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German Pages 416 Year 2014
Benjamin Beil, Gundolf S. Freyermuth, Lisa Gotto (Hg.) New Game Plus
Bild und Bit. Studien zur digitalen Medienkultur
1
Band 3
Editorial Die interdisziplinäre Reihe Bild und Bit versammelt Positionen zu einem neuen Forschungsfeld: den medientheoretischen und medienästhetischen Konsequenzen digitaler Produktion, Distribution und Rezeption audiovisueller Werke. Im Zentrum des Interesses stehen dabei zwei Prozesse, die den aktuellen Medienwandel dominieren: einerseits die Ausbildung neuer nonlinearer (oder zumindest nicht-so-linearer) Formen audiovisueller Narration, wie sie sich vor allem in Computer- oder Videospielen vollzieht, andererseits die parallele digitale Transformation linearen audiovisuellen Erzählens, insbesondere in den Bereichen Spielfilm und Fernsehserie. Gerade in ihrem spannungsreichen Mit-, Gegen- und Zueinander prägen beide Prozesse den epochalen Übergang von industrieller zu digitaler Medienkultur. Kulturelle Formen werden dabei nicht nur dar-, sondern überhaupt erst hergestellt - in einem komplexen Wechselspiel technologischer und sozialer, ästhetischer und epistemologischer Faktoren. Neben dem ästhetischen Wandel audiovisuellen Erzählens umfasst das inhaltliche Spektrum der Reihe die konstitutive Beteiligung digitaler Medienkultur an der Herausbildung neuer künstlerischer Formen und Praxen . Wichtige Themen sind u.a. Fragen der Autorenschaft, die sich aus der Demokratisierung der audiovisuellen Produktionsmittel und Distributionsmöglichkeiten ergeben, die Audiovisualisierung nonfiktionalen Wissenstransfers, medientechnologische Innovation sowie die medienästhetisch instruktive Eskalation von Inter- und Transmedialität. Der skizzierte Wandel kulminiert gegenwärtig in der Emergenz einer historisch neuen Medienkultur, die in nahezu allen Bereichen audiovisueller Produktion die Reevaluierung etablierter Praktiken und medientechnische wie medienästhetische Neuorientierung einleitet. Die schwierige Aufgabe, diesen tiefgreifenden Wandel audiovisueller Kultur gewissermaßen in statu nascendi zu begreifen, kann und soll wesentlich durch die Verbindung wissenschaftlicher und künstlerischer Perspektiven und Forschungsergebnisse gelingen. Die Reihe wird herausgegeben von Gundolf S. Freyermuth und Lisa Gotto.
BENJAMIN BEIL, G u NDOLE
S.
FREYERM U TH , LrsA Gono
(HG.)
New Game Plus Perspektiven der Game Studies. Genres- Künste- Diskurse
[ transcript]
Diese Publikation wurde durch die freundliche Unterstützung der Universität zu Köln, der Fachhochschule Köln und der ifs internationale filmschule köln ermöglicht
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Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http:/ jdnb.d-nb.de abrufbar. © 2015 transcrlpt Verlag, Bleiefeld
Die Verwertung der Texte und Bilder ist ohne Zustimmung des Verlages urheberrechtswidrig und strafbar. Das gilt auch für Vervielfaltigungen , Übersetzungen, Mikroverfilmungen und für die Verarbeitung mit elektronischen Systemen. Umschlagkonzept: Kordula Röckenhaus, Bielefeld Lektorat & Satz: Benjamin Beil, Gundolf S. Freyermuth, Lisa Gotto, Jessica Hackenbroch, Sonja Keßler, Fabian Wallenfels Druck: Majuskel Medienproduktion GmbH, Wetzlar Print-ISBN 978-3-8376-2809-8 PDF-ISBN 978-3-8394-2809-2 Gedruckt auf alterungsbeständigem Papier mit chlorfrei gebleichtem Zellstoff. Besuchen Sie uns im Internet: http:j jwww.transcript-verlag.de Bitte fordern Sie unser Gesamtverzeichnis und andere Broschüren an unter: [email protected]
Inhalt
Vorwort
I7
Manifest für ein ludisches Jahrhundert Eric Zimmerman I 13
GENRES
I GAMES
Editor-Games. Das Spiel mit dem Spiel als methodische Herausforderung der Game Studies Pablo Abend und Benj amin Beil
I 27
Digital Games und Hybrid Reality Theatre Judith Ackermann 163 Mise en Game. Die spielerische Aneignung filmischer Räume Andreas Rauscher I 89 TYPE RIDER: Typenspiel und digitale Graphie
Lisa Gotto
I 11 5
KüNSTE
I KULTUREN
Zwischen Iudus und paidia. THE LAST OF Us als Reflexion des Computerspiels Thomas Hensel 1145
Das Computerspiel als Montage. Überlegungen zum Montagebegriff in den Game Studies Philipp Bojahr 1185 Unspielbare Spiele. Künstlerische Computerspielmodifikationen im medientheoretischen Schwebezustand Stephan Schwingeler I 219 Caves, Caverns and Dungeons. Für eine speläologische Ästhetik des Computerspiels Markus Rautzenberg I 245 »Form follows fun« vs. »Form follows function« Architekturgeschichte und -theorie als Paradigmen urbaner Dystopien in Computerspielen
Mare Bonner
I 267
DISKURSE
I DISZIPLINEN
Der Weg in die Alterität. Skizze einer historischen Theorie digitaler Spiele Gundolf S. Freyermuth I 303 Die Zukunft des Erzählens. Wie das Medium Geschichten formt Jesse Schell I 357 Prozesse des Lernens in Computerspielforen Andre Czauderna I 375 Das Ende der Gamer
lan Bogost
I 397
Autorinnen und Autoren
I 409
Vorwort BENJAMIN BEIL, GUNDOLF S. FREYERMUTH UND LlSA GOTTO
»New Game Plus« bezeichnet im Computerspiel einen Modus, der nach dem ersten erfolgreichen Abschließen eines Spiels freigeschaltet wird. In diesem Modus behält der Spieler in der Regel Erfahrungspunkte und Ausrüstungsgegenstände aus dem ersten Spie/durchgang, muss das Spiel aber in einem höheren Schwierigkeitsgrad bewältigen. Der multidisziplinäre Charakter der Game Studies manifestiert sich inzwischen in einer Vielzahl von Methoden und Forschungsperspektiven, die sich stetig weiter ausdifferenzieren. Zwar dürfen die Game Studies immer noch als eine recht junge Disziplin gelten, da ihre Anfange erst auf die Jahrhundertwende datieren. Doch hat die Computerspielforschung gerade in den letzten Jahren durch einen sprunghaften Anstieg von Publikationen, die Gründung zahlreicher Netzwerke und Arbeitsgemeinschaften und nicht zuletzt durch eine beginnende lnstitutionalisierung ein rasantes Wachstum erfahren. Wie sieht nun aber ein zweiter >Spieldurchgang< der Game Studies aus? Viele prägende Debatten aus der Anfangszeit der Disziplin - allen voran der vermeintliche >Gründungsmythos< Ludologie vs. Narratologie- scheinen allenfalls noch historischen Wert besitzen. Das Forschungsfeld ist breiter, sein Untersuchungsgegenstand zum Massenmedium geworden; ebenso findet aber auch eine Vertiefung und Spezialisierung statt, da Computerspiele in immer mehr populärkulturelle Nischen vorstoßen. Die Herausforderung einer >Verbreiterung< des Faches scheinen die Game Studies dabei gerade in den letzten Jahren (mehr oder weniger) gut
8 I BENJAMIN BEIL I GUNDOLF S.
FREYERMUTH
I LISA GOTTO
gemeistert zu haben. Mittlerweile geht es kaum mehr nur um die >klassischen< Fragen, sondern grundlegender wie spezifischer um die Medialität, Tntermedialität und Transmedialität digitaler Spiele, um ihre Bildlichkeit und Auditivität, um Darstellungen ihrer Geschichte und ihres Designs, um den Einfluss auf Identitäts- und Genderkonstruktionen und eine Diffusion in die Popkultur. Es gibt rezeptions- wie produktionsästhetische Annäherungsweisen genauso wie empirisch-sozialwissenschaftliche Ansätze. Computerspielforscher entstammen der Literatur-, Film- oder Medienwissenschaft, der Pädagogik, der Soziologie, der Kommunikationswissenschaft, der Informatik oder der Praxis des Game Designs, um hier nur einige Fachrichtungen zu nennen. Eine solche Ausdifferenzierung ist jedoch nicht automati sch mit einer Vertiefung und Spezialisierung der Analysewerkzeuge gleichzusetzen, denn obwohl Konferenzen, Dissertationen/Habilitationen und Sammelbände zum Computerspiel mittlerweile keine Kuriositäten, sondern feste Bestandteile des akademischen Diskurses sind, steht eine nachhaltige Tnstitutionalisierung - insbesondere, aber nicht nur in der deutschsprachigen Computerspielforschung - noch am Anfang. Game Studies bleiben, auch im Zeitalter des Massenmediums Computerspiel, in vielen Fällen ein akademischer >Liebhaberdiskurszweites StandbeinOffiziellen< Forschungsinteresse existiert. Nur langsam ändert sich diese Situation im deutschen Sprachraum. 1 Dieser Band versteht sich daher als Bestandsaufnahme eines Faches im Umbruch. Dabei geht es um eine Verortung der Game Studies zwischen
Zwar setzen einzelne Professuren und Juniorprofessuren inzwischen einen deutlichen Schwerpunkt auf Game Studies, wenn sich dies auch (noch?) nicht in den Denominationen widerspiegelt (z.B. an der Hochschule fiir Bildende Künste Braunschweig, der Universität Paderborn und der Universität zu Köln). Darüber hinaus sind kleinere und größere Drittmittelprojekte sowie (vittuelle) Institute zur Computerspielforschung und zum Game Design entstanden (z.B. am Zentrum fiir Kunst und Medientechnologie in Karlsruhe, an der Hochschule fiir Medien in Stuttgart oder der Zürcher Hochschule der Künste). Schließlich wurde am Cologne Game Lab der Fachhochschule Köln im Kontext eines künstlerischwissenschaftlichen Bachelors »Digital Games« Anfang 2014 eine erste Professur fiir Game Studies eingerichtet. Von einer grundlegenden Etablierung des Fachs im deutschen Sprachraum aber kann bislang noch nicht die Rede sein.
VORWO RT
19
den Disziplinen, um Perspektiven und Perspektivierungen, Ausblicke und Rückblicke, um eine Präsentation neuer Ansätze und um die Re-Lektüre bestehender Forschungspfade. Welche (inter-)disziplinären Kooperationen haben sich als fruchtbar erwiesen, welche sind gescheitert? Wie verhalten sich GameStudiesund Game Design bzw. Game-Design-Theorie zueinander? Und nicht zuletzt: Wie hat der (massen-)kulturelle Durchbruch digitaler Spiele andere Disziplinen beeinflusst, etwa Literatur-, Kunst-, Theaterund Filmwissenschaft? Der Band gliedert sich in drei Kapitel: »Genres I Games«, »Künste I Kulturen« sowie »Diskurse I Disziplinen«. Den Auftakt macht jedoch - als Prolog - ein ebenso pointiertes wie provozierendes Manifest des Game Designers und Game-Design-Theoretikers Eric Zimmerman. Seine Grundthese lautet: War das 20. ein Jahrhundert der Information, so wird das 21. ein Jahrhundert der Spiele und des Spielerischen. Eine entscheidende Konsequenz, die Zimmerman mit diesem Wandel verbindet, betrifft den kulturellen Umgang mit den Spielen selbst: »Tm Iudischen Jahrhundert werden wir alle Game Designer. [ ... ] Je mehr Menschen spielend in das Iudische Jahrhundert eintauchen, desto mehr verwischen sich die Grenzen zwischen denen, die Spiele spielen, und denen, die sie designen.«2 (»Manife st für ein ludisches Jahrhundert«) Die vier Beiträge des Kapitels »Genres I Games« setzen dann jenseits einer >klassischen< Genreanalyse an, indem sie gerade nicht auf(den Untersuchungsgegenstand vem1eintlich ordnende) klassifikatorische Ansätze abzielen,3 sondern sich einerseits bewusst den Anomalien und blinden Flecken einer sich rasant massemnedial ausdifferenzierenden Computerspiellandschaft4 zuwenden und andererseits kritische Re-Lektüren und Reflexionen der interdisziplinären Schnittstellen der Game Studies vornehmen. Der Zusatztitel »Games« will außerdem verdeutlichen, dass alle vier Beiträge - indem sie die Unebenheiten ihrer Gegenstände und Diskurse hin-
2
In diesem BandS. 22f.
3
Vgl. z.B. Wolf, Mark J. P.: »Genre and the Video Game«, in: Ders. (Hg.), The Medium of the Video Game, Austin: University of Texas Press 2001, S. 11 3134; Apperley, Thomas H.: »Genre and Game Studies: Toward a Critical Approach to Video Game Genres«, in: Simulation & Gaming 37, I (2006), S. 6-23.
4
Vgl. u.a. Juul, Jesper: A Casual Revolution. Reinventing Video Gamesand Their Players, Cambridge: MIT Press 2010.
10
I BENJAMIN BEIL I GUNDOLF S. FREYERMUTH I LISA GOTTO
aber auch ernstnehmen - ihre Argumentation aus einer betont materialnahen, teils bewusst auf ein einzelnes Spiel fokussierten Perspektive heraus entwickeln. Ein erster blinder Fleck der Game Studies, der in den Blick genommen wird, sind sogenannte Editor-Games, Spiele wie MINECRAFT oder LITTLEBIGPLANET,5 die einen Schwerpunkt auf ein Verändern oder Ergänzen- ein Editieren -der Spielweit legen. Pablo Abend und Benjamin Beil dient dieses >Genre< als Ausgangspunkt einer kritischen Betrachtung verschiedener aktueller Positionen der Game Studies, die - so die These der Autoren - oft dazu tendieren, in ihren Analysen die nicht-ephemeren Elemente von Computerspielen (ihre Narrationen und audiovisuellen Qualitäten) zu betonen. Demgegenüber finden sich die Attraktionsmomente von Editor-Games »nicht mehr nur >im SpielForm follows fum vs. >Form follo ws functiom. Architekturgeschichte und -theorie als Paradigmen urbaner Dystopien im ComputerspieÜ() Einen solchen Zugang ftihrt er exemplarisch anhand der Untersuchung von Bauformen und Funktion urbaner Dystopien im Computerspiel vor. Dabei zeigt er, wie die Entwurfstechniken und Gestaltungsformen real existierender Architekturen in Computerspielen nicht nur adaptiert, sondern auch transformiert und moduliert werden, um dort eine je eigene Bildlichkeit und Erfahrbarkeit von virtuellen Räumen zu generieren. Das dritte Kapitel »Diskurse I Disziplinen« stellt zusammen und einander gegenüber, was nur zu häufig immer noch isoliert voneinander existiert: Ansätze der Game Studies aus den Geistes- und Sozialwissenschaften sowie aus der Game-Design-Theorie. Sie differieren in ihren Methoden, vor allem aber in ihren zentralen Erkenntnisinteressen. 18 Sucht Game-DesignTheorie vorrangig nach Antworten auf die Doppelfrage, was ein gutes Spiel charakterisiere und wie es sich künstlerisch-handwerklich herstellen lasse, so widmet sich sozialwissenschaftliche Forschung den diversen Wirkungen des Spielens; auf den Einzelnen, bestimmte soziale Gruppen sowie die Gesellschaft insgesamt. Geisteswissenschaftliche Forschung schließlich kon-
16 17
s. 250f. s. 270.
18 Vgl. dazu Freyermuth, Gundolf S.: »Serious Game(s) Studies. Schismen und Desiderate«, in : Gundolf S. Freyermuth/Lisa Gotto/Fabian Wallenfels (Hg.),
Serious Games, Exergames, Exerlearning: Zur Transmedialisierung und Gamification des Wissenstransfers, Bielefeld: transcript 2013, S. 421-464.
VORWORT
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zentriert sich primär auf die ästhetischen und kulturellen Bedeutungen, die Spiele besitzen und transportieren. Den Ausgangspunkt von Gundolf S. Freyermuths medienhistorischer Analyse des Verhältnisses digitaler Spiele zu analogen Spielen einerseits, zu analogen Audiovisionen andererseits bildet die Beobachtung, dass die Game Studies bislang über keinen gesicherten Begriff des Spiels verfügen. Tn der Absicht, eine historische Theorie digitaler Spiele zu entwerfen, identifiziert Freyermuth drei Entwicklungsschübe: eine prozeduraleWende seit den 1950er Jahren, eine hyperepische Wende seit den 1970er Jahre und eine hyperrealistische Wende seit den 1990er Jahren. ln der Summe führte diese Entwicklung dazu, dass digitale Spiele heute eine doppelte Alterität auszeichne, da sie in der Auseinandersetzung mit und Absetzung von diesen älteren Medien ihre eigene Identität formten und nur als deren spezifisches Anderes zum Leitmedium digitaler Kultur aufstiegen: »Im Prozess der Digitalisierung fiel und fällt digitalen Spielen [... ] die Rolle zu, die in der zweiten Phase der Industrialisierung nach Benjamins Feststellung der Film erfüllte: Einübung in eine neue, zunehmend von Virtualisierung geprägte Lebenswelt.« 19 (»Der Weg in die Alterität. Skizze einer historischen Theorie digitaler Spiele«) Aus der Perspektive des Game Designs und der Game-Design-Theorie orientieren sich Jesse Schells Überlegungen zum Verhältnis von Medialität und Narration zwar gleichfalls historisch, sein Blick richtet sich jedoch primär auf die unmittelbare Gegenwart und nahe Zukunft des Erzählens in digitalen Spielen. Gegenüber älteren Medien, insbesondere Roman, Theater und Film, scheinen Schell digitale Spiele medial noch behindert. ihre narrativen Kapazitäten gemahnen an die des Films um die Mitte der 1920er Jahre: Beeindruckende medienästhetische Leistungen stünden medientechnischer Unterentwicklung gegenüber, die künstlerisch einschränke. Eine Weiterentwicklung kündige sich jedoch an, die Schell in ihrer Bedeutung mit dem Übergang vom Stumm- zum Tonfilm vergleicht: die medientechnische Befähigung digitaler NPCs und Avatare, dank natürlicher Interfaces (Sprache, Geste, Berührung) und besserer KT die Spieler im weitesten Sinne zu verstehen. Damit könnten virtuelle Gefährten erschaffen werden - über einzelne Spiele und auch die Mediengrenzen hinweg - , »mit denen wir Spieler eine Bindung eingehen wollen, mit denen wir Zeit, ja einen wesentlichen
19 In diesem BandS. 345.
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Teil unseres Lebens verbringen wollen.«20 (»Die Zukunft des Erzählens. Wie das Medium Geschichten formt«) Reflektiert Jesse Schell aus der Sicht des Game Designers die medialen Bedingungen digitalen Erzählens, so Andre Czaudema aus der Sicht des Erziehungswissenschaftlers die medialen Bedingungen digitalen Lernens. Seine Analyse der Prozesse und Ergebnisse der Kommunikation auf den sozialen Plattformen -durchgeführt mit den Mitteln der objektiv hermeneutischen Sequenzanalyse am Beispiel eines POKEMON-Internetforums - zeichnet sich gegenüber früheren dadurch aus, dass Czaudema nicht allein die Lernergebnisse untersucht, sondern Lernen als sich entwickelnden Prozess betrachtet. Dabei kommt er zu dem Ergebnis: »Lehrenden in Schulen, Hochschulen und anderen Bildungsinstitutionen kann [...] empfohlen werden, den professionellen Einsatz von Internetforen in Erwägung zu ziehen.«21 Zu klären bleibe allerdings die Frage, »ob und unter welchen Bedingungen ihr Einsatz in (hoch)schulischen Kontexten zu ähnlich günstigen Lernprozessen und -ergebnissen, d.h. u.a. zu einem großen Engagement der Teilnehmer, elaborierten Diskussionspraktiken und Peer-to-Peer Leaming, kurz: zu einer funktionierenden Community of Practice, führen kann.«22 ())Prozesse des Lernens in Computerspielforen«) Den Schlusspunkt des Bandes bildet- im dialektischen Gegenschlag zu der weitsichtigen Makroperspektive, die Eric Zirnmenuans ludisches Manifest zu Beginn einnimmt - lan Bogosts Desiderat einer Medienmikroökologie. Die fraglose Popularisierung digitaler Spiele will er aus äußerster Nähe und von unten betrachtet sehen. Ziel müsse es sein, Games zu demystifizieren. Insofern kommt Bogost zu der Ansicht, dass die Gegenwart ein Prozess schleichender Normalisierung charakterisiere: »Über Jahrzehnte hinweg wurden Videospiele primär von Leuten gespielt, die ohnehin immer schon Videospiele spielten und Videospiele als Teil ihrer Identität betrachten. [...] Bald [jedoch] werden Gamer eine Anomalie sein. Wenn wir sehr viel Glück haben, dann werden sie vollständig verschwinden. Stattdessen wird es nur noch normale Leute geben, gewöhnliche Leute aller möglichen
20 S. 371. 21 Ebd. 22 S. 405.
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Arten. Und manchmal werden diese Leute Videospiele spielen.«23 (»Das Ende der GamerOriginal< unterscheidet. Doch vor dem Hintergrund, dass die mittlerweile unüberschaubare Vielfalt von Computerspielen ohnehin kaum noch weitreichendere Oe-
Aarseth, Espen: »Piaying Research: Methodological Approaches to Game Analysis«, in: Digital Arts & Culture 2003, S. 1-7, hier S. I.
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Abbildung l/2: SOLITAl RE und THE LAST OFUs
finitionen einer Gaming Culture mehr zulässt, kann man Aarseths argumentativer Zuspitzung durchaus dahingehend folgen, dass diejenigen Aspekte, die Computerspielen zum massenmedialen Durchbruch verholfen haben, über >traditionelle< Spiele hinausgehen. So hat etwa das sehr erfolg- wie einflussreiche Action-Adventure TH E LAST OF Us 2 nur noch wenig mit SOLITÄR- in der >traditionellenverspielte Gesellschaft< und den Siegeszug der Casual Games hier keineswegs bestritten werden. Vgl. u.a. Juul, Jesper: A Casual Revolution. Reinventing Video Games and Their Players, Cambridge: MIT Press 2010; Fuchs, Mathias et al. (Hg.): Rethinking Gamiflca-
tion, Lüneburg: Meson Press 2014; Stampfl, Nora: Die verspielte Gesellschaft. Gamification oder das Leben im Zeitalter des Computerspiels, Hannover: Reise 2002.
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Thus, they become visible and textualizable for the aesthetic observer, in a way the previous phenomena were not.«4 Die Konsequenzen für die Game Studies sind dabei durchaus gewichtig. So ließe sich zuspitzen, dass erst aufgrund dieser nicht-ephemeren Elemente das Computerspiel überhaupt eine breite akademische Aufmerksamkeit erfahren hat5 - wenn auch, folgt man Aarseth weiter, aufKosten der medialen Spezifik: »However, this sudden visibility [ ... ] produces certain blind spots in the aesthetic observer, especially if he/she is trained in textual/visual analysis, as is usually the case. Inslead of treating the new phenomena carefully, and as objects of a study for which no methodology yet exists, they are analyzed willy-nilly, with tools that happen to be at hand, such as film theory or narratology, from Aristotle onwards. The cautious sem·ch for a methodology, which we should have reason to expect ofreflective practitioners in any new field, is suspiciously absent from most current aesthetic analyses of games.«6 Es ließe sich vortrefflich darüber streiten, ob diese von Aarseth problematisierten »blind spots« die Game Studies - über ein Jahrzehnt nach der Veröffentlichung des zitierten Textes - immer noch in gleicher Weise prägen oder ob nicht einige dieser Löcher im Zuge der akademischen Ausdifferenzierung mittlerweile geschlossen wurden. Ohnehin will dieser Prolog keineswegs suggerieren, dass sich die Game Studies nur aus der Analyse narrativer oder audiovisueller Reize des Computerspiels speisen. Dennoch erscheint die Beobachtung nicht ganz falsch, dass sich die Mehrheit der Analysewerkzeuge, die die Game Studies bislang hervorgebracht haben, auf
4 5
E. Aarseth: »Playing Research«, S. I. Dies mag für die Geistes- und Kulturwissenschaften in stärkerem Maße gelten als beispielsweise ftir die Erziehungswissenschaften. Doch ließe sich hier wiederum einwenden, dass in der Padägogik ohnehin die >traditionellenden üblichen Verdächtigenreichhaltigen< Spielen,9 besonders häufig akademische Aufmerksamkeit zuteil wird.
7
Dies lässt sich u.a. an den Gliederungen und Lemmata verschiedener Einführungen in die Game Studies ablesen, die in der Melrrzahl an Analysen der nichtephemeren Aspekte orientiert sind. Vgl. z.B. Mäyrä, Frans: An Introduc/ion to
Game Studies, London u.a.: SAGE Publ. 2008; GamesCoop ( Hg.): Theorien des Computerspiels - zur Einführung, Hamburg: Junius 2012; Wolf, Mark J. P./Perron, Bernat·d (Hg.): The Routledge Companion to Video Game Studie.\·, New York u.a. : Routledge 2014. 8
Vgl. Neitzel, Britta!Nohr, Rolf F.: »Game Studies«, in: Medienwissenschaft. Re-
zensionen 4 (20 I 0), S. 41 6-435. 9
Wie z.B. der SILENT HTLL-Reihe (Konami seit 1999, 0: Konami u.a.). Vgl. u.a. Neitzel, Britta!Bopp, Matthias/Nohr, RolfF. (Hg.): >See? l'm Real... < Multidis-
ziplinäre Zugänge zum Computerspiel am Beispiel von Silent Hili, Münster: LIT
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Abbildung 3: MINECRA FT
Umso größer ist dann nämlich der >SchockEditoren-Stil< geprägt: Es gibt (praktisch) keine konkreten Spielziele, vielmehr verlässt sich das Programm fast ausschließlich auf die Kreativität der Spieler. 11 Ein erster lmpuls wäre, MINECRAFT, wie die unzähligen So-
2004; Perron, Bernard: Silent Hill. The Terror Engine, Ann Arbor: University of Michigan Press 20 11. 10 MINECRAFT (Mojang/Microsoft Games Studios 2011, 0: Mojang/4J Studios). 11 MTNECRAFT erlaubt verschiedene Spielvarianten: ( 1) den Creative-Mode, der vor allem zur Erstellung großer und komplizierter Bauwerke dient, da der Spieler unbegrenzte Mengen an Blöcken (Ressourcen) zur VerfUgung hat; (2) den
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I PABLO ABEND I BENJAMIN BEIL
Abbildung 4:
THE LASTOFUS
in MINECRAFT
LITÄR- Varianten, an die Peripherie der Game Studies zu rücken, wirkt das
Spiel doch in v ie len Punkten geradezu w ie ein Gegenentwurf zu aktuellen Tendenzen der Computerspielindustrie. N icht nur hebt sich die aus großen Würfeln zusammengesetzte >pixelige< Spielwelt deutlich von zeitgenössischen, oftmals geradezu fotorealistischen Spielgrafiken ab. Auch das offene, eher rudimentäre Spielprinzip erscheint in seiner >Dramaturgie< seltsam fremdartig im Vergleich zu (erzählerisch) aufwändig inszenierten Vertretern anderer Spielgenres. Gegen eine solche >Marginalisierung< spricht aber nicht nur der außerordentliche kommerzielle Erfolg des Spiels, 12 sondern
Survival-Mode, der einen Tag-/Nachtwechsel simuliert und den Spieler zum Ressourcenmanagement bzw. zum Bauen eines Verstecks zwingt, das ihn vor Monstern schützt, die in der Nacht die Spielwelt bevölkern - allerdings bleibt auch in diesem vermeintlich eher >kl assischen< Spielmodus der Editor-Aspekt das dominierende Spielprinzip. 12 2009 von dem kleinen schwedischen Independent-Entwickler Studio Mojang flir den PC veröffentlicht, entwickelte sich MINECRAFT innerhalb von wenigen Monaten von einem Geheimtipp der Spielerszene zum weltweiten Bestseller. lnzwischen hat sich MTNECRAFT über 54 Millionen Mal verkauft (Stand: Juni 20 14) und ist auf nahezu allen gängigen Spielplattformen zu finden, von aktuellen High-End Spielekonsolen, wie der Xbox One, bis hin zu Smartphones.
EDITOR-GAMES 133
auch die enorme Wirkung, die das >Phänomen MINECRAFT< mittlerweile innerhalb (und auch außerhalb) der Gaming Culture hat. 13 Zudem sind die Bilder, die MINECRAFT immer wieder aufs Neue in die (massen-)medialen Aufmerksamkeitszentren befördern, normalerweise keine leeren Felder, sondern von Spielern kreierte, beeindruckende bis bizarre Pixelbauprojekte, meist Nachbauten bekannter fiktionaler und non-fiktionaler Welten. Vom Kölner Dom bis zum Raumschiff Enterprise findet sich nahezu jedes mehr oder weniger bekannte Motiv, das stets zwischen einer eindeutigen Wiedererkennbarkeit und der MlNECRAFT-typischen blockigen 3D-Pixel-Optik oszilliert. So hat etwa auch THE LASTOFUs längst eine populärkulturelle Adelung durch einen entsprechenden MTNECRAFT-Nachbau erhalten. Die Faszination, die MlNECRAFT ausmacht, findet sich somit nicht mehr nur >im Spielfreiwillige< Arbeit des Spielers hinterfragen (die sogenannte Playbour-Diskussion35). Die Relevanz solcher Ansätze soll hier keineswegs infrage gestellt werden - im Gegenteil. Doch während eine solche Diskussion im Wesentlichen an ähnliche, breiter gefasste kulturkritische Ansätze zu partizipativen Medienkulturen anschließt, fällt auf, dass populäre - man könnte auch sagen: massenkompatible-Variationenvon Modding-Praktiken so gut wie keine Rolle spielen. Dabei ist das entscheidende Merkmal von Spielen wie MINECRAFT gerade ihre Öffnung für eine größere, heterogenere Spielerschaft- wobei es gar nicht in erster Linie um eine (vermeintlich) geringere Komplexität dieser Spiele geht, denn auch MINECRAFT tendiert durchaus dazu, Expertenkulturen hervorzubringen. 36 Zentral sind vielmehr einerseits der Aspekt der Zugänglichkeit und andererseits vor allem eine Art Umwidmung des Moddings als >spielerische FormKomplexitätssteigerung< durch Modding in Form von Erweiterungen, die dem Basisprogramm neue Funktionen hinzufügen.
EDITOR-GAMES 137
Spielwelt selbst. Modding bildet gar - so könnte man zuspitzen - das eigentliche Spielprinzip. Um diese Differenzierung zu verdeutlichen, sollen MINECRAFT und andere Spiele, wie die LITTLEBIGPLANET-Reihe, DISNEY lNFlNITY oder auch GARRY'S Moo, 37 d.h. Spiele, die einen Schwerpunkt auf ein Verändern oder Ergänzen - ein Editieren - der Spielwelt legen, im Folgenden als Editor-Games bezeichnet werden.
3.
METHODISCHE ÄUSRICHTUNG(EN)
Die folgenden Überlegungen bilden einen Ausblick und keineswegs ein ausgearbeitetes Theoriedesign. Sie sind vor allem als Beitrag zu den für diesen Band titelgebenden Perspektiven der Game Studies zu verstehen, indem sie eine weitere Facette der massenkulturellen Ausdifferenzierung des Computerspiels aufzeigen und daran anschließend verschiedene (mögliche) theoretische Entwicklungsrichtungen skizzieren. Vor dem Hintergrund der einleitenden kursorischen Anmerkungen lassen sich - keineswegs trennscharf- (mindestens) drei maßgebliche Forschungsperspektiven auf Editor-Games heuristisch unterschieden: Erstens eine medienhistorische Perspektive, die die Entstehung von Editor-Games vor dem Hintergrund der Geschichte des Game Moddings nachzeichnet und zudem die bereits benannte Ausdifferenzierung von Expertenkulturen und populären partizipativen Spielpraktiken kritisch hinterfragt. Zweitens eine medienästhetische Perspektive, die einerseits die von den Spielern gebauten Welten in den Mittelpunkt rückt, andererseits- und vielleicht entscheidender - die >Programm-Ästhetiken< der EditorGames selbst analysiert, insbesondere die aufgezeigte >Verschmelzung< von Editor und Spielwelt
37 LITTLEBIGPLANET-Reihe (Sony Computer Entertainment seit 2008, 0: Media Moleeule u.a.); DISNEY INFTNJTY (Disney lnteractive Studios 2013, 0 : Avalanche Software); GARRY'S MOD (Valve Corporation 2004, 0: Facepunch Studios).
38
I PABLO ABEND I BENJAMIN BEIL Drittens eine medienethnographische oder praxeologische Perspektive, die einzelne Spieler und deren (partizipative) Spielpraktiken sowie Modding- bzw. Editor-Games-Communities in den Blick nimmt.
Alle drei Perspektiven können im Folgenden nur kurz angerissen werden. Zudem wird auf das >Phänomen MINECRAFT< erst wieder am Ende dieses Artikels zurückzukommen sein. So bietet MINECRAFT zwar den wichtigsten Ausgangs- wie Fluchtpunkt dieses Beitrags, demonstriert aber gleichzeitig, dass die Entwicklung analytischer Ansätze zu solchen Spielphänomenen noch ganz am Anfang steht.
3.1 Vom Game Modding zum Editor-Game »Theoretically speaking, every little alteration made to the program code of any commercial entertainment software can be treated as a mod and therefore it is not easy to determine who made the first mod and what was it like«38 - und so kann im Grunde bereits eines der ersten Computerspiele überhaupt, SPACEWAR! aus dem Jahre 1962, als eine Mod gesehen werden, da das Programm, das vor allem als Demo-Software auf Großrechnern von Universitäten Verbreitung fand, an praktisch jedem Campus begeistert umprogrammiert wurde. 39 »While it would be quite a stretch to call the handful of SPACEWAR! hackers on selected research facilities a modding culture, they nevertheless were doing the same thing that modders do today: modifying a game someone eise has created to their own personal likings. Furthermore, the pioneering hackers exhibited certain qua1ities, which would become crucial not only in the development of modding culture, but also in the overall advancement of information technology. These qualities are often summed up as the >hacker ethiccliffe< Cliffe, die noch heute ft.ir Valve arbeiten, sind dabei zu zwei über die Mod-Szene hinaus bekannten Persönlichkeiten geworden. Zwar wird am Beispiel Gooseman und cliffe immer wieder die Funktion von ModProjekten als Karriere-Sprungbrett aufgezeigt, die Zahl der tatsächlichen >Modder Starsfreien< Mod-Projekten zwar häufig eine große Anerkennung ftir das Engagement ihrer Schöpfer (und für deren Innovationsfreudigkeit und Kreativität) gebühren, ihr tatsächlicher Einfluss fällt zahlenmäßig letztlich jedoch sehr gering aus. Zwar nehmen Modding-Praktiken insgesamt stetig zu - was aber schlicht auch ein Effekt der wachsenden Verbreitung von Computerspielen sein dürfte. Daneben werden die Distribution von Mods und die Vernetzung von Modding-Communities durch Web 2.0-Technologien fortwährend erleichtert. Doch sorgen gerade diese Techniken durch Auswahlmechanismen und Rankings auch daftlr, dass sich nur einige wenige Mods wirklich durchsetzen. Wird Modding also einfach nur professioneller? Sind Konzepte wie ein Gaming 2.056 oder eine digitale Spielkultur 2.057 nur ein >Anhängsel< oder vielmehr ein Werbeslogan einer zunehmend kommerzialisierten partizipativen Gaming Culture? An dieser Stelle soll der Fokus der Argumentation verschoben werdenund zwar von den Modding-Scenes im engeren Sinne hin zu >populären< Formen der Erstellung oder Veränderung von Computerspielinhalten. Es soll um Leveleditoren, gehen, d.h. Programme, die zur Erstellung neuer
54 J. Kücklich: »Precarious Playbour«. 55 Zu verschiedenen Formen einer Kommerzialisierung von Modding vgl. L. Jeppesen: »Profiting From Innovative User Communities«; D. Nieborg/S. van der Graaf: »The Mod lndustries?«; Postigo, Hector: »OfMods and Modders. Chasing Down the Value of Fan-Based Digital Game Modifications«, in: Games and
Culture 2, 4 (2007), S. 300-3 13. 56 Tolino, Aldo: Gaming 2.0- Computerspiele und Kulturproduktion, Boizenburg: vwh 2010. 57 R. Biermannet al.: »Digitale Spiele und Spielkulturen im Wandel«.
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Abbildung 5/6: PINBALL CONTRUCTION SET- Spielansicht und Cover
oder der Bearbeitung bestehender Level, Karten, Missionen, Figuren oder Ttems eines Computerspiels genutzt werden. Es ließe sich freilich einwenden, dass auch die (semi-)professionellen Modding-Communities (spezialisierte) Editoren nutzen- doch obgleich die Übergänge fließend sind, soll es im Folgenden vor allem um diejenigen Editoren gehen, die auch den >normalen< Spieler ansprechen, d.h. Programme, die keine oder nur rudimentäre Vorkenntnisse im Bereich des Game Designs bzw. der Game lnformatics voraussetzen und die üblicherweise bereits einem Spiel beigefügt sind oder kurz nach der Veröffentlichung als Download angeboten werden. Mehr noch: Es geht um Programme, die den Spieler durch ihre Zugänglichkeit sozusagen zu Modding-Praktiken animieren. Als Vater dieser Art von Leveleditoren darf Bill Budge gelten, der 1983 das PINBALL CONSTRUCTTON SET58 entwickelte. 59 Das Programm erlaubt das einfache Erstellen von Flippertischen aus einer Auswahl verschiedener Bausteine, die per Drag&Drop auf der Spielfläche platziert werden. Das PINBALL CONSTRUCTION SET wird im Handbuch wie folgt angepriesen: »No programming or typing is necessary. Just take parts from the set and
58 PINBALL CONSTRUCTION SET (Electronic Arts 1983, 0: BudgeCo ). 59 Vgl. T. Sihvonen: Players Unleashed, S. 60-62.
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put them on the game board. Press a button to play!«60 Die Betonung der Zugänglichkeit setzt sich dabei auch in der Gestaltung des Covers fort, das eine Art Bastei-Set zeigt und damit den virtuellen bzw. digitalen Charakter des Programms zu überdecken versucht. Das PINBALL CONSTRUCTION SET erwies sich als ein enormer kommerzieller Erfolg und zog eine ganze Reihe von Fortsetzungen nach sich- u.a. das RACING DESTRUCTION SET,61 aber auch weniger an klassischen Spielgemes orientierte Programme, wie das Musrc CüNSTRUCTION SET,62 das als einer der Vorläufer für Education-Software gelten darf. Ende der 1980er Jahre verliert sich diese Spur der Vorläufer von EditorGames. Leveleditoren finden zwar nach wie vor Verwendung, vor allem als Karteneditoren im Strategiespielbereich. Sie sind aber häufig eher ein Bonusfeature, das weit hinter der Beliebtheit früherer Construction Sets zurückbleibt. Dies ändert sich 2008 mit dem Erscheinen des Spiels LITTLEBIGPLANET flir die Playstation 3 - dem bis heute wohl prominentesten Beispiel für die wachsende Bedeutung von User Generated Content insbesondere im Bereich der Konsolenspiele. Von Kritikern hoch gelobt gilt Media Molecules Jump'n'Run-Baukasten bis heute als Meilenstein des Gaming 2.0, 63 was vor allem durch die Gestaltung und Einbindung des Leveleditors in das Spiel beg1ündet ist - und damit ist die Diskussion bei einer gerraueren Analyse der Editorenwerkzeuge angekommen.
3.2 Programm-Ästhetiken Die Story-Kampagne von LITTLEBIGPLANET umfasst sechs bis acht Spielstunden und kann mit bis zu vier Spielern bestritten werden. Das eigentliche Kernstück von Sonys Vorzeigetitel bildet jedoch der Leveleditor des
60 Zit. n. Barton, Matt/Loguidice, Bill: »The History of the Pinball Construction Set: Launehing Millians of Creative Possibilities« (06.02.2009), http://www. gamasutra.com/view/feature/3923/the_history_of_the_pinball_.php 61 RACING DESTRUCTION SET (Eiectronic Arts 1985, 0: Rick Koenig). 62 MUSTC CONSTRUCTTON SET (Eiectronic Arts 1984, 0: Will Harvey). 63 Carless, S.: »Why LittleBigPlanet is Web 2.0 for Games, Fulfilled« (13.10.2008), http://www.gamesetwatch.com/2008/10/opinion_ why_littlebigplanet_is.php
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Abbildung 7: LITTLEBIGPLANET- Editor
Spiels, der eine - zumindest für Konsolenspi e le - einzigartige Fülle an Funktionalitäten bietet. Zudem können di e selbst erstellten Level mit Hilfe eines integrierten Sharing-Systems über das Playstation Network veröffentlicht und so der LITILEBIGPLANET-Community zugänglich gemacht werden. Das Computerspiel-Fachportal Gamasutra sieht den LITILEBIGPLANETLeveleditor als e ine der wichtigsten Innovationen des Jahres 2008: »LITTLEBIGPLANET is as much about enabling gamers to participate in Ievel design as anything else, which means its user design experience needed to at least approach the Ievel of accessibility seen in more traditional gameplay. Certainly, creating a LITTLEBIGPLANET Ievel requires more investment of time and creativity than playing a LlTTLEBIGPLANET Ievel, but it is telling that the lines between the two can be somewhat blurred. It is perhaps even more telling that, thanks to the game's intuitive, real-time nature of Ievel editing, Media Moleeule has shipped a creation mechanic that has proved enormously usable for end users while remairring standard issue for the studio' s professional designers.«64
64 Remo, Chris: »Gamasutra's Best Of2008: Top 5 Gameplay Mechanics« ( 11.1 2. 2008), http :1/www .gamasutra.com/php-bin/news_ index.php?story=21380#. UTs XChx-c-8
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Abbildung 8: LIITLEBIGPLANET- Spielwelt
Es kann und soll hier nicht detailliert auf die genaue Funktionsweise des Leveleditors von LlTTLEBIGPLANET eingegangen werden. Hervorzuheben ist an dieser Stelle vielmehr die Einbindung des Editors (1) durch eine insbesondere für Einsteiger sehr zugängliche Benutzeroberfläche und (2) über eine Art Editor-Ästhetik, die geschickt in die LITTLEBTGPLANET-Spielwelt integriert wurde. Ad 1) Obwohl der Leveleditor letztlich ein recht komplexes Werkzeug darstellt, ist dieses Tool in LITTLEBIGPLANET keinesfalls als ein Bonusfeature für besonders versierte Spieler gedacht, sondern soll gezielt auch Gelegenheitsspieler als neue Zielgruppe erschließen. Jede Funktional ität des Editors wird durch Videotutorials begleitet. Zudem unterscheidet sich die Darstellung des Editors nicht wesentlich von der Ansicht im eigentlichen Spielmodus. LITILEBIGPLANET verzichtet auf eine abstrakte Werkzeugpalette, stattdessen wird die Avatarfigur zum >BaumeisterUniversalwerkzeug Sackboy< angepasst und platziert werden. Dieses von Gamasutra angepriesene »real-time level editing« markiert durch die gezielte Annäherung von Spielwelt- und Editordarstellung somit eine entscheidende Strategie bei der spielerischen Integration von Modding-Features. Ad 2) Diese Annäherung wird zudem dadurch begünstigt, dass sich eine Art Editor-Ästhetik durch das komplette Design von LITILEBIGPLANET
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zieht. Dies beginnt mit dem A vatar Sackboy - einer Stoffpuppe, die vom Spieler individuell verändert und mit hunderten unterschiedlicher Kleidungsstücke und Ttems versehen werden kann - und setzt sich im Leveldesign fort. Denn LITILEBIGPLANET besteht nicht aus einer geschlossenen, kohärenten Spielwelt, sondern ist vielmehr als Bricolage zu sehen. Als Quelle dienen die verschiedensten Themen und Motive - von der antiken Mythologie bis hin zur postmodernen Popkultur- und somit ist LITILEBIGPLANET besonders offen für eine Vorliebe der Mod-Szene, Versatzstücke aus verschiedenen Fan-Kulturen zu verarbeiten. LITTLEBIGPLANET hat neben einer Reihe von Portierungen 65 und Spinoffs66 im Jahr 2011 mit LTTTLEBTGPLANET 2 67 einen erfolgreichen Nachfolger gefunden, der das zugängliche Editor-Prinzip aufgreift und mit zusätzlichen Funktionen anreichert, etwa der Möglichkeit nicht mehr nur Jump'n' Run-Level zu erstellen, sondern weitere (einfache) Areade-Spielmechanismen umzusetzen. Als Gaming 2.0-Flagschiff ist LTTILEBTGPLANET allerdings mittlerweile durch MINECRAFT abgelöst worden, das einige Features und Charakteristika von LITILEBIGPLANET aufgreift, insbesondere eine - wenn auch grafisch gänzlich anders umgesetzte - Editor-Ästhetik, die ebenfalls ein Editieren durch einen Avatar direkt in der Spielwelt erlaubt. Zudem geht MINECRAFT noch einen entscheidenden Schritt weiter, indem das Spiel die Grenze zwischen Editor und Spiel - die bei LITILEBIGPLANET zwar zunehmend unscharf wird, aber durch die separaten Spiel- und Editormodi durchaus noch präsent ist - praktisch aufhebt und das stetige Editieren der Spielwelt zum eigentlichen Spielprinzip erhebt. 68
65 LTTTLEBTGPLANET PSP (Sony Computer Entertainment 2009, 0: Media Moleeule); LITTLEBIGPLANET PS VITA (Sony Computer Entertainment 2012, 0: Double Eleven). 66 SACKBOY'S PREHISTORIC MO VES (Sony Computer Entertainment 20 I 0, 0: Xdev); LlTTLEBTGPLANET KARTTNG (Sony Computer Entertainment 2012, 0: United Front Games). 67 LITTLEBIGPLANET 2 (Sony Computer Entertainment 2011, 0: Media Molecule). 68 Für einen ähnlich perspektivierten Versuch, das Spiel THE SIMS (Electronic Arts 2000, 0: Maxis) im Spannungsfeld zwischen Gameplay und Modding zu veror-
ten, vgl. Tanja Sihvonens umfangreiche Studie Players Unleashed!: »THE SIMS [... ] has always been more like a toolset and alaunehing pad for players' creative aspirations than a fixed system of rules, means and objectives (which are
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3.3 Skripte der Partizipation Die Mediengeschichte der Leveleditoren und Editor-Games ist bislang kaum erforscht und spielt allenfalls in den Fußnoten der Studien zu Modding eine Rolle. Natürlich setzt das Modding von Computerspielen voraus, dass es Werkzeuge zur Veränderung der Spielinhalte und -Strukturen gibt, jedoch stehen im Zentrum der Arbeiten zu Modding-Cultures in der Regel nur die Endprodukte, d.h. die fertigen Mods, nicht aber deren Entstehungsprozess. Solche »ergebnisorientierten ß etrachtung[en]« 69 verkennen den Akteurstatus von Entwurfstechniken, die Relevanz von Designprozessen und vor allem auch die Bedeutung von Communities. Um die Brücke zwischen Nutzerpraxen und Technikanalyse zu schlagen/0 lässt sich an die Analyse des LITILEBlGPLANET-Editors nun die Frage anschließen, welche - mit Madeleine Akrich71 gesprochen - Skripte der Partizipation den jeweiligen Editor-Programmen eingeschrieben sind. Diese im Fall der Modding Cultures besonders anschauliche Gegenüberstellung zwischen einer impliziten Partizipation (in den Skripten der Software) und realen Partizipationspraktiken (den konkreten Handlungen des Spie-
considered typical of the organization of digital games, in general). The players of THE SIMS do not only play the game, but they modify its contents and form to suit their individualist self-expressive purpose« (T. Sihvonen: Players Unleashed, S. 185).
69 Gethmann, Daniei/Hauser, Susanne: »Einleitung«, in: Dies. (Hg.), Kulturtechnik Entwerfen. Praktiken, Konzepte und Medien in Architektur und Design Science,
Bielefeld: transcript 2009, S. 9-15, hier S. 9. 70 Vgl. Hillgärtner, Harald: »Sauerbraten! Jawohl! Eine Game-Engine als Kollaborationsplattform«, in: Matthias Bopp/Serjoscha Wiemer/Rolf F. Nohr (Hg.), Shooter. Eine multidisziplinäre Eif?fuhrung, Münster: LlT 2009, S. 267-284; A.
Knorr: Cyberanthropology. 71 Akrich, Madeleine: »The De-Scription of Technical Objects«, in: Wiebe E. Bijker/John Law (Hg.), Shaping Technology/Building Society. Studies in Sociotechnical Change, Cambridge: MIT Press 1992, S. 205-224; vgl. hierzu auch
Schröter, Jens (2010): »Zur Analyse multimedialer Systeme«, in: Jürgen Schläder (Hg.), Per.forming Intermediality. Mediale Wechselwirkungen im experimentellen Theater der Gegenwart, Leipzig: Henschel, S. 202-219.
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lers) verdeutlicht dabei den nicht selten konflikthaften Charakter partizipativer Medienkulturen. 72 So argumentiert etwa Christian Trapp: »Ein Vergleich des HAMMER-C3J und des LITILEBIGPLANET-Editors zeigt zwei grundlegend verschiedene >Philosophien< des Moddings. Dabei mag auf den ersten Blick der LIITLEBIGPLANET-Editor durch seine direkte Integration ins Spiel einen stärkeren >Mod-Charakter< aufweisen. Auf den zweiten Blick zeigt sich jedoch, dass der Level-Editor als >Feature< nur ein sehr begrenztes bzw. kontrolliertes Maß an Änderungen erlaubt. Der Spieler >spielt< im Grunde nur das Spiel in den Grenzen der vorgegebenen Entfaltungsmöglichkeiten, indem er Level gestaltet.«74
72 Eine etwas anders konturierte Differenzierung unterschiedlicher Partizipationsformen findet sich bei Schäfer, M irko Tobias: Bastard Culture! How User Par-
ticipation Transforms Cultural Production, Amsterdam: Amsterdam University Press 2011. Schäfer unterscheidet zwischen impliziter und expliziter Partizipati-
on. Die Variante der impliziten Partizipation ist nicht an die Einwilligung und bewusste Entscheidung zur Teilhabe gebunden, sondern wird vielmehr durch das Design des Interfaces bestimmt. So werden Operationen wie das Teilen von Links oder die semantische Anreicherung von Informationen durch die Nutzer übernommen. Dagegen ist die explizite Partizipation motivational bestimmt und erfordert einen höheren Einsatz auf Seiten der Nutzer sowie die aktive Teilnahme in einer Community. Für das Modding als explizite Pa1tizipation liegen Studien zu den Motiven der Beteiligung vor: Hier werden intrinsische und extrinsische motivationale Faktoren unterschieden, bspw. die Verbesserung eigener technischer Fähigkeiten, die Leistung eines Beitrags für die Community sowie die Aussicht auf einen Job in der Spielebranche (vgl. H. Postigo: »OfMods and Modders«; K. Behr: Kreativer Umgang mit Computerspielen). Die impliziten Partizipationsstrukturen, die in das Design der Spiele eingeschrieben sind, bilden hingegen ein Desiderat der Forschung zu partizipativen Spieler-Communities. 73 Der HAMMER-Editor ist ein von Valve veröffentlichtes Programm, das insbesondere von der HALF-LI FE-Mod-Community zur Erstellung von Maps, aber auch von umfangreicheren Mod-Projekten genutzt wird. 74 Trapp, Christian: »Aktant - Spieler«, in: Benjamin Bei11Thomas Herrsei (Hg.),
Game Labaratory Studies, Siegen: universi 2011, S. 131-134, hier S. 133.
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So gut begründet Trapps Einwände sein mögen, so deutlich zielt eine solche Argumentation aber auch auf ein bestimmtes >Ideal< von >freienhacker spirit< der Mod-Bewegung betont. Vor diesem Hintergrund ist es zwar nur folgerichtig, die Einschränkungen der Funktionalität des Editors in LITTLEBIGPLANET kritisch hervorzuheben doch ebenso sind es gerade diese Einschränkungen, die ein >Spielen< des Editors erst möglich machen. So zeigt sich, dass populäre Modding-Praktiken längst ein >(massen)kulturelles Eigenleben< entwickelt haben, das sich nicht mehr hinreichend mit einer Kategorie wie dem Freiheitsgrad der technischen Änderungsmöglichkeiten beschreiben lässt. Ein ähnliches Argument lässt sich fUr das Beispiel MINECRAFT formulieren: Natürlich ist das Programm einerseits offener für >freie< ModdingPraktiken als LITTLEBIGPLANET, da das Spiel nicht auf die geschlossene Hardware-Plattform der Playstation 3 beschränkt ist. Andererseits lässt sich aber auch hier einwenden, dass die Editor-Ä sthetik keineswegs den professionellen Editorenwerkzeugen folgt, da ein Editieren aus einer First-PersonA vatar-Perspektive auf den ersten B Iiek als ein geradezu umständliches Interface-Konzept anmuten mag. Doch auch in diesem Fall ist es entscheidend, einen umfassenderen Blick auf die MINECRAFT umlagernden Spielkulturen und deren >Ästhetiken des Editierens< zu werfen. Vor diesem Hintergrund zeigt sich nämlich, dass gerade die First-Person-Editoren-Perspektive eine Verschmelzung von Spiel und Editor realisiert und gleichzeitig ein gemeinsames Editieren der Spielwelt mit mehreren Spielern - und damit eine Art Mulitplayer-Modus- begünstigt. Aufgrund der Charakteristika der Editor-Games, ihrer Offenheit, Unmarkiertheit und Prozessualität, bedarf es somit Methoden der Computerspielanalyse, die eine praxeologische Perspektive beinhalten, um Computerspiele >in the making< zu adressieren und Spielhandlungen in situ75 erfahrbar zu machen. Es geht also darum, sich nicht mit der Betrachtung einer Seite zufrieden zu geben, sondern permanent zwischen den eingeschriebenen artefaktseitigen Handlungsinitativen und den nutzerseitigen Verschiebungen zu wechseln.76 Die theoretischen und methodologischen Leitkon-
75 Vgl. Suchman, Lucy A.: Plansand Situated Actions. The Problem ofHumanMachine Communication, Cambridge: Cambridge University Press 1999.
76 Vgl. M. Akrich: »The De-Scription ofTechnical Objects«, S. 208-209.
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zepte für die hier vorgeschlagene Form einer praxeologisch ausgerichteten Perspektive der Game Studies bietet die Techniksoziologie an, die seit ihrer Entstehung aus den sozialwissenschaftliehen Wissenschafts- und Laborstudien maßgeblich von den Vertretern der Akteur-Netzwerk-Theorie (ANT) vorangetrieben wurde. Bekanntermaßen propagiert die ANT ein sogenanntes Symmetrieprinzip, das es erlaubt, menschlichen und nicht-menschlichen Akteuren in einem Handlungszusammenhang gleichermaßen Agency, eine Handlungsinitiative, zuzugestehen. 77 Bei der Untersuchung von Editor-Games erscheint es somit sinnvoll, nicht zwischen sozialen, technischen und natürlichen Gegebenheiten zu unterscheiden, sondern eine Symmetrie einzufordern, die sich im vorliegenden Anwendungsfall primär in der Gleichbehandlung von den Moddern und den Editoren vollzieht. 78 Modding-Communities entstehen demzufolge nicht allein durch das kommunikative Handeln der Subjekte, sondern auch durch die konkrete Interaktion mit Medientechnologien. Ein Editieren der Spielwelt muss in der Analyse daher als ein Handlungsprogramm verstanden werden, das sich aus einem historisch gewachsenen Kollektiv von Nutzern und Nutzergemeinschaften, Techniken, Zeichen und Wahrnehmungen speist. Diese Elemente bilden gemeinsam ein heterogenes Netzwerk - wobei Netzwerk hier keinesfalls strukturell gedacht werden soll, sondern als Verknüpfung von sozio-technischen Handlungsprogrammen/~ entsprechend der analytischen Unterscheidung von Softwareunternehmen, Spielern, Modding-Communities, Spielen und Editoren. Auf diese Weise bildet die ANT einen Zugang zu medialen Handlungspraktiken, der
77 Vgl. Latour, Bruno: »Über technische Vermittlung«, in: Werner Rammert (Hg.), Technik und Sozialtheorie, Frankfurt a.M.: Campus 1998, S. 29-82; Schüttpelz, Erhard: »Elemente einer Akteur-Medien-Theorie«, in: Tristan Thielmann/Ders./ Peter Gendolla (Hg.), Akteur-Medien-Theorie, Bielefeld: transcript 20 13, S. 967. 78 Vgl. B. Latour: »Über technische Vermittlung«; Latour, Bruno: »Sozialtheorie und die Erforschung computerisierter Arbeitsumgebungen«, in: Andrea Belliger/David Krieger (Hg.), ANThology. Ein einführendes Handbuch zur AkteurNetzwerk-Theorie, Bielefeld: transcript 2006a, S. 529-544. 79 Vgl. Latour, Bruno: »Über den Rückruf der ANT«, in: Andrea Belliger/David Krieger (Hg.), ANThology. Ein einführendes Handbuch zur Akteur-NetzwerkTheorie, Bielefeld: transcript 2006b, S. 561-572.
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keine strikte methodische Verfahrensanleitung vorgibt, sondern eine Heuristik, die es erlaubt, sich jenseits tradierter Dichotomien anzusiedeln. Dies tangiert ebenfalls die Unterscheidung zwischen einer technikzentrierten Medienwissenschaft, die stets auf ein mediales Apriori verweisen muss, und einer anthropologisch geprägten Medienwissenschaft, die am Medieneinsatz und -gebrauch ansetzt. Stattdessen wird eine Öffnung hin zum kulturellen und sozialen Kontext des medialen Handeins geschaffen, der damit als für eine mediale Spezifik konstitutiver Faktor anerkannt wird. Zudem wird der >formenden Wirkungmoulding forces< der Technologie 80 Rechnung getragen. Modding-Communities setzen sich demnach nicht nur aus den menschlichen Akteuren zusammen, sondern auch aus den Editoren und Spielen. Diese geben nicht bloß die Rahmung flir die Interaktion vor, vielmehr nehmen sie nach dem Modell einer sozio-technischen Verkettung situativ wirksame Transformationen innerhalb der Gemeinschaften vor. 81 Besondere Bedeutung haben dabei einerseits technologische Entwicklungen, die in die Modding- und Editor-Game-Kultur von Seiten der Computerspiel-Entwickler und -Publisher einfließen (top-down), andererseits Modifikationen, Weiterentwicklungen und Anpassungen als Folge der Community-Aktivitäten (bottom-up). Innerhalb dieses Netzwerks generieren all diese Aktanten Assoziationsketten zu den Leveleditoren, die als technologische Artefakte gewissermaßen das >mediale Dazwischen< bilden. Als Richtschnur der Dokumentation artefaktseitiger Handlungsinitiativen kann dabei das Konzept der Affordanzen82 dienen, welches die funktionell-relevanten Eigenschaften eines Artefakts und ihre Kombination be-
80 Vgl. Gumbrecht, Hans Ulrich/Pfeiffer, Ludwig (Hg.): Materialität der Kommunikation, Frankfurt a.M.: Sulrrkamp 1988; Hepp, Andreas: »Mediatization and the >Molding Force< ofthe Media«, in: Communications 37, 1 (2012), S. 1-28. 81 Vgl. Latour, Bruno/Mauguin, Philippe!feil, Genevieve (2013): »Eine Anmerkung zu sozio-technischen Graphen«, in: Tristan Thielmann/Erhard Schüttpelz/ Peter Gendolla (Hg.), Akteur-Medien-Theorie, Bielefeld: transcript 2013, S. 81-106. 82 Vgl. Gibson, James J.: Die Wahrnehmung der visuellen Welt, Weinheim: Beltz [1950] 1973; Gaver, William W.: »Technology Affordances«, in: Scott Robertson/Gary Olson/Judith Olson (Hg.), Proceedings r!f'the SJGCHJ Conf'erence on Human Factors in Computing Systems: Reaching Through Technology, Reading: Addison-Wesley 1991, S. 79-84; Turner, Phi!: »Affordance as Context«, in: Interacting with Computers 17, 6 (2006), S. 787-800.
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zeichnet, aus denen sich Handlungsangebote ableiten lassen. Zwar ist der Angebotscharakter dem Artefakt qua Design eingeschrieben, wobei von einem impliziten Nutzer ausgegangen wird, j edoch können insbesondere computerbasierte Medien eine höhere Ebene der Kontingenz aufweisen, 83 was a priori Aussagen über den tatsächlichen Umgang erschwert. Dies wird in proaktiven Systemen mit verschachtelten und verknüpften Algorithmen und »höheren Freiheitsgraden« 84 noch einmal verstärkt. Tm Fall von Veränderungen bis hin zu Zweckentfremdungen der Technologie durch die Nutzer ist der Angebotscharakter nicht mehr ohne eine situative Bewertung zu leisten. Tatsächlich scheint in Bezug auf die Analyse der Mensch-Computer-Interaktion eine Rahmung des Affordanz-Konzepts vonnöten zu sein, wie sie die Techniksoziologie anbietet. 85 Denn erst die Situierung der Analyse schafft eine operationalisierbare Basis für die Analyse historischer wie gegenwärtiger Modding-Technologien und -Praktiken. Eine praxeologische und netzwerkanalytische Ausrichtung der Forschung zum Computerspiei-Modding erfordert eine Erweiterung des Methodenrepertoirs, um die technologischen Angebotsstrukturen als Teil des Medienhandeins adäquat zu kontextualisieren. Für die Game Studies haben Autoren wie Alexander Knorr8\ T.L. Taylor87 und Thomas MalabyR 8 mittels qualitativer Forschungsdesigns gezeigt, dass eine räumliche und zeitliche Trennung von Spiel und Alltagswelt nicht länger aufrechterhalten werden kann, wie dies Johan Huizinga in seiner historischen Betrachtung des Homo ludens89 in Rekurs auf die Ritualforschung forderte. Zudem sind in Bezug auf die nutzerseitige Veränderung von Computerspielen neben der
83 Vgl. Rammert, Werner: Technik-Handeln - Wissen. Zueinerpragmatistischen
Technik- und Sozialtheorie, Wiesbaden: VS Verlag 2007. 84 Ebd., S. 82. 85 Vgl. Zillien, Nicole: »Das Affordanzkonzept in der Mediensoziologie«, m:
Sociologia Tnternationalis 46, 2 (2006), S. 161-181. 86 A. Knorr: Cyberanthropology. 87 Taylor, T.L.: Play Between Worlds. Exploring Online Game Culture, Cambridge: MIT Press 2006. 88 Malaby, Thomas: »Beyond Play. A New Approach to Games«, in: Games and
Culture 2, 2 (2007), S. 95-113. 89 Huizinga, Johan: Homo ludens: vom Ursprung der Kultur im Spiel, Reinbek bei Hamburg: Rowohlt [1938]2004.
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genannten Historiographie von Editoren-Werkzeugen gerade solche kommunikativen Ereignisse von Interesse, die nicht getrennt von ihrer Einbettung in Alltagspraktiken und deren mediatisierte Handlungsökologien betrachtet werden können und folglich nicht auf ihre reine Rezeptionspraktik zu reduzieren sind. So kann das Editieren von virtuellen Spielwelten nicht von den materiellen Umgehungen getrennt werden; ebenso können akteurseitige Vergemeinschaftungsprozesse nicht außer Acht gelassen werden, die weit über die häufig anonymen, meist losen und zeitlich begrenzten Zusammenschlüsse in Fankulturen hinausgehen. Dabei zeigt sich, dass Praktiken des Moddings und Editieren den Erfahrungsbereich der Spielewelt überschreiten und dass Spielhandlungen und Alltagshandeln nicht streng konzeptionell voneinander getrennt werden können, weswegen eine Verknüpfung zwischen On- und Offlineforschung sinnvoll ist. Für eine praxeologische Analyse der Gegenwart des Game-Moddings ist daher ein ethnographisch informiertes Forschungsdesign im Sinne der virtuellen Ethnographie90 als Ergänzung und Erweiterung der kulturhistorischen Perspektive sinnvoll.
4.
STATT EINES FAZITS
Computerspiele- nicht nur Editor-Games- sind keine abgeschlossenen Artefakte. Sie sind flüchtige Medien, deren Wesen sich erst im Akt der Benutzung vollständig erschließt. Methodisch bedeutet dies, dass eine Analyse des Computerspielens weitere Medien der Aufzeichnung erfordert, um ephemere Nutzerhandlungen in analysierbare Protokolle zu überführen. Darüber hinaus ist für das Computerspiel konstitutiv, dass Nutzerhandlungen das Spiel selbst und die Art und Weise, wie ein Spiel gespielt wird, verändern können. Dieser kennzeichnende Feedbackmechanismus zwischen Medium und Nutzer in der Rezeption von analogen zu digitalen Medien ist als Prinzip der Variabilität 1 und als Wende von der Interpretation
90 Vgl. Hine, Christine: Virtual Ethnography, London u.a.: SAGE Publ. 2000. 91 Manovich, Lev: The Language of New Media, Cambridge: MlT Press 2001 , S. 55.
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zur Konfiguration der Inhalte beschrieben worden. 92 Für die Game Studies folgt daraus, dass ihre Gegenstände weder auf ihr Regelwerk noch auf ihre narrativ vorgegebenen Pfade vollständig reduzierbar sind. Denn das Computerspiel produziert eine wechselseitige Rekursion, die sich naturgemäß erst in der Prozesshaftigkeit des SpieJens zeigt. Wie im Umgang mit Technologie im Allgemeinen entsteht hier ein Potential zur Erzeugung von Kontingenz.93 Es bleibt abzuwarten, wie das Phänomen Editor-Games, das deutlich über etablierte Computerspielpraktiken hinausweist, auf lange Sicht die Gaming Culture wie auch die Game Studies prägen wird. ln jedem fall verdeutlichen solche Variationen die stetig wachsende massenkulturelle Entwicklung des Computerspiels und veranschaulichen, welch langen, ereignisreichen Weg das Medium seit SPACEWAR! bereits zurückgelegt hat. Der zunehmende Variantenreichtum wird eine weitere Ausdifferenzierung der Computerspielforschung nach sich ziehen. Und da es genauso wenig die Game Studies wie das Computerspiel gibt, ist eine solche disziplinäre Ausweitung der Forschung mehr als begrüßenswert. Denn es sind gerade die - auf den ersten Blick nicht selten etwas skurril oder auch befremdlich anmutenden - Kombinationen ganz unterschiedlicher medialer Stilformen und funktionslogiken, in denen das Computerspiel erst sein volles Potenzial als ein neues Medium entfaltet.
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92 Eskelinen, Markku: »The Gaming Situation« (01.07.200 1), http://www.game studies.org/0 l 0 l/eskelinen/ 93 Vgl. W. Rammert: Technik-Handeln- Wissen.
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Au, Wagner James: »Triumph of the Mod« (16.04.2002), http://dir.salon. com/tech/feature/2002/04/ I 6/m odding/in dex.htm I Barton, Matt/Loguidice, Bill: »The History ofthe Pinball Construction Set: Launehing Millions of Creative Possibilities« (06.02.2009), http://www. gamasutra.com/view/feature/3923/the_history_ of_ the_pinball_. php Behr, Katharina-Maria: Kreativer Umgang mit Computerspielen. Die Entwicklung von Spielmodifikationen aus aneignungstheoretischer Sicht, Boizenburg: vwh 2010. Bieber, Christoph/Leggewie, Claus (Hg.): Unter Piraten: Erkundungen in einerneuen politischen Arena, Bielefeld: transcript 2012. Biermann, Ralf et al. : »Digitale Spiele und Spielkulturen im Wandel. Zur Entstehung und Entwicklung partizipativer und kreativ-produktiver Nutzungsformen«, in: Sonja Ganguin/Bernward Hoffmann (Hg.), Digitale Spie/kultur, München: kopaed 2010, S. 61-78. Biermann, RalfNerständig, Dan/Fromme, Johannes (Hg.): Partizipative Medienk:ulturen, Wiesbaden: VS Verlag 2013. Blättel-Mink, Birgit/Hellmann, Kai-Uwe (Hg.): Prosumer Revisited. Zur Aktualität einer Debatte, Wiesbaden: VS Verlag 20 I 0. Botz, Daniel: Kunst, Code und Maschine. Die Ästhetik der ComputerDemoszene, Bielefeld: transcript 2011. Carless, S.: »Why LittleBigPlanet is Web 2.0 for Games, Fu1filled« (13.1 0.2008), http://www.gamesetwatch.com/2008/1 0/opinion_why_lit tlebigplanet_is.php Cote, Mark/Pybus, Jennifer: »Learning to Immateria1 Labour 2.0: Facebook and Social Networks«, in: Michael A. Peters/Ergin Bu1ut (Hg.), Cognitive Capitalism, Education, and Digital Labor, New York u.a.: Lang 2011,S.I69-194. Eskelinen, Markku: »The Gaming Situation« (0 1.07.200 I), http://www. gamestudies.org/0 10 l/eske1inen/ Freyermuth, Gundolf S./Gotto, Lisa (Hg.): Bildwerte. Visualität in der digitalen Medienkultur, Bielefeld: transc1ipt 2013. Fuchs, Mathias et al. (Hg.): Rethinking Gamification, Lüneburg: Meson Press 2014. GamesCoop (Hg.): Theorien des Computerspiels - zur Einfiihrung, Harnburg: Junius 2012.
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FILME MINECRAFT: THE STORY OF MOJANG (USA 20 12, R: Paul Owens)
COMPUTERSPIELE COUNTER-STRIKE (Sierra Studios 1999, 0 : Valve Corporation) DTSNEY INFTNTTY (Disney lnteractive Studios 2013,0: Avalanche Software) DOOM (GT lnteractive 1993, 0: id Software) GARRY'S Moo (Valve Corporation 2004, 0: Facepunch Studios) HALF-LIFE (Sierra Studios 1998, 0: Valve Corporation)
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LITTLEBIGPLANET-Reihe (Sony Computer Entertainment seit 2008, 0: Media Moleeule u.a.) LITTLEBIGPLANET (Sony Computer Entertainment 2008, 0: Media Moleeule) LITTLEBIGPLANET 2 (Sony Computer Entertainment 2011, 0: Media Moleeule) LITTLEBIGPLANET KARTING (Sony Computer Entertainment 2012, 0: United Front Games) LITTLEBIGPLANET PSP (Sony Computer Entertainment 2009, 0: Media Molecule) LTTTLEBIGPLANET PS VITA (Sony Computer Entertainment 2012, 0: Double Eleven) MINECRAFT(Mojang/Microsoft Games Studios 2011,0: Mojang/4J Studios) MUSTC CüNSTRUCTION SET (Eiectronic Arts 1984, 0: Will Harvey) PTNBALL CONSTRUCTION SET (Eiectronic Arts 1983, 0: BudgeCo) RACING DESTRUCTION SET (Eiectronic Arts 1985, 0: Rick Koenig) SACKBOY'S PREHISTORIC MO VES (Sony Computer Entertainment 2010, 0: Xdev) SILENTHILL-Reihe (Konami seit 1999,0: Konami u.a.) THE LASTOFUs (Sony Computer Entertainment 2013,0: Naughty Dog) THE SIMS (Electronic Arts 2000, 0: Maxis) WOLFENSTETN 30 (Apogee Software/GT Interactive 1992, 0: id Software)
ABBILDUNGEN Abbildung 1: SOLITAIRE für Android (MobilityWare 2011, 0 : Mobility Ware); Quelle: http://www.amazon.de/MobilityWare-Solitaire/dp/8006 31H60K Abbildung 2: THE LAST OF Us; Quelle: http://gamingbolt.com/the-last-ofus-wallpapers-in-hd Abbildung 3: MI NECRAFT; Quelle: http://i5 .minus.com/il5v2k.png Abbildung 4: MINECRAFT; Quelle: http://gamesloveres.com/wp-content/upl oads/20 14/04/m inecraft-zom b ie-apocalypse-ci tythe-last-of-us-m inecraft -otemdxak.jpg
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Abbildung 5: PTNBALL CONSTRUCTION SET; Quelle: Barton, Matt/Loguidice, Bill: »The History ofthe Pinball Construction Set: Launehing Millions of Creative Possibilities« (06.02.2009), http://www.gamasutra. com/view/feature/3923/the_ history_ of_ the_pinball_ .php Abbildung 6: LITILEBIGPLANET; Quelle: Screenshot der Autoren Abbildung 7: LTTTLEBTGPLANET; Quelle: http://images2.fanpop.com/images/ photos/2600000/Fun-With-Stickers-little-big-planet-2692118-1 280-720.jpg
Digital Games und Hybrid Reality Theatre JUDlTH A CKERMANN
EINLEITUNG
Theater und Computerspiele werden häufig in vollständig differenten Sphären lokalisiert. Dabei wird übersehen, dass ihre Funktionsweisen weitaus weniger verschieden sind, als man zunächst annehmen könnte. So wie das Handeln auf der TheaterbUhne als »nach eigenen Gesetzen lebende[n] Eigenkunst sozialen Charakters« 1 bezeichnet werden kann, folgt auch das Spielen am Computer »selbstbeziiglichen Regeln, die nur für den Sinnzusammenhang des Spiels gelten« und »gegenüber der gewohnten Wirklichkeit verfremdet« erscheinen. 2 Juul folgend stellt das digitale Spiel eine Kombination von Regeln und Fiktion dar. 3 Das damit einhergehende Spannungsverhältnis zwischen Spielregeln und spielerischer Zweckfreiheit zieht sich durch Spiel- und Theatertheorien gleichermaßen. 4 Nach Herrmann
Herrmann, Max: Forschungen zur deutschen Theatergeschichte des Mittelalters
und der Renaissance, Berlin: Weidmannsehe Buchhandlung 1914, S. 4. 2
Thiedeke, Udo: »Spiel-Räume. Zur Soziologie entgrenzter Exklusionsbereiche«, in: Herbert Willems (Hg.), Weltweite Welten. Internet-Figurationen aus wis-
senssoziologischer Perspektive, Wiesbaden: VS Verlag 2008, S. 295-31 7, hier
s. 297. 3
Juul, Jesper:
Ha(f~real.
Video Games between Real Rules and Fictional Worlds,
Cambridge: MIT Press 2005, S. 197. 4
Brincken, Jörg von: »Viel Theater um Spiele. Eine theaterwissenschaftliche Perspektive auf Computerspielkultur«, in: Albert Drews (Hg.), Kulturgut Compu-
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lässt sich das Theater als soziales Spiel beschreiben, als »ein Spiel Aller für Alle. Ein Spiel, in dem Alle Teilnehmer sind- Teilnehmer und Zuschauer.«5 Auf diese Weise werden die Zuschauer aus der Rolle bloßer Beobachter enthoben: »[Sie werden] als Mitspieler begriffen, welche die Aufführung durch ihre[ ...] physische Präsenz, ihre Wahrnehmung, Rezeption und Reaktion mit hervorbringen. Die Kommunikationsbedingungen einer Aufflihrung werden so als Regeln eines Spiels bestimmt, die zwischen allen Teilnehmern -Akteuren und Zuschauern- ausgehandelt werden und gleichennaßen von allen befolgt oder gebrochen werden können.«6
Auch hier wird die Nähe zum digitalen Spiel einmal mehr greifbar. Der vorliegende Artikel spürt den Schnittmengen von Theater und digitalen Spielen nach und konzentriert sich insbesondere auf die jeweils beteiligten Teilnehmer. Begonnen wird mit der Vorstellung der an einer Theateraufführung beteiligten Akteure, um davon ausgehend nach Entsprechungen im Bereich des Computerspielens zu suchen. Daran anschließend werden das Konzept des »Hybrid Reality Theatre«7 vorgestellt und unterschiedliche Konstellationen des digitalen Spielens in privaten, teilöffentlichen und öffentlichen Räumen unter Fragestellungen ihres Aufführungscharakters diskutiert und in Bezug auf Überschneidungen mit dem Theater untersucht.
terspiel? Ein Mediengenre zwischen Schmuddelimage und Akzep tanz, Rehburg-
Loccum: Evang. Akad. Loccum 2012, S. 61-74, hier S. 63. 5
Herrmann, Max: »Über die Aufgaben eines theaterwissenschaftlichen Instituts. Vortrag vom 27. Juni 1920«, in: Helmar Klier (Hg.), Theaterwissenschaft im deutschsprachigen Raum, Darmstadt WBG 1981, S.l5-24, hier S. 19.
6
Fischer-Lichte, Erika/Roselt, Jens: »Attraktion des Augenblicks - Aufführung, Performance, performativ und Performativität«, in: Erika Fischer-Lichte/Christoph Wulf (Hg.), Theorien des Performativen Paragrana- Internationale Zeitschrift.für Historische Anthropologie I 0, 1 (200 I), S. 237-253, hier S. 239.
7
Ackermann, Judith: »Mobile Location Based Gamingin der Stadt- Spielerische Eroberung des urbanen Raums und Hybrid Reality Theatre«, in: Thomas Bächle/Caja Thimm (Hg.), Mobile Medien - Mobiles Leben. Neue Technologien. Mobilität und die mediatisierte Gesellschaft. Münster: LIT 2014, S. 104-130.
DIGITAL GAMESAN D H YBRID REALITY THEATRE
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AKTEURE IN THEATER UND DIGITALEN SPIELEN 1871 stellte Otto Ludwig in seinen Shakespeare-Studien heraus, dass am dramatischen Kunstwerk drei Instanzen beteiligt seien: Dichter, Schauspieler und Zuschauer. Das Kunstwerk entstehe dabei erst während der Aufführung »im Tnnern des Zuschauers [ ... ]durch des Dichters, des Schauspielers und sein eignes Zutun.«8 Auch Georg Fuchs erklärte, dass das Drama untrennbar mit seiner Rezeption durch ein Publikum (»festliche Menge«) verbunden sei9 und erst wälu·end des Erlebens durch die Zuschauer entstehe: »Das dramatische Kunstwerk besteht weder auf der Bühne noch gar im Buche, sondern es entsteht in jedem Augenblicke neu, in welchem es als räumlich-zeitlich bedingte Bewegungsform erlebt wird.« 10 Zusätzlich betont Fuchs die Individualität des theatralen Erlebens, das von »jedem einzelnen Zuschauer anders erlebt« 11 werde. Kar! Lazarowicz spricht von einer triadischen Kollusion 12 an der Zuschauer, Schauspieler und Autoren auf jeweils spezifische Weise beteiligt seien: So obliege es dem Handeln der Autoren, »ein literarisches Zeichensystem« 13 zu entwerfen, welches die Schauspieler in »ein szenisches Zeichensystem« 14 transformieren. »Die Leistung der Zuschauer [... ] besteht darin, daß sie [ ... ] die szenischen Informationen wahrnehmen, sie apperzipierend strukturieren und sie verstehend, auslegend und erlebend ihrem ästhetischen Erfahrungsbesitz einverleiben. Erst diese sen-
8
Ludwig, Otto: »Dichter, Schauspieler und Zuschauer«, in: Klaus Lazarowicz!Christopher Balme (Hg.), Texte zur Theorie des Theaters, Stuttgart: Reclam [1871]1991 , S.47 1-472, hier S. 471.
9
Fuchs, Georg: Die Schaubühne der Zukunft, Berlin/Leipzig: Schuster und Loeffler 1905, S. 38.
I 0 Fuchs, Georg: Die Revolution des Theaters. Ergebnisse aus dem Münchner Künstler-Theater, München/Leipzig: Georg Müller 1909, S. 60. II Ebd. 12 Lazarowicz, Kar! (1997): »Triadische Kollusion. Über die Beziehungen zwischen Autor, Schauspieler und Zuschauer im Theater«, in: Ders. (Hg.), Gesp ielte Welt. Eine Einführung in die Theaterwissenschaft an ausgewählten Beispielen, Frankfurt a.M.: Peter Lang 1997, S. 97-111. 13 Ebd., S. 109. 14 Ebd.
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suellen, imaginativen und rationalen Zuschau-Akte konstituieren Theater. Hier verstanden als eine spezifische Erscheinungsform des >work in progresslebendige< Kommunikation zwischen Schauspieler und Publikum.«31 Diese Live-Situation kennzeichnet Theater und Computerspielen gleichermaßen und grenzt sie somit ein weiteres Mal von klassischen Massenmedien ab.J2
DIGITALES SPIEL ALS HYBRID REALITY THEATRE Das Konzept des Hybrid Reality Theatre wurde 2014 von mir eingeführt, um zum einen auf die generellen Schnittmengen zwischen digitalem Spiel und Theater hinzuweisen und zum anderen die parallele BespieJung von digitalem und physischem Raum zu betonen. 33 Das Konzept ermöglicht es, die Nutzung digitaler Spiele als (Gruppen-)Performance zu betrachten. Es setzt dort an, wo sich digitale und physische Räume begegnen, und überträgt die Akteur-Publikumsstruktur aus dem Theater auf den Bereich der Nutzung digitaler Spiele in Gemeinschaft und im Raum. Auf Basis des in der Öffentlichkeit stattfindenden Spiels mit mobilen Endgeräten, das seine physische Umgebung miteinbezieht, wird herausgearbeitet, wie digitales Spiel durch seine quasi-öffentliche Vorführung vor einem zufälligen, fluktuierenden Publikum einen Performance-Charakter
28 E. Fischer-Lichte: Die Entdeckung des Zuschauers, S. 218. 29 J. v. Brincken: »Viel Theater um Spiele«, S. 62. 30 J. Grotowski: »Das Neue Testament des Theaters«, S. 30. 31 Grotowski, Jerzy: »Für ein annes Theater«, in: Ders. (Hg.), Das arme Theater, Velber: Friedrich Verlag [1965] 1968, S. 13-23, hier S. 17. 32 Vgl. K. Lazarowicz: »Triadische Kollusion«, S. 99. 33 J. Ackermann: »Mobile Location Based Gaming in der Stadt«, S. 104-1 30.
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erlangt. Die Performance zieht ihren Reiz dabei nicht zuletzt daraus, dass sie gleichzeitig an digitalen und physischen Orten stattfindet, die für die Beobachter nur partiell wahrnehmbar sind. Die für das Theater herausgearbeitete Kollusion zwischen Schauspieler und Zuschauer bleibt erhalten und wird um die digitale Ebene erweitert, welche »sich der Wahrnehmung durch die Zuschauenden vollständig verschließt und nur über die Beobachtung der Aktionen der Spielenden in der physischen Welt sowie die Interaktion mit ihnen vermittelt erfahrbar wird.«34 Durch die Echtzeit-Performance werden digitale und physische Sphären über menschliche Handlungen und Bewegungen auf Seiten der spielenden und der beobachtenden Teilnehmer verbunden. Auf diese Weise kann das Geschehen als in der Hybriden Realität lokalisiert bezeichnet werden. Für Adriana de Souza e Silva konstituiert sich das Konzept der Hybrid Reality über den »mix of social practices that occur simultaneously in digital and in physical spaces, tagether with mobility.«35 In ähnlicher Weise identifiziert Steffen P. Walz das Ineinanderübergehen von »mobility, media and computing« als ausschlaggebendes Moment. 36 Weitet man die Mobilitätskomponente auf die parallele Bewegung in digitalen und physischen Räumen aus und bezieht man spielende und beobachtende Teilnehmer gleichermaßen in die Gesamtperformance mit ein, lässt sich das Konzept des Hybrid Reality Theatre nicht nur auf den Bereich des Mobile Location Based Gamings anwenden, sondern auch auf weitere Szenarien des digitalen SpieJens übertragen. Im Folgenden werden unterschiedliche Konstellationen digitalen SpieJens in Bezug auf den mit ihnen verbundenen Aufführungs- bzw. Theater-Charakter diskutiert und analysiert, inwiefern sich das Konzept des Hybrid Reality Theatre auf die einzelnen Situationen anwenden lässt. Der
34 Ebd., S. 124. 35 Oe Souza e Silva, Adriana: »From Cyber to Hybrid: Mobile Technologies as Interfaces of Hybrid Spaces«, in: Space and Culture, 9, 3 (2006), S. 26 1-278, hier
s. 265. 36 Walz, Steffen P.: »Constituents of Hybrid Reality: Cultural Anthropological Reflections and a Serious Game Design Experi ment Merging Mobility, Media and Computing«, in: Gerhard M. Buurman (Hg.), Total Interaction. Theory and Practice of a New Paradigm for the Design Disciplines, Basel u.a.: Birkhäuser Verlag 2005, S. 123-141, hier S. 123.
DIGITAL GAMESAN D H YBRID REALITY THEATRE
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Fokus liegt dementsprechend auf der Kollusion zwischen Spieler/Zuschauer und Spieler/Avatar sowie der Verbindung von digitaler und physischer Ebene über die Handlungen der Akteure. Die Argumentation berücksichtigt zwei unterschiedliche Dimensionen: zum einen die Frage nach SinglePlayer- bzw. Multiplayer-Games, zum anderen die Lokalisierung des Spielgeschehens im privaten, teilöffentlichen und öffentlichen Raum. Begonnen wird mit den im privaten Raum auftretenden digitalen Spielkonstellationen.37
AUFFÜHRUNGEN DIGITALEN SPIELENS IM PRIVATRAUM Wie bereits im ersten Abschnitt erläutert wurde, lässt sich die Verwendung eines Single-Player-Games als eine Zuschauer-Akteur-Situation werten, in derbeideRollen in einer Person zusammenfallen. Eine solche Konstellation erfordert dementsprechend die intensivste Einbringung des Zuschauers. Unterlässt dieser seine Handlungen (im Sinne der Steuerung des Avatars), setzt sich das Spiel nicht fort. Es kommt zum Scheitern bzw. Stagnieren der Narration. Engagie11 sich der Spieler als »vierter Schöpfer« im Sinne Meyerholds38 lassen sich verschiedene Aktivitäts- und Beeinflussungsstufen ausmachen. So kann etwa der Datenkörper nur partiell bzw. ausschließlich durch Aktionen sichtbar werden (etwa first-Person-Shooter, Strategiespiele aus der Vogelperspektive), er kann sich als eine vom physischen Körper verschiedene Figur darstellen (Third-Person-Games) oder mithilfe von Videotechnik eine Abbildung desselben zeigen (bspw. Eye-Toy). Tn Bezug
37 Da die leibliche Ko-Präsenz an dieser Stelle als Grundbedingung verstanden werden soll, werden im Rahmen der folgenden Ausführungen Phänomene wie Let's Play-Videos, die zwar ebenfalls computerspielerisches Handeln ausstellen, allerdings die Live-Situation zugunsten der Adressierung eines dispersen Publikums aufgeben, aus der Argumentation ausgeblendet. 38 Der Zuschauer ergänzt bei Meyerhold als vierter Schöpfer Autor, Regisseur und Schauspieler beim Entstehen von Theater. Vgl. Meyerhold, Wsewolog: »Der Zuschauer als >vierter Schöpfervierter SchöpferCinema EnvySuspension of Disbelief< erscheint im Unterschied zum Film, in dem eine nicht mehr logisch nachvollziehbare Anzahl an Gegenspielern und ein inflationärer Einsatz von Spezialausrüstung sclmell die Grenze zum
11 ALIENS - THE RETURN (USA 1986, R: James Cameron). 12 Fullerton, Tracey: Game Design Workshop , New York: Elsevier 2008, S. 78.
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Absurden überschreitet, im Spiel nicht gefährdet, solange sie mit den Spielregeln des Genre-Settings korrespondiert. Die 2005 erfolgte Game-Adaption des über vierzig Jahre zuvor entstandenen James Bond-Films FROM R uSSIA WITH LOVE bezieht einen eigenen Reiz aus dem Spiel mit Referenzen an die 007-Filme der 1960er Jahre. 13 Der Hindernis-Parcours im Labor des Waffentüftlers Q wird in einem der ersten Level in einer Plansequenz durchlaufen, die jene von Andre Bazin eingeforderte Kontinuität der Mise en Scene idealtypisch realisiert, allerdings in einem Szenario, das dem vom Ziehvater der Nouvelle Vague propagierten Realismus in nahezu allen Aspekten zuwiderläuft. Die in den James Bond-Filmen aus den 1960er Jahren etablierten Utensilien wie der mit Maschinengewehren ausgerüstete Aston Martin aus GOLDFINGER und der Raketenrucksack aus THUNDERBALL kommen ebenso wie ein ferngesteuerter Mini-Helikopter und eine Laser-Uhr zum Einsatz. 14 Ihre Comic-ReliefFunktion aus den Filmen wird im Kontext des Videospiels um eine den Spielmechaniken entsprechende Funktion erweitert. Die Passagen, in denen Bond den ferngesteuerten Mini-Helikopter durch Lüftungsschächte steuern muss, wiederholen sich bei graduell erhöhtem Schwierigkeitsgrad. Der Einsatz des Jet Packs wird einerseits ftir eine spektakuläre Sequenz genutzt, die in den Filmen gar nicht existiert: 007 rettet nach einem Überfall auf einen Abendempfang die Tochter des Premierministers in einem Luftkampf rund um den Big Ben. Andererseits bilden die Flüge mit dem Jet Pack ein eigenes Spielprinzip, das mit zunehmend komplizierteren Gegnern verbunden ist. Das in der filmischen Vorlage enthaltene Set Piece des Kampfs gegen einen angreifenden Helikopter, den Bond lediglich mit seinem Gewehr bewaffnet besiegt, wird im Videospiel zur alltäglichen Standardsituation, indem sich das gleiche Geschehen mehrfach als Stock-Situation aus dem 007Repertoire wiederholt. FROM RUSSIA WITH LOVE gelingt die Adaption, indem die einem Abenteuerspielplatz entsprechende Raumlogik der Mise en Scene des Films adäquat auf die Levelstruktur des Games und das Gameplay übertragen wird. Der Wiedererkennungswert des Set Designs aus der
13 FROM RUSSIA WITH LOVE- JAM ES BOND 007 (GB 1963, R: Terence Young);
FROM RUSSIA WITH LOVE - JAMES BOND 007 (Eiectronic Arts 2005, 0: EA Redwood Shores). 14 GOLDFINGER-JAMES BOND 007 (GB 1964, R: Guy Hamilton); THoNDERBALL -JAMES BOND 007 (GB 1965, R: Terence Young).
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filmischen Vorlage als digitales Retro-Phänomen trägt einerseits zur Wirkung der detailverliebten Umsetzung bei, andererseits werden die Handlungsräume um eine im Film gar nicht vorhandene geheime Schurkenbasis und weitere Levels ergänzt. Die Gestaltung der Spielmechanik, die aus den 007-Filmen der 1960er Jahre bekannte Gadgets in das Gameplay integriert, sorgt auf der Iudischen Ebene für einen Adaptionsprozess, der dem verspielten Charakter der frühen 007-Filme gerecht wird. Die Mise en Game entspricht im Zusammenspiel von Regeln, Mechanik und Look den durch die filmische Mise en Scene vorgeprägten Erwartungshaltungen. Das Problem diverser Game-Adaptionen bekannter Filme besteht häufig darin, dass lediglich zur jeweiligen Zeit populäre Spielformen wie etwa Platform Games Anfang der 1990er Jahre auf das Setting des Films übertragen werden, ohne dass die Logik und die Mechaniken des Spiels mit der räumlichen Logik des filmischen Szenarios korrespondieren würden. In ihrer Einführung Understanding Video Games beziehen Sirnon Egenfeldt-Nielsen, Susana Pajares Tosca und Jonas Heide Smith neben der Perspektive, der Repräsentation, der Geographie und der Raumgestaltung auch die Faktoren Spielregeln, Gameplay (»the game dynamics ernerging from the interplay between rules and game geography« 15) und Game Balancing als konstituierende Elemente einer Game-Ästhetik ein. Einer der ersten Ansätze für ein mit der filmischen Mise en Scene sich produktiv ergänzendes Konzept der Mise en Game besteht daher in der schlüssigen Übersetzung filmischer, von Ausstattung, Lichtsetzung und Architektur geprägter Szenarien in Spielregeln, Gameplay und Balancing. Wenn James Bond auf der Leinwand in QUANTUM OF SOLACE 16 die gewagtesten Sprünge von einem Haus auf einen fahrenden Bus übersteht und im Spiel daran scheitert, eine einfache Absperrung, an der offensichtlich das Level endet, zu überwinden, erscheint der transmediale Transfer der Figur ein wenig absurd. Produktionen wie das ganz auf strategische Gefechte und übertriebene Gewaltexzesse konzentrierte THE GODFATHER 11 scheitern schließlich nicht nur an der Adaption der filmischen Vorlage, 17 sondern verfehlen deren Stil in auffälligem Ausmaße, indem der für Francis Ford Coppolas Inszenierung zentralen
15 S. Egenfeldt-Nielsen/J. Smith/S. Tosca: Understanding Video Games, S. I 02. 16 QUANTUM OF SOLACE- JAMES BOND 007 (OB 2008, R: Mare Forstet}
17 THE GODFATHER PART Il (USA 1974, R: Francis Ford Coppola); THE GODFATHER II (Electronic Arts 2009, 0: EA Redwood Shores).
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Familientragödie des Films im Spiel keinerlei Bedeutung beigemessen wird. Ästhetische Gestaltungsmittel der filmischen Mise en Scene können im Kontext der Mise en Game in durch die Spielregeln verknappte Ressourcen umgewandelt werden. ln Spielen wie ALAN WAKE und AMNESIA - THE DARK DESCENT18 wird der Einsatz der Beleuchtung in Form von Kerzen und Taschenlampen selbst zu einem spielentscheidenden Element. Kostüme und Ausrüstung können im Videospiel sowohl als visuelles Gestaltungsmittel wie auch als in die Spielmechanik integrierte Variable verwendet werden. Das auf verschiedenen Marvel-Comic-Reihen basierende Spiel SPIDER-MAN DTMENSTONS 19 interessiert sich nur marginal für das reflexive Potential der Begegnung unterschiedlicher Inkarnationen der gleichen Figur aus verschiedenen Comicwelten. Stattdessen wird das Ambiente ganz auf die Iudischen Eigenschaften des auf Schleichmissionen spezialisierten Noir-Spider-Man oder des mit technologisch verbessertem Equipment ausgestatteten Spider-Man aus der Zukunft angepasst. Spiele wie SPIDER-MAN DIMENSIONS befinden sich in ihrer Konzeption des Gameplays, der Regeln und des Balancings näher an Action-Figuren als an Spielen, die versuchen die Erzählungen einer Storyworld zu erweitern. Ein weiteres Beispiel für figurenzentriertes Game Design wäre STAR WARS - BOUNTY HUNTER, in dem die Spieler weitere Abenteuer des in STAR WARS EPISODE 11 - ATTACK OF THE CLONES denkbar unspektakulär geköpften Jango Fett erleben können.20 Die Mise en Scene der STAR WARS-Filme deutet Handlungsmöglichkeiten der Figuren an, die in von der Handlung der Filme entkoppelten Spielen weiter ausgebaut werden. Die Utensilien der Kopfgeldjägerrüstung wie ein Raketenrucksack, eine Fesselungsmechanik und diverse Geheimwaffen kommen auf der Leinwand nur spärlich zum Einsatz, sie machten in den frühen 1980er Jahren aber maßgeblich die Attraktivität der Spielzeugfigur Boba fett aus. Videospiele wie das 1996 erschienene SHADOWS OF THE EMPIRE, in dem der zum Fan-Favoriten aufgestiegene Kopfgeldjäger als Zwischengegner auftritt, und BOUNTY HUNTER adaptieren die in der
18 ALAN WAKE (Microsoft 2010, 0: Remedy); AMNESIA- THE DARK DESCENT
(Frictional Games 2010, 0: Frictional Games). 19 SPIDER-MAN- SHA TTERED DIMENSIONS (Activision 20 I0, 0: Beenox). 20 STAR WARS- BOUNTY HUNTER (LucasArts 2002, 0: LucasArts); STAR WARS
EPISODE II- ATTACK OF THE CLONES (USA 2002, R: George Lucas).
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filmischen Mise en Scene begründeten Talente der Figur innerhalb einer Mise en Game, die das passende virtuelle Spielzeug-Set zur Action-Figur konstruiert. Die ästhetische Gestaltung der Räume orientiert sich zwar nach wie vor an der flir die STAR WARS-Filme stilprägenden Pastiche-Komposition aus unterschiedlichen Genre-Settings, ihre Strukturen entsprechen aber in besonders auffälliger Weise genau jenen Raumformen eines linearen oder eines verzweigten Labyrinths oder einer Arena, wie sie Michael Nitsche21 in seiner Studie Video Game Spaces als charakteristisch für eine Vielzahl von Game-Design-Konzepten ausmacht. Bezeichnenderweise beginnt das Spiel in einer Arena, die im Gegensatz zu ATTACK OF THE CLONES nicht als Schauplatz für Liebeserklärungen zwischen Camp und Douglas-Sirk-Melodram dient, sondern ohne einen ausgearbeiteten narrativen Zusammenhang als Areal für eine Reihe von Schaukämpfen, in denen der Spieler die grundlegenden Manöver des Avatars erlernt. Es erscheint hierbei wenig überraschend, dass die wichtigsten Spielzüge der Figur den Eigenschaften der 1980 veröffentlichten Boba-Fett-Spielzeugfigur entsprechen. Die Abstimmung der Umgebung im Spiel auf das Iudische Potential der Avatare verweist auf eine weitere zentrale Schnittstelle zwischen Mise en Scene und Mise en Game, deren Übertragung von einem Medium auf das andere sich komplizierter als Set Design, Utensilien, Kostüme und Ausleuchtung gestaltet. John Gibbs weist treffend darauf hin, dass erst die Interaktion zwischen den einzelnen Elementen der Mise en Scene ihre Wirkung erzeugt: »it is important to be able to describe the individual elements of mise-en-scene, and
it is important to consider each element's potential for expression. But it is worth remembering from the outset that these elements are most productively thought of in tenns of their interaction rather than individually - in practice, it is the interplay of elements that is significant. Additionally, we need to consider the significance acquired by the individual element by the virtue of context: the narrative situation, the >world< ofthe film , the accumulating strategies that the filmmaker adopts.«22
21 Vgl. Nitsche, Michael: Video Game Spaces, Cambridge: MIT Press 2008, S. 171-189.
22 J. Gibbs: Mise-en-scene, S. 26.
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Die Interaktion der einzelnen Elemente wird also maßgeblich durch die Handlungen der Spieler und deren Involvierung bestimmt.
INTERAKTION ALS INSZENIERUNG UND INVOLVIERUNG
Die filmische Mise en Scene unterstützt in der Regel das Spiel der Schauspieler mit dem Ziel, eine interessante Darbietung auf Film zu bannen. Im Spiel kann durchaus ein ähnlicher Effekt entstehen, auf den sich die schauspieltheoretische Unterscheidung zwischen den Kategorien Acting und Performance anwenden lässt. Der Filmwissenschaftler James Naremore definiert in seiner Studie Acting in the Cinema die Schauspielform des Acting als »a special type of theatrical performance in which the persons held up for show have become agents in a narrative.«23 Dieses Vorgehen konzentriert sich auf das Ausagieren der narrativen Rolle; die Schauspieler versuchen in ihrem Spiel ganz dem Charakter der vorgegebenen Figur zu entsprechen. Der weiter gefasste Begriff der Performance integriert hingegen auch Eigenheiten, die ein Schauspieler durch seine oder ihre Persönlichkeit in die Rolle einbringt, diese können von einer unbewussten spontanen Reaktion bis hin zur idiosynkratischen Einfühlung des Method Acting reichen. Schauspieler realisieren nach Naremore performative Elemente, wenn sie über die durch das Script vorgeschriebene Rolle, beispielsweise durch den Rückfall in alltägliche Verhaltensweisen, hinausgehen »when people are caught unaware by a camera, they become objects to be looked at, and they usually provide evidence of role-play ing in everyday life; when they know they are being photographed, they become role-players of another sor1.«24
Videospiele können beide Formen des Ausagierens einer Rolle unterstützen. Rollen, die überwiegend durch gescriptete Ereignisse und Dialoge bestimmt sind, kombinieren die Iudischen Herausforderungen mit dem Ausagieren einer von den Game Designern vorgegebenen Charakterentwicklung. Performative Komponenten köm1en hingegen wie in einigen Rollen-
23 Naremore, James: Acting in the Cinema, Berkeley: University of California Press 1988, S. 23. 24 Ebd., S. 15.
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spielen durch die freie Ausgestaltung des Avatars und dessen Verhalten derart prägende Ausmaße annehmen, dass der Spieler oder die Spielerin ein möglichst stark den eigenen persönlichen Eigenschaften und Vorlieben entsprechendes Spielverhalten annimmt. Effiziente Fonnen der Mise en Game gewichten je nach Spielkonzept beide Möglichkeiten. Die Spiele der GRAND THEFT AUTO-Reihe werden häufig als Beispiele für Open WorldGames herangezogen, obwohl in ihnen die Entwicklung des Avatars im linearen Hauptplot ähnlich deutlich durch Cutscerres und die zu erfüllenden Missionen wie in einem Gangsterfilm vorgegeben zu sein scheint. Die performativen Aspekte kommen entsprechend zur Geltung, wenn der Spieler die beliebig ausgestaltbare Freizeit zwischen den einzelnen Missionen nutzt, um die in der Spielweit vorhandenen Utensilien nach Belieben auszuprobieren und einzusetzen. Auf diese Weise können Situationen entstehen, die nicht mehr den Konventionen eines Gangster-Dramas von Martin Scorsese oder Brian De Palma entsprechen, sondern an eine Genreparodie in der Tradition von Zucker-Abrahams-Zucker oder Mel Brooks erinnern. In GTA- VICE CITY 25 kann der Protagonist Tommy Vercetti, nachdem er bereits zum Herrscher über die Unterwelt der an Miami angelehnten Stadt aufgestiegen ist, immer noch zwischen den Missionen als Pizzalieferant arbeiten. Die für das Studio Rockstar typische Mise en Game enthält in der Regel als zusätzliche Option derartig absurde Handlungsmöglichkeiten, die in der Adaption des mehrfach in VrcE CITY zitierten Gangster-Epos SCARFACE26 undenkbar gewesen wären. Der Filmtheoretiker V.F. Perkins betont: »the primary function of decor is to provide a believable environment for the action.« 27 Die Möglichkeiten einer vielseitigen Mise en Game ähneln in dieser Hinsicht stärker einer Filmkulisse als deren Abbild in der zweckgebundenen Mise en Scene eines fertigen Films. Je nach Vorliebe können die Spieler in einer offen gehaltenen Spielwelt die Codes des assoziierten GenreSettings ausfUhren oder sabotieren. ln den meisten dreidimensionalen Spielwelten erhalten sie zusätzlich auch die Kontrolle über die Kamera, die als strategisches Werkzeug zur Erfassung und Erarbeitung des Lösungs-
25 GRAND THEFT AUTO- VICE CITY (Take Two lnteractive 2002, 0 : Rockstar North). 26 SCARFACE (USA 1982, R: Brian De Pa1ma). 27 Perkins, V.F. : Film as Film, Baltimore: Penguin 1972, S. 94.
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wegs und/oder als ästhetisches Gestaltungsmittel genutzt werden kann. Zahlreiche Machinima-Filme nutzen letzteren Aspekt, um Spielen durch performative Abweichungen Momente abzuringen, die in dieser Form gar nicht vorgesehen waren. Die Kultserie RED vs. BLUE, in der die Spielfiguren der Shooter-Reihe HAL028 außerhalb des regulären Spielgeschehens existenzialistische Dialoge über ihr Dasein als fremdkontrollierte Marionetten fUhren, ist ein Beispiel fLir eine derartige performative Umcodierung. Im regulären Spielverlauf dient in den meisten Fällen die Spielmechanik zur Verbindung zwischen der Semantik, dem auf Motive der ScienceFiction, des Abenteuerfilms, der Fantasy und anderer Genres verweisenden Erscheinungsbild und der Syntax, dem dramaturgischen Arrangement von Standardsituationen, Plot Points und Quests.29 Egenfeldt-Nielsen, Tosca und Smith merken über die Funktion der Mechanik an: »The key to a successful mechanics is to make players feel that they are contributing to creating a plot; the most successful narrative actions happen in games where our actions have noticeable plot consequences.«30
Die effiziente Verknüpfung zwischen Spielmechanik und Mise en Game in einem linearen Game-of-Progression verführt den Spieler dazu, die Rolle auszuagieren und schafft zugleich die lllusion, man könne im Eifer des Gefechts auch die andere Abzweigung nehmen, obwohl hinter dieser lediglich die Begrenzung des Spielfeldes warten würde. Wie und mit welchen Eindrücken der A vatar innerhalb des vorgegebenen Handlungsverlaufs von Punkt A nach Punkt B gelangt, kann maßgeblich die ästhetische Erfahrung des Spiels bestimmen. Die selbst durchgeführte Kamerafahrt kann sich ganz im Sinne von Jean-Luc Godards Diktum zu einer moralischen Entscheidung entwickeln. Etwa zu Beginn von HALF-L!FE 231 können die Spieler durch einen Schwenk das in der Diktatur von City 17 präsente Unrecht zur Kenntnis nehmen oder sich einfach nur zielstrebig zur nächsten vorgegebenen Handlungsmarkierung weiter bewegen.
28 HALO: COMBAT EVOLVED (Microsoft 2001 , 0: Bungie). 29 Für Anregungen zur Yerknüpfung von Semantik und Syntax möchte ich mich bei Espen Aarseth bedanken. 30 S. Egenfeldt-Nielsen!J. Smith/S. Tosca: Understanding Video Games, S. 183. 31 HALF-LIFE 2 (Valve/Sierra 2004, 0: Valve).
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Gordon Calleja unterscheidet in seinem Konzept der räumlichen lnvolvierung zwischen der Makroebene der Exploration 32 und der Mikroebene der konkreten räumlichen Navigation 33, die von den drei Phasen der Erkundung, dem Erstellen einer mentalen Landkarte und der graduellen Kontrolle über den Spielraum durch taktische Interventionen geprägt ist. Zu den medienspezifischen Ausprägungen der navigierbaren Räume merkt er an: »Digital games and virtual worlds are particularly adept at facilitating spatial exploration that enables players not only to project their imagination into the represented Iandscapes but also to traverse them.«34
In Hinblick auf die Mise en Game wäre zu ergänzen, dass die Vorstellung des Spielraums durch die entsprechenden Cues, audiovisuellen Signale und Genre-Referenzen, die zum kognitiven Verständnis der Spielumgebung beitragen, inszenatorisch vorcodiert sein kann und daher der »process ofupdating the mental image ofthe space«35 einen entsprechenden Filter verliehen bekommt. Die Semantik der Mise en Game und die durch sie hervorgerufenen Assoziationen ermöglichen unter Umständen eine entsprechend beschleunigte Orientierung hinsichtlich der Mechanik und des mit dieser verbundenen Gameplays. Wenn der Spieler zu Beginn von STAR WARS - THE FORCE UNLEASHED36 Darth Vader steuert, lässt sich auf Grund des ikonographischen Vorwissens bereits erahnen, dass sich dieser nicht gerade wie sein Alter Ego aus der YouTube-Serie CHAD V ADER auf dem Weg zur Arbeit im örtlichen Supermarkt befindet. Die Organisation des spielerischen Handlungsraums rekurriert auf ein serielles Vorwissen der Spieler. Shane Denson und Andreas Jahn-Sudmann benennen in ihrem Aufsatz Digital Seriality37 drei Formen von Serialität in digitalen Spielen: eine intra-ludisehe
32 Vgl. Calleja, Gordon: In-Game. From Immersion to Incorporation, Cambridge: MIT Press 201 l, S. 73. 33 Vgl. ebd., S. 77. 34 Ebd., S. 73. 35 Ebd., S. 89. 36 STAR WARS- THE FORCE UNLEASHED (LucasArts 2008, 0: LucasArts/ Aspyr). 37 Denson, Shane/Jahn-Sudmann, Andreas: »Digital Seriality: On the Serial Aesthetics and Practice of Digital Games«, in: Eludamos. Journal for Computer
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Serialität zwischen den Levels und Welten eines Spiels, eine inter-ludisehe Serialität, die sich zwischen einzelnen Spielen ergibt, und eine paraludisehe Serialität, die sich auf Wissen außerhalb der jeweiligen Spiele bezieht. Tn Videospielen, die im Kontext eines Transmedia-Worldbuilding- oder Transmedia-Storytelling-Komplexes angesiedelt oder als Fortsetzung zu einem anderen Spiel angelegt sind, kann die Mise en Game analog der Mise en Scene in Sequels und Prequels dazu genutzt werden, um entsprechende inter-ludisehe Erwartungshaltungen bezüglich des Gameplays und der Mechanik zu befördern. Zu Beginn des Spiels TOMB RAIDER - LEGEND38 sollten die meisten Spieler mit den Handlungskonventionen der Abenteurerin Lara Croft vertraut sein, selbst wenn sie die anderen Spiele der Reihe nur flüchtig kennen. Der vergleichbar den TNDIANA JONES- und JAMES BONDFilmen unmittelbar erfolgende Einstieg im Tuterial mitten in einer riskanten Kletterpartie im Hochgebirge appelliert an das popkulturelle Gedächtnis der Spieler und lässt eine Mind Map erwarten, die nicht dem Aufbau einer realistischen Bergsteiger- und Höhlenmission entsprechen wird. Eine besondere Finesse des 2013 erfolgten TOMB RAIDER-Reboots,39 der deutlich von der Mystery-Robinsonade der TV-Serie LOST beeinflusst wurde, besteht neben dem realistischeren Erscheinungsbild Laras in den Beschränkungen des Gameplays, das der Situation ihres ersten Abenteuers entspricht. Anstelle der üblichen Bewaffnung mit zwei Pistolen, die über unbegrenzte Munition verfugen, muss sich Lara die später vertrauten Fähigkeiten erst mühsam im Spielverlauf aneignen. Inszenierung und Spielmechanik werden im Rahmen der Mise en Game unmittelbar kombiniert und involvieren den Spieler durch das flir innovative Genreformen charakteristische Wechselspiel aus Wiederholung und Variation. Die spielerische Involvierung ergibt sich im Sinne von Britta Neitzel maßgeblich aus der Unterscheidung zwischen Point-of-View, dem Blick des Betrachters, und dem tatsächlichen Point-of-Action, von dem aus die Spieler in das simulierte Geschehen eingreifen:
Game Culture, 7, I (2013), S. 1-32, http://www.eludamos.org/index.php/eluda mos/article/view/vol7no 1-1 /7-1-1-html 38 TOMB RAIDER-LEGEND (Eidos Interactive 2006, 0: Crystal Dynamics). 39 TOMB RAIDER (Square Enix 2013, 0: Crystal Dynamics).
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»Die Zentralperspektive ist eine Technik, die den Betrachter im Bild als Betrachter verankert. Im Computerspiel wirdjedoch nicht nur der Blickpunkt eines Spielers im Bild verankert, sondern auch ein Aktionspunkt (Point-of-Action), wobei beide Punkte j e nach Spiel unterschiedlich miteinander interagieren.«40
Die TOMB RATDER-Reihe lässt einen bestimmten Point-of-Action, der sich aus der Third-Person-Perspektive ergibt, erwarten, während in einem Adventure die gleichen von der Figur ausgeführten Handlungen einen weitaus distanzierteren und gemächlicheren Umgang mit dem Interface nahelegen würden. Von der filmischen Mise en Scene inspirierte Strategien der Mise en Game ermöglichen eine emotionale Anteilnahme des Spielers, kombiniert mit einem gezielten Wechselspiel aus Handlungsmöglichkeiten und dramaturgisch konzipiertem Kontrollverlust Britta Neitzel schreibt in einem Ausblick über die Adressierung der einfühlsamen Affekte in Videospielen: »Emotionale lnvolvierung wird traditionell eher als von der Imagination abhängig verstanden. [ .. . ] Empathie oder Identifikation, ein Mitleiden oder Mitfühlen mit einer Figur, wird jedoch vor allem möglich durch die Unmöglichkeit des Eingreifens in das Geschehen im Film oder in anderen nicht-interaktiven Medien.neu< entdeckte Rollenspiel PLANESCAPE TORMENT unterläuft die Konventionen des Genres, indem der Protagonist, der durch einen Seelenhandel die eigene Unsterblichkeit erlangte, mit den Auswirkungen der damit verbundenen Schuld umgehen muss und im letzten Level sämtliche
40 Neitzel, Britta: »lnvolvierungsstrategien des Computerspiels«, in : Gamescoop (Hg.), Theorien des Computerspiels. Zur Einführung, Hamburg: Junius Verlag 2012,
s. 98.
41 Ebd., S. I 02. 42 PLANESCAPE TORMENT (Jnterplay 1999, 0: Black lsle Studios); RED DEAD REDEMPTION (Rockstar Games 2010, 0 : Rockstar San Diego); THE LASTOFUs (Sony 2013, 0: Naughty Dog).
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seiner Begleiter zwangsweise verliert. Die zentrale Thematik, die Frage nach der Veränderbarkeit der Natur eines Menschen, wird durch die Mise en Game und die mit den Themen Tod und Transzendenz konnotierten Schauplätze entsprechend vorbereitet. Das tragische Ende des als Antihelden angelegten Avatars in RED DEAD REDEMPTION wird durch das fiir skeptische revisionistische Western wie IL GRANDE STLENZTO und MCCABE AND MRS MILLER charakteristische winterliche Setting während der letzten Konfrontation mit einem ehemaligen Gefährten vorbereitet. 43 Entgegen den Konventionen eines Boss Fights stürzt sich der Gegner nach einer halsbrecherischen Verfolgungsjagd zu Tode statt mit dem Avatar zu kämpfen. Zugleich hinterlässt er dem Protagonisten die entscheidende Warnung, dass man selbst das nächste Opfer der korrupten Regierungsagenten, in deren Auftrag der Avatar gehandelt hat, sein wird. In THE LASTOFUs bekommt der Spieler im Verlauf des Prologs die spielerische Kontrolle über die junge Tochter des späteren Protagonisten, nur um deren brutalen Tod durch einen Soldaten am Ende des Levels hilflos mit ansehen zu müssen. Der Effekt dieser Form der Mise en Game erinnert an die emotionale Motivation, die einem Schauspieler zur Ausgestaltung einer übernommenen Rolle vermittelt wird. Die Handlungen der gespielten Figur sind vom Designer vorgegeben und der Spieler vollzieht im Idealfall die damit assoziierten Emotionen und Affekte nach. Aus einer gamesorientierten Perspektive wäre es als Forschungsfrage und Gegenentwurf zum orchestrierten Einfühlen außerdem ergiebig, die Entwicklung von der filmischen Mise en Scene zu einer weiteren Form der Mise en Game im Videospiel über die kollaborativen Prozesse zwischen einem Game Master und einer Spielergruppe in Pen-and-Paper-Rollenspielen genauer zu erforschen. Die Funktion eines Game Masters erinnert durch seine Kontrolle über das Spielszenario an einen Regisseur. Zugleich muss er jedoch auf der Grundlage der Spielregeln und der Spielmechanik mit der Spielergruppe die Konsequenzen der Handlung erst ermitteln. Im Unterschied zum weitgehend festgelegten Drehbuch eines Spielfilms, ähnelt diese Situation den Handlungen im Rahmen eines Tmprovisationstheaters. In einigen Videospielen vollziehen sich diese auf einer Bühne, die über die
43 IL GRANDE SILENZIO (Italien 1968, R: Sergio Corbucci); MCCABE AND MRS MILLER(USA 1971, R: Robert Altman).
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elaborierten Illusionseffekte eines Spielfilms verfügt, und dennoch zugleich die Offenheit einer Pen-and-Paper-Rollenspiel-Sitzung beibehält. Eine Untersuchung dieser Remediali sierungs- und Transferprozesse, die über den Ansatz einer gewölmlichen Adaption hinausgehen, würde einen ausbaufähigen Übergang zwischen literarischen Quest-Narrativen und abstrakten formali stischen spielerischen Herausforderungen und der audiovisuellen Ausformulierung im Rahmen einer Mise en Game schaffen.
AUSBLICK- SKIZZE ZU MÖGLICHEN VARIANTEN EINER MISE EN GAME Ausgehend von den in der vorangegangenen Analyse betrachteten spielerischen Rauminszenierungen sowie der mit diesen verbundenen Handlungsmöglichkeiten und lnvolvierungsformen der Spieler möchte ich abschließend als Ausblick vier Varianten der Mise en Game vorschlagen. Zwei von ilmen lassen sich als Erweiterung des von Henry Jenkins 2004 entwickelten Konzepts des Gamedesign as Narrative Architecture fassen, allerdings nicht zwangsläufig mit dem Ziel verbunden, neue narrative Erfahrungen durch die kreative Manipulation der Umgebung zu erzeugen: 1.
Anspielungsreiche Mise en Game, die Jenkins Idee einer »evocative narrative«44 ergänzt und sich insbesondere für Adaptionen, Appropriationen oder die spielerische Erweiterung bekannter filmischer, literarischer oder inter-ludischer Vorlagen anbietet. Sie ähnelt einer mit einem konkreten Franchise wie den JAMES BOND-Filmen oder einer mit der Ästhetik einer bestimmten Storyworld wie STAR W ARS gekoppelten Variante jener >konventionalisierten Genreräumeembedded narrativegrasp< or >apprehension < points to the process of getting at one thing through another, of handling and sensing many facets at a time through more than one sense at a time. It begins to be evident that >touch< is not skin but the interplay of senses, and the >keep in touch < and >getting in touch< is a matter of fruitful meeting ofsenses.«22
21 Zur Modalität und Medialität dieses Verhältnisses vgl. Gotto, Lisa: »Kontaktieren. Zur medialen Begegnungszone von Visualität und Taktilität«, in: Daniela WentzJAndre Wendler (Hg.), Die Medien und das Neue, Marburg: Schüren 2009,
s.
17-28.
22 McLuhan, Marshall: Understanding Media. The Extensions of Man, New York: McGraw-Hill 1964, S. 60. Ebenfalls in den 1960er Jahren beginnt A. Michael No11 mit der Entwicklung seiner Vorste11ung zum Verhältnis von digitalen Computern und visuell-taktiler Kommunikation (vgl. Noll, A. Michael: »The Digital Computer as a Creative Medium«, in IEEE Spectrum 4, 10 ( 1967), S. 89-95). Dabei versteht er die Einführung des Taktilen nicht als ergänzenden Zusatz der visue11en Repräsentation, sondern als integrative Erweiterung von Wahrnehmungsdispositionen: »Man-machine tactile communi cation emerges not as a supplement for computer-generated visual displays but primarily as an entirely new man-machine communication medium or channel of vast importance for its own unique abilities to represent surfaces and objects.« (Noll, A.
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Die sinnliche Wahrnehmung der post-mechanischen Epoche zeichnet sich demnach durch ihr transferables Potenzial aus, durch eine Art der Wechselhaftigkeit, die die Erschließung von Welt und Wissen beschleunigend vorantreibt. Erst durch das Zusammenspiel der unterschiedlichen Fom1en und Facetten des Sinneseindrucks wird erweitertes Erfassen und Begreifen als Komplex von medialer, stimulierter und induzierter Kognition möglich. Die damit verbundene Umformung von Wissensformen und Erkenntnismöglichkeiten perspektiviert Viiern Flusser entlang des Umbruchs von der Linearität der Schriftkultur zur Ausbildung von nonlinear strukturierten Codes und Kommunikationsweisen. Seiner Abhandlung Krise der Linearität stellt er folgende prägnante Hypothese voran: »Man ging vom Bild zur Schrift, diese wurde vorherrschend, kam in eine Krise, wurde durchbrochen, und nun steht man jenseits der Schrift, in einer neuen Einbildung, in der wir uns erst zu üben haben.«23
Diese neue Einbildung, hervorgebracht und vorangetrieben durch die digitale Restrukturierung von Bildformen und Bildweiten, löst nicht allein den linearen Code als vorherrschende Wahrnehmungs- und Wissensart auf. Sie gibt weiterhin Anlass zu der Vermutung, dass sich das Denkvermögen nicht einfach reorganisiert, sondern genuin neu formiert. So ist laut Flusser davon auszugehen, »dass der Übergang aus eindimensionalen in nulldimensionale Codes nicht nur neue Erkenntniskategorien (etwa Wahrscheinlichkeitsrechnung statt kausaler Erklärung, oder Proportionskalkül statt Logik), sondern überhaupt neue Kategorien (vor allem Werte) mit sich bringt.«24
Wenn diese Annahme zutrifft, dann wäre abschließend danach zu fragen, welche neuen Beziehungen und Bezugsfelder sich in der Ablösungsphase vom technisch Etablierten zum medial Emergierenden abzuzeichnen beginnen, und welche Umformungspotentiale digitale Games dabei zu eröffnen
Michael: »Man-Machine Tactile-Communication«, SID Journal I, 2 ( 1972), S. 5-11, hier S. 10.) 23 Flusser, Vilem: Krise der Linearität, Bern: Benteli 1992, S. 4-5. 24 Ebd., S. 34.
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vermögen. Dabei geht es nicht allein um die veränderte Verfasstheit von Schrift und Bild, sondern darüber hinaus auch um Fragen nach dem Wandel von systemischen Anordnungen und medialen Konstellationen sowie deren Konsequenzen flir neue Kategorien der Mediengeschichtsschreibung. Sie sollen im folgenden im Vordergrund stehen.
3.
5CHRIFTBILDLICHKEIT: SPIELPOTENTIALE
Die Spielwelten, die TYPE RlDER adressiert, weisen über die Vorstellung des geschlossenen Werks hinaus. Das verdeutlicht bereits die dreifach aufgefacherte Anordnung der Programmebenen, auf denen TYPE RTDER erfahren und erspielt werden kann: als Videospiel, als Social Game und als interaktive Installation. 25 Jede dieser drei Ebenen bringt spezifisch mediale Möglichkeiten des Erkennens und Erlebens ins Spiel, wobei sie in einer Art interagieren, die den einen Spielbereich stets auch als Verweis auf einen anderen erkennbar werden lassen kann. Als verschränktes Ineinander, als intermediales Verfließen von nicht länger klar abgrenzbaren Bereichen, deutet sich hier eine Entwicklung an, die nicht mehr von Entitäten aus-, sondern in Prozessen aufgeht. Bereits das Videospiel TYPE RlDER ist eigentlich nicht ein einzelnes Spiel im Sinne einer festen, geschlossenen Anordnung, denn es kann sowohl auf dem PC als auch auf dem Smartphone oder dem Tablet installiert werden. Je nach Anwendung variieren die Bedienungs- und Spielmöglichkeiten: Während die beiden Punkte auf der PC-Tastatur über Tippbewegungen gesteuert und ihre Bewegungen auf dem stationären Bildschirm verfolgt und vorangetrieben werden, verlangt die Navigation auf den mobilen Geräten andere Fertigkeiten wie das Ausbalancieren von Kippbewegungen oder die Bedienung durch Touch- und Gestensteuerung. Ermöglicht und verdeutlicht wird dabei ein variables ReflexionspotentiaL Tm ersten Fall entwickelt der Spieler durch sein tasten-gesteuertes Handeln ein Bewusstsein fiir veränderte Tippverfahren (etwa dadurch, dass die Buchsta-
25 Zur Präsentation dieser drei vernetzten Ebenen siehe die arte-Homepage »TYPE RIDER- Eine typografische Odyssee« unter http://typerider.arte.tv/#/
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Abbildung 5: TYPE RIDER: Facebook Creation Kit
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u ur 1s n ben-Tasten des PCs in gewisser Weise umfunktioniert werden, also nicht länger einer mechanischen Tippbewegung zur Textproduktion gehorchen, sondern in das Spieluniversum eingegliedert werden; dass die Tastatur also von der Logik des Type Writer zum TYPE RIDER wechselt). Im zweiten Fall erfährt er eine Sensibilisierung für eher malerische Bewegungen, die mehr an die Virtuosität des Pinselstrichs oder die Manier der Handschrift als an die Mechanik der Maschinenschrift erinnern (etwa dadurch, dass Tablet oder Smartphone wie eine Tafel erscheinen, die sowohl Spielbrett als auch lnskriptionstläche oder Maluntergrund sein kann; eine mobile Ebene nicht nur der Einschreibung und Aufzeichnung, sondern auch der Gestaltbarkeil durch manuelle Bewegung, d.h. der fließenden Variation und Manipulation). Eine weitere Möglichkeit der reflexiven Aneignung von medialen Wandlungsprozessen eröffnet das TYPE RIDER Social Game. Dabei handelt es sich um eine Facebook-Anwendung, die es den Nutzern erlaubt, ihre eigenen spielbaren Levels zu entwerfen und mit anderen N utzem zu teilen. Dafür werden verschiedene Designkomponenten und Gestaltungsoptionen zur Verfügung gestellt, mittels derer sowohl die Ausrichtung als auch der Komplexitätsgrad der Level selbst bestimmt werden können. Ausgehend von einer einfachen Grundkonstellation des Level Designs, nämlich der Definition von Start- und Zielpunkt, werden in einem weiteren Schritt Herausforderungen und Hindernisse als gestaltbare Elemente hinzugefügt. Dabei können die Positionierung und Richtung der Buchstaben angelegt sowie ihr Maßstab, ihre Beweglichkeit und Rotationsfähigkeit verändert werden.
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Weiterhin steht den Nutzern eine Kamera-Funktion zur Verfügung, über die Perspektivwechsel (etwa Zoom-In und Zoom-Out), bewegliche Sehanordnungen und variable Blickpositionen realisiert werden können. Trainiert und reflektiert wird damit die kreative Verfugung über raumgestalterische Aspekte (etwa die Berücksichtigung von Tiefenkriterien im Bildaufbau) und bewegungsinduzierte Handlungsoptionen (etwa die Bezugnahme auf spielmechanische Faktoren wie die Integration von Hürden und Hindernissen). Weiterhin ist die Einübung in das Level Design eingebunden in ein spiel-spezifisches Motivationssystem: Der Nutzer durchläuft unterschiedliche Ausbildungsstrecken und wird seinen Fortschritten entsprechend zertifiziert (so kann er beispielsweise vom Rang eines Steinmetz in den eines Kopisten aufsteigen). Und schließlich bleiben die selbst kreierten Spielabschnitte keine losen Entwürfe, sondern können von anderen Spielern erprobt und empfohlen werden (so ist etwa die Freigabe für Communities oder die Herausforderung von Facebook-Freunden mit einer neuen Bestzeit möglich). Das TYPE RIDER-Level Design bietet damit mehr als eine gestalterische Aufgabenstellung: Als Social Game konzentriert es sich auf Feedback und Interaktion und ermöglicht so nicht nur die experimentelle Entwicklung von Spielumgebungen, sondern auch ein erweitertes Verständnis für dynamische Optimierungsprozesse, modifizierbare Bauformen und variable Regelsysteme. Die dritte Programmebene, die interaktive Installation, evoziert die Übertragung der Spielprinzipien von der Bildschirm-Welt in den realen Raum. Sie reflektiert damit die Überlagerung der Realitätswahrnehmung durch Spielformen, die die Geschlossenheit des begrenzten Spielfelds überwinden, also über das stationäre Spielmedium ausgreifen und damit in die Wirklichkeit eingreifen. Dabei zeigt die Anordnung der Installation eine Form der Inszenierung, die die Punkte als projizierte Elemente im Raum schweben lässt, wobei die Buchstaben, an denen sie entlanggleiten, vom Betrachter-Nutzer selbst umgestellt und immer wieder neu arrangiert und ausgerichtet werden können. Erlebbar wird dabei eine Realitätserfahrung, in der das Subjekt von medialen Objekten umgeben wird. Diese Objekte bewegen sich um den Betrachter herum, während seine eigenen Bewegungen mit denen der Objekte interagieren und dadurch ihre Dynamik modifizieren. Es geht hier also nicht um Verortung im Sinne einer stabilisierenden Rahmung, sondern um Entartung im Sinne einer Auflösung von Begrenzungen und Markierungen, wie sie etwa der Rahmen des Bildschirms als
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Sichtfeld oder das Feld der Tastatur als Steuerungsapparatur vorgeben. Damit wird einerseits die Sensibilisierung für den Ablöseprozess der Schriftkultur von ihren materiellen Grundlagen geschärft (insofern die Installation sich mit der Virtualisierung sowohl der Schreibwerkzeuge als auch der Trägermedien auseinandersetzt), und andererseits, wichtiger noch, auf eine Erweiterung der Realitätswahrnehmung verwiesen, wie sie sich gegenwärtig in Augmented Reality-Anordnungen abzuzeichnen und auszudifferenzieren beginnt (insofern Text-Informationen im digitalen Zeitalter nicht länger als Einblendungen, sondern vielmehr als Überblendungen existieren, sie dem realen Raum also nicht länger vorstehen, sondern mit ihm fusionieren). Nicht nur haben die Texte und Bilder ihre analog angestammten Orte verlassen, sie vermögen darüber hinaus in einer Weise zu zirkulieren, die das, was wir als Wirklichkeit wahrnehmen, nicht nur anzureichern, sondern auch zu übersteigen in der Lage ist. Als transmediales Proj ekt, das sein eigenes Universum fortwährend umzuwandeln und auszuweiten vermag, fokussiert TYPE RIDER nicht nur den Wandel der Schriftkultur samt ihrer historisch variablen Anordnungen und Verfahren. Es regt weiterhin dazu an, die Verfasstheit und Vermittlung von Wissen in ihren Leitkategorien zu überdenken. TYPE RIDER kann somit exemplarisch für eine mediale Reflexion von Übertragungsformen stehen, die nach den Konsequenzen für ein verändertes Denken über das Verhältnis von Kulturtechnik und Mediengeschichtsschreibung fragt. Dafür bietet es sich sogar besonders an, weil es das Historische klar erkennbar in das Zentrum seiner Darstellungen rückt. Das damit verbundene Potential für ein verändertes und veränderndes Geschichtsverständnis ist im Zusammenhang mit der Untersuchung von historisierenden Videospielen bereits angesprochen worden: »Videospiele, die historische Inhalte verarbeiten [ .. .], sind aber tatsächlich Mechanismen zur dynamischen Produktion mehr oder weniger kohärenter Repräsentationsprozesse von Vergangenheitsbildern.«26 Darüber hinaus sind sie jedoch, so muss ergänzt werden, nicht nur mit der Repräsentation, sondern überhaupt mit der Produktion und Modulation von historischem Wissen befasst. Es geht also weniger um die Frage, wie die
26 Kerschbaumer, Florian/ Winnerling, Tobias: »Postmoderne Visionen des VorModernen: Des 19. Jahrhunderts geisterhaftes Echo«, in: Dies. (Hg.), Frühe
Neuzeit im Videospiel. Geschichtswissenschaftliehe Perspektiven, Bielefeld: transcript 2014, S. 11-24, hier S. 14.
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Repräsentation von Vergangenheit medial spezifisch inszeniert und gestaltet werden kann. Entscheidend ist vielmehr der Umstand, dass historisierende Videospiele den Blick auf die Geschichte nicht losgelöst von ihrer eigenen medialen Situiertheit richten können. Was inuner sie an Geschichtswissen ins Spiel bringen, wird durch ihr eigenes Spielwissen geprägt und geformt. Zu berücksichtigen ist also, »dass alle Geschichtsschreibung ihrerseits medienabhängig ist. Ohne Medien des Beobachtens, Archivierens, Sortierens, Erschließens, ohne Medien der Codierung und Darstellung in Bild, Wort und Zahl, ohne Medien der Verbreitung schließlich ist Geschichtsschreibung (und somit Geschichte überhaupt) nicht möglich. Die Medien sind also nicht nur Gegenstand historischer Betrachtung, Codienmg und Darstellung, sie bedingen selbst vielmehr die historische Betrachtung, Codierung und Darstellung.«27
Wenn das digitale Spiel TYPE RIDER sich mit der Geschichte der Schrift befasst, dann vermittelt es sie auf game-spezifische Weise, schreibt sie also nicht einfach auf, sondern schreibt sich selbst ein in das, was es als Schriftwissen generiert und transferiert. Insofern ermöglicht es eine Perspektivverlagerung und Blickerweiterung, die die eigene mediale Verfasstheit auch flir den Blick auf andere, ihr vorgelagerte Medienkulturen produktiv machen kann, denn, so Lev Manovich: »Die Computerisierung der Kultur berührt nicht nur die Logik heute produzierter kultureller Objekte, sondern auch unser Verständnis von Kunst und Medien der Vergangenheit.«28 In der Konsequenz müssten neue Kategorien, die erst durch die Digitalisierung entstehen, auf medienhistorische Zusammenhänge angewendet werden. Als Beispiel nennt Manovich das Interface, die seiner Meinung nach »wichtigste neue theoretische Kategorie«, und schlägt vor, eine »neue Lesart der Mediengeschichte als Geschichte des Interface Designs« zu entwickeln, also »das Interface, diese[n] aus Ingenieurlabors stammende[n]
27 Engell, Lorenz/Vogl, Joseph: »Editorial«, in: Archiv für Mediengeschichte 1:
Mediale Historiographien (2001 ), S. 5-8, hier S. 7. 28 Manovich, Lev: »Das Interface als Kategorie der Mediengeschichte«, in : Archiv für Mediengeschichte 1: Mediale Historiographien (2001), S. 161-1 70, hier S. 161.
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Begriff, als weit reichende Kulturkategorie [zu] denken.« 29 Ansetzend beim Interface als Mensch-Maschine-Schnittstelle, die sowohl technische als auch konzeptue lle Erfordernisse verlangt und damit Innovationen vorantreibt, wendet sich Manovich der Internet-Kultur und der Frage ihrer Vermittlungsfunktion zu. Das Interface ist hier als zentrale kultnrelle Kategorie zu verstehen, die nicht auf die Funktion einer apparativen Schaltstelle reduzierbar ist. Vielmehr muss sie als ein umfassendes Konzept aufgefasst werden, das sowohl technologische Operationsfähigkeiten als auch kulturelle Organisationsmöglichkeiten betrifft. Als Beispiel nennt Manovich den Webbrowser als eine Art Durchgangsschleuse, durch den jegliche tedm ische Information und künstlerische Produktion hindurchläuft »Da nun das Fenster des Webbrowsers gleichermaßen das Kino wie den Fernsehbildschirm, die Wand in der Kunstgalerie, die Bibliothek wie auch das Buch zu ersetzen beginnt, manifestiert sich eine neue Situation: Jegliche Kultur aus Vergangenheit und Gegenwart wird durch den Computer mit seinem besonderen MenschComputer-Interface (human-computer interface) filtrie1t.«30 Mit der Formulierung des »Fensters« ist ein weitreichender Umbruch angesprochen, der nicht allein die Funktion des Durchgangs von Inhalten, sondern auch Fragen nach ihrer Repräsentation und Wahrnehmung betrifft. Auf diesen Aspekt haben Jay David Bolter und Richard Grusin nachdrücklich hingewiesen. Ihr Konzept der Remediatisierung konzentriert sich auf Prozesse, in denen vergangene und gegenwärtige mediale Logiken aneinander vermittelt werden. Das zentrale Charakteristikum der digitalen Kultur besteht diesem Verständnis nach in einer Tendenz zur Hypermedialisierung, einer medialen Re-Organisation von Perspektivverständnissen und Blickverhältnissen:
29 Ebd., S. 162. Einen frühen Ansatz zum Interface als kulturelle Kategorie liefert
Johnson, Stephen: Interface Culture. How New Technology Transforms the Way We Create and Communicate, New York: Basic Books 1997. Zum Potential des Interface als Medien-Theorem vgl. weiterhin Galloway; Alexander R. : The Interface Efß:ct, Cambridge: Polity 2012 sowie Hookway, Brandon: Interface, Cambridge: MIT Press 2014. 30 L. Manovich: »Interface«, S. 163.
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»Where immediacy suggests a unified visual space, contemporary hypermediacy offers a heterogenaus space, in which representation is conceived of not as a w indow on to the world, but rather as >windowed< itself- with windows that open to other representations or other media.«31
In eine ähnliche Richtung argumentiert Anne Friedberg, deren Geschichte des Fensters als kulturelles Interface eine Entwicklung von der Multiplizierung zur zunehmenden Virtualisierung perspektiviert: »The window's metaphoric boundary is no Ionger the singular frrune of perspective - as beholders of multiple screen >windowsViliual windows< that rely more on the multiple and simultaneaus than on the singular and sequential.«32
Entscheidend für das Interface als kulturelle Kategorie ist jedoch eine Komponente, die über die blickarchitektonischen Vervielfältigungs- und Erweiterungsformen sowie ihre ästheti sche Neigung zu Virtualisierung und Fusion hinausgeht: die Dimension des Eingriffs und der Steuerung. Will man nun also die Kategorie des Interface in Relation zu digitalen Spielen bringen, wird man über apparative Anordnungen (wie etwa die Hardware der Steuemngswerkzeuge, also z.ß. Tastaturen, Joysticks, Gamepads oder andere Controller) hinausweisend die Frage nach umfassenden Regelungen der ausfUhrenden Aktion stellen müssen. Alexander R. Galloway betont: »Interfaces are not simply objects or boundary points. They are autonomaus zones of activity. Interfaces are not things, but rather processes that effect a result of whatever kind.«33 War einst die Organisationsform des Buchdrucks das wirkmächtige Interface zur Wissenskultur, das Zugänge, Wahrnehmungsweisen und Denkformen regelte, generieren nun digitale interaktive Spielformen neue Passagen der Aktivität und des Austauschs. Ihre genuine Leistung besteht darin, nicht nur Inhalte variabel zu verarbeiten
31 Bolter, Jay David/Grusin, Richard: Remediation. Understanding New Media, Cambridge: MIT Press 2000, S. 243. 32 Friedberg, Anne: Window Shopping: Cinema and the Postmodern, Berkeley: University of California Press 2000, S. 243. Vgl. weiterhin Dies.: The Virtual
Window: From Alberti to Microso.fi, Cambridge: MIT Press 2009. 33 Galloway, Alexander R.: The Interface Effect, Cambridge: Polity 2012, S. vii.
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und zu präsentieren, sondern auch erweiterte Steuerungsmöglichkeiten zu bieten. Der daraus resultierende Effekt besteht in der Dynamisierung von Denk- und Handlungsoptionen: im Spiel selbst und darüber hinaus. Ein abschließender Blick auf TYPE RLDER mag das verdeutlichen. Was dieses Spiel nämlich verarbeitet, ist der Übergang von invarianten Wissensständen zu flexiblen Wissenskonstellationen. Auf der inner-ludisehen Ebene wird das bereits durch die Serialität der Spielabläufe sichtbar: Der Prozess der Aneignung verläuft nicht einmalig, sondern mehrfach; wobei die Grundanordnung zwar bestehen bleibt, das Durchspielen selbst aber Variation und Abweichung zulässt. Es geht beim Spielen also nicht darum, festes Wissen repetitiv zu festigen, sondern vielmehr darum, das, was gewusst werden kann, variabel zu erkunden. Insofern haben wir es mit einer experimentellen Exploration zu tun: Etwas muss wiederholend getestet werden, um von einer Erkenntnisebene zur nächsten zu gelangen. Damit hängt eine besondere Möglichkeit zusammen, nämlich die, den Blick für die verworfenen Möglichkeiten des Vorankommens zu schärfen. In TYPE RIDER werden sie motivisch sogar besonders hervorgehoben, insofern sie mit der Thematik des Spiels aufs engste verknüpft sind. So wird etwa das Bewegungstempo der Punkte im ersten Level, das sich mit der Dynamisierung des Buchdruckzeitalters befasst, genau dann verringert, wenn sie auf die Lache eines auslaufenden Tintenfasses geraten: Während die Druckerpresse die Textproduktion maschinell beschleunigt, sorgt das Verweilen bei der Handschrift flir eine Verlangsamung des Fortgangs und damit des wahrnehmbaren Fortschritts. Es ist eben dieses gesteigerte Bewusstsein für die Kontingenz des historischen Wandels, für seinen nicht-linearen Verlauf, für alle Abzweigungen und die Möglichkeit, dass alles auch hätte anders verlaufen können, die nicht nur einen erweiterten Blick, sondern auch ein anderes Aneignen und damit einen anderen Umgang mit medialen Evolutionsprozessen in Aussicht stellt. Dieses Bewusstsein entwickelt sich nicht allein in der Welt des Spiels, sondern dehnt sich aus auf einen Komplex, den Shane Densan und Andreas Jahn-Sudmann »serial interfacing« nennen. 34 Das, was im Spiel er-
34 Gemeint sind damit »processes of temporal-serial experiences that transpire at the interface of humans and digital technologies. The focus here thus lies on what we call the phenomenon of serial interfacing between games and gamers.« (Denson, Shane/Jahn-Sudmann, Andreas: »Digital Seriality. On the Serial Aes-
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kundet und erforscht werden kann, wird in andere mediale Kontexte transferiert und als Spielwissen interpoliert. Exemplarisch lässt sich das an der Produktion von jenen YouTube-Videos nachvollziehen, die eine produktive Weiterverarbeitung der TYPE RIDER-Fertigkeiten präsentieren. Anders als die Walkthrough-Videos, die sich ebenfalls zahlreich auf YouTube finden lassen, lösen sich diese Clips von der ursprünglichen Spiel-Szenerie, um eine eigenständige Gestaltungsform zu entwerfen. Dabei oszillieren sie zwischen künstlerischer Inszenierung und visueller Spielerei, zwischen abstraktem Kurzfilm und medienreflexivem Kommentar. Zu finden ist etwa ein digitaler Animationsfilm, in dem sich selbstgestaltete Schriftzüge über Screenshots des Games, aber auch andere Bildschirmbilder bewegen, 35 oder auch ein Clip, der das Experimentieren mit analogem Material, nämlich auf Papier, präsentiert - als ein Arrangement von Falttechniken, die mit dem Verhältnis von Schriftlichkeit und Räumlichkeit spielen. 36 Als variables Ensemble von Praktiken zeigen diese Beispiele einerseits, wie Spieler zu spielübergreifenden Akteuren werden können. Andererseits, und das ist für die Frage der Medien und ihrer Historisierung entscheidend, wird deutlich, dass wir uns am Beginn eines transformativen Prozesses befinden, der nicht nur unser gegenwärtiges Handeln, sondern auch das Verständnis seines Zustandekommens zu verändern vermag. Digitale Spiele sind insofern als Katalysatoren einer historisierend-reflexiven Wissensgenerierung zu verstehen, denn sie können jene »Schwellensituationen fruchtbar machen, in denen diverse miteinander verbundene Fonnen der Instabilität die bestehenden Medienontologien (und mit ihnen auch bestehende Prämissen der Erkenntnistheorie, der Perzeption und des Gedächtnisses) infrage gestellt haben.«37
thetics and Practice of Digital Games«, in: Eludamos. Journal for Computer Game Culture, 7, 1 (2013), S. 1-32, hier S. 11.)
35 Vgl. https://www.youtube.com/watch?v=qkRuK8Dt_G4 36 Vgl. https://www.youtube.com/watch?v=xcSe3Z5KdZA 37 Uricchio, William: »Medien des Übergangs und ihre Historisierung«, in: Archiv für Mediengeschichte 1: Mediale Historiographien (2001 ), S. 57-71, hier S. 70.
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Digitale Spiele sind damit mehr als Archive und Anordnungen, mehr als Apparaturen und Anwendungen: Sie sind Laboratorien, in denen wir uns zukünftig zu bewegen und zu beweisen haben.
LITERATUR Ams, Inke et al. (Hg.): Kinetographien, Bielefeld: Aisthesis 2004. Bickenbach, Matthias: »Der virtuelle Grafik-Raum oder: >lt' s not a game.< Die Gesetze des Yideospiels«, in: Jan Distelmeyer/Christine Hanke/Dieter Mersch (Hg.), Game Over!? Perspektiven des Computerspiels, Bielefeld: transcript 2008, S. 43-57. Bogost, lan: »Exergames. Rhetoriken und soziale Rituale«, in: Gundolf S. Freyermuth/ Lisa Gotto/Fabian Wallenfels (Hg.), Serious Games. Exergames, Exerleaning. Zur Transmedialisierung und Gamification des Wissenstransf ers, Bielefeld: t:ranscript 2013, S. 233-264. Bolter, Jay David!Grusin, Richard: Remediation. Understanding New Media, Cambridge: MIT Press 2000. Bolter, Jay David: »Digitale Schrift«, in: Gernot Grube/Wemer Kogge/Sybille Krämer (Hg.), Schrift. Kulturtechnik zwischen Auge, Hand und Maschine, München: Fink 2005, S. 453-467. Denson, Shane/Jahn-Sudmann, Andreas: »Digital Seriality. On the Serial Aesthetics and Practice of Digital Games«, in: Eludamos. Journal for Computer Game Culture 7, 1 (2013), S. 1-32. Eisenstein, Elizabeth: The Printing Press as an Agent of Change: Communications and Cultural Transformations in Early Modern Europe, Cambridge: Cambridge University Press 1979. Engel!, Lorenz/Vogl, Joseph: »Editorial«, in: Archiv fiir Mediengeschichte 1: Mediale Historiographien (200 1), S. 5-8. Flusser, Vilem: Krise der Linearität, Bern: Benteli 1992. Flusser, Vilem: »Hinweg vom Papier. Die Zukunft des Schreibens«, in: Ders., Medienkultur, Frankfurt a.M.: Fischer 2005, S. 61-68. Friedberg, Anne: Window Shopping: Cinema and the Postmodern, Berkeley: University of California Press 2000. Friedberg, Anne: The Virtual Window: From Alberti to Microsoft , Cambridge: MTT Press 2009.
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30 DEAR ESTHER (The Chinese Room 2012). 31 Zum Konzept des Par/Ergon bezogen auf Computerspiele vgl. Hensel, Thomas: Nature morte im Fadenkreuz. Zur Bildlichkeif des Computerspiels, Trier: Fachhochschule Trier 20 11, insbesondere S. 31-37 und S. 52-54; sowie ders.: »Auto-
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destruktionen Autoikonoklasmen des Computerspiels«, in: Benjamin Beil et al. (Hg.), J AM ERROR. Störungen des Computerspiels, Siegen: universi 20 12, S. 99-11 6. 32 Zur Unterscheidung von Unter- und Oberfläche siehe Nake, Frieder: »Das doppelte Bild«, in: Bildwelten des Wissens. Kunsthistorisches Jahrbuchfür Bildkritik, Band 3, 2 (2005), S. 40-50, hier S. 47: »Das Bild als digitales Bild [... ] ist Oberfläche und Unterfläche zugleich. Beide- das ist entscheidend - sind objektiv vorhanden. Die Oberfläche des digitalen Bildes ist sichtbar, während die Unterfläche bearbeitbar ist. Die Oberfläche besteht flir den Benutzer, die Unterfläche fiir den Prozessor (mit Programm).« (Herv. im Original) 33 Gehmann, Ulrich/Reiche, Martin: »Explorable Spaces. A Conclusion«, in: Dies. (Hg.), Real Virtuality. Ahout the Destruction and Multiplication ofWorld, S ielefeld: transcript 2014, S. 443-451 , hier S. 444f. Vgl. auch Aarseth, Espen: »Genre Trouble. Narrativism and the Art of Simulation«, in: Noah Wardrip-Fruin/Pat Harrigan (Hg.), First Person. New Media as Story,
Pe~f'ormance,
and Game,
Cambridge: MIT Press 2004, S. 45-55, hier S. 51: »The gameworld is its own reward.« - Insofern ist es nur konsequent, dass 1HE LASTOF Us REMASTERED (Sony Computer Entertainment 2014, 0: Naughty Dog) einen Photo-Modus im-
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So nutzen Explorative Games, in den Worten Dan Pinchbecks, Creative Director von D EA R ESTHER, »the most powerful tool: the player's own imagination.«34
plementiert hat - mit emer sprechenden Begründung seitens Naughty Dogs selbst, konkret des Community Strategists Eric Monacelli: »Was ist schon eine schöne nach-pandemische Landschaft, wenn man nicht ein paar gute Bilder davon herzeigen kann?« (Monacelli, Eric: »The Lastof Us Remastered. Fotomodus im Detail« (26.07.20 14), http://blog.de.playstation.com/20 14/07/26/the-lastof-us-remastered-fotomodus-im-detail/) Mit dem Photo-Modus können IngameSchnappschüsse gemacht und manipuliert werden. So lassen sich zum Beispiel Kamerawinkel und Bildfeld verändern, Farbfilter, Vignettierungen oder Bilderrahmen hinzufügen. - Einer sich so ausdrückenden gezielten Würdigung der Ästhetik der Spielwelt durch das Spiel selbst suchen auch die Game Studies gerecht zu werden. Vgl. beispielsweise Huberts, Christian/Standke, Sebastian
I
(Hg.): Zwischen Welten. Atmosphären im Computerspiel, Glückstadt vwh 2014. 34 Dan Pinchbeck, zit. nach U. Gehmann!M. Reiche: »Explorable Spaces«, S. 445. Vgl. auch Agnello, Anthony: »New Horizons. Inside the NewWave of Actionless Adventure Games That Prefer Discovery to Destruction«, in: Edge. The Fu-
ture of lnteractive Entertainment 270 (September 20 14), S. 86-93, hier S. 92: »The gameplay takes place within your mind rather than in the game.« - Explorative Games sind medienarchäologisch und kunsttheoretisch zu Recht mit der Gartenkunst, insbesondere dem Landschaftsgarten und den ihn kennzeichnenden Wege->Führungen< assoziiert worden. Tatsächlich ist der Landschaftsgarten mit einem »Ineinander von Ordnung und Freiheit« (Bredekamp, Horst: Leibniz und
die Revolution der Gartenkunst. Herrenhausen, Versailles und die Philosophie der Blätter, Berlin: Wagenbach 201 2, S. 128) in gewisser Hinsicht mit besagten Computerspielen strukturhomolog: Beide evozieren eine nomadisierend-explorative Navigati on, und beider Nutzer folgen gebahnten Wegen, um ausgewählter, sorgfalti g arrangierter Aspekte einer konstruierten Natur in vermeintlicher Naturbelassenheit augesichtig zu werden, können aber innerhalb des jeweiligen Settings individuelle Routen wählen. So lässt sich etwa die folgende Aussage über Landschaftsgärten auch auf Explorative Games übertragen: »designed for a natural Iook of a designed reality: extended, encompassing, and constructed in such a way that it does not Iook like a construction but as ifit would be natural. lt had to appear as if it would embody a real Iandscape and not Uust) a con-
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Dieses im Zeichen von paidia stehende Para/Gaming wird zu einem Metagaming, 35 wenn der Spieler auf Reflexionen des Spiels im Spiel stößt. Dies ist in TH E LASTOFUs paradigmatisch in mehrfacher Hinsicht der Fall: Zum einen zitiert die Bildoberfläche des Spiels immer wieder Aspekte von Spiel - beispielsweise, und mehrfach, mit der Konsole PlayStation 3 die Hardware- oder auch in einer archäologischen oder evolutiven transmedialen Bewegung verschiedene Brettspiele, die als Merchandising-Spin-offs aus digitalen Spielen heraus entwickelt worden sind: so UNCHARTED oder JAK AND DAXTER,36 kreiert nach einer gleichnamigen Computerspielserie, die von Naughty Dog fiir die PlayStation 2 entwickelt worden war. Eingebettet sind diese Zitate in Settings, die ihrerseits als solche sprechend sind: Hat etwa das Museum als Binnen-Spielweit in fast jedem neueren Commercial Game seinen Auftritt, 37 ist dagegen ein Spielzeugladen, wie er in THE LAST OF Us zu finden ist, eine Besonderheit: Auch hier wird eine Reflexion von Spiel inszeniert- und zwar in Form eines Interdikts: Ein junger Erwachsener verbietet seinem kleineren Bruder, Spielzeug einzupacken,
structed one [ ... ] where [ ... ] functionality [ . .. ] consisted in creating an impression of the non-functional.« (Gehmann, Ulrich/Reiche, Martin: »lntroduction«, in: Dies. (Hg.), Real Virtuality. About the Destruction and Multiplication of
World, B ielefeld: transcript 2014, S. 1-20, hier S. 3f. (Herv. im Original)) Einen ähnlichen Übertrag schlägt Frank Degler vor, wenn er das Computerspiel durch ein auch für die Gartenkunst reklamierbares »inhaltliches wie formales Grundmotiv«, das Labyrinth, kennzeichnet (Degler, Frank: »Erspielte Geschichten. Labyrinthisches Erzählen im Computerspiel«, in: Britta Neitzel/Matthias Bopp/Rolf F. Nohr (Hg.), »See? I'm Real ... « Multidisziplinäre Zugänge zum
Computerspiel am Beispiel von >Silent HiliUnschuldige< Spiel der Kinder selbst einen Dartpfeil werfen kann, diesen aber, so skriptet das Spiel, grobianisch neben die Scheibe auf die Wand setzt. 38
REZEPTIONSÄSTHETIK (WOLFGANG ISER) ODER: THE TURNING UND »DAS WAHRE GESICHT DES SPIELENDEN KINDES« Seinen Höhepunkt findet die Metaisierung des Spiels in LEFT BEHIND, 39 einem Downloadahle Content zu THE LAST OF Us. Hier spielt sich die Behauptung ludischer und paidiatischer Aspekte auf einer makro- und einer mikrologischen Ebene ab. Übergreifend diegetisch wird LEFT BEH!ND durch zwei alternierende Erzählstränge strukturiert, die dadurch aufeinander beziehbar werden, dass beide mit Ellie dieselbe Protagonistin haben, dass beide mit einer Shopping-Mall den gleichen spezifischen Schauplatz-
38 Potenziert wird diese Reflexion noch dadurch, dass in besagter Szene vor dem Fenster spielerisch sich balgende Hunde gezeigt werden. 39 THE LAST OF Us: LEFT BEHIND (Sony Computer Entertainment 2014, 0:
Naughty Dog).
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seit George A. Romeros DAWN OF THE DEAD40 von 1978 der prominenteste ikonisch-kulturkritische Dystopos der Zombie-Apokalypse - wäh len und dass mehrfach von dem einen Strang auf den anderen geschnitten wird, so dass eine assoziative Montage entsteht. Während der eine Handlungsstrang ludisch perspektiviert einen blinden Fleck von THE LAST OF Us ausleuchtet und die Frage beantwortet, wie es Ellie gelingt, den verletzten Joel zu behandeln und an ihr Waffenarsenal zu kommen, ereignet sich der andere etwa ein Jahr bevor Ellie ihren Beschützer kennen lernt. Dieser zweite Strang ist wider die gängigen Genreerwartungen an ein Action-AdventureSurvival-Horror-Game inszeniert und wartet statt mit Stabbing-and-Killing mit einer Verlängerung besagter Coming-of-Age-Erzählung in die Vergangenheit auf. Hier wird mit Blick aufEIIie und ihre- erstjetzt eingeführtebeste Freundin Riley davon erzählt, »wie es sich anfühlt, Teenager zu sein[, ... ] von der Freude, Neues zu entdecken. Wie es sich anflihlt, albern zu sein, Witze zu machen oder wenn man nicht weiß, wie man seine Gefühle mitteilen soll. Wie es sich anfühlt, wenn man merkt, dass die Jugend zu Ende geht.«41
Dieser Strang ist seinerseits paidiatisch akzentuiert, trifft paidia doch »auf jeden glücklichen Überschwang zu, der eine unmittelbare und ungeordnete Tätigkeit, eine ursprüngliche, losgelöste und oft exzessive Freude bezeichnet.«42 Beiden Erzählsträngen ist gemein, dass sie jenes Zu-Ende-Gehen in vielerlei Hinsicht zwar andeuten, nicht aber ausmalen. Fortwährend werden durch das Schneiden der beiden verschiedenen Zeit- und Handlungsketten und dem damit einhergehenden Kappen oder Verschleppen von Spannung
40 DAWN OF THE DEAD (USA 1978, R: George A. Romero). 41 Görig, Carsten: »>The Last of Us - Left BehindEintauchen< in THE TURNING qua Abschattung und Zoom auch eine Veränderung der Lichtreflexe auf ihrem Gesicht einher: >Unnatürlicherwei se< reflektiert jetzt ihr Antlitz schnell sich verändernde Farbspiele, so als zeige der Monitor doch ein dynamisches, lebhaftes Bild des Kampfgeschehens. Die Ostentation des beschriebenen Dispositivs legt nahe, dass es LEFT BEHIND um eine Reflexion der Imaginationsleistung zu tun ist - einer Leistung, die, wie gesehen, insbesondere Explorative Games auszeichnet. Auch Druckmann betont die Bedeutsamkeil der Imagination, sowohl innerhalb der Spielwelt für die Protagonistinnen- »They have to use their imaginations«- als auch fiir die Spielerwelt- »and you have to fill in the gaps«.55
55 Neil Druckmann, zit. nach L. Hudson: »Inside the Mind Behind the Brilliant New Last of Us DLC«. Dementsprechend lässt das Skript des Spiels Ellie sich rückversichernd Riley fragen: »Am I supposed to picture all this?« - Letztlich steht Druckmann in einer Tradition der philosophischen Bestimmung des SpieJens. So betont etwa auch Waller Benjamin die Bedeutsamkeil der Vorstellungskraft: »Solange der sture Naturalismus herrschte, war keine Aussicht, das wahre Gesicht des spielenden Kindes zur Geltung zu bringen. Heute darf man vielleicht schon hoffen, den gründlichen Irrtum zu überwinden, der da vermeint, der Vorstellungsgehalt seines Spielzeugs bestimme das Spiel des Kindes, da es in Wahrheit eher sich umgekehti verhält. Das Kind will etwas ziehen und wird Pferd, will mit Sand spielen und wird Bäcker, will sich verstecken und wird Räuber oder Gendarm. [ ... ] [J]e ansprechender im gewöhnlichen Sinne Spielsachen sind, um so weiter sind sie vom Spielgeräte entfernt; je schrankenloser in ihnen die Nachahmung sich bekundet, desto weiter führen sie vom lebendigen Spielen ab.[ ... ] Nachahmung- so läßt sich das formulieren- ist im Spiel, nicht im Spielzeug zu Hause.« (Benjamin, Walter: »Kulturgeschichte des Spiel-
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Mit Blick darauf, dass es im Spiel kein Filmbild ist, sondern ein wenn auch nicht gelesener, so doch gesprochener Text, an dem sich Ellies Imagination entzündet, lässt sich erneut mit Isers rezeptionsästhetischem Ansatz argumentieren: Anders als Druckmann, der auf die Filmwahrnehmung rekurriert, um die Relevanz der Vorstellungskraft hervorzuheben, geht l ser noch einen Schritt weiter und stützt sich auf die Erfahrung der Textlektüre; durch den Vergleich beider Rezeptionsmodi lasse sich die Eigenheit des Vorstellungsbildes begreifen: »Die Eigenart des Vorstellungsbildes läßt sich dort besonders deutlich fassen, wo man die Verfilmung eines gelesenen Roman s sieht. Denn hier habe ich eine optische Wahrnehmung, die vor dem Hintergnmd meiner Erinnerung an Vorstellungsbilder steht. Der spontane Eindruck, der sich [ ... ] bei der Verfilmung [ . . . ] einstellt, beinhaltet eine gewisse Enttäuschung über die relative Armut [ .. . ] im Vergleich zu jenem Bild, das man sich [ ... ] in der Lektüre gemacht hatte. [ . . . ] Der Unterschied zwischen den beiden Bildtypen besteht [ . . . ] darin, daß ich im Film eine optische Wahrnehmung habe, der ein Objekt vorgegeben ist. Objekte haben im Gegensatz zu Vorstellungen einen höheren Bestimmtheitsgrad. Doch es ist diese Bestimmtheit, die man als Enttäuschung, wenn nicht gar als Verarmung empfindet.« 56
Tatsächlich lässt sich gerade an den unbestimmten Vorstellungsbildern, die das Lesen respektive Hören eines Textes evoziert - im Unterschied zu den bestimmten Wahrnehmungsbildern, die optisch vermittelt sind - ein wesentliches Merkmal des Computerspiels festmachen: dessen Fähigkeit, den Spieler zu involvieren: Laut lser »[ ... ] ergibt sich ein unzertrennlicher Zusammenhang von Vorstellungsbild und lesendem [respektive zuhörendem; T.H.] Subjekt. Das aber he ißt nun nicht, daß die im Vorstellungsbild gegenwärtige Beziehung der Zeichenkomplexe der Willkür der Subjektivität entspringt - so subjektiv ihre Inhalte auch eingefärbt sein mögen; es heißt vielmehr, daß das Subjekt durch den im Bild vorgestellten Zusammenhang
zeugs«, Rezension im Literaturblatt der Frankfurter Zeitung vom 13. Mai 1928, in: Ders., Kritiken und Rezensionen(= Gesammelte Schriften, Band 3), hg. von Hella Tiedemann-Bartel s, Frankfurt a.M.: Suhrkamp 1991 , S. 11 3-11 7, hier S. 116f.) 56 W. Iser: Der Akt des Lesens, S. 222f.
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seinerseits affiziert wird. Charakterisieren sich die von uns im Lesen [oder Zuhören; T.H.] gebildeten Vorstellungsgegenstände dadurch, daß sie Abwesendes bzw. N ichtGegebenes zur Präsenz bringen, so besagt dieses immer zugleich, daß wir in der Präsenz des Vorgestellten sind. Ist man aber in einer Vorstellung, so ist man nicht in der Realität. In der Gegenwart einer Vorstellung zu sein bedeutet daher stets, eine gewisse lrrealisierung zu erleben; denn eine Vorstellung ist insofern eine lrrealitätssetzung, als ich durch sie mit etwas beschäftigt bin, das mich aus der Gegebenheit meiner Realität heraushebt. [ .. . ] Wenn nun ein fiktionaler Text über die von ihm hervorgerufenen Vorstellungen den Leser [oder Zuhörer; T.H.] zumindest für die Dauer der Lektüre [oder des Zuhörens; T.H.] irrealisiert, so ist es nur fo lgerichtig, wenn am Ende eines solchen Vorganges ein >Erwachen< stattfindet. Dieses hat oft den Charakter der Ernüchterung und ist dort besonders deutlich zu verspüren, wo uns ein Text gefesselt hat. [ ... ] Die Bedeutung eines solchen Vorganges liegt darin, daß in der Vorstellungsbildung die fiir alle Beobachtung und für alle Wahrnehmung unabdingbare Subjekt-Objekt-Spaltung gelöscht ist, die sich allerdings im Erwachen zu unserer Lebenswelt desto schärfer akzentuiert. [ .. . ] Geschieht im Vorstellungsbild eine lrrealisierung des Lesers [respektive Zuhörers; T.H.], so ist diese lrreal isierung die Bedingung dafiir, daß ihm im Bild das Ungesagte der Zeichenbeziehung als Realität erscheinen kann.« 57
In dem zitierten Text scheinen alle Kennzeichen der lnvolvierung - seitens der Game Studies verstanden als ein dialektisches, Interaktion und Immersion, Aktivität und Passivität umfassendes Konzept58 - auf: das Gefühl von Gegenwart und Präsenz, die gegenseitige Affizierung von Subjekt und Bild, das Verhältnis wechselseitiger lrrealisierung (von Leser respektive Spieler) und Realisierung (von dessen Vorstellung), die Löschung und Akzentliierung der Subj ekt-Objekt-Spaltung, das Herausgehobenwerden aus der Rea-
57 Ebd., S. 226f. 58 Vgl. Neitzel, Britta: »lnvolvierungsstrategien des Computerspiels«, in: GamesCoop (Hg.), Theorien des
Cumputer~piels
zur Eif?fuhrung, Hamburg: Junius
2012, S. 75-103. Vgl. auch Therrien, Carl: »Immersion«, in: Mark J. P. Wolf/Bernard Perron (Hg.), The Routledge Companion to Video Game Studies, New York/London: Routledge 2014, S. 451-458 sowie Thon, Jan-Noel: » Immersion«, in: Marie-Laure Ryan/Lori Emerson/Benjam in J. Robertson (Hg.),
The Johns Hopkins Guide to Digital Media, Baltimore: Johns Hopkins University Press 2014, S. 269-272.
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lität und das Erwachen in der Realität. Damit lässt sich lsers Text auch als eine Beschreibung gerrau dessen verstehen, was in LEFT BEHIND bei Ellies Spielen von TH E TURNING - dessen Titel sprechend ist - geschieht: Besagtes Dispositiv lässt die Leerstelle selbst thematisch werden, inszeniert sie als die Möglichkeitsbedingung für Vorstellungsbildung und damit lnvolvierung. Verwandt mit der tabula rasa, dem einflussreichsten Sinnbild für die Potentialität aller nur möglichen Bilder,59 ist es die elementare Funktion der Leerstelle, »Projektionsflächen«60 zu organisieren und »Möglichkeitsvielfalt«61 zu eröffnen. LEFT BEHIND demonstriert in der Areade-Episode genau dieses Verständnis der Leerstelle und nutzt sie damit »ästhetisch«, sprich es »verabsolutiert die Leerstellen, weil [ .. .] [es dem Spieler; T.H.] die ihn charakterisierenden Projektionen entdecken [lassen] möchte.«62 Diesem Wunsch nach Aufdeckung ist nicht zuletzt auch die Inszenierung j ener simulativen Irritation auf Ellies Antlitz verpflichtet: Der ästhetische Kniff, das Antlitz der Avatarfigur- ihres Zeichens Proj ektionsfigur der Spielerwelt und inszeniert wie ein Spiegelbild des Spielers - zur Proj ektionsfläche ebenfalls einer Spielwelt, gleichsam zu deren (schemenhaftem) Spiegelbild werden zu lassen, betont jene gegenseitige Affizierung von Subj ekt und Bild als Signum von Involvierung und bringt den Spieler seinerseits zum Reflektieren. Damit steht LEFT BEHIND in der Tradition des Nachdenkens über die ästhetische Grenze. Diese bezeichnet per definitionem die Grenze zwischen
59 Zur Idee der tahula rasa vgl. Wagner, Monika: »Die tahula rasa als Denk-Bild. Zur Vorgeschichte bildloser Bilder«, in : Barbara Naumann/ Edgar Pankow (Hg.),
Bilder-Denken. Bildlichkeif und Ar&TUmentation, München: Fink 2004, S. 67-86. 60 W. Iser: Der Akt des Lesens, S. 306. 6 1 Ebd., S. 286. - Es gibt Spiele, die gerrau dieses Potential zu ihrem eigentlichen Merkmal erheben und vermittels der Soundgestaltung und des AusspieJens der
tahula rasa, sprich des Entzugs äußerer Bildlichkeit, die Schöpfung innerer Bilder beim Spieler anregen. So agiert der Spieler in der Mod THE BLIND MONK'S SOCIETY (Kyle Audick & Erik Carlson 2008) als ein blinder Mönch und navigiert in der Spielwelt ausschließlich mit Hilfe von Soundquellen. Andere Audio Games oder video games with no video sind PAPA SANGRE (Somethin' Else 201 0/2013), PAPA SANGRE 2 (Somethin ' Else 20 13) und THE NTGHTJAR (Somethin' Else 20ll). 62 W. Iser: Der Akt des Lesens, S. 301.
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Kunst- und Realraum, und bezogen auf das Computerspiel ist ihre bildtheoretisch zentrale Figuration der Avatar. 63 Analog zu der zwischen Kunstund Realraum definiert dieser die ästhetische Grenze zwischen Spiel- und Spielerwelt und akzentuie11 zugleich Differenz und Einheit von Objekt und Subjekt, Bild und Betrachter, Spiel und Spieler. 64 In dieser Lesart ist der Avatar gleichzeitig sowohl aktive Figur der Bilderzählung als auch distanziert von dieser, insofern er eine dialogische Beziehung stiftet, die innerhalb der Spielwelt entfaltet wird und so gleichermaßen Modell und Spiegel der Spieler-Spielwelt-Relationen ist. Diese vom Avatar eröffnete Korrespondenz, das zweifache dialogische Verhältnis zwischen dem Avatar als Handlungsträger innerhalb der Spielwelt und dem Avatar als von der SpielerhandJung Getragener ist die Möglichkeitsbedingung von Tnvolvement.
63 Historisch grundlegend fl.ir eine Reflexion der ästhetischen Grenze ist Michalski, Ernst: Die Bedeutung der ästhetischen Grenze für die Methode der
Kunstgeschichte, Berlin: Mann 1996. Vgl. auch Prange, Regine: »Sinnoffenheit und Sinnvemeinung als metapicturale Prinzipien. Zur Historizität bildlicher Selbstreferenz am Beispiel der Rückenfigur«, in: Verena Krieger/Rache) Mader (Hg.), Ambiguität in der Kunst. Typen und Funktionen eines ästhetischen Para-
digmas, Köln u.a.: Böhlau 2010, S. 125-1 67. Zur Übertragung auf das Computerspiel vgl. B. Beil: Avatarbilder, S. 131-170 sowie T. Hensel: Nature morte im
Fadenkreuz. 64 Aus Sicht der Game Studies spricht Rune Klevjer analog von einer »built-in ambiguity in avatar-based play«: »Because avatars mediate a vicarious corporeality on behalf of the player, they may serve to confirm the bounda1y between seifand technology ( ... ] as much as they transgress it.« (Klevjer, Rune: What is
the Avatar? Fielion and Embodiment in Avatar-Based Singleplayer Computer Games. Dissertation, Univ. of Bergen 2006, http://folk.uib.no/smkrk/docs/Rune Klevjer_What%20is%20the%20Avatar_finalprint.pdf (Herv. im Original)). Vgl. auch ebd., S. 130: »The avatar [... ] gives the player a meaningful embodied presence and agency within the screen-projected environment of the game. Because it is a model [ ... ] the avatar is not just significant because of what it can do, but because of what happens to it. lt is this vicarious body, this re-oriented subject-position, that establishes what we may call [ ... ] the >framing< ofthe fictional world for the player. Through the avatar, instrumental agency is replaced with fictional agency and fictional destiny.«
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LEFT BEHTND überschreitet die ästhetische Grenze vor allem dadurch,65 dass Ellie innerhalb der Spielwelt nicht nur Handlungsträgerin ist, sondern, wie gesehen, veritable Spielerin eines Spiels im Spiel- durch diese Verdoppelung oder Verschachtelung der Spielhandlung mittels eines Staged Game66 wird lnvolvement potenziert. Die Areade-Episode in LEFT BEHTND erweist sich somit in mehrfacher Hinsicht als eine Mise-en-abyme: erstens narratologisch mit Blick auf das Stabbing-and-Killing, das die junge Ellie spielerisch als »Angel Knives« performiert und das in der späteren Erzählung von THE LASTOFUs zu ihrem existentiellen Operationsmodus werden wird; und zweitens spieltheoretisch in Bezug auf das lnvolvement, das beim Spielen von THE TURNTNG thematisch wird und das als Konstituens des avatargestützten Computerspiels gilt. Es kommt ein dritter- bildtheoretischer- Aspekt hinzu: Die Arcade-Episode verweist mit der besagten Konfrontation von Strukturbild und betont entzogenem darstellendem Bild von THE TuRNTNG auf die für das Computerspiel typische hybride oder modulare Bildlichkeit67 von Spielsystem und Spielwelt Gemäß Rainer Leschke besteht das Computerspielbild wesentlich aus zwei Bildern: der »Repräsentation des Spielstandes« und der
65 Vgl. auch Prange, Regine: »Die Figuration der Grenze: Film - Medien - lnstallationskunst« (24.0 1.2009), http://www.kunst.uni-frankfmt.de/fi les/pdfs!figura tion.pdf, S. 3f.: »Der Eindruck, dass Betrachter, Zuschauer und >User< in die ästhetischen Konstruktionen eingehen (sog. Immersion), spricht nicht für die Aufhebung der ästhetischen Grenze, sondern für eine Steigerung der Angebote zu ihrer imaginären Überschreitung. Die mediale Installation ist wie die Fernsehserie, der Videoclip, der Werbespot oder das Computerspiel durch >multiplizierte< Grenzen zu charakterisieren, wodurch die iterative Struktur des modernistischen Bildes wie des klassischen Spielfilms überboten wird.« 66 Unter Staged Games versteht Jesper Juul einen »Special case where an abstract or somewhat representational game is played in a more elaborate world« (Juul, Jesper:
Half~Real.
Video Games between Real Ru/es and Fictional Worlds,
Cambridge: MIT Press 2005, S. 132). Seit dem Archetyp DAY OF THE TENTACLE (LucasArts 1993,
0: LucasArts) werden Spiele im Spiel als Spielautomaten
in die Diegese eingebunden, deren Spiele entweder bildschirmfü llend oder mittels eines das Spiel spielenden Avatars dargestellt werden. Vgl. 8. Beil: Avatar-
bilder, S. 167. 67 Vgl. L. Manovich: The Language ofNew Media, S. 289.
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»Repräsentation des Spielfeldes«. 68 Während der erste Bildtypus, das sogenannte Steuerungsbild, dem Spieler die für die Beherrschung des Spiels nötigen Parameter und damit eine Tdee von Kontrolle gebe, vermittele der zweite Typus, das sogenannte Situationsbild, die Erfahrung offener Totalität. Entscheidend fiir den hier verhandelten Zusammenhang ist, dass diese Bilderkonstellation jeweils unterschiedliche Rezeptions- und Aktionsmodi aufrufe, die Überlagerung verschiedener Bildtypen mithin unterschiedliche Handlungs- oder Spielstile ermögliche: »die der rationalen Kontrolle, die in die Performanz einer Spielhandlung und ihrer strategischen Behen·schung mündet, und die einer nomadisierenden Navigation in vergleichsweise offenen Situationsbildern, die man zudem nach Belieben verschieben zu können scheint«.69
Spielen sei folglich als Reaktion auf bildliehe Herausforderungen zu betrachten; von zwei unterschiedlichen Bildebenen stimuliert seien jene differenten, als zwei Pole eines Feldes zu begreifenden »Spielhandlungstypen«70 denkbar. Überträgt man diese Bildtheorie des Computerspiels auf den hier diskutierten Kontext, dann sind jene Spielhandlungstypen als Iudus und paidia adressierbar - womit der Konnex zwischen Bild- und Spieltheorie hergestellt wäre.
»WAS WIR AUCH ALS >HÖHERE< KUNST ZU BEZEICHNEN PFLEGEN« Mit der Metaisierung von Harmonie und Chaos, paidia und Iudus, Situations- und Steuerungsbild wird THE LAST OF Us selbstreflexiv, und zwar bezogen nicht nur auf die Theorie des Spiels selbst, sondern auch auf dessen Bildlichkeit. Nichts anderes hatte ja Riegl mit dem Stimmungsbegriff adressiert: »Dem Auge allein bleibt die Berichterstattung überlassen.« Die-
68 Leschke, Rainer: »Vom Verspielen der Welt. Zur Morphologie von Computerund Bildschirmbild«, in: Benjamin Beil/Mare Bonner/Thomas Hensel (Hg.),
I
I
Computer Spiel Bilder, Glückstadt vwh 2014, S. 257-278, hier S. 274. 69 Ebd., S. 276. 70 Ebd., S. 275.
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se Berichterstattung ist buchstäblich in das Spiel implementiert: Nicht nur werden den Tastsinn reizende Eindrücke zerstörerischer Bewegung »in greifbarer Nähe« (Abb. 3) immer wieder mit durch Fernsicht gewonnenen Bildern stimmungsvoller Ruhe kontrastiert. Mehr noch werden letztere nicht nur, wie eingangs festgestellt, genossen, sondern explizit auch gewürdigt: »Aber, Mann ... Was flir eine Aussicht.« (Abb. 4). Es lässt sich also festhalten, dass THE LASTOFUs jene Verabsolutierung des Visuellen, von der Wellberry spricht, mit anderen Worten: seine Bildlichkeit als eine seiner Bedingungen bildlich thematisiert. Diese Selbstthematisierung des Bildes durch das Bild ist seines Zeichens ein Merkmal, das insbesondere künstlerischen Bildern zugesprochen wird. Selbige kennzeichnet laut Arthur C. Danto, dass sie sich »auf >etwas< [beziehen], aber [ ... ] zugleich die Mittel, mit denen sie sich darauf beziehen[, thematisieren]«.71 Auf die Anerkennung dieser »ikonischen Differenz«72 oder Doppelkodierung des Bildes, das heißt der »Doppelung der Referenz in einen Außen- und einen Selbstbezug«,73 kann sich die Kunsttheorie spätestens seit Victor T. Stoichitas Studie Das selbstbewußte Bild einigen/4 und sie ist auch Ausgangspunktneuerer Untersuchungen der Game Studies. 75 Tn der Inszenierung des
71 Danto, Arthur C.: »Das Ende der Kunstgeschichte ist nicht das Ende der Kunst. Karlheinz Lüdeking sprach mit A1thur C. Danto«, in: Kunstforum International 123 (1993), S. 200-208, hier S. 204. 72 Boehm, Gottfried: »Die Wiederkehr der Bilder«, in: Ders. (Hg.), Was ist ein
Bild?, München: Fink 1994, S. 11-38, hier S. 29. Gottfried Boehm gewinnt die Denkfigur der »ikonischen Differenz« an starken Bildern, sprich an Kunstbildern: »Ein starkes Bild lebt aus eben dieser doppelten Wahrheit: etwas zu zeigen, auch etwas vorzutäuschen und zugleich die Kriterien und Prämissen dieser Erfahrung zu demonstrieren«. Ebd., S. 35. 73 R. Prange: »Sinnoffenheit und Sinnverneinung als metapicturale Prinzipien«, S. 125. Vgl. auch Marin, Louis: Das Opake der Malerei. Zur Rep räsentation im
Quattrocento (frz. 1989), Zürich/ Berlin: diaphanes 2004. 74 Vgl. Stoichita, Victor I.: Das selbstbewußte Bild. Vom Ursprung der Metamale-
rei (1993), München: Fink 1998. 75 Vgl. Neitzel, Britta: »Selbstreferenz im Computerspiel«, in: Winfried Nöth/Nina Bishara/Britta Neitzel (Hg.), Mediale Selbstreferenz: Grundlagen und Fallstu-
dien zu Werbung. Computerspiel und Comics, Köln: Halem 2008, S. 119-196 sowie Rapp, Bernhard: Selbstreflexivität im Computerspiel. Theoretische. analy-
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SpieJens von THE TuRNTNG wird genau dies ausgestellt (Abb. 5): nämlich die dem Kunstbild zugesprochene Ambiguität, die Regine Prange folgendermaßen pointiert: »Das Bild muss permanent sein eigenes Bildsein präsentieren, indem es einen Betrachter definiert und seinen Scheincharakter einbekennt.« 76 Bildreflexive Computerspiele wie THE L AST OF Us stellen insofern die ikonische Differenz ihrer Bilder aus und dürfen nicht zuletzt deshalb als »zehnte Kunst« 77 apostrophiert werden. Abschließend sei noch einmal auf Riegl zurückgekommen: Das Kreieren einer durch Ruhe und Fernsicht ausgezeichneten Stinunung ist für Riegl
fische undfunktionale Zugänge zum Phänomen autothematischer Strategien in Games, Boizenburg: vwh 2008. Vgl. auch Jay David Bolters und Richard Grusins Konzept von Remediation, das zwei dialektisch ineinander verschränkte Komponenten kennt: lmmediacy, die Selbstneutralisierung eines Mediums, und
Hypermediacy, die Repräsentation eines Mediums in einem anderen, die im Unterschied zu dessen Unsichtbarmachung das bewusste Ausstellen, die Reflexion der eigenen Vermitteltheit, der eigenen Mediatisierungsleistung inszeniert. Vgl. Bolter, Jay David/Grusin, Richard: Remediation. Understandin[; New Media, Cambridge: MIT Press 1999 sowie dies.: »Remediation- Zum Verständnis digitaler Medien durch die Bestimmung ihres Verhältnisses zu älteren Medien«, in: Gisela Febei/Jean-Baptiste Joly/Gerhart Sehröder (Hg.), Kunst und Medialität, Stuttgart: Akademie Schloss Solitude u.a. 2004, S. 11-35. 76 R. Prange: »Sinnoffenheit und Sinnverneinung als metapicturale Prinzipien«, S. 131. 77 Alain und Frederic Le Diberder, zit. nach Mersch, Dieter: »Logik und Medialität des Computerspiels. Eine medientheoretische Analyse«, in: Jan Distelmeyer/ Christine Hanke/Dieter Mersch (Hg.), Game Over!! Perspektiven des Compu-
terspiels, Bielefeld: transcript 2008, S. 19-41, hier S. 19. Zur Diskussion um das Computerspiel als Kunstform vgl. etwa Clarke, Andy/Mitchell, Grethe (Hg.):
Videogames and Art, Bristol/Chicago: lntellect 2007; Bogost, lan: How To Do Things With Videogames, Minneapolis/ London: University of Minnesota Press 2011 , S. 9-17 und S. 155f.; Feige, Daniel Martin: »Computer Games as Works of Art«, in: Johannes Fromme/A iexander Unger (Hg.), Computer Games and
New Media Cultures. A Handbook of Digital Games Studies, Dordrecht u.a.: Springer 2012, S. 93-106 sowie Tavinor, Grant: »Art and Aesthetics«, in : Mark J. P. Wolf/Bernard Perron (Hg.), The Routledge Campanion to Video Game
Studies, New York!London: Routledge 20 14, S. 59-66.
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nichts Geringeres- und hier schließt sich der Kreis- als das Wesensmerkmal von Kunst: »Soweit die bildende Kunst des Menschen über Gebrauchs- und Schmückungszwecke hinausgeht, was wir auch als >höhere< Kunst zu bezeichnen pflegen, hat sie von allem Anbeginn im letzten Grunde niemals eine andere Bestimmung gehabt, als dem Menschen die tröstliche Gewissheit von der Existenz jener Ordnung und Harmonie zu verschaffen, die er in der Enge des Weltgetriebes vermisst und nach der er sich unablässig sehnt, ohne die ihm das Leben unerträglich scheinen würde. [ ... ] das oberste Ziel der bildenden Kunst [ist][ ... ] die Erweckung der Stimmung.«78
Mit Riegl also darf THE LAST OF Us ebenfalls als höhere Kunst apostrophiert werden. 79 Es wäre aber zu kurz gegriffen, ausschließlich die Stimmung als Indikator für Kunstwürdigkeit heranzuziehen. Gemäß Riegl ist »eine andere Eigenthümlichkeit der modernen Kunst«, dass »nicht mehr der Mensch [... ] im Mittelpunkte des Kunstschaffens [steht], sondern die ganze Breite der Natur [ ... ]. Der Mensch ist nicht mehr der Herrscher [ .. .], sondern nur ein Glied in einer unendlichen Kette.« 80 Mit Blick auf THE LAST OF Us ließe sich dies kaum besser veranschaulichen als durch die »Fireflies«- die Glühwürmchen, die einerseits als Name einer Gruppe von Untergrundkämpfern und potentiellen Menschheitsrettern fungieren, auf welche die Handlung zuzulaufen scheint, und die andererseits eben keine Herrscher, sondern nur Glieder in der unendlichen Kette der Natur sind, nämlich kleine Leuchtkäfer am Rande der Story, die Ellie jenseits der Mauern der Quarantänezone das Staunen über eben jene Natur lehren- »aber was in der Nähe erbarmungsloser Kampf [mit den Fireflies, in der ersten Bedeu-
78 A. Riegl: »Die Stimmung als Inhalt der modernen Kunst«, S. 49f. 79 Diese Einschätzung teilt etwa auch das offizielle britische PlayStation-Magazin, das THE LAST OF Us explizit als »a work of ati in which amazing sights and sounds fuel an emotionally draining, constantly compelling end of days adventure« würdigt. Ygl. Meikleham, David: »The Last of Us Review SPOILER FREE- Naughty Dog's Latest Masterpiece ls Apocalypse Wow« (05.06.2013), http://www.officialplaystationmagazine.co.uk/review/the-last-of-us-review-spoi Ier-free-naughty -dogs-latest-masterpiece-is-a-case-o f-apocaly pse-wowI 80 A. Riegl: »Die Stimmung als Inhalt der modernen Kunst«, S. 55.
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tung; T.H.], erscheint [ .. .] aus der Ferne fri edliches Nebeneinander, Eintracht, Harmonie [mit den Fireflies, in der zweiten Bedeutung; T.H.].«81 Damit lässt sich TH E LASTOF Us gar als Werk einer Meta-Kunst verstehen, das zum einen Stimmung generiert, also gemäß Riegl als »höhere Kunst« angesprochen werden kann, und das zum anderen die Möglichkeitsbedingungen, Stimmung überhaupt evozieren zu können, performiert und diese Möglichkeitsbedingungen in der Auseinandersetzung der beiden Protagonisten miteinander, Joel und Ellie, ein ums andere Mal demonstriert, ja reflektiert. Schnittstelle dieses ästhetischen und kunsttheoretischen Yiskurses ist die Spieltheorie: Wenn die vorgestellten Überlegungen richtig sind, dann lässt sich THE LAST OF Us exemplarisch auch als ein Spiel mit Iudus und paidia, das heißt als ein Spiel mit den Spielregeln selbst verstehen. Damit wird THE LASTOFUs zu einem Beleg für das, was das historiographische Modell von Lorenz Engeil die Phase der »verstärkten Selbstbeobachtung und Selbstreflexivität« nennt. In dieser greife das Medium auf sich selbst zu, auf seine Entwicklungsphasen, auf das in ihrem Verlauf entwickelte Regelwerk etwa, und setze sich selbst damit auseinander. Tn vielen Fällen komme es dabei zu einer spielerischen Erprobung und Erweiterung der eigenen technischen und ästhetischen Möglichkeiten - nichts Geringeres als eine Ästhetisierung, die als eine »Avantgardebildung«82 zu verstehen se1.
LITERATUR
Aarseth, Espen: »Genre Trouble. Narrativism and the Art of Simulation«, in: Noah Wardrip-Fruin/Pat HatTigan (Hg.), First Person. New Media as Story, Performance, and Game, Cambridge: MIT Press 2004, S. 4555. Agnello, Anthony: »New Horizons. Inside the New Wave of Actionless Adventure Games That Prefer Discovery to Destruction«, in : Edge. The Future of Interactive Entertainment 210 (September 2014), S. 86-93.
81
Ebd., S. 48.
82 Engell, Lorenz: »Die genetische Funktion des Historischen in der Geschichte der Bildmedien«, in: Archivfiir Mediengeschichte 1 (2001), S. 33-56, hier S. 52 und 54.
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Beil, Benjamin: Avatarbilder. Zur Bildlichkeif des zeitgenössischen Computerspiels, Bielefeld: transcript 2012. Benjamin, Walter: »Kulturgeschichte des Spielzeugs«, Rezension im Literaturblatt der Frankfurter Zeitung vom 13. Mai 1928, in: Ders., Kritiken und Rezensionen(= Gesammelte Schriften, Band 3), hg. von Hella Tiedemann-Bartels, Frankfurt a.M .: Suhrkamp 1991, S. 113-11 7. Boehm, Gottrried: »Die Wiederkehr der Bilder«, in: Ders. (Hg.), Was ist ein Bild?, München: Fink 1994, S. 11-38. Bogost, Ian: How Ta Da Things With Videogames, Minneapo1is/London: University of Minnesota Press 2011. Bolter, Jay David/Gmsin, Richard: Remediation. Understanding New Media, Cambridge: MIT Press 1999. Bolter, Jay David/Grusin, Richard: »Remediation- Zum Verständnis digitaler Medien durch die Bestimmung ihres Verhältnisses zu älteren Medien«, in: Gisela Febei/Jean-Baptiste Joly/Gerhart Sehröder (Hg.), Kunst und Medialität, Stuttgart: Akademie Schloss Solitude u.a. 2004, s. 11-35. Bredekamp, Horst: Leibniz und die Revolution der Gartenkunst. Herrenhausen, Versailles und die Philosophie der Blätter, Berlin: Wagenbach 2012. Caillois, Roger: Die Spiele und die Menschen. Maske und Rausch, Frankfurt a.M.: Ullstein 1982. C1arke, Andy/Mitchell, Grethe (Hg.): Videogames and Art, Bristo1/Chicago: Intellect 2007. Danto, Arthur C.: »Das Ende der Kunstgeschichte ist nicht das Ende der Kunst. Karlheinz Lüdeking sprach mit Arthur C. Danto«, in: Kuns(forum Internationall23 (1993), S. 200-208. Degler, Frank: »Erspielte Geschichten. Labyrinthisches Erzählen im Computerspiel«, in: Britta Neitzel/Matthias Bopp/Ro1f f. Nohr (Hg.), »See? J'm Real ... Silent HillThe Last of Us - Left Behindzerfällt< es sofort wieder in der Art, dass seine Bestandteile einfach nicht weiter mehrmals pro Sekunde zur Erweckung der Illusion eines bewegten Bildes zusammengefügt werden. Darüber hinaus ist das gezeigte Buch auch keineswegs vollständig, sondern nur eine >Texturhülle< ohne Inhalt. Wählt der Spieler das Buch an, so öffnet sich im virtuellen Raum nicht ehendieses Objekt, sondern vom
52 THE ELDERSCROLLS V: SKYRIM(Bethesda 2011, 0: Bethesda).
DAS C OMPUTERSPIEL ALS M ONTAGE
Abbildung 3:
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3.
MONTAGEFORMEN DES COMPUTERSPIELS
3.1 Interaktive Montagen In der Verlängerung des Gedankens, dass der Spieler das Spiel in den interaktiven Abschnitten steuert, erweist sich das Spiel nicht als der einzige Akteur, der montiert, da eben der Spieler durch seine Eingaben maßgeblich die Ansicht auf dem Bildschirm mitbestimmt- und das etwa auch in der Hinsicht, dass er durch bestimmte Aktionen >Schnitte< auslöst: beim Wechsel zu einem Menü, beim Erreichen des Level-Endes, beim Umschalten zwischen verschiedenen Perspektiven usw . Vor diesem Hintergrund stellt das Computerspiel eine (Über-)Erfüllung des Anspruchs dar, den Eisenstein an den Film legt, nämlich »daß Emotionen und Verstand des Zuschauers am schöpferischen Prozeß teilnehmen.«62
61 S. Eisenstein: »Montage 1938«, S. 38-39.
62 Eisenstein, Sergej M.: »Es genügt nicht zu sehen«, in: Alternative 20, 11 7 (1977), S. 252-258, hier S. 255.
DAS COMPUTERSPIEL ALS MONTAGE
1207
An diesem Punkt wird die potenzielle Reichweite des klassischen filmischen Montagebegriffs, der der Produktionslogik nach von einer passiven Rezeptionssituation ausgeht, überschritten, wenn nun der Spieler selbst zum Monteur des Spiels wird, indem er die vorgestellten Formen der »systemdriven montage« durch seine Handlungen ergänzt, die Michael Nitsche als »interactive montage« bezeichnet.63 Nitsche rekurriert dabei aber auf den filmischen Montagebegriff, so spricht er ausdrücklich von »cut«,64 und entsprechend fasst der Begriffbei ihm nur vom Spieler initiierte Wechsel zwischen verschiedenen Perspektiven (First-Person, Following Camera, Overhead View usw.). Wenn beispielsweise der Spieler im First-Person Shooter DOOM65 durch eine Tastatureingabe die Kartendarstellung aufruft, kann dieser Schnitt von First-Person auf Overhead View als interactive mantage gelten. 66
3.2 Ladebildschirme Die interaktive Qualität stellt ohne Frage eine neue Facette der Montage im Computerspiel dar, die sich im Zusammenspiel mit den technischen Gegebenheiten des Mediums ergibt und dabei sowohl den klassisch filmischen, als auch weitere anwendbare Montagebegriffe erweitert.67 Jedoch bleibt die interactive mantage gleichsam auch auf den Status als >Qualität< beschränkt
63 Nitsche, Michael : Video Game Spaces. Image, Play, and Structure in 3D Game
Worlds, Cambridge: MIT Press 2008, S. 122. 64 Vgl. ebd. 65 DOOM(GT Interactive 1993,0: Id Software). 66 Vgl. ebd., S. 123. Nitsche zeigt sich gegenüber den Limitationen seiner rein filmischen Herangehensweise wohl bewusst, indem er etwa Split-Screens oder Ladebildschirme als weiterführende Phänomene benennt, sie von seiner Betrachtungjedoch ausschließt. Vgl. ebd., 122f. 67 So lassen ich etwa in bildwissenschaftlicher Tradition auch >interaktive Collagen< aufzeigen, beispielsweise anhand des Puzzle-Spiels SCRIBBLENAUTS UNLIMITED (Wamer Bros. 2012, 0: 5th Ce II), in dem der Spieler zur Lösung von Problemstellungen verschiedene Elemente in die Spielwelt >einmontieren< muss. Das Spielprinzip wird darüber hinaus auch durch das Design gestützt, indem die Spielwelt auch ästhetisch als Papiercollage inszeniert ist.
I
208 PHILIPP BOJAHR
und bildet keine eigenständige Montageform im Sinne einer >digitalen FormKehrseite< der direkten Verbindung zu den technischen Montageprozessen ausstellt. Gemeint sind die verschiedenen Formen des Ladebildschirms, allgemein verstanden als Ansicht, die dem Spieler gezeigt wird, während die Spielhardware ganz durch eine Operation, den Prozess der technischen Montage, ausgelastet ist - prominent etwa beim Laden eines Spiellevels. 69 Prinzipiell gleicht dabei ein Ladebildschirm in der Hinsicht einer filmischen Montage, als dass er zwei verschiedene >Einstellungen< - oder allgemeiner: >Ansichten< - miteinander verbindet. Ferner geht er j edoch in zwei Aspekten über den filmi schen Begriff hinaus: Erstens drückt sich in einem Ladebildschirm stets die Notwendigkeit der Montage im technischen >Unterbau< aus, die an dieser Stelle auf der ästhetischen Oberfläche des Gameplays erfahrbar wird. Da der Film immer schon >vormontiert< zum Zuschauer gelangt, existieren hier keine gleichartig wahrgenommenen Ladeprozesse (jede Verzögerung wird hier sofort als Störung auffallig).70
68 Bruhn, Matthias et al.: »Formschichten. Die Analyse digitaler Form«, in: Margarete Pratschke (Hg.), Bildwelten des Wissens. Kunsthistorisches Jahrbuchfür
Bildkritik, 3, 2 (2005), S. 9-1 7, hier S. 17 . 69 Der E insatz von Ladebildschirmen ist keinesfalls auf das Com puterspiel beschränkt, besitzt aufgrund des U nterhaltungscharakters des Spiels jedoch eine besondere Brisanz . 70 An dieser Stell e ist der interaktive Film, gerne als eigenes >Genre< bezeichnet, hervorzuheben, der gleich dem Computersp iel erst beim Konsum >endmontiert< wird. Entgegen dem Begriff ist die Z ugehörigkeit dieses (recht erfolglosen) Phänomens jedoch keinesw egs fest beim Film auszumachen. Vielmehr ist dagegen eine A ffil iation mit dem Computerspiel nachvollziehbar. Ygl. Perron, Bernard: »Genre Profile: lnteractive Mov ies«, in: Mark J. P. Wolf (Hg.), The Video
Game Explosion. A History from Pong to Playstation and Beyond, W estport Greenwood Press 2008, S. 127-133.
DAS C OMPUTERSPIEL ALS MONTAGE
1209
Abbildung 4/5: Ladevorgänge in WüRLD OF WARCRAFT und RESIDENT EVIL
Zweitens vollzieht sich der Übergang- ungleich dem filmischen Schnittnicht augenblicklich, sondern stellt einen über die Zeit ausgedehnten Ladevorgang dar. Damit eröffnet sich über die (Warte-)Zeit im Bildausschnitt gleichsam ein Raum - und beides muss überbrückt werden. 71 Vor jeglicher narrativer und/oder kreativ-ästhetischer Verwendung setzt das Spiel diese Form der Montage durch die technischen Eigenarten seiner Medialität voraus- und es bleibt folglich gar keine andere Wahl, als aus der Notwendigkeit >einfach das Beste zu machenZauberkreis< des Spiels auch ästhetisch für den Spieler erwartbar, um den Spielbeginn und das Spielende zu markieren (beispielsweise beim Betreten der Spielwelt von WORLD OF WARCRAFT/ 4 Abb. 4). Darüber hinaus können Ladevorgänge aber auch innerhalb des Gameplays auftreten, etwa beim Wechsel zwischen verschiedenen Abschnitten der Spielwelt, beispielsweise etwa beim Wechsel eines Levels. 75 Solche Situationen tendieren dagegen eher zur Irritation, da die Unterbrechung im Spielvollzug nicht zwingend auf ein inhaltlich-ästhetisches Movens zurückgeht (beispielsweise wird der Spielfluss in RESIDENT EVTL 76 bei jedem Raumwechsel durch einen Ladevorgang unterbrochen, der mit einer Zwischensequenz überlagert ist, Abb. 5). Wie genau die Situation vom Spieler aufgenommen wird, hängt j edoch von mehreren Faktoren ab; darunter u.a. wie der Ladeprozess in die Narration eingebunden ist und vor allem wie lange er dauert. 77 Der Einfluss der Dauer gestaltet sich dabei z.B. nicht nur in der Art aus, dass die Montage unauffälliger wirkt, je kürzer sie ist. Ebenso spielt die Relation zwischen der tatsächlichen Dauer und der überbrückten diegetischen
73 A. Galloway: »Origins ofthe First-Person Shooter«, S. 65. 74 WORLD OF WARCRAFT (Blizzard 2004, 0: Blizzard). 75 Vgl. zu Montagen in Simulationsdarstellungen auch Hinterwaldner, Inge: Das
>ystemische Bild. Ikonizität im Rahmen computerbasierter Echtzeitsimulationen, München: Fink 2010, S. 343-356. 76 RESIDENT EVTL (Capcom 1996, 0: Capcom). 77 Grundlage einer jeden Störung des Spielers beim Computerspielen ist, dass er irritiert wird; andersherum muss aber nicht jede Irritation auf eine Störung zurückgehen. So ist z.B. ein Ladevorgang formal kein Systemabsturz, aber dennoch kann auch ein langer Ladevorgang irritieren und in der Hinsicht stören. Zu diesem komplexen Feld vgl. Bojahr, Philipp: »Zwischen Unfall und Unanimität. Aisthesis und Ästhetik der Störung im Computerspiel«, in: Benjamin Beil et al. (Hg.), I Am Error, Siegen: universi 2012, S. 23-45, hier S. 33f.
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Abbildung 6/7: Ladevorgänge in ASSASSIN'S CREED und MASS EFFECT
Zeit eine Rolle. 78 Während etwa in ASSASSTN'S CREED 79 die Erzählebenen einer dystopischen Zukunft und dem Nahen Osten zur Zeit der Kreuzzüge über einen Ladebildschirm verknüpft sind, der durch die große Differenz der Settings den Einschnitt >natürlicher< wirken lässt, fallen die TürÖffnungs-Sequenzen in RESIDENT EVTL deutlich stärker auf, da der Avatar hier nur von einem Raum in einen anderen wechselt und dabei die diegetische Zeit prinzipiell stillsteht Damit eng verbunden ist auch die Inszenierung, die ebenso eine breite Palette an Formen kennt. So tarnt etwa ASSASSIN'S CREED den Ladevorgang als diegetischen Ladeprozess einer komplexen Virtual-Reality-Maschinerie (Abb. 6), während etwa MASS EFFECT80 opportun Aufzugsfahrten (Abb. 7) in der Spielwelt als Ladezeit nutzt und beim Ein- und Aussteigen einen wortwörtlich >unsichtbaren Schnitt< vollfUhrt Das Gegenteil ist etwa bei WüRLD OF WARCRAFT auszumachen, bei dem ein einfacher, deutlich extradiegetischer Ladebildschirm mit Ladebalken und Spieltipps zu sehen ist (Abb. 4); jedoch tritt der Ladebildschirm in WORLD OF WARCRAFT weitaus seltener auf als die häufigen Aufzugfahrten in MASS EFFECT - die durch den Umstand, dass alle futuristischen Aufzüge entsetzlich langsam scheinen, auch wieder auffallig werden können. Es zeigt sich, dass mit dem Ladebildschirm ein komplexes Feld von Montageformen benannt ist, welches im Rahmen dieses kursorischen Streifzugs natürlich nur an der Oberfläche angerissen werden konnte. Un-
78 Zur Differenz zwischen Erzählzeit und erzählter Zeit in Computerspielen vgl. Juul, Jesper:
Half~real,
Cambridge: MIT Press 2005, S. 141-156.
79 ASSASSIN'S CREED (Ubisoft 2007, 0: Ubisoft Montreal). 80 MASS EFFECT (Electronic Arts 2007, 0: Bioware).
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geachtet dessen verspricht eine gerrauere Analyse fruchtbar zu sein, da hier ein Feld von Montageformen umrissen wird, das im Wechsel spiel zwischen technischer Notwendigkeit und narrativer Überformung genuin im Computerspiel verwurzelt ist und sich dabei - entgegen einem engen filmischen Montageverständnis - weder auf einen einfachen Schnitt eindampfen noch als lediglich irritierendes Element abqualifizieren lässt. Die enge Verbindung zum Computerspiel wird dabei vor allem durch die Gegenprobe deutlich, dass sich ein Ladebildschirm nicht einfach in einen Film >rückführen< lässt, ohne dass er entweder zu einem reinen ästhetischen Stilmittel bar jeder technischer Komponente reduziert oder gleich als außerfilmisches (Stör-)Phänomen wahrgenommen wird.
4. AUSBLICK Vor dem Hintergrund, dass die Montagetheorie des Computerspiels im Diskurs der Game Studies bislang wenig Beachtung gefunden hat und in vereinzelten Fällen nur knapp mit dem Instrumentarium des Films angegangen wurde, können am Schluss dieser ersten tentativen Annäherung die Montageformen im Computerspiel unter Beachtung der medienimmanenten Eigenschaften herzuleiten - keinesfalls abschließende Aussagen stehen. Ganz im Gegenteil ist als Ausblick aufzuzeigen, welche Aspekte noch nicht verfolgt werden konnten, um damit Anknüpfungspunkte für weitere Auseinandersetzungen auf diesem Gebiet zu markieren. Grundsätzlich ist hier nochmal die Unabgeschlossenheit der Untersuchung hervorzuheben. So verdeutlicht die Betrachtung der Beziehung von technischer Ebene und Ladebildschirmen nur exemplarisch die Möglichkeit einer solchen Herangehensweise, ohne dabei weitere >Seitenäste< dieses Gedankengangs zu verfolgen. Vor diesem Hintergrund ist der kleine Korpus der vorgestellten Computerspiele auch keineswegs nach Ordnungskriterien differenziert. Eine genaue Untersuchung der Abhängigkeiten des Auftretens von Montageformen gegenüber Binnenkriterien des Computerspiels (wie Genre, Darstellungsperspektive, Plattform) steht damit noch genauso aus wie eine historische Betrachtung. Eine solche Aufarbeitung hinsichtlich der Entstehung bzw. der Übernahme von Montageformen kann dabei in doppelter Weise als Desiderat gelten. Denn über die Möglichkeit der geschichtlichen Rekonstruktion der Entwicklung der Montageformen hinaus
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ginge ein solcher Ansatz auch auf die problematische Frage ein, die Jens Schröter hinsichtlich der Homogenität des Mediums Film stellt: »Sind der theatralisch um eine Einstellung organisierte frühe Film, der über Montage organisiette Stummfilm, der Ton-, der Farb-, der 3D-, der Zeichentrick-, der abstrakte und strukturale Film oder gar das >Expanded Cinema< etc. alle dasselbe Medium?«si
In gleicher Weise ließe sich diese Frage auch ftir das Computerspiel stellen und sich wahrscheinlich nur durch eine clu·onologische sowie formale Differenzierung nach den genannten Binnenkriterien konstruktiv beantworten. Bis dahin bleibt nichts anderes, als den Begriff Computerspiel »nominalistisch als historisch wandelbare[n] Sammelnamen zu behandeln.«82 Der größte Anknüpfungspunkt liegt derweil aber im Verständnis der Montageformen selbst, die hier aus nicht mehr als einem möglichen Blickwinkel betrachtet wurden. So schreibt etwa Rainer Leschke zur medialen Form, »dass sie sich [ ... ] stets gleichzeitig als ästhetische, diskursive und historische Form [konstituiert].«83 Tn gleicher Richtung betonen auch Benjamin Beil und Jens Schröter am Beispiel der Computergrafik, dass eine ontologische Bestimmung »diskursive Praktiken mit Computern (oder wenn man so will: Netzwerke menschlicher und nicht-menschlicher Akteure) beobachten [muss].« 84 ln dieser Sichtweise bleibt vor allem die hier bereits herausgestellte Einbindung des Spielers und seine Ermächtigung zum Monteur weiterzuverfolgen. In dieser Richtung erweist sich insbesondere das Modding als produktiver Anlmüpfungspunkt. 85 So lässt sich diese Praxis als
81 J. Schröter: »Das ur-intermediale Netzwerk«, S. 592. 82 Ebd. 83 Leschke, Rainer: »Von der Erfindung der Medienwissenschaft als regelmäßige Übung. Anmerkungen zum Verhältnis verschiedener Formen des Wissens über Medien«, in: LiLi. Zeitschrijt über Literaturwissenschajt und Linguistik 33, 132 (2003), S. 67-89, hier S. 87. 84 Beil, Benjamin/Schröter, Jens: »Die Parallelperspektive im digitalen Bild«, in:
ZfM. Zeitschrijifür Medienwissenschaft 4, I (201 1), S. 127-1 37, hier S. 129. 85 Vgl. dazu Beil, Benjamin: »Vom Castle Smurfenstein zum Litt1eBigPlanet. Modding, Leveleditoren und Prosumenten-Kulturen«, in: Sebastian Abresch et al. (Hg.), Prosumenten-Kulturen, Siegen: universi 2009, S. 191-214.
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eine neue Montage der Elemente des Spiels durch die Spieler - sozusagen als eine >Montage zweiter Ordnung< - verstehen, die sowohl auf technischer als auch ästhetischer Ebene (und mit anders ausgerichteten theoretischen Bezügenl6 Potenzial für eine tiefergreifende Bestimmung der Mantageformen im Computerspiel bereithält.
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86 Man denke hier etwa an Claude Levi-Strauss' Konzept der Bricolage. Vgl. dazu Levi-Strauss, Claude: »Die Wissenschaft vom Konkreten«, in: Ders., Das wilde Denken, Frankfurt a.M.: Suhrkamp 1973, S. 11-48.
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ABBILDUNGEN Abbildung 4: Verschiedene Shader-Maps einer Textur; Quelle: http://www. grirnrock.net/wp-content/uploads/20 11109/brick_ wall_texture.jpg Abbildung 5: THE ELDER SCROLLS V: SKYRIM (Bethesda 2011, 0: Bethesda); Quelle: Screenshot des Autors Abbildung 6: THE ELDER SCROLLS V: SKYRIM (Bethesda 2011, 0: Bethesda); Quelle: Screenshot des Autors Abbildung 4: WORLD OF WARCRAFT (Blizzard 2004, 0: Blizzard); Quelle: Screenshot des Autors Abbildung 5: RESIDENT EVTL (Capcom 1996, 0: Capcom); Quelle: Screenshot des Autors Abbildung 6 : ASSASSIN'S CREED (Ubisoft 2007, 0: Ubisoft Montreal); Quelle: Screenshot des Autors Abbildung 7: MASS EFFECT (Electronic Arts 2007, 0: Bioware); Quelle: Screenshot des Autors
Unspielbare Spiele Künstlerische Computerspielmodifikationen im medientheoretischen Schwebezustand
STEPHAN SCHWI NGELER
Seit 1995 ist zu beobachten, dass sich Künstler digitalen Spielen zuwenden, indem sie vorgefundene Games umgestalten, diese als Material verwenden und so künstlerische Computerspielmodifikationen herstellen.' Dieser Beitrag untersucht exemplarisch drei künstlerische Computerspielmodifikationen- nämlich die Werke SUPER MARIO CLOUDS von Cory Areangel sowie SOD und die Map Arena aus der Serie UNTITLED GAME des
Zur Verbindung von Kunst und Computerspielen vgl. Schwingeler, Stephan: Kunstwerk Computerspiel - digitale Spiele als künstlerisches Material. Eine bildwissenschajiliche und medientheoretische Analyse, Bielefeld: transcript
2014. Zum Modding allgemein vgl. Au, Wagner James: »Triumph ofthe Mod« ( 16.04.2002),
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Laukkanen, Tero: Modding Scenes - lntroduction to User-Created Content in Computer Gaming, Tampere: University of Tampere Hypermedia Laboratory
2005; Behr, Katharina-Maria: Kreativer Umgang mit Computerspielen: die Entwicklung von Spielmodifikationen aus aneignungstheoretischer Sicht, Boi-
zenburg: vwh 2010.
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Künstlerpaares JOD! (Joan Heemskerk, *1968 und Dirk Paesmans, *1965V Der Beitrag gliedert sich wie folgt: Zunächst wird (1.) die Hauptthese des Beitrags formuliert, die besagt, dass künstlerische Computerspielmodifikationen mittels verschiedener Strategien die immanent angestrebte Unmittelbarkeit des Computerspiels unterwandern und demnach Gegenentwürfe konventioneller Computerspiele darstellen. Als Fundament wird das Begriffspaar Transparenz und Opazität eingeführt, um diese These medientheoretisch zu untermauern. Zum Zwecke der Analyse wird daraufhin (2.) Alexander Galloways Konzept des Countergamings skizziert und durch die Begriffe Negation und Deprivation ergänzt. Bei Negationen handelt es sich einerseits um Computerspielmodifikationen, die nicht-interaktiv sind, während Deprivationen andererseits Interaktion mit der Software zulassen, das Ausgangsmaterial aber auf anderer Ebene >berauben