigkeit ausgeht, die insbesondere von der Anfechtbarkeit zu trennen sei. 292 Oertmann, Jher.Jahrb. 66 (1916), 130, 192. 288

F) Resümee

87

nicht in unsachgemäßer Weise verkürzt hat. Im Allgemeinen Teil des BGB existieren lediglich drei Anfechtungsfälle; daneben existieren lediglich verschiedene erbrechtliche Anwendungen dieses Instruments. Es läßt sich also von einem Numerus clausus der Anfechtungsfälle sprechen. Die entscheidende Frage, ob dieser auf konkrete Fälle beschränkte Anwendungsbereich von Anfechtungsfällen der Vorstellung der relativen Nichtigkeit nach gemeinem Recht entspricht, ist - geht man von den abstrakten Definitionen der relativen Nichtigkeit aus - zu verneinen. Vergegenwärtigt man sich beispielsweise noch einmal die Begriffsbestimmungen Dernburgs und Hölders, „Die Nichtigkeit ist eine relative, wenn sie nicht von jedem bei ihr Interessierten und nicht in allen Fällen geltend gemacht werden kann. Häufig führen nämlich Erwägungen der Zweckmäßigkeit, der Billigkeit, der guten Ordnung dahin, gewissen Personen die Geltendmachung von Nichtigkeiten abzuschneiden und sie bestimmten Anfechtungsberechtigten allein zu eröffnen" 2 9 3 ; „Im Gegensatz zur absoluten kann die Ungültigkeit eines Rechtsaktes eine relative oder in Ansehung der durch seinen Inhalt berührten Personen beschränkte, weil der Grund der Ungültigkeit ein solcher ist, welchem nur zu Gunsten oder Ungunsten bestimmter Beteiligter Bedeutung zukommt" 2 9 4 ,

so zeigt sich, daß sich relative Nichtigkeit nach diesem Verständnis auf alle Gründe bezieht, aus denen ein Rechtsgeschäft fehlerhaft sein kann, wenn diese Gründe im Interesse bestimmter Beteiligter angeordnet sind. Ein solches generalisierendes Verständnis von der relativen Nichtigkeit belegt auch die Vielzahl der aufgeführten möglichen Anwendungsfälle der relativen Nichtigkeit 295 . Dies spricht ohne Zweifel dafür, daß der Gedanke der relativen Nichtigkeit nur unvollständig im Rechtsinstitut der Anfechtbarkeit aufgegangen ist. Die Beleuchtung der Entstehungsgeschichte des BGB belegt, daß das hinter der relativen Nichtigkeit stehende Prinzip, wonach die Rechtsfolge eines Nichtigkeitsgrundes von dessen Schutzzweck abhängt, in das BGB eingeflossen ist. Auch wenn Gebhard in seinem Entwurf das Instrument der Anfechtung auf wenige Anwendungsfälle begrenzte, enthielt sein Konzept das materielle Prinzip, welches hinter der Differenzierung zwischen absoluter und relativer Nichtigkeit stand. Er differenzierte im Rahmen der Ungültigkeit explizit zwischen Interessen der allgemeinen Rechtsordnung und Interessen „gewisser, bei dem Rechtsakt beteiligter, durch den Mangel beeinträchtigter Personen" 296 . Diese unterschiedlichen Interessenlagen gaben Gebhard Anlaß für die Unterscheidung zwischen Nichtigkeit und Anfechtbarkeit. Da diese Interessenlage auch hinter der Differenzierung zwischen absoluter und relativer Nichtigkeit im Sinne der gemeinrechtlichen Lehre stand, ist die These Oertmanns und Dernburgs gerechtfertigt, daß das Instrumentarium der relativen Nichtigkeit als Anfechtbarkeit Eingang in das BGB gefunden hat. Dies wiederum macht verständlich, warum Gebhard die Aufnahme einer besonderen relativen Nichtigkeit in das BGB für entbehrlich hielt. 293 294 295 296

Dernburg, Pandekten I, § 120, S. 283. Holder, § 58, S. 302. Siehe oben S. 65 ff. Siehe oben S. 74.

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Kapitel 4: Geschichtliche

Aspekte

Verfolgt man weiter die entscheidende Frage, ob der Numerus clausus der Anfechtbarkeit in der Tat alle Fälle erfaßt, die „im Interesse gewisser, bei dem Rechtsakt betheiligter, durch den Mangel beeinträchtigter Personen" angeordnet sind, verbleiben gravierende Zweifel. Beleg für diese Zweifel sind diejenigen Instrumente, die offensichtlich der Differenzierung nach Interessenlagen folgen, aber nicht als Anfechtbarkeit statuiert sind. Z.B.: Ausweislich der Entstehungsgeschichte sollte § 135 BGB ausdrücklich „zum Einsatz kommen", wenn ein Veräußerungsverbot im Raum steht, das nicht den Schutz der Allgemeinheit, sondern den Schutz bestimmter Personen bezweckt 297 . Diese Vorschrift und ihre Entstehungsgeschichte belegen deutlich, daß dem BGB auch jenseits der Anfechtbarkeit das materielle Prinzip der Differenzierung nach der Schutzrichtung einer Vorschrift immanent ist 298 . Neben § 135 BGB lassen sich weitere Regelungsbereiche dieses materiellen Prinzips nennen. So läßt sich - wie gezeigt - historisch verifizieren, daß dieses Prinzip auch der Behandlung des Minderjährigenrechts zugrundeliegt 299 . Das materielle Prinzip der Differenzierung zwischen Interessen, die dem Schutz der Allgemeinheit dienen, und solchen, die den Schutz bestimmter Personen visieren, kommt also nicht nur durch die Unterscheidung des BGB zwischen Nichtigkeit und Anfechtbarkeit zum Ausdruck, sondern dominiert auch andere Regelungsbereiche. Die Analyse der Entstehungsgeschichte hat des weiteren erbracht, daß das in Rede stehende Prinzip sogar § 134 BGB, also einer Vorschrift, die als Rechtsfolge ausdrücklich Nichtigkeit anordnet, immanent ist: Gebhard und die Kommissionen haben diesen Grundsatz durch den 2. Halbsatz („... wenn sich nicht aus dem Gesetz ein anderes ergibt") explizit in den § 134 BGB aufgenommen, um in Verbotsgesetzen enthaltene individuelle Schutzzweckgesichtspunkte berücksichtigen zu können 300 . Aufgrund individueller Schutzzweckgesichtspunkte sollte nach dem Teilentwurf Gebhards die Möglichkeit bestehen, daß dem durch die jeweilige Ungültigkeitsvorschrift Geschützten die Berufung auf die Ungültigkeit zur Disposition gestellt werden sollte. Abgesehen von - ausdrücklich als Formulierungsänderungen bezeichneten - Änderungen der Gesetzesfassung wurde der materielle Inhalt des § 134 BGB im weiteren Verlauf der Entstehungsgeschichte nicht mehr angetastet. Auch § 134 BGB enthält damit nach der Entstehungsgeschichte den materiellen Inhalt, der bereits nach der gemeinrechtlichen Lehre der Differenzierung zwischen absoluter und relativer Nichtigkeit zugrunde lag. Enthält § 134 BGB aber die gleichen Schutzzweckgesichtspunkte, die die grundsätzliche Differenzierung zwischen Anfechtbarkeit und Nichtigkeit veranlaßt haben, erscheint es - vorsichtig ausgedrückt - kaum haltbar, als Rechtsfolge des § 134 BGB ausschließlich „absolute" Nichtigkeit anzunehmen. Es läßt sich nach den angeführten Beispielen nicht - worauf Oertmanns und Dernburgs These möglicherweise hindeuten - konstatieren, daß relative Nichtigkeit im Sinne der gemeinrechtlichen Lehre der Anfechtbarkeit des BGB in vollem Umfang entspricht.

297 298 299 300

Siehe oben S. 78 f. Zu § 135 B G B ausführlich noch unten S. 172 ff. Siehe oben S. 82. Siehe oben S. 72 ff.

F) Resümee

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Es läßt sich r e s ü m i e r e n : A u s historischer Sicht, i n s b e s o n d e r e aus der Entsteh u n g s g e s c h i c h t e des B G B , ergibt sich ein d e m B G B i m m a n e n t e s Prinzip, w o n a c h z w i s c h e n U n g ü l t i g k e i t s v o r s c h r i f t e n , die im Interesse der A l l g e m e i n h e i t a n g e o r d net sind, und solchen, die den Schutz b e s t i m m t e r P e r s o n e n b e z w e c k e n , zu d i f f e renzieren ist. D i e s e s Prinzip k o m m t nicht nur - wie fälschlich a n g e n o m m e n wird d u r c h die U n t e r s c h e i d u n g z w i s c h e n A n f e c h t b a r k e i t und Nichtigkeit z u m A u s druck, sondern ist entstehungsgeschichtlich auch anderen R e g e l u n g s i n s t r u m e n t e n aus d e m Bereich der Ungültigkeit i m m a n e n t . Die E n t s t e h u n g s g e s c h i c h t e läßt sogar die A u s s a g e zu, d a ß dieses Prinzip auch der Vorschrift des § 134 B G B zugeschrieben ist. D e r historische Blick hat d e m z u f o l g e belegt, d a ß die von der g a n z h e r r s c h e n d e n M e i n u n g bei allen Nichtigkeitsvorschriften praktizierte „absolute N i c h t i g k e i t " bezweifelt w e r d e n m u ß . Sie ist nicht vereinbar mit d e m Prinzip, w o n a c h die k o n k r e t in Betracht zu z i e h e n d e U n g ü l t i g k e i t s f o l g e auch a u f g r u n d der D i f f e r e n z i e r u n g z w i s c h e n A l l g e m e i n i n t e r e s s e n d i e n e n d e n und I n d i v i d u a l i n t e r e s s e n d i e n e n d e n U n gültigkeitsgründen zu beurteilen ist. A n d e r e R e c h t s o r d n u n g e n k e n n e n im Bereich der U n g ü l t i g k e i t diese D i f f e r e n zierung. D e s h a l b soll im f o l g e n d e n ein Blick in a n d e r e P r i v a t r e c h t s o r d n u n g e n vorgenommen werden.

Kapitel 5:

Personalistisch orientierte Relativierung der Nichtigkeitsfolgen in ausländischen Rechtsordnungen A) Personalistisch orientierte Relativierung der Nichtigkeitsfolgen nach österreichischem Zivilrecht I. Allgemeines Der Blick auf das österreichische bürgerliche Recht offenbart im Bereich der Nichtigkeitslehre für den hier in Rede stehenden Untersuchungsgegenstand Überraschendes. Z w a r ist das A B G B in der Grundstruktur ähnlich angelegt wie das BGB. Prinzipiell wird auch in Österreich zwischen Nichtigkeit und Anfechtbarkeit unterschieden. Gleichwohl sind zum einen die Grenzen zwischen Nichtigkeit und Anfechtbarkeit wesentlich fließender als im deutschen Recht. Darüber hinaus finden sich im Bereich der Vertragsnichtigkeit im österreichischen Recht Ungültigkeitsfolgen, die an personalistisch orientierte Schutzzweckgesichtspunkte geknüpft sind, in weit höherem Maße. Insbesondere ist im österreichischen Zivilrecht eine sogenannte relative Nichtigkeit anerkannt: Es differenziert zwischen absoluter und relativer Nichtigkeit 1 . Absolute Nichtigkeit läßt den Vertrag von A n f a n g an unwirksam sein. Jeder kann sich auf die absolute Nichtigkeit berufen, sie ist von Amts wegen wahrzunehmen 2 . Diese Beschreibung der absoluten Nichtigkeit stimmt mit der Charakterisierung der Nichtigkeit nach dem deutschen Zivilrecht überein 3 . Anders als dieses stellt das österreichische Zivilrecht der absoluten Nichtigkeit aber eine relative gegenüber. Diese erinnert an das Instrument der Anfechtbarkeit und wird in manchen Fällen sogar mit dieser gleichgesetzt. Relative Nichtigkeit wirkt sich nach österreichischem Recht in der Weise aus, daß sich nur der durch eine Nichtigkeitsnorm Geschützte auf die Rechtsfolge der Nichtigkeit berufen kann; ein anderer, den der Schutzzweck der Nichtigkeitsvorschrift nicht erfaßt, darf dem Geschützten die Nichtigkeit nicht entgegenhalten. Andererseits ist 1

Vgl. S c h w i m a n n M p a % , § 8 7 9 R n . 2 3 f f . ; Ehrenzweig, § 116 A II, S . 2 8 5 ; KoziolAVelse r, S. 147; Rummel/A>e/c;', § 879 Rn. 248 f.; ders., in: Bewegliches System, S. 127, 130; Schuhmacher, in: Handbuch zum Konsumentenschutzgesetz, S. 1, 64 F n . 2 6 4 , der formuliert, das A B G B kenne „unbestrittenermaßen beide Arten"; aus älterer Zeit Unger, S. 149 ff. 2 Feil, § 8 7 9 A n m . 8 ; Koziol/Welser, S. 147; Rummel/tfre/c/, § 8 7 9 R n . 2 4 8 ; O G H , JB1. 1991, 114, 116. 1 Siehe oben S. 28 ff.

A) Relativierung nach österreichischem

Zivilrecht

91

bei Verstößen gegen Gesetze, die dem Schutz der öffentlichen Ordnung dienen, die „Rechtsfolge der Nichtigkeit eine absolute. Sie ist von Amts wegen wahrzunehmen ,.." 4 / 5 Wichtig erscheint hier der Hinweis, daß es bei der Figur der relativen Nichtigkeit im Grundsatz nicht um Fälle der relativen Unwirksamkeit geht, also um die auch im österreichischen Recht vorzufindende Konstruktion, die die Ungültigkeitsfolge einer Rechtshandlung nur gegenüber bestimmten Personen eintreten läßt. Vielmehr ist die hier interessierende relative Nichtigkeit von der relativen Unwirksamkeit auch nach österreichischem Recht abzugrenzen, wie beispielsweise Mayer-Maly betont: Von der relativen Nichtigkeit unterscheide sich die relative Unwirksamkeit zwar nicht dadurch, daß es bei dieser keiner Geltendmachung bedürfe 6 , wohl aber dadurch, daß die erfolgreiche Geltendmachung des Mangels nur im Verhältnis zwischen dem Geschützten und dem Verfügenden wirke, während die relative Nichtigkeit dann, wenn sie mit Erfolg geltend gemacht würde, das fehlerhafte Geschäft für alle beseitige 7 . Gleichwohl wird diese an sich eindeutige Abgrenzung in Österreich nicht immer eingehalten. So finden sich immer wieder Ausführungen, die die Grenzen zwischen relativer Nichtigkeit und relativer Unwirksamkeit im Sinne der Mayer-Maly'sehen Formel verwischen 8 . Nicht nur die Existenz dieser Figur eines relativen Nichtigkeit überrascht. Das Besondere liegt auch darin, daß die Rechtsfolgen der relativen Nichtigkeit auch dann eingreifen, wenn das Gesetz als Rechtsfolge bloß „Nichtigkeit" anordnet. Am Wortlaut einer Norm ist also nicht erkennbar, ob der Verstoß absolute oder relative Nichtigkeit begründet. Entscheidend ist der durch Auslegung zu ermittelnde Schutzzweck der Verbotsnorm. Zentrale Regelungsnorm im Bereich der österreichischen Nichtigkeitslehre ist § 879 ABGB. Diese Vorschrift ordnet im ersten Absatz für Verträge 9 , die gegen ein gesetzliches Verbot oder gegen die guten Sitten verstoßen, als Rechtsfolge Nichtigkeit an. Darüber hinaus enthält § 879 ABGB im zweiten und dritten Absatz spezielle Nichtigkeitsgründe:

4

O G H , JB1. 1991, 114, 116. Nicht nur im R a h m e n der Frage, wer sich auf die Nichtigkeit berufen darf, stellt die österreichische Rechtsordnung auf Schutzzweckgesichtspunkte ab. Generell hat diese Frage - wie auch im deutschen Recht - bereits Bedeutung, wenn es um die Frage geht, ob eine Verbotsnorm überhaupt Nichtigkeit begründet, vgl. O G H , EvBl. 1964, Nr. 407; O G H , EvBl. 1967, Nr. 174; O G H , Miet.Slg. 31.090 („Wenn ein Gesetz nicht ausdrücklich anordnet, daß ihm widersprechende G e s c h ä f t e nichtig sein sollen, so ist entscheidend, ob der Verbotszweck die Ungültigkeit verlangt oder ob sich die verletzte N o r m mit der Verhängung anderer Rechtsfolgen, etwa mit einer Bestrafung, begnügt."); Klang/Gschnitzer, § 879 Anm. I 7. 5

6

A.A. Strohal, S. 57. Mayer-Maly, in: Festschrift für Reimer, S. 67, 72. 8 Siehe unten S. 96. 9 § 879 A B G B gilt nicht nur für Verträge, sondern auch für einseitige Rechtsgeschäfte, vgl. Rummel/Äre/ci, § 879 Rn. 5. A b w e i c h e n d vom B G B , das im Allgemeinen Teil eine generell geltende Rechtsgeschäftslehre voranstellt, wird die Nichtigkeit im A B G B also im Vertragsrecht behandelt; vgl. den rechtsvergleichenden Überblick zur Figur des Rechtsgeschäfts bei Zweigert/Kötz, § 2 4 I, S. 314 ff. 7

92

Kapitel 5: Nichtigkeitsfolgen

in ausländischen

Rechtsordnungen

„Ein Vertrag, der gegen ein gesetzliches Verbot o d e r gegen die guten Sitten verstößt, ist nichtig. I n s b e s o n d e r e sind f o l g e n d e Verträge nichtig: 1. w e n n etwas f ü r die U n t e r h a n d l u n g eines E h e v e r t r a g e s b e d u n g e n wird; 2. w e n n ein R e c h t s f r e u n d eine ihm a n v e r t r a u t e Streitsache g a n z o d e r teilweise an sich löst o d e r sich einen b e s t i m m t e n Teil des B e t r a g e s v e r s p r e c h e n läßt, der der Partei z u e r k a n n t wird; 3. w e n n eine E r b s c h a f t o d e r ein Vermächtnis, die m a n von einer dritten P e r s o n e r h o f f t , noch bei Lebzeiten derselben veräußert wird; 4. w e n n j e m a n d den Leichtsinn, die Z w a n g s l a g e , V e r s t a n d e s s c h w ä c h e , U n e r f a h r e n h e i t o d e r G e m ü t s a u f r e g u n g eines a n d e r e n d a d u r c h ausbeutet, d a ß er sich o d e r e i n e m Dritten f ü r eine Leistung eine G e g e n l e i s t u n g versprechen oder g e w ä h r e n läßt, deren V e r m ö g e n s w e r t zu d e m Werte der Leistung in a u f f a l l e n d e m M i ß v e r h ä l t n i s s e steht. Eine in a l l g e m e i n e n G e s c h ä f t s b e d i n g u n g e n o d e r Vertragsformblättern e n t h a l t e n e Vertragsb e s t i m m u n g , die nicht eine der beiderseitigen H a u p t l e i s t u n g e n festlegt, ist j e d e n f a l l s nichtig, w e n n sie unter B e r ü c k s i c h t i g u n g aller U m s t ä n d e des Falles einen Teil gröblich b e n a c h t e i l i g t . "

Die in § 879 A B G B angeordnete Rechtsfolge der Nichtigkeit ist in der Diktion fast identisch mit den deutschen Pendants der §§ 134, 138 BGB. Wie das B G B enthält auch das A B G B keine nähere Definition der Nichtigkeit, insbesondere hinsichtlich der Art und Weise des Eintritts dieser Rechtsfolge. Im Gegenteil, noch weniger als § 134 BGB, der im 2. Halbsatz einen Hinweis auf den zu berücksichtigenden N o r m z w e c k enthält, fehlt in § 879 A B G B jedes Indiz für eine solche Interpretation. Bevor im folgenden die an personalistisch orientierte Schutzzweckgesichtspunkte geknüpfte Behandlung der Nichtigkeitsfolge des § 879 A B G B , namentlich die relative Nichtigkeit, näher beleuchtet wird, soll vorab der Grenzbereich zwischen Anfechtbarkeit und Nichtigkeit als Grundlage dieser Spezialfrage Beachtung finden. Das österreichische Recht kennt diese Dichotomie nicht in gleicher Weise wie das BGB. Inhaltlich k o m m e n dadurch bereits personalistisch orientierte schutzzweckorientierte Tendenzen zum Ausdruck, was im folgenden beleuchtet wird.

II. Schutzzweckorientierte Tendenzen im Bereich der Irrtumslehre Neben der Nichtigkeit kennt das österreichische Zivilrecht durchaus das Instrument der Anfechtbarkeit. Obwohl das A B G B im Bereich der Vertragslehre den Begriff der Anfechtbarkeit expressis verbis nicht verwendet, spricht die Lehre im Bereich der Willensbildungsmängel von „Anfechtbarkeit". Vergegenwärtigt man sich die zugrundeliegenden Vorschriften des A B G B , so überrascht auf den ersten Blick die Rechtsfolge der „Anfechtbarkeit". So spricht § 871 Abs. 1 A B G B , den beispielsweise Koziol und Welser als Beispiel für die Anfechtbarkeit anführen 1 0 , nicht wie die deutsche Parallel Vorschrift des § 142 B G B vom anfechtbaren Rechtsgeschäft, sondern läßt für den, der dem Irrtum unterlag, „keine Verbindlichkeit" entstehen:

10

Koziol/Welser,

S. 127.

A) Relativierung nach österreichischem

Zivilrecht

93

„War ein Teil über den Inhalt der von ihm a b g e g e b e n e n o d e r d e m a n d e r e n z u g e g a n g e n e n Erklärung in e i n e m Irrtum b e f a n g e n , der die H a u p t s a c h e oder eine w e s e n t l i c h e B e s c h a f f e n h e i t derselben betrifft, worauf die A b s i c h t vorzüglich gerichtet und erklärt w u r d e , so entsteht f ü r ihn keine Verbindlichkeit, falls der Irrtum d u r c h den anderen veranlaßt war, o d e r d i e s e m aus den U m s t ä n den o f f e n b a r a u f f a l l e n m u ß t e o d e r noch rechtzeitig a u f g e k l ä r t w u r d e . "

Bei wörtlicher Auslegung ließe sich der Vorschrift die Rechtsfolge Nichtigkeit entnehmen. Gleichwohl räumt das österreichische Recht dem Irrenden - und nur diesem - ein Anfechtungsrecht ein, welches durch Klage - und nicht durch einfache Gestaltungserklärung - geltend gemacht werden m u ß " . Vergleichbares tritt bei der Beleuchtung des § 870 A B G B zu Tage. § 870 A B G B behandelt den durch List oder Furcht veranlaßten Vertrag: „Wer von d e m a n d e r e n Teile durch List o d e r durch u n g e r e c h t e und g e g r ü n d e t e F u r c h t (§ 55) zu e i n e m Vertrage veranlaßt w o r d e n , ist ihn zu halten nicht v e r b u n d e n . "

Auch bei dieser Vorschrift handelt es sich - gegen den reinen Wortlaut des Gesetzes - um einen Anfechtungsfall. Selbst wenn man die Gesetzesinterpretation in diesen Fällen als zu weitgehend ansehen würde, so läßt sich doch unbestreitbar festhalten, daß die genannten Regelungen im Bereich der Irrtumslehre zumindest keine eindeutige Abgrenzung zwischen Anfechtbarkeit und Nichtigkeit ermöglichen. Diese Abgrenzung ist nicht nur unscharf, sie zeigt zudem die Tendenz in Richtung personalistisch orientierter Modifizierungen im Bereich fehlerhafter Rechtsgeschäfte. Sowohl im Falle des § 870 A B G B wie auch in dem des § 871 ABGB steht dem durch die jeweilige Vorschrift Geschützten, d.h. dem Überlisteten, dem Bedrohten oder dem Irrenden frei, ob er am „nicht verbindlichen" Vertrag festhalten oder diesen anfechten möchte; anstelle einer dem Gesetzeswortlaut nach naheliegenden Nichtigkeitssanktion wird dem Geschützten die Geltendmachung der Fehlerhaftigkeit des Vertrags zur Disposition gestellt.

III. Die Normierung der laesio enormis in § 934 ABGB Das österreichische Recht hat in § 934 ABGB das Prinzip der laesio enormis gesetzlich geregelt. Das Verbot greift ein, wenn „bei zweiseitig verbindlichen Geschäften ein Teil nicht einmal die Hälfte dessen, was er dem anderen gegeben hat, von diesem an dem gemeinen Wert erhalten hat". Der Verstoß gegen dieses Verbot begründet zugunsten des verletzten Teils das Recht, „die Aufhebung und die Herstellung in den vorigen Stand zu fordern" 1 2 . § 934 A B G B greift in das Prinzip der Vertragsfreiheit ein, indem er bestimmte Vertragsinhalte verbietet. Gleichwohl sanktioniert das Gesetz diesen Verstoß nicht mit der Totalnichtigkeit der Vereinbarung, sondern nur soweit der Schutzzweck des Verbotes es erfordert. § 934 A B G B schützt denjenigen, der als Gegenleistung wertmäßig nicht mindestens die Hälfte 11

Gschnitzer, Allgemeiner Teil, Kap. 26 C III, S. 557. Nach S. 2 steht „dem anderen Teile aber bevor, das Geschäft dadurch aufrecht zu erhalten, daß er den Abgang bis zum gemeinen Werte zu ersetzen bereit ist". 12

94

Kapitel 5: Nichtigkeitsfolgen

in ausländischen

Rechtsordnungen

dessen erhält, was er geleistet hat. Nur diesem geschützten Vertragsteil wird die Geltendmachung der A u f h e b u n g des Vertrages zur Disposition gestellt. Damit ist diese Rechtsfolge ebenfalls ein - gesetzlich geregeltes - Beispiel für die schutzzweckorientierte Behandlung von Verstößen gegen ein Individualinteressen bewahrendes Verbotsgesetz.

IV. Relative Nichtigkeit als Rechtsfolge der im Rahmen des § 879 ABGB 1. Grundsätzliche

Anerkennung

der relativen

Nichtigkeit

Nichtigkeit

Der Z u s a m m e n h a n g zwischen Individualschutz und modifizierter Nichtigkeitssanktion wird bei der Behandlung fehlerhafter Rechtsgeschäfte noch deutlicher in Fällen, in denen das Gesetz ausdrücklich die Rechtsfolge Nichtigkeit anordnet, der Rechtsanwender jedoch die Geltendmachung dieser Nichtigkeit ausschließlich dem durch die jeweilige Nichtigkeitsvorschrift Geschützten zur Disposition stellt. Insbesondere bei der Behandlung des § 879 A B G B kennt das österreichische Zivilrecht eine derartige Modifikation der Nichtigkeit. Wie eingangs erwähnt, gilt im Ausgangspunkt eine absolute Nichtigkeit. Danach kann sich j e d e r m a n n auf die Nichtigkeit berufen, einer besonderen Geltendmachung bedarf es - wie im deutschen Recht - prinzipiell nicht 1 3 . Indes kennt die österreichische Zivilrechtsordnung mit der grundsätzlichen Anerkennung einer relativen Nichtigkeit Abweichungen. Die relative Nichtigkeit steht dann im Raum, wenn die Ungültigkeitsnorm dem Schutz eines bestimmten Personenkreises dient 1 4 . Krejci formuliert: „Absolute Nichtigkeit läßt den Vertrag jedenfalls von Anfang an unwirksam sein. Der Verbotszweck der verletzten Norm gebietet, daß sich jeder auf die Rechtsunwirksamkeit des Vertrages berufen kann; die Nichtigkeit ist von Amts wegen wahrzunehmen." 1 5 „Relative Nichtigkeit liegt vor, wenn sich nur bestimmte Vertragspartner auf die Nichtigkeit des Vertrages berufen dürfen, andere nicht. Relative Nichtigkeit ist insbesondere in Fällen der Verletzung einer Schutznorm ausschließlich zugunsten bestimmter Vertragspartner gegeben." 1 6

Die Besonderheit dieser A u s f ü h r u n g e n liegt darin, daß die Differenzierung zwischen absoluter und relativer Nichtigkeit im österreichischen Recht - anders als im deutschen Zivilrecht - ausdrücklich anerkannt ist und f ü r bestimmte Fälle sogar unbestritten ist, obwohl beide Rechtsordnungen in § 879 A B G B bzw. §§ 134, 138 B G B im Ansatz die gleiche Rechtsfolge aussprechen und analoge Nichtigkeitsgründe zugrunde legen. Bereits an dieser Stelle sei darauf hingewiesen, daß die Existenz der relativen Nichtigkeit beispielsweise f ü r den Fall des wucherischen 13 Feil, § 879 Anm. 8; Gschnitzer, Allgemeiner Teil, Kap. 26 C II, S. 550; Koziol/Welser, S. 147; Rummel/S>e/ci, § 879 Rn. 248. 14 Deixler-Hübner, Rn. 61; Gschnitzer, Allgemeiner Teil, Kap. 26 C II, S. 550; Klang/Gschnitzer, § 878 Anm. B IV; Rummel/Kre/a, § 879 Rn. 249. 15 Rummel/Kre/d, § 879 Rn. 248. 16 Rummel/ATreyc!, § 879 Rn. 249.

A) Relativierung nach österreichischem

Zivilrecht

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Rechtsgeschäfts herrschend anerkannt wird 17 . In diesem Zusammenhang werden die Bezeichnungen relative Nichtigkeit und Anfechtbarkeit sogar synonym verwandt: „Die Ungültigkeit wirkt nach herrschender Ansicht nicht von selbst, sondern bedarf einer entsprechenden richterlichen Ungültigkeitserklärung: d.h. letztlich steht dem Bewucherten ein Anfechtungsrecht zu." 1 8

Ob über den Wucher hinaus weitere Fälle der relativen Nichtigkeit in diesem Sinne existieren, wird unterschiedlich beurteilt 19 . Gleichwohl finden sich in Rechtsprechung und Schrifttum zahlreiche Anwendungsfälle der relativen Nichtigkeit, die noch näher zu beleuchten sein werden 2 0 , nachdem zunächst die Wirkungsweisen der relativen Nichtigkeit zu behandeln sind.

2. Eintrittsweise

und Wirkung der relativen

Nichtigkeit

Problematisch und teilweise ungeklärt ist, auf welche Weise die Geltendmachung der relativen Nichtigkeit zu erfolgen hat. Grundsätzlich kann die Geltendmachung der Nichtigkeit auf jede beliebige Weise erfolgen, wozu bereits das bloße Bestreiten der aus einer Vereinbarung abgeleiteten Verpflichtung ausreicht 2 1 . In bestimmten Fällen werden an die Geltendmachung der relativen Nichtigkeit aber auch höhere Anforderungen gestellt. Insbesondere bei den wucherischen Rechtsgeschäften wendet die ganz überwiegende Ansicht die Regeln über die Anfechtbarkeit an 22 . Diese erfolgt im österreichischen Zivilrecht durch gerichtliche Geltendmachung 2 3 oder im Wege der Einrede 2 4 . Demzufolge muß auch die relative Nichtigkeit gerichtlich geltend gemacht werden oder als Einrede vorgebracht werden. Soweit sich überhaupt Äußerungen finden, bleibt die genaue Abgrenzung allerdings unklar. Erfordert die Berufung auf die relative Nichtigkeit wie die Durchsetzung der Anfechtbarkeit die gerichtliche Geltendmachung, stellt sich die Frage nach dem Unterschied zwischen diesen beiden Instrumentarien. Gemäß § 1487 A B G B kann die Anfechtung nur innerhalb einer dreijährigen Verjährungsfrist erfolgen. Mithin 17 Vgl. Feil, § 879 Anm. 9; Koziol/Welser, S. 147; Rummel/iTre/ci, § 879 Rn. 252 („Wuchergeschäfte sind, folgt man der Terminologie des § 879, bestenfalls relativ nichtig. Der Bewucherte kann sie gelten lassen. Weder der Wucherer noch ein Dritter dürfen sich auf die Ungültigkeit des Geschäfts berufen."). 18 Rummel/tfreyci, § 879 Rn. 252. 19 Bejahend Klang/Gschnitzer, § 878 Anm. B IV; Rummel/Afoy'ci, § 879 Rn. 249; ablehnend Feil, § 879 Anm. 8. 20 Siehe unten S. 97 ff. 21 OGH, EvBl. 1973, Nr. 277; OGH, Miet.Slg. 31.097; Rummel/tfre/ci, § 879 Rn. 249. 22 OGH, WB1. 1987, 274; Feil, §879 Anm. 8; Koziol/Welser, S. 147; Rummel/Äre/'ci, § 8 7 9 Rn. 252; vgl. auch Ehrenzweig, § 116, S. 285. 23 Der OGH (WB1. 1987, 274) sowie Koziol/Welser (S. 147) gehen von einer rechtsgestaltenden Klage aus, während Geschnitzer (Allgemeiner Teil, Kap. 26 C III 3, S. 557) den gestaltenden Charakter in Zweifel zieht. 24 Gschnitzer, Allgemeiner Teil, Kap. 26 C III 3, S. 557.

96

Kapitel 5: Nichtigkeitsfolgen

in ausländischen

Rechtsordnungen

unterscheidet sich die relative Nichtigkeit von der Anfechtbarkeit lediglich durch das Fehlen einer Befristung f ü r die Geltendmachung der Vernichtung des Rechtsgeschäftes 2 5 . Relative Nichtigkeit kann sich nach österreichischen Vorstellungen unterschiedlich auswirken. Der relativen Nichtigkeit ist wesensimmanent, daß nur der durch die Ungültigkeitsnorm Geschützte sich auf die angeordnete Rechtsfolge der Nichtigkeit berufen darf 2 6 ; die B e r u f u n g auf die Nichtigkeit wird zur Disposition gestellt. Dem Geschützten steht frei, sich auf die aus dem Verbot resultierende Nichtigkeit zu berufen oder das Geschäft gelten zu lassen 2 7 . Anders als die absolute Nichtigkeit ist die relative demzufolge nicht von A m t s wegen zu beachten. Gleichwohl läßt sich diese Wirkungsweise der relativen Nichtigkeit nicht verallgemeinern. So weist beispielsweise Krejci darauf hin, daß sich die Wirkungsweise entscheidend am jeweiligen N o r m z w e c k ausrichte 2 8 . Die Folge der einseitigen Disponibilität stehe vor allem dann im Raum, wo die Gesetzwidrigkeit mit Willensbildungsmängeln zu tun habe. Hier finde sich eine gewisse Verwandtschaft zu den Willensmängeltatbeständen und deren Rechtsfolgen. Andere N o r m z w e c k e könnten dagegen einer „Heilung" durch den Geschützten entgegenstehen. Seien Verstöße gegen zwingendes Recht zu beurteilen, stünde die Disponibilität im Hintergrund. In solchen Fällen liege die Wirkung der relativen Nichtigkeit vor allem darin, dem durch die Verbotsnorm nicht geschützten Vertragspartner die B e r u f u n g auf die Nichtigkeit zu verwehren. Eine wesentliche Rechtsfolge der relativen Nichtigkeit liege deshalb darin, daß die Verbotswidrigkeit gegen denjenigen Vertragsteil nicht eingewendet werden könne, gegen den sich das Verbot nicht richte. Es gelte: nemo turpitudinem suam allegans non auditur29. Des weiteren wird als Rechtsfolge der relativen Nichtigkeit die Wirkungsweise genannt, daß eine Rechtshandlung nur bestimmten Personen gegenüber unwirksam ist, anderen gegenüber dagegen nicht. Diese Wirkungsweise entspricht der relativen Unwirksamkeit im Sinne der deutschen Zivilrechtsordnung. Als Beispiel aus dem österreichischen Recht seien die Rechtshandlungen des Gemeinschuldners nach der Konkurseröffnung genannt, die gemäß § 3 der Konkursordnung nur den Konkursgläubigern gegenüber unwirksam sind 3 0 . Diesen Fall der relativen Nichtigkeit zuzuordnen, erscheint fragwürdig, weil er letztlich eine andere Rechtsfolge, nämlich die Unwirksamkeit einer Rechtshandlung lediglich bestimmten Personen gegenüber, hervorruft 3 1 . Abgesehen von der Unstimmigkeit des Beispielsfalles belegt die Existenz der relativen Unwirksamkeit die Anerkennung schutzzweckorientierter Nichtigkeits25

Bydlinski, in: Festschrift für Meier-Hayoz, S. 65, 75. O G H , Miet.Slg. 31.097; O G H , EvBl. 1973, Nr. 277; Rummel/Ä>e/c7, § 879 Rn. 249; Klang/ Gschnitzer, § 878 Anm. B IV. 27 R u m m e l / K r e / d , § 879 Rn. 249. 28 Rummel/Äre/r;, § 879 Rn. 249. 29 R u m m e l / K r e j c i , § 879 Rn. 249; Klang/Gschnitzer, § 879 Anm. I 4. 1(1 Gschnitzer, Allgemeiner Teil, Kap. 26 C II 2, S. 550. Mayer-Maly (in: Festschrift f ü r Reimer, S. 67, 72) spricht von relativer Unwirksamkeit und differenziert zwischen relativer Nichtigkeit und relativer Unwirksamkeit (siehe oben S. 91). 31 Siehe oben S. 91. 26

A) Relativierung nach österreichischem

Zivilrecht

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Sanktionen. Wie noch allgemein zu beleuchten sein wird 3 2 , geht es auch bei der - im deutschen Recht akzeptierten - relativen Unwirksamkeit nicht zuletzt darum, daß sich im Rahmen einer Nichtigkeitsvorschrift der Schutz bestimmter Personen auf die Nichtigkeitsfolge auswirkt.

3. Anwendungsfälle

der relativen

Nichtigkeit

a) Wucher Wie schon erwähnt 3 3 , wird vor allem das wucherische Rechtsgeschäft der relativen Nichtigkeit zugeordnet. Dies befremdet auf den ersten Blick, weil man annehmen könnte, daß die Nichtigkeit des Wuchertatbestandes nicht nur im Individualinteresse des Bewucherten, sondern auch im öffentlichen Interesse erlassen ist. Das österreichische Schrifttum sieht gleichwohl das Individualinteresse im Vordergrund. Feil beispielsweise erachtet ausschließlich den Bewucherten als Schutzobjekt des § 879 Abs. 2 Ziff. 4 A B G B 3 4 . Gschnitzer wiederum konstatiert zwar das öffentliche Interesse am Wuchertatbestand, schätzt aber die Interessen des B e w u cherten höher ein und ordnet deshalb die Vorschrift der relativen Nichtigkeit zu 3 5 . Verallgemeinert man den Standpunkt Gschnitzers, so läßt sich hieraus ableiten, daß es f ü r die A n n a h m e der relativen Nichtigkeit nicht darauf ankommt, ob eine Nichtigkeitsvorschrift ausschließlich Individualschutz verfolgt; entscheidend ist danach lediglich, ob die Individualinteressen im Vordergrund stehen. Die Rechtsfolge der relativen Nichtigkeit war im österreichischen Recht in der Vergangenheit nicht unbestritten: Vielfach wurde absolute Nichtigkeit angenommen 3 6 . Heute hat sich aber im Schrifttum der Standpunkt der relativen Nichtigkeit durchgesetzt 3 7 . Die allgemeine Frage, ob im Rahmen des § 879 A B G B als Rechtsfolge relative Nichtigkeit eintritt, verschärft sich speziell beim Wuchertatbestand, weil neben § 879 Abs. 2 Ziff. 4 A B G B ein weiteres Verbotsgesetz, das Wuchergesetz von j 94938 t r j t t N ^ h § 1 Wuchergesetz ist ein Vertrag nichtig, wenn j e m a n d den Leichtsinn, die Zwangslage, Verstandesschwäche, Unerfahrenheit oder G e m ü t s aufregung eines anderen dadurch ausbeutet, daß er sich oder einem Dritten f ü r eine Leistung eine Gegenleistung versprechen oder gewähren läßt, deren Vermögenswert zu dem Werte seiner Leistung in auffallendem Mißverhältnis steht. § 8 Wuchergesetz wiederum enthält eine Verfahrensregelung:

32

Siehe unten S. 172 ff. Siehe den Wortlaut des § 879 Abs. 2 Ziff. 4 A B G B oben S. 92. 34 Feil, § 8 7 9 A n m . 8 . 35 Klang/Gschnitzer, § 878 A n m . B IV. 36 Vgl. Klang/Gschnitzer, § 879 II L 3, Fn. 323 m.w.N. 37 Feil, § 879 A n m . 8; Klang/Gschnitzer, § 879 II L 3; ders., Allgemeiner Teil, Kap. 34 B II, S. 712; Koziol/Welser, S. 147; vgl. auch Becker, S. 187; Rühle, S. 62. 38 BGBl. 1949 Nr. 271. 33

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Kapitel 5: Nichtigkeitsfolgen

in ausländischen

Rechtsordnungen

„Das Strafgericht hat auf Begehren des Verletzten ein Geschäft, wegen dessen eine Verurteilung wegen Wuchers erfolgt, als nichtig zu erklären, wenn die Ergebnisse des Strafverfahrens ausreichen, über die weiteren Rechtsfolgen der Nichtigkeit zu erkennen."

Gemäß § 8 Wuchergesetz wird das wucherische Geschäft also im Strafverfahren „auf Begehren des Verletzten als nichtig" erklärt 39 . Würde § 897 Abs. 2 Ziff. 2 ABGB absolute Nichtigkeit begründen, stünde § 8 Wuchergesetz hierzu im Widerspruch. Vor diesem Hintergrund zieht das Schrifttum deshalb § 8 Wuchergesetz als Zusatzargument für die Annahme der relativen Nichtigkeit bei § 879 A B G B heran. Die Wirkungsweise der relativen Nichtigkeit führt bei Wucher zu folgendem: Dem Bewucherten wird die Geltendmachung der Nichtigkeit zur Disposition gestellt 40 . Er kann das Rechtsgeschäft gelten lassen. Macht er allerdings die Nichtigkeit geltend, tritt sie nicht schon durch seine Gestaltungserklärung ein; vielmehr bedarf es einer entsprechenden richterlichen Ungültigkeitserklärung 4 1 . Weder der Wucherer noch ein Dritter dürfen sich auf die Nichtigkeit des Geschäfts berufen. Wegen der richterlichen Nichtigerklärung wird diese Wirkung der relativen Nichtigkeit verschiedentlich als Anfechtbarkeit bezeichnet 4 2 . Auch die Rechtsprechung nimmt bei Wuchergeschäften die beschriebene Wirkung der relativen Nichtigkeit an 43 . Im Jahre 1987 hatte der österreichische Oberste Gerichtshof folgenden Sachverhalt zu beurteilen: Der Kläger hatte einem Darlehensnehmer ein Darlehen gewährt, für dessen Rückzahlung die Beklagte eine dingliche Sicherung übernommen hatte. Nachdem der Darlehensnehmer insolvent geworden war, wandte sich der Kläger an die beklagte Sicherungsgeberin. Obwohl der Darlehensnehmer sich nicht auf den wucherischen Charakter der Darlehenszinsen berufen hatte, machte die Beklagte geltend, der Darlehensvertrag sei wegen Wuchers unwirksam. Der Oberste Gerichtshof gab der Klage statt und verwarf den Einwand der Beklagten, das Darlehen sei gemäß § 879 A B G B wegen Wuchers nichtig. Er führte aus: „Der Beklagten ist es verwehrt, anstelle des Darlehensschuldners den Darlehensvertrag wegen Wuchers anzufechten oder auch nur die von ihr zu erbringenden eigenen Leistungen zurückzuhalten. Wucherische Geschäfte sind relativ nichtig. Wird das Geschäft nicht angefochten, ist es als gültig zu betrachten. Das Anfechtbarkeitsrecht liegt allein beim Bewucherten. Nur dem Bewucherten steht also das Gestaltungsrecht zu, durch Klage oder Einwendung die Nichtigkeit des wucherischen Geschäftes geltend zu machen." 4 4

Schon früher hatte der Oberste Gerichtshof klargestellt, daß „das wucherische Rechtsgeschäft nicht absolut nichtig, sondern nur über Klage oder Einrede des Bewucherten anfechtbar" sei 45 .

39 40 41 42 43 44 45

Obwohl § 1 des Wuchergesetzes den Vertrag für nichtig erklärt. Gschnitzer, Allgemeiner Teil, Kap. 34 B III 1 b, S.712. Koziol/Welser, S. 147; vgl. RummelIKrejci, § 879 Rn. 252. Klang/Gschnitzer, § 879 II L 3. OGH, SZ 23, Nr. 372. OGH, WB1. 1987,274. OGH, SZ 23, Nr. 372.

A) Relativierung nach österreichischem

Zivilrecht

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b) Sittenwidrigkeit Relative Nichtigkeit wird bei der Behandlung sittenwidriger Verträge gemäß § 879 Abs. 1 ABGB angenommen. Sowohl Schrifttum wie auch Rechtsprechung modifizieren bei sittenwidrigen Verträgen die in § 879 Abs. 1 A B G B angeordnete Rechtsfolge der Nichtigkeit. Einer der ausdrücklichen Verfechter dieser Ansicht ist Krejci, der aber - ohne dies explizit auszusprechen - die Konstellation ins Auge faßt, daß nur einer Vertragspartei sittenwidriges Verhalten vorzuwerfen ist. Es müsse der Partei überlassen werden, ob sie eine Vereinbarung wegen Sittenwidrigkeit anfechten wolle. Die Sittenwidrigkeit sei nur über eine Einrede wahrzunehmen, wobei allerdings eine ausdrückliche Berufung hierauf nicht notwendig sei. Ausreichend sei vielmehr, daß die Partei die Umstände geltend macht, die eine Sittenwidrigkeit der Vereinbarung begründen könne 4 6 . Im Unterschied zur relativen Nichtigkeit beim Wucher bedarf es also bei der Geltendmachung der Sitten widrigkeit keiner richterlichen Gestaltung; vielmehr soll hier die Parteihandlung ausreichen, um die Wirkungsweise der relativen Nichtigkeit auszulösen. Diese These Krejcis fußt auf Entscheidungen des Obersten Gerichtshofs. Dieser hat beispielsweise bei sittenwidrigen Gewährleistungsausschlüssen mehrfach die Wirkung relativer Nichtigkeit angenommen: Obwohl sittenwidrige Vereinbarungen gemäß § 879 Abs. 1 ABGB „nichtig" sind, sei die Nichtigkeit grundsätzlich nicht von Amts wegen zu berücksichtigen, denn eine allfällige Sittenwidrigkeit des Verzichts auf bestimmte Gewährleistungsrechte berühre in erster Linie die Interessen des Käufers. Gegen oder ohne seinen Willen sei daher nicht zu untersuchen, ob der vereinbarte Verzicht nichtig sei 47 .

c) Allgemeine Geschäftsbedingungen Seit 1979 existieren in Österreich spezielle Vorschriften über die Wirksamkeit Allgemeiner Geschäftsbedingungen, die aufgrund des Konsumentenschutzgesetzes 4 8 eingeführt worden sind. In Abweichung von der deutschen Rechtsordnung hat man in Österreich allerdings kein spezielles Gesetz erlassen, vielmehr finden sich Regelungen über Allgemeine Geschäftsbedingungen an verschiedenen Stellen: Nach § 864 a A B G B werden überraschende und für den Vertragspartner nachteilige Allgemeine Geschäftsbedingungen „nicht Vertragsbestandteil". In § 897 Abs. 3 ABGB findet sich ein allgemeines Klauselverbot, nach dem Allgemeine Geschäftsbedingungen oder in Vertragsformblättern enthaltene Vertragsbestimmungen „nichtig" sind, wenn sie unter Berücksichtigung aller Umstände des Falles einen Teil gröblich benachteiligen 4 9 . Diese Vorschrift betrifft sämtliche Allgemeine Geschäftsbedingungen, unabhängig davon, wem gegenüber sie verwendet werden. Des weiteren enthält § 6 Konsumentenschutzgesetz einen Katalog, der be46

Rumme]/Ä>ejci, §879 Rn.248; ders., in: Bewegliches System, S. 127, 139 Fn.27; a.A. Mayer-Maly, in: Bewegliches System, S. 117, 118 Fn. 10. 47 OGH, EvBl. 1961, Nr. 95; OGH, EvBl. 1974, Nr. 97; OGH, SZ 46, Nr. 69, S. 305, 310. 48 Bundesgesetz vom 8.3.1979, BGBl. Nr. 140. 49 Siehe den genauen Wortlaut des § 879 ABGB oben S. 92.

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Kapitel 5: Nichtigkeitsfolgen

in ausländischen

Rechtsordnungen

stimmte Vertragsbestimmungen, die gegenüber Verbrauchern verwendet werden, für „nicht verbindlich" im Sinne des § 879 A B G B erklärt 5 0 . Obwohl die jeweiligen Formulierungen „wird nicht Vertragsbestandteil", „nichtig" und „nicht verbindlich" an sich darauf schließen lassen, daß keine der Vertragsparteien auf den Eintritt oder Nichteintritt dieser Rechtsfolge Einfluß hätte, gelten nach ganz herrschender Ansicht im Schrifttum die Wirkungen der relativen Nichtigkeit. Der relativen Nichtigkeit entsprechende Wirkungen sollten in § 879 Abs. 3 A B G B sogar ausdrücklich Eingang finden. Der Ministerialentwurf zum Konsumentenschutzgesetz war noch so formuliert, daß die tatbestandsmäßigen Vertragsbestandteile „nicht vereinbart werden" dürften und für den benachteiligten Teil nicht verbindlich seien 5 1 . Nach Ansicht Krejcis sollte damit bewußt auf die Formulierungen der AnfechtungsVorschriften gemäß §§ 870, 871 A B G B Bezug genommen werden. Es sollte zum Ausdruck gebracht werden, daß „die mißbilligten Vertragsbestimmungen ,nicht ipso iure rechtsunwirksam sind, sondern daß es dem benachteiligten Vertragspartner überlassen bleibt, diese Rechtsfolge geltend zu machen und daß nur er sich auf die Ungültigkeit der Bestimmung berufen k a n n ' . Dem Benachteiligten sollte somit ein Anfechtungsrecht zustehen." 5 2 Obwohl der Gesetzgeber diesen auf ein Anfechtungsrecht hinauslaufenden Gesetzentwurf nicht verwirklicht hat, hat die österreichische Rechtslehre keine Schwierigkeiten, hier die Rechtsfolge der relativen Nichtigkeit anzuwenden. Der Grund liegt darin, daß sie dieses Rechtsinstitut generell anerkennt und auch bei Nichtigkeitsnormen, die als Rechtsfolge „Nichtigkeit" anordnen, nicht streng am Wortlaut haftet. Dies gilt insbesondere und sogar für die Generalklausel des § 879 Abs. 3 A B G B , die als Rechtsfolge Nichtigkeit anordnet 5 3 . Krejci beruft sich auf die Möglichkeit, die die Nichtigkeit nach österreichischen Vorstellungen mit der Differenzierung zwischen absoluter und relativer Nichtigkeit ohnehin zur Verfügung stelle: Insbesondere für das wucherische Rechtsgeschäft sei die Geltung der relativen Nichtigkeit anerkannt. Stelle man in Rechnung, daß § 879 Abs. 3 A B G B eine enge Verwandtschaft zum Wuchertatbestand aufweise, und erkenne man ferner an, daß die Rechtsfolge der relativen Nichtigkeit des Wuchertatbestandes weitaus besser auf die Fälle der Nachteilskontrolle gemäß § 879 Abs. 3 A B G B paßte, so werde man sich zweckmäßigerweise entschließen müssen, als Rechtsfolgen des § 879 Abs. 3 A B G B j e n e des Wuchertatbestandes anzuerkennen oder doch eine diesen Rechtsfolgen im wesentlichen vergleichbare 5 4 .

50 Vgl. zur Struktur des österreichischen Rechts über die Behandlung Allgemeiner Geschäftsbedingungen Kramer, Ö J Z 1980,233 ff. und zum Konsumentenschutzgesetz Welser, JB1. 1 9 7 9 , 4 4 9 ff. 51 Vgl. Krejci, in: Handbuch zum Konsumentenschutzgesetz, S. 85, 174 (= JB1. 1981, 245 ff.). 52 Krejci, in: Handbuch zum Konsumentenschutzgesetz, S. 85, 174. 53 Deixler-Hühner, Rn. 61; Rummel/Ä>