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German Pages 222 Year 2022
Lars Hummel/Bert Kaminski (Hrsg.) Neue Herausforderungen im Internationalen Steuerrecht
Forum der Internationalen Besteuerung
Band 51
Neue Herausforderungen im Internationalen Steuerrecht Herausgegeben von
Prof. Dr. Lars Hummel, LL.M. International Tax Institute Universität Hamburg
Prof. Dr. Bert Kaminski Helmut-Schmidt-Universität/ Universität der Bundeswehr Hamburg mit Beiträgen von
Andreas Benecke, LL.M. Prof. Dr. Klaus von Brocke Prof. Dr. Guido Förster Dr. Nils Häck Tina Schumann Diskussionsteilnehmer
VorsRiBFH Dr. Peter Brandis MinDirig. Martin Kreienbaum Oliver Nußbaum Kerstin Schulz, M.I.Tax und die Beitragsverfasser
2022
Zitierempfehlung: Autor in Hummel/Kaminski, Forum der Internationalen Besteuerung, Bd 51, 2022, S. ...
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Verlag Dr. Otto Schmidt KG Gustav-Heinemann-Ufer 58, 50968 Köln Tel. 02 21/9 37 38-01, Fax 02 21/9 37 38-943 [email protected] www.otto-schmidt.de ISBN 978-3-504-61551-2 ©2022 by Verlag Dr. Otto Schmidt KG, Köln
Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung, die nicht ausdrücklich vom Urheberrechtsgesetz zugelassen ist, bedarf der vorherigen Zustimmung des Verlages. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Bearbeitungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Das verwendete Papier ist aus chlorfrei gebleichten Rohstoffen hergestellt, holz- und säurefrei, alterungsbeständig und umweltfreundlich. Einbandgestaltung nach einem Entwurf von: Jan P. Lichtenford Satz: WMTP, Birkenau Druck: Stückle, Ettenheim Printed in Germany
Vorwort Die missliche Coronavirus-Pandemie bestimmte – den Prognosen entsprechend und den Hoffnungen zuwiderlaufend – maßgeblich Organisation und Abläufe der 38. Hamburger Tagung zur Internationalen Besteuerung des Interdisziplinären Zentrums für Internationales Finanz- und Steuerwesen der Universität Hamburg (IIFS). Die Dynamik der Coronavirus-Pandemie korrespondierte mit der Dynamik des Planungsrahmens, was sich nicht nur, aber gerade auch darin niederschlug, dass die Veranstaltung nicht an ihrem angestammten und bewährten Platz in der Handelskammer Hamburg durchgeführt werden konnte. Wie schon im Vorjahr, in welchem die Tagung erstmals in ihrer Geschichte als reine Online-Veranstaltung hatte abgehalten werden müssen, ließen die Entwicklungen es naheliegend erscheinen, neue Pfade hinsichtlich des Formats zu beschreiten. So fand die Tagung erstmals als Hybridveranstaltung statt. Erfreulicherweise gelang es auf diesem Wege, die Unmittelbarkeit der Interaktion zumindest teilweise zurückzugewinnen, ohne zugleich in die der Tagungsidee widerstrebende Verlegenheit zu geraten, die Zahl der Teilnehmerinnen und Teilnehmer dezimieren zu müssen. Bei alledem war doch eine Konstante zu verzeichnen, nämlich der ausgeprägte, die steuerlichen Berufsgruppen übergreifende Bedarf des Austauschs über die aktuellen Fragen des internationalen Steuerrechts. Diesem Austausch suchte die Tagung – gleichsam unbeirrt – den Boden zu bereiten. Der vorliegende Tagungsband dokumentiert die Referate und Diskussionen der 38. Hamburger Tagung zur Internationalen Besteuerung, die am 3. Dezember 2021 unter dem Generalthema „Neue Herausforderungen im Internationalen Steuerrecht“ stattfand. Prof. Dr. Lars Hummel, Inhaber der Stiftungsprofessur für Steuerrecht und Digitalisierung an der Universität Potsdam sowie kommissarischer geschäftsführender Direktor des IIFS, hielt die Eröffnungsansprache, in deren Rahmen er einige rechtsgrundsätzliche Bemerkungen zur Bewältigung der Coronavirus-Pandemie anbrachte. Astrid Nissen-Schmidt, Vizepräses der Handelskammer Hamburg, ging in ihrem Grußwort unter anderem auf die im Koalitionsvertrag vorgezeichnete steuerliche Agenda der neuen Bundesregierung ein.
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Vorwort Prof. Dr. Lars Hummel, Prof. Dr. Bert Kaminski
Dr. Andreas Dressel, Finanzsenator der Freien und Hansestadt Hamburg, würdigte in seinem Grußwort die Anstrengungen der Steuerverwaltungen und der steuerberatenden Berufsträgerinnen und Berufsträger während der Coronavirus-Pandemie. Er sprach zudem über die steuerlichen Reformbestrebungen der OECD und der Europäischen Union. Dr. Nils Häck, Partner bei Flick Gocke Schaumburg, führte die jüngeren Entwicklungen der Rechtsprechung zur Wegzugsbesteuerung vor Augen und befasste sich überdies mit dem durch das ATADUmsG reformierten § 6 AStG. Andreas Benecke, Referent im Bundesministerium der Finanzen, beschäftigte sich mit der Umsetzung des OECD-Projekts zur Besteuerung der digitalen Wirtschaft, insbesondere seiner zweiten Säule („Pillar 2“) und ihren sog. GloBE Rules. Tina Schumann, Deputy Head of Tax bei der Deutsche Bank AG, setzte sich mit aktuellen Aspekten der Verrechnungspreisbestimmung auseinander und ging zu diesem Zweck unter anderem auf die neuen „Verwaltungsgrundsätze Verrechnungspreise“ des BMF sowie die jüngste Rechtsprechung des BFH ein. Klaus von Brocke, Partner bei Ernst & Young sowie Honorarprofessor an der Universität des Saarlandes, referierte über die deutsche Umsetzung der DAC6-EU-Richtlinie, die Mitteilungspflichten im Falle grenzüberschreitender Steuergestaltungen begründet. Guido Förster, Inhaber des Lehrstuhls für Betriebswirtschaftslehre, insbesondere Betriebswirtschaftliche Steuerlehre, an der Heinrich-HeineUniversität Düsseldorf, widmete sich den Auswirkungen der den Personenhandelsgesellschaften in § 1a KStG eingeräumten Option zur Körperschaftsbesteuerung in grenzüberschreitenden Fällen, und zwar sowohl aus dem Blickwinkel der Inbound- als auch aus dem Blickwinkel der Outboundsituation. Über die vorgenannten Referate hinaus enthält der vorliegende Tagungsband die daran sich anschließenden Podiumsdiskussionen, die unter der Leitung von Prof. Dr. Bert Kaminski, Inhaber des Lehrstuhls für Betriebswirtschaftslehre, insbesondere Betriebswirtschaftliche Steuerlehre, an der Helmut-Schmidt-Universität/Universität der Bundeswehr Hamburg, geführt wurden zwischen den Vortragenden sowie Dr. Peter Brandis, Vorsitzender Richter am Bundesfinanzhof, Martin Kreienbaum, Leiter der Unterabteilung Internationales Steuerrecht im Bundesminis-
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Vorwort Prof. Dr. Lars Hummel, Prof. Dr. Bert Kaminski
terium der Finanzen, Oliver Nußbaum, Global Head of Tax der BASF SE und Kerstin Schulz, Global Head of Tax and Customs der Beiersdorf AG. Hamburg, im August 2022 Prof. Dr. Lars Hummel, LL.M. Prof. Dr. Bert Kaminski
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Eröffnungsansprache Verehrte Frau Vizepräses, verehrter Herr Senator, verehrte Kolleginnen und Kollegen, verehrte Damen und Herren, ich möchte Sie zur 38. Hamburger Tagung zur Internationalen Besteuerung herzlich willkommen heißen und tue dies zugleich im Namen meines Kollegen Prof. Dr. Bert Kaminski, im Namen des International Tax Institute der Universität Hamburg sowie im Namen des Vorstandes seines Fördervereins. Die vergangenen zwölf Monate warteten mit Begebenheiten sowohl steuerlicher als auch nichtsteuerlicher Art auf, die nachgerade dazu einladen, thematisiert zu werden. Hinsichtlich der steuerlichen Begebenheiten muss indes nicht vorgegriffen werden, bilden sie doch ohnehin den Gegenstand unserer Verhandlungen in den nächsten Stunden. Konzentrieren wir uns daher zunächst auf die nichtsteuerlichen Begebenheiten, namentlich die Rahmenbedingungen, die weit entfernt sind von dem Faust’schen Momentum, vom „Augenblicke“ also, zu dem wir „sagen [dürfen]: Verweile doch! du bist so schön!“1 Beginnen wir mit dem Offensichtlichen, nämlich dem abweichenden Tagungsort. Schweren Herzens haben wir unlängst den Entschluss gefasst, in diesem Jahr den nicht nur angestammten, sondern auch bewährten Platz in der Handelskammer Hamburg zu verlassen. Denn wir hatten der Tatsache einer parallelen Großveranstaltung ins Auge zu schauen, die ein erhebliches Begegnungspotential versprach. Unter den Bedingungen einer angespannten pandemischen Lage erschien es uns geboten, die damit einhergehenden Risiken auszuschalten. Heute befinden wir uns deshalb in den Räumlichkeiten des „Campus 75“, welche die Möglichkeit lokaler Abgrenzung bieten. In die Auswahl brachte sich wiederum die Handelskammer Hamburg ein und ebnete uns dankenswerter Weise den Weg. Seitdem der Takt des öffentlichen Lebens durch die Coronavirus-Pandemie bestimmt wird, wächst die Liste der Ausnahmen von der Regel kontinuierlich an – wobei diese Feststellung insofern eine recht optimistische ist, als jene Liste vielleicht schon, ohne dass es uns bewusst wäre, das zukünftig Regelhafte widerspiegelt. 1 J. W. von Goethe, Faust, Eine Tragödie, 3. Aufl. 1999, S. 52 (Der Tragödie erster Teil, Studierzimmer).
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Eröffnungsansprache Prof. Dr. Lars Hummel, LL.M.
Apropos Ausnahmen: Am Ende der letztjährigen, weitgehend im virtuellen Raume entfalteten 37. Hamburger Tagung zur Internationalen Besteuerung verabschiedete ich mich bei dem Inhaber des Unternehmens, das für die technische Realisierung Sorge trug, mit der Aussage, dass ich hoffe, nicht noch einmal einen Auftrag erteilen zu müssen, und zwar nicht, weil ich mit der Qualität der Leistung unzufrieden gewesen wäre oder die Leistung künftig selbst erbringen könnte, sondern weil es der Leistung tatsächlich gar nicht mehr bedürfen würde. Der Angesprochene erwiderte, dass gar keine Zweifel daran bestünden, dass wir ihn wieder beauftragen würden – er sollte Recht behalten. Bei realistischer Betrachtung der Dinge konnte man zum damaligen Zeitpunkt in der Tat nicht davon ausgehen, dass sich das Coronavirus binnen Jahresfrist werde bezwingen lassen. Aber das war auch nicht der springende Punkt. Die unausgesprochene Prämisse lag darin, dass die Pandemie und die Reaktion im politischen Raume darauf nachhaltig unsere Lebens- und Arbeitsumstände verändern würden, und dass – bezogen konkret auf Fachtagungen – die Möglichkeit einer Online-Teilnahme künftig schlichtweg vorausgesetzt werde, also der Ausnahmefall zum Regelfall werde. Unsere diesjährigen Anmeldezahlen bestätigen dies, übertraf doch der Anteil derjenigen, die sich für eine Online-Teilnahme entschieden, von Beginn an, das heißt: schon bevor die Inzidenzzahlen im Rahmen der vierten Infektionswelle der Coronavirus-Pandemie sprunghaft anwuchsen, deutlich unsere Erwartungen. Beides, also mehr oder weniger grassierende Coronavirus-Varianten sowie überdauernde Anpassungsprozesse der Lebens- und Arbeitsumstände, wird unsere zukünftigen Wege kennzeichnen. Anders gewendet: Beides wird kalkulierbar, mehr noch: beides ist bereits kalkulierbar. Zur größten Unbekannten sind inzwischen die Reaktionen staatlicher Stellen avanciert. Die Vorhersehbarkeit staatlichen Handelns ist nicht nur verfassungsrechtliche Forderung, sondern auch politische Klugheitsregel, die für Stabilität gerade auch in gesellschaftlicher und wirtschaftlicher Hinsicht Sorge trägt. Heute überbieten sich zahlreiche Akteurinnen und Akteure einschließlich diesseits des sprichwörtlichen Tellerrandes verharrende Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler unter Rückgriff auf Notstandsrhetorik und beeinflusst von diffusen Ängsten förmlich darin, solche Institutionen in Frage zu stellen, welche „die Welt“ – in unserem
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Eröffnungsansprache Prof. Dr. Lars Hummel, LL.M.
Zusammenhang: das Gemeinwesen – „[i]m Innersten zusammenhält“2. Man kann nicht häufig genug an das bedauerlicherweise zutreffende sog. Böckenförde-Diktum erinnern, wonach „[d]er freiheitliche, säkularisierte Staat […] von Voraussetzungen [lebt], die er selbst nicht garantieren kann“; denn die inneren, aus der moralischen Substanz des Einzelnen und der Homogenität der Gesellschaft erwachsenden Regulierungskräfte vermag er nicht mit den Mitteln des Rechtszwanges und autoritativen Gebotes zu gewährleisten, ohne zugleich seine Freiheitlichkeit aufzugeben3. In diesem Zusammenhang möchte ich mit Nachdruck die Bitte an die Genannten richten, sich vom Notstands-Denken zu lösen und an dessen Stelle die – auch in Krisen – bewährte Kategorie der umfassend reflektierenden und zuordnenden Abwägung treten zu lassen, also praktische Konkordanz herzustellen4 und sich der verfassungsrechtlichen Wertentscheidungen nicht nur punktuell zu erinnern (wie es dem Bundesverfassungsgericht dieser Tage leider passierte5). Weil ich selbstverständlich von hehren Motiven der Genannten ausgehe, möchte ich nicht einfach im Abstrakten verharren, sondern ein beredtes Beispiel hinzufügen. Vor einigen Monaten nahm ich an einer Vortragsund Diskussionsveranstaltung teil, bei welcher eine Person eingeladen war, die in einem Bundesland erheblichen Einfluss auf die Inhalte der Regelungswerke zur Eindämmung des Coronavirus besitzt. Auf einer der ersten der von dieser Person eingesetzten Folien befand sich eine Überschrift, die sinngemäß lautete: Leben und Gesundheit vs. freie Persönlichkeitsentfaltung. Die darin zum Ausdruck gelangende Gegenüberstellung, wie sie seit Beginn der Coronavirus-Pandemie unzählige Male vorgenommen worden ist, ist eine der wohl bedeutsamsten und zugleich gefährlichsten Verkürzungen der hinter uns liegenden misslichen Monate. Viele Belege ließen sich dafür anführen; nur einen möchte ich aufgreifen: Vor einigen Tagen war in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung zu lesen, dass Ärzte wegen praktisch vollständig belegter Intensivbetten in
2 J. W. von Goethe, Faust, Eine Tragödie, 3. Aufl. 1999, S. 17 (Der Tragödie erster Teil, Nacht). 3 E.-W. Böckenförde, Der säkularisierte Staat, Sein Charakter, seine Rechtfertigung und seine Probleme im 21. Jahrhundert, 2007, S. 71. 4 Dazu K. Hesse, Grundzüge des Verfassungsrechts der Bundesrepublik Deutschland, Neudruck der 20. Aufl., 1999, Rz. 317 ff. 5 Siehe BVerfG, Beschl. v. 19.11.2021 – 1 BvR 781, 798, 805, 820, 854, 860, 889/21 und Beschl. v. 19.11.2021 – 1 BvR 971, 1069/21.
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Eröffnungsansprache Prof. Dr. Lars Hummel, LL.M.
Kinderkliniken Alarm schlügen6. Verantwortlich für diese Lage seien Infektionen mit dem Respiratorischen Synzytial-Virus (RS-Virus), die lebensgefährlich werden könnten. Der Hintergrund bestehe darin, dass Lockdown und Hygieneregeln zu einem Ausfall der üblichen winterlichen Infektionssaison bei Kindern geführt habe, so dass kein oder nur ein schwacher Nestschutz gegen die üblichen respiratorischen viralen Erreger habe aufgebaut werden können. Daran knüpft sich eine in der Rechtsphilosophie gängige Frage an: Welches Leben ist mehr wert, dasjenige der lebensgefährlich am Coronavirus erkrankten Person oder dasjenige der lebensgefährlich am RS-Virus erkrankten Person? Spielen dabei die Fallzahlen in der jeweiligen Gruppe der Erkrankten eine Rolle? Die Antwort ist eindeutig: Jedes einzelne Leben ist gleichermaßen schutzbedürftig. Von hier aus ist es nur ein kurzer Weg zu dem im Zuge der Pandemiebewältigung vermittelten Bild, dass jedes Gesundheitsrisiko beherrschbar sei, wenn nur die richtigen Maßnahmen ergriffen würden. Abgesehen davon, dass jede Maßnahme ihren – zum Teil eben extrem hohen – Preis besitzt, ist das Leben a priori ein risikobehafteter Prozess, der staatlicherseits um der Risikominderung willen determiniert, aber nicht in einen risikolosen Prozess verwandelt zu werden vermag. Aus der Perspektive jenes Böckenförde-Diktums betrachtet sollte man entsprechende Vorstellungen gar nicht erst aufkommen lassen, zumal „schwer aus dem Zwang heraus kann, wer einmal darin sitzt“7. Sehen Sie mir diesen Ausflug in die nichtsteuerliche Sphäre bitte nach – die Entwicklungen bedürfen aber der Aufmerksamkeit. Ein drittes und letztes Mal aus „Faust“ geschöpft: „Nur der verdient sich Freiheit wie das Leben, [d]er täglich sie erobern muß!“8 Sie werden sich nun fragen, wie ich die Brücke zur heutigen Veranstaltung werde schlagen können. Dergestalt: Wir sprachen über Entwicklungen, deren Fortgang nicht zuletzt darüber entscheiden wird, ob eine Tagung noch eine Tagung sein wird, wie wir sie kennen und schätzen, deren Zweck wir bislang in Interaktion und Austausch sahen, und zwar gerade auch neben dem eigentlichen Veranstaltungsprogramm. Einmal 6 Hierzu und zum Folgenden L. Schmidt, „Die Alten sterben an Corona, die Säuglinge an RSV“, https://www.faz.net/-guw-ahwd6, 17.11.2021. 7 E. Bloch, Werkausgabe Band I, Spuren, 6. Aufl. 1995, S. 100 (Stachel der Arbeit). 8 J. W. von Goethe, Faust, Eine Tragödie, 3. Aufl. 1999, S. 335 (Der Tragödie zweiter Teil, 5. Akt, Großer Vorhof des Palasts).
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Eröffnungsansprache Prof. Dr. Lars Hummel, LL.M.
mehr richten sich meine Hoffnungen insoweit auf das kommende Jahr, darauf insbesondere, dass wir diejenigen unter Ihnen, die sich heute gehindert sehen, vor Ort zu sein, wieder in persona werden begrüßen können und uns über Ihre aktive Mitwirkung an Interaktion und Austausch werden freuen dürfen. Vor der Zukunft kommt bekanntlich aber die Gegenwart und mit ihr ein attraktives Tagungsprogramm. Zuerst orientiert uns Dr. Nils Häck, Partner bei Flick Gocke Schaumburg, über die aktuellen Entwicklungen bei der Wegzugsbesteuerung und leuchtet insbesondere die Neufassung des § 6 AStG aus. Nachdem uns hinsichtlich des AStG in den letzten Jahren das Unterlassen des Gesetzgebers beschäftigte, beschäftigt uns nunmehr dessen Tun. Im Anschluss rückt Andreas Benecke, Referent im Bundesministerium der Finanzen, die Umsetzung des OECD-Projekts zur Besteuerung der digitalen Wirtschaft in den Fokus und lenkt die Aufmerksamkeit insbesondere auf die zweite Säule des Projekts, nämlich die globale Mindestbesteuerung. Die Phase der Ideen, die wir in diesem Rahmen von Anfang an begleiteten, wird durch die Phase der Implementierung abgelöst, die sich unserer Beobachtung ebenfalls sicher sein darf. Danach beschäftigt sich Tina Schumann, Deputy Head of Tax bei der Deutsche Bank AG, mit ausgewählten aktuellen Entwicklungen der Verrechnungspreisbestimmung. Denjenigen von Ihnen, die diese Tagung wiederholt mit ihrer Anwesenheit beehren, ist die Themenstellung keine unbekannte; die Verrechnungspreisbestimmung ist aber ein stetiger Quell erörterungswürdiger Aspekte. Nach der Mittagspause gilt das Augenmerk von Prof. Dr. Klaus von Brocke, Partner bei Ernst & Young sowie Honorarprofessor an der Universität des Saarlandes, den Anzeigepflichten für grenzüberschreitende Steuergestaltungen. Das Thema mag kein neues sein; neu ist allerdings die eingenommene Perspektive, der es um die Evaluation des Pflichtenbestandes geht und die daher manche Einsicht befördern wird. Im Übrigen lässt sich dem Koalitionsvertrag zwischen SPD, Bündnis 90/Die Grünen und FDP die Absicht entnehmen, die „Mitteilungspflicht für grenzüberschreitende Steuergestaltungen auch auf nationale Steuergestaltungen von Unternehmen mit einem Umsatz von mehr als 10 Millionen Euro aus[zu]weiten“9, so dass sich nunmehr auch große Autohäu-
9 Siehe https://www.fdp.de/sites/default/files/2021-11/Koalitionsvertrag%2020 21-2025_0.pdf, und zwar S. 167.
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Eröffnungsansprache Prof. Dr. Lars Hummel, LL.M.
ser darüber freuen dürfen, die Aufmerksamkeit der Steuerpolitik zu genießen. Schließlich führt Prof. Dr. Guido Förster, Inhaber des Lehrstuhls für Betriebswirtschaftslehre, insbesondere Betriebswirtschaftliche Steuerlehre, an der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf, die internationalen Aspekte der den Personenhandelsgesellschaften neuerdings gewährten Option zur Körperschaftsbesteuerung vor Augen. Auch wenn das Optionsrecht – anders als im Gesetzgebungsverfahren behauptet – keinen greifbaren Beitrag zu einer rechtsformneutralen Besteuerung leistet, wartet es immerhin mit diversen Problemen in grenzüberschreitenden Fällen auf, die ihrerseits die Gewähr dafür bieten, dass den Rechtsanwendern die Arbeit nicht ausgeht. Auf dem (zum Teil virtuell besetzten) Podium begrüße ich – in alphabetischer Reihenfolge – zunächst den Vorsitzenden Richter am Bundesfinanzhof Dr. Peter Brandis, der unter den allseits bekannten Umständen in Personalunion den I. Senat und den XI. Senat führt. Es freut uns zum einen, dass er trotz dieser doppelten Inanspruchnahme unserer Veranstaltung die Ehre seiner Mitwirkung erweist, und zum anderen, dass er sich nach dem Ausscheiden von Prof. Dr. Roland Wacker aus dem Amt bereit erklärt hat, die lange Traditionslinie fortzusetzen, die darin besteht, dass der jeweilige Vorsitzende des für das internationale Steuerrecht zuständigen I. Senats die Hamburger Tagung zur Internationalen Besteuerung bereichert. Hierfür gilt Ihnen der Dank der Veranstalter und gewiss auch der Dank aller Teilnehmerinnen und Teilnehmer. Begrüßen möchte ich sodann den Leiter der Unterabteilung Internationales Steuerrecht im Bundesministerium der Finanzen, Martin Kreienbaum. Weil er diese Tagung seit langer Zeit bereichert, bedarf es eigentlich keiner Worte – außer denen des Dankes. Die Kennzeichnung als den „unscheinbare[n] Mastermind hinter der Mindeststeuer“ in einem kürzlich erschienenen Artikel der Frankfurter Allgemeinen Zeitung möchte ich hier gleichwohl zitieren10. Des Weiteren begrüße ich Oliver Nußbaum, Global Head of Tax der BASF SE, der im letzten Jahr zwar um Dispens bat, aber ebenfalls zum gefestigten Kreis der diese Tagung bereichernden Podiumsdiskutanten zählt. Auf dem Weg, in diesen einzutreten, ist Kerstin Schulz, Global Head of Tax and Customs der Beiersdorf AG, die zugleich die Verbin10 M. Schäfers, „Der unscheinbare Mastermind hinter der Mindeststeuer“, https://www.faz.net/-gqi-ah9vx, 26.10.2021.
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Eröffnungsansprache Prof. Dr. Lars Hummel, LL.M.
dung zur Hamburger Wirtschaft sowie zum Postgraduierten-Studiengang „Master of International Taxation“ personifiziert. Allen Genannten möchte ich bereits an dieser Stelle ganz herzlich für ihre Mitwirkung danken. Ein zweites Mal bereits beschert die Coronavirus-Pandemie der Hamburger Tagung zur Internationalen Besteuerung missliche Rahmenbedingungen. Ihnen fallen denn auch wiederholt zwei Elemente zum Opfer, die sonst zum festen Rahmenprogramm gehören, nämlich das Women-of-IFA-Network-Treffen sowie die Young-IFA-Network-Tagungsnachlese. Aus heutiger Sicht wäre es nicht weniger als blauäugig, auf Normalität im kommenden Jahr zu bauen; die Hoffnung auf künftige Realisierbarkeit besagter Elemente des Rahmenprogramms trotz äußerlicher Unordnung lassen wir uns aber nicht nehmen. Auch im Falle der diesjährigen Tagung besteht unser Bestreben darin, die Vorträge und Diskussionsbeiträge in einem Tagungsband zu dokumentieren. Wenn ich von einem Bestreben spreche, so ist diese zurückhaltende Formulierung Ausdruck des Umstandes, dass ich Ihnen den Tagungsband der letztjährigen Veranstaltung zu meinem großen Bedauern noch nicht zu überreichen vermag. Das lässt sich ausnahmsweise nicht der Coronavirus-Pandemie anlasten, bewegt sich vielmehr im Rahmen üblicher Herausgeber-Erfahrungen. Insofern muss ich Sie leider noch um Geduld ersuchen. Es hat sich etabliert, die Eröffnungsansprache auch dafür zu nutzen, Sie über den Stand des Bemühens um den steuerrechtlichen Schwerpunktbereich der Fakultät für Rechtswissenschaft der Universität Hamburg zu informieren. Nach langer, durchaus kräftezehrender Zeit scheint ein Licht am Ende des Tunnels auf, welches nicht, um einem möglichen Einwand von Gerrit Frotscher vorzubeugen, von einem entgegenkommenden Zug stammt. Mit der zu diesem Zeitpunkt noch gebotenen Zurückhaltung darf ich der Einschätzung Raum geben, dass die vor eineinhalb Jahren ausgeschriebene Universitätsprofessur für Öffentliches Recht, Finanz- und Steuerrecht voraussichtlich zum kommenden Sommersemester besetzt und der seit mehreren Jahren ausgesetzte steuerrechtliche Schwerpunktbereich zum gleichen Zeitpunkt wieder reaktiviert werden wird. Es ist eine zweifellos erfreuliche Entwicklung, in der Sache aber nur ein Anfang. Auf der Liste der – in verpflichtender Tradition stehenden – Aufgaben ist nämlich nicht nur die Reaktivierung des steuerrechtlichen Schwerpunktbereichs verzeichnet. Auf ihr steht außerdem das International Tax Institute selbst, die hiesige Tagung, der Postgraduiertenstu-
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Eröffnungsansprache Prof. Dr. Lars Hummel, LL.M.
diengang „Master of International Taxation“, die IFA-Nord-Vorträge sowie manch anderes, nicht zuletzt auch die seitens der Fakultät für Rechtswissenschaft formulierten Erwartungen an besagte Professur, die über den Bereich des Steuerrechts hinausreichen. Daher sind wir auch hier von jenem Faust’schen Momentum weit entfernt. Anders gewendet: Ohne Drittmittel wird ersichtlich kein Auskommen sein. Die sich in Gründung befindende Hamburger Steuerinitiative, ein Zusammenschluss Hamburger Kanzleien, wird hier einen bedeutsamen Teil leisten, wofür ich nicht genug danken kann – aber eben nur einen Teil. Daher sind wir, wenn das Ziel erreicht werden soll, unverändert auf Ihre – namentlich: finanzielle – Unterstützung angewiesen, um die ich Sie daher nachdrücklich bitte. Hilfreich ist jedes Engagement, sei es im Rahmen des Fördervereins des International Tax Institute oder eben im Rahmen der erwähnten Hamburger Steuerinitiative. Einer ihrer Hauptvertreter ist Dr. Morten Dibbert, Partner bei Möhrle Happ Luther, der vor Ort anwesend und ansprechbar ist. Wir sind fortwährend bestrebt, eine zweite steuerrechtliche Professur aus Drittmitteln zu erschaffen, um auf diesem Wege – gemeinsam mit der Helmut-Schmidt-Universität/Universität der Bundeswehr Hamburg sowie der Bucerius Law School – Hamburg und Norddeutschland den universitären steuerrechtlichen Nachwuchs und die universitären steuerrechtlichen Qualifizierungsangebote zu sichern sowie zu einer stärkeren Vernetzung beizutragen. Auf universitären Füßen steht auch die Hamburger Tagung zur Internationalen Besteuerung. Neben den räumlichen Ressourcen, die wir der Handelskammer Hamburg verdanken, beruht die Tagung vor allem auf einem über das jeweilige originäre Aufgabenspektrum hinausreichenden persönlichen Engagement einiger dem International Tax Institute der Universität Hamburg besonders verbundener Personen sowie der Unterstützung durch wissenschaftliche und studentische Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter – ihnen allen gilt ein herzlicher Dank. Und diesen Dank möchte ich umso nachdrücklicher aussprechen, als es zum wiederholten Male „Bedingungen der Unsicherheit“ waren – um auf das Generalthema der letztjährigen Tagung zu rekurrieren11 –, unter denen die Veranstaltung organisiert werden musste. Weitere unerwartete Hürden kamen hinzu, die wir jetzt aber, tatsächlich vor Ort oder via Zoom versammelt, zugunsten der anstehenden thematischen Verhandlungen beiseiteschieben wollen. 11 Dazu L. Hummel/B. Kaminski (Hrsg.), Internationale Besteuerung unter Bedingungen der Unsicherheit, 2022.
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Eröffnungsansprache Prof. Dr. Lars Hummel, LL.M.
Nur eines sei noch – wie jedes Jahr – unterstrichen: Als universitäre, nicht-kommerzielle Veranstaltung wollen wir ein Forum für alle am internationalen Steuerrecht Interessierten bieten, wollen offen und mit fachlicher Tiefe aktuelle Entwicklungen des internationalen Steuerrechts erörtern, wollen Vertreterinnen und Vertreter der Unternehmen, der Verbände, der Beraterschaft, der Finanzverwaltung, der Rechtsprechung und nicht zuletzt der Wissenschaft ins Gespräch bringen. Ihre Teilnahme, über die wir uns sehr freuen, lässt dieses Forum überhaupt erst möglich werden. Mehr noch: Mit Ihrer Teilnahme unterstützen Sie, verehrte Kolleginnen und Kollegen, die Arbeit unseres Fördervereins und damit zugleich die vorhin aufgezählten Projekte des International Tax Institute. Daher möchte ich ausdrücklich auch Sie in meine Danksagungen einbeziehen. Mein Kollege, Bert Kaminski, der die Leitung des Podiums übernommen hat, und ich wünschen Ihnen eine ertragreiche Veranstaltung! Bevor wir uns den eigentlichen Gegenständen der Tagung widmen, die wir unter dem Generalthema „Neue Herausforderungen im Internationalen Steuerrecht“ zusammengefasst haben, freuen wir uns auf die Grußworte der Vizepräses der Handelskammer Hamburg, Astrid Nissen-Schmidt, sowie des Präses der Finanzbehörde, Senator Dr. Andreas Dressel. Herzlichen Dank! Prof. Dr. Lars Hummel, LL.M. Juristische Fakultät, Universität Potsdam International Tax Institute, Universität Hamburg
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Grußwort Sehr geehrter Herr Professor Hummel, vielen Dank für Ihre Einführung! Sehr geehrter Herr Senator Dr. Dressel, sehr geehrter Herr Professor Hummel, sehr geehrter Herr Professor Kaminski, meine sehr geehrten Damen und Herren, hier im Raum und vor den Bildschirmen, im Namen der Handelskammer Hamburg begrüße ich Sie sehr herzlich zur 38. Hamburger Tagung zur Internationalen Besteuerung. Herzlichen Dank für die Möglichkeit, in diesem Jahr wieder ein Grußwort zu Ihnen sprechen zu dürfen. Das freut mich umso mehr, als ich nicht nur als Vizepräses der Handelskammer Hamburg vor Ihnen stehe. Auch als Berufsträgerin ist es mir eine besondere Ehre und Freude, wieder Teil dieser renommierten Fachtagung zum internationalen Steuerrecht zu sein. Ein besonderer Dank gilt dem Organisationsteam. Es hat mit großem Einsatz diese Tagung möglich gemacht. Ein hoher Aufwand war notwendig, um den Ablauf an die sich häufig ändernden Umstände anzupassen. Im Dezember 2020 war ich noch sehr zuversichtlich, dass wir uns bei der diesjährigen Nikolaustagung wieder persönlich treffen. Der Nikolaus hat meinen Wunsch leider nicht erfüllt. Offensichtlich lässt sich ein Virus nicht von Wünschen in der Vorweihnachtszeit beeindrucken. So sitzen Sie wie im Vorjahr vor ihrem Bildschirm im Büro oder im HomeOffice. Und eine kleine Zahl der Tagungsteilnehmer leistet uns hier vor Ort Gesellschaft. „Vor Ort“ heißt in diesem Jahr nicht in den Sälen der Handelskammer. Wir sind heute im CAMPUS 75. Im CAMPUS 75 sind „Lehren und Lernen“ zu Hause: Für die Handelskammer ist dies der Ort für das lebenslange Lernen. Dazu zählt auch die Hamburg School of Business Administration – kurz HSBA, die hier ihre Heimat hat. Das heißt, hier wird auch Steuerberaternachwuchs ausgebildet. Meine Damen und Herren, die Bundestagswahl liegt schon einige Zeit hinter uns, ein Koalitionsvertrag liegt vor. Die bisher zügigen Schritte zur Regierungsbildung sind zunächst ein gutes Zeichen. Die Koalitionsparteien haben ihren ehrgeizigen Zeitplan eingehalten. Die Verhandlungen verliefen diskret, und – anders als sonst – haben sich alle an entsprechende Absprachen gehalten. Diese auf Bundesebene neue Regierungskonstellation zeigt damit einen starken Willen, ihre Handlungsfähigkeit unter Beweis zu stellen. Und
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Grußwort Astrid Nissen-Schmidt
genau das ist in diesen Zeiten wichtiger als je zuvor: Nämlich eine handlungsfähige Bundesregierung, damit die Wirtschaft trotz der andauernden Pandemielage – jetzt in der 4. Welle – aus dem Krisenmodus herauskommt! Die Erwartungen an eine neue Bundesregierung sind hoch: Die Klimaschutzziele zu erreichen und die Innovationskraft Deutschlands zu steigern sind anspruchsvolle Aufgaben. Insbesondere für erneuerbare Energien, Infrastrukturmodernisierung und Digitalisierung hat sich die Koalition ehrgeizige Ziele gesetzt. In steuerlicher Hinsicht ist der Koalitionsvertrag jedoch deutlich weniger ambitioniert. Er ist hinter den Erwartungen vieler zurückgeblieben. Lassen Sie mich einige Aspekte herausgreifen. Insgesamt scheinen die Verhandlerinnen und Verhandler eher die Lenkungsfunktion des Steuerrechts im Blick gehabt zu haben. Das mag bei der Förderung der Elektromobilität oder der Forschung und Entwicklung richtig und sinnvoll sein. Mit mehr Ehrgeiz und Mut wäre jedoch mehr drin gewesen. Was meine ich mit mehr? Ich hatte mir insbesondere ein Bekenntnis der Koalitionsparteien zum Steuerrecht als Standortfaktor gewünscht. Für uns als Handelskammer geht es letztlich darum, ein dynamisches und nachhaltiges Wachstum der Wirtschaft zu erreichen. Das setzt international wettbewerbsfähige Unternehmenssteuern in Deutschland voraus. Dazu gehören dann auch die großen Themen auf die Agenda. Daher vermisse ich im Koalitionsvertrag vor allem klare Aussagen zu einer Unternehmenssteuerreform oder einer Reform der Gewerbesteuer. Der von den USA begonnene internationale Steuerwettbewerb hat sich zwar inzwischen etwas entschärft. Aber in Deutschland liegen wir mit Steuersätzen von 30 % und mehr bei der Besteuerung von Körperschaften im internationalen Vergleich nach wie vor an einer Spitzenposition. Das steht den im Koalitionsvertrag vorgesehenen Zukunftsinvestitionen deutlich entgegen. Wenn schon der Mut zu einer Reform fehlt, sind die künftige Bundesregierung, genauso wie die Kommunen und Länder, aufgerufen, im Übrigen zumindest Augenmaß zu halten. Denn in den letzten Jahren hat sich gerade die Gewerbesteuer als Treiber der Besteuerung erwiesen. Sollte dieser Trend anhalten, verpufft auch die begrüßenswerte Erhöhung der Anrechnung der Gewerbesteuer bei sich selbst. Auch beim Thema Verlustrücktrag äußert sich der Koalitionsvertrag leider nur sehr zurückhaltend. In der Corona-Krise haben wir immer wie-
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Grußwort Astrid Nissen-Schmidt
der eine Erweiterung des Verlustrücktrags gefordert. Je länger die Krise andauert, desto mehr laufen die bisherigen Regelungen ins Leere. Für die Zukunft würde die Krisenresilienz von Unternehmen durch weitergehende Rücktragsmöglichkeiten deutlich gestärkt. Neben Maßnahmen mit unmittelbar finanzieller Wirkung steht in jedem Forderungskatalog von Unternehmensvertretern und Kammern an eine neue Regierung der Bürokratieabbau. Auch steuerrechtliche Regelungen leisten einen erheblichen Beitrag zur Bürokratie. Und genau hier enthält der Koalitionsvertrag neben Licht leider auch viel Schatten. Aus meiner Sicht ist die Absicht der künftigen Bundesregierung, Betriebsprüfungen zu beschleunigen, sehr zu begrüßen. Für eine erfolgreiche Umsetzung sind die Länder frühzeitig ins Boot zu holen. Wünschenswert ist – damit verbunden – eine Verkürzung von Aufbewahrungsfristen. Lassen Sie uns aber auf ein mögliches Bürokratiemonster blicken: die Erweiterung der Mitteilungspflicht auf nationale Steuergestaltungen von Unternehmen bereits ab einem Umsatz von mehr als 10 Millionen Euro. Schon aus der jetzt geltenden Mitteilungspflicht für grenzüberschreitende Steuergestaltungen ist der hohe Bürokratieaufwand bekannt. Diese Regelung im Koalitionsvertrag wird deshalb den Mittelstand erheblich mehr belasten. Und wir alle wissen, wie wichtig mittelständische Unternehmen für unsere Wirtschaft sind. Wer die Regelung zur Mitteilungspflicht ausweiten will, sollte unbedingt vorher Kosten und Nutzen sorgfältig bewerten und gegenüberstellen. Eine reflexhafte Belastung mit zusätzlicher Bürokratie bei zweifelhaftem Effekt bringt niemandem etwas. Und steuerehrliche Unternehmen dürfen nicht deshalb als schwarzes Schaf abgestempelt werden, nur weil sie eine Steuergestaltung offenlegen. Meine Damen und Herren, kommen wir jetzt zu Hamburg. Nämlich Hamburg international als Wirtschaftsstandort zu stärken. Hier gibt es neue Herausforderungen und Chancen. Als Folge der Pandemie hat sich gezeigt, wie anfällig globale Lieferketten sind: Zulieferteile wie Halbleiter sind knapp, Liefertermine werden nicht eingehalten, Frachtraten explodieren. Das Bedürfnis von Unternehmen und Staaten, sich vor Ereignissen wie Pandemien, Blockaden der Seewege, aber in Zukunft vielleicht sogar politischen Krisen zu schützen, ist also nachvollziehbar. Was heißt das für Hamburg? Der Wirtschaftsstandort Hamburg wird auch zukünftig auf einen starken Außenhandel angewiesen sein. Und
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Grußwort Astrid Nissen-Schmidt
selbst wenn dieser durch globale Entwicklungen in Frage gestellt wird, kann darin eine Chance für Hamburg liegen. Die Rückverlegung von Lieferketten oder Deglobalisierung muss für Hamburg kein negatives Szenario sein. Ganz im Gegenteil! Vielmehr handelt es sich um eine Chance für Hamburg, die es zu nutzen gilt. Hamburg ist als Wirtschaftsstandort hochgradig diversifiziert mit einer starken Industrie und einem starken Dienstleistungssektor. Gerade für Hamburgs Industrie mit ihrer breiten internationalen Vernetzung können sich aus der Rückverlagerung von Lieferketten ganz neue Möglichkeiten ergeben. Der Warenverkehr würde dadurch nicht notwendigerweise weniger. Die Einfuhr von Vorprodukten für die Industrie dürfte eher steigen. Deshalb bleibt die Reform des Verfahrens zur Erhebung der Einfuhrumsatzsteuer ein wichtiger Baustein, um Deutschland und Hamburg als Wirtschaftsstandort international zu stärken. Ziel ist ein echtes Verrechnungsmodell. Ein Modell, das die Liquidität in den Unternehmen schont und den bürokratischen Aufwand mindert, so dass wir beim Import von Waren nicht den Anschluss zum europäischen Ausland verlieren. Ich freue mich deshalb sehr, dass die jahre- bzw. jahrzehntelange Forderung zur weiteren Verbesserung des Erhebungsverfahrens der Einfuhrumsatzsteuer ihren Weg in den Koalitionsvertrag gefunden hat. Denn die mit dem zweiten Corona-Steuerhilfegesetz eingeführte Fristenlösung hatte nicht den erhofften Effekt. Gerade kleine und mittlere Unternehmen scheuen oftmals den Aufwand zur Beantragung eines Aufschubkontos. Und damit profitieren sie nicht von der Fristenlösung. Zudem können Unternehmen die Abwicklung der Einfuhrumsatzsteuer leichter auf Dienstleister übertragen. Das entlastet insbesondere kleine und mittlere Unternehmen. Deshalb wird sich die Handelskammer Hamburg weiterhin mit den Fachverbänden für die Reform der Einfuhrumsatzsteuer einsetzen. Lassen Sie mich mit einem aktuellen Thema abschließen. Das HomeOffice. Gerade jetzt wieder wichtiger. Steuerliche Relevanz bekommt es im Kontext mit der Betriebsstättendefinition. Bereits bei der letzten Nikolaustagung war die Betriebsstätte ein Thema. Offene Rechtsbegriffe und die erst langsam zunehmende Erfahrung mit deren Umgang sind ein nicht geringes steuerliches Risiko für Unternehmen. Von der nächsten Bundesregierung wünsche ich mir eine Antwort auf die Frage: Welches Home-Office ist eine Betriebsstätte? Meine Damen und Herren, zum Abschluss richte ich meinen ausdrücklichen Dank an Herrn Dr. Dressel. Wir freuen uns sehr, dass wir mit Ih-
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Grußwort Astrid Nissen-Schmidt
nen einen Finanzsenator haben, der für die Anliegen der gewerblichen Wirtschaft – wie wir es beispielsweise bei der Einfuhrumsatzsteuer und der Grundsteuer genauso wie bei den Corona-Hilfen erfahren haben – immer ein offenes Ohr hat. Lassen Sie uns gerne weiterhin im Austausch bleiben. Vielen herzlichen Dank dafür! Meine Damen und Herren, Ihnen allen – vor den Bildschirmen und hier im Raum – wünsche ich eine interessante Tagung und einen erkenntnisreichen Tag. Die Entwicklungen in Berlin werden bestimmt viele Anregungen für den gemeinsamen Austausch und Diskussionen bieten. Und – in der Hoffnung, dass es nicht zur Tradition wird – wünsche ich uns allen, dass wir uns nächstes Jahr in Präsenz wiedersehen können. Vielleicht geht der Wunsch dieses Mal in Erfüllung. Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit, am Montag einen frohen Nikolaustag und eine besinnliche Vorweihnachtszeit Ihnen allen! Bleiben Sie gesund! Astrid Nissen-Schmidt Vizepräses der Handelskammer Hamburg
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Grußwort Einen wunderschönen guten Morgen, liebe Frau Vizepräses, lieber Professor Hummel, lieber Professor Kaminski! In der Tat ist ja heute trotz Corona-Ausdünnung von Kalendern noch die Situation, dass dies hier heute wunderbar in Präsenz stattfindet. Aber auch die Blockchance-Konferenz in der Handelskammer, wo ich auch noch gleich einen Teil der Konferenz eröffne, und insofern ist das heute etwas dicht gedrängt. Aber ich finde, dass Sie es jetzt geschafft haben, in dieser Phase trotz der Widrigkeiten dieser Tage – das hatten wir uns ja auch letztes Mal fest vorgenommen, dass in jedem Fall die Nikolaustagung in diesem Jahr auch in Präsenz stattfinden kann –, das finde ich ganz außergewöhnlich. Also dafür ganz, ganz herzlichen Dank an die Organisatorinnen und Organisatoren, dass das gelungen ist. Es findet natürlich in bewegten Zeiten statt, auch vor einem Jahr haben wir schon darüber diskutiert: Was kann eigentlich die Steuer zur Bewältigung der Corona-Situation beitragen? Wir haben gerade heute Morgen nochmal in die Zahlen reingeguckt. In Wahrheit haben auch die Steuerverwaltungen, aber auch alle, die in den steuerberatenden Berufen unterwegs sind, maßgeblich die ganzen Konjunkturpakete geschultert. Und zwar einerseits die steuerberatenden Berufe, wenn es darum ging, die ganzen Anträge alle zu bewältigen – das ist, glaube ich, etwas, das im Moment ganz maßgeblich alle Büros prägt, die Überbrückungshilfeanträge rechtzeitig zu bearbeiten. Da kommt dann irgendwann auch noch eine Abrechnung hinterher, die dann natürlich auch noch lästig ist. Aber auch ein großes Lob für die Steuerverwaltungen. Wir haben jetzt allein in Hamburg – diesen Mittwoch habe ich die Zahlen bekommen – seit dem 19. März 2020, seitdem die steuerlichen Hilfsmaßnahmen liefen, 6,48 Milliarden Euro bewegt. Nur in Hamburg! Also Vorauszahlungsanpassungen, Vollstreckungsaufschübe und Steuerstundung. Das ist eine gewaltige Zahl, die eigentlich viele andere Hilfsmaßnahmen in den Schatten stellt und die häufig nicht mitgenannt wird, obwohl es einfach ganz viel Liquidität in den Unternehmen gehalten hat. Also da, finde ich, sollten wir nochmal einen großen Dank aussprechen. Wenn von Corona-Helden geredet wird, wird immer von anderen geredet, aber in Wahrheit sind eben auch sowohl in der Steuerverwaltung als auch in den steuerberatenden Berufen ganz viele Corona-Helden. Es ist
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Grußwort Dr. Andreas Dressel
schon mal gut, wenn wir uns hier darüber einig sind. Vielleicht verbreiten wir das mal ab und zu nach draußen. Heute ist aber natürlich das Thema „Die Internationale Besteuerung“, und das ist auch das, was ja diese Tagung seit Jahren prägt und es ist ein bewegtes Jahr gewesen und es liegt auch noch ein bewegtes Jahr vor uns, denn es hat sich in 2021 viel getan. Auf OECD- und EU-Ebene wurden für die Zukunft wichtige Richtungsentscheidungen getroffen. Deutschland leistet seinen Beitrag zur europäischen Zusammenarbeit gegen die Nutzung aggressiver Steuergestaltungen. Wir haben gesehen, die Verabschiedung des ATAD-Umsetzungsgesetzes und des Steueroasen-Abwehrgesetzes, mit dem aggressive Gestaltungen zur Umgehung von Steuerpflichten in Deutschland bekämpft und zumindest die Steueroasen, die jegliche Zusammenarbeit mit der europäischen Union und ihren Mitgliedstaaten verweigern, ausgetrocknet werden sollen. Dann das Ende 2019 verabschiedete Gesetz zur Einführung einer Pflicht zur Mitteilung grenzüberschreitender Steuergestaltungen. Das wird seit Mitte 2020 angewendet. Darüber haben wir diskutiert, ob es vielleicht treffsicher genau ist oder vielleicht an bestimmten Stellen auch übers Ziel hinausschießt und trotz der pandemiebedingten Widrigkeiten werden die Mitteilungen seit Anfang 2021 durch Arbeitsgruppen, bestehend aus Mitarbeitern des BZSt und der Steuerverwaltungen der Länder, ausgewertet und, soweit notwendig, mit anderen Staaten ausgetauscht. Damit setzt Deutschland seine Verpflichtungen aus europäischen Richtlinien, ATAD und die Mitteilungspflichten bzw. eine Vereinbarung der europäischen Finanzminister, um. Die Mitarbeit Deutschlands im Projekt zur Bekämpfung von Gewinnkürzungen und Gewinnverlagerungen beginnt ebenfalls, Früchte zu tragen. Wir haben zum einen die Umwandlung der Abkommen zur Vermeidung von Doppelbesteuerung zu Abkommen zur Vermeidung von Doppel- und Nicht-Besteuerung, wobei die Abkommen teilweise durch das sogenannte multilaterale Instrument modifiziert werden, Deutschland aber mit vielen Staaten entsprechende Änderungen der Doppelbesteuerungsabkommen vereinbart. Unter dem ursprünglichen Stichwort „Besteuerung der digitalen Wirtschaft“ – und das, glaube ich, kann man als einen ganz wichtigen Meilenstein bewerten – ist im Oktober eine sehr weitreichende Übereinkunft für 130 Staaten erzielt worden, die eine Besteuerung der rund 100 umsatz-
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Grußwort Dr. Andreas Dressel
stärksten Unternehmen auch in den Staaten, in denen sie Kunden finden, ohne dort Betriebsstätten zu unterhalten, ermöglichen wird und zudem, unter anderem auf Anregung von Deutschland und Frankreich, eine effektive globale Mindestbesteuerung zur Beendigung des in der Vergangenheit teilweise exzessiven und ruinösen Steuersenkungswettbewerbs durchgesetzt werden soll. Auch da muss man jetzt aufs Kleingedruckte gucken. Funktioniert das alles so? Wird das gehalten, was versprochen wurde? Im Prinzip aber die Botschaft, die damit verbunden ist, die ist, glaube ich, nicht gering zu schätzen, sondern das sind wirklich sehr große Fortschritte. Und, nebenbei bemerkt, alle, die für Finanzressorts Verantwortung tragen in den Ländern, das ist auch etwas, das sie ein bisschen brauchen, wenn es darum geht, die öffentlichen Kassen nach der Corona-Pandemie dann auch zu sanieren. Insofern ist das etwas, wo wir an der Stelle auch nicht auf etwas verzichten können. Ich glaube, es geht hier auch darum, dass wir Akzeptanz für Gemeinwesen erhalten. Und auch bei denjenigen, die hart coronabetroffen sind, die alljährlich ihre Steuern zahlen und dann sagen, die Tech-Riesen, die internationalen Internetriesen, die auch maßgeblich verdient haben – die Zahlen liegen ja alle auch vor –, also die kleinen Mittelständler, die haben sozusagen das Problem, dass sie sich bestimmten Sachen nicht entziehen können, und die Großen verdienen – das ist etwas, was zunehmend auch die Akzeptanz von Gemeinwesen aufs Spiel setzt. Insofern ist es gut, dass dieser Fortschritt gelungen ist, und wir werden sicherlich diskutieren, wie weit auch diese Fortschritte reichen. Zugleich setzt sich Deutschland auch für mehr Rechtssicherheit für die Steuerpflichtigen ein und hat unter anderem seit dem Frühjahr einen gesetzlichen Rahmen für die Durchführung von Vorabverständigungsverfahren mit Staaten, mit denen Deutschland Doppelbesteuerungsabkommen geschlossen hat und die dazu ebenfalls bereit sind. Dabei werden auch die beteiligten Staaten von dieser höheren Rechtssicherheit profitieren. Durch die Änderungen des Außensteuergesetzes und der Verwaltungsvorschriften zu internationalen Verrechnungspreisen und Überprüfungen wird Deutschlands Position in diesen bedeutenden Teil des internationalen Steuerrechts hoffentlich zugleich gestärkt und für die betroffenen Unternehmen besser vorhersehbar. Seitdem sind die Voraussetzungen für gemeinsame Sitzungen mit Delegationen anderer Staaten zur Durchführung von Verständigungsverfahren seit 20 Monaten sehr erschwert. Das ist nachvollziehbar, aber inzwischen setzen sich auch hier virtuelle Sitzungen immer mehr durch, wobei na-
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Grußwort Dr. Andreas Dressel
türlich die Wahrung des Steuergeheimnisses die Auswahl der Tools bestimmt, zugleich aber auch das Interesse betroffener Steuerpflichtiger an der möglichst zeitnahen Klärung ihrer Fragen und der Bearbeitung ihrer Anträge im Fokus der Beteiligten im BZSt und den Länderverwaltungen sowie der Steuerverwaltungen der Vertragspartner Deutschlands stehen. Ich will noch ein bisschen einen Ausblick wagen auf 2022. Aufgrund der von Deutschland unterstützten europäischen DAC7 ist eine neue Meldepflicht für Betreiber digitaler Plattformen in das deutsche Steuerrecht einzufügen. Digitale Plattformbetreiber sind unter anderem Carsharing-Plattformen, Fahrdienstplattformen, Verkaufsplattformen oder Zimmervermittlungsplattformen. Die Meldepflichten müssen nicht nur Unternehmen mit Sitz in der EU erfüllen, sondern auch Unternehmen mit Sitz in einem Drittstaat, die ein Leistungsangebot in der EU anbieten. Die Meldepflicht ist spätestens bis zum 31.12.2022 in nationales Recht umzusetzen und wird daher ab dem 1.1.2023 anzuwenden sein. Diese Meldepflicht wird praktische Lücken in der Besteuerung entsprechender Angebote schließen und damit – das sage ich sozusagen als oberster Chef der Hamburger Steuerfahndung – auch unsere Steuerfahndung entlasten, die bisher bei der Kontrolle der Steuerehrlichkeit der Anbieter in mühevoller Kleinarbeit die Angebote auf den digitalen Plattformen durchsuchen musste. Wenn wir da ein bisschen mehr Effizienz haben, um uns auch anderen Themen widmen zu können, wäre das für alle Beteiligten hilfreich. Sie sehen, meine Damen und Herren, trotz der widrigen Umstände: Die internationale Besteuerung entwickelt sich weiter, hat wirklich wichtige Fortschritte erreicht, insofern ist es gut, dass die Hamburger Tagung zur Internationalen Besteuerung jetzt in diesem Jahr wieder zusammenkommt, auch in dieser Formation, aktuelle Themen bewegt und den Austausch fördert, nämlich dass die Theorie, die wir auch manchmal bei uns in Ministerien und Behörden überlegen, ob die auch praktisch funktionieren oder ob es eben Nachsteuerungsbedarfe gibt. Das ist genau das, wofür sich eine solche Tagung lohnt. Insofern wünsche ich Ihnen gute Gespräche, interessante Gedanken, einen fruchtbaren Austausch und dass wir im nächsten Jahr wieder so zusammenkommen und wir vielleicht in einer Situation sind, dass wir dann keine Tests mehr benötigen, also all das, was solche Tagungen im Moment ein bisschen erschwert, dass das
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Grußwort Dr. Andreas Dressel
im nächsten Jahr wegfällt, dass wir es dann geschafft haben. Ich glaube, das würde auch das Steuerwesen freuen, wenn wir Corona mal zu den Akten legen. In diesem Sinne: Gute Tagung, herzlichen Dank! Dr. Andreas Dressel Finanzsenator der Freien und Hansestadt Hamburg
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Inhaltsverzeichnis Ausführliche Inhaltsübersichten jeweils zu Beginn der Beiträge. Seite
Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Eröffnungsansprache . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Grußworte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . XIX Dr. Nils Häck Aktuelle Entwicklungen bei der Wegzugsbesteuerung . . . . . . . . . . . .
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A. Aktuelle Entwicklungen im Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
1
B. Fallbeispiele . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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C. Ausblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Prof. Dr. Bert Kaminski (Diskussionsleitung) Aktuelle Entwicklungen bei der Wegzugsbesteuerung, insbesondere § 6 AStG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Podiumsdiskussion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Dipl.-Finw. (FH) Andreas Benecke, LL.M. Umsetzung des OECD-Projekts zur Besteuerung der digitalen Wirtschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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A. Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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B. Pillar 1 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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C. Pillar 2 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Prof. Dr. Bert Kaminski (Diskussionsleitung) Umsetzung des OECD-Projekts zur Besteuerung der digitalen Wirtschaft, insbesondere „Pillar Two“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Podiumsdiskussion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Inhaltsverzeichnis
Tina Schumann Ausgewählte Entwicklungen der Verrechnungspreisbestimmung . .
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A. Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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B. Die Verwaltungsgrundsätze Verrechnungspreise vom 14.7.2021
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C. Jüngste Entwicklung höchstrichterlicher Rechtsprechung . . . . .
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D. Ausblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Prof. Dr. Bert Kaminski (Diskussionsleitung) Ausgewählte Entwicklungen der Verrechnungspreisbestimmung . .
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Podiumsdiskussion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Prof. Dr. Klaus von Brocke Anzeigepflichten für grenzüberschreitende Steuergestaltungen . . . . 113 A. Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 113 B. Umsetzung und Systematik der DAC6-Amtshilferichtlinie . . . . 114 C. Praxisbeispiele . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 119 D. Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 134 Prof. Dr. Bert Kaminski (Diskussionsleitung) Anzeigepflichten für grenzüberschreitende Steuergestaltungen . . . . 135 Podiumsdiskussion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 135 Prof. Dr. Guido Förster Internationale Aspekte der Option zur Körperschaftsteuerpflicht von Personenhandelsgesellschaften . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 147 A. Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 148 B. Persönliche und sachliche Optionsberechtigung . . . . . . . . . . . . . . 148 C. Inboundsituation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 150 D. Outboundsituation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 162 E. Wegzugsbesteuerung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 167 F. Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 168
XXXII
Inhaltsverzeichnis
Prof. Dr. Bert Kaminski (Diskussionsleitung) Internationale Aspekte der Option zur Körperschaftsteuerpflicht von Personenhandelsgesellschaften . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 171 Podiumsdiskussion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 171
Stichwortverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 185
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Aktuelle Entwicklungen bei der Wegzugsbesteuerung Dr. Nils Häck Rechtsanwalt, Fachanwalt für Steuerrecht Flick Gocke Schaumburg, Bonn
A. Aktuelle Entwicklungen im Überblick . . . . . . . . . . . . . . . I. Aktuelle Entwicklungen in der Rechtsprechung . . . . . . . 1. FG Köln v. 28.3.2019 – 15 K 2159/15. . . . . . . . . . . 2. FG Schleswig-Holstein v. 12.9.2019 – 4 K 113/17 . . . 3. FG Münster v. 31.10.2019 – 1 K 3448/17 E . . . . . . . . . 4. FG Baden-Württemberg v. 31.8.2020 – 2 K 835/19 . . . 5. FG Münster v. 17.9.2020 – 5 K 3356/17 E . . . . . . . . . . 6. FG Köln v. 17.6.2021 – 15 K 888/18. . . . . . . . . . . . 7. BFH v. 26.10.2021 – IX R 13/20 . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Reform des § 6 AStG durch das ATADUmsG. . . . . . . . . . 1. Änderungen im Tatbestand . . . . . . . . . . . . . . .
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2. Änderungen bei der Rückkehrregelung und Stundung . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Zeitliche Anwendung der Neuregelung . . . . . . .
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B. Fallbeispiele . . . . . . . . . . . . . I. Fall 1: Trautes Heim, Glück allein? . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Fall 2: Der verhängnisvolle Formwechsel . . . . . . . . . . . . III. Fall 3: Schon weg, aber noch nicht da. . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Fall 4: Der Reformgewinner V. Fall 5: Zuzugssperre oder neue Freiheit?. . . . . . . . . . . . VI. Fall 6: Wegzug ohne Folgen . VII. Fall 7: Eine echte Option? . . VIII. Fall 8: Das Damoklesschwert . . . . . . . . . . . . . . . . .
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C. Ausblick . . . . . . . . . . . . . . . .
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A. Aktuelle Entwicklungen im Überblick Die praktische Bedeutung der sog. Wegzugsbesteuerung, insbesondere der „Wegzugssteuer“1 nach § 6 AStG, ist weiter ungebrochen. Man muss kein Prophet sein um zu erkennen, dass sich hieran angesichts der äußert mobilen Erbengeneration künftig nichts ändern wird. Die vom Ge1 Soweit nachfolgend von „Wegzugsbesteuerung“ bzw. „Wegzugsteuer“ im Zusammenhang mit § 6 AStG a.F./n.F. die Rede ist, ist damit die Einkommensteuer (zzgl. SolZ und ggf. KiSt) gemeint, die unter Berücksichtigung des Teileinkünfteverfahrens (§ 3 Nr. 40 EStG, § 3c Abs. 2 EStG) auf einen steuerpflichtigen Veräußerungsgewinns i.S.v. § 6 Abs. 1 AStG i.V.m. § 17 Abs. 2 EStG entfällt.
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Häck – Aktuelles bei der Wegzugsbesteuerung
setzgeber als „zeitgemäß“ propagierte, in praxi aber überwiegend verschärfend wirkende Neufassung des § 6 AStG2 (dazu unter II.) lässt die Akzeptanz einer Wegzugsbesteuerung weiter sinken, wie sich in zahlreichen Beratungsgesprächen zeigt. Den Steuerpflichtigen leuchtet zwar ein, dass sich der deutsche Fiskus die im Inland „verdienten“ stillen Reserven sichern will. Verständnis für eine vorgezogene – allenfalls zeitlich gestreckte – Steuerzahlung ohne jeglichen Liquiditätszufluss ist aber nur sehr selten zu beobachten. Im Hinblick auf die derzeit anhängigen Revisionsverfahren (dazu unter I.) ruht eine gewisse Hoffnung auf dem BFH, dass er den Gesetzgeber an der ein oder anderen Stelle einbremsen möge oder Anstoß gibt für eine notwendige Entschärfung der bestehenden Regelungen (dazu unter II.).
I. Aktuelle Entwicklungen in der Rechtsprechung In der Rechtsprechung des BFH führte der erstmals mit dem AStG 1972 geschaffene § 6 AStG über die letzten fünfzig Jahre hinweg mit lediglich vier Urteilen3 und zwei AdV-Beschlüssen4 bisher eher ein Schattendasein. Angesichts der derzeit beim BFH anhängigen sechs Revisionsverfahren mit Bezug zu § 6 AStG a.F. ist in naher Zukunft mit einem ganzen „Schwung“ von höchstrichterlichen Entscheidungen zu rechnen, die in der ein oder anderen Frage Rechtssicherheit schaffen oder zumindest eine neue Dynamik in bestehende Diskussionen – auch mit Relevanz für § 6 AStG n.F. – bringen könnten. Die anhängigen Verfahren sollen nachfolgend im Überblick dargestellt werden:
2 Nachfolgend bezeichnet „§ 6 AStG a.F.“ die am 30.6.2021 geltende Fassung, „§ 6 AStG n.F.“ die ab dem 1.7.2021 geltende Fassung. Zur Anwendung von Alt- und Neuregelung s. § 21 Abs. 1 und Abs. 3 AStG sowie unter II.3. 3 BFH v. 28.2.1990 – I R 43/86, BStBl. II 1990, 615 (keine Berücksichtigung von Wertminderungen); BFH v. 16.10.1991 – I R 145/90, BStBl. II 1992, 321 (Stundungszinsen); BFH v. 25.8.2009 – I R 88, 89/07, BStBl. II 2016, 438 (kein Verstoß gegen DBA, GG oder EU-Recht); BFH v. 26.4.2017 – I R 27/15, BStBl. II 2017, 1194 (keine Berücksichtigung von Wertminderungen). 4 BFH v. 17.12.1997 – I B 108/97, BStBl. II 1998, 558 (kein Verstoß gg. GG oder EU-Recht); BFH v. 23.9.2008 – I B 92/08, BStBl. II 2009, 524 (keine verfassungswidrige Rückwirkung).
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Häck – Aktuelles bei der Wegzugsbesteuerung
1. FG Köln v. 28.3.2019 – 15 K 2159/15 Das im Anschluss an die Entscheidung des FG Köln vom 28.3.20195 anhängige Revisionsverfahren I R 30/19 dreht sich um die Frage, ob die grenzüberschreitende un- bzw. teilentgeltliche Übertragung von Anteilen i.S.v. § 17 EStG an eine nicht in Deutschland, sondern den USA unbeschränkt steuerpflichtige Person die Wegzugsbesteuerung auslöst, selbst wenn das Vermögen der Gesellschaft überwiegend aus in Deutschland belegenen Immobilien besteht und das deutsche Besteuerungsrecht an den Gewinnen aus der Veräußerung der Anteile abkommensrechtlich nicht ausgeschlossen wird. Der zwischenzeitlich verstorbene P übertrug 2009 Anteile i.S.v. § 17 Abs. 1 Satz 1 EStG an einer deutschen GmbH, deren Vermögen aus überwiegend in Deutschland belegenem Grundvermögen bestand, teilentgeltlich auf seinen Sohn (US-Staatsbürger), der zum Übertragungszeitpunkt ausschließlich in den USA unbeschränkt steuerpflichtig war. Das beklagte Finanzamt und das FG gingen für den unentgeltlichen Teil der Übertragung davon aus, dass die Voraussetzungen des § 6 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 AStG a.F. erfüllt sind, auch wenn das deutsche Besteuerungsrecht an den Gewinnen aus der Veräußerung der übertragenen Anteile nicht ausgeschlossen oder beschränkt wird (vgl. Art. 13 Abs. 2 Buchst. b DBAUSA). Das entspricht zwar dem Wortlaut des Gesetzes, eine Steuerfestsetzung ist in diesem Fall aber dennoch abzulehnen.6 Folgt man der Ansicht des FG, muss man sich die Frage stellen, ob nicht die für grenzüberschreitende Schenkungen in Drittstaaten einschlägige Kapitalverkehrsfreiheit7 unter dem Eindruck der Wächtler-Entscheidung des EuGH8 eine dauerhafte, zinslose Stundung ohne Sicherheitsleistung gebietet9 oder – überträgt man die Entscheidungsgründe des FG BadenWürttemberg v. 31.8.2020 (dazu unter 4.) – eine Steuerfestsetzung aus europarechtlichen Gründen generell ausscheiden muss. Inzwischen hat der BFH entschieden und die Revision als unbegründet zurückgewiesen.10
5 FG Köln v. 28.3.2019 – 4 K 113/17, EFG 2019, 1361, hierzu Kahlenberg, FR 2019, 820; Weiss, ISR 2019, 293; Häck, IStR 2019, 674. 6 Hierzu ausf. Häck, IStR 2019, 674 ff. 7 Stv. zuletzt Schönfeld/Erdem, StuW 2022, 70 (75). 8 EuGH v. 26.2.2019 – C-581/17, DStR 2019, 425. 9 Vgl. stv. Kahlenberg, FR 2019, 820. 10 BFH v. 8.12.2021 – I R 30/19, hierzu ausf. Häck, IStR 2022, 463 ff.
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Häck – Aktuelles bei der Wegzugsbesteuerung
2. FG Schleswig-Holstein v. 12.9.2019 – 4 K 113/17 Im Revisionsverfahren I R 52/19 zur Entscheidung des FG Schleswig-Holstein vom 12.9.201911 wird sich der BFH mit der Frage beschäftigen, ob der Rückgewähranspruch aus einem Wertpapierdarlehen als „Anwartschaft“ i.S.v. § 17 Abs. 1 Satz 3 EStG qualifiziert und der Wegzug des Wertpapierverleihers den Tatbestand des § 6 Abs. 1 Satz 1 AStG a.F. verwirklicht. Der Steuerpflichtige hielt ursprünglich Aktien an einer deutschen AG i.S.v. § 17 Abs. 1 Satz 1 EStG. Einen Tag vor seinem Wegzug in die Schweiz am 29.12.2006 übertrug er die Aktien im Rahmen eines sog. Wertpapierdarlehens auf seinen Bruder. Die Beteiligten und das FG stimmten darin mit der h.M. überein, dass das wirtschaftliche Eigentum an den „verliehenen“ Aktien auf den Bruder (steuerneutral) übergegangen sei. Das FG qualifiziert aber die Surrogatsforderung des Steuerpflichtigen als „Anwartschaft“ i.S.d. § 17 Abs. 1 Satz 3 EStG, die ebenfalls in den Anwendungsbereich des § 6 Abs. 1 AStG fiele.12 Der BFH hat in der Vergangenheit den Begriff der „Anwartschaft“ relativ weit gezogen und auch rein schuldrechtliche Rechtspositionen hierunter gefasst, die nicht gegen die fragliche Gesellschaft selbst gerichtet sind.13 Ob der Rückgewähranspruch aus einem Wertpapierdarlehen als „Anwartschaft“ i.S.v. § 17 Abs. 1 Satz 3 EStG qualifiziert, ist zwar dennoch zweifelhaft.14 Angesichts der sich andernfalls – auch unter der neuen Rechtslage – ggf. eröffnenden Gestaltungsmöglichkeiten wäre es aber eher überraschend, sollte der BFH sich der Argumentation des FG nicht anschließen.15 Wie im Revisionsverfahren I R 35/20 (dazu unter 4.) wird sich der BFH dann aber mit der Frage zu beschäftigen haben, ob einer Festsetzung der Wegzugsbesteuerung entgegensteht, dass der Gesetz-
11 FG Schleswig-Holstein v. 12.9.2019 – 4 K 113/17, EFG 2020, 37; hierzu Beinert/Oertel, StbJb 2020/2021, 139 (165); Hütte, EFG 2020, 42; Weiss, ISR 2020, 122. 12 Zust. Strahl/Winkler in Korn, § 17 EStG Rz. 55. 13 Vgl. stv. BFH v. 19.12.2007 – VIII R 14/06, BStBl. II 2008, 475. 14 Vgl. Gosch in Kirchhof/Seer, 20. Aufl. 2021, § 17 EStG Rz. 17. 15 Hält der Steuerpflichtige aber – anders als im Streitfall – einen Anteil i.S.v. § 17 Abs. 1 Satz 3 (z.B. eine Anwartschaft) ohne (zugleich) am Kapital der Gesellschaft beteiligt zu sein, findet § 17 Abs. 1 Satz 1 EStG (und damit § 6) keine Anwendung, vgl. BFH Urt. v. 14.3.2006 – VIII R 49/04, BStBl. II 2006, 746; BFH, Urt. v. 19.2.2013 – IX R 35/12, BStBl. II 2013, 578; Levedag in Schmidt41, § 17 EStG Rz. 109; s. aber auch Frotscher/Geurts, § 17 EStG, Rz. 74.
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geber unter nicht ausreichender Beachtung des FZA bei Wegzügen in die Schweiz keine dauerhafte Stundung der Steuer vorgesehen hat.
3. FG Münster v. 31.10.2019 – 1 K 3448/17 E Gegenstand des Revisionsverfahrens I R 55/19 zur Entscheidung des FG Münster vom 31.10.201916 sind die Anforderungen an die sog. Rückkehrregelung i.S.v. § 6 Abs. 3 Satz 1 AStG a.F. Der Steuerpflichtige war 2014 nach Dubai (VAE) verzogen und hielt sich ab 2016 wieder ganz überwiegend in Deutschland auf. Das Finanzamt setzte für 2014 einen steuerpflichtigen Veräußerungsgewinn i.S.v. § 6 Abs. 1 Satz 1 AStG a.F. i.V.m. § 17 EStG fest und verweigerte die Anwendung der Rückkehrregelung i.S.v. § 6 Abs. 3 AStG a.F. Das FG hielt die Klage insoweit für unbegründet. Das FG stellte zunächst fest, dass europarechtliche Bedenken im Streitfall nicht bestünden, da der Wegzug einer natürlichen Person in einen Nicht-EU/EWR-Staat mangels „Kapitalbewegung“ nicht vom Schutz der Kapitalverkehrsfreiheit (Art. 63 Abs. 1 AEUV) erfasst sei. Das ist sehr umstritten17 und sollte abschließend durch den EuGH geklärt werden.18 Das FG geht nicht auf die – im Revisionsverfahren auch vor dem Hintergrund der Fragestellungen im Verfahren I R 30/19 (dazu unter 1.) thematisierbaren – Frage ein, ob § 6 Abs. 1 Satz 1 AStG a.F. verwirklicht werden kann, wenn das deutsche Besteuerungsrecht an den Gewinnen aus der Veräußerung der Anteile trotz des Wegzugs uneingeschränkt erhalten bleibt. Hierzu hätte Anlass bestanden, wenn – was dem Entscheidungssachverhalt nicht zu entnehmen ist – der Kläger kein Staatsangehöriger der V.A.E. war, da er sich im Veräußerungsfall wegen fehlender Ansässigkeit i.S.v. Art. 4 Abs. 1 Buchst. b, i DBA-VAE nicht auf einen Ausschluss deutscher Besteuerungsrechte gem. Art. 13 Abs. 5 DBA-VAE hätte berufen können.19
16 FG Münster v. 31.10.2019 – 1 K 3448/17 E, EFG 2020, 19, hierzu Peters, EFG 2020, 256; Weiss, ISR 2020, 15; Häck, IStR 2020, 118. 17 Zum Streitstand ausf. Häck in Flick/Wassermeyer/Baumhoff/Schönfeld, § 6 AStG Rz. 261, 181 m.w.N. (Stand: Oktober 2021); s. jüngst ausf. Erdem/Schönfeld, StuW 2022, 70 (72 ff.). 18 Die Frage, ob bei physischen Wegzügen die Kapitalverkehrsfreiheit einschlägig sein kann, hätte jüngst auch das FG Berlin-Brandenburg (v. 27.4.2022 – 3 K 3072/20, juris) problematisieren müssen (hierzu Häck, IStR 2022, 460 [466]). 19 Hierzu Häck, IStR 2020, 118.
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Der BFH wird diese Frage für die Anwendung des § 6 Abs. 1 AStG a.F. aber sehr wahrscheinlich für unbeachtlich halten.20 Im Zentrum der Entscheidung stehen Fragen zu den Anforderungen an die sog. Rückkehrregelung i.S.v. § 6 Abs. 3 AStG a.F. Nach den Feststellungen des FG war der Kläger innerhalb von fünf Jahren wieder in Deutschland unbeschränkt steuerpflichtig geworden, habe aber nicht glaubhaft gemacht, dass er bei seinem Wegzug in die V.A.E. die Absicht hatte, nach Deutschland zurückzukehren, also im Inland wieder unbeschränkt steuerpflichtig zu werden. Nach der ausführlich begründeten Auffassung des FG verlangt § 6 Abs. 3 Satz 1 AStG a.F. aber neben der tatsächlichen Rückkehr in Form der (Wieder-)Begründung der unbeschränkten Steuerpflicht auch, dass bereits bei Wegzug der Wille des Steuerpflichtigen zur (Wieder-)Begründung der unbeschränkten Steuerpflicht innerhalb eines Zeitraums von längstens fünf Jahren bestand. Bei einer tatsächlichen Rückkehr innerhalb von fünf Jahren bedarf es aber richtigerweise keiner Rückkehrabsicht bei Wegzug, vielmehr ist diese in diesem Fall gesetzlich zu vermuten.21
4. FG Baden-Württemberg v. 31.8.2020 – 2 K 835/19 Das mit Abstand „spannendste“ Revisionsverfahren (I R 35/20) folgt auf den Gerichtsbescheid vom 31.8.202022 des FG Baden-Württemberg im Anschluss an die Entscheidung des EuGH in der Rs. Wächtler.23 Die Besonderheit des Verfahrens liegt u.a. darin, dass der in die Schweiz weggezogene Hr. Wächtler nicht die dauerhafte Stundung der Wegzugssteuer begehrt, sondern die Festsetzung als solche angreift. Das FG entschied in seinem Sinne, dass bereits die Festsetzung der durch den Wegzug ausgelösten Steuer rechtswidrig sei, da § 6 AStG a.F. – weil auch § 6 20 S. jüngst BFH v. 8.12.2021 – I R 30/19. 21 Ausf. zur Entscheidung des FG Häck, IStR 2020, 118 ff. 22 FG Baden-Württemberg v. 31.8.2020 – 2 K 835/19, EFG 2021, 20; hierzu Oellerich, EFG 2021, 35; Hörnicke, ISR 2021, 97; Mayer, StuB 2021, 251 f.; Cloer, DStRK 2021, 58. 23 EuGH v. 26.2.2019 – C-581/17, ECLI:EU:C:2019:138 – Wächtler; s. hierzu im Überblick Häck in Flick/Wassermeyer/Baumhoff/Schönfeld, § 6 AStG Rz. 261, 184 ff. (Stand: Oktober 2021); ausf. zu Einzelheiten Erdem/Schönfeld, StuW 2022, 70 (72 ff.); Hohenwarter-Mayr, EWS 2019, 129 ff.; Häck/Kahlenberg, IStR 2019, 253 (257 ff.); Schlücke, IStR 2019, 264; Hagemann/Kahlenberg/Höppner/ Schuh, FR 2019, 427 (434); Nürnberg, IWB 2019, 417 ff.; Nürnberg, ISR 2019, 159 ff.; Wilke, PIStB 2019, 91 f.; Cranshaw, jurisPR-IWR3/2019, Rz. 1; Weiss, EStB 2019, 117; Weiss, IWB 2019, 392.
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Abs. 5 AStG a.F. nicht analog oder im Wege geltungserhaltender Reduktion angewandt bzw. entsprechend ausgelegt werden könne – keine Regelung vorsehe, die die nach der Wächtler-Entscheidung erforderliche dauerhafte und zinslose Stundung der Steuer (ggf. gegen Sicherheitsleistung) ermögliche. Insoweit werde auch das BMF-Schreiben v. 19.11.201924 den Vorgaben des EuGH nicht gerecht. Zwar hält der EuGH die Festsetzung der Wegzugsteuer regelmäßig für unionsrechtskonform. Das Gericht entnimmt der Entscheidung des EuGH in der Rs. Wächtler aber, dass das FZA nicht nur einer sofortigen Erhebung, d.h. einer Wegzugsbesteuerung ohne Aufschub der Zahlung der geschuldeten Steuer, entgegenstehe, sondern auch einem Steuersystem, das eine solche Erhebung ohne dauerhafte Stundung vorsieht. Dies ist im Ergebnis konsequent25: Stellt man sich mit dem FG Baden-Württemberg auf den Standpunkt, dass eine unionsrechtskonforme Auslegung – sei es durch eine weite Auslegung des § 222 AO26 oder eine analoge Anwendung des § 6 Abs. 5 AStG a.F.27 – nicht möglich ist, greift der unionsrechtliche Anwendungsvorrang mit der Folge, dass § 6 Abs. 1 AStG a.F. unangewendet bleibt,28 also bereits eine Steuerfestsetzung mangels zur Verfügung stehender Rechtsgrundlage ausscheiden muss. Aufgrund dieser Interpretation konnte das Gericht dem Kläger recht geben, der sich ausschließlich gegen die Festsetzung der Steuer gewandt hatte. Es bleibt nun abzuwarten, ob der BFH im Rahmen des Revisionsverfahrens die Sache noch einmal dem EuGH vorlegt oder „durchentscheidet“.29 Für eine erneute Vorlage nach Art. 267 AEUV besteht angesichts der klaren Ausführungen der Wächtler-Entscheidung grundsätzlich kein Anlass. Entweder kommt der BFH zu dem Ergebnis, dass der unionsrechtlich gebotenen Stundung über § 222 AO, § 6 Abs. 5 AStG a.F. (analog) oder auf anderem Weg Geltung verschafft werden kann. So hat bspw. das FG Köln in einem AdV-Beschluss vom 11.5.202130 eine analoge Anwendung des § 6 Abs. 5 24 BStBl. I 2019, 1212; hierzu Häck, ISR 2020, 17. 25 Siehe auch Schönfeld/Erdem, StuW 2022, 70 (93); Zimmermann, IStR 2021, 352 (356 f.). 26 Vgl. z.B. Schlücke IStR 2019, 264 (265); Häck IStR 2011, 797 (799 f.); vgl. auch Werner, Systemgerechte Entstrickung im Steuerrecht, 200; a.A. Hoyer, Wegzugsbesteuerung und Unternehmensnachfolge, S. 115 ff.; Endres/Freiling, PIStB 2009, 72. 27 Vgl. etwa FG Köln v. 11.5.2021 – 2 V 1929/20, juris; Kahlenberg, DStRK 2019, 93; Wilke, PIStB 2019, 91 (92). 28 Vgl. Zimmermann, IStR 2021, 352 (356f). 29 Vgl. Schönfeld/Erdem, IStR 2021, 527 (533). 30 FG Köln v. 11.5.2021 – 2 V 1929/20, juris.
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AStG a.F. für möglich gehalten. Dann wird der BFH der Revision des Finanzamts stattgeben, da die Festsetzung der Steuer in diesem Fall unionsrechtlich zulässig wäre. Sieht der BFH hingegen keine Rechtsgrundlage für eine dauerhafte Stundung, wird er den Anwendungsvorrang des EURechts durchgreifen lassen und die Revision als unbegründet verwerfen (können).
5. FG Münster v. 17.9.2020 – 5 K 3356/17 E Im Zentrum des Revisionsverfahrens I R 39/20 zur Entscheidung des FG Münster vom 17.9.202031 stehen die Anforderungen an die Berücksichtigung einer nach Wegzug und Stundung gem. § 6 Abs. 5 AStG a.F. eingetretenen und durch Verkauf der Anteile tatsächlich realisierten Wertminderung gem. § 6 Abs. 6 AStG a.F. bei der ursprünglichen Steuerfestsetzung im Wegzugsjahr, was u.a. voraussetzt, dass die Wertminderung bei der Einkommensbesteuerung durch den Zuzugsstaat nicht berücksichtigt wird. § 6 Abs. 6 AStG a.F. findet nur noch auf Anteilsveräußerungen bis zum 24.6.2021 Anwendung (§ 21 Abs. 2 Satz 2 AStG n.F.) und hat in § 6 AStG n.F. keine Entsprechung mehr. Der Kläger verzog als Anteilseigner einer GmbH 2012 nach Österreich. Die ausgelöste Wegzugsteuer wurde gem. § 6 Abs. 5 AStG a.F. dauerhaft gestundet. In 2016 veräußerte der Kläger die Beteiligung für einen Preis unterhalb des gemeinen Werts bei Wegzug, wobei die realisierte Wertminderung – insoweit nicht streitig – betrieblich bedingt i.S.v. § 6 Abs. 6 Satz 2 AStG a.F. war. Nach Widerruf der Stundung durch das Finanzamt in 2017 (§ 6 Abs. 5 Satz 4 Nr. 1 AStG a.F.) begehrte der Kläger im Hinblick auf die realisierte nachträgliche Wertminderung eine Herabsetzung der Wegzugsteuer. Die Kläger hatten zur Besteuerung in Österreich mitgeteilt, dass sie in Österreich keine Steuererklärungen abgegeben haben, da sie dazu nicht verpflichtet gewesen seien. Daher seien auch keine Verluste berücksichtigt worden. Das Finanzamt und FG lehnten eine nachträgliche Berücksichtigung der Wertminderung ab, da § 6 Abs. 6 AStG a.F. zumindest voraussetze, dass der Steuerpflichtige die Verlustberücksichtigung im Rahmen seiner Einkommensteuererklärung im Zuzugsstaat erfolgslos beantragt hat. Eine „Berücksichtigung“ der Wertminderung im Zuzugsstaat sei zudem schon gegeben, wenn diese in einen Verlustvortrag eingeht, selbst wenn dieser mangels positiver Ein31 FG Münster v. 17.9.2020 – 5 K 3356/17 E, EFG 2020, 1645, hierzu Häck, ISR 2021, 55.
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künfte nicht genutzt werden könne. Die Interpretation begegnet Zweifeln,32 da das Gesetz sich zu den Gründen für die Nichtberücksichtigung neutral verhält. Insbesondere sieht das Gesetz auch keine Verpflichtung des Steuerpflichtigen vor, auf eine rechtliche Berücksichtigung der Wertminderungen im Zuzugsstaat aktiv hinzuwirken, auch wenn er diese – wie im vorliegenden Fall – nicht wird nutzen können.33
6. FG Köln v. 17.6.2021 – 15 K 888/18 Im Revisionsverfahrens I R 32/21 zum Urteil des FG Köln v. 17.6.202134 geht es materiell-rechtlich um die Frage, ob die Besteuerung nach § 6 Abs. 1 Satz 2 Nr. 4 AStG a.F. i.V.m. § 17 EStG aufgrund sog. passiver Entstrickung von Anteilen an einer spanischen Immobiliengesellschaft aufgrund der erstmaligen Anwendung des revidierten DBA-Spanien 2011 zum 1.1.2013 (unions-)rechtmäßig ist und ob die durch § 21 Abs. 23 AStG i.d.F. des Zollkodex-Anpassungsgesetzes vom 22.12.201435 rückwirkend eingeführte Stundungsregel (§ 6 Abs. 5 Satz 3 Nr. 4 AStG a.F.) eine verfassungsrechtlich unzulässige echte Rückwirkung enthält. Möglicherweise wird sich der BFH zu diesen Fragen aber nicht äußern, da das FG den streitgegenständlichen Einkommensteuerbescheid bereits als formell rechtswidrig einstufte.36 Der in Deutschland ansässige Kläger hielt im Streitjahr 2013 Anteile i.S.v. § 17 Abs. 1 EStG an einer spanischen Kapitalgesellschaft (S.L.), de32 Ausf. Häck, ISR 2021, 55. 33 Insoweit ist bei der Auslegung zu berücksichtigen, dass die Einfügung des § 6 Abs. 6 AStG a.F. auf die Entscheidung des EuGH in der Rechtssache N (EuGH v. 7.9.2006 – C-470/04, ECLI:EU:C:2006:525, FR 2006, 1128 – N) zurückgeht, weshalb die Entscheidung für die Auslegung des § 6 Abs. 6 AStG a.F. relevant wird. Dort hatte der EuGH ausgeführt, dass es europarechtlich unzulässig sei, ein System der Wegzugsbesteuerung einzuführen, bei dem der Wegzugsstaat „Wertminderungen, die möglicherweise nach der Verlegung des Wohnsitzes des Betroffenen eingetreten und nicht bereits im Aufnahmemitgliedstaat berücksichtigt worden sind, nicht vollständig berücksichtigt.“ Eine Verpflichtung des Steuerpflichtigen, die Verlustberücksichtigung im Zuzugsstaat aktiv zu betreiben, ergibt sich aus den Entscheidungsgründen nicht. 34 FG Köln v. 17.6.2021 – 15 K 888/18, EFG 2021, 1876, hierzu Behrenz, IStR 2021, 820; Kamps, Stbg 2021, 323; Zapf, NWB 2021, 3017; Weiss, DStRK 2021, 297. 35 BGBl. I 2014, 2417. 36 Auf den diesbezüglich relevanten Sachverhalt und die Entscheidungsgründe des FG wird hier insoweit nicht weiter eingegangen.
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ren Vermögen im Wesentlichen aus einer in Spanien belegenen Immobilie bestand. Ab dem 1.1.2013 war das revidierte DBA-Spanien anzuwenden, welches – anders als das vorherige DBA – erstmals eine sog. Immobiliengesellschaftsklausel vorsah, nach der im vorliegenden Fall Spanien bei Veräußerung der S.L.-Anteile ab dem 1.1.2013 ein Besteuerungsrecht an den Veräußerungsgewinnen zugestanden hätte (Art. 13 Abs. 2 DBASpanien 2011) und Deutschland zur Anrechnung dieser Steuern verpflichtet gewesen wäre (Art. 22 Abs. 2 Buchst. a, Doppelbuchst. ii DBASpanien 2011). Das Finanzamt sah hierin eine i.S.v. § 6 Abs. 1 Satz 2 Nr. 4 AStG a.F. zum 1.1.2013 verwirklichte tatbestandsmäßige „Beschränkung“ des deutschen Besteuerungsrechts und setzte im Einkommensteuerbescheid 2013 einen entsprechenden Veräußerungsgewinn i.S.v. § 17 Abs. 2 EStG fest. Diese Handhabung entspricht der bundeseinheitlich abgestimmten Verwaltungsauffassung zur „passiven Entstrickung“,37 die Gegenstand einer intensiv geführten Diskussion im Schrifttum ist.38 Das FG ließ die materiell-rechtlichen und verfassungsrechtlichen Argumente gegen einen solchen Besteuerungszugriff dahinstehen, beurteilte die Steuerfestsetzung gem. § 6 Abs. 1 Satz 2 Nr. 4 AStG a.F. aber als europarechtswidrig, da im Streitjahr für diese Fälle eine dauerhafte Stundung der Wegzugsteuer nicht vorgesehen war. Bei der rückwirkenden Anwendung der später39 geschaffenen Stundungsvorschrift (§ 6 Abs. 5 Satz 3 Nr. 4 AStG a.F.) zur Heilung eines europarechtswidrigen Zustands handele es sich um eine verfassungsrechtlich unzulässige echte Rückwirkung zu Lasten des Klägers. Es ist zu hoffen, dass der BFH zu den materiell-rechtlichen Fragen Stellung bezieht, da von der „passiven Entstrickung“ zahlreiche deutsche Besitzer mallorquinischer Fincas, die (jedenfalls früher) typischerweise über eine S.L. gehalten wurden, betroffen sind. Auch eine Vorlage an das Bundesverfassungsgericht aufgrund der erheblichen verfassungsrechtlichen Zweifel an einer „handlungslosen“ Verwirklichung eines Steuer-
37 BMF v. 26.10.2018, BStBl. I 2018, 1104. 38 S. zuletzt Reimer in Kube/Reimer, Geprägte Freiheit 2020/21, § 10. Nachweise zum Streitstand bei Häck in Flick/Wassermeyer/Baumhoff/Schönfeld, § 6 AStG Rz. 357 (Stand: April 2020). 39 Eingeführt mit Gesetz zur Anpassung der Abgabenordnung an den Zollkodex der Union und zur Änderung weiterer steuerlicher Vorschriften vom 22.12.2014 (Zollkodex-Anpassungsgesetz, BGBl. I 2014, 2417). In § 21 Abs. 23 AStG wird eine Anwendung auf alle Fälle angeordnet, in denen die geschuldete Steuer noch nicht entrichtet ist.
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tatbestands40 ist denkbar. Im Hinblick auf die Entscheidungsgründe in seinem Beschluss vom 23.9.200841 ist es hingegen nicht unbedingt naheliegend, dass der BFH dem FG darin folgt, § 6 Abs. 5 Satz 3 Nr. 4 AStG a.F. i.V.m. § 21 Abs. 23 AStG enthalte eine unzulässige verfassungsrechtliche Rückwirkung. Sollte der BFH gegen eine passive Entstrickung nach § 6 Abs. 1 Satz 2 Nr. 4 AStG a.F. grds. keine Bedenken haben, wäre noch die Frage zu beantworten, ob die Erfassung des Veräußerungsgewinns i.S.v. § 6 Abs. 1 Satz 2 Nr. 4 AStG a.F. erst im Veranlagungszeitraum 2013 zutreffend ist. Denn bei den klassischen Wegzügen hat der BFH die Tatbestandsverwirklichung stets auf die logische Sekunde vor Beendigung der unbeschränkten Steuerpflicht gelegt,42 um einen Konflikt mit den DBA zu vermeiden. In der Konsequenz wäre im Streitfall der Veräußerungsgewinn in 2012 zu erfassen, da das revidierte DBA ab dem 1.1.2013 anzuwenden war. Dieses Verständnis liegt ganz offensichtlich auch § 6 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AStG n.F. zu Grunde.
7. BFH v. 26.10.2021 – IX R 13/20 Nicht § 6 AStG, sondern die Voraussetzungen für einen „Step-Up“ der Anschaffungskosten bei Zuzug des Steuerpflichtigen gem. § 17 Abs. 2 Satz 3 EStG waren Gegenstand des zwischenzeitlich durch Entscheidung des BFH v. 26.10.202143 erledigten Revisionsverfahrens zur vorgehenden Entscheidung des FG Düsseldorf v. 1.7.2020.44 Im Wegzugsstaat Niederlande war eine Steuerfestsetzung nicht erfolgt, lediglich der Wert der Beteiligung war bei Wegzug durch die niederländische Finanzbehörde festgestellt worden. Hieraus ergab sich die Frage, wann der Steuerpflichtige im ausländischen Staat einer vergleichbaren Wegzugsbesteuerung „unterlegen“ hat. Der BFH spricht sich dafür aus, dass hierfür im Wegzugsstaat zumindest ein Steuerbescheid mit Berechnung und Festsetzung der Steuer ergangen sein muss. Das FG war der Ansicht, es bedürfe einer Steuerzahlung im Ausland.
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Vgl. deutlich Reimer in Kube/Reimer, Geprägte Freiheit 2020/21, § 10. BFH v. 23.9.2008 – I B 92/09, BStBl. II 2009, 524. BFH v. 23.9.2008 – I B 92/09, BStBl. II 2009, 524. BFH v. 26.10.2021 – IX R 13/20. FG Düsseldorf v. 1.7.2020 – 7 K 2991/19 E, EFG 2020, 1307; hiergegen Gosch in Kirchhof/Seer, 20. Aufl. 2021, § 17 EStG Rz. 81.
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II. Reform des § 6 AStG durch das ATADUmsG Spätestens seit 2018 hatte sich angekündigt, dass das BMF eine Reform der Wegzugsbesteuerung nach § 6 AStG a.F. vorbereitete.45 Die Entstehungsgeschichte zur Neufassung des § 6 AStG zwischen dem am 10.12.2019 vorgelegten 1. Referentenentwurf und dem Inkrafttreten des ATADUmsG46 am 1.7.2021 war wechselhaft und – v.a. was die Änderungen bei § 6 AStG betraf – von politisch kontroversen Debatten geprägt.47 Gegenüber der bisherigen Regelung (§ 6 AStG a.F.) sieht § 6 AStG n.F. – aus Sicht der Steuerpflichtigen – neben gewissen Verbesserungen ganz erhebliche Verschärfungen, insbesondere die Abschaffung der dauerhaften Stundung i.S.v. § 6 Abs. 5 AStG a.F., vor. Die Reform der Wegzugsbesteuerung bringt nur Änderungen zu den von § 6 AStG erfassten Konstellationen mit sich. Für die in der Praxis hoch relevanten wegzugsbedingten Entstrickungstatbestände bei Anteilen im Betriebsvermögen (§ 4 Abs. 1 Satz 3, § 16 Abs. 3a EStG48) bzw. alt-einbringungsgeborenen Anteilen (21 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 UmwStG 199549) ergeben sich nur partiell Änderungen (s. Fallbeispiele unter B.I. und B.II.). Im Überblick sieht die Neufassung des § 6 AStG folgende wesentlichen Änderungen vor:
1. Änderungen im Tatbestand Die Wegzugsteuertatbestände des § 6 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1–3 AStG n.F. können nur von natürlichen Personen verwirklicht werden, die innerhalb der letzten zwölf Jahre vor Verwirklichung eines Wegzugsteuertatbestands insgesamt mindestens sieben Jahre unbeschränkt steuerpflichtig i.S.v. § 1 Abs. 1 EStG gewesen sind (§ 6 Abs. 2 Satz 1 AStG n.F.). Insoweit ergibt sich zwar eine Erleichterung, als nicht mehr – wie bisher – auf die gesamte Lebenszeit des Steuerpflichtigen zurückgeschaut werden muss (s. auch das Fallbeispiel unter B.IV.). Für Zuzügler ist hiermit 45 Vgl. Staats (Diskussionsbeitrag) in Kaeser/Holle, Tagungsband der 2. YIN-Jahrestagung, 2019, Abschn. G.II.2. 46 BGBl. I 2021, 2056. 47 Zur Entstehungsgeschichte ausf. Häck in Flick/Wassermeyer/Baumhoff/ Schönfeld, § 6 AStG Rz. 12 (Stand: Oktober 2021). 48 Ausf. Häck in Flick/Wassermeyer/Baumhoff/Schönfeld, § 6 AStG Rz. 261, 64 ff. (Stand: Oktober 2021). 49 Ausf. Häck in Flick/Wassermeyer/Baumhoff/Schönfeld, § 6 AStG Rz. 261, 51 ff. (Stand: Oktober 2021).
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aber eine Verschärfung verbunden, da diese – nicht wie bisher erst nach zehn Jahren – bereits sieben Jahre nach ihrem Zuzug in den Anwendungsbereich der Wegzugsbesteuerung fallen. In Fällen der unentgeltlichen Rechtsnachfolge sind auch die Zeiten der unbeschränkten Steuerpflicht von Rechtsvorgängern zu berücksichtigen (§ 6 Abs. 2 Satz 2 und 3 AStG n.F.). Ein Steuerpflichtiger, der die Rückkehrregel des § 6 Abs. 3 AStG n.F. in Anspruch nimmt, gilt nach seiner Rückkehr als „unbeschränkt Steuerpflichtiger“ (§ 6 Abs. 2 Satz 4 AStG n.F.), wobei sich die Frage stellt, ob dies auch für jene Rückkehrer gilt, für die die Wegzugsteuer nach § 6 Abs. 3 AStG a.F. entfällt (s. dazu das Fallbeispiel unter B.V.). § 6 Abs. 1 AStG n.F. sieht nur noch drei Wegzugsteuertatbestände vor. Dies sind die Beendigung der unbeschränkten Steuerpflicht infolge der Aufgabe des Wohnsitzes oder des gewöhnlichen Aufenthalts (§ 6 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AStG n.F.), die unentgeltliche Übertragung auf eine nicht unbeschränkt steuerpflichtige Person (§ 6 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AStG n.F.) und – subsidiär – der Ausschluss oder die Beschränkung des deutschen Besteuerungsrechts hinsichtlich des Gewinns aus der Veräußerung der Anteile (§ 6 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 AStG n.F.). Damit sollen – wenig überraschend – nach dem Willen des Gesetzgebers auch Fälle der „passiven Entstrickung“ durch Neuabschluss oder Revision eines DBA erfasst werden.50 Für die Tatbestände der Nrn. 1 und 2 soll es auf den Ausschluss oder die Beschränkung deutscher Besteuerungsrechte nicht ankommen, was bereits zu § 6 AStG a.F. gesetzgeberisch gewollt war und vom BFH inzwischen bestätigt worden ist.51 Insoweit ist das mehrfache Auslösen einer Wegzugsbesteuerung nicht ausgeschlossen (s. auch das Fallbeispiel unter B.III.). Die bisherigen Tatbestände des § 6 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 AStG a.F. (Begründung der abkommensrechtlichen Ansässigkeit in einem DBA-Staat) bzw. § 6 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AStG a.F. (Einlage der Anteile in ausländische Betriebsstätte) konnten nach Ansicht des Gesetzgebers entfallen, da die zugrunde liegenden Sachverhalte stets zu einem Ausschluss bzw. einer Beschränkung des deutschen Besteuerungsrechts an den Veräußerungsgewinnen führen sollen.52 Dies ist allerdings nicht zwingend in allen Fällen zutreffend (s. das Fallbeispiel unter B.VI. und B.VII.). 50 Gesetzesbegründung, BR-Drucks. 245/21, 54. 51 S. BFH v. 8.12.2021 – I R 30/19, hierzu ausf. Häck, IStR 2022, 460 (463 ff.). 52 Gesetzesbegründung, BR-Drucks. 245/21, 53 f.; siehe auch Pohl, Ubg 2020, 211 (215).
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§ 6 Abs. 1 Satz 2 AStG n.F. enthält – anders als bisher – für die einzelnen Wegzugsteuertatbestände eigene „Veräußerungszeitpunkte“. In den Fällen des § 6 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 und Nr. 2 AStG n.F. soll die Veräußerung im Zeitpunkt der Beendigung der unbeschränkten Steuerpflicht bzw. der Übertragung erfolgen (§ 6 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 und Nr. 2 AStG n.F.), was dem bisherigen Wortlaut entspricht. Für den Tatbestand des § 6 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 AStG n.F. soll die fiktive Veräußerung unmittelbar vor dem Zeitpunkt erfolgen, zu dem der Ausschluss oder die Beschränkung des Besteuerungsrechts eintritt (§ 6 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AStG n.F.). Weshalb hier eine unterschiedliche Formulierung verwendet wird, ist der Gesetzesbegründung nicht zu entnehmen. Für die nach der Gesetzesbegründung von § 6 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 AStG n.F. erfassten Fälle der „passiven Entstrickung“ durch Neuabschluss oder Revision eines DBA widerspricht § 6 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AStG n.F. dem BMF-Schreiben v. 26.10.2018.53 Zu beachten ist, dass § 6 Abs. 1 Satz 1 und 2 AStG n.F. die Verwirklichung der Wegzugsteuertatbestände anders als bisher („auch ohne Veräußerung anzuwenden“) in die Nähe einer steuerlichen „Veräußerung“ rücken („stehen der Veräußerung gleich“; „die Veräußerung im Sinne des Satzes 1“). Hieraus ergeben sich Folgefragen im Zusammenhang mit Sperrfrist- und Nachbehaltensregelungen, die an eine „Veräußerung“ anknüpfen (s. hierzu die Podiumsdiskussion). Anders als bisher kommt es bei Verwirklichung eines Tatbestands i.S.v. § 6 Abs. 1 Satz 1 AStG n.F. nur dann zu einem „Step-up“ der Anschaffungskosten der wegzugsteuerrelevanten Anteile auf den gemeinen Wert, soweit die auf den Veräußerungsgewinn entfallende Steuer entrichtet worden ist (§ 6 Abs. 1 Satz 3 AStG n.F.).
2. Änderungen bei der Rückkehrregelung und Stundung Ist ein Tatbestand i.S.v. § 6 Abs. 1 AStG n.F. verwirklicht, wird für Zwecke der sog. Rückkehrerregelung bzw. der (nun nur noch temporären) Stundung der Wegzugsteuer nicht mehr zwischen EU-/EWR- und Drittstaatensachverhalten unterschieden. Der Gesetzgeber nimmt hiermit im Anschluss an die Entscheidung des EuGH in der Rechtssache Wächtler „sehenden Auges“ eine Europarechtswidrigkeit der Neuregelung in Kauf. Künftig gilt einheitlich Folgendes:
53 BStBl. I 2018, 1104.
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Ein nach § 6 Abs. 1 AStG n.F. entstandener Steueranspruch kann – grds. wie bisher auch – gem. § 6 Abs. 3 AStG n.F. (sog. Rückkehrregelung) unter bestimmten Voraussetzungen rückwirkend entfallen. In der Konsequenz der Abschaffung der dauerhaften Stundung in EU-/EWR-Fällen finden sich die Sonderregelungen i.S.v. § 6 Abs. 3 Satz 4 a.F. in § 6 Abs. 3 AStG n.F. nicht mehr wieder. Gegenüber den nur für Drittstaatenfälle anzuwendenden § 6 Abs. 3 Satz 1–3 AStG a.F. ergeben sich folgende Änderungen: Die Frist, innerhalb derer der Steuerpflichtige oder sein Rechtsnachfolger zurückkehren muss, wird auf sieben Jahre erhöht und kann auf bis zu zwölf Jahre verlängert werden, wenn die Rückkehrabsicht fortbesteht. Bisher stand eine Verlängerung auf zehn Jahre nur einem bestimmten Personenkreis offen und es mussten berufliche Gründe gegeben sein. Anders als nach dem bisherigen Wortlaut kann auch der Beschenkte bzw. der Doppelansässige bei rechtzeitiger Rückkehr die Wegzugsteuer zum Entfallen bringen (§ 6 Abs. 3 Satz 4 und 5 AStG n.F.). Zudem steht nun in allen Fällen die Möglichkeit zur Verlängerung der Frist auf zwölf Jahre zur Verfügung. Voraussetzung für ein rückwirkendes Entfallen des Steueranspruchs ist, dass der Steuerpflichtige bzw. sein Rechtsnachfolger (i) innerhalb von sieben bzw. zwölf Jahren in Deutschland wieder unbeschränkt steuerpflichtig wird, (ii) die Anteile in der Zwischenzeit nicht veräußert, übertragen bzw. in ein Betriebsvermögen eingelegt wurden, (iii) keine Gewinnausschüttungen und keine Einlagenrückgewähr erfolgt sind, deren gemeiner Wert insgesamt mehr als ein Viertel des (gemeinen) Werts der Anteile im Wegzugszeitpunkt beträgt und das deutsche Besteuerungsrecht hinsichtlich des Gewinns aus der Veräußerung der Anteile mindestens in dem Umfang wieder begründet wird, wie es im Zeitpunkt des i.S.v. § 6 Abs. 1 Satz 1 AStG n.F. auslösenden Ereignisses bestand. Die Schädlichkeit von Gewinnausschüttungen bzw. der Einlagenrückgewähr in einer gewissen Größenordnung zielt erkennbar auf die unter der jetzigen Rechtslage gegebenen Gestaltungsmöglichkeiten. Aus § 6 Abs. 3 Satz 2 AStG n.F. ergibt sich im Umkehrschluss, dass eine in der Zwischenzeit erfolgte Schenkung der Anteile schädlich sein soll, d.h., der vom Weggezogenen Beschenkte auch bei einer „rechtzeitigen“ Übersiedlung nach Deutschland offenbar die Wegzugsteuer nicht zum Entfallen bringen kann. Nach dem Wortlaut ist auch die Schenkung an einen in Deutschland ansässigen Beschenkten schädlich (s. hierzu das Fallbeispiel unter B.VIII.). Regelungen zur Stundung der ausgelösten Steuer finden sich einheitlich sowohl für EU-/EWR- wie auch Drittstaatensachverhalte nur noch in
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§ 6 Abs. 4 AStG n.F. Eine dauerhafte Stundung in EU-/EWR-Fällen i.S.v. § 6 Abs. 5 a.F. ist nicht mehr vorgesehen. Die Gesetzesbegründung hält dies trotz der Ausführungen des EuGH in der Rechtssache Wächtler und entgegen der ganz h.M.54 für europarechtlich zulässig. Künftig ist es dem Steuerpflichtigen nur noch möglich, auf Antrag die ausgelöste Steuer ratierlich in sieben gleichen Jahresraten zu entrichten (§ 6 Abs. 4 Satz 1 AStG n.F.). Dem Antrag soll in der Regel nur gegen Sicherheitsleistung stattgegeben werden (§ 6 Abs. 4 Satz 2 AStG n.F.), was in der Praxis erhebliche Probleme mit sich bringen wird. § 6 Abs. 4 Satz 3 AStG n.F. sieht genaue Zeitpunkte für die Entrichtung und Fälligkeit der Jahresraten vor (1. Rate: ein Monat nach Bekanntgabe des Steuerbescheids; 2.–7. Rate: jeweils am 31.7. der Folgejahre). Bei Eintritt bestimmter Ereignisse wird die noch nicht entrichtete Steuer aber – nach dem Wortlaut ohne Ermessen der Finanzverwaltung – fällig gestellt (§ 6 Abs. 4 Satz 5 AStG n.F.). Dies ist bereits dann der Fall, wenn eine Jahresrate nicht fristgemäß entrichtet wird oder den jährlichen Mitwirkungspflichten (s.w.u.) nicht rechtzeitig bis zum jährlich 31.7. nachgekommen wird (s. dazu das Fallbeispiel unter B.VIII.). Weiter schädlich ist die Anmeldung der Insolvenz des Steuerpflichtigen und schließlich – wie in § 6 Abs. 3 AStG n.F.– die Veräußerung oder Übertragung (Ausnahme: „Übertragungen“ von Todes wegen) der Anteile bzw. Gewinnausschüt54 Vgl. in diesem Sinne die EuGH-Entscheidung verstehend FG Baden-Württemberg v. 31.8.2020 – 2 K 835/19, EFG 2021, 20 (Revision beim BFH anhängig unter Az. I R 35/20); FG Köln v. 11.5.2021 – 2 V 1929/20, juris; FG Köln v. 17.6.2021 – 15 K 888/18, juris; Schönfeld in FS Lüdicke, S. 567 (570); Ismer/ Ruß, in Lang u.a., CJEU – Recent Developtments in Direct Taxation 2019, 2020, 143 (151); Desens, FR 2022, 681 (684 ff.); Schönfeld/Erdem, StuW 2022, 70; Schönfeld/Erdem, IStR 2021, 527; Zimmermann, IStR 2021, 352 ff.; Oppel, IWB 2021, 508 (516 f.); Jesic/Leucht, DStR 2021, 1913 (1915 f.); Oellerich, EFG 2021, 25; Hörnicke, ISR 2021, 97; Mayer, StuB 2021, 251 f.; Pohl, Ubg 2020, 212 (214); Dannecker, DStR 2020, 853 (861 f.); Bron, IStR 2020, 361 (362); Häck, ISR 2020, 17; Wilke, IStR 2020, 366 (370); Kahlenberg, IStR 2020, 378 (383 f.); Kühn/Weiss, IWB 2020, 46 (53); Schiefer, ISR 2020, 84 (87 f.); Hörnicke/Quilitzsch, ISR 2020, 152 (158 f.); Schönfeld/Ellenberger, StuW 2019, 253 (265); Hohenwarter-Mayr, EWS 2019, 129 (137); Häck/Kahlenberg, IStR 2019, 253 (259 f.); Schlücke, IStR 2019, 264 (265); Höppner/Schuh, PIStB 2019, 345 (350); Dölker, BB 2019, 726 (728); Cranshaw, jurisPR-IWR 3/2019 Anm. 1; Weiss, EStB 2019, 117; Layer, FuS 2019, 100 (101); Brandt, European Tax Jurisdiction, TLE-026-2019; wohl auch Nürnberg, ISR 2019, 159 (165); zurückhaltender Cloer/Kutac, DStRK 2021, 58; Hagemann/Kahlenberg/Höppner/ Schuh, FR 2019, 427 (435); a.A. Bösken, Ubg 2021, 589 ff.; Eisendle/Henze, ISR 2020, 23 (26 f.); D. Hummel, ISR 2019, 436 (438).
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tungen oder die Einlagenrückgewähr, soweit deren Wert mehr als ein Viertel des gemeinen Werts der Anteile zum Wegzugszeitpunkt beträgt. Vergleichbar der Regelung in § 6 Abs. 4 Satz 3 AStG a.F. gelten Sonderregeln für Wegzugsfälle auf Grund vorübergehender Abwesenheit (§ 6 Abs. 4 Satz 7 AStG n.F.): Der Stundungszeitraum richtet sich nach der vorübergehenden Abwesenheit (bis zu zwölf Jahre) und es entfällt auf Antrag die Erhebung von Jahresraten. Kommt es in diesem Fall nicht zu einem rückwirkenden Wegfall der Steuer, sind für den Stundungszeitraum Stundungszinsen zu zahlen (§ 6 Abs. 4 Satz 8 AStG n.F.). § 6 Abs. 5 AStG n.F. sieht bestimmte Mitwirkungspflichten vor und entspricht im Wesentlichen § 6 Abs. 7 AStG a.F. Lediglich das für die Mitwirkungspflichten maßgebliche Datum wurde vom 31.1. (§ 6 Abs. 7 Satz 4 AStG a.F.) auf den 31.7. verschoben (§ 6 Abs. 5 Satz 3 AStG n.F.).
3. Zeitliche Anwendung der Neuregelung Die Neuregelungen gelten ab dem VZ 2022 (§ 21 Abs. 1 AStG n.F.). Besondere Beachtung ist den Fällen zu widmen, in denen der Steuerpflichtige vor dem 1.1.2022 einen Tatbestand i.S.v. § 6 Abs. AStG 1 a.F. verwirklicht hat. § 21 Abs. 3 Satz 1 AStG n.F. ist insoweit etwas ungenau formuliert: Danach ist § 6 in seiner bisherigen Fassung auf noch am 31.12.2021 „laufende Stundungen“ i.S.d. § 6 Abs. 4 und 5 AStG a.F. sowie noch „laufende Fristen“ i.S.d. § 6 Abs. 3 AStG a.F. weiterhin anzuwenden. Eine „Stundung“ setzt formalrechtlich an sich voraus, dass die Steuer in einem Steuerbescheid festgesetzt und durch Bescheid gestundet ist. Dies gilt auch, wenn – wie nach bisherigem Recht – die Stundung nach § 6 Abs. 5 AStG a.F. (ohne Antrag) von Amts wegen gewährt werden muss. § 21 Abs. 3 Satz 1 AStG n.F. lässt sich aber unter Berücksichtigung der eindeutigen gesetzgeberischen Intention so auslegen, dass im Falle einer Tatbestandsverwirklichung vor dem 1.1.2022 ausschließlich § 6 AStG a.F. anzuwenden ist.55 Lediglich eine Berücksichtigung von Wertminderungen i.S.v. § 6 Abs. 6 AStG AStG a.F. kommt nur noch für Veräußerungen bis zum 24.3.2021 in Betracht (§ 21 Abs. 3 Satz 2 AStG n.F.).
55 Ausf. Häck in Flick/Wassermeyer/Baumhoff/Schönfeld, § 6 AStG Rz. 261, 243 ff. (Stand: Oktober 2021); Häck/Oertel, ISR 2021, 286 (294).
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B. Fallbeispiele I. Fall 1: Trautes Heim, Glück allein? Der bisher in Deutschland unbeschränkt steuerpflichtige P verzieht Ende 2021 nach Österreich. Zum Zeitpunkt des Wegzugs war er Alleingesellschafter und -geschäftsführer der deutschen P Invest GmbH, in der P verschiedene Kapitalanlagen zum Zwecke der Vermögensverwaltung gebündelt hat. Der Sitz der Gesellschaft ist laut Handelsregister das private Wohnhaus von P, welches er im Zuge des Wegzugs leergeräumt und zur Vermietung gestellt hat. In dem Wohnhaus hatte sich P ein Arbeitszimmer eingerichtet, aus dem er ungestört die Geschäftsführungstätigkeiten der P Invest GmbH erledigte. Sein Steuerberater hatte ihm gesagt, er solle besser noch vor dem 1.1.2022 nach Österreich ziehen, da die sog. Wegzugsbesteuerung nach § 6 AStG dann noch dauerhaft, zinslos und ohne Sicherheitsleistung gestundet werde. Legt man die Rechtsprechung des BFH zugrunde, waren die Anteile an der P Invest GmbH vor dem Wegzug sehr wahrscheinlich notwendiges Betriebsvermögen eines Betriebsaufspaltungsbetriebs von P, der durch die Nutzung des häuslichen Arbeitszimmers als Geschäftsleitungsort der Gesellschaft begründet wurde: Neben der unzweifelhaften personellen Verflechtung zwischen überlassendem P und „seiner“ Gesellschaft ergibt sich die sachliche Verflechtung daraus, dass nach der Rechtsprechung des BFH auch das häusliche Arbeitszimmer in einem privaten Einfamilienhaus, das an die Betriebs-GmbH als einziges Büro (Mittelpunkt der Geschäftsleitung) überlassen wird, eine wesentliche Betriebsgrundlage darstellen kann, selbst wenn es nicht für Zwecke des Betriebsunternehmens besonders hergerichtet und gestaltet ist.56 Das gelte jedenfalls dann, wenn der Gebäudeteil nicht die in § 8 EStDV genannten Grenzen unterschreite. Die unentgeltliche Überlassung des Arbeitszimmers an eine Kapitalgesellschaft hindert die Annahme einer Betriebsaufspaltung nicht, da insoweit die Gewinnerzielungsabsicht des Besitzunternehmens in dem Bestreben liege, Beteiligungserträge zu erzielen.57 Auch die rein vermögensverwaltende Tätigkeit der P Invest GmbH hindert die Annahme einer Betriebsaufspaltung nicht, da insoweit deren Gewerblichkeit kraft Rechtsform (§ 8 Abs. 2 KStG) ausreiche.58 Anlässlich 56 Vgl. BFH v. 29.11.2017 – X R 34/15, BFH/NV 2018, 623; BFH v. 13.7.2006 – IV R 25/05, BStBl. II 2006, 804. 57 BFH v. 24.4.1991 – X R 84/88, BStBl. II 1991, 713. 58 Vgl. BFH v. 18.6.2015 – IV R 11/13, BFH/NV 2015, 1398.
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des Wegzugs stellt sich sodann die Frage, ob es zunächst – aufgrund des Leerräumens des Privathauses einschließlich des Arbeitszimmers – zur gewinnrealisierenden „sachlichen Entflechtung“ wegen Wegfalls der Eigenschaft des Arbeitszimmers als wesentliche Betriebsgrundlage kommt. In diesem Fall wären die stillen Reserven in den Anteilen nach allgemeinen Grundsätzen – quasi vor dem Wegzug – gewinnrealisierend aufgedeckt worden. Der Wegzug mit den – dann im Privatvermögen gehaltenen Anteilen – verwirklicht zwar den Tatbestand des § 6 Abs. 1 Satz 1 AStG a.F., der „Vermögenszuwachs“ wäre aber wegen der vorangegangenen Realisierung der stillen Reserven (nahe) Null. Ginge man hingegen davon aus, dass sich zunächst die Beendigung der unbeschränkten Steuerpflicht bzw. die Verlagerung der abkommensrechtlichen Ansässigkeit des P nach Österreich verwirklicht hat, wäre wegen des Verlusts des Besteuerungsrechts an den Gewinnen aus der Veräußerung der Anteile an der P Invest GmbH (vgl. Art. 13 Abs. 5 DBA-Österreich) an eine Entstrickungsbesteuerung aufgrund fiktiver Entnahme (§ 4 Abs. 1 Satz 3 EStG) bzw. fiktiver Betriebsaufgabe (§ 16 Abs. 3a EStG) zu denken. Ob die über fünf Jahre mögliche Zahlungsstreckung (§ 4g EStG) bzw. Gewinnstreckung (§ 36 Abs. 5 EStG) den Grundfreiheiten genügen würde, wäre zweifelhaft.59 Soweit sich anlässlich des Wegzugs (mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit) auch der Ort der Geschäftsleitung an den neuen Wohnsitz von P verlagert, kommt eine weitere (Entstrickungs-)Besteuerung auf Ebene der P Invest GmbH gem. § 12 Abs. 1 KStG in Betracht. In der Praxis sind (verdeckte) Betriebsaufspaltungssachverhalte (leider) keine Seltenheit. Rechtzeitig vor dem Wegzug erkannt, lassen sich diese durch geeignete Maßnahmen (weitgehend) steuerneutral bereinigen.
II. Fall 2: Der verhängnisvolle Formwechsel An der deutschen Pharma GmbH, hervorgegangen aus dem steuerneutralen Formwechsel der Pharma GmbH & Co. KG in 2001, sind zu jeweils 50 % die derzeit in Deutschland ansässige E und die F beteiligt. E zieht im März 2022 unter Beendigung der unbeschränkten Steuerpflicht nach New York, sie soll aber nach ihrer für 2028 geplanten Rückkehr die Geschäftsführung bei der Pharma GmbH übernehmen. F zieht hin-
59 Vgl. stv. Schönfeld in Gosch/Schnitger/Schön, FS für J. Lüdicke, 2019, 567 (575).
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gegen im März 2022 dauerhaft nach Amsterdam und wird ebenfalls ihre unbeschränkte Steuerpflicht in Deutschland aufgeben. § 6 AStG findet auf die Wegzüge von E und F keine Anwendung. Aufgrund des zu Buchwerten in 2001 erfolgten Formwechsels qualifizieren die Anteile an der Pharma GmbH als sog. alt-einbringungsgeborene Anteile i.S.v. § 21 Abs. 1 UmwStG 1995, für die weiterhin ausschließlich die Entstrickungstatbestände des § 21 Abs. 1, Abs. 2 UmwStG 1995 Anwendung finden (vgl. § 27 Abs. 3 Nr. 3 UmwStG).60 Dies gilt auch im Verhältnis zu § 6 AStG n.F.61 In der Praxis sind Anteile mit diesem Steuerstatus in zahlreichen Familienunternehmen immer noch sehr weit verbreitet, so dass eine entsprechende Recherche zur Anteilshistorie unerlässlich ist. Dies auch deshalb, weil sich Tatbestand und Rechtsfolgen gegenüber § 6 AStG a.F./n.F. auch künftig ganz erheblich unterscheiden: Eine Entstrickungsbesteuerung nach § 21 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 UmwStG 1995 setzt den Ausschluss des deutschen Besteuerungsrechts an den Gewinnen aus der Veräußerung der Anteile an der Pharma GmbH voraus. Diese Voraussetzung ist mit Beginn der unbeschränkten Steuerpflicht von E in den USA bzw. F in den Niederlanden erfüllt, da bei einer tatsächlichen Veräußerung der Anteile nur noch der Ansässigkeitsstaat von E bzw. F die Veräußerungsgewinne besteuern könnte (vgl. Art. 13 Abs. 5 DBA-USA bzw. Art. 13. Abs. 5 DBA-Niederlande). Aus Art. 13 Abs. 6 Satz 1 DBA-Niederlande folgt insoweit nichts anderes, da hiernach Deutschland zwar ausdrücklich den bis zum Ansässigkeitswechsel entstandenen Vermögenszuwachs – ob bei Wegzug oder bei späterer tatsächlicher Veräußerung – besteuern kann, nicht aber den Gewinn aus einer tatsächlichen Veräußerung. Folglich wäre jeweils ein Gewinn i.S.v. § 21 Abs. 1 Satz 1 UmwStG 1995 i.V.m. § 16 EStG im Wegzugsjahr zu berücksichtigen, wobei die Anwendung des Teileinkünfteverfahrens nicht abschließend gesichert ist.62 Für den Wegzug der E steht nach den Worten des Gesetzes im März 2022 die Rückkehrregelung des § 6 Abs. 3 AStG n.F. nicht zur Verfügung,63 d.h. die Entstrickungsbesteuerung würde definitiv und es bestünde nur 60 Ausf. zum abschließenden Vorrang des § 21 UmwStG 1995 stv. Häck in Flick/ Wassermeyer/Baumhoff/Schönfeld, § 6 AStG Rz. 51 ff. (Stand: Oktober 2021). 61 Zutr. Patt, GmbH-StB 2020, 360 (365); Benecke in BeckOK AStG, § 6 AStG Rz. 118. 62 Zum Streitstand Häck in Flick/Wassermeyer/Baumhoff/Schönfeld, § 6 AStG Rz. 56 (Stand: Oktober 2021). 63 Vgl. stv. Pung, StbJb 2018/2019, 213 (218).
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die Möglichkeit, die Steuer – ohne Stundungszinsen – über fünf Jahre in Teilbeträgen zu entrichten (§ 21 Abs. 2 Satz 3 UmwStG 1995). Dies wirft im Hinblick auf § 6 Abs. 3 AStG a.F./n.F. gleichheitsrechtliche Bedenken auf. Für den Wegzug der F ist zu sehen, dass § 27 Abs. 3 Nr. 3 Satz 2 UmwStG im März 2022 weiterhin statisch auf § 6 Abs. 5 AStG a.F. verweist, so dass F auch bei ihrem dauerhaften Wegzug in 2022 in die Niederlande eine dauerhafte, zinslose Stundung der Wegzugsteuer ohne Stellung von Sicherheiten verlangen kann.64 Am 28.7.2022, also nach den Wegzügen von E und F, hat das BMF den Referentenentwurf eines Jahressteuergesetzes 2022 veröffentlicht,65 der eine Änderung des § 27 Abs. 3 Nr. 3 UmwStG dahingehend vorsieht, dass sich bei Wegzügen nach dem 31.12.2021 mit alt-einbringungsgeborenen Anteilen die Stundung der Steuer und deren Entfallen nach § 6 Abs. 3 und Abs. 4 AStG n.F. richten sollen. Das JStG 2022 wird voraussichtlich bis Ende 2022 verkündet werden. Für den Wegzug von F folgt durch die Änderung des § 27 Abs. 3 Nr. 3 UmwStG eine belastende Rechtsänderung mit verfassungswidriger unechter Rückwirkung,66 da der Sachverhalt des Wegzugs schon vor der Veröffentlichung des ersten Referentenentwurfs67 verwirklicht wurde und die für eine rückwirkende Gesetzesanwendung rechtfertigenden Ausnahmen nicht gegeben sind. Für den Wegzug von E hat die rückwirkende Änderung begünstigende Folgen, da sie nun von der Rückkehrregelung des § 6 Abs. 3 AStG n.F. Gebrauch machen kann.
64 Vgl. Häck in Flick/Wassermeyer/Baumhoff/Schönfeld, § 6 AStG Rz. 57 (Stand: Oktober 2021); Häck/Oertel, ISR 2021, 286 (294); Patt, GmbH-StB 2020, 360 (365). 65 Abrufbar unter https://www.bundesfinanzministerium.de/Content/DE/Geset zestexte/Gesetze_Gesetzesvorhaben/Abteilungen/Abteilung_IV/20_Legislatur periode/2022-07-28-JStG-2022/1-Referentenentwurf.pdf?__blob=publication File&v=2 (Abruf am 2.8.2022). 66 Vgl. zu Einzelheiten BVerfG v. 7.7.2010 – 2 BvL 14/02, BVerfGE 127, 1; BVerfG v. 7.7.2010 – 2 BvL 1/03, BVerfGE 127, 31; BVerfG v. 7.7.2010 – 2 BvR 748/05, BVerfGE 127, 61; BVerfGE v. 10.10.2012 – 1 BvL 6/07, BVerfGE 132, 302; BVerfG v. 10.4.2018 – 1 BvR 1236/11, BVerfGE 148, 217; BVerfG v. 25.3.2021 – 2 BvL 1/11, BVerfGE 157, 177. 67 Insoweit kann hier offen bleiben, ob der Vertrauensschutz ggf. auch erst später, z.B. bei Zuleitung eines Regierungsentwurfs an den Bundesrat, zerstört wird. Hierzu Nonnenmacher/Peterich, Ubg 2021, 510 (514).
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In der Praxis ist vor diesem Hintergrund bei jedem Wegzug die Historie der Gesellschaft und der Anteile sorgfältig zu überprüfen. Als alt-einbringungsgeborene Anteile i.S.v. § 21 Abs. 1 UmwStG 1995 behandelt die Finanzverwaltung auch solche, die schon vor dem Inkrafttreten des Umwandlungssteuergesetzes 1969 durch die Einbringung eines Betriebs, Teilbetriebs oder Mitunternehmeranteils in eine Kapitalgesellschaft gegen Gewährung von Gesellschaftsrechten an der übernehmenden Kapitalgesellschaft entstanden sind, sofern bei der Einbringung die stillen Reserven des eingebrachten Betriebsvermögens einschließlich eines Geschäftswerts nicht voll realisiert worden sind.68 Der besondere Steuerstatus kann also auf eine Umwandlungsmaßnahme zurückgehen, die schon sehr lange zurückliegt.
III. Fall 3: Schon weg, aber noch nicht da Der in Deutschland ansässige Q ist zu 70 % an der deutschen Chemie GmbH beteiligt. Im Oktober 2021 beendet Q seine unbeschränkte Steuerpflicht in Deutschland und verzieht nach Spanien. Aufgrund des lokalen spanischen Steuerrechts wird Q dort erst ab dem 1.1.2022 unbeschränkt steuerpflichtig. Mit Beendigung der unbeschränkten Steuerpflicht in Deutschland im Oktober 2021 erfüllt Q nach dessen Wortlaut die Voraussetzungen des § 6 Abs. 1 Satz 1 AStG a.F., obwohl Deutschland sein Besteuerungsrecht an den Gewinnen aus der Veräußerung der Anteile an der Chemie GmbH (§ 1 Abs. 4 i.V.m. § 49 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. e, Doppelbuchst. aa EStG) hierdurch zunächst nicht verliert, da Q erst ab dem 1.1.2022 nach Art. 4 Abs. 1 DBA-Spanien dort abkommensrechtlich ansässig wird und er sich bis dahin nicht gegenüber einer deutschen Besteuerung bei einer Veräußerung der Anteile auf Art. 13 Abs. 6 DBA-Spanien berufen könnte. Es ist daher fraglich, ob nicht europarechtliche69 bzw. teleologische70 Gründe einer auf den Wegzug im Oktober 2021 abstellenden Festset68 Vgl. BMF v. 25.3.1998, BStBl. I 1998, 268, Tz. 21.03 unter Verweis auf BFH v. 26.1.1977, BStBl. II 1977, 283. 69 Eine Besteuerung ohne Verlust des Besteuerungsrechts lässt sich nach der EuGH-Rechtsprechung nicht mit der Aufteilung der Besteuerungsbefugnisse rechtfertigen und ist auch nicht erforderlich, d.h. unverhältnismäßig, vgl. ausf. Schönfeld/Erdem, StuW 2022, 70 (82). 70 Es war im Hinblick auf § 6 Abs. 3 Satz 4 Nr. 2 AStG a.F. widersprüchlich, dass für den Steuerpflichtigen, für dessen Anteile nachträglich das deutsche Besteuerungsrecht widerbegründet wurde, die Wegzugsteuer entfallen sollte,
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zung einer Wegzugssteuer entgegenstehen.71 Geht man mit der Finanzverwaltung von einer Tatbestandsverwirklichung in 2021 aus, wäre die hieraus entstehende Wegzugsteuer dauerhaft, zinslos und ohne Sicherheitsleistung zu stunden (§ 6 Abs. 5 Satz 1 AStG a.F. i.V.m. § 21 Abs. 3 Satz 1 AStG n.F.72). Mit der Begründung der abkommensrechtlichen Ansässigkeit zum 1.1.2022 könnte der Tatbestand des § 6 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 AStG n.F. und (erneut) eine Wegzugsbesteuerung ausgelöst werden, da (erst) in diesem Zeitpunkt das deutsche Besteuerungsrecht an den Veräußerungsgewinnen ausgeschlossen wird (Art. 13 Abs. 6 DBA-Spanien). Vorausgesetzt wäre aber, dass Q als beschränkt Steuerpflichtiger in den persönlichen Anwendungsbereich des § 6 Abs. 2 Satz 1 AStG n.F. fällt. Während zu § 6 a.F. inzwischen höchstrichterlich geklärt ist, dass ein im Zeitpunkt der Verwirklichung eines wegzugsteuerrelevanten Ereignisses nur beschränkt steuerpflichtiger Anteilseigner den Tatbestand des § 6 Abs. 1 a.F. nicht verwirklichen konnte,73 erscheint die normspezifische und abschließende74 Definition des „unbeschränkt Steuerpflichtigen“ in § 6 Abs. 2 AStG n.F. weitergehender, so dass auch ein (erweitert) beschränkt Steuerpflichtiger für bis zu fünf Jahre nach dem Wegzug temporär noch als „unbeschränkt Steuerpflichtiger“ in diesem Sinne zu qualifizieren sein könnte. Die Gesetzesbegründung spricht aber davon, dass „§ 6 AStG […] nur bei unbeschränkter Steuerpflicht Anwendung [findet]“.75 Dies deutet daraufhin, dass der Gesetzgeber die bisherige Rechtslage in diesem Punkt nicht ändern wollte. Dem Vernehmen nach leitet die Finanzverwaltung entsprechend aus der Gesetzesbegründung ab, dass auch der neu gefasste § 6 generell nur durch im Zeitpunkt der
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während für den Wegziehenden, bei dem von vornherein das deutsche Besteuerungsrecht erhalten blieb, Wegzugsteuer festzusetzen sein sollte. Im Revisionsverfahren gegen die Entscheidung des FG Köln v. 28.3.2019 (15 K 2159/15) hat der BFH ggf. Gelegenheit, sich dieser Frage anzunehmen (Revision unter Az: I R 30/19), s. dazu unter A.I.1. Zur Frage, ob § 6 Abs. 5 AStG a.F. anzuwenden ist, wenn am 31.12.2021 noch kein Stundungsbescheid vorlag, ausf. Häck in Flick/Wassermeyer/Baumhoff/ Schönfeld, § 6 AStG Rz. 246 (Stand: Oktober 2021). BFH v. 8.12.2021 – I R 30/19, BFH/NV 2022, 756, hierzu Häck, IStR 2022, 460 (463 ff.), s. bereits Schönfeld/Häck, IStR 2012, 582 ff. Vgl. Regierungsentwurf v. 24.3.2021, BR-Drucks. 245/21, 53; Benecke in BeckOK AStG, § 6 AStG Rz. 88. Vgl. BT-Drucks. 19/28652, 49.
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Ereignisverwirklichung i.S.v. § 1 Abs. 1 EStG unbeschränkt Steuerpflichtige verwirklicht werden kann.76 Wollte man dies anders sehen, würde die fiktive Veräußerung nach § 6 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AStG n.F. als im letzten Moment des 31.12.2021 erfolgt gelten. Es stellten sich verschiedene Anschlussfragen.77 Sachgerecht wäre es dann, wenn in dem zum 31.12.2021 erneut zu ermittelnden Veräußerungsgewinn i.S.v. § 17 Abs. 2 EStG nur die zwischen Beendigung der unbeschränkten Steuerpflicht im Oktober 2021 und dem Verlust des deutschen Besteuerungsrechts am 1.1.2022 entstandenen stillen Reserven von § 6 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 AStG a.F. erfasst würden.
IV. Fall 4: Der Reformgewinner M lebte von 1965 bis 2000 in Deutschland, anschließend in der Schweiz, wo er eine schweizerische Aktiengesellschaft (CH-AG) gründete. In 2016 zog M aus persönlichen Gründen gemeinsam mit seiner Ehefrau nach Deutschland. Die Schweiz erhob anlässlich des Wegzugs keine Wegzugsteuer. Mitte 2021 planen die Eheleute ihre abermalige Rückkehr in die Schweiz und fragen an, ob sie noch in 2021 oder besser erst in 2022 unter Beendigung der unbeschränkten Steuerpflicht Deutschland verlassen sollen. Bei einem Wegzug noch in 2021 wären die persönlichen Anwendungsvoraussetzungen des § 6 Abs. 1 Satz 1 AStG a.F. erfüllt. Hiernach war es ausreichend, wenn der Steuerpflichtige insgesamt auf seine Lebenszeit betrachtet zusammengerechnet mindestens zehn Jahre in Deutschland unbeschränkt steuerpflichtig war. Für Zwecke der Besteuerung des Vermögenszuwachses (§ 6 Abs. 1 Satz 4 AStG a.F. i.V.m. § 17 Abs. 2 EStG) wären die historischen Anschaffungskosten von M zu berücksichtigen, da die Schweiz beim Zuzug keine Wegzugsteuer erhoben hat (vgl. § 17 Abs. 2 Satz 3 EStG) und es keinen allgemeinen Grundsatz der Verstrickung von Anteilen zum gemeinen Wert bei Zuzug gibt.78 Nach Verwaltungsauffassung hätte M allenfalls von einer Ratenzahlung der Wegzugssteuer über fünf Jahre profitiert,79 obwohl nach dem Freizügig76 Vgl. Benecke in BeckOK AStG, § 6 AStG Rz. 102. 77 Hierzu ausf. Häck in Flick/Wassermeyer/Baumhoff/Schönfeld, § 6 AStG Rz. 262 (Stand: Oktober 2021). 78 Vgl. BFH v. 26.10.2021 – I IX R 13/20; BFH v. 19.3.1996 – VIII R 15/94, BStBl. II 1996, 312; BFH v. 30.3.1993 – VIII R 44/90, BFH/NV 1993, 597. 79 BMF v. 13.11.2019, BStBl. I 2019, 1212.
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keitsabkommen mit der Schweiz eine dauerhafte Stundung (ggf. gegen Sicherheitsleistung) geboten wäre.80 Vor diesem Hintergrund verschiebt M seinen Wegzug in das Jahr 2022. Nach dem reformierten § 6 AStG n.F. ist der persönliche Anwendungsbereich nur eröffnet, wenn der Steuerpflichtige innerhalb der letzten zwölf Jahre vor dem Wegzug mindestens sieben Jahre im Inland unbeschränkt steuerpflichtig war (§ 6 Abs. 2 Satz 1 AStG n.F.). M verzieht ohne eine deutsche Wegzugsbesteuerung in die Schweiz, die Kapitalgewinne generell nicht besteuert.
V. Fall 5: Zuzugssperre oder neue Freiheit? B war 2012 als Alleingesellschafter der deutschen D-GmbH nach Portugal verzogenen. Die durch § 6 Abs. 1 Satz 1 AStG a.F. ausgelöste Einkommensteuer wurde nach § 6 Abs. 5 Satz 1 und 2 AStG a.F. gestundet. In Portugal gründete B die portugiesische POR Ltda., eine der deutschen GmbH vergleichbare Kapitalgesellschaft. 2021 kehrt B der Liebe wegen nach Deutschland zurück. Portugal erhebt annahmegemäß bei Wegzug keine Wegzugssteuer. Nach der Trennung in 2024 merkt B schnell, dass er wieder in Portugal leben möchte und zieht wieder an die Algarve. Die Rückkehr des B in 2021 nach Deutschland führt zum rückwirkenden Entfall der für das Wegzugsjahr festgesetzten Wegzugsteuer (§ 6 Abs. 3 Satz 4 Nr. 1 AStG a.F. i.V.m. § 21 Abs. 3 Satz 1 AStG n.F.81). Für deutsch-steuerliche Zwecke kommt B hinsichtlich seiner Anteile an der D-GmbH und der POR Ltda. mit den ursprünglichen Anschaffungskosten an (§ 17 Abs. 2 Satz 3 und 4 EStG). Bei seinem erneuten Wegzug nach Portugal ist zunächst zu sehen, dass B nicht die persönlichen Voraussetzungen eines „unbeschränkt Steuerpflichtigen“ i.S.v. § 6 Abs. 1 Satz 1 i.V.m. Abs. 2 Satz 1 AStG n.F. erfüllt, da er innerhalb der zwölf Jahre vor seinem erneuten Wegzug nicht mindestens sieben Jahre in Deutschland unbeschränkt steuerpflichtig war. Es könnte aber § 6 Abs. 2 Satz 4 AStG n.F. anzuwenden sein. Danach gilt der Steuerpflichtige als 80 Vgl. EuGH v. 26.2.2019 – C-581/17 – Wächtler, BFH/NV 2019, 511; ausf. Schönfeld/Erdem, StuW 2022, 70 ff. 81 § 21 Abs. 3 Satz 1 AStG a.F. spricht zwar davon, dass § 6 AStG a.F. „auf noch laufende Fristen im Sinne des § 6 Abs. 3 in der am 30. Juni 2021 geltenden Fassung weiterhin anzuwenden ist“. Dies muss aber auch für die von § 6 Abs. 3 Satz 4 AStG a.F. erfassten Fällen gelten, selbst wenn hier grade keine Frist für eine rechtzeitige Rückkehr relevant ist.
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„unbeschränkt Steuerpflichtiger“ i.S.v. § 6 Abs. 1 AStG n.F., wenn „der Steueranspruch nach Absatz 3 entfällt“. Insoweit verweist § 6 Abs. 2 Satz 4 AStG n.F. aber nach der Binnensystematik nur auf § 6 Abs. 3 AStG n.F., nicht aber auf § 6 Abs. 3 AStG a.F.82 Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus der Zusammenschau mit § 21 Abs. 3 Satz 1 AStG n.F.83 Dieser regelt nur, dass § 6 AStG a.F. auf „laufende Fristen“ i.S.v. § 6 Abs. 3 AStG a.F. weiter anzuwenden ist. Dies berechtigt aber nicht, § 6 Abs. 3 AStG a.F. in § 6 Abs. 2 Satz 4 AStG n.F. hineinzulesen, der nur auf Absatz 3 und damit auf die Neufassung abstellt.84 Wollte man dies anders sehen, ist es aber nur gerechtfertigt, die Fiktion i.S.v. § 6 Abs. 2 Satz 4 AStG a.F. anteilsbezogen zu verstehen, so dass eine Wegzugsteuer nach § 6 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AStG a.F. auf die stillen Reserven in den Anteilen an der D-GmbH festgesetzt werden dürfte, nicht aber hinsichtlich der Anteile an der POR Ltda.85 Denn der rückwirkend entfallende Steueranspruch resultierte ausschließlich aus dem Wegzug des B mit den Anteilen an der D-GmbH. § 6 Abs. 2 Satz 4 AStG n.F. zielt auf die Vermeidung von Umgehungsgestaltungen, die sich ansonsten ergäben, wenn der Steuerpflichtige nach Entfallen der Wegzugsteuer wieder kurzfristig erneut aus Deutschland wegzieht. Auch wenn der Wortlaut eine weiter gefasste Interpretation ermöglichen könnte, sind die Anteile (hier an der POR Ltda.) auszuklammern, bei denen die Gefahr von Umgehungsgestaltungen objektiv ausscheidet.86
VI. Fall 6: Wegzug ohne Folgen L ist zu 8 % an der deutschen Immo GmbH beteiligt, die fast ausschließlich in Deutschland belegenes Immobilienvermögen hält. L zieht es für ein mehrjähriges Studium ins Ausland. Ihm liegen Studienangebote aus UK und Kanada vor, wo er annahmegemäß unbeschränkt steuerpflichtig würde. In Frankfurt gehört ihm eine Eigentumswohnung, die er unverändert lassen möchte und mehrmals im Jahr nutzen will. L sorgt sich bei der Wahl des Studienortes und dem geplanten Wegzug in 2023 um die Wegzugsbesteuerung, insbesondere, ob er diese ohne Sicherheitsleistung wird gestundet bekommen. 82 Zutr. Beinert/Süßmann/Ferrenberg, Ubg 2020, 479 (484). 83 A.A. Oertel in Häck/Oertel, ISR 2021, 286 (290). 84 Vgl. auch Häck in Flick/Wassermeyer/Baumhoff/Schönfeld, § 6 AStG Rz. 261 (Stand: Oktober 2021). 85 A.A. Benecke in BeckOK AStG, § 6 AStG Rz. 105 ff. 86 A.A. Benecke in BeckOK AStG, § 6 AStG Rz. 105 ff.
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Aufgrund des in Frankfurt fortbestehenden Wohnsitzes (§ 8 AO) erfüllt der Wegzug von L nicht die Voraussetzungen des § 6 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AStG n.F., da es an einer Beendigung der unbeschränkten Steuerpflicht in Deutschland fehlt. § 6 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AStG n.F. ist ebenfalls nicht einschlägig, so dass es tatbestandlich darauf ankommt, ob anlässlich des Auslandsstudiums das deutsche Besteuerungsrecht an den Gewinnen aus der Veräußerung der Anteile an der Immo GmbH ausgeschlossen oder beschränkt wird (§ 6 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 AStG n.F.). Ginge man davon aus, dass L trotz des Auslandsaufenthalts sowohl eine ständige Wohnstätte als auch den Mittelpunkt seiner Lebensinteressen jeweils i.S.v. Art. 4 Abs. 2 DBA-UK bzw. Art. 4 Abs. 2 DBA-Kanada (weiterhin) in Deutschland hätte, bliebe das deutsche Besteuerungsrecht an den Veräußerungsgewinnen erhalten. Bei einem Wegzug nach UK würde aber auch bei Verlagerung der abkommensrechtlichen Ansässigkeit das deutsche Besteuerungsrecht aufgrund der sog. Immobiliengesellschaftsklausel (Art. 13 Abs. 2 DBA-UK) vollständig aufrechterhalten. Bei Verlagerung der abkommensrechtlichen Ansässigkeit nach Kanada setzt die Immobiliengesellschaftsklausel zwar eine Mindestbeteiligungsquote von 10 % voraus (Art. 13 Abs. 4 DBA-Kanada). Das deutsche Besteuerungsrecht an den Veräußerungsgewinnen bleibt aber für zehn Jahre über die „Nachlaufklausel“ des Art. 13 Abs. 7 Buchst. a DBA-Kanada bestehen. Im Ergebnis ist unabhängig vom Studienort selbst bei Verlagerung der abkommensrechtlichen Ansässigkeit keine Wegzugsbesteuerung festzusetzen. Dies war nach dem Wortlaut des § 6 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 AStG a.F., der allein auf die Verlagerung der abkommensrechtlichen Ansässigkeit in einen anderen DBA-Staat abstellte, bisher anders.
VII. Fall 7: Eine echte Option? U ist als Kommanditistin zu 25 % am Vermögen einer deutschen GmbH & Co. KG (D-KG) beteiligt. Die D-KG optiert gem. § 1a KStG mit Wirkung ab dem 1.1.2022 zur Körperschaftsbesteuerung. U verlagert Mitte 2023 den Mittelpunkt ihrer Lebensinteressen unter Beibehalt eines Wohnsitzes i.S.v. § 8 AO in Deutschland in einen DBA-Staat außerhalb der EU bzw. des EWR, der die D-KG steuerlich transparent behandelt und eine Veräußerung der Kommanditanteile nicht besteuern würde. Die Anteile der U an der optierenden Gesellschaft sind solche i.S.v. § 17 EStG (vgl. § 17 Abs. 1 Satz 3 EStG a.E.) und zugleich i.S.v. § 22 Abs. 1 UmwStG sperrfristbehaftet aufgrund des fiktiven Formwechsels i.S.v.
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§ 1a Abs. 2 KStG i.V.m. §§ 1, 20, 25 UmwStG. Anlässlich der Verlagerung des Lebensmittelpunkts der U in einen DBA-Drittstaat stellt sich daher grds. die Frage einer Wegzugsbesteuerung i.S.v. § 6 AStG n.F. und einer Verletzung der Sperrfrist gem. § 22 Abs. 1 Satz 6 Nr. 6 UmwStG. § 6 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AStG n.F. kommt vorliegend nicht in Betracht, da U weiterhin in Deutschland unbeschränkt steuerpflichtig ist. § 6 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 AStG n.F. setzt voraus, dass das deutsche Besteuerungsrecht an den Gewinnen aus der Veräußerung der Anteile ausgeschlossen oder beschränkt wird. Gem. § 50d Abs. 14 Satz 2 EStG behält sich Deutschland aber im Wege eines treaty override das Besteuerungsrecht an den Veräußerungsgewinnen vor, wenn die Veräußerungsgewinne im ausländischen Staat – wie hier – wegen transparenter Betrachtung der optierenden Gesellschaft nicht der Besteuerung unterliegen. Folglich sind auch die Voraussetzungen des § 6 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 AStG n.F. nicht erfüllt. Ein Sperrfristverstoß gem. § 22 Abs. 1 Satz 6 Nr. 6 UmwStG kommt aus den gleichen Gründen nicht in Betracht. Zwar ist U in einem DBADrittstaat abkommensrechtlich ansässig, weshalb die Ansässigkeitsvoraussetzungen i.S.v. § 1 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a Doppelbuchst. aa UmwStG nicht gegeben sind. Der Sperrfristverstoß wird aber vermieden, da Deutschland über § 50d Abs. 14 EStG weiterhin ein Besteuerungsrecht an den Veräußerungsgewinnen zusteht, so dass § 1 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Buchst. b UmwStG greift.87
VIII. Fall 8: Das Damoklesschwert T ist Alleingesellschafter der deutschen Textil GmbH. In 2022 verzieht T unter Aufgabe der unbeschränkten Steuerpflicht in Deutschland nach Österreich. Es ist sehr wahrscheinlich, dass T innerhalb von sechs Jahren wieder nach Deutschland zurückkehrt. Neben dem Entfallen der Wegzugsbesteuerung bei Rückkehr nach Deutschland begehrt T für die Dauer seiner Abwesenheit eine Stundung der Wegzugsbesteuerung. Nach Wegzug des T kommt es alternativ zu folgenden Ereignissen: (i) T versäumt die Frist für die gesetzlichen Mitwirkungspflichten i.S.v. § 6 Abs. 5 AStG n.F. um eine Woche, (ii) T schenkt die Anteile an seine in Deutschland ansässige Tochter, (iii) die Textil GmbH schüttet EUR 10 Mio. aus den Gewinnrücklagen aus (entspricht ca. 50 % des gemeinen Werts der Beteiligung bei Wegzug). 87 Vgl. zu § 22 Abs. 1 Satz 6 Nr. 6 UmwStG ausf. Häck in Flick/Wassermeyer/ Baumhoff/Schönfeld, § 6 AStG Rz. 261, 76 ff. (Stand: Oktober 2021).
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Die Beendigung der unbeschränkten Steuerpflicht verwirklicht den Tatbestand des § 6 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AStG n.F. Unter den weiteren Voraussetzungen des § 6 Abs. 3 Satz 1 AStG n.F. entfällt der Steueranspruch rückwirkend, wenn T innerhalb von sieben Jahren (verlängerbar auf zwölf Jahre) nach Deutschland zurückkehrt. Für die Dauer der „vorübergehenden Abwesenheit“ ist die Steuer „in den Fällen des Absatzes 3“ auf Antrag des T unter den weiteren Voraussetzungen des § 6 Abs. 4 Satz 7 i.V.m. Satz 1 bis 6 AStG n.F. zinslos und ohne Zahlung von Jahresraten zu stunden. Die temporäre Stundung und ein späteres Entfallen des Steueranspruchs kommen nach dem Gesetzeswortlaut nur bei „vorübergehender Abwesenheit“ in Betracht und erfordern möglicherweise weiterhin eine „Rückkehrabsicht“, was bereits bei § 6 Abs. 3 AStG a.F. mit praktischen Anwendungsschwierigkeiten verbunden war.88 Nach der Gesetzesbegründung soll es nun „[auf] eine Glaubhaftmachung der Rückkehrabsicht […] nicht mehr [ankommen]. Die bloße Absicht zur Rückkehr und eine hinreichende Wahrscheinlichkeit [sollen] genügen.“ Die vom Gesetzgeber beabsichtigte Erleichterung wirft angesichts des unklaren Gesetzeswortlauts allerdings eher zusätzliche Fragen auf.89 Ob künftig allein die Erklärung ausreicht, man wolle zurückkehren,90 wird die Praxis zeigen. Da der Steuerpflichtige für den temporären Wegzug eine Stundung der Wegzugsteuer beantragen wird (dazu sogleich), wird er – wenn er nicht sinnvollerweise vor dem Wegzug mit den zuständigen Finanzamt in Kontakt getreten ist – in dem Stundungsverfahren Gewissheit bekommen, ob das Finanzamt eine Rückkehrabsicht anerkennt.91 Da § 6 Abs. 4 Satz 7, 1. Teilsatz AStG n.F. auch auf Abs. 4 Satz 2 verweist, ist dem Antrag auf Stundung „in der Regel“ nur gegen Sicherheitsleistung stattzugeben. Gemessen an den beim Wegzug des T nach Österreich einschlägigen EU-Grundfreiheiten muss das Verlangen von Sicherheiten verhältnismäßig sein, d.h., es ist vor einem entsprechenden Verlangen eine Bewertung des Nichteinbringungsrisikos durchzuführen.92 In EU-Sachverhalten ist das Verlangen einer Sicherheitsleistung im Hinblick auf
88 FG Münster v. 31.10.2019 – 1 K 3448/17 E (Revision beim BFH unter I R 55/19); dazu Häck, IStR 2020, 108. S. dazu auch unter A.I.3. 89 Vgl. Häck, IStR 2020, 108. 90 Vgl. Oppel, IWB 2021, 508 (514) m.w.N. 91 Vgl. Benecke in BeckOK AStG, § 6 AStG Rz. 188. 92 EuGH v. 23.1.2014 – C-164/12, ECLI:EU:C:2014:20 – DMC; Blumenberg/ Lechner in FS Haarmann, S. 353 (381).
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die bestehenden Mechanismen bei der Amtshilfe in Steuersachen und der Beitreibung von Steuerforderungen93 nicht gerechtfertigt. Dieses Verständnis scheint auch der EuGH in der Rechtssache Wächtler zu teilen.94 Der Gesetzesbegründung ist insoweit leider nichts zu entnehmen. Die Bundesregierung geht zwar auch davon aus, dass (mit Ausnahme von Island95) im Verhältnis zu allen EU-/EWR-Staaten die steuerliche Amtshilfe, einschließlich der Beitreibungsamtshilfe, gewährleistet ist. Dies schließe aber nicht aus, Sicherheiten zu verlangen, wenn die individuelle Risikoeinschätzung dazu führt, dass der Steueranspruch gefährdet erscheint.96 In der Praxis muss man sich darauf einstellen, dass die Gestellung einer Sicherheit, wie in § 222 AO auch, von den Umständen des Einzelfalls abhängt wie die Vermögensverhältnisse des Steuerpflichtigen oder die Höhe der Steuer.97 Geht man davon aus, dass für Stundungen i.S.v. § 6 Abs. 4 AStG n.F. künftig – wie bisher bereits für Zwecke des § 6 Abs. 4 AStG a.F. – die Zuständigkeit im Erlasswege98 geregelt wird, benötigt das an sich zuständige Finanzamt für eine Stundung – von kleineren Fällen abgesehen – zudem jeweils die Zustimmung der obersten Landesfinanzbehörde (Landesfinanzministerium, Finanzsenator), die bei Stundungsbeträgen von mehr als EUR 500.000 die vorherige Zustimmung des BMF einholen müssten.99 Für T bleibt daher das Restrisiko, dass eine Sicherheitsleistung gefordert wird, die T möglicherweise nicht zu stellen in der Lage ist.100 Bei Verwirklichung bestimmter „schädlicher Ereignisse“ wird der spätere Entfall des Steueranspruchs ganz oder teilweise „gesperrt“ (§ 6 Abs. 3 93 Hierzu ausführlich Schaumburg in Schaumburg/Englisch, Europäisches Steuerrecht, 2. Aufl. 2020, Rz. 25.15 ff. und 25.61 ff. 94 EuGH v. 26.2.2019 – C-581/17, ECLI:EU:C:2019:138 – Wächtler, Rz. 66. 95 Der EWR-Staat Island gewährt keine Beitreibungshilfe (nur kleine DBA-Auskunftsklausel). 96 Vgl. BT-Drucks. 19/303326, Rz. 4 f. Antwort der Bundesregierung v. 7.6.2021, auf eine kleine Anfrage der FDP-Fraktion. 97 Benecke in BeckOK AStG, § 6 AStG Rz. 278. 98 Vgl. zuletzt gleichlautende Erlasse der obersten Finanzbehörden der Länder v. 2.11.2021, BStBl. I 2021, 2154, A.I. 99 Vgl. BMF-Schreiben v. 2.11.2021, BStBl. I 2021, 2153. 100 Die Finanzämter akzeptieren in praxi die wegzugsteuerbehafteten Anteile häufig nicht als Sicherheit, was bei ordnungsgemäßer Ermessensausübung zulässig ist, vgl. § 245 AO. Der Steuerpflichtige hat in den seltensten Fällen neben seiner Beteiligung Vermögenswerte, die einerseits von der Finanzverwaltung als Sicherheit akzeptiert werden und andererseits wertmäßig den Steuerbetrag sichern können.
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Satz 1 AStG n.F.). In diesen Fällen ist auch die gewährte Stundung der Steuer innerhalb eines Monats nach Eintritt des Ereignisses fällig (§ 6 Abs. 4 Satz 7, 4. Teilsatz AStG n.F.). Darüber hinaus ist die gestundete Steuer innerhalb eines Monats nach Eintritt eines der in § 6 Abs. 4 Satz 5 Nr. 1 bis 5 AStG n.F. genannten Ereignisse fällig. Gemäß § 6 Abs. 4 Satz 5 Nr. 2, Satz 7, 1. Teilsatz AStG n.F. ist die gestundete Steuer fällig (ein Entfallen nach Abs. 3 aber weiter möglich), wenn der Steuerpflichtige seine Mitwirkungspflichten i.S.v. § 6 Abs. 5 AStG n.F. (hier: Mitteilung der Anschrift und der fortdauernden Anteilszurechnung bis zum 31.7. eines Jahres) nicht erfüllt. Bei strenger Auslegung kann nach dem 31.7. die Mitwirkungspflicht für das betreffende Jahr nicht mehr erfüllt werden. Bei an Verhältnismäßigkeitserwägungen orientierter Auslegung wird man jedenfalls kurze Fristüberschreitungen von bis zu zwei Monaten für unschädlich halten können (analog § 36 Abs. 5 Satz 4 Nr. 5 AStG n.F.). Es bleibt zu hoffen, dass das BMF im angekündigten AEAStG dem Gesetz für die Praxis etwas die Schärfe nimmt. Gem. § 6 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 AStG n.F. wird die Rückkehrregelung suspendiert, wenn die Anteile während der vorübergehenden Abwesenheit „übertragen“ werden. In diesem Fall wird auch die gestundete Steuer fällig gestellt, was sich sowohl aus § 6 Abs. 4 Satz 7, 4. Teilsatz i.V.m. Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 als auch aus § 6 Abs. 4 Satz 7, 1. Teilsatz i.V.m. Satz 5 Nr. 4 AStG n.F. ergibt. Nach dem Gesetzeswortlaut sind insbesondere Übertragungen durch Rechtsgeschäfte unter Lebenden schädlich. Hierdurch sollten offenbar – ansonsten unter bestimmten Voraussetzungen mögliche – schenkungsteuerfreie Anteilsschenkungen während der vorübergehenden Abwesenheit unterbunden werden. Bei der Schenkung der Anteile von T an seine in Deutschland ansässige Tochter ist aber zu sehen, dass einerseits der Vorgang der Schenkungsteuer unterliegt, da jedenfalls die Tochter Steuerinländerin i.S.v. § 2 Abs. 1 ErbStG ist und auch kein DBA eine deutsche Schenkungsteuer sperrt. Andererseits werden die Anteile wieder vollständig in Deutschland steuerverhaftet. In diesen Fällen ist § 6 Abs. 3 AStG n.F. teleologisch erweiternd dahingehend auszulegen, dass die (schenkungsteuerpflichtige) „Hereinschenkung“ nach Deutschland der Rückkehr des Steuerpflichtigen in die deutsche unbeschränkte Steuerpflicht gleichgestellt wird und zugleich nicht als schädliches Ereignis i.S.v. § 6 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 AStG n.F. qualifiziert. Weitere Voraussetzungen für den rückwirkenden Entfall der Steuer und eine Aufrechterhaltung der Stundung ist, dass während der vorübergehen-
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den Abwesenheit bzw. dem Stundungszeitraum keine Gewinnausschüttungen bzw. keine Einlagenrückgewähr erfolgt, deren gemeiner Wert insgesamt mehr als ein Viertel des gemeinen Werts bei Verwirklichung des Wegzugs i.S.v. § 6 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AStG n.F. beträgt (§ 6 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 AStG n.F. bzw. § 6 Abs. 4 Satz 5 Nr. 5, Satz 7 1. Teilsatz bzw. 4. Teilsatz AStG n.F.). Nach der Vorstellung des Gesetzgebers ist eine betragsmäßige Auskehrung von 25 % des gemeinen Werts der Anteile im Zuzugszeitpunkt jedenfalls unschädlich. Gehen die Auskehrungen darüber hinaus, wird der Entfall der Steuer bzw. die Fälligstellung aber nur anteilig gesperrt bzw. herbeigeführt („soweit“). Dies gilt auch i.R.d. § 6 Abs. 4 Satz 5 Nr. 5 AStG, obwohl der Einleitungssatz auch eine „Fallbeil-Lösung“ zugrunde legen könnte.101 Geht man vorliegend von einem gemeinen Wert i.H.v. EUR 20 Mio. bei Wegzug aus, bleibt ein Auskehrungsbetrag i.H.v. EUR 5 Mio. folgenlos. Der darüber hinaus ausgekehrte Betrag i.H.v. EUR 5 Mio. entspricht (weiteren) 25 % des gemeinen Werts bei Wegzug, sodass auch nur 25 % des Steueranspruchs nach § 6 Abs. 3 AStG n.F. nicht mehr entfallen können und auch nur in diesem Umfang ein Fälligstellen der Steuer angezeigt ist. Bei dieser „Lesart“ käme es selbst bei einer Auskehrung von 100 % des gemeinen Werts bei Wegzug (und mehr) nicht zu einer vollständigen Versagung der Rückkehrregelung und auch nicht zu einem vollständigen Fälligstellen der restlichen Steuer. Dies entspricht aber letztlich dem gesetzgeberischen Verständnis, dass eine Ausschüttung von 25 % des gemeinen Werts bei Wegzug für Wegzugsteuerzwecke hingenommen werden sollen. Anders gewendet: Erst wenn 125 % des gemeinen Anteilswerts bei Wegzugs ausgeschüttet wurden, wäre 100 % der Wegzugsteuer festzuschreiben.102 Problematisch bleibt aber, dass auf die Gewinnausschüttungen deutsche Kapitalertragsteuer anfällt (abkommensrechtlich auf 15 % reduziert, Art. 10 Abs. 2 DBA-Österreich) und auf die österreichische Einkommensteuer (27,5 %) anzurechnen ist. Da bei der Bewertung des gemeinen Werts der Anteile bei Wegzug u.a. kein Steuerabschlag auf Gewinnrücklagen vorgenommen wird, kommt es in gewisser Weise zu einer doppelten Belastung der gleichen stillen Reserven mit deutscher Wegzugsteuer und deutscher/österreichischer Ausschüttungssteuer. Das ist kein neues
101 Vgl. wohl Kraft, Ubg 2021, 582 (588). In diesem Fall würde eine Überschreitung der 25 %-Schwelle um EUR 1,– sowohl das rückwirkende Entfallen der Wegzugsteuer sperren als auch die ausstehende Steuer fällig stellen. Das hat der Gesetzgeber nicht im Sinn gehabt. 102 So auch Benecke in BeckOK AStG, § 6 AStG Rz. 209.
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Phänomen, hat den Gesetzgeber aber bisher nicht dazu veranlasst, für sich ergebende Doppelbelastungen Abhilfe zu schaffen.
C. Ausblick Während sich Gesellschafter großer Familienunternehmen, die mit einer operativ tätigen oder zumindest geschäftsleitenden Holding-Personengesellschaft an der Spitze organisiert sind, in der Regel frei auf der Welt bewegen können, ohne eine Entstrickungsbesteuerung fürchten zu müssen, stellt sich für alle anderen weiterhin – und z.T. verschärfter als bisher – die Frage, ob die drohende Wegzugsbesteuerung einem Wegzug generell entgegensteht oder man es wagen will, sich bei einem temporären Wegzug einem latenten „Rückkehrzwang“ unabhängig von zwischenzeitlich sich verändernden Lebensumständen auszusetzen. Kurzfristig werden Steuerpflichtige mit § 6 AStG n.F. leben müssen. Die Verwaltung ist aufgefordert, in einem BMF-Schreiben zu Einzelfragen des § 6 AStG n.F. Stellung zu nehmen und in einigen Punkten verträgliche Lösungen anzubieten. Das kann aber nur als Übergangslösung verstanden werden, bis der Gesetzgeber – möglichweise angestoßen durch die in naher Zukunft zu erwartenden Entscheidungen des BFH (oder vielleicht erneut des EuGH) – eine wirklich „zeitgemäße“ Form der Wegzugsbesteuerung schafft.
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Aktuelle Entwicklungen bei der Wegzugsbesteuerung, insbesondere § 6 AStG Podiumsdiskussion Leitung Prof. Dr. Bert Kaminski Institut für Betriebswirtschaftliche Steuerlehre, Helmut-Schmidt- Universität/Universität der Bundeswehr Hamburg Teilnehmer Dr. Peter Brandis Vorsitzender Richter am Bundesfinanzhof, München
Dr. Nils Häck Flick Gocke Schaumburg, Bonn
MinDirig Martin Kreienbaum Bundesministerium der Finanzen, Berlin
Oliver Nußbaum Global Head of Tax, BASF SE, Ludwigshafen
Kerstin Schulz, M.I.Tax Global Head of Tax and Customs, Beiersdorf AG Hamburg
Prof. Dr. Kaminski Ganz herzlichen Dank für Ihren Vortrag. Da waren sehr, sehr viele Fälle drin, und ich würde Sie zunächst um eine Einschätzung zur Rs. Wächtler1 bitten. Herr Wächtler war ja jemand, der in Konstanz wohnte und in der Schweiz eine Gesellschaft errichtet hat. Er war Gesellschaftergeschäftsführer mit einer Beteiligung i.H.v. 50 % und hat seinen Wohnsitz in die Schweiz verlegt. Ich glaube, im Wesentlichen aus persönlichen Gründen, wenn ich den Fall richtig erzählt bekommen habe. Da hat er nämlich eine Partnerin kennengelernt, mit der er zusammengezogen ist. Das war der einzige Grund, warum er seinen Wohnsitz verändert hat. Nun ist die Frage: Sicherheitsleistung, auch wenn es eine deutsche Gesellschaft wäre?
1 Vgl. EuGH v. 26.2.2019 – C-581/17, DStR 2019, 425.
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Dr. Nils Häck Der EuGH würde im Grundsatz voraussichtlich nicht unterscheiden, ob es sich um eine deutsche oder schweizerische Gesellschaft handelt. Ob die Sicherheitsleistung entbehrlich ist, weil wir bei einer deutschen Gesellschaft ein deutsches Substrat für die Vollstreckung haben, müsste man verfahrensrechtlich näher betrachten. Man muss ja an den Steuerschuldner irgendwie heran, d.h. z.B. Vollstreckungsbescheide zustellen und durchsetzen. Hier wird die Schweiz voraussichtlich nicht mitspielen. Prof. Dr. Kaminski Er ist Gesellschaftergeschäftsführer gewesen, 50 % beteiligt. Ich habe mir schon die Frage gestellt, ob das dann möglicherweise anders zu beurteilen wäre, denn wir haben hier ja die ausländische Gesellschaft. Ich würde aber gerne eine andere Frage in den Raum stellen und hier im Podium auch gerne diskutieren. Das ist die Frage des Veräußerungstatbestandes, den sie angesprochen haben. Das hat gravierende Auswirkungen. Sie haben darauf hingewiesen, für Zwecke der Erbschaftsteuer und für § 22 Abs. 1 UmwStG. Herr Kreienbaum, wie sehen Sie das? Löst das die Folgen aus? Heißt das, Veräußerung führt jetzt zu einer Versagung der Stundung? Dr. Nils Häck Zu einem Sperrfristverstoß? Prof. Dr. Kaminski Ja. Kreienbaum Ja, das ist vertretbar. Ich würde das im Grundsatz auch so sehen. Prof. Dr. Kaminski Herr Brandis, darf ich Sie fragen: Würden Sie das auch so sehen? Würden Sie den Verweis auf § 17 EStG und den Begriff der Veräußerung so auslegen?
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Podiumsdiskussion: Aktuelles bei der Wegzugsbesteuerung
Dr. Brandis Ich habe da erstmal große Sympathien dafür, das zu tun, genau. Das wäre auch mein erster Ansatzpunkt. Prof. Dr. Kaminski Mit der Konsequenz, dass dann eine massive Steuerbelastung entstehen könnte, die möglicherweise noch dadurch extremer wird, wenn man sich die Frage stellt, was passiert in der Schweiz oder in ihren Wegzugsfällen, wenn ich sage, möglicherweise erfolgt kein Step-up. Wenn später tatsächlich veräußert wird, könnte eine extrem hohe Steuerbelastung entstehen. Dr. Nils Häck Da muss man sich aber schon genau die jeweilige Norm anschauen. Bei § 22 Abs. 1 UmwStG ist zu sehen, dass es ein besonderes schädliches Ereignis in § 22 Abs. 1 Satz 6 Nr. 6 UmwStG gibt, wenn der Einbringende den EU-Raum verlässt. Und das kann man, glaube ich, im Umkehrschluss so lesen, dass dann der Wegzug nicht dazu führen kann, dass es zu einer Veräußerung i.S.v. § 22 Abs. 1 UmwStG kommt. Wenn man in § 22 Abs. 2 UmwStG schaut, ergibt sich hieraus auch im Umkehrschluss, dass der Wegzug selbst nicht zu einer Veräußerung i.S.v. § 22 UmwStG führen kann. Das halte ich im Ergebnis für zwingend. Bei § 15 UmwStG ist die Argumentation schwieriger, führt aber zum gleichen Ergebnis. Bei der Erbschaftsteuer ergibt sich aus dem Sinn und Zweck, dass § 6 AStG n.F. zu keinem Verstoß gegen die Nachbehaltensfristen führt, da sich hierdurch das Unternehmen nicht verändert und der Erbe oder Beschenkte ja tatsächlich weiterhin die Anteile hält. Prof. Dr. Kaminski Wenn ich das so auf mich wirken lasse, dann ist mir eine Idee gekommen. Herr Kreienbaum, vielleicht haben Sie auch darüber nachgedacht: Ist das nicht eine implizite Aufforderung, bevor ich wegziehe auszuschütten? Ich könnte doch sagen, ich schütte die Gesellschaft leer, verringere den Wert und ziehe dann weg. Das ist wirtschaftlich ein wenig überzeugendes Ergebnis, weil möglicherweise diese Gesellschaft nur sehr eingeschränkt lebensfähig ist, nachdem ich sie leergeschüttet habe. Aber das wäre nach geltendem Recht völlig unproblematisch.
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Podiumsdiskussion: Aktuelles bei der Wegzugsbesteuerung
Kreienbaum Das wäre wohl so, ja. Prof. Dr. Kaminski Dann würde ich mal die Vertreter aus der Industrie fragen. Herr Nußbaum, wie ist das bei Ihnen, haben Sie Fälle, wo man sagt, Wegzugsbesteuerung bei Personalentsendung? Ist das ein Thema? Nußbaum Das ist eine gute Frage. Ich sehe jetzt den klassischen BASF-Mitarbeiter nicht als typischen Fall der Wegzugsbesteuerung. Prof. Dr. Kaminski Deswegen habe ich das angesprochen. Nußbaum Es ist aber eine gute Frage. Also in der Tat, in Fällen der Delegationen oder Entsendungen können durchaus im Einzelfall Umstände vorliegen, die in der privaten Lebensführung liegen, also Beteiligungen an anderen Unternehmen i.S.d. § 17 EStG bestehen, die zu einer Wegzugsbesteuerung führen könnten. Insofern könnte es natürlich ein Problem werden. Aber bei uns ist es so, dass die Delegations- oder Entsendungsfälle eigentlich zeitlich auf vier Jahre befristet sind, das heißt, der Mitarbeiter behält seinen Basisarbeitsvertrag im Inland bei, dieser wird ruhend gestellt, der Mitarbeiter geht dann ins Ausland und beendet seinen Term und hat damit eigentlich eine Rückkehrabsicht, die implizit in der Delegation angelegt ist. Also bei vernünftiger Ausgestaltung der Stundungsregeln sollte er eigentlich nicht gehindert sein, für die Firma ins Ausland zu gehen. Prof. Dr. Kaminski Wie ist das bei Ihnen? Schulz Identisch. Bei uns sind die Entsendungen auf drei Jahre angelegt, der Arbeitsvertrag wird auch ruhend gestellt und insofern haben wir bisher dazu keine Themen und zusätzlich bekommen bei uns, wenn sich dann
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solche Verhältnisse ändern, die Kollegen auch steuerliche Beratung durch externe Berater. Wir würden keine Steuer ausgleichen, aber natürlich unterstützen und entsprechend dann steuerliche Beratung (mit-)finanzieren. Prof. Dr. Kaminski Mich würde nochmal dieser eine Fall, den Sie gebildet haben, besonders interessieren: Wegzugsbesteuerung bei Fortbestehen der Steuerpflicht. Herr Brandis, darf ich Sie nochmal fragen: Würden Sie das auch so sehen, dass man sagt, hier ist die Wegzugsbesteuerung einschlägig? Dr. Brandis Das ist der Punkt, den Herr Häck mit seiner ersten Anmerkung mit Blick auf die Entscheidung des FG Köln angesprochen hat; in dieser Revisionssache ist nächsten Mittwoch zu entscheiden, und in der Hinsicht ist das Gegenstand in diesem Verfahren, genau diese Problematik, die dort jetzt angesprochen ist. Ich darf es vielleicht kurz an dem Gesetzestext festmachen: Wir haben in der alten Fassung des AStG Situationen, die Anknüpfungspunkt sind für die Wegzugsbesteuerung und wir haben dann durch eine Gesetzesänderung den Gesichtspunkt ergänzt, dass der Ausschluss oder die Beschränkung des Besteuerungsrechts letztlich eben auch Ansatzpunkt sei für die Besteuerung. Jetzt war die Frage, ob man mit Blick auf diese Gesetzesergänzung gleichsam für die anderen Tatbestandsmerkmale, die schon im Gesetz enthalten waren, ein negatives Tatbestandsmerkmal hat, dass man sagt, zwar ist jemand weggezogen, aber es kam nicht zu einer Beeinträchtigung des Besteuerungsrechts Deutschlands. Ob das dann gleichsam für diesen Tatbestand hilft und damit die Wegzugsbesteuerung suspendiert, das ist der entscheidende Ansatzpunkt und den muss dann der Senat in der nächsten Woche entscheiden. Ich kann darüber natürlich keine weitere Auskunft geben, wie meine Einstellung zu dieser Rechtsfrage ist. Prof. Dr. Kaminski Vielen Dank, das können wir natürlich nachvollziehen. Herr Kreienbaum, vermutlich wird es ja ein Anwendungsschreiben zu dieser Regelung geben und ich habe mich gefragt: Diese 25 % Ausschüttung, wie soll das eigentlich korrigiert und nachvollzogen werden? Der Steuerpflichtige muss nachweisen, dass nicht mehr als 25 % im Ausland
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ausgeschüttet worden sind. Wie muss ich mir das vorstellen? Wie soll so ein Nachweis rein praktisch geführt werden? Kreienbaum Also zunächst einmal kann ich bestätigen, dass Bund und Länder an der Erarbeitung eines Anwendungsschreibens zum AStG arbeiten. Das gilt auch für den § 6 AStG. Einen genauen Zeitpunkt kann ich Ihnen noch nicht sagen. Wir haben die Arbeiten jetzt begonnen. Ich gehe davon aus, dass es vielleicht bis Mitte nächsten Jahres zum Anwendungsschreiben kommen wird und wir diskutieren diese Details, auch die Details der Nachweise. Ich kann Ihnen dazu noch nichts Abschließendes sagen. Prof. Dr. Kaminski Haben Sie sich Gedanken gemacht, Herr Häck, wie ein solcher Nachweis erfolgen kann? Denn Sie müssen ja etwas nachweisen – das ist immer intellektuell besonders herausfordernd –, was nicht passiert ist. Das ist natürlich immer eine größere Herausforderung als zu sagen, ich weise nach, DASS etwas passiert ist. Dr. Häck Nein, hier werden sich aber sicherlich praktische Schwierigkeiten ergeben. Prof. Dr. Kaminski Warten wir mal ab, was da kommt, denn mir scheint die Frage zu sein: Selbst, wenn der Steuerpflichtige eine entsprechende Erklärung abgibt, wie kann die Finanzverwaltung prüfen, ob seine Erklärung richtig ist? Das müsste sie ja irgendwie verifizieren können, um zu verhindern, dass es ein strukturelles Vollzugsdefizit gibt. Und nur zu sagen: „Ich habe nicht ausgeschüttet“, ist ja das eine, aber wie soll der Steuerpflichtige das nachweisen können? Das war so ein bisschen Hintergrund meiner Frage, die hier relevant ist. Kreienbaum Aber Herr Kaminski, Sie werden ja auch darüber Dokumentationen haben, auch über den Umfang der Ausschüttung, und dann wird man das ja in der Form von Glaubhaftmachung oder in entsprechenden Formen nachweisen müssen.
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Prof. Dr. Kaminski Das weiß ich nicht. Wenn ich sage, ich habe einen Ausschüttungsbeschluss oder ich habe keinen Ausschüttungsbeschluss – was wollen Sie dann machen? Wenn ich Ihnen ein Gesellschafterprotokoll vorlege, wo drinsteht „keine Ausschüttung“ … Es kann ja einen zweiten Beschluss geben, den ich Ihnen nicht vorlege, da habe ich ausgeschüttet. Kreienbaum Das ist eine Rechtstatsache, für die der Steuerpflichtige nachweispflichtig ist und dann kommt es eben darauf an, das ausreichend substantiiert und glaubhaft darzulegen. Aber wie gesagt, dazu wird es dann ja möglicherweise im nächsten Jahr noch nähere Ausführungen geben. Prof. Dr. Kaminski Das ist die Frage der Kontrollmöglichkeiten der Finanzverwaltungen in diesem Bereich. Dass der Steuerpflichtige natürlich mitwirken muss, ist klar. § 90 Abs. 2 AO sieht unstreitig erweiterte Mitwirkungspflichten vor. Aber die Frage ist, ob und inwieweit dann entsprechend das Ganze kontrolliert werden kann. Und zu sagen, da gibt jemand eine Erklärung ab, die nicht kontrolliert werden kann, scheint mir nicht so ganz unproblematisch zu sein. Es gibt aus dem Kreis der Online-Teilnehmer von Herrn Scheller2 eine Frage. Da heißt es: Zuzug einer Gesellschaft ohne Exit-Besteuerung im Wegzugsstaat in das Inland, später Wegzug aus Deutschland – sind die historischen Anschaffungskosten zu berücksichtigen oder können beim Zuzug auch Einlagen berücksichtigt werden? Die Frage bezieht sich also auf die Anwendung des § 17 Abs. 2a Nr. 1 EStG. Wie würden Sie das sehen? Dr. Häck Einlagen in der Abwesenheit würde man auch, wenn der Steuerpflichtige in Deutschland wäre, als zusätzliche Anschaffungskosten berücksichtigen. Insoweit würde es einen Step-up geben müssen. Da, würde ich sagen, kann eigentlich kein Zweifel bestehen. Das, was auch nach deutschem Recht zu zusätzlichen Anschaffungskosten führen würde, ist bei Zuzug in Deutschland zu berücksichtigen.
2 Peter Scheller ist Partner bei Scheller International, Hamburg.
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Prof. Dr. Kaminski Herr Kreienbaum, sehen Sie das auch so, dass der Verweis von § 6 AStG auf § 17 auch diese nachträglichen Anschaffungskostentatbestände des § 17 Abs. 2a umfasst? Kreienbaum Darüber müsste ich mir nochmal Gedanken machen. Es hört sich aber nicht unplausibel an, finde ich. Prof. Dr. Kaminski Das ist ja immerhin schon mal ein Ansatzpunkt, der ganz erfreulich ist, um eine sonst drohende Doppelbesteuerung zu vermeiden. Herr Brandis: Das Verständnis zwischen § 16 Abs. 3 EStG auf der einen Seite und des § 4 Abs. 1 Satz 3 EStG, also der Entstrickungsbesteuerung, auf der anderen Seite. Wenn wir uns die Konstellation anschauen, auch den Betriebsaufspaltungsfall, den wir eben gesehen haben: Wie würden Sie das sehen? Welches Konkurrenzverhältnis besteht da? Ist das so, dass Sie sagen, ja, das ist so, oder – das wäre meine sympathischste Lösung – aber, da ist der Wunsch Vater des Gedankens, muss vielleicht nicht auch einmal über die Frage nachgedacht werden, ob das, was der BFH als Ansatzpunkt sieht, um eine Betriebsaufspaltung anzunehmen – wir haben das gehört: häusliches Arbeitszimmer, indem die Beteiligung verwaltet wird –, nicht möglicherweise außerordentlich weitgehend ist? Dr. Brandis Die Konkurrenzfrage, die Sie hier ansprechen, ist natürlich, ob wir zunächst sagen, hier liegt eine Situation vor, dass man nach nationalem Gewinnermittlungsrecht gleichsam hier schon zu einer Gewinnrealisierung kommt. Das ist die erste Frage, die zu beantworten ist. Nur wenn das nicht der Fall ist, ist aus meiner Sicht subsidiär die Frage zu beantworten, ob wir mit Blick auf eine Wegzugssituation in einem Tatbestandsbereich des AStG sind. Wenn die Frage von Ihnen dahin geht, ob man hier im nationalen Bereich gleichsam schon eine Entstrickungssituation sieht, hängt das zusammen mit der Frage der Betriebsaufspaltung und damit, inwieweit dieses Arbeitszimmer in irgendeiner Weise eventuell steuerverstrickt wäre, um als Betriebsstätte berücksichtigt werden zu können – diese Fragen kann ich im Moment nicht abschließend beantworten. Entscheidend
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bleibt, dass es hier eine Vorrangigkeit gibt, ob wir nach nationalem Recht zu einer Entstrickung kommen, und erst dann würde die Situation des AStG ansetzen. Prof. Dr. Kaminski Und in den anderen Fällen? Würden Sie sagen, dass dort § 4g EStG einschlägig ist? Da würde es ja möglicherweise eine Stundung geben, die die Belastung mindert. Dr. Brandis Ich würde den vorrangig prüfen und wenn der tatsächlich tatbestandlich ist, würde ich ihn mit Vorrang versehen, und das wäre für mich dann eben auch der Ansatzpunkt für die Konsequenzen dieser Aufdeckung. Prof. Dr. Kaminski Herr Kreienbaum, würden Sie das auch so sehen? Halten Sie den § 4g EStG für anwendbar? Kreienbaum Ich teile das, was Herr Brandis dazu gesagt hat. Und es ist ja eine rechtstatsächliche Frage, ob ich vorher entnehme oder mit dem Betrieb wegziehe. Und insofern, glaube ich, besteht dieses Konkurrenzverhältnis nicht. Prof. Dr. Kaminski Ich habe mich gefragt: Kann ich denn überhaupt entnehmen? Wenn ich sage, ich bin in dem Fall mit dem Arbeitszimmer, in den Fällen der Betriebsaufspaltung, dann kann ich ja eigentlich gar nicht entnehmen. Oder? Kreienbaum Ja, dann komme ich zur Sitzverlegung. Prof. Dr. Kaminski Dann komme ich zur Sitzverlegung und dann bin ich im § 16 Abs. 3 EStG und dann würde ich auch den § 4g EStG nicht nutzen können.
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Dr. Häck In Fall 1 muss man lebensnah natürlich Folgendes sehen: Der P will in 2021 wegziehen. Er räumt also zunächst das Haus leer, so dass sich die Geschäftsleitung der GmbH nicht mehr in dem Haus abspielt, denn es gibt kein Arbeitszimmer mehr, sodass es voraussichtlich zunächst zur sachlichen Entflechtung kommt. P zieht dann mit Anteilen im Privatvermögen weg, die Wegzugsteuer nach § 6 AStG ist dann aber nahe Null, weil die stillen Reserven schon nach nationalem Recht aufgedeckt wurden. Das ist jedenfalls eine sehr denkbare systematische Lösung. Prof. Dr. Kaminski Bitteschön! Wortmeldung aus dem Publikum Ich finde den Ansatz von Herrn Kreienbaum sehr sympathisch. Wenn man sagt, es ist eine Betriebsverlegung, § 16 Abs. 3a EStG, eine fiktive, dann sind Sie in § 36 Abs. 5 EStG und dann geben Sie auch den Sinn und Zweck des Gesetzes genau wieder, helfen Sie zum Durchbruch, dass wir sagen, in dem Augenblick, wo wir keine Betriebsstätte mehr im Inland haben, nehmen wir den § 36 Abs. 5 EStG, das heißt, wir sind auf der Erhebungsebene, denn in den Betriebsstättenfällen haben wir ja wenigstens noch eine Betriebsstätte und können dann halt pro rata temporis auf der Festsetzungsebene auflösen. Also insofern sollte auf jeden Fall eine Stundung da sein, und damit dürfte, glaube ich, zumindest ein gewisser unionsrechtlicher Mindestanspruch gewährleistet sein. Danke. Prof. Dr. Kaminski Ich denke, wir sind uns einig: Wenn es keine Stundung gibt, hätten wir in den EU-Fällen ein Problem. Dr. Häck Sie bekommen aber nur die fünf Jahre der Streckung über § 36 Abs. 5 EStG. Man muss sich fragen, ob nach Wächtler3 nicht dauerhaft zu stunden wäre. Der EuGH-Richter kennt unsere Betriebsaufspaltungsgrundsätze nicht, er wird die Grundfreiheiten nicht an der Betriebsaufspaltung messen, sondern sieht nur, dass hier jemand mit einem Kapitalgesell3 Vgl. EuGH v. 26.2.2019 – C-581/17, DStR 2019, 425.
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schaftsanteil wegzieht. Nach Wächtler müsste er dazu kommen, dass dauerhaft zu stunden ist, wenn wir nicht die vorgelagerte sachliche Entflechtung haben. Prof. Dr. Kaminski Betriebsaufspaltung und EuGH – das hatten wir bisher noch nicht. Wir haben gelernt, dass es auch grenzüberschreitende Betriebsaufspaltungen geben kann, wie sich aus der Rechtsprechung des I. Senats ergibt. Hierzu gibt es aus dem Teilnehmerkreis noch eine Frage, die per Chat gekommen ist: „Auch nach altem Recht muss für das Auslösen der Wegzugsbesteuerung nicht nur ein zweiter Wohnsitz im Ausland begründet werden, sondern auch die Ansässigkeit laut DBA in das Ausland wechseln, was beim Doppelwohnsitz in der Regel die Verlagerung des Mittelpunkts des Lebensinteresses voraussetzt. Teilen Sie diese Auffassung?“ Dr. Häck Ja, das ist unstrittig. § 6 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 AStG a.F. verlangt, dass die DBA-Ansässigkeit in den anderen DBA-Staat verlagert wird. Prof. Dr. Kaminski Im Rahmen der Neuregelung ist dieser Punkt des Wechsels der Ansässigkeit nach Abkommensrecht entfallen. Wie beurteilen Sie das? Ist das aus Ihrer Sicht zu begrüßen, oder sagen Sie, das ist eher problematisch? Die Idee war zu sagen, dass in Fällen der doppelten Ansässigkeit, bei denen gar nicht so eindeutig bestimmt werden kann, in welchem Staat die Ansässigkeit gegeben ist, diese theoretisch ständig hin und her switchen kann, je nachdem, wo sich mein Lebensmittelpunkt befindet. Und dann hätte ich ja nach jetzigem Recht möglicherweise sogar eine Erleichterung. Dr. Häck Aus Praktikersicht scheint mir das eine Verbesserung. Wenn man sich den gezeigten Fall bei Wegzug nach Kanada anschaut, kommt es hier für einen relativ langen Zeitraum schon zu keiner Festsetzung einer Wegzugsbesteuerung. Ich sehe den Punkt sehr positiv und es ist in gewisser Weise konsequent. Bei den Tatbeständen, bei denen es nicht auf den Ausschluss oder die Beschränkung des deutschen Besteuerungsrechts ankommt, ist künftig erforderlich, dass der Wegziehende die unbeschränkte
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Steuerpflicht aufgibt oder der, der die Anteile erbt oder geschenkt bekommt, in Deutschland nicht mehr unbeschränkt steuerpflichtig ist. Das hat eine gewisse Systematik. Prof. Dr. Kaminski Bei Ihrem Fall der verspäteten Meldung habe ich mich gefragt: Wäre das nicht ein klassischer Fall für entweder Billigkeit oder Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gem. § 110 AO? Wie würden Sie das sehen? Dr. Häck Geht die Frage jetzt an mich oder an Herrn Kreienbaum? Prof. Dr. Kaminski Zuerst an Sie und dann an Herrn Kreienbaum. Entschuldigung, ich habe wohl Herrn Kreienbaum fälschlicherweise den Hinweis gegeben, dass er gleich als nächstes gefragt wird. Dr. Häck Also meine Hoffnung ist, dass das BMF-Schreiben hier etwas Schärfe aus dem Gesetz nimmt. Auf eine Billigkeit im Einzelfall kann man ja nicht bauen. Prof. Dr. Kaminski Herr Kreienbaum! Kreienbaum Ja, vielleicht bringt das BMF-Schreiben dazu Klarheit. Auf Billigkeit sollten wir nicht bauen. Prof. Dr. Kaminski Ich habe noch einen anderen Punkt, den ich ganz grundsätzlich gerne diskutieren möchte. Das betrifft die Frage DBA-Spanien. Sie haben das angedeutet. Im DBA-Spanien ist Folgendes passiert: Im DBA-Spanien gibt es eine Immobilienklausel. Da steht drin, wenn eine Gesellschaft in Spanien besteht, die mehr als 50 % ihres Vermögens in Immobilienbesitz hat, dann ist durch die Neufassung des DBA das Besteuerungsrecht in Spanien. Und das führt zu der Diskussion, Sie haben es angesprochen, ob
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und inwieweit das eine Einschränkung des deutschen Besteuerungsrechtes ist. Ich will nicht den Sachverhalt als solchen diskutieren, sondern was hier stattfindet, ist quasi eine passive Steuerentstrickung. Das heißt, der Steuerpflichtige tut nichts, aber es wird eine Steuer ausgelöst. Herr Kreienbaum, ist das nicht so ein Fall, wo man gesagt, hätte, da hätte man vielleicht seitens des BMF sowas wie eine Billigkeitsregelung machen können? Kreienbaum Zunächst mal muss man feststellen, dass durch die Änderung des DBASpanien das Besteuerungsrecht, Herr Häck, eindeutig eingeschränkt ist. Sie hatten das ja vorhin in Ihrem Vortrag etwas in Frage gestellt. Was haben wir gemacht im DBA-Spanien? Wir haben ein Besteuerungsrecht, das vorher ausschließlich bei uns lag, dem Staat Spanien, dem Partnerstaat, prioritär eingeräumt und wir haben sekundäres Besteuerungsrecht. Und damit verzichten wir für die Zukunft teilweise auf Besteuerungsrechte, die wir in der Vergangenheit hatten. Und insofern, meine ich, ist es völlig richtig, hier von einer Entstrickung auszugehen. Der besondere Umstand besteht darin, dass der Steuerpflichtige nichts dazu beigetragen hat. Ob da eine Billigkeitsmaßnahme der richtige Weg ist? Darüber kann man nachdenken. Wir haben die Problematik im DBA-Liechtenstein im Protokoll gesondert adressiert. Man kann es über das DBA punktuell lösen. Man muss dazu sagen, dass das ein Punkt ist, der nicht unbedingt in ein gegenseitiges Vertragsverhältnis kommen muss. Das kann man eben auch rein national regeln. Deswegen bin ich immer etwas vorsichtig, in Doppelbesteuerungsabkommen solche Punkte einzubauen. Prof. Dr. Kaminski Im DBA-Spanien ist dies nicht geschehen und – wie sie selbst gesagt haben – im DBA-Liechtenstein wurde es hiervon abweichend ausdrücklich anders geregelt. Herr Brandis, das ist so ein klassischer Fall, den wir Neudeutsch als „dry Income“ bezeichnen. Wir besteuern etwas, ohne dass Liquidität beim Steuerpflichtigen zufließt. Wie sehen Sie das? Ist das ein Punkt, wo zwingend über Billigkeitsmaßnahmen nachgedacht werden müsste? Ohne dass Sie sich zum konkreten Verfahren äußern sollen oder müssen.
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Dr. Brandis Das ist tatsächlich eine Grundsatzfrage im Bereich der Ertragsbesteuerung, denn letztlich geht es auch um die Verhältnismäßigkeit des Steuerzugriffs, wenn tatsächlich keine Liquidität zufließt. Wenn Tatbestände so formuliert sind, dass dennoch eine Ertragsteuer anfällt, muss man sich die Frage stellen, ob eine Restriktion angezeigt ist. Das ist tatsächlich die Frage, sodass, wie Herr Kreienbaum gesagt hat, es Situationen sind, die auf diese Billigkeitsüberlegung hindeuten. Prof. Dr. Kaminski Nun ist dieses Verfahren ja anhängig. Es hat offensichtlich keine Billigkeit gegeben und, soweit ich das Verfahren kenne, ist auch kein Antrag auf Billigkeit in der Rechtsprechung bisher diskutiert worden. Es ist ja offensichtlich niemand auf die Idee gekommen, über diese Billigkeit nachzudenken. Aber ich würde die Frage nochmal weitergeben. Wie sehen Sie das? Besteuerungstatbestände ohne Liquiditätszufluss. Kann es sowas geben, auch vor dem Hintergrund des Unionsrechts? Haben Sie dazu eine Meinung? Nußbaum Es gibt viele Fälle, bei denen Unternehmen besteuert werden, ohne entsprechende Liquiditätszuflüsse zu haben. Funktionsverlagerungsfälle und dergleichen. Ich glaube, Beispiele gibt’s genügend. Im Hinblick auf die anderen Fälle, die Sie im § 6 AStG ansprechen, glaube ich, könnte man durchaus mit einer Stundungslösung dann vielleicht eine sachgerechte Billigkeit erreichen. Prof. Dr. Kaminski Wir haben ja erstaunlicherweise bei den Überführungsvorgängen in § 4g eine Stundung, bei der Funktionsverlagerung nicht. Ich weiß nicht, wie sehen Sie das? Ist das ein Thema, oder sagen Sie, Beiersdorf hat keine Funktionsverlagerung? Schulz Beiersdorf hat keine Funktionsverlagerung.
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Prof. Dr. Kaminski Hätte ich jetzt auch gesagt. Schulz Aber vielleicht eine ganz andere Frage, die mich in dem konkreten Fall jetzt umtreiben würde, wäre die Steueranrechnung. Also wenn man jetzt eben die Thematik hat einerseits der Entstrickung und andererseits der Besteuerung dann in dem Zeitpunkt, in dem ja auch gar kein Steuertatbestand in Spanien ausgelöst wird. Wie würde man das lösen? Kreienbaum Ja, die Frage, glaube ich, geht an mich. Das ist, denke ich, durchaus ein Punkt, über den wir auch in Zukunft stärker nachdenken müssen: Wie kriegen wir eine Werteverknüpfung hin in diesen Fällen, die eben den doppelten Zugriff sozusagen vermeidet? Denn Spanien würde ja praktisch den gesamten realisierten Gewinn besteuern und keinen Step-up annehmen, und das ist ein Punkt, der durchaus bedenkenswert ist für zukünftige Verhandlungen, auch für die Verhandlungsgrundlage. Prof. Dr. Kaminski Das würden Sie dann in das DBA aufnehmen wollen, oder … Kreienbaum Den Step-up könnte man natürlich im DBA aufnehmen, das ist überhaupt kein Problem. Ja, natürlich. Prof. Dr. Kaminski Das wäre dann so eine Art Korrespondenzprinzip für die Frage der Bewertung. Kreienbaum Ja, der Vertragspartner würde dann akzeptieren, dass er den Wert ansetzen muss zum Zeitpunkt der Änderung des Besteuerungsrechts, also in unserem Fall dem Zeitpunkt der Einräumung des prioritären Besteuerungsrechts Spaniens an den Veräußerungsgewinnen.
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Dr. Häck Es bestehen in zahlreichen DBA ja bereits sogenannte Wegzugsklauseln, nach denen der neue Ansässigkeitsstaat gebunden ist, den Step-up zu gewähren. Das gilt aber nicht für Schenkungen, für Erbschaften und natürlich auch nicht für passive Entstrickungsfälle. Das wäre sicherlich mal ein Punkt, den man in die Abkommensverhandlungen aufnehmen könnte. Prof. Dr. Kaminski Das sieht so auch § 4 Abs. 1 Satz 8 EStG vor, wenn eine Verstrickung von Wirtschaftsgütern erfolgt. Haben Sie eigentlich Fälle von Funktionsverlagerungen in das Inland? Wie sind die bewertet worden? Haben Sie da so ein Korrespondenzprinzip hinbekommen in der Praxis? Nußbaum Also wir haben auch keine Funktionsverlagerungsfälle, aber es ist dennoch ein grundsätzliches Thema. Wir versuchen, Fälle der Funktionsverlagerung über Lizenzmodelle auszugleichen, sodass man nicht in diese Einmalbesteuerungseffekte kommt. Wir versuchen so, auch die Korrespondenz herzustellen. Aber wir haben die Problematik der Korrespondenzbesteuerung auch bei Umwandlungen in Drittstaaten. Deutschland greift in solchen Fällen über das Instrument der verdeckten Gewinnausschüttung in Verbindung mit § 8b auf eine Umwandlung im Ausland zu und es gibt keinen korrespondierenden Step-up im Ausland, obwohl in Deutschland Steuern gezahlt werden. Das ist jetzt nicht die unmittelbare Korrespondenz, aber auch das sind Fälle, bei denen man durchaus überlegen sollte, sie in zukünftigen DBA-Fällen mit aufzunehmen oder zumindest im deutschen Umwandlungssteuergesetz vielleicht dann darauf hinzuwirken, dass eine Umwandlung im Ausland eben nicht besteuert wird, wenn im Ausland kein entsprechender Step-up vorgenommen wird. Es gibt daher über § 6 AStG hinaus einige weitere Fälle … Prof. Dr. Kaminski Es geht sicherlich weit über § 6 AStG hinaus, aber wir haben ganz bewusst hier das Steuerentstrickungsthema zumindest so ein bisschen angeführt.
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Podiumsdiskussion: Aktuelles bei der Wegzugsbesteuerung
Frau Schulz, wie sehen Sie das? Ist das bei Ihnen auch ein Thema, wo Sie sagen, man hat solche Funktionsverlagerung zurück nach Deutschland? Schulz Tatsächlich haben wir die auch nicht, oder ich habe sie zumindest nicht in meiner bisherigen Beiersdorf-Zeit. Ich habe tatsächlich einmal eine Funktionsverlagerung nach Deutschland hinein betreut und mitberaten im Unternehmen und da haben wir es tatsächlich geschafft, mit der Offenlegung, Besprechungen mit der Finanzverwaltung, korrespondierende Berücksichtigung, natürlich mit entsprechenden Steuersatzdifferentialen, entsprechend zu gewährleisten. Prof. Dr. Kaminski Und dann? Transferpaket? Wie lange abgeschrieben? 15 Jahre? Schulz Ja, zwischen 10 und 15. Prof. Dr. Kaminski Naja, immerhin. Das scheint ja zumindest im Einzelfall zur Lösung zu kommen, auch wenn damit natürlich eine erhebliche Liquiditätsbelastung verbunden sein kann. Gut, damit darf ich mich bei Ihnen nochmal sehr herzlich bedanken für Ihren Vortrag und die Mitwirkung an der Diskussion.
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Umsetzung des OECD-Projekts zur Besteuerung der digitalen Wirtschaft Redaktioneller Bericht1 über den Vortrag von
Dipl.-Finw. (FH) Andreas Benecke, LL.M. Bundesministerium der Finanzen
A. Einleitung . . . . . . . . . . . . . . .
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B. Pillar 1 . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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C. Pillar 2 . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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A. Einleitung Der Vortragende führte in die Thematik ein, indem er auf die langandauernde Diskussion über Pillar 1 und 2 hinwies. Nun sei jedoch ein Abschluss des OECD-Projekts und seine zeitnahe Umsetzung zu erwarten. Das OECD-Projekt und seine Umsetzung betreffe die Wirtschaft ebenso wie die Finanzverwaltung. Bei der Umsetzung des OECD-Projekts zur Besteuerung der digitalen Wirtschaft gehe es im Wesentlichen um die globale Wertschöpfungskette auf der einen und die lokale Steuerhoheit auf der anderen Seite. Getragen sei dieses mehrjährige Steuerprojekt von verschiedenen Phänomenen. Dazu gehöre die Globalisierung, welche die Möglichkeit der Steueroptimierung befördere. Darüber hinaus sei an die fortschreitende Digitalisierung zu denken, welche neue Geschäftsmodelle nach sich zöge. Auch sei der Begriff der Betriebsstätte an die Grenzen seiner Belastung gelangt. Hinzu komme, dass jeder besteuernde Hoheitsträger seine Interessenlagen im Blick habe. So gebe es Marktstaaten, die mehr Besteuerungsrechte anstrebten, Hochsteuerstaaten, die ihre Besteuerungsrechte zu bewahren suchten, und – auch als sog. Steueroasen bezeichnete – Länder, die steueroptimale Bedingungen böten und dieses Geschäftsmodell beizubehalten beabsichtigten. Dennoch hätten sich im Rahmen des Inclusive Framework on BEPS 140 Staaten innerhalb einer kurzen Zeit ver1 Die inhaltliche Verantwortung wird durch die redaktionelle Bearbeitung nicht übernommen; sie verbleibt vielmehr beim Vortragenden.
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einigt, von denen bereits 137 Staaten dem OECD-Projekt zugestimmt hätten. Dies könne als historisch angesehen werden, wenn man bedenke, wie schwierig es sich teilweise darstelle, in der EU zwischen den 27 Mitgliedstaaten Einigkeit zu erzielen. Der Vortragende warf sodann die Frage auf, weshalb das OECD-Projekt von einem Zwei-Säulen-Ansatz getragen sei. Dies beruhe auf den bereits erwähnten unterschiedlichen Interessenlagen, die verlangt hätten, eine „Critical Mass“ zu bilden. Es habe also eines Ergebnisses bedurft, das für die Mehrheit der Staaten als akzeptabel empfunden werde. Gerade dies könne nicht mit einem einzigen Lösungsweg erreicht werden, sondern nur mit einer weiteren Plattform für den anderen großen Teil der beteiligten Staaten – dies sei Pillar 2. So habe man seit der letzten Stellungnahme des Inclusive Framework on BEPS vom 8. Oktober 2021 zwei Säulen.
B. Pillar 1 Im Folgenden gab der Vortragende zunächst einen Überblick über die erste Säule des OECD-Projekts. Pillar 1 befasse sich mit der Neuallokation von Besteuerungsrechten. Es gehe nicht um die Frage, wie hoch besteuert werde, sondern um diejenige, wer was besteuere. Hier werde aufgrund der zunehmenden Digitalisierung ein vollkommen neues Steuerrecht neben Art. 7 und Art. 9 OECD-MA geschaffen. Aus den Doppelbesteuerungsabkommen folge ausschließlich eine Verteilung von Besteuerungsrechten. Pillar 1 hingegen biete mit dem zu verteilenden Amount A mehr – quasi ein „Rundumsorglospaket“. Man bekomme neben einem Besteuerungsrecht auch einen Betrag mitgeliefert. Dies besitze eine andere Qualität als diejenige, die ein Doppelbesteuerungsabkommen biete, welches vielleicht nur Schrankenwirkung entfalte. Jedoch sei der Anwendungsbereich der ersten Säule beschränkt. Pillar 1 betreffe multinationale Unternehmen mit einem Umsatz von mehr als 20 Milliarden Euro konzernweit. Dies sei bereits ein hohes Niveau, welches einige Unternehmen aussiebe. Hinzu komme, dass die Unternehmen auf Konzernebene eine Profitabilität von 10 Prozent ausweisen müssten, was weitere Unternehmen aus dem Anwendungsbereich herausnehme. Ob dies als „Glück“ oder „Unglück“ zu sehen sei, liege im Auge des Betrachters. Möglicherweise seien deswegen nicht viele deutsche Unternehmen von Pillar 1 erfasst. Daneben gebe es auch sektorspezifische Ausnahmen. Dies betreffe insbesondere die Rohstoffindustrie
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und die regulierten Finanzdienstleistungen. Für bestimmte Einzelfälle werde auch bei den Kennzahlen eine Segmentierung vorgenommen. Ein Novum sei in diesem Rahmen insofern zu verzeichnen, als man sich auf eine einheitliche Bemessungsgrundlage geeinigt habe. Es gebe zwar keine gemeinsame, zumindest aber eine anerkannte Bemessungsgrundlage, auf deren Basis eine weltweit einheitliche Berechnung erfolge, und zwar auf der Grundlage der Konzernrechnungslegung (IFRS). Die weitere Diskussion werde zeigen, ob daneben noch weitere Standards als adäquat angesehen würden. Hierauf wolle der Vortragende jedoch erst im Zusammenhang mit der zweiten Säule näher eingehen. Eine geringfügige Anpassung folge möglicherweise bei den Steuerbeträgen. Wichtig sei, dass Verlustvorträge berücksichtigt würden. Trotz der einfach klingenden Konstruktion einer anerkannten Bemessungsgrundlage auf Basis handelsrechtlicher Ergebnisse unter Berücksichtigung von Verlustvorträgen werfe die Thematik diverse Folgefragen auf. So sei unter anderen bereits das Stichwort Umstrukturierungen im Unternehmen gefallen. Diese müssten im betreffenden Zusammenhang ebenfalls abgebildet werden. Der Vortragende wies eigens darauf hin, an dieser Stelle bewusst an der Oberfläche zu verbleiben, weil es insoweit noch nicht viele fixe Punkte gebe, derzeit vielmehr noch eine aktive Bearbeitung erfolge. Die entscheidende Frage sei aber, an welchem Ort ein Gewinn, wenn es einen solchen denn zu verteilen gebe, zu allokieren sei. Zum ersten Mal werde hier ein umsatzbasierter Nexus etabliert. Dafür sei ein Schwellenwert von einer Million Euro ins Auge gefasst. Würden in einem Staat eine Million Euro Umsatz erwirtschaftet, begründe sich darin ein Nexus – es gebe keine Betriebsstätte in diesem Staat, sondern einfach nur Konsumenten. Für Staaten mit geringerem BIP, nämlich unter 40 Milliarden Euro, könne die Umsatzgrenze nach unten angepasst werden. Derzeit sei sie wohl bei 250.000 Euro fixiert. Die Anpassung könne unter anderem auch zwei EU-Staaten betreffen. In der Sache gehe es aus einem konsumorientierten Blickwinkel darum, wo die Umsätze erzielt würden. Am Konsumenten könne man sich durchaus orientieren, doch müssten in dieser Hinsicht sehr umfangreich noch Regelungen erarbeitet werden. Den wichtigen Merkposten in diesem Zusammenhang bilde der Umstand, dass ein in der Sache begründeter Nexus eigentlich nicht existiere, sehr wahrscheinlich auch nicht im Zusammenhang mit Pillar 2. Ein solcher Nexus habe bislang nicht implementiert werden können. Denkbar erschiene eine fiktive Betriebsstätte, bei welcher sich die Gewinne
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allokieren ließen; sehe man von dieser Möglichkeit ab, verblieben die Gewinne im Stammhausstaat. Wollte man nun jedoch einen Nexus in der Überschreitung bestimmter Größenschwellen erkennen, so ließe sich etwa an einer Profitabilität von 10 Prozent ansetzen und ein Residualgewinn von 25 Prozent zuordnen. Der Vortragende gab zugleich zu bedenken, dass sich hierbei besondere Fragen stellten, etwa diejenige, welche Folgen es nach sich ziehe, wenn bereits eine steuerliche Präsenz „im alten Sinne“, beispielsweise in Form einer Tochtergesellschaft oder einer Betriebsstätte, vorliege. In dieser Hinsicht fragte der Vortragende weiter, ob dies bedeute, dass die Residualgewinne doppelt zugeordnet werden müssten. Diskutiert würden in nämlichem Zusammenhang sog. „Marketing and Distribution Profits Safe Harbours“. So solle eine Doppelallokation vermieden werden. Seien die Gewinne formelmäßig an einen Marktstaat verteilt worden, in welchem die Schwellenwerte überschritten seien und dementsprechend ein Nexus begründet sei, so könne dieser Marktstaat besteuern. Der Stammhausstaat müsse sodann die Doppelbesteuerung vermeiden. Daran anknüpfend stelle sich die Frage, wie der Stammhausstaat dies zu bewerkstelligen habe – im Wege der Anrechnungs- oder der Freistellungsmethode. Im Falle der Wahl der Anrechnungsmethode sei zu bedenken, dass es keinen Nexus im Zusammenhang mit Pillar 2 gebe. Seien niedrige Steuersätze zu verzeichnen, ließe sich zumindest die Steuerarbitrage verändern. Daneben müsse an die Gewerbesteuer gedacht und gefragt werden, ob eine Anrechnung auf diese erfolgen solle und – bejahendenfalls – wie sie durchzuführen sei. Fragen stellten sich zudem mit Blick auf die in § 34c EStG vorgesehene „Per Country Limitation“. Außerdem stehe eine handelsrechtliche Bemessungsgrundlage in Rede, während es einen steuerlichen Gewinn zuzuordnen gelte. In diesem Kontext müsse manches überdacht werden. So wäre beispielsweise zu überlegen, ob eine Überanrechnung bei der Körperschaftsteuer vorgesehen werden sollte. Die weitere Diskussion dieser Aspekte setzte jedoch voraus, dass mehr Klarheit in Bezug auf Pillar 1 gewonnen werde. Daneben solle ein robuster Streitbeilegungsmechanismus implementiert werden. Überdies werde es einen Amount B geben, nämlich eine Standard-Routinevergütung für Marketing- und Vertriebsaktivitäten. Diese sei unabhängig von jeglichen Schwellen und bilde mehr oder weniger ein Element der Verhandlungsmasse im Zusammenhang mit Pillar 1.
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Das Vorstehende solle bis Mitte des Jahres 2022 in eine multilaterale Vereinbarung münden und am 1. Januar 2023 in Kraft treten. Hiermit verbinde sich allerdings noch sehr viel Arbeit, weshalb sich die Kolleginnen und Kollegen bei der OECD und im BMF weiterhin intensiv mit der Angelegenheit befassten.
C. Pillar 2 Im weiteren Verlauf ging der Vortragende sodann auf die zweite Säule des OECD-Projekts ein. Bezüglich Pillar 2 gebe es bereits mehr Klarheit über die damit einhergehenden Instrumentarien. Seit Oktober 2020 existiere – wie auch zu Pillar 1 – ein Blueprint, welcher vier Maßnahmen vorsehe. Dies seien erstens die „Income Inclusion Rule“, also eine modifizierte Hinzurechnungsbesteuerung, zweitens eine „Undertaxed Payments Rule“, also ein „Backstop“, der die Staaten, die eine „Income Inclusion Rule“ einführten, vor einer Umkehrung schützen solle, drittens eine „Switch Over Rule“, bei der es sich um einen Methodenwechsel handele, wie er aus § 20 Abs. 2 AStG bekannt sei, sowie viertens eine „Substitute Tax Rule“, also eine Quellenbesteuerung, wie sie vielleicht aus § 10 StAbwG in einer ersten Form geläufig sei. Die „Income Inclusion Rule“ und die „Undertaxed Payments Rule“ seien dabei zu den sog. GloBE Rules zusammengefasst worden, in denen die „Switch Over Rule“ aufgegangen sei. Die „Substitute Tax Rule“ bilde einen Zusatz, der ein abkommensrechtliches Quellenbesteuerungsrecht für niedrigbesteuerte Zahlungen vorsehe. Zusammengefasst erwiesen sich die Instrumentarien als relativ einfach. Es gebe eine Hinzurechnungsbesteuerung, bei welcher besteuert werde, soweit eine Niedrigbesteuerung vorliege – „Income Inclusion Rule“. Bei der „Undertaxed Payments Rule“ liege die Sache ähnlich. Wichtig sei nur der Unterschied zur „Substitute Tax Rule“. Während die GloBE Rules bei Effektivsteuersätzen ansetzten, setze die „Substitute Tax Rule“, die einen Schwellenwert von 9 Prozent kenne, bei Nominalsteuersätzen an. Die 9 Prozent seien bewusst gewählt, weil es schwierig werde, ein Land in der EU mit einem Nominalsteuersatz von weniger als 9 Prozent zu finden – wenn man von bestimmten Präferenzregimen absehe. Die Stellungnahme des Inclusive Framework on BEPS vom 8. Oktober 2021 habe vorgesehen, bis Ende November dieses Jahres die Model Rules zu entwickeln. Diese seien bei der OECD abgeschlossen und nun zur Genehmigung dem Inclusive Framework on BEPS übersandt worden.
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Damit sei das Folgende zum Ausdruck gebracht: Für die Umsetzung der GloBE Rules werde es eine Musterregelung ähnlich dem bekannten OECD-Musterabkommen für die Doppelbesteuerungsabkommen geben, in welcher Steuersubjekt, Steuerobjekt, Steuerbemessungsgrundlage und Steuertarif definiert würden. Darin liege bereits eine große Leistung, weil hier auf eine weltweit einheitliche bzw. weitgehend einheitliche Steuerbemessungsgrundlage zurückgegriffen werden könne. In der Musterregelung gebe es auch ein Kapitel für Umstrukturierungen und Holdingstrukturen. Zwar könnten nicht alle Fragen der Umstrukturierung in der Regelung erfasst werden, die wichtigsten seien jedoch als Leitfaden aufgeworfen worden. Daneben existierten auch Regelungen zur Administration. Sie gingen unter anderem auf die Fragen ein, wer für die Regelung der „Top Up Tax“ und für Übergangsregelungen zuständig sei und wie eine Aufnahme in das System erfolge, wenn Unternehmen die Schwellenwerte überschritten. Regelungen zur GILTI-Tax-Koexistenz2 seien bislang noch nicht erarbeitet worden. Die entsprechenden Arbeiten hierzu sollten aber zeitnah im Februar 2022 aufgenommen werden, und zwar nicht zuletzt deshalb, weil hieran auch in Amerika aktuell noch gearbeitet werde. Pillar 2 solle mittels einer EU-Richtlinie umgesetzt werden, welche wohl zeitnah erscheinen werde – vielleicht noch um die Weihnachtszeit. Möglicherweise erscheine zu dieser Zeit auch die Musterregelung oder der zugehörige Kommentar. Es sei ja schließlich eine alte, von Prof. Runge begründete Tradition, dass zum 24. Dezember immer BMF-Schreiben veröffentlicht würden. Und Traditionen müsse man pflegen. Schlussendlich solle Pillar 2 im Jahre 2023 in Kraft treten, wobei eine Verspätung bei der „Undertaxed Payments Rule“ eintrete, welche erst im Jahre 2024 in Kraft treten werde. Im Anschluss an diesen Überblick warf der Vortragende die Frage nach dem persönlichen Anwendungsbereich auf. Es sei bekannt, dass Steuersubjekt, Steuerobjekt, Steuerbemessungsgrundlage und Steuertarif hier anders beschaffen seien als bei einem Unternehmen mit 40 Millionen Euro Umsatz, stünden vorliegend doch Unternehmen mit mehr als 750 Millionen Euro Umsatz in Rede. Deswegen sei bei Pillar 2 auch eine
2 GILTI ist die Abkürzung für „Global Intangible Low-Taxed Income“ und betrifft eine von den USA erhobene Steuer auf Gewinne ausländischer Unternehmen, die im Ausland einer niedrigen Besteuerung unterliegen.
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andere Steuerwirkung zu verzeichnen. Bei der Bestimmung der Umsatzgrenze habe man sich an BEPS-Aktionspunkt 13 angelehnt. Weiter frage sich, wie man mit Konzernstrukturen, insbesondere Vertragskonzernen und Mehrmütter-Konzernen, umgehe. Möglicherweise könne man sich dazu entschließen, sie als eine Gruppe zu behandeln, wenn sich mehrere Mütter zu einem Konzern zusammenschlössen. Das rufe Erinnerungen an die im Jahre 2001 etablierte steuerliche Mehrmütterorganschaft hervor. Es sei aber abzuwarten, ob entsprechende Regelungen vorgenommen würden. Wie in jedem Steuergesetz gebe es auch persönliche Steuerbefreiungen, was zum Ausschluss einiger Gesellschaften führe. Das betreffe insbesondere Pensions- und Investmentfonds, sofern sie an der Spitze des Konzerns stünden. Möglich erscheine jedoch auch, die „Income Inclusion Rule“ im jeweiligen Staat auf beheimatete Konzerne unterhalb der Schwelle von 750 Millionen Euro anzuwenden. Dies sei eine Frage der lokalen Steuerhoheit der jeweiligen Staaten. Ihnen obliege die Entscheidung, ob sie die „Income Inclusion Rule“ oder vorzugsweise das Außensteuerrecht anwenden wollten. Das bestehende deutsche Außensteuergesetz erweiterte diesen Kreis noch, weil seine Regelungen Vorrang vor der „Income Inclusion Rule“ hätten. Das Problem bestehe nun darin, wie man die Bemessungsgrundlage zur Anwendung der GloBE Rules ermittele. Von Vorteil wäre, wenn einfach deutsches Steuerrecht zur Anwendung käme, wie es auch § 10 Abs. 3 AStG bestimme. Die Ermittlung der Bemessungsgrundlage nach deutschen einkommensteuerrechtlichen Vorschriften stieße bei den beteiligten 140 Staaten aber wohl nicht auf große Begeisterung. Vielmehr habe man sich entschlossen, auf handelsrechtliche Werte zurückzugreifen. Ausgangspunkt sei IFRS, genauer: die Einzelbilanz der Gesellschaft auf Basis des Rechnungslegungsstandards der obersten Muttergesellschaft vor Konsolidierungsänderungen. Das wäre dann wahrscheinlich die Handelsbilanz II, der auch noch eine Handelsbilanz III und eine Handelsbilanz IV folgen könnten. Darin bestehe zumindest aber der Ausgangspunkt. Die auf diesem Wege ermittelte Bemessungsgrundlage müsse eben noch angepasst werden. Bis auf wenige Ausnahmen seien diese Anpassungen aber in vielen Ländern gleich. So seien beispielsweise Strafen hinzuzurechnen, was bereits aus lenkungspolitischen Gründen folge. Es gebe allerdings auch noch andere Punkte, etwa die Herausrechnung von Dividenden. Insoweit bilde die Schachteldividende des § 8b KStG gar kein
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Thema. Neu sei aber, dass auch Portfoliodividenden herausgerechnet würden, wenn ihnen eine Haltedauer von mindestens einem Jahr zugrunde liege. Bei Veräußerungsgewinnen werde natürlich verlangt, eine gewisse Symmetrie zu wahren. Rechne man Schachteldividenden heraus, müssten entsprechend auch Beteiligungsveräußerungsgewinne und -verluste herausgerechnet werden. Portfoliobeteiligungen blieben allerdings, wenn ihnen eine Haltedauer von weniger als einem Jahr zugrunde liege, weiterhin steuerpflichtig. Auf diesem Wege entstehe keine Asymmetrie, wie sie § 8b Abs. 4 KStG auszeichne, wonach Dividenden steuerpflichtig und Veräußerungsgewinne steuerfrei seien. Es werde sich zeigen, wie der Gesetzgeber hiermit umgehe, ob er aus diesem Anlass heraus vielleicht sogar die Grenze des § 8b Abs. 4 KStG symmetrisch ausgestalten werde. Daneben seien Anpassungen für aktienbasierte Vergütungsinstrumente, also Stock Options, zu verzeichnen. Dies sei zwar ein heikles, aber durchaus wichtiges Thema. Anders als in § 8 Abs. 2 AStG gehe mit den GloBE Rules kein Motivtest einher. Einziger Auslöser sei vielmehr die Niedrigbesteuerung. Dabei handele es sich um einen Punkt, der viel diskutiert worden sei. In dem Resultat sei kein Merkmal motiversetzenden Charakters, sondern lediglich eine Berechnungsgrundlage zu erkennen. Es werde schlichtweg eine bestimmte Substanzausnahme vorgesehen. Maßgebend für immaterielle Vermögenswerte – „Intangible Assets“ – seien hier die Buchwerte. Sei der Ausgangspunkt noch die Handelsbilanz II der Einzelgesellschaft gewesen, seien für die Konzernbilanz nun die Buchwerte maßgebend. Das bedeute: Ungeachtet des Umstandes, ob ein Asset Deal oder ein Share Deal vorliege, seien die Substanzausnahmen auf der Basis der Buchwerte zu berechnen, wie sie im Abschluss der obersten Muttergesellschaft zu finden seien. Die Berechnung der effektiven Steuerbelastung gestalte sich sodann recht einfach. Sie könne als Dreisatz aufgefasst werden. Der Steuersatz sei mit 15 Prozent festgelegt. Alles, was unter diesem Wert bleibe, sei niedrigbesteuert. Die Berechnung erfolge hierbei länderbezogen im Sinne eines „Jurisdictional Blending“. Es existierten allerdings bestimmte Ausnahmen für minderheitenbeherrschte Konzerneinheiten. Diese würden im Rahmen der GloBE Rules gesondert verrechnet. Das Prinzip könne man sich angelehnt an das alte Körperschaftsteueranrechnungssystem mit dem EK 30 oder dem EK 45 vorstellen. Die Beteiligung des Konzerns sei in diesem Fall einfach zu klein.
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Greife man allerdings auf ein „Jurisdictional Blending“ zurück, müssten die Steuern zunächst einmal allokiert werden. Das bedeute nichts anderes als die Vornahme einer Hinzurechnungsbesteuerung. Steuern aus Deutschland müssten dorthin allokiert werden, wo sie gezahlt worden seien. Dies sei geregelt, und zwar mit bestimmten Begrenzungen. Erhalte man eine Dividende einer Konzerntochtergesellschaft, auf welcher eine Quellensteuer liege, so werde diese Quellensteuer der Tochtergesellschaft mehr oder weniger zugerechnet. Sie komme demnach nicht bei der obersten Muttergesellschaft an. Allokiere man auf diese Weise im Rahmen des „Jurisdictional Blending“, so werde auf ein Freistellungssystem umgestellt, was der Bundesrepublik Deutschland sehr entgegenkomme. Viele andere Länder nutzten bislang Anrechnungssysteme und bekämen damit Probleme. So stelle sich etwa die Frage, was zu unternehmen sei, wenn im Ausland eine Betriebsstätte einen Verlust erleide und dieser Verlust beim Stammhaus ankomme – dies verwässere die Bemessungsgrundlage des Stammhauses und damit die „Effective Tax Rate“. Denn nun betrage das Ergebnis auf einmal 0, während es nach den GloBE Rules eigentlich 100 betragen müsse, da der Verlust in Höhe von 100 eigentlich länderbezogen in der ausländischen Gesellschaft verbleibe. Hierfür seien Sonderregelungen vorgesehen, so dass in diesem Fall die Verluste nach oben gezogen würden. Daraus ergebe sich zwar das nächste Problem, wenn man an § 4k EStG denke, wenn also noch andere Konzerneinheiten vorlägen, die vor Ort vielleicht eine Verrechnung im Rahmen einer Organschaft vornähmen, dabei aber nur der Verlust der Betriebsstätte nach oben in das Stammhaus gezogen werde oder jener der anderen Gesellschaften – die Rede sei von dem sog. Dual Inclusion Income. Liege ein Dual Inclusion Income vor, müsse dieses ausgeschaltet werden; anderenfalls werde ein Land – möglicherweise die Bundesrepublik Deutschland –, das die Richtlinie auf nationaler Ebene umsetze, hier eine „Top Up Tax“ erheben, weil der Verlust nach oben gezogen worden sei. Dies bedeute, man spiele Schach auf zwei Ebenen, was sicherlich noch Diskussionen nach sich ziehen werde. Es gebe auch noch eine gute Nachricht, und zwar in Bezug auf die Frage, welche Steuern hier berücksichtigt würden. Dies seien natürlich immer die laufend gezahlten Steuern, woraus sich allerdings auch temporäre Differenzen ergäben. Das sei ein großes Streitthema gewesen, an dessen Ende man sich für einen Übergang auf latente Steuern entschieden habe. Allerdings gebe es kein latentes Besteuerungssystem „1 zu 1“. Vielmehr
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würden die latenten Steuern mit 15 Prozent bewertet, also mit dem Mindeststeuersatz. Grundsätzlich müssten sich die Steuerlatenzen innerhalb eines Zeitraums von fünf Jahren wieder ausgleichen. Glichen sie sich in diesem Zeitraum nicht aus, würden sie wieder hinzugerechnet. Bei Forschungs- und Entwicklungskosten sowie Sonderabschreibungen könnten die Steuerlatenzen allerdings unabhängig von jenen fünf Jahren Berücksichtigung finden. Dieser Aspekt sei allerdings zu komplex, um ihn in der Kürze der verbleibenden Zeit noch diskutieren zu können. Danach wies der Vortragende noch auf zwei Besonderheiten der Wirkungsweise der „Income Inclusion Rule“ und der „Undertaxed Payments Rule“ hin. Bei Pillar 1 werde ein „Steuerkuchen“ an alle Staaten verteilt, weshalb denn auch viele Staaten miteinander agieren müssten. Bei Pillar 2 hingegen gebe es das sog. Top-Down-Prinzip, welches im Grundsatz besage, dass immer derjenige Staat ein Erhebungsrecht nach der „Income Inclusion Rule“ besitze, der sich in der Beteiligungskette am höchsten befinde. Das solle die Anwendung der „Income Inclusion Rule“ oder der GloBE-Regelungen durch verschiedene Staaten zu reduzieren versuchen. Die Besteuerung geschehe im Wege einer „Top Up Tax“, was – anders als bei § 10 AStG – nicht zu einer Belastung mit Körperschaftsteuer zuzüglich Gewerbesteuer führe, sondern die Differenz zwischen Niedrigbesteuerung und 15 Prozent im Auge habe. Wie das ganze Projekt dann in der Bundesrepublik Deutschland umgesetzt werde, insbesondere ob ein oder zwei Systeme zur Anwendung gelangten, sei ein Punkt, welcher der Diskussion überlassen werden solle. Was noch interessant sei, sei die „Undertaxed Payments Rule“ sowie die mit ihr einhergehende Frage, was unter einem „Backstop“ verstanden werden könne. Ein „Backstop“ biete ein zweites Fangseil, worin ein Novum liege. Bislang habe man nur über Abzugsverbote für Betriebsausgaben nachgedacht. Nunmehr nehme man im Rahmen der GloBE Rules die „Income Inclusion Rule“ und drehe diese um, weil es beispielsweise im Konzern keine solche „Income Inclusion Rule“ gebe. Die unterste Tochtergesellschaft in Deutschland richte den Blick darauf, wo es niedrig besteuerte Gewinne im Konzern gebe. Und auf dieser Basis würden sodann die niedrig besteuerten Gewinne ermittelt und im Wege eines Schlüssels, also entkoppelt von Zahlungen, anhand von Substanzen, die sich im Zweifel aus der Bilanz ablesen ließen, verteilt. Für die Bewertung gelte: 50 Prozent – „Intangible Assets“, 50 Prozent – Anzahl der Mitarbeiter. Dabei handele es sich wiederum um Werte, die man den „Country by Country Reports“ entnehmen könne. Sodann finde eine Verteilung auf
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die entsprechenden Gesellschaften statt, die eine solche Substanz aufwiesen und eine qualifizierte „Undertaxed Payments Rule“ umgesetzt hätten. Wenn nur ein Land – beispielsweise die Bundesrepublik Deutschland – eine qualifizierte „Undertaxed Payments Rule“ eingeführt habe, sei die Frage zu stellen, ob dort 100 Prozent der niedrig besteuerten Gewinne eines Konzerns besteuert werden könnten. Diesen Fall sollte es zwar nicht geben, doch bedürfe es einer Antwort darauf, wie die Erhebung stattfinden würde. Die GloBE Rules sähen ein Wahlrecht vor: Entweder versage man einen Betriebsausgabenabzug in Höhe des „Top-Up’s“ – erhalte man einen bestimmten Betrag, müsse also umgerechnet werden, wie hoch die entsprechenden nicht abziehbaren Betriebsausgaben seien. Oder man nehme den bestimmten Betrag und wende einen um einen Absatz ergänzten § 23 KStG an. Zu einer Tarifbelastung von Null wegen des Verlustvortrags käme eine Zuschlagsteuer, zumal ein Körperschaftsteuererhöhungsbetrag nichts Unbekanntes sei, und auf diese Weise ergäbe sich ein „Top-Up“. Überdies sei noch kurz die Frage aufzuwerfen, wie alles dies bei Personengesellschaften funktioniere. Bei Personengesellschaften stelle sich das Problem, dass sie als hybride Rechtsträger selbst nicht besteuert würden. Nehme man einen Personengesellschaftskonzern, der Tochtergesellschaften im Sinne doppelstöckiger Personengesellschaften aufweise, werde es in dem Falle, dass eine oberste Muttergesellschaft in der Bundesrepublik Deutschland bestehe, so sein, dass man die Einkünfte aus dem GloBE-Regime herausnehme, wenn ersichtlich ist, dass die Einkünfte zukünftig mit dem Regelsatz besteuert würden. Ansonsten gebe es gewissermaßen zwei Systeme, nämlich einen geschlossenen Bereich mit Bemessungsgrundlage und Steuer, zu dem jemand hinzutrete, der außerhalb dieses Bereichs stehe – der Mitunternehmer –, woraufhin entweder die Steuern aller Mitunternehmer hineingebracht oder das Einkommen herausgebracht werden müssten. Um diese Friktionen zu vermeiden, gebe es zumindest für deutsche Personengesellschaften Sonderregelungen. Zum Abschluss äußerte sich der Vortragende noch kurz zum Unionsrecht. Wollte man die GloBE Rules in der EU umsetzen, müsste zunächst einmal über die „Income Inclusion Rule“ und die „Undertaxed Payments Rule“ nachgedacht werden. Denn eine „Substitute Tax Rule“ sei ein abkommensrechtliches Instrument, das sich nicht für eine Richtlinie anbiete. Würde eine solche „Substitute Tax Rule“ abkommensrechtlich vereinbart, müsse gleichwohl die Kapitalverkehrsfreiheit beachtet und ein
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Quellensteuerabzug unter Umständen nicht brutto, sondern netto vorgenommen werden. Diese Aspekte gelte es zu bedenken. Mit einer Richtlinie würde man sich wahrscheinlich wohlfühlen, wenn es darum gehe, den unionsrechtlichen Erfordernissen gerecht zu werden. Allerdings müsse auch hier gesehen werden, dass der EuGH noch offengelassen habe, ob man lediglich eine rein künstliche Missbrauchsbetrachtung vornehmen müsse oder in bestimmten Fällen vor dem Hintergrund des Rechtfertigungsgrundes der Wahrung einer ausgewogenen Aufteilung der Besteuerungsbefugnis eine Gesamtbetrachtung zulassen könne, bei welcher nicht nur im Einzelfall ein Motivtest zu erbringen wäre. Dass Pillar 2 möglicherweise einen Umschwung in der EuGH-Rechtsprechung auslösen könnte, sehe man an den jüngsten Schlussanträgen der Generalanwältin Kokott in einem portugiesischen Verfahren über Fondsbesteuerung.3 In diesem Verfahren habe Frau Kokott Pillar 2 als einen Vorgang angesehen, der zwingenden Gründen des Allgemeininteresses entspringe. Es gelte zu erkennen, dass hier ein Umschwung einsetze, wenn 137 Staaten sich dafür entschieden und es hier gewisse Grenzen bei der Steuerarbitrage gebe.
3 Gemeint sein dürften die Schlussanträge der Generalanwältin Kokott in der Rechtssache C–545/19 (Allianzgi-Fonds Aevn) vom 6. Mai 2021; siehe dort Rz. 96.
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Umsetzung des OECD-Projekts zur Besteuerung der digitalen Wirtschaft, insbesondere „Pillar Two“ Podiumsdiskussion Leitung Prof. Dr. Bert Kaminski Institut für Betriebswirtschaftliche Steuerlehre, Helmut-Schmidt- Universität/Universität der Bundeswehr Hamburg Teilnehmer Andreas Benecke, LL.M. Bundesministerium der Finanzen, Berlin
Dr. Peter Brandis Vorsitzender Richter am Bundesfinanzhof, München
MinDirig Martin Kreienbaum Bundesministerium der Finanzen, Berlin
Oliver Nußbaum Global Head of Tax, BASF SE, Ludwigshafen
Kerstin Schulz, M.I.Tax Global Head of Tax and Customs, Beiersdorf AG Hamburg
Prof. Dr. Kaminski Herr Benecke, vielen Dank für Ihren Vortrag. Ich habe zunächst eine Verständnisfrage: Bezieht sich die Evaluierung „nur“ auf die Größenklasse oder auch auf die Säule I insgesamt? Benecke Nur auf die Größenklasse, glaube ich. Wenn man sieht, dass das System funktioniert, dass man dann nach sieben Jahren runtergeht. Prof. Dr. Kaminski Das ist genau das, was ja in anderen Bereichen auch passiert: Der Gesetzgeber schafft zunächst Regelungen für die „ganz Großen“, und dann werden die Grenzen Stück für Stück sequenziell nach unten abgesenkt. Ist das hier auch zu erwarten?
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Kreienbaum Das ist ja noch nicht Teil der Vereinbarung. Die Vereinbarung ist, das zu überprüfen, ob man das will. Prof. Dr. Kaminski Herr Kreienbaum hat gesagt, es ist NOCH nicht Teil der Vereinbarung. Das bitte ich ins Protokoll im Tagungsband aufzunehmen! Kreienbaum Das schließt nicht aus, dass es noch Teil einer Vereinbarung werden wird. Prof. Dr. Kaminski Das habe ich auch so verstanden. Da sind wir uns, zumindest in dem Punkt, einig. Ich würde gern einen Punkt aufgreifen und die beiden Vertreter aus der Wirtschaft hierzu fragen: Wir haben gerade gehört, Sie bekommen ein „Rundum-Sorglos-Paket“. Ist das nicht toll? Sie müssten doch eigentlich vor Begeisterung jubeln. Jubeln Sie mal los! Schulz Sie zuerst! Prof. Dr. Kaminski Also ich merke, so richtige Begeisterung scheint mir da nicht aufzukommen! Nußbaum Herr Professor Kaminski, Sie hatten eingangs gesagt, der Teufel liegt im Detail. Ich würde sagen, bei Pillar II oder auch Pillar I liegt der Teufel nicht nur im Detail, sondern überall. Nicht nur viele der auf der Folie gezeigten Punkte sind kritisch, sondern auch das Gesamtbild von Pillar I und Pillar II. Zunächst zu Pillar I. Pillar I hat ja die drei Komponenten: Amount A, Amount B und Tax Certainty. Nicht alles an Pillar I ist schlecht, insbesondere Amount B und Tax Certainty sind, glaube ich, zwei positive Elemente, die man auch positiv herausstellen muss. Gelingt es wirklich, Amount B umzusetzen,
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dann gewinnen Steuerpflichtige für viele Transaktionen Rechtssicherheit, zumindest dann, wenn sich Unternehmen an die dort festgelegten Beträge halten. Viele Diskussionen ließen sich in der Zukunft vermeiden, zumindest wenn es um die Aufteilung von Gewinnen in Vertriebsländer geht. Ich glaube, das wäre ein positiver Aspekt, den man herausstellen kann, genauso wie Tax Certainty. Ich glaube, das ist es auch, was Wirtschaft im internationalen Handel braucht, nämlich Rechtssicherheit. Daher sind Amount B und Tax Certainty zwei sehr positive Punkte in der Pillar-I-Diskussion. Nimmt man dagegen Amount A, dann kann man sich über die Sinnhaftigkeit einer formelmäßigen Aufteilung von Gewinnen in Marktstaaten dogmatisch streiten, aber zumindest ist die Vorgehensweise dadurch deutlich einfacher geworden, und die ursprünglich vorgesehene Segmentierung ist nicht mehr durchzuführen. Nicht einfacher geworden – und Andreas Benecke hat das gezeigt – ist dagegen die Bestimmung des Nexus. Wenn man die Regelungen liest, dann hört sich die Bestimmung des Nexus zunächst sehr einfach an. Unternehmen sollten wissen, in welches Land sie entweder Waren geliefert haben oder an wen man eine Rechnung geschickt hat. Der Punkt hier ist aber, dass Nexus nicht dort definiert wird, wo eine Firma hin liefert oder der Empfänger der Rechnung sitzt, sondern da, wo die Consumer dieser Produkte sind. BASF wird voraussichtlich nicht unter Pillar I fallen, weil wir die Profitabilitätsgrenzen derzeit leider nicht erreichen. Aber wer wäre denn Consumer von BASF-Produkten? Das sind nicht unsere unmittelbaren Abnehmer. Nehmen wir mal an, wir verkaufen Vorprodukte, die in die Schuhproduktion nach China gehen. China stellt daraus Schuhe her für, ich nehme mal Adidas, Puma, Nike, wer auch immer. Die verkaufen ihre Schuhe dann auch wieder in andere Märkte. Das heißt, BASF müsste den Nexus im Sinne von Pillar I da festlegen und suchen, wo Adidas, Nike, Puma und andere Abnehmer ihre eigenen Kunden haben, was für BASF nicht möglich ist festzustellen. Gleiches gilt auch für vorgelagerte Unternehmen z.B. im IT-Bereich, die BASF IT-Systeme zur Verfügung stellen und selbst bei Profitabilitätsgrenzen nach Pillar I überschreiten – auch die müssten sich dann Gedanken machen, wo ihre Kunden entlang der Wertschöpfungskette der BASF und ihrer Kunden wären. Diese Wertschöpfungskette zu ermitteln ist, glaube ich, ein schwieriger Teil. Das kann eigentlich nur nach volkswirtschaftlichen Kriterien erfolgen. Wenn man kein Unternehmen ist, das am Ende
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der Wertschöpfung steht, wird es für die vorgelagerten Unternehmen fast unmöglich, den Nexus verlässlich zu bestimmen. Bzgl. Tax Certainty im Hinblick auf die Frage der korrespondierenden Freistellung zu Amount A stört mich, dass Amount A zwar eine isoliert ermittelte Zahl sein wird, die man anschließend nach einer Formel auf die Marktstaaten verteilt. Bei der korrespondierenden Freistellung löst man sich aber davon wieder und integriert den freizustellenden Betrag in bestehende nationale Steuersysteme. Andreas Benecke hat das ja eingangs auch gesagt. Es bleibt letztlich vielleicht gar keine Möglichkeit, Steuern anzurechnen oder wirksam freizustellen, weil ich keinen entsprechenden Gewinn nach nationalen Regeln zu versteuern habe. Zum Beispiel kann der IFRS Gruppenabschluss nicht-realisierte Gewinn beinhalten, die dann unter den Regeln zu Amount A zu verteilen sind, die aber in der lokalen steuerlichen Welt gar nicht aufgedeckt sind, und damit entfällt auch die Anrechnung mangels zugrundeliegender nationaler Gewinne. Im Ergebnis führt das Regelwerk unter Amount A im Default daher zu einer Doppelbesteuerung. Dies wird bewusst in Kauf genommen. Prof. Dr. Kaminski Konsumgüter sind ja auch für Beiersdorf ein großes Thema. Wie sehen Sie das, Frau Schulz? Wahrscheinlich ist das für Sie doch noch ein viel größeres Problem, oder? Schulz Tatsächlich fallen wir auch aufgrund der Umsatzgrenzen – leider, muss man dann vielleicht an der Stelle sagen – nicht in Pillar I, weil ich glaube, 20 Milliarden Umsatz – den würden wir gern machen. Dieses Verteilungs- und Endkundenthema hätten wir in dem Fall nicht. Wir arbeiten hauptsächlich mit Tochtergesellschaften und sind heute schon in unserem Transferpreissystem so ausgerichtet – das kommt ja dann nochmal on top, das zu prüfen, was wir heute haben, plus das, was an Neuallokationen hinzukäme und was wir tatsächlich an Endkunden verkaufen. In ganz wenigen Ländern sind wir tatsächlich ohne Repräsentanz unterwegs und sind heute schon in der Aufteilung zwischen dem Stammhaus – unser IP sitzt in Deutschland und in einem weiteren Land, insofern auch nicht verteilt über die Welt. Wir haben uns dies natürlich angeschaut, sind jetzt im ersten Schritt erstmal ganz froh, nicht betroffen zu sein und einmal zu schauen, wie die Ausgestaltung an der Stelle erfolgt.
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Nichtsdestotrotz vielleicht auch noch einmal die grundsätzliche Thematik auch der Abstimmung mit den Umsatzklassen: Man implementiert quasi unterschiedliche Regelungen für unterschiedliche Umsatzklassen und unterschiedliche Unternehmen und entlässt die Unternehmen dann auch nicht, wenn sie in solche Klassen reinfallen, aus den sonstigen Regelungen. Und da stellt sich für mich schon auch die Frage, welchen Nutzen dies dann zusätzlich für die einzelnen Staaten bringt. Prof. Dr. Kaminski Frau Schumann, Sie wollten sich gern äußern. Schumann Ich bin von der Deutschen Bank, und ich hätte zwei oder zwei bis drei Fragen zur Säule I, die du auch schon aufgegriffen hattest, die auch auf den Folien zu sehen waren, zu denen ich aber noch keine offiziellen Verlautbarungen gesehen habe. Deswegen würde ich gerne nochmal nachfragen. Erste Frage: Ist das schon gesetzt, dass regulierte Finanzdienstleistungsbetriebe, wozu ja die Deutsche Bank wahrscheinlich auch gehören würde, aus der Säule I auszunehmen sind? Denn das wurde diskutiert, aber wir waren uns immer nicht sicher, ist das schon verabredet, oder steht das noch zur Disposition. Und wenn sie auszunehmen wären, was ist dann mit dem Amount B, also Marketing and Distribution Services? Da würden die wahrscheinlich, würde ich annehmen, auch rausfallen. Zweite Frage: Das Thema Verlustvortrag. Das geisterte ja eine Zeitlang auch durch die Literatur, dass möglicherweise Verlustvorträge verloren gehen würden. Ich habe nie so ganz verstanden, auf welcher Basis. Das scheint jetzt aber auch raus zu sein, vielleicht auch nicht. Also da gerne nochmal ein bisschen Klarheit schaffen. Benecke Also vielleicht zu dem ersten Punkt: Das ist ja festgelegt im Inclusive Framework Statement, und das sind ja Leitplanken. Das sind Entscheidungen der Inclusive Framework Staaten, an die man sich halten wird. Also ist da die Frage nicht mehr das Ob, sondern das Wie. Also kommt’s auf die Detailsachen sicherlich an. Bei Amount B hätte ich die Finanzdienstleister drin gesehen, denn der soll ja eigentlich für alle Unternehmen gelten. Allerdings wird man da sicherlich auch nochmal im Detail schauen, wieweit man da wirklich Standardroutinevergütungen festlegen kann. Das sind wahrscheinlich
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Folgefragen. Und das Thema zeitliche Limitierung von Verlusten hätte ich eher bei der Frage der Säule II verortet, denn die Säule II kennt ja, das habe ich leider nicht ausgeführt, auch so etwas wie einen unbegrenzten Verlustvortrag. Nur, hier wird der Verlustvortrag über Deferred Tax Assets abgebildet. Da gab es eine Zeit lang eine Diskussion, ob man sieben Jahre zurückgeht oder ob man noch die Verluste der Finanzkrise erfasst – also jetzt gerade sektorspezifisch gedacht. Aber das Thema braucht man jetzt nach unserer Auffassung nicht mehr, weil das über das Deferred Tax Accounting abgedeckt wird. Allerdings dann nur zum Mindeststeuersatz von 15 %. Prof. Dr. Kaminski Herr Kreienbaum, möchten Sie? Kreienbaum Ja, vielleicht zur Sorge, die Herr Nußbaum äußerte, dass Anrechnungsvolumina im Nirvana verschwinden könnten. Zum besseren Verständnis muss man sehen, dass wir zum einen nur einen Teil, nämlich 25 % der sogenannten Übergewinne, also der Profitabilität im Konzern, die 10 % Umsatzrendite übersteigt, neu allokieren. Dadurch ist schon mal gewährleistet, dass im Konzern eine hohe Profitabilität vorhanden ist und der weitaus größte Teil davon noch in den Staaten verbleibt, wo sie heute nach den bestehenden Regeln sind. Potentielles Anrechnungsvolumen ist jedenfalls im Konzern ausreichend vorhanden. Der zweite Punkt ist die Frage, ob es auch dort vorhanden sein wird, wo die Doppelbesteuerung vermieden werden soll. Oder anders gefragt: Wo bricht man denn dann das Besteuerungsrecht wieder raus? Und diese Frage haben wir bisher noch nicht im Detail beantwortet. Wenn man der Logik der Säule I folgen will, liegt es sehr nahe, die Besteuerungsrechte bei den hochprofitablen Konzerneinheiten bzw. in den Ländern, in denen diese hochprofitablen Einheiten sitzen, rauszubrechen. Solange dort die Doppelbesteuerung vermieden werden soll, habe ich keine Sorge, dass da Anrechnungsüberhänge verbleiben. Prof. Dr. Kaminski Das würde aber – zumindest nach meinem Verständnis –, wenn ich das so auf mich wirken lasse, bedeuten, dass es dann zwingend eine Anrechnung auf die Gewerbesteuer geben muss. Sonst können Sie doch unver-
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ändert Anrechnungsüberhänge haben. Und wir haben ja gehört, dass es Fälle gibt, wo die Ergebnisse nach Steuerrecht und IFRS voneinander abweichen. Und wenn Sie sich das ansehen, kein Geheimnis – das wissen Sie besser als ich –, es gibt viele Gemeinden, wo inzwischen die gewerbesteuerlichen Hebesätze so hoch sind, dass die Gewerbesteuer die höhere Unternehmensteuer ist. Also müsste doch konsequenterweise gesagt werden, dass auch eine Anrechnung auf die Gewerbesteuer zu erfolgen hat. Kreienbaum Ich sehe ein Fragezeichen. Benecke Genau. Das wird man diskutieren. Was man machen könnte, weil natürlich eine Anrechnung auf die Gewerbesteuer immer so ein schwieriges Diskussionsthema ist, wenn das Besteuerungsrecht bei den hochprofitablen Unternehmen rausgebrochen wird, die möglicherweise ja dann selbst auch in den Fokus einer nationalen IIR oder anderer nationaler Mindeststeuern kommen, so dass ein gewisses Mindestsubstrat an Körperschaftsteuer immer gegeben ist. Hier könnte man sich überlegen, ob auf die Körperschaft-steuer angerechnet wird, ohne eine Verhältnisrechnung zur Bestimmung des Anrechnungsvolumens entsprechend § 26 KStG bzw. § 34c EStG zu machen. Solange ausreichend Körperschaftsteuer da ist, rechnen Sie an. Das wäre eine Möglichkeit, um ein Überschwappen auf die Gewerbesteuer zu verhindern. Das ist neu, aber es ist eine Möglichkeit. Prof. Dr. Kaminski Ehrlich gesagt, seien Sie mir bitte nicht böse – ich tue mich ein bisschen schwer. Da hat man sich hingesetzt – ich habe das im Rahmen der letztjährigen Tagung hier schon gesagt –, und es ist beeindruckend, was da aus dem Boden gestampft wurde und wie stark die Einigungsprozesse sind. Ob die Ergebnisse einem gefallen oder nicht ist ein ganz anderes Thema, aber wenn dann gesagt wird, dass ausgerechnet bei der deutschen Gewerbesteuer Schluss sein soll mit der Einheitlichkeit und der Vermeidung der Doppelbesteuerung, dann fällt es mir schwer, das zu akzeptieren, das muss ich ehrlicherweise sagen.
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Aber ich will das nicht vertiefen. Ich würde zunächst Herrn Falk das Wort erteilen und würde dann auch gleich Herrn Brandis nochmal eine Frage stellen: Ich tue mich nämlich mit dem IFRS ein bisschen schwer. Aber bitte schön! Falk1 Schönen Dank. Mein Name ist Falk vom Hessischen Ministerium der Finanzen. Ich habe immer den Eindruck, da haben sich 140 Staaten zusammengesetzt und jeder ist der Meinung, er gewinnt bei der ganzen Sache. Das kam auch eben zum Ausdruck. Man hat sich sehr wenig Gedanken darüber gemacht, wem man eigentlich die Besteuerungsrechte wegnimmt. Und diese Frage ist meines Erachtens in dem ganzen System nach wie vor offen. Man muss da immer bedenken, der Kuchen bleibt gleich groß, und wenn einer ein größeres Stück bekommt, dann muss zwangsläufig einer ein kleineres Stück bekommen. Und diese Frage, wer das ist, darüber hat sich, glaube ich, keiner richtig Gedanken gemacht. Das finde ich schon mal das Gefährliche, wenn man so ein System einführt. Was mich auch immer gewundert hat in der ganzen Debatte ist, eigentlich, ich sag’s mal so, die Sprachlosigkeit der deutschen Industrie in gewisser Weise. Die kam auch hier wieder zum Ausdruck, indem man sagt: „Wir sind ja nicht betroffen.“ Ich halte das für eine sehr gefährliche Aussage. Hier wird die Neuverteilung der Besteuerungsrechte fundamentiert. Und die Grenzen, die wir haben, nachdem man den Anwendungsbereich ausgeweitet hat auf alle Unternehmen – wir haben nur noch zwei Grenzen, das eine ist die Umsatzgrenze und das zweite ist die Rentabilitätsgrenze. Und die sind sehr schnell abzusenken. Und dann haben wir sehr viele Unternehmen auch in Deutschland, die sehr schnell in diese Neuverteilung reinkommen können. Das betrifft dann die Unternehmen, die Finanzverwaltung, die Berater. Wir können da nichts mehr tun. Da bin ich immer etwas verwundert. Und ich glaube einfach nicht, dass wir das eigentliche Ziel, das damit verbunden ist, nämlich Rechtssicherheit bei der Verteilung der globalen Steuerverteilung zu erreichen, dass wir das wirklich bekommen. Auch wenn ich weitergehende Dinge betrachte. Kann ich national gegen eine Amount A-Verteilung vorgehen? Habe ich dann in jedem Land ein Urteil eines Finanzgerichts, das sagt, 1 Torsten Falk ist Mitarbeiter im Referat für Grundsatzthemen/Steuerpolitik im Hessischen Ministerium der Finanzen, Wiesbaden.
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was falsch und was richtig ist? Also dieser Gedanke, wir kommen wirklich zu mehr Rechtssicherheit, den sehe ich auch nicht. Danke schön. Prof. Dr. Kaminski Vielen Dank. Sie haben in einem Punkt unterstellt, dass gesagt wird, dass die effektive Doppelbesteuerung effektiv vermieden wird. Darüber wird noch zu reden sein. Denn in dem Moment, wo ich sage, es gibt Doppelbesteuerung, wird der Kuchen für die Fisci größer. Aber Herr Kreienbaum wollte sich gerne äußern? Kreienbaum Ja, zu den Punkten, die Herr Falk ansprach. Der Umstand, dass 137 Staaten aus den 141 dieser Vereinbarung zugestimmt haben, der spricht in der Tat dafür, dass sich auch 137 Staaten dieser 141 einen Gewinn aus dieser Vereinbarung versprechen. Worin liegt denn der Gewinn? Zunächst einmal liegt der Gewinn darin, dass wir Stabilität in die internationale Steuerarchitektur bekommen in einem Sinne, dass wir international abgestimmte, koordinierte Regelungen über die Gewinnzuweisung haben bei der Säule I. Und die Alternativsituation wäre, dass sich Staaten individuelle Gedanken machen, unilaterale Regelungen einzuführen. Das haben wir ja nicht nur in Europa gesehen – Frankreich, Italien, Österreich, UK mit verschiedenen Digital Service Taxes, UK noch mit einer Diverted Profits Tax als Missbrauchsregelung ausgestaltet, und in vielen Staaten außerhalb Europas. Und das ist zunächst mal der Hauptgewinn, der erzielt wird durch die Vereinbarung, und diesen Gewinn sehen auch die 137 Staaten, die dieser Vereinbarung zugestimmt haben, ganz oben. Der zweite Punkt, Herr Falk, ist, dass der Kuchen größer wird oder nicht größer wird, je nachdem, was Sie denn als Kuchen sehen. Die Summe der weltweiten Konzerngewinne wird natürlich durch eine Umverteilung der Besteuerungsrechte nicht größer. Die daraus resultierende Steuerbelastung, die kann sehr wohl größer werden, wenn Sie Besteuerungsrechte aus der Karibik weg allokieren in höher besteuernde Länder. Und das tun Sie tendenziell, wenn ein Teil der Besteuerungsrechte an die Marktstaaten gehen. Es ist in der Tat so, und das zeigen ja auch unabhängige Studien, dass wir sowohl mit Säule I als auch mit Säule II insgesamt zu ganz erheblichen Mehrergebnissen kommen.
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Prof. Dr. Kaminski Herr Kippenberg, bitte sehr! Kippenberg2 Wenn die Entwicklung so im Fluss ist und wenn wir mit dem Inclusive Framework ein großes Gremium von 141 Staaten haben, auf dem man die Säule 1 und 2 bespricht, ist es dann nicht eine ernste Gefahr, Teile davon in eine Richtlinie der EU zu packen? Denn aus ihr kämen wir wegen der dafür notwendigen Einstimmigkeit nie wieder heraus. Muss Säule 2 nicht auf der einen Ebene des Inclusive Framework behandelt werden und nicht zusätzlich in der EU, weil man sonst seine Flexibilität vollkommen verliert? Und dann sind uns die Hände gebunden wie durch die EU-Richtlinie zur Zinsbesteuerung. Prof. Dr. Kaminski Herr Kreienbaum, möchten Sie direkt antworten? Kreienbaum Ich mach das gerne. Herr Benecke, Sie können gleich auch noch was dazu sagen, wenn Sie mögen. Sie haben ja vorgetragen. Ich will gern etwas zu Herrn Kippenberg sagen. Herr Kippenberg, die Frage, ob man europäisch auf Basis einer Richtlinie etwas regeln sollte oder nicht, ergibt sich zunächst nur aus Perspektive der Mitgliedstaaten. Beim Regelungsgehalt der Säule II besteht ein erhebliches europäisches Harmonisierungsbedürfnis. Es spricht sehr viel dafür, auch europarechtlich, diese Regelungen in Europa auf Basis einer Richtlinie einzuführen. Die weitere Frage, die Sie aufgeworfen haben, ob und unter welchen Umständen wir uns in Europa Richtlinienrecht unterwerfen sollten, ist eine getrennt davon zu beantwortende Frage. Dabei spielen vom konkreten Richtliniengehalt unabhängige Aspekte eine Rolle, nämlich insbesondere der von Ihnen aufgeworfene Punkt, ob man sich über Richtlinienrecht in eine praktisch unveränderliche oder vor dem Hintergrund der erforderlichen Einstimmigkeit jedenfalls nur schwer veränderliche Situation begibt. Aber das ist eine grundsätzliche Frage zur Einstimmigkeit, die hat nichts mit der Implementierung der Säule II zu tun, oder nur inso2 Johannes Kippenberg ist Verantwortl. Redakteur IStR beim Verlag C.H. Beck.
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weit mit der Säule II, dass auch die Säule II von dieser Frage betroffen wäre. Es ist keine spezifische Frage der Mindestbesteuerung. Ich möchte hinzufügen, dass ich das Risiko faktischer Unveränderlichkeit von Richtlinienrecht bei Regelungen, die das gemeinsame fiskalische Interesse der Mitgliedstaaten sichern, erheblich geringer einschätze als bei Richtlinien, die es Mitgliedstaaten erlauben, Steuersubstrat auf Kosten anderer zu attrahieren. Prof. Dr. Kaminski Herr Brandis, auf einer der Folien von Herrn Benecke stand drauf: „Implementierung hauptsächlich mittels EU-Richtlinien“. Das hätte auch Konsequenzen für die Frage: Wer ist für Streitigkeiten zuständig? Ich stelle mir das vor, dakommt es zum Streit, und dann wird die Frage aufgeworfen, inwieweit – wir haben ja gehört, das Ganze soll auf Basis von IFRS-Abschlüssen, Handelsbilanzen II, entsprechend ermittelt werden – diese Regelungen richtig angewendet wurden. Wer legt denn zukünftig die IFRS und die darauf beruhende Handelsbilanz II aus? Macht das der BFH? Macht das der EuGH? Und wenn der BFH das übernimmt, haben wir dann deutsche IFRS à la BFH Handelsbilanz II, oder wie muss ich mir das vorstellen? Dr. Brandis Das ist eine sehr gute Frage, lieber Herr Kaminski, die aus dem Stegreif kaum zu beantworten ist. Ich meine aber, das kann nicht letztverbindlich durch den Bundesfinanzhof geschehen, sondern muss im Grunde genommen auf die höhere Gerichtsebene weitergereicht werden. Mit anderen Worten, im Zweifel sind das dann Situationen, die vom EuGH zu entscheiden sind. Prof. Dr. Kaminski Und würden Sie es als Problem ansehen, dass diese IFRS-Regelungen „nur“ von einem privatwirtschaftlichen Verein, der übrigens überwiegend von Beratungsgesellschaften finanziert wird, aufgestellt werden? Und das wird als Bemessungsgrundlage für steuerliche Kriterien genommen? Haben Sie da ein Störgefühl? Ich habe mal sowas von Art. 20 Abs. 3 Grundgesetz gehört.
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Dr. Brandis Ich habe dort auch ein Störgefühl. Immerhin, wir haben diese Schwierigkeiten ja schon mit Blick auf die Zinsschranke im nationalen Gesetz, da dort Bezug genommen wird auf IFRS, und das ist aus meiner Sicht schon bedenklich, dass ein solches Gremium und seine Entscheidungen eine Rolle spielen sollen für den belastenden Eingriff, der durch ein Steuergesetz ausgelöst wird. Also: Dieses Störgefühl teile ich uneingeschränkt. Prof. Dr. Kaminski Und wenn man überlegt, dass das dann ja möglicherweise auch noch in den strafrechtlichen Bereich, Stichwort Steuerhinterziehung, hineingeht, wird das natürlich noch einmal eine Nummer gravierender. Ja, meine Damen und Herren, ich würde gerne noch zur Säule II kommen. Wie ist da Ihre Meinung? Nußbaum Ja, ich darf vielleicht zu Herrn Falk kurz auf den Punkt eingehen, dass die Industrie sich nicht ausreichend gewehrt hat. Prof. Dr. Kaminski Gerne! Nußbaum Im Kern ging’s, wenn man sich die Entwicklung ansieht, ursprünglich nur um Digitalunternehmen. Es ging nicht um eine allgemeine Pillar-IDiskussion für die Gesamtindustrie. Die Diskussion hat sich dann zunächst auf Consumer Facing ausgeweitet mit den damit verbundenen Folgen der Segmentierung. Letztlich sind jetzt grundsätzlich alle Unternehmen betroffen. Die rechtspolitische Entscheidung zu Pillar I, die ist nicht durch Unternehmen getroffen worden, sie ist durch die Politik getroffen worden. Man hat befürchtet, dass, wenn sich die Länder nicht einigen, eine zersplitterte Landschaft von Digitalsteuern kommen wird oder als Gegenreaktion Zölle aus den USA, die die Alternative gewesen wären. Ich meine, das war die Ausgangssituation. Ob die befürchteten Szenarien realistisch gewesen wären oder nicht, das bleibt jetzt dahingestellt. Am Ende sind wir da, wo wir jetzt sind. Aber dass die Industrie das befürwortet hätte, glaube ich, kann man auch nicht sagen, denn genau das Problem, das Sie angesprochen haben, die Rechtssicherheit, ist
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das Entscheidende. Wenn die Rechtssicherheit gegeben wäre – unterstellen wir das –, dann hätte ich als ein Unternehmen in einem Hochsteuerland natürlich keine Probleme damit, in einem niedrig besteuerten Land meine Gewinne zuzuordnen. Ich bin aber bei Ihnen, dass die Rechtssicherheit wahrscheinlich nicht so darzustellen ist, wie wir uns das gewünscht hätten. Das wird das Problem sein. Das wollte ich nur noch ergänzt haben. Prof. Dr. Kaminski Man muss vielleicht auch sagen, dass Sie – als deutsche Industrie – auch nicht gefragt wurden! Es ist ja nicht so, dass man gesagt hat: „Ihr dürft Euch was wünschen!“, sondern man hat gesagt, wir setzen uns zusammen und machen. Nußbaum Der Zug ist abgefahren. Jetzt können wir entweder weiterhin in der Ecke stehen und können die Vorschläge nicht mögen, oder wir können konstruktiv versuchen, die Umsetzung in vernünftige Bahnen zu leiten. Pillar II, glaube ich, hat zwei Dimensionen. Die eine ist, wie von Andreas Benecke auch dargestellt, die Berechnung und die Zuordnung des Einkommens, die andere die Berechnung der zugrundeliegenden Steuern und deren Zuordnung zu Legal-Einheiten, die ja durchaus auch von unterschiedlichen Legal-Einheiten gezahlt sein können. Erst danach kann man die effektive Steuerquote im jeweiligen Land ermitteln. Das allein ist schon kompliziert genug. Wie kann man das praktisch umsetzen? Ich muss die Berechnung für alle Unternehmen im Konzern durchführen, denn ich kann ja nur wissen, ob ich in Pillar II bin, wenn ich es für alle Gesellschaften im Konzern letztlich berechnet habe. Also ich muss für jede einzelne Gesellschaft im Gesamtkonzern die ganzen Daten abfragen. Welche latenten Steuern bildet wer? Auf welche Wirtschaftsgüter werden sie gebildet? Mit welchem Steuersatz sind sie berechnet? Ich muss eventuell Dividenden herausrechnen, abweichend vom lokalen Recht … Allein diesen Prozess aufzusetzen wird ein schrecklicher Schock für viele Unternehmen werden. Vor allem für Unternehmen, die noch kein einheitliches ERP-System im Konzern haben, kein einheitliches Meldesystem. Es trifft Unternehmen ab 750 Millionen Umsatz, die wahrscheinlich auch Konzerntöchter haben, aber vielleicht nicht so aufgestellt sind wie Großkonzerne, die schon über ein bestehendes Berichtssystem verfügen
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und versuchen, auf Basis dieser bestehenden Informationen die erforderlichen Berechnungen vorzunehmen. Aber es wird für viele kleine Unternehmen ein massiver Aufwand werden, den sie wahrscheinlich jetzt noch nicht überblicken können. Allein um die Frage zu klären: Bin ich überhaupt Pillar-II-relevant? Es gibt keinen grundsätzlichen Carve Out einzelner Länder, die per se als hochbesteuert gelten. Man muss sich wirklich den Einzelfall, ansehen. Ich glaube, Pillar II ist ein Monster, was die administrative Abwicklung angeht. Prof. Dr. Kaminski Wieviel Tochtergesellschaften haben Sie? Nußbaum In der Summe sind es 600, voll konsolidiert haben wir 300 … legen Sie mich nicht genau fest, da müsste ich jetzt nachsehen. Prof. Dr. Kaminski Das ist eine interessante Größe. Frau Schulz, ich würde Sie gerne fragen: Das Thema Compliance ist ja angesprochen worden. Das muss auch für ein Unternehmen wie Beiersdorf einen riesigen Compliance-Aufwand verursachen, um zu prüfen, bin ich drin, wie beziehe ich wen ein, und, die zweite Frage – wir haben eben gehört, das fand ich gut: Es müsse ein robuster Mechanismus zur Vermeidung der Doppelbesteuerung her. Glauben Sie an den? Es ist ja heute Nikolaus, da kann man sich etwas wünschen! Schulz Also, wenn ich mir einen Wunschzettel schreiben darf, dann … Also zu dem ersten Punkt, Compliance, das ist natürlich als Thema tiefgreifend, wie eben schon von Herrn Nußbaum beschrieben. Alleine erstmal festzustellen: Bin ich in dem Pillar II drin je Land? Die ganzen Daten zu bekommen. Dann ist es auch so, wenn man im Zweifel auch zugekauft hat, vielleicht noch nicht alles im selben ERP-System ist. Wir starten ja jetzt auf einer ganz anderen Basis als wir das sonst für die steuerliche Ermittlung tun. Wir nehmen jetzt IFRS, also etwas global Einheitliches, was ich grundsätzlich begrüße. Nur, dann könnte man ja fast noch einen Schritt weitergehen, das geht mehr Richtung Pillar I, und sagen, dass man die mal irgendwann geplante gemeinsame konsolidierte
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Bemessungsgrundlage einführt. Diese teilt man dann auf, und dann hat man sich wahrscheinlich auch relativ einfach bezüglich Pillar II die richtigen Daten zusammengesucht. Die vielen kleinen Feinheiten, die werden es am Ende des Tages ausmachen. Die Idee der Mindestbesteuerung an sich finde ich richtig und gut. Dann ist die Frage, welche Korrespondenz hat das zu unserem heutigen AStG. Die Frage der Umsetzung und der Feinheiten und der Diskussion und in einem nächsten Schritt natürlich auch die Streitbeilegung, das sind für mich die wesentlichen Aspekte, die dann auch den Erfolg der ganzen Thematik ausmachen. Fraglich nur, wie man das entsprechend verteilen kann. Und dann auch so Fragen wie: Wenn ich in Betriebsprüfungen mehr Steuern habe, gehe ich dann wieder zurück und verteile alles neu? Also, gehe ich dann zurück in das Jahr, und jetzt sind wir in Deutschland – zumindest kann ich das in meinem Konzern sagen – betriebsprüfungsseitig nicht besonders schnell. Wie gehe ich dann mit der Mindestbesteuerung an der Stelle um? Wie gehe ich mit Allokationen um? Geht das dann über die ganze Welt wieder in einen Änderungsmechanismus? Und dann komme ich wieder in diese Thematik, in der erstmaligen Doppelbesteuerung und auch später nochmal, die Fragen der Doppelbesteuerung. Und in den Verfahren, die wir führen, sowohl in den APAs als auch in den MAPs, sind die Bearbeitungszeiträume extrem lang, und ich glaube, dass die Anzahl der Verfahren aufgrund Pillar I und Pillar II erheblich steigen werden und wir, neben dem Compliance-Aufwand, auch noch ein weiteres Team für Streitbeilegungsverfahren aufsetzen können oder erweitern müssen. Prof. Dr. Kaminski Ja, alles wird besser. Sie haben ja auch in der Koalitionsvereinbarung gelesen, es gibt zukünftig zeitnahe Betriebsprüfungen. Das ist ja auch das erste Mal, dass das angekündigt wird, also von daher, warten wir es einmal ab, ob diese Ankündigung dieses Mal tatsächlich umgesetzt wird. Herr Kreienbaum: Das Projekt findet unter einem immensen Zeitdruck statt, und es soll extrem schnell umgesetzt werden. Erstens: Warum dieser Zeitdruck? Denn wir haben ja gehört, für die Unternehmen setzt das immense Anpassungsprozesse voraus. Und zweitens: Auch für die Finanzverwaltung führt das zu gravierenden Problemen. Ich weiß nicht, ob es jetzt noch so ist, aber bis vor einem Jahr gab es zwei Kurse IFRS, eine Woche lang, von Montagmittag bis Freitagmittag, die gesamte deutsche Finanzverwaltung an der Bundesfinanzakademie. Und jetzt müssen IFRS
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Handelsbilanzen II erstellt werden. Dazu haben andere mehr zu sagen als ich, aber ich weiß, das ist ziemlich kompliziert. Also Frage: Wenn man so schnell umstellt, welche Vorkehrungen trifft man seitens der Finanzverwaltung, dass die Dinge auch geprüft werden, und aus meiner Sicht die Frage: Wäre es nicht sachgerecht, hier zu überlegen, ob man nicht vielleicht, auch was die Größenordnung angeht, eine zeitliche Streckung vornimmt? Dass man sagt, man macht einen sehr hohen Betrag vielleicht für Unternehmen, die sehr groß sind, und sagt, man lässt dann peu à peu diesen Betrag ab? Kreienbaum Ja, zunächst zur Frage, warum wir uns relativ enge Zeitlinien gesetzt haben. Mit Blick auf die Implementierung der Säule I und der Säule II im Jahre 2022, also nächstes Jahr, und die Anwendbarkeit der Regeln ab dem 1.1.2023 kann ich zwei wesentliche Beweggründe anführen. Der erste ist der enorme politische Druck, dem wir ausgesetzt waren, die Erwartungshaltung, insbesondere durch die G20-Staaten. Durch das G20-Mandat waren wir schon im letzten Jahr in der Pflicht zu liefern. Wir haben die Diskussion zur Besteuerung der Digitalwirtschaft 2013 begonnen mit dem BEPS Aktionsplan, mit dem Aktionspunkt 1. 2015 haben wir einen Bericht veröffentlicht, in dem wir lediglich die Probleme möglicher Ansätze der Digitalbesteuerung beschrieben haben und keine Lösungen vorschlagen konnten. Das war offensichtlich den beteiligten Staaten nicht genug, sodass wir dieses Thema unter der Agenda der deutschen G20Präsidentschaft wiederbelebt haben, und zwar wiederum mit einem sehr großen politischen Druck. Gerade hier in Europa haben wir diese politische Erwartung sehr stark gespürt, die Diskussionen, die in Frankreich beispielsweise geführt wurden, dass endlich die Digital Giants einen fairen Anteil zum Steueraufkommen in den Marktstaaten beitragen sollen, aber auch in vielen anderen europäischen Staaten. Und wir haben im letzten Jahr, auch vielleicht durch Corona, den Zeitplan vom Oktober letzten Jahres auf dieses Jahr verschoben. So hatte sich eine erhebliche politische Erwartungshaltung aufgebaut. Im Frühjahr diesen Jahres schien das Ergebnis fast nicht mehr in Reichweite. Wir haben ein sehr starkes neues Momentum in der Diskussion erst mit der neuen US-Administration in diesem Jahr bekommen und mit konkreten Vorschlägen, die dann mit den USA insbesondere auch verhandelbar waren.
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Der zweite Punkt, den ich anführen will, ist, dass wir, und das haben wir auch sehr schön im Vortrag von Herrn Benecke gehört, mit jeder Menge Detailproblemen befasst sind. Probleme dieser Art können Sie jahrelang ohne Ergebnis diskutieren. Wir haben in Europa die gemeinsame Bemessungsgrundlage über zehn Jahre diskutiert – ohne Ergebnis, weil man immer wieder ein Argument findet, warum Dinge nicht gehen. Die aufgestaute politische Erwartungshaltung hat uns enorm in der Kompromissfindung geholfen. Sie können über jede Detailfrage der Säule I und der Säule II jahrelang streiten, darüber, ob es fair ist, eine Profitabilitätsgrenze bei 10 % einzuziehen, ob das Quantum mit 25 % die richtige Größe ist, ob man einen quantitativen Ansatz will, wie wir ihn jetzt gewählt haben, oder einen qualitativen, wie er vorher mit dem Konzept des Consumer Facing diskutiert wurde. Dieser politische Zeitdruck hat sich dann übersetzt in den Willen der Mitgliedstaaten, ein Ergebnis zu vereinbaren und auch entsprechend zügig umzusetzen. Wenn wir in Europa einen Weg gewählt hätten, dass wir uns zwar in diesem Jahr politisch einigen, aber erst in fünf Jahren implementieren könnten, dann würden wir hier heute sicher eine europaweite Digital Levy diskutieren und möglicherweise einen Richtlinienvorschlag der EU zu einer Digitalabgabe. Ein solcher Vorschlag, die Idee einer Digital Levy innerhalb der EU, hat immerhin Eingang gefunden in die Ratsschlussfolgerungen der Staats- und Regierungschefs im letzten Jahr im Juli und im Oktober. Im Ergebnis haben wir mit dem Aufrechterhalten dieses politischen Drucks und dem Aufbauen eines ehrgeizigen Implementierungsplanes alternative Entwicklungen vermieden. Und das ist ein Punkt, den wir nicht geringschätzen sollten. Prof. Dr. Kaminski Herr Benecke, hier ist eine Frage gekommen, die ich Ihnen gern stellen möchte, von Herrn Dyckerhoff, der fragt: „Wie wird Pillar II mit der US GILTI zusammenspielen?“ Ich würde das gerne ergänzen. Gibt es Überlegungen in Ihrem Hause zu sagen, ob man dann möglicherweise auf die Hinzurechnungsbesteuerung für Unternehmen dieser Größenordnung zumindest verzichten wird? Benecke Der eine Punkt ist das Zusammenspiel der beiden Maßnahmen. Ich denke, das ist klar, dass das ein Doppelspiel sein wird. Das heißt, man wird sich überlegen, wie die GloBE-Regelungen mit der GILTI parallel zusam-
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men existieren können. Das, denke ich mal, ist eine Tatsache, dass die Amerikaner sicherlich nicht bereit sein werden, hier eine IIR einzuführen. Insofern stellt sich dann insbesondere die Frage, ob eine „nichtreformierte“ GILTI als eine CFC-Besteuerung bzw. eine „reformierte“ GILTI für Zwecke der GloBE als eine mit einer IIR vergleichbaren Regelung angesehen wird. Was das Thema Verzicht auf Hinzurechnungsbesteuerung bei diesen Unternehmen betrifft, glaube ich nicht, dass es hierzu kommt. Dies insbesondere, weil die Vorgaben der ATAD-Richtlinie fortgelten. Insofern wird man dann sicherlich noch einmal die Niedrigsteuergrenze des § 8 AStG neu bewerten. Nußbaum Bilden wir das Beispiel einer deutschen Muttergesellschaft mit US Tochter, die wiederum ihrerseits Tochtergesellschaften im Ausland hält. Benecke Also das wird nicht einfach. Da muss man sich überlegen, was mit der GILTI-Koexistenz wird. Nußbaum Ja, ich meine, wenn ich mir die Zeitströme beider Säulen ansehe … Ich meine, für Pillar II soll ja jetzt im Dezember die EU-Directive schon im Entwurf vorliegen, vor Weihnachten möglicherweise, und dann läuft der Prozess zur Ratifizierung innerhalb der EU los. Da wird voraussichtlich nicht mehr viel modifiziert werden. GILTI, das wissen wir derzeit noch nicht, wie die finale Situation sein wird, und das Zusammenspiel ist auch noch nicht geklärt. Ich glaube, man muss da sehr aufpassen. Wir hatten bisher schon Wettbewerbsnachteile gegenüber US-Unternehmen als deutschstämmige Unternehmen. Ich glaube, die Gefahr besteht, wenn GILTI in der derzeitigen Form so bestehen bleibt und als compliant angesehen wird, während alle anderen in der Welt ein strengeres Regiment einführen, wird es zu weiteren Wettbewerbsverzerrungen führen. Ich meine, da schert ein großes Land ggf. aus Pillar II aus, und wir gehen den anderen Weg weiter, ohne zu wissen, welche Folgen das mit sich bringt.
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Benecke Also das ist in der Tat eine Frage, ob wir so etwas nicht wie bei der Standstill-Regelung machen. Das kennen wir ja auch für EU-Regelungen, ob man dann halt sagt, das ist ein bestimmter Zeitpunkt, da gilt die Regelung in der Fassung, die man akzeptiert. Aber das ist, wie gesagt, Thema jetzt noch der laufenden Verhandlungen und sicherlich kein einfaches Thema. Schön wäre es, wenn alle zu dem übergehen können. Und der andere Punkt, aber das ist ein politischer Punkt: Schaffen wir jetzt die Hinzurechnungsbesteuerung ab? Das ist eine politische Entscheidung, und die Frage ist: Wie ist der Trend dieser Regelungen? Wird damit zu rechnen sein, dass eigentlich vielleicht mehr Staaten Hinzurechnungsbesteuerung oder alternative Mindestbesteuerungssysteme einführen, oder dass man hier diesbezügliche Regelungen abschafft? Ich persönlich glaube nicht, dass die Hinzurechnungsbesteuerung abgeschafft wird. Was man natürlich überlegen kann: Modifiziert man sie? Die Frage Niedrigsteuergrenze ist ja ein offenes Geheimnis, passt man sie an, passt man sie nicht an. Da wird man zumindest noch einmal diskutieren müssen. Prof. Dr. Kaminski Herr Kreienbaum und ich haben gestern Morgen telefoniert, und wir haben uns dabei ausführlich über die Frage der Mindestbesteuerung ausgetauscht, und ich sagte dann, es sei zu keinem Ergebnis gekommen, und Herr Kreienbaum erwiderte, doch, zu dem Ergebnis, dass es so bleibt, wie es ist, und ich sagte, das sei ein Ergebnis, aber kein befriedigendes. Also von daher: Das ist ein Problem. Ich glaube, wenn man sich die internationalen Mindeststandards anschaut und sagt, der Mindeststeuersatz soll 15 % betragen, dann kann es nicht sein, dass die Grenze im AStG bei 25 % belassen wird. Benecke Das ist aber eine andere Frage. Die IF-Staaten haben beschlossen, dass niemand unter 15 % besteuern soll. Es wurde nicht beschlossen, dass wir nur noch mit maximal 15 % besteuern dürfen. Natürlich kommt hier der Druck, dass auch die Hochsteuerstaaten sich an dieser Grenze irgendwann orientieren müssen, aber das ist ein anderer Diskussionspunkt. Dieser Punkt muss dann steuerpolitisch entschieden werden.
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Nußbaum Vielleicht auch … Im Koalitionsvertrag steht zwar nur drin, dass die Verwaltung entbürokratisiert werden soll, leider wird der Verwaltungsaufwand von Steuerpflichtigen nicht berücksichtigt, aber man muss sich klarmachen, dass Unternehmen Steuerberechnungen für den gesamten Konzern zunächst nach IFRS, dann nach den GloBE Rules berechnen müssen, und zusätzlich müssen wir für bestimmte Einkünfte das Ganze nochmal nach deutschem Recht für Zwecke der Hinzurechnungsbesteuerung machen. Zuletzt braucht man auch eine Steuerrechnung nach jeweiligem lokalem Recht. Das heißt, für ausländische Gesellschaften habe ich im schlimmsten Fall 4 Tax Ledger, nach denen ich Steuern ermitteln muss. Ich meine, diese Komplexität bezogen auf das AStG ist nicht erforderlich – ich weiß gar nicht, wie hoch das AStG-Aufkommen heute ist. Worüber reden wir eigentlich? Ist das wirklich noch sinnvoll? Und der Bürokratieaufwand, der dahinter steht … Prof. Dr. Kaminski Die Frage, die ich mir immer stelle, ist: Wie will die deutsche Finanzverwaltung das prüfen? Also nehmen Sie an, Sie liefern Zahlen für Ihre, ich sag mal, australischen Tochtergesellschaften. Wie soll die deutsche Finanzverwaltung diese australischen Tochterzahlen, die Sie melden, überprüfen können? Also, Amtshilfe wird Australien vielleicht leisten, aber wie lange soll das gehen? Wie lange wollen Sie warten, bis da eine Steuer oder ein Anpassungsbetrag festgesetzt wird? Das scheint mir ein nicht unerhebliches praktisches Problem zu sein. Aber gut. Kreienbaum Nur noch ein Gedanke zum Zusammenspiel mit US-GILTI. Die Frage wird nicht neu diskutiert und nicht erst diskutiert, seitdem eine Diskussion in den USA über eine Reform von GILTI stattfindet. Die Reformüberlegungen in den USA kommen deutlich näher an unsere Vorstellungen der Säule II heran, insbesondere mit Blick auf das so genannte Jurisdiction Wide Blending im Gegensatz zum Worldwide Blending, das bisher in den USA gilt. Möglicherweise rücken die USA auch mit Blick auf den Steuersatz etwas näher, so dass die Unterschiede nicht mehr so signifikant sein werden.
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Podiumsdiskussion: Besteuerung der digitalen Wirtschaft
Nußbaum Das muss man sich klarmachen, die USA könnte weiterhin mit Null besteuert sein in Bermuda, solange ein Global Blending zu einer Steuer über 15 % führt, während deutsche Unternehmen das nicht können. Kreienbaum Ja, Global Blending ist, glaube ich, ein wichtiger Punkt. Nußbaum Das muss man sich nur klarmachen. Prof. Dr. Kaminski Gut, dann besteht ja wenigstens insoweit Übereinstimmung. Damit darf ich Ihnen, lieber Herr Benecke, nochmals ganz herzlich für Ihren Vortrag danken und dafür, dass Sie uns die Ideen hier dargestellt haben.
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Ausgewählte Entwicklungen der Verrechnungspreisbestimmung Tina Schumann Steuerberaterin, Dipl.-Kffr., Brühl
A. Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . B. Die Verwaltungsgrundsätze Verrechnungspreise vom 14.7.2021 . . . . . . . . . . . . . . . . C. Jüngste Entwicklung höchstrichterlicher Rechtsprechung I. Vor dem großen Beben. . . . . . II. Die Rechtsprechungsänderung 2019 . . . . . . . . . . . . III. Jüngste BFH-Urteile . . . . . . .
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1. I R 4/17 v. 18.5.2021: Preisvergleichsmethode vorrangig . . . . . . . . . . . . . . 2. I R 62/17 v. 18.5.2021: Unbesicherte Darlehen – es gibt sie doch . . . . . . . . . 3. I R 32/17 v. 9.6.2021: Unbesicherte Outbound-Darlehen . . . . . . . .
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D. Ausblick . . . . . . . . . . . . . . . .
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A. Einleitung Seit Jahrzehnten sind die konzerninterne Finanzierung und die Gesellschafterfremdfinanzierung Streitgegenstand in steuerlichen Außenprüfungen und vor Gericht. Obwohl der Fokus diesbezüglich augenscheinlich auf der Beschränkung des Abzugs von Zinsaufwendungen liegt, sind Outbound-Finanzierungen in Form des weitgehenden Verbotes von steuerwirksamen Teilwertabschreibungen auf konzerninterne Darlehen ebenso, wenn nicht gar schärfer betroffen. Befeuert wurde das Geschehen durch eine – vermeintlich oder auch tatsächlich – übermäßige Gewinnverlagerung von Gewinnen durch die sog. „Global Player“ in Niedrigsteuerländer, wie sie insbesondere in den 2000er Jahren zu beobachten waren. Finanzmittel sind überaus beweglich und internationale Geldflüsse sind für die Steuerbehörden bis heute nicht zu hundert Prozent nachverfolgbar, wie z.B. die Panama und Pandora Papers zeigen. Da verwundert es nicht, dass Gesetzgeber und Finanzverwaltung bemüht sind dem ein Ende zu setzen und soweit dies mit Augenmaß geschieht, ist das auch richtig und im Sinne des Steuerzahlers und der Allgemeinheit. Bisweilen ist jedoch ein gewisser Übereifer bei der Be-
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kämpfung der empfundenen „Übermaßfinanzierung“ zu beobachten, und gerade in jüngster Zeit dürften dem ein oder anderen Zweifel gekommen sein, ob der Dreiklang aus Legislative, Exekutive und Judikative noch eine ausgewogene und wettbewerbsfähige Besteuerung internationaler Konzerne in Deutschland sicherstellt. Bereits vor Jahrzehnten hat der BFH in einem Grundsatzurteil die uneingeschränkte Finanzierungsfreiheit in Deutschland ansässiger Unternehmer und Unternehmen festgestellt. Das Gleiche muss auch für die Finanzierung von ausländischen Tochtergesellschaften gelten. Seitdem wurden zahlreiche gesetzliche Regelungen zur Beschränkung des Betriebsausgabenabzugs von Finanzierungsaufwendungen eingeführt, die Geltendmachung von Verlusten aus der Finanzierung ausländischer Tochtergesellschaften wurde nahezu gänzlich versagt. Diese Bemühungen gingen der Finanzverwaltung offenbar nicht weit genug, was regelmäßig in Verwaltungsanweisungen mündete, die eine rigorose Einschränkung des Betriebsausgabenabzuges zum Ziel hatten und haben. Als jüngstes Beispiel seien hier die Verwaltungsgrundsätze Verrechnungspreise vom 14.7.20211 genannt. Der anhaltende Disput zwischen Finanzverwaltung und Steuerpflichtigen führte und führt zu immer neuen gerichtlichen Auseinandersetzungen zum Thema Konzernfinanzierung. Die Pilotentscheidung des BFH aus Februar 2019, mit der er die Anwendung des § 1 AStG auf die Teilwertabschreibung von Outbound-Darlehen eröffnet, hat in der fachlichen Diskussion zu lebhaften Kontroversen geführt, da die in dem Urteil behandelten Grundsatzfragen auf aktuelles Recht ausstrahlen. Es ergingen weitere Urteile zu dieser Thematik, welche die Diskussion weiter befeuerten. Das Piloturteil wurde 2021 vom Bundesverfassungsgericht aufgehoben, wobei es ausdrücklich offengelassen hat, ob das Urteil nicht (auch) gegen das Willkürverbot verstößt. Ein weiteres Urteil aus dieser Reihe hat der BFH selbst aufgrund eines Verfahrensfehlers aufgehoben. In 2021 hat der BFH nunmehr weitere Urteile zur steuerlichen Abzugsfähigkeit von Teilwertabschreibungen auf Outbound-Darlehen gefasst, die geeignet scheinen, die Kritiker der Pilotentscheidung zumindest in einigen Aspekten zu besänftigen. Auch nimmt der BFH in diesen Urteilen konkret zu Verrechnungspreisgrundsätzen und -methoden Stellung und gibt damit wertvolle und konkrete Hinweise zum Umgang mit konzerninternen Darlehen. 1 BMF, Schr. v. 14.7.2021 – IV B 5 - S 1341/19/10017:001; DOK 2021/0770780, BStBl. I 2021, 1098.
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B. Die Verwaltungsgrundsätze Verrechnungspreise vom 14.7.2021 Mit Schreiben vom 14.7.2021 (Az. IV B5 S 1341/19/10017) hat das BMF neue Verrechnungspreisgrundsätze veröffentlicht. Kapitel III Abschnitt J befasst sich mit „Finanzierungsbeziehungen“. Während das BMF eingangs dieses Kapitels in Tz. 3.88 noch betont, dass für die Prüfung der Einkunftsabgrenzung bei Finanzierungsbeziehungen zwischen nahestehenden Personen die Grundsätze des Kapitels X der Anlage 1 (Anmerkung der Autorin: gemeint sind die Verrechnungspreisleitlinien der OECD) anzuwenden seien, weicht sie bereits in Tz. 3.91 von diesen Grundsätzen ab. Dort fordert sie – neben der zutreffend geforderten Abgrenzung zwischen Eigen- und Fremdkapital sowie der vorzunehmenden Funktionsund Risikoanalyse –, dass die Finanzierung der Konzerngesellschaft „wirtschaftlich benötigt“ sein muss, um dem Fremdvergleich standhalten zu können. Diese Anforderung war bereits im Gesetzentwurf zur Änderung des § 1 AStG enthalten, ist dort aber aus guten Gründen entfernt worden. Die Forderung nach dem wirtschaftlichen Bedarf einer Finanzierung greift zu weitgehend in die unternehmerische Freiheit ein und verstößt außerdem gegen die vom BFH in langjähriger Rechtsprechung postulierte Finanzierungsfreiheit. Die Aufnahme dieser Anforderung in die Verwaltungsgrundsätze ist ärgerlich, ist doch absehbar, dass sie zu weiteren gerichtlichen Auseinandersetzungen führen wird. Tz. 3.92 der Verwaltungsgrundsätze befasst sich mit der sog. „funktionslosen Finanzierungsgesellschaft“. Dieser soll für die Hingabe des Kapitals nur eine risikolose Rendite zustehen. Im Ergebnis mag das richtig sein, für die Bemessung des fremdüblichen Zinssatzes zwischen Darlehensgeber (Konzernfinanzierungsgesellschaft) und Darlehensnehmer (andere Konzerngesellschaft) ist das jedoch, wie auch der BFH in I R 4/17 vom 18.5.2021 bestätigt, der falsche Maßstab. Hier kommt es einzig und allein auf die Kreditwürdigkeit der Darlehensnehmerin sowie die weiteren Darlehenskonditionen wie Laufzeit, Währung etc. an. Sollte diese Vergütung aus Sicht der Finanzierungsgesellschaft zu hoch sein, weil diese z.B. nicht das Risiko des Forderungsverlustes trägt, dann gilt es, die Fremdvergleichspreise zwischen der Finanzierungsgesellschaft und dem Risikoträger, z.B. der Konzernmutter, zu ermitteln und ggf. zu korrigieren. Den Betriebsausgabenabzug auf Seiten der Darlehensnehmerin tangiert dies hingegen nicht.
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Tz. 3.93 befasst sich mit der etwas unklaren Fallkonstellation eines aus „rechtlichen Gründen“ zu niedrig verzinsten Outbound-Darlehens, das den Verwaltungsgrundsätzen zufolge keiner Korrektur bedarf. Sinn und Rechtsgrundlage werden nicht erläutert und sind auch nicht unmittelbar einsichtig. In Tz. 3.95 wird das aktuelle Thema der Darlehensbesicherung behandelt, wobei die Finanzverwaltung sich dann doch dazu hinreißen ließ, entgegen der „korrigierten“ BFH-Rechtsprechung (siehe hierzu unten) zunächst einen Grundsatz der Fremdüblichkeit hinsichtlich einer Darlehensbesicherung zu formulieren. Zwar gibt sie anschließend vermeintlich Hinweise dahingehend, wann der Verzicht auf eine Sicherheit fremdüblich sein kann, weicht aber dabei wiederum von den OECD-Leitlinien ab und vermischt auch wieder die Sphäre von Darlehensgeber und Darlehensnehmer. Während der BFH mittlerweile eindeutig formuliert, dass bei der Beurteilung der Fremdüblichkeit von Darlehenskonditionen allein auf die Kreditwürdigkeit der Darlehensnehmerin abzustellen sei sowie darauf, ob es für einen derartigen Kredit einen Markt für die Darlehensnehmerin gibt, bringt die Finanzverwaltung wiederum die Frage der Wirtschaftlichkeit ins Spiel sowie die Frage, ob Drittdarlehen im Konzern üblicherweise besichert würden. Letzteres soll den Maßstab dafür bilden, ob das konzerninterne Darlehen ebenfalls zu besichern sei. Hier kann man nur konstatieren: Klar am Ziel vorbei! Auch das Thema Cash-Pool, behandelt in der Tz. 3.98 ff., geht in seiner rechtlichen Würdigung in Teilen an OECD-Leitlinien und aktueller BFH-Rechtsprechung vorbei. So ist es keinesfalls per se gesetzt, dass die Cash-Pool-Funktion funktions- und risikolos ist. Auch die Vergütungskorrekturmechanismen setzen mit der Vergütungskorrektur in Form der (teilweisen) Versagung des Betriebsausgabenabzugs am falschen Ende an.
C. Jüngste Entwicklung höchstrichterlicher Rechtsprechung I. Vor dem großen Beben Mit den Urteilen I R 29/14 vom 24.6.20152 und I R 23/13 vom 17.12.20143 hatte der BFH hinsichtlich der Teilwertabschreibung von Konzerndarle2 BFH v. 24.6.2015 – I R 29/14, BStBl. II 2016, 258. 3 BFH v. 17.12.2014 – I R 23/13, BStBl. II 2016, 261.
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hen einige Grundsätze formuliert, die hier zur Orientierung in Kürze wiedergegeben werden sollen, da sie Gegenstand der nachfolgenden Diskussion sein werden: –
Unbesicherte Darlehen im Konzern sind „konzernüblich“.
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Aufgrund des Konzernrückhalts entspricht der richtige Zinssatz für ein unbesichertes Konzerndarlehen dem eines besicherten Fremddarlehens.
–
Art. 9 OECD-MA entfaltet eine Sperrwirkung gegenüber § 1 AStG hinsichtlich der Korrektur von Substanzverlusten; d.h. Teilwertabschreibungen auf Konzerndarlehen sind nicht über § 1 AStG korrigierbar.
Diese und die folgende Rechtsprechung ist zur Gesetzeslage vor 2008 ergangen. Bis einschließlich 2007 waren Teilwertabschreibungen auf konzerninterne Darlehen ertragsteuerlich noch abzugsfähig. Dennoch ist die Rechtsprechung auch unter derzeitiger Rechtslage von höchster Relevanz, u.a., weil sie grundsätzliche Aussagen zur Bestimmung konzerninterner Verrechnungspreise im Finanzierungsbereich trifft.
II. Die Rechtsprechungsänderung 2019 Mit dem Urteil I R 73/16 vom 27.2.2019 hat der BFH die bisher geltende Rechtsprechung weitgehend geändert und folgende Leitsätze formuliert (hier verkürzte Wiedergabe): –
Der sog. „Konzernrückhalt“ bringt lediglich die Üblichkeit der fehlenden Besicherung von Kreditansprüchen im Konzern zum Ausdruck.
–
Die fehlende Darlehensbesicherung gehört zu den fremdunüblichen Bedingungen.
–
Art. 9 OECD-MA beschränkt den Korrekturbereich des § 1 AStG nicht auf „Preiskorrekturen“, sondern ermöglicht auch die Neutralisierung gewinnmindernder Ausbuchung oder Abschreibung von Darlehensforderungen.
Das Urteil und eine Reihe von Folgeurteilen wurden in der fachlichen Diskussion mit Blick auf alle der o.g. Leitsätze teilweise massiv kritisiert und sehr kontrovers diskutiert. Insbesondere der Leitsatz hinsichtlich der Fremdunüblichkeit unbesicherter Darlehen stieß auf breites Unverständnis. In verschiedenen Literaturbeiträgen und Fachdiskussionen wurde zwar zugunsten des BFH argumentiert, der Leitsatz wäre
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missverstanden worden. Angesichts der Kürze und Klarheit des Leitsatzes ist jedoch fraglich, was genau hieran missverständlich sein soll. Die Urteilsbegründung selbst war in dieser Hinsicht allerdings sehr kurz ausgefallen, was vielleicht eher zur Missverständlichkeit beitrug. Das Bundesverfassungsgericht hat das Urteil im März 2021 aufgehoben und zurückverwiesen mit der Begründung, das Recht auf den gesetzlichen Richter sei mangels EuGH-Vorlage verletzt. Ausdrücklich offen ließ das Gericht, ob das Urteil gegen das Willkürverbot gemäß Art. 3 I GG verstieße.
III. Jüngste BFH-Urteile Seit den Rechtsprechungsänderungen sind diverse weitere Urteile (a) zur Teilwertabschreibung auf Konzerndarlehen und (b) zu weiteren konzerninternen Finanzierungsbeziehungen ergangen. Hinsichtlich (a) wurden einige Urteile rechtskräftig, andere wurden an die erste Instanz zurückverwiesen, eines wurde vom BFH wegen eines Verfahrensfehlers klarstellend aufgehoben und erneut vom BFH verhandelt (und dann an das Finanzgericht zurückverwiesen; siehe dazu unten). Hinsichtlich der weiteren Finanzierungsbeziehungen (b) sind folgende Urteile von besonderer Relevanz:
1. I R 4/17 v. 18.5.20214: Preisvergleichsmethode vorrangig Im zugrundeliegenden Sachverhalt erhielt eine GmbH Darlehen von ihrer ausländischen Schwestergesellschaft, welche die Finanzmittel selbst aufgenommen hatte. Laut Betriebsprüfung und dem Finanzgericht Münster sei für die Bestimmung des fremdüblichen Zinssatzes bei „nur weitergeleiteten Finanzmitteln“ die Kostenaufschlagsmethode anzuwenden. Der BFH entschied diesbezüglich, dass vor Anwendung der Kostenaufschlagsmethode die Preisvergleichsmethode zu prüfen und die Bonität der Darlehensnehmerin grundsätzlich stand-alone zu beurteilen sei (keine Berücksichtigung des Konzernrückhalts). Die klare Maßgabe des BFH, dass bei Darlehensvergaben vorrangig die Preisvergleichsmethode Anwendung findet, ist zutreffend und schlüssig. Zum einen handelt es sich bei Darlehensbeziehungen in den allermeisten Fällen um wenig komplexe – und somit gut vergleichbare – Leistungsbeziehungen, zum anderen ist der Finanzierungsmarkt ausgesprochen 4 BFH v. 18.5.2021 – I R 4/17, BFHE 273, 440.
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transparent. Neben öffentlichen Bonitäts-Rankings (die zugegebenermaßen nicht für alle (Konzern-)Unternehmen existieren) gibt es ausgesprochen gut gefüllte Datenbanken mit zahlreichen Vergleichstransaktionen zwischen fremden Dritten, die für die Marktermittlung herangezogen werden können. Darüber hinaus betont der BFH in dem o.g. Urteil die (alleinige) Relevanz der Kreditwürdigkeit der Darlehensnehmerin in Abgrenzung zu weiteren Konzerngegebenheiten. Insoweit sind die Verwaltungsgrundsätze Verrechnungspreise vom 14.7.2021 in ihrer Tz. 3.92 bereits überholt.
2. I R 62/17 v. 18.5.20215: Unbesicherte Darlehen – es gibt sie doch Im zugrundeliegenden Sachverhalt fand ein Anteilserwerb durch eine GmbH statt. Die Finanzierung erfolgte (u.a.) durch ein unbesichertes und nachrangiges Gesellschafterdarlehen zu 8 %, während ein für denselben Zweck verwendetes erstrangiges, besichertes Bankdarlehen zu knapp 5 % verzinst wurde. Die Betriebsprüfung und das Finanzgericht Köln hielten den Risikozuschlag von gut 3 % wegen Nachrangigkeit und fehlender Besicherung für nicht gerechtfertigt. Der BFH postulierte hingegen, dass Nachrangigkeit einem Risikoaufschlag nicht entgegenstehe. Es widerspräche der Erfahrung, dass für nachrangige unbesicherte Darlehen derselbe Zinssatz vereinbart würde wie bei besicherten, vorrangigen Darlehen. Was sich für Wirtschaftsexperten wie eine Selbstverständlichkeit anhört, ist angesichts der jüngeren Entwicklung der BFH-Rechtsprechung bzgl. der „Existenz unbesicherter Darlehen“ doch als klarer und begrüßenswerter Fortschritt zu werten, weisen diese Leitsätze doch eine deutlich höhere Kongruenz mit der eigenen Lebens- und Berufserfahrung auf als die Rechtsprechungsänderung in 2019.
3. I R 32/17 v. 9.6.20216: Unbesicherte Outbound-Darlehen Bei diesem Urteil geht es um Teilwertabschreibungen (TWA) auf grenzüberschreitende Darlehensforderungen einer inländischen Kapitalgesellschaft. Die Betriebsprüfung forderte eine Korrektur der TWA nach § 1 AStG, das Finanzgericht Köln lehnte diese in 2017 mit Bezug auf die da-
5 BFH v. 18.5.2021 – I R 62/17, BFHE 273, 457. 6 BFH v. 9.6.2021 – I R 32/17, BFHE 273, 475.
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mals geltende BFH-Rechtsprechung zu Recht ab. Mit seinem Urteil stellt der BFH nunmehr fest: –
Eine fehlende Darlehensbesicherung gehört zu den „Bedingungen“ i.S.v. § 1 AStG.
–
Eine etwaige Einkünftekorrektur hat vorrangig über den Zinssatz zu erfolgen, wenn es einen Markt für die Kreditnehmerin für ein entsprechendes Darlehen gibt.
–
Teilwertabschreibungen sind grundsätzlich einer Korrektur über § 1 AStG zugänglich (keine Sperrwirkung des Art. 9 OECD-MA).
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Der Fremdvergleich umfasst alle möglichen Kreditgeber, nicht nur Banken.
Dieses Urteil rückt die Kuriositäten der Rechtsprechungsänderung aus 2019 doch ganz weitgehend wieder gerade. Über die Sperrwirkung des Art. 9 OECD-MA kann man vielleicht geteilter Meinung sein, die Leitsätze zur Einkommenskorrektur hingegen sind schlüssig und stringent: Vorrangig sind substanzgefährdete unbesicherte Darlehen zunächst auf ihre Fremdüblichkeit hin zu überprüfen. Maßgeblich dafür sind (i) die stand-alone Kreditwürdigkeit der Darlehensnehmerin, (ii) die tatsächlichen Darlehenskonditionen und (iii) die Frage, ob es für die Darlehensnehmerin zu vergleichbaren Konditionen auf dem freien Markt ein Darlehen gegeben hätte. Sollten einzelne Konditionen (insbesondere der Zins) nicht übereinstimmen, so ist diesbezüglich eine Einkommenskorrektur in Form einer Zinsanpassung vorzunehmen. Die Teilwertabschreibung ist in diesem Fall steuerlich anzuerkennen. Nur wenn kein vergleichbares Darlehen nachweisbar ist, also nachweislich kein fremder Dritter unter diesen Bedingungen ein unbesichertes Darlehen gegeben hätte, nur dann ist der Substanzverlust aus der Darlehensabschreibung oder aus der Forderungsausbuchung nach § 1 AStG beim Darlehensgeber zu korrigieren. Wichtig in diesem Zusammenhang außerdem: Sollte eine Zinsanpassung in anderen als den streitgegenständlichen Jahren bereits bestandskräftig sein, hindert dies die steuerliche Anerkennung der Teilwertabschreibung auf das Darlehen nicht.
D. Ausblick Es ist davon auszugehen, dass Betriebsausgaben in Zusammenhang mit In- und Outbound-Finanzierungen weiterhin im Fokus von Gesetzgeber und Finanzverwaltung stehen werden.
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Überschießende Verwaltungsanweisungen verschärfen das Betriebsprüfungsklima zunehmend, die Verwaltungsgrundsätze Verrechnungspreise aus 2021 sind bereits heute durch die aktuelle BFH-Rechtsprechung in einigen Teilen überholt und bedürfen dringend der Überarbeitung. Anderenfalls dürften Rechtsstreitigkeiten über Verrechnungspreise im Allgemeinen und über Finanzierungen im Besonderen weiterhin zunehmen. Der BFH hat seine Rechtsprechung zu § 1 AStG in Zusammenhang mit Konzernfinanzierung, aber auch hinsichtlich weitergehender Aspekte wie anzuwendender Verrechnungspreismethoden sowie risikoadäquater Vergütung konsequent fortentwickelt. Das Thema wird die Fachwelt auch in Zukunft beschäftigen.
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Ausgewählte Entwicklungen der Verrechnungspreisbestimmung Podiumsdiskussion Leitung Prof. Dr. Bert Kaminski Institut für Betriebswirtschaftliche Steuerlehre, Helmut-Schmidt-Universität/Universität der Bundeswehr Hamburg Teilnehmer Dr. Peter Brandis Vorsitzender Richter am Bundesfinanzhof, München
MinDirig Martin Kreienbaum Bundesministerium der Finanzen, Berlin
Oliver Nußbaum Global Head of Tax, BASF SE, Ludwigshafen
Kerstin Schulz, M.I.Tax Global Head of Tax and Customs, Beiersdorf AG Hamburg
Tina Schumann Deutsche Bank AG, Frankfurt am Main
Prof. Dr. Kaminski Frau Schumann, zunächst vielen Dank für Ihren Vortrag. Ich möchte Herrn Kreienbaum eine Frage stellen. Ich weiß nicht, ob Sie dazu schon etwas sagen können. Im Koalitionsvertrag ist ja eine neue Abzugsbegrenzung vorgesehen: die Zinshöhenschranke. Mich hat das an alte Entwürfe im § 1 Abs. 3d und Abs. 3e AStG erinnert. Muss ich mir das so vorstellen? Gibt es da schon irgendetwas Konkretes, denn der Koalitionsvertrag ist hierzu ja sehr unbestimmt? Kreienbaum Ja, danke, Herr Kaminski. Ich möchte ein bisschen ausholen, wenn ich darf. Also zunächst, Frau Schumann, stimme ich Ihnen völlig zu …
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Podiumsdiskussion: Entwicklungen der VP-Bestimmung
Schumann Das freut mich! Kreienbaum … Ich war mit meinem Satz noch nicht zu Ende, Frau Schumann! Schumann Schade! Kreienbaum … in der Frage, dass die Konzernfinanzierung weiter im Fokus der Finanzverwaltungen steht. Ich habe aber auch einen Punkt, wo ich Ihnen nicht zustimmen möchte, und das ist Ihre Beurteilung des fiktiven Herrn Palmström. Bei dem Herrn Palmström würde ich nicht von vornherein ausschließen, dass er vielleicht doch bei klarem Bewusstsein war und gar nicht geträumt hat, und vielleicht denkt der Herr Palmström tatsächlich und zu Recht, dass das Anwendungsschreiben für die Verwaltungsgrundsätze im Einklang mit dem Kapitel 10 der OECD-Verrechnungspreisleitlinie steht. Schumann Das müsste man ihn mal fragen. Kreienbaum Vielleicht hat sich auch der Gesetzgeber beim § 1a AStG im Regierungsentwurf gedacht, dass das im Einklang steht mit den OECD-Verrechnungspreisleitlinien. Insofern will ich diese Frage heute offenlassen, wer in welchem Bewusstsein welche Schritte vorgenommen hat. Die Frage der Konzernfinanzierung beschäftigt uns vor allen Dingen deswegen, weil wir feststellen, dass die Konzernaußenfinanzierung zu anderen Konditionen stattfindet als die Konzerninnenfinanzierung. Das ist ähnlich wie bei der globalen Verschuldung, wo – wie wir gehört haben – weniger Forderungen mehr Verbindlichkeiten gegenüberstehen. Und das verursacht ein Störgefühl. Dieses Störgefühl ist der Ausgangspunkt der Diskussion. Eine davon getrennt zu beantwortende Frage ist, ob wir mit dem Instrument der Verrechnungspreise richtig aufgestellt sind, dieses Problem anzugehen, oder ob man ein anderes Instrument brauchen könn-
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te, zum Beispiel eine Zinshöhenschranke, wie sie im Koalitionsvertrag vorgeschlagen oder angeregt wird. Sind Finanzierungen innerhalb eines Konzerns durch den Konzernverbund so geprägt, dass sie einem Fremdvergleich möglicherweise gar nicht mehr zugänglich sind und deswegen der Fremdvergleich möglicherweise nicht das richtige Instrument ist? Ich meine, dass das die Grundsatzfrage ist, die auch im Koalitionsvertrag mit dem Hinweis auf die Zinshöhenschranke angesprochen ist. Schulz Da hätte ich eine andere Frage. Müssen wir unterstellen, dass wir immer von Back-to-Back-Finanzierung ausgehen? Also die Finanzierung im Konzern speist sich aus unterschiedlichen Komponenten. Zum Beispiel: Beiersdorf ist extern nahezu gar nicht fremdfinanziert – was grundsätzlich erst einmal ein schöner Fakt ist –, aber nichtsdestotrotz, wo nehme ich dann jetzt meine Benchmark her? Also, ich würde hier gern verstehen wie man hier vorgeht. Finanzierung setzt sich nicht nur aus externer Fremdfinanzierung und intern weitergegebener Tochterfinanzierung zusammen, sondern wir erwirtschaften ja auch weitere Liquidität, die wir auch wieder im Konzern weitergeben. Das würde dann unterstellen, dass das immer in Beziehung stehen muss. Kreienbaum Das Vergleichspaar dürfte tatsächlich die Fremdfinanzierung sein. Alles, was Sie an Eigenkapital reingeben, dürfte nicht den gleichen Bedingungen unterliegen. Das würde ich schon so akzeptieren. Und wenn Sie zu einem gewissen Grad fremdfinanziert sind und die Innenfinanzierung in dem Finanzierungsaufwand, also in dem Zinssatz, von den Kosten der Außenfinanzierung abweicht, dann verursacht das ein Störgefühl, ja. Prof. Dr. Kaminski Herr Andresen hatte sich gemeldet. Andresen1 Was Sie sagen, Herr Kreienbaum, kann ich aus Sicht des Staatsbürgers sehr gut nachvollziehen. Im Fall des FG Münster beispielsweise, bei dem man klar gesehen hat, dass ein ausländischer Staat auf seine Besteuerungsmöglichkeit verzichtet, wirkt dies natürlich als Auslöser für die 1 Dr. Ulf Andresen ist Partner bei DLA Piper Frankfurt.
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Finanzverwaltung, in diesem Fall aus Nordrhein-Westfalen, diesen Sachverhalt genauer anzuschauen. Ich glaube aber, dass die deutsche Finanzverwaltung bei den Inbound-Finanzierungen in die falsche Richtung denkt, denn wenn diese ausländische Finanzierungsgesellschaft nicht diejenige ist, die diesen Zins bekommen sollte für das Ausfallrisiko – denn der Zins ist der Preis für das Ausfallrisiko –, dann geht es im Zweifel eine Ebene nach oben, aber nicht nach unten. Denn dieses Ausfallrisiko einer inländischen Darlehensnehmerin bleibt bestehen, und dann ist es im Zweifel der dahinterstehende Investor, der letztendlich dann auch den Zins als Preis für das eingegangene Risiko vereinnahmen sollte. Diese falsche Denkrichtung ist, so glaube ich, das Grundproblem – Frau Schumann hatte das auch angesprochen – zumindest bei den Inbound-Konstellationen. Und im Outbound-Fall glaube ich allerdings auch nicht, dass man grundsätzlich der deutschen Industrie unterstellen sollte, dass diese eine unentgeltliche Fremdfinanzierung immer bewusst wählt oder besser gewählt hat, nur, um quasi die steuerunwirksame Abschreibung auf die Kapitalbeteiligung aller Tochtergesellschaften zu umgehen. Vor diesem Hintergrund erscheint die Rechtsprechung zu den zahlreichen Outbound-Fällen, die wir beobachten konnten, äußerst fragwürdig. Es ist daher begrüßenswert, dass wir jetzt wieder so ein bisschen auf den Pfad der Tugend zurückgekommen sind, nachdem das Bundesverfassungsgericht in seiner Begründung ja auch zu Recht eine gewisse Willkür erkannt hat bei der Anwendung des Fremdvergleichs, weil dieser im Grunde genommen bis hin zum Bundesfinanzhof nicht geführt worden ist. Prof. Dr. Kaminski Wollen Sie kurz? Herr Andresen, ich sehe das ähnlich. Aber Herr Brandis, ich würde Sie gerne fragen: Ist nicht eigentlich die Wertungsentscheidung, die auch der Zinsschranke zugrunde liegt, zu sagen, wir können gar nicht diesen angemessenen Eigen-Fremdkapitalbedarf darstellen? Wir hatten das früher im alten § 8a KStG. Da galt zunächst ein Verhältnis von 1:3, und dann später von 1:1,5. Das zeigt doch, dass es den angemessenen Maßstab so ohne Weiteres gar nicht geben kann. Und wenn dann in einem Verwaltungserlass gesagt wird, wir fangen nun an, praktisch eine Art Angemessenheitsprüfung vorzunehmen – geht das nicht eigentlich ein bisschen weit?
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Dr. Brandis Also zunächst zur Wortmeldung, da möchte ich widersprechen. Das Bundesverfassungsgericht hat eindeutig nicht gesagt, dass eine Willkürrechtsprechung vorliegt, sondern hat die materiell-rechtliche Frage offengelassen. Der Aufhebungsgrund war eindeutig „nur“ die Frage, ob der Vorlagepflicht zum EuGH gerecht geworden ist. Ansonsten, Herr Professor Kaminski, gebe ich Ihnen natürlich recht: Letztlich hat man etwas davon schon in der Zinsschranke gesehen, das hat eine gewisse Nähe; allerdings bleibt der große Unterschied, dass mit der Zinsschranke versucht wird, gleichsam eine Overall-Betrachtung der gesamten Fremdfinanzierung der Unternehmenstätigkeit zu beobachten, während wir uns hier im Bereich der Verrechnungspreise ja nun doch sehr spezifisch um den einzelnen Kontrakt, die einzelne Finanzierung, kümmern, und dort gibt es durchaus, insbesondere im Bereich des Konzernverbunds, weil dort besondere Beziehungen bestehen, ein eigenständiges Prüfungsmaß, nämlich den Fremdvergleich, und der sollte auch ohne Weiteres seinen Bestand haben. Mit anderen Worten, der I. Senat hat die Zinsschranke dem Bundesverfassungsgericht vorgelegt, weil diese Frage insgesamt zu stellen ist, ob man eine solche Regelung mit dem Nettoprinzip vereinbaren kann. Tatsächlich kann es ja eigentlich nicht darum gehen, und das war der Ansatzpunkt zu Textziffer 3.91 der Verwaltungsgrundsätze, dass der Fiskus im Ergebnis vielleicht besser oder anders wirtschaften will als das Unternehmen, indem er sich nämlich sagt: Bitte, diese Finanzierung, die war doch jetzt vielleicht gar nicht notwendig, was tut ihr denn da? Wir haben den Ansatzpunkt im Bereich des Fremdvergleichs, und der hat seine Berechtigung. Prof. Dr. Kaminski Würden Sie die These teilen, dass die Textziffer 3.92 mit Ihrer Rechtsprechung unvereinbar ist? Dr. Brandis Ich sehe da große Zweifel, ob sie damit vereinbar ist, was auch in der Literatur schon sehr deutlich herausgestellt worden ist: Unser Ansatzpunkt, „der richtige Weg“, wie er gerade so nett bezeichnet wurde, ist der ge-
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naue Blick auf die einzelne Vereinbarung zwischen den einzelnen Vertragspartnern.2 Prof. Dr. Kaminski Herr Kreienbaum, wird das dazu führen, dass die Finanzverwaltung darüber nochmals nachdenkt? Denn wenn ich mir vorstelle, wie so Erlasse entstehen, dann dürfte der Erlass zu dem Zeitpunkt, als der BFH entschieden hat, weitestgehend abgeschlossen gewesen sein. Wäre das nicht ein Anlass zu sagen, die Finanzverwaltung ändert ihre Auffassung hierzu? Kreienbaum Wir schauen uns die Urteile sehr genau an und beraten sie zwischen Bund und Ländern. Die Beratungen darüber haben wir schon begonnen. Sie haben ja gesehen, dass wir die angesprochenen Urteile noch nicht veröffentlicht haben. Und die Frage, Nicht-Anwendungserlass versus Veröffentlichung, die ist zwischen Bund und Ländern noch nicht zu Ende diskutiert. Prof. Dr. Kaminski Das habe ich jetzt richtig verstanden: Es gibt drei Entscheidungen des BFH, und Sie sprechen von einem Nicht-Anwendungserlass? Kreienbaum Die Richtung des BFH ist klar. Gegenstand laufender Diskussionen zwischen Bund und Ländern ist, wie wir damit umgehen. Mögliche Optionen schließen Nicht-Anwendungserlasse, Veröffentlichungen und den Anstoß gesetzlicher Änderungen mit ein. Prof. Dr. Kaminski Dann warten wir mal ab, was da geschehen wird. Ich möchte noch eine ganz grundlegende Frage stellen, Herr Brandis: Kann es eigentlich so etwas wie einen konzerninternen Fremdvergleichsgrundsatz geben? Kann ich also sagen: Ich nehme einen Verrechnungspreis und ich rechtfertige ihn damit, dass ich andere konzerninterne Liefer- und Leistungsbeziehungen heranziehe? Würden Sie das so sehen, oder würden Sie sagen, dass dies vom Ansatz her nicht möglich ist? In 2 Vgl. BFH, Urt. v. 18.5.2021 – I R 4/17, DStR 2021, 2506.
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der „reinen“ Lehre würde vorgebracht, dass der Verrechnungspreis zwischen Tochtergesellschaft A und B falsch sein könnte und damit wäre es nicht möglich, damit den Verrechnungspreis zwischen A und C zu rechtfertigen. Würden Sie das auch so sehen, oder würden Sie sagen: Wenn es keine anderen Daten gibt und es gibt keinen Hinweis, dass der Preis zwischen A und B falsch ist, dann würden wir auch den Preis A und C damit rechtfertigen können? Dr. Brandis Ich würde eher dazu tendieren, die Situation auf den einzelnen Kontrakt zu beziehen. Mit anderen Worten, es mag vielleicht sein, dass in diesem Beritt zwischen zwei anderen Gesellschaften vielleicht eine andere Struktur herrscht. Das ist tatsächlich sehr eindeutig auf die einzelne Finanzierungsbeziehung zu beziehen. Dieses Stichwort Stand-Alone-Rating geht auch dahin, im Grunde genommen zu akzeptieren, dass wir hier keine Struktur der Konzernbesteuerung haben, sondern eine Individualbesteuerung gleichsam jedes Konzernunternehmens. Natürlich gibt es Organschaften, die zu berücksichtigen sind, aber im Grundsatz kümmert man sich um die Steuerbemessungsgrundlage des einzelnen Unternehmens, mag es auch konzerngebunden sein. Wobei aber, das ist ja auch völlig zu Recht von Frau Schumann gesagt worden, ein bestimmtes Unternehmen in der Konzernstruktur auch eine ganz besondere Bedeutung haben kann, so dass dann eben doch ein fremder Dritter mit Blick auf die Risikostruktur seiner Darlehensvergabe darauf schaut. Aber im Grundsatz bleibt es dabei, dass wir in der steuerrechtlichen Struktur ein Unternehmen haben, das wir in der Sache nicht in der Konzernstruktur als solches zu besteuern haben, sondern als Einzelunternehmen, und das ist der Ansatzpunkt, den der Senat verfolgt. Prof. Dr. Kaminski Vielen Dank. Herr Kreienbaum, bitte. Kreienbaum Ja, zu Ihrer Frage würde ich auch gerne kommentieren. Die Frage würde ich klar mit Nein beantworten, denn bei der fremdvergleichsbasierten Verrechnungspreisermittlung geht es ja gerade darum, den Konzernverbund wegzudenken und deswegen kommt es meines Erachtens von vornherein nicht in Frage, einen Vergleichspart auch aus dem Konzern-
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verbund zu bilden. Gerade diese Verbindungseigenschaft, dieses Verwandtschaftsverhältnis, wollen Sie ja wegdenken. Prof. Dr. Kaminski Die Frage ist nur: Was machen Sie, wenn Sie keine Vergleichswerte finden? Es gibt ja Leistungsbeziehungen, die gibt es nur konzernintern und bei denen muss dann die vom BFH so stark hervorgehobene Preisvergleichsmethode scheitern. Dann kann nur noch mit Plausibilitätserwägungen gerechnet und gearbeitet werden. Das ist dann die Konsequenz. Kreienbaum Ja, wenn Sie keinen Preisvergleich finden, finden Sie auch keinen im Konzern. Prof. Dr. Kaminski Das ist die Frage, ob ich den nicht doch im Konzern finde. Wenn ich die gleichen Leistungen an unterschiedliche Gesellschaften im Konzern erbringe, und wenn ich diese plausibilisieren kann, zum Beispiel, dass ich sage, ich weise nach, dass es eine angemessene Vergütung für diese Gesellschaften gibt – das ist ja auch das, was der BFH in seiner Vertriebsgesellschaftsrechtsprechung letztendlich gesagt hat: Ich kann über die Frage nachdenken, ob und inwieweit eine entsprechende, angemessene Rendite erzielt wird, oder eben zu sagen, es kann keine, negativ abgegrenzt, dauerhaft gewinnlose Vertriebsgesellschaft sein. Das war die Grundidee der Rechtsprechung des I. Senats. Herr Andresen nochmal, bitte. Andresen Ein ganz kurzer Satz nur: Haben wir nicht einen Widerspruch zwischen dem Wegdenken der Konzernbeziehung und der Hornbach-Entscheidung3, wo genau gesagt wird, ich muss mir sozusagen anschauen wie ein Konzern anders tickt als fremde Dritte und dieses andere Ticken zumindest geltend machen können? Nach meiner Auffassung ist der Fremdvergleich ein relativer Maßstab und kein absoluter. Daran müssten eigentlich auch die Finanzverwaltungen der Welt ein Interesse haben, weil sonst der Fremdvergleich auf der Grundlage von Datenbank3 Vgl. EuGH, Urt. v. 31.5.2021 – C-382/16, DStR 2018, 1221.
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Studien tendenziell immer zu einer Self-Fulfilling-Prophecy wird, da Konzerngesellschaften eigentlich immer eine höhere Rendite erzielen als die fremden Dritten. Aus eben jenem Grund schließen sich Unternehmen ja letztendlich zusammen, wie es John Coase in seiner Theory of the Firm erläutert hat. Prof. Dr. Kaminski Das ist vielleicht ein bisschen das Problem in der Hornbach-Entscheidung des EuGH, wenn ich aus meiner Sicht darauf antworten darf, dass völlig unklar ist, was wirtschaftlich beachtliche Gründe sind, die ein Abweichen vom Fremdvergleichsgrundsatz rechtfertigen können. Das ist aus meiner Sicht unbestimmt und das ist auch ein bisschen das Problem, was der I. Senat des BFH gesehen hat, warum er damals das Verfahren nicht vorgelegt hat. Aber ich würde Herrn Nußbaum nochmal fragen: Haben Sie auch solche immensen Finanzierungsprobleme, immensen Diskussionen um Zinssätze bei Darlehensbeziehungen im Konzern? Nußbaum Mit der Betriebsprüfung haben wir das nicht. Nein, also, zumindest bisher nicht. Unser grundsätzlicher Ansatz ist, dass wir die Außenfinanzierung der Gruppe als Basis nehmen, als Startpunkt für die Berechnung der gruppeninternen Finanzierungszinsen und dann jeweils Stand-Alone Abschläge vom Konzernrating vornehmen. Also wir setzen nicht ausschließlich auf die Außenfinanzierung des Konzerns, vielmehr versuchen wir, ein individuelles Verpreisungssystem pro Gesellschaft zu entwickeln. Das ist zumindest bei uns der Standard. Ich hielte es auch für schwierig, wenn man nur die Außenfinanzierung im Konzern als Maßstab nehmen würde, die im Übrigen nicht gesichert ist. BASF ist ungesichert über den Kapitalmarkt finanziert. Die Außenfinanzierung setzt sich zusammen aus verschiedenen Währungen mit jeweils verschiedenen Laufzeiten, aufgenommen zu unterschiedlichen Zeitpunkten in der Vergangenheit. Der Konzern hat zu unterschiedlichen Zeitpunkten unterschiedliche Ratings und in seiner Zusammensetzung unterschiedliche Kapitalmarktfinanzierungen. Wie soll ich dann Zinshöhen, selbst wenn ich sie in eine Zinshöhenschranke einbauen möchte, an Tochtergesellschaften transportieren? Ich sehe das kritisch – schon allein, wenn es sich um eine andere Währung oder Laufzeit handelt. Wie erfolgt die Überleitung, wie rechne ich dann um?
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Wie gehe ich mit abweichenden Zeitpunkten der Darlehensgewährung um? Was, wenn der Konzern in der Summe EK finanziert ist und überhaupt kein FK aufgenommen wurde? Ich meine, dass ein nur aus dem Gesamtkonzern abgeleiteter Finanzierungszinssatz für die Darlehensgewährung an eine Tochtergesellschaft – bei unterschiedlichen Währungen, bei unterschiedlichen Kapitalausstattungen, zu unterschiedlichen Zeitpunkten – sich sehr weit vom Fremdvergleich entfernt. Und das soll dann wahrscheinlich als absolute Höchstgrenze gelten, aber wenn der Arm’s-Length-Zins im Einzelfall niedriger ist, dann soll der niedrigere Zins Anwendung finden. Das würde faktisch dazu führen, dass ich in der Summe im Konzern nicht alle Zinsen mehr abziehen kann. Und eigentlich ist doch die zugrundeliegende Idee, Zinsaufwand gleich zu verteilen und zu solidarisieren. Wenn überhaupt, dann müsste der Ansatz doch sein, man nimmt die Außenfinanzierung im Konzern und ordnet Gruppengesellschaften Finanzierungsanteile nach einem Schlüssel zu, die unabhängig von Bonität und von der tatsächlichen Darlehensaufnahme durch eine Tochtergesellschaft sind. Ich glaube, das ist nicht nur nicht trivial, es ist nicht möglich. Prof. Dr. Kaminski Frau Schulz, wie sehen Sie das? Schulz Ich kann dem nur zustimmen. Wir haben kaum Fremdfinanzierung, insofern kann ich mich schon mal auf diese Basis nicht zurückziehen und gehen letztendlich ähnlich vor. Also die erste Frage, die man sich immer stellt: Würde ein fremder Dritter dieses Kapital zur Verfügung stellen, also, müsste man Eigenkapital geben, oder kann man Fremdkapital geben aufgrund der Bonität der Gesellschaft? Und dann, wie Frau Schumann vorhin gesagt hat, geht man im Zinssatz ebenso vor, so dass man die unterschiedlichen Komponenten mit einbezieht. Wir haben jetzt keinen Benchmark, was unsere externe Finanzierung angeht, also müssen wir schauen, dass wir ein Benchmark für eine Verzinsung extern für genau solch ein Darlehen unter einer bestimmten Bonität mit einem Shadow-Rating bekommen und dann eben diese Risikokomponenten – Nachrangigkeit, besichert, nicht besichert usw. – in den Zinssatz einpflegen. Anders wüsste ich nicht, wie wir es ableiten sollen. Finanzierungsgesellschaft haben wir auch keine, insofern betrifft mich die The-
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matik der risikolosen Rendite an der Stelle nicht. Von daher an dieser Stelle keine Betroffenheit. Wobei ich dem nicht folge. Wenn man sich anschaut, wie der BFH im Mai entsprechend geurteilt hat, sind die Dinge, die Sie ja auch schon angesprochen haben, gegebenenfalls nochmal zu überdenken. Prof. Dr. Kaminski Herr Brandis: Es gibt einen neuen Vorlagebeschluss des Finanzgerichts Bremen zur Frage „Europarechtswidrigkeit § 162 Abs. 4 AO“, also die Sanktionen in den Verrechnungspreisfällen. Wie beurteilen Sie eigentlich – ohne, dass Sie jetzt Kritik üben sollen – die unterschiedliche Praxis der Vorlage von Finanzgerichten seitens des BFH? Wir haben Gerichte, die legen tendenziell eher häufiger vor, und wir haben Gerichte, bei denen schon sehr stark gesucht werden muss, um von denen überhaupt eine Vorlage an den EuGH zu finden. Wie beurteilen Sie das? Dr. Brandis Die Finanzgerichte sind ja frei in der Überlegung, ob sie selber vorlegen. Es gibt zuweilen aber auch Verfahren, in denen vorgelegt wurde, dann kam die Antwort vom Gerichtshof der Europäischen Union und dann war aber im Ergebnis vielleicht doch noch eine nationale Rechtsfrage in der Revisionsinstanz zu klären. Damit gibt es Fragen, die vielleicht doch besser von der Revisionsinstanz gleichsam vorentschieden werden, um eventuell dann in der Revisionsinstanz, was ja dann verpflichtend ist, tatsächlich vorzulegen. Mit anderen Worten: Es gibt Fallkonstellationen, in denen es aus meiner Sicht nachteilig ist, wenn Finanzgerichte gleichsam schon vorab vorlegen. Ich will nicht sagen, dass das in dieser konkreten Vorlage des FG Bremen auch der Fall ist. Das ist für mich einfach offen. Ich will nur sagen, das war Ihre generelle Frage, man muss vielleicht prüfen: Ist das wirklich etwas, was dann auch in der Revisionsinstanz als entscheidungserheblich angesehen wird? Sonst entsteht da eine Unwucht, die aus meiner Sicht unzuträglich ist. Prof. Dr. Kaminski Dies bedeutet für die Beteiligten längere Verfahrensdauer und auch längere Prozesse sowie regelmäßig höhere Kosten, so dass sie schon aus diesen Gründen auf eine Vorlage durch das FG drängen.
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Dr. Brandis Das ist sicherlich auch ein ganz wichtiger Aspekt. Wobei, was die Verfahrensdauer anbelangt, wir ja sehr glücklich darüber sein können, dass wir die Entscheidungen des Gerichtshofs der Europäischen Union relativ zeitnah zurückbekommen. Das Bundesverfassungsgericht, das sei auch einmal gesagt, braucht ja grundsätzlich länger, wenn es denn nicht, wie in diesem Fall, der in unserem Thema gerade spielt, so unheimlich schnell gegangen ist. Dabei muss man sich auch vor Augen führen, dass der Umstand, dass eine Verfassungsbeschwerde gegen eine Entscheidung eines obersten Bundesgerichts Erfolg hat, höchst selten vorkommt. Aber immerhin, warum soll das nicht so sein. Ich will aber, wenn ich diese Möglichkeit hier nutzen darf, auf eine Besonderheit hinweisen: In der entscheidungserheblichen Frage des gesetzlichen Richters hat die Kammer des Senats des Bundesverfassungsgerichts quasi durchentschieden und gesagt, ja, es liegt ein Verstoß gegen den gesetzlichen Richter vor; es gibt aber auch andere Kammern des Bundesverfassungsgerichts, in denen in vergleichbarer Konstellation eine Zulässigkeitshürde aufgebaut wird, nämlich eine Nichtigkeitsklage, die erst einmal anzustrengen ist, bevor man mit dieser Beschwer zum Bundesverfassungsgericht geht. Also mit anderen Worten: Es ist kein Königsweg mit Blick auf die Verletzung des Grundsatzes des gesetzlichen Richters, sofort gegen eine Entscheidung des obersten Bundesgerichts mit einer Verfassungsbeschwerde vorzugehen. Prof. Dr. Kaminski Vielen Dank für die Klarstellung. Es gibt noch eine Frage aus dem Kreis der Teilnehmer an Sie: „Welche materiellen Unterschiede sieht Frau Schumann in der Anwendung der Preisvergleichsmethode gegenüber der Anwendung der Kostenaufschlagsmethode bei Finanzierungstransaktionen? Müsste die Anwendung nicht zu vergleichbaren Ergebnissen kommen, wenn die Voraussetzungen für die Anwendung der Methoden gleich sind?“ Schumann Ich bin mir nicht ganz sicher, was damit gemeint ist: „… wenn die Voraussetzungen für die Anwendung der Methoden gleich sind“. Ach so, ob es eine Vorrangigkeit gibt oder nicht?
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Ja, der BFH hat sich deutlich positioniert, dass es eine Vorrangigkeit gibt. Ich teile diese Auffassung auch, gerade bei Finanzierungsbeziehungen, weil die doch sehr klar sind und nicht besonders komplex in den meisten Fällen. Also wirklich gut abschichtbar und vergleichbar mit Drittmarktdaten. Wenn man jetzt trotzdem sagt, ich möchte aber gern die Kostenaufschlagsmethode verwenden, dann wäre schon die Frage, ob man da nicht doch die Refinanzierungskosten mit einbeziehen müsste. Das würde aber dann die Gefahr bergen, dass man dann wahrscheinlich auf einen zu hohen Zinssatz – zumindest mal im Vergleich, also zu einem höheren Zinssatz – im Vergleich zur Preisvergleichsmethodik käme. Und ob das dann richtig ist … Also ich würde eher sagen Nein. Prof. Dr. Kaminski Das würde ja bedeuten, dass, wenn mehrstufige Darlehen gewährt werden, dass sich auf jeder Stufe der Zinssatz erhöht. Schumann Ja, das auch. Prof. Dr. Kaminski Also könnte alleine dadurch, dass ein Darlehen durch den Konzern laufen gelassen wird, immer der Zinssatz erhöht werden, wenn das richtig wäre und die Gesellschaften über so viel Substanz verfügen, dass sie steuerlich anzuerkennen sind. Schumann Genau. Überall noch ein paar Personalkosten dazu und ein paar OfficeKosten … Prof. Dr. Kaminski Ja. Refinanzierungskosten, kleiner Gewinnaufschlag, und irgendwann entsteht ein hoher Zinssatz, wenn es denn nur eine ausreichend große Zahl an Gesellschaften ist. Schumann Ja. Ja also, kann ich … Wie gesagt, ich sehe da durchaus auch eine Reihenfolge, einfach, weil die Leistungsbeziehung so klar und relativ simpel ist. Es gibt andere Leistungsbeziehungen, die sind sehr viel komple-
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xer, und da kann man wirklich trefflich darüber diskutieren, was die richtige Verrechnungspreismethode ist. Prof. Dr. Kaminski Damit würde ich Ihnen auch das Schlusswort erteilen. Frage noch? Dr. Brandis Ich habe noch eine Überlegung, die ich gerne platzieren möchte. Nämlich die Frage, wie weit ein Revisionsgericht in der Lage ist, diese Strukturen, die ja jetzt angesprochen wurden, wirklich in allen Einzelheiten bis zu einem punktuellen Ergebnis abschließend zu entscheiden. Sie sehen, die Entscheidungen, die getroffen worden sind, führten zu einer Zurückverweisung an das Finanzgericht. Mit anderen Worten: Die konkrete Ansatzhöhe ist im Grunde eine Frage, die in der Tatsacheninstanz zu klären ist. Der Bundesfinanzhof hat nur die Aufgabe zu überprüfen, ob eine Schätzung einigermaßen sachgerecht erfolgt ist. Nur das ist der Prüfungsmaßstab. Und vielleicht erinnern wir uns alle daran: Früher gab es viele Verfahren, in denen es um die Höhe der Geschäftsführervergütung bei Kapitalgesellschaften ging. Auch das wurde nach einigen klärenden Worten des Bundesfinanzhofs in fast allen Fällen der Rechtsprechung des Tatsachengerichts, also der Finanzgerichte, überantwortet. In dem Sinne habe ich – vielleicht darf man das einfach auch in einer Nikolaussitzung einmal so formulieren – ein bisschen Hoffnung, dass vielleicht auch diese Struktur im Bereich der Finanzgerichtsbarkeit bei einem ordentlichen Miteinanderarbeiten aller Beteiligten auch zu einer Erledigung führen kann und nicht zwingend streitig gestellt wird, um sie zu dem Revisionsgericht zu bringen. Prof. Dr. Kaminski Das war fast ein gutes Schlusswort! Schumann Ich finde auch. Ich kann das nur unterstreichen. Das ist auch allen Beteiligten, glaube ich, bewusst, dass man Verrechnungspreisthemen ungern bis in die letzte Instanz trägt. Unser Bestreben ist immer, sich vorher auf bestimmte Parameter mit der Betriebsprüfung auch schon zu einigen. Zu sagen, zum Beispiel, dieser Preis ist richtig, der wird nicht angezweifelt. Das kann helfen, wenn sich alle Parteien daran halten. Ich habe es allerdings auch schon zweimal vor Gericht erlebt, dass die Betriebsprü-
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fung dann in dem Moment zurückgerudert ist und alles wieder offengestellt hat. Das ist ein schwieriges Unterfangen. Es klappt einfach nicht immer. Und dann landet man im Zweifel doch in der nächsten Instanz. Aber wenn ich mir auch nochmal was wünschen darf, ist es tatsächlich, dass wir mit der Finanzverwaltung im Dialog bleiben. Ich bin strikt gegen eine pauschalisierende Kriminalisierung der Wirtschaft – was man manchmal so den Eindruck hat, was so ein bisschen durchschimmert: Alle Finanzierung ist böse oder wie auch immer. Ich bin aber auch ganz strikt gegen diese exzessiven Gewinnverlagerungen, Steuerhinterziehungen. Meines Erachtens ist es Betrug am Staat, Betrug am Steuerpflichtigen und am Bürger und gegen die Allgemeinheit. Das unterstütze ich auf gar keinen Fall, und ich finde, auf der Basis muss doch ein Dialog möglich sein. Vielen Dank! Prof. Dr. Kaminski Ja, das war ein gutes Schlusswort. Vielen Dank für Ihren Vortrag!
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Anzeigepflichten für grenzüberschreitende Steuergestaltungen Prof. Dr. Klaus von Brocke Honorarprofessor, Rechtsanwalt Universität des Saarlandes, Ernst & Young, München
A. Einführung . . . . . . . . . . . . . . . 113 B. Umsetzung und Systematik der DAC6-Amtshilferichtlinie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Umsetzung der DAC6Richtlinie . . . . . . . . . . . . . . . . II. Die Systematik der Mitteilungspflicht . . . . . . . . . . . . . . 1. Erfasste Steuerarten . . . . . 2. Vorliegen einer grenzüberschreitenden Gestaltung. . 3. Mitteilungspflicht der Gestaltung . . . . . . . . . . . . . 4. Frist und Inhalt der Mitteilung . . . . . . . . . . . . .
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C. Praxisbeispiele . . . . . . . . . . . . 119 I. Fall 1: Der Schweizer Register-Intermediär . . . . . . . . . . . 119
1. Kann die Registrierung bei einem Berufsverband in Deutschland zu einer Meldepflicht führen? . . . . 2. EU-Hilfs-Intermediär . . . . II. Fall 2: Betroffenheit . . . . . . . III. Fall 3: Standardisierte/marktfähige Gestaltung . . . . . . . . . IV. Fall 4: Steuerart und Steuervorteil im Drittstaat . . . . . . . V. Fall 5: B2 und die Umwandlung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . VI. Fall 6: Übertragung von Anteilen, grenzüberschreitende Verschmelzung . . . . . . . . . . . VII. Fall 7: Anspruch auf Löschung . . . . . . . . . . . . . . . .
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D. Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 134
A. Einführung Seit einigen Jahren hat sich die Diskussion um Steuergestaltungen multinationaler Unternehmen und individueller Steuerpflichtiger durch Aufdeckung der „Paradise Papers“ und „Panama Papers“ sowie „Lux Leaks“ (zuletzt auch „Pandora-Papers“) in den Fokus der breiten Öffentlichkeit geschoben und zu einem öffentlichen Diskurs und einer damit verbundenen zunehmenden Forderung, diese Steuergestaltungen zu unterbinden, geführt. Obwohl die Öffentlichkeit hierbei wenig Wert auf den Unterschied zwischen legalen Steuergestaltungen und illegaler Steuerhinterziehung gelegt hat, haben sowohl die Öffentlichkeit als auch die Finanzbehörden neben dem Ausmaß aggressiver Steuersparmodelle die
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systematische und standardisierte Vorgehensweise der Akteure (der sog. Intermediäre und ihrer Mandanten) erschüttert. Um die Transparenz im Steuerbereich zu verbessern und künftig wirkungsvoller gegen künstliche Steuergestaltungsmodelle zur Steuervermeidung vorgehen zu können, wurden innerhalb der EU und auf Basis des Aktionspunkts 12 des OECD-Berichts gegen Gewinnkürzung und Gewinnerverlagerung multinationaler Unternehmen (Base Erosion and Profit Shifting (BEPS)-Reports, Action 12 Mandatory Disclosure Rules) neue Vorschriften vorgeschlagen. Das Ergebnis ist der am 21.6.2017 veröffentlichte Vorschlag zur Änderung der Amtshilferichtlinie in Bezug auf einen verpflichtenden automatischen Informationsaustausch im Bereich der Besteuerung über meldepflichtige grenzüberschreitende Modelle, die sogenannte DAC6Amtshilferichtlinie. Diese ist zum 25.6.2018 in Kraft getreten und ab dem 1.7.2020 anzuwenden. Der nachfolgende Diskussionsbeitrag stellt die Systematik der Meldepflicht dar und zeigt praktische Problemfelder wie auch Hinweise zur Vorgehensweise auf.
B. Umsetzung und Systematik der DAC6-Amtshilferichtlinie I. Umsetzung der DAC6-Richtlinie Die EU-Mitgliedstaaten mussten die DAC6-Amtshilferichtlinie bis zum 31.12.2019 in nationales Recht implementieren. Die Richtlinie war ab dem 1.7.2020 anzuwenden. Der deutsche Gesetzgeber setzte die Regelungen aus der DAC6-Amtshilferichtlinie insbesondere in den neuen §§ 138d bis 138f der Abgabenordnung sowie im EU-Amtshilfegesetz um. Das entspricht weitgehend einer 1:1-Umsetzung der EU-Vorgaben, die grundsätzlich dann eine Meldepflicht (nach deutschem Umsetzungsgesetz: Mitteilungspflicht) statuieren, wenn eine Steuergestaltung grenzüberschreitend ist und eines der sog. Kennzeichen erfüllt. Über die EU-Vorgaben hinaus sollen nach derzeitigem Stand laut Koalitionsvereinbarung 2021-2025 vom 24.11.2021 auch bestimmte innerstaatliche Gestaltungen gemeldet werden müssen.1
1 Vgl. Kaeser/Wünnemann, DStR 2022, 1 ff. (2).
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Die Schwierigkeiten bei der Anwendung der Richtlinie bzw. dem deutschen Umsetzungsgesetz ergeben sich aus der Tatsache, dass der Intermediär wie auch der relevante Steuerpflichtige mit einer Vielzahl unbestimmter Rechtsbegriffe konfrontiert wurde bzw. die Richtlinie lediglich einen Mindeststandard festlegte und die Mitgliedsstaaten im Rahmen der erforderlichen nationalen Umsetzung davon weitergehende Offenlegungspflichten statuieren konnten. Darüber hinaus hat der Betroffene es zusätzlich mit weiteren 26 möglichen Umsetzungsvarianten zu tun, geht es ja maßgeblich um grenzüberschreitende Steuergestaltungen. Zwar ergab sich diese potenzierte Problematik schon immer bei den Richtlinien im Bereich der direkten Steuern. Doch bei den ohnehin begünstigenden (Mutter-Tochter-Richtlinie, Fusionsrichtlinie, Zins-Lizenzrichtlinie) bzw. weniger begünstigenden (CBCR-, ATAD-Richtlinie) steuerlichen Richtlinien hat die Nichtbeachtung der Richtliniengebote nicht zu Straf- bzw. Ordnungswidrigkeiten geführt. Anders stellt sich dies bekanntermaßen bei der Melderichtlinie dar. Ein Verstoß gegen die nationale Meldepflicht soll weiterhin als Ordnungswidrigkeit eingestuft und mit einer Geldbuße von bis zu 25.000 t belegt werden.
II. Die Systematik der Mitteilungspflicht 1. Erfasste Steuerarten Grundsätzlich erfasst die Meldepflicht sämtliche Steuerarten, und zwar unabhängig von der staatlichen Ebene, die die Steuern umfasst, und damit z.B. die Einkommensteuer, die Körperschaftsteuer, die Gewerbesteuer, die Erbschaftsteuer, die Kapitalertragsteuer usw. Ausdrücklich ausgenommen sind die Umsatzsteuer, die harmonisierten Verbrauchsteuern sowie Zölle und Sozialversicherungsabgaben. Darüber hinaus wird die Geltung geographisch auf solche Steuern eingeschränkt, die in dem Gebiet erhoben werden, auf das die Verträge gemäß Art. 52 des Vertrags über die Europäische Union Anwendung finden. Damit sind sowohl die EU-Staaten als auch eine Reihe von teils überseeischen Hoheitsgebieten der EU-Mitgliedstaaten2 erfasst. Steuern, die von Drittstaaten erhoben werden, unterliegen demnach grundsätzlich nicht der EU-Amtshilferichtlinie (vgl. dazu Fall 4).
2 Art. 52 Abs. 2 EUV i.V.m. Art. 355 AEUV.
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2. Vorliegen einer grenzüberschreitenden Gestaltung Grenzüberschreitend ist eine Gestaltung immer dann, wenn zwei EUMitgliedstaaten oder ein Mitgliedstaat und ein Drittstaat betroffen sind. Generell ist der Begriff der „grenzüberschreitenden Gestaltung“ weit ausgestaltet, denn er erfasst jegliche Grenzüberschreitung im Verhältnis zwischen EU-Staaten und im Verhältnis zwischen EU- und Drittstaaten, unabhängig davon, ob sich die Grenzüberschreitung aus einer nur zusätzlichen steuerlichen Ansässigkeit, Betriebsstätte oder bloßen Tätigkeit oder gar nur aus einer möglichen Auswirkung auf den automatischen Informationsaustausch unter bi- oder multilateralen Abkommen oder der EU-Amtshilferichtlinie ergibt (vgl. dazu Fall 2). In der DAC6-Amtshilferichtlinie ist der Begriff der Gestaltung nicht allgemein definiert, stattdessen werden in einem Anhang zahlreiche Kennzeichen aufgelistet. Insofern besitzen die Mitgliedstaaten einen gewissen Spielraum im Rahmen der Definition einer Gestaltung, solange dadurch der vom EU-Gesetzgeber vorgeschriebene Mindest-Geltungsbereich der Richtlinie nicht eingeschränkt wird. Vom Wortsinn her handelt es sich bei einer Gestaltung grundsätzlich um einen (kreativen) verändernden Schaffensprozess, der eine bewusste Entscheidung voraussetzt. Wobei hierdurch aus Praktikersicht nicht viel gewonnen ist und der Wortsinn in Zusammenschau mit den teilweise sehr weiten Kennzeichen (engl.: Hallmarks) sogar zu einer zu engen Auslegung verleiten könnte. Eine zufällige Erfüllung eines Kennzeichens, wenn Maßnahmen ohne Kenntnis um die steuerlichen Auswirkungen ergriffen werden, ist nach Sinn und Zweck der DAC6-Amtshilferichtlinie – Abschreckungswirkung gegenüber den Akteuren (Intermediär, Steuerpflichtiger) – jedenfalls keine Gestaltung.3 Dies gilt erst recht, wenn nicht das Handeln der Akteure, sondern die Änderung der steuerlichen Rahmenbedingungen zur Erfüllung eines Kennzeichens führt. Denkbar ist dies beispielsweise im Zusammenhang mit dem Brexit und den dazu erlassenen Übergangsgesetzen.
3 So auch Lüdicke/Oppel, IWB 2019, 62.
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Meldepflichtig ist eine Gestaltung dann, wenn sie grenzüberschreitend und zusätzlich mindestens ein Kennzeichen erfüllt ist. Insgesamt 15 Kennzeichen sind definiert, die grob in zwei Gruppen eingeteilt werden können. Die Kennzeichen der ersten Gruppe greifen nur, wenn zugleich der „main benefit“-Test (MBT) erfüllt wird. Der MBT gilt als erfüllt, wenn der Hauptvorteil oder einer der Hauptvorteile einer Gestaltung die Erlangung eines Steuervorteils ist. Die einzelnen Kennzeichen lassen sich in 5 Kategorien einordnen und erfassen entweder bestimmte Merkmale der Vertragsgestaltungen zwischen Steuerpflichtigem/Nutzer und Intermediären (Kategorie A), Steuerliche Merkmale der Gestaltung (Kategorien B, C und E) oder Umgehungen von Transparenzvorgaben (Kategorie D).
3. Mitteilungspflicht der Gestaltung Nach der Grundregel ist der sog. Intermediär meldepflichtig. Ein Intermediär konzipiert oder vermarktet eine Steuergestaltung oder stellt diese zur Umsetzung bereit. Daneben reichen nach der DAC6-Amtshilferichtlinie auch Hilfs-/Unterstützungsleistungen aus, um als Intermediär gewertet zu werden. Das deutsche Umsetzungsgesetz dagegen lässt eine Hilfs-/Unterstützungsleistung nicht ausreichen. Intermediäre sind insbesondere Steuerberater, Rechtsanwälte und Banken, aber auch andere Berater, die für eine Gestaltung relevante Dienstleistungen erbringen. Intermediäre i.S. der DAC6-Amtshilferichtlinie müssen in der EU ansässig sein oder einen anderweitigen EU-Nexus haben (z.B. Betriebsstätte oder Kammer-Mitgliedschaft). Reine Drittstaaten-Berater sind keine Intermediäre und damit nicht meldepflichtig (siehe dazu Fall 1). Zum Intermediär wird eine Person durch bestimmte Handlungen. Ohne Bedeutung sind grundsätzlich Entgeltlichkeit, Erlaubtheit und Erfolg. Die Intermediärseigenschaft hängt dementsprechend auch nicht von einer bestimmten Berufsqualifikation ab.4 Das führt beispielsweise dazu, dass Kreditinstitute oder Unternehmensberatungen zu Intermediären werden können, obwohl die steuerrechtliche Beratung außerhalb ihres Schwerpunkts liegt und sie ggf. nicht einmal zu ihr befugt sind. Es kommt nur darauf an, dass die Personen eine meldepflichtige grenzüberschreiten-
4 BMF-Diskussionsentwurf zur Umsetzung der Richtlinie (EU) 2018/822 v. 12.9.2018, S. 23.
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de Gestaltung konzipieren, vermarkten oder auch nur zur Umsetzung bereitstellen.
4. Frist und Inhalt der Mitteilung Für ab dem 1.7.2020 meldepflichtig gewordene Gestaltungen muss die Meldung innerhalb von 30 Tagen erfolgen, nachdem eines der folgenden meldepflichtigen Ereignisse eingetreten ist: –
Die meldepflichtige Gestaltung wird durch den Intermediär bereitgestellt,
–
diese ist umsetzungsbereit oder
–
ihr erster Umsetzungsschritt ist erfolgt.
Die Meldung erfolgt nach amtlich vorgeschriebenem Datensatz gegenüber dem Bundeszentralamt für Steuern und umfasst u.a. Personendaten des Steuerpflichtigen/Nutzers und des Intermediärs, eine Beschreibung der Gestaltung inkl. Angaben zum Wert der Gestaltung sowie die betroffenen weiteren Personen und Mitgliedstaaten. Eine eher knapp gehaltene Mitteilung entspricht der Hauptzielsetzung der DAC6-Amtshilferichtlinie, den Steuerbehörden frühzeitig Informationen über aggressive grenzüberschreitende Steuergestaltungen zu vermitteln. Details des Einzelfalls sind entbehrlich. Der Finanzverwaltung steht es frei, sich bei Unklarheiten mit Nachfragen an den Meldepflichtigen zu wenden. Dennoch zeigen die Praxiserfahrungen, dass die 30-Tage-Frist sehr knapp bemessen ist. Alle Informationen werden in einem zentralen Verzeichnis zusammengeführt, auf das sämtliche EU-Mitgliedstaaten sowie (mit gewissen Einschränkungen) die EU-Kommission Zugriff haben. Damit können auch die Mitgliedstaaten alle Details einer Meldung einsehen, die von der jeweiligen Gestaltung nicht betroffen sind.
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C. Praxisbeispiele I. Fall 1: Der Schweizer Register-Intermediär
1. Kann die Registrierung bei einem Berufsverband in Deutschland zu einer Meldepflicht führen? Das deutsche Umsetzungsgesetz gestattet einen Rückgriff auf die sekundären Ansässigkeitskriterien (Betriebsstätte/Handelsregistereintrag/Verbandsregistrierung) in § 138f Abs. 7 Nr. 2 AO nur, wenn keine steuerliche Ansässigkeit in Deutschland oder in einem anderen EU-Mitgliedstaat gegeben ist. Welche Rechtsfolgen dieser andere EU-Staat aus der steuerlichen Ansässigkeit eines Beraters zieht, ist aus deutscher Sicht unerheblich. Sobald die Person, deren Intermediärseigenschaft geprüft wird, in einem anderen EU-Staat steuerlich ansässig ist (nach welchem Recht dies geprüft wird, lässt das Umsetzungsgesetz offen), unterbleibt eine Prüfung der sekundären Ansässigkeitskriterien. Ist der Berater nur in einem Nicht-EU-Staat steuerlich ansässig, beispielsweise in der Schweiz, kann die Einstufung als Intermediär erfolgen, wenn
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der Berater bei einem Berufsverband für juristische, steuerliche oder beratende Dienstleistungen registriert ist. Der Begriff „Berufsverband“ findet sich im deutschen Steuerrecht bereits in § 5 Abs. 1 Nr. 5 KStG und wird hierfür als eine Vereinigung von natürlichen Personen oder Gesellschaften bezeichnet, dessen Zweck auf die Wahrung der ideellen und wirtschaftlichen Interessen eines Berufsstandes oder Wirtschaftszweiges gerichtet ist.5 Zum Zwecke der Intermediärseigenschaft kommen hiernach wohl Verbände wie Steuerberater- oder Steuerrechtsvereinigungen, konkret die Fachanwaltsvereine für Steuerrecht, der deutsche Anwaltsverein/Steuerrecht, die Deutsche Steuerjuristische Vereinigung, Fachberater für Steuerrecht und ähnliche in Betracht sowie alle Vereinigungen im Geltungsbereich der deutschen Abgabenordnung, somit auch nationale und regionale IFA-Vereinigungen. Der Zweck dieses Nexus-Kriteriums soll wohl nicht die Erfassung der Zwangsmitgliedschaft in der jeweiligen Kammer sein. Diese sollte zwar auch als Berufsverband gelten, ist allerdings bereits durch das zuvor erläuterte Nexus-Kriterium abgedeckt (theoretischer Doppel-Nexus). Hiermit sollen grundsätzlich freiwillige Mitgliedschaften erfasst werden, welche für die Berufsausübung nicht unmittelbar erforderlich sind. Daher dürfte dieser Nexus relativ leicht vermeidbar sein.
2. EU-Hilfs-Intermediär Liegt in diesem Fall folglich ein (deutscher) Intermediär vor, vermittelt dieser die Hilfs-Intermediärseigenschaft für den Luxemburger Anwalt. Daraus ergibt sich eine Mitteilungspflicht jeweils in Deutschland wie auch in Luxemburg, die der Luxemburger Anwalt durch Verweis auf die Mitteilung in Deutschland vermeiden kann (vgl. sinngemäß § 138f Abs. 9 AO). Gibt der Schweizer Berater seine Mitgliedschaft in der regionalen IFA Sektion in Deutschland auf und beendet er somit seine (Haupt-)Intermediärseigenschaft, so entfällt auch denklogisch die Hilfs-Intermediäreigenschaft des Luxemburger Anwalts. In diesem Fall sind die GmbH und die LuxCo als Nutzer mitteilungspflichtig, § 138g AO.
II. Fall 2: Betroffenheit Im folgenden Fallbespiel verlagert die US-amerikanische Gesellschaft US-Co, die zu 100 % unmittelbar an der Cayman-Co und Singapur-Co 5 BFH, Urt. v. 4.6.2003 – I R 45/02, DStRE 2003, 1391.
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beteiligt ist, das IP von der Cayman-Co auf die Singapur-Co. Das IP ist u.a. im Deutschen Patent- und Markenregister eingetragen.
Unabhängig von der sehr kontrovers diskutierten Praxis der Registerfälle soll es hier lediglich um die DAC6 spezifische Frage gehen, ob hier aus der Sicht des deutschen Umsetzungsgesetzes ein grenzüberschreitender Sachverhalt i.S.d. § 138d Abs. 2 Nr. 2 AO vorliegt, nach dem Deutschland „betroffen“ sein muss. Gemäß Rz. 31 des dazugehörigen BMF-Schreibens ist der Begriff der Betroffenheit weit auszulegen und setzt auch keine steuerliche Auswirkung voraus. Generell ist der Begriff der „grenzüberschreitenden Gestaltung“ weit, denn er erfasst jegliche Grenzüberschreitung im Verhältnis zwischen EU-Staaten und im Verhältnis zwischen EU- und Drittstaaten. Dies gilt unabhängig davon, ob sich die Grenzüberschreitung aus einer nur zu-
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sätzlichen steuerlichen Ansässigkeit, Betriebsstätte oder bloßen Tätigkeit oder gar nur aus einer möglichen Auswirkung auf den automatischen Informationsaustausch über Finanzkonten in Steuersachen unter bi- oder multilateralen Abkommen oder der EU-Amtshilferichtlinie oder auf die Identifizierung der wirtschaftlichen Eigentümer ergibt. Dementsprechend ist nicht erforderlich, dass in den jeweils betroffenen Staaten jeweils steuerliche Auswirkungen entstehen. Es reicht, wenn sie in die Gestaltung einbezogen sind.6 Die ersten vier der fünf Tatbestandsvarianten knüpfen den grenzüberschreitenden Bezug der Steuergestaltung an die Verwirklichung bestimmter Voraussetzungen durch die „Beteiligten“. Im Regelfall wird der Beteiligte mit dem Nutzer der Steuergestaltung übereinstimmen, aber auch weitere Personen, die in der Umsetzung der Gestaltung eine Rolle spielen, kommen als Beteiligte in Betracht. Vorab ist bei diesen Tatbestandsvarianten somit zu prüfen, ob ein Beteiligter vorliegt. Daraus könnte man schließen, dass eine Betroffenheit mangels Beteiligten nicht gegeben ist, da der einzige territoriale Anknüpfungspunkt das im Inland registrierte immaterielle Wirtschaftsgut darstellt. Andererseits zeitigt dieser Nexus als Tatbestandsmerkmal im § 49 Abs. 1 Nr. 2f bzw. Nr. 6 EStG steuerliche Wirkung. Man wird wohl sicherheitshalber in der Praxis eher zu einer Betroffenheit und damit einer Mitteilungspflicht tendieren.
III. Fall 3: Standardisierte/marktfähige Gestaltung Im folgenden Fallbeispiel wird die deutsche Tochtergesellschaft GmbH auf ihre luxemburgische Muttergesellschaft S.à.r.l. LuxCo (sog. Upstream-Verschmelzung) bzw. alternativ die LuxCo auf die deutsche Muttergesellschaft verschmolzen. Es geht bei dieser Fallkonstellation nicht so sehr um die Erfüllung des Kennzeichens E3 (siehe dazu Fall 6) als um die Frage, ob bei einer derartig häufig auftretenden und meist per Muster- und Standardvorlagen durchgeführten Gestaltung eine Standardisierung gemäß A3 und möglicherweise auch eine Marktfähigkeit i.S.d. § 138h AO gegeben ist.
6 BMF, Schreiben zur Mitteilung grenzüberschreitender Steuergestaltungen v. 29.3.2021, Rz. 31.
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Das Merkmal der Standardisierung bezieht sich sowohl auf die äußere Form (Dokumentation) als auch den Gehalt (Struktur) der Steuergestaltung. Dem Text der DAC6 kann nicht entnommen werden, dass die Standardisierung sich in einer bestimmten Form niederschlagen muss. Das Verwenden von Vordrucken, Formularen und ähnlichen Arbeitshilfen mag deshalb eine häufige Erscheinung bei derartigen Gestaltungen sein, ist aber keine zwingende Voraussetzung, sondern betrifft allenfalls die erste Tatbestandsvariante der Dokumentation. Auch eine relativ einfache Gestaltungsidee, die der Berater aus dem Kopf umsetzt, vermag die Meldepflicht grds. auszulösen, wenn die dabei verwendete Struktur im Wesentlichen dieselbe ist. Marktfähige Gestaltungen zeichnen sich dadurch aus, dass sie nicht wesentlich (englische Fassung: substantially) angepasst werden müssen, um nutzbar zu sein. Als Gegenstück zum fehlenden Erfordernis wesentlicher Anpassung darf dann wohl die Standardisierung gelten, so dass die zwei Begrifflichkeiten zwar einmal positiv, einmal negativ definiert auftreten, im Grunde aber dasselbe meinen, nämlich die fehlende Verwobenheit mit den Verhältnissen des einzelnen Steuerpflichtigen.7 Daraus ergibt sich ein hoher Grad an Portabilität einer Gestaltungsidee zwischen verschiedenen Steuerpflichtigen bzw. Nutzern. Erwähnenswert ist aus der frühen Gesetzesbegründung die Überlegung, dass eine standardisierte Steuergestaltung daran erkennbar sein soll, dass sie vor Eingehung einer Mandatsbeziehung entwickelt und anschließend gegenüber potenziellen Kunden beworben wird.8 Hingegen soll ein Gegenindiz darin bestehen, dass im Rahmen einer laufenden Mandatsbeziehung eine Steuergestaltung für die besonderen Bedürfnisse des Kunden entwickelt wird.9 Davon soll eine Rückausnahme bestehen, wenn der Intermediär die für den Mandanten ausgearbeitete Gestaltung anonymisiert oder in anderer Weise für eine Vielzahl weiterer Fälle verwendbar macht.10 Diese kann also für eine wiederholte Verwendung weiterentwickelt werden und gerät dadurch in das Fadenkreuz des Kennzeichens A.3. 7 So auch BMF, Schreiben zur Mitteilung grenzüberschreitender Steuergestaltungen v. 29.3.2021, Rz. 124. 8 BMF, Diskussionsentwurf v. 12.9.2018, S. 26; BMF, Referentenentwurf v. 30.1.2019, S. 38 f.; BMF, Regierungsentwurf v. 9.10.2019, S. 35. 9 BMF, Diskussionsentwurf v. 12.9.2018, S. 26; BMF, Referentenentwurf v. 30.1.2019, S. 38 f.; BMF, Regierungsentwurf v. 9.10.2019, S. 35. 10 BMF, Regierungsentwurf v. 9.10.2019, S. 35.
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Mehr als eine Daumenregel wird man aus dieser Differenzierung zwischen Bestands- und Neugeschäft jedoch kaum ableiten können, weil sich das Bedürfnis für den Einsatz einer replizierbaren Steuergestaltung auch in einer laufenden Mandatsbeziehung ergeben kann, wie umgekehrt ein Spezialist mit der Entwicklung einer hochgradig individualisierten Steuergestaltung gezielt beauftragt werden kann. Im Wesentlichen wird man nur sagen können, dass es auf den konkreten Fall ankommt und die Begleitumstände maßgeblich sind, wobei auch hier in der Praxis wohl eher zu viel als zu wenig gemeldet wird (siehe dazu Fall 7). Einen guten argumentativen Ansatz zu der Frage der Standardisierung in Abgrenzung zur wesentlichen individuellen Anpassung bietet die Darstellung von Glahe/Nolte11. Ebenso wird man die Frage, ob die Häufigkeit einer verwendeten Struktur automatisch zu deren Marktfähigkeit führt, nicht pauschal beantworten können.
IV. Fall 4: Steuerart und Steuervorteil im Drittstaat Bei dem unten bildlich dargestellten Sachverhalt geht es um die in der Praxis sehr häufig zu prüfende Frage, ob Gestaltungen der Mitteilungspflicht unterliegen, bei denen sich der Steuervorteil ausschließlich nur in einem Drittstaat manifestiert.
11 Glahe/Nolte, IStR 2021, 874 ff.
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Zunächst ist zu prüfen, ob die Voraussetzungen für das Vorliegen einer Steuergestaltung als solche erfüllt sind, also ob die Gestaltung i.S.d. § 138d Abs. 2 Nr. 1 AO eine Steuer zum Gegenstand hat,
auf die das EUAHiG anzuwenden ist. Demnach sind Drittstaatensteuern ausdrücklich nicht erfasst, siehe dazu auch § 1 Abs. 1 EUAHiG. Dies entspricht auch dem BMF-Schreiben 29.3.2021, Rz. 7, 8.12 Dabei bedeutet die Voraussetzung „zum Gegenstand haben“ m.E. nicht nur bloße Steuer12 BMF, Schr. v. 29.3.2021 – IV A 3-S 0304/19/10006:010, BStBl. I 2021, 582.
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pflicht, bloßes „Unterliegen“, sondern vielmehr eine Betroffenheit i.S. einer Berücksichtigung/Auswirkung in der Gestaltung. Eine andere Frage ist hierbei, welche Steuern im Sinne des Steuervorteils bei der Erfüllung des Relevanztests gemeint sind. Laut § 138d Abs. 3 Satz 2 AO und dem BMF-Schreiben vom 29.3.2021, Rz. 112 zählen dazu auch Drittstaatensteuern. Steuern, die von Drittstaaten erhoben werden, unterliegen demnach grds. nicht der EU-Amtshilferichtlinie; eine ausschließlich Drittstaatensteuern betreffende Beratungstätigkeit begründet dementsprechend keine Intermediärseigenschaft,13 weil die Gestaltungshandlung sich auf eine grenzüberschreitende Steuergestaltung i.S.d. § 138d Abs. 2 AO beziehen muss, wozu u.a. eine der dort genannten territorialen Steuern betroffen sein muss. Das bedeutet aber nicht, dass diese Steuerarten gänzlich aus dem Anwendungsbereich und damit der Meldepflicht für Steuergestaltungen ausgenommen sind. Zu nennen sind in diesem Zusammenhang z.B. folgende Regelungen, bei denen je nach systematischem Zusammenhang im Einzelfall eine gesonderte Auslegung zu erfolgen hat: Regeln zum Umfang der Meldepflicht (Nennung nationaler Vorschriften, Wertberechnung), die Kennzeichen C und E, die auch die Besteuerung in Drittstaaten betrachten, § 138d Abs. 3 Satz 2 AO. Ein steuerlicher Vorteil im Sinne des „Main benefit“-Tests liegt auch dann vor, wenn er außerhalb des Geltungsbereiches dieses Gesetzes entstehen soll. Je nach Sichtweise wird man auch hier zu unterschiedlichen Ergebnissen kommen, wobei die gewichtigeren Argumente im Zusammenhang mit der EU-Richtlinie und deren territorialer Wirkweise eher für eine einschränkende Auslegung, mithin nur für die Mitteilungspflicht EU spezifischer Steuervorteile, spricht.14
V. Fall 5: B2 und die Umwandlung Im folgenden Fallbeispiel ist die luxemburgische LuxCo zu 100 % an der deutschen GmbH beteiligt. Die deutsche GmbH gewährt der LuxCo ein hybrides Finanzierungsmittel. Das Finanzierungsmittel wird von Luxemburg als Eigenkapital und von Deutschland als Fremdkapital eingestuft. 13 Siehe auch Grotherr, DStZ 2020, 397, 401. 14 Vgl. dazu von Brocke/Nonnenmacher/Przybilka, Anzeigepflichten für grenzüberschreitende Steuergestaltungen, 2. Auflage 2021, nwb-Verlag Herne, S. 297f.
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Die Zahlung an LuxCo wird daher in Deutschland als ein abzugsfähiger Zinsaufwand berücksichtigt, während Luxemburg die Zahlung als Dividende einstuft und entsprechend von der Dividendenbesteuerung freistellt. Für steuerliche Zwecke werden die Zinsen in Luxemburg nicht berücksichtigt und führen daher nicht zu steuerpflichtigen Einkünften. Unter dem Begriff der „Umwandlung“ ist laut Finanzverwaltung die Umqualifizierung von Einkünften zu verstehen,15 womit üblicherweise die Umqualifizierung in eine andere Einkunftsart gemeint ist (z.B. wenn im Rahmen einer Betriebsaufspaltung Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung des Besitzunternehmens in gewerbliche Einkünfte umqualifiziert werden). Daneben können aber auch innerhalb einer Einkunftsart Unterschiede in der Besteuerung bestehen, die in den Anwendungsbereich fallen. Zu denken wäre z.B. an Kapitaleinkünfte, die grds. dem Abgeltungssteuersatz, u.U.
aber auch dem persönlichen Steuersatz unterliegen, oder an Verlustausgleichsbeschränkungen innerhalb derselben Einkunftsart. Eine Umwandlung von Rechtsträgern (UmwG, UmwStG) kann zu einer Umwandlung von Einkünften führen, wenn z.B. im Rahmen einer Gestaltung eine 15 BMF, Schreiben zur Mitteilung grenzüberschreitender Steuergestaltungen v. 29.3.2021, Rz. 142. Diese Aussage kann aber nur für die Unterfälle der Umwandlung von Einkünften in andere Einkünfte oder Einnahmen von Bedeutung sein. Eine „Umqualifizierung“ von Einkünften in Vermögen oder Schenkungen ist nicht denkbar.
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GbR, die bislang nur Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung erzielt, in eine GmbH eingebracht wird, die gewerbliche Einkünfte erzielt. Die Umwandlung kann unter Zusammenwirken mehrerer Personen stattfinden, wobei die Finanzverwaltung in diesem Zusammenhang die Beteiligung von mehreren Steuerpflichtigen und von verbundenen Unternehmen als relevant erachtet16. Das Wort Umwandeln lässt nur die Auslegung zu, dass tatsächlich exante der Gestaltung zuordenbare Einkünfte existiert haben müssen (Beispiel 1). Dies gilt jedenfalls, sofern die Umwandlung durch eine Umgestaltung des Sachverhalts erfolgt. Nur wenn vor einer B2-Gestaltung Einkünfte vorhanden waren, können diese durch eine Gestaltung umgewandelt und die sich ergebende neue steuerliche Situation mit der vorherigen Situation verglichen werden.17 Weder aus dem Wortlaut der Vorschrift noch aus der Gesetzesbegründung oder dem Sachzusammenhang lässt sich ein Hinweis auf die Notwendigkeit eines Vergleichs mit einer hypothetischen angemessenen Situation ableiten (wobei auch offen ist, was angemessen wäre).18 Bei einer von Anfang an optimierten Gestaltung fehlt es dagegen an einer Umwandlung. Andernfalls wäre z.B. bei jeder grenzüberschreitenden Gründung und Ausstattung einer Gesellschaft mit Eigen- und Fremdkapital zu prüfen, ob eine fiktive andere Kapitalausstattung nicht zu einer höheren Steuerbelastung geführt hätte. Eine bestehende steuerliche Behandlung eines wirtschaftlichen Vorgangs muss also infolge der Gestaltung verändert werden. In die gleiche Richtung geht das Beispiel der Finanzverwaltung, die sich ansonsten in ihrer Kommentierung zum B2-Kennzeichen leider sehr zurückhält, welches eine Situation beschreibt, in der bestehende Zinserträge in Dividenden umgewandelt werden. Auch Engelen sieht im Vorliegen von (sodann umgewandelten) Einkünften eine tatbestandliche Voraussetzung.19 Aus dieser Auslegung folgt:20 Das Kennzeichen B.2. setzt voraus, dass durch einen „Vorher-Nachher“-Vergleich eine günstigere steuer16 BMF, Schreiben zur Mitteilung grenzüberschreitender Steuergestaltungen v. 29.3.2021, Rz. 142. 17 Gleicher Ansicht Schnitger/Brink/Welling, IStR 2021, 237, Bindl/Haisch, IStR 2021, 261. 18 So auch Bindl/Haisch, IStR 2021, 261 f., die zutreffend auch auf die ständige BFH-Rechtsprechung verweisen, wonach die Besteuerung grundsätzlich nur an effektiv verwirklichte Sachverhalte anknüpft. 19 Engelen, ISR 2020, 315. 20 In der EU-Ratsdrucks. v. 21.9.2017 – WK 9981/2017 INIT wird ein mit Beispiel 1 oder 2 vergleichbares Beispiel dargestellt, aus dem sich jedoch keine
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liche Belastung der vormals steuerpflichtigen Einkünfte resultiert oder die Einkünfte nach der Umwandlung steuerbefreit bzw. nicht steuerbar sind. Anders wäre auch der „Main benefit“-Test, der ebenfalls einen Vergleich erfordert, kaum je zu bejahen. Fraglich ist, ob auch Fälle möglich sind, in denen die Einkünfteumwandlung innerhalb der Gestaltung selbst erfolgt, ohne dass es einer vorher bestehenden Situation bedarf. So wurden B2-Meldungen auch im Zusammenhang mit hybriden Finanzierungsinstrumenten diskutiert. Demnach würden bereits erstmalig eingeführte Hybridfinanzierungen unter B2 fallen, auch wenn denklogisch vorher noch gar keine andere Einkunftsquelle vorgelegen hat. Hintergrund der Überlegung ist, dass derjenige, der aus dem hybriden Finanzierungsinstrument Einnahmen erzielt, diese Einnahmen ggf. einer anderen Einkunftsart zuordnet als derjenige, der den Aufwand hat. Um dies dem B2-Kennzeichen zuzuordnen, das im Ausgangspunkt auf die Einnahmeseite abstellt, muss jedoch die eigentlich zwingende Position verlassen werden, dass kein Vergleich mit einer hypothetischen Situation erfolgt. Denn die Behandlung des Aufwands bei einer anderen Person ist nach dem Wortlaut des B2-Kennzeichens nicht relevant, vielmehr müssen die Einkünfte der Person, die die Finanzierung erhält, umgewandelt werden. Statt des Vorher-NachherVergleichs der Steuerfolgen eines geänderten Sachverhalts erfolgt demnach im Beispiel der hybriden Finanzierung der Vergleich mit einem hypothetischen, nicht-hybriden Finanzierungsinstrument. Gleichwohl sind aus der Praxis Fälle bekannt, in denen vorsichtshalber auch erstmalig aufgesetzte hybride Finanzierungen als B.2-Meldung abgegeben wurden. Als Alternative zur Erfassung derartiger Gestaltungen bieten sich die C-Kennzeichen oder die standardisierte Gestaltung nach A.3 an. Nach der Umwandlung (ex-post) existieren die ursprünglichen Einkünfte nicht mehr in der alten Form, sondern in der Form des Ergebnisses der Gestaltung/Umwandlung. Die Umwandlung kann auch nur einen Teil der Einkünfte betreffen. Damit der im Rahmen des B2-Kennzeichens verwendete Begriff der (Einkünfte-)Umwandlung Sinn ergibt und ein Vergleich überhaupt möglich ist, wird implizit vorausgesetzt, dass die Einkünfte ohne die Umwandlung dem Grunde nach fortbestanden hätten. Betroffen sind damit regelmäßig Einkünfte aus Dauersachverhalten (Lizenzeinnahmen, Zinsen, Gehälter usw.). Insofern ist dem B2Kennzeichen ein hypothetisches Element immanent, da die EinkünfteAussage zu der hier geschilderten Problematik der Notwendigkeit ex-ante vorhandener Einkünfte ableiten lässt.
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umwandlung unter der Annahme fortbestehender ursprünglicher Einkünfte beurteilt wird. Sofern die Umwandlung durch eine Umgestaltung eines Ausgangssachverhalts erfolgt, liegt aber ein klar definierter Ausgangszustand vor, der lediglich als Vergleichsmaßstab in die Zukunft fortgeschrieben wird. Im Regelfall wird man also bei dem oben dargestellten Beispielsfall auch B2 als gegeben ansehen.
VI. Fall 6: Übertragung von Anteilen, grenzüberschreitende Verschmelzung Nun soll der bereits oben unter Fall 3 erwähnte Sachverhalt unter dem Kennzeichen E3 geprüft werden.
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Das Kennzeichen E3 setzt voraus, dass nach Übertragung der Wirtschaftsgüter etc. die EBIT-Prognose beim übertragenden Unternehmen in den darauffolgenden drei Jahren um mehr als 50 % absinkt. Je nach Verschmelzungsweg kann die abgebende bzw. übertragende Gesellschaft untergehen, so dass diese über kein EBIT mehr verfügt und das Kennzeichen als erfüllt angesehen werden kann. Dabei sollten nach dem Sinn und Zweck der DAC6-Amtshilferichtlinie nur Übertragungen innerhalb der EU-Mitgliedstaaten erfasst sein und nicht Übertragungen aus einem Drittstaat in die EU. Bei den Vorgängen einer Übertragung von Kapitalgesellschaftsanteilen, von Anteilen an einer Personengesellschaft sowie bei Formwechsel, Liquidation oder Verschmelzung ist bereits fraglich, ob eine Verrechnungspreisgestaltung gegeben ist. Folgt man hierzu einer sehr weiten Auffassung, führt nur ein Zurückbleiben hinter der 50 %-Schwelle zu einer Nichtmitteilungspflicht. Weiterhin sollten Dividendeneinnahmen sich nicht auf das EBIT als „(operatives) Betriebsergebnis vor Zinsen und Steuern“ auswirken, so dass dies hier i.d.R. nicht zu einer Verringerung des EBIT des Übertragenden führen sollte. Allerdings ist eine Meldepflicht nicht grds. ausgeschlossen. So könnte man durchaus die Meinung vertreten, dass die Übertragung von Anteilen, die eine Holdinggesellschaft hält, deren operatives Geschäft gerade in der Einziehung und Bündelung der Dividenden liegt, eine maßgebliche Veränderung ihres EBIT bewirken kann. Vergleichbares könnte auch für eine Finanzierungsgesellschaft gelten, die ihrerseits Finanzinstrumente, Darlehen oder sonstige Forderungen überträgt. Eine Einzelfallprüfung der Auswirkungen auf das EBIT in diesem Zusammenhang ist durchzuführen. Sofern im Rahmen einer Verschmelzung einer ausländischen Tochtergesellschaft auf beispielsweise die deutsche Muttergesellschaft die Wirtschaftsgüter und Funktionen der ausländischen Tochtergesellschaft nur rechtlich auf die deutsche Gesellschaft übergehen, aber steuerlich weiterhin der ausländischen Gesellschaft/Betriebsstätte zuzuordnen sind, kommt es – rein steuerlich betrachtet – nicht zu einer Übertragung. Die Voraussetzungen von Kennzeichen E.3. sollten – nach strenger Auslegung des Gesetzeswortlauts – dennoch erfüllt sein, da zunächst die reine Übertragung von Wirtschaftsgütern und Funktionen von der ausländischen Tochtergesellschaft auf die deutsche Muttergesellschaft relevant ist (sowie der EBIT-Rückgang des „übertragenden Unternehmens“ um mehr als 50 %). Eine Meldung ist daher zu empfehlen. Die (steuerliche)
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Zuordnung der Wirtschaftsgüter und Funktionen vom deutschen Stammhaus zur ausländischen Betriebsstätte würde dann grds. im zweiten Schritt erneut eine Meldepflicht nach E.3. auslösen. Dafür spricht auch die Zielsetzung des Kennzeichens, grenzüberschreitende Verlagerungen von EBIT-generierenden Wirtschaftsgütern zu erfassen. Die gegenteilige Auffassung (die übertragende/untergehende Gesellschaft geht in der übernehmenden Gesellschaft auf bzw. diese tritt in deren Rechtsstellung ein, und damit ist die EBIT Prognose der übernehmenden Gesellschaft zu prüfen21) sollte eher als Argument der Abwehrberatung angesehen werden. Wenn man dagegen davon ausgeht, dass die Verschmelzung keine Verrechnungspreisgestaltung ist, weil es an einer Geschäftsbeziehung fehlt (vgl. § 138e Abs. 2 Nr. 4 AO „Verrechnungspreisgestaltungen“; BMFSchreiben 29.3.2021, Rz. 185: „Verrechnungspreisgestaltungen und damit um bestimmte Geschäftsbeziehungen“), ließe sich ggf. auch vertreten, keine Meldepflicht anzunehmen. Soweit die Gestaltung nicht Gegenstand der Aufzeichnungspflichten gem. § 90 Abs. 3 AO ist, sollte es des Weiteren auch vertretbar sein, diese Gestaltungen dann auch nicht unter die E-Kennzeichen zu subsumieren. Gleiches gilt in den Fällen, in denen z.B. die Wirtschaftsgüter im jeweiligen Land steuerverstrickt bleiben, so etwa bei grenzüberschreitenden Verschmelzungen, bei denen sämtliche WG, Funktionen und Risiken in einer Betriebsstätte zurückbleiben. Bei risikoaverser Vorgehensweise erscheint es jedoch empfehlenswert, die grenzüberschreitende Verschmelzung als E3-Gestaltung zu melden.
VII. Fall 7: Anspruch auf Löschung Ein US-Konzern mit deutschem EU-Hub gibt in der Anfangsphase der Mitteilungspflichten in 2020 umfassende Mitteilungen über sämtliche Verrechnungspreisvereinbarungen betreffend die EU-Gesellschaften unter A3 bei dem BZSt ab. Alle Mitteilungen wurden technisch fehlerfrei übermittelt und ID-Nummern vergeben. Das BZSt erbittet dennoch in einem Schreiben, nähere Umstände zu den erzielten Steuervorteilen zu erläutern. Daraufhin erkennt der US-Konzern, dass sämtliche Mitteilungen gar nicht hätten vorgenommen werden müssen, da es sich um routinemäßige, fremdvergleichsübliche Verträge handelte. Es stellt den Antrag auf Löschung gemäß dem BZSt.-Handbuch. 21 vgl. etwa Schnitger/Krüger, DB 2020, 2428.
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Der Antrag wird wegen Unbegründetheit aus den folgenden Gründen abgelehnt: Eine fachliche Löschung ist nicht vorgesehen. Das BZSt wertet sämtliche zugegangenen Mitteilungen aus, unabhängig vom Bestehen oder Nichtbestehen der Meldepflicht. Die fachliche Löschung stellt einen absoluten Ausnahmefall dar und ist lediglich für solche Konstellationen konzipiert, in denen technische Aspekte oder Fehler vorliegen, die mangels Korrekturmöglichkeit eine Löschung ausnahmsweise erforderlich machen. Beispiele hierfür sind eine irrtümliche Doppellieferung oder Angabe falscher oder unzulässiger Registernummern. Eine klarstellende Erläuterung findet sich im Kommunikationshandbuch DAC 6, Kapitel 3.6.1. Mit Verweis auf § 3 Abs. 4 EUAHiG wird ausdrücklich klargestellt, dass eine Löschung nach 15 Jahren von Amts wegen erfolgt und ein fachliches Löschen keine Konstellation umfasst, in der eine Mitteilungspflicht (vermeintlich oder tatsächlich) nicht besteht. Ein Nachteil durch die Meldung entstünde nicht, da die Auswertung einer Mitteilung, für die keine Mitteilungspflicht bestand, stets als unkritisch einzustufen ist, da andernfalls eine Pflicht zur Mitteilung bestanden hätte.
D. Fazit Die Melderichtlinie und ihre jeweiligen Umsetzungsgesetze schlagen in vielerlei Hinsicht neue europarechtliche Kapitel auf. Was einerseits für ein wunderschönes neues Agitationsfeld für Berater und Anwälte sorgt, stellt andererseits einen erheblichen Kosten- und Zeitaufwand für die Steuerpflichtigen dar. Nach einer im Oktober erfolgten Anfrage beim Bundeszentralamt für Finanzen sind bereits 14.257 Mitteilungen fehlerfrei eingegangen.22 Unzählbar sind dabei sicherlich die Vielzahl der Prüfungen und des Dokumentationsaufwands der verschiedenen Akteure, um nur für Deutschland zu dieser Registrierungszahl zu kommen. Die immensen Unsicherheiten bei der Auslegung, bedingt durch Mindeststandards, sprachliche und rechtliche Unklarheiten und die 27 unterschiedlichen Umsetzungsvarianten, bewirken in der Praxis einen pragmatischen Ansatz. Sie wären vermeidbar gewesen, sind aber nun Realität und müssen überwunden werden, bis eine einigermaßen rechtssichere Handhabung realisiert ist.
22 Vgl. Gegenfurtner, DStR 2021, 2665 ff. (2674).
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Anzeigepflichten für grenzüberschreitende Steuergestaltungen Podiumsdiskussion Leitung Prof. Dr. Bert Kaminski Institut für Betriebswirtschaftliche Steuerlehre, Helmut-Schmidt-Universität/Universität der Bundeswehr Hamburg Teilnehmer Dr. Peter Brandis Vorsitzender Richter am Bundesfinanzhof, München
MinDirig Martin Kreienbaum Bundesministerium der Finanzen, Berlin
Oliver Nußbaum Global Head of Tax, BASF SE, Ludwigshafen
Kerstin Schulz, M.I.Tax Global Head of Tax and Customs, Beiersdorf AG Hamburg
Prof. Dr. Klaus von Brocke Ernst & Young, München/Universität des Saarlandes
Prof. Dr. Kaminski Ja, lieber Herr von Brocke, ganz herzlichen Dank! Sie haben gemerkt, ich habe nicht zu viel versprochen. Herr Kreienbaum, ich habe eine etwas ketzerische Frage: Wieviel von den 14.000 sind ausgewertet? Kreienbaum Lassen Sie mich zunächst vielleicht zum Auswertungsprozess etwas sagen. Diese Anzeigen gehen beim Bundeszentralamt ein, wie wir gehört haben, und dann kümmert sich dort zunächst ein Team aus Bund- und Ländervertretern um eine erste grobe Auswertung. Die Themen, die aus Sicht dieser Gruppe von Relevanz erscheinen, gehen zu uns an das BMF und wir haben intern eine Struktur und Verfahrensabläufe aufgestellt diese
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Anzeigen dann auszuwerten und entsprechende Ableitungen daraus vorzunehmen. Prof. Dr. Kaminski Und gibt es schon konkrete Erkenntnisse? Gibt es irgendeine gesetzliche Regelung, die auf diese Meldepflichten zurückzuführen ist? Das war ja eine der Ideen, zu sagen, der Gesetzgeber solle die Möglichkeit erhalten Strukturen, die als schädlich angesehen werden, früher identifizieren zu können, um dem Gesetzgeber die Möglichkeit zu geben früher zu handeln. Kreienbaum So lange haben wir ja noch gar nicht diese Meldungen bekommen, so dass sich bisher daraus noch keine rechtlichen Ableitungen ergeben haben. Prof. Dr. Kaminski Danke. Herr Nußbaum, mögen Sie einmal berichten, was für Ihr Unternehmen diese Anzeigepflichten bedeuten? Nußbaum Ich kann unsere Zahlen nennen. Wir haben bisher 1.750 Meldungen in der EU abgegeben und haben uns für einen sehr umfassenden Meldeansatz entschieden, das heißt, wir melden jede einzelne Zahlung, wenn sie nicht unter einen längerfristigen Vertrag zu subsummieren ist. Das heißt, wenn ein Vertrag mehrere Zahlungen umfasst, melden wir nur den Vertrag an sich, aber wenn in einem Fall kein Vertrag dahintersteht, dann jede einzelne Zahlung. Den Meldeprozess haben wir weitgehend automatisiert, das heißt, die Zahlungen werden aus dem System generiert und stehen dann zum Upload in das Meldesystem bereit, das dann überträgt. Also von den europaweit – wieviel waren das? 30.000? – dann sind Stand gestern 1.750 von uns. Wir melden außerdem innerhalb der 20 Tage, nicht 30 Tage, damit wir 10 Tage Puffer haben. Prof. Dr. Kaminski Haben Sie mal gerechnet, welche Kosten das verursacht? So ungefähr?
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Nußbaum Nein, das haben wir jetzt nicht so konkret ausgerechnet. Wir versuchen, den Prozess wirklich weitgehend zu automatisieren, so dass der Kostenaufwand relativ gering ist. Ich glaube, der wird dann aber insbesondere bei der Auswertung durch die Finanzverwaltung wahrscheinlich entstehen. Damit muss man auch auf Seite der Finanzverwaltung umgehen. Also es war für uns eine Anfangsinvestition erforderlich, ein Melde-Tool, wir haben uns für das EY-Tool entschieden. Dieses bedurfte dann der Implementierung und wir mussten europaweit das ganze Training für die Kollegen durchführen. Das war für uns der größte Aufwand, weil wir den Ansatz europaweit einheitlich fahren wollten. Aber dann kamen z.B. Finnland und Holland, die statt monatlicher Einzelmeldungen dann nur Meldungen einmal im Jahr wollten. Das Problem ist, das BZSt hat sich zur Frage der Häufigkeit von Meldungen von Dauersachverhalten nie ausdrücklich geäußert. In den mündlichen Gesprächen begrüßt das BZSt den risikoaversen Meldeansatz. Dem folgen wir daher in Deutschland. Im Rest Europas ist das nicht so. Insofern liegt eine uneinheitliche Vorgehensweise vor, die eine Standardisierung nicht erlaubt und es in der Folge dann wieder teurer macht. Denn wenn ich ein einheitliches System habe in Europa, dann kann ich das eine System auch durchziehen. Ich muss es nicht unterschiedlich schulen und programmieren. Aber wenn ich gezwungen bin, in Finnland ein bisschen weniger, in Deutschland ein bisschen mehr, in Spanien irgendwas dazwischen zu melden, dann ist das kein einheitliches System und dann entstehen Kosten, weil es eben unterschiedlich im jeweiligen Land zu adressieren ist. Und das trotz all der Richtlinien, die suggerieren, sie wären einheitlich, es aber am Ende nicht sind. Wir haben nicht in jedem Land eine Steuerabteilung, die professionell mit den unterschiedlichen Meldeverpflichtungen vertraut ist. Wir haben auch keine externen Intermediäre, die für uns freiwillig berichten wollen – also, bisher haben wir zumindest noch keine externen Intermediäre benutzt. Wir melden ausschließlich intern. Das verursacht eben den Aufwand. Prof. Dr. Kaminski Frau Schulz, wie sieht das bei Beiersdorf aus? Das muss doch auch ein sehr großes Compliance-Thema gewesen sein.
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Schulz In der Tat. Also wir haben das ähnlich gelöst, auch automatisiert und über eine Tool-Lösung. Ich kann leider die Zahl der Meldungen nicht sagen, ich glaube aber nicht, dass sie bei uns so hoch ist. Ich müsste mal nachfragen, wie viele Meldungen wir gemacht haben. Zu Ihrer Frage, die Sie im Vortrag gestellt haben, Standardisierung gleich TP-Doku oder TP-Transaktionen, da würde ich mir die Frage stellen, ob das marktfähig ist. Also dass man standardisiert und marktfähig ist, nur weil man ein einheitliches Transferpreissystem hat. Insofern würde ich da aus meiner Sicht vielleicht keine Meldepflicht sehen. Compliance-seitig haben wir das ins Compliance-Managementsystem aufgenommen, entsprechende Prozesse, Training implementiert, um dem Prozess gerecht zu werden in der Hoffnung, dass wir dadurch alle Fälle entsprechend dann auch melden, die zu melden sind. Und das ist natürlich auch immer noch interpretationsfähig. Also, wenn wir diese Hallmarks A1-C1 mit dem Main-Benefit-Test noch anschauen – was ist ein steuerlicher Vorteil? Wo materialisiert sich der? Ist das wirklich der Hauptvorteil einer Transaktion oder einer Gestaltung? Also das sind ja alles Fragen, die auslegungsbedürftig sind. Jetzt kann ich sagen, wenn ein Steuervorteil da ist, melde ich immer gleich alles, um die sichere Seite aufzunehmen. Da muss man sich, glaube ich, zu aufstellen und wir sind auch was die Frist angeht runtergegangen auf 20 Tage. Prof. Dr. Kaminski Herr Brandis: Wenn Sie das hören, so etwas wie Main-Benefit-Test, diese unbestimmten Rechtsbegriffe, und dann auf der anderen Seite sehen, dass es dermaßen strenge – Herr von Brocke hat im seinem Vortrag hierzu wenig gesagt – aber sehr strenge Sanktionen bis hin zur persönlichen Inanspruchnahme der handelnden Person, Steuerabteilungsleiter und Co. gibt – halten Sie das dann eigentlich für angemessen? Dr. Brandis Die Schwierigkeit liegt ja sicherlich darin, dass das nationale Gesetz im Grunde genommen das übernommen hat, was in der EU-Richtlinie formuliert ist. Letztlich muss man eben sagen, dass die Angemessenheit der Sanktion dann vielleicht etwas ist, was einmal in einem Strafprozess zu klären ist. Wenn es nämlich tatsächlich zu einer strafprozessualen Verurteilung kommen sollte, wäre das aus meiner Sicht der erste Ansatz-
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punkt. Ich weiß nur nicht, ob das im Strafprozess endgültig geklärt werden könnte oder ob man dann eben auch zur Interpretation tatsächlich den EuGH einschalten müsste. Mit anderen Worten, die Schwierigkeit liegt eben darin, dass Sie den Rechtsschutz, sowohl im Finanzprozess als dann vielleicht auch eben in einem Strafprozess, nur schwerlich im nationalen Beritt finden können, sondern, jedenfalls insoweit, als das nationale Gesetz die Richtlinie nur 1:1 umsetzt, Sie eigentlich nicht mehr im nationalen Gericht sind, sondern jedenfalls in der letztinstanzlichen Situation im europäischen Gericht. Prof. Dr. Kaminski Das würde ich auch so sehen. Und haben Sie eine Meinung zu der Frage, die Herr von Brocke aufgeworfen hat: Häufigkeit führt zu Marktgängigkeit? Dr. Brandis Das würde ich in dieser Schärfe nicht gleichsetzen, alleine die Häufigkeit würde mir noch nicht ausreichen. Das heißt, an einem Markt habe ich auch mehrere, nicht nur in der Zahl viele, sondern ich habe vielleicht auch verschiedene Adressaten, die ich im Grunde genommen als Abnehmer nehmen könnte. So wäre meine Interpretation. Also entscheidet nicht die Häufigkeit als solche, sondern die Frage: Kann ich es im Ergebnis quasi vielen Personen anbieten? Das wäre mein Ansatz. Prof. Dr. von Brocke Ich würde vielleicht ganz gerne noch, was jetzt durch die zwei Industrievertreter ein bisschen zum Vorschein kam und jetzt auch angesprochen worden ist, erläutern: Es ist die Diversität der Umsetzung in den einzelnen Mitgliedstaaten. Wir sehen z.B. sehr unterschiedliche pragmatische Ansatzpunkte, wie eine gewisse Struktur, die grenzüberschreitend umgesetzt worden ist, länderspezifisch bewertet wird. Wir haben im BMF-Schreiben – Gott sei Dank, muss ich sagen – eine sehr löbliche Betrachtungsweise, dass wir hier eher pragmatisch vorgehen können. Wenn wir also beschreiben, wir haben eine komplexe Struktur einschließlich einer Verschmelzung, einer involvierten Stichting oder einer SPAC Transaktion oder dergleichen mehr, dann können wir das eigentlich in einer Meldung abarbeiten, soweit diese 6.000 Ziffern oder Zeichen reichen, und dann werden wir da immer auch sehr kreativ und subsumieren auch sämtliche Kennzeichen darunter und können das ab-
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schicken. Das geht aber nur insoweit, als wir allein Intermediär sind. Wenn wir jetzt einen anderen Intermediär noch dazu haben, Niederlande ist ein gutes Beispiel, Portugal, Estland – die müssen sich ja dann darauf berufen dürfen. Das ist ja wenigstens die etwas, Gott sei Dank, pragmatische Sichtweise der Richtlinien, auch des Gesetzes, wenn wir denen dann die ID-Nummer übertragen und übergeben, dann können die ihrerseits sozusagen sich später bei einer Betriebsprüfung oder sonstigen Anfrage exkulpieren. Es wurde hier aus deutscher Sicht vom Intermediär berichtet. Nur bekommen wir sehr häufig jetzt die Rückfragen, insbesondere Frankreichs oder auch der Niederlande, die ebenso eine Art pauschale pragmatische Sichtweise für so eine Struktur nicht sehen, sondern insbesondere die Niederländer – deswegen haben die auch so eine hohe Ziffer an Meldungen –, die atomisieren. Da wird jeder einzelne Teilschritt einer Meldung unterworfen. Deswegen haben die auch so viele. Und die können sich nicht pauschal über unsere ID-Nummer dann bei sich freimelden. Estland, zum Beispiel, sieht das ganz anders. Die sagen sich auch: eine Meldung, wunderbar, passt! Da haben wir damit überhaupt kein Thema. Und das ist auch wieder so ein Problem der uneinheitlichen Umsetzung einer Richtlinie, weswegen wir aufgrund der Vielzahl solcher Fälle mal so die Idee aufgeworfen haben – ich weiß, dass das europarechtlich natürlich nicht so funktioniert –, warum man sowas in Zukunft nicht als Verordnung erlässt. So ähnlich wie mit der SE. Ich kenne mich aus mit Artikel 115, das ist nicht das Thema, aber man muss vielleicht mal an sowas denken, gerade bei einem solchen Austausch von Informationen und jetzt haben wir gleich DAC 7 und dann kommt auch noch DAC 8 und wer weiß, was sonst noch alles. Das muss irgendwo in Zukunft einheitlich umgesetzt werden, und es kann nicht sein, dass jeder der 27 Mitgliedstaaten da seine eigene Nuancierung reinbringt, gerade bei solchen Geschichten, wo man sich gegenseitig aufeinander verlassen muss. Also das ist noch so eine Art Petitum vielleicht für den Augenblick. Und ich seh’s zum Beispiel, ich habe einen Mandanten, der auch eine SE ist, ja, mit der SE-Verordnung, das funktioniert einfach europaweit wunderbar. Da ist es einfach anerkannt, man hat einen einheitlichen Rechtsrahmen dafür, und jeder weiß, was damit gemeint ist. Das nur als Denkanstoß. Prof. Dr. Kaminski Ja, vielen Dank für die Ergänzung. Das ist ein sehr interessanter Gedanke.
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Fall 4 würde mich interessieren, der Steuervorteil außerhalb der europäischen Union. Herr Kreienbaum, haben Sie dazu eine Auffassung? Kreienbaum Ich sehe das anders als Herr von Brocke. Wir würden schon den Steuervorteil, der außerhalb der europäischen Union, also in Drittstaaten, erreicht wurde, auch als relevant ansehen. Prof. Dr. Kaminski Herr Brandis, haben Sie dazu eine Meinung? Würden Sie das aus dem Gesetz so rauslesen? Dr. Brandis Man müsste sicherlich aus meiner Sicht im Blick haben, dass die EUAmtshilferichtlinie und damit DAC 6 ja eigentlich eine Struktur ist, die sich nicht um Steuervorteile kümmert, die in der ganzen Welt entstanden sind, sondern eigentlich ist Ansatzpunkt für dieses Bemühen, im Ergebnis die Informationen zu erhalten, die sich beziehen auf den Steuerraum in Europa; ich neige also dazu, dass tatsächlich ein Steuervorteil außerhalb der EU nicht erfasst wird. Darf ich noch einen Ansatzpunkt nachlegen? Das wäre die Überlegung, die Herr von Brocke gerade dargelegt hat: Wer Umsatzsteuer betreibt, der kennt die Mehrwertsteuersystemrichtlinie, aber es gibt eben auch eine Durchführungsverordnung zu der Mehrwertsteuersystemrichtlinie. Das wäre genau die Konstruktion, die Herr von Brocke gerade eben präsentiert hat. Das wäre sicherlich hilfreich, gerade auch, um die unterschiedlichen Auslegungen, die dann gefunden wurden in den einzelnen Ländern, in denen die Anzeigen zu erstatten sind, zu harmonieren. Es lohnt, darüber nachzudenken. Prof. Dr. von Brocke Vielleicht noch, weil es jetzt wunderbar passt: Wir haben bei uns im Haus mal europaweit eine Umfrage gemacht zur Auslegung steuerlicher Vorteile. Man muss wirklich sagen, die Hälfte der Mitgliedstaaten haben eher die Sichtweise von Herrn Brandis und mir, und die andere Hälfte der Mitgliedstaaten hat die Sichtweise von Herrn Kreienbaum. Da zeigt sich eigentlich am besten, man muss für sowas eine einheitliche Regelung finden.
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Prof. Dr. Kaminski Ja, ich hätte auch gesagt, vom Sinn und Zweck der ganzen Regelung, und da es ja eine europäische Richtlinie ist, kann es eigentlich nur um europäische Fälle gehen. Das wäre meine Antwort gewesen. Fall 2 zu § 49 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. f bzw. Nr. 6 EStG würde mich nochmal interessieren. Ich habe mich gefragt: Ist das eigentlich eine grenzüberschreitende Steuergestaltung? Wenn Sie sich den Fall nochmal anschauen. Vielleicht kann die Regie nochmal die Folie mit dem Fall 2 auflegen? Prof. Dr. von Brocke Also dazu vielleicht vorab, Textziffer 31 des BMF-Schreibens zu grenzüberschreitendem Bezug lautet: „Der Begriff der Betroffenheit ist weit auszulegen und setzt keine steuerliche Auswirkung voraus.“ Prof. Dr. Kaminski Ein etwas komisches Verständnis von Betroffenheit, oder? Kreienbaum Die Anzeigepflichten dienen auch der Veranlagungsunterstützung, das darf man nicht vergessen. Es sind nicht nur rechtspolitische Ableitungen, die getroffen werden, sondern die Meldungen gehen am Ende auch, soweit sie relevant sind, an die zuständigen Veranlagungsbezirke in den Finanzämtern und dienen der Unterstützung der Veranlagung. Und wenn dann auch aus der Tatsachenmitteilung Erkenntnisse gewonnen werden können, halte ich das durchaus für einen relevanten Umstand. Prof. Dr. Kaminski Das ist natürlich eine extrem weite Auslegung, die Sie jetzt vornehmen! Kreienbaum Ich kann nochmal darüber nachdenken, ob das als extrem bezeichnet werden kann. Prof. Dr. Kaminski Also ich finde schon.
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Herr Brandis: Diese Frage der getrennten Prüfung der Betroffenheit. Teilen Sie, was Herr von Brocke dazu ausgeführt hat, oder sehen Sie das anders? Dr. Brandis Ausgangspunkt ist das, was das Gesetz als grenzüberschreitende Steuergestaltung versteht (§ 138d Abs. 2 AO). Herr von Brocke hatte das gerade schon mal vorgelesen, ich möchte es nur für mich nochmal klarmachen: „… ist jede Gestaltung, die eine oder mehrere Steuern zum Gegenstand hat, auf die das EU-Amtshilfegesetz anzuwenden ist.“ Also letztlich dieser Bezug auf das eigentliche Steuersubstrat, das in Europa vorhanden ist, der lässt sich nach meinem Dafürhalten schon relativ deutlich aus dieser Nummer 1 ableiten, und in der Hinsicht, muss ich gestehen, wenn ich mir dann ihren Fall 2 vor Augen führe: Die Frage ist, welche EU-Steuer könnte davon berührt sein? Das ergibt sich jetzt aus dem Fall letztlich nicht so eindeutig. In der Sache, muss ich gestehen, hätte ich hier eher Ansatzpunkte zu sagen, ich muss eine spezifische Situation haben, die eine EU-Steuer berührt, und wenn das nicht der Fall ist, weil sich der Sachverhalt ausschließlich im Ausland abspielt, dann ist dieser Bezug zu Deutschland durch das deutsche Patentregister vielleicht nicht zwingend dazu geeignet, um hier tatsächlich einen Ansatz zu haben. Also jedenfalls habe ich Zweifel, ob wir hier von einer entsprechenden Betroffenheit ausgehen können. Prof. Dr. Kaminski Ich frage deshalb nochmal nach, weil ja in dem Koalitionsvertrag der vermeintlich künftigen Bundesregierung drinsteht, dass die Quellenbesteuerungsrechte durch Deutschland ausgeweitet werden sollen. Das heißt, dass, wenn dieser Fall jetzt bejaht wird, in der Zukunft noch mehr Fälle entstehen, wo diese Meldepflicht gegeben ist. Also das ist ein Thema, das wachsende Bedeutung erlangen wird. Was wäre dann die Folge? Kreienbaum Schauen Sie mich an? Prof. Dr. Kaminski Ja. Vielleicht sagen Sie auch noch etwas zur geplanten Ausdehnung, wenn Sie mögen und wenn es dazu schon etwas Genaueres gibt.
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Kreienbaum Meinen Sie die Registerfälle? Bei den Registerfällen ist die bestehende Rechtslage eindeutig. Wir haben uns zur Frage der Interpretation geäußert und sind zu dem Ergebnis gekommen, dass bei Verfügungen über ein in Deutschland eingetragenes Recht eine Steuerpflicht ausgelöst wird. In der Folge stellt sich die Frage: In welchem Umfang besteht das Besteuerungsrecht? Prof. Dr. Kaminski Können Sie noch etwas sagen, inwieweit es schon konkrete Überlegungen gibt, in welche Richtung diese Ausweitung des § 49 EStG erfolgen soll? Kreienbaum Zunächst möchte ich die Wendung im Koalitionsvertrag so interpretieren, dass damit insbesondere auch die Säule I adressiert wird. Das scheint mir der wichtigste Punkt zu sein. Mit der internationalen Vereinbarung im Inclusive Framework on BEPS haben wir eine umfassende Abrede getroffen über die Teilhabe von Marktstaaten an den Gewinnen der in diesen Märkten tätigen Unternehmen. Darüber hinaus spielen bei der internationalen Vereinbarung der Mindeststeuer ausgeweitete Quellenbesteuerungsrechte im Rahmen der Subject-to-Tax-Rule auch eine Rolle Ob nach Vorstellungen der Koalitionäre weitere Überlegungen anzustellen sind mit Blick etwa auf den Nullsatz bei Schachteldividenden – das werden wir abwarten müssen. Prof. Dr. Kaminski Gibt es schon konkrete Überlegungen zur Ausdehnung der Anzeigepflicht auf Inlandsfälle? Werden Sie die Regelungen zur grenzüberschreitenden Anzeigepflicht auf das Inland übertragen, oder wird es eine andere Definition finden? Kreienbaum Dazu kann ich Ihnen heute über die Wendung im Koalitionsvertrag hinaus noch nichts sagen.
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Prof. Dr. von Brocke Schade, denn ich freue mich natürlich schon darauf. Meine Arbeit nächstes Jahr ist gerettet! Dr. Brandis Soweit ich eben noch zur nationalen Pflicht gesprochen habe, spiegelte dies natürlich ab, dass man Zweifel haben kann, ob dieser § 49 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. f EStG, Stichwort Registerfälle, erfüllt ist. In dem Sinne möchte ich Herrn Kreienbaum recht geben. Wenn das eine Interpretationsfrage ist, und wenn tatsächlich zu prüfen ist, ob eventuell dieser Tatbestand einschlägig ist, dann kann natürlich ein Berührungspunkt zum nationalen Besteuerungsanspruch bestehen. In der Hinsicht möchte ich Ihnen in dieser Struktur recht geben. Die Frage war jetzt einfach, ob man sagt, diese Rechtsgrundlage reicht nicht aus, und das wäre eindeutig, dann wäre aus meiner Sicht die Frage anders zu beantworten. Ansonsten möchte ich zur nationalen Anzeigepflicht noch sagen: Die Planung zur nationalen Pflicht, wie sie im Entwurf vom 30.1.2019 bekannt geworden ist, bezog sich auf natürliche Personen, die über 500.000 Euro Einkommen erzielt hatten. Also in der Hinsicht muss ich sagen, auch damals war man ja schon auf einem sehr weiten Beritt. Sie hatten den Ansatzpunkt mit den 10 Millionen Umsatz gehabt. Tatsächlich, man muss sich die Frage stellen. Das wird sicherlich eine ganz große weitere Struktur sein, die man beachten muss. Ich hatte dazu bislang nur die Hoffnung, dass man das ernst nimmt, was man früher mal gesagt hatte, als man auf die nationale Anzeigepflicht verzichtet hatte. Da sagte man, man wolle erstmal in aller Ruhe abwarten, wie sich die Problematik der Meldung der internationalen Gestaltung überhaupt auswirkt, wie sie umgesetzt werden kann. Und die Frage wäre jetzt für mich, ob dieser Zeitpunkt schon gekommen ist, um zu sagen: Das ist so gut, das müssen wir jetzt im nationalen Beritt auch schon machen. Da hätte ich vielleicht so ein bisschen meine Zweifel. Prof. Dr. Kaminski Das teile ich ausdrücklich und ich glaube, die Ausführungen von Herrn von Brocke haben gezeigt, wie „gut“ die Regelungen sind. Also wenn Sie sich das anhören, und wir haben ja dargelegt bekommen, welchen Aufwand es verlangt, diese Verpflichtungen umzusetzen. Und wenn Sie dann gleichzeitig im Koalitionsvertrag lesen können, dass die Bürokratie
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begrenzt und abgebaut werden soll, dann passt das vielleicht nicht so richtig zusammen. Aber das ist meine persönliche Meinung. Ja, meine Damen und Herren! Ganz herzlichen Dank nochmal an Herrn von Brocke für den wunderbaren Vortrag. Ich fand das super – für diese außerordentlich komplexe Materie.
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Internationale Aspekte der Option zur Körperschaftsteuerpflicht von Personenhandelsgesellschaften Prof. Dr. Guido Förster Universitätsprofessor Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf
A. Einführung . . . . . . . . . . . . . . . 148 B. Persönliche und sachliche Optionsberechtigung. . . . . . . 148 C. Inboundsituation. . . . . . . . . . I. Abgrenzung . . . . . . . . . . . . . . II. Übergang zur Körperschaftsbesteuerung . . . . . . . . . . . . . . 1. Anwendungsbereich des UmwStG . . . . . . . . . . . . . . 2. Wertansatzwahlrecht . . . . 3. Sperr- und Nachweispflichten . . . . . . . . . . . . . . III. Laufende Besteuerung . . . . . . 1. Grundsatz: Trennungsprinzip . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Abkommensberechtigung der optierenden Gesellschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Gewinnausschüttungen einer inländischen optierenden Gesellschaft . . . . . a) Kapitalertragsteuerabzug . . . . . . . . . . . . . . . b) Doppelbesteuerungsabkommen . . . . . . . . . . c) Mutter-Tochter-Richtlinie (§ 43b EStG) . . . . . d) Kapitalverkehrsfreiheit und unionsrechtlicher Erstattungsanspruch. . .
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4. Keine Anwendung der Konzern-Zins- und Lizenzgebührenrichtlinie . . . . . . 159 5. Qualifikationskonflikte bei Leistungsvergütungen 160 6. Anteilsveräußerungen . . . 161 D. Outboundsituation . . . . . . . . I. Abgrenzung . . . . . . . . . . . . . . II. Übergang zur Körperschaftsbesteuerung. . . . . . . . . . . . . . 1. Persönlicher Anwendungsbereich des UmwStG . . . . 2. Wertansatzwahlrecht . . . . III. Laufende Besteuerung . . . . . 1. Abkommensberechtigung der optierenden Gesellschaft. . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Dividenden aus ausländischen Tochtergesellschaften. . . . . . . . . . . . . . . IV. Hinzurechnungsbesteuerung bei einer optierenden Gesellschaft mit ausländischer Geschäftsleitung. . . . . . . . . .
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E. Wegzugsbesteuerung . . . . . . 167 F. Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 168
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Förster – Körperschaftsteueroption von PersHG
A. Einführung Das KöMoG1 hat Personenhandelsgesellschaften und Partnerschaftsgesellschaften mit Wirkung für nach dem 31.12.2021 beginnende Wirtschaftsjahre die Möglichkeit eröffnet, zur Körperschaftsteuerpflicht zu optieren. Die Option zielt auf eine Verbesserung der Rechtsformneutralität der Besteuerung und soll dem Umstand Rechnung tragen, dass die Besonderheiten der deutschen Personengesellschaftsbesteuerung im Ausland weitgehend unbekannt sind.2 Sie gilt für das Ertragsteuerrecht (§ 1a Abs. 1 Satz 1 KStG, § 2 Abs. 8 GewStG), das zugehörige Verfahrensrecht und die Forschungszulage. Andere Steuerarten sind vorbehaltlich der grunderwerbsteuerlichen Befreiungsregeln3 nicht betroffen. Im Folgenden werden ausgewählte internationale Aspekte der Körperschaftsteueroption von Personenhandelsgesellschaften behandelt.4
B. Persönliche und sachliche Optionsberechtigung Personenhandelsgesellschaften sind gem. § 1a Abs. 1 Satz 1 KStG optionsberechtigt. Hierzu gehören offene Handelsgesellschaften, Kommanditgesellschaften einschließlich der GmbH & Co. KG, die EWIV und vergleichbare ausländische Gesellschaften,5 nicht aber die GbR oder die atypisch stille Gesellschaft.6 Die Vergleichbarkeit ausländischer Rechtsformen ist nach dem BMF-Schreiben vom 10.11.2021 regelmäßig von einem doppelten Typenvergleich abhängig7: 1 Gesetz zur Modernisierung des Körperschaftsteuerrechts v. 25.6.2021, BGBl. I 2021, 2050. 2 BT-Drucks. 19/28656, 1 f., 14. 3 §§ 5 Abs. 1 Satz 2 und 3, Abs. 2 Satz 2 und 3, Abs. 3 Satz 3, 6 Abs. 3 Satz 4 und 5 GrEStG. 4 Vgl. dazu auch Haase, Ubg 2021, 193; ders. IWB 2021, 647; Kölbl/Luce, Ubg 2021, 264 (268, 270); Brühl/Weiss, DStR 2021, 945 (949 f.); dies., DStR 2021, 1617 (1620-1623); Mayer/Käshammer, NWB 2021, 1300 (1306-1308); Müller/ Lucas/Mack, IWB 2021, 528; Schiffers/Jacobsen, DStZ 2021, 348; Böhmer/ Mühlhausen/Oppel, ISR 2021, 388; Grotherr, Ubg 2021, 568; Bockhoff/Frieburg/Darijtschuk, DB 2021, 2521; Zapf, BB 2021, 2775 (2781 f.). 5 Vgl. BT-Drucks. 19/28656, 21; BMF v. 10.11.2021 IV C 2 - S 2707/21/1001:004, BStBl. I 2021, 2212, Rn. 2, 3. 6 Vgl. Brühl/Weiss, DStR 2021, 889 (891); Lauer, Ubg 2021, 548 (553); Wacker, in Wacker/Krüger/Levedag/Loschelder, Beihefter DStR 41/2021, 3, 8 f. 7 BMF v. 10.11.2021, aaO (Fn. 5), Rn. 3. ebenso Schießl, in Widmann/Mayer, § 1a KStG Rn. 29 (Okt. 2021); Pung, in Dötsch/Pung/Möhlenbrock (D/P/M), § 1a KStG Rn. 27 (12/2021).
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Förster – Körperschaftsteueroption von PersHG
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Nach dem Rechtstypenvergleich muss die ausländische Gesellschaft als Personengesellschaft einzustufen sein8 und
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sie muss bei Zugrundelegung deutscher Maßstäbe ein Handelsgewerbe i.S.d. § 1 HGB betreiben.
Die Berechtigung zur Option besteht unabhängig davon, ob die Personenhandelsgesellschaft Sitz oder Geschäftsleitung im Inland hat.9 Der Gesetzeswortlaut enthält keine Beschränkung auf (nach der Option) unbeschränkt stpfl. Gesellschaften. Vielmehr ergibt sich aus dem Wortlaut des § 1 Abs. 1 Nr. 1 KStG, der optierende Gesellschaften ausdrücklich erfasst, dass sie zu den dort adressierten „Körperschaften, Personenvereinigungen und Vermögensmassen“ gehören. Dies gilt dann aber gleichermaßen auch für § 2 Nr. 1 KStG.10 Unerheblich ist, ob die optierende Gesellschaft inländische Einkünfte erzielt.11 Ausdrücklich von einer Option ausgeschlossen sind gem. § 1a Abs. 1 Satz 6 KStG Investmentfonds i.S.d. InvStG 2018 und Gesellschaften, die nach Ausübung der Option in dem Staat der Geschäftsleitung keiner der deutschen unbeschränkten Körperschaftsteuerpflicht vergleichbaren Steuerpflicht unterliegen. Unerheblich ist, ob die Steuerpflicht im Ausland zwingender Natur ist oder sich aus einer nach ausländischem Steuerrecht möglichen und ausgeübten Option ergibt; unterbunden werden soll vielmehr die künstliche Schaffung hybrider Rechtsträger.12 8 Dazu RFH v. 12.2.1930 VI A 899/27, RFHE 27, 73; v. 20.8.2008 I R 34/08, BStBl. II 2009, 263; v. 18.5.2021 I B 75/20, BFH/NV 2021, 1489 Rn. 18-30; BMF v. 24.12.1999 IV B 4 – S 1300 – 111/99, BStBl. I 1999, 1076, Tab. 1 und 2; BMF v. 19.3.2004 IV B 4 – S 1301 USA – 22/04, BStBl. I 2004, 411; BMF v. 11.11.2011 IV C 2 - S 1978 – b/08/10001, BStBl. I 2011, 1314, Rn. 01.27; Möhlenbrock/Werner, in D/P/M, § 1 UmwStG Rn. 98-102 (12/2015); Linn/Maywald, IStR 2021, 825 (827-830). 9 BMF v. 10.11.2021, aaO (Fn. 5), Rn. 4; Mayer/Käshammer, NWB 2021, 1300 (1306); Schiffers/Jacobsen, DStZ 2021, 648 (652); Müller/Lucas/Mack, IWB 2021, 528 (529 f.); Böhmer/Mühlhausen/Oppel, ISR 2021, 388 (389, 391 f.); Zapf, BB 2021, 2711 (2714). A.A. (nur Personengesellschaften mit Sitz oder Geschäftsleitung im Inland) aber mit Kritik Haase, Ubg 2021, 193 (194 f.); ders., IWB 2021, 647 (648, 651); Brühl/Weiss, DStR 2021, 889 (891). 10 Vgl. BFH v. 3.2.1988 I R 134/84, BStBl. II 1988, 588, 589; Müller/Lucas/Mack, IWB 2021, 528 (530); Loschelder, in Wacker/Krüger/Levedag/Loschelder, Beihefter DStR 41/2021, 3, 36. 11 BMF v. 10.11.2021, aaO (Fn. 5), Rn. 4; Mayer/Käshammer, NWB 2021, 1300 (1306). 12 BT-Drucks. 19/28656, 22. Vgl. a. BMF v. 10.11.2021, aaO (Fn. 5), Rn. 5, unter Verweis auf die Anlage des BMF-Schreibens v. 26.9.2014, BStBl. I 2014, 1258.
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C. Inboundsituation I. Abgrenzung In der Inboundsituation sind auslandsansässige Gesellschafter an einer inländischen oder ausländischen Personenhandelsgesellschaft beteiligt, die über inländische Einkünfte verfügt.
II. Übergang zur Körperschaftsbesteuerung 1. Anwendungsbereich des UmwStG Der optionsbedingte Übergang zur Körperschaftsbesteuerung gilt gem. § 1a Abs. 2 Satz 1 KStG als Formwechsel i.S.d. § 1 Abs. 3 Nr. 3 UmwStG, was den sachlichen Anwendungsbereich des UmwStG eröffnet.13 Der tatsächliche Formwechsel einer Personenhandelsgesellschaft in eine Kapitalgesellschaft ist nach allgemeinen Regelungen als gewinnrealisierender tauschähnlicher Vorgang anzusehen, bei dem die Gesellschafter ihre Personengesellschaftsanteile in die Kapitalgesellschaft gegen Gewährung neuer Gesellschaftsanteile einbringen; aus der Sicht der Kapitalgesellschaft handelt es sich um ein Anschaffungsgeschäft.14 Gleiches gilt auch für den optionsbedingten fiktiven Formwechsel.15 Allerdings werden die allgemeinen Regelungen durch die umwandlungssteuerlichen Einbringungsvorschriften in §§ 1, 25, 20-23 UmwStG verdrängt, soweit deren Voraussetzungen erfüllt sind (§ 1a Abs. 2 Satz 2 KStG). Gem. § 1 Abs. 4 Satz 1 Nr. 1 UmwStG setzen die umwandlungssteuerlichen Einbringungsregeln in persönlicher Hinsicht voraus, dass die optierende Gesellschaft eine Gesellschaft i.S.v. Art. 54 AEUV oder Art. 34 EWR-Abkommen ist, die nach den Rechtsvorschriften eines EU- oder 13 Vgl. Frotscher, G., in Frotscher/Drüen, KöMoG 2021 Erstkommentierung, § 1a KStG Rn. 26 f. (Juli 2021); Pung, in D/P/M, § 1a KStG Rn. 59 f. (12/2021). 14 Vgl. BFH v. 19.10.2005 I R 38/04, BStBl. II 2006, 567, 568; v. 11.7.2019 I R 26/18, BFH/NV 2020, 439, Rn. 11; UmwStE 2011, Rn. 00.02, 25.01; BMF v. 10.11.2021, aaO (Fn. 5), Rn. 24, 28; Patt, in: D/P/M, § 25 UmwStG Rn. 2, 28 (03/2017); Schmitt, in Schmitt/Hörtnagl, 9. Aufl., 2020, § 25 UmwStG Rn. 18, 19; Rabback, in Rödder/Herlinghaus/van Lishaut (R/H/vL), 3. Aufl., 2019, § 25 UmwStG Rn. 3, 43. 15 Vgl. BMF v. 10.11.2021, aaO (Fn. 5), Rn. 24, 28; Kölbl/Luce, Ubg 2021, 264 (265); Brühl/Weiss, DStR 2021, 889 (893); Böhmer/Mühlhausen/Oppel, ISR 2021, 388 (389); Schießl, in Widmann/Mayer, § 1a KStG Rn. 3, 151 (Okt. 2021); Ott, DStZ 2021, 559 (561); Pung, in D/P/M, § 1a KStG Rn. 68 (12/2021).
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EWR-Staats gegründet wurde und Sitz und Ort der Geschäftsleitung innerhalb des Hoheitsgebiets eines dieser Staaten hat.16 Fehlt es hieran, ist die Anwendung des UmwStG auf den fiktiven Formwechsel ausgeschlossen. Dies gilt insbesondere für die Option von Gesellschaften, die nach dem Recht eines Drittstaats gegründet wurden oder deren Sitz oder Geschäftsleitung sich nicht in einem EU/EWR-Staat befindet.17 Bsp. 1: Die Option einer US-Limited Partnership oder einer schweizerischen KG ist zwar möglich, aber aus deutscher Sicht nicht steuerneutral. Erforderlich ist darüber hinaus, dass die Gesellschafter die Bedingungen des § 1 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 UmwStG erfüllen. Dies setzt voraus, dass am steuerlichen Übertragungsstichtag18 der einzelne Gesellschafter entweder eine an der optierenden Gesellschaft unmittelbar oder mittelbar über eine oder mehrere (nicht optierende) Personengesellschaften beteiligte natürliche Personen ist, die in einem EU/ EWR-Staat ansässig ist und die nicht aufgrund eines DBA als außerhalb dieses Bereichs ansässig gesehen wird, oder eine Körperschaft, Personenvereinigung oder Vermögensmasse, die einen dreifachen EU/EWR-Bezug aufweist, oder dass das Recht Deutschlands hinsichtlich der Besteuerung des Gewinns aus der Veräußerung der Anteile an der optierenden Gesellschaft weder ausgeschlossen noch beschränkt ist. Soweit dies bei einzelnen Gesellschaftern nicht der Fall ist, findet das UmwStG auf die fiktive Einbringung ihres Personengesellschaftsanteils in die optierende Gesellschaft keine Anwendung.
16 So Rabback, in R/H/vL, § 25 UmwStG Rn. 38; Brühl/Weiss, DStR 2021, 1617 (1622); Frotscher, G., in Frotscher/Drüen, aaO (Fn. 13), § 1a KStG Rn. 29 (Juli 2021); Loose, in Brandis/Heuermann, § 1 UmwStG Rn. 33 (Aug. 2021); Wacker, in Wacker/Krüger/Levedag/Loschelder, Beihefter DStR 41/2021, 3, 11; Schießl, in Widmann/Mayer, § 1a KStG Rn. 29, 30 (Okt. 2021); Pung, in D/P/M, § 1a KStG Rn. 64 (12/2021). 17 Vgl. Bockhoff/Frieburg/Darijtschuk, DB 2021, 2521; Pung, in D/P/M, § 1a KStG Rn. 64 (12/2021). Wohl auch Kölbl/Luce, Ubg 2021, 264 (268). A.A., sofern das deutsche Besteuerungsrecht für Gewinne aus der Veräußerung der Gesellschaftsanteile nicht ausgeschlossen oder beschränkt ist, Möhlenbrock/ Werner, in D/P/M, § 1 UmwStG Rn. 160, 161a, 172 (12/2021); Graw, in R/H/ vL, § 1 UmwStG Rn. 177; Maetz, in Widmann/Mayer, § 1 UmwStG Rn. 187 (Mai 2020); Böhmer, in Mössner/Oellerich/Valta, 6. Aufl., 2021, § 1a KStG Rn. 263. Das BMF v. 10.11.2021, aaO (Fn. 5), Rn. 26, lässt dies offen. 18 Vgl. BMF v. 10.11.2021, aaO (Fn. 5), Rn. 26; Möhlenbrock/Werner, in: D/P/M, § 1 UmwStG Rn. 167, 178 (12/2021); Pung, in D/P/M, § 1a KStG Rn. 67 (12/2021).
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Förster – Körperschaftsteueroption von PersHG Bsp. 2: An einer gewerblich tätigen KG sind als Mitunternehmer die in den Niederlanden ansässige N-BV zu 30 %, die in der Schweiz ansässige CH-AG zu 40 % und die in Argentinien ansässige natürliche Person X zu 30 % beteiligt. Im Falle der Option der KG sind die stillen Reserven im Mitunternehmeranteil der CH-AG aufzudecken und unterliegen der beschränkten Steuerpflicht in Deutschland, soweit es sich um inländische Einkünfte handelt. Dagegen ist die NL-BV eine Gesellschaft mit dreifachem EU-Bezug und X erfüllt aufgrund Art. 13 Abs. 3 DBA-Argentinien die Voraussetzung, dass das deutsche Besteuerungsrecht für Gewinne aus der Veräußerung der Anteile an der optierenden Gesellschaft nicht ausgeschlossen oder beschränkt ist. Insoweit ist daher ein fiktiver Formwechsel zu Buchwerten möglich. Das Vorhandensein der CH-AG infiziert nicht den gesamten fiktiven Formwechsel.19 Die Aufdeckung der stillen Reserven im Mitunternehmeranteil der CH-AG ist in einer Ergänzungsbilanz abzubilden, die beim anschließenden fiktiven Formwechsel zu höheren Buchwerten der Wirtschaftsgüter bei der optierenden Gesellschaft und einem höheren steuerlichen Einlagekonto führt. Da hiervon auch die Mitgesellschafter profitieren, sind ggfls. Ausgleichsklauseln erforderlich.
2. Wertansatzwahlrecht Soweit der persönliche Anwendungsbereich des UmwStG eröffnet ist, kommt ein fiktiver Formwechsel zu Buchwerten in Betracht, sofern ein Mitunternehmeranteil eingebracht wird, ein Buchwertantrag gem. § 20 Abs. 2 Satz 2 und 3 UmwStG fristgerecht gestellt wird und soweit die weiteren Voraussetzungen des § 20 Abs. 2 Satz 2 UmwStG erfüllt sind. Der Formwechsel zu Buchwerten ist insbesondere bei Vorhandensein einer deutschen Betriebsstätte von Interesse. Probleme können sich allerdings bei der Verstrickung von Vermögen in Deutschland ergeben. Bsp. 3: An der gewerblich tätigen GmbH & Co. KG in Deutschland ist die französische F-S.a.r.l. vermögensmäßig zu 100 % als Kommanditist beteiligt. Sie hält auch alle Anteile an der vermögensmäßig nicht beteiligten Komplementär-GmbH. Der Betrieb der KG umfasst eine deutsche Betriebsstätte und eine Betriebsstätte in einem Nicht-DBA-Staat.
19 Vgl. BMF v. 10.11.2021, aaO (Fn. 5), Rn. 26; Maetz, in Widmann/Mayer, § 1 UmwStG Rn. 192 (Mai 2020); Möhlenbrock/Werner, in: D/P/M, § 1 UmwStG Rn. 168, 175 (12/2021); Pung, in D/P/M, § 1a KStG Rn. 66 (12/2021). A.A. Frotscher, G., in Frotscher/Drüen, aaO (Fn. 13), § 1a KStG Rn. 31.
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Förster – Körperschaftsteueroption von PersHG Die KG ist als Personenhandelsgesellschaft optionsberechtigt (§ 1a Abs. 1 Satz 1 KStG) und die Voraussetzungen des § 1 Abs. 4 UmwStG sind erfüllt. Die Anwendung des § 20 UmwStG setzt voraus, dass die F-S.a.r.l. einen Mitunternehmeranteil im Rahmen des fiktiven Formwechsels einbringt. Hierzu gehören auch die Anteile an der Komplementär-GmbH, die nach Auffassung verschiedener OFD-Verfügungen als funktional wesentliche Betriebsgrundlage des SBV II anzusehen sind.20 Sie sind daher im zeitlichen und wirtschaftlichen Zusammenhang mit dem fiktiven Formwechsel bis zum steuerlichen Übertragungsstichtag in die KG einzubringen, wodurch eine Einheits-GmbH & Co. KG entsteht.21 Zwar ist nach dem BFH-Urteil vom 16.12.2009 die Beteiligung an der KomplementärGmbH im Falle eines echten Formwechsels der KG in eine Kapitalgesellschaft keine wesentliche Betriebsgrundlage, weil die Komplementärstellung mit dem umwandlungsbedingten Erlöschen der KG gegenstandslos wird.22 Dies kann jedoch nicht auf den fiktiven Formwechsel übertragen werden kann, da hier die KG gerade nicht untergeht und die Komplementär-GmbH für das Bestehen der KG weiter erforderlich ist.23 Stellt die optierende KG gem. § 20 Abs. 2 Satz 2, 3 UmwStG den Antrag, das fiktiv eingebrachte Vermögen einheitlich mit dem Buchwert anzusetzen, wird ein Einbringungsgewinn für die Wirtschaftsgüter der deutschen Betriebsstätte vermieden. Die Wirtschaftsgüter der Betriebsstätte in dem Nicht-DBA-Staat werden dagegen durch den fiktiven Formwechsel in Deutschland erstmals steuerverstrickt. Nach zutreffender h.M. sind sie daher mit dem gemeinen Wert oder – im Falle der Entstrickungsbesteuerung eines anderen Staates – dem Entstrickungswert, höchstens jedoch mit dem gemeinen Wert anzusetzen; die Regelung des § 8 Abs. 1 KStG i.V.m. §§ 4 Abs. 1 Satz 8 Hs. 2, 6 Abs. 1 Nr. 5a EStG geht der umwandlungssteuerlichen Regelung als lex specialis für den Verstrickungsfall vor.24 20 Vgl. OFD Frankfurt/M. v. 13.2.2014 – S 2134 A – 14 – St213, DStR 2014, 746, Rn. 7-11; OFD NRW, Vfg. v. 21.6.2016 – S 2242 – 2014/0003 – St 114, DB 2016, 1907. A.A. wohl Hess. FG v. 5.12.2018 – 8 K 1236/15, Rev. (IV R 9/20), EFG 2020, 1517 Rn. 27. 21 BMF v. 10.11.2021, aaO (Fn. 5), Rn. 32, 34. 22 BFH v. 16.12.2009 I R 97/08, BStBl II 2010, 808 Rn. 23; OFD Frankfurt/M. v. 13.2.2014, aaO (Fn. 20), Rn. 12; OFD NRW v. 21.6.2016 aaO (Fn. 20), Tz. II. 4. 23 Vgl. BMF v. 10.11.2021, aaO (Fn. 5), Rn. 32; Demuth, KÖSDI 2021, 22241 (22245); Schießl, in Widmann/Mayer, § 1a KStG Rn. 198 (Okt. 2021); Ott, DStZ 2021, 559 (561); Ott, DStZ 2021, 559 (564); Pung, in D/P/M, § 1a KStG Rn. 74 (12/2021). 24 BT-Drucks. 16/2710, 43; Förster/Wendland, BB 2007, 631, 634; Kahle/Vogel, in: Prinz, Umwandlungen im internationalen Steuerrecht, 2013, Rn. 12.136; Patt, in D/P/M, § 20 UmwStG Rn. 228 (03/2018); Schaumburg/Häck, in: Schaumburg, Internationales Steuerrecht, 4. Aufl., 2017, Rn. 20.16, 20.117 m.w.N.; Förster, DStR 2020, 865 (873 f.); Böhmer/Mühlhausen/Oppel, ISR 2021, 388 (392). A.A. Herlinghaus, in R/H/vL, § 20 UmwStG Rn. 309, jeweils m.w.N.
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Förster – Körperschaftsteueroption von PersHG Als Konsequenz sind die Anschaffungskosten der Anteile an der optierenden Gesellschaft mit dem Buchwert der Wirtschaftsgüter der deutschen Betriebsstätte zuzüglich des gemeinen Werts der Wirtschaftsgüter der Nicht-DBA-Staats-Betriebsstätte anzusetzen (§ 20 Abs. 3 Satz 1 UmwStG).
Wird anderes, ungebundenes Vermögen erst im Nachgang zum fiktiven Formwechsel in Deutschland tatsächlich steuerlich verstrickt, entsteht keine Konkurrenz mit dem umwandlungssteuerrechtlich „einheitlichen Buchwertansatz“, da erst im Zeitpunkt der tatsächlichen Verstrickung der gemeine Wert bzw. der Entstrickungswert eines anderen Staates anzusetzen ist (§ 4 Abs. 1 Satz 8 Hs. 2 EStG i.V.m. § 6 Abs. 1 Nr. 5a EStG).25 Dies kann bspw. Beteiligungen, Patente, Rechte und Know-how betreffen.
3. Sperr- und Nachweispflichten Mit dem fiktiven Formwechsel beginnt die siebenjährige Sperrfrist gem. § 22 Abs. 1 und ggfls. auch Abs. 2 UmwStG zu laufen und es sind die Nachweispflichten gem. § 22 Abs. 3 UmwStG zu erfüllen.26 Zweifelhaft ist aber, ob die Sperrfristregelung gegen die Vorgaben der steuerlichen Fusionsrichtlinie verstößt, weil sie generell Sachverhalte unabhängig vom tatsächlichen Vorliegen einer Steuerhinterziehung oder -umgehung von der Möglichkeit zur Fortführung der Buchwerte ausschließt.27
III. Laufende Besteuerung 1. Grundsatz: Trennungsprinzip Nach dem Übergang zur Körperschaftsbesteuerung gilt das Trennungsprinzip. Die optierende Gesellschaft unterliegt mit den von ihr erzielten 25 BMF v. 11.11.2011, aaO (Fn. 8), Rn. 02.15, 20.19, 03.20. 26 Vgl. Brühl/Weiss, DStR 2021, 889 (895); Demuth, KÖSDI 2021, 22241 (22245); Zapf, BB 2021, 2775 (2778 f.). A.A. v. Goldacker/Mathy/Schuster, BB 2021, 2967 (2968-2973). 27 Vgl. EuGH v. 17.7.1997, C-28/95, Leur-Bloem, Slg. 1997, I-4161 und I-4190, Rn. 41, 44; v. 10.11.2011, C-126/10, Foggia, DStRE 2012, 623, Rn. 37; v. 8.3.2017, C-14/16, Euro Park Service, IStR 2017, 409, Rn. 32-57; Rödder/Schumacher, DStR 2006, 1538; Förster/Wendland, BB 2007, 631 (635); Graw, FR 2010, 837; Stangl in R/H/vL, § 22 UmwStG Rn. 37 m.w.N. Vgl. a. BFH v. 18.11.2020 I R 24/18, BFH/NV 2021, 951, Rn. 34. A.A. BT-Drucks. 16/2710, 46; Fehling, in Schaumburg/Englisch, Europäisches Steuerrecht, 2020, Rn. 16.111.
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Gewinnen selbst der Körperschaftsteuer und Gewerbesteuer. Bei den Gesellschaftern sind die Gewinne erst steuerpflichtig, wenn und soweit sie ausgeschüttet werden, und nicht bereits, wenn sie von der Gesellschaft erzielt werden (§ 1a Abs. 3 Satz 3 KStG). Zudem werden schuldrechtliche Beziehungen zwischen Gesellschaft und Gesellschaftern im Grundsatz steuerlich anerkannt (§ 1a Abs. 3 Satz 2 KStG).28
2. Abkommensberechtigung der optierenden Gesellschaft Gem. Art. 1 Abs. 1 OECD-MA sind Personen abkommensberechtigt, „die in einem Vertragsstaat oder in beiden Vertragsstaaten ansässig sind“. Zu den Personen gehören auch optierende Gesellschaften, da sie für die Besteuerung wie eine juristische Person behandelt werden (Art. 3 Abs. 1 Bst. a und b OECD-MA). Liegt ihre Geschäftsleitung im Inland, sind sie abkommensrechtlich aufgrund der unbeschränkten Körperschaftsteuerpflicht in Deutschland ansässig (Art. 4 Abs. 1 OECD-MA). Liegt die Geschäftsleitung im ausländischen Vertragsstaat, sind sie abkommensrechtlich dort ansässig, weil sie aufgrund der Voraussetzung des § 1a Abs. 1 Satz 6 Nr. 2 KStG einer der unbeschränkten Körperschaftsteuerpflicht entsprechenden Steuerpflicht in diesem Vertragsstaat unterliegen. In beiden Fällen ist aus deutscher Sicht die Abkommensberechtigung gegeben.29 Zu beachten ist aber, dass die Abkommensberechtigung anwenderstaatsorientiert zu verstehen ist (Art. 3 Abs. 2 OECD-MA), so dass der ausländische Vertragsstaat eine optierende Gesellschaft mit deutscher Geschäftsleitung weiterhin als transparente Einheit und damit als nicht abkommensberechtigt ansehen kann, sofern das DBA keine Regelung enthält.
3. Gewinnausschüttungen einer inländischen optierenden Gesellschaft a) Kapitalertragsteuerabzug Gewinne optierender Gesellschaften gelten gem. § 1a Abs. 3 Satz 5 KStG als ausgeschüttet, wenn sie entnommen werden oder ihre Auszah-
28 BMF v. 10.11.2021, aaO (Fn. 5), Rn. 67; Zapf, BB 2021, 2775 (2779 f.). 29 Vgl. BMF v. 10.11.2021, aaO (Fn. 5), Rn. 54.
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lung verlangt werden kann.30 Gewinnanteile, deren Auszahlung mit der Feststellung des Jahresabschlusses verlangt werden kann, gelten ungeachtet der tatsächlichen Auszahlung oder Entnahme in diesem Zeitpunkt als ausgeschüttet (Ausschüttungsfiktion).31 Die (fiktiven) Gewinnausschüttungen gehören bei den Empfängern zu den Einkünften i.S.d. § 20 Abs. 1 Nr. 1 Satz 1 EStG, die dem – i.d.R. abgeltenden32 – Kapitalertragsteuerabzug unterliegen. Der Abzug ist grundsätzlich in voller Höhe von 25 % zzgl. Solidaritätszuschlag vorzunehmen, sofern keine Freistellungsbescheinigung vorliegt (§ 50c Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 EStG). Fehlt sie, ist der Gläubiger der Kapitalerträge auf das Erstattungsverfahren gem. § 50c Abs. 3 EStG verwiesen. Aufgrund des Kapitalertragsteuerabzugs wird die optierende Gesellschaft im Ergebnis schlechter gestellt als eine transparent besteuerte Gesellschaft, bei der ein Gewinntransfer ins Ausland steuerlich unbeachtlich ist.33 Quellensteuerermäßigungsansprüchen kommt deshalb eine erhebliche Bedeutung zu. Ist der Anteilseigner der optierenden Gesellschaft eine beschränkt steuerpflichtige Körperschaft i.S.d. § 2 Nr. 1 KStG, werden gem. § 44a Abs. 9 EStG auf Antrag 2/5 der Kapitalertragsteuer erstattet, so dass die verbleibende Quellensteuerbelastung 15 % zzgl. Solidaritätszuschlag beträgt.34 Zu beachten sind allerdings die Einschränkungen aus § 50d Abs. 3 EStG (§ 44a Abs. 9 Satz 2 EStG). Eine Begrenzung des deutschen Quellenbesteuerungsrechts kann sich darüber hinaus aus einem Doppelbesteuerungsabkommen, aus § 43b EStG und aus der Kapitalverkehrsfreiheit ergeben.
b) Doppelbesteuerungsabkommen Im Falle eines Doppelbesteuerungsabkommens mit dem Ansässigkeitsstaat des Anteilseigners wendet Deutschland auf die (fiktive) Ausschüttung Art. 10 Abs. 3 OECD-MA an. Die weiteren Konsequenzen hängen jedoch auch von der Qualifikation der optierenden Gesellschaft durch
30 Zur Abgrenzung von Gewinnausschüttungen vgl. Schiffers/Jacobsen, DStZ 2021, 348 (354 f.); Zapf, BB 2021, 2775 (2780). 31 BMF v. 10.11.2021, aaO (Fn. 5), Rn. 74. 32 §§ 50 Abs. 2 Satz 1 EStG, 32 Abs. 1 Nr. 2 KStG. 33 Vgl. Grotherr, Ubg 2021, 568 (571). 34 Vgl. Grotherr, Ubg 2021, 568 (571).
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den anderen Vertragsstaat und der Erfüllung der Voraussetzungen des § 50d Abs. 3 EStG ab.35 Bsp. 4: An der optierenden KG in Deutschland mit deutscher Betriebsstätte sind die österreichische Ö-GmbH und die spanische ES-SA mit jeweils 50 % unmittelbar beteiligt. Die optierende KG tätigt eine Gewinnausschüttung an ihre Gesellschafter. Spanien behandelt die optierende Gesellschaft als intransparent. Daher besteht kein subjektiver Qualifikationskonflikt und Deutschland gewährt gem. Art. 10 Abs. 2 Satz 1 lit. a) DBA-Spanien eine erweiterte Quellensteuerabsenkung auf 5 %. Österreich qualifiziert die optierende Gesellschaft als transparent, so dass aus österreichischer Sicht das Besteuerungsrecht für die Gewinne aus der deutschen Betriebsstätte gem. Art. 7 Abs. 1 und 7 DBA-Österreich Deutschland zusteht. Zur Vermeidung „weißer Einkünfte“ verbietet in dieser Situation § 50d Abs. 14 Satz 1 EStG eine Quellensteuerentlastung gem. Art. 10 Abs. 2 DBA-Österreich im Wege eines Treaty Overrides. Es verbleibt dann grundsätzlich bei der vollen KapSt von 25 % zzgl. Solidaritätszuschlag.36 Ist der Anteilseigner – wie hier – eine beschränkt steuerpflichtige Körperschaft i.S.d. § 2 Nr. 1 KStG, kommt aber ein Erstattungsanspruch nach § 44a Abs. 9 EStG auf 15 % zzgl. Solidaritätszuschlag in Betracht.37
c) Mutter-Tochter-Richtlinie (§ 43b EStG) Nach dem BMF-Schreiben v. 10.11.2021 und eines Teils der Literatur scheidet die Ermäßigung der deutschen Kapitalertragsteuer auf (fiktive) Gewinnausschüttungen der optierenden Gesellschaft gem. § 43b Abs. 1 Satz 1 EStG aus, weil die Gesellschaft nicht ohne Wahlmöglichkeit der Körperschaftsteuer unterliegt und daher keine EU-Gesellschaft ist.38 Diese Auffassung steht allerdings im Widerspruch zur Legaldefinition des § 1a Abs. 1 Satz 1 KStG, wonach eine optierende Gesellschaft der 35 Vgl. Böhmer/Mühlhausen/Oppel, ISR 2021, 388 (394). 36 Vgl. BT-Drucks. 19/29843, 44; BMF v. 10.11.2021, aaO (Fn. 5), Rn. 79; Müller/ Lucas/Mack, IWB 2021, 528 (536); Böhmer/Mühlhausen/Oppel, ISR 2021, 388 (394); Brühl/Weiss, DStR 2021, 1617 (1620); Frotscher, G., in Frotscher/ Drüen, aaO (Fn. 13), § 1a KStG Rn. 83; Schießl, in Widmann/Mayer, § 1a KStG Rn. 296 (Okt. 2021); Loschelder, in Wacker/Krüger/Levedag/Loschelder, Beihefter DStR 41/2021, 3, 39; Pung, in D/P/M, § 1a KStG Rn. 22 (12/2021); Zapf, BB 2021, 2775 (2781 f.). 37 BMF v. 10.11.2021, aaO (Fn. 5), Rn. 79. 38 BMF v. 10.11.2021, aaO (Fn. 5), Rn. 52; Grotherr, Ubg 2021, 568 (571). A.A. Frotscher, G., in Frotscher/Drüen, aaO (Fn. 13), § 1a KStG Rn. 85 (Juli 2021); sowie Dibbert/Dorn, DB 2021, 2525 (2526); Bockhoff/Frieburg/Darijtschuk, DB 2021, 2521 (2524), die aber die Wahlmöglichkeit nicht problematisieren.
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Körperschaftsteuer ohne Wahlmöglichkeit unterliegt. Der diesbezügliche Antrag begründet keine Wahlmöglichkeit, sondern lässt eine optierende Gesellschaft erst entstehen, die steuerlich nicht mit der transparenten Personenhandelsgesellschaft identisch ist (arg. § 1a Abs. 2 und 4 KStG).39 Ein Wechsel des Besteuerungsregimes ist wie bei einer echten Kapitalgesellschaft nur unter Inkaufnahme der umwandlungssteuerlichen Konsequenzen möglich. Auch eine optierende Gesellschaft ist daher als EU-Gesellschaft anzusehen. Zudem entspricht die Gewährung der Quellensteuerermäßigung dem Zweck der Mutter-Tochter-Richtlinie, die ökonomische Doppelbesteuerung der von einer Tochter- an die Muttergesellschaft ausgeschütteten Gewinne mit Körperschaftsteuer zu beseitigen.40 Im Ergebnis sprechen daher die besseren Gründe für eine Anwendung der MTRL und des § 43b EStG auf optierende Gesellschaften. Auch der Bundesrat hat in der Versagung der Vorteile der Mutter-Tochter-Richtlinie einen ungerechtfertigten Besteuerungsnachteil gesehen.41 Fortführung des Bsp. 4: Sowohl für die Gewinnausschüttung an die ES-SA als auch für die Ausschüttung an die Ö-GmbH ist die Kapitalertragsteuer gem. § 43b Abs. 1 Satz 1 EStG auf 0 % abzusenken. Die Regelung des § 50d Abs. 14 EStG steht dem nicht entgegen, da sie nur einen Treaty Override für Doppelbesteuerungsabkommen enthält.
d) Kapitalverkehrsfreiheit und unionsrechtlicher Erstattungsanspruch Aufgrund der abgeltenden Kapitalertragsteuer unterwirft Deutschland grenzüberschreitende Ausschüttungen an eine Kapitalgesellschaft mit einer Mindestbeteiligung von 10 % wirtschaftlich einer höheren Besteuerung als Ausschüttungen an eine deutsche Kapitalgesellschaft. Nach den Grundsätzen der EuGH-Entscheidung v. 20.10.2011 im Streubesitzdividendenfall liegt hierin eine ungerechtfertigte Beschränkung der durch Art. 63 AEUV und Art. 40 EWR-Abkommen garantierten Kapitalver39 Vgl. Frotscher, G., in Frotscher/Drüen, aaO (Fn. 13), § 1a KStG Rn. 85 (Juli 2021). 40 Vgl. Erwägungsgrund (3) der Richtlinie 2011/96/EU des Rates über das gemeinsame Steuersystem der Mutter- und Tochtergesellschaften verschiedener Mitgliedstaaten vom 30.11.2011, ABl.EU 2011, Nr. L 345, 9; EuGH v. 7.9.2017, C-6/16, Eqiom und Enka, EU:C:2017:641, Rn. 20, 22. 41 BR-Drucks. 244/21 (Beschluss), 9.
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kehrsfreiheit, sofern der Ausschüttungsempfänger eine Körperschaft ist und eine Mindestbeteiligung von 10 % vorliegt. Deutschland ist daher verpflichtet, die einbehaltene Quellensteuer zu erstatten.42 Für den unionsrechtlich begründeten Erstattungsanspruch ist nach der Neufassung von § 5 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 FVG43 das Bundeszentralamt für Steuern zuständig.44 Fortführung des Bsp. 4: Sowohl für die Gewinnausschüttung an die ES-SA als auch für die Ausschüttung an die Ö-GmbH ist die Kapitalertragsteuer wegen Verletzung der Kapitalverkehrsfreiheit durch die wirtschaftlich höhere Belastung von Auslandsdividenden gegenüber inländischen Gewinnausschüttungen in voller Höhe zu erstatten. Die Regelung des § 50d Abs. 14 EStG steht dem nicht entgegen.
4. Keine Anwendung der Konzern-Zins- und Lizenzgebührenrichtlinie Die Konzern-Zins- und Lizenzgebühren-Richtlinie45 und § 50g EStG finden auf eine optierende Gesellschaft keine Anwendung, da sie nicht zu den dort abschließend benannten Rechtsformen46 gehört.47 Der Bundesrat hat den damit verbundenen Steuernachteil zu Recht kritisiert.48
42 EuGH (Erste Kammer), Urteil v. 20.10.2011, C-284/09, KOM/Deutschland, DStR 2011, 2038. EuGH (Vierte Kammer) v. 16.6.2022, C-572/20, ACC Silicones, FR 2022, 725 Rn. 33. Dem folgend BFH v. 11.1.2012 I R 25/10, IStR 2012, 340 Rn. 24-26; v. 11.1.2012, I R 30/10, IStR 2012, 379 Rn. 20, 21; v. 13.4.2021 I R 31/18, IStR 2021, 767; Linn, IStR 2012, 343-345; Patzner/Nagler, IStR 2012, 345 f.; Wiese/Strahl, DStR 2012, 1426. 43 I.d.F. des AbzStEntModG v. 2.6.2021, BGBl. I 2021, 1258. 44 FG Düsseldorf v. 2.3.2022 – 7K 1424/18 KE, Rev. I R 16/22, EFG 2022, 598 Rn. 20; vgl. BT-Drucks. 19/27632, 88. 45 Richtlinie 2003/49/EG des Rates v. 3.6.2003 über eine gemeinsame Steuerregelung für Zahlungen von Zinsen und Lizenzgebühren zwischen verbundenen Unternehmen verschiedener Mitgliedstaaten, ABl. EU v. 26.6.2003, Nr. L 157/49. 46 Art. 3 Bst. a) i) i.V.m. Anhang ZLRL, § 50g Abs. 3 Nr. 5 Bst. a) aa) EStG i.V.m. Anlage 3 Nr. 1 zum EStG. 47 BMF v. 10.11.2021, aaO (Fn. 5), Rn. 52; Vgl. Frotscher, G., in Frotscher/Drüen, aaO (Fn. 13), § 1a KStG Rn. 86 (Juli 2021); Pung, in D/P/M, § 1a KStG Rn. 23 (12/2021); ebenso für den Outbound-Sachverhalt Grotherr, Ubg 2021, 568 (581). 48 BR-Drucks. 244/21 (Beschluss), 9.
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5. Qualifikationskonflikte bei Leistungsvergütungen Im Falle von (angemessenen) Leistungsvergütungen einer optierenden Gesellschaft an ihre ausländischen Gesellschafter können Qualifikationskonflikte entstehen, wenn der Ansässigkeitsstaat der Gesellschafter die optierende Gesellschaft als transparent qualifiziert und das Doppelbesteuerungsabkommen mit diesem Staat das Besteuerungsrecht für die Vergütungen Deutschland zuweist. Gewährt Deutschland einen Betriebsausgabenabzug für die Vergütungen, kann eine „Deduction/Non-Inclusion“-Situation entstehen. In diesem Fall versagt § 4k Abs. 2 EStG den Betriebsausgabenabzug bei der optierenden Gesellschaft.49 Allerdings ist es nicht zwingend, dass das Doppelbesteuerungsabkommen das Besteuerungsrecht für die Vergütungen durch eine optierende Gesellschaft weiterhin Deutschland zuweist – und zwar auch dann nicht, wenn es eine besondere Regelung für Gesellschaftervergütungen enthält. Bsp. 5: An der optierenden, gewerblich tätigen D-KG in Deutschland ist die Ö-GmbH mit Sitz und Geschäftsleitung in Österreich als Kommanditistin zu 100 % beteiligt. Sie ist auch Alleingesellschafterin der Komplementär-GmbH, die am Vermögen der KG nicht beteiligt ist. Die optierende KG zahlt an die Ö-GmbH für Personalüberlassungen eine angemessene Vergütung. Vor der Option stand das Besteuerungsrecht für die Vergütungen Deutschland zu (Art. 7 Abs. 7 DBA Österreich), da die Vergütungen nach § 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Satz 1 Hs. 2 EStG als Sondervergütungen den Einkünften der Ö-GmbH aus ihrer deutschen Betriebsstätte zugerechnet wurden. Nach der Option sind die Vergütungen bei der optierenden Gesellschaft als Betriebsausgabe abzugsfähig. Aus österreichischer Sicht handelt es sich um Betriebseinnahmen der Ö-GmbH. Das Besteuerungsrecht für die Vergütungen steht nach Art. 7 Abs. 1 DBA-Österreich allein Österreich zu – auch wenn Österreich die optierende Gesellschaft weiterhin als transparent ansieht. Art. 7 Abs. 7 DBA-Österreich findet keine Anwendung mehr, da nach deutschem Steuerrecht die Vergütungen für Personalüberlassung nicht mehr einer deutschen Betriebsstätte der Ö-GmbH zugerechnet werden. Ergebnis: Die besondere Regelung für Sondervergütungen in Art. 7 Abs. 7 DBAÖsterreich findet im Falle der Option keine Anwendung mehr. Das Besteuerungsrecht für die Vergütungen verschiebt sich aus Deutschland nach Österreich.
Denkbar ist auch die Situation, dass das DBA aus deutscher Sicht Deutschland das Besteuerungsrecht für die Sondervergütungen zuweist, 49 Vgl. Grotherr, Ubg 2021, 568 (573).
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während aus der Sicht des anderen Vertragsstaat das Besteuerungsrecht ihm gebührt.50
6. Anteilsveräußerungen Die Veräußerung von Anteilen an der optierenden Gesellschaft mit inländischer Geschäftsleitung durch ausländische Gesellschafter führt regelmäßig zu inländischen Einkünften gem. §§ 49 Abs. 1 Nr. 2 Bst. e), 17 Abs. 1 Satz 1 und 3 EStG, soweit nicht die Anteile einer inländischen Betriebsstätte zuzurechnen sind. Findet ein Doppelbesteuerungsabkommen Anwendung, wird das Besteuerungsrecht für den Veräußerungsgewinn jedoch oftmals nur dem Ansässigkeitsstaat des Veräußerers zu geordnet (Art. 13 Abs. 5 OECD-MA). Qualifiziert der andere Vertragsstaat die optierende Gesellschaft weiterhin als transparente Einheit und wendet auf den Veräußerungsgewinn Art. 13 Abs. 2 und 1 OECD-MA an, droht eine doppelte Nichtbesteuerung, die durch § 50d Abs. 14 Satz 2 EStG vermieden wird, indem Deutschland den Veräußerungsgewinn im Wege eines Treaty Overrides der Besteuerung unterwirft.51 Steht Deutschland das Besteuerungsrecht für den Veräußerungsgewinn zu oder erfasst es ihn im Wege des Treaty Overrides, bleibt der Gewinn nach § 8b Abs. 2 Satz 1 KStG steuerfrei, sofern der ausländische Gesellschafter eine Körperschaft ist. Die Schachtelstrafe gem. § 8b Abs. 3 Satz 1 KStG geht dabei ins Leere, wenn die veräußernde Körperschaft nicht über eine inländische Betriebsstätte oder einen inländischen ständigen Vertreter verfügt.52 Erfolgt die Veräußerung innerhalb von 7 Jahren nach der Option (steuerlicher Einbringungsstichtag), kommt es zur rückwirkenden Besteuerung eines Einbringungsgewinns I, wenn der Veräußerer im Rahmen des Übergangs zur Körperschaftsbesteuerung seinen Mitunternehmeranteil zu einem Wert unterhalb des gemeinen Werts eingebracht hat. Dies kann
50 Vgl. dazu Bockhoff/Frieburg/Darijtschuk, DB 2021, 2521 (2524). 51 Vgl. BT-Drucks. 19/29843, 44; BMF v. 10.11.2021, aaO (Fn. 5), Rn. 63; Müller/ Lucas/Mack, IWB 2021, 528 (536); Böhmer/Mühlhausen/Oppel, ISR 2021, 388 (391); Brühl/Weiss, DStR 2021, 1617 (1621); Schießl, in Widmann/Mayer, § 1a KStG Rn. 298 (Okt. 2021); Loschelder, in Wacker/Krüger/Levedag/ Loschelder, Beihefter DStR 41/2021, 3 (39); Zapf, BB 2021, 2775 (2782). 52 BFH v. 31.5.2017 I R 37/15, BStBl. II 2018, 144.
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insbesondere bei ausländischen EU/EWR-Gesellschaftern der Fall sein (§ 22 Abs. 1 Satz 1 UmwStG).53
D. Outboundsituation I. Abgrenzung In der Outboundsituation sind inlandsansässige Gesellschafter an einer inländischen oder ausländischen Personenhandelsgesellschaft beteiligt, die über ausländische Einkünfte verfügt.
II. Übergang zur Körperschaftsbesteuerung 1. Persönlicher Anwendungsbereich des UmwStG Die Anwendung der umwandlungssteuerlichen Einbringungsregeln setzt voraus, dass die optierende Personenhandelsgesellschaft oder vergleichbare ausländische Gesellschaft eine Gesellschaft i.S.v. Art. 54 AEUV oder Art. 34 EWR-Abkommen ist, d.h. gegründet nach den Rechtsvorschriften eines EU- oder EWR-Staats, mit Sitz und Ort der Geschäftsleitung innerhalb des Hoheitsgebiets eines dieser Staaten (§ 1 Abs. 4 Satz 1 Nr. 1 UmwStG).54 Fehlt der dreifache EU/EWR-Bezug, findet das UmwStG auf den fiktiven Formwechsel keine Anwendung, so dass aus deutscher Sicht ein gewinnrealisierender tauschähnlicher Vorgang gegeben ist. Dies gilt insbesondere für die Option von Drittstaatengesellschaften.55 Deutsche Steuerfolgen ergeben sich jedoch nur dann, soweit die ausländische Gesellschaft über in Deutschland steuerverhaftetes Vermögen verfügt oder als Zwischengesellschaft anzusehen ist.
2. Wertansatzwahlrecht Soweit der persönliche Anwendungsbereich des UmwStG eröffnet ist, kommt ein fiktiver Formwechsel zu Buchwerten in Betracht, sofern ein Mitunternehmeranteil eingebracht wird und soweit die Voraussetzungen des § 20 Abs. 2 Satz 2, 3 UmwStG erfüllt sind. Dazu gehört insbesondere, dass das deutsche Besteuerungsrecht hinsichtlich des fiktiv
53 Vgl. Dreßler/Kompolsek, Ubg 2021, 301 (308); Brühl/Weiss, DStR 2021, 1617 (1621); Grotherr, Ubg 2021, 575. 54 Vgl. Fn. 16. 55 Vgl. Fn. 17 und Abschn. C. II. 1.
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in die optierende Gesellschaft eingebrachten Vermögens nicht ausgeschlossen oder beschränkt wird (§ 20 Abs. 2 Satz 2 Nr. 3 UmwStG). Befindet sich die Geschäftsleitung der optierenden Gesellschaft im Inland, ist die Steuerverhaftungsbedingung regelmäßig gewahrt, da die unbeschränkt körperschaftsteuerpflichtige Gesellschaft an die Stelle der unbeschränkt steuerpflichtigen Mitunternehmer tritt. Bei einer optierenden Gesellschaft mit ausländischer Geschäftsleitung wird die Steuerverhaftungsbedingung gewahrt, soweit inländisches Betriebsstättenvermögen auch nach der fiktiven Einbringung einer inländischen Betriebsstätte der optierenden Gesellschaft zuzuordnen ist oder bei dem die spätere Besteuerung der stillen Reserven in Deutschland aus anderen Gründen sichergestellt ist.56 Deutsche Besteuerungsrechte werden ebenfalls nicht eingeschränkt, soweit ausländisches Betriebsstättenvermögen einer Freistellungsbetriebsstätte betroffen ist.57 Die Steuerverhaftungsbedingung wird jedoch verletzt, soweit Vermögen einer ausländischen Anrechnungs-Betriebsstätte betroffen ist58, da das deutsche Besteuerungsrecht mit dem fiktiven Formwechsel in einen nicht unbeschränkt steuerpflichtigen Rechtsträger ab dem steuerlichen Übertragungsstichtag entfällt. Liegt die Betriebsstätte in einem EU-Mitgliedstaat, ist die dort fiktiv auf den Übertragungsgewinn anfallende Steuer auf die deutsche ESt oder KSt anzurechnen, sofern Deutschland Art. 10 FRL anzuwenden hat.59 Allerdings verletzt die sofortige Steuerpflicht der stillen Reserven die Kapitalverkehrsfreiheit60, da beim (fiktiven) Formwechsel in eine inländische optierende Gesellschaft keine Sofortbesteue-
56 Vgl. Herlinghaus, in R/H/vL, § 20 UmwStG Rn. 312. Eine Steuerverhaftung kann sich etwa aus § 49 Abs. 1 Nr. 2 lit. f) EStG i.V.m. Art. 6 OECD MA ergeben. 57 BMF v. 11.11.2011, aaO (Fn. 8), Rn. 20.19, 03.19. 58 Betriebsstätte in einem Nicht-DBA-Staat, DBA-Betriebsstätte mit Anrechnungsmethode (ggfls. aufgrund eines Aktivitätsvorbehalts) oder in den Fällen der §§ 20 Abs. 2 AStG, 50d Abs. 9 EStG. 59 §§ 20 Abs. 7, 3 Abs. 3 UmwStG; BMF v. 11.11.2011, aaO (Fn. 8), Rn. 20.19, 03.19, 20.36. Die Nichtgeltung für EWR-Betriebsstätten beschränkt m.E. die Kapitalverkehrsfreiheit gem. Art. 40 EWR-Abkommen. 60 Die Einbringung von Mitunternehmeranteilen in eine Kapitalgesellschaft – wie beim (fiktiven) Formwechsel – wird durch die Kapitalverkehrsfreiheit geschützt, vgl. EuGH v. 23.1.2014, C-164/12, DMC, DStR 2014, 193 Rn. 28-38.
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rung stattgefunden hätte.61 Europarechtlich ist daher die Möglichkeit eines Steueraufschubs über fünf Jahre einzuräumen.62 Möglich ist, dass auch ungebundenes Vermögen der ausländischen optierenden Gesellschaft im Nachgang zu dem fiktiven Formwechsel durch eine veränderte Zuordnung gem. § 12 Abs. 1 KStG entstrickt wird. Der resultierende Entstrickungsgewinn kann unter den Voraussetzungen des § 4g EStG in europarechtlich zulässiger Weise für Zwecke der Körperschaftsteuer und der Gewerbesteuer auf fünf Jahre verteilt werden. Zwar sieht Art. 5 Abs. 2 ATAD einen Steueraufschub im Erhebungsverfahren vor, doch ist der mit § 4g EStG verbundene Steueraufschub im Steuerfestsetzungsverfahren gleichwertig und daher europarechtskonform.63
III. Laufende Besteuerung 1. Abkommensberechtigung der optierenden Gesellschaft Optierende Gesellschaften mit inländischer Geschäftsleitung sind aus deutscher Sicht abkommensberechtigt.64 Allerdings gilt dies nicht automatisch für den ausländischen Vertragsstaat, aus dem etwaige Einkünfte erzielt werden. Zu unterscheiden ist zwischen drei Fallgruppen:65 –
Fallgruppe 1: Qualifiziert der ausländische Vertragsstaat die optierende Gesellschaft als intransparenten Rechtsträger, ist sie auch aus seiner Sicht abkommensberechtigt.
–
Fallgruppe 2: Wird die optierende Gesellschaft als transparenter Rechtsträger qualifiziert, enthält aber das DBA eine besondere Regelung zur Lösung des subjektiven Qualifikationskonflikts, ist hiernach zu verfahren. Dies ist etwa der Fall, wenn das DBA eine Regelung enthält, die Art. 1 Abs. 2 OECD-MA 2017 entspricht, wonach der auslän-
61 Vgl. EuGH v. 23.1.2014, C-164/12, DMC, DStR 2014, 193 Rn. 39-69; BFH v. 17.7.2008 I R 77/06, BStBl. II 2009, 464, 468 f.; Patt, in D/P/M, § 20 UmwStG Rn. 227 (Juni 2017), 263 (Juni 2018); Schaumburg/Häck, in Schaumburg, aaO (Fn. 30), Rn. 20.24; wohl auch Fehling, in Schaumburg/Englisch, Europäisches Steuerrecht, 2020, Rn. 16.94. 62 Vgl. Rödder, in R/H/vL, § 11 UmwStG Rn. 284-287 (zur Verschmelzung). 63 Vgl. Jochimsen/Zinowsky, ISR 2016, 111; Hagemann, in Hagemann/Kahlenberg, Art. 5 ATAD Rn. 188, 301; Förster, FS Lüdicke, 2019, 129, 140 f. A.A. Wacker, DStJG 2018, 423 (458). 64 Vgl. C. III. 2. 65 Vgl. Stöber, IStR 2020, 601 (603-605); Schiffers/Jacobsen, DStZ 2021, 348 (357); Grotherr, Ubg 2021, 568 (578, 579 f.).
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dische Vertragsstaat die Abkommensberechtigung nach Maßgabe der Qualifikation des Ansässigkeitsstaates übernimmt.66 –
Fallgruppe 3: Wird die optierende Gesellschaft als transparenter Rechtsträger qualifiziert und fehlt im DBA eine besondere Regelung, berechtigt Art. 3 Abs. 2 OECD-MA den ausländischen Quellenstaat zu einer anwenderstaatsorientierten Auslegung mit der Folge eines subjektiven Qualifikationskonflikts.67 Eine etwaig resultierende Doppelbesteuerung ist in Deutschland durch Anrechnung zu beseitigen.68
2. Dividenden aus ausländischen Tochtergesellschaften Dividenden ausländischer Tochterkapitalgesellschaften fallen bei einer inländischen optierenden Gesellschaft regelmäßig unter § 8b Abs. 1 Satz 1 KStG und ein etwaiges internationales Schachtelprivileg. Dies gilt auch dann, wenn im konkreten DBA das internationale Schachtelprivileg gem. Art. 22 Abs. 1 Nr. 1 der deutschen Verhandlungsgrundlage durch die Formulierung „jedoch nicht an eine Personengesellschaft“ eingeschränkt wird, denn die optierende Gesellschaft ist in Deutschland nach § 1a Abs. 1 Satz 1 KStG „wie eine Kapitalgesellschaft zu behandeln“.69 Allerdings kann eine entsprechende Einschränkung im Dividendenartikel des DBA den ausländischen Vertragsstaat dazu veranlassen, die erweiterte Quellensteuerermäßigung für Schachteldividenden zu versagen. So gewährt in Fallgruppe 1 der Sitzstaat der ausländischen Tochterkapitalgesellschaft zwar grundsätzlich die erweiterte Quellensteuerermäßigung für Schachtelbeteiligungen. Nimmt das konkrete DBA aber Perso66 Vgl. Schnitger/Oskamp, IStR 2014, 385 (387); Stöber, IStR 2020, 601 (604); Weggenmann/Nehls, in Vogel/Lehner, 7. Aufl., 2021, Art. 1 OECD-MA Rn. 65a, 79b-79g; Schiffers/Jacobsen, DStZ 2021, 348 (357); Grotherr, Ubg 2021, 568 (578 Fn. 36, 579). Vgl. Art. 1 Abs. 2 DBA-Australien i.V.m. Protokoll zum DBA-Australien, Nr. 2 und 3; Art. 4 Abs. 3 DBA-Bulgarien; Art. 1 Abs. 2 Satz 1 DBA-Japan; Ziff. 1 b) des Protokolls zum DBA-Mexiko; Ziff. I Abs. 2 des Protokolls zum DBA-NL; Art. 1 Abs. 7 DBA-USA. 67 Vgl. BFH v. 25.5.2011 I R 95/10, BStBl. II 2014, 760 Rn. 16; Stöber, IStR 2020, 601 (604 f.); Schiffers/Jacobsen, DStZ 2021, 348 (357); Grotherr, Ubg 2021, 568 (578, 580). 68 Vgl. BFH v. 13.11.2013 I R 67/12, BStBl. II 2014, 172 Rn. 16; Stöber, IStR 2020, 601 (606 f.); Schiffers/Jacobsen, DStZ 2021, 348 (357); Grotherr, Ubg 2021, 568 (578). 69 Im Ergebnis ebenso Frotscher, G., in Frotscher/Drüen, aaO (Fn. 13), § 1a KStG Rn. 84; Grotherr, Ubg 2021, 568 (579).
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nengesellschaften als Dividendenempfänger von der erweiterten Quellensteuerermäßigung aus, könnte dies auch für optierende Gesellschaften gelten (Art. 3 Abs. 2 OECD-MA).70 Bsp. 6: Die optierende M-KG ist Alleingesellschafterin der spanischen ES-SA, von der sie eine Dividende erhält. In Deutschland bleibt die Dividende wegen der Schachtelprivilegien in § 8b Abs. 1 Satz 1 KStG und Art. 22 Abs. 2 Bst. a) Satz 2 DBA-Spanien steuerfrei. Dass Personengesellschaften als Dividendenempfänger vom DBA-Schachtelprivileg ausgenommen sind, steht dem nicht entgegen, da die optierende Gesellschaft in Deutschland „wie eine Kapitalgesellschaft zu behandeln“ ist (§ 1a Abs. 1 Satz 1 KStG). Jedoch sind 5 % der steuerfreien Dividende als nicht abziehbare Betriebsausgaben gem. § 8b Abs. 5 Satz 1 KStG anzusetzen. Zweifelhaft ist, ob Spanien die erweiterte Quellensteuerabsenkung gem. Art. 10 Abs. 2 Satz 1 Bst. a) DBA-Spanien auf 5 % gewähren wird, da die Regelung ausdrücklich nicht gilt, wenn der Nutzungsberechtigte eine Personengesellschaft ist. Dies gilt ungeachtet des Umstands, dass Spanien Personengesellschaften als juristische Personen betrachtet. Es droht daher, dass die Quellensteuerabsenkung auf 15 % begrenzt wird (Art. 10 Abs. 2 Satz 1 Bst. b) DBA-Spanien). Zur Frage der Anwendung der Mutter-Tochter-Richtlinie siehe weiter unten.
Auch in Fallgruppe 2 ist nicht sichergestellt, dass der ausländische Staat die erweiterte Quellensteuerermäßigung für Schachtelbeteiligungen gewährt. Zwar besteht aufgrund der DBA-Regelungen die Verpflichtung, die Abkommensberechtigung der optierenden Gesellschaft anzuerkennen.71 Allerdings darf der Quellenstaat die Person des Nutzungsberechtigten eigenständig bestimmen und muss hierbei nicht die optierende Gesellschaft als solche ansehen.72 Zudem besteht auch hier die Gefahr, dass die erweitere Quellensteuerermäßigung daran scheitert, dass das konkrete DBA Personengesellschaften als Dividendenempfänger ausnimmt.73
70 Für Fallgruppe 1 bspw. Art. 10 Abs. 2 Satz 1 Bst. a) DBA-Spanien 2011. A.A. Frotscher, G., in Frotscher/Drüen, aaO (Fn. 13), § 1a KStG Rn. 84. 71 Vgl. BFH v. 26.6.2013 I R 48/12, BStBl. II 2014, 367 Rn. 18, 19 m.w.N. (zum Inboundfall). 72 Vgl. Weggenmann/Nehls, in Vogel/Lehner, 7. Aufl., 2021, Art. 1 OECD-MA Rn. 65c, 66a, 66b, 74. Vgl. a. BFH v. 26.6.2013 I R 48/12, BStBl. II 2014, 367 Rn. 20 (für einen Inboundfall). 73 So Art. 10 Abs. 2 Satz 1 Bst. a) DBA-Australien 2015; Art. 10 Abs. 2 Satz 1 Bst. a) DBA-Bulgarien 2010; Art. 10 Abs. 2 Satz 1 Bst. a) DBA-Japan 2015;
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In Fallgruppe 3 kann die erweiterte Quellensteuerermäßigung für Schachtelbeteiligungen scheitern, weil die optierende Gesellschaft aus der Sicht des Sitzstaats der ausländischen Tochterkapitalgesellschaft als transparent angesehen wird74 oder das konkrete DBA Dividenden empfangende Personengesellschaften von der erweiterten Quellensteuerermäßigung ausnimmt. Ist die Tochtergesellschaft eine EU-Kapitalgesellschaft, so besteht nach zutreffender Auffassung jedoch ein Anspruch auf Absenkung der Quellensteuer im Sitzstaat der Tochtergesellschaft auf 0 % aus Art. 5 MTRL.75
IV. Hinzurechnungsbesteuerung bei einer optierenden Gesellschaft mit ausländischer Geschäftsleitung Beherrscht ein unbeschränkt Steuerpflichtiger eine optierende Gesellschaft mit ausländischer Geschäftsleitung und Sitz, unterliegt diese der Hinzurechnungsbesteuerung gem. §§ 7 ff. AStG, soweit sie Einkünfte erzielt, für die sie Zwischengesellschaft ist.76 Die Anwendung der Hinzurechnungsbesteuerung kann gegenüber einer Anwendung der Switch-over-Klausel in § 20 Abs. 2 AStG beim inländischen Mitunternehmer einer ausländischen Personengesellschaft vorteilhaft sein, weil sie den Substanztest nach § 8 Abs. 2, 3 AStG ermöglicht.
E. Wegzugsbesteuerung Unbeschränkt einkommensteuerpflichtige Anteilseigner einer optierenden Gesellschaft unterliegen der Wegzugsbesteuerung gem. § 6 AStG, da ihre Beteiligung als Anteil an einer Kapitalgesellschaft i.S.d. § 17 Abs. 1 Satz 1 und 3 EStG gilt.77
74 75 76
77
Art. 10 Abs. 2 Satz 1 Bst. a) DBA-Mexiko 2008; Art. 10 Abs. 2 Satz 1 Bst. a) DBA-NL 2012. Im Ergebnis ebenso Grotherr, Ubg 2021, 568 (579 f.). Vgl. Frotscher, G., in Frotscher/Drüen, aaO (Fn. 13), § 1a KStG Rn. 85 (Juli 2021). A.A. Grotherr, Ubg 2021, 568 (580). Vgl. Müller/Lucas/Mack, IWB 2021, 528 (537 f.); Frotscher, G., in Frotscher/ Drüen, aaO (Fn. 13), § 1a KStG Rn. 91 (Juli 2021); Pung, in D/P/M, § 1a KStG Rn. 18 (12/2021). Vgl. Kölbl/Luce, Ubg 2021, 264 (270); Lüdicke/Eiling, BB 2021, 1440 (1443); Frotscher, G., in Frotscher/Drüen, aaO (Fn. 13), § 1a KStG Rn. 92 (Juli 2021); Schießl, in Widmann/Mayer, § 1a KStG Rn. 292 f. (Okt. 2021); Loschelder, in
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Im Fall der Wegzugsbesteuerung ist zu beachten, dass die mit dem ATADUmsG eingeführte ratierliche Abtragung der festgesetzten Wegzugsteuer über 7 Jahre gem. § 6 Abs. 4 AStG nicht den europarechtlichen Vorgaben entspricht. Danach ist grundsätzlich die Möglichkeit einer zinslosen Stundung bis zur tatsächlichen Veräußerung der Beteiligung einzuräumen.78 Anders als der Wegzug des Gesellschafters einer optierenden Gesellschaft ist der Wegzug eines Mitunternehmers grundsätzlich steuerneutral möglich, soweit nicht im Einzelfall eine Entstrickung vorliegt (§§ 4 Abs. 1 Satz 3 EStG, 12 Abs. 1 KStG, 16 Abs. 3a EStG). Daher sollte erst nach einem Wegzug des Gesellschafters zur Körperschaftsteuer optiert werden, sofern der Wegzug in einen Staat geplant ist, bei dem der persönliche Anwendungsbereich des UmwStG für den fiktiven Formwechsel eröffnet bleibt (EU/EWR-Staat oder uneingeschränktes deutsches Besteuerungsrecht für Gewinne aus der Veräußerung der Beteiligung an der optierenden Gesellschaft).79 Die anschließende Option kann dann zu Buchwerten erfolgen.
F. Fazit Bei grenzüberschreitenden Bezügen wirft die Option zur Körperschaftsteuer Probleme auf, welche die Attraktivität der Option beeinträchtigen. So ist eine steuerneutrale Option für Drittstaatengesellschaften aus deutscher Sicht nicht möglich. Gleiches gilt, soweit an einer EU/EWRPersonenhandelsgesellschaft Drittstaatengesellschafter beteiligt sind, sofern nicht ausnahmsweise das Besteuerungsrecht Deutschlands für Gewinne aus der Veräußerung der Anteile an der optierenden Gesellschaft ausgeschlossen oder beschränkt ist. Weiterhin ergeben sich Schwierigkeiten, sofern im Zuge der Option Vermögen steuerlich verstrickt oder entstrickt wird. Wacker/Krüger/Levedag/Loschelder, Beihefter DStR 41/2021, 3, 39; Pung, in D/P/M, § 1a KStG Rn. 17 (12/2021); Zapf, BB 2021, 2775 (2782). 78 Vgl. EuGH v. 11.3.2004, C-9/02, de Lasteyrie du Saillant, IStR 2004, 236; v. 7.9.2006, C-470/04, N, IStR 2006, 702; v. 12.7.2012, C-269/09, KOM/Spanien, EU:C:2012:439; v. 21.12.2016, C-503/14, KOM/Portugal, IStR 2017, 69; v. 26.2.2019, C-581/17, Wächtler, IStR 2019, 260; FG Baden-Württemberg v. 31.8.2020 – 2 K 835/19, Rev. (I R 35/20), EFG 2021, 20; FG Köln v. 11.5.2021 – 2 V 1929/20, BeckRS 2021, 17558, Rn. 51, 52; Häck, in Flick/Wassermeyer/ Baumhoff, u.a., § 6 AStG Rn. 168-171 (10/2021), m.w.N. 79 Vgl. Zapf, BB 2021, 2775 (2782).
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Erhebliche Unsicherheiten bestehen aber auch bei Standardsachverhalten, wie z.B. Quellensteuerfragen in Zusammenhang mit Gewinnausschüttungen im Inbound- und Outboundfall. Zudem sind optierende Gesellschaften aus dem Anwendungsbereich der Zins- und Lizenzgebühren-Richtlinie ausgeschlossen und dies soll nach Auffassung der Finanzverwaltung auch für die Mutter-Tochter-Richtlinie gelten. Wünschenswert wäre, dass Deutschland sich bei seinen Abkommenspartnern dafür einsetzt, dass optierende Gesellschaften auch abkommensrechtlich den Kapitalgesellschaften gleichgestellt werden.
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Internationale Aspekte der Option zur Körperschaftsteuerpflicht von Personenhandelsgesellschaften Podiumsdiskussion Leitung Prof. Dr. Bert Kaminski Institut für Betriebswirtschaftliche Steuerlehre, Helmut-Schmidt-Universität/Universität der Bundeswehr Hamburg Teilnehmer Andreas Benecke, LL.M. Bundesministerium der Finanzen, Berlin
Dr. Peter Brandis Vorsitzender Richter am Bundesfinanzhof, München
Prof. Dr. Guido Förster Universität Düsseldorf
Oliver Nußbaum Global Head of Tax, BASF SE, Ludwigshafen
Kerstin Schulz, M.I.Tax Global Head of Tax and Customs, Beiersdorf AG Hamburg
Prof. Dr. Kaminski Herzlichen Dank für den, wie ich fand, sehr aufschlussreichen und sehr kenntnisreichen Vortrag. Ich möchte mal Sie, lieber Herr Nußbaum fragen: Sie sind ja nun „zwar“ Vertreter einer Kapitalgesellschaft, wo ich mir vorstelle, dass sich für Sie dieses Thema so nicht stellt. Aber Sie sind ja auch Vorsitzender des Steuerausschusses des VCI. Was ist Ihr Feedback aus der Wirtschaft? Sagen Sie, das ist das, worauf die Personengesellschaften gewartet haben? Nußbaum Da spreche ich jetzt nicht für mich. Auch beim VCI, glaube ich, war das Feedback oder der Druck, die Optionslösung einzuführen, nicht besonders hoch. Bezogen auf die Thesaurierungsbegünstigung, ich glaube, da
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Podiumsdiskussion: Körperschaftsteueroption von PersHG
war der Druck und der Wunsch höher. Aber bei der Option nicht wirklich, soweit ich das einschätzen kann. Prof. Dr. Kaminski Gibt es da von Ihnen eine Einschätzung, Frau Schulz? Schulz Ich sehe das ähnlich. Also wir sind ja gemeinsam im Steuerausschuss, daher das gleiche Feedback. Und für alle anderen, mit denen ich in Kontakt stehe, ist die Option keine Option, sozusagen. Prof. Dr. Kaminski Es ist quasi alternativlos, nicht zu optieren. Zunächst möchte ich mich mal bei Herrn Benecke bedanken, dass er hier die Rolle von Herrn Kreienbaum übernommen hat. Inwieweit haben im Rahmen der Diskussion um den § 1a KStG – der ist ja doch relativ überraschend verabschiedet worden – diese internationalen Aspekte überhaupt eine Rolle gespielt? Benecke Die haben eine vertiefte Rolle gespielt. Deswegen wurde ja unter anderem auch der § 50d EStG um diese Regelung erweitert, weil man natürlich ein Instrument an die Hand geben wollte, um die Belastung bestimmter Unternehmen aufgrund von Unzulänglichkeiten bei § 34a EStG ein bisschen zu verbessern, und man wollte aber keine Besteuerungslücken reißen. Man hat auch versucht, hier gegenzusteuern, dass dieses Mittel eingesetzt wird, um einen gezielten Qualifikationskonflikt hervorzurufen. Daher dann auch diese Ergänzung in § 1a KStG, die Sie ansprachen. Dass sich Qualifikationskonflikte im Verhältnis zu Drittstaaten oder Dreieckssachverhalten vielleicht nicht immer vermeiden lassen, ist ein anderer Punkt, aber zumindest wurden die internationalen Aspekte beleuchtet. Wir haben auch eine Meinung zur Mutter-Tochter-Richtlinie, aber das waren jetzt keine Deal Breaker, dass man gesagt hat, das sind so große Probleme, dass man nicht ein solches Instrument anbieten kann.
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Prof. Dr. Kaminski Herr Brandis, finden Sie es konsequent, wenn der Gesetzgeber sagt, wir haben eine Gesellschaft, der gebe ich die Möglichkeit zu sagen, du kannst optieren und wirst behandelt wie eine Kapitalgesellschaft, und im nächsten Zug geht er her und sagt: Es ist ertragsteuerlich keine richtige Kapitalgesellschaft, die Anwendung der Mutter-Tochter-Richtlinie wird verwehrt. Denn wenn der Gesetzgeber sagt, sie wird behandelt wie eine Kapitalgesellschaft, dann fällt sie ja praktisch in den Kreis der Gesellschafter, die in der Anlage zur Mutter-Tochter-Richtlinie genannt sind, und da sind die deutschen Kapitalgesellschaften benannt. Ist es aus Ihrer Sicht folgerichtig, was die Finanzverwaltung vertritt, dass die MutterTochter-Richtlinie nicht greifen soll? Dr. Brandis Das ist für mich nicht folgerichtig – das müsste im Grunde genommen letztlich eine einheitliche Linie sein. Aber zunächst muss ich Herrn Professor Förster ausdrücklich danken: Wir haben uns beim BFH zunächst Sorgen gemacht, dass die Optionssituation des § 1a KStG die Belastung des I. Senats deutlich ansteigen lassen würde. Wenn ich das richtig verstanden habe, ist das vielleicht doch keine Sorge, die wir uns machen sollten. Aber letztlich nochmal zurück zu Ihrer Frage und Überlegung. Ich meine tatsächlich, dass man dann hier eine Konsequenz haben müsste, und letztlich ist das eben eine Problematik, die in der Mutter-TochterRichtlinie geklärt werden könnte; dann müsste die optierende Gesellschaft quasi durch ein Update im Ergebnis auch erfasst sein. Benecke Das heißt aber, wenn ich da anmerken darf, dass Sie es nicht als erfasst sehen. Wir streiten jetzt über die Frage „Ohne Wahlmöglichkeit“ der Körperschaftsteuer unterliegen, und das ist eben interpretationsbedürftig. Wenn wir Inkonsistenzen ansprechen, kann man auch sagen, dass zugezogene Gesellschaften nicht immer nach einem Recht des EU-Staats gegründete Gesellschaften sind und sich deswegen gar nicht erst für die Mutter-Tochter-Richtlinie qualifizieren, obwohl sie ja auch wie ein Körperschaftsteuersubjekt und eine Kapitalgesellschaft behandelt werden. Wir haben da sicherlich Inkonsequenzen. Und ich glaube, wenn man die Mutter-Tochter-Richtlinie nochmal anpasst, wie auch zum Beispiel die Zins-Lizenz-Richtlinie, da haben wir überhaupt gar keine Regelungen
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zu transparenten Gesellschaften, dann wird man da sicherlich auch nochmal einen Rundumschlag machen. Prof. Dr. Kaminski Das heißt, Sie würden dann grundsätzlich auch für Personengesellschaften eine Änderung vorsehen oder nur für optierende Personengesellschaften? Benecke Für optierende Personengesellschaften. Also das wäre ja dann die Frage, wenn man solche Fälle hat, ohne Wahlmöglichkeit und vielleicht auch bestimmte Wahlmöglichkeiten, also dass man sagt, wir wollen jetzt hier gar keine Qualifikationskonflikte, sondern es müssen dann schon Wahlrechtsübereinstimmungen vorliegen, denn ein großer Punkt ist ja auch, dass durch dieses Wahlrecht ja auch die Möglichkeit gegeben wird, Qualifikationskonflikte zu beseitigen. Ist ja nicht schlecht, wenn der eine Staat die Gesellschaft schon intransparent behandelt und dann hier auch noch eine intransparente Behandlung durch den anderen Staat erfolgen könnte. Insofern ist das ja durchaus ein begrüßenswerter Ansatz, dass wir Qualifikationskonflikte beseitigen. Wir sind vielleicht noch zu weit weg von Check-the-Box, dass man einfach ankreuzt, denn wie ja auch die Rechtsprechung des BFH zum Rechtsvergleich zeigt, kann das irgendwann sehr schwierig werden. Ich hätte gedacht, wenn C ihre Satzung ändert und von einer intransparenten in eine transparente Form wechselt, dass wir das zwar, wenn auch nicht als begünstigten Formwechsel, aber durchaus als einen Formwechsel angesehen hätten. Prof. Dr. Kaminski Herr Brandis, ich habe noch eine zweite Frage an Sie. Das ist die Frage der Verstrickung, die Herr Förster angesprochen hat. Das ist das Beispiel Nr. 3 in dem Schaubild. Sie erinnern sich, das war der nicht-DBA Betriebsstättenfall. Wo es unter der französischen SARL eine Betriebsstätte gab, und die deutsche GmbH & Co. KG dazwischen. Würden Sie das auch so sehen, dass eine Verstrickung mit dem gemeinen Wert stattfinden muss? Dr. Brandis Ich würde mich gerne den Überlegungen anschließen, die Herr Förster uns in diesem Beispiel Nr. 3 auch dargelegt hat. Das schien mir sehr
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schlüssig zu sein. Damit sehe ich tatsächlich eben im Moment jedenfalls mehr Argumente dafür, tatsächlich diese Verstrickung anzunehmen, ja. Prof. Dr. Kaminski Das würde dann auch durchschlagen auf die Anschaffungskosten der Anteile? Dr. Brandis Das sehe ich auch so. Prof. Dr. Kaminski Auf die fiktiven Anschaffungskosten oder die fiktiven Anteile, müsste ich ja genauer sagen. Dr. Brandis Ja, korrekt. Benecke Darf ich da widersprechen? Prof. Dr. Kaminski Ja, bitte. Benecke Wunderbar! In der Tat ist das ein sehr interessanter Punkt. Ich hätte es in der Tat anders gesehen, aber wie wir sehen, das ist ja ungeklärt. Ich hätte hier Anleihen genommen. Wir haben ja schon die Rechtsprechung zum Übernahmegewinn, zu der Frage der Behandlung der Veräußerungskosten, und da hat zumindest der BFH damals gesagt, dass die Umwandlungsvorschriften natürlich die Einlagevorschriften suspendieren. Und nichts anderes würde ich auch für eine fiktive Entnahme oder Einlage sehen, so dass ich meinen würde, wir haben dieses Verdikt, einheitliches Wahlrecht, Buchwert, Zwischenwert, gemeiner Wert, es sei denn, wir haben eine Entstrickungssituation, und hätte insofern dann auch für so eine Situation den § 4 Abs. 1 Satz 8 EStG als ausgeschaltet gesehen. Man kann das kritisieren, dass man sagt, man könnte vielleicht auch hier Verbesserungen
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schaffen, aber es ist diskutabel, sagen wir mal so. Es gibt ja auch Rechtsprechungen, zumindest in anderen Situationen, die vielleicht eine gegenteilige Argumentation oder gegenteiliges Ergebnis zuließen. Prof. Dr. Kaminski Wenn ich Sie richtig verstanden habe, sagen Sie, das Ganze darf nicht zum gemeinen Wert oben eingehen. Was wären dann nach Ihrer Meinung die Anschaffungskosten für die Anteile an der optierenden Gesellschaft? Ist das der ausländische Buchwert? Benecke Genau, das ist der ausländische Buchwert, weil wir hier keine Situation haben, in der das Besteuerungsrecht an der eingebrachten Betriebsstätte ausgeschlossen war und auch nicht begründet wird. Weil das ja sonst noch der Punkt wäre, dass wir im Rahmen einer Freistellungsbetriebsstätte für den Fall ja zumindest die Buchwertfortführung zugelassen hätten auf Ebene der einbringenden Gesellschaft, hätten aber für die erhaltenen Anteile einen Step-up gemacht. Prof. Dr. Kaminski Entschuldigen Sie: in welcher Höhe? Step-up in welcher Höhe? In Höhe der ausländischen Buchwerte oder der gemeinen Werte? Benecke In Höhe des gemeinen Werts für diesen Fall. Also wäre das eine Freistellungsbetriebsstätte gewesen. Dann hätten wir durchaus unten zwar weiterhin den Buchwert gehabt, aber bei den Anteilen den gemein Wert, soweit er auf diese Freistellungsbetriebsstätte entfällt. Jetzt haben wir dummerweise eine Situation, dass wir eine Anrechnungsbetriebsstätte haben, und damit ist zwar das Besteuerungsrecht vorher ausgeschlossen, das war gar nicht da, wird aber dummerweise begründet und bleibt nicht ausgeschlossen, und damit kann man zumindest sagen, man würde jetzt hier die Werte aus der steuerlichen Schlussbilanz als Anschaffungskosten für die erhaltenen Anteile übernehmen. Prof. Dr. Kaminski Herr Brandis, hätten Sie ein Problem damit, die ausländischen Werte als maßgeblich anzusehen?
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Benecke Buchwerte? Prof. Dr. Kaminski Buchwerte, ja. Dr. Brandis Ich für meinen Teil müsste den Fall nochmal frisch durchdenken. Auf der anderen Seite: Ich hätte, glaube ich, schon Probleme damit, diese Lösung zu goutieren, ja. Prof. Dr. Kaminski Frau Bilitewski1, bitte! Bilitewski Ich glaube, dann hätten Sie auch ein Problem. Ich meine, bei einer ausländischen Anrechnungsbetriebsstätte. Ich habe alle Wirtschaftsgüter in der deutschen Steuerbilanz erfasst. Sie sind in Deutschland ausgewiesen beim deutschen Steuerpflichtigen und ich habe sie auch in der deutschen Steuerbilanz erfasst. Also ich würde auch immer auf die deutschen steuerbilanziellen Werte gehen. Benecke Ich meine jetzt mit ausländischen Buchwerten nicht die Buchwerte nach ausländischem Recht, sondern es ging mir jetzt um den Carrying Value, nicht um den gemeinen Wert. Bilitewski Okay, aber nach deutschem Steuerrecht … Benecke Genau. Das ist ja die Definition dafür. Ansonsten kommen wir ja noch in die andere Situation, dass wir divergierende Buchwerte haben.
1 Andrea Bilitewski ist Partnerin bei Deloitte GmbH WPG Hamburg.
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Prof. Dr. Kaminski Vielen Dank. Ich habe noch zu dem Fall davor eine Frage. Nehmen Sie bitte das Beispiel 2. Das war der Fall mit den drei Gesellschaftern. Nehmen wir mal an, die CH-AG wäre nahestehende Person zu einem anderen Gesellschafter. Und nun würde gesagt, eventuell müsste da eine Abfindungszahlung erfolgen, weil eine Aufstockung der stillen Reserven wegen der anteiligen Nichtbegünstigung des Einbringungsvorgangs erfolgt. Ich habe mich gefragt: Wenn CH-AG nun eine mit irgendeinem anderen der Gesellschafter nahestehende Person wäre, würde das eine verdeckte Gewinnausschüttung begründen? Und wo wäre die steuerpflichtig? Prof. Dr. Förster Da die CH-AG ihren Mitunternehmeranteil nicht zu Buchwerten in die optierende Gesellschaft einbringen kann, ist im Rahmen der Option der gemeine Wert anzusetzen. In der optierenden Gesellschaft kommen dann die aufgestockten Werte an, und auch die anderen Gesellschafter profitieren davon über Mehrabschreibungen und das höhere steuerliche Einlagekonto. Die Frage ist, ob hierfür ein Ausgleich gefordert würde. Sofern die drei Gesellschafter einander nicht nahestehen, würde die CH-AG sicherlich darauf drängen, sonst würde sie der Optionserklärung nicht zustimmen. Also würde ein fremder Dritter wohl einen Ausgleich fordern. Wenn unterstellt wird, dass ein angemessener Ausgleich berechnet werden kann und die CH-AG nahestehende Person im Verhältnis zu den anderen Gesellschaftern ist, dann würde ich sagen, wenn sie auf einen Ausgleich verzichtet, aber ein fremder Dritter hätte diesen Ausgleich gefordert, dann liegt in dem Verzicht auf den Ausgleich eine verdeckte Gewinnausschüttung. Die interessante Frage ist dann aber, von wem an wen. Und da würde ich meinen, von der CH-AG an die nahestehenden Personen, ggfls. über einen gemeinsamen Gesellschafter. Also gar nicht in Deutschland. Bilitewski Das ist eine interessante Frage. Ich glaube, ich würde das tatsächlich anders sehen. Ich meine, wir haben ja hier diese geistige Akrobatik zu vollbringen, dass wir eben zivilrechtlich gerade keine Kapitalgesellschaft haben, sondern weiterhin eine Personengesellschaft. Das heißt, wir kriegen hier steuerlich für die Schweizer Gesellschaft einen Step-up? Das läuft dann auch in das steuerliche Einlagekonto rein? Das wird dann quasi
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auch sozialisiert? Denn ein steuerliches Einlagekonto ist nicht gesellschafterbezogen zuweisbar. Was man aber tun könnte, und das würde ich durchaus als angemessen erachten, dass man eine inkongruente Gewinnausschüttung regelt zu Gunsten der Schweizer Gesellschaft für die Jahre, bis der Step-up wieder abgeschrieben ist, dass sie den Steuervorteil selbst vereinnahmen kann. Das würde ich als angemessen erachten. Aber trotzdem ist es ja so, dass die Schweizer AG … Diesen Step-up hat’s ja handelsrechtlich nicht gegeben. Alle haben ihre alten Kapitalkonten. Es hat nirgendwo real eine Zuwendung gegeben. Also da eine vGA zu sehen, würde ich mich schwertun. Prof. Dr. Förster Es gibt sicherlich verschiedene Möglichkeiten, den Nachteil, den die CH-AG erleidet, im Rahmen der Option auszugleichen. Eine Möglichkeit wäre eine direkte Zahlung zwischen der CH-AG und dem nahestehenden Mit-Gesellschafter. Eine andere Möglichkeit, da würde ich zustimmen, wäre eine inkongruente Gewinnbeteiligung der CH-AG an der optierenden KG oder entsprechende Entnahmemöglichkeiten. Eine dieser Möglichkeiten muss aber gemacht werden. Ich hatte jetzt die Frage von Herrn Professor Kaminski so verstanden, dass er sagte: Wenn dieser Ausgleich nicht gemacht wird, was gilt dann? In diesem Fall gewährt nach meinem Dafürhalten die CH-AG den nahestehenden Mit-Gesellschaftern der optierenden KG einen Vorteil. Und das ist eine verdeckte Gewinnausschüttung von Seiten der CH-AG. Möglicherweise über den gemeinsamen Gesellschafter, der über allen steht, im Dreiecksverhältnis zu den nahestehenden Personen. Also würde es Deutschland nicht berühren. Bilitewski Es ist ja kein Vermögenswert. Kann man denn wirklich nur eine Steuerersparnis zuwenden? Ich meine, es hat ja handels- oder gesellschaftsrechtlich keine Zuwendung stattgefunden, nicht? Also das ist schon … Prof. Dr. Förster Da würde sich die Frage des Fremdvergleichs stellen. Würde ein fremder Dritter sich so verhalten? Auf einen Ausgleich verzichten?
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Prof. Dr. Kaminski Der wirtschaftliche Vorteil liegt darin, dass die optierende Personengesellschaft ein höheres Abschreibungsvolumen erhält, an dem alle Gesellschafter partizipieren. Das ist aus meiner Sicht der wirtschaftliche Vorteil. Herr Brandis, haben Sie vielleicht eine Idee? Dr. Brandis Für mich wäre der Ansatz genauso wie von Herrn Professor Förster benannt. Man müsste dann eben schauen, ob durch diesen Verzicht im Ergebnis über die optierende KG, die dann eine optierende Gesellschaft ist, letztlich eine Zuwendung an die beiden anderen Gesellschafter stattfindet, so dass es quasi mäandert, Zuwendungsempfänger wären dann die beiden anderen Gesellschafter. Das wäre eine Struktur, wie man das abbilden könnte. Prof. Dr. Kaminski Vielen Dank. Herr Förster hat Missbrauchsvorschriften angesprochen und gesagt, dass nach seinem Verständnis die Sieben-Jahres-Frist unionsrechtlich problematisch ist, oder ich glaube, er hat sogar gesagt, nicht haltbar ist. Mögen Sie sich dazu äußern, oder sagen Sie mit Hinblick auf eventuell künftige Verfahren lieber nichts? Dr. Brandis Das Zweite wäre mir recht, und in der Hinsicht halte ich mich da gerne zurück. Prof. Dr. Kaminski Ich habe das – ehrlich gesagt – befürchtet. Ja, gibt es sonst noch Punkte? Herr Benecke, haben Sie noch irgendwas, wo Sie sagen, das ist noch ein Thema? Es gibt es noch eine Wortmeldung. Herr Hummel! Prof. Dr. Hummel Ich möchte eine eher grundsätzliche Frage an Herrn Benecke richten. Sie sagten soeben, das Optionsrecht diene der Vermeidung von Qualifikationskonflikten. Außerdem sagten Sie, die optierende Gesellschaft stelle sich nach steuerrechtlichen Maßstäben als eine hybride Gesellschafts-
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form dar. Letzteres ist auch gewiss der Fall. Aber wie fügen sich diese beiden Einschätzungen zueinander? Mit anderen Worten: Bringt eine hybride Gesellschaftsform nicht gerade das Potential für Qualifikationskonflikte mit sich? Aus der Perspektive des deutschen Rechts werden wir die auftretenden Zuordnungsfragen noch einigermaßen treffsicher beantworten können. Welche Antworten jedoch aus der Perspektive ausländischer Steuerrechtsordnungen auf jene Zuordnungsfragen gegeben werden, dürfte in weitem Umfang jenseits des sicher Einschätzbaren liegen. Zudem: Mit dem Update 2017 des OECD-Musterabkommens wurde doch eigens der Versuch unternommen, hybriden Gesellschaftsformen aktiv zu begegnen und die Risiken ihrer steuerrechtlichen Einordnung gezielt dem Steuerpflichtigen aufzuerlegen. Wie fügen sich alle diese Aspekte zusammen? Benecke Vielleicht nur zu dem Punkt: Wir haben das Thema, dass hier ja gerade darauf hingewirkt werden soll, dass keine divergierende Wahlrechtsausübung erfolgt. Dass wir gerade einen Gesellschafter, der halt an einer „hybriden“ ausländischen Personengesellschaft vielleicht beteiligt ist, die nach dem ausländischen Recht intransparent besteuert wird, dass man nun hier in Deutschland die Möglichkeiten hat, das gleichzuziehen. Oder auch umgekehrt. Und das würde ich jetzt sehen, das passt schon in die Landschaft. Und wenn man jetzt hier darauf abstellt, dass zumindest ein Gleichlauf auch zwischen uns und dem Staat besteht, in dem im Ausland vielleicht die Geschäftsleitung liegt, das sind dann fast mit die wichtigsten Staaten in dem Bereich, dann finde ich das schon hinreichend vorsorglich. Ansonsten würde man ja das Wahlrecht de facto entwerten, wenn es aus der Sicht aller Staaten so sein müsste. Also, es ist vielleicht kein Beitrag zur Vereinfachung, aber für bestimmte Personengesellschaften kann das durchaus, glaube ich, ein Thema sein, dass man sagt, ja, wir können hier einen Gleichlauf machen. Und das erleichtert vielleicht auch ein paar Dinge. Prof. Dr. Kaminski In der Koalitionsvereinbarung steht drin, diese Regelung soll evaluiert werden. Hier tue ich mich etwas schwer, dass eine Regelung, die gerade gemacht worden ist, vom 10.11.2021 ist das BMF-Schreiben, und schon heißt es – ehe wir überhaupt mal gucken, wie die Erfahrungen sind – wir machen sofort eine Evaluierung, denn das soll offensichtlich sehr
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zeitnah geschehen. Muss ich mir jetzt Gedanken machen, dass das alles wieder abgeschafft wird? Benecke Nein. Vielleicht, wenn manche Sachen noch nicht so passen, dann wird eventuell noch nachträglich angepasst. Es gibt ja immer noch die Dauerkritikpunkte: Warum muss man die Monatsfrist noch abwarten? Gibt es Hinderungsgründe, warum man von einer Kapitalgesellschaft nicht gleich in eine optierende Personengesellschaft wechseln kann? Warum muss man erst eine Verzögerung hier hinnehmen? Und darüber kann man mal nachdenken. Also insofern kann das auch mal zum Besseren sein. Und dann natürlich auch: Wie wird die Option angenommen? Das hängt wahrscheinlich davon ab, mit wem man redet. Z.B. bei einem Familienkonzern würde die Option wahrscheinlich nicht auf Top-HoldingEbene eingesetzt werden. Aber auch hier lässt sich die Option gezielt im Familienkonzern einsetzen. Herr Förster sprach es an, § 20 Abs. 2 AStG. Ein Thema ist vielleicht auch § 7 Abs. 4 AStG. Da haben Sie ja die Nahestehens-Vermutung bei Personengesellschaften … Also vielleicht ist es gar nicht mal so ein schlechtes Instrument, und wenn es dann nicht überbordende Kollateralschäden reißt, dazu dient ja auch die Evaluierung, dann ist das vielleicht gar nicht so verkehrt. Prof. Dr. Kaminski Gut. Schlussworte? Prof. Dr. Förster Wenn ich mir etwas wünschen darf, dann würde ich mir wünschen, dass das BMF mit den Vertragspartnern von DBAs, in denen die erweiterte Quellensteuerermäßigung für nach Deutschland fließende Dividenden nicht gewährt wird, wenn der Nutzungsberechtigte eine Personengesellschaft ist, Verständigungsvereinbarungen oder Protokollerklärungen anstrebt, wonach eine optierende Personengesellschaft als Dividendenempfängerin auch abkommensrechtlich als Kapitalgesellschaft angesehen und nicht von der erweiterten Quellensteuerabsenkung auf z.B. 5 % im anderen Vertragsstaat ausgeschlossen wird. Benecke Das spricht gerade den interessanten Fall an, den Sie angesprochen haben mit Österreich und Spanien.
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Prof. Dr. Förster Spanien ist bewusst gewählt worden, weil dort Personengesellschaften als Körperschaftsteuersubjekt qualifiziert werden. Benecke Aber das bringt eine neue Dimension, glaube ich, dass man da sagen würde, wenn Spanien die auch als intransparent ansieht, dann haben wir ja keinen Qualifikationskonflikt, und dann müsste man, selbst, wenn man die Mutter-Tochter-Richtlinie als nicht anwendbar sieht, sicherlich die Folgen des Vertragsverletzungsverfahrens beachten. Da stellt sich dann die Frage: Wie macht man das? Muss ich einen Freistellungsbescheid beantragen? Weil in § 32 Abs. 5 KStG kommen Sie ja nicht rein in dieses Entlastungsverfahren, glaube ich. Bei der Ö-GmbH würde ich es ein bisschen anders sehen, weil wir ja jetzt hier keine übereinstimmende Behandlung von steuerfreien Dividenden haben. Und das ist so ein bisschen der Punkt, wo Sie jetzt sagen, da habe ich ein Störgefühl, weil es ja an sich steuerfreie Einkünfte sind. Aber zumindest, wenn man jetzt sagt, naja, warum hat man diese Regelung eingeführt? Die dient halt auch dazu – und das ist dann wieder dieser Vorsichtsgedanke –, dass man natürlich hier nicht versucht, bewusst divergierende Wahlrechte oder Qualifikationen einzuführen. Die Frage ist, auch im Europarecht: Wie weit kann man typisieren? Es ist noch nicht ausgereizt. Frau Kokott spricht es allerdings immer an. Aber es ist ein interessanter Punkt, dass man vielleicht mal mit dem Fall nach Luxemburg fährt. Prof. Dr. Förster Mein Wunsch bezieht sich auf Dividenden, die aus dem Ausland nach Deutschland an eine optierende Gesellschaft fließen. Für den umgekehrten Fall einer aus Deutschland von einer optierenden Gesellschaft abfließenden (fiktiven) Gewinnausschüttung an eine Mutterkapitalgesellschaft im EU/EWR-Ausland würde ich – unabhängig von einem DBA – aus der EuGH-Entscheidung in der Rechtssache C-284/09 ableiten, dass wir die ganze Kapitalertragsteuer erstatten müssen. Zumindest in den Fällen, in denen eine Mindestbeteiligung von 10 % besteht.
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Prof. Dr. Kaminski Nochmals ganz herzlichen Dank für den Vortrag. Ich fand es wirklich sehr interessant, und ich meine, es ist wunderbar aufgezeigt worden, was für ein riesiger Beitrag das zur Steuervereinfachung ist, meine Damen und Herren. Das erlaube ich mir hier einmal ganz deutlich zu sagen. Meine Damen und Herren, ich darf mich bei Ihnen allen ganz herzlich bedanken, sowohl bei denen, die hier waren, als auch bei denjenigen, die online an der Veranstaltung teilgenommen haben. Wir haben unter schwierigsten Corona-Bedingungen die 38. Hamburger Tagung zur Internationalen Besteuerung durchgeführt. Wir haben Ihnen vorhin schon gesagt, dass die Überschüsse der Veranstaltung wie immer zu Gunsten der Bibliothek des International Tax Institute gehen, und dafür danken wir besonders. Ich möchte mich bei allen Vortragenden und bei den Diskutanten nochmals ganz herzlich bedanken. Bei Ihnen, lieber Herr Brandis, dass Sie sich zur Verfügung gestellt haben, bei den anderen Diskutanten, bei den Referenten, und ich möchte mich vor allen Dingen bei denjenigen bedanken, die hinter den Kulissen dafür gesorgt haben, dass die Veranstaltung so gut über die Bühne gegangen ist: bei der Technik, bei denjenigen, die für die Organisation gesorgt haben, bei Herrn Hummel und vor allen Dingen bei Frau Mayer, unserer Leiterin des Studiengangs Master of International Taxation, die die meiste organisatorische Arbeit geleistet hat. Meine Damen und Herren, ich darf Sie schon heute sehr herzlich einladen zur 39. Hamburger Tagung zur Internationalen Besteuerung. Die findet am 2. Dezember 2022 im Albert-Schäfer-Saal der Handelskammer in Hamburg statt. Bis dahin wünsche ich Ihnen eine gesegnete Weihnachtszeit, ein frohes Fest, bleiben Sie gesund!
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Stichwortverzeichnis AEAStG 31 Allokation 55 f., 61 – Gewinnallokation 55 f., 61 Ansässigkeit 5, 20 – abkommensrechtliche 13, 19, 23, 27 f., 45, 50, 156 – Ansässigkeitskriterien 119 f. – steuerliche 116, 119, 122 Ansässigkeitsstaat 20, 50, 156, 160 f., 165 Anschaffungskosten 42, 154, 175 f. – „Step-Up“ 11, 14, 37, 41, 50 – historische 24 f., 41 Anwartschaft 4 f. Anwendungsvorrang – unionsrechtlich 7, 8 Anzeigepflicht 136, 142, 144 f. – grenzüberschreitende Steuergestaltung 113 ff. ATAD-Richtlinie 82, 115, 164 ATATDUmsG 12, 168 Außenprüfung 87; s. auch Betriebsprüfung Ausschüttungsfiktion 156 ff. Base Erosion and Profit Shifting s. BEPS Bemessungsgrundlage 55 f., 59 ff. BEPS 53 ff., 114, 144 – inclusive Framework 53 f., 144 – Aktionsplan 80 Besteuerungsrecht 10, 15, 47, 53 f., 70 ff., 176 – an Gewinnanteilen 22 f. – an Veräußerungsgewinnen 19, 27 f., 49 – Ausschluss oder Beschränkung 3, 5, 13 f., 20, 39, 45 f., 152 – für Vergütungen 160 ff. – Quellenbesteuerungsrecht 57, 143 f., 156 Betriebsaufspaltung 18 f., 42 ff., 128 – grenzüberschreitend 45
Betriebsausgabenabzug 90, 160 – Verbote 62 f. – von Finanzierungsaufwendungen 88 Betriebsprüfung 79, 92 ff., 105, 110, 140 Betriebsstätte 13, 42, 44, 53 ff., 55 f., 61, 116 ff., 122, 132 f., 152 ff. CBCR-Richtlinie 115 DAC6-Amtshilferichtlinie 113 ff., 132 – Umsetzung 114 f. DBA 10 ff., 45 ff., 31, 45, 49, 151 ff., 164 ff., 182 f. – DBA-Fälle 50 DBA-Argentinien 152 DBA-Drittstaat 28 DBA-Kanada 27 DBA-Liechtenstein 47 DBA-Niederlande 20 DBA-Österreich 19, 32, 157, 160 DBA-Spanien 9, 10, 22 f., 46 f., 157, 166 DBA-UK 27 DBA-USA 3, 20 DBA-VAE 5 Doppelansässigkeit 15, 45 Doppelbelastung 32 f. Doppelbesteuerung 42, 56, 68 ff., 165 – Anrechnungsmethode 56, 61 Doppelbesteuerungsabkommen s. DBA Drittstaaten – Drittstaatensachverhalte 3, 14 f., 50, 115 ff., 121, 126 f., 141 – Drittstaatensteuern 125 ff. – Drittstaatengeselllschaften 162, 168 Eigenkapital 99, 105 ff., 127 Einkünftekorrektur 94
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Stichwortverzeichnis Einlagenrückgewähr 15, 17, 32 Entstrickung 42 f., 47 ff., 168 – passive 9, 10, 11, 13 f. 50 – wegzugsbedingt 12 – Entstrickungsbesteuerung 19 f., 32 f., 42, 153 f. – Entstrickungstatbestände 20 – Entstrickungsgewinn 164 EU-Amtshilferichtlinie 115 ff., 127, 141 Europarechtswidrigkeit 10, 14
– Hilfs-Intermediär 120 – Intermediärseigenschaft 127
Festsetzung – Rechtswidrigkeit der Wegzugssteuer 6, 8 – Wegzugsteuer 7 Finanzierung – Konzernfinanzierung, Konzernfinanzierungsgesellschaft 87 ff., 98 f. – Ausländische Finanzierunggesellschaft 100 – (Gesellschafter)fremdfinanzierung 87, 99 – Outbound-Finanzierung 87 ff., 100 – Inbound-Finanzierung 100 Fremdkapital 89, 100 f., 102 f., 127 ff. Fremdüblichkeit 90, 94 Fremdvergleich 89 ff., 101 ff., 133, 179 Funktionsverlagerung 48 ff. Fusionsrichtlinie 115, 154
Leistung – Leistungsbeziehungen 92, 102 ff., 109 – Leistungsvergütung 160 ff. – Sicherheitsleistung 3, 7, 16 ff., 25 f., 29 f., 35 f. – Unterstützungsleistung 117
Gewinn – Gewinnausschüttung 15, 32, 155 ff. – Gewinnkürzung 114 – Gewinnverlagerung 87, 111, 114 GILTI 58, 81 ff. GloBE Rules 57 ff. Grundfreiheit 19, 29, 44 Hinzurechnungsbesteuerung 57, 61, 81 ff., 167 ff. Income Inclusion Rule 57 ff. Intermediär 113 ff., 119 ff., 140
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Kapitalverkehrsfreiheit 63, 163 – bei grenzüberschreitenden Schenkungen in Drittstaaten 3 – Ohne Kapitalbewegung 5 – KöMoG 158 f. KöMoG 147 ff. Konzerndarlehen 90 ff., 105 ff. Konzernrückhalt 91 f.
Main-benefit-Test 117, 127, 130, 138 Marktfähigkeit 122 ff. Meldepflicht 114 ff., 127, 132 ff., 136 ff. Mitteilungsplicht 114 ff., 125 ff., 133 f. – Verrechnungspreis 123 Mitwirkungspflicht 16 f., 28, 31 – erweiterte Mitwirkungspflicht 41 Mutter-Tochter-Richtlinie 115, 157 ff., 172 f., 183 OECD 53 ff., 89, 114 – Leitlinien 90 – Zu Verrechnungspreisen 98 OECD-Musterabkommen 58, 90 f., 94, 155 f., 161, 164 ff., 181 Offenlegungspflicht 115 Option zur Körperschaftssteuerpflicht 147 ff.; s. KöMoG Panama-Papers 87, 113 Pandora-Papers 87, 113 Paradise-Papers 113 Personenhandelsgesellschaften 148 ff. Pillar 1 54 ff., 66 ff., 78 f.
Stichwortverzeichnis Pillar 2 57 ff., 66, 77 ff. Preisvergleich 109 – Preisvergleichsmethode 92, 104, 108 Rechtssache Hornbach 104 f. Rechtssache Wächtler 3, 6 f., 14 ff., 30, 35, 44 f. Registerfälle 121, 144 f. Rückkehrabsicht 6, 15, 29, 38 Rückkehrregelung 5 f., 14 f., 20 f., 31 f. Rückwirkung – echte Rückwirkung 9 f. – unechte Rückwirkung 21 Säule 1 s. Pillar 1 Säule 2 s. Pillar 2 Schenkung 15, 31, 50 – grenzüberschreitend 3 Steuerfestsetzung 3, 7 ff. Steuergestaltung 125 ff. – multinationaler Unternehmen 113 – individueller Steuerpflichtigen 113 – Steuergestaltungsmodelle 113 ff. – grenzüberschreitende 115 f., 121, 127, 142 f. Stundung – dauerhaft 3, 6, 7, 8, 10, 14 ff., 24 f. – temporär 29 – der Wegzugssteuer 6, 7, 14, 20 ff., 28 f. – unionsrechtlich geboten 7, 44 – Stundungsregel 9 – Zeitraum 17 – Zinslose Stundung 3, 7 Substitute Tax Rule 57 ff. Switch Over Rule 57 ff. Top Up Tax 58, 61 f. Treaty Override 28, 157 f., 161 Umgehungsgestaltung 26 Umsatzsteuer 115, 141 Umwandlung 22, 50, 127 ff. – Rechtsträger 128
– Einkünfte 128 ff. Undertaxed Payments Rule 57 ff. Unionsrechtskonforme Auslegung 7 Veräußerungstatbestand 3, 36 f. Veräußerungsgewinn 5, 11, 13 f., 49, 60, 161 Veranlagung 142 – Veranlagungszeitraum 11 Verlustvortrag 69 f., 8, 55, 63 Verrechnungspreis 98, 101 ff., 110, 132 – Verwaltungsgrundsätze 88 ff. – Verrechnungspreisleitlinien 98 – Verrechnungspreisgestaltung 132 ff. – Verrechnungspreisbestimmung 87 ff. Verschmelzung 131 ff., 139 Wegzugsbesteuerung 11, 42 – aktuelle Entwicklungen 1 ff., 35 ff. – Auslösung der Wegzugsbesteuerung bei unbeschränkt steuerpflichtigen Personen 3, 18 f., 24 – dauerhafte Stundung 8 – Delegations-/Entsendungsfälle, Personalentsendung 38 – Entfall 15 – nachträgliche Herabsetzung 8 – optierende Gesellschaft 167 f. – Reform der Wegzugsbesteuerung 12 f. – Veräußerungszeitpunkte 14 Wegzugstaat 11, 41 Wegzugsteuer s. Wegzugbesteuerung – Ohne Sicherheitsleistung 17, 23 Wertansatzwahlrecht 152 ff., 162 ff. Zinsen – Finanzierungszinsen 105 f. – Zinshöhenschranke 97 ff., 105 Zins-Lizenzrichtlinie 115, 173 Zugzugsstaat – Berücksichtigung beim Zuzugsstaat 8 f.
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Stichwortverzeichnis § 6 AStG 1, 2, 3, 9 – Rückkehrregelung 5, 6, 13 f., 20 f., 31 f. – Rückkehrabsicht 6 – Ausschluss Besteuerungsrecht 6 – Beschränkung des Besteuerungsrechts 10 – Reform der Wegzugsbesteuerung 12 ff. – Abschaffung dauerhafter Stundung 12 – Sperrfristen und Nachbehaltensregelungen 14
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– Mitwirkungspflichten 17, 31 – Persönlicher Anwendungsbereich 24 ff. § 17 EStG 9, 17, 36 ff., 167 – Grenzüberschreitende un-/teilentgeltliche Übertragung von Anteilen 3 – Rückgewähranspruch aus Wertpapierdarlehn als Anwartschaft 4 – Veräußerungsgewinn 10, 24 – Anschaffungskosten bei Zuzug 11