NEUE HEIMAT: Unternehmenspolitik und Unternehmensentwicklung im gewerkschaftlichen Wohnungs- und Städtebau 1950–1982 3515092455, 9783515092456

Bekannt ist der gewerkschaftseigene Wohnungsbaukonzern NEUE HEIMAT durch seinen spektakulären Zusammenbruch. Über diesen

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German Pages 664 [666] Year 2008

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Table of contents :
Inhaltsverzeichnis
Vorwort
1. Einleitung
1.1 19. September 1986
1.2 Fragestellung
1.3 Theorie und Methode
1.4 Vorgehensweise und historiographische Relevanz der Arbeit
1.5 Forschungsstand und Quellenlage
2. Zwischen Tradition und Neuanfang
2.1 Wohnungsnot, Wohnungspolitik und Wohnungswirtschaft nach 1945
2.1.1 Die Wohnungsnot
2.1.2 Wohnungsmarkt und Wohnungspolitik
2.1.3 Die gemeinnützige Wohnungswirtschaft
2.2 Gewerkschaftlicher Wohnungsbau 1922–1945
2.2.1 Der gewerkschaftliche Wohnungsbau vor 1933
2.2.2 Unter der Herrschaft der DAF:
Gewerkschaftliche Wohnungsunternehmen 1933–1945
2.3 Die Neuformierung des gewerkschaftlichen
Wohnungsbaus nach dem Zweiten Weltkrieg
2.3 Die Neuformierung des gewerkschaftlichen Wohnungsbaus
2.3.1 Gewerkschaftliche Neuordnungsvorstellungen
und die Entstehung der gewerkschaftlichen Wohnungspolitik
2.3.2 Die gescheiterte Vermögenspolitik:
Rückerstattungsbemühungen und Finanzierungsprobleme
3. „Wohnungen, Wohnungen und nochmals Wohnungen“:
Der Weg zum gewerkschaftlichen Großkonzern (1950–1958)
3. „Wohnungen, Wohnungen und nochmals Wohnungen“
3.1 Die Neue Heimat Hamburg und die Entstehung des
gewerkschaftlichen Großkonzerns 1945–1958
3.1 Die Neue Heimat Hamburg und die Entstehung des Großkonzerns
3.1.1 Die Neue Heimat Hamburg 1945–1952
3.1.1.1 Die NHH in der Zusammenbruchsgesellschaft 1945–1949
3.1.1.2 Die Reorganisation der NHH 1950–1953
3.1.2 „Wir bauen unsere Häuser mit anderer Leute Geld, und wenn wir es vom Teufel holen“: Kapitalmarktpolitik und Unternehmensfinanzierung 1950–1958
3.1.2.1 Die NHH und der „graue Pfandbriefmarkt“
3.1.2.2 Paragraph 7 c – Der Schlüssel zum Erfolg
3.1.3 Die Konzernbildung
3.1.3.1 Die Anfänge der Konzernbildung
und die Erfindung der „Selbstfinanzierung“
3.1.3.3 Von Hamburg nach Bremen:
Erste Schritte auf dem Weg zum überregionalen Wohnungsbaukonzern
3.1.3.4 Die Zentralisierung
der gewerkschaftseigenen Wohnungsbaugesellschaften
3.1.3.5 Die Kopfstellenbildung
3.1.4 Eine gescheiterte Alternative zur Konzernbildung: Die Gewobag Frankfurt
3.2 Der „Sauerteig der Wohnungswirtschaft“?
3.2.1 Der Wohnungsneubau
3.2.1.1 Zur Marktposition der NH
3.2.1.2 Leitbilder des gewerkschaftseigenen Wohnungsbaus
3.2.1.3 Die städtebauliche Praxis der NH in den fünfziger Jahren
3.2.1.4 Die Ära May
3.2.1.5 Die Neue Vahr
3.2.2 Vermietungs- und Bestandspolitik
3.2.2.1 Die NH und die gewerkschaftliche Mietenpolitik
3.2.2.2 Die NH als Vermieter
3.2.3 Die Eigenheimfrage
3.3 Politische Standortbestimmungen
3.3.1 Die NH in der gewerkschaftlichen
Binnenkommunikation der fünfziger Jahre
3.3.2 Die Debatte über die Reform des Gemeinnützigkeitsrechts
und das Bild der NH in der öffentlichen Meinung
4. Auf der Suche nach dem verlorenen Markt (1958–1966)
4. Auf der Suche nach dem verlorenen Markt
4.1 An den Grenzen des Wachstums?
4.1.1 „Unsere größte Sorge ist, daß einmal die Baukonjunktur abreißt“:
Vermietung und Neubau im Umbruch
4.1.1.1 Vermietungspolitik im Zeichen des Lücke-Plans
4.1.1.2 Das Ende des Baubooms?
4.1.1.3 „Hauseigentümer ohne Giftzähne“
4.1.1.4 Der Einstieg in den Auslandswohnungsbau
4.1.2 Die Konsolidierung des Großkonzerns
4.1.2.1 Organisatorische Straffung
4.1.2.2 Der Umbau in der Führungsetage
4.1.2.3 Vietors erste Schritte
4.2 Auf dem Weg zum Städtebau
4.2.1 Vom Wohnungsbau zum Städtebau
4.2.1.1 Die neue Agenda
4.2.1.2 Die NH und die Rationalisierung des Bauwesens
4.2.1.3 Die „Unwirtlichkeit der Städte“ und der Großsiedlungsbau der NH
4.2.2 Organisation und Expansion 1962–1966
4.2.2.1 Der Aufbau des verdeckten Bauträgerkonzerns
4.2.2.2 Die NH auf dem Weg zum „Instrument des Städtebaus“
4.3 Die politische Legitimation der NH im Umbruch
4.3.1 Von der „Bedarfsdeckung“ zur „Gemeinwirtschaft“
4.3.2 Die Kritik am „Gewerkschaftskonzern“
und die Durchsetzung der gemeinwirtschaftlichen Konzeption
4.3.2.1 Gewerkschaftliche Unternehmen im Kreuzfeuer der Kritik
4.3.2.2 Die Durchsetzung der gemeinwirtschaftlichen Konzeption
5. „Wenn Sie wollen, können Sie bei uns eine komplette Stadt bestellen“ (1966–1973)
5. „Wenn Sie wollen, können Sie bei uns eine komplette Stadt bestellen“
5.1 „Dienst am Fortschritt“
5.1.1 Dynamische Zeiten: Fortschrittsoptimismus,
Rezession und Wachstumssicherung
5.1.2 Städtebau – Strukturpolitik – Fortschrittspolitik
5.1.3 Die Koalition des Fortschritts
5.1.4 Speerspitze des Fortschritts:
Die NH als „Instrument gewerkschaftlicher Strukturpolitik“
5.2 Expansion und Zentralisierung
5.2.1 Der Weg zum „Gleichordnungskonzern“
5.2.1.1 Probleme der Konzernbildung
5.2.1.2 „Noch eine mehr...“? Die Gründung der NHS
5.2.2 Zentralisierung und Mitbestimmung: Aspekte der Binnenorganisation
5.2.2.1 Betriebliches Wachstum, strukturelle Probleme
und die Reorganisation 1970/71
5.2.2.2 Aufsicht und Kontrolle
5.2.2.3 Mitbestimmung
5.2.2.4 Personalwesen und betriebliche Sozialpolitik
5.3 Produktstrategien im Zeichen der Strukturpolitik
5.3.1 Der Geist der Moderne: Städtebau nach neuen Leitbildern
5.3.1.1 Die Sanierungsfrage
5.3.1.2 Großsiedlungsbau im Zeichen der „Verdichtung“
5.3.2 Die Expansion des Gewerbebaus
5.3.2.1 Kommunal- und Gewerbebau im Aufwind
5.3.2.2 Die Internationalisierung der NH
5.3.3 Das unsichere Kerngeschäft:
Probleme des Wohnungsbaus am Beginn der siebziger Jahre
5.3.3.1 Der Wohnungsmarkt zwischen Kostenexplosion und staatlicher Förderung
5.3.3.2 Vom Randgeschäft zur strategischen Schlüsselgröße:
Die Hausbewirtschaftung
5.3.3.3 Das Problem der Sicherung des Neubaus
6. Krise vor dem Fall (1973–1982)
6. Krise vor dem Fall
6.1 Der Wohnungsbau im Umbruch
6.1.1 Marktbedingungen und Absatzstrategien im Zeichen der Sättigung
6.1.1.1 Die „Ölkrise“ und die Kritik an der Architektur der Moderne
6.1.1.2 Das Ende der „alten Wohnungsnot“
6.1.1.3 Zögerliche Anpassung: Der Wohnungsneubau
6.1.1.4 Die mißglückte Vermietungspolitik
6.1.2 Der Niedergang des gemeinnützigen Konzernteils
6.1.2.1 Konsolidierung oder Expansion?
Unternehmensorganisation in der Umbruchphase
6.1.2.2 Krisenreaktion und Offenlegung stiller Reserven
6.1.2.3 Auf dem Weg „in eine andere Zukunft“:
Die verspätete Schrumpfung der NHG
6.2 Vom Hoffnungsträger zum Faß ohne Boden: Der Städtebau
6.2.1 Stagnation statt Expansion: Städtebauliche Märkte
in der zweiten Hälfte der siebziger Jahre
6.2.2 Die Krise der NHS
6.2.2.1 Probleme der Konzernorganisation
6.2.2.2 Ein Rettungsversuch: Die Umstrukturierung 1978/79
6.2.2.3 Der Absturz des Auslandsgeschäfts
6.3 Die Delegitimation der NH
6.3.1 Die NH in der öffentlichen Meinung
6.3.1.1 Der „Bremer Baulandskandal“ und die Debatte über die „Verfilzung“
6.3.1.2 Der sozialpolitische Anspruch der NH in der Kritik
6.3.1.3 Die Auseinandersetzungen über die Sanierungspolitik
6.3.2 „Wohin gehört eigentlich unser ganzes Unternehmen?“
6.3.2.1 Die NH in der gewerkschaftsinternen Debatte
6.3.2.2 Die Lähmung
6.4 Ausblick: Skandale und Abwicklung (1982–1998)
6.4 Ausblick: Skandale und Abwicklung
7. Schlußfolgerung
8. Anhang
8.1 Abkürzungen
8.2 Tabellen
8.3 Quellen- und Literaturverzeichnis
8.3.1 Archivalische Quellen
8.3.2 Interviews
8.3.3 Periodika
8.3.3.1 Geschäfts- und Jahresberichte
von Unternehmen der Unternehmensgruppe NEUE HEIMAT
8.3.3.2 Weitere von der Unternehmensgruppe NEUE HEIMAT
herausgegebene Periodika
8.3.3.3 Vom Deutschen Gewerkschaftsbund herausgegebene Periodika
8.3.3.4 Weitere Zeitschriften und Periodika
8.3.4 Websites
8.3.5 Gedruckte Quellen und Literatur
8.4 Personenregister
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NEUE HEIMAT: Unternehmenspolitik und Unternehmensentwicklung im gewerkschaftlichen Wohnungs- und Städtebau 1950–1982
 3515092455, 9783515092456

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Peter Kramper

NEUE HEIMAT Unternehmenspolitik und Unternehmensentwicklung im gewerkschaftlichen Wohnungs- und Städtebau 1950–1982

Geschichte Franz Steiner Verlag

VSWG-Beihefte 200

Peter Kramper NEUE HEIMAT

VSWG

–––––––––––––––––––– Vierteljahrschrift für Sozial- und Wirtschaftsgeschichte Beihefte . Nr. 200 Herausgegeben von Günther Schulz, Christoph Buchheim, Gerhard Fouquet, Rainer Gömmel, Friedrich-Wilhelm Henning, Karl Heinrich Kaufhold, Hans Pohl

Peter Kramper

NEUE HEIMAT Unternehmenspolitik und Unternehmensentwicklung im gewerkschaftlichen Wohnungsund Städtebau 1950–1982

Franz Steiner Verlag Stuttgart 2008

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über abrufbar. ISBN: 978-3-515-09245-6 Zugl.: Diss., Philosophische Fakultät der Albert-LudwigsUniversität Freiburg, 2005/06. Jede Verwertung des Werkes außerhalb der Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist unzulässig und strafbar. Dies gilt insbesondere für Übersetzung, Nachdruck, Mikroverfilmung oder vergleichbare Verfahren sowie für die Speicherung in Datenverarbeitungsanlagen. Gedruckt auf säurefreiem, alterungsbeständigem Papier. © 2008 Franz Steiner Verlag, Stuttgart. Druck: AZ Druck und Datentechnik GmbH, Kempten Printed in Germany

INHALTSVERZEICHNIS Vorwort....................................................................................................................9 1. Einleitung..........................................................................................................11 1.1 19. September 1986....................................................................................11 1.2 Fragestellung..............................................................................................15 1.3 Theorie und Methode.................................................................................18 1.4 Vorgehensweise und historiographische Relevanz der Arbeit...................29 1.5 Forschungsstand und Quellenlage .............................................................35 2. Zwischen Tradition und Neuanfang: Rahmenbedingungen des gewerkschaftlichen Wohnungsbaus nach 1945............................................................41 2.1 Wohnungsnot, Wohnungspolitik und die gemeinnützige Wohnungswirtschaft nach 1945...................................................................................41 2.1.1 Die Wohnungsnot.............................................................................41 2.1.2 Wohnungsmarkt und Wohnungspolitik............................................44 2.1.3 Die gemeinnützige Wohnungswirtschaft .........................................49 2.2 Traditionen und Kontinuitäten des gewerkschaftlichen Wohnungsbaus 1922–1945..................................................................................................56 2.2.1 Der gewerkschaftliche Wohnungsbaus vor 1933.............................56 2.2.2 Unter der Herrschaft der DAF: Gewerkschaftliche Wohnungsunternehmen 1933–1945..................................................................66 2.3 Die Neuformierung des gewerkschaftlichen Wohnungsbaus nach dem Zweiten Weltkrieg......................................................................................71 2.3.1 Gewerkschaftliche Neuordnungsvorstellungen und die Entstehung der gewerkschaftlichen Wohnungspolitik...............................71 2.3.2 Die gescheiterte Vermögenspolitik: Rückerstattungsbemühungen und Finanzierungsprobleme ......................................................83 3. „Wohnungen, Wohnungen und nochmals Wohnungen“: Der Weg zum gewerkschaftlichen Großkonzern (1950–1958)................................................94 3.1 Die Neue Heimat Hamburg und die Entstehung des gewerkschaftlichen Großkonzerns 1945–1958..........................................................................94 3.1.1 Die Neue Heimat Hamburg 1945–1952...........................................94 3.1.1.1 Die NHH in der Zusammenbruchsgesellschaft 1945–1949...........................................................................94 3.1.1.2 Die Reorganisation der NHH 1950–1953.........................101 3.1.2 „Wir bauen unsere Häuser mit anderer Leute Geld, und wenn wir es vom Teufel holen“: Kapitalmarktpolitik und Unternehmensfinanzierung 1950–1958.........................................................109 3.1.2.1 Die NHH und der „graue Pfandbriefmarkt“......................109 3.1.2.2 Paragraph 7 c – Der Schlüssel zum Erfolg .......................115 3.1.3 Die Konzernbildung.......................................................................119

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Inhaltsverzeichnis

3.1.3.1 Die Anfänge der Konzernbildung und die Erfindung der „Selbstfinanzierung“....................................................119 3.1.3.3 Von Hamburg nach Bremen: Erste Schritte auf dem Weg zum überregionalen Wohnungsbaukonzern..............123 3.1.3.4 Die Zentralisierung der gewerkschaftseigenen Wohnungsbaugesellschaften..............................................128 3.1.3.5 Die Kopfstellenbildung.....................................................138 3.1.4 Eine gescheiterte Alternative zur Konzernbildung: Die Gewobag Frankfurt .................................................................146 3.2 Der „Sauerteig der Wohnungswirtschaft“? Produktstrategien und Reformanspruch in den fünfziger Jahren..................................................151 3.2.1 Der Wohnungsneubau....................................................................151 3.2.1.1 Zur Marktposition der NH.................................................151 3.2.1.2 Leitbilder des gewerkschaftseigenen Wohnungsbaus.......153 3.2.1.3 Die städtebauliche Praxis der NH in den fünfziger Jahren ...............................................................................161 3.2.1.4 Die Ära May......................................................................167 3.2.1.5 Die Neue Vahr...................................................................175 3.2.2 Vermietungs- und Bestandspolitik.................................................184 3.2.2.1 Die NH und die gewerkschaftliche Mietenpolitik.............184 3.2.2.2 Die NH als Vermieter........................................................188 3.2.3 Die Eigenheimfrage........................................................................198 3.3 Politische Standortbestimmungen............................................................206 3.3.1 Die NH in der gewerkschaftlichen Binnenkommunikation der fünfziger Jahre..........................................................................206 3.3.2 Die Debatte über die Reform des Gemeinnützigkeitsrechts und das Bild der NH in der öffentlichen Meinung.........................210 4. Auf der Suche nach dem verlorenen Markt (1958–1966)...............................221 4.1 An den Grenzen des Wachstums? Die NH im Übergang zu den sechziger Jahren........................................................................................221 4.1.1 „Unsere größte Sorge ist, daß einmal die Baukonjunktur abreißt“: Vermietung und Neubau im Umbruch.............................221 4.1.1.1 Vermietungspolitik im Zeichen des Lücke-Plans .............221 4.1.1.2 Das Ende des Baubooms?..................................................231 4.1.1.3 „Hauseigentümer ohne Giftzähne“....................................235 4.1.1.4 Der Einstieg in den Auslandswohnungsbau.......................243 4.1.2 Die Konsolidierung des Großkonzerns..........................................252 4.1.2.1 Organisatorische Straffung................................................252 4.1.2.2 Der Umbau in der Führungsetage......................................256 4.1.2.3 Vietors erste Schritte..........................................................261 4.2 Auf dem Weg zum Städtebau...................................................................264 4.2.1 Vom Wohnungsbau zum Städtebau ..............................................264 4.2.1.1 Die neue Agenda...............................................................264 4.2.1.2 Die NH und die Rationalisierung des Bauwesens.............277

Inhaltsverzeichnis

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4.2.1.3 Die „Unwirtlichkeit der Städte“ und der Großsiedlungsbau der NH................................................................283 4.2.2 Organisation und Expansion 1962–1966........................................293 4.2.2.1 Der Aufbau des verdeckten Bauträgerkonzerns................293 4.2.2.2 Die NH auf dem Weg zum „Instrument des Städtebaus“. 305 4.3 Die politische Legitimation der NH im Umbruch....................................318 4.3.1 Von der „Bedarfsdeckung“ zur „Gemeinwirtschaft“.....................318 4.3.2 Die Kritik am „Gewerkschaftskonzern“ und die Durchsetzung der gemeinwirtschaftlichen Konzeption.........................................327 4.3.2.1 Gewerkschaftliche Unternehmen im Kreuzfeuer der Kritik...........................................................................327 4.3.2.2 Die Durchsetzung der gemeinwirtschaftlichen Konzeption........................................................................333 5. „Wenn Sie wollen, können Sie bei uns eine komplette Stadt bestellen“ (1966–1973)....................................................................................................341 5.1 „Dienst am Fortschritt“: Die politische Funktion des Wohnungs- und Städtebaus am Ende der sechziger Jahre...................................................341 5.1.1 Dynamische Zeiten: Fortschrittsoptimismus, Rezession und Wachstumssicherung......................................................................341 5.1.2 Städtebau – Strukturpolitik – Fortschrittspolitik............................345 5.1.3 Die Koalition des Fortschritts.........................................................351 5.1.4 Speerspitze des Fortschritts: Die NH als „Instrument gewerkschaftlicher Strukturpolitik“................................................358 5.2 Expansion und Zentralisierung: Die NH als „integrierter Städtebaukonzern“....................................................................................362 5.2.1 Der Weg zum „Gleichordnungskonzern“.......................................362 5.2.1.1 Probleme der Konzernbildung...........................................362 5.2.1.2 „Noch eine mehr...“? Die Gründung der NHS..................371 5.2.2 Zentralisierung und Mitbestimmung: Aspekte der Binnenorganisation ....................................................................................374 5.2.2.1 Betriebliches Wachstum, strukturelle Probleme und die Reorganisation 1970/71.......................................374 5.2.2.2 Aufsicht und Kontrolle......................................................383 5.2.2.3 Mitbestimmung ................................................................386 5.2.2.4 Personalwesen und betriebliche Sozialpolitik...................392 5.3 „Wir machen alles“: Produktstrategien im Zeichen der Strukturpolitik...396 5.3.1 Der Geist der Moderne: Städtebau nach neuen Leitbildern............396 5.3.1.1 Die Sanierungsfrage..........................................................396 5.3.1.2 Großsiedlungsbau im Zeichen der „Verdichtung“ ...........406 5.3.2 Die Expansion des Gewerbebaus ..................................................419 5.3.2.1 Kommunal- und Gewerbebau im Aufwind.......................419 5.3.2.2 Die Internationalisierung der NH......................................433 5.3.3 Das unsichere Kerngeschäft: Probleme des Wohnungsbaus am Beginn der siebziger Jahre........................................................442

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Inhaltsverzeichnis

5.3.3.1 Der Wohnungsmarkt zwischen Kostenexplosion und staatlicher Förderung.........................................................442 5.3.3.2 Vom Randgeschäft zur strategischen Schlüsselgröße: Die Hausbewirtschaftung..................................................453 5.3.3.3 Das Problem der Sicherung des Neubaus..........................458 6. Krise vor dem Fall (1973–1982).....................................................................463 6.1 Der Wohnungsbau im Umbruch...............................................................463 6.1.1 Marktbedingungen und Absatzstrategien im Zeichen der Sättigung...................................................................................463 6.1.1.1 Die „Ölkrise“ und die Kritik an der Architektur der Moderne ......................................................................463 6.1.1.2 Das Ende der „alten Wohnungsnot“..................................469 6.1.1.3 Zögerliche Anpassung: Der Wohnungsneubau.................476 6.1.1.4 Die mißglückte Vermietungspolitik..................................486 6.1.2 Der Niedergang des gemeinnützigen Konzernteils........................501 6.1.2.1 Konsolidierung oder Expansion? Unternehmensorganisation in der Umbruchphase....................................501 6.1.2.2 Krisenreaktion und Offenlegung stiller Reserven..............509 6.1.2.3 Auf dem Weg „in eine andere Zukunft“: Die verspätete Schrumpfung der NHG .............................518 6.2 Vom Hoffnungsträger zum Faß ohne Boden: Der Städtebau...................526 6.2.1 Stagnation statt Expansion: Städtebauliche Märkte in der zweiten Hälfte der siebziger Jahre..................................................526 6.2.2 Die Krise der NHS..........................................................................531 6.2.2.1 Probleme der Konzernorganisation...................................531 6.2.2.2 Ein Rettungsversuch: Die Umstrukturierung 1978/79......543 6.2.2.3 Der Absturz des Auslandsgeschäfts..................................549 6.3 Die Delegitimation der NH......................................................................567 6.3.1 Die NH in der öffentlichen Meinung..............................................567 6.3.1.1 Der „Bremer Baulandskandal“ und die Debatte über die „Verfilzung“........................................................567 6.3.1.2 Der sozialpolitische Anspruch der NH in der Kritik.........572 6.3.1.3 Die Auseinandersetzungen über die Sanierungspolitik.....580 6.3.2 „Wohin gehört eigentlich unser ganzes Unternehmen?“ ...............587 6.3.2.1 Die NH in der gewerkschaftsinternen Debatte..................587 6.3.2.2 Die Lähmung.....................................................................593 6.4 Ausblick: Skandale und Abwicklung (1982–1998).................................596 7. Schlußfolgerung..............................................................................................607 8. Anhang............................................................................................................615 8.1 Abkürzungen............................................................................................615 8.2 Tabellen....................................................................................................618 8.3 Quellen- und Literaturverzeichnis............................................................631 8.4 Personenregister.......................................................................................662

VORWORT Bei dem vorliegenden Buch handelt es sich um die gekürzte (sic!) Version einer Dissertation, die im Sommersemester 2005 an der Philosophischen Fakultät der Universität Freiburg eingereicht worden ist. Die seitdem erschienene Literatur ist in den Anmerkungen berücksichtigt. Um die Drucklegung nicht noch weiter zu verzögern, habe ich allerdings auf eine Bebilderung verzichtet. Es sei deshalb an dieser Stelle darauf hingewiesen, daß die Website des Hamburgischen Architekturarchivs eine gute und leicht zugängliche Auswahl an Illustrationen bietet (Adresse siehe Anhang, S. 634). Bei der Arbeit an diesem Buch haben mich zahlreiche Personen unterstützt. Ihnen möchte ich an dieser Stelle danken, zuerst meinem Doktorvater, Franz-Josef Brüggemeier. Er hat das Projekt von Beginn an gefördert, es mit seinen Ratschlägen maßgeblich beeinflußt, große Geduld bewiesen und damit eine vertrauensvolle Zusammenarbeit begründet, die bis heute anhält. Ich hätte mir kein besseres Arbeitsumfeld wünschen können. Ulrich Herbert danke ich für sein umsichtiges und hilfreiches Zweitgutachten, das ich mit Gewinn gelesen habe. Mein Dank geht zudem auch an Ingeborg Villinger, die das Drittgutachten verfaßt hat. Des weiteren danke ich den Mitarbeitern der von mir konsultierten Archive sowie all jenen, die sich bereiterklärt haben, mir trotz mancher von den Auseinandersetzungen der achtziger Jahre herrührender Verletzungen für Interviews und weitere Anfragen zur Verfügung zu stehen. Namentlich genannt seien Rolf Dehnkamp, Harro Iden, Karl Ravens, Wolfgang Vormbrock sowie ganz besonders Klaus-Otto Cordua, der in weiser Voraussicht die Unterlagen aus seiner Tätigkeit als Konzernbetriebsratsvorsitzender und Aufsichtsratsmitglied der NEUE HEIMAT STÄDTEBAU im Staatsarchiv Hamburg deponiert hat. Ohne seine bereitwillige Freigabe dieses Materials und seine weiteren Auskünfte hätte die Arbeit in der vorliegenden Form nicht geschrieben werden können. Maßgeblichen Anteil am Zustandekommen dieses Buches hatte auch die Landesgraduiertenförderung Baden-Württemberg, die die Arbeit zwei Jahre lang finanziert hat. In höchst unterschiedlicher Weise – durch kritische Diskussionen, gutes Zureden, willkommene Ablenkungsmanöver oder Korrekturlesen – haben zudem eine Reihe von Freunden und Kollegen zum guten Gelingen beigetragen: Robert Bernsee, Martina Boos, Markus Bouillon, Jürgen Denzel, Eva Dohlus, Jens Ivo Engels, Jonathan Everts, Friedemann Hahn, Rüdiger Hitz, Peter Itzen, Anne Kunhardt, Christoph Marcinek, Claas Morlang, Lukas Nemela, Petra Strähle, Matthias Wulff, Carsten Vogelpohl, Julia Warth und Christian Wieland. Ihnen allen sei herzlich gedankt. Andrea Müller hatte mit der Entstehung dieses Buches nichts zu tun; ihr danke ich trotzdem, einfach so. Die Gesellschaft für Sozial- und Wirtschaftsgeschichte hat die Arbeit 2007 mit dem Friedrich-Lütge-Preis ausgezeichnet. Dafür bin ich ihr – namentlich dem Vorsitzenden, Rolf Walter – zu großem Dank verpflichtet. Selbiges gilt auch für die Herausgeber der Beihefte zur Vierteljahrschrift für Sozial- und Wirtschaftsgeschichte, besonders Karl Heinrich Kaufhold und Günther Schulz, die das Buch in ihre Reihe aufgenommen haben.

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Vorwort

Das Wichtigste zuletzt: der Dank an meine Eltern. Meine Mutter hat die Fertigstellung der Arbeit leider nicht mehr erleben können, aber sie hat sie ebenso wie mein Vater lange Zeit begleitet, und beide haben mein Studium und die Promotion stets vorbehaltlos unterstützt. Ihnen ist dieses Buch gewidmet. Freiburg, im Juli 2008

Peter Kramper

1. EINLEITUNG 1.1 19. SEPTEMBER 1986 Die Unternehmensgruppe NEUE HEIMAT (NH) verdankt ihre Bekanntheit in erster Linie ihrem unrühmlichen Ende. Am 19. September 1986 verkaufte die Beteiligungsgesellschaft der Gewerkschaften AG (BGAG) den mit einem Bestand von 270.000 Wohnungen größten Wohnungs- und Städtebaukonzern der westlichen Welt zum symbolischen Preis von einer Mark an den bis dahin völlig unbekannten Berliner Bäcker Horst Schiesser.1 Diese bizarre Geschichte von der scheinbaren Verschleuderung eines riesigen Immobilienvermögens hat sich tief in das kollektive Gedächtnis der Bundesrepublik eingebrannt. Sie bildete den symbolischen Höhepunkt des NEUE HEIMAT-Skandals, der Mitte der achtziger Jahre die westdeutsche Öffentlichkeit wie kaum ein zweites innenpolitisches Thema in Beschlag genommen hatte.2 Insgesamt sechs Mal zierte die NH in den Jahren zwischen 1982 und 1986 das Titelbild des SPIEGEL; nicht weniger als vier parlamentarische Untersuchungsausschüsse beschäftigten sich im Laufe der achtziger Jahre mit dem untergehenden Wohnungsbaukonzern; und im Bundestagswahlkampf 1986/87 spielten die öffentlichen Debatten über die Unternehmensgruppe eine wichtige Rolle.3 1

2

3

Vgl. Franz Kusch, Der Ausverkauf der Neuen Heimat. Macht, Profit und Kollegen II, Stuttgart 1987, passim, sowie Andreas Kunz (Hg.), Die Akte Neue Heimat. Krise und Abwicklung des größten Wohnungsbaukonzerns 1982–1998, Frankfurt a. M. 2003, S. 31, S. 192 ff. u. S. 717 ff. Zur Geschichte des Skandals vgl. Herfried Münkler, Neue Heimat, in: Stiftung Haus der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland (Hg.), Skandale in Deutschland nach 1945, Bonn 2007, S. 120–127; John Siegfried Mehnert, Die Gewerkschafts-Bande. Der größte Wirtschaftsskandal der Nachkriegsgeschichte, aufgeschrieben von dem Mann, der die Neue Heimat zu Fall brachte, Hamburg 1997; Franz Kusch, Macht, Profit und Kollegen. Die Affäre Neue Heimat, Stuttgart 1986; Günter Schifferer, Politische Skandale und Medien. Der Fall Neue Heimat, Hamburg 1988 sowie Kurt Hirche, Der Koloß wankt? Die Gewerkschaftsunternehmen zwischen Anspruch und Wirklichkeit, Düsseldorf/Wien 1984, S. 21 ff. Zu den sechs SPIEGEL-Titeln vgl. Hausmitteilungen, SPIEGEL 40.1986,36, S. 3. Von den vier Untersuchungsausschüssen entfiel je einer auf den Bundestag sowie auf die Landtage in Nordrhein-Westfalen, Bayern und Hamburg. Vgl. hierzu als die mit Abstand wichtigste und materialreichste dieser Untersuchungen: Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg (Hg.), Bericht des Parlamentarischen Untersuchungsausschusses zur Überprüfung der Aufsichtstätigkeit der Behörden gegenüber der Geschäftstätigkeit der Unternehmensgruppe Neue Heimat (Neue Heimat Gemeinnützige Wohnungs- und Siedlungsgesellschaft mbH, Neue Heimat Städtebau GmbH, ihre direkten und indirekten Schwester-, Tochter- und Beteiligungsunternehmen) sowie der Geschäftsbeziehungen zwischen der Freien und Hansestadt Hamburg und der Unternehmensgruppe Neue Heimat, Drucksachen Band 26, 11/5900, Hamburg 1987 (im folgenden abgekürzt: PUA HH) sowie des weiteren: Bayerischer Landtag (Hg.), Schlußbericht des Untersuchungsausschusses des Bayerischen Landtages zur Prüfung aller Vorgänge beim Bau der Trabantenstadt Neu-Perlach infolge der Einschaltung der nichtgemeinnützigen „Terrafinanz“ und der „Neuen Heimat“ durch die Landeshauptstadt München in der Amtszeit des ehemaligen Oberbürgermeisters Dr. Hans Jochen Vogel vom 15. Februar 1984, Drucksache 10/3015, München 1984; Deutscher Bundestag (Hg.), Beschlußempfehlung und Bericht des 3.

12

1. Einleitung

Ausgelöst hatte diesen Skandal eine Reihe von Artikeln, die der SPIEGEL im Februar 1982 veröffentlicht hatte. Darin wies das Magazin detailliert nach, daß sich einige Vorstandsmitglieder der NH um den Vorstandsvorsitzenden Albert Vietor über Jahre hinweg durch Insider- und Strohmanngeschäfte systematisch auf Kosten des Unternehmens bereichert hatten.4 Nach und nach kamen dann im Verlauf der achtziger Jahre zahlreiche Indizien für den bevorstehenden Zusammenbruch des Konzerns ans Licht, die die öffentlichen Auseinandersetzungen über das Unternehmen verstärkten und verlängerten. Zum einen hatte die NH einen Schuldenberg von über 17 Mrd. DM angehäuft. Sie stand damit wirtschaftlich vor dem Aus. Und zum anderen war, wie erst durch die Arbeit der Untersuchungsausschüsse bekannt wurde, die Organisation der Unternehmensgruppe schon seit Ende der sechziger Jahre nicht mehr mit den rechtlichen Rahmenbedingungen vereinbar gewesen. Sie hätte für ein Fortbestehen grundlegender Veränderungen bedurft.5 Dieses dreifache – das moralische, das wirtschaftliche und das rechtliche – Scheitern traf nicht irgendein Wohnungsunternehmen; es traf ein Unternehmen, das in vielerlei Hinsicht das Gesicht der Bundesrepublik geprägt hatte. Entstanden war die NH zwischen 1950 und 1954 aus dem Zusammenschluß einer Vielzahl kleiner, in der Weimarer Republik gegründeter Wohnungsbaugesellschaften. Mit einer jährlichen Neubauleistung von 15–20.000 Wohnungen gewann sie in den folgenden Jahren großen Einfluß auf ein Feld der Sozialpolitik, das für den Wiederaufbau in der Bundesrepublik von zentraler Bedeutung war.6 Mit der Hinwendung zum Städtebau konnte die NH ihre Expansionsbewegung auch in den sechziger Jahren aufrechterhalten, und nicht zuletzt auf diesem Gebiet sind ihre Hinterlassenschaften auch heute noch sichtbar: Ob durch komplette Stadtteile wie Hamburg-Mümmelmannsberg oder München-Neuperlach, durch umfangreiche Stadtsanierungen, durch Schwimmbäder, Turnhallen, Universitäten, Kongreßzentren und Großkliniken – überall in der BRD ist die Unternehmensgruppe „in einer Weise stadtbildprägend und typologisch wirksam geworden, von der die Baumeister und Stadtplaner der abendländischen Architekturgeschichte

4 5 6

Untersuchungsausschusses „NEUE HEIMAT“ nach Artikel 44 des Grundgesetzes, Drucksache 10/6779, Bonn 1987 (im folgenden abgekürzt: PUA BT); und Landtag Nordrhein-Westfalen (Hg.), Beschlußempfehlung und Bericht des II. Parlamentarischen Untersuchungsausschusses zu dem Auftrag des Landtags Nordrhein-Westfalen vom 7. März 1986: Geschäftstätigkeit der Neue Heimat Nordrhein-Westfalen, der Wohnungsbauförderungsanstalt des Landes Nordrhein-Westfalen und der Landesentwicklungsgesellschaft, Drucksache 10/4100, Düsseldorf 1989. Drei weitere Parlamentarische Untersuchungsausschüsse hatten sich bereits in den siebziger Jahren direkt oder indirekt mit der Geschäftstätigkeit der Unternehmensgruppe auseinandergesetzt. Vgl. dazu Kap. 6.3.1 dieser Arbeit. Zur Rolle des Skandals im Bundestagswahlkampf vgl. Schifferer 1988, S. 174 ff. Vgl. Gut getarnt im Dickicht der Firmen, SPIEGEL 36.1982,6, S. 92–104; „Da mußten längst die Staatsanwälte hin“, SPIEGEL 36.1982,7, S. 91–98; Vietor und die „sogenannten reichen Leute“, ebd., S. 98–104 sowie Das Geld lag auf dem Acker, SPIEGEL 36.1982,20, S. 34–47. Vgl. hierzu zusammenfassend Wilhelm Kaltenborn, Neue Heimat. Die Jahre 1982 bis 1990 – Ereignisse und Bewertungen. Herausgegeben vom Deutschen Gewerkschaftsbund, Bundesvorstand, Abteilung Vorsitzender, Düsseldorf 1990. Vgl. Kap. 3 dieser Arbeit.

1.1 19. September 1986

13

nur träumen konnten“.7 Seit Mitte der sechziger Jahre expandierte die NH darüber hinaus auch ins Ausland. Mit Beteiligungen in Westeuropa, Lateinamerika und im Nahen Osten bildete sie in den siebziger Jahren einen weltumspannenden Konzern, dessen städtebauliche Großprojekte längst nicht auf die Bundesrepublik beschränkt blieben. Der Bekanntheitsgrad des Unternehmens und seine herausragende Bedeutung für den Wohnungs- und Städtebau alleine hätten aber wohl kaum ausgereicht, um einen Skandal auszulösen, dessen politische Sprengkraft in den achtziger Jahren allein von der Flick-Affäre noch übertroffen wurde. Diese Brisanz konnte der Beinahe-Zusammenbruch der Unternehmensgruppe nur deshalb entfalten, weil der Konzern sich von dem üblichen Modell des privaten Wirtschaftens in einem zentralen Punkt unterschied. Denn er verdankte seine Existenz nicht dem Erwerbsstreben seiner Eigentümer. Vielmehr war die NH ein Unternehmen, das explizite wirtschafts- und sozialpolitische Zielsetzungen verfolgte, bei dem die wirtschaftliche Rentabilität also gesellschaftlichen Reformbestrebungen untergeordnet sein sollte. Das war für sich genommen nicht ungewöhnlich. Betriebe, die als Instrumente politisch motivierter Umverteilungsstrategien agierten, bildeten nach 1945 in allen westlichen Industrienationen „einen integrativen und konstitutiven Bestandteil des marktwirtschaftlichen Systems“8 – am sichtbarsten etwa in der Gestalt von öffentlichen Unternehmen. Die NH hatte allerdings gleich in doppelter Hinsicht eine solche „Instrumentalfunktion“ zu erfüllen.9 Zum einen war sie der mit Abstand größte Vertreter der gemeinnützigen Wohnungswirtschaft, einer Gruppe von Unternehmen verschiedener Rechtsformen, die durch das 1940 von den Nationalsozialisten zuletzt kodifizierte, in seinen Wurzeln aber ins 19. Jahrhundert zurückreichende Wohnungsgemeinnützigkeitsgesetz (WGG) eine Reihe von Steuerbefreiungen erhielten. Dafür waren ihnen aber enge Grenzen hinsichtlich ihres Geschäftskreises auferlegt. Die Gemeinnützigen durften nur Kleinwohnungen errichten, nur eine nach gesetzlichen Bestimmungen errechnete Miete verlangen und ihren Gesellschaftern nur eine Dividende von 4% auf deren Kapitaleinlagen ausschütten. Zudem unterlagen sie einer Prüfungs- und Berichtspflicht, die die Einhaltung dieser Maßgaben sicherstellen sollte.10 7

Andrea Gleiniger, Die Frankfurter Nordweststadt. Geschichte einer Großsiedlung, Frankfurt a. M./New York 1995, S. 70. 8 Gerold Ambrosius, Der Staat als Unternehmer. Öffentliche Wirtschaft und Kapitalismus seit dem 19. Jahrhundert, Göttingen 1984, S. 110. Einen nach Ländern gegliederten Überblick bietet Pier Angelo Toninelli (Hg.), The Rise and Fall of State-Owned Enterprise in the Western World, Cambridge 2000. 9 Vgl. Achim v. Loesch, Die gemeinwirtschaftlichen Unternehmen der deutschen Gewerkschaften. Entstehung – Funktionen – Probleme, Köln 1979, S. 126 ff. Zum Begriff der „Instrumentalfunktion“ vgl. Theo Thiemeyer, Irrtümer bei der Interpretation der Instrumentalthese öffentlicher Betriebe, in: Peter Faller/Dieter Witt (Hg.), Dienstprinzip und Erwerbsprinzip, BadenBaden 1991, S. 127–143. 10 Vgl. Gesetz über die Gemeinnützigkeit im Wohnungswesen vom 29.2.1940, RGBl. I 1940, S. 438–442. Detaillierte Angaben zu den einzelnen Bestimmungen des WGG finden sich in Helmut W. Jenkis (Hg.), Kommentar zum Wohnungsgemeinnützigkeitsrecht. Mit der WGG-Auf-

14

1. Einleitung

Zum anderen war die NH aber auch – zusammen mit der Bank für Gemeinwirtschaft (BfG) – das Flaggschiff der gewerkschaftlichen Gemeinwirtschaft, einer Gruppe von Unternehmen, deren Anteilseigner der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) und die in ihm zusammengeschlossenen Einzelgewerkschaften waren. Auch diese Unternehmen hatten ihre Wurzeln im 19. Jahrhundert – vorwiegend in genossenschaftlichen Selbsthilfe-Organisationen. Von der organisierten Arbeiterschaft im Kaiserreich noch als reformistische Verirrungen abgelehnt, avancierten diese in den zwanziger Jahren zur Speerspitze einer Gewerkschaftsbewegung, die der Revolution als Mittel der Politik abgeschworen hatte und statt dessen eine schrittweise Transformation des kapitalistischen Wirtschaftssystems anstrebte. Gerade die Wohnungsunternehmen rückten dabei, zusammen mit den Bauhütten, als Kern einer von den Gewerkschaften zu tragenden Sozialisierungspolitik ins Zentrum dieser Neuordnungsvorstellungen.11 Obwohl diese Strategie nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges hinfällig war, blieben die gewerkschaftseigenen Unternehmen erhalten – als sichtbares Zeichen dafür, daß die organisierte Arbeiterbewegung den Kapitalismus auch weiterhin für korrekturbedürftig hielt. Tatsächlich stießen die Gewerkschaften damit in den fünfziger Jahren noch auf breiten Zuspruch. Seit Mitte der sechziger und verstärkt seit Anfang der siebziger Jahre gerieten diese Reformbestrebungen aber in die Defensive. Der moralische wie unternehmerische Bankrott der NH, wie er 1986 in dem Verkauf des Unternehmens zum Ausdruck kam, bereitete ihnen schließlich (zusammen mit der zwei Jahre später publik gewordenen Affäre um die teilweise ebenfalls in Gewerkschaftseigentum befindliche Einzelhandelskette Co-op) ein jähes Ende.12 Zwar war die Geschichte der Unternehmensgruppe damit noch nicht beendet, weil der DGB die Transaktion mit Schiesser auf Druck der hebungsgesetzgebung, Hamburg 1988. Zur Geschichte der gemeinnützigen Wohnungswirtschaft fehlt eine neuere Gesamtdarstellung. Einen knappen Überblick über zahlreiche Aspekte der Gemeinnützigkeit mit weiterführenden Literaturhinweisen bietet Helmut W. Jenkis, Die gemeinnützige Wohnungswirtschaft, in: ders. (Hg.), Kompendium der Wohnungswirtschaft, München/Wien 21994, S. 309–329. Unersetzlich ist ferner Heinzgeorg Stöcker, Die Entwicklungsphasen in der gemeinnützigen Wohnungswirtschaft unter dem Einfluß der Unternehmungsformen (Schriften des Instituts für Wohnungsrecht und Wohnungswirtschaft an der Universität zu Köln Bd. 45), Bonn 1976. Vgl. auch Kap. 2.1.3 dieser Arbeit. 11 Die wichtigsten Überblicke zur gewerkschaftlichen Gemeinwirtschaft sind Loesch 1979; Kurt Hirche, Die Wirtschaftsunternehmen der Gewerkschaften, Düsseldorf/Wien 1966; zur Zeit vor 1945 Klaus Novy/Michael Prinz, Illustrierte Geschichte der Gemeinwirtschaft. Wirtschaftliche Selbsthilfe in der Arbeiterbewegung von den Anfängen bis 1945, Berlin/Bonn 1985; und aus Arbeitgeberperspektive Horst-Udo Niedenhoff, Die unbekannte Macht. Unternehmer DGB, Köln 41984. Weitere Literaturangaben bei Kunz 2003, S. 445 f. 12 Zum Co-op-Skandal vgl. Bernd Otto, Der Co-op-Skandal. Ein Lehrstück aus der deutschen Wirtschaft, Frankfurt a. M. 1996 und Felix Herzog, Solidarität unter Verdacht. Über den Versuch der Kriminalisierung der Gewerkschaften im Fall co op, Köln 1995. Zur Geschichte der Co-op vgl. Loesch 1979, S. 161 ff.; Herzog 1995, S. 21 ff. sowie Wolfgang Brambosch, Co op zwischen Genossenschaft und Gemeinwirtschaft. Eine Untersuchung des Einflusses ökonomischer Faktoren und gesellschaftspolitischer Konzeptionen auf die Entwicklung der deutschen Co op-Gruppe (Kooperations- und genossenschaftswissenschaftliche Beiträge Bd. 16), Münster 1985, passim.

1.1 1.2 19. Fragestellung September 1986

15

Gläubigerbanken zwei Monate später wieder rückgängig machen mußte. Doch der Verkaufsversuch machte klar, daß sich die Gewerkschaften nunmehr öffentlich von dem Unternehmen und dem mit ihm verbundenen Anspruch lösen wollten. Spätestens seit dem finanziellen Offenbarungseid, der mit diesen Bemühungen einher ging, konnte zudem kein Zweifel mehr daran bestehen, daß die Unternehmensgruppe unter Beibehaltung ihrer politischen Ziele in den achtziger Jahren wirtschaftlich nicht mehr überlebensfähig war, auch wenn sie dank der finanziellen Unterstützung durch die Gewerkschaften letztendlich niemals Insolvenz anmelden mußte.13 Der Eine-Mark-Verkauf war daher mehr als nur ein wirtschaftsgeschichtliches Kuriosum und auch mehr als nur das Ende eines der „größte[n] Wirtschaftsskandal[e] der Nachkriegsgeschichte“.14 Er setzte den symbolischen Schlußpunkt unter das Scheitern eines Unternehmens, das mit seinen Besonderheiten wie kein zweites für eine „säkulare sozialdemokratische Perspektive“15 gesellschaftspolitischer Reform stand – für eine Perspektive, die einen Mittelweg zwischen Kapitalismus und revolutionärer Umwälzung zu gehen versprach. Dem historisch noch sehr jungen Glauben an die überlegene Effizienz des Marktes, der das vorherrschende Verständnis von der Funktionsweise liberal-kapitalistischer Wirtschaftssysteme bis auf den heutigen Tag prägt, war damit ein traditionsreiches Korrektiv abhanden gekommen; ein Korrektiv, dessen grundlegende Annahmen die Wirtschaftsund Sozialpolitik vom Kaiserreich bis in die Bundesrepublik maßgeblich mitgeprägt hatten.16 Nicht nur für die Geschichte der Gewerkschaften oder für die Geschichte des Wohnungsbaus, sondern auch für grundlegende Deutungsmuster und kulturelle Normen der industriegesellschaftlichen Moderne markierte der 19. September 1986 deshalb eine tiefe Zäsur.

1.2 FRAGESTELLUNG Die symbolische Bedeutung des Endes der NH begründet auch ein besonderes Interesse an einer unternehmenshistorischen Perspektive auf diese „Sonderform moderner Großunternehmen“.17 Denn sie ist dafür verantwortlich, daß der gewerkschaftseigene Wohnungsbaukonzern grundlegende Annahmen über die Funktions13 Vgl. dazu zusammenfassend Kusch 1987, passim; Kunz 2003, S. 192 ff. u. S. 717 ff. sowie Kap. 6.4 dieser Arbeit. 14 Mehnert 1997, Untertitel. 15 Lutz Niethammer, Rückblick auf den Sozialen Wohnungsbau, in: Walter Prigge/Wilfried Kaib (Hg.), Sozialer Wohnungsbau im internationalen Vergleich, Frankfurt a. M. 1988, S. 288– 308, hier S. 288 (im Original Genitiv: „säkularen“). Ähnlich argumentieren auch Axel Schildt, Wohnungspolitik, in: Hans Günter Hockerts (Hg.), Drei Wege deutscher Sozialstaatlichkeit. NS-Diktatur, Bundesrepublik und DDR im Vergleich (Schriftenreihe der VfZ Bd. 76), München 1998(a), S. 151–189, hier S. 178 und Herfried Münkler, Die „Neue Heimat“, in: Georg M. Hafner/Edmund Jacoby (Hg.), Die Skandale der Republik, Hamburg 1990, S. 180–188, hier S. 188. 16 Zu dem neuen Konsens vgl. Harold James, Rambouillet, 15. November 1975. Die Globalisierung der Wirtschaft, München 1997, S. 237 ff.

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1. Einleitung

fähigkeit von Unternehmen, die sozial- und wirtschaftspolitische Ziele verfolgen, geprägt hat. Schon durch eine Reihe von Skandalen in den siebziger Jahren, vor allem aber mit ihrem Zusammenbruch trug die NH ganz wesentlich zur Verbreitung der Vorstellung bei, daß solche Betriebe in einer marktwirtschaftlichen Ordnung nichts zu suchen hätten und aufgrund ihrer mangelnden Effizienz auf die Dauer nicht überlebensfähig wären. Diese Annahmen haben ihre Gültigkeit in weiten Teilen der Öffentlichkeit bis heute behalten.18 Auch vor den Gewerkschaften selbst haben sie nicht Halt gemacht. So argumentierte etwa Bertin Eichler, Hauptkassierer der IG Metall und Aufsichtsratsvorsitzender der BGAG, in seinem Vorwort zu einer 2003 erschienenen Dokumentation über die Abwicklung der NH, die Gewerkschaften hätten aus dem Skandal gelernt, „daß Unternehmen keine Instrumente der Politik sein können.“19 Es ist das Ziel dieser Arbeit, diese Hypothese am Beispiel der NH zu überprüfen. Dafür bedarf sie allerdings zunächst der Differenzierung. Denn in einer solch generellen Form wird man ihr kaum zustimmen können. Paradoxerweise zeigt dies gerade der Fall der NH in aller Deutlichkeit. Schließlich ist die Unternehmensgruppe nicht alleine ein Paradebeispiel für das Scheitern eines Unternehmens mit gesellschaftspolitischem Anspruch, sondern sie war lange Zeit auch ein Paradebeispiel für die erfolgreiche Verwirklichung solcher Zielsetzungen. Insbesondere in den fünfziger Jahren erfreute sich die NH in einer breiten Öffentlichkeit großer Anerkennung.20 Und die lange Expansion, die sie zwischen 1950 und 1973 erlebte, stellte auch in betriebswirtschaftlicher Hinsicht eine beachtliche Erfolgsgeschichte dar. Erst seit Beginn der siebziger Jahre wurde der politische Anspruch der Unternehmensgruppe ernsthaft in Frage gestellt, und seit der „Ölkrise“ geriet sie auch wirtschaftlich in jene Schwierigkeiten, die schließlich zusammen mit dem Skandal der achtziger Jahre in ihre Zerschlagung mündeten. Angesichts eines solch differenzierten Befundes stellt sich die Frage, wie dieser zu erklären ist und welche Rückschlüsse sich aus ihm für die Frage des Verhältnisses von marktwirtschaftlicher Ordnung und unternehmerischen Reformbestrebungen ergeben. Von einer prinzipiellen Unvereinbarkeit kann offensichtlich nicht die Rede sein. Es spricht vielmehr einiges dafür, daß sich politische Ziele im Grundsatz „über Unternehmen genauso durchsetzen [lassen] wie technische Ideen oder Marketingstrategien“.21 Die entscheidende Frage lautet daher nicht, ob sich ein Unternehmen wie die NH als Instrument der Politik eignet, sondern unter welchen Bedingungen dies der Fall ist, und unter welchen Bedingungen eine solche 17 18

19 20 21

Rainer Weinert, Das Ende der Gemeinwirtschaft. Gewerkschaften und gemeinwirtschaftliche Unternehmen im Nachkriegsdeutschland, Frankfurt a. M./New York 1994, S. 42. Vgl. dazu am Beispiel der öffentlichen Unternehmen Jens Harms/Christoph Reichard, Ökonomisierung des öffentlichen Sektors – eine Einführung, in: dies. (Hg.), Die Ökonomisierung des öffentlichen Sektors: Instrumente und Trends (Schriftenreihe der Gesellschaft für öffentliche Wirtschaft Heft 50), Baden-Baden 2003, S. 13–26, hier S. 14 f. Bertin Eichler, Geleitwort, in: Kunz 2003, S. 9–11, hier S. 11. Vgl. Kap. 3.3 dieser Arbeit. Dieter Schneider, Gemeinwirtschaftliche Unternehmen, in: Hans Pohl (Hg.), Die Entwicklung von Unternehmensformen und –strukturen in Westdeutschland seit dem Zweiten Weltkrieg (Zeitschrift für Unternehmensgeschichte Beiheft 72), Stuttgart 1993, S. 123–141, hier S. 140.

1.2 Fragestellung

17

Zielsetzung nicht tragfähig erscheint. Ziel einer unternehmenshistorischen Arbeit über die NH, die die Frage nach den Möglichkeiten und Grenzen dieses Unternehmens als Instrument gesellschaftspolitischer Ambitionen in den Mittelpunkt der Betrachtung stellt, muß es also sein, die Umstände herauszuarbeiten, unter denen das Unternehmen als gesellschaftliches Reformprojekt funktionieren konnte, und die spezifischen Gegebenheiten zu erforschen, unter denen es mit diesem Anspruch versagte. Dabei gehe ich aus Gründen, die im folgenden Abschnitt noch genauer zu erläutern sind, davon aus, daß die politische Steuerungsleistung eines Unternehmens primär eine Frage der von diesem verfolgten Strategien und Maßnahmen ist. Sie läßt sich also unter dem Begriff der Unternehmensstrategie bzw. dem in dieser Arbeit synonym verwendeten Begriff der Unternehmenspolitik subsumieren.22 Die vorliegende Untersuchung erforscht deshalb, wie der gesellschaftspolitische Anspruch der NH im Unternehmen verarbeitet und unter den jeweils spezifischen historischen Rahmenbedingungen in die Praxis umgesetzt wurde. Welchen Raum nahmen politische Ziele im Unternehmen in Konkurrenz zu anderen, beispielsweise betriebsökonomischen Aspekten ein? Welche strategischen Zielsetzungen und materiellen Rahmenbedingungen waren dem Erfolg der NH zuträglich, und welche waren ihm abträglich? Inwiefern kann man davon sprechen, daß sich die Politik des Unternehmens fortschreitend an marktwirtschaftliche Bedingungen anpaßte und ihre Besonderheiten im Laufe der Zeit verlorengingen? Welche Rolle spielte die Tatsache, daß die NH in einem Markt operierte, der in hohem Maße politisch reguliert war? Warum gelang es der Unternehmensgruppe zunächst jahrelang erfolgreich, sich auf den dynamischen Wandel ökonomischer und politischer Rahmenbedingungen einzustellen, während sie in den siebziger Jahren vor dieser Aufgabe plötzlich völlig versagte? Hing der schlußendliche Kollaps der NH mit ihren gesellschaftspolitischen Zielsetzungen zusammen? Welche Rolle spielten dabei die Anteilseigner, also der DGB und seine Einzelgewerkschaften? Und schließlich: Inwiefern sind die am Beispiel der NH gewonnenen Erkenntnisse verallgemeinerbar, und halten sie neben den Antworten auf die unternehmensgeschichtlich ausgerichtete Fragestellung auch weitergehende Erkenntnisse für eine Gesellschaftsgeschichte der Bundesrepublik bereit? Die vorliegende Arbeit untersucht diese Fragen für den Zeitraum zwischen der Aufnahme einer geregelten Wohnungsbautätigkeit durch die Neue Heimat Hamburg (NHH) im Jahr 1950, die den Ausgangspunkt der Konzernbildung in den fünfziger Jahren darstellte, und der Ablösung des Vorstandes nach den Veröffentlichungen des SPIEGEL aus dem Jahr 1982. Die Vorgeschichte des gewerkschaftseigenen Wohnungsbaus in der Weimarer Republik und im Nationalsozialismus sowie die Abwicklung der Unternehmensgruppe in den Jahren 1982 bis 1998 werden dagegen nur knapp zusammengefaßt. Die zeitliche Eingrenzung ergibt sich sowohl aus forschungspraktischen Erwägungen als auch aus dem zentralen Stellenwert, der dem Aspekt der Unternehmensstrategie in dieser Arbeit beige22 Zum Begriff der Unternehmensstrategie und seiner Bedeutung im Rahmen der unternehmenshistorischen Forschung vgl. Toni Pierenkemper, Unternehmensgeschichte. Eine Einführung in ihre Methoden und Ergebnisse, Stuttgart 2000, S. 83 ff.

18

1. Einleitung

messen wird. Denn vor 1933, als die Wohnungsbaugesellschaften, die später die NH bildeten, noch in der Hand verschiedener lokaler Gewerkschaftsorganisationen lagen, konnte von einer einheitlichen Willensbildung bei diesen Unternehmen noch keine Rede sein. Das gleiche gilt für den Zeitraum zwischen 1945 und 1950, während die Gesellschaften in den Jahren des Nationalsozialismus den Gewerkschaften entrissen und damit in einen völlig anderen politischen Kontext einzuordnen waren. Nach 1982 blieb die NH zwar zunächst als Konzern erhalten, und die symbolische Loslösung von dem Anspruch, ein Träger gesellschaftspolitischer Reformbestrebungen zu sein, erfolgte erst mit dem Verkauf von 1986. Aber am Maßstab der Unternehmenspolitik gemessen, hat die NH diesen Anspruch de facto schon mit der Auswechslung des Vorstandes im Februar 1982 aufgegeben. Zu diesem Zeitpunkt war die erst später öffentlich gewordene wirtschaftliche Krise der Unternehmensgruppe bereits so weit fortgeschritten, daß die NH sie aus eigener Kraft nicht mehr überwinden konnte. Die folgenden Jahre waren deshalb nicht mehr durch nach außen gerichtete Zielsetzungen, sondern einzig durch nach innen gerichtete Sanierungsversuche gekennzeichnet.23 Diese Sanierungsversuche und das Ziel einer sozialverträglichen Abwicklung, das die Unternehmenspolitik ab Mitte der achtziger Jahre dominierte, wird man – so erfolgreich es auch verwirklicht worden sein mag – kaum mit dem gesellschaftspolitischen Anspruch der Jahre vor 1982 vergleichen können. Insofern erscheint es sinnvoll, diesen Zeitraum in einer Arbeit, die vor allem nach diesem gesellschaftspolitischen Anspruch fragt, ebenfalls außen vor zu lassen.

1.3 THEORIE UND METHODE Zur Klärung der für die skizzierte Fragestellung erforderlichen Vorgehensweise sind zunächst einige theoretische Vorbemerkungen nötig, die aufgrund der besonderen Eigenheiten des Untersuchungsgegenstandes etwas ausführlicher ausfallen müssen, als dies sonst üblich ist. Denn die Unternehmensgeschichtsschreibung hat zwar in den vergangenen Jahren einen beispiellosen Boom erlebt; dem Phänomen von nicht-gewinnorientierten Unternehmen hat sie sich aber noch kaum systematisch zugewendet.24 23 Vgl. Kap. 6.4 dieser Arbeit. 24 Einleitende Überblicke zur Unternehmensgeschichtsschreibung sind Werner Plumpe, Unternehmen, in: Gerold Ambrosius/Dietmar Petzina/Werner Plumpe (Hg.), Moderne Wirtschaftsgeschichte. Eine Einführung für Historiker und Ökonomen, München 22006, S. 61–94; Pierenkemper 2000; sowie Hartmut Berghoff, Moderne Unternehmensgeschichte. Eine themen- und theorieorientierte Einführung, Paderborn 2004. Den Beginn einer systematischen Auseinandersetzung der Unternehmensgeschichtsschreibung mit nicht-gewinnorientierten Unternehmen markiert: Jan-Otmar Hesse/Tim Schanetzky/Jens Scholten (Hg.), Das Unternehmen als gesellschaftliches Reformprojekt. Strukturen und Entwicklungen von Unternehmen der „moralischen Ökonomie“ nach 1945 (Bochumer Schriften zur Unternehmens- und Industriegeschichte Bd. 12), Essen 2004. Aus der älteren Literatur wäre an dieser Stelle zudem zu nennen: Hans Pohl (Hg.), Gemeinwirtschaftliche Unternehmen. Gestern – heute – morgen (Zeitschrift für

1.3 Theorie und Methode

19

Die theoretische Literatur zu diesem Themenfeld wird vielmehr noch immer von der unternehmensmorphologisch orientierten Gemeinwirtschaftstheorie beherrscht. Diese bildete seit den sechziger Jahren einen eigenen Theoriezweig innerhalb der Wirtschaftswissenschaften, der sich insbesondere mit öffentlichen, aber auch mit nicht-gewinnorientierten Unternehmen in freier – also etwa gewerkschaftlicher oder kirchlicher – Trägerschaft befaßte.25 In seinem analytischen Potential konnte er allerdings nie auch nur annähernd der tatsächlichen Bedeutung der von ihm erfaßten Wirtschaftsform gerecht werden. Das hing damit zusammen, daß die Entstehung der gemeinwirtschaftlichen Theorie eng mit dem Aufstieg der gewerkschaftseigenen Unternehmen verbunden war und sie daher in hohem Maße apologetischen Charakter trug.26 Insofern ist sie im Rahmen der vorliegenden Arbeit eher dem Untersuchungsgegenstand als dem Untersuchungskonzept zuzurechnen. Hinzu kam noch, daß das Erkenntnisinteresse der Gemeinwirtschaftstheorie in erster Linie darin lag, die Funktionen gemeinwirtschaftlicher Unternehmen normativ zu bestimmen und Kriterien zu entwickeln, anhand derer Unternehmen als gemeinwirtschaftlich identifiziert werden konnten.27 Dabei ging sie in erster Linie von den Zielsetzungen dieser Unternehmen aus. Gemeinwirtschaftliche Unternehmen waren in ihrer Perspektive dadurch gekennzeichnet, daß ihre Ziele unmittelbar auf das „Wohl einer übergeordneten Gesamtheit“,28 also das Gemeinwohl gerichtet waren. Auf dieser Basis zielte die Gemeinwirtschaftstheorie hauptsächlich darauf ab, solche Unternehmen nach verschiedenen Typen zu ordnen und ihre unterschiedlichen Funktionen theoretisch zu beschreiben.29

Unternehmensgeschichte Beiheft Nr. 54), Wiesbaden 1988. 25 Grundlegend hierfür sind: Gerhard Weisser, Die Lehre von den gemeinwirtschaftlichen Unternehmen, Archiv für öffentliche und freigemeinwirtschaftliche Unternehmen 1.1954, S. 3–33; Walter Hesselbach, Die gemeinwirtschaftlichen Unternehmen. Der Beitrag der Gewerkschaften zu einer verbraucherorientierten Wirtschaftspolitik (Sammlung „res novae“. Veröffentlichungen zu Politik, Wirtschaft, Soziologie und Geschichte Bd. 48), Frankfurt a. M. 1966 sowie Theo Thiemeyer, Gemeinwirtschaftlichkeit als Ordnungsprinzip. Grundlegung einer Theorie gemeinnütziger Unternehmen (Volkswirtschaftliche Schriften Heft 146), Berlin 1970. Einen zusammenfassenden Überblick über die Entwicklung der gemeinwirtschaftlichen Theorie bieten Achim v. Loesch, Die gemeinwirtschaftliche Unternehmung. Vom antikapitalistischen Ordnungsprinzip zum marktwirtschaftlichen Regulativ, Köln 1977 sowie Rainer Ebels/Josef Maaßen, Gemeinwirtschaft – Kritik an der Lehre von den gemeinwirtschaftlichen Institutionen im Rahmen einer systematisierten Darstellung und kritischen Würdigung der historischen Gemeinwirtschaftskonzeption, Diss. rer. pol. Trier 1987. 26 Vgl. dazu Kap. 4.3 dieser Arbeit; Wilhelm Kaltenborn, Wie die Theorie der Gemeinwirtschaft auf die Praxis kam – und was sie vorfand, GMH 38.1987, S. 186–190, hier S. 186 f. sowie die eingehende Kritik von Schneider 1993, passim. 27 So die zahlreichen Arbeiten von Engelhardt, vgl. diese knapp zusammenfassend: Werner W. Engelhardt, Gemeinwirtschaftliche Unternehmungen, in: Waldemar Wittmann u. a. (Hg.), Handwörterbuch der Betriebswirtschaft, Stuttgart 51993, Sp. 1388–1395, hier v. a. Sp. 1391 ff. 28 Weisser 1954, S. 9. 29 Vgl. z. B. Werner W. Engelhardt, Gemeinwirtschaftliche Genossenschaften – ein möglicher Widmungstyp von Genossenschaften unter sechsen, Zeitschrift für öffentliche und gemeinwirtschaftliche Unternehmen 6.1983, S. 30–47 sowie die weiteren bei Engelhardt 1993, Sp. 1394 f. angeführten Veröffentlichungen des selben Autors.

20

1. Einleitung

Der Erkenntniswert dieser typologischen Einordnungen – ein Kritiker sprach auch von „scholastische[n] Wesensbestimmungen“30 – war allerdings gering. Zum einen war die Bestimmung gemeinwirtschaftlicher Unternehmen über das Gemeinwohl schon deshalb höchst problematisch, weil es hierfür keine allgemeinverbindlichen Maßstäbe gab, die Festsetzung eines Gemeinwohls vielmehr bereits politische Werturteile beinhaltete.31 Zum anderen gerieten aufgrund der alleinigen Analyse der Zielsetzung die realen Strukturen solcher Unternehmen völlig aus dem Blick. Dies störte die Vertreter der Gemeinwirtschaftstheorie allerdings nicht. Sie gingen ohnehin davon aus, daß die Unternehmenspolitik gemeinwirtschaftlicher Unternehmen „metaökonomischen Axiomen und Kriterien [unterliegt], die essentiell von gewohnten kaufmännischen Denkweisen und Maßstäben abweichen“32 und deshalb auch mit diesen Maßstäben nicht zu beschreiben ist. Die Frage nach der konkreten Funktionsweise solcher Unternehmen trat für sie deshalb hinter normativen und präskriptiven Überlegungen zurück. Dieser ahistorische Charakter der Gemeinwirtschaftstheorie entpuppte sich in den siebziger und achtziger Jahren in zunehmendem Maße als problematisch. Denn auf die Dauer war nicht zu übersehen, daß gemeinwirtschaftliche Unternehmen historischen Wandlungen unterlagen – und zwar sowohl im Positiven als auch im Negativen: Während sich manche von ihnen neue Aufgabenfelder erschlossen, häuften sich andererseits auch die Fälle, in denen solche Unternehmen eine Politik betrieben, die mit ihren Zielsetzungen in eklatantem Widerspruch stand. Vor die Herausforderung gestellt, diese Phänomene zu erklären, führte die morphologische Orientierung der Gemeinwirtschaftstheorie in eine Sackgasse. Zwar gab es in den achtziger Jahren Ansätze einer Debatte über den „Aufgabenwandel“ gemeinwirtschaftlicher Unternehmen, aber die Beiträge zu dieser Debatte kamen allesamt nicht über eine reine Beschreibung der sich wandelnden Geschäftspolitik dieser Unternehmen hinaus.33 Im Zusammenhang mit dem Skandal um die NH war dieses Defizit besonders deutlich zu erkennen: Die aus dem Kontext der Gemeinwirtschaftstheorie hervorgegangenen Analysen dieses Vorgangs gingen allesamt von einer normativen Konzeption der Rolle gemeinwirtschaftlicher Unternehmen aus und lieferten im wesentlichen eine Aufzählung der Punkte, an denen die NH von dieser Konzeption abwich.34 Eine stichhaltige Begründung 30 Manfred Fuhrich u. a., Neue Heimat. Gewerkschaften und Wohnungspolitik, Hamburg 1983, S. 145. 31 Vgl. Loesch 1977, S. 24 sowie Schneider 1993, S. 127. 32 Peter Eichhorn, Begriff, Bedeutung und Besonderheit der öffentlichen Wirtschaft und Gemeinwirtschaft, in: Helmut Brede/Achim v. Loesch (Hg.), Die Unternehmen der öffentlichen Wirtschaft in der Bundesrepublik Deutschland. Ein Handbuch, Baden-Baden 1986, S. 13–30, hier S. 26 (Hervorhebung im Original). 33 Vgl. mit Bezug auf die gewerkschaftlichen Unternehmen Achim v. Loesch, Aufgabenwandel bei Gewerkschaftsunternehmen, in: Peter Eichhorn/Paul Münch (Hg.), Aufgaben öffentlicher und gemeinwirtschaftlicher Unternehmen im Wandel (Schriftenreihe der Gesellschaft für Öffentliche Wirtschaft und Gemeinwirtschaft H. 24), Baden-Baden 1983, S. 293–314 sowie zu anderen Arten von gemeinwirtschaftlichen Unternehmen die weiteren Beiträge in diesem Band. 34 So z. B. Marcus Richter, Entstehungs-, Entwicklungs- und Wandlungsprobleme im Bereich des gemeinwirtschaftlichen Unternehmens „Neue Heimat gemeinnützige Wohnungs- und Siedlungs-

1.3 Theorie und Methode

21

für diese Abweichungen boten sie dagegen nicht, weil sich die konkrete Funktionsweise der betroffenen Unternehmen ihrem methodischen Zugriff entzog. Allenfalls führten sie individualpsychologische Erklärungen an: Richter etwa begründete die „Transformation“ der NH mit der „ökonomistischen“, also einseitig auf ökonomische Ziele gerichteten Grundhaltung des Vorstandsvorsitzenden Albert Vietor.35 Abgesehen davon, daß dieser Vorwurf unzureichend belegt war, machte dieses Argument nur noch deutlicher, daß im Rahmen der gemeinwirtschaftlichen Theorie die Komplexität der betriebswirtschaftlichen und sozialen Abläufe innerhalb eines modernen Großunternehmens überhaupt nicht als Problem wahrgenommen wurde. Abseits der Gemeinwirtschaftstheorie waren es allerdings seit Anfang der achtziger Jahre genau diese Abläufe, die verstärkt in den Mittelpunkt des Interesses unternehmenstheoretischer Debatten rückten. Nach und nach ergab sich daraus auch eine neue Perspektive auf gemeinwirtschaftliche Unternehmen. Die These von ihrer prinzipiell andersartigen Funktionsweise und mit ihr die Grundlage der morphologischen Einordnung wurde zusehends in Zweifel gezogen. Statt dessen fand nun ihre empirisch feststellbare Heterogenität vermehrte Beachtung. „Öffentliche und gemeinwirtschaftliche Unternehmen“, so faßte Peter Eichhorn diese neue Perspektive 1986 zusammen, „erweisen sich als derart zahlreich und vielfältig, daß es [hinsichtlich ihrer Funktionsweise] keine für alle geltenden Gemeinsamkeiten gibt, die sie von anderen Unternehmen unterscheiden.“36 Die Ursache für diese Vielfalt sah die Forschung darin, daß Entstehung und Entwicklung gemeinwirtschaftlicher Produktionsmittel „jeweils in eine besondere historisch-politische Situation eingebettet sind.“37 Auf die Frage nach der politischen Steuerungsleistung solcher Unternehmen bezogen, bedeutete dies, daß diese ebenfalls nur unter Berücksichtigung ihres spezifischen historischen Kontextes beantwortet werden konnte. Der politische Anspruch solcher Unternehmen ließ sich unter diesen Prämissen nicht mehr an einer einmal proklamierten Zielsetzung, sondern nur an den konkret durch ein Unternehmen verfolgten Strategien und Maßnahmen, also an der Unternehmenspolitik messen. Es kann deshalb nicht verwundern, daß viele der Ansätze aus den achtziger Jahren, die sich mit öffentlichen oder gemeinwirtschaftlichen Unternehmen beschäftigen, zumindest implizit auf die Notwendigkeit detaillierter historischer Fallstudien verweisen, um so zu Erkenntnissen über die Funktionsbedingungen dieser Unternehmen gelangen zu kön-

gesellschaft”, Diss. rer. pol. Köln 1992 und der allerdings in einigen Punkten bereits über diese Methode hinausweisende Aufsatz von Diether Hoffmann, Der Fall „Neue Heimat“. Eine unternehmenstheoretische Betrachtung, Zeitschrift für öffentliche und gemeinwirtschaftliche Unternehmen 10.1987, S. 341–360. 35 Vgl. Richter 1992, S. 184. Belegt wird die „ökonomistische“ Grundhaltung Vietors hier mit der Anhäufung von Aufsichtsratsmandaten. Diese lag allerdings im System der Unternehmensorganisation begründet und stellte zeitweise eine durchaus rationale Organisationsstrategie dar. Materielle Vorteile brachte sie dem Inhaber nicht, da mit der Bekleidung dieser Mandate keine Tantiemen verbunden waren. Vgl. dazu Kap. 4.1.2.1 dieser Arbeit. 36 Eichhorn 1986, S. 26. 37 Ambrosius 1984, S. 164.

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1. Einleitung

nen.38 Die Konsequenz, solche Studien einzelner gemeinwirtschaftlicher Unternehmen zu erarbeiten, ist jedoch bisher nur in Einzelfällen gezogen worden. Am ehesten kann dies noch für die kommunalen Unternehmen gelten.39 Für die in freier Trägerschaft befindlichen gemeinwirtschaftlich orientierten Unternehmen und insbesondere für die Unternehmen der Gewerkschaften stehen sie aber noch aus. Der Mangel an historisch fundierter Analyse in diesem Bereich steht damit in unübersehbarem Gegensatz zu der schon lange anerkannten Notwendigkeit einer differenzierten Perspektive auf den langfristigen Wandel der Zielsetzungen und Strategien solcher Unternehmen. Dabei sind die methodischen Konzepte, die für eine solche historisch angelegte Einzelanalyse erforderlich sind und mit deren Hilfe diese in einen übergeordneten theoretischen Zusammenhang eingeordnet werden kann, durchaus vorhanden. Schließlich hat die Unternehmensgeschichtsschreibung im Rahmen ihrer grundlegenden Erneuerung in den vergangenen Jahren eine ganze Reihe von theoretischen Anstößen nutzbar gemacht, die einen guten Ausgangspunkt auch für ein solches Vorhaben bilden. An erster Stelle ist hier die Neue Institutionenökonomie zu nennen, die sich darum bemüht, das neoklassische Paradigma einer Welt von friktionslos funktionierenden Märkten durch die systematische Einbeziehung von Institutionen zu modifizieren. „Worum es den Vertretern der ökonomischen Analyse von Institutionen letzten Endes geht, ist die Suche danach, wie eine Institution beschaffen sein muß, um das soziale Verhalten der Menschen wirtschaftlich optimal auf ein Ziel hinzusteuern.“40 Dies bezieht sich einerseits auf gesamtwirtschaftliche Zusammenhänge, es bezieht sich andererseits aber auch auf die Frage nach der ökonomischen Funktion und der Funktionsweise von Unternehmen, die im neoklassischen Paradigma nur unzureichend erklärt ist. Für die hiermit verbundenen Fragestellungen hat der Teilbereich der Neuen Institutionenökonomie, der als Transaktionskostentheorie bekannt geworden ist, besondere Bedeutung erlangt.41 Den Ausgangspunkt dieser Theorie bildet die Beobachtung, daß nicht nur bei der Erstellung, sondern auch bei der Abwicklung und Organisation des Austausches von Gütern Kosten entstehen. Diese sogenannten Transaktionskosten – „the costs of running the system“ – beinhalten beispielsweise die Kosten der Bereitstellung, Nutzung, Aufrechterhaltung und Umorganisation von Institutionen.42 Die Transaktionskostentheorie versucht 38 Vgl. z. B. Peter Eichhorn/Werner Noll, Öffentliche Aufgaben im Wandel, in: Eichhorn/ Münch 1983, S. 39–52, hier S. 39. 39 Vgl. dazu die Fallstudien in dem Sammelband von Matthias Frese/Burkhardt Zeppenfeld (Hg.), Kommunen und Unternehmen im 20. Jahrhundert. Wechselwirkungen zwischen öffentlicher und privater Wirtschaft (Bochumer Schriften zur Unternehmens- und Industriegeschichte Bd. 7), Essen 2000. 40 Rudolf Richter, Institutionen ökonomisch analysiert. Zur jüngeren Entwicklung auf einem Gebiet der Wirtschaftstheorie, Tübingen 1994, S. 3. 41 Vgl. im Hinblick auf die Unternehmensgeschichte zusammenfassend Hartmut Berghoff, Transaktionskosten: Generalschlüssel zum Verständnis langfristiger Unternehmensentwicklung? Zum Verhältnis von Neuer Institutionenökonomie und moderner Unternehmensgeschichte, Jahrbuch für Wirtschaftsgeschichte 1999/2, S. 159–176 sowie ders. 2004, S. 42 ff. 42 Vgl. Richter 1994, S. 5.

1.3 Theorie und Methode

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nun, allgemeine Bedingungen zu formulieren, unter denen spezifische Transaktionen so effizient, d. h. ressourcenschonend wie möglich ausgeführt werden können. Von zentraler Bedeutung ist dabei die Annahme, daß die Höhe der Transaktionskosten in einem Unternehmen systematisch mit zwei Variablen variiert: erstens mit den Charakteristika der Transaktion, die weitgehend durch die Marktbedingungen vorherbestimmt sind; und zweitens mit den Charakteristika des institutionellen Arrangements, das im wesentlichen als ein Netzwerk von Vertragsbeziehungen unterschiedlicher Ausprägung verstanden wird. „Die zentrale These der Transaktionskostentheorie besagt nun, daß eine gegebene Transaktion unter den genannten Verhaltensannahmen um so effizienter organisiert und abgewickelt werden kann, je besser die Charakteristika des institutionellen Arrangements den sich aus den Charakteristika der abzuwickelnden Transaktion ergebenden Anforderungen entsprechen.“43 In der Unternehmensgeschichte ist dieser Ansatz aus gutem Grund weithin rezipiert worden. Denn während das neoklassische Paradigma das Unternehmen als eine gewinnmaximierende black box behandelte, rückte im Licht der Transaktionskostentheorie die Tatsache in den Vordergrund, daß unterschiedliche institutionelle Arrangements innerhalb von Unternehmen unterschiedliche Ergebnisse zeitigen und damit für Erfolg und Mißerfolg von zentraler Bedeutung sein würden. Damit gewann die Frage der Organisation sozialer Prozesse und des tatsächlichen Handelns im Unternehmen an theoretischem Gewicht – eine Entwicklung, die unmittelbar auf die Unternehmensgeschichte als Fundus „einer empirisch gesättigten Analyse von Führungs- und Organisationsstrukturen in Unternehmen“44 zulief. Einer Anwendung der Transaktionskostentheorie auf die historische Analyse gemeinwirtschaftlicher Unternehmen steht allerdings ihre scheinbare Konzentration auf privatwirtschaftliche Verhältnisse entgegen. Schließlich suggeriert die Frage nach der „Effizienz“ eines institutionellen Arrangements eine Orientierung am Ideal der Gewinnmaximierung und widerspricht so auf den ersten Blick dem „Geist“ der gemeinwirtschaftlichen Unternehmen, die sich ja gerade dadurch auszeichnen, nicht bzw. nicht primär in diesem Sinne effizient zu sein.45 Das ist jedoch eine recht oberflächliche Betrachtungsweise. Zwar ist es richtig, daß öffentliche, gemeinwirtschaftliche oder genossenschaftliche Unternehmensformen in den theoretischen Debatten über Transaktionskosten kaum vorkommen. Aber prinzipiell beansprucht dieser Ansatz für sich, ein Bild von der Funktionsweise von Unternehmen entworfen zu haben, das auch für solche Grenzfälle gilt. Gerold Ambrosius hat deshalb zurecht darauf hingewiesen, daß sich die

43 Mark Ebers/Wilfried Gotsch, Institutionenökonomische Theorien der Organisation, in: Alfred Kieser (Hg.), Organisationstheorien, Stuttgart/Berlin/Köln 31999, S. 199–251, hier S. 235. 44 Pierenkemper 2000, S. 256. 45 In diesem Sinne argumentieren Werner W. Engelhardt, Der Beitrag des Theorie des institutionellen Wandels von D.C. North zu Theorien der öffentlichen Unternehmen und Genossenschaften, in: Peter Friedrich (Hg.), Beiträge zur Theorie öffentlicher Unternehmen: in memoriam Theo Thiemeyer (Zeitschrift für öffentliche und gemeinwirtschaftliche Unternehmen Beiheft 14), Baden-Baden 1992, S. 83–97, sowie Werner Noll, Die Relevanz der PropertyRights-Theorie für eine Theorie öffentlicher Unternehmen, in: ebd., S. 45–55, hier S. 53.

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1. Einleitung

Transaktionskostentheorie durchaus auch auf diese anwenden läßt.46 Er hat mit diesem Ansatz die Entstehungsbedingungen kommunaler Wirtschaftsunternehmen untersucht und ist zu dem Schluß gekommen, daß öffentliche Unternehmen gegenüber privaten, aber öffentlich kontrollierten Unternehmen die vergleichsweise „kostengünstigere“ Variante darstellten. Von zentraler Bedeutung für diesen Befund war die Berücksichtigung der Besonderheiten in der Zielfunktion dieser Unternehmen. „Effizienz heißt bei öffentlichen Unternehmen“ – und analog auch bei gemeinwirtschaftlichen Unternehmen in privater, d. h. im vorliegenden Falle gewerkschaftlicher Trägerschaft – „eben nicht nur allokative Effizienz, sondern Effizienz im Hinblick auf die Erreichung von Zielen, die sich nicht auf die einzelwirtschaftliche Produktivität oder Rentabilität beschränken, sondern gemeinwirtschaftliche Ziele (...) miteinschließen.“47 Unter Einbeziehung dieses Aspektes läßt sich sehr wohl im Sinne der Transaktionskostentheorie danach fragen, ob ein gegebenes institutionelles Arrangement unter einer gegebenen Zielsetzung eine effiziente Lösung darstellt. Dabei gilt es allerdings zu beachten, daß gemeinwirtschaftliche Unternehmen, wie das in Ambrosius‘ Schlußfolgerung deutlich wird, in der Regel mehrere, potentiell miteinander in Konflikt stehende Ziele verfolgen. Im Gegensatz zu anderen Unternehmen gilt dies bei ihnen nicht nur auf der operativen und der strategischen, sondern auch auf der normativen Ebene. Anders formuliert: Während die übergeordneten, handlungsstrukturierenden Ideale gewinnorientierter Unternehmen zumindest für heuristische Zwecke auf ein einziges Grundsatzmotiv zurückgeführt werden können, kommen bei nicht-gewinnorientierten Unternehmen mehrere solcher Grundsatzmotive und damit auch mehrere Maßstäbe von „Effizienz“ zusammen.48 In der Sprache der Transaktionskostentheorie ausgedrückt, besteht die besondere Schwierigkeit hierbei darin, daß bei der Umsetzung der aus diesen Motiven hervorgehenden Ziele potentiell unterschiedliche Transaktionscharakteristika auftreten und deshalb potentiell unterschiedliche institutionelle Arrangements erforderlich wären. Da ein Unternehmen aber per definitionem immer nur ein institutionelles Arrangement haben kann, entstehen durch die unterschiedlichen Anforderungen, die sich aus den verschiedenartigen Zielen ergeben, zusätzliche Transaktionskosten. Theoretisch gesprochen, ist für den Erfolg gemeinwirtschaftlicher Unternehmen deshalb die Frage entscheidend, ob es ihnen gelingt, ein institutionelles Arrangement zu finden, das den Anforderungen verschiedener übergeordneter Ziele gleichzeitig entspricht bzw. die aus diesen verschiedenen Anforderungen entstehenden Transaktionskosten niedrig genug hält, um sowohl die Beibehaltung der politischen Zielsetzungen als auch den ökonomischen Fortbestand zu sichern.

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Vgl. Gerold Ambrosius, Neue Institutionenökonomik und Kommunalisierung in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts. Ein wirtschaftshistorisches Fallbeispiel zur Illustration einiger theoretischer Argumente, Jahrbuch für Wirtschaftsgeschichte 1999/1, S. 35–53, hier S. 36. 47 Ebd., S. 40. 48 Durch diese Erweiterung ist m. E. auch die von Berghoff 2004, S. 51, geäußerte Kritik an dem „effizienzorientierten Reduktionismus“ der Transaktionskostentheorie hinfällig. Zur heuristischen Funktion der Gewinnorientierung als Grundsatzmotiv unternehmerischen Handelns und ihren Grenzen vgl. Pierenkemper 2000, S. 83.

1.3 Theorie und Methode

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Eine Untersuchung der Bedingungen, unter denen Unternehmen politische Ziele verfolgen können, muß also vor allem diese Frage in den Mittelpunkt stellen. Dafür ist es zunächst erforderlich, die jeweils relevanten Bestandteile der Zielfunktion zu identifizieren. Sie sind von Unternehmen zu Unternehmen verschieden und daher nicht theoretisch, sondern nur empirisch zu fassen.49 Im Falle der NH liegt es dabei durchaus nahe, die Aufmerksamkeit zunächst auf die Frage nach ihrer ökonomischen Effizienz zu richten. Das steht nur scheinbar im Widerspruch zu der Frage nach der „gemeinwirtschaftlichen Effizienz“. Denn zweifelsohne war diese Untersuchungsdimension für die NH von zentraler Bedeutung. Trotz ihrer nicht-gewinnorientierten Zielsetzung war die Unternehmensgruppe in erster Linie ein Wirtschaftsunternehmen. Den Gewerkschaften ging es nach 1945 ausschließlich um eine gezielte Einwirkung auf den Markt und nicht, wie das fälschlicherweise immer wieder vermutet worden ist, um die Etablierung einer alternativen Produktionskultur. Das ist schon daran erkennbar, daß die Unternehmen des späteren NH-Konzerns bereits in den zwanziger Jahren überwiegend und seit Ende des Zweiten Weltkrieges ausschließlich als Kapitalgesellschaften und nicht als Genossenschaften organisiert waren.50 Die NH war auch – im Gegensatz zu einigen öffentlichen Unternehmen – kein Zuschußbetrieb. Das bedeutete, daß die wirtschaftliche Tragfähigkeit der Unternehmensgruppe den Ausgangspunkt ihrer Tätigkeit bilden mußte.51 Im Sinne eines institutionenökonomischen Ansatzes wäre daher zunächst danach zu fragen, wie das wirtschaftliche Überleben der NH gesichert wurde bzw. warum dies ab Mitte der siebziger Jahre nicht mehr möglich war. Dabei legt der theoretische Ansatz es nahe, sich nicht auf eine historische Betriebsanalyse zu beschränken, sondern statt dessen die Perspektive auf das Innenleben des Unternehmens zu erweitern. Schließlich ist „die Geschichte eines Wohnungsunternehmens (...) nicht das Ergebnis eines zielgerichteten unternehmerischen Handelns, sondern eines Aushandlungs- und Kommunikationsprozesses zwischen einzelnen Stellen und Ebenen innerhalb des Unternehmens. (...) Es ist [deshalb] zu fragen, wie die Entscheidungswege verliefen, in welcher Weise sich derartige Entscheidungswege im Zeitverlauf veränderten, welche Organisationsformen unter bestimmten historischen Bedingungen gewählt wurden und welche Akteure in die Entscheidungsprozesse eingebunden wurden.“52 Die erste Untersuchungsdimension der vorliegenden Arbeit erforscht also, ob das institutionelle Arrangement der NH wirtschaftlich tragfähig war bzw. welche Bemühungen unter49 Vgl. Paul Milgrom/John Roberts, Economics, Organization and Management, Englewood Cliffs 1992, S. 41. 50 Vgl. dazu ausführlich Kap. 2.2 und 2.3 dieser Arbeit. 51 Für eine Typisierung gemeinwirtschaftlicher Unternehmen mit Bezug auf die Rolle der Wirtschaftlichkeit und eine Einordnung der gewerkschaftlichen Unternehmen in diesen Rahmen vgl. Peter Eichhorn, Gemeinwirtschaftliche Unternehmen von 1945 bis heute, in: Pohl 1988, S. 21–37, hier S. 23 f. 52 Werner Plumpe/Jan-Otmar Hesse, Plädoyer für eine Unternehmensgeschichte der Wohnungswirtschaft. Nutzen und Konturen eines historiographischen Forschungskonzepts, in: Volker Eichener/Horst van Emmerich/Dietmar Petzina (Hg.), Die unternehmerische Wohnungswirtschaft: Emanzipation einer Branche. Der Strukturwandel der deutschen Wohnungswirtschaft seit dem ausgehenden 19. Jahrhundert, Frankfurt a. M. 2000, S. 9–19, hier S. 12.

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1. Einleitung

nommen wurden, diese wirtschaftliche Tragfähigkeit herzustellen; und der Weg zur Beantwortung dieser Frage führt über eine detaillierte empirische Analyse von Organisationsstrukturen, betriebswirtschaftlichen Erfordernissen und Entscheidungsabläufen im Unternehmen. Diese Herangehensweise verweist implizit bereits auf eine zweite Untersuchungsdimension. Denn der institutionelle Wandel der NH dürfte ohne Berücksichtigung der wirtschaftlichen Rahmenbedingungen, die im folgenden im Anschluß an Hesse und Plumpe unter dem Begriff der „Marktstruktur“ zusammengefaßt werden, kaum zu erklären sein.53 Dabei ist der Begriff der „Marktstruktur“ durchaus weit zu fassen. Er beinhaltet zum einen Marktkräfte, also etwa die Entwicklung eines Wirtschaftszweiges insgesamt, die Intensität des Wettbewerbes und die Struktur der Nachfrage. Zum zweiten umfaßt er aber auch politische Entscheidungen, die sich auf diese Marktkräfte auswirken. Im Falle eines hochregulierten Marktes wie der Wohnungswirtschaft sind solche Interventionen von besonderer Bedeutung. Deutlich sichtbar ist dies etwa am bereits erwähnten Wohnungsgemeinnützigkeitsgesetz, das dem Gesetzgeber eine direkte Einflußnahme auf die Unternehmensstruktur ermöglichte; es gilt aber beispielsweise auch für die Wohnungszwangswirtschaft und die Subventionierung des öffentlich geförderten Wohnungsbaus. Wohnungsunternehmen sind damit, wie alle Unternehmen, die in hochregulierten Märkten operieren, einer doppelten Beeinflussung ausgesetzt: der Beeinflussung durch den Markt und der Beeinflussung durch politische Entscheidungen, die diesen Markt tangieren.54 Seinen besonderen Stellenwert als eigenständiges Handlungsfeld, das die Zielfunktion der NH maßgeblich mitprägte, und damit als eigene Dimension des Untersuchungsgegenstandes gewinnt die Frage des Verhältnisses von Unternehmen und Marktstruktur aber erst dadurch, daß es sich hierbei keineswegs um eine „Einbahnstraße“ handelt. Tatsächlich sind Unternehmen nicht hilflose Opfer anonymer Marktkräfte oder politischer Entscheidungen, sondern sie nehmen selbst maßgeblichen Einfluß auf diese. Mit ihren Produkten und mit ihren Absatzstrategien verändern sie aktiv alle jene Bereiche, die unter dem Begriff der Marktstruktur zu subsumieren sind.55 Dieser Aspekt verdient im vorliegenden Falle besondere Aufmerksamkeit. Schließlich geht mit den gemeinwirtschaftlichen Ansprüchen eines Unternehmens ja einher, daß nicht die Ausnutzung von Marktchancen, sondern gerade die Veränderung der Marktstruktur das Ziel der Unternehmenspolitik ist. Es genügt deshalb nicht, nur die Einbindung des Unternehmens in eine bestimmte Marktstruktur und seine Reaktion auf deren Veränderungen zu untersuchen. Statt dessen sind auch seine aktiv gestaltende Rolle als „gesellschaftliche Modernisierungsagentur“56 und die Auswirkungen seiner Produkt- und Absatzstrategien zu berücksichtigen (institutionenökonomisch gesprochen, steht in dieser Perspektive 53 Vgl. ebd., S. 14. 54 Vgl. Richard H. K. Vietor, Contrived Competition. Regulation and Deregulation in America, Cambridge (Mass.) 1994, S. 21. 55 Vgl. Berghoff 2004, S. 55. 56 Paul Erker, „A New Business History“? Neuere Ansätze und Entwicklungen in der Unternehmensgeschichte, AfS 42.2002, S. 557–604, hier S. 598 (im Original Dativ Plural: „gesellschaftlichen Modernisierungsagenturen“).

1.3 Theorie und Methode

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die Frage im Vordergrund, wie und mit welchen Ergebnissen die NH versuchte, die Charakteristika der vorzunehmenden Transaktionen zu verändern). Analog zu der bereits erwähnten weiten Fassung des Begriffes der „Marktstruktur“ wären in diesem Rahmen einerseits die Produktpolitik im engeren Sinne, andererseits aber auch die Versuche des Unternehmens, politische Entscheidungsprozesse zu beeinflussen oder architektonische Trends zu setzen, zu beleuchten. Nicht zuletzt ist damit auch die Frage gestellt, welche Spielräume für die Verfolgung eigenständiger Ziele einem einzelnen Großunternehmen und seinem Träger unter den Bedingungen eines hochregulierten, weitgehend von öffentlicher Förderung abhängigen Marktes überhaupt zuzubilligen waren, wie sich diese Spielräume im Zeitverlauf verändert haben und wie das Unternehmen sie genutzt hat.57 Die zweite Untersuchungsdimension der vorliegenden Arbeit beschäftigt sich daher mit der Interaktion der Unternehmensgruppe mit dem Markt; mit ihrer Absatz- und Produktpolitik, ihren Handlungsspielräumen und ihren Einflußnahmen auf Marktstruktur und politische Entscheidungen. Auch mit dieser Erweiterung ist der Unternehmensgeschichte der NH aber noch nicht genüge getan. Das ist daran zu erkennen, daß kaum ein Unternehmen in der Geschichte der Bundesrepublik so häufig und mit einer so großen Intensität Gegenstand politischer Debatten war wie dieser gewerkschaftseigene Großkonzern. Zu den Umweltbedingungen, an die er sich anpassen mußte, gehörten also nicht nur Märkte, sondern auch politische Ideen und Ordnungsvorstellungen. Dieser Aspekt ist nicht zu verwechseln mit der Frage der politischen Einflußnahme auf den Wohnungsmarkt. Er bildet einen eigenständigen Themenkomplex, weil er sich nicht auf Ziele richtet, „die sich direkt auf die Funktionsfähigkeit von Wirtschaftsprozessen (...) beziehen“.58 Vielmehr geht es hier um die Frage der politischen Legitimationsbasis eines solchen Unternehmens. Anders formuliert: Ein Unternehmen, das politische Ziele verfolgt, muß nicht nur am Markt, sondern auch im politischen Diskurs bestehen können, um auf Dauer überlebensfähig zu sein. Grundsätzlich gilt dies zwar auch für „normale“ Unternehmen. In diesem Sinne haben etwa Clemens Wischermann und Anne Nieberding „wirtschaftliche Verläufe und in ihnen angesiedeltes Handeln als Resultat spezifischer zeitgebundener Sinnentwürfe (....) [interpretiert], die ökonomische Entwicklungen entscheidend mitbestimmen“59 und, damit einhergehend, schwerpunktmäßig Fragen der Unternehmenskultur und der Unternehmenskommunikation untersucht.60 Dennoch 57 Diese Frage steht im Mittelpunkt von Tim Schanetzky, Unternehmerische Handlungsspielräume zwischen Wohnungsmarkt und Wohnungspolitik: Die Hattinger Wohnstättengenossenschaft zwischen 1945 und dem Ende der 70er Jahre, Magisterarbeit Bochum 1999 (masch.). 58 Utz Krüsselberg, Theorie der Unternehmung und Institutionenökonomik. Die Theorie der Unternehmung im Spannungsfeld zwischen neuer Institutionenökonomik, ordnungstheoretischem Institutionalismus und Marktprozeßtheorie, Heidelberg 1993, S. 26. 59 Clemens Wischermann, Vom Gedächtnis und den Institutionen. Plädoyer für den Einheit von Kultur und Wirtschaft, in: Eckart Schremmer (Hg.), Wirtschafts- und Sozialgeschichte. Gegenstand und Methode (VSWG Beiheft Nr. 145), Stuttgart 1998, S. 21–33, hier S. 27. 60 Vgl. z. B. Clemens Wischermann/Anne Nieberding/Britta Stücker (Hg.), Unternehmenskommunikation deutscher Mittel- und Großunternehmen. Theorie und Praxis in historischer Perspektive (Untersuchungen zur Wirtschafts-, Sozial- und Technikgeschichte Bd. 23), Münster

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1. Einleitung

ist der Stellenwert der Unternehmenskommunikation im Falle der NH ein anderer als bei den von ihnen untersuchten Betrieben. Denn bei diesen ist die Unternehmenskommunikation klar in die wirtschaftliche Funktion eingebunden.61 Dies war bei der NH anders. Die Frage der „Sinnstiftung“ ist in ihrem Falle der wirtschaftlichen Dimension insofern übergeordnet, als sie überhaupt erst eine Begründung für die Aktivitäten des Unternehmens liefern mußte. Zwar ist auch dies prinzipiell ein Problem, das alle Unternehmen betrifft. In der Regel hat es aber allenfalls theoretische Bedeutung, weil das normative Fundament eines gewinnorientierten Unternehmens, solange es sich auf dem Boden einer marktwirtschaftlichen Ordnung bewegt, vom ordnungspolitischen Rahmen her vorgegeben ist. Die NH hingegen mußte nicht nur konkrete Strategien, sondern auch die grundlegende Frage nach ihrer Existenzberechtigung politisch begründen. Das betraf zum einen die Außenkommunikation, bei der die Diskussionen über die Rolle eines gewerkschaftseigenen Unternehmens im Rahmen einer marktwirtschaftlichen Ordnung stets eine weitaus wichtigere Rolle spielten als die absatz- und produktbezogene Unternehmenskommunikation. Zum anderen betraf es aber auch die Binnenkommunikation sowie die Kommunikation mit den Anteilseignern. Sowohl unter den eigenen Mitarbeitern als auch gegenüber der Gewerkschaftsführung und den Gewerkschaftsmitgliedern erforderte die politische Funktion der NH eine Verständigung über die Legitimationsgrundlage des Unternehmens. Diese war keineswegs ein für alle mal gegeben, sondern mußte im Rahmen eines sich dynamisch entwickelnden Umfeldes immer wieder neu ausgehandelt werden. Die dritte Frage, die an eine Unternehmensgeschichte der NH zu stellen ist, lautet daher, wie das Unternehmen seine Existenz politisch begründete, ob, wie und unter welchen Umständen es mit dieser Begründung im gesellschaftlichen Diskurs bestehen konnte, wie es diese Begründung im Inneren durchsetzte und wie diese Legitimationsstrategie die Leistungsfähigkeit des Unternehmens beeinflußte. Eine Arbeit, deren erkenntnisleitendes Interesse in der Frage nach den Möglichkeiten und Grenzen der gesellschaftspolitischen Wirksamkeit von Wirtschaftsunternehmen liegt, muß also, zusammenfassend gesagt, einen multidimensionalen Ansatz verfolgen. Sie muß sowohl die betriebswirtschaftliche und organisatorische Entwicklung des Unternehmens, seine Produkt- und Absatzstrategien sowie nicht zuletzt seine Versuche zur Bewährung im politischen Diskurs untersuchen. Daß diese drei Bereiche nicht immer vollständig voneinander zu trennen sind, dürfte verständlich sein. Daß im Gegenteil ihre Interaktion von entscheidender Bedeutung für die vorliegende Fragestellung ist, gilt es noch einmal gesondert hervorzuheben. Denn die hauptsächliche unternehmerische Leistung, die die NH er2003 sowie Clemens Wischermann (Hg.), Unternehmenskommunikation im 19. und 20. Jahrhundert. Neue Wege der Unternehmensgeschichte (Untersuchungen zur Wirtschafts-, Sozialund Technikgeschichte Bd. 19), Dortmund 2000. 61 In diesem Sinne hat Hesse zurecht darauf hingewiesen, daß das Unternehmen nicht „Kultur statt Gewinnmaximierung ist oder Gesellschaft statt Gewinnmaximierung, (...) sondern daß das Unternehmen neben Gewinnmaximierung eben auch Kultur und auch Gesellschaft und auch Rechtssystem und auch Kommunikation usw. ist“, Jan-Otmar Hesse, Im Netz der Kommunikation. Die Reichs-Post- und Telegraphenverwaltung 1876–1914 (Schriftenreihe zur ZUG Bd. 8), München 2002, S. 33 f.

Theorie und MethodeRelevanz der Arbeit 1.4 Vorgehensweise1.3 und historiographische

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bringen mußte, bestand in der erfolgreichen Vermittlung zwischen den unterschiedlichen Anforderungen, die sich auf diesen verschiedenen Handlungsebenen ergaben. Aus historischer Perspektive erscheint es dabei selbstverständlich, daß diese Vermittlungsleistung keine einmalig zu leistende Angelegenheit war, sondern unter sich wandelnden Rahmenbedingungen stets aufs Neue erbracht werden mußte. Es kann also in der vorliegenden Arbeit nicht nur darum gehen, die „Effizienz“ eines bestimmten, aus den angeführten Elementen bestehenden institutionellen Arrangements zu überprüfen. Vielmehr gilt es zu untersuchen, wie diese „Effizienz“ in einem laufenden Anpassungsprozeß immer wieder neu hergestellt wurde bzw. welche Probleme bei dem Versuch auftraten, dies zu tun. Deshalb soll im folgenden besonderes Augenmerk auf die Frage gerichtet werden, welche „kontingenten Antworten auf [die] situative[n] Herausforderungen“62 veränderter wirtschaftlicher und politischer Rahmenbedingungen die Beteiligten gaben – wie und mit welchem Erfolg sie versuchten, die drei Aspekte der Unternehmenspolitik im Rahmen eines komplexen Aushandlungs- und Durchsetzungsprozesses parallel so zu entwickeln, daß die „gemeinwirtschaftliche Effizienz“ des Unternehmens als Ganzem gewahrt blieb, und unter welchen Bedingungen dies möglich bzw. nicht möglich war.

1.4 VORGEHENSWEISE UND HISTORIOGRAPHISCHE RELEVANZ DER ARBEIT Die vorliegende Arbeit untersucht diese Frage anhand der NH in einer langfristigen Perspektive. Im folgenden werden vier Etappen in der Geschichte der Unternehmensgruppe identifiziert, in denen das Problem der Koordination der genannten Strategieebenen in jeweils unterschiedlicher Form gelöst wurde. Diese vier Etappen bilden gleichzeitig die vier Hauptkapitel der Arbeit. Ihnen geht ein Abriß der langfristig wirksamen Rahmenbedingungen der Unternehmensgeschichte nach 1945 voraus, in dem die Ausgangslage auf dem Wohnungsmarkt, das für den Aufbau des Konzerns bedeutsame organisatorische Erbe aus der Zwischenkriegszeit und die Neuformierung des gewerkschaftlichen Wohnungsbaus unter den Bedingungen der Zusammenbruchsgesellschaft geschildert werden (Kapitel 2). Kapitel 3 behandelt den Zeitraum 1950 bis 1958, in dem die Konzernbildung der NH als eine angesichts der Marktsituation adäquate organisatorische Strategie zur Durchsetzung eines im breiteren Diskurs unumstrittenen politischen Zieles – des Massenwohnungsbaus – interpretiert wird. Kapitel 4 widmet sich den Jahren 1958 bis 1966, die eine Übergangsperiode darstellen. Einerseits stieß das politisch-organisatorische Modell der fünfziger Jahre in diesem Zeitraum angesichts des herannahenden Endes der Wiederaufbauphase an betriebswirtschaftliche Grenzen. Andererseits eröffnete die weiterhin fortbestehende Dynamik der sozioökonomischen Modernisierung Absatz- und Produktchancen, die zunächst in keinerlei Bezug zur traditionellen politischen Legitimationsstrategie der Unterneh62

Werner Plumpe, Unternehmen, in: Gerold Ambrosius/Dietmar Petzina/Werner Plumpe (Hg.), Moderne Wirtschaftsgeschichte. Eine Einführung für Historiker und Ökonomen, München 1996, S. 47–66, hier S. 66.

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1. Einleitung

mensgruppe standen. Im Zuge des sich wandelnden Verhältnisses der Gewerkschaftsbewegung zur marktwirtschaftlichen Ordnung dienten sie aber seit Anfang der sechziger Jahre als Ausgangspunkt einer erfolgreichen Neudefinition der Zielsetzungen, mit der Produktstrategie, organisatorische Ausgestaltung und politische Legitimationsbasis wieder in Einklang gebracht werden konnten. Kapitel 5 stellt die Unternehmensgeschichte in den Jahren zwischen 1966 und 1973 dar, die in vielerlei Hinsicht den klarsten Blick nicht nur auf die politischen Zielsetzungen, sondern auch auf die ihnen zugrundeliegenden kulturellen Normen des gewerkschaftseigenen Wohnungsbaus ermöglicht. Ausgehend von einer merklichen Veränderung der „diskursiven Großwetterlage“ nach der Rezession von 1966/67 und der Amtsübernahme der Großen Koalition, konnte die NH in dem für sie nun äußerst günstigen politischen Klima zu einer großen Ausweitung der Produktpalette und zu einer weitgehenden Neuorganisation der Unternehmensgruppe ansetzen, die sie zu Beginn der siebziger Jahre auf den Höhepunkt ihrer Macht und ihres Einflusses führte. Mit der Wirtschaftskrise 1973/74 ging diese Phase zu Ende. Kapitel 6 zeichnet deshalb die Entwicklung des Unternehmens in den Jahren 1973 bis 1982 nach, die von nachteiligen wirtschaftlichen Rahmenbedingungen, den betrieblichen und organisatorischen Problemen eines bürokratischen Großunternehmens und nicht zuletzt einer langsam erodierenden politischen Legitimationsbasis gekennzeichnet war. Anders als Mitte der sechziger Jahre gelang es der NH in dieser Phase nicht mehr, ihren politischen Anspruch mit den betriebsökonomischen Erfordernissen in Einklang zu bringen. Insofern stellt das Kapitel auch den 1982 losgetretenen NHSkandal nicht als Auslöser der moralischen Krise der Unternehmensgruppe, sondern nur als den Höhepunkt eines schleichenden Prozesses der Delegitimation jener kultureller Normen dar, die das eherne Fundament der „sozialdemokratischen“ Reformperspektive der Unternehmensgruppe bildeten. Auf eine ausführliche Darstellung der vergeblichen Sanierungsversuche und der schlußendlichen Abwicklung des Konzerns in den Jahren 1982 bis 1998 wird aus den bereits genannten Gründen verzichtet. In einem abschließenden Fazit sollen die wichtigsten Ergebnisse der Untersuchung noch einmal knapp zusammengefaßt und die eingangs formulierten Fragen beantwortet werden. Für jedes der genannten Hauptkapitel habe ich den Versuch unternommen, die oben skizzierten Untersuchungsdimensionen Organisation, Absatz und Kommunikation in getrennten Abschnitten zu behandeln. Ein einheitliches Gliederungsschema, das sich streng an diesen drei Dimensionen orientierte, erwies sich allerdings als untauglich, um die Eigenarten der Geschichte der NH und die Eigenarten in der Gedankenführung des Autors abzubilden. Aus narrativen Gründen werden die drei Ebenen daher zum Teil in unterschiedlicher Reihenfolge präsentiert; in den Kapiteln 4 und 6 mußten sie zudem nochmals chronologisch bzw. systematisch unterteilt werden. Dennoch zielt die Darstellung auch hier auf die Entwicklungen in den drei Achsen ab. Diese Vorgehensweise dient einem systematischen Zweck: Durch die Kombination aus chronologischer und systematischer Gliederung entsteht insgesamt ein diachroner Vergleich von vier Abschnitten der Unternehmensgeschichte der NH, in denen das zentrale Problem der gleichzeitigen Bearbeitung verschiedener Strategieebenen in jeweils unterschiedlicher Form angegangen wur-

1.4 Vorgehensweise und historiographische Relevanz der Arbeit

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de. Dieser diachrone Vergleich erlaubt es, die Funktionsbedingungen der Unternehmensgruppe klar herauszuarbeiten. Dabei stellt sich heraus, daß die Strategie der NH im gesamten Untersuchungszeitraum auf der Annahme basierte, die Vermehrung der materiellen Lebenschancen breiter Schichten der Bevölkerung bilde den Kern ihrer sozialpolitischen Reformbestrebungen. In den fünfziger und sechziger Jahren war die Validität dieser Zielsetzung in ihrem Grundsatz unumstritten. Sie ließ sich zudem ökonomisch problemlos umsetzen, weil in diesem Zeitraum im Wohnungs- und Städtebau die Möglichkeit zur Erzielung von Skaleneffekten bestand, die die NH aufgrund ihrer Größe voll ausschöpfen konnte. Dieses für die Funktionsfähigkeit der Unternehmensgruppe zentrale Zusammenspiel von wachstumsorientierter Zielsetzung, organisatorischen Eigenschaften und Struktur der Nachfrage war aber Mitte der siebziger Jahre hinfällig, weil der Markt zu diesem Zeitpunkt mit den Leistungen, die die NH anbot, übersättigt war – oder anders formuliert: weil die politischen Ziele der Unternehmensgruppe im großen und ganzen erreicht waren. Angesichts dieser Entwicklung hätte die NH ihre Organisation radikal umbauen und ihre Existenz in neuer, weniger einseitig auf den Gedanken der materiellen Versorgung ausgerichteter Weise legitimieren müssen. Da sie beides unterließ, wurde sie in der zweiten Hälfte der siebziger Jahre aus dem Markt gedrängt und gleichzeitig politisch diskreditiert. Diese Befunde legen die Vermutung nahe, daß die Tragfähigkeit von nicht-gewinnorientieren Unternehmen sowohl wirtschaftlich als auch hinsichtlich ihrer Legitimationsbasis auf das Engste mit den materiellen Marktverhältnissen verknüpft ist. Der Beitrag, den die Erkenntnisse aus diesem Einzelfall zu einer theoretischen Spezifizierung der Bedingungen, unter denen eine unternehmerische Umsetzung politischer Ziele möglich ist, leisten können, ist allerdings zugegebenermaßen begrenzt. Ein synchroner Vergleich wäre in dieser Hinsicht ertragreicher gewesen.63 Dennoch habe ich hierauf verzichtet, und zwar sowohl aus forschungspraktischen als auch aus theoretischen Gründen. Zum einen hätte ein solcher Vergleich die Kapazitäten einer Einzelperson überfordert. Zwar existieren mittlerweile eine ganze Reihe von Untersuchungen über einzelne Unternehmen der Wohnungswirtschaft. Diese stehen allerdings häufig in der Tradition unternehmenshistorischer Jubiläumsschriften und genügen nicht immer wissenschaftlichen Ansprüchen. Zudem lassen sie mit den siebziger Jahren aus Quellengründen zumeist gerade den Zeitraum außer Betracht, der für die Schwierigkeiten dieser Unternehmen besonders aufschlußreich ist.64 Doch selbst wenn dieses Problem nicht bestanden hätte, 63 Vgl. Susanne Hilger, Unternehmen im Wettbewerb. Hemmnisse und Herausforderungen für eine vergleichende Unternehmensgeschichte, in: Jan-Otmar Hesse/Christian Kleinschmidt/Karl Lauschke (Hg.), Kulturalismus, Neue Institutionenökonomik oder Theorienvielfalt. Eine Zwischenbilanz der Unternehmensgeschichte (Bochumer Schriften zur Unternehmens- und Industriegeschichte Bd. 9), Essen 2002, S. 289–299, hier v. a. S. 290. 64 Ausnahmen von dieser Regel sind Tim Schanetzky, Effizienz oder Identität? Genossenschaften als hybride Organisationen. Das Beispiel der Hattinger Wohnstätten von 1949 bis 1980, in: Hesse/Schanetzky/Scholten 2004, S. 101–125; ders. 1999; sowie Frank Schillinger, „Wenn der Herr nicht baut, dann bauen die Bauleute vergebens“. Eine Studie zur Geschichte der katholischen Siedlungsbewegung in Deutschland nach dem Ersten Weltkrieg. Dargestellt am

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1. Einleitung

wäre eine Untersuchung der NH in vergleichender Absicht nur von eingeschränktem Nutzen. Schließlich stellte sie als das mit weitem Abstand größte Unternehmen auf einem Markt, dessen Anbieterstruktur bis heute von einer Vielzahl kleiner, lokaler Gesellschaften geprägt ist, einen außergewöhnlichen Sonderfall dar. Für einen komparativen Ansatz fehlt aus diesem Grund die „homogene Vergleichsbasis“,65 die nötig wäre, um zu gesicherten unternehmenstheoretischen Aussagen gelangen zu können. Auch ein Vergleich der NH mit Betrieben, die auf anderen Märkten tätig waren, also beispielsweise mit den übrigen gewerkschaftseigenen Unternehmen, erschien im Rahmen dieser Arbeit nicht leistbar. Dagegen sprachen die Besonderheiten des Wohnungsmarktes, die die Vergleichbarkeit erschweren und bereits für sich genommen hohe analytische Anforderungen stellen.66 Gewerkschaftseigene Unternehmen sind in die Untersuchung einbezogen, sofern ihre Entwicklung die der NH unmittelbar tangierte, was vor allem in den Krisenjahren seit 1973/74 verstärkt der Fall war. Die Unterschiede in der Entwicklung auf den jeweiligen Märkten waren jedoch zu groß und der Forschungsstand ist zu schlecht, um sie im Rahmen dieser Arbeit systematisch mit der NH zu vergleichen. Den Beschränkungen, denen die theoretische Aussagekraft der vorliegenden Arbeit durch diese Konzentration auf einen Einzelfall unterliegt, stehen aber auch Vorteile einer solchen Vorgehensweise gegenüber. Erstens ist die NH schon aufgrund ihrer bereits geschilderten symbolischen Bedeutung für die Frage nach den Funktionsbedingungen politisch motivierter Unternehmen von besonderem Interesse. Zweitens wird das Manko der mangelnden Repräsentativität durch einen anderen Faktor mehr als wettgemacht: durch den besonderen Beitrag, den eine Unternehmensgeschichte der NH zu den aktuellen Debatten über die Gesellschaftsgeschichte der Bundesrepublik leisten kann. In diesen Debatten ist zuletzt vor allem die auf verschiedenen Ebenen, etwa in den politisch-ideengeschichtlichen, aber auch in den ästhetischen Diskursen, zu beobachtende „Fundamentalliberalisierung“67 der BRD in den Mittelpunkt der Aufmerksamkeit getreten. Sie gilt mittlerBeispiel der Erzdiözese Freiburg (1918–1997), Berlin 2001. Als Beispiele für die übrige Literatur seien genannt: Wolfgang Schäche, 75 Jahre GEHAG 1924–1999, Berlin 1999; Gemeinnützige Aktiengesellschaft für Angestellten-Heimstätten (Hg.), GAGFAH. Innovation aus Tradition. 1918–1993. 75 Jahre GAGFAH, Essen/Berlin 1993 sowie Heinz Monz, Wohnungsbau und Stadtgestaltung als soziale Aufgabe. Entstehen und Wirken der gbt in Trier, Trier 1991. Weitere Arbeiten zu einzelnen Wohnungsunternehmen nennt Clemens Zimmermann, Wohnungspolitik und Wohnkultur im 20. Jahrhundert, Neue Politische Literatur 46.2001(a), S. 96–110, hier S. 109 (Fußnote 21). 65 Hilger 2002, S. 290. 66 Zu den Besonderheiten des Wohnungsmarktes vgl. aus theoretischer Perspektive Annette Mayer, Theorie und Politik des Wohnungsmarktes. Eine Analyse der Wohnungspolitik in Deutschland unter besonderer Berücksichtigung der ökonomischen Theorie der Politik (Volkswirtschaftliche Schriften Bd. 484), Berlin 1998. 67 Jürgen Habermas, zit. nach Ulrich Herbert, Liberalisierung als Lernprozeß. Die Bundesrepublik in der deutschen Geschichte – eine Skizze, in: ders. (Hg.), Wandlungsprozesse in Westdeutschland. Belastung, Integration, Liberalisierung 1945–1980 (Moderne Zeiten. Neue Forschungen zur Gesellschafts- und Kulturgeschichte des 19. und 20. Jahrhunderts Bd. 1), Göttingen 2002, S. 7–49, hier S. 7.

1.4 Vorgehensweise und historiographische Relevanz der Arbeit

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weile als ebenso erklärungsbedürftig wie die wirtschaftliche Dynamik des Wiederaufbaus. Neben den breit diskutierten Phänomenen der „Amerikanisierung“ bzw. der „Verwestlichung“ ist dabei auch das Spannungsverhältnis zwischen sozioökonomischer Modernisierung und gesellschaftlicher Liberalisierung von besonderem Interesse.68 Denn die Vorstellung, „daß eine bestimmte historische Entwicklungsstufe oder Konstellation eine Anpassung von Lebensbedingungen und Lebensweisen, marxistisch gesprochen von Basis und Überbau, automatisch herstellen oder erzwingen würde, kann als historisch widerlegt gelten.“69 Es ist vielmehr davon auszugehen, daß die parallel laufenden Prozesse von Modernisierung und Liberalisierung in der Geschichte der Bundesrepublik der gezielten Vermittlung und des Ausgleichs bedurften.70 Diese Vermittlung verlief zwar insgesamt gesehen sehr erfolgreich; aber ihre Funktionsbedingungen, ihre Möglichkeiten und ihre Grenzen sind bisher noch nicht hinreichend erforscht worden. Hierzu kann eine Untersuchung der NH, die dem oben geschilderten Ansatz folgt, einen wichtigen Beitrag liefern. Durch die in dieser Methode angelegte Einbindung der Unternehmensgeschichte in die Pole „Markt“ und „politischer Diskurs“ markiert sie das Spannungsfeld zwischen sozioökonomischer Modernisierung und gesellschaftspolitischer Liberalisierung in geradezu idealtypischer Weise. Denn die NH fungierte einerseits in einem gesellschaftspolitisch zentralen Bereich als bedeutsamer Träger der sozioökonomischen „Modernisierung im Wiederaufbau“, und sie war – in Form der bereits beispielhaft genannten Wohnsiedlungen und Infrastrukturbauten – für einen auch heute noch sichtbaren Teil dieses Modernisierungsschubes verantwortlich. Zum anderen aber bewegte sie sich mit ihrem politischen Geltungsanspruch auch in einer Sphäre, die der zweiten große Entwicklungslinie in der Geschichte der Bundesrepublik, also der gesellschaftspolitischen und kulturellen Liberalisierung, zuzuordnen ist. Stärker als bei anderen Unternehmen waren bei der NH politische Diskurse und kulturelle Normen ein integraler Bestandteil der Unternehmenspolitik. Die bereits unternehmenstheoretisch beschriebene Anforderung, Wirtschaftlichkeitserfordernisse, Produktpolitik und politische Legitimationsstrategien zur Deckung zu bringen, läßt sich daher mit Bezug auf die Geschichte der Bundesrepublik auch als ein lange Zeit erfolgreicher, letztlich aber gescheiterter Versuch lesen, unter Wahrung des eigenen politischen Anspruches eine Balance zwischen den ungleichzeitigen Veränderungsrhythmen der sozioökonomischen Modernisierung und der kulturellen Liberalisierungsprozesse herzustellen bzw. diese Spannung im Unternehmen zu verarbeiten.

68 Zur These der „Amerikanisierung“ bzw. „Verwestlichung“ vgl. zusammenfassend Anselm Doering-Manteuffel, Wie westlich sind die Deutschen? Amerikanisierung und Westernisierung im 20. Jahrhundert, Göttingen 1999. 69 Herbert 2002, S. 9. 70 Vgl. ebd.; Axel Schildt, Modernisierung im Wiederaufbau. Die westdeutsche Gesellschaft der fünfziger Jahre, in: Werner Faulstich (Hg.), Die Kultur der fünfziger Jahre, München 2002, S. 11–21, hier S. 17 sowie Werner Faulstich, Einleitung, in: ders. (Hg.), Die Kultur der sechziger Jahre, München 2003, S. 7–9, hier S. 8. Eine zusammenfassende Darstellung, die dieser Perspektive breiten Raum gibt, bietet Konrad H. Jarausch, Die Umkehr. Deutsche Wandlungen 1945–1995, München 2004.

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1. Einleitung

Diese Perspektive auf die Unternehmensgeschichte der NH läuft methodisch auf eine Verknüpfung des oben skizzierten Untersuchungsansatzes mit einem weiteren in der unternehmensgeschichtlichen Theoriedebatte viel diskutierten Konzept hinaus: dem Konzept einer „Unternehmensgeschichte als Gesellschaftsgeschichte“, wie es Hartmut Berghoff in seiner Arbeit über den Harmonika-Hersteller Hohner entwickelt hat.71 Berghoff wandelt Hans-Ulrich Wehlers gesellschaftsgeschichtliche Grundsatzüberlegungen für unternehmenshistorische Zwecke ab und wendet dieses Konzept auf Hohner an, indem er die Bedeutung der beiden Pole „Markt“ und „Standort“ für das Unternehmen untersucht. Der Begriff „Markt“ umfaßt dabei nach seiner Definition „diejenigen überregionalen Faktoren (...), die den Absatz und damit den geschäftlichen Erfolg direkt beeinflussen“72 und ist somit in etwa mit dem Konzept der „Marktstruktur“ gleichzusetzen. Der Begriff „Standort“ unterscheidet sich hingegen von der in der vorliegenden Arbeit betonten Einbindung des Unternehmens in den politischen Diskurs. Berghoff zielt damit vor allem auf das lokale Umfeld des Firmensitzes ab und fragt nach den gegenseitigen Beziehungen zwischen diesem und dem Unternehmen.73 Im vorliegenden Fall scheint es aufgrund der Besonderheiten der NH angebracht, diesen Begriff vor allem auf die oben dargelegte Frage der gesellschaftlichen Kommunikation zu beziehen. Berghoffs Konzept erfährt so eine Akzentverschiebung, durch die die Einbettung des Unternehmens in einen als Quell materieller Ressourcen verstandenen Standort gegenüber der Frage seiner Verortung im politischen Diskurs in den Hintergrund tritt. Letztlich dürften diese beiden Aspekte allerdings kaum voneinander zu trennen sein, weil der Begriff des „Standorts“ im weitesten Sinne auch auf diese politische Einbettung anwendbar ist. Insgesamt kann eine Geschichte der NH, die diesem leicht abgewandelten Konzept einer „Unternehmensgeschichte als Gesellschaftsgeschichte“ folgt, ein neues Licht auf die Vermittlung zwischen Modernisierung und Liberalisierung werfen. Von besonderem Interesse ist sie in diesem Zusammenhang vor allem aufgrund ihrer eigenartigen Mischung von strahlenden Erfolgen und völliger Diskreditierung. Anders als die Gesellschaftsgeschichte der Bundesrepublik insgesamt ist der vorliegende Fall eben keine Erfolgsgeschichte. Die Unternehmensgeschichte der NH informiert daher nicht nur darüber, unter welchen Bedingungen eine solche Vermittlung in der Bundesrepublik möglich war, sondern auch darüber, unter welchen Bedingungen sie nicht möglich war. Sie bietet die Gelegenheit zu untersuchen, warum und mit welchen Folgen der Ausgleich zwischen Modernisierung und Liberalisierung in diesem gesellschaftlichen Teilbereich scheiterte; und sie kann auf diese Weise auch den Blick dafür schärfen, warum er in anderen gesellschaftlichen Teilbereichen um so besser gelingen konnte.

71 Vgl. Hartmut Berghoff, Zwischen Kleinstadt und Weltmarkt. Hohner und die Harmonika 1857–1961. Unternehmensgeschichte als Gesellschaftsgeschichte, Paderborn u. a. 1997. 72 Ebd., S. 16. 73 Vgl. ebd.

1.5 Forschungsstand und Quellenlage

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1.5 FORSCHUNGSSTAND UND QUELLENLAGE Eine wissenschaftlichen Ansprüchen genügende Darstellung zur Geschichte der NH gibt es bislang nicht.74 Einige Teilbereiche der in der vorliegenden Arbeit verfolgten Fragestellung können allerdings aus der existierenden Sekundärliteratur erschlossen werden. Am besten dokumentiert sind zweifelsohne die hier nur am Rande berücksichtigten Vorgänge der achtziger Jahre. Zu diesen existiert eine Fülle journalistischer Anklage-75 und gewerkschaftlicher Verteidigungsschriften,76 die zum Teil recht informativ sind, aber regelmäßig mit erhobenem Zeigefinger und ohne wissenschaftlichen Anspruch geschrieben wurden. Darüber hinaus ist jüngst eine im Auftrag der BGAG erstellte zweibändige Dokumentation erschienen, die zentrale Dokumente und Interviews bezüglich der Abwicklung der Unternehmensgruppe in den Jahren 1982 bis 1998 in sich vereint.77 Eine analytische Aufarbeitung des dort präsentierten Materials steht allerdings noch aus. Auch über die Vorgeschichte des gewerkschaftseigenen Wohnungsbaus in der Weimarer Republik existieren einige Überblicke, die allerdings aufgrund der äußerst problematischen Quellenlage in Umfang und Anspruch nicht mit der ansonsten reichhaltigen Literatur zur Geschichte der gemeinnützigen Wohnungswirtschaft in den zwanziger Jahren Schritt halten können.78 Hinsichtlich des in dieser Arbeit behandelten Zeitraumes sind bisher dagegen lediglich einige Teilaspekte der Konzernbildung in den fünfziger Jahren sowie die Geschichte zweier ehemaliger Regionalgesellschaften der NH Gegenstand quellengestützter Arbeiten, die allerdings höchst unterschiedlicher Qualität sind.79 Daneben spielen die wenigen Ar74 Einen knappen Überblick bietet mein Aufsatz: Peter Kramper, Das gescheiterte Reformprojekt? Die NEUE HEIMAT 1950–1982, in: Hesse/Schanetzky/Scholten 2004, S. 201–227. 75 Das jüngste Beispiel ist Mehnert 1997; außerdem Kusch 1987; Georg Ritter, Gewerkschaften als Unternehmer. Ein Kapitel bundesdeutscher Wirklichkeit, München 1987; Hans-Jürgen Schulz, Die Ausplünderung der Neuen Heimat, Frankfurt a. M. 1987; Kusch 1986 sowie Fuhrich 1983. Ein älterer Beitrag in dieser Kategorie ist Peter Scheiner/Hans-Henning Schmidt, Neue Heimat – Teure Heimat. Ein multinationaler Gewerkschaftskonzern, Stuttgart 1974. 76 Vgl. Kaltenborn 1990. Eine kritische Darstellung aus gewerkschaftlicher Perspektive bietet Hirche 1984. Hervorzuheben ist auch die sehr informative ältere Arbeit des selben Autors: Hirche 1966. 77 Vgl. Kunz 2003. 78 Vgl. Wilhelm Kaltenborn, Entstehung und Entwicklung gewerkschaftlicher Wohnungswirtschaft, Zeitschrift für öffentliche und gemeinnützige Unternehmen 9.1986, S. 24–35; Novy/Prinz 1985 sowie Schäche 1999. 79 Zur Konzernbildung vgl. Weinert 1994; ders., Gemeinwirtschaftliche Unternehmen der Gewerkschaften als autonome intermediäre Institutionen. Die „Neue Heimat“ als Gegenstand politisch-soziologischer Institutionenforschung (Berliner Arbeitshefte und Berichte zur sozialwissenschaftlichen Forschung Bd. 16), Berlin 1989; ders., Ziele, Organisation und Konflikte des gemeinwirtschaftlichen Wohnungsbaus der Gewerkschaften nach 1945 im Kontext des öffentlichen Wohnungsbaus, in: Comparativ. Leipziger Beiträge zur Universalgeschichte und vergleichenden Gesellschaftsforschung 1996/3, S. 100–126 sowie Ingeborg Haag, Das „Ende der Gemeinwirtschaft“ als Folge gewerkschaftlicher Widersprüche und Konflikte im Nachkriegsdeutschland (Berliner Arbeitshefte und Berichte zur sozialwissenschaftlichen Forschung Nr. 98), Berlin 1995. Zu den Regionalgesellschaften vgl. Hans-Joachim Wallenhorst, Die Chronik der Gewoba 1924 bis 1992, Bremen 1993; ders., Räume zum Leben. 80 Jahre GE-

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1. Einleitung

beiten, die sich der NH aus sozialwissenschaftlicher Perspektive widmen, nur eine untergeordnete Rolle. Sie entstammen zumeist dem Kontext der Theoriedebatten über die Rolle gemeinwirtschaftlicher und gewerkschaftseigener Unternehmen in der Wirtschaftsordnung der Bundesrepublik.80 Zwar beinhalten sie gelegentlich auch mehr oder weniger ausführliche historische Abrisse. Diese sind allerdings stets ohne den Rückgriff auf Archivmaterial entstanden und zudem häufig schon auf der reinen Faktenebene unbefriedigend.81 Hinzu kommt, daß sie sich ausnahmslos an der bereits geschilderten morphologischen Methode orientieren. Die in der vorliegenden Arbeit als zentral betrachteten Fragen bleiben folglich in dieser Literatur unbeantwortet. Diese kann daher eine an wissenschaftlichen Maßstäben orientierte Unternehmensgeschichte ebenso wenig ersetzen wie die Selbstdarstellungen, die zu verschiedenen Jubiläen der Unternehmensgruppe entstanden sind,82 oder die äußerst materialreichen, aber hinsichtlich ihrer Fragestellung anders ausgerichteten parlamentarischen Untersuchungen über die Gesetzesverstöße der NH.83 Auch in der Literatur zur Gewerkschaftsgeschichte ist das Thema der gemeinwirtschaftlichen Unternehmen im allgemeinen und der NH im besonderen bisher stillschweigend übergangen oder in wenigen Sätzen abgehandelt worden.84 WOBA 1924 bis 2004, Bremen 2004 sowie GWH Gemeinnützige Wohnungsgesellschaft mbH Hessen (Hg.), Die Geschichte der GWH 1924–1999, Frankfurt a. M. o. J. [1999]. 80 So z. B. Richter 1992; Manfred Fuhrich, Wohnungsversorgung als sozialer Auftrag. Gemeinnützigkeit im Wohnungswesen am Beispiel der Wohnungsgesellschaft Neue Heimat (Arbeitshefte des Instituts für Stadt- und Regionalplanung der Technischen Universität Berlin Bd. 32), Berlin 1984; Loesch 1979; Burkhardt Röper, Theorie und Praxis der gemeinwirtschaftlichen Konzeption. Eine Analyse am Beispiel gemeinwirtschaftlicher Unternehmen (Kommission für wirtschaftlichen und sozialen Wandel Bd. 128), Göttingen 1976 sowie Jörg Goldberg, Gewerkschaften als Unternehmer. Grenzen und Möglichkeiten ihrer gesellschaftspolitischen Wirksamkeit, Diss. rer. pol. Köln 1974. Ein Sonderfall ist die allerdings nicht besonders ergiebige Arbeit von Günter Kalex, Wirtschaftsunternehmen der Arbeiterbewegung in Westdeutschland, Berlin [Ost] 1967, die die gewerkschaftseigenen Unternehmen aus DDR-Perspektive untersucht. 81 Als Beispiel sei Jörg Goldberg, Neue Heimat, Gemeinwirtschaft, Gewerkschaften. Zwischen Marktwirtschaft und Bankenmacht (Informationsbericht Institut für Marxistische Studien und Forschungen Bd. 45), Frankfurt a. M. 1987, genannt. Dort wird erklärt, der Eigenheimbau der NH sei „in keiner Weise mit gewerkschaftlichen Zielen vereinbar“ gewesen (S. 71) und das Gerücht kolportiert, die Aufsichtsratssitzungen der Unternehmensgruppe hätten stets nur wenige Minuten gedauert (S. 76). Beide Behauptungen halten selbst einer nur oberflächlichen Überprüfung nicht stand. 82 Vgl. Neue Heimat Hamburg (Hg.), Neue Heimat Hamburg. Ein Beispiel gewerkschaftlicher Wohnungspolitik, Hamburg 1952 (im folgenden abgekürzt: NHH 1952); Unternehmensgruppe NEUE HEIMAT (Hg.), Heinrich Plett zum Gedenken, Hamburg o. J. [1963] (im folgenden abgekürzt: NH 1963); dies. (Hg.), Jahresbericht 1975/76. 50 Jahre Neue Heimat, Hamburg 1976 (im folgenden abgekürzt: 50 Jahre NH). Karl Heinz Hoffmann, Neue Heimat. Geschichte eines Gewerkschaftskonzerns, o. D., URL: (Stand: 23.6.2008), bietet einen knappen Überblick über die Unternehmensgeschichte, der im wesentlichen auf einer Auswertung dieser Selbstdarstellungen beruht. 83 Vgl. Fußnote 3. 84 Vgl. z. B. Michael Schneider, Kleine Geschichte der Gewerkschaften. Ihre Entwicklung in Deutschland von den Anfängen bis heute, Bonn 22000, S. 358 ff. sowie die Darstellung in der offiziösen Geschichte der Gewerkschaften in der BRD: Hans-Otto Hemmer/Werner Milert/Kurt Thomas Schmitz, Gewerkschaftliche Politik unter der konservativ-liberalen Re-

1.5 Forschungsstand und Quellenlage

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Angesichts des anhaltenden Booms in der Unternehmensgeschichte und angesichts der Tatsache, daß es mittlerweile eine breite Literatur zur Geschichte des Wohnens gibt, kann diese Forschungslücke durchaus erstaunen.85 Eine mögliche Erklärung bietet die bereits erwähnte Vernachlässigung nicht-gewinnorientierter Unternehmen in der Unternehmensgeschichtsschreibung. Außerdem ist zu berücksichtigen, daß erfolgreiche Unternehmen in der Historiographie bisher weitaus größere Beachtung gefunden haben als gescheiterte Unternehmen. Das liegt vor allem daran, daß letztere häufig sang- und klanglos verschwinden – und mit ihnen auch ihre Archive. Und tatsächlich scheint im Falle der NH vor allem die problematische Quellenlage für die konstatierte Forschungslücke verantwortlich zu sein. Denn zum einen ist das zentrale Archiv der Unternehmensgruppe im Zuge ihrer Zerschlagung mit Ausnahme des Bildbestandes, der im Hamburger Architekturarchiv lagert, verlorengegangen.86 Zum anderen aber ragt die politische Brisanz des Skandals der achtziger Jahre noch so weit in die Gegenwart hinein, daß auch für die vorliegende Arbeit eine Reihe von Institutionen nicht für eine Akteneinsicht zu gewinnen war. Glücklicherweise betraf dies jedoch fast ausschließlich Bestände, zu denen in anderen Archiven eine breite Gegenüberlieferung besteht.87 Von besonderer Bedeutung für diese Gegenüberlieferung sind dabei die Bestände der Gewerkschaften, vor allem des DGB und der IG Metall, die sich im Archiv der sozialen Demokratie in Bonn und – für den DGB Hamburg – im Archiv der Forschungsstelle für Zeitgeschichte in Hamburg befinden; und die Bestände der parlamentarischen Untersuchungsausschüsse in Bonn und in Hamburg, die eine Fülle von Kopien unternehmensinterner Dokumente enthalten. Die vorliegengierung seit 1982, in: Hans-Otto Hemmer/Kurt Thomas Schmitz (Hg.), Geschichte der Gewerkschaften in der Bundesrepublik Deutschland. Von den Anfängen bis heute, Düsseldorf 1990, S. 413–458, hier S. 420 ff. Ganz ohne eine Berücksichtigung der gemeinwirtschaftlichen Unternehmen kommt aus: Klaus Schönhoven, Die deutschen Gewerkschaften, Frankfurt a. M. 1987. Einen Überblick über den aktuellen Forschungsstand in der Arbeitergeschichte bietet Dietmar Süß, A scheene Leich? Stand und Perspektiven der westdeutschen Arbeitergeschichte nach 1945, Mitteilungsblatt des Instituts für soziale Bewegungen 34.2005, S. 51–76. 85 Zusammenfassend zur Geschichte des Wohnens vgl. die von der Wüstenrot-Stiftung herausgegebene fünfbändige Geschichte des Wohnens, besonders den im Zusammenhang mit der vorliegenden Arbeit zentralen fünften Band: Ingeborg Flagge (Hg.), Geschichte des Wohnens Band 5. 1945 bis heute. Aufbau, Neubau, Umbau, Stuttgart 1999 sowie den Literaturüberblick von Zimmermann 2001(a). Zur Literatur über die Geschichte der Wohnungswirtschaft vgl. die Bibliographie von Jan-Otmar Hesse, Systematische Auswahlbibliographie zur Unternehmensgeschichte der Wohnungswirtschaft, in: Eichener/Emmerich/Petzina 2000, S. 404–420. 86 Vgl. Schreiben der Neue Heimat Vermögensverwaltungs- und Betreuungsgesellschaft mbH an den Autor, 1.9.2000. 87 Verweigert wurde die Akteneinsicht von der Neue Heimat Vermögensverwaltungs- und Betreuungsgesellschaft (NH VVB), vom Verband Norddeutscher Wohnungsunternehmen (VNW) und von der SEB AG (ehemals Bank für Gemeinwirtschaft AG). Die NH VVB, die die Pensionsansprüche ehemaliger NH-Angestellter verwaltet, verfügt laut eigener Auskunft neben den für den Unternehmenszweck erforderlichen Akten lediglich über einen kompletten Satz der Geschäftsberichte, der auch im Institut für Weltwirtschaft Kiel erhältlich ist. An den Akten des VNW wären vor allem die Prüfungsberichte von Interesse gewesen, die schlußendlich im Archiv der IG Metall aufgefunden werden konnten. Umfang und Aussagekraft des Bestandes der SEB sind allerdings unbekannt.

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1. Einleitung

de Arbeit stützt sich im wesentlichen auf die aus diesen Archiven zusammengetragenen Dokumente. Es handelt sich dabei vor allem um Protokolle der Sitzungen des Aufsichtsrates und seiner Ausschüsse sowie um die zugehörigen Vorlagen, die stets ausführliche Lageberichte und Überblicke über die Situation des Unternehmens beinhalten. Hinzu kommen die Akten des DGB-Bundesvorstandes, die die Perspektive der Anteilseigner und häufig genug auch die Perspektive der Gewerkschaftsbasis wiedergeben. Ergänzt werden diese Bestände durch Akten des Hamburgischen Architekturarchivs, in dem neben dem Bildbestand in geringem Umfang auch Broschüren sowie verfilmte Dokumente lagern, durch den umfassenden Filmbestand im Archiv des Landesmedienzentrums Hamburg sowie durch die Akten verschiedener Bundesministerien im Bundesarchiv Koblenz.88 Als ein außergewöhnlicher Glücksfall erwies sich darüber hinaus der im Staatsarchiv Hamburg befindliche Nachlaß von Klaus-Otto Cordua, der zwischen 1969 und 1986 Konzernbetriebsratsvorsitzender und Aufsichtsratsmitglied der NEUE HEIMAT STÄDTEBAU war. Dieser Bestand enthält für den genannten Zeitraum eine Fülle von akribisch gesammeltem Material: neben einem kompletten Satz von Protokollen und Vorlagen der Aufsichtsräte beider Konzernmuttergesellschaften und ihrer Ausschüsse auch umfangreiches Schriftgut zur Arbeit des Betriebsrates sowie handschriftliche Notizen zu fast jeder von Cordua besuchten Gremiensitzung. Diese stellen eine wertvolle Ergänzung zu den offiziellen Protokollen dar. Sogar die Protokolle der Aufsichtsratssitzungen der BGAG, die Cordua auf informellem Wege zugegangen waren, sind in diesem Bestand enthalten.89 Durch die freundliche Genehmigung von Herrn Cordua standen diese Akten für die vorliegende Arbeit vollständig zur Verfügung. Zusammen mit der nur 20jährigen Sperrfrist im Archiv des DGB und der weitgehenden Zugänglichkeit der Akten des Hamburger Untersuchungsausschusses ermöglichte dieser Umstand eine auf einer breiten Quellenbasis beruhende Einbeziehung der siebziger und frühen achtziger Jahre in die Arbeit. Erleichtert wurde dies auch durch die außergewöhnliche Breite der von der NH selbst und vom DGB erstellten „grauen Literatur“ sowie der von den beiden Institutionen herausgegebenen Veröffentlichungen. Von zentraler Bedeutung sind hierbei die Geschäfts- und Jahresberichte der Konzernmuttergesellschaft und ihrer zahlreichen Tochtergesellschaften.90 Neben grundlegenden Informationen und Daten über die Unternehmensgruppe enthielten diese seit den sechziger Jahren auch 88 Zur filmischen Selbstdarstellung der NH existiert darüber hinaus eine (allerdings nicht sehr ergiebige) Studie: Folkert Lüken-Isberner, Neue Heimat und Film. Ein Wohnungsbauunternehmen im Spiegel des Films (Arbeitsbericht des Fachbereichs Stadtplanung und Landschaftsplanung Heft 44), Kassel 1983. Vgl. auch ders., Der städtebaulich bedeutsame Lehr- und Informationsfilm 1946–1960, Pfaffenweiler 1989. 89 Da diese Unterlagen zusammen mit dem bei Kunz 2003 abgedruckten Material für eine Beleuchtung der Rolle der BGAG völlig ausreichten, konnte auf eine Benutzung von deren Archiv verzichtet werden. 90 Die umfangreichsten öffentlich zugänglichen Sammlungen von Geschäftsberichten der NH und ihrer Tochtergesellschaften befinden sich im Institut für Weltwirtschaft in Kiel sowie im Wirtschaftsarchiv der Universität Köln, Signatur L 1. Für die weitere „graue Literatur“ zur NH ist die in der Bibliothek der Friedrich-Ebert-Stiftung in Bonn aufgegangene ehemalige Bibliothek des DGB-Bundesvorstandes die wichtigste Fundstelle.

1.5 Forschungsstand und Quellenlage

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immer umfassendere Darstellungen der Entwicklung auf dem Wohnungsmarkt und den relevanten vor- und nachgelagerten Märkten, die auch für eine über die NH hinausgehende Erforschung der Geschichte des Wohnungs- und Städtebaus von erheblichem Nutzen sein können. Des weiteren sind aus dieser Kategorie auch zwei Zeitschriftenpublikationen hervorzuheben. Hierbei handelt es sich erstens um die „Neue Heimat Monatshefte“, eine seit 1954 von der Unternehmensgruppe herausgegebene Zeitschrift. Sie wandte sich an eine Elite von Architekten und Städtebauern und beinhaltete daher in erster Linie ausführliche Besprechungen von aktuellen Bauprojekten der Unternehmensgruppe, gemischt mit einer intensiven, über die unmittelbare Arbeit der NH weit hinausgehenden Berichterstattung über Grundlagendiskussionen und internationale Trends in Architektur und Städtebau. Zweitens sind die von der NH seit 1955 fünfmal wöchentlich herausgegebenen „Informationen für den Wohnungswirtschaftler“ zu nennen. Dieses Blatt beinhaltete nicht nur jeweils tagesaktuelle Nachrichten aus dem Bereich des Wohnungsbaus, sondern verzeichnete darüber hinaus auch täglich die in der Fach- und Allgemeinpresse erschienene Berichterstattung über die NH und über alle Aspekte des Wohnungs- und Städtebaus. Es bietet daher einen wertvollen Überblick über eine weitverzweigte Berichterstattung und ermöglichte es, mit verhältnismäßig geringem Aufwand die Zeitungsund Zeitschriftenliteratur weitgehend vollständig auszuwerten.91 In einigen Bereichen – beispielsweise für die Jahre bis 1955 – habe ich diese Vorgehensweise noch durch eine systematische Auswertung ergänzt. Darüber hinaus habe ich für die vorliegende Arbeit auch eine Reihe von Zeitzeugeninterviews geführt. Deren Quellenwert ist jedoch insgesamt eher skeptisch zu beurteilen. Zum einen waren – offenbar wiederum aus Gründen, die mit den Vorgängen der achtziger Jahre zusammenhängen – einige der angefragten Zeitzeugen nicht zu Auskünften bereit. Zum anderen stellte sich heraus, daß das in dieser Arbeit abgedeckte Themenfeld für eine Erschließung durch Interviews denkbar ungeeignet ist. Durch die in hohem Maße von täglicher Routine geprägten Abläufe in einem Unternehmen entziehen sich lange zurückliegende punktuelle Entscheidungen offenbar auch dann recht stark dem Erinnerungsvermögen der Beteiligten, wenn sie für das Unternehmen von erheblicher Bedeutung waren.92 Ein Vergleich mit den in großer Fülle vorhandenen Aufsichtsratsprotokollen, Notizen etc. legt nahe, daß dieses Material den Erkenntnissen der Interviews in aller Regel deutlich überlegen ist. Erstaunlicherweise wurde dies auch von den Interviewpartnern selbst so gesehen: Anders als bei Zeitzeugen, die im Zusammenhang mit emotional stark aufgeladenen Themen wie etwa der Frage nach den Verbrechen der

91 Eine ähnliche Funktion erfüllen auch die zwischen 1958 und 1973 von der NH herausgegebenen „Informationen für den Techniker“, die allerdings auf das Thema der Bautechnik begrenzt und somit für die vorliegende Arbeit nur von untergeordneter Bedeutung sind. 92 Als Beispiel sei angeführt, daß Rolf Dehnkamp, der Hauptverantwortliche für den wohl wichtigsten Einschnitt in der Organisationsstruktur der NEUE HEIMAT STÄDTEBAU, die Umstrukturierung im Jahr 1979, im Interview freimütig bekannte, er habe völlig vergessen, daß diese – zum Zeitpunkt des Interviews 24 Jahre zurückliegende – Umstrukturierung überhaupt stattgefunden habe! Vgl. Interview mit Rolf Dehnkamp, 18.8.2003.

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1. Einleitung

Wehrmacht befragt werden, waren sie durchweg der Auffassung, daß der Quellenwert ihrer Erinnerung mit dem der Aktenüberlieferung nicht konkurrieren könne. Von den ursprünglich geplanten weiteren Interviews, die verstärkt Vertreter aus der „zweiten Reihe“ des Unternehmens und Mitarbeiter der Gewerkschaften als Vertreter der Anteilseigner berücksichtigen sollten, habe ich daher abgesehen. Die verbleibenden Gesprächsergebnisse werden in der vorliegenden Arbeit fast ausschließlich in ergänzender Funktion herangezogen, etwa zur Beurteilung von Stimmungslagen, die den schriftlichen Dokumenten allenfalls zwischen den Zeilen zu entnehmen sind. Punktuelle Einzelinformationen aus den Interviews, die nicht auch durch schriftliche Quellen belegt sind, sind nur in ganz wenigen Ausnahmefällen in die Arbeit eingeflossen und stets entsprechend gekennzeichnet. Insgesamt konnte auf diese Weise trotz der Vernichtung des zentralen Archivs eine Quellenbasis zusammengetragen werden, die eine Bearbeitung der oben skizzierten Fragestellung ermöglichte und die auch einer kritischen Prüfung standhalten dürfte.

2. ZWISCHEN TRADITION UND NEUANFANG

2. ZWISCHEN TRADITION UND NEUANFANG: RAHMENBEDINGUNGEN DES GEWERKSCHAFTLICHEN WOHNUNGSBAUS NACH 1945 2.1 WOHNUNGSNOT, WOHNUNGSPOLITIK UND WOHNUNGSWIRTSCHAFT NACH 1945

2.1 WOHNUNGSNOT, WOHNUNGSPOLITIK UND DIE GEMEINNÜTZIGE WOHNUNGSWIRTSCHAFT NACH 1945 2.1.1 Die Wohnungsnot „Das ziehen wir ganz groß auf!“ soll Heinrich Plett ausgerufen haben, als er zum 1. Januar 1950 mit der Geschäftsführung der zu diesem Zeitpunkt unter alliierter Vermögenskontrolle stehenden, ehemals gewerkschaftseigenen Wohnungsbaugesellschaft Neue Heimat Hamburg betraut wurde.1 Dreißig Mitarbeiter, 2.200 intakte Wohnungen und eine Bilanzsumme von 14 Mio. DM konnte das Unternehmen damals vorweisen. Eine nennenswerte Neubautätigkeit hatte es seit Ende des Krieges nicht entfaltet.2 Als Plett 1963 verstarb, war seine Ankündigung Wirklichkeit geworden: Seinem Nachfolger hinterließ er die Geschäftsführung eines Großkonzerns, der mit einem Bestand von rund 170.000 Wohnungen, 2.600 Mitarbeitern und einer Bilanzsumme von 4,5 Mrd. DM in Europa seinesgleichen suchte.3 Begonnen hatte der systematische Aufbau der Unternehmensgruppe tatsächlich kurz nach Pletts Amtsantritt in Hamburg. Unter seiner Führung wurde dort seit 1950 „eine großzügige Planung für den weiteren Wiederaufbau“4 verfolgt. Daß Plett seinen Vorsatz, den gewerkschaftseigenen Wohnungsbau „groß aufzuziehen“, wahrmachen konnte, war allerdings einer Reihe von Voraussetzungen geschuldet, die weit jenseits des Einflusses einer Einzelperson oder eines einzelnen Unternehmens lagen. Drei Faktoren waren es, die den Aufbau eines gewerkschaftseigenen Großkonzerns nach 1945 begünstigten. Erstens hatte die ohnehin traditionell starke Abhängigkeit der Wohnungswirtschaft von der staatlichen Wohnungspolitik mit der katastrophalen Wohnungsnot nach dem Ende des Krieges eine neue Dimension erreicht. Mit dem I. Wohnungsbaugesetz übernahm die junge Bundesrepublik die Verantwortung – und das hieß vor allem: die Finanzierung – für den Wohnungsbau in einem bis dahin ungekannten Umfang. Davon profitierten die gemeinnützigen Wohnungsunternehmen, zu denen auch die gewerkschaftseigenen Gesellschaften gehörten, in besonderem Maße. Zweitens hatten die gewerkschaftseigenen Wohnungsunternehmen erhebliches Know-how, organisatorische Strukturen und nicht zuletzt Vermögen aus der Zeit ihrer Entstehung in der Weimarer Republik über das „Dritte Reich“ hinweg retten können. Dieses Erbe bildete die Grundlage für den schnellen Aufbau eines Großkonzerns. Drittens schließlich konnten diese Wohnungsunternehmen nach 1949 durch die Gründung der Einheitsgewerkschaft zwar organisatorisch in einer 1 2 3 4

Zit. nach Haag 1995, S. 21. Dort allerdings leider ohne Quellenangabe. Vgl. die Angaben in „Neue Heimat“ Gemeinnützige Wohnungs- und Siedlungsgesellschaft m.b.H, Hamburg, Geschäftsbericht für das Geschäftsjahr 1948/51 (Geschäftsberichte der NHH im folgenden zitiert als: GB NHH + Jahreszahl), S. 3, S. 6 u. S. 10 f. Vgl. Anhang, Tabellen 3, 6 und 8. GB NHH 1948/51, S. 3.

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2. Zwischen Tradition und Neuanfang

Hand zusammengefaßt werden; politisch und finanziell jedoch waren sie weitgehend sich selbst überlassen, weil die Gewerkschaften sich erst neu zu organisieren hatten, andere programmatische Schwerpunkte setzten und materiell nicht in der Lage waren, zu ihrer Aufrechterhaltung beizutragen. Erst vor diesem Hintergrund konnte die NH in den fünfziger Jahren jene Gestalt annehmen, die sie zu einem der wichtigsten Akteure auf dem Markt des Wohnungs- und später auch des Städtebaus machte. Die genannten Faktoren bilden deshalb den Gegenstand des folgenden Kapitels. Im Anfang war, ohne jeden Zweifel, die Wohnungsnot. Am Ende des Zweiten Weltkrieges waren „Millionen Wohnungen (...) zerstört, der verbliebene Wohnraum war überfüllt, Millionen Menschen mußten in Ruinen, Behelfs- und Notwohnungen hausen.“5 Die gewaltigen sozialen, ökonomischen und politischen Belastungen, die sich aus dieser bis dahin ungekannten Dimension des Wohnungselends ergaben, stellten die gerade erst im Entstehen begriffene Bundesrepublik vor eine ihrer größten Bewährungsproben. Sie dominierten Wohnungsmarkt und Wohnungspolitik bis weit über die Beseitigung der ärgsten Not hinaus und setzten dadurch langfristig entscheidende Rahmenbedingungen für die Tätigkeit der Träger des Wohnungsbaus.6 Die am deutlichsten sichtbare und auch zahlenmäßig wichtigste, aber beileibe nicht die einzige Ursache dieses massiven Wohnungselends war die unmittelbare Zerstörung von Wohnraum durch den Luftkrieg und durch die Bodenkämpfe in der Schlußphase des Krieges.7 Allein auf dem Gebiet der späteren Bundesrepublik (ohne Berlin und das Saarland), das Mitte 1943 – kurz vor Beginn der Flächenbombardements durch die Alliierten – etwa 10,84 Mio. Wohnungen zählte, wurden bis 1945 1,85 Mio. Wohnungen (17,1%) total zerstört. Weitere 500.000 Wohnungen waren so schwer beschädigt, daß sie als unbewohnbar galten. Insgesamt waren damit fast 22% des Wohnungsbestandes verlorengegangen.8 Dabei war der Wohnungsmarkt bereits vor diesen Verlusten alles andere als gesättigt gewesen. Schon durch das Erliegen der Bautätigkeit während des Ersten

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Günther Schulz, Wiederaufbau in Deutschland. Die Wohnungsbaupolitik in den Westzonen und der Bundesrepublik von 1945 bis 1957 (Forschungen und Quellen zur Zeitgeschichte Bd. 20), Düsseldorf 1994, S. 31. Zusammenfassend zur Sozialgeschichte des Wohnens in diesem Zeitraum vgl. Merith Niehuss, Familie, Frau und Gesellschaft. Studien zur Strukturgeschichte der Familie in Westdeutschland 1945–1960 (Schriftenreihe der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften Bd. 65), Göttingen 2001, S. 42 ff. Vgl. Wagner 1995, S. 27. Vgl. hierzu Michael Krause, Flucht vor dem Bombenkrieg. „Umquartierungen“ im Zweiten Weltkrieg und die Wiedereingliederung der Evakuierten in Deutschland 1943–1963 (Beiträge zur Geschichte des Parlamentarismus und der politischen Parteien Bd. 109), Düsseldorf 1997, S. 26 ff. sowie Jeffrey M. Diefendorf, In the Wake of War. The Reconstruction of German Cities after World War II, New York/Oxford 1993, S. 4 ff. Vgl. Schulz 1994, S. 33; Friedrich Kästner, Kriegsschäden, Statistisches Jahrbuch Deutscher Gemeinden 37.1949, S. 361–391, hier S. 367 ff.; Joachim Degner, Wohnungspolitik I: Wohnungsbau, in: Handwörterbuch der Wirtschaftswissenschaften, Bd. 9, Stuttgart u. a. 1982, S. 502–516, hier S. 503; Karl-Heinz Peters, Wohnungspolitik am Scheideweg. Wohnungswesen, Wohnungswirtschaft, Wohnungspolitik (Volkswirtschaftliche Schriften H. 343), Berlin 1984, S. 162 f. sowie hier und im folgenden Diefendorf 1993, S. 125 ff.

2.1 Wohnungsnot, Wohnungspolitik und Wohnungswirtschaft nach 1945

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Weltkrieges war er in eine „gewaltige Schieflage“9 geraten, die durch die Folgen der Inflation und der Weltwirtschaftskrise noch verschlimmert worden war. Weder in der Weimarer Republik noch unter den Nationalsozialisten war es gelungen, dieses Defizit zu beseitigen: Die mit den wenigen vermeintlich „goldenen Jahren“ der Weimarer Republik zwischen Inflation und Wirtschaftskrise weitgehend dekkungsgleiche „Hauszinssteuerära“, in der der Wohnungsbau erstmals in großem Umfang staatlich subventioniert worden war, war schlicht und einfach zu kurz gewesen, um eine merkliche Entspannung der Lage herbeizuführen; und unter den Nationalsozialisten hatte eine quantitativ erfolgreiche Wohnungsbaupolitik Mitte der dreißiger Jahre gerade erst zu greifen begonnen, als sie schon zum Opfer der Konzentration der Ressourcen auf den Rüstungssektor wurde.10 1939 betrug das reichsweite Defizit ca. 1,5 Mio. Wohnungen, und in den folgenden Jahren dürfte es – genaue Zahlen existieren hierzu nicht – auch schon vor dem Beginn der Bombardierungen erheblich angewachsen sein: Ab 1940 wurden die Wohnungsbauund Instandhaltungsmaßnahmen kriegsbedingt gedrosselt und zwei Jahre später gar annähernd eingestellt.11 Die Dramatik der Situation in der unmittelbaren Nachkriegszeit ergab sich aber nicht nur aus der Reduzierung des ohnehin knappen Wohnungsangebotes, sondern auch aus ihrer Kombination mit einer massiven Steigerung der Nachfrage. Diese war in erster Linie eine Folge der durch den Krieg hervorgerufenen Wanderungsbewegungen, insbesondere der Vertreibungen aus den ehemals deutschen Gebieten östlich von Oder und Neiße und der Zuwanderung aus der sowjetischen Besatzungszone. 5,96 Mio. Heimatvertriebene und 1,02 Mio. Zuwanderer kamen bis Oktober 1946 in die westlichen Besatzungszonen. Das entsprach einem Anteil von 13,6% bzw. 2,3% an der dortigen Bevölkerung. Bis zum Herbst 1950 stiegen diese Zahlen auf 7,88 Mio. Heimatvertriebene (16,5% der Bevölkerung) und 1,56 Mio. Zuwanderer (3,3%). Insgesamt hatte die Bevölkerungszahl auf dem späteren Bundesgebiet damit gegenüber dem Vorkriegsstand um 24% zugenommen.12 Die Wohnungsnachfrage stieg in diesem Zeitraum sogar überproportional: Sie war nicht primär von der Bevölkerungszahl, sondern von der Zahl der Haushalte abhängig. Letztere war aber kriegsbedingt noch viel stärker gestiegen als erstere.13 9 Schulz 1994, S. 37. 10 Vgl. zusammenfassend Karl Christian Führer, Die Entwicklung der Wohnungsmärkte vor 1945, in: Eichener/Emmerich/Petzina 2000, S. 38–50. Zur Entwicklung des Wohnungsdefizits in der Weimarer Republik auch Günther Schulz, Kontinuitäten und Brüche in der Wohnungspolitik von der Weimarer Zeit bis zur Bundesrepublik, in: Hans-Jürgen Teuteberg (Hg.), Stadtwachstum, Industrialisierung, Sozialer Wandel. Beiträge zur Erforschung der Urbanisierung im 19. und 20. Jahrhundert (Schriften des Vereins für Socialpolitik N. F. Bd. 156), Berlin 1986, S. 135–173, hier S. 137 und die dort genannte weiterführende Literatur. Zur Wohnungspolitik im NS Tilman Harlander, Zwischen Heimstätte und Wohnmaschine. Wohnungsbau und Wohnungspolitik in der Zeit des Nationalsozialismus, Basel/Berlin/Boston 1995; Karl Christian Führer, Anspruch und Realität. Das Scheitern der nationalsozialistischen Wohnungsbaupolitik 1933–1945, VfZ 45.1997, S. 225–256 sowie Schildt 1998(a). 11 Vgl. Schulz 1994, S. 38. 12 Alle Angaben nach ebd., S. 35 ff. 13 Zwar hatten fast alle Familien Todesfälle zu beklagen, aber nur in wenigen Fällen waren alle Familienangehörigen zu Tode gekommen. Die Zahl der Haushalte sank daher in geringerem Umfang als die Bevölkerungszahl. Vgl. ebd., S. 40.

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2. Zwischen Tradition und Neuanfang

Die Beschlagnahme von Wohnraum durch die Besatzungsmächte tat noch ein Übriges, um die ohnehin schon prekäre Lage weiter zu verschärfen. Insgesamt hatte sich also „die Schere zwischen dem Wohnungsbedarf und dem Angebot weiter geöffnet“14 als je zuvor in der deutschen Geschichte. Eine genaue Bezifferung des Defizits dürfte zwar unmöglich sein; 15 eine grobe Vorstellung können die folgenden Zahlen aber dennoch liefern. Zeitgenössische Schätzungen des Bundesministeriums für Wohnungsbau gingen für 1950 von einem Fehlbestand von ca. 4,8 Mio. Wohnungen aus, wobei allerdings das vor Ende des Krieges bereits vorhandene Defizit ebenso unberücksichtigt blieb wie die Entwicklung der Zahl der Haushalte. Neuere Studien gehen daher davon aus, daß der tatsächliche Fehlbetrag noch deutlich höher gelegen haben dürfte. Die Gegenüberstellung der Anzahl der Haushalte mit der Anzahl der „Normalwohnungen“, die Schulz zur Defizitberechnung vornimmt, erscheint plausibel und ergibt für das Jahr 1950 bei einem Bestand von 9,44 Mio. Wohnungen und 15,37 Mio. Haushalten ein Defizit von etwa 5,9 Mio. Wohnungen.16 Aus der Perspektive der Betroffenen und auch aus der Perspektive der Experten aus Wohnungswirtschaft und Wohnungspolitik mußte diese Lage trostlos erscheinen. Angesichts des Zusammenbruchs konnten in den Jahren 1945 bis 1947 nicht einmal die Ernährungsprobleme der Bevölkerung gelöst werden. Wieviel schwieriger mußte es sein, die mit weitaus größerem finanziellem und organisatorischem Aufwand verbundene Wohnungsfrage anzugehen? Es bedürfe, so befürchtete ein Mitarbeiter der Fachzeitschrift „Bauen und Wohnen“ kurz vor der Währungsreform, des „Zeitraumes in der Größenordnung eines Menschenalters“, „ehe wieder jedem Haushalt eine Wohnung etwa in dem Ausmaß von 1935 zur Verfügung stehen“ würde – „vielleicht für die Zeit um 1980“.17 Andere Prognosen hielten den Wohnungsmangel gar für ein Problem, das erst im Jahr 2000 überwunden sein würde.18 2.1.2 Wohnungsmarkt und Wohnungspolitik Angesichts dieser Zukunftserwartungen kann es kaum verwundern, daß Zeitgenossen den raschen Wiederaufbau der Bundesrepublik als „Wirtschaftswunder“, die schnelle Beseitigung der drängendsten Wohnungsnot als „Wohnungswunder“ und die rasante Expansion der NH als eine Art Phönixflug aus der Asche der Wohnviertel deutscher Großstädte wahrnahmen. Doch ebenso wie die Wirtschaft der Westzonen insgesamt erlebte auch der Wohnungsbau keineswegs die „Stunde Null“, zu der das zeitgenössische Urteil den 8. Mai 1945 erklärte. Im Gegenteil: Kaum eine andere Branche dürfte in so hohem Maße von über die Grenzen der po14 Ebd., S. 41. 15 Die Einzelheiten der methodischen und sachlichen Probleme sind zu entnehmen: ebd., S. 39 f. sowie der bei Schildt 1998(a), S. 167, Fn. 83 genannten Literatur. 16 Vgl. Schulz 1994, S. 40. 17 Kurt Gaede, Bauwirtschaftliche und bautechnische Gedanken zum Neuaufbau, Bauen und Wohnen 3.1948,2/3, S. 59, hier zit. nach Schildt 1998(a), S. 167. 18 Zu den Prognosen vgl. Schulz 1994, S. 45, Fn. 59.

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litischen Systeme hinwegreichenden Kontinuitäten geprägt worden sein wie die Wohnungswirtschaft.19 Schon das weitgehende Erliegen der Wirtschaftstätigkeit am Ende des Krieges stellte für sie keinen radikalen Bruch mit den letzten Jahren des NS-Regimes dar, weil, wie bereits erwähnt, seit 1940 die Neubautätigkeit weitgehend eingeschränkt und 1942 bis auf wenige Ausnahmen komplett eingestellt worden war.20 Allerdings verschärften das Ende des Krieges und der wirtschaftliche und gesellschaftliche Zusammenbruch den Mangel an Ressourcen für den Wohnungsbau so sehr, daß eine schnelle Ingangsetzung einer geregelten Bautätigkeit auch nun, wo sie politisch wieder erwünscht war, unmöglich erschien. Zwar hatte ein traditioneller Engpaß, die Kapitalbeschaffung, angesichts des Geldüberhanges seine Bedeutung völlig verloren.21 Doch Baustoffe, Transportmittel und Arbeitskräfte waren kaum vorhanden oder nur über Kompensationsgeschäfte zu erhalten, so daß die öffentliche Bewirtschaftung der Baustoffe durch den Schwarzmarkt völlig unterlaufen wurde.22 Die einzig nennenswerte Neubautätigkeit in der Zeit vor der Währungsreform entfiel daher auf sogenannte „BMW-Bauten“ – illegale Neubauten von Bauherren, die, wie Bäcker, Metzger und Wirte, Baustoffe und Arbeitskräfte in Naturalien bezahlen konnten.23 Diese desolate wirtschaftliche Lage und die fehlenden Voraussetzungen für eine geregelte Bautätigkeit bestimmten auch die politische Handhabung des Wohnungswesens durch die Besatzungsmächte und die deutschen Behörden. Zunächst galt ihre Aufmerksamkeit der Verwaltung des vorhandenen Wohnungsbestandes, während die Planungen für einen künftigen Massenwohnungsbau und den Wiederaufbau der zerstörten Städte zwar in Fachkreisen intensiv diskutiert wurden, aber in den Jahren vor der Gründung der Bundesrepublik noch ohne jede Realisierungschance blieben.24 Die Ansätze einer Wohnungszwangswirtschaft, mit denen seit dem Mietpreisstop von 1936 die vorübergehende Lockerung staatlicher Lenkungsversuche in den dreißiger Jahren beendet worden war, wurden im März 1946 mit dem Gesetz Nr. 18 des alliierten Kontrollrats in ein einheitliches System überführt. Dieses schrieb den Mietpreisstop und die Mieterschutzbestimmungen aus der Zeit des Nationalsozialismus fest und legte mit einer rigiden Wohnraumbewirtschaftung die Vergabe sämtlichen Wohnraumes in die Hände kommunaler Wohnungsämter.25 Zwar blieb das Wohnungswesen damit weiterhin prinzipiell privat verfaßt, doch die umfassenden Kompetenzen der Stadtverwaltungen und der Wohnungsämter, die bis in eine Reglementierung des Neubaus hineinreichten, setzten faktisch alle Marktmechanismen außer Kraft. „Ähnlich weit entfernt von 19 Vgl. dazu generell Schulz 1986, passim und Schildt 1998(a), passim. 20 Vgl. Schulz 1994, S. 38. 21 Vgl. Karl Christian Führer, Mieter, Hausbesitzer, Staat und Wohnungsmarkt. Wohnungsmangel und Wohnungszwangswirtschaft in Deutschland 1914–1960 (VSWG Beiheft 119), Stuttgart 1995, S. 254. 22 Vgl. Schulz 1994, S. 141 ff. 23 Vgl. Führer 1995, S. 255. 24 Vgl. Schildt 1998(a), S. 167 f. sowie Irmgard Zündorf, Der Preis der Marktwirtschaft. Staatliche Preispolitik und Lebensstandard in Deutschland 1948 bis 1963 (VSWG Beiheft 186), Stuttgart 2006, S. 131 ff. 25 Vgl. Führer 1995, S. 350 f.

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der marktwirtschaftlichen Ordnung war das Wohnungswesen weder vorher noch hinterher jemals wieder.“26 Diese annähernd vollständige Aufhebung der Marktmechanismen war von einem Konsens getragen, der auch den Hintergrund für die Wiederaufbauplanungen bildete. Niemand, auch nicht die couragiertesten Verfechter einer marktwirtschaftlichen Neuordnung, bezweifelte ernsthaft, daß eine so umfassende Aufgabe wie der Bau von Millionen von Wohnungen und die Versorgung breiter Schichten der Bevölkerung mit Wohnraum nur unter staatlicher Regie stattfinden konnte.27 Paradoxerweise bestärkte die Währungsreform, von der verschiedentlich der entscheidende Impuls für eine Belebung der Wohnungsmärkte erwartet worden war, die Experten noch in dieser Auffassung.28 Denn die Geldumstellung verlagerte die Schwierigkeiten nur. Statt der Baustoffknappheit wurde nun wieder die Kapitalknappheit zum zentralen Problem, das zunächst – vor der Einführung erster Maßnahmen zur Bereitstellung öffentlicher Subventionen im Laufe des Jahres 1949 – so gravierend ausfiel, daß ein quantitativ ins Gewicht fallender Massenwohnungsbau völlig undenkbar war.29 Die geringe Leistungsfähigkeit der Nachfrage erforderte außerdem die Fortführung der Wohnraumbewirtschaftung, auch nachdem durch das Leitsätzegesetz in anderen Bereichen ein Großteil der Preisbindungen und Kontingentierungen weggefallen war.30 Aufgrund der durch die Stopmieten geringen Kapitalrendite war der Wohnungsbau für Investoren wenig attraktiv, während die Bautätigkeit im gewerblichen und im öffentlichen Sektor schon bald nach der Währungsreform deutlich an Schwung gewann – ein Umstand, dessen offenkundige soziale Problematik sogar die Besatzungsmächte in einige Unruhe versetzte.31 Auch auf die Instandsetzungstätigkeit, die in den Jahren 1945 bis 1949 angesichts der Zerstörungen eine große Rolle spielte, wirkte sich die Kapitalknappheit aus: Hatten vor der Währungsreform selbst liquide Woh26 Günter Schulz, Wohnungspolitik und Wirtschaftsordnung: Die Auseinandersetzungen um die Integration der Wohnungspolitik in die Marktwirtschaft (1945–1960), in: Dietmar Petzina (Hg.), Ordnungspolitische Weichenstellungen nach dem Zweiten Weltkrieg (Schriften des Vereins für Socialpolitik N. F. Bd. 203), Berlin 1991, S. 123–143, hier S. 127. Dort auch im einzelnen zu den Kompetenzen der Wohnungsämter. 27 Vgl. Schildt 1998(a), S. 169 sowie ders., „.... für die breiten Schichten des Volkes.“ Zur Planung und Realisierung des „Sozialen Wohnungsbaus“ in der Bundesrepublik Deutschland (1950–1960), Comparativ. Leipziger Beiträge zur Universalgeschichte und vergleichenden Gesellschaftsforschung 1996/3, S. 24–48, hier S. 27. 28 Die Enttäuschung über ausbleibende Wirkung der Währungsreform für die Wohnungswirtschaft bringt zum Ausdruck Gerhard Weisser, Die Gemeinnützige Wohnungswirtschaft nach der Währungssanierung, GWW 1.1948,1, S. 9–11. 29 Vgl. Lidwina Kühne-Büning/Werner Plumpe/Jan-Otmar Hesse, Zwischen Angebot und Nachfrage, zwischen Regulierung und Konjunktur. Die Entwicklung der Wohnungsmärkte in der Bundesrepublik, 1949–1989/1990–1998, in: Flagge 1999, S. 153–234, hier S. 194. Zu den ersten Subventionsmaßnahmen vgl. Schulz 1994, S. 149 ff. 30 Vgl. ebd., S. 145 f. 31 Vgl. ebd., S. 153 f. und Weinert 1994, S. 79. Weinert überschätzt allerdings die Bedeutung der Besatzungsmächte für den Wiederaufbau. Für eine ausgewogenere Bewertung vgl. Jeffry M. Diefendorf, America and the Rebuilding of Urban Germany, in: ders./Axel Frohn/Hermann-Josef Rupieper (Hg.), American Policy and the Reconstruction of West Germany, 1945–1955, Cambridge 1993, S. 331–351.

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nungsunternehmen keine Reparaturen durchführen können, weil die Arbeitskräfte und das Material hierzu nicht vorhanden waren, fehlte ihnen nach dem Währungsschnitt schlichtweg das Geld dazu.32 So erschien eine umfassende staatliche Subventionierung des Wohnungsbaus schon allein aus wohnungswirtschaftlichen Gründen erforderlich. Durch die dahinter stehende soziale Problematik und die Furcht vor einer politischen Radikalisierung der Wohnungslosen geriet sie zu einer nahezu zwingenden Notwendigkeit.33 Diese eindeutige Problemlage fand bald nach der Gründung der Bundesrepublik ihren Niederschlag in der raschen Verabschiedung des I. Wohnungsbaugesetzes am 28. März 1950, der „erste[n] Großtat des Bundes“.34 Dieses Gesetz bildete, trotz seiner nur bis in das Jahr 1956 reichenden Gültigkeit, den Grundstein der Wohnungspolitik der Bundesrepublik für die nächsten dreißig Jahre. Es gab den entscheidenden Anstoß zur Etablierung einer geregelten Bautätigkeit und enthielt neben der prinzipiellen Anerkennung der Verantwortung des Staates für die Wohnungsversorgung breiter Schichten der Bevölkerung auch einige weitere grundlegende Weichenstellungen, die für das Wohnungswesen langfristig entscheidende Rahmenbedingungen setzten.35 Dem zentralen Hindernis eines geregelten Wiederaufbaus, der Kapitalknappheit, entsprechend, handelte es sich bei dem Gesetz in erster Linie um ein Wohnungsbaufinanzierungsgesetz, das andere Fragen wie beispielsweise das umstrittene Thema der Bodenreform zunächst ausklammerte.36 Die wichtigste der in dem Gesetz enthaltenen Maßnahmen war eindeutig die Einrichtung des sogenannten „öffentlich geförderten sozialen Wohnungsbaus“, eines umfassenden staatlichen Wohnungsbauprogramms, in dessen Rahmen innerhalb von sechs Jahren 1,8 Mio. Wohnungen öffentlich finanziert und errichtet werden sollten. Anders als der „Kleinwohnungsbau“ der Weimarer Republik hatte der öffentlich geförderte soziale Wohnungsbau, in dessen Rahmen i. d. R. nur Wohnungen von einer Größe zwischen 32 und 65 qm Wohnfläche gefördert wurden, dabei nicht mehr nur Arbeiter im Blick, sondern den weit überwiegenden Teil der Bevölkerung der Bundesrepublik, der seine kriegsbedingte Notlage nicht aus eigenen Mitteln überwin32 Vgl. Führer 1995, S. 255. 33 Vgl. Schildt 1998(a), S. 169. 34 Klaus v. Beyme u. a., Leitbilder des Wiederaufbaus in Deutschland, in: ders. u. a. (Hg.), Neue Städte aus Ruinen. Deutscher Städtebau der Nachkriegszeit, München 1992, S. 9–30, hier S. 30. 35 Vgl. Schulz 1994, S. 239 ff. Zu Entstehung des I. Wohnungsbaugesetzes vgl. neben dieser maßgeblichen Darstellung vor allem Wagner 1995, S. 32 ff.; daneben auch Michael Krummacher, Wohnungspolitik und Sozialstaatspostulat in der Bundesrepublik Deutschland. Eine politikwissenschaftliche Analyse des Anspruchs, der Maßnahmen und Wirkungen der staatlichen Wohnungspolitik in der BRD, Diss. phil. Hannover 1978, S. 134 ff.; ders., Sozialer Wohnungsbau in der Bundesrepublik in den fünfziger und sechziger Jahren, in: Axel Schildt/Arnold Sywottek (Hg.), Massenwohnung und Eigenheim. Wohnungsbau und Wohnen in der Großstadt seit dem Ersten Weltkrieg (Campus Forschung Bd. 589), Frankfurt a. M./New York 1988, S. 440–460, hier v. a. S. 445 ff.; Hans-Günther Pergande/Jürgen Pergande, Die Gesetzgebung auf dem Gebiete des Wohnungswesens und des Städtebaus, in: Deutsche Bau- und Bodenbank Aktiengesellschaft 1923–1973. 50 Jahre im Dienste der Bau- und Wohnungswirtschaft, Frankfurt a. M. 1973, S. 11–209, hier S. 169 ff. und Schildt 1996, S. 31 ff. 36 Vgl. Schulz 1994, S. 241 f.

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den konnte.37 Insbesondere die Frage der finanziellen Belastbarkeit dieses Personenkreises, der mit der Verdienstgrenze in der Angestelltenversicherung großzügig bemessen war und ca. 70% der Bevölkerung umfaßte, bildete dabei die wesentliche Meßlatte für die Ausgestaltung der staatlichen Förderung.38 Schon deshalb war die prinzipielle Offenheit des Gesetzes mit Bezug auf die Eigentumsform in den ersten Jahren weitgehend Makulatur: Die Kapitalnot und die geringe Leistungsfähigkeit der ins Visier genommenen Bevölkerungsschichten brachten eine eindeutige Schwerpunktsetzung beim im Vergleich zum Eigenheimbau billigeren mehrgeschossigen Mietwohnungsbau mit sich, die zudem durch die länderspezifische Ausgestaltung der Förderungsrichtlinien zum Teil noch unterstützt wurde.39 Anders als in der Weimarer Republik wurde die Förderung dabei nicht an der Höhe der zur Verfügung stehenden öffentlichen Mittel, sondern an der sogenannten „Richtsatzmiete“ ausgerichtet, mit der vom Gesetzgeber eine sozial erwünschte Miethöhe festgesetzt wurde. Die Differenz zwischen dieser Richtsatzmiete und der sogenannten Kostenmiete, die die Kosten des Bauherren abdeckte, übernahm die öffentliche Hand. Dafür stellte der Gesetzgeber eine Anzahl von Förderungsinstrumenten zur Verfügung: zinslose und zinsverbilligte Darlehen, Bürgschaften sowie steuerliche Vergünstigungen hinsichtlich des Grunderwerbs, der Absetzbarkeit der Herstellungskosten von Wohngebäuden (§ 7 b EStG) und der Absetzbarkeit von Darlehen, die dem Wohnungsbau von Dritten gewährt wurden (§ 7 c EStG).40 Trotz der sehr weitgehenden Bindungen, die das I. Wohnungsbaugesetz den öffentlich geförderten Wohnungen im Gegenzug hinsichtlich Größe, Mietpreis und Belegung auferlegte, markierte es aber auch einen ersten Schritt in Richtung einer Liberalisierung des Wohnungsmarktes. Denn neben dem öffentlich geförderten sozialen Wohnungsbau sah es noch zwei weitere Varianten vor: zum einen den steuerbegünstigten Wohnungsbau, für den zwar keine Förderungsmittel zur Verfügung standen, der aber dennoch in den Genuß der Steuervergünstigungen nach § 7 b und c EStG sowie der Grundsteuervergünstigungen gelangte. Damit durften Wohnungen mit maximal 80 qm Wohnfläche gebaut werden, die nicht der Wohnraumbewirtschaftung unterlagen und für die der Bauherr die Kostenmiete verlangen konnte. Zum anderen schuf das Gesetz auch den frei finanzierten Wohnungsbau, der – abgesehen von § 7 b EStG – keine Vergünstigungen erhielt, dafür aber auch weder hinsichtlich der Wohnfläche noch der Bewirtschaftung und der Mietpreisbildung irgendwelchen Beschränkungen unterlag.41 Insbesondere diese völlige Freistellung des frei finanzierten Wohnungsbaus von sozialen und wirtschaftlichen Bindungen bedeutete ein Novum auf dem deutschen Wohnungsmarkt. Erstmals seit der Einführung zwangswirtschaftlicher Elemente während des Ersten Weltkrieges entstand damit ein vollständig liberalisierter Teilmarkt, der die prinzipielle Anerkennung der ordnungspolitischen Weichen37 38 39 40

Vgl. Schildt 1998(a), S. 172; Schulz 1994, S. 240 und Pergande/Pergande 1973, S. 171 ff. Vgl. Wagner 1995, S. 33. Vgl. Schildt 1998(a), S. 170 f. Vgl. Schulz 1994, S. 239. Zur Bedeutung des § 7c für die Unternehmenspolitik der NH vgl. Kap. 3.1.2.2 dieser Arbeit. 41 Vgl. Schulz 1994, S. 240; Krummacher 1978, S. 136 f. und Pergande/Pergande 1973, S. 173.

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stellung zugunsten marktwirtschaftlicher Verhältnisse beinhaltete.42 Damit hatte das I. Wohnungsbaugesetz einen eindrucksvollen Spagat zwischen staatlicher Lenkung und Liberalisierung des Wohnungsmarktes geschlagen, ohne allerdings verhindern zu können, daß die Spannung zwischen diesen beiden Polen und die Konsequenzen aus ihrer scheinbar so eleganten Verbindung schon Mitte der fünfziger Jahre auf die Tagesordnung der Wohnungspolitik zurückkehren sollten. Einstweilen, also in den ersten Jahren nach der Verabschiedung des Gesetzes, blieb aber die Tatsache der umfangreichen Förderung der bestimmende Impuls auf dem Wohnungsmarkt. Bis 1956 brachten Bund, Länder und Gemeinden jährlich zwischen einer und 2,2 Mrd. DM für die Förderung des Wohnungsbaus auf. Zusammen mit den Lastenausgleichsmitteln summierten sich die von der öffentlichen Hand in diesem Zeitraum aufgewendeten Mittel insgesamt auf ca. 18 Mrd. DM.43 Damit wurde der Wohnungsbau nicht nur wiederbelebt, sondern auch eine Wohnungsbauleistung erzielt, die alles bisher Dagewesene weit in den Schatten stellte. Seit 1950 stieg die Zahl der Fertigstellungen sprunghaft an. 1953 überschritt sie erstmals die Marke von 500.000, und für den Rest der fünfziger Jahre blieb sie oberhalb dieser Schwelle. Insgesamt entstanden so bis 1956 knapp 3,6 Mio. Wohnungen. Das Ziel, im Rahmen dieser allgemeinen Bautätigkeit 1,8 Mio. Wohnungen des Sozialen Wohnungsbaus zu erstellen, wurde sogar noch leicht übertroffen.44 Zweifellos war das I. Wohnungsbaugesetz damit eines der erfolgreichsten Gesetze in der Geschichte der Bundesrepublik. 2.1.3 Die gemeinnützige Wohnungswirtschaft Dieser Erfolg war vor allem durch den Leidensdruck des Wohnungselends zustande gekommen. Die krisenhafte Lage ließ den Gedanken in den Vordergrund rücken, „man müsse alle Kapazitäten und Kompetenzen zusammenfassen, um die immense Wohnungsnot anzugehen.“45 Dieser Gedanke hatte auch die Überlegungen zur Neuordnung der Anbieterstrukturen auf dem Wohnungsmarkt geprägt, die ebenfalls in das I. Wohnungsbaugesetz einflossen. Gegenüber der Zwischenkriegszeit brachte diese Neuordnung zwar, wie noch zu zeigen sein wird, de jure eine Verschlechterung der Position der gemeinnützigen Wohnungsunternehmen, also jener Bauherrengruppe, der auch die Gesellschaften der zukünftigen Unternehmensgruppe NEUE HEIMAT angehörten; de facto konnten diese jedoch ihre schon in der Weimarer Republik starke Position behaupten und sich als dominierende Träger des öffentlich geförderten Wohnungsbaus etablieren. Das lag allerdings nur zum Teil an den Bestimmungen des I. Wohnungsbaugesetzes. Ebenso wichtig war die Tatsache, daß die Gemeinnützigen bereits in der Zwischenkriegszeit eine Entwicklung genommen hatten, die sie nahezu optimal auf die Aufgaben vorbereitete, die nach 1945 anstanden. Unmittelbar nach dem 42 43 44 45

Vgl. Schulz 1994, S. 243. Vgl. die Tabelle bei Wagner 1995, S. 399. Alle Zahlen nach der Tabelle bei Schulz 1994, S. 351. Ebd., S. 107 (Hervorhebung im Original).

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Ende des Ersten Weltkrieges war es zu einer weitgehend spontanen Gründungswelle gemeinnütziger Wohnungsbaugesellschaften – insbesondere Genossenschaften – gekommen, die einerseits den stark anwachsenden Wohnungsbedarf reflektierte, andererseits auch auf die verstärkte Bereitschaft von Parteien, Kirchen, Unternehmern und schließlich auch Gewerkschaften, sich aktiv am Wohnungsbau zu beteiligen, zurückzuführen war.46 Auch die Kommunen, die nach Kriegsende „zu einer Art Exekutive des Sozialstaatspostulats“47 der Weimarer Reichsverfassung geworden waren, spielten nun bei der Gründung und der Führung von Wohnungsbaugesellschaften eine aktive Rolle, wobei sie im Gegensatz zu Parteien und Kirchen nicht auf Baugenossenschaften, sondern vor allem auf Kapitalgesellschaften setzten. Diese Entwicklung wurde durch das 1924 eingerichtete Förderungssystem der Hauszinssteuer noch befördert; denn über die Beteiligung an gemeinnützigen Kapitalgesellschaften konnten die Kommunen, die mit der Erhebung der Hauszinssteuer betraut waren, auch die Verteilung dieser Gelder zielgenau bestimmen.48 Durch die föderale Organisation des Wohnungsbauförderungssystems der Hauszinssteuerära und die Versuche von Ländern und Kommunen, gemeinnützige Wohnungsunternehmen besonders stark in den Wohnungsbau einzubinden, entstand allerdings eine verwirrende Vielfalt an Vergünstigungsregelungen für diese Unternehmen.49 Denn die zentralen Kriterien der Wohnungsgemeinnützigkeit – also die Beschränkung auf den Wohnungsbau für einkommensschwache Mieter, die Beschränkung der Dividendenauszahlung auf 4% des eingezahlten Nominalkapitals und die Vorschrift, daß das einmal eingezahlte Kapital auf unbegrenzte Zeit für den Wohnungsbau zweckgebunden bleiben sollte – waren zwar in ihren Grundzügen seit Mitte des 19. Jahrhunderts gewohnheitsrechtlich anerkannt, aber ihre genaue Kodifizierung stand bis in die Weimarer Republik hinein noch aus.50 46 Vgl. Ulrich Blumenroth, Hundert Jahre deutsche Wohnungspolitik. Aufgaben und Maßnahmen, in: Deutsche Bau- und Bodenbank Aktiengesellschaft 1923–1973. 50 Jahre im Dienste der Bau- und Wohnungswirtschaft, Frankfurt a. M. 1973, S. 211–411, hier S. 313; Klaus Novy/Michael Prinz, Illustrierte Geschichte der Gemeinwirtschaft. Wirtschaftliche Selbsthilfe in der Arbeiterbewegung von den Anfängen bis 1945, Berlin/Bonn, 1985, S. 101 ff. Zusammenfassend zu den Gemeinnützigen in der Weimarer Republik vgl. Michael Drupp, Gemeinnützige Bauvereine im Wohnungswesen der Weimarer Republik, in: Werner Abelshauser (Hg.), Die Weimarer Republik als Wohlfahrtsstaat. Zum Verhältnis von Wirtschafts- und Sozialpolitik in der Industriegesellschaft (VSWG Beiheft 81), Stuttgart 1987, S. 124–146 sowie Peters 1984, S. 94 ff. 47 Adelheid v. Saldern, Häuserleben. Zur Geschichte städtischen Arbeiterwohnens vom Kaiserreich bis heute (Politik- und Gesellschaftsgeschichte Bd. 38), Bonn 21997, S. 122. 48 Vgl. Stöcker 1976, S. 175 und Saldern 1997, S. 136 f. 49 Bis 1930 berührten, von der Flut an Landesgesetzen, Verordnungen und Erlassen ganz abgesehen, allein zehn Reichsgesetze diesen Gegenstand, vgl. Julius Brecht, Wohnungsgemeinnützigkeit, in: Hermann Wandersleb (Hg.), Handwörterbuch des Städtebaus, Wohnungs- und Siedlungswesens Bd. 3, Stuttgart 1959, S. 1732–1743, hier S. 1733. 50 Vgl. ebd., S. 1732. Zur Geschichte der Kriterien der Wohnungsgemeinnützigkeit bis zum Ersten Weltkrieg vgl. Helmut W. Jenkis, Ursprung und Entwicklung der gemeinnützigen Wohnungswirtschaft. Eine wirtschaftliche und sozialgeschichtliche Darstellung (Schriftenreihe des Instituts für Städtebau, Wohnungswirtschaft und Bausparwesen Bd. 24), Bonn 1973, S. 59 ff.; ders., Die gemeinnützige Wohnungswirtschaft zwischen Markt und Sozialbindung, Aufsätze und Abhandlungen (Schriften zum Genossenschaftswesen und zur Öffentlichen Wirtschaft

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Die damit einhergehende Rechtsunsicherheit forderte angesichts der zunehmenden Bedeutung gemeinnütziger Wohnungsunternehmen die Schaffung einer einheitlichen gesetzlichen Grundlage geradezu heraus.51 Eine erste, 1928 in die Wege geleitete Gesetzesinitiative konnte zwar auf parlamentarischem Wege nicht durchgesetzt werden, wurde jedoch in die auf der Grundlage des Artikels 48 der Weimarer Reichsverfassung von Brüning erwirkte „Verordnung zur Sicherung von Wirtschaft und Finanzen“ vom 1. Dezember 1930 mit aufgenommen.52 Diese sogenannte „Gemeinnützigkeitsverordnung“ nahm bereits die wesentlichen inhaltlichen Bestimmungen des am 29. Februar 1940 per Führererlaß ergangenen „Gesetzes über die Gemeinnützigkeit im Wohnungswesen“ vorweg, das dann endgültig jene bereits genannten Merkmale gemeinnütziger Wohnungsunternehmen festschrieb, die bereits seit über neunzig Jahren als die grundlegenden organisatorischen Prinzipien der Wohnungsgemeinnützigkeit galten.53 Das WGG überstand den Zusammenbruch des „Dritten Reiches“ unbeschadet und bildete zusammen mit der zugehörigen Durchführungsverordnung den bedeutsamsten Teil der rechtlichen Rahmenbedingungen, unter denen die Unternehmenspolitik der NH-Gruppe in den folgenden Jahrzehnten formuliert und umgesetzt wurde.54 Das Fortbestehen der zwingenden wirtschaftlichen und sozialen Bindungen dieses Gesetzes, dessen Initiatoren weder das dramatische Wohnungselend bei Kriegsende noch den Aufstieg eines Verbundes lokal angesiedelter gemeinnütziger Wohnungsunternehmen zu einem weltweit operierenden Großkonzern vorhergesehen hatten, bildet denn auch den im gegenwärtigen Kontext bemerkenswerten Aspekt der Kontinuität des WGG.55 Daß in der Zwischenkriegszeit die wesentlichen Voraussetzungen geschaffen wurden, unter denen die gemeinnützige Wohnungswirtschaft nach dem Zweiten Weltkrieg arbeitete, lag jedoch nicht nur an der Schaffung einer einheitlichen Rechtsgrundlage. Tatsächlich ermöglichte das WGG auch eine gezielte Beeinflussung der Branchenstruktur des gemeinnützigen Wohnungswesens. Die Welle von Neugründungen gemeinnütziger Wohnungsbaugesellschaften nach dem Ersten Weltkrieg hatte eine Vielzahl von sehr kleinen und nicht besonders leistungsfähi-

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Bd. 14), Berlin 1985, S. 68 ff. u. S. 143 ff. sowie Johann Friedrich Geist/Klaus Kürvers, Das Berliner Mietshaus. Bd. 1: 1740–1862, München 1980, S. 433 f. Vgl. Brecht 1959, S. 1733. Vgl. Jenkis 1994, S. 311 und Peters 1984, S. 98 ff. Vgl. Gesetz über die Gemeinnützigkeit im Wohnungswesen vom 29.2.1940, RGBl. I, S. 438– 442. Vgl. auch Jenkis 1988. Verordnung zur Durchführung des Gesetzes über die Gemeinnützigkeit im Wohnungswesen (WGGDV) vom 23. Juli 1940, RGBl. I, S. 1012–1018. Im Gegensatz zum WGG wurde die Durchführungsverordnung nach 1945 mehrmals verändert, vgl. Jenkis 1994, S. 315. Die offensichtliche rechtliche Kontinuität zum Nationalsozialismus, auf die z. B. Wagner 1995, S. 322, hinweist, erscheint hingegen in einer auf die Wohnungsunternehmen gerichteten Perspektive weniger bedeutsam. Wie bereits dargelegt, lagen die Wurzeln des WGG nicht in spezifisch nationalsozialistischen Vorstellungen, sondern in der Kombination aus bürgerlichwohnungsreformerischem und sozialistisch-genossenschaftlichem Gedankengut, das sich bis in die Mitte des 19. Jahrhunderts zurückverfolgen läßt. Für das WGG gilt daher, was Axel Schildt auch in Bezug auf personelle Kontinuitäten der Funktionseliten im Wohnungsbau festgestellt hat: „Das war (...) eine Kontinuität, die nicht im ‚Dritten Reich‘ wurzelte, sondern durch das NS-Regime hindurch verlief“, Schildt 1998(a), S. 165.

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2. Zwischen Tradition und Neuanfang

gen Gesellschaften hervorgebracht.56 Diese zumeist ehrenamtlich geführten Genossenschaften waren kaum in der Lage, das für eine umfassende Bauherrentätigkeit erforderliche Know-how zu generieren und konnten auch kaum von den Rationalisierungseffekten profitieren, die sich bei größeren Gesellschaften aus der Anwendung mit hohem Koordinierungsaufwand verbundener Finanzierungs- und Bauverfahren ergaben.57 Schon in den zwanziger Jahren hatten die Länder deshalb versucht, durch die Zuteilung öffentlicher Mittel die weitere Entstehung kleiner und kleinster Baugenossenschaften zu verhindern.58 Spätestens mit Einsetzen der Weltwirtschaftskrise, die im Verein mit der Deflationspolitik des Kabinetts Brüning das System der Hauszinssteuer zur Bedeutungslosigkeit verdammte, war diese Größenstruktur dann endgültig zu einem Anachronismus geworden.59 Das WGG enthielt nun auch eine Bestimmung, mit der sich der ohnehin im Gange befindliche Niedergang der kleineren Unternehmen auf politischem Wege noch beschleunigen ließ. § 15 des Gesetzes besagte schlicht: „Das Wohnungsunternehmen muß einem Bedürfnis entsprechen“.60 Diese Klausel bildete den Ausgangspunkt eines vor allem von den Nationalsozialisten vorangetriebenen, staatlich gelenkten Umstrukturierungs- und Konzentrationsprozesses, der eine fundamentale, bis in die Bundesrepublik fortwirkende Neuordnung der Branchenstruktur zur Folge hatte. Gleich zu Beginn ihrer Herrschaft hatten die Nationalsozialisten mit dem Austausch aller politisch gebundenen bzw. frei gewählten Organmitglieder in den gemeinnützigen Wohnungsbaugesellschaften und –genossenschaften die gesamte Branche politisch „gleichgeschaltet“ und diesen Schritt post factum mit dem „Gesetz zur Sicherung der Gemeinnützigkeit“ vom Juli 1933 legalisiert.61 Innerhalb kürzester Zeit integrierten sie so die gemeinnützige Wohnungswirtschaft in das politische System des „Führerstaates“. Allerdings gelang es ihnen zunächst nicht, die in ihr repräsentierten politischen Milieus vollständig zu durchdringen: Vor al-

56 Allein zwischen 1918 und 1930 stieg die Zahl der Baugenossenschaften von 1.402 über 2.131 im Jahr 1920 und 3.795 im Jahr 1925 auf 4.390 Unternehmen. Nur sehr wenige dieser Baugenossenschaften (etwa 7%) bewirtschafteten 1937 einen Bestand von mehr als 500 Wohneinheiten; fast die Hälfte von ihnen hatte sogar weniger als 50 Wohneinheiten zu verwalten, vgl. Stöcker 1976, S. 160 f. und Blumenroth 1973, S. 313. 57 Vgl. ebd., S. 315 f. 58 Vgl. ebd., S. 314. 59 Vgl. Michael Ruck, Die öffentliche Wohnungsbaufinanzierung in der Weimarer Republik, in: Schildt/Sywottek 1988, S. 150–200, hier S. 179 f. 60 Gesetz über die Gemeinnützigkeit im Wohnungswesen vom 29.2.1940, § 15, RGBl. I, S. 438– 442, hier S. 439. 61 Vgl. Wagner 1995, S. 322. Zur Entwicklung der Gemeinnützigen im Nationalsozialismus generell Harlander 1995, passim; ders./Gerhard Fehl (Hg.), Hitlers sozialer Wohnungsbau 1940–1945. Wohnungspolitik, Baugestaltung und Siedlungsplanung. Aufsätze und Rechtsgrundlagen zur Wohnungspolitik, Baugestaltung und Siedlungsplanung aus der Zeitschrift „Der Soziale Wohnungsbau in Deutschland“ (Stadt – Planung – Geschichte Bd. 6), Hamburg 1986, v. a. S. 64 ff.; Peters 1984, S. 143 ff. Viele Hinweise auch bei Ulrike Haerendel, Kommunale Wohnungspolitik im Dritten Reich. Siedlungsideologie, Kleinhausbau und ‚Wohnraumarisierung‘ am Beispiel Münchens (Studien zur Zeitgeschichte 57), München 1999, bes. S. 299 ff.

2.1 Wohnungsnot, Wohnungspolitik und Wohnungswirtschaft nach 1945

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lem die Baugenossenschaften bildeten noch bis Ende der dreißiger Jahre einen Rückzugsraum für Gewerkschafter, Sozialdemokraten und Zentrumsanhänger.62 Das änderte sich erst durch die Wiederbelebung des zuvor weitgehend daniederliegenden Wohnungsbaus im Rahmen des „Vierjahresplanes“ von 1936 und dann durch die beginnenden Planungen für ein groß angelegtes Wohnungsbauprogramm nach einem siegreichen Ende des Krieges.63 Im Zuge dieser Planungen erkoren die Nationalsozialisten die Gemeinnützigen nun zum Träger des „Volkswohnungsbaus“. Das schlug sich zum einen darin nieder, daß sie bei der öffentlichen Förderung für die im Rahmen des Vierjahresplanes zu erstellenden Baumaßnahmen bevorzugt berücksichtigt wurden.64 Zum anderen führte es aber auch dazu, daß die Nationalsozialisten versuchten, leistungsfähige Wohnungsunternehmen zu schaffen, die hinsichtlich ihrer Organisationsstruktur dazu angetan sein sollten, die großzügigen Aufbauplanungen in die Tat umzusetzen. Dazu wurden zahlreiche kleine Baugenossenschaften und Kapitalgesellschaften auf der Grundlage des § 15 WGG organisatorisch zusammengefaßt und einer einheitlichen Leitung unterstellt. Diese Verschmelzungspolitik hatte zwei Effekte: Sie beeinflußte die Größenstruktur der Gemeinnützigen und schuf professionell geführte Unternehmen, die auch zur Durchführung größerer Bauprojekte in der Lage waren; und die Professionalisierung und Rationalisierung dieser Unternehmen bewirkte das Ende vieler ehrenamtlich geführter Genossenschaften und damit auch ihre endgültige Herauslösung aus dem Kontext der politischen Milieus, aus denen sie hervorgegangen waren.65 Die gemeinnützige Wohnungswirtschaft wurde durch diese Maßnahmen zwar einerseits ihres politischen Kerns beraubt, andererseits aber in organisatorischer Hinsicht sehr gut auf ihre Aufgaben nach dem Krieg – auch auf die Aufgaben nach dem verlorenen Krieg – vorbereitet. Das galt nicht nur aus einzelbetrieblicher Perspektive, sondern auch hinsichtlich der Branchenorganisation: Der Reichsverband für das Gemeinnützige Wohnungswesen, der 1938 im Zuge der „Gleichschaltung“ der Spitzenverbände der gemeinnützigen Wohnungswirtschaft geschaffen worden war, wurde 1946 in der britischen Besatzungszone in nahezu unveränderter Form wiedergegründet und 1948 auf die anderen Westzonen ausgedehnt.66 In Form des Gesamtverbandes Gemeinnütziger Wohnungsunternehmen (GGW), wie der Spitzenverband nun hieß, gewannen die Gemeinnützigen maßgeblichen Einfluß auf die Formulierung der Wohnungspolitik der Sozialdemokra-

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Vgl. Harlander/Fehl 1986, S. 65 ff. Vgl. dazu zusammenfassend ebd., S. 11 ff. Vgl. Stöcker 1976, S. 176 f. Vgl. ebd., S. 65 ff. Vgl. Julius Brecht/Erich Klabunde, Wohnungswirtschaft in unserer Zeit, Hamburg 1950, S. 209; René Hagemann-Miksitz/Michael Kanther/Volker Eichener, Geschichte des GdW Bundesverbandes deutscher Wohnungsunternehmen, in: Eichener/Emmerich/Petzina 2000, S. 194–227, hier S. 208 ff. sowie Thomas Hafner, Vom Montagehaus zur Wohnscheibe. Entwicklungslinien im deutschen Wohnungsbau 1945–1970. Mit ausgewählten Beispielen aus Baden-Württemberg (Stadt – Planung – Geschichte Bd. 13), Basel/Berlin/Boston 1993, S. 150.

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2. Zwischen Tradition und Neuanfang

ten, aber auch der CDU. Im August 1949 legte der GGW einen Gesetzesentwurf vor, der den Kern des späteren I. Wohnungsbaugesetzes bildete.67 Trotz dieses fortbestehenden politischen Einflusses konnten die Gemeinnützigen aber die exklusive Stellung, die sie in der Hauszinssteuerära und auch im Nationalsozialismus gehabt hatten, nicht wieder erlangen. Im Rahmen der Hauszinssteuer war ihnen insofern eine Schlüsselrolle zugekommen, als die gesetzliche Regelung der Förderungsmechanismen vorsah, sie bei der Vergabe von öffentlichen Mitteln bevorzugt zu berücksichtigen. Das I. Wohnungsbaugesetz bestimmte dagegen, daß alle Bauherren gleichermaßen zum Empfang der vorgesehenen Mittel berechtigt sein sollten; an die Stelle der „Bauherrenförderung“ trat also die „Objektförderung“, in deren Mittelpunkt die zu bauende Wohnung stand.68 Diese Zurücksetzung der Gemeinnützigen war zwei Faktoren geschuldet. Zum einen lag sie in der bereits geschilderten Auffassung, daß alle Kräfte gebündelt werden müßten, um eine Überwindung der Wohnungsnot überhaupt erst möglich zu machen, begründet. Aus diesem Grund widersetzten sich auch die Gemeinnützigen selbst nicht ernsthaft der Absicht, künftig alle Bauherrengruppen mit staatlicher Unterstützung Wohnungen bauen zu lassen.69 Zum anderen verlieh die Gleichstellung der Bauherren dem Gesetz aber auch jene ordnungspolitische Offenheit, die einen breiten Konsens zur Wohnungspolitik überhaupt erst ermöglichte. Während für die SPD die Einbeziehung der Gemeinnützigen das notwendige Minimum einer zukünftig noch auszubauenden staatlichen Lenkung des Wohnungswesens darstellte, sahen CDU und FDP die Rolle, die diese durch das Gesetz erhielten, als angesichts der Umstände ausnahmsweise und gerade noch erträgliches Maximum an. Die Tatsache, daß die Struktur der Gemeinnützigen prinzipiell sowohl in Richtung einer stärkeren Lenkung des Wohnungswesens als auch in Richtung einer Liberalisierung ausbaufähig war, ermöglichte damit den Verfechtern beider ordnungspolitischer Pole eine Zustimmung zu den Grundsätzen der Organisation des Wohnungsbaus in der Bundesrepublik.70 Hatten die Gemeinnützigen mit dem I. Wohnungsbaugesetz auch formell ihre privilegierte Stellung auf dem Wohnungsmarkt verloren, so waren sie aber dennoch – gerade aufgrund ihrer Entwicklung in der Zwischenkriegszeit – wie geschaffen für die dort vorgesehenen Förderungsmechanismen. Sie waren traditionell auf den im Vordergrund stehenden mehrgeschossigen Mietwohnungsbau spezialisiert und auch traditionell in den Ballungsgebieten, die den höchsten Bedarf an Wohnungen aufwiesen, ansässig; die Bindungen des öffentlich geförderten sozialen Wohnungsbaus waren weitgehend den Bestimmungen des WGG entnommen worden, so daß die Gemeinnützigen auf ihre langjährigen Erfahrungen im Bau solcher Wohnungen zurückgreifen konnten; und ihre durch die organisatorischen Straffungen der Nationalsozialisten hervorgerufene Größenstruktur traf sich

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Vgl. Schulz 1994, S. 204 und Peters 1984, S. 167 f. Vgl. Schulz 1994, S. 219 sowie ausführlich Peters 1984, S. 167 ff. Vgl. ebd. Vgl. Schildt 1998(a), S. 170.

2.1 Wohnungsnot, Wohnungspolitik und Wohnungswirtschaft nach 1945

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nun mit der „Neigung der Bürokratie, Großprojekte zu bearbeiten“.71 Sie kam so dem Erfordernis eines schnellen und umfassenden Wohnungsbaus sehr entgegen. Der Verlust ihres exklusiven Status schmerzte die Gemeinnützigen daher kaum. Tatsächlich konnten sie „ihre Funktion als dominierende Bauträger im öffentlich geförderten Wohnungsbau auch unter den veränderten Bedingungen des Wohnungsbauförderungssystems der Bundesrepublik Deutschland“72 beibehalten und ihre ohnehin starke Stellung noch weiter ausbauen. In dem kurzen Zeitraum zwischen 1950 und 1953 stieg der Anteil der Gemeinnützigen an den Fertigstellungen aller Neubauten – bei insgesamt steigender Neubautätigkeit – von 33,4% auf über 43%. Der weitaus größte Teil dieser Neubauten verblieb im Besitz der Gesellschaften, so daß sich ihr Wohnungsbestand zwischen 1949 und 1954 in etwa verdoppelte.73 Damit erarbeiteten sich die Gemeinnützigen innerhalb weniger Jahre eine Position, die sie auch nach der Normalisierung des Mietwohnungsneubaus und dem Umschwenken der öffentlichen Förderungspolitik auf den Eigenheimbau, der mit dem II. Wohnungsbaugesetz des Jahres 1956 verbunden war, behaupten konnten.74 Aber nicht nur für die Position der Gemeinnützigen im Spektrum der Anbieter auf dem Wohnungsmarkt stellte das I. Wohnungsbaugesetz die Weichen. Auch die Entwicklung ihrer Binnenstruktur wurde durch die Förderungsbestimmungen, wenn auch nur indirekt, weiter in die Richtung vorangetrieben, die sie auch in den Jahren zuvor schon eingeschlagen hatte. Zwar waren Baugenossenschaften und Kapitalgesellschaften im I. Wohnungsbaugesetz offiziell gleichgestellt. „Tatsächlich aber waren die Voraussetzungen für die Inanspruchnahme der öffentlichen Förderungsmittel für die Kapitalgesellschaften günstiger“ – teils deshalb, weil sie über eine Beteiligung der öffentlichen Hand dieser eine Kontrolle über die Verwendung ihrer Mittel ermöglichten; teils, weil sich die Kapitalgesellschaften flexibel an anonymen Märkten orientieren konnten, während die Genossenschaften an den Bedarf ihrer Mitglieder gebunden blieben; schließlich auch, weil die Kapitalgesellschaften „sich in der Regel den wachsenden Anforderungen hinsichtlich des Finanzvolumens und Abwicklungsaufwandes der Bauprojekte im sozialen Wohnungsbau sehr viel leichter stellen [konnten] als die Genossenschaften.“75 Die Kapitalgesellschaften gehörten aber von vornherein zu den überdurchschnittlich großen Wohnungsunternehmen, und so kam das I. Wohnungsbaugesetz vor allem diesen zugute.76 Damit aber war ein Konflikt mit dem WGG angelegt, denn dessen Bestimmungen und Kontrollmechanismen waren auf kleine, lokal begrenzte Wohnungsunternehmen zugeschnitten. Das sollte sich in späteren Jahren angesichts der ge71 72 73 74

Schulz 1994, S. 246. Wagner 1995, S. 320. Vgl. die Tabellen bei Stöcker 1976, S. 266 u. S. 269. Vgl. Rainer Schmecht, Strukturwandlungen der gemeinnützigen Wohnungswirtschaft – dargestellt an der Entwicklung der dem Verband rheinischer Wohnungsunternehmen angeschlossenen Wohnungsunternehmen (Schriften des Instituts für Wohnungsrecht und Wohnungswirtschaft an der Universität zu Köln Bd. 44), Bonn 1976, S. 332 u. S. 338. 75 Richter 1992, S. 150 f. u. S. 149. 76 Vgl. Schulz 1994, S. 246.

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2. Zwischen Tradition und Neuanfang

ballten Kompetenz und Marktmacht der großen gemeinnützigen Wohnungsunternehmen wie eine offen ausgesprochene Einladung zu ihrer Umgehung auswirken – eine Einladung, die die NH, das „expansive Herzstück der Gemeinnützigkeit“,77 nur allzu gerne annahm.

2.2 TRADITIONEN UND KONTINUITÄTEN WOHNUNGSBAUS 1922–1945

DES GEWERKSCHAFTLICHEN

2.2 GEWERKSCHAFTLICHER WOHNUNGSBAU 1922–1945 2.2.1 Der gewerkschaftliche Wohnungsbau vor 1933 Die Tatsache, daß mit der Unternehmensgruppe NEUE HEIMAT gerade die gewerkschaftseigenen Wohnungsbaugesellschaften zu diesem „expansiven Herzstück der Gemeinnützigkeit“ werden konnten, war neben der staatlichen Förderungspolitik auch den organisatorischen Kontinuitäten, auf die sie nach 1945 zurückgreifen konnten, geschuldet. Die zahlreichen gewerkschaftseigenen Wohnungsunternehmen, die in der Zeit der Weimarer Republik gegründet, 1933 von den Nationalsozialisten beschlagnahmt und der Deutschen Arbeitsfront (DAF) eingegliedert und 1945 unter alliierte Kontrolle gestellt worden waren, bildeten nach ihrer Rückgabe an den neugegründeten DGB die Ausgangsbasis für den Aufbau des gemeinnützigen Großkonzerns in der ersten Hälfte der fünfziger Jahre. Daß die Gewerkschaften in der Weimarer Republik überhaupt Wohnungsbau betrieben hatten, war allerdings keine Selbstverständlichkeit. Die seit den 1850er Jahren ins Leben gerufenen gemeinnützigen Wohnungsbaugesellschaften und auch die später hinzutretenden Wohnungsbaugenossenschaften befanden sich zunächst in der Trägerschaft bürgerlicher Philantropen, bald auch der Kommunen und der Kirchen; die organisierte Arbeiterbewegung spielte bis um die Jahrhundertwende keine nennenswerte Rolle.78 Die politische Verfolgung von SPD und Gewerkschaften sowie ihre zunächst noch fragile Organisation mögen ein Grund für diese Zurückhaltung gewesen sein.79 Der entscheidende Faktor lag zumindest bei den sozialdemokratisch orientierten Gewerkschaften woanders, nämlich in ihrem tiefen, grundsätzlich motivierten Mißtrauen gegenüber reformorientierten Lösungsansätzen für die Wohnungsfrage, die von ihnen als ein „Zeichen der Revolutionsbedürftigkeit des kapitalistischen Systems“80 interpretiert wurde. 77 Kühne-Büning/Plumpe/Hesse 1999, S. 189. 78 Zur Entstehung der Arbeiterwohnungsfrage und der Entwicklung des Wohnungsmarktes in diesem Zeitraum vgl. Clemens Wischermann, Mythen, Macht und Mängel: Der deutsche Wohnungsmarkt im Urbanisierungsprozeß, in: Jürgen Reulecke (Hg.), Geschichte des Wohnens Bd. 3. 1800–1918: Das bürgerliche Zeitalter, Stuttgart 1997, S. 333–502, v. a. S. 405 ff. Generell zur Wohnreformbewegung vgl. Clemens Zimmermann, Von der Wohnungsfrage zur Wohnungspolitik. Die Reformbewegung in Deutschland 1845–1914 (Kritische Studien zur Geschichtswissenschaft Bd. 90), Göttingen 1991 sowie ders., Wohnen als sozialpolitische Herausforderung. Reformerisches Engagement und öffentliche Aufgaben, in: Reulecke 1997, S. 503–636. Zur Rolle der Arbeiterbewegung in diesem Rahmen vgl. die Angaben in den folgenden Fußnoten. 79 So die These in 50 Jahre NH, S. A 1.

2.2 Gewerkschaftlicher Wohnungsbau 1922–1945

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Erst die mit dem Revisionismusstreit verbundene Hinwendung der SPD zur Reformpolitik brachte eine Neudefinition des Verhältnisses der Arbeiterbewegung zu den Genossenschaften im allgemeinen und den Wohnungsbaugenossenschaften im besonderen.81 Angesichts der zu diesem Zeitpunkt schon sehr erfolgreichen Tätigkeit der bürgerlichen Baugenossenschaften und der dennoch nach wie vor drückenden Wohnungsnot blieb den Sozialdemokraten und den Gewerkschaften auch kaum eine andere Wahl.82 Mit dem Ausbau der Konsumgenossenschaftsbewegung zur „Dritten Säule“ der Arbeiterbewegung und ihrer organisatorischen Anlehnung an die sozialistischen Gewerkschaften begannen diese, sich – zunächst nur auf lokaler Ebene – auch an der Führung von Wohnungsbaugenossenschaften zu beteiligen.83 Auch in den anderen Zweigen der sich herausbildenden Richtungsgewerkschaften, insbesondere bei den christlichen Gewerkschaften, waren solche Ansätze vorhanden. Dennoch blieb ihre gesellschaftliche und gewerkschaftspolitische Relevanz vor dem Ersten Weltkrieg beschränkt: Zählten die Gewerkschaften 1913 knapp drei Mio. Mitglieder und die Konsumgenossenschaften etwa 2 Mio., so hatten die etwa 1.500 gewerkschaftsnahen Wohnungsbaugenossenschaften 1915 nur ca. 200.000 Mitglieder.84 Und während die Freien Gewerkschaften die Gründung der Volksfürsorge Lebensversicherung 1912 mit großem Nachdruck betrieben, stand für sie, ebenso wie für die Gewerkschaften der anderen Richtungen, eine Ausdehnung oder Zentralisierung der gewerkschaftlichen Wohnungsbautätigkeit durch die Gründung groß angelegter Kapitalgesellschaften vor dem Ausbruch des Ersten Weltkrieges nicht zur Debatte.85 Erst die Anfangsjahre der Weimarer Republik wurden dann „zu Gründerjahren in der Entwicklung gewerkschaftlicher Wirtschaftsunternehmen.“86 Dafür gab es eine ganze Reihe von Gründen, von denen an dieser Stelle vor allem die Stärkung der Gewerkschaftsbewegung während der Kriegsjahre und erst recht am Ende des Krieges sowie die endgültige Überwindung der ideologischen Barrieren gegenüber solchen Betätigungen zu nennen sind.87 Die erste gewerkschaftseigene 80 Zimmermann 1997, S. 557. Vgl. auch Helmut Faust, Geschichte der Genossenschaftsbewegung. Ursprung und Aufbruch der Genossenschaftsbewegung in England, Frankreich und Deutschland sowie ihre weitere Entwicklung im deutschen Sprachraum, Frankfurt a. M. 3 1977, S. 528; Jenkis 1973, S. 247 ff.; Fuhrich 1983, S. 58 ff. sowie aus dezidiert marxistischer Perspektive Goldberg 1987, S. 12 ff. 81 Vgl. Jenkis 1973, S. 254 ff. sowie ders. 1985, S. 805 ff. 82 Vgl. Novy/Prinz 1985, S. 46; Richter 1992, S. 116 f.; Loesch 1979, S. 128 ff. u. S. 187 sowie Arno Mersmann/Klaus Novy, Gewerkschaften, Genossenschaften, Gemeinwirtschaft. Hat eine Ökonomie der Solidarität eine Chance? (Gewerkschaften in Deutschland Bd. 9), Köln 1991, S. 58. 83 Vgl. Novy/Prinz 1985, S. 46 ff. sowie zusammenfassend Kurt Hirche, Die Wirtschaftsunternehmen der Gewerkschaften, Düsseldorf/Wien 1966, S. 34 ff. 84 Vgl. Wilhelm Kaltenborn, Entstehung und Entwicklung gewerkschaftlicher Wohnungswirtschaft, Zeitschrift für öffentliche und gemeinwirtschaftliche Unternehmen 9.1986, S. 24–35, hier S. 25. 85 Zur Gründung der Volksfürsorge vgl. Loesch 1979, S. 207 f., Novy/Prinz 1985, S. 56 ff., Hirche 1966, S. 38 ff. sowie Goldberg 1987, S. 27 ff. 86 Novy/Prinz 1985, S. 67. Vgl. zusammenfassend auch Fuhrich 1983, S. 62 ff. und Goldberg 1974, S. 6 ff. 87 Vgl. Novy/Prinz 1985, S. 67.

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2. Zwischen Tradition und Neuanfang

Kapitalgesellschaft im Wohnungswesen, die 1918/19 durch die Angestelltengewerkschaften aller politischen Richtungen gegründete „Gemeinnützige Aktiengesellschaft für Angestellten-Heimstätten“ (GAGFAH), war mit einem Stammkapital von 4 Mio. RM lange Zeit die größte deutsche Wohnungsbaugesellschaft überhaupt und schien zunächst auf ein gemeinsames Vorgehen der verschiedenen Richtungen der Arbeiterbewegung hinzudeuten.88 Tatsächlich geriet die GAGFAH aber zum Fanal für die richtungsgewerkschaftliche Prägung des Wohnungsbaus in der Weimarer Republik: Die beteiligten Gewerkschaften überließen sie aufgrund unüberbrückbarer politischer Differenzen bald dem Hauptanteilseigner – dem Deutschnationalen Handlungsgehilfenverband –, um jeweils eigene Gesellschaften zu gründen.89 So bildeten sich nach und nach „deutlich abgegrenzte Lager heraus, wobei die der freien und christlichen Gewerkschaften die geschlossensten Verbundsysteme aufbauten.“90 Das Verbundsystem der Freien Gewerkschaften bildete dabei das Dach, unter dem die Gesellschaften entstanden, auf die sich die NH nach 1945 stützen konnte. Der Ausgangspunkt hierfür waren die genossenschaftlich organisierten Baubetriebe, die insbesondere in den Jahren 1919 bis 1921 von arbeitslosen Bauarbeitern und dann auch von den Gewerkschaften im Baugewerbe gegründet wurden.91 Sie waren reine Produktionsbetriebe, die in Bezug auf den Wohnungsbau nur mit seiner Durchführung, nicht aber mit einer Bauherrentätigkeit betraut waren. Der 1919 neugegründete Dachverband der Freien Gewerkschaften, der ADGB, betrachtete diese Produktivgenossenschaften zunächst mit einiger Reserve: „Offensichtlich wurden auf seiten der Bauhütten Hoffnungen gehegt, ihre Finanzierungsprobleme durch ADGB-Gelder gelöst zu sehen, während der Vorstand selbst Gewerkschaftsgelder lieber bei der in Gründung befindlichen Gewerkschaftsbank angelegt wissen wollte.“92 Zwar schlug Martin Wagner, der herausragende Kopf des reformorientierten Wohnungsbaus in der Weimarer Republik, für die von dauerndem Kapitalmangel geplagten genossenschaftlichen Baubetriebe mit der sogenannten „Bauhütte“ bald eine innovative Organisationsform vor, die zudem durch den Zusammenschluß im 1920 gegründeten „Verband sozialer Baubetriebe“ (VsB) eine breitere Kapitalbasis erhielt.93 Dennoch konnte dieser Schritt alleine die Baubetriebe nicht nachhal88 Vgl. Hirche 1966, S. 65; GAGFAH 1993, S. 27 ff. und Gemeinnützige Aktiengesellschaft für Angestellten-Heimstätten (Hg.), GAGFAH 1918–1968. Eine Dokumentation, Hamburg 1968, S. 14 ff. 89 Vgl. Novy/Prinz 1985, S. 114 f. 90 Novy/Prinz 1985, S. 124. Dort auch (zusammen mit Kaltenborn 1986) der beste Überblick über gewerkschaftlichen Wohnungsbau und gewerkschaftliche Wohnungspolitik in der Zwischenkriegszeit. Des weiteren sind zu nennen: Loesch 1979, S. 187 f.; Hirche 1966, S. 59 ff.; Mersmann/Novy 1991, S. 58 ff.; Richter 1992, S. 116 ff. sowie Walther Astor, Arbeiterwohnungsbau, in: Gerhard Albrecht u. a. (Hg.), Handwörterbuch des Wohnungswesens, Jena 1930, S. 10–15. 91 Vgl. Klaus Novy, Genossenschafts-Bewegung. Zur Geschichte und Zukunft der Wohnreform, Berlin 1983, S. 80 ff. 92 Kaltenborn 1986, S. 26. 93 Zum VsB vgl. allgemein Lutz Seidenstücker, Der „Verband sozialer Baubetriebe“ in der Weimarer Republik Organisation und Tätigkeit, Diplomarbeit Göttingen 1987 (masch.); August

2.2 Gewerkschaftlicher Wohnungsbau 1922–1945

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tig sanieren. Wagner wollte deshalb den Produzentenorganisationen Konsumentenorganisationen zur Seite zu stellen, „‚befreundete‘ Absatz-, also Bauherrenorganisationen, die planmäßig den Bedarf organisieren sollten.“94 Das zielte zum einen darauf ab, die Absatzschwierigkeiten der Bauhütten zu beseitigen. Dahinter verbarg sich aber noch eine grundsätzlichere Überlegung. Den Ausgangspunkt hierfür bildete die Tatsache, daß die Gewerkschaften die bei den Bauherren anzutreffenden Mißstände traditionell als besonders skandalöse Auswüchse kapitalistischen Spekulantentums gebrandmarkt hatten.95 In der auch durch Wagners Initiativen nunmehr angestoßenen Debatte über die Funktion der Gewerkschaften als Träger der „Gemeinwirtschaft“ – im Gegensatz zur Gemeinwirtschaftskonzeption nach dem Zweiten Weltkrieg verstanden als eine umfassende Sozialisierung der Wirtschaft –, die in Fritz Naphtalis 1928 auf dem Hamburger ADGB-Kongreß verabschiedeten Konzept der „Wirtschaftsdemokratie“ ihre volle programmatische Ausformulierung erfuhr, nahm das Wohnungswesen daher eine zentrale Stellung ein: Es wurde von den Freien Gewerkschaften als idealer Ausgangspunkt für eine schrittweise Sozialisierung der Gesamtwirtschaft betrachtet.96 Die Gewerkschaften selbst, so argumentierten August Ellinger und Martin Wagner, konnten eine solche schrittweise Sozialisierung in die Wege leiten, indem sie mit eigenen Bau- und Wohnungsunternehmen den Wohnungssektor „unterwanderten“ und die kapitalistischen Wohnungsunternehmen verdrängten. Der gewerkschaftseigene Wohnungsbau in der Weimarer Republik sollte daher mehr sein als nur der Ausdruck genossenschaftlicher Selbsthilfe: Vor allem war er als wichtiger Baustein für die Überwindung des Kapitalismus und herausragendes Beispiel für die praktische Sozialisierungspolitik der Gewerkschaften gedacht.97

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Ellinger, Zehn Jahre Bauhüttenbewegung. Eine kurze Geschichte des Verbandes sozialer Baubetriebe, Berlin 1930; Gerhard Werbik, Bauhütten – Gemeinwirtschaft auf eigenen Wegen, Frankfurt 1960; Novy 1984, S. 87 ff.; Hirche 1966, S. 60 ff. sowie Astor 1930, S. 11 ff. Dort weitere Hinweise auf die zeitgenössische Literatur. Zu Martin Wagner vgl. Novy/Prinz 1985, S. 89. Novy/Prinz 1985, S. 118. Vgl. am Beispiel Berliner Gewerkschaftsorganisationen Christoph Bernhardt, Bauplatz GroßBerlin. Wohnungsmärkte, Terraingewerbe und Kommunalpolitik im Städtewachstum der Hochindustrialisierung (1871–1918) (Veröffentlichungen der Historischen Kommission zu Berlin Bd. 93), Berlin/New York 1998, S. 136. Vgl. Novy/Prinz 1985, S. 118. Allgemein zur Geschichte wirtschaftsdemokratischer Vorstellungen der Gewerkschaften vgl. Horst Klein, Wirtschaftsdemokratische Auffassungen in der Geschichte der Arbeiterbewegung, BzG 1999,1, S. 14–34; Hans Thum, Wirtschaftsdemokratie und Mitbestimmung. Von den Anfängen 1916 bis zum Mitbestimmungsgesetz 1976 (Gewerkschaften in Deutschland Bd. 12), Köln 1991; und Ulrich Borsdorf, Wirtschaftsdemokratie und Mitbestimmung. Historische Stufen der Annäherung an den Kapitalismus, WSI-Mitteilungen 39.1986, S. 264–278. Zu Naphtalis Konzept der Wirtschaftsdemokratie vgl. Fritz Naphtali, Wirtschaftsdemokratie. Ihr Wesen, Weg und Ziel. Hrsg. und eingeleitet von Rudolf F. Kuda, Köln/Frankfurt a. M 1977 [zuerst 1928]; Hans Willi Weinzen, Gewerkschaften und Sozialismus. Naphtalis Wirtschaftsdemokratie und Agartz‘ Wirtschaftsneuordnung (Campus Forschung Bd. 261), Frankfurt a. M./New York 1982; und Klein 1999, S. 25 ff. Zu den Wandlungen des Begriffes „Gemeinwirtschaft“ vgl. Loesch 1977, S. 19 ff. Vgl. Deutscher Bauarbeiterverband (Hg.), Sozialisierung des Bau- und Wohnungswesens. Bearbeitet von August Ellinger, Hamburg 1920, S. 10 ff.; Martin Wagner, Die Sozialisierung der Baubetriebe, Berlin 1919.

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Zu einer groß angelegten Kampagne mit dieser Zielrichtung konnte sich die Spitze des ADGB allerdings in den ersten Jahren nach Kriegsende ebensowenig durchringen wie zum Aufbau der von Wagner geforderten Bauherrenorganisation. Zwar richteten ADGB, AfA-Bund, SPD und USPD 1920 ein gemeinsames Sekretariat zur Untersuchung von Sozialisierungsstrategien in der Bau- und Wohnungswirtschaft ein, das ein Jahr darauf die wesentlichen Forderungen der Gewerkschaften in der Form von „Richtlinien zu einem Gesetz über die gemeinwirtschaftliche Regelung des Wohnungswesens“ zusammenfaßte; aber konkrete Maßnahmen blieben aus.98 Ein Jahr später beantragte deshalb der Verbandstag des Deutschen Bauarbeiterverbandes die Behandlung dieses Themenkomplexes auf dem Leipziger ADGB-Kongreß.99 Der Bundesvorstand des ADGB, der den Forderungen des Bauarbeiterverbandes zu diesem Zeitpunkt noch recht skeptisch gegenüber stand, beschloß allerdings, das Thema gar nicht erst auf die Tagesordnung zu setzen. Um das durchsetzen zu können, mußte er sich aber auf einen Kompromiß einlassen. Die Bauarbeiter konnten deshalb gemeinsam mit einigen anderen Verbänden auf dem Kongreß immerhin eine Entschließung „Zur Wohnungsfrage“ einbringen, die unter anderem vorsah, „die wirtschaftliche und finanzielle Macht der organisierten Arbeiterschaft in den Dienst der Gemeinwirtschaft zu stellen und im Bundesbureau eine Zentralstelle zu schaffen, deren Aufgabe es sein soll, die Ueberführung der privatkapitalistischen Wirtschaft in die Gemeinwirtschaft planmäßig zu fördern und alle Bestrebungen innerhalb der gewerkschaftlichen Bewegung, die auf dieses Ziel eingestellt sind, zusammenzufassen.“100

Ein unmittelbarer Auftrag zur Gründung gewerkschaftseigener Wohnungsbaugesellschaften war das nicht.101 Der Vorstand des ADGB betrachtete die vorgesehene „Zentralstelle“ vielmehr als eine Art Diskussionsforum, in dem die Frage einer Sozialisierung der Bau- und Wohnungswirtschaft noch einmal intensiv in einem kleineren Kreis diskutiert werden sollte.102 Daß der Beschluß des ADGB-Kongresses dennoch bis heute als die „Geburtsurkunde“ der gewerkschaftseigenen Woh98 Vgl. Allgemeiner Deutscher Gewerkschaftsbund/Allgemeiner freier Angestelltenbund (Hg.), Richtlinien zu einem Gesetz über die gemeinwirtschaftliche Regelung des Wohnungswesens, Berlin 1921; Hirche 1966, S. 62; Günter Triesch, Die Macht der Funktionäre. Macht und Verantwortung der Gewerkschaften, Düsseldorf 1956, S. 165 f. sowie hier und im folgenden Salomon Schwarz, Handbuch der deutschen Gewerkschaftskongresse (Kongresse des Allgemeinen Deutschen Gewerkschaftsbundes), Berlin 1930, S. 434 ff. 99 Vgl. Protokoll der Bundesausschußsitzung des ADGB, 16.-23.6.1922, in: Michael Ruck (Bearb.), Die Gewerkschaften in den Anfangsjahren der Republik (Quellen zur Geschichte der deutschen Gewerkschaftsbewegung im 20. Jahrhundert Bd. 2), Köln 1985, S. 551–592, hier S. 552. 100 Protokoll der Verhandlungen des elften Kongresses der Gewerkschaften Deutschlands (1. Bundestag des Allgemeinen Deutschen Gewerkschaftsbundes), abgehalten zu Leipzig vom 19. bis 24. Juni 1922, Berlin 1922, S. 359. Die Entschließung ist auch abgedruckt in Mersmann/ Novy 1991, S. 137. 101 Darauf weist auch Schwarz hin, wenn er schreibt, die Entwicklung sei „zum Teil andere Wege [gegangen], als sie in der Entschliessung des Leipziger Kongresses vorgezeichnet waren“ und die Auffassung vertritt, die Gründung der Rewog sei keine Umsetzung des Beschlusses gewesen, sondern habe diese lediglich „erübrigt“, Schwarz 1930, S. 434. 102 Vgl. Protokoll der Bundesausschußsitzung des ADGB, 16.-23.6.1922, in: Ruck 1985, S. 554.

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nungsunternehmen und damit auch der Unternehmensgruppe NEUE HEIMAT gilt, ist hauptsächlich der Tatsache zu verdanken, daß sich die Vertreter der Bauhütten und der stets im Hintergrund des Bauarbeiterverbandes aktive Martin Wagner mit der zögerlichen Haltung des Bundesvorstandes nicht abspeisen ließen.103 Im März 1924, nach dem Ende der Inflation, hatten sie diesen so weit bearbeitet, daß er sich bereiterklärte, zusammen mit den anderen beiden freigewerkschaftlichen Spitzenverbänden (AfA-Bund und ADB), dem VsB und der soeben gegründeten Arbeiterbank eine gewerkschaftseigene Kapitalgesellschaft zur Förderung des Wohnungsbaus zu gründen. Das war die mit einem vergleichsweise bescheidenen Stammkapital von zunächst nur 50.000 RM ausgestattete „Reichswohnungsfürsorge AG für Arbeiter, Angestellte und Beamte“, kurz „Rewog“. Sie wurde kurze Zeit darauf in „Dewog“ (Deutsche Wohnungsfürsorge AG) umbenannt, und unter diesem Namen ist sie nach dem Zweiten Weltkrieg vielfach als Vorläuferorganisation der NH bekannt geworden.104 Diese Sichtweise ist, wie noch zu zeigen sein wird, in vielerlei Hinsicht durchaus berechtigt. Dennoch gilt es an dieser Stelle zunächst hervorzuheben, daß der Dewog in den ersten Jahren ihres Bestehens eine völlig andere Konzeption zugrunde lag als der späteren Unternehmensgruppe NEUE HEIMAT.105 Zunächst war die Dewog nicht ausschließlich als Wirtschaftsunternehmen, sondern auch als Interessenvertretung der Arbeitnehmer in allen Fragen des Wohnungs- und Siedlungswesens gedacht. Sie war damit nicht nur eine wirtschaftliche, sondern auch eine politische Dachorganisation des Wohnungsbaus der Freien Gewerkschaften.106 Zwar gewann die ursprünglich nur als Eventualität vorgesehene Funktion der Dewog als zentrale Finanzierungs- und Koordinierungsstelle für die freigewerkschaftlichen Wohnungsbaugesellschaften und -genossenschaften – gefördert durch die Hauszinssteuer – schnell an Bedeutung; doch der doppelte Charakter ei103 Das Zitat „Geburtsurkunde“ ist aus Kaltenborn 1986, S. 27. Vgl. auch verschiedene Selbstdarstellungen der NH, die durchweg auf den Beschluß des 11. ADGB-Kongreß Bezug nehmen, so z. B. 50 Jahre NH, S. A 1 ff. Zu den Aktivitäten Martin Wagners und der Bauhüttenbewegung im Gefolge des Beschlusses vgl. Mersmann/Novy 1991, S. 60 und Novy/Prinz 1985, S. 118 f. Als Beleg für die passive Haltung des Bundesvorstandes kann die Äußerung von Theodor Leipart bei der Verabschiedung der Entschließung dienen. Er bemerkte, daß „wir [der Bundesvorstand des ADGB] nicht alle Bestrebungen nach dem dort benannten Ziel unbesehen unterstützen können“, Protokoll ADGB-Kongreß 1922, S. 400. 104 Vgl. Jahrbuch des Allgemeinen Deutschen Gewerkschafts-Bundes 1923, Berlin 1924, S. 163 (Jahrbücher des ADGB im folgenden zitiert als: Jahrbuch ADGB + Jahreszahl). 105 Zur Dewog allgemein Novy/Prinz 1985, S. 118 ff.; Mersmann/Novy 1991, S. 59 ff.; Hirche 1966, S. 62 ff.; Richard Linneke, Die „Dewog“-Organisation, in: Bezirksausschuß des Allgemeinen Deutschen Gewerkschaftsbundes Berlin-Brandenburg-Grenzmark (Hg.), Die wirtschaftlichen Unternehmungen der Arbeiterbewegung. Ein Blick in die Gemeinwirtschaft, Berlin 1928, S. 63–66; Georg Bruno, Die Dewog in Hamburg, Berlin 1929; Astor 1930, S. 13 ff. (mit Hinweisen auf weitere zeitgenössische Literatur) sowie das kurze Manuskript von Ernst Bodien, Die Dewog-Organisation, Berlin 1951 (masch.). Zu beachten ist auch die von der Dewog herausgegebene Zeitschrift „Wohnungswirtschaft. Zentralorgan für die Wohnungsfürsorge aller Städte, Gemeinden, Baugenossenschaften, Siedlungsgesellschaften und Mietervereine“, Berlin 1.1924–9.1932. 106 Vgl. die in Jahrbuch ADGB 1923, S. 163 f., genannten Aufgaben der Dewog sowie Linneke 1928, S. 64 f., Schwarz 1930, S. 435 und Astor 1930, S. 14.

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ner wirtschaftlichen und politischen Dachorganisation blieb der Dewog bis zu ihrer Eingliederung in die DAF im Jahr 1933 erhalten.107 Dieser doppelte Charakter spiegelte sich in der dreistufigen Organisationsstruktur des unter dem Dach der Dewog entstehenden Systems lose miteinander verbundener Wohnungsbaugesellschaften und –genossenschaften wider. Die Konzeption dieses Verbundsystems ging wiederum auf Martin Wagner zurück (Wagner wurde auch der erste Geschäftsführer der Dewog).108 Einerseits baute es auf kleinen, lokalen Wohnungsbaugenossenschaften auf, die in der Regel lediglich Mitglied des Dewog-Revisionsverbandes waren – eine Entscheidung von eher symbolischem Charakter ohne große wirtschaftliche Bedeutung: Sie untermauerte zwar die Zugehörigkeit dieser Genossenschaften zur freigewerkschaftlichen Wohnreformbewegung; eine wirtschaftliche Verbindung im Sinne einer Beteiligung oder gar einer Konzernbildung bedeutete die Zugehörigkeit zum Revisionsverband aber nicht.109 Nur eine Minderheit der Baugenossenschaften war auch in die zweite Stufe der Organisationsstruktur des Dewog-Verbundes mit einbezogen. Bereits kurz nach ihrer Gründung bemühte sich die Dewog, „zwecks Gründung orts- oder regional-bezogener Dienstleistungsunternehmen örtliche Baugenossenschaften zu gewinnen, die zusammen mit ihr, der ‚Mutter‘“ – die die dritte Stufe im organisatorischen Aufbau des Verbundsystems bildete – „dem VSB und den örtlichen Gewerkschaften gemeinsam das Kapital [für den Wohnungsbau] zur Verfügung stellen sollten.“110 Tatsächlich waren es hauptsächlich die lokalen Gewerkschaftsorganisationen, die als Träger dieser auf der mittleren Ebene angesiedelten, neu zu gründenden Wohnungsunternehmen fungierten. Diese waren durchgängig als relativ große, nach ADGB-Bezirken gegliederte Kapitalgesellschaften konzipiert, während Genossenschaften – entgegen Wagners ursprünglichen Überlegungen – nur eine untergeordnete Rolle spielten.111 Eine Ausnahme bildete vor allem die bekannteste und größte dieser Gesellschaften, die GEHAG Berlin, an deren Gründung im Jahre 1924 neben den Gewerkschaften auch fünf ortsansässige Baugenossenschaften maßgeblich beteiligt waren und die einen großen Teil der von ihr gebauten Wohnungen an lokale Verwaltungsgenossenschaften des Dewog-Verbundes weitergab.112 Die GEHAG wurde damit zum Vorzeigeobjekt des gewerkschaftlichen Wohnungsbaus in der Weimarer Republik. Ihr Chefarchitekt Bruno Taut setzte mit ihr das Programm des

107 Vgl. Jahrbuch ADGB 1927, S. 306. 108 Wagner entwickelte diese Konzeption auf der Grundlage einer pointierten Analyse der Probleme des Wohnungsmarktes und legte sie in einem später häufig zitierten Aufsatz dar: Martin Wagner, Neue Wege zum Kleinwohnungsbau. Ein Programm der Selbsthilfe, Soziale Bauwirtschaft 4.1924, S. 21–33. 109 Vgl. Novy/Prinz 1985, S. 125 u. S. 131. 110 Novy/Prinz 1985, S. 124. 111 So z. B. bei der Gewobag Frankfurt, vgl. GWH o. J. [1999], S. 12 f. sowie Gewobag Frankfurt (Hg.), Im Kampf gegen Vermassung. Aus der Werkstatt eines gemeinnützigen Wohnungsunternehmens. Gewobag 1924–1954, Frankfurt 1954, S. 3. Zur Gliederung nach ADGB-Bezirken vgl. Kaltenborn 1986, S. 28. 112 Vgl. Novy/Prinz 1985, S. 124.

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„Neuen Bauens“ um und erregte mit seinen Siedlungen – besonders mit der berühmten Hufeisensiedlung in Berlin-Britz – weltweites Aufsehen.113 Neben der GEHAG wurden auf der Grundlage der Bemühungen der Dewog und der durch die beginnende Hauszinssteuerära günstigen Rahmenbedingungen zwischen 1924 und 1926 noch 16 weitere solcher regionaler Wohnungsunternehmen gegründet.114 Es waren diese Gesellschaften, die die Hauptlast des gewerkschaftlichen Wohnungsbaus in der Weimarer Republik trugen und die mit ihrem Know-how, ihrer Organisation und ihrem Vermögen das Rückgrat der Kontinuität zur Unternehmensgruppe NEUE HEIMAT bildeten. Zusammenfassende Angaben über die Bautätigkeit der regionalen Dewog-Gesellschaften und über ihre Vermögenslage sind allerdings äußerst problematisch, weil ihre Verflechtung mit den in der Dewog-Revisionsvereinigung zusammengeschlossenen Wohnungsbaugenossenschaften nur schwer zu durchschauen ist.115 Die einzige vorhandene Aufschlüsselung der Wohnungsbestände nach Regionalgesellschaften einerseits und Genossenschaften andererseits stammt aus dem Jahr 1928 und ergibt, daß die Regionalgesellschaften der Dewog in ihren ersten fünf Geschäftsjahren ca. 15.000 Wohnungen fertigstellten und davon 11.888 in ihrem eigenen Besitz behielten. Die Genossenschaften der Revisionsvereinigung brachten es im gleichen Zeitraum auf etwa 29.300 Fertigstellungen.116 Gesichert ist ferner, daß die Dewog-Regionalgesellschaften im darauf folgenden Jahr nochmals etwa 10.000 Wohnungen errichteten, bevor die Bautätigkeit der Gemeinnützigen in der Weltwirtschaftskrise beinahe vollständig zum Erliegen kam.117 Insgesamt scheint also die Angabe von Kaltenborn, nach der von den Dewog-Regionalgesellschaften zwischen 1924 und 1933 „wohl rund 30.000 Wohnungen gebaut“118 wurden, recht realistisch. Dabei kann davon ausgegangen werden, daß von diesen 30.000 Wohnungen mindestens zwei Drittel, also rund 20.000 Wohnungen, in ihrem Besitz verblieben sind. Der Umfang des Anlagevermögens der freigewerkschaftlichen Wohnungsbaugesellschaften in der Weimarer Republik ist mit dieser Zahl aber wohl eher unter113 Zur GEHAG generell vgl. Schäche 1999; GEHAG (Hg.), 50 Jahre Gehag. Ein Bericht, Berlin o. J. [1974] sowie GEHAG (Hg.), GEHAG 1924–1957. Entstehung und Entwicklung eines gewerkschaftlichen Wohnungsunternehmens, Berlin o. J. [1957]. Zur Hufeisensiedlung vgl. Schäche 1999, S. 42 ff. 114 Vgl. Jahrbuch ADGB 1926, S. 196 und die Liste der Tochtergesellschaften in: DEWOG Deutsche Wohnungsfürsorge Aktien-Gesellschaft für Beamte, Angestellte und Arbeiter (Hg.), Geschäftsbericht 1929, Berlin 1929, o. S. Außerdem Linneke 1928, S. 64. 115 Die an verschiedenen Stellen – z. B. bei Scheiner/Schmidt 1974, S. 16, oder in 50 Jahre NH, S. A 13 – genannte Zahl von 80.000 zwischen 1924 und 1933 gebauten Wohnungen beruht auf einer Einbeziehung der lediglich zur Revisionsvereinigung zählenden Genossenschaften, deren Vermögen weder rechtlich noch wirtschaftlich zum Vermögen der Dewog gehörte. Sie ist deshalb nicht haltbar. Die generelle Kritik von Novy/Prinz 1985, S. 131, an der Nennung von Zahlen erscheint aber dennoch überzogen. Sie übersieht, daß die Dewog seit 1928 zumindest im wirtschaftlichen Sinne ein Konzern war, der in seiner Selbstdarstellung auch selbst konzernbezogene Zahlen verwendete, vgl. Dewog 1929, o. S. 116 Vgl. Jahrbuch ADGB 1928, S. 242 f. sowie Astor 1930, S. 14. 117 Vgl. Dewog 1929, o. S. 118 Kaltenborn 1986, S. 28. Kaltenborn nennt für seine Schätzung leider keine Quellenangabe. Vgl. auch die widersprüchlichen Angaben bei Bodien 1951, S. 4 ff., die aber insgesamt auf eine ähnliche Größenordnung hinauslaufen.

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als überschätzt. Schließlich blieben mindestens drei der in den ADGB-Bezirken gegründeten regionalen Wohnungsbaugesellschaften auch nach 1928 außerhalb des Organkreises der Dewog, auf den sich die oben genannten Zahlen beziehen. 119 Die Gesamtzahl der 1933 im Besitz aller regionalen freigewerkschaftlichen Wohnungsbaugesellschaften dürfte daher näher an 25.000 als an 20.000 Wohnungen gelegen haben; denn zumindest eine der nicht zur Dewog gehörenden Gesellschaften war vergleichsweise groß und hatte bis 1933 ca. 2.700 Wohnungen errichtet, die noch dazu fast ausschließlich für die eigene Verwaltung gedacht waren und somit im Vermögen der Gesellschaft verblieben.120 Das war die am 26. März 1926 gegründete „Gemeinnützige Kleinwohnungsbaugesellschaft Groß-Hamburg mbH“ – jene Gesellschaft, die nach 1945 zur Muttergesellschaft der Unternehmensgruppe NEUE HEIMAT ausgebaut wurde und damit eben jene Lenkungs- und Holdingfunktion an sich zog, die der Dewog verwehrt blieb. Die Dewog selbst beschränkte sich nach ihrer Gründung nämlich zunächst auf die Funktion einer Art think tank der gewerkschaftlichen Baugesellschaften. Martin Wagner als ihr Geschäftsführer konzentrierte sich auf die Entwicklung von Konzepten zur Rationalisierung der Bauwirtschaft, die zentralen Stellenwert für die im Dewog-Verbundsystem organisierten Unternehmen und die wohnungspolitische Programmatik des ADGB erlangten. Die Gewerkschaften verbanden mit ihnen die Hoffnung auf eine nachhaltige Senkung der Mieten.121 Dabei sahen sie sich als Speerspitze einer Rationalisierungsbewegung, die weite Teile der Bauund Wohnungswirtschaft erfaßt hatte und ein vereinendes Element der ansonsten politisch zersplitterten Genossenschaftsbewegung und gemeinnützigen Wohnungsunternehmen bildete. Außen vor blieben nur die Gesellschaften, die konservativen Handwerksverbänden nahestanden.122 Rainer Weinert ist daher beizupflichten, wenn er darauf hinweist, daß das „industrielle Bauen nach 1945 (...) nicht einseitig auf die nationalsozialistische Wohnungsbaupolitik zurück[geht], sondern auch auf die Rationalisierungsdiskussion der 20er Jahre.“123 Tatsächlich waren die gewerkschaftseigenen Wohnungsbaugesellschaften – aber eben nicht nur sie – schon weit vor Gründung der Bundesrepublik Träger eines Rationalisierungsgedankens, der Weimar, NS und Bonn in einer direkten Linie miteinander verband. Waren auf dieser funktionalen Ebene also ausgeprägte Kontinuitäten zwischen Dewog und NH vorhanden, so gab es in organisatorischer Hinsicht – zumindest, wenn man die bis 1928 bestehende Struktur der Dewog zugrunde legt – einen fun119 Vgl. die Liste der Tochtergesellschaften in Dewog 1929, o. S. 120 Vgl. Heinrich Plett, Die Neue Heimat und ihre Tochtergesellschaften. Ein geschichtlicher Rückblick, in: NHH 1952(b), S. 25–27, hier S. 26. Die Angabe bei von Loesch 1979, S. 188, nach der die GKB der Dewog angehörte, ist symptomatisch für die Verwirrung, die die Organisationsstruktur der Dewog hervorgerufen hat: Wohl gehörte die GKB dem Dewog-Revisionsverband an; doch die hier implizierte Kapitalbeteiligung der Dewog an der GKB hat es nie gegeben. Vgl. Dewog 1929, wo die GKB nicht auftaucht, und Jahrbuch ADGB 1926, S. 192. 121 Vgl. Jahrbuch ADGB 1924, S. 185. 122 Vgl. Adelheid v. Saldern, Die Neubausiedlungen der Zwanziger Jahre, in: Ulfert Herlyn/Adelheid v. Saldern/Wulf Tessin (Hg.), Neubausiedlungen der 20er und 60er Jahre. Ein historischsoziologischer Vergleich, Frankfurt a. M./New York 1987, S. 29–73, hier S. 34. 123 Weinert 1994, S. 48.

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damentalen Unterschied zwischen den beiden Unternehmen. Im Gegensatz zur NH hatte die Dewog eben gerade nicht die Eigenschaften einer Konzernmuttergesellschaft, sondern sie war eine Art lockerer Dachverband, dessen Kompetenzen in der Formulierung der konkreten Unternehmenspolitik gegenüber seinen Tochtergesellschaften gering und gegenüber den assoziierten Bauträgergesellschaften und Wohnungsbaugenossenschaften im Dewog-Revisionsverband gleich null waren. Während die Muttergesellschaft der NH in den fünfziger Jahren jeweils das gesamte Stammkapital ihrer unmittelbaren Tochtergesellschaften bei sich vereinte, war die Dewog selbst nur an 11 (später 14) der auf ihre Initiative hin gegründeten Wohnungsbaugesellschaften überhaupt – und i. d. R. nur in geringem Umfang – beteiligt.124 Dem Dewog-Verbund fehlte also das zentrale Merkmal der späteren Unternehmensgruppe: die über die Eigentumsverhältnisse abgesicherte zentrale Lenkung des Unternehmensverbundes. Zwar versuchte die Dewog, im Gefolge einer Reorganisation seit 1928 das Stammkapital der regionalen Wohnungsbaugesellschaften zumindest zu 75% zu übernehmen, was ihr in den folgenden Jahren bis auf einige Ausnahmen auch gelang. Allerdings wurden diese Ansätze zur Konzernbildung durch die Weltwirtschaftskrise schnell hinfällig: Die schwer gebeutelte Dewog überlebte die Jahre 1931 und 1932 zunächst „nur im solidarischen Zusammenstehen mit den anderen freigewerkschaftlichen Wirtschaftsunternehmungen“.125 Nachdem die Nationalsozialisten die Dewog und ihre Tochtergesellschaften 1933 beschlagnahmt hatten, fand die weitere organisatorische Entwicklung dann ohnehin auf einem ganz anderen Hintergrund statt.126 Doch die versuchte Konzernbildung am Ende der zwanziger Jahre scheiterte nicht nur an diesen externen Einflüssen, sondern auch an einem Spezifikum des gewerkschaftlichen Wohnungsbaus in diesem Zeitraum: an seiner Verankerung in den lokalen Milieus der Richtungsgewerkschaften. Denn ursprünglich war das Eigentum an diesen Gesellschaften ganz bewußt weit unter verschiedenen lokalen Gewerkschaftsorganisationen gestreut worden, um eine Einbindung möglichst großer gewerkschaftsnaher Kreise zu ermöglichen.127 Das ließ sich im Zuge der versuchten Konzernbildung nicht so ohne weiteres rückgängig machen: Aufgrund des Widerstandes der lokalen Gewerkschaftsorganisationen überließ die Dewog auch bei den Gesellschaften, deren Kapital sie übernahm, diesen weiterhin die Aufsichtsratsmandate. Sie versäumte es also, neben den Ansätzen zur wirtschaftlichen Konzernbildung auch die für eine einheitliche Willensbildung erforderlichen Entscheidungsstrukturen einzuführen und beschränkte sich statt dessen auf ihre Funktion als Finanzierungs- und Beratungsagentur.128 Es war also trotz der vorhandenen Ansätze zu einer Konzernbildung unwahrscheinlich, daß die Dewog sich „im Zuge von Reformen des Unternehmens durchaus eine Struktur [hätte] geben können, wie sie später die Neue Heimat auf-

124 Vgl. Jahrbuch ADGB 1926, S. 196 und die Liste der Tochtergesellschaften in Dewog 1929, o. S. Außerdem Linneke 1928, S. 64. 125 Jahrbuch ADGB 1931, S. 225. 126 Vgl. Kap. 2.2.2 dieser Arbeit. 127 Vgl. 50 Jahre NH, S. A 3. 128 Vgl. Linneke 1928, S. 65 f.

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wies“.129 Dazu waren die Unternehmen trotz ihrer bereits relativ weitgehenden Professionalisierung noch zu fest in die lokal geprägten politischen Milieus der richtungsgewerkschaftlich organisierten Arbeiterbewegung eingebunden. Erst die Herauslösung der Unternehmen aus diesen lokalen Bindungen ermöglichte den Aufbau eines Großkonzerns.130 Diese Herauslösung ergab sich aus der organisatorischen Entwicklung der Gesellschaften unter der Herrschaft der DAF und aus der Rückerstattungspolitik der Gewerkschaften nach dem Ende des Krieges. 2.2.2 Unter der Herrschaft der DAF: Gewerkschaftliche Wohnungsunternehmen 1933–1945 Durch die „Gleichschaltung“ der Freien Gewerkschaften am 2. Mai 1933 wurde die politische Kontinuität des gewerkschaftseigenen Wohnungsbaus in Deutschland jäh unterbrochen.131 Ebenso wie das übrige Vermögen der Gewerkschaften beschlagnahmten die Nationalsozialisten auch deren Wohnungsbaugesellschaften. Ihre Substanz blieb allerdings – wie die der Bauhütten – weitgehend erhalten. Die Wohnungsunternehmen des Dewog-Verbundes wurden in die am 10. Mai 1933 gegründete DAF eingegliedert und erlitten damit das gleiche Schicksal wie fast alle Wohnungsunternehmen der anderen Richtungsgewerkschaften auch. Die einzige Ausnahme bildete das zu diesem Zeitpunkt größte deutsche Wohnungsunternehmen, die GAGFAH, die als eigenständiger Betrieb weitergeführt wurde.132 Allerdings fügten sich die Kapitalgesellschaften, die die mittlere Ebene der Dewog gebildet hatten, relativ reibungslos in die wohnungspolitischen Absichten der Nationalsozialisten ein. Die weitgehende Professionalisierung, die sie bereits unter gewerkschaftlicher Kontrolle erfahren hatten, machte ihre Herauslösung aus dem politischen Milieu, dem sie entsprungen waren, wesentlich leichter als bei den ehrenamtlich geführten Genossenschaften: Im Gegensatz zu diesen oder auch zu den übrigen gewerkschaftseigenen Wirtschaftsunternehmen, die ebenfalls der DAF unterstellt wurden, blieb ihnen neben ihrem Anlagevermögen und ihrer zunächst beibehaltenen Organisationsstruktur auch der größte Teil ihres Personals erhalten. Nur einige Führungskräfte wurden ausgetauscht.133 Die Nationalsozialisten knüpften also auch hinsichtlich der gewerkschaftlichen Unternehmen „unmittelbar an das in der Weimarer Republik entwickelte wohnungspolitische Instrumentarium an und instrumentalisier[t]en den gut eingespielten Apparat der ge129 Weinert 1994, S. 45. 130 Vgl. ähnlich Weinert 1996, S. 101 f. 131 Zur „Gleichschaltung“ der Gewerkschaften vgl. Michael Schneider, Unterm Hakenkreuz. Arbeiter und Arbeiterbewegung 1933 bis 1939 (Geschichte der Arbeiter und der Arbeiterbewegung in Deutschland seit dem Ende des 18. Jahrhunderts Bd. 12), Bonn 1999, S. 91 ff. sowie Heinrich August Winkler, Arbeiter und Arbeiterbewegung in der Weimarer Republik. 1930/33: Der Weg in die Katastrophe (Geschichte der Arbeiter und der Arbeiterbewegung in Deutschland seit dem Ende des 18. Jahrhunderts Bd. 11), Berlin 1987, S. 867 ff., S. 893 ff. u. S. 918 ff. 132 Vgl. Novy/Prinz 1985, S. 217. 133 Vgl. Kaltenborn 1986, S. 29 und 50 Jahre NH, S. A 9.

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meinnützigen Wohnungsunternehmen und Baugenossenschaften für ihre Zwekke.“134 Da der Wohnungsbau für die Politik der NS-Regierung bis 1936 allerdings insgesamt nur von untergeordneter Bedeutung war, verblieben die Wohnungsunternehmen der DAF zunächst in ihrem seit der Krise 1930/31 anhaltenden Dämmerschlaf (nicht anders erging es auch den übrigen, nicht in der DAF zusammengefaßten gemeinnützigen Wohnungsunternehmen, die seit 1934 dem Reichssiedlungskommissar Gottfried Feder unterstellt waren).135 Erst der Vierjahresplan führte dazu, daß sich das änderte. Die von den Nationalsozialisten in diesem Zusammenhang eingeschlagene Verschmelzungspolitik wies nun auch den Weg für die Umstrukturierung der ehemals gewerkschaftseigenen Wohnungsunternehmen.136 Ihre Zusammenfassung in der Hand der DAF bot dafür in organisatorischer Hinsicht günstige Voraussetzungen. Denn mit ihr waren die Unternehmen auf einen Eigentümer übergegangen, der nicht in erster Linie lokal verankert, sondern reichsweit tätig und – zumindest offiziell – straff von oben nach unten durchorganisiert war. Eine Reorganisation der Kapitalgesellschaften entlang solcher organisatorischer Prinzipien, wie sie sich nun auch aus wohnungswirtschaftlichen Gründen anbot, war also ohnehin im Sinne der DAF.137 Um die Organisation der Wohnungsbaugesellschaften an die der DAF anzupassen, wandelten die Nationalsozialisten zunächst den ehemaligen Dachverband Dewog in eine Bauherrenorganisation nach dem Muster der GEHAG um. Diese mit einem Bestand von etwa 9.300 Wohnungen größte der ehemaligen DewogGesellschaften wiederum wurde nunmehr zur Spitzengesellschaft der DAF umgeformt und ihr Tätigkeitsgebiet auf das Reich ausgedehnt.138 Ab 1938 versuchte die DAF dann, die Organisationsstruktur ihrer Wohnungsunternehmen mit der regionalen Organisationsstruktur der DAF zur Deckung zu bringen und diese Umstrukturierung zu einer Vereinheitlichung und betrieblichen Rationalisierung auszunutzen.139 Prinzipiell sollte in jedem der 27 Gaue nur eine – dementsprechend große – Wohnungsbaugesellschaft tätig sein, die unter die direkte Aufsicht des jeweiligen Gauobmanns der DAF gestellt werden sollte. Dazu wurde, je nach lokalen Gegebenheiten, eine bereits existierende Gesellschaft ausgewählt oder eine neue Gesellschaft gegründet.140 In jedem Falle stattete die DAF diese Gaugesellschaften mit einem Stammkapital aus, das das der meisten bisher bei ihr angesiedelten Wohnungsbaugesellschaften bei weitem überstieg. Beispielsweise wurde das Grundkapital der in Frankfurt ansässigen Gewobag 1938 auf eine Mio. Reichsmark verdoppelt, und bei einigen Gesellschaften betrug es sogar bis zu fünf Mio. 134 Fuhrich et al. 1983, S. 73. Generell zur Entwicklung der Wohnungsbaugesellschaften der DAF zwischen 1933 und 1945 vgl. Fuhrich 1983, S. 73 ff.; Harlander 1995, S. 140 ff.; ders./Fehl 1986, S. 67 f.; Mersmann/Novy 1991, S. 73 ff. sowie Novy/Prinz 1985, S. 217 ff. 135 Vgl. Schildt 1998(a), S. 162. Zu Feder als „Reichssiedlungskommissar“ vgl. Harlander 1995, S. 57 ff. 136 Zur Verschmelzungspolitik vgl. Kap. 2.1.3 dieser Arbeit. 137 Vgl. Otto Marrenbach, Fundamente des Sieges. Die Gesamtarbeit der Deutschen Arbeitsfront von 1933 bis 1940, Berlin 21941, S. 372 f. 138 Vgl. Novy/Prinz 1985, S. 217 sowie Mersmann/Novy 1991, S. 73. 139 Vgl. Harlander 1995, S. 144 und Marrenbach 1941, S. 25. 140 Vgl. Novy/Prinz 1985, S. 217 und GWH o. J. [1999], S. 30 f. Zu den neugegründeten Gesellschaften vgl. die Angaben zu den Gründungsdaten in 50 Jahre NH, S. A 24.

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RM.141 Finanziert wurde diese Erhöhung durch die Einbringung anderer, kleinerer Gesellschaften, die in den Gaugesellschaften aufgingen. Damit verbunden war auch eine Art „Flurbereinigung“, bei der die Unternehmen ihren Wohnungsbestand, sofern es bei diesem Überlappungen zwischen den einzelnen Gauen gegeben hatte, in Abgrenzung ihrer Arbeitsgebiete neu verteilten.142 Auf diese Weise wurde nicht nur das Prinzip der regionalen Deckungsgleichheit mit den Gauen der DAF unterstrichen: Offensichtlich war damit auch, daß die DAF die zentrale Steuerung der Unternehmenspolitik übernahm. Über das „Führerprinzip“ regelte sie die einheitliche Willensbildung innerhalb der Gaugesellschaften.143 Bis auf einen letzten, symbolischen Schritt war diese Reorganisation in der ersten Hälfte des Jahres 1939 abgeschlossen. Schon die in diesem Zeitraum neugegründeten Gesellschaften hatten einen Namen erhalten, der der Vereinheitlichung der Wohnungsunternehmen der DAF auch nach außen hin Ausdruck verleihen sollte: Die Nationalsozialisten hatten sich für die in der Genossenschaftsbewegung seit Ende des 19. Jahrhunderts gelegentlich anzutreffende, bei den gewerkschaftseigenen Kapitalgesellschaften der Weimarer Republik aber nicht zum Zuge gekommene Bezeichnung „Neue Heimat“ entschieden, die jeweils mit dem Zusatz des Gaues, in dem die Gesellschaft ihren Sitz hatte, versehen wurde. So gründeten sie schon Ende 1938 die „Neue Heimat Gemeinnützige Wohnungs- und Siedlungsgesellschaft der Deutschen Arbeitsfront GmbH im Gau Kurhessen“, und aus der ehemaligen Dewog wurde Anfang 1939 die „Neue Heimat ... im Gau Mark Brandenburg“. Im Juli 1940 erhielten schließlich auch die Gewobag in Frankfurt sowie alle weiteren Gaugesellschaften die Bezeichnung „Neue Heimat“.144 Die Gewobag Frankfurt war es auch, die als einzige nach 1945 diese Namensänderung wieder rückgängig machte. Alle anderen Gesellschaften, insbesondere auch die im Februar 1939 umbenannte GKB Groß-Hamburg, die spätere Muttergesellschaft der Unternehmensgruppe NEUE HEIMAT, blieben bei dem von den Nationalsozialisten gegebenen Namen – eine Entscheidung, die später gelegentlich mit Kopfschütteln zur Kenntnis genommen wurde, zumal die gewerkschaftseigene Volksfürsorge sich 1947, um sich vom Mißbrauch der Bezeichnung „Volksfürsorge“ durch die Nationalsozialisten abzugrenzen, bewußt in Alte Volksfürsorge umbenannte.145 Allerdings läßt das Fehlen jeglicher Debatten über diese Frage wohl den Schluß zu, daß sie für die Zeitgenossen nur von untergeordneter Bedeutung war. Vielleicht war die Beibehaltung des Namens „Neue Heimat“ nur Ausdruck der Tatsache, daß viele grundlegende Ideen und Strukturen des Wohnungsbau auch über die Systemgrenzen hinweg tragfähig blieben: Über 50 Jahre, nachdem sich Wohnungsbaugenossenschaften erstmals „Neue Heimat“ genannt hatten, war der Traum von der neuen Heimat so aktuell wie eh und je.146 141 142 143 144 145 146

Vgl. GWH o. J. [1999], S. 29 und Marrenbach 1941, S. 377 f. Vgl. GWH o. J. [1999], S. 30 f. Vgl. Marrenbach 1941, S. 377 f. Vgl. GWH o. J. [1999], S. 31 f. So zumindest Kalex 1967, S. 91. Einen weiteren Beleg für die These, daß „Neue Heimat“ ein typischer Genossenschaftsname war, dessen Verheißung auch nach 1945 noch als aktuell gelten konnte, bietet die Tatsache, daß eine ganze Reihe weiterer Wohnungsbaugesellschaften – besonders aus dem kirchlichen

2.2 Gewerkschaftlicher Wohnungsbau 1922–1945

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Der Erfüllung dieses Traums näher zu kommen, hat der Nationalsozialismus selbst, dessen Wohnungspolitik verschiedentlich als Paradebeispiel seiner Unfähigkeit zu produktiver Sozialpolitik bezeichnet worden ist, allerdings nicht vermocht.147 Die Kriegspolitik des „Dritten Reiches“ und die aus ihr resultierenden Zerstörungen haben ihn im Gegenteil in bis dahin ungekannte Ferne rücken lassen. Es war deshalb nicht so, daß die DAF mit dem Ausbau des Vermögens ihrer Wohnungsbaugesellschaften einen Beitrag zur späteren Entstehung der Unternehmensgruppe NEUE HEIMAT geleistet hätte. Zwar nahmen die „Neuen Heimaten“ zwischen Ende 1938 und Mitte 1941 einen erheblichen Aufschwung. Ihre Zahl stieg in diesem Zeitraum von 22 auf 50, ihr Gesellschaftskapital von 9,9 Mio. RM auf 67,2 Mio. RM und ihr Wohnungsbestand von 46.000 auf 57.000 Einheiten.148 Doch 1941 kam die Neubautätigkeit zum Erliegen, und der Krieg zerstörte mehr Wohnungen, als die Unternehmen zur Zeit des Nationalsozialismus errichtet hatten. Am Ende erhielten die Gewerkschaften von dem 1933 beschlagnahmten Wohnungsbestand nur etwa 14.000 zum Teil beschädigte Wohnungen zurück.149 Auch das war ein beachtlicher Grundstock für den neu entstehenden Konzern; aber zum einen brachte er aus Gründen, die noch zu erläutern sind, in der unmittelbaren Nachkriegszeit mehr Belastungen als Vorteile mit sich, und zum anderen war es eben nicht einmal das, was sich die Gewerkschaften vor 1933 eigenhändig erarbeitet hatten. In einer anderen Hinsicht legte die Reorganisation der „Neuen Heimaten“ durch die DAF aber durchaus einige Grundlagen, die in den fünfziger Jahren für die Entstehung des gewerkschaftseigenen Großkonzerns von Bedeutung waren. Das betraf vor allem die Frage der Einbindung der Wohnungsbaugesellschaften in ihre jeweiligen politischen Milieus. Bei den lokalen Genossenschaften der untersten Ebene aus der alten Dewog-Struktur traten die diesbezüglichen Auswirkungen der nationalsozialistischen Wohnungspolitik besonders deutlich zutage. Sie wurden 1933 sogleich dem „Führerprinzip“ unterworfen und damit ihres politischen Sinngehalts beraubt. Zusätzlich gerieten für sie ab 1936 auch die neuen Förderungsbedingungen zum Problem, und ab 1940 wurden sie ohnehin ebenso wie alle anderen Genossenschaften von der bereits geschilderten Verschmelzungspolitik der Nationalsozialisten erfaßt und somit den sie stützenden politischen Milieus entzogen. „Es verblieben wirtschafts- und sozialreformerisch entkleidete – gleichsam nackte – Unternehmen, die durch Konzentration zu starken Trägern der staatlichen Wiederaufbaupolitik ‚nach dem Sieg‘ werden sollten.“150 Zwar gingen die meisten dieser kleinen Baugenossenschaften, die ja vor 1933 nicht zur Dewog, sondern nur zum Dewog-Revisionsverband gehört hatten, nicht in den Gaugesellschaften der DAF auf. Denn diese waren in erster Linie aus den

147 148 149 150

Bereich – ebenfalls diesen Namen trug und ihn in der Nachkriegszeit (trotz der seit Mitte der fünfziger Jahre übermächtigen Konkurrenz aus Hamburg) auch behielt. Im Gefolge des NHSkandals mußten sich die meisten von ihnen allerdings umbenennen, um sich von der gewerkschaftseigenen NH zu distanzieren. Vgl. dazu das Material bei Schifferer 1988, S. 193 ff. Zur genannten These bezüglich der NS-Wohnungspolitik vgl. Führer 1997, passim. Harlander 1995, S. 146. Vgl. Schulz 1987, S. 21 f. sowie Kap. 2.3.2 dieser Arbeit. Novy/Prinz 1985, S. 223.

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2. Zwischen Tradition und Neuanfang

ehemaligen freigewerkschaftliche Wohnungsunternehmen aus der zweiten Ebene der Struktur der Dewog hervorgegangen. Dennoch gilt das Argument der Herauslösung der ehemals gewerkschaftseigenen Wohnungsunternehmen aus ihrem politischen Kontext auch für die Gaugesellschaften. Denn sie entstanden nicht nur im Rückgriff auf ehemals zur Dewog gehörende – also freigewerkschaftliche – Gesellschaften. So war beispielsweise die von den Nationalsozialisten von Ratibor in Oberschlesien über Oppeln 1939 nach Kassel verlegte und dort im gleichen Jahr in „Neue Heimat“ umbenannte „Gemeinnützige Wohnungsbau Oberschlesien GmbH“ vor 1933 eine Beteiligungsgesellschaft der „Deutsche Heimbau“, des Dachverbandes der christlichen Baugenossenschaften, gewesen.151 Auch hier wurden also im Zuge der Reorganisation 1939 die richtungsgewerkschaftlichen Bindungen der Weimarer Republik durchbrochen und ehemals miteinander konkurrierende Wohnungsunternehmen im Interesse einer wirtschaftlichen Rationalisierung zu einem einheitlichen Verbund zusammengefaßt. Zwar war der Rationalisierungseffekt bei diesen Gesellschaften, die ja schon in den zwanziger Jahren professionell organisierte Unternehmen waren, weniger deutlich ausgeprägt als bei den Genossenschaften. Dennoch wird man der These, daß die Nationalsozialisten mit der Reorganisation der „Neuen Heimaten“ der DAF „den Wohnungsbau der Arbeiterbewegung zugunsten der Wohnungsbauförderung für die breite Masse“152 liquidiert haben, im Grundsatz zustimmen können. Nicht mehr die politische Bindung der Unternehmen war nunmehr ihr kennzeichnendes Merkmal, sondern ihre Ausrichtung auf einen durchrationalisierten Massenwohnungsbau für breite Schichten der Bevölkerung. Zwar argumentieren Fehl und Harlander mit einigem Recht, die DAF habe dadurch „jenes Muster eines Wohnungsbauträgers geschaffen, der, von der lokalen Ebene abgelöst, den Machtzentralen nahestand“ und damit eine „schlimme Bürde für den Wohnungsbau der Nachkriegszeit“153 ins Leben gerufen. Doch andererseits hatten die Gewerkschaften die betriebliche Rationalisierung der Wohnungsbaugesellschaften, wie sie die Nationalsozialisten vorangetrieben hatten, schon in den zwanziger Jahren angestrebt, aber nicht verwirklichen können, und unter den neuen Rahmenbedingungen nach 1945 schien sie um so dringlicher. Erst auf der Grundlage professionalisierter, von richtungsgewerkschaftlichen Bindungen gelöster Vorgängerunternehmen war die bemerkenswerte Wohnungsbauleistung der NH nach dem Krieg überhaupt möglich. Es verwundert daher nicht, daß die „Neugründer der Gewerkschaftsbewegung nach 1945 (...), wenn auch aus politisch entgegengesetzten Motiven heraus, bestimmte Rationalisierungseffekte nationalsozialistischer Gleichschaltungspolitik bejaht und beibehalten“154 haben. Das ist kein Vorwurf, denn schließlich hat die Funktionalität betriebsorganisatorischer Strukturen bei Kapitalgesellschaften (bei Genossenschaften mag es sich im Einzelfall anders darstellen) nichts mit der poli151 Vgl. Gewobag Kassel (Hg.), 25 Jahre Wohnungsbau in Hessen. Gewobag Geschäftsbericht für das Jahr 1964, o. O. [Kassel] o. J. [1965], o. S. [S. 13 f.] und Hirche 1966, S. 64 f. 152 Weinert 1994, S. 47. 153 Fehl/Harlander 1986, S. 68. 154 Novy/Prinz 1985, S. 231.

Gewerkschaftlicher Wohnungsbau 1922–1945 2.3 Die2.2 Neuformierung des gewerkschaftlichen Wohnungsbaus

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tischen Zielrichtung des Unternehmens zu tun; es ist aber Teil einer Erklärung dafür, daß die Gewerkschaften nach 1945 so schnell zum Träger des wohl erfolgreichsten Wohnungsbaukonzerns der Bundesrepublik avancieren konnten.

2.3 DIE NEUFORMIERUNG DES GEWERKSCHAFTLICHEN WOHNUNGSBAUS NACH DEM ZWEITEN WELTKRIEG 2.3 DIE NEUFORMIERUNG DES GEWERKSCHAFTLICHEN WOHNUNGSBAUS

2.3.1 Gewerkschaftliche Neuordnungsvorstellungen und die Entstehung der gewerkschaftlichen Wohnungspolitik Es war dem DGB bei seiner Gründung 1949 aber trotz des institutionellen Erbes aus der Zwischenkriegszeit und trotz der staatlichen Wohnungsbauförderung nicht in die Wiege gelegt, schon wenige Jahre später über den größten europäischen Wohnungsbaukonzern zu gebieten. Im Gegenteil: Weder in der Besatzungszeit noch in den ersten Jahren der Bundesrepublik bildete das Wohnungswesen einen Schwerpunkt gewerkschaftlicher Politik und gewerkschaftlicher Programmatik.155 Das galt nicht nur für die Wohnungspolitik im allgemeinen. Gerade der gewerkschaftseigene Wohnungsbau spielte für den neugegründeten gewerkschaftlichen Dachverband trotz seiner stolzen Tradition nur eine untergeordnete Rolle, und zu Beginn der fünfziger Jahre stand er sogar insgesamt zur Disposition.156 Schon während der Besatzungszeit war der Stellenwert des Wohnungsbaus als gewerkschaftliches Handlungsfeld erstaunlich gering. Zwar nahmen die zahlreichen nach dem Einmarsch der Alliierten entstandenen lokalen Gewerkschaftsorganisationen durchaus gelegentlich zur Frage der Wohnungsnot Stellung.157 Der Schwerpunkt ihrer Arbeit lag jedoch woanders. Zunächst war es in erster Linie die Ernährungslage, um die sie sich bemühten.158 Hinzu kam, daß die Funktion der Gewerkschaften als Ersatz für die zusammengebrochene öffentliche Verwaltung und als Reservoir für politisch zuverlässige Administratoren ihre Funktionäre in den ersten Monaten nach Ende des Krieges ebenfalls stark beanspruchte, und sehr bald trat noch eine weitere Aufgabe hinzu: der Aufbau einer übergreifenden gewerkschaftlichen Organisation, der die ohnehin knappe personelle Decke der Gewerkschaftsbewegung endgültig ausschöpfte.159 155 Vgl. Siegfried Mielke/Peter Rütters/Michael Becker, Einleitung, in: dies. (Bearb.), Gewerkschaften in Politik, Wirtschaft und Gesellschaft 1945–1949 (Quellen zur Geschichte der deutschen Gewerkschaftsbewegung im 20. Jahrhundert Bd. 7), Köln 1991, S. 9–92, hier S. 81 f. 156 Vgl. Kap. 3.1.2 dieser Arbeit. 157 Eine Auswahl von wohnungspolitischen Stellungnahmen lokaler gewerkschaftlicher Organisationen aus den Jahren 1945 bis 1949 findet sich in Mielke/Rütters/Becker 1991, S. 669–705. Zur Wiederentstehung der Gewerkschaftsbewegung nach 1945 vgl. Siegfried Mielke, Die Neugründung der Gewerkschaften in den westlichen Besatzungszonen 1945 bis 1949, in: Hemmer/Schmitz 1990, S. 19–83. 158 Vgl. Mielke/Rütters/Becker 1991, S. 75 ff. sowie die zugehörigen Dokumente auf S. 469 ff. 159 Zum Aufbau einer übergreifenden gewerkschaftlichen Organisation vgl. Mielke 1990; ders. u. a. (Bearb.), Organisatorischer Aufbau der Gewerkschaften 1945–1949 (Quellen zur Geschichte der deutschen Gewerkschaftsbewegung im 20. Jahrhundert Bd. 6), Köln 1987, S. 32 ff.; Michael Fichter, Einheit und Organisation. Der Deutsche Gewerkschaftsbund im Aufbau 1945

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2. Zwischen Tradition und Neuanfang

Doch es waren nicht nur pragmatische Gründe, die die Gewerkschaften davon abhielten, eine systematische Wohnungspolitik zu betreiben. Bis Mitte 1948 – zu einem Zeitpunkt, zu dem trotz der noch ausstehenden Neugründung eines überzonalen Gewerkschaftsbundes die wesentlichen programmatischen Elemente gewerkschaftlicher Wirtschaftspolitik bereits seit zwei Jahren in einem überregionalen Rahmen diskutiert wurden – tauchte das Wohnungswesen, vom gewerkschaftseigenen Wohnungsbau ganz zu schweigen, in keiner einzigen auf Länder-, Zonen- oder gar zonenübergreifender Ebene stattfindenden programmatischen Diskussion auf. Das mag zum Teil eine Folge der Zersplitterung der wohnungspolitischen Kompetenzen im besetzten Deutschland gewesen sein: Bis zur Gründung der Bundesrepublik fehlte für die Formulierung wohnungspolitischer Forderungen auf überregionaler Ebene schlichtweg der Adressat.160 Allerdings galt ähnliches auch für andere gewerkschaftliche Überlegungen, die deshalb nicht weniger vehement vorgetragen wurde. Tatsächlich war es daher wohl eher der geringe Stellenwert, der dem Wohnungsbau im Rahmen ihrer gesamtwirtschaftlichen Neuordnungsvorstellungen zukam, der die Gewerkschaften in dieser frühen Phase davon abhielt, diesen auf überregionaler Ebene zu diskutieren. Je intensiver nämlich im Zuge des Aufbaus einer zonenübergreifenden gewerkschaftlichen Organisation grundlegende programmatische Vorstellungen für eine wirtschaftliche Neuordnung formuliert wurden, um so klarer trat zutage, daß der Wohnungssektor unter den Bedingungen der Nachkriegszeit die zentrale Bedeutung, die er für die Freien Gewerkschaften in der Weimarer Republik noch gehabt hatte, nicht mehr erringen konnte.161 Zwar rückten die programmatischen Köpfe der Gewerkschaftsbewegung keineswegs grundsätzlich von den wirtschaftsdemokratischen Ordnungsvorstellungen ab, die dieser zentralen Bedeutung zugrunde gelegen hatten; aber sie sahen sich seit dem Ende des Krieges mit ihrer Meinung nach fundamental veränderten Voraussetzungen für deren Umsetzung konfrontiert.162 Schon auf dem ersten Gewerkschaftskongreß der britischen Zone im März 1946 in Hannover war diese Auffassung deutlich zu erkennen. Statt, wie in der Weimarer Republik, Möglichkeiten zu einer Überwindung der kapitalistischen Wirtschaftsordnung zu diskutieren, gingen die dort versammelten Gewerkschafter davon aus, daß der Kapitalismus durch seine enge Assoziation mit dem Nationalsozialismus völlig diskreditiert sei und in den letzten Zügen liege.163 Mit anderen Worten: Während dem Konzept der Wirtschaftsdemokratie in der Weimarer Republik die Auffassung zugrunde lag, die bis 1949 (Gewerkschaften in Deutschland Bd. 4), Köln 1990, v. a. S. 76 ff.; Schönhoven 1987, S. 198 ff. und Schneider 2000, S. 245 ff. 160 So das Argument in Mielke/Rütters/Becker 1991, S. 81 f. Zur Zersplitterung der wohnungspolitischen Kompetenzen in der Besatzungszeit vgl. Schulz 1994, S. 45 ff. 161 Vgl. dazu am Beispiel der Bauhütten Peter Rütters, Vom Scheitern der Bauhüttenbewegung in den Westzonen (1945–1949), IWK 37.2001, S. 421–448, hier S. 442 f. Ähnlich auch Weinert 1994, S. 96. Zum Zusammenspiel von organisatorischem Aufbau und Neuordnungsvorstellungen vgl. Siegfried Mielke, Organisationsprobleme und Neuordnungskonzeption der Gewerkschaften in den westlichen Besatzungszonen (1945 bis 1949), in: Erich Matthias/Klaus Schönhoven (Hg.), Solidarität und Menschenwürde. Etappen der deutschen Gewerkschaftsgeschichte von den Anfängen bis zur Gegenwart, Bonn 1984, S. 307–323. 162 Vgl. Borsdorf 1986, S. 278.

2.3 Die Neuformierung des gewerkschaftlichen Wohnungsbaus

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Gewerkschaften hätten es mit einem (über-)mächtigen Gegner zu tun, schien dieser nunmehr kampflos das Feld geräumt zu haben. Statt ihn zu überwinden, galt es jetzt, das Vakuum, das er vermeintlich hinterlassen hatte, zu füllen und eine grundsätzliche wirtschaftliche Neuordnung in die Wege zu leiten. Diese Perspektive verlieh dem erhalten gebliebenen Grundgedanken einer demokratischen Organisation der Wirtschaftsordnung eine neue Bedeutung.164 Das wurde besonders deutlich, als die Gewerkschaften diese Grundidee auf dem DGBGründungskongreß im Oktober 1949 mit den „Wirtschaftspolitischen Grundsätzen des Deutschen Gewerkschaftsbundes“ konkretisierten.165 In dieser programmatischen Erklärung sprachen sie sich – in Übereinstimmung mit der bis weit in die bürgerlichen Parteien hineinreichenden „antikapitalistische[n] Grundstimmung der ersten Nachkriegsjahre“166 – für eine volkswirtschaftliche Rahmenplanung aus, die sich insbesondere der Geld- und Kreditpolitik sowie der Konjunktur- und Investitionsplanung als Steuerungsinstrumente bedienen sollte. Zweitens forderten sie die Überführung einiger Schlüsselindustrien in Gemeineigentum. Drittens schließlich bildete die betriebliche Mitbestimmung einen – praktisch zwar sehr bedeutsamen, programmatisch aber ursprünglich eher nachrangigen – weiteren Schwerpunkt der gewerkschaftlichen Programmatik.167 Allen diesen Forderungen lag eine Überlegung zugrunde, die als der eigentliche Kern der Anwendung wirtschaftsdemokratischer Prinzipien unter den Bedingungen eines vermeintlich zusammengebrochenen Kapitalismus gelten konnte: die Überlegung, daß im Rahmen einer geplanten Wirtschaft die Gewerkschaften die Funktion eines Garanten einer demokratischen Gestaltung der Wirtschaftsordnung übernehmen könnten. Die Grundsätze stellten deshalb fest, die Gewerkschaften hätten „als Vertreter des Produktionsfaktors Arbeit (...) ein Anrecht darauf, an allen Planungs- und Lenkungsorganen“, die die geforderte volkswirtschaftliche Planung bewerkstelligen sollten, „maßgeblich beteiligt zu sein.“168 Das sollte mutatis mutandis auch für die Aufsichtsorgane der zu vergesellschaftenden Schlüsselin-

163 Vgl. die entsprechenden Äußerungen Hans Böcklers, in: Gewerkschaftsbund Britische Zone (Hg.), Protokoll der ersten Gewerkschaftskonferenz der britischen Zone vom 12. bis 14. März 1946 in Hannover-Linden, Hannover 1946, S. 19. 164 Vgl. Mielke/Rütters/Becker 1991, S. 36 sowie hier und im folgenden Eberhardt Schmidt, Die verhinderte Neuordnung 1945–1952. Zur Auseinandersetzung um die Demokratisierung der Wirtschaft in den westlichen Besatzungszonen und in der Bundesrepublik Deutschland, Frankfurt a. M. 21971, S. 66 ff. 165 Die Grundsätze sind abgedruckt in Mielke/Rütters/Becker 1991, S. 822–830. Zu ihrer Entstehung vgl. ebd., S. 822, Fn. 1. Vgl. auch Bundesvorstand des Deutschen Gewerkschaftsbundes (britische Besatzungszone) (Hg.), Die Gewerkschaftsbewegung in der britischen Besatzungszone. Geschäftsbericht des Deutschen Gewerkschaftsbundes (britische Besatzungszone) 1947–1949, Köln 1949, S. 79 ff. (im folgenden zitiert als DGB-GB (BBZ) 1947/49). 166 Thum 1991, S. 57. Dies gilt teilweise auch für die Besatzungsmächte in den Westzonen. Vgl. Michael von Prollius, Deutsche Wirtschaftsgeschichte nach 1945, Göttingen 2006, S. 41 ff. 167 So argumentierte Viktor Agartz, seit 1948 Leiter des Wirtschaftswissenschaftlichen Instituts des DGB, daß die Mitbestimmung eine staatliche Planung nicht ersetzen und daher nur ein nachrangiges Ziel sein könne, vgl. Borsdorf 1986, S. 278. 168 Wirtschaftspolitische Grundsätze des Deutschen Gewerkschaftsbundes, in: Mielke/Rütters/ Becker 1991, S. 822–830, hier S. 824.

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2. Zwischen Tradition und Neuanfang

dustrien gelten, und die Mitbestimmung zielte ja ohnehin in diese Richtung.169 Aus diesen Forderungen ergab sich für die Gewerkschaften eine gegenüber der Weimarer Republik völlig veränderte Rolle: Im Unterschied zu Naphtalis Vorstellungen bauten sie nunmehr darauf, eine antikapitalistische Ordnung mit dem Staat – und als eine seiner maßgeblichen Kräfte – verwirklichen zu können, anstatt sie am Staat vorbei durchsetzen zu müssen.170 Davon waren auch der Stellenwert der gewerkschaftlichen Wohnungspolitik und der gewerkschaftseigenen Bau- und Wohnungsunternehmen betroffen, denn diese Sichtweise bedeutete, daß die Gewerkschaften ihr Selbstverständnis als Träger einer eigenständigen, gewerkschaftlicher Praxis entspringenden Sozialisierungspolitik aufgaben.171 Zwar bestritt niemand, daß die Wohnungsnot eine soziale Herausforderung ersten Ranges war, und selbstverständlich anerkannten die Gewerkschaften, daß die Unterbringung von Millionen von Arbeitnehmern per se eine deren Interessenorganisation berührende Frage darstellte. Aber gerade angesichts der Größenordnung der Wohnungsnot schien ihnen auch für den Wohnungsbau der Vorschlag angemessen zu sein, den sie ohnehin für die Gesamtwirtschaft gemacht hatten, also eine staatliche Planung unter maßgeblicher gewerkschaftlicher Beteiligung. Daß eine Regulierung des Wohnungswesens zumindest vorübergehend der einzige Weg war, um die Folgen der Wohnungsnot schnell zu beseitigen, darüber bestand, wie bereits erwähnt, ein breiter Konsens. 172 Es bedurfte in diesem Punkt also keiner besonders intensiven Agitation. So verwundert es nicht, daß die Gewerkschaften stärker um die wesentlich umstrittenere Gestaltung der gesamtwirtschaftlichen Rahmenbedingungen bemüht waren als um die Organisation des Wohnungssektors, die auch ohne großen politischen Druck weitgehend auf ihre Forderungen hinauszulaufen schien. Bestärkt wurde diese Haltung noch durch einen anderen, grundsätzlicheren Gedanken. In der Analyse führender Gewerkschafter war es durchaus im Sinne des Wohnungsbaus, sich in erster Linie auf die gesamtwirtschaftliche Neuordnung zu konzentrieren, weil damit nicht nur die Symptome, sondern auch die Ursachen des Wohnungselends beseitigt werden konnten. Schließlich war die aus den Zerstörungen des Krieges resultierende Wohnungsnot für sie kein extremer, von der Arbeiterwohnungsnot des Kaiserreichs und der Weimarer Republik zu unterscheidender Sonderfall, sondern nur das folgerichtige Ergebnis einer Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung, die schon seit ihrer Entstehung im 19. Jahrhundert die Arbeiter systematisch um ihr Recht auf menschenwürdiges Wohnen gebracht hatte. „Die Benennung ihrer Ursachen [d. h. der Ursachen der Wohnungsnot] – Industrialisierung, Wirtschaftskrisen, Kriege und Wandlungen der Bevölkerung“, argumentierten sie, „weist hin auf ein einziges Grundphänomen: die Krise unserer wirtschaftlichen Ordnung.“173 Es war also der Kapitalismus, der die Wohnungsnot 169 Vgl. ebd. 170 Zur programmatischen Bedeutung der Einheitsgewerkschaft vgl. Borsdorf 1986, S. 278 sowie mit Bezug auf die Bau- und Wohnungswirtschaft Rütters 2001, S. 442 f. 171 Vgl. Rütters 2001, S. 442 f. 172 Vgl. Kap. 2.1.2 dieser Arbeit. 173 Gewobag Frankfurt 1954, S. 6 (meine Hervorhebung). Ähnlich auch Adalbert Stenzel, Die Probleme des sozialen Wohnungsbaus, GMH 3.1952, S. 669–674, hier S. 669.

2.3 Die Neuformierung des gewerkschaftlichen Wohnungsbaus

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– auch die Wohnungsnot der Zusammenbruchsgesellschaft – verursacht hatte. So erschien es mit Hinblick auf die Frage der Wohnungsversorgung folgerichtig, daß die Gewerkschaften der Abschaffung der kapitalistischen Wirtschaftsordnung höhere Bedeutung beimaßen als einer direkten Unterstützung des Wohnungsbaus. Allerdings bot diese Sichtweise, die sich vor allem im wohnungspolitischen Schweigen der überregionalen gewerkschaftlichen Zusammenschlüsse bemerkbar machte, den lokalen und regionalen Gewerkschaftsorganisationen in den ersten Nachkriegsjahren Raum für eigenständige Vorstellungen. Auf dieser Ebene zeigte sich daher, daß trotz der offiziell vertretenen Neuordnungsvorstellungen auch weiterhin zahlreiche Anknüpfungspunkte für wohnungspolitische Forderungen bestanden, die sich an wirtschaftsdemokratische Konzeptionen aus der Weimarer Republik und an den weit älteren Gedanken der genossenschaftlichen Selbsthilfe anlehnten. „Das gemeinnützige Baugenossenschaftswesen“, so argumentierte etwa der Bundestag des Baugewerksbundes in Hessen im August 1947, „muß stärkstens gefördert werden, es muß grundsätzlich Vorrang vor Kapitalgesellschaften aller Art bekommen.“174 Und die bayerische „Gewerkschafts-Zeitung“ schrieb im April 1948 ganz in der Weimarer Tradition des Wohnungswesens als eines sozialistischen Pioniersektors, die Baugenossenschaften seien „die beste Unterstützung im Ringen um die wirtschaftliche Befreiung des Einzelmenschen aus der Abhängigkeit der Besitzklasse. (...). Sie sind erprobte Selbsthilfeeinrichtungen jener Bevölkerungsschichten, die immer in schweren Notzeiten der eigenen Kraft vertrauend Wege aus des Volkes Unglück weisen. Als eine Etappe in der Entwicklung vom recht- und machtlosen Proletarier zum bewußten Vertreter einer klassenlosen Gesellschaftsordnung verdienen die Leistungen und Aufgaben der gemeinnützigen Wohnungsunternehmen erhöhte Aufmerksamkeit“.175

Zwar verloren diese mit dem Genossenschaftsgedanken verbundenen traditionellen wirtschaftsdemokratischen Vorstellungen innergewerkschaftlich in dem Maße an Boden, in dem die Handlungsspielräume der lokalen und regionalen gewerkschaftlichen Organisationen zugunsten der entstehenden zonalen und später überzonalen Zusammenschlüsse beschnitten wurden.176 Dennoch büßten sie ihren Einfluß nicht völlig ein. Vor allem in der Person eines altgedienten Gewerkschaftsfunktionärs entfalteten sie auch auf überregionaler Ebene ihre Wirkung. Diese war zwar begrenzt, führte aber immerhin dazu, daß die Wohnungspolitik ab Mitte 1948 auch überzonal diskutiert wurde und daß trotz der gesamtwirtschaftlichen Einflußerwartungen der Gewerkschaften die Verbundenheit mit den Baugenossenschaften zunächst fortbestand. Als im August 1947 der bizonale Gewerkschaftsrat und im November ein ständiges Sekretariat dieses Gewerkschaftsrates entstand, wurde nämlich mit Fritz Tarnow als einem von zwei gleichberechtigten Sekretären ein prominenter Vertreter wirtschaftsdemokratischer Vorstellungen in der Weimarer Tradition gewerk174 Entschließung des Bundestages des Baugewerksbundes, Hessen, in Eberstadt zur Organisation des Wohnungsbaus, in: Mielke/Rütters/Becker 1991, S. 679. 175 Betriebsräte und Kleinwohnungsbau, in: Gewerkschafts-Zeitung. Organ der bayrischen Gewerkschaften 3.1948,7, S. 4 f., in: ebd., S. 680–684, hier S. 684. 176 Vgl. am Beispiel der Bauhüttenpolitik Rütters 2001, S. 440.

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2. Zwischen Tradition und Neuanfang

schaftlicher Sozialisierungsbestrebungen in ein zentrales Amt dieses ersten überzonalen Zusammenschlusses des entstehenden einheitsgewerkschaftlichen Dachverbandes gehoben.177 Tarnow hatte bereits in den zwanziger Jahren zu den Förderern der Genossenschaftsbewegung gehört, und auch nach dem Krieg genoß die Bau- und Wohnungswirtschaft noch immer seine ungeteilte Aufmerksamkeit. 178 Auf seine Initiative hin fand im Zuge des organisatorischen Ausbaus des bizonalen Gewerkschaftsrates die Vernachlässigung des Wohnungsbaus auf überregionaler Ebene ein Ende. Im August 1948 richtete er beim Gewerkschaftsrat ein Fachreferat „Wohnungswirtschaft“ ein, die erste überzonale gewerkschaftliche Einrichtung dieser Art.179 Sie konnte sich trotz ihrer randständigen Bedeutung – als einziges Referat wurde sie nur ehrenamtlich besetzt – bald als ein wesentlicher Impulsgeber für die Entwicklung einer gewerkschaftlichen Wohnungspolitik etablieren. Das hing vor allem mit der Personalentscheidung zusammen, die Tarnow traf. Er machte einen Mann zu seinem wohnungswirtschaftlichen Referenten, der schnell zu einer der zentralen Figuren der gewerkschaftlichen Wohnungspolitik avancierte und diese bis zu seinen Tod 1963 prägen sollte wie kein zweiter: Heinrich Plett, den späteren Geschäftsführer der Neue Heimat Hamburg. 1908 als Sohn eines Kolonialwarenhändlers in Kassel geboren, hatte Plett dort zunächst eine Banklehre absolviert.180 1927 wechselte er zur Staatlichen Hypothekenbank nach Berlin. Ein Jahr später holte er das Abitur nach. Er begann in Abendkursen Volkswirtschaftslehre zu studieren und spezialisierte sich beruflich auf Kapitalmarktfragen. Zuerst war er in der Hypothekenabteilung eines Versicherungsunternehmens tätig. 1933 wurde er Bürovorsteher des Berliner Hypothekenmakler-Konsortiums D. E. Moeller. Zwar war Plett seit 1924 Mitglied des Bankbeamtenbundes und der SPD, er hatte sich jedoch weder gewerkschaftlich noch parteipolitisch ernsthaft engagiert. Das Büro von D. E. Moeller diente aber als Kontaktadresse für untergetauchte Sozialdemokraten (Hinrich Kopf, der spätere Ministerpräsident von Niedersachsen, arbeitete ebenfalls dort), und so wurde auch Plett einige Male von der Gestapo verhaftet. Er kam aber jedes Mal nach kurzer Zeit wieder frei und konnte seinen Beruf weiterhin ausüben, bis das Konsortium 1936 aufgelöst wurde.

177 Vgl. Siegfried Mielke, Einleitung, in: ders. u. a. (Bearb), Organisatorischer Aufbau der Gewerkschaften 1945–1949 (Quellen zur Geschichte der deutschen Gewerkschaftsbewegung im 20. Jahrhundert Bd. 6), Köln 1987, S. 9–69, hier S. 48 ff. sowie Mielke 1990, S. 48. 178 Vgl. Ulrich Borsdorf, Deutsche Gewerkschaftsführer – biographische Muster, in: ders. (Hg.), Gewerkschaftliche Politik: Reform aus Solidarität. Zum 60. Geburtstag von H.-O. Vetter, Köln 1977, S. 11–41, hier S. 29. 179 Vgl. Besprechung von Vertretern des Gewerkschaftsrates in Stuttgart und Lindau über Fragen der Organisation und über die Finanzierung des Sekretariats des Gewerkschaftsrates, 15./16.8.1948, in: Mielke u. a. 1987, S. 864–866, hier S. 865 f. 180 Die biographischen Angaben zu Plett sind zusammengetragen aus Neue Heimat: Die BaulandFresser, SPIEGEL 13.1959,10, S. 26–42, hier S. 27; Albert Vietor, Ein Motor des Wohnungsbaues. Rückblick auf Leben und Werk Heinrich Pletts, NHM 1963,1, S. 1–6 sowie Munzinger Internationales Biographisches Archiv 9/1963 vom 18.2.1963. Vgl. auch Weinert 1994, S. 72 f. und Karl Heinz Hoffmann, Geschichte der Neuen Heimat. Personen der Neuen Heimat, o. D., URL: (Stand: 23.6.2008).

2.3 Die Neuformierung des gewerkschaftlichen Wohnungsbaus

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Erstaunlicherweise wechselte er daraufhin ausgerechnet zur Dresdner Bank, die schon kurz nach der „Machtergreifung“ begonnen hatte, das NS-Regime kompromißlos zu unterstützen und bis 1937 über 200 politisch mißliebige Angestellte entließ.181 Plett wurde dort Abteilungsleiter für Hypothekenvermittlung und Baufinanzierung und beschäftigte sich hauptsächlich mit der Neufinanzierung und der Umschuldung großer Wohnbauten.182 Dabei erwarb er sich ein Fachwissen, das er später bei der NH gut gebrauchen konnte. Doch nicht nur das: Plett knüpfte bei der Dresdner Bank auch einen großen Teil der Kontakte, auf die er später im wahrsten Sinne des Wortes bauen konnte.183 Ob er auch in die umfangreichen Arisierungen oder die zahlreichen anderen zweifelhaften Aktivitäten verwickelt war, die die Dresdner Bank im „Dritten Reich“ verantwortete, ist allerdings ebenso wenig bekannt wie die Gründe für sein Ausscheiden aus der Bank 1938.184 Daß Plett aus politischen Gründen entlassen wurde, ist aber eher unwahrscheinlich. Denn schon ein Jahr später wurde er als Marine-Kriegsverwaltungsinspektor, also als Beamter im gehobenen Dienst der Militärverwaltung, nach „Gotenhafen“ (Gdingen) geschickt, wo er erstmals nicht nur mit der Wohnungsbaufinanzierung, sondern auch mit der organisatorischen Seite des Wohnungsbaus in Kontakt kam. Er übernahm dort die Geschäftsführung einer gemeinnützigen Wohnungsbaugesellschaft, die Unterkünfte für Marineoffiziere errichtete. Dabei arbeitete er eng mit seinem Vorgesetzten Heinz Roosch, dem Gauwohnungskommissar von Danzig, zusammen, der ihn für den gemeinnützigen Wohnungsbau begeisterte und später einer seiner wichtigsten Mitarbeiter werden sollte.185 1944 zum Dienst an der Waffe eingezogen, geriet Plett 1945 in Kriegsgefangenschaft, konnte sich aber bei Kriegsende nach Kassel absetzen. Im Oktober 1945 wurde er Leiter des Dezernats für Wohnungsfragen beim dortigen Regierungspräsidenten. In dieser Eigenschaft erst kam er zum gewerkschaftseigenen Wohnungsbau: Im August 1946 setzten ihn die Alliierten als Treuhänder für die unter Vermögenskontrolle stehenden NH Kassel ein – eine vergleichsweise kleine Gesellschaft, die Plett aber innerhalb kürzester Zeit zum Mittelpunkt einer an der Förderung des Wohnungsbaus interessierten Koalition aus örtlichen Gewerkschaften, Industrieverbänden und der Stadt Kassel ausbaute.186 Ohne Zweifel konnte 181 Vgl. Office of Military Government for Germany (U.S.), Report on the Investigation of the Dresdner Bank, 1946, in: Christopher Simpson (Hg.), War Crimes of the Deutsche Bank and the Dresdner Bank. Office of Military Government (U.S.) Reports, New York/London 2001, S. 252–406, hier S. 299 sowie Klaus-Dietmar Henke (Hg.), Die Dresdner Bank im Dritten Reich, 4 Bde., München 2006. 182 Vgl. Albert Vietor, Ein Motor des Wohnungsbaues. Rückblick auf Leben und Werk Heinrich Pletts, NHM 1963,1, S. 1–6, hier S. 2. 183 Vgl. Kap. 3.2.2 dieser Arbeit. 184 Mehnert berichtet, daß gegen Plett gelegentlich der Vorwurf erhoben worden sei, er habe in seiner Position „jede Menge Arisierungsgewinne gemakelt“, Mehnert 1997, S. 145. In dem von mir erhobenen Quellenmaterial tauchen solche Vorwürfe – von entsprechenden Belegen ganz zu schweigen – jedoch nicht auf. 185 Zu Roosch vgl. Neue Heimat: Die Bauland-Fresser, SPIEGEL 13.1959,10, S. 26–42, hier S. 27 und Heinz Roosch wurde 60, NHM 1968,1, S. 41. 186 Vgl. Heinrich Plett, Der Wiederaufbau privater Miethausgrundstücke durch gemeinnützige Wohnungsunternehmen, GWW 2.1949, S. 12–13, hier S. 13. Vgl. auch Gewobag Kassel o. J. [1965], o. S.

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Plett hier sein organisatorisches Talent zur Geltung bringen, das sich gut mit seinem von Zeitzeugen übereinstimmend als unersättlich beschriebenem, fast manischen Arbeitseifer ergänzte.187 Wichtiger aber waren seine Erfahrungen in der Wohnungsbaufinanzierung und am Kapitalmarkt. Durch sie brachte Plett genau die Qualifikationen mit, die die Gewerkschaften unter den Bedingungen der Nachkriegszeit als maßgeblich für eine erfolgreiche Wohnungspolitik betrachteten. Aus ihrer Sicht erforderte der Wohnungsbau nach 1945 vor allem „langjährige Geldinvestierungen [und] ungeheure Summen von Volksvermögen“.188 Die hohe Komplexität der damit zusammenhängenden Finanzierungsfragen ließ die Beteiligten fast zwangsläufig nach dem aus der Zeit vor 1945 noch vorhandenen Expertenwissen rufen. „Es wird“, führte der FDGB Bielefeld im Oktober 1945 aus, „insbesondere Aufgabe der Finanzkenner und –praktiker sein müssen, diese zweifellos wichtigste Seite des ganzen Wiederaufbauproblems zu behandeln.“189 Es war daher kein Zufall, daß mit Plett ein Finanzfachmann und nicht, wie mit Martin Wagner in der Weimarer Republik, ein Architekt mit der gewerkschaftlichen Wohnungspolitik betraut wurde. Anders als in der Zwischenkriegszeit betrachteten die Gewerkschaften die wesentlichen Fragen, die von Architekten gelöst werden konnten, nach 1945 für zumindest prinzipiell geklärt: Es galt nunmehr generell als „unstrittig, daß die Wohnungen einen hohen Standard haben müßten (...). Nun stand nicht die Wohnreform, sondern die Wohnungsversorgung im Vordergrund.“190 Auch bei den Gewerkschaften war es, wie in der westdeutschen Wohnungspolitik insgesamt, in der Nachkriegszeit „selbstverständlicher Konsens (...), daß das Kriterium der Wirtschaftlichkeit Vorrang vor allen anderen, z. B. städtebaulichen Gesichtspunkten, haben mußte, sich der Architekt dem Wohnungswirtschaftler unterzuordnen hatte.“191 Oder, wie es die gewerkschaftliche Wochenzeitung „Welt der Arbeit“ im Rückblick ausdrückte: „Einfallsreichtum wurde bis zum letzten Rest benötigt, aber nicht für den Entwurf reizvoller Fassaden und Grundrisse, sondern um Baukapital dort aufzutreiben, wo nichts nachhaltiger fehlte als eben Kapital.“192 Mit seinem Hintergrund konnte Plett geradezu als Inkarnation des so gefragten wohnungswirtschaftlichen Expertenwissens gelten. Unter den Referenten des Gewerkschaftsrates stach er damit allerdings – das war Kehrseite der Medaille – nicht nur wegen seines vergleichsweise jugendlichen Alters hervor, sondern auch deshalb, weil er eben nicht die „Ochsentour“ des typischen gewerkschaftlichen Funktionärs hinter sich gebracht hatte. Das hieß aber noch nicht, daß seine wohnungspolitischen Vorstellungen mit der gewerkschaftlichen Tradition des genossenschaftlichen Wohnungsbaus nicht in Einklang zu bringen waren, geschweige denn daß er von vornherein auf den Aufbau eines großen, professionalisierten 187 Vgl. Interview mit Rolf Dehnkamp, 18.8.2003. 188 Betriebsräte und Kleinwohnungsbau, in: Gewerkschafts-Zeitung. Organ der bayrischen Gewerkschaften 3.1948,7, S. 4 f., zit. nach Mielke/Rütters/Becker 1991, S. 684. 189 Stellungnahme des Freien Deutschen Gewerkschaftsbundes Bielefeld zum Wohnungsbau in Bielefeld, Oktober 1945, in: ebd., S. 669–672, hier S. 671. 190 Schulz 1994, S. 107. 191 Schildt 1998(a), S. 168. 192 Neue Heimat = Wohnungsbau + Städtebau, Welt der Arbeit, Extra-Dienst Juli 1973, o. S.

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Wohnungsbaukonzerns abzielte oder die wohnungspolitische Initiative an sich riß und die Gewerkschaften für seine Zwecke instrumentalisierte.193 Zwar fiel mit der Berufung Pletts auch die Einsetzung des „wohnungspolitischen Ausschusses des Gewerkschaftsrates“ zusammen, der sich nun unter seiner maßgeblichen Beteiligung daran machte, Grundsätze einer gewerkschaftlichen Wohnungspolitik zu erarbeiten.194 Es ist auch richtig, daß einige der dort versammelten wohnungswirtschaftlichen Experten wie Plett „keine traditionellen Wohnungsgenossenschaftler, sondern externe Experten ohne die alten Verflechtungen mit dem Netz gewerkschaftlicher bzw. arbeiterkultureller Vereinigungen“195 waren. Dennoch waren es keineswegs ausschließlich externe Experten, die nun in der gewerkschaftlichen Wohnungspolitik den Ton angaben. Mit Fritz Tarnow und dem Vorsitzenden der IG Bau in der britischen Besatzungszone, Adalbert Stenzel, gehörten dem Ausschuß durchaus auch traditionelle Gewerkschafter an. Zudem war es nicht Plett, sondern Tarnow, unter dessen Vorsitz die Arbeitsgemeinschaft nun ein gewerkschaftliches Programm zur Überwindung der Wohnungsnot ausarbeitete.196 Ohnehin zielten auch die professionellen Wohnungswirtschaftler des Ausschusses zunächst nicht darauf ab, die gewerkschaftseigenen Wohnungsunternehmen zum Kernstück dieses Programms zu machen. Das wäre zum Zeitpunkt der Beratungen über diese später so genannten „Grundsätze einer gewerkschaftlichen Wohnungspolitik“ auch vermessen gewesen.197 Zum einen stand die Frage der Rückerstattung der ehemals gewerkschaftseigenen Kapitalgesellschaften zumindest in der britischen Zone noch in den Sternen.198 Hinzu kam, daß die Vorstellung, den Wohnungsbau durch gewerkschaftseigene Unternehmen in einem Maßstab aufziehen zu können, wie dies ab 1950 und verstärkt ab 1953/54 geschah, 1948 angesichts der ungünstigen Rahmenbedingungen, der desolaten wirtschaftlichen Lage dieser Wohnungsunternehmen und der knappen gewerkschaftlichen Kassen ohnehin völlig unrealistisch war.199 Die Überlegungen selbst derjenigen, die später zu den Protagonisten des Wohnungsbaus durch gewerkschaftseigene Gesellschaften wurden, reflektierten dies sehr deutlich. In einem im Dezember 1948 veröffentlichten kurzen Aufsatz über „Die Wohnungspolitik der Gewerkschaften und die Gemeinnützige Wohnungswirtschaft“ stellte Plett eine auf zwei Elementen basierende Vorstellung von gewerkschaftlicher Wohnungspolitik vor, die die gewerkschaftseigenen Kapitalge193 So die Thesen von Haag 1995, S. 10 und Weinert 1989, S. 26. Weinerts Behauptung, die „Grundsätze einer gewerkschaftlichen Wohnungspolitik“ hätten den Aufbau eines Großkonzerns nahegelegt, ist, wie die folgenden Ausführungen zeigen, nicht nachvollziehbar. 194 Vgl. Niederschrift über die Sitzung des Gewerkschaftsrates der vereinten Zonen, Abt. Wohnungspolitik, 18./19.10.1948, DGBA, Gewerkschaftsrat der vereinten Zonen, 5/DGAB 10 sowie Heinrich Plett, Gewerkschaftliche Wohnungspolitik im Bundesgebiet, in: NHH 1952(a), S. 19–21, hier S. 20. 195 Haag 1995, S. 10. 196 Vgl. Plett 1952(a), S. 20. 197 Die „Grundsätze einer gewerkschaftlichen Wohnungspolitik und Wohnungswirtschaft“ sowie die zugehörigen „Richtlinien für die Durchführung der gewerkschaftlichen Wohnungspolitik“ sind abgedruckt in Mielke/Rütters/Becker 1991, S. 685–686 bzw. S. 686–690. 198 Vgl. Kap. 2.3.2 dieser Arbeit. 199 Vgl. Kap. 3.1 dieser Arbeit.

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sellschaften nicht einmal der Erwähnung für würdig befand. Statt dessen versprach er der gemeinnützigen Wohnungswirtschaft vor allem eine „indirekte Rückenstärkung“, die im wesentlichen darin bestehen sollte, daß sich der DGB zentrale Forderungen der Gemeinnützigen zu eigen machte und sie politisch unterstützte.200 Das zentrale Element gewerkschaftlicher Wohnungspolitik sah Plett also in dem Versuch, mit den klassischen Mitteln eines Interessenverbandes politische Entscheidungsprozesse zu beeinflussen. Als eine zweite, von Plett ausdrücklich für weniger wichtig erachtete Maßnahme kam aber auch eine direkte Unterstützung der gemeinnützigen Wohnungswirtschaft durch die Gewerkschaften in Frage. Plett stellte fest, daß diese wegen der großen Zahl der Wohnungssuchenden in den nächsten Jahren unbedingt organisatorisch erweitert werden müsse. Dafür stellte er die Hilfe der Gewerkschaften in Aussicht. Allerdings erwähnte er mit keinem Wort die gemeinnützigen Kapitalgesellschaften, ganz zu schweigen von den ehemals gewerkschaftseigenen Wohnungsunternehmen, von denen mittlerweile zwei – die von ihm selbst geführte NH Kassel und die Gewobag Frankfurt – wieder vollständig unter gewerkschaftlicher Kontrolle waren. Statt dessen lobte er in den höchsten Tönen die Vorteile des genossenschaftlichen Wohnungsbaus, der eine demokratische und für die Mieter äußerst vorteilhafte Organisationsform darstelle. „Es gehört“, führte er aus, „zur Tradition der Gewerkschaftsbewegung, den genossenschaftlich organisierten schwachen und unselbständigen Arbeitnehmern besondere Unterstützung angedeihen zu lassen (...). Die Gewerkschaften haben in der Erkenntnis, daß die Wohnungsbaugenossenschaften (...) eine besondere Förderung verdienen, in den letzten Jahren in erheblichem Umfang die Gründung neuer Unternehmen dieser Art gefördert und legen Wert darauf, daß Wohnungsbaugenossenschaften auch in den Kleinstädten und Landbezirken je nach dem erforderlichen Bedarf ins Leben gerufen werden.“201

Plett vertrat also genau die Position, die man auch von einem traditionellen Gewerkschafter wie Fritz Tarnow hätte erwarten können, und er ließ seinen Worten auch Taten folgen: In Kassel gründete er einen Baugenossenschaftsring für dreißig Wohnungsbaugenossenschaften, um so diese Unternehmensform zu fördern.202 Keineswegs zeigten sich also in Pletts Überlegungen hinsichtlich der Frage der Organisation der Wohnungswirtschaft „andersartige wohnungs- und unternehmenspolitische Vorstellungen als die des ‚Genossenschafts-‘Prinzips“.203 Diese waren nicht, wie das verschiedentlich argumentiert worden ist, das Ergebnis der mit der Einbeziehung wohnungswirtschaftlicher Experten verbundenen „Managerialisierung“ im gewerkschaftseigenen Wohnungsbau, sondern erst das Produkt ei-

200 Heinrich Plett, Die Wohnungspolitik der Gewerkschaften und die gemeinnützige Wohnungswirtschaft, GWW 1.1948, S. 90–92, hier S. 91. 201 Ebd. 202 Vgl. Albert Vietor, Ein Motor des Wohnungsbaues. Rückblick auf Leben und Werk Heinrich Pletts, NHM 1963,1, S. 1–6, hier S. 3. Die Auffassung, daß Pletts Vorstellungen denen Tarnows sehr ähnlich waren, vertritt auch Wallenhorst 1993, S. 187. 203 Haag 1995, S. 10.

2.3 Die Neuformierung des gewerkschaftlichen Wohnungsbaus

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ner aus der Praxis der gewerkschaftlichen Wohnungsunternehmen hervorgehenden Eigendynamik, die 1948 noch nicht vorhersehbar war.204 Aus diesem Grunde ist es auch nicht verwunderlich, daß die „Grundsätze einer gewerkschaftlichen Wohnungspolitik“, die der wohnungspolitische Ausschuß bis Ende 1948 erarbeitet hatte, nicht eine Silbe über den gewerkschaftseigenen Wohnungsbau verloren. Zwar beinhalteten die den Grundsätzen beigegebenen „Richtlinien für die Durchführung der gewerkschaftlichen Wohnungspolitik“ die Forderung, den Wohnungsbau in gemeinnützigen Wohnungsgesellschaften zu organisieren, und erstmals fanden auch die Kapitalgesellschaften ausdrückliche Erwähnung. Doch der Vorzug galt weiterhin ganz klar genossenschaftlichen Organisationsformen. Sie seien, so die Richtlinien, „in jeder Beziehung zu unterstützen.“205 Den Kapitalgesellschaften wurde dagegen allenfalls eine Hintertür geöffnet. „Wegen der Vorzüge der Genossenschaftsform“ sollten sie „nur dann Baugenossenschaften vorgezogen werden, wenn die Einschaltung von Kapitalgesellschaften bei der Schaffung von Wohnraum Vorteile bringt, die von einer Genossenschaft nicht geboten werden können.“206 Daß die Gewerkschaften selbst Träger solcher Kapitalgesellschaften werden sollten, war nicht vorgesehen. Ohnehin zeigte die Argumentation der „Grundsätze“ insgesamt eine ganz andere Stoßrichtung, von der die direkte Unterstützung der Wohnungsbaugenossenschaften eher eine Ausnahme darstellte. Da es, so die „Grundsätze“, zu den „Pflichten des Staates“ gehöre, dem „Anspruch [eines jeden Staatsbürgers] auf ausreichenden und menschenwürdigen Wohnraum“207 Sorge zu tragen, sahen die Gewerkschaften ihre Hauptverantwortung in der Beeinflussung der staatlichen Wohnungspolitik und nicht im gewerkschaftseigenen Wohnungsbau. Sie forderten deshalb vor allem – und an wesentlich prominenterer Stelle als die Förderung der Genossenschaften – „von den Ländern und diesen übergeordneten Stellen den sofortigen Übergang zu einer planmäßigen und energischen Wohnungspolitik nach sozialen Grundsätzen.“208 Sechs Maßnahmen schienen den Wohnungspolitikern dabei besonders dringlich: die „Bevorzugung des Wohnungsbaues im Rahmen der Gesamtbauwirtschaft“; die „Vorrangstellung des sozialen Wohnungsbaues vor allen nicht lebenswichtigen Bauvorhaben“; die Bereitstellung billigen Baulandes; die Bereitstellung von Baustoffen und Arbeitskräften; „Maßnahmen zur Intensivierung der Baustofferzeugung“; und die „Beschaffung öffentlicher und privater Mittel zu niedrigen Zinssätzen mit dem Ziel, die Mieten für die erwerbstätige Bevölkerung tragbar zu gestalten.“209 Damit hatten die Gewerkschaften ein wohnungspolitisches Programm entwickelt, das mit der Tradition des gewerkschaftseigenen Wohnungsbaus im Prinzip nichts zu tun hatte. Im April 1949 fügte eine weitere „Stellungnahme des Gewerk204 Vgl. Kap. 3.1 dieser Arbeit. 205 Richtlinien für die Durchführung der gewerkschaftlichen Wohnungspolitik, in: Mielke/Rütters/Becker 1991, S. 686–690, hier S. 688. 206 Ebd. 207 Grundsätze einer gewerkschaftlichen Wohnungspolitik und Wohnungswirtschaft, in: Mielke/ Rütters/Becker 1991, S. 685–686, hier S. 685. 208 Ebd. 209 Ebd., S. 685 f.

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schaftsrates zum Wohnungsbau“ ihrer Argumentation noch eine weitere, in den folgenden Jahren ebenfalls bedeutsame Facette hinzu: Angesichts der rasant steigenden Arbeitslosigkeit in den Westzonen sah der Gewerkschaftsrat im arbeitsmarktpolitischen Effekt des Wohnungsbaus einen zusätzlichen – einige Funktionäre argumentierten sogar: einen vorrangigen – Grund für eine intensive öffentlich geförderte Wohnungsbautätigkeit.210 Und schließlich zeigten auch die Wirtschaftspolitischen Grundsätze im Oktober 1949 nochmals deutlich, daß die gewerkschaftliche Wohnungspolitik eindeutig auf den gesamtwirtschaftlichen Einflußerwartungen der Gewerkschaften basierte. Der dort erhobenen Forderung nach der Aufstellung eines großen Wohnungsbauprogramms, das von einer „zentralen Bundesinstanz für den sozialen Wohnungsbau“211 zu koordinieren sei, war zwar der Anspruch auf gewerkschaftliche Mitsprache nicht explizit beigegeben, doch er ergab sich eindeutig aus den allgemeinen wirtschaftpolitischen Forderungen. Insgesamt drang der DGB in den folgenden Jahren mit diesem Anspruch im Wohnungsbau weiter vor als in vielen anderen Bereichen. In die Beratungen zum I. Wohnungsbaugesetz wurden die Gewerkschaften voll einbezogen, und trotz einiger Auseinandersetzungen um die Stellung des frei finanzierten Wohnungsbaus und um die mit dem Gesetz einhergehende Mietpreis-Anordnung war der Bundesvorstand mit dem Erreichten sehr zufrieden.212 Mit Recht konnte er sich auf die Fahnen schreiben, wesentlich zur Durchsetzung des Gesetzes beigetragen zu haben.213 Mit Reinhold Tarnow, dem Sohn von Fritz Tarnow, wurde zudem Ende 1950 ein gewerkschaftlicher Vertreter in den wohnungswirtschaftlichen Beirat beim Bundesminister für den Wohnungsbau berufen. Auch in dieser Hinsicht wurden die Ambitionen der Gewerkschaften auf politische Mitsprache also nicht enttäuscht.214 Die gewerkschaftseigenen Wohnungsunternehmen blieben in dieser Phase dagegen völlig außen vor. Noch im September 1951, als die Rückerstattung fast aller dieser Gesellschaften bereits in vollem Gange war, konnte Adalbert Stenzel, mittlerweile in der Abteilung Wirtschaftspolitik beim Bundesvorstand des DGB zuständig für den Wohnungsbau, erklären: „Die Gewerkschaften haben kein eigenes 210 Vgl. Stellungnahme des Gewerkschaftsrates zum Wohnungsbau, April 1949, in: Mielke/Rütters/Becker 1991, S. 690–691. Die These von der vorrangigen Bedeutung des arbeitsmarktpolitischen Aspektes vertritt Max Wönner, Der soziale Wohnungsbau und seine Finanzierung, Rundfunkansprache vom 15.5.1949, in: ebd., S. 691–695, hier S. 692. 211 Wirtschaftspolitische Grundsätze des Deutschen Gewerkschaftsbundes, in: ebd., S. 822–830, hier S. 828. 212 Zu den gewerkschaftlichen Forderungen hinsichtlich des I. Wohnungsbaugesetzes vgl. die „Stellungnahme des Deutschen Gewerkschaftsbundes für das Gebiet der Bundesrepublik Deutschland zum Wohnungsbaugesetzentwurf des Bundesministers für Wohnungsbau sowie zum Entwurf einer Anordnung des Bundeswirtschaftsministers über die Miethöhe bei neu erstelltem Wohnraum“, FZH 555–11 (ein erster Entwurf in DGBA-BV, Abt. Wirtschaftspolitik, 24/5231). 213 Zur Entstehung des I. Wohnungsbaugesetzes vgl. Schulz 1994, S. 211 ff. 214 Vgl. Protokoll der 41. Sitzung des geschäftsführenden [Bundes-]Vorstandes am 23. Oktober 1950 in Düsseldorf, DGBA-BV, Abt. Vorsitzender, 5/DGAI 368, S. 1 und Schulz 1994, S. 210 (Protokolle des geschäftsführenden Bundesvorstandes im folgenden zitiert als: Protokoll GBV + Datum). Zur Biographie von Reinhold Tarnow vgl. Reinhold Tarnow 60 Jahre, NHM 1972,4, S. 46.

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Bauprogramm. Sie unterstützen das Bauprogramm der Regierung, dessen gesetzliche Fixierung wesentlich auf den Druck des DGB zurückzuführen ist.“215 Der entscheidende Impuls für die Wiederbelebung der gewerkschaftlichen Wohnungsunternehmen ging also nicht von den politischen Überlegungen der Gewerkschaften aus. Auch wenn die grundsätzliche Anerkenntnis der herausragenden sozialpolitischen Bedeutung der Wohnungsfrage eine wichtige Rahmenbedingung für die Eigendynamik, die der gewerkschaftseigene Wohnungsbau in den folgenden Jahren entfaltete, bildete, wirkte die Vorstellung, die Gewerkschaften sollten selbst unternehmerisch tätig werden, im Rahmen der gewerkschaftlichen Programmatik der späten vierziger Jahre eher wie ein Fremdkörper. 2.3.2 Die gescheiterte Vermögenspolitik: Rückerstattungsbemühungen und Finanzierungsprobleme Die Eigendynamik, die dazu führte, daß sich dies zu Beginn der fünfziger Jahre änderte, hatte ihren Ursprung nicht in programmatischen Debatten, sondern in den Bemühungen der Gewerkschaften, ihr 1933 beschlagnahmtes Vermögen zurückzuerhalten. Unmittelbar nach der Kapitulation hatten die Alliierten in einer ihrer ersten Amtshandlungen mit den Kontrollratsgesetzen 1 und 2 die NSDAP und ihre Nebenorganisationen aufgelöst. Damit gehörte auch die DAF, der die Nationalsozialisten das Eigentum der 1933 aufgelösten Richtungsgewerkschaften zugeschlagen hatten, der Vergangenheit an. Durch das Militärregierungsgesetz Nr. 52 wurde ihr Vermögen der Kontrolle der Militärregierungen in den einzelnen Besatzungszonen unterstellt.216 Ein erheblicher Teil der Aktivitäten der im Aufbau befindlichen Gewerkschaften war nun darauf gerichtet, das gewerkschaftliche Vermögen der Weimarer Republik, das 1933 einen Gegenwert von etwa 600 Mio. Reichsmark gehabt haben soll, zurückzuerhalten. Auf diesen Bemühungen um einen generellen Neuaufbau und eine Rückerstattung des gesamten Vermögens, nicht aber auf dem spezifischen wohnungspolitischen Kontext der Nachkriegszeit basierte auch ihr primäres Interesse an den ehemals gewerkschaftseigenen Wohnungsbaugesellschaften.217 Die Rückerstattungsbemühungen der Gewerkschaften verliefen Hand in Hand mit ihrem organisatorischen Aufbau. In der britischen Zone setzten sie auf ihrem ersten Kongreß im August 1946 in Bielefeld zur Koordinierung ihrer Forderungen ein Treuhandgremium ein, dem die Verhandlungsführung über die Rückerstattung oblag und in dem auch die Angestellten und die Beamten, deren organisatorische Eigenständigkeit zu diesem Zeitpunkt bereits unumkehrbar erschien, vertreten wa-

215 Das Problem des Wohnungsbaues in der Bundesrepublik Deutschland, DGBA-BV, Abt. Wirtschaftspolitik, 24/5123. Die Autorschaft Stenzels geht hervor aus dem Begleitbrief vom 3.10.1951, ebd. 216 Vgl. Office of Military Government for Germany (U.S), Property Control. History, Policies, Practices and Procedures of the United States Area of Control, Germany. Special Report of the Military Governor November 1948, o. O. 1948, passim. 217 Vgl. DGB-GB (BBZ) 1947/49, S. 592.

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ren.218 Ergänzt wurde dieses Gremium im Januar 1947 durch die „Vorläufige Vermögensverwaltung der Gewerkschaften für die britische Zone“, die die überaus aufwendige Recherche nach den gewerkschaftlichen Ansprüchen übernahm.219 Am 1. April 1948 wandelte sie der DGB-BBZ in die „Vermögensverwaltungsund Treuhandgesellschaft des Deutschen Gewerkschaftsbundes für die britische Besatzungszone und das Land Bremen m.b.H.“ (VTG) um. Diese erhielt nun das alleinige Recht, die Rückerstattungen an den DGB in der britischen Zone in Empfang zu nehmen.220 Die in der amerikanischen und in der französischen Zone 1946 und 1947 gebildeten gewerkschaftlichen Landesverbände hatten zunächst ähnliche Einrichtungen gegründet.221 Mit der Gründung des DGB wurde dann die VTG der britischen Zone – jetzt VTG Düsseldorf – zur zentralen gewerkschaftlichen Vermögensverwaltung ausgebaut. Zunächst fiel ihr ausschließlich das Recht zu, die noch nicht erledigten Rückerstattungsansprüche zu bearbeiten und das Vermögen bei Rückerstattung in Empfang zu nehmen. Das betraf hinsichtlich der Wohnungsunternehmen nur diejenigen Gesellschaften, die in der britischen Zone lagen; in der amerikanischen Zone waren sie bereits 1948 und 1949 zurückerstattet worden und verblieben damit in der Hand der dort bis Mitte der fünfziger Jahre fortbestehenden regionalen VTGen.222 Grundsätzlich aber strebte der DGB-Bundesvorstand „eine zentrale Steuerung aller Vermögensgesellschaften“223 an und beschloß, sämtliche Beteiligungen der Gewerkschaftsbünde – ob Wohnungsunternehmen oder nicht – zukünftig über die VTG Düsseldorf laufen zu lassen. Auch das bei den regionalen VTGen liegende Vermögen sollte in den folgenden Jahren auf diese übertragen werden. Das trug einerseits der von der Überlegenheit zentralistischer Steuerungsmechanismen geprägten „Auffassung von Wirtschaftlichkeit in den Gewerkschaften“224 Rechnung. Andererseits lag zumindest die Zentralisierung der noch nicht erfüllten Rückerstattungsansprüche auch aus pragmatischen Gründen nahe: Schließlich ließ sich auf diese Weise in den Rückerstattungsverhandlungen mit den Ländern, denen die Alliierten mittlerweile die Aufsicht über das ehemalige NS-Vermögen übertragen hatten, erhöhter politischer Druck ausüben. Das war auch nötig, denn diese Verhandlungen zogen sich sehr lange hin. Erst Mitte 1947 trafen die Alliierten eine zoneneinheitliche Regelung für die Verwendung des ehemaligen DAF-Vermögens. Die vom Koordinierungsausschuß des Alliierten Kontrollrates erlassene Direktive Nr. 50 vom 29. April 1947 bildete fortan – ergänzt durch das Militärregierungsgesetz Nr. 59 vom November 1947 – bis 218 Vgl. ebd., S. 591. Zur sich abzeichnenden Eigenständigkeit von Angestellten und Beamten vgl. Mielke 1990, S. 42 sowie Fichter 1990, S. 59 ff. 219 Vgl. DGB-GB (BBZ) 1947/49, S. 592. 220 Vgl. ebd., S. 528, 591 und 598. 221 Vgl Hirche 1966, S. 93 und Bundesvorstand des Deutschen Gewerkschaftsbundes (Hg.), Geschäftsbericht des Bundesvorstandes des Deutschen Gewerkschaftsbundes 1950–1951, Düsseldorf o. J. [1952], S. 775 (Geschäftsberichte des DGB im folgenden zitiert als DGB-GB + Jahreszahl). 222 Vgl. DGB-GB 1952/53, S. 24. 223 Protokoll GBV, 1.9.1950, DGBA-BV, Abt. Vorsitzender, 5/DGAI 368, S. 2. 224 Weinert 1994, S. 69.

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weit in die fünfziger Jahre hinein die Grundlage aller gewerkschaftlichen Rückerstattungsansprüche.225 Allerdings ließ ihre Umsetzung wiederum auf sich warten, weil in der britischen Zone das hierfür notwendige Durchführungsgesetz erst im Mai 1948 in Kraft trat (in der amerikanischen Zone hingegen wurde bereits am 5. Juli 1947 ein solches Durchführungsgesetz erlassen).226 Bis zur Gründung des DGB und zur Übertragung der Rückerstattungsansprüche auf die VTG Düsseldorf waren daher nur vier ehemalige gewerkschaftliche Wohnungsunternehmen zurückgegeben worden, die allesamt in der amerikanischen Zone lagen: Als erstes die NH Kassel, die am 11. September 1948 auf die VTG der Gewerkschaften in Hessen übertragen wurde; knapp zwei Wochen später die ehemalige NH HessenNassau, die ebenfalls auf die VTG Hessen überging.227 Im November wurde sie als „Gewobag Frankfurt“ neu gegründet.228 Hinzu kamen 1949 noch die Münchener und die Augsburger Wohnungsbaugesellschaft („Müwog“ und „Auwog“).229 Von diesen Unternehmen spielte die Gewobag Frankfurt in den folgenden Jahren eine gewichtige Rolle, weil ihr Geschäftsführer Reinhold Tarnow, der Sohn von Fritz Tarnow, sich neben Heinrich Plett als der zweite führende gewerkschaftliche Wohnungsexperte etablieren konnte. Zudem bildete sie wegen ihrer engen Anbindung an die hessischen Gewerkschaften – der spätere DGB-Vorsitzende Willi Richter war ihr erster Treuhänder, und der spätere Vorsitzende der in Frankfurt ansässigen IG Metall, Otto Brenner, gehörte von Beginn an zu ihren Förderern – ein Gegengewicht zu den Tendenzen zur Konzernbildung, die sich ab 1953 abzuzeichnen begannen.230 Dennoch waren die bis 1949 zurückerstatteten Wohnungsunternehmen der amerikanischen Zone weniger bedeutend als die Vermögenswerte, die in der britischen Zone auf die Gewerkschaften warteten. Hier erreichte der DGB erst nach der Gründung der VTG Düsseldorf einen entscheidenden Durchbruch. Die schwierigen Verhandlungen mit den Länder-Finanzministerien hatten sich vor allem um die Frage gedreht, inwieweit bei der Rückerstattung der Wohnungsbaugesellschaften der Wertzuwachs, den einige Unternehmen in den Jahren unter der Herrschaft der DAF erfahren hatten, berücksichtigt werden sollte. Während die Länder, denen ggf. die Differenz zwischen ursprünglichem Vermögen und Wertzuwachs zufallen sollte, die Erstattungen so gering wie möglich zu halten versuchten, bestanden die Gewerkschaften auf einer kompletten Rückerstattung aller Neu225 Vgl. DGB-GB 1950/51, S. 776. Die Direktive ist abgedruckt in DGB-GB (Brit. Zone) 1947/49, S. 599 ff. In der französischen Zone galt hierfür Verordnung Nr. 120, vgl. ebd. Zum Gesetz Nr. 59 vgl. Maik Wogiersen, Die Rückerstattung von ungerechtfertigt entzogenen Vermögensgegenständen. Eine Quellenstudie zur Wiedergutmachung nationalsozialistischen Unrechts aufgrund des Gesetzes Nr. 59 der britischen Militärregierung, Diss. iur. Münster 2000. 226 Vgl. DGB-GB 1950/51, S. 776 und Michael Fichter, Besatzungsmacht und Gewerkschaften. Zur Entwicklung und Anwendung der US-Gewerkschaftspolitik in Deutschland 1944–1948, Opladen 1982, S. 201. 227 Vgl. Gewobag Kassel o. J. [1965], o. S. [S. 13 f.]. 228 Vgl. Gewobag Frankfurt (Hg.), 40 Jahre Gewobag. Geschäftsbericht für das Geschäftsjahr 1964, Frankfurt a. M. 1965, o. S. [S. 17]. 229 Vgl. Hirche 1966, S. 233. 230 Vgl. dazu ausführlich Weinert 1994, S. 110 ff.; Haag 1995, S. 20 ff. sowie Kap. 3.1 dieser Arbeit.

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en Heimaten inklusive des gesamten Vermögenszuwachses.231 Aus zwei Gründen konnten sie sich mit dieser Forderung weitgehend durchsetzen. Erstens erwies es sich als unmöglich, die Höhe des Vermögenszuwachses auch nur annähernd sicher zu ermitteln. Gleichzeitig gelang es den Gewerkschaftsvertretern, den für die Rückerstattungen zuständigen Gewerkschaftsprüfungsausschuß (eine Art Verwaltungsgericht) davon zu überzeugen, daß ein wesentlicher – allerdings nicht im einzelnen zu beziffernder – Teil des Wertzuwachses, den die betroffenen Wohnungsbaugesellschaften seit 1933 erfahren hatten, aus ursprünglich gewerkschaftlichem Vermögen finanziert worden war, den Gewerkschaften also ohnehin zustand.232 Zweitens argumentierten die Gewerkschaften auch, daß sie mit dem gemeinnützigen Wohnungsbau eine öffentliche Aufgabe erfüllten, die Leistungen ihrer Gesellschaften also so oder so den Ländern zugute kämen. Dieses Argument entfaltete seine Schlagkraft aber erst auf der Grundlage der weitreichenden politischen Verbindungen des DGB. Mit dem schleswig-holsteinischen Sozialminister Walter Damm ließ sich davon zunächst ein Mann überzeugen, der schon seit den zwanziger Jahren gewerkschaftlich aktiv gewesen war und mit den wohnungspolitischen Kreisen des DGB in enger Verbindung stand (nach seinem Ausscheiden aus der Landesregierung wurde er 1950 Geschäftsführer der NH Kiel).233 Ende März 1950 faßte das Kabinett von Schleswig-Holstein auf sein Betreiben – nicht etwa auf Initiative des eigentlich zuständigen Finanzministers – den Beschluß, auf die Vermögenszuwächse zu verzichten, als Gegenleistung aber darauf zu bestehen, daß der DGB „den Reingewinn der ‚Neuen Heimat‘ in den nächsten 10 Jahren und im Falle einer Auflösung dieser Gesellschaft das gesamte Vermögen Zwecken des sozialen Wohnungsbaues“234 zuführe. Das war eine Klausel, die nicht besonders weit über die ohnehin einzuhaltenden Bestimmungen des Gemeinnützigkeitsrechts hinausging und die insbesondere der Geschäftsführer der VTG, Wolfram Ebers, und die Vertreter des wohnungspolitischen Ausschusses gerne einzuhalten bereit waren, weil sie sich im Zuge der Rückerstattungen nun langsam für den Gedanken erwärmten, „die ‚Neuen Heimaten‘ als“, wie Heinrich Plett formulierte, „Plattform für ihre Betätigung“235 zu nutzen. Das Vorgehen Schleswig-Holsteins gab ein Signal auch für die Länder Hamburg, Niedersachsen und Nordrhein-Westfalen. Schon der ursprüngliche Vorstoß der schleswig-holsteinischen Landesregierung im Gewerkschaftsprüfungsaus-

231 Vgl. Aktennotiz Ebers [VTG] vom 6.3.1950, betr.: „Neue Heimat“, DGBA-BV, Abt. Finanzen, 24/455, S. 2 und DGB-GB BBZ 1947/49, S. 610. 232 Vgl. Aktennotiz Ebers [VTG] vom 6.3.1950, DGBA-BV, Abt. Finanzen, 24/455, S. 1. Zur Funktion des Gewerkschaftsprüfungsausschusses vgl. Franz-Josef Steingens, Der Gewerkschaftsprüfungsausschuß für die britische Zone, GMH 3.1952, S. 559–564. 233 Vgl. ebd., S. 1 f. Zu Damm vgl. Claus-Dieter Krohn, Walter Damm. Arbeiter, Landrat und Flüchtlingsminister in Schleswig-Holstein, Bonn 1978. 234 Auszug aus dem Protokoll über die Sitzung der Landesregierung am Dienstag, dem 28. März 1950 (Anlage 2 zur Aktennotiz Ebers (VTG), betr. „Neue-Heimat“-Gesellschaften im Raume Niedersachsen, vom 5.9.1951), DGBA-BV, Abt. Finanzen, 24/455. 235 Bericht Sitzung des Wohnungspolitischen Ausschusses, 23.2.1950, DGBA-BV, Abt. Wirtschaftspolitik, 24/5231, S. 3.

2.3 Die Neuformierung des gewerkschaftlichen Wohnungsbaus

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schuß hatte auf die Vertreter der anderen Länder „ausserordentlichen Eindruck“236 gemacht und zu einer entgegenkommenderen Haltung der Landesregierung Nordrhein-Westfalens geführt, unter anderem deshalb, weil die mittlerweile geklärte Herkunft der Vermögenszuwächse aus gewerkschaftlichem Vermögen die Länder langwierige juristische Auseinandersetzungen befürchten ließ. Die Selbstverpflichtung des DGB auf ein zehnjähriges Engagement im sozialen Wohnungsbau schien daher eine für alle Seiten attraktive Lösung zu sein. Im August gab der DGB-Bundesvorstand auch gegenüber Hamburg eine an den Vertrag mit Schleswig-Holstein angelehnte Erklärung ab, und gegenüber dem Land Niedersachsen, unter dessen Kontrolle drei NH-Gesellschaften standen, gelang es dem DGB auf diese Weise, „eine völlige Änderung der Auffassungen über die Rückerstattung der Vermögenswerte (...) herbeizuführen.“237 Zwar dauerte es in Hamburg noch bis 1952, in Niedersachsen in einem Fall sogar bis 1955, bis die auf dieser Grundlage basierenden Rückerstattungsverträge unter Dach und Fach waren. Dennoch war spätestens seit Mitte 1950 das prinzipielle Recht der Gewerkschaften, die Gesellschaften insgesamt zurückerstattet zu bekommen, unumstritten. Allerdings fielen sie nicht alle an den DGB: Ein Teil von ihnen ging an die Deutsche Angestelltengewerkschaft. Sie verfügte über offene Ansprüche aus dem Vermögen der 1933 ebenfalls der DAF zugeschlagenen „Heimat AG“, der Wohnungsbaugesellschaft der Angestelltengewerkschaften der Weimarer Republik.238 Alles in allem erhielt der DGB daher zwar nicht alle, aber doch die meisten der von ihm zur Rückerstattung beantragten Wohnungsunternehmen zugesprochen. In den Jahren 1948 bis 1952 waren dies neun Gesellschaften, 1954 und 1955 folgten noch zwei weitere.239 Zusammen umfaßten sie einen Bestand von etwa 14.000 teils intakten, teils beschädigten Wohnungen und ein Stammkapital von etwa 9 Mio. DM.240 Hinzu kamen noch ein 30%iger Anteil an der GEHAG Berlin und ein 19%iger Anteil an der Gewoba Bremen. Das waren nochmals etwas über 1,5 Mio. DM an Stammkapital.241 Zusammen mit 11 weiteren Unternehmen, die 236 Zitat aus: Aktennotiz Ebers [VTG] vom 6.3.1950, DGBA-BV, Abt. Finanzen, 24/455, S. 2. Vgl. des weiteren Mitteilung des Senats an die Bürgerschaft Nr. 212, 16.7.1951, in: Senat und Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg (Hg.), Verhandlungen zwischen Senat und Bürgerschaft, Hamburg 1951, S. 213–218, hier S. 217. 237 Ebers [VTG], Aktennotiz, betr. „Neue Heimat“-Gesellschaften im Raume Niedersachsen, 5.9.1951, DGBA-BV, Abt. Finanzen, 24/455. Zu Hamburg vgl. Mitteilung des Senats an die Bürgerschaft Nr. 212, 16.7.1951, S. 213–218, hier S. 214 und Protokoll GBV, 17.8.1950, DGBA-BV, Abt. Vorsitzender, 5/DGAI 368, S. 2. 238 Vgl. Hirche 1966, S. 348 f. 239 Vgl. ebd., S. 233. Das „Wohnungsunternehmen der Lübecker Gewerkschaften“ ist bei den dortigen Angaben nicht berücksichtigt, hier aber mitgezählt. 240 Vgl. die fehlerhafte Tabelle in DGB-GB 1950/51, S. 326, korrigiert mit: Exposé zur Neuorganisation gewerkschaftseigener Wohnungsunternehmen, o. D. [September 1954], Anlage 1: Gesellschaftskapital der gewerkschaftseigenen Wohnungsunternehmen am Tage der Vermögensentsperrung bzw. des Erwerbs, DBGA-BV, Abt. Finanzen, 24/412; Scheiner/Schmidt 1974, S. 17 sowie Schulz 1987, S. 22. 241 Vgl. Exposé zur Neuorganisation gewerkschaftseigener Wohnungsunternehmen, o. D. [September 1954], Anlage 1: Gesellschaftskapital der gewerkschaftseigenen Wohnungsunternehmen am Tage der Vermögensentsperrung bzw. des Erwerbs, DBGA-BV, Abt. Finanzen, 24/412 sowie Wallenhorst 1993, S. 128.

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2. Zwischen Tradition und Neuanfang

die Ländergewerkschaften zwischen 1950 und 1955 noch gründeten oder die die VTG bzw. die NH Hamburg in diesen Jahren hinzukauften, bildeten diese Rückerstattungen den Grundstock des Vermögens der späteren Unternehmensgruppe NEUE HEIMAT.242 Dieser Grundstock war eine wichtige Voraussetzung für den Aufbau eines Großkonzerns. Dennoch wurde der DGB mit seinen Wohnungsbaugesellschaften zunächst nicht besonders glücklich. „Der ‚stolze‘ Nachlaß, der dem Deutschen Gewerkschaftsbund (...) zufloß“, so schrieb die NH 1976 rückblickend, bestand nämlich „im wesentlichen aus Wohnungsunternehmen, die in ihren Vermögenssubstanzen und in ihren organisatorischen und wirtschaftlichen Verhältnissen erhebliche Kriegs- und Kriegsfolgeschäden erlitten hatten.“243 Schon vor 1933 hatten die gewerkschaftseigenen Wohnungsunternehmen – wie auch viele andere gemeinnützige Gesellschaften – in wirtschaftlicher Hinsicht vor allem unter einem Problem gelitten: unter dem Problem ihrer mangelhaften Ausstattung mit Eigenkapital. Die Gewerkschaften waren aus finanziellen Gründen kaum in der Lage gewesen, daran etwas Grundsätzliches zu ändern. Unter den Bedingungen der Zusammenbruchsgesellschaft stieg aber der Kapitalbedarf der Unternehmen noch an. Denn erstens waren sie durch den Verlust zerstörter Wohnungsbauten erheblich in ihrer Substanz geschwächt. Das erschwerte ihnen beispielsweise die Aufnahme von Krediten, weil sie ein geringeres Anlagevermögen als Sicherheit anzubieten hatten, und dieses Problem war nur mit zusätzlichem Eigenkapital zu lösen. Dazu kam noch, daß die Rückerstattungsansprüche der DAG zum Teil mit der Entnahme intakter Wohnblöcke aus dem Vermögen ohnehin am Rande des Konkurses befindlicher Gesellschaften abgegolten wurden.244 Dies war um so gravierender, als – zweitens – die wenigen intakten Wohnblocks die einzige Quelle waren, aus der die Unternehmen noch (wenn auch geringfügige) Gewinne erwarten konnten. Die zerstörten Gebäude hingegen brachten den Gesellschaften über den direkten Vermögensverlust hinaus noch weitere Einbußen, die fast alle gewerkschaftlichen Wohnungsunternehmen an den Rand des wirtschaftlichen Ruins trieben. Die hypothekarischen Belastungen der betroffenen Grundstücke waren nämlich erhalten geblieben, nur daß ihnen nun keinerlei Mieteinnahmen mehr gegenüberstanden. Selbst nach ihrer Abwertung durch die Währungsreform „verursachten diese Restverpflichtungen pausenlos Verluste in der Bilanz“,245 die erst durch den Wiederaufbau der zerstörten Wohngebäude aufgefangen werden konnten. An einen solchen Wiederaufbau aber war vor 1950 wegen der zu diesem Zeitpunkt noch mangelnden öffentlichen Förderung und wegen der zum Teil kriegsbedingten, zum Teil aus der Zeit der Treuhänderschaft herrührenden organisatorischen Schwächen der Gesellschaften nicht zu denken.

242 Zu den elf weiteren Unternehmen vgl. Daten über die Entwicklung der Unternehmensgruppe in der Zeit von 1948 bis 1962, IGM ZwA 2/17 265; DGB-GB 1953/53, S. 37 f. sowie DGBGB 1954/55, S. 640 f. 243 50 Jahre NH, S. A 14. 244 Vgl. hier und im folgenden den in Kap. 3.1 beispielhaft geschilderten Fall der Neue Heimat Hamburg. 245 So Heinrich Plett, zit. nach Neue Heimat Hamburg (Hg.), 50 Jahre Gewog Gemeinnützige Wohnstättengesellschaft von 1910, Hamburg o. J. [1960], S. 30.

2.3 Die Neuformierung des gewerkschaftlichen Wohnungsbaus

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Die Wiederbelebung des Wohnungsbaus durch das im April 1950 verabschiedete I. Wohnungsbaugesetz verschärfte diese Situation zunächst noch, weil die Gesellschaften nun versuchten, möglichst schnell wieder Wohnungen zu bauen, um Einnahmen aus der Bautätigkeit zu erzielen und den aufgelaufenen Hypothekenschulden langfristig wieder entsprechende Mieteinnahmen entgegensetzen zu können. Kurzfristig verstärkte die Wiederaufnahme der Bautätigkeit aber den Eigenkapitalbedarf, denn trotz der umfangreichen öffentlichen Förderung mußte in der Regel ein Minimum von 3 bis 6% der Baukosten aus eigenen Mitteln aufgebracht werden.246 Trotz dieses erhöhten Kapitalbedarfs waren die Gewerkschaften nach dem Krieg aber noch viel weniger als in der Weimarer Republik gewillt und in der Lage, sich um die Eigenkapitalausstattung ihrer Unternehmen zu kümmern. Das lag einerseits daran, daß der gewerkschaftseigene Wohnungsbau, wie bereits ausgeführt, keinen besonders hohen Stellenwert genoß. Andererseits stand aber der DGB ohnehin auf finanziell sehr wackligen Füßen. Das hing nicht zuletzt mit der Durchsetzung des Industriegewerkschaftsprinzips zusammen, das eindeutig zu Lasten des Dachverbandes ging.247 Im September 1950 geriet der DGB deshalb sogar in eine akute Liquiditätskrise.248 Als gleichzeitig ein an den DGB gerichteter Kreditantrag der NH Kiel den Bundesvorstand veranlaßte, den voraussichtlichen Kapitalbedarf der gewerkschaftseigenen Wohnungsbaugesellschaften für die nächsten Jahre zu ermitteln, war daher von vornherein klar, „dass die erforderlichen Aufwendungen für die notwendigen Erhöhungen des Gesellschaftskapitals der gewerkschaftlichen Wohnungsbaugesellschaften nicht von der Bundeskasse geleistet werden können.“249 Die VTG ging davon aus, daß in den Jahren bis 1954 Stammkapitalerhöhungen von nominell 24 Mio. DM – das entsprach in etwa den Gesamteinnahmen des Bundes für 1950 – vorgenommen werden müßten, um die Wohnungsbaugesellschaften auf sicheren Boden stellen zu können.250 Davon war zwar nur ein Viertel, also 6 Mio. DM, von den Gewerkschaften direkt aufzubringen und einzuzahlen; aber schon dieses Viertel überstieg die finanzielle Leistungskraft des Bundes bei weitem.251 Eine einfache Lösung, wie diese Mittel aufgebracht werden konnten, war nicht in Sicht. Zwar diskutierte die DGB-Führung die Idee, ob nicht eine Hinzuziehung der Einzelgewerkschaften in Frage käme, aber dieser Plan wurde zunächst auf Eis gelegt, weil er der grundsätzlichen Strategie des DGB zur Zentralisierung des gewerkschaftlichen Vermögens widersprach.252 Jedenfalls ignorierte der geschäftsführende Bundesvorstand in den folgenden Monaten mit bemerkenswerter 246 247 248 249

Vgl. dazu ausführlicher Kap. 3.1.2.1 dieser Arbeit. Vgl. Fichter 1990, S. 35 ff. Vgl. Protokoll GBV, 1.9.1950, DGBA-BV, Abt. Vorsitzender, 5/DGAI 368, S. 1. Protokoll der 11. Sitzung des Bundesvorstandes des Deutschen Gewerkschaftsbundes, 21.11.1950, DGBA-BV, Abt. Vorsitzender, 5/DGAI 528, S. 9 (Protokolle des Bundesvorstandes im folgenden zitiert als: Protokoll BV + Datum). Vgl. auch Protokoll GBV, 26.9.1950, DGBA-BV, Abt. Vorsitzender, 5/DGAI 368, S. 4. 250 Vgl. Kurt Hirche, Die Finanzen der Gewerkschaften, Düsseldorf/Wien 1972, S. 482. 251 Vgl. Aktennotiz betr. Kapitalerhöhung der gewerkschaftlichen Wohnungsunternehmen, 7.5.1952, DGBA-BV, Abt. Wirtschaftspolitik, 24/9044. 252 Vgl. Protokoll BV, 21.11.1950, DGBA-BV, Abt. Vorsitzender, 5/DGAI 528, S. 9.

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Hartnäckigkeit die immer dringlicher werdenden Appelle aus den Wohnungsunternehmen, die mit zunehmender Verzweiflung um ihr finanzielles Überleben kämpften. Die VTG geriet deshalb gewaltig unter Druck. Im Dezember 1950 schrieben Ebers und sein seit kurzem amtierender Mitgeschäftsführer Matthias Terhorst an den Bundesvorstand: „Die Gesellschaften, insbesondere in Lübeck und Kiel (...), können nicht mehr länger hingehalten werden. Es ist dringend erforderlich, dass eine Entscheidung vom Gesamtvorstand getroffen wird, weil wir nicht mehr in der Lage sind, den Aufsichtsräten der Gesellschaften eine plausible Erklärung dafür zu geben, dass in der Angelegenheit keine Beschlüsse gefasst werden.“253 Der Vorstand konnte sich zu keiner Entscheidung durchringen.254 In den nächsten Monaten behalf er sich mit provisorischen Finanzspritzen in den Fällen, in denen eine Pleite ansonsten nicht zu verhindern gewesen wäre und gestattete in einem Ausnahmefall auch die Beteiligung eines Dritten. Alles in allem summierten sich die vom DGB aufgebrachten Mittel bis 1952 auf magere 320.000 DM, die aber nur als kurzfristiger Kredit zur Verfügung gestellt wurden.255 Ein ernsthafter Versuch, den 1950 errechneten Eigenkapitalbedarf der Wohnungsunternehmen zu decken, war das nicht. Im November 1951 tauchte das Problem wieder auf; wieder wurde es auf die lange Bank geschoben.256 Im Januar 1952 wurde das „Wohnungsunternehmen der Lübecker Gewerkschaften“ beim Bundesvorstand vorstellig, weil seinem Stammkapital von 150.000 DM Verbindlichkeiten in Höhe von 8 Millionen DM gegenüberstanden und „die Geschäftsleitung bei ihren Verhandlungen mit den Hypothekendarlehnsgebern immer wieder hören muss[te], dass sie in Anbetracht des viel zu geringen Stammkapitals (...) nicht in der Lage sind, weiterhin Hypotheken zu gewähren“.257 Auch bei der Gewobag Frankfurt spitzte sich die Lage zu. Der Bundesvorstand verschob seine Entscheidung abermals.258 Den Geschäftsführern der Wohnungsunternehmen riß nun der Geduldsfaden. Sie hatten sich bereits im September 1950 auf Initiative von Reinhold Tarnow in der „Arbeitsgemeinschaft gewerkschaftseigener Wohnungsunternehmen“ (Argewo) zusammengeschlossen. Diese Arbeitsgemeinschaft bildete einerseits ein Forum für den Erfahrungsaustausch und für die gemeinsame Formulierung von wohnungswirtschaftlichen und wohnungspolitischen Zielsetzungen. Ihr hauptsächliches Interesse lag jedoch in „der Beschaffung und Verstärkung des Gesellschaftskapitals“259 der Unternehmen. Sie war also vor allem eine Interessenvertretung der Wohnungsbaugesellschaften gegenüber dem DGB. Nachdem dieser die Frage der 253 Vorlage für Bundesvorstandssitzung, betr. Kapitalerhöhung ‚Neue Heimat‘-Gesellschaften, 9.12.1950, DGBA-BV, Abt. Finanzen, 24/455. 254 Vgl. Protokoll GBV, 11.12.1950, DGBA-BV, Abt. Vorsitzender, 5/DGAI 368, S. 2. 255 Vgl. Protokoll GBV, 23.4.1951, DGBA-BV, Abt. Vorsitzender, 5/DGAI 369; Protokoll GBV, 17.7.1951, ebd.; Protokoll GBV, 24.9.1951, ebd. 256 Vgl. Protokoll GBV, 19.11.1951, DGBA-BV, Abt. Vorsitzender, 5/DGAI 369, S. 5. 257 Vorlage Nr. 24/52 an den Aufsichtsrat [der VTG], betr. Kapitalerhöhung der Wohnungsunternehmen der Lübecker Gewerkschaften gemeinnützige G.m.b.H., Lübeck. Übernahme eines weiteren Geschäftsanteils von DM 100.000, DGBA-BV, Abt. Finanzen, 24/454, S. 1 f. 258 Vgl. Protokoll GBV, 18.2.1952, DGBA-BV, Abt. Vorsitzender, 5/DGAI 370, S. 7. Die dort angekündigte Behandlung des Problems „in der nächsten Sitzung des geschäftsführenden Vorstandes“ fand wiederum nicht statt.

2.3 Die Neuformierung des gewerkschaftlichen Wohnungsbaus

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Kapitalerhöhung zum wiederholten Male auf die lange Bank geschoben hatte, sollte das Thema „Kapitalerhöhung“ auf einer für den 8. und 9. Mai angesetzten Sitzung der Argewo erneut zur Sprache kommen. Doch nicht nur das: „Einige Geschäftsführer“, schrieb ein Referent der Hauptabteilung Wirtschaftspolitik des DGB-Bundesvorstandes an seinen Vorgesetzten, Vorstandsmitglied Hans vom Hoff, „haben die Absicht, ihre Posten zur Verfügung zu stellen, da sie kaufmännisch und moralisch unter den jetzigen Kapitalverhältnissen die Verantwortung für die Unternehmen nicht mehr tragen können. Das Kreditvolumen hat im Verhältnis zum Stammkapital ein Ausmaß angenommen, daß es auch von uns als Gewerkschaften weiterhin nicht mehr verantwortet werden kann.“260 Die Argewo beließ es aber nicht bei Drohungen. Sie unterbreitete dem DGBBundesvorstand auch einen Vorschlag zur Bereinigung der kritischen Lage. Der mußte den Gewerkschaftsführern bekannt vorkommen: Sie vertrat die Ansicht, daß „nunmehr in Anbetracht der prekären Situation die einzelnen Geschäftsführer direkt an die Industriegewerkschaften herantreten sollten, um eine Kapitalerhöhung zu realisieren.“261 Der DGB war alles andere als begeistert. „Unter dem Druck der Verhältnisse“262 stimmte DGB-Finanzvorstand Albin Karl diesem Vorhaben zwar zunächst zu. Doch konnte sich der Bundesvorstand nicht dazu durchringen, diese Zustimmung zu bestätigen. Schließlich widersprach sie den „seit 1950 vertretenen Grundsätzen, Kapitalbeteiligungen grundsätzlich über den Bund laufen zu lassen“.263 Aufgrund der Ablehnung durch den Bundesvorstand bemühte sich die Argewo in den folgenden Wochen, wie Hans vom Hoff seinen Kollegen mit einiger Empörung berichtete, „unter Umgehung der zuständigen Hauptabteilung und des geschäftsführenden Vorstandes“264 direkt um eine Unterstützung durch die Industriegewerkschaften – woraufhin die DGB-Spitzen um so weniger bereit war, auf ihre Forderungen einzugehen. Eine Auflösung dieser verfahrenen Lage erhofften sich die Beteiligten vom 2. DGB-Bundeskongreß im Oktober 1952 in Berlin. Denn die mangelnde Kapitalausstattung der gewerkschaftseigenen Wohnungsbaugesellschaften enervierte nicht nur deren Geschäftsführer. Auch der Hauptvorstand der IG Bau, Steine, Erden, der der Auffassung war, daß die Förderung des Wohnungsbaus mittels eigener Unternehmen zur Tradition der deutschen Arbeiterbewegung gehöre und außerdem die Öffentlichkeit von den Gewerkschaften „einen materiellen Beitrag zur Lösung der Wohnungsfrage“265 erwarte, sah sich in die Pflicht genommen. Jedenfalls beantragte er mit genau dieser Begründung einen Solidaritätsfonds ins Leben zu rufen, über den für die Dauer von zunächst vier Jahren 1% der Beitragseinnah259 Reinhold Tarnow, Die Arbeitsgemeinschaft gewerkschaftseigener Wohnungsunternehmen, in: NHH 1952, S. 22–24, hier S. 23. 260 Aktennotiz betr. Kapitalerhöhung der gewerkschaftlichen Wohnungsunternehmen, 7.5.1952, DGBA-BV, Abt. Wirtschaftspolitik, 24/9044. 261 Ebd. 262 Ebd. 263 Ebd. 264 Protokoll GBV 8.9.1952, DGBA-BV, Abt. Vorsitzender, 5/DGAI 370, S. 1. 265 Deutscher Gewerkschaftsbund (Hg.), Protokoll 2. ordentlicher Bundeskongreß Berlin 13. bis 17. Oktober 1952, Düsseldorf o. J., S. 497.

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2. Zwischen Tradition und Neuanfang

men der Einzelgewerkschaften oder alternativ ein außerordentlicher Monatsbeitrag von 10 Pfennig pro Mitglied den gewerkschaftlichen Wohnungsunternehmen als Gesellschaftskapital zufließen sollte.266 Zwar fand die Intention dieses Antrags durchaus das Wohlwollen der Delegierten. Allerdings hätte der Zeitpunkt für diesen Vorstoß kaum schlechter gewählt sein können: Der Bundeskongreß hatte kurz zuvor beschlossen, den Beitrag der Einzelgewerkschaften an den DGB von 15% auf 12% von deren Beitragseinnahmen zu senken. Diese Beitragssenkung nun de facto sofort wieder rückgängig zu machen, kam insbesondere für die IG Metall nicht in Frage.267 Auch der Kongreß fand daher keine Lösung für das Finanzierungsproblem der gewerkschaftseigenen Unternehmen. Statt dessen wurde der Antrag der IG Bau zur weiteren Bearbeitung an den Bundesvorstand überwiesen, der eine aus Albin Karl, Willi Richter und Adalbert Stenzel bestehende Kommission mit dem Problem befaßte.268 Diese Kommission präsentierte Ende November zunächst dem geschäftsführenden Bundesvorstand und drei Wochen später dann dem erweiterten Bundesvorstand des DGB einen erneuten Vorstoß zur Finanzierung der Wohnungsgesellschaften. Sie wollte nun genau das durchsetzen, was Reinhold Tarnow und die Argewo schon vor dem Bundeskongreß gefordert hatten: eine direkte Beteiligung der Einzelgewerkschaften an den Wohnungsgesellschaften. Diesmal stimmte der Bundesvorstand zwar zu – doch er hatte die Rechnung ohne die Industriegewerkschaften gemacht. Sie sahen durch den Vorschlag ihre finanzielle Unabhängigkeit gefährdet und leisteten heftigen Widerstand. Wilhelm Gefeller, der Vorsitzende der IG Chemie, Papier, Keramik, erklärte, „daß bei seinem Vorstand wegen [des] Erwerb[s] von neuen Anteilen keine Begeisterung vorhanden sei, weil ihres Wissens nach z. B. die Bilanzsumme bei dem Lübecker Wohnungsunternehmen nur aus Verpflichtungen bestünde. Sie seien nicht bereit, neue Anteile und Verpflichtungen zu übernehmen“.269 Den Mitgliedern des DGB-Bundesvorstandes fiel es schwer, diese Stellungnahme zu kontern. Sie zogen sich auf Appelle an das gewerkschaftliche Gewissen zurück. Willi Richter wies darauf hin, daß die Gewerkschaften „eine moralische Verpflichtung [hätten], den sozialen Wohnungsbau zu fördern“, und Walter Freitag betonte, wenn sich die Gewerkschaften „von dem sozialen Wohnungsbau abwenden würden, dann würden wir uns vor der Öffentlichkeit draußen bloßstellen.“270 Doch damit drangen sie nicht durch. Zwar beschloß der erweiterte Bundesvorstand tatsächlich, die Industriegewerkschaften im Sinne des Vorschlags der Kommission dazu aufzufordern, Mittel für die Wohnungsbaugesellschaften zur Verfügung zu stellen. Aber nun stellten diese sich bei der Umsetzung des Beschlusses quer: Sie behaupteten, daß sie „die notwendigen Eigenkapitalmittel für

266 Vgl. ebd., S. 497. Zu dem gesamten Vorgang vgl. auch Weinert 1994, S. 99 ff. und Fuhrich 1984, S. 91 f. 267 Vgl. die Stellungnahme des IG-Metall-Vorsitzenden Hans Brümmer zu dem Antrag, in: Deutscher Gewerkschaftsbund o. J., S. 360 f. Vgl. auch Haag 1995, S. 29. 268 Vgl. Protokoll GBV 10.11.1952, DGBA-BV, Abt. Vorsitzender, 5/DGAI 370. 269 Protokoll BV 18.12.1952, DGBA-BV, Abt. Vorsitzender, 5/DGAI 528, S. 7. 270 Ebd., S. 7 f.

2.3 Die Neuformierung des gewerkschaftlichen Wohnungsbaus

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die Gesellschaften nicht aufbringen“271 könnten. Dem hatte der DGB nichts mehr entgegenzusetzen. Zwar bemühte sich der Bundesvorstand zunächst noch, die Industriegewerkschaften vom Gegenteil zu überzeugen. Doch dies mißlang. Tragfähige andere Vorschläge gab es nicht.272 Damit waren die Bemühungen um eine verbesserte Eigenkapitalausstattung der gewerkschaftseigenen Wohnungsunternehmen endgültig gescheitert, und nun wurden, ähnlich wie zuvor schon bei den Bauhütten, Stimmen laut, die Unterstützung für diese Gesellschaften völlig einzustellen.273 Anders als bei den Bauhütten, die tatsächlich seit dem April 1951 sich selbst überlassen blieben, hatte sich die Debatte um die Wohnungsbaugesellschaften aber so lange hingezogen, daß es zumindest einem dieser Unternehmen gelungen war, sich aus dem Klammergriff des Kapitalmangels zu befreien.274 Ab Anfang 1953 gab – auch angesichts mangelnder Alternativen – im Konzert des gewerkschaftlichen Wohnungsbaus nicht mehr der DGB, die Industriegewerkschaften oder die Argewo den Ton an, sondern jene Gesellschaft, unter deren Führung nun innerhalb von wenig mehr als drei Jahren aus den darbenden Kleinunternehmen Europas größter Wohnungsbaukonzern geformt wurde: die Neue Heimat Hamburg.

271 Exposé zur Neuorganisation gewerkschaftseigener Wohnungsunternehmen, o. D. [September 1954], DBGA-BV Abt. Finanzen, 24/412. 272 Vgl. ebd. 273 So äußerte Albin Karl im November 1952, es gebe verschiedentlich die „Ansicht, unsere Wohnungsbauunternehmen nicht mehr weiter zu unterstützen“, und Stimmen aus der gemeinnützigen Wohnungswirtschaft legten dem DGB nahe, auf die Unterhaltung eigener Wohnungsunternehmen zu verzichten. Vgl. Protokoll BV, 25.11.1952, DGBA-BV, Abt. Vorsitzender, 5/DGAI 528, S. 10 (Zitat Karl) und Plett 1952(a), S. 20. 274 Zu den Bauhütten vgl. Protokoll GBV, 23.4.1951, DGBA-BV, Abt. Vorsitzender, 5/DGAI 369, S. 3.

3. „WOHNUNGEN, WOHNUNGEN UND NOCHMALS WOHNUNGEN“: DER WEG ZUM GEWERKSCHAFTLICHEN GROSSKONZERN (1950–1958) 3. „WOHNUNGEN, WOHNUNGEN UND NOCHMALS WOHNUNGEN“

3.1 DIE NEUE HEIMAT HAMBURG UND DIE ENTSTEHUNG DES GEWERKSCHAFTLICHEN GROSSKONZERNS 1945–1958 3.1 DIE NEUE HEIMAT HAMBURG UND DIE ENTSTEHUNG DES GROSSKONZERNS 3.1.1 Die Neue Heimat Hamburg 1945–1952 3.1.1.1 Die NHH in der Zusammenbruchsgesellschaft 1945–1949 Unmittelbar nach dem Ende des Krieges deutete kaum etwas darauf hin, daß die im Mai 1926 als „Gemeinnützige Kleinwohnungsbaugesellschaft Groß-Hamburg“ (GKB) gegründete NHH dereinst diese Führungsrolle übernehmen sollte.1 Zwar hatte sie 1933 mit einem Bestand von etwa 2.700 Wohnungen bereits zu den größeren gemeinnützigen Wohnungsgesellschaften in Deutschland gezählt. Mit der einzigen überregional agierenden und gleichzeitig größten Gesellschaft dieser Art – der GAGFAH – konnte und wollte sie aber nicht annähernd konkurrieren.2 Ihre Gründung war ein Gemeinschaftswerk des Hamburger Senates, der Hamburger SPD und der lokalen gewerkschaftlichen Organisationen gewesen, und im Gegensatz zu den anderen ehemals gewerkschaftseigenen Wohnungsunternehmen blieb ihr diese Einbindung in den spezifisch Hamburger Rahmen auch während der NSZeit erhalten.3 Die alliierte Vermögenskontrolle änderte daran zunächst wenig. Mit Wilhelm Radlof ernannte die britische Militärregierung am 22. September 1945 einen früheren sozialdemokratischen Bürgerschaftsabgeordneten zum geschäftsführenden Treuhänder der Gesellschaft.4 Auch der ihm zur Seite gestellte Treuhänderbeirat – der Vorläufer des späteren Aufsichtsrates – reflektierte die enge Verflechtung der Gesellschaft nicht nur mit den lokalen Gewerkschaften, sondern auch mit der hansestädtischen Politik. Zu seinem Vorsitzenden wurde mit dem Hamburger Bausenator und früheren Präsidenten der Bürgerschaft Max Leuteritz ein prominenter Sozialdemokrat bestellt.5 Weitere sechs Mitglieder entstammten der Bürger1 2

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Zur Gründungsgeschichte der GKB vgl. 50 Jahre NH, S. A 3 ff. und Brecht/Klabunde 1950, S. 250 ff. Die Größe des Verwaltungsbestandes der GAGFAH vor 1933 ist nicht genau zu eruieren und wäre auch ein irreführender Vergleichsmaßstab, weil die GAGFAH – anders als die GKB – bis Mitte der zwanziger Jahre fast ausschließlich Verkaufseigenheime, die nicht in ihrem Bestand blieben, produzierte. An den Wohnungsbauziffern ist jedoch leicht erkennbar, daß sich die GAGFAH in völlig anderen Dimensionen bewegte als die GKB: Sie erstellte in den Jahren 1927–1929 jährlich etwa 5.300 Wohnungen, während die GKB im gleichen Zeitraum auf etwa 460 Fertigstellungen kam. Vgl. GAGFAH 1968, S. 114 und 50 Jahre NH, S. A 7. Vgl. 50 Jahre NH, S. A 3 ff. Vgl. ebd., S. A 23. Zu Radlof vgl. Wilhelm Heinz Schröder, Sozialdemokratische Parlamentarier in den deutschen Reichs- und Landtagen 1867–1933. Biographien, Chronik, Wahldokumentation. Ein Handbuch (Handbücher zur Geschichte des Parlamentarismus und der politischen Parteien Bd. 7), Düsseldorf 1995, S. 663. Zu Leuteritz vgl. die biogaphischen Angaben bei Schröder 1995, S. 585 f. und bei Walter Tormin, Die Geschichte der SPD in Hamburg 1945 bis 1950 (Forum Zeitgeschichte Bd. 4),

3.1 Die Neue Heimat Hamburg und die Entstehung des Großkonzerns

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schaftsfraktion der SPD bzw. den lokalen gewerkschaftlichen Organisationen (wobei es hier erhebliche Überschneidungen gab); hinzu kamen ein Vertreter des Betriebsrates und mit der Übertragung der Vermögenskontrolle auf die Hansestadt ein Beamter der Finanzbehörde. Nicht vertreten waren dagegen die – allerdings erst im Entstehen begriffenen – überregionalen gewerkschaftlichen Zusammenschlüsse, und dabei blieb es auch bis Ende 1949.6 Von Anfang an also war die NHH unter alliierter Treuhänderschaft fest in ein lokales Netzwerk von Gewerkschaften, SPD und Stadtverwaltung eingebunden, wie es auch für die GKB kennzeichnend gewesen war. Hinzu kam nun noch eine verstärkte Kooperation mit der gemeinnützigen Wohnungswirtschaft, weil die gewerkschaftlichen Wohnungsunternehmen im Gegensatz zur Zwischenkriegszeit keinen eigenen Prüfungsverband mehr unterhielten. Statt dessen wurde die NHH Mitglied im Verband Norddeutscher Wohnungsunternehmen.7 Kapital konnte die NHH aus diesen Verbindungen zunächst allerdings nicht schlagen. An eine systematische Wohnungsbauförderungspolitik war unmittelbar nach 1945 in Hamburg nicht zu denken. Der Stadtstaat sah sich in dieser Hinsicht sogar mit einer in vielen Belangen weitaus schwierigeren Lage konfrontiert als die Flächenstaaten. Allein während der sogenannten „Aktion Gomorrha“, den Bombardierungen Hamburgs zwischen dem 25. Juli und dem 3. August 1943, hatte die Hansestadt einen erheblichen Teil ihres Wohnungsbestandes verloren.8 Weitere Luftangriffe waren Anfang 1944 sowie in der Schlußphase des Krieges erfolgt. Im Mai 1945 lag in Hamburg mit knapp 300.000 Wohnungen etwas mehr als die Hälfte des Wohnungsbestandes von 1939 in Schutt und Asche. 170.000 weitere Wohnungen waren teilzerstört und bedurften dringend der Instandsetzung. 900.000 Hamburger waren obdachlos.9 Auch die NHH war von den Folgen des Luftkrieges nicht verschont geblieben. Zu DAF-Zeiten waren zu den 2.700 Wohnungen und 62 Läden und Restaurants, die sie 1933 unter ihrer Verwaltung gehabt hatte, aus eigener Bautätigkeit knapp 1.100 und aus der Übernahme des Hamburger Bestandes der „Heimat AG BerlinZehlendorf“, der ihr im Zuge der Verschmelzungspolitik 1941 zugeschlagen wurde, weitere 465 Objekte hinzugekommen. Von diesen insgesamt 4.316 Einheiten, die sich vor allem auf die Stadteile Hamburg-Horn, die Veddel und das besonders stark von den Bombardierungen betroffene Barmbek konzentriert hatten, wurden 2.144, d. h. 50,3%, total zerstört (ihr Buchwert belief sich auf etwa 21 Mio. RM).

6 7 8

9

Hamburg 1994, S. 382. Vgl. GB NHH 1948/51, S. 6 sowie NHH 1952, S. 10 ff. Zum VNW vgl. Brecht/Klabunde 1950, S. 207. Vgl. Axel Schildt, Hamburg. Versuch einer zweiten Moderne, in: Beyme 1992, S. 78–97, hier S. 81 f. sowie Werner Johe, Im Dritten Reich, in: Werner Jochmann/Hans Dieter Loose (Hg.), Hamburg. Geschichte der Stadt und ihrer Bewohner. Band II: Vom Kaiserreich bis zur Gegenwart, Hamburg 1986, S. 265–376, hier S. 365 ff. Vgl. Peter Krieger, „Wirtschaftswunderlicher Wiederaufbau-Wettbewerb“. Architektur und Städtebau der 1950er Jahre in Hamburg, Diss. phil. Hamburg 1995, S. 40; Dorothee Stapelfeldt, Wohnungsbau der 50er Jahre in Hamburg (Oktogon Studien zu Architektur und Städtebau Bd. 7), Münster 1993, S. 65 ff.; Schulz 1994, S. 350; Arthur Dähn, Die Zerstörung Hamburgs im Kriege 1939–45, in: Architekten- und Ingenieur-Verein Hamburg e. V. (Hg.), Hamburg und seine Bauten 1929–1953, Hamburg 1953, S. 28–38, passim.

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3. „Wohnungen, Wohnungen und nochmals Wohnungen“

Der Rest war zum Teil schwer beschädigt; nur wenige Häuserblöcke blieben völlig unzerstört.10 1952 mußte die Gesellschaft zudem 110 Wohnungen, eine Ruine mit ursprünglich 80 Wohnungen und ein unbebautes Grundstück für weitere 40 Wohnungen an die DAG abgeben, um deren Rückerstattungsansprüche aus dem ehemaligen „Heimat“-Vermögen abzugelten.11 Auch organisatorisch litt die NHH unter den Folgen des Krieges. Die Vermögenskontrolle bedeutete zwar per se noch keine Einschränkung, weil die Alliierten ebenso wie später das Land aus sozialpolitischen Gründen darauf achteten, die wirtschaftliche Funktionsfähigkeit der sequestrierten Wohnungsunternehmen nicht zu behindern.12 Aber der Krieg und der Zusammenbruch hatten der Gesellschaft vor allem personell stark zugesetzt. Zahlreiche Mitarbeiter waren gefallen, in Kriegsgefangenschaft geraten oder aus der Stadt geflohen. Die noch verbliebenen leitenden Angestellten wurden wegen ihrer politischen Bindungen an die DAF entfernt.13 Damit verlor die NHH auch deren wohnungswirtschaftliches Expertenwissen. In dieser Hinsicht machte sich die Treuhänderschaft zudem dann doch negativ bemerkbar: Auch Radlof war nämlich nach politischen Gesichtspunkten ausgewählt worden. Ein ausgewiesener Experte für den Wohnungsbau war er nicht.14 Zum Zeitpunkt der Währungsreform hatte die Gesellschaft nur noch etwa dreißig Mitarbeiter und kaum erfahrenes Führungspersonal.15 Erschwerend kam hinzu, daß sich die Arbeitsbedingungen für diese wenigen Angestellten durch die Folgen des Krieges am Rande des Zumutbaren bewegten: Das Büro der Gesellschaft in der Hamburger City war zerstört, und statt dessen war diese nun – zusammen mit dem Vorratslager eines Käsehändlers – in einer Baracke in Bramfeld untergebracht (die in späteren Selbstdarstellungen stets als ein treffliches Symbol für den unternehmenseigenen „Phönix-aus-der-Asche“-Mythos diente).16 Nebenbei war auch noch die gesamte Büroausstattung von der Schreibmaschine bis zum

10 Vgl. Zusammengefaßte Übersicht der Entwicklung des Wohnungsbestandes der „NEUE HEIMAT“, HAA NX 91. Zu den unzerstörten Blöcken vgl. Günter Kellert, Das Erbe waren Trümmer, in: NHH 1952, S. 28–39, hier S. 28 f. und die Aufstellungen im Anschluß an diesen Artikel. Vgl. auch die Übersicht in Brecht/Klabunde 1950, S. 256 sowie Mitteilung des Senats an die Bürgerschaft Nr. 212, 16.7.1951, in: Senat und Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg 1951, S. 213–218, hier S. 214. 11 Vgl. Protokoll über die Besprechung zwischen den Vorständen der Deutschen AngestelltenGewerkschaft und des Deutschen Gewerkschaftsbundes, 8.1.1952, DGBA-BV, Abt. Finanzen, 24/411, S. 1. 12 Vgl. Allied Control Authority Directorate of Manpower. Recommendations as to the Measures Necessary to Ensure the Safe Custody and Efficient Management of German Labor Front Enterprise After Their Confiscation Until Their Final Disposition is Decided, 1.10.1945, in: Mielke u. a. 1987, S. 133–134, hier S. 134. 13 Vgl. 50 Jahre NH, S. A 10. 14 Dies geht hervor aus Schröder 1995, S. 663. 15 Vgl. GB NHH 1948/51, S. 3 ff. 16 Die Baracke ist abgebildet in 50 Jahre NH, S. A 10. Zur Symbolfunktion vgl. die Ausführungen in Neue Heimat Hamburg (Hg.), Wohnungen, Wohnungen und nochmals Wohnungen. Eine Reise durch gewerkschaftseigene Wohngebiete in Deutschland, Hamburg 1956, S. 16 (im folgenden abgekürzt: NHH 1956) sowie Werner Norhaub, In Onkel Alberts Reich geht die Sonne nicht unter, STERN 26.1973,3, S. 78–81, hier S. 80.

3.1 Die Neue Heimat Hamburg und die Entstehung des Großkonzerns

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Wandschrank sowie ein Großteil der Akten für den Wohnungsbau und die Wohnungsverwaltung im Krieg verlorengegangen.17 Auch mit einer funktionierenden Organisation und einer hochqualifizierten Mitarbeiterschaft wäre aber in der Zeit vor der Währungsreform für die NHH ebenso wenig an eine geregelte Wohnungsbau- oder Vermietungstätigkeit zu denken gewesen wie für alle anderen Wohnungsunternehmen auch. Aus der Wohnungsverwaltung erwirtschaftete die Gesellschaft nur Verluste. Das lag vor allem an den aufgelaufenen Hypothekenschulden der Gesellschaft.18 Sie beliefen sich unmittelbar vor der Währungsreform auf etwa 36 Mio. RM. Das Problem dabei war, daß sich etwa die Hälfte dieser Hypothekenschulden auf zerstörte Wohngebäude bezog. Bis zum Juni 1948 liefen für diese zerstörten Wohngebäude unbezahlte Zinsen in Höhe von etwa 1,5 Mio. RM auf, denen keinerlei Mieteinnahmen gegenüberstanden. Sie stellten für die Gesellschaft eine enorme Belastung dar.19 Doch auch die intakt gebliebenen Wohngebäude trugen kaum zur Verbesserung der Lage bei. Erstens galt für sie noch immer der Mietpreisstop aus dem Jahr 1936. Zweitens waren angesichts der raschen Entwertung der Reichsmark geldliche Einnahmen ohnehin nur von begrenztem Nutzen – wenn sie überhaupt noch zu erzielen waren. Im Chaos der ersten Nachkriegsphase war das keine Selbstverständlichkeit. „In den Kellern der ausgebombten und unbewohnbaren Grundstücke“, berichtete ein Mitarbeiter der NHH 1952 im Rückblick, „hatten sich (...) Hunderte von Familien, oftmals zu mehreren Parteien in einem Keller, notdürftig eingerichtet und hausten dort unter meist unwürdigen sozialen Bedingungen. Fast jeder auch nur einigermaßen brauchbare Keller wurde in dieser Weise genutzt; wir zählten im Jahre 1950 [!] allein in 12 Wohnblocks über 250 Parteien als Kellerbewohner, die nur zum Teil aus den Kreisen unserer langjährigen Mieter stammten.“20 Diese Umstände machten geregelte Mieteinnahmen so gut wie unmöglich. Sie standen zudem einem Wiederaufbau entgegen, weil viele Kellerbewohner sich vehement gegen den Abriß der Ruinen zur Wehr setzten, solange ihnen kein alternativer Wohnraum zur Verfügung gestellt wurde.21 Den Wiederaufbau zerstörter Siedlungen konnte die NHH aber auch aus anderen Gründen nicht systematisch betreiben. Vor allem der Baustoffmangel erwies sich als ein Problem, das nur in den seltensten Fällen zu überwinden war. Bauen konnte die NHH nur dann, wenn die Mieter selbst (teilweise auch deren Arbeitgeber) die Beschaffung von Baustoffen organisierten.22 Dann blieb aber noch das Problem, daß auch Bauarbeiter zunächst Mangelware waren: Viele potentielle Arbeitskräfte befanden sich noch in der Kriegsgefangenschaft.23 17 18 19 20 21 22

Vgl. 50 Jahre NH, S. A 10. Vgl. GB NHH 1948/51, S. 8. Ebd., S. 31. Kellert 1952, S. 30. Vgl. ebd. Vgl. Kellert 1952, S. 30 u. S. 41. Vgl. dazu auch Paul Nevermann, Der hamburgische Wohnungsbau in der Krise, in: Gemeinnützige Siedlungs-Aktiengesellschaft Hamburg (Hg.), Wohnungswirtschaft in der Krise. Gedenkschrift zum 25jährigen Bestehen der Gemeinnützigen Siedlungs-Aktiengesellschaft Hamburg (SAGA), Hamburg 1948, S. 5–7. 23 Vgl. 50 Jahre NH, S. A 10 und Schulz 1994, S. 136 f.

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3. „Wohnungen, Wohnungen und nochmals Wohnungen“

Wenn die Mitarbeiter der NHH diese Schwierigkeiten ausnahmsweise in den Griff bekamen, standen zunächst die Enttrümmerung der Grundstücke und die notdürftige Instandsetzung teilzerstörter Wohngebäude im Mittelpunkt ihrer Arbeit. Bis zur Währungsreform konnte die Gesellschaft auf diese Weise aber nur wenig mehr als 200 der beschädigten Wohnungen wiederherstellen. Neu gebaut wurden von ihr in diesem Zeitraum nur etwa 1.500 sogenannte „Nissenhütten“, zumeist aus Wellblech zusammengestückelte Behelfsheime, für die die Stadt Hamburg das Material und die Finanzmittel zur Verfügung stellte.24 Auch die Währungsreform brachte für die NHH keine unmittelbare Verbesserung ihrer deprimierenden Lage. Zwar beendete die Umstellung „den Zustand der Unsicherheit, der wie auf allen Wirtschaftsgebieten auch auf dem Gebiet des Wohnungswesens vorhanden war“.25 Im Unterschied zu anderen Ländern etablierte sich in der Hansestadt Hamburg zudem sehr schnell nach der Währungsreform eine öffentliche Wohnungsbauförderung, die zumindest ansatzweise – wenn auch in den ersten beiden Jahren nur mit bescheidenem Erfolg – das Problem der Kapitalbeschaffung in den Griff zu bekommen versuchte, das nun die Baustoffbeschaffung als den kritischen Engpaß für den Wohnungsbau ablöste.26 Dennoch hielt die Währungsreform die NHH zunächst eher noch davon ab, Wohnungen zu bauen, anstatt sie dazu anzuregen. Sie verursachte nämlich in Kombination mit einigen flankierenden Maßnahmen, die – wie beispielsweise das Soforthilfegesetz – eigentlich der Wohnungsbauförderung dienen sollten, einen Verwaltungsaufwand, der die ohnehin überforderte Organisation der NHH noch zusätzlich auf die Probe stellte. Vor allem das „Gesetz zur Sicherung von Forderungen für den Lastenausgleich“ (Hypothekensicherungsgesetz) hielt das Unternehmen monatelang in Atem.27 Wieder ging es hierbei um die Hypotheken, die noch auf den zerstörten Grundstücken lasteten. Da die Hypothekenschulden bei der Währungsreform im 24 Mit der Errichtung solcher Behelfsheime hatte das Unternehmen bereits 1944 begonnen. Bei diesen vor Kriegsende erstellten Bauten handelte es sich um sogenannte „Ley-Buden“ – Plattenhaussiedlungen, deren Einzelteile in Neuengamme von KZ-Häftlingen vorgefertigt wurden. Pletts rückschauende Bemerkung, daß diese Schnellbauten „keineswegs dem gewerkschaftlichen Grundsatz [entsprächen], Vorbilder der Wohnkultur zu schaffen“ (Plett 1952(b), S. 26), kann man angesichts dieser Tatsache wohl bestenfalls als Euphemismus werten. Zu den „LeyBuden“ vgl. Ralf Lange, Hamburg – Wiederaufbau und Neuplanung 1943–1963, Königstein/ Ts. 1994, S. 116; Harlander/Fehl 1986, S. 77 und Niehuss 2001, S. 46. Dort (S. 52 ff.) auch zu den Nissenhütten. 25 GB NHH 1948/51, S. 3. 26 Vgl. Wolfgang Reichling, Die im öffentlich geförderten sozialen Wohnungsbau errichteten Wohnungen und die soziale Schichtung der darin lebenden Haushalte, dargestellt am Beispiel Hamburgs für die Jahre 1949 bis 1956, Diss. rer. pol. Hamburg 1960, S. 7 ff.; Hans-Jürgen Nörnberg/Dirk Schubert, Massenwohnungsbau in Hamburg. Materialien zur Entstehung u. Veränderung Hamburger Arbeiterwohnungen u. -siedlungen 1800–1967 (Analysen zum Planen und Bauen Bd. 3), Berlin (West) 1975, S. 262 ff. sowie Stapelfeldt 1993, S. 134 f. 27 Vgl. GB NHH 1948/51, S. 3. Zum Hypothekensicherungsgesetz vgl. Lutz Wiegand, Der Lastenausgleich in der Bundesrepublik Deutschland 1949 bis 1985 (Europäische Hochschulschriften Reihe 5, Bd. 1271), Frankfurt a. M. u. a. 1992, S. 57 ff. Allgemein zu den aus Währungsreform und Lastenausgleich für die Wohnungsunternehmen resultierenden Probleme vgl. Julius Brecht, Wohnungswirtschaft und Währungsreform, Baurundschau 38.1948, S. 321– 326; ders., Währungsreform und Lastenausgleich in der Wohnungswirtschaft, Berlin/Buxtehude 1949 sowie Hafner 1993, S. 41 f.

3.1 Die Neue Heimat Hamburg und die Entstehung des Großkonzerns

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Verhältnis von 10:1, die Mieten aber 1:1 umgestellt worden waren, standen den Hausbesitzern bei einer um 90% reduzierten Schuldenlast theoretisch noch immer die gleichen Mieteinnahmen zu wie vor der Umstellung. Als Ausgleichsmaßnahme beschloß der Frankfurter Wirtschaftsrat daher Anfang September 1948 die Einführung einer von den Hausbesitzern zu leistenden Abgabe in Höhe der nicht umgestellten neun Zehntel der Reichsmarkhypotheken, die zur Finanzierung des Wohnungsbaues an die Länder fließen sollte.28 Allerdings wurden beschädigte und zerstörte Grundstücke von dieser später in die „Lastenausgleichsabgabe“ umgewandelten Zahlungsverpflichtung ausgenommen. Das war auch nötig, denn ohne diese Ausnahme hätte die Abgabe den sicheren Ruin für fast alle Wohnungsbaugesellschaften in Deutschland bedeutet. Bei der NHH beliefen sich die sogenannten „Umstellungsgrundschulden“ rechnerisch auf eine Summe von 32 Mio. DM, während die gesamten Aktiva der Gesellschaft nur knapp 11 Mio. DM betrugen.29 Von diesen Verpflichtungen freigestellt zu werden, war für das wirtschaftliche Überleben der NHH also absolut unerläßlich. Genau hierfür benötigte die Gesellschaft aber erhebliche personelle Ressourcen, weil die entsprechenden Anträge mit einem enormen Verwaltungsaufwand verbunden waren. Zudem erforderten sie, wie übrigens auch die Umstellung der Buchführung auf die D-Mark, die sich bis Mitte 1951 (!) hinzog, einige Sachkenntnis, um die es bei der Gesellschaft zu diesem Zeitpunkt schlecht bestellt war.30 Die Neubautätigkeit der NHH kam daher trotz der seit der Währungsreform etwas günstigeren Rahmenbedingungen nicht in die Gänge: In den eineinhalb Jahren zwischen der Währungsreform und dem Jahresende 1949 errichtete sie nur 146 Wohnungen, und dabei handelte es sich nicht um Neubauten, sondern ausschließlich um notdürftig instandgesetzte Ruinen.31 Die mit der Währungsreform einhergehenden, unternehmensinternen Schwierigkeiten zeigten deutlich, daß für dieses enttäuschende Ergebnis nicht allein die Bedingungen des Wohnungsmarktes, sondern auch die organisatorischen Defizite der Gesellschaft verantwortlich waren. Zumindest verhinderten sie, daß die NHH überhaupt bis an die Grenzen vorstieß, die ihr der Wohnungsmarkt setzte. Das lag zu einem erheblichen Teil an den noch immer nicht bewältigen Folgelasten des Krieges. Nicht im Detail belegen, zumindest aber vermuten läßt sich noch ein weiterer Faktor, der sich keineswegs durch bloßes Abwarten erledigen ließ: daß sich hinter diesen Defiziten auch ein Führungsproblem verbarg. Denn der Treuhänder 28 Vgl. Schulz 1994, S. 149. 29 Vgl. GB NHH 1948/51, S. 30 f. Generell zu den Umstellungsgrundschulden und ihrer Bedeutung für die Wohnungswirtschaft vgl. Brecht 1949, S. 493 ff. Zu den Bedingungen der Freistellung der Unternehmen von der Lastenausgleichsabgabe vgl. Otto Stadler, Handbuch der Wohnungsbauförderung und des sozialen Wohnungsbaues, München/Berlin 1955, S. 312 ff. 30 Die personelle Belastung, die für die Wohnungsunternehmen mit dem Hypothekensicherungsgesetz einherging, ist auch aus der Tatsache ersichtlich, daß der VNW 1949 seine Prüfungstätigkeit stark reduzieren mußte, um die Unternehmen bei der Bearbeitung der Anträge für den Erlaß der Umstellungsgrundschulden zu unterstützen, vgl. Brecht/Klabunde 1950, S. 207. Zur Beurteilung der Qualifikation der Angestellten der NHH vgl. Verband Norddeutscher Wohnungsunternehmen, Bericht über die Prüfung der „Neue Heimat“ Gemeinnützige Wohnungsund Siedlungsgesellschaft m.b.H. Hamburg, Jahresabschlüsse 1952, 1953, 1954, 1955, 4.3.1958, IGM ZwA 2/17 442, v. a. Ziff. a4. 31 Vgl. GB NHH 1948/51, S. 3.

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3. „Wohnungen, Wohnungen und nochmals Wohnungen“

Wilhelm Radlof hatte, wie bereits erwähnt, vor 1945 keinerlei Erfahrungen im Wohnungswesen gesammelt, und aus genau diesem Grund sollte der Treuhänder der NH Düsseldorf sein Unternehmen unter ähnlichen Rahmenbedingungen wenig später beinahe in den Konkurs treiben.32 So weit ließ es die Finanzbehörde in Hamburg aber nicht kommen. Als die NHH trotz des seit der Währungsreform spürbaren Aufschwungs im Hamburger Wohnungsbau keinen Fuß auf den Boden bekam, ersetzte sie Radlof im August 1949 durch Paul Bebert, den örtlichen Vorsitzenden der IG Bau, Steine, Erden. Damit einher ging eine Gewichtsverschiebung zugunsten der Gewerkschaften: Der ebenfalls neu formierte Treuhänderbeirat setzte sich nunmehr fast ausschließlich aus Vertretern der Hamburger Gewerkschaften zusammen, während die Hamburger SPD oder die Hansestadt Hamburg bis auf einen Vertreter der Finanzbehörde nur noch indirekt vertreten waren.33 Hinzu kam – das war eine Neuerung – auch ein Vertreter des in Gründung befindlichen DGB, also eines überregionalen gewerkschaftlichen Zusammenschlusses. Bezeichnenderweise entsandte dieser aber keinen Wohnungspolitiker in den Treuhänderbeirat, sondern den Geschäftsführer der VTG Düsseldorf, Wolfram Ebers. Die Beteiligung des DGB am Treuhänderbeirat stand damit ganz im Zeichen der angestrebten Rückgabe und anschließenden Zentralisierung des gewerkschaftlichen Vermögens; eine zentrale Steuerung des Wohnungsbaus war nicht ihr Anliegen. Bedeutsamer war eine zweite Veränderung. Die Finanzbehörde entschied auch, die Form der Treuhänderschaft abzuändern. Während Radlof noch die Doppelfunktion eines Treuhänders und Geschäftsführers innehatte, wurde Bebert nun zum „aufsichtführenden Treuhänder“, der einen gesonderten Geschäftsführer berufen sollte, bestellt.34 Die treibende Kraft hinter dieser Lösung war der Vorsitzende der Hamburger SPD-Bürgerschaftsfraktion, Erich Klabunde, der als wohnungspolitischer Sprecher der SPD im Zonenbeirat und Vorsitzender des GGW über bundesweite wohnungspolitische Kontakte verfügte.35 Er hatte seit der Währungsreform verstärkt den Eindruck gewonnen, daß aus der NHH angesichts ihres Bestandes an Trümmergrundstücken, der in Gang gekommenen Hamburger Wohnungspolitik und der engen Verbindungen der Gesellschaft zu Stadt, SPD und Gewerkschaften unter einer veränderten Geschäftsführung mehr zu machen sei, als Radlof zu Wege gebracht hatte. Klabunde hatte daher bundesweit nach einem geeigneten Geschäftsführer Ausschau gehalten und war dabei auf einen Mann gestoßen, mit dem er schon im wohnungspolitischen Ausschuß der Gewerkschaften zusammengearbeitet hatte. Dieser Mann wurde auf seine Initiative am 1. Januar 1950 von Bebert zum Geschäftsführer der NHH ernannt. Es war Heinrich Plett.36 32 Zur NH Düsseldorf vgl. Kap. 3.1.3.5 dieser Arbeit. 33 Von den Beiräten, die örtlichen Gewerkschaften entsandt hatten, gehörten einige auch der SPD-Bürgerschaftsfraktion an. Sie waren aber, im Gegensatz zu vorher, nicht in dieser Eigenschaft in den Beirat entsandt worden, vgl. GB NHH 1948/51, S. 7. 34 Vgl. 50 Jahre NH, S. A 23. 35 Zu Klabunde vgl. Schulz 1994, S. 204 sowie Erich Lüth, Erich Klabunde. Journalist und Politiker der ersten Stunde, Hamburg 1971. 36 Zur Rolle Klabundes bei der Berufung des neuen Geschäftsführers für die NHH vgl. Hamburger Abendblatt, 22.2.1952. Zur Zusammenarbeit von Plett und Klabunde im wohnungspoliti-

3.1 Die Neue Heimat Hamburg und die Entstehung des Großkonzerns

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3.1.1.2 Die Reorganisation der NHH 1950–1953 Klabunde hatte Plett ausgewählt, weil er wußte, daß dessen Motivation von Beginn an in eine völlig andere Richtung ging als die des vormaligen Treuhänders Wilhelm Radlof. In Übereinstimmung mit den Prüfungsverbänden hatte Radlof einen Kurs eingeschlagen, den auch die übrigen schwächelnden gewerkschaftseigenen Wohnungsunternehmen verfolgten. Seine Zielsetzung war es, angesichts der nur geringen Bautätigkeit den Apparat möglichst klein zu halten und so die Kosten zu reduzieren. Für Plett kam diese Vorgehensweise unter den besonderen Umständen der Jahre um 1950 herum nicht in Frage. Im Gegensatz zu Radlof stand für ihn nicht das Unternehmen, sondern das Produkt des Unternehmens im Mittelpunkt. Denn Plett war, das hatte er schon zu seiner Zeit als wohnungspolitischer Referent beim Gewerkschaftsrat und als Treuhänder der Gewobag Kassel zu erkennen gegeben, geradezu besessen von der Idee, unter Einsatz aller zur Verfügung stehenden Mittel und notfalls auch unter hohem Risiko in kürzester Zeit „Wohnungen, Wohnungen und nochmals Wohnungen“37 zu bauen. Zweifellos war diese Besessenheit in erster Linie auf eine starke sozialpolitische Motivation zurückzuführen. Einer seiner Mitarbeiter idealisierte Plett wohl nur wenig, als er schrieb, daß dieser „nicht der Typ des eiskalten Managers [gewesen sei]. In ihm steckte eine gute Portion Idealismus (...). Er wollte den vom Krieg geschlagenen, notleidenden Menschen helfen, vor allem zu Wohnungen verhelfen.“38 Plett selbst brachte diesen Idealismus in den frühen fünfziger Jahren wiederholt zum Ausdruck, etwa wenn er öffentlich versicherte, die NHH werde nicht davon ablassen, „zu bauen, zu bauen, zu bauen, so lange, bis auch der letzte Wohnungssuchende ein eigenes Heim bekommen hat“.39 Seine immer wieder zutage tretende Begeisterung für hohe Neubauziffern und große Siedlungsprojekte deutete in die gleiche Richtung. Pletts hauptsächliche Motivation war also die Wohnungsnot, war das „Selbstverständnis, eine wichtige soziale Aufgabe wahrzunehmen (...) vor dem Hintergrund der gewaltigen Zerstörungen an Wohnraum“.40 Es tut dieser Einschätzung keinen Abbruch, wenn man feststellt, daß Pletts „Bauwut“ in späteren Jahren als in erster Linie machtpolitisch motivierter Expansionismus interpretiert worden ist; und es tut dieser Einschätzung auch keinen Abbruch, daß es für Pletts Auffassung zu dem Zeitpunkt, zu dem er die Führung der NHH übernahm, nicht nur hehre sozialpolitische, sondern auch handfeste betriebswirtschaftliche Gründe gab. Denn Radlofs Strategie war unter den Rahmenbedingungen der späten vierziger und frühen fünfziger Jahre zum Scheitern verurteilt.

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schen Ausschuß vgl. Niederschrift über die Sitzung des Gewerkschaftsrates der vereinten Zonen, Abt. Wohnungspolitik, 18./19.10.1948, DGBA – Gewerkschaftsrat der vereinten Zonen, 5/DGAB 10, passim. NHH 1956, Titel. Vgl. auch die entsprechenden Äußerungen zu Plett im Interview mit Rolf Dehnkamp, 18.8.2003. Albert Vietor, Ein Motor des Wohnungsbaues. Rückblick auf Leben und Werk Heinrich Pletts, NHM 1963,2, S. 1–6, hier S. 1. Heinrich Plett, Zusätzlicher Wohnungsbau durch Einsatz von Kapitalmarktmitteln, Monatliche Mitteilungen 3.1953,9/10, S. 6–8, hier S. 8 (Hervorhebung im Original). Kaltenborn 1986, S. 34.

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3. „Wohnungen, Wohnungen und nochmals Wohnungen“

Sie mündete in einer abwärts gerichteten Spirale. Die Zinsbelastungen auf zerstörte Gebäude, die keinerlei Mieteinnahmen einbrachten, führten dazu, daß die Gesellschaft ihr Eigenkapital für die Abdeckung dieser Verluste einsetzen mußte. Der daraus resultierende Mangel an Eigenkapital bremste die Neubautätigkeit; und die gebremste Neubautätigkeit hatte zum Ergebnis, daß die Verlustursachen aus den aufgelaufenen 1/10-Resthypotheken bis auf weiteres fortbestanden.41 Plett erkannte, daß das Unternehmen aus diesem Teufelskreis nur ausbrechen konnte, wenn es gelang, „so schnell wie möglich eine regere Bautätigkeit zu entfalten, um Wohnungen zu schaffen und die Verlustursachen aus den aufgelaufenen Zinsen zu beseitigen.“42 Dieses Ziel bildete die oberste Leitlinie der Unternehmenspolitik der NHH in den ersten Jahren nach 1950. Seiner Verwirklichung standen allerdings zwei Hindernisse entgegen: zum einen die organisatorischen Schwächen der Gesellschaft; und zum anderen der Mangel an Finanzierungsmitteln für den Wohnungsbau. Die Tatsache, daß es Plett und seinen Mitarbeitern gelang, auf beiden Gebieten Möglichkeiten zur Überwindung dieser Hindernisse zu finden, war für den Aufstieg der NHH von entscheidender Bedeutung. Das Hauptaugenmerk des neuen Geschäftsführers galt zunächst der Organisationsfrage. Unmittelbar nach seinem Amtsantritt begann Plett damit, eine „systematische Neuorganisation des Betriebes“43 in die Wege zu leiten. Zu diesem Zeitpunkt wußte er bereits, daß er auch dem Kapitalmangel, also dem zweiten großen Hindernis, das einer umfangreichen Neubautätigkeit entgegenstand, voraussichtlich erfolgreich würde begegnen können. Die Frage, warum das so war, wird im nächsten Abschnitt erörtert. Durch die Tatsache, daß es so war, gewann die Reorganisation der NHH erheblich an Perspektiven. Denn sie ermöglichte es Plett, die Organisationsstruktur der Gesellschaft von vornherein auf eine Größenordnung zuzuschneiden, die gegenüber kleineren Unternehmen erhebliche Wettbewerbsvorteile einbrachte. Als konkretes Ziel gab er deshalb die kurzfristige „Schaffung einer Büroorganisation, die in der Lage ist, eine Bauleistung von etwa 2.000 Wohneinheiten laufend in jedem Jahr zu bewerkstelligen“,44 aus. Längerfristig trat daneben seine Forderung, angesichts der gesteigerten Bautätigkeit auch „die Verwaltungstätigkeit von den (...) vorhandenen 2.500 eigenen Wohnungen allmählich auf 15.000 bis 20.000 Wohnungen zu erweitern.“45 Verglichen mit den nur knapp über hundert Wohnungen, die die Gesellschaft noch 1949 errichtet hatte, war das ein äußerst ambitioniertes Ziel. Gerade im Hinblick auf die Bautätigkeit schien Pletts Optimismus aber kaum Grenzen zu kennen: Eine Jahresproduktion von 2.000 Wohnungen war für ihn nämlich „nur das Mindestziel. Die Organisation wurde von vornherein so gestaltet, daß ohne nennenswerte zusätzliche Kosten eine wesentlich höhere Zahl – etwa jährlich 4.000 Wohnungen – gebaut werden können. Sie erhielt nicht die Aufgabe, möglichst ge-

41 42 43 44 45

Vgl. 50 Jahre Gewog, S. 30. Ebd. GB NHH 1948/51, S. 3. Ebd., S. 7. Vgl. auch 50 Jahre NH, S. A 11. Albert Vietor, Organisation im Wohnungsbau, in: NHH 1952, S. 48–54, hier S. 48. Vgl. auch 50 Jahre NH, S. A 11.

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ringe fixe Kosten zu haben, sondern eine hohe Wohnungsneubaukapazität bei noch vertretbaren Kosten zu schaffen.“46 Formal orientierte sich Plett bei der Reorganisation der NHH am Aufbau großer Kapitalgesellschaften der Wohnungswirtschaft. Die GmbH-rechtlich vorgesehenen drei Organe – die Gesellschafterversammlung, der Aufsichtsrat und die Geschäftsführung des Unternehmens – blieben unangetastet. Völlig umgestaltet wurde dagegen die innerbetriebliche Organisationsstruktur der NHH. Innerhalb der folgenden Monate installierte Plett eine funktionale Aufgabenteilung, die auf zwei unmittelbar aufeinander Bezug nehmenden Elementen beruhte: einer massiven personellen Expansion und einer strikten Abgrenzung der Zuständigkeiten einzelner Abteilungen, die mit einer tayloristisch anmutenden Unterteilung der Arbeitsabläufe und mit einer klaren hierarchischen Gliederung verbunden war. „Im Idealfalle“, schrieb die NHH in ihrer 1952 erschienenen Selbstdarstellung, „sollen die Arbeitsvorgänge im Sinne eines Fließbandsystems aufgegliedert sein und ineinandergreifen“.47 Die Einteilung der Tätigkeiten in etwa fünfzig hochspezialisierte Sachgebiete, für die jeweils mindestens ein Sachbearbeiter sowie ein oder mehrere zusätzliche Mitarbeiter vorgesehen waren, folgte denn auch dem Prinzip, „die Sachgebiete möglichst weit zu verselbständigen und dadurch die Verantwortlichkeit für die den Sachgebieten vorstehenden Führungskräfte auf ein kleineres Gebiet zu begrenzen.“48 Zunächst bildete Plett acht Abteilungen (zuzüglich des Sekretariats des Geschäftsführers), die wiederum zu zwei Gruppen – kaufmännisch und technisch – zusammengefaßt wurden. Dabei stellte die technische Seite das geringere Problem der Neuorganisation dar. Sie wurde zwar personell erheblich aufgestockt, blieb aber hinsichtlich der Ablauforganisation weitgehend unangetastet – eine Kontinuität, die sich auch in der Person des technischen Geschäftsführers widerspiegelte. Denn diese Position übernahm mit Walter Beyn der einzige leitende Angestellte, der bereits vor 1945 für die NHH gearbeitet hatte. Nach einer Ausbildung zum Bauingenieur an der Technischen Staatslehranstalt in Hamburg war er 1939 als technischer Angestellter zu dem Unternehmen gestoßen.49 Neben Plett spielte Beyn beim Neuaufbau des Unternehmens aber eine eher untergeordnete Rolle. Das galt auch für die technischen Abteilungen insgesamt. Gegenüber den kaufmännischen Abteilungen hatten sich die an sie gerichteten Anforderungen vergleichsweise weniger gewandelt, auch wenn rationalisierte Bautechniken wegen der Versuche zur Kostensenkung und wegen der Möglichkeiten, die sich durch den Bau großer zusammenhängender Siedlungen ergaben, im Verlauf der fünfziger Jahre an Bedeutung gewannen.50 Das Schwergewicht der Neuorganisation lag aber eindeutig bei den kaufmännischen Abteilungen. Hier hatte sich die mangelnde Professionalität der alten Geschäftsführung am deutlichsten bemerkbar gemacht. Und hier bemühte sich Plett 46 47 48 49

Vietor 1952, S. 48. Ebd., S. 51. Ebd., S. 50. Zu Beyn vgl. die biographischen Angaben in: Walter Beyn 60 Jahre – Große Verdienste um den Wohnungsbau, NHM 1972,7, S. 47. 50 Vgl. Walter Beyn, Das technische Büro im Wohnungsunternehmen, in: NHH 1952, S. 76–83.

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systematisch darum, eine Reihe von hervorragenden Fachleuten anzuwerben. Tatsächlich gelang ihm dies auch innerhalb kürzester Zeit, wobei ihm vor allem seine aus der Zwischenkriegszeit sowie aus seiner Tätigkeit in Kassel und beim Gewerkschaftsrat herrührenden Kontakte behilflich waren. Seine wichtigste Personalentscheidung betraf die kaufmännische Leitung der Gesellschaft und damit die Aufsicht über die Abteilungen Innere Verwaltung, Buchhaltung, Finanzierung und Grundstücksverkehr. Dies war angesichts der enormen Bedeutung, die der Finanzierungsfrage zukam, eine Schlüsselposition. Plett griff für sie auf einen Mann zurück, mit dem er schon in Kassel zusammengearbeitet hatte. Er übertrug die kaufmännische Leitung der NHH einem erst 28jährigen gelernten Lebensmittelkaufmann – dem Mann, der über dreißig Jahre später dem Skandal um die Unternehmensgruppe NEUE HEIMAT sein Gesicht geben sollte: Albert Vietor. Vietor war 1922 in Kassel geboren worden.51 Er stammte aus bescheidenen Verhältnissen. Seine Eltern besaßen einen kleinen Lebensmittelladen, und seit dem Tod des Vaters 1934 mußte der Sohn dort mitarbeiten, um das Auskommen der Familie zu sichern. 1936 begann er seine Ausbildung, nach deren Abschluß er zunächst zum Reichsarbeitsdienst, später dann zum Wehrdienst eingezogen wurde. Nach einer abenteuerlichen Flucht aus russischer Kriegsgefangenschaft, bei der er Hunderte von Kilometern auf dem Dach eines Eisenbahnwaggons zurücklegte, kehrte er 1945 nach Kassel zurück.52 Am 1.12. wurde er Sachbearbeiter bei der NH Kassel und traf in dieser Eigenschaft wenig später, im Februar 1946, erstmals mit Heinrich Plett zusammen.53 Gemeinsam knüpften Plett und Vietor in Kassel ein enges Netz an Kontakten zu lokalen Entscheidungsträgern und Interessengruppen, vor allem aber zu überregionalen Geldgebern. Als Plett 1950 nach Hamburg aufbrach, waren er und Vietor bereits ein eingespieltes Team. Für den kaufmännischen Bereich der NHH entwickelten sie in den folgenden Monaten eine Organisationsstruktur, die systematisch auf die Finanzierungserfordernisse im Wohnungsbau zugeschnitten war. Zum einen richteten sie erstmals eine eigene Abteilung „Finanzierung und Grundstücksverkehr“ ein, deren Leiter mit Alfred Wappler ebenfalls ein ausgewiesener Experte für die Wohnungsbaufinanzierung wurde.54 Vietor begründete die Notwendigkeit einer solchen Abteilung damit, daß „im Hinblick auf den empfindlichen Kapitalmarkt (...) die Kreditwürdigkeit eines Wohnungsunternehmens geradezu lebenswichtig [sei]. Die Geschäftsführung eines leistungsfähigen Unternehmens kann heute unmöglich die Finanzierung und den Grundstücksverkehr ‚nebenbei mitbearbeiten‘, sondern sollte diese Arbeiten von Spezialisten durchführen lassen“.55 Noch nicht alle Wohnungsunternehmen, so führte er weiter aus, hätten 51 Zu Vietors Biographie vgl. Munzinger Internationales Biographisches Archiv 11/1985, 4.1.1985; Albert Vietor 50 Jahre alt, NHM 1972,5, S. 37–38 sowie Akademie Kontakte der Kontinente (Hg.), Albert Vietor, Bonn 1974. 52 Vgl. Welt am Sonntag, 31.5.1970. 53 Vgl. Albert Vietor, Ein Motor des Wohnungsbaues. Rückblick auf Leben und Werk Heinrich Pletts, NHM 1963,2, S. 1–6, hier S. 1. 54 Zu Wapplers Tätigkeit vgl. Alfred Wappler, Geld, Geld und nochmals Geld!, in: NHH 1952, S. 84–92. 55 Vietor 1952, S. 52.

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dies bereits erkannt, und in der Tat ließ eine solche Spezialisierung bei den meisten Kapitalgesellschaften – von den Baugenossenschaften ganz zu schweigen – noch bis weit in die fünfziger Jahre hinein auf sich warten. Bemerkenswert war bei der NHH aber nicht allein der Aufbau einer eigenen Finanzierungsabteilung. Hinzu kam noch, daß die zentrale strategische Bedeutung, die Plett und Vietor der Finanzierungsfrage beimaßen, diese zu einem der Hauptaufgabenfelder auch für die Geschäftsführung werden ließ. Vietor argumentierte, das wesentliche Anliegen der Geschäftsführung müsse es in der gegebenen Situation sein, „neue Finanzierungsquellen zu erschließen, neue Baumaßnahmen vorzubereiten und wesentliche Schwierigkeiten, die die Schlagkraft des Betriebes behindern, zu beseitigen“.56 Genau diese Auffassung spiegelte sich nicht nur im Aufbau der Vietor unterstellten Verwaltungsabteilungen, sondern auch im Aufbau der strategischen Abteilungen, also des Sekretariats der Geschäftsführung unter Heinrich Plett wider. Dieser richtete dort neben den Sachgebieten für die klassischen Domänen der Geschäftsführung wie beispielsweise die Unternehmenskommunikation auch ein eigenes Sachgebiet für „besondere Finanzierungs-, Grundstücksund Bauangelegenheiten“57 ein, das er zunächst persönlich leitete. Es trug maßgeblich zur Entstehung und Umsetzung der Kapitalmarktpolitik der NHH in den frühen fünfziger Jahren bei. 1952 wurde Heinz Roosch von Plett an seine Spitze geholt – der Mann, der seit 1941 Gauwohnungskommissar in Danzig gewesen war und Plett überhaupt erst zum gemeinnützigen Wohnungsbau gebracht hatte. Sein Expertenwissen machte ihn so begehrt, daß Plett für seine Einstellung sogar eine direkte Konfrontation mit dem DGB nicht scheute.58 Unter Rooschs Leitung entwickelte sich die Abteilung in den folgenden Jahren zum wichtigsten wohnungswirtschaftlichen think tank im Umfeld der Gewerkschaften, dessen Strahlkraft weit über die NHH hinaus bis in die gewerkschaftliche Wohnungspolitik und die Wohnungspolitik des Bundes reichte.59 Unterstützt wurde die Entwicklung und Umsetzung der Finanzierungsstrategien von einem weiteren Experten, den Plett im Februar 1950 in sein Sekretariat holte. Er machte Herbert Klüber, einen promovierten Juristen mit über 20 Jahren Erfahrung als Syndikus verschiedener Wohnungsunternehmen, zum Leiter des ebenfalls neu eingerichteten Sachgebietes für Rechts- und Grundbuchangelegenheiten.60 Vietors Einschätzung, „im Hinblick auf die besonderen Schwierigkeiten im Grundbuchwesen, bedingt durch die Währungsreform, bei Finanzierungsgeschäften und wegen der Fülle neuer Gesetze und Verordnungen, (...) [habe] die Tätigkeit der Rechtsabteilung eine ganz besondere Bedeutung für die Schlagkraft eines Unternehmens gewonnen“,61 sollte sich in den folgenden Jahren voll bestätigen. Trotz seiner formal nur untergeordneten Position in der Unternehmenshierar56 Ebd., S. 49. 57 Heinrich Plett, Die gewerkschaftseigenen Unternehmen Hamburgs seit 1945, in: NHH 1952(c), S. 41–47, hier S. 46. 58 Vgl. Neue Heimat: Die Bauland-Fresser, SPIEGEL 13.1959,10, S. 26–42, hier S. 29. 59 Roosch avancierte sogar zum Berater des wohnungswirtschaftlichen Ausschusses beim SPDParteivorstand, vgl. ebd. 60 Vgl. Dr. Herbert Klüber +, NHM 1963,10, S. 41. 61 Vietor 1952, S. 51.

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chie konnte sich Klüber daher ebenso wie Roosch schnell als Mitglied einer Führungsriege etablieren, der außerdem noch Plett, Vietor und Beyn angehörten. Gemeinsam bildeten diese Männer – Frauen gab es in dieser Führungsriege keine – die „Aufbaugeneration“ der NHH, die zunächst das Unternehmen und später den Konzern nachhaltig prägen sollte. Diese „Aufbaugeneration“ zeichnete sich vor allem dadurch aus, daß sie im wesentlichen aus wohnungswirtschaftlichen Experten mit weit überdurchschnittlicher Qualifikation und nicht aus Gewerkschaftern bestand. Zwar standen Plett, Vietor und Beyn den Gewerkschaften durchaus nahe; aber die Gewerkschaftsmitgliedschaft war bei ihnen höchstens ein sekundäres Auswahlkriterium gewesen (ganz deutlich war das etwa im Falle von Harro Iden, der allerdings erst einige Jahre später zum Unternehmen hinzustieß).62 Das war ein deutliches Zeichen dafür, daß für Plett die Aufgabe, die NHH in ein professionelles Wohnungsunternehmen zu verwandeln, eindeutig Vorrang vor gewerkschaftspolitischen Erwägungen besaß. Dieser Vorrang der Professionalisierung des Unternehmens spiegelte sich auch in der Einrichtung von Instrumenten der internen Koordinierung und Steuerung wider, die es zuvor nicht gegeben hatte. Auch diese Aufgaben zog das neugebildete Sekretariat des Geschäftsführers an sich: einmal durch die Einrichtung eines Sachgebietes „Organisation“, dem die genaue Abstimmung der Arbeitsabläufe im Sinne eines „Fließbandsystems“ oblag; zum zweiten durch die Einstellung eines Innenrevisors, der die ordnungsgemäße Kontrolle der Geschäftsabläufe sicherstellen sollte und in dessen Zuständigkeitsbereich auch die Unternehmensstatistik fiel.63 Gerade in diesem Punkt zeigte sich, wie die im Vorgriff auf eine erweiterte Bautätigkeit erfolgte Expansion des organisatorischen Zuschnitts der Gesellschaft zum Vorteil gereichen konnte: Die meisten Wohnungsbaugesellschaften konnten sich eine eigene Innenrevision nicht leisten, weil sie dafür zu klein waren. Die NHH war deshalb bis Mitte der fünfziger Jahre eines der wenigen Wohnungsunternehmen, das über eine solche Einrichtung verfügte. Sie bewährte sich innerhalb kürzester Zeit und trug erheblich zur Straffung der organisatorischen und finanziellen Abläufe bei.64 Drittens wurde auch das Personal- und Sozialwesen als eigenständiger Bereich im Sekretariat des Geschäftsführers etabliert. Diese Entscheidung lag darin begründet, daß die personelle Expansion, die eines der grundlegenden Elemente der Neuorganisation bildete, mit großen Schwierigkeiten verbunden war. Denn der Arbeitsmarkt für qualifiziertes Personal war praktisch leergefegt.65 Für die Masse der Sachgebiete gelang es ihm daher, anders als bei den leitenden Angestellten, nicht, qualifiziertes Personal zu finden. Zwar stieg die Zahl der Mitarbeiter der NHH von Januar 1950 bis Dezember 1953 von 30 auf über 200; aber bei den meisten von ihnen handelte es sich um wenig bis gar nicht ausgebildete Nachwuchskräfte. Bis zu ihrer Einarbeitung vergingen teilweise Jahre. Insbesondere die Buchhaltungsabteilung gab in den folgenden Jahren immer wieder Anlaß zu Beanstandungen durch den Prüfungsverband, weil sie mit der rasanten 62 63 64 65

Zu Iden vgl. Kap. 4.1.2.2 dieser Arbeit. Vgl. Vietor 1952, S. 50 f. Vgl. ebd. Vgl. ebd., S. 50.

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Expansion der Bau- und Betreuungstätigkeit der NHH nicht Schritt halten konnte. „Die Ursachen dieser Mängel“, stellte der VNW fest, „lagen in einer unzureichenden personellen Besetzung (...). Diese Feststellung“, so führte der Verband weiter aus, gelte „weniger der Zahl der Beschäftigten als vielmehr der mangelnden fachlichen Eignung und Anleitung“.66 Auch die Koordination der Abteilungen untereinander ließ, gerade im kaufmännischen Bereich, noch zu wünschen übrig, während die technischen Abteilungen vergleichsweise schneller Boden unter den Füßen gewannen. Eine kurzfristige Lösung für dieses Problem gab es nicht. Die einzige Möglichkeit, die Personallage zu verbessern, lag darin, die Rekrutierung zu systematisieren und langfristig selbst „junge Kräfte heranzubilden und anzulernen“.67 Es war diese Zielsetzung, die zu der Einrichtung einer eigenen Stabsstelle für Personal- und Sozialwesen geführt hatte. Gewerkschaftspolitische Überlegungen spielten dagegen für diese Entscheidung keine Rolle. Ohnehin wäre es irrig anzunehmen, Plett hätte auf den Aufbau einer irgendwie gearteten alternativen Produktionskultur, wie sie etwa bei den Genossenschaften bestand, abgezielt. Schon in der Weimarer Republik hatte es so etwas bei den gewerkschaftseigenen Kapitalgesellschaften nicht gegeben.68 Hinter der Hoffnung, angesichts der Wohnungsnot möglichst schnell möglichst viele Wohnungen bauen zu können, verschwanden solche Überlegungen nach 1945 dann völlig. Auch mit Pletts Vorstellungen über eine effiziente Unternehmensorganisation hätten sie sich kaum vertragen. Die strikte hierarchische Gliederung der Verantwortlichkeiten in der neuen Organisationsstruktur fand nämlich in Pletts Führungsstil eine deutlich sichtbare Parallele. Es ist wohl kaum übertrieben, diesen als „Herr im Hause“-Standpunkt zu bezeichnen. Plett stellte hohe Anforderungen an seine Mitarbeitern und verlangte, daß sie sich „reibungslos dem Geschäftsziel, soziale Wohnungen für Minderbemittelte [sic] zu schaffen, unterordneten und erforderlichenfalls ihre privaten Interessen zugunsten der Geschäftsinteressen freiwillig zurückstellten.“69 Er überwachte diese Erwartungen mit eiserner Hand: So ließ er gelegentlich um acht Uhr morgens die Eingangstüren des Bürogebäudes versperren, um Zuspätkommer zu disziplinieren.70 Der SPIEGEL faßte seinen Führungsstil 1959 mit prägnanten Worten zusammen: „Tonangebend für den inneren Betrieb ist die Devise: ‚Wer nicht spurt, fliegt‘“.71 Obwohl dieser Führungsstil zu einigen Auseinandersetzungen mit den lokalen Gewerkschaften führte, war er doch dem gewerkschaftlichen Effizienzdenken nicht völlig fremd. Jedenfalls zeigte sich der Aufsichtsrat in späteren Jahren regelmäßig sehr erfreut über die Ordnung, die Plett in dem Unternehmen geschaffen

66 Verband Norddeutscher Wohnungsunternehmen, Bericht über die Prüfung der „Neue Heimat“ Gemeinnützige Wohnungs- und Siedlungsgesellschaft m.b.H. Hamburg, Jahresabschlüsse 1952, 1953, 1954, 1955, 4.3.1958, IGM ZwA 2/17 442, Ziff. a4. 67 Vietor 1952, S. 50. 68 Vgl. Saldern 1997, S. 137 f. 69 GB NHH 1948/51, S. 7. 70 Vgl. Interview mit Harro Iden, 19.8.2003. 71 Neue Heimat: Die Bauland-Fresser, SPIEGEL 13.1959,10, S. 26–42, hier S. 30.

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hatte.72 Und schließlich war dieser Führungsstil auch nur eine Seite der Medaille. Denn erstens stand ihm eine weit überdurchschnittliche Gehalts- und betriebliche Sozialpolitik gegenüber. Die NHH zahlte ihren Mitarbeitern seit 1950 freiwillig ein 13. Monatsgehalt und begann bald darauf mit dem Aufbau einer äußerst großzügigen betrieblichen Alterversorgung.73 Das war zwar in erster Linie ein Reflex auf die Schwierigkeiten bei der Personalrekrutierung und nicht so sehr Ausdruck gewerkschaftsspezifischer Zielsetzungen; doch es tat seine Wirkung und half dabei, die Identifikation der Mitarbeiter und auch die Identifikation der Gewerkschaften mit dem Unternehmen zu stärken.74 Und zweitens vermittelte Pletts Führung den Mitarbeitern auch durchaus die Bereitschaft, zu „spuren“. Seine Durchsetzungsfähigkeit und seine auch von seinen Gegnern bewunderte Energie paarten sich bald mit dem Ruf des genialen Finanzgenies und machte ihn damit zu einer charismatischen Führungspersönlichkeit, deren Bedeutung für den Aufbau des Unternehmens kaum zu überschätzen ist. Sein Vorbild sollte noch lange nach seinem Tod die Politik seines Nachfolgers Albert Vietor prägen.75 Das galt um so mehr, als sich bald abzeichnete, daß sich sein Kurs für das Unternehmen auszahlte. Denn insgesamt konnte die Organisation, die Plett und Vietor der NHH verordneten, zweifellos als vorbildlich gelten. Aus einem zwar professionell geführten, vom Zuschnitt her aber für den Spezialisierungsgrad, der gerade im Bereich der Finanzierung nunmehr von Vorteil war, deutlich zu kleinen Wohnungsunternehmen hatten sie eine Organisation geformt, die groß genug war, um bei voller Auslastung hochspezialisierte Abteilungen und scheinbar teure Instrumente der internen Koordinierung vorhalten zu können. Die Restrukturierung der NHH, die Plett in die Wege geleitet hatte, war daher ein voller Erfolg. Die Bedingung für den Erfolg war allerdings, daß die neue Organisation auch tatsächlich voll ausgelastet werden konnte. Das war problemlos daran zu erkennen, daß die personelle Expansion einen erheblichen Kostenfaktor darstellte. Die Bruttoverwaltungskosten des Unternehmens stiegen durch sie von etwa 175.000 DM im Jahre 1949 auf knapp 1,3 Mio. DM im Jahre 1952.76 Diese Kostenexplosion war – angesichts der äußerst knappen Einkünfte aus der Wohnungsvermietung – nur durch eine massive Expansion der Neubautätigkeit zu finanzieren.77 Und für eine solche Expansion der Neubautätigkeit war der organisatorische Umbau der NHH zwar eine wichtige, aber keineswegs die einzige Voraussetzung. Ebenso bedeutsam war die Beseitigung des zentralen Engpasses, der dem Wohnungsbau seit der Währungsreform entgegenstand. Das war der Mangel an zur Verfügung stehenden Finanzierungsmitteln. Es war die Art und Weise, wie die NHH diesem Problem begegnete, in der sie sich am deutlichsten von allen anderen Wohnungs72 Vgl. z. B. Protokoll AA NHH 17.1.1957, IGM ZwA 2/17 265, S. 5. 73 Vgl. GB NHH 1948/51, S. 6 f. und die Ruhegeldordnung der NHH in FZH 592–30 I. Dort auch eine Reihe von Vorentwürfen. Zur Debatte über die Ruhegeldordnung vgl. Protokoll Finanzausschuß NHH, 12.8.1954, FZH 592–30 I, passim und Protokoll Finanzausschuß NHH 18.8.1954, FZH 592–30 I, S. 2 ff. 74 Vgl. GB NHH 1948/51, S. 7. 75 Vgl. Kap. 6.1.2.1 dieser Arbeit. 76 Vgl. Auszug aus dem Prüfungsbericht, 15.10.1952, FZH 592–30 I, S. 6. 77 Vgl. Vietor 1952, S. 48.

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unternehmen unterschied.78 Bis weit in die fünfziger Jahre bildeten die Unternehmensfinanzierung und die Kapitalmarktpolitik daher den Schlüssel zu den quantitativen Ergebnissen ihrer Bautätigkeit und zum Aufbau des überregional agierenden Konzerns. Diese beiden Aspekte stehen deshalb im Mittelpunkt der folgenden Betrachtungen. 3.1.2 „Wir bauen unsere Häuser mit anderer Leute Geld, und wenn wir es vom Teufel holen“: Kapitalmarktpolitik und Unternehmensfinanzierung 1950–1958 3.1.2.1 Die NHH und der „graue Pfandbriefmarkt“ Zum besseren Verständnis sind dabei zunächst einige einleitende Bemerkungen zum System der Wohnungsbaufinanzierung in der frühen Bundesrepublik erforderlich. In seinen Grundzügen ähnelte dieses den Finanzierungsmechanismen, die sich seit dem 19. Jahrhundert langsam entwickelt hatten und in der Weimarer Republik zur Perfektion gebracht worden waren.79 Das für den Wohnungsbau wichtigste Kapitalmarktinstrument bildete der Hypothekenpfandbrief, eine Anleihe, die die sogenannten Realkreditinstitute ausgaben, um ihrerseits den Bauherren von Wohnungen Hypothekendarlehen gewähren zu können. Als Sicherheit für diese Darlehen wurde das Grundstück des Bauherren mit dieser Hypothek belastet.80 Allerdings stützte sich die Finanzierung einer Wohnung nie auf nur eine, sondern in der Regel auf zwei Hypotheken. Deshalb war im Grundbuch eine Rangfolge festgelegt worden, in der die Ansprüche aus den Hypothekendarlehen bedient werden sollten, wenn das Grundstück wegen Zahlungsunfähigkeit des Bauherren verpfändet werden mußte. Die erste Hypothek wurde im ersten – also im sichersten – Rang des Grundbuches eingetragen. Schon im Kaiserreich hatte es sich eingebürgert, daß etwa 60% der Gesamtkosten einer Wohnung durch eine solche erste Hypothek finanziert werden sollten. Weitere 15 bis 20% – die sogenannten zweitrangigen Mittel – entfielen auf die zweite Hypothek; die übrigen 20–25% mußte der Bauherr als Eigenkapital einbringen oder als Restfinanzierungsmittel auf anderem Wege beschaffen.81

78 Vgl. Loesch 1979, S. 190. 79 Zur Entstehungsgeschichte dieses Finanzierungssystems vgl. ausführlich Franz Steffan, Bodenrecht und Bodenkredit in Vergangenheit und Gegenwart, in: ders. (Hg.), Handbuch des Realkredits. Geschichte, Funktion, Recht, Praxis und Träger des deutschen Boden- und Schiffskredits, Frankfurt 1963(a), S. 247–439, S. 254 ff. 80 Vgl. Heinrich Jaschinski/Magda Klein, Wohnungsbaufinanzierung, in: Melchior Palyi/Paul Quittner (Hg.), Enzyklopädisches Lexikon für das Geld-, Bank- und Börsenwesen, Frankfurt a. M. 1957, S. 1686–1695, hier S. 1687 ff. sowie Franz Steffan, Begriff und Funktion des Realkredits, in: ders. 1963(b), S. 9–183, hier S. 15 ff. 81 Vgl. Kühne-Büning/Plumpe/Hesse 1999, S. 192 f.; Stefan Jokl, Geschichte und Entwicklung der Banken und Bausparkassen, in: Eichener/Emmerich/Petzina 2000, S. 255–275, hier S. 256 f.; Hartmut Häußermann/Walter Siebel, Soziologie des Wohnens. Eine Einführung in Wandel und Ausdifferenzierung des Wohnens, Weinheim/München 22000, S. 114 ff. sowie ausführlich Steffan 1963(b), S. 29 ff.

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In der Weimarer Republik blieb dieses System weitgehend erhalten – abgesehen davon, daß im öffentlich geförderten Wohnungsbaus der Hauszinssteuerära die erstrangigen Mittel üblicherweise nur noch etwa 30% des aufzubringenden Gesamtbetrages ausmachten und an die Stelle der zweiten Hypothek ein zinsverbilligtes öffentliches Darlehen trat, das zu etwa 50% zur Gesamtfinanzierung beitrug. Das Eigenkapital blieb allerdings weiterhin unverzichtbar: Bis zu 20% der Baukosten mußte der Bauherr aus der eigenen Tasche vorlegen, um überhaupt erst im sozialen Wohnungsbau tätig werden zu können.82 Im Grundsatz hätte dies auch in der Bundesrepublik gelten sollen. Das war allerdings leichter gesagt als getan, denn sowohl die Einzelbauherren als auch die unternehmerische Wohnungswirtschaft waren insgesamt völlig unterkapitalisiert.83 Deshalb sahen die Förderungsbestimmungen des I. Wohnungsbaugesetzes und die Förderungsbestimmungen der Bundesländer vor, zweitrangige öffentliche Darlehen schon dann zur Verfügung zu stellen, wenn die Eigenkapitalquote des Bauvorhabens deutlich unterhalb der in der Zwischenkriegszeit üblichen 15–20% lag. 1950 konnte man unter Umständen schon mit nur 3% Eigenkapital ein Haus bauen, und selbst diese 3% ließen sich zum Teil noch durch andere Mittel ersetzen – sofern man über eine erste Hypothek verfügte. Plett erkannte hierin eine Chance, trotz der schmalen Eigenkapitalbasis der NHH eine umfassende Wohnungsbautätigkeit entfalten zu können. „Mit Eigenkapital zu bauen,“ führte er gegenüber seinen leitenden Angestellten in einer später häufig zitierten Geschichte an, „ist keine Kunst. Das kann jeder Dummkopf. Wir bauen unsere Häuser mit anderer Leute Geld, und wenn wir es vom Teufel holen“.84 „Anderer Leute Geld“ zu beschaffen, galt allerdings – und das war das Hauptproblem, das die Wohnungsbaufinanzierung trotz der niedrigen Eigenkapitalerfordernisse zu einem mühseligen Geschäft machte – seit der Währungsreform als ein Ding der Unmöglichkeit. Denn der Kapitalmarkt befand sich in einem beklagenswerten Zustand. Aufgrund der niedrigen Einkommen und des kriegsbedingten Nachholbedarfs war die Sparfähigkeit der Privathaushalte stark eingeschränkt.85 Zwar stiegen die Spareinlagen seit 1948 insgesamt deutlich an, wovon insbesondere die Bausparkassen profitierten; aber der Absatz festverzinslicher Wertpapiere blieb minimal. Das lag daran, daß „die Neigung, langfristig in Formen zu sparen, bei denen man stärkstens von dem Schicksal des Geldes des Landes getroffen wird, (...) durch die Inflation der zwanziger Jahre und die Währungsreform von 1948 schwere Schläge erhalten“86 hatte. Das galt vor allem für den Pfandbrief, der für die Wohnungsbaufinanzierung eine zentrale Rolle spielte. Sein Ruf als besonders sichere Geldanlage war aufgrund der 10:1-Abwertung, die ihm durch die Geldumstellung widerfahren war, gründlich ruiniert.87 Hinzu kam, daß Pfandbriefe nicht zu freien Kursen an der Börse gehandelt wurden. Statt dessen setzte die Bankenaufsichtsbehörde Ausgabe82 Vgl. ebd., S. 116 f. 83 Vgl. dazu das umfangreiche Material in BAK B 134–10544, das die interne Diskussion im Wohnungsbauministerium über dieses Problem beinhaltet. 84 Neue Heimat: Die Bauland-Fresser, SPIEGEL 13.1959,10, S. 26–42, hier S. 27. 85 Vgl. Kühne-Bühning/Plumpe/Hesse 1999, S. 194. 86 Rudolf Stucken, Deutsche Geld- und Kreditpolitik 1914 bis 1963, Tübingen 31964, S. 236.

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kurse und Zinssätze in Absprache mit den Realkreditinstituten auf dem Verordnungswege fest. Mit dem Argument, der soziale Wohnungsbau könne nur bei einer niedrigen Zinslast gedeihen, fixierte sie den Zinssatz für Hypothekenpfandbriefe bei 5% und den Emissionskurs bei 98% (der Differenzbetrag zwischen dem Nennwert von 100% und dem Emissionskurs, das sogenannte Disagio, galt als einmalige Vergütung für die Aufwendungen des Darlehensgebers).88 Obwohl bereits nach kurzer Zeit der Zentralbanksatz auf 6% stieg und Industrieanleihen, die als ebenso sicher (bzw. unsicher) wie Pfandbriefe galten, mit 6,5% verzinst wurden, blieben die Realkreditinstitute bei dieser Politik. Durch eine Sperrfrist waren sie bis 1952 de facto von ihrer Rückkaufpflicht entbunden und hatten so keinerlei negative Konsequenzen aus den überhöhten Pfandbriefpreisen zu befürchten. Allerdings führte diese ungünstige Ausstattung dazu, daß die Handelsbanken kaum dazu bereit waren, solche Pfandbriefe abzunehmen. Sie gaben statt dessen Industrieanleihen den Vorzug. In der Konsequenz konnten die Realkreditinstitute auch kaum Hypothekendarlehen anbieten, während die Wohnungsnot gleichzeitig zu einer enormen Nachfrage nach solchen Darlehen führte.89 In den ersten Jahren nach der Währungsreform ging die Wohnungsbauförderungspolitik der Länder deshalb teilweise dazu über, öffentliche Mittel nicht nur im zweiten, sondern auch im ersten Rang, also anstelle der nicht aufzutreibenden Hypothekendarlehen einzusetzen. Das führte dazu, daß der Wohnungsbau zum allergrößten Teil direkt aus den Staatskassen finanziert wurde. So betrug der Anteil öffentlicher Mittel an der Finanzierung des öffentlich geförderten Wohnungsbaues 1948 und 1949 in Hamburg, das schon früh eine eigenständige Förderungspolitik betrieb, 80 bzw. 72%, während der Anteil der Kapitalmarktmittel nur bei unter 1 bzw. bei 6% lag.90 Der Nachteil dieser Finanzierungsmethode lag auf der Hand: Angesichts knapper öffentlicher Kassen konnte auf diese Weise nur eine sehr viel geringere Anzahl von Wohnungen mit staatlichen Geldern gefördert werden als im Falle einer auf den zweiten Rang konzentrierten Mittelgewährung. Pletts Ziel, „unerhört viele Wohnungen [zu] bauen“,91 ließ sich also unter diesen Voraussetzungen nur schlecht verwirklichen. Seine Bemühungen zielten daher zunächst darauf ab, nach dem Vorbild der Wohnungsbaufinanzierung in der Wei87 Vgl. Dieter Bellinger, Die Rolle der Hypothekenbanken in der Baufinanzierung seit 1945, in: Eichener/Emmerich/Petzina 2000, S. 276–298, hier S. 280 f. sowie hier und im folgenden Hilke Gesine Möller, Die Rolle der Pfandbriefhypothek im Wohnungsbau der fünfziger Jahre. Ein Gespräch mit Dr. Hans Günther Schönmann am 11. Juni 1996 in München, in: dies. (Hg.), Reihe, Zeile, Block und Punkt. Wohnungen, Häuser, Siedlungen im Raum München. Südhausbau 1936–1996 (Ausstellung in der Pasinger Fabrik vom 14. Mai bis 13. Juli 1997), München 1997, S. 96–98. 88 Vgl. Knut Borchardt, Realkredit- und Pfandbriefmarkt im Wandel von 100 Jahren, in: Rheinische Hypothekenbank (Hg.), 100 Jahre Rheinische Hypothekenbank, Frankfurt a. M. 1971, S. 105–196, hier S. 165 sowie Steffan 1963(b), S. 37. 89 Vgl. Borchardt 1971 und DIE ZEIT, 4.6.1953. 90 Vgl. Reichling 1956, S. 14 und Stapelfeldt 1993, S. 135. 91 So die Aussage Ludwig Geigenbergers, Stenographisches Protokoll 27. Sitzung des 3. Untersuchungsausschusses „Neue Heimat“, 25.9.1986, Parlamentsarchiv des Deutschen Bundestages, Bestand PUA Neue Heimat, Ordner „Prot 27–28–30“, S. 20. Vgl. auch 50 Jahre NH, S. A 12.

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marer Republik für das Unternehmen erststellige Hypotheken auf dem Kapitalmarkt zu beschaffen und – anders als die übrigen Hamburger Wohnungsunternehmen – öffentliche Mittel nur für den zweitstelligen Raum in Anspruch zu nehmen.92 Aber wie sollte das funktionieren, wo doch genau der Mangel an erststelligen Hypotheken das hauptsächliche Problem war? Hier kam Plett seine langjährige Erfahrung im Hypothekengeschäft zugute. Schon 1949 nahm er „Verbindung zu allen Kreditinstituten auf, die er aus seiner früheren Bank- und Bauzeit kannte“93 und trug ihnen ein sogenanntes Kopplungsgeschäft an. Wenn sie sich bereiterklärten, ihm ein Hypothekendarlehen zu gewähren, anerbot er sich, ihnen gleichzeitig Pfandbriefe in der Menge abzunehmen, die zur Gewährung der Darlehenssumme erforderlich war – und zwar zum offiziellen Kurs von 98%. Diese Pfandbriefe gab er an seine Bank weiter, die sie nun frei verkaufen konnte. De facto führte das dazu, daß die Pfandbriefe auf diesem Umweg nicht mehr zum offiziellen Ausgabekurs, sondern zu einem marktgerechten Kurs (der sich allerdings auf einen inoffiziellen, deshalb „grauen“ Pfandbriefmarkt bezog) abgesetzt werden konnten. Das war natürlich ein Verlustgeschäft; deshalb mußte Plett seiner Bank zusichern, ihr „das Disagio [zu] vergüten, das ihr bei der Weiterplacierung dieser Zwangspfandbriefe entstehe“.94 Die NHH als Empfänger der Darlehen hatte also die Differenz zwischen dem offiziellen Ausgabekurs und dem Marktkurs zu tragen. Dies war, wie gleich noch zu zeigen sein wird, für das Unternehmen mit erheblichen finanziellen Belastungen verbunden. Immerhin aber funktionierte Pletts Strategie zur Kapitalbeschaffung insofern ganz vorzüglich, als sie ihm gleich reihenweise Hypothekenzusagen einbrachte. Bereits kurz nach der Währungsreform verfügte die unter seiner Treuhänderschaft stehende Gewobag Kassel deshalb als eine der ersten Wohnungsbaugesellschaften über ausreichendes Hypothekenkapital, um einige Bauprojekte anlaufen zu lassen.95 Als Plett dann Anfang 1950 nach Hamburg wechselte, präsentierte er schon bei einem ersten Gespräch mit seinem Vorgänger Radlof Hypothekenzusagen in Höhe von 2 Mio. DM.96 Insgesamt mobilisierte er innerhalb der ersten zwölf Monate nach seinem Amtsantritt etwa 10 Mio. DM an ersten Hypotheken.97 Dieser Erfolg bei der Kapitalbeschaffung hatte sicherlich auch mit der 1950 zu beobachtenden leichten Auflockerung am Kapitalmarkt zu tun; 1948 wäre er wohl undenkbar gewesen. Aber in der Hauptsache war er doch Pletts Ingenuität zu verdanken, und er hatte zunächst „nahezu ein Monopol“ 98 auf diese Methode. Nachdem die Kopplungsgeschäfte einmal in Gang gekommen waren, lief die Beschaffung weiterer Hypothekendarlehen in den frühen fünfziger Jahren deshalb 92 Vgl. GB NHH 1948/51, S. 3. Zur Kapitalmarktpolitik der NHH, die im folgenden detailliert geschildert wird, vgl. zusammenfassend Harro Iden, Kapitalmarkt und Städtebau. Finanzierungsaufgaben in zwei Jahrzehnten, NHM 1970,1, S. 31–34 sowie Richter 1992, S. 165 ff. 93 Neue Heimat: Die Bauland-Fresser, SPIEGEL 13.1959,10, S. 26–42, hier S. 28. 94 DIE ZEIT, 4.6.1953. 95 Vgl. NH 1963, S. 9. 96 Vgl. Interview mit Wolfgang Vormbrock, 12.9.2003. 97 Vgl. GB NHH 1948/51, S. 3. 98 Wallenhorst 1993, S. 165.

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wie am Schnürchen. So stiegen die Hypothekenzusagen, nachdem sie 1951 noch einmal etwa 10 Mio. DM betragen hatten, 1952 auf schätzungsweise 30 Mio. DM und 1953 auf ca. 100 Mio. DM (hierin waren allerdings auch Kommunaldarlehen enthalten, auf die noch gesondert einzugehen sein wird).99 Insgesamt nahm die NHH zwischen 1950 und 1956 412 Mio. DM an Hypothekendarlehen auf – genug, um ihr eine umfassende Wohnungsbautätigkeit nicht nur in Hamburg, sondern auch in der ganzen Bundesrepublik zu ermöglichen.100 Allerdings hatte Pletts Kurs einen Haken; genau genommen sogar zwei. Erstens bewegten sich die Kopplungsgeschäfte in einer rechtlichen Grauzone, und bei den Verbänden der gemeinnützigen Wohnungswirtschaft und nicht zuletzt in den Reihen der Hamburger Gewerkschaften gab es Stimmen, die diese Vorgehensweise mißbilligten. Von entscheidender Bedeutung war in diesem Zusammenhang, daß Plett Bebert, den aufsichtsführenden Treuhänder, von seinen Finanzierungsmethoden überzeugen konnte und dieser „in vorbildlicher Weise alle Bestrebungen der Geschäftsführung (...) billigte und auch förderte.“101 Nachdem sich Anfang 1953 abzuzeichnen begann, daß die NHH die mit der Kapitalbeschaffung verbundenen Schwierigkeiten fürs Erste überstanden hatte, schwenkte auch der Prüfungsverband auf Pletts Linie ein. Die Hamburger Gewerkschaften hatten ihren Widerstand schon vorher fallen lassen.102 Zuvor jedoch geriet die NHH trotz der zügigen Wiederaufnahme der Bautätigkeit erheblich ins Schlingern. Das hatte seine Ursache in dem zweiten Grund, aus dem die Kapitalbeschaffung auf dem „grauen Pfandbriefmarkt“ problematisch war, nämlich in den erheblichen finanziellen Risiken, die der Gesellschaft durch die Verluste aus der Plazierung der Pfandbriefe entstanden. Denn die Differenz zwischen dem offiziellen Ausgabekurs und dem Marktpreis der Pfandbriefe ging ja, wie erwähnt, zu Lasten des Empfängers der mit den Pfandbriefen finanzierten Hypothekendarlehen. Plett nahm das in Kauf, weil zumindest in den Jahren bis 1952/53 auf anderem Wege Kapitalmarktmittel gar nicht erhältlich waren. Abdecken wollte er die Verluste aus der Pfandbriefplazierung durch außerordentliche, eigentlich in dieser 99 Die Summe der Hypothekenzusagen für die einzelnen Jahre sind Schätzwerte, die sich aus der Hochrechnung der mit ihrer Plazierung verbundenen Verluste ergeben. Vgl. dazu die folgenden Ausführungen. Zu den Kommunaldarlehen vgl. Kap. 3.1.3.3 dieser Arbeit. 100 Vgl. Verband Norddeutscher Wohnungsunternehmen, Bericht über die Prüfung der „Neue Heimat“ Gemeinnützige Wohnungs- und Siedlungsgesellschaft m.b.H. Hamburg, Jahresabschluß 1957, 11.3.1959, IGM ZwA 2/17 442, Ziff. a44. 101 GB NHH 1952, S. 8. 102 Vier Jahre später löste die NHH allerdings mit einem Vortrag, in dem Albert Vietor auch anderen Wohnungsunternehmen die Kopplungsgeschäfte als Weg aus der akuten Kapitalmarktmisere des Jahres 1957 empfahl, eine erneute Kontroverse über dieses Thema aus. Diesmal war es das Wohnungsbauministerium, das Bedenken erhob. Durch die 1958 Platz greifende Aufhellung der Lage am Kapitalmarkt wurde dieser Streit allerdings schnell hinfällig. Vgl. dazu Albert Vietor, Möglichkeiten und Grenzen der Beschaffung und Hereinnahme von Kapitalmarktmitteln für den sozialen Wohnungsbau, o. O. [Hamburg] 1957; Herbert Lubowski/Albert Vietor, Hoher Zins oder marktgerechter Kurs? Aktuelle Probleme der Wohnungsbaufinanzierung, NHM 1957,7, S. 35–46 sowie das vielfältige Material in BAK B 134–4645, das die Position des Wohnungsbauministeriums dokumentiert. Zum Hintergrund vgl. Jan Klasen, Die Kreditanstalt für Wiederaufbau und ihre Rolle bei der westdeutschen Wohnungsbaufinanzierung 1949–1967 (Studien zur Zeitgeschichte Bd. 18), Hamburg 1999, S. 254 f.

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Form vom Gesetzgeber nicht vorgesehene Einnahmen aus der Neubautätigkeit. Wie diese Einnahmen, die sich aus den seit 1950 verfolgten ersten Ansätzen zur Konzernbildung ergaben, genau zustande kamen, wird an anderer Stelle zu erläutern sein.103 Hier genügt es festzuhalten, daß diese Überschüsse, soviel sie in späteren Jahren auch zu den Gewinnen der Unternehmensgruppe beigetragen haben mögen, zunächst zur Gegenfinanzierung der Verluste aus der Plazierung der Pfandbriefe nicht einmal annähernd ausreichten. Denn der außergewöhnliche Erfolg von Pletts Kapitalbeschaffungsaktion führte dazu, daß diese Verluste in schwindelerregende Höhen stiegen. Der Marktkurs der von der NHH in den frühen fünfziger Jahren vermittelten Papiere lag bei 82–88% ihres Nennwertes und damit um zehn bis 16 Prozentpunkte unterhalb des offiziellen Kurses. Das hieß, daß etwa 10–16% des beschafften Kapitals bei der NHH als Plazierungsverluste zu verbuchen waren: 1950 1 Mio. DM, 1952 2,7 Mio. DM und 1953 sogar 10 Mio. DM.104 Ab 1954 stiegen zwar die Marktkurse der Pfandbriefe an, so daß die Verluste der NHH seitdem etwas zurückgingen; aber dennoch waren sie auch weiterhin in Millionen zu zählen. Insgesamt beliefen sich die Einbußen, die die NHH zwischen 1950 und 1956 aus dem Pfandbriefgeschäft hinnehmen mußte, auf etwa 23 Mio. DM.105 Wegen dieser exorbitanten Fehlbeträge stürzte die Gesellschaft schon bald in eine tiefe finanzielle Krise. Zum Jahresende 1951 verzeichnete sie einen Dekkungsunterschuß von knapp 3,6 Mio. DM; und in der zweiten Jahreshälfte 1952 zeichnete sich ab, daß das Eigenkapital des Unternehmens in Kürze aufgezehrt sein würde.106 Ohne weitere Maßnahmen hätte Pletts Kapitalbeschaffungsaktion das Unternehmen innerhalb von knapp zwei Jahren in den finanziellen Ruin getrieben. Doch Plett blieb ungerührt. Er setzte darauf, daß sich der DGB dem Druck, sein mittlerweile hinsichtlich der Neubauziffern erfolgreichstes Wohnungsunternehmen im Notfall finanziell zu stützen, nicht würde entziehen können. Es war angesichts der bisherigen hartnäckigen Haltung des DGB ungewiß, ob das gutgehen würde. Der Prüfungsverband wollte sich jedenfalls nicht auf den Gesellschafter verlassen und forderte von Plett eine radikale Kehrtwende. Entsprechend gereizt war die Atmosphäre im Finanzausschuß des Aufsichtsrates. Plett schlug wild um sich: Das Eigenkapital, so ließ er verlauten, „wird schon erhöht werden“; der Prüfungsverband habe „keinen Dunst“ von seinem Finanzierungssystem; und überhaupt sähe er nicht ein, „wegen dieser Zwerge“ – gemeint waren die Prüfer 103 Vgl. Kap. 3.1.3.1. Anders als Wallenhorst 1993, S. 165 und Schulz 1994, S. 331, vermuten, spielte die Tatsache, daß die NHH ein gemeinnütziges Wohnungsunternehmen war und deswegen nicht auf Rendite achten mußte, für ihre Bereitschaft, Verluste einzugehen, keine Rolle. Die durch die Kopplungsgeschäfte erzielten Fehlbeträge waren so hoch, daß sie alleine durch Gewinnverzicht nicht zu finanzieren waren. Vgl. die folgenden Ausführungen. 104 Vgl. für 1950 Auszug aus dem Prüfungsbericht, 15.10.1952, FZH 592–30 I, S. 4 sowie für 1952 und 1953 Verband Norddeutscher Wohnungsunternehmen, Bericht über die Prüfung der „Neue Heimat“ Gemeinnützige Wohnungs- und Siedlungsgesellschaft m.b.H. Hamburg, Jahresabschlüsse 1952, 1953, 1954, 1955, 4.3.1958, IGM ZwA 2/17 442, Ziff. b77. 105 Berechnet nach ebd. sowie: Verband Norddeutscher Wohnungsunternehmen, Bericht über die Prüfung der „Neue Heimat“ Gemeinnützige Wohnungs- und Siedlungsgesellschaft m.b.H. Hamburg, Jahresabschluß 1957, 11.3.1959, IGM ZwA 2/17 442, Ziff. b116. 106 Vgl. Auszug aus dem Prüfungsbericht, 15.10.1952, FZH 592–30 I, S. 8.

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des VNW – „weniger [zu] bauen.“107 Der Ton machte deutlich, daß die NHH im Oktober 1952 vor einer Zerreißprobe stand. Ihr Ausgang war ungewiß. 3.1.2.2 Paragraph 7 c – Der Schlüssel zum Erfolg Doch zu dieser Zerreißprobe kam es nicht. Denn gerade noch rechtzeitig erschien der NHH 1952 ein deus ex machina: der § 7 c des Einkommenssteuergesetzes. Schon 1949 hatte der Frankfurter Wirtschaftsrat mit der Einführung dieses Paragraphen steuerliche Erleichterungen für alle diejenigen beschlossen, die Zuschüsse oder zinslose Darlehen für den Wohnungsbau vergaben. Buchführende Steuerpflichtige konnten diese als Werbungskosten oder als Betriebsausgaben vom zu versteuernden Einkommen absetzen. Ihnen wurden 50% der Steuersumme auf den Darlehensbetrag erlassen, und sie konnten zusätzlich noch die Besteuerung der als Darlehen gewährten Betriebsgewinne über die Laufzeit des Darlehens verteilen.108 In der Gründungsphase der Bundesrepublik verfügte allerdings so gut wie niemand über überschüssiges Kapital, das er auf diese Weise dem Wohnungsbau hätte zuführen können. Die NHH bekam das unmittelbar zu spüren, denn sie bemühte sich schon seit 1949 um die Beschaffung von 7c-Geldern – zunächst mit wenig Erfolg. Auch durch Pletts Amtsübernahme änderte sich daran nichts. Zwar gelang der NHH eine Steigerung der Aufnahme von 7c-Geldern von unter 400.000 DM 1949 auf etwa 2,5 Mio. DM 1951, doch diese Steigerung ging nicht auf Pletts Bemühungen zurück, sondern darauf, daß eine andere Wohnungsbaugesellschaft, die 1951 von der NHH aufgekauft wurde, diese Mittel noch unter ihrem alten Besitzer eingeworben hatte.109 Pletts Versuche, 7c-Mittel dadurch anzuziehen, daß er potentiellen Geldgebern im Gegenzug ein Bruchteilseigentum an den zu errichtenden Wohnbauten zusichern wollte, kamen dagegen nicht in die Gänge. Auch diese Konstruktion kam an dem Faktum nicht vorbei, daß bei den potentiellen Darlehensgebern bis Anfang 1952 schlicht und einfach nicht genügend Kapital verfügbar war, das diese dem Wohnungsbau hätten zuführen können.110

107 Ebd., S. 7 u. S. 10. 108 Generell zur Entstehung und Bedeutung des § 7c EStG vgl. Schulz 1994, S. 151 f.; Fred Schmittgen, Die Förderung von Wohneigentum in der öffentlichen Wohnungsbauförderung der Bundesrepublik Deutschland. Eine Analyse der eigentumspolitischen, wohnungswirtschaftlichen und gesamtpolitischen Konsequenzen (Schriften des Instituts für Wohnungsrecht und Wohnungswirtschaft an der Universität Köln Bd. 47), Bonn 1978, S. 391 ff.; Werner Böhme, Darstellung und Entwicklung des Subventionsverfahrens in der Wohnungswirtschaft. Kritik und Möglichkeiten der Umwandlung in ein einheitliches Subventionssystem, Diss. rer. pol. Münster 1960, S. 101 ff. sowie Stadler 1955, S. 237 ff. Zu den Bestimmungen des § 7 c im einzelnen vgl. Conrad Böttcher (Hg.), § 7c-Handbuch. Ein Blattei-Handbuch zur systematischen Sammlung, sowie zur Erläuterung und Kritik der Vorschriften, Auslegungen und Lücken des § 7 c Einkommensteuergesetz, Stuttgart 1952. 109 Vgl. Protokoll Finanzausschuß NHH, 25.6.1953, FZH 592–30 I, S. 7. Zu den Aufkäufen von den Wohnungsbaugesellschaften durch die NHH vgl. Kap. 3.1.3 dieser Arbeit. 110 Zur Zusicherung von Bruchteilseigentum für die Geber von 7c-Geldern vgl. Sachwertbeteiligung bei Hergabe von 7c-Geldern, 22.4.1952, HAA NX 91.

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Erst mit den Auswirkungen des Mitte 1951 einsetzenden „Korea-Booms“ änderte sich dies.111 Die großen Industriebetriebe profitierten als erste von dem konjunkturellen Aufschwung. Sie versuchten deshalb seit diesem Zeitpunkt, den § 7 c dazu zu benutzen, die Besteuerung ihrer Gewinne zu minimieren. Das war mit einigen Schwierigkeiten verbunden, denn mit der Steuerentlastung nach § 7 c ging auch eine Einschränkung einher: In der Regel mußten die Gelder auf mindestens zehn Jahre festgelegt werden und waren so der Unternehmensliquidität entzogen. Allerdings gab es in der komplizierten Steuergesetzgebung einige Schlupflöcher. Es war der Hamburger Finanzmakler Wolfgang Essen, der eine Finanzierungskonstruktion gefunden hatte, die den Unternehmen sowohl die steuerlichen Vorteile des § 7 c verschaffte als auch die volle Liquidität erhielt. Essen war einer jener Experten aus dem „Dritten Reich“, die für die Bundesrepublik unentbehrlich waren: Während der NS-Zeit war er zunächst Syndikus des Hamburger Senates, dann Sonderbeauftragter für Wirtschaftsförderung und für den Vierjahresplan in Hamburg und zuletzt Beauftragter des Reichsstatthalters und Gauleiters der NSDAP für Hamburg in Berlin gewesen. Außerdem hatte er in den Aufsichtsräten verschiedener Unternehmen, vor allem von Versicherungsgesellschaften, gesessen.112 1945 von den Alliierten zusammen mit „bekannten Wirtschaftsführern an Rhein und Ruhr“113 interniert, hatte er zusätzliche Gelegenheit gehabt, seine Kontakte weiter auszubauen. Essens Finanzierungskonzept sah vor, daß der Empfänger der 7c-Mittel – also beispielsweise eine Wohnungsbaugesellschaft – diese nicht direkt zur Baufinanzierung einsetzte, sondern seine Bauvorhaben zunächst über auf dem Markt aufgenommene Hypothekendarlehen finanzierte. Die 7c-Gelder sollte er dagegen bei einer Bank längerfristig anlegen und dort zum marktgängigen Satz verzinsen lassen. Diese Zinsen sollte die Gesellschaft abschöpfen und damit die Zinsen für die auf dem Kapitalmarkt aufgenommenen Hypothekendarlehen bezahlen. Der entscheidende Vorteil dieser Methode lag darin, daß die Banken, bei denen die Wohnungsbaugesellschaft das Geld anlegte, aufgrund einer Absprache mit Essen den Unternehmen, die diese 7c-Gelder ursprünglich gewährt hatten, einen Kredit in gleicher Höhe gewährten. Den Unternehmen blieb also die Liquidität erhalten, während sie gleichzeitig in den Genuß der steuerlichen Vorteile des § 7 c kamen. Lediglich auf die Verzinsung ihres Geldes mußten sie verzichten, aber das war angesichts der Steuervorteile zu verkraften.114 Dieses Modell fand aufgrund seiner attraktiven Bedingungen bei der Geberseite sofort großen Anklang. Essens Unternehmen entwickelte sich deshalb in den folgenden Jahren zum zentralen Umschlagplatz für 7c-Mittel in der Bundesrepu111 Der Begriff „Korea-Boom“ dient hier als verbreitete Kurzformel für die Aufschwungphase des ersten Konjunkturzyklus‘ der Bundesrepublik, nicht als Beschreibung seiner Ursachen. Lindlars Position, der Boom sei nicht auf den Koreakrieg zurückzuführen, ist damit nicht in Frage gestellt, vgl. Ludger Lindlar, Das mißverstandene Wirtschaftswunder. Westdeutschland und die westeuropäische Nachkriegsprosperität (Schriften zur angewandten Wirtschaftsforschung Bd. 77), Tübingen 1997, S. 244 ff. 112 Vgl. Erich Stockhorst, Fünftausend Köpfe. Wer war was im Dritten Reich, o. O. 1967, S. 126. 113 Neue Heimat: Die Bauland-Fresser, SPIEGEL 13.1959,10, S. 26–42, hier S. 31. 114 Vgl. ebd., S. 32.

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blik. Ein erheblicher Teil der zwischen 1950 und 1956 auf dieser Basis gewährten Darlehen – insgesamt 3,97 Mrd. DM115 – scheint auf diesem Wege durch die Hände des Finanzmaklers geflossen zu sein. Für die NHH war es deshalb von großer Bedeutung, daß es ihr im Laufe des Jahres 1952 gelang, sich als einer von Essens bevorzugten Partnern zu etablieren.116 Die Gründe für diesen Erfolg sind nicht mit letzter Sicherheit zu klären. Persönliche Kontakte und die örtliche Nähe in Hamburg mögen eine Rolle gespielt haben; wichtiger war aber wohl die Tatsache, daß Essens Finanzierungsmodell nur dann funktionierte, wenn die Gesellschaft, die in den Genuß der 7c-Mittel kam, in der Lage war, eigenständig Hypothekendarlehen auf dem Markt zu beschaffen. Schließlich mußten die Bauten, wie beschrieben, über diese „normalen“ Kapitalmarktmittel vorfinanziert werden. Außer der NHH gab es zu diesem Zeitpunkt aber kaum ein Wohnungsunternehmen, das über Hypothekendarlehen in nennenswerter Höhe verfügen konnte. Dem Unternehmen half also sein mit Pletts Verbindungen ermöglichter und mit den Plazierungsverlusten teuer erkaufter exklusiver Zugang zum Kapitalmarkt. Pletts Risikofreude zahlte sich nun aus, und zwar nicht zu knapp. Denn seit 1952 nahm die NHH 7c-Mittel in einem Umfang auf, der ihr schlagartig eine völlig neue Dimension des Wirtschaftens eröffnete. Noch im Laufe dieses Jahres schob Essen den Hamburgern 7c-Gelder in Höhe von sage und schreibe 40,6 Mio. DM zu. Das war allein etwa doppelt so viel, wie die NHH 1951 an Baukosten verausgabt hatte! Doch damit nicht genug: 1953 kamen weitere 30,3 Mio. DM hinzu.117 Nicht alle diese Gelder sind unter der oben beschriebenen Konstruktion an die NH geflossen; zum Teil vermittelte Essen sie wohl auch zu anderen Konditionen118 – aber, das war das Entscheidende, immer an den gleichen Partner, also an die NHH. Mit nachlassender Konjunktur gingen die 7c-Darlehen 1954 und 1955 zwar zurück, zumal die Gewährung von Steuervorteilen für zinslose Darlehen seit 1955 vom Gesetzgeber etwas restriktiver gehandhabt wurde.119 Unter durch das II. Wohnungsbaugesetz vom Juni 1956 völlig veränderten Bedingungen stieg die Aufnahme von 7c-Mitteln durch die NHH aber nochmals sprunghaft an: 1956 erreichte sie die Rekordsumme von 109 Mio. DM. Auch diese Darlehen waren wiederum fast ausschließlich von Essen vermittelt worden.120 Mit der Normalisierung des Kapitalmarktes ab 1958 ließ die Relevanz der 7cMittel für die Wohnungsbaufinanzierung dann allerdings nach. Seit diesem Zeitpunkt standen den Wohnungsunternehmen auch andere attraktive Wege zur Wohnungsbaufinanzierung offen. 1961 wurde der § 7c schließlich vom Gesetzgeber abgeschafft, weil, so die Begründung, „eine Reihe von Großunternehmen ihn in 115 Vgl. Schulz 1994, S. 335. 116 Daß dies bereits 1951 geschah, wie Neue Heimat: Die Bauland-Fresser, SPIEGEL 13.1959, 10, S. 26–42, hier S. 31, impliziert, ist angesichts der Entwicklung der 7c-Aufnahmen durch die NHH eher unwahrscheinlich, zumal die Gespräche mit Essen nach Angaben des SPIEGEL unter Beteiligung von Heinz Roosch stattfanden. Roosch arbeitete erst seit 1952 für die NHH. 117 Vgl. Protokoll Finanzausschuß NHH, 25.6. 1953, FZH 592–30 I, S. 7. 118 Dies ergibt sich daraus, daß die Essen vermittelten 7c-Mittel z. T. auch zur Finanzierung von Grundstücksankäufen herangezogen wurden, was mit dem geschilderten Modell nicht vereinbar war. Vgl. Protokoll AR Ageka, 9.4.1953, FZH 592–32 IV, S. 5. 119 Vgl. Schulz 1994, S. 152. 120 Vgl. Protokoll AA NHH, 17.1.1957, IGM ZwA 2/17 265, S. 5.

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Kooperation mit der ‚Neuen Heimat‘ und anderen Gemeinnützigen dazu benutzt hatte, die Besteuerung der Unternehmensgewinne in unzulässiger Weise zu manipulieren.“121 Ganz astrein war die Art und Weise, wie Essen und die NHH mit den 7c-Geldern jonglierten, also nicht, und es erscheint zunächst durchaus verwunderlich, daß der DGB bis auf eine einzelne Äußerung des 1957 in den Aufsichtsrat aufgerückten Georg Leber gegen diese Praktiken keinerlei Bedenken äußerte.122 Das gilt um so mehr, als die Darlehensgeber und damit die Hauptprofiteure des § 7 c ausnahmslos Großunternehmen waren. So gingen beispielsweise von den Darlehen, die die NHH im Jahr 1956 aufnahm, 30 Mio. DM. auf das Konto der Farbenfabriken Bayer-Leverkusen; 30 Mio. DM stammten von der Daimler-Benz AG; weitere 30 Mio. DM von Mannesmann; 5,5 Mio. DM von der Friedrich Flick KG (!); 4,2 Mio. DM von den Ford-Werken; und nur etwa 1 Mio. DM steuerten gewerkschaftliche oder gewerkschaftsnahe Unternehmen wie beispielsweise die Großeinkaufsgesellschaft der deutschen Konsumgenossenschaften (GEG) oder die Gemeinwirtschaftliche Hochseefischerei GmbH bei.123 Als politisch korrekt konnten die Gewerkschaften die Aufnahme so hoher Beträge von großen und bei den Arbeitnehmerorganisationen nicht unbedingt im allerbesten Rufe stehenden Industriebetrieben wohl kaum empfinden. Pletts Diktum, er wolle sich das Geld für den Wohnungsbau notfalls beim Teufel holen, mußte deshalb – und auch aufgrund der NS-Vergangenheit des Wolfgang Essen – aus Sicht des DGB eine ganz eigene Pointe haben (ganz abgesehen davon, daß sich die NHH das Geld vom Teufel eher bringen ließ, als daß sie es selber holte!). Warum also brachten die Gewerkschafter im Aufsichtsrat der NHH keine effektive Opposition gegen die Aufnahme von 7c-Mitteln zustande? Darauf gibt es eine einfache Antwort. Schon der Durchbruch der NHH bei der Beschaffung von 7c-Geldern im Laufe des Jahres 1952 hatte das Unternehmen kurzfristig vor dem drohenden finanziellen Ruin bewahrt.124 Essens Finanzierungssystem kam der Gesellschaft hierbei zugute. Anstelle das Geld direkt zu verbauen, legte die NHH die Mittel, die sie aus seiner Hand erhielt, ja an; und die Zinserträge flossen direkt in ihre Kasse. Sie bedeuteten, so Plett, „für die Gesellschaft eine sehr grosse Stärkung.“125 Mitte 1953 hatte die NHH etwa 30 Mio. DM 7c-Gelder angelegt, die mit über 6% verzinst wurden; ein Jahr später waren es – bei etwa gleichbleibendem Zinssatz – bereits 57 Mio. DM. 126 Die Kapitalerträge des Unternehmens stiegen daher von zu vernachlässigenden 51.000 DM im Jahre 1952 (die Zinsen auf die in diesem Jahr eingeworbenen 7c-Mittel standen erst im nächsten Jahr zur Verfügung) auf knapp 1 Mio. DM 1953 und auf ziemlich genau 2 Mio. im Jahr 1954. 1955 sanken sie nur geringfügig auf 1,8 Mio. DM und übertrafen damit erstmals die Verluste aus der Plazierung der Hypothekenpfandbrie-

121 Schulz 1994, S. 152. 122 Lebers Äußerung findet sich in: Protokoll DGB-BA, 31.1.1957, DGBA-BV, Abt. Vorsitzender, 5/DGAI 440, S. 6. 123 Vgl. Protokoll AA NHH, 17.1.1957, IGM ZwA 2/17 265, S. 5 f. 124 Vgl. Auszug aus dem Prüfungsbericht, 15.10.1952, FZH 592–30 I, S. 8. 125 Protokoll Finanzausschuß NHH, 25.6.1953, FZH 592–30 I, S. 7. 126 Protokoll AR Ageka, 24.6.1954, FZH 592–32 IV, S. 3.

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fe.127 1957 schließlich beliefen sich die Zinserträge aus den angelegten 7c-Mitteln sogar auf 6,5 Mio. DM!128 Angesichts solcher Summen fiel es Plett leicht, darauf zu verweisen, daß die Erfolge der NHH im Wohnungsbau nur durch eine konsequente Ausnutzung dieser Gelder überhaupt zustande gekommen seien. Tatsächlich ging die Bedeutung der 7c-Darlehen aber noch darüber hinaus. Sie hatten mittlerweile einen solchen Einfluß die Organisation des Unternehmens genommen, daß ein Verzicht auf diese Mittel seiner Liquidierung annähend gleichgekommen wäre. Und das galt nicht nur für die NHH selbst. Denn die 7c-Gelder hatten auch die Konzernbildung, die 1950 einsetzte und 1953 erstmals über Hamburg hinausgriff, maßgeblich beeinflußt. Das ist der Gegenstand des folgenden Abschnittes. 3.1.3 Die Konzernbildung 3.1.3.1 Die Anfänge der Konzernbildung und die Erfindung der „Selbstfinanzierung“ Ihren Ausgangspunkt hatte die Konzernbildung allerdings nicht in den 7c-Mitteln, sondern in den Schwierigkeiten, die sich aus dem auch von der Geschäftsführung in diesem Maße nicht erwarteten Zufluß von erststelligen Hypotheken ergaben. Denn dieser Zufluß hatte einen rapiden Anstieg der Fertigstellungsziffer zur Folge. 1950 blieb sie mit 440 Wohnungen zwar noch weit unter dem selbstgesteckten Ziel von 2.000 Einheiten; aber der Bauüberhang – die Zahl der 1950 begonnenen, aber bis zum Jahresende noch nicht fertiggestellten Wohnungen – signalisierte bereits, daß für 1951 ein wesentlich besseres Ergebnis zu erwarten war. Dabei konzentrierte sich die Geschäftstätigkeit zunächst auf den Trümmeraufbau, weil Plett diesen, was nicht ganz unumstritten war, für billiger und auch für schneller zu bewerkstelligen hielt.129 Allein die Dimensionen des Ausbaus der Unternehmensorganisation und die Geschwindigkeit des Wiederaufbaus legten allerdings nahe, daß der Trümmeraufbau allenfalls ein Übergangsphänomen sein konnte. Schon nach wenigen Monaten zeichnete sich ab, daß er längstens bis in das Jahr 1951 hinein die tragende Rolle würde spielen können, die ihm zunächst zugedacht war. Das warf neue Probleme auf, denn gerade in Hamburg war die Konzentration auf den Trümmeraufbau auch eine Reaktion auf einen Engpaß bei der Grundstücksbeschaffung. Seit der Währungsreform wurden hier nur wenige Flächen 127 Vgl. Verband Norddeutscher Wohnungsunternehmen, Bericht über die Prüfung der „Neue Heimat“ Gemeinnützige Wohnungs- und Siedlungsgesellschaft m.b.H. Hamburg, Jahresabschlüsse 1952, 1953, 1954, 1955, 4.3.1958, IGM ZwA 2/17 442, Ziff. a38. 128 Vgl. Verband Norddeutscher Wohnungsunternehmen, Bericht über die Prüfung der „Neue Heimat“ Gemeinnützige Wohnungs- und Siedlungsgesellschaft m.b.H. Hamburg, Jahresabschluß 1957, 11.3.1959, IGM ZwA 2/17 442, Ziff. b216. 129 Vgl. Heinrich Plett, Der Wiederaufbau privater Miethausgrundstücke durch gemeinnützige Wohnungsunternehmen, GWW 2.1949, S. 12–13. Zur Diskussion über den Trümmeraufbau vgl. Hafner 1993, S. 61 ff.; Schulz 1994, S. 136 ff. sowie Wolfgang Pehnt, Deutsche Architektur seit 1900, Ludwigsburg/München 22006, S. 258 ff.

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überhaupt zum Verkauf angeboten, weil potentielle Anbieter auf eine Aufhebung des Preisstops für Grundstücke warteten. Als dieser dann 1950 tatsächlich außer Kraft trat, schnellten die Preise in den Schwerpunktgebieten des Wiederaufbaus rapide in die Höhe.130 Genaue Zahlen gibt es hierzu zwar nicht; die NHH schätzte aber, daß die Preise in Hamburg zum Teil doppelt so hoch waren wie in vergleichbaren anderen Großstädten.131 Auch wenn das übertrieben gewesen sein mag, lag der Ankauf von Grundstücken in dem Maßstab, in dem die NHH ihre Planungen betrieb, aufgrund der sichtbar angespannten Lage in jedem Falle jenseits ihrer finanziellen Möglichkeiten. Schon Mitte 1950 zeichnete sich daher ab, daß die Neubautätigkeit der NHH, nachdem der Engpaß bei den Kapitalmarktmitteln fürs Erste überwunden war, bald an die Grenzen stoßen würde, die der Grundstücksmarkt ihr setzte. Eine Einschränkung der Neubautätigkeit kam für Plett aber schon aus grundsätzlichen Erwägungen nicht in Frage, und auch das Problem der Verluste aus den Resthypotheken sprach gegen eine solche Lösung. Plett verfiel deshalb auf eine andere Idee. Durch die Folgen des Krieges waren viele Wohnungsunternehmen an den Rand des wirtschaftlichen Ruins gedrängt worden. Solange diese Gesellschaften keine aktive Bautätigkeit betreiben konnten, blieben sie verlustträchtig; und die Fähigkeit, eine aktive Bautätigkeit zu entfalten, hing wesentlich von der Fähigkeit zur Beschaffung erststelliger Hypotheken ab. Kaum ein Hamburger Geschäftsmann verfügte aber über die Kombination aus Erfahrung, Kontakten und Risikobereitschaft, die Plett und Vietor an den Tag legen mußten, um erfolgreich Pfandbriefe vermitteln zu können. Gerade die Besitzer von Wohnungsgesellschaften mit besonders stark zerstörtem Wohnungsbestand waren daher häufig bereit, ihre Gesellschaften zu verkaufen, selbst wenn das Anlagekapital, das in den Ruinen repräsentiert war, ein Vielfaches des erzielbaren Verkaufspreises betrug.132 Zum Spottpreis von insgesamt knapp 300.000 DM – weitaus weniger als allein die in vergleichbaren unbebauten Grundstücksflächen enthaltenen Werte – erwarb die NHH daher im Mai 1950 zwei Wohnungsbaugesellschaften, deren Anlagevermögen fast ausschließlich aus Trümmergrundstücken bestand.133 Zuerst übernahm sie die 1927 als „Evangelische Baugesellschaft Hansa m.b.H.“ gegründete und 1937 umbenannte „Baugesellschaft Hansa m.b.H.“, die nun als gemeinnützig anerkannt und mit dem Namen „Neues Heim“ versehen wurde. Sie hatte vor dem Krieg über etwa 300 Wohnungen, die 1945 zu 88% zerstört waren. Diese lagen unmittelbar neben dem Besitz der NHH in Barmbek und in Horn. Das galt auch für die Grundstücke der zweiten von Plett erworbenen Gesellschaft, der schon bei 130 Vgl. [Vorname unerfindlich] Sprengel, Die Grundstückspreise für den sozialen Wohnungsbau, in: Gottfried Thiel (Hg.), Wohnungsbau in Hamburg, Hamburg 1953, S. 43–49, hier S. 45. 131 Vgl. Schreiben Pletts an den DGB-Ortsausschuß Hamburg, betr. Mitwirkung der Gewerkschaften bei der Senkung der Grundstückspreise, 1.8.1950, FZH 592–30 I. 132 Vgl. GB NHH 1948/51, S. 4 sowie Neue Heimat: Die Bauland-Fresser, SPIEGEL 13.1959,10, S. 26–42, hier S. 29 f. 133 Der Kaufpreis geht hervor aus: Exposé zur Neuorganisation gewerkschaftseigener Wohnungsunternehmen, o. D. [September 1954], Anlage 3: Aufwand der Neuen Heimat Hamburg für die Gesellschaftskapital-Beteiligungen nach dem Stand vom 30.6.1954, DBGA-BV, Abt. Finanzen, 24/412, S. 1.

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ihrer Gründung 1926 als gemeinnützig anerkannten „Aktiengesellschaft für gemeinnützigen Kleinwohnungsbau“ (Ageka). Die Ageka war deutlich größer als die „Neues Heim“: Ihr Wohnungsbestand hatte vor dem Krieg 2.693 Einheiten betragen, von denen 1945 2.039, also etwa 75%, in Trümmern lagen.134 Mit diesen Käufen schlug Plett zwei Fliegen mit einer Klappe. Erstens konnte er damit das Problem der hohen Grundstückspreise umgehen und die Neubautätigkeit der NHH, die für ihr wirtschaftliches Überleben unerläßlich war, für etwa ein weiteres Jahr sichern. Zweitens stieg durch die zusätzlichen Grundstückswerte auch die Beleihungsfähigkeit des Unternehmens und seine Attraktivität für potentielle Kreditgeber an: „Jedes der neuen Konzernglieder [brachte] Grundstückswerte [mit] (...), die als Sicherheit für die steigenden Geschäftskredite dienen konnten.“135 Allerdings mußte er dafür in Kauf nehmen, daß er nunmehr für die marode Eigenkapitalbasis dieser Gesellschaften verantwortlich war. Für dieses Problem fand Plett eine Lösung, die für den weiteren Aufbau des Konzerns von grundsätzlicher Bedeutung war. Den Ausgangspunkt hierfür bildete eine mit dem Erwerb dieser Gesellschaften einhergehende organisatorische Grundsatzentscheidung, die zunächst aus ganz anderen, pragmatischen Erwägungen heraus gefällt worden war. Wegen der starken Zerstörung ihres Wohnungsbestandes waren die „Neues Heim“ und die „Ageka“ auf der Grundlage des Soforthilfegesetzes als Geschädigtengemeinschaft anerkannt worden.136 Damit war zwar ihr Recht auf Inanspruchnahme der Soforthilfeleistungen verbunden, nicht aber der tatsächliche Lastenausgleich, der erst 1952 gesetzlich geregelt wurde.137 Um den Empfang der mit diesem verbundenen Leistungen nicht zu gefährden, wurden die Gesellschaften deshalb zunächst als rechtlich eigenständige Körperschaften weitergeführt.138 Allerdings erwartete Plett, daß sich durch eine Verschlankung der Verwaltungsstrukturen der hinzugekauften Unternehmen erhebliche Rationalisierungseffekte erzielen ließen. Deshalb sorgte er dafür, daß sie in wirtschaftlicher, personeller und organisatorischer Hinsicht vollständig mit der Muttergesellschaft verschmolzen wurden. Die neuen Tochtergesellschaften beschäftigten also kein eigenes Personal mehr und unterhielten auch kein eigenes Büro. Nur ihr rechtlicher Mantel blieb erhalten. Die Durchführung der Wohnungsverwaltung und des Wohnungsbaus übernahm die Muttergesellschaft für sie – auf der Grundlage eines sogenannten Betreuungsvertrages, den sie mit den formal weiterhin eigenständigen Tochtergesellschaften abschloß.139 Dieses System bewährte sich so gut, daß es Ende 1951 gleich noch einmal zur Anwendung kam. „In Fortführung ihrer Grund134 Vgl. GB NHH 1948/51, S. 4. Prozentangaben nach eigener Berechnung und gegenüber ebd. korrigiert. 135 Neue Heimat: Die Bauland-Fresser, SPIEGEL 13.1959,10, S. 26–42, hier S. 31. Vgl. zu diesem Argument auch Günther Baumann, 10 Jahre danach. Ein Rückblick auf Tätigkeit und Entwicklung der NEUEN HEIMAT Hamburg in den Jahren 1950 bis 1960, NHM 1960,1, S. 1–14, hier S. 4 sowie Protokoll Gesamt-AR UG NH, 21.12.1956, IGM ZwA 2/17 434, S. 12. 136 Vgl. GB NHH 1948/51, S. 4. 137 Vgl. Wiegand 1992, S. 78 ff. 138 Vgl. GB NHH 1948/51, S. 4. 139 Vgl. ebd. sowie die Musterverträge in FZH 592–32 IV und IGM ZwA 2/17 269.

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stücksbeschaffungspolitik“ erwarb die NHH zu diesem Zeitpunkt ein weiteres Wohnungsunternehmen, die „Neuhofer Wohnstättengesellschaft mbH“, die sie in „Gewog Gemeinnützige Wohnstättengesellschaft von 1910 mbH“ umbenannte.140 Damit flossen der Gesellschaft weitere Trümmergrundstücke zu, mit deren Wiederaufbau noch im Laufe des Jahres 1952 begonnen wurde. Vor allem aber band die NHH die Gewog 1910 sogleich mit einem Betreuungsvertrag nach dem Muster von Ageka und Neues Heim an sich. 141 Es war allerdings im Falle dieser Gesellschaft nicht mehr primär die Hoffnung auf eine Einsparung von Verwaltungskosten, die zu dieser Entscheidung führte. Plett war mit dem System der Betreuungsverträge vielmehr auf eine Möglichkeit zur Ausgestaltung der entstehenden Konzernstruktur gestoßen, die längerfristig in ihrer Bedeutung weit über die ursprünglich angepeilten Rationalisierungseffekte hinauswies. Der Schlüssel zu diesem System lag in der Tatsache, daß die NHH die Betreuung ihrer frisch erworbenen Tochtergesellschaften nicht ohne Gegenleistung übernahm. Vielmehr stellte sie ihre Dienste den nur noch auf dem Papier bestehenden Tochtergesellschaften in Rechnung – und zwar anfangs mit bis zu 7% der Kosten des betreuten Bauvorhabens.142 Das war weitaus mehr, als die NHH für die Betreuung eines solchen Bauvorhabens tatsächlich verausgaben mußte. Für eine kleine Wohnungsbaugenossenschaft mochte ein Regiekostensatz von 5% realistisch sein; eine große Kapitalgesellschaft wie die NHH kam nach einigen Anlaufschwierigkeiten seit etwa 1952/53 mit nur 2–3% aus.143 Anders als bei den von ihr selbst errichteten öffentlich geförderten Wohnbauten mußte sie im Falle der Betreuung eines anderen Unternehmens aber nicht die tatsächlich entstandenen Kosten abrechnen, sondern konnte eine branchenübliche Pauschale verlangen. Auf Intervention der Behörden, die den Satz von 7% als zu hoch betrachteten, senkte sie diese zwar 1952 auf 5%; aber auch damit lag sie immer noch weit über ihren Selbstkosten.144 Die NHH erzielte also aus ihrer Betreuungstätigkeit für die Tochtergesellschaften Extra-Gewinne – Gewinne, die bei einer vollständigen Fusion der Unternehmen nicht angefallen wären, weil dann gegenüber der öffentlichen Hand die tatsächlichen Kosten hätten abgerechnet werden müssen. Diese Gewinne, die nicht zu Lasten der Tochtergesellschaften, sondern zu Lasten der Baupreise gingen, waren es, mit denen Plett ursprünglich die Verluste aus der Plazierung der Hypothekenpfandbriefe hatte abdecken wollen, und das war einer der Hauptgründe für die erstmalige Einführung der Betreuungsverträge gewesen. Nachdem die Plazierungsverluste seit 1953 mit den Zinsen aus den gewaltigen 7c-Darlehen ausgeglichen werden konnten, wären die Überschüsse aus der Betreuungstätigkeit aber gar nicht mehr nötig gewesen, weil die NHH aus gemeinnützigkeitsrechtlichen Gründen ohnehin nicht mehr als 4% Dividende ausschütten durfte.145 Welchen Anreiz hatte sie also, das System der Betreuungsverträge auch

140 141 142 143 144 145

Vgl. 50 Jahre Gewog, S. 39 sowie GB NHH 1948/51, S. 5. Vgl. ebd. Vgl. Auszug aus dem Prüfungsbericht, 15.10.1952, FZH 592–30 I, S. 1. Vgl. Protokoll Finanzausschuß, 2.9.1953, FZH 592–30 I, S. 3. Vgl. Auszug aus dem Prüfungsbericht, 15.10.1952, FZH 592–30 I, S. 1. Zur Höhe dieser Überschüsse vgl. Kapitel 3.1.3.5 dieser Arbeit.

3.1 Die Neue Heimat Hamburg und die Entstehung des Großkonzerns

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zu einem Zeitpunkt noch weiterzuführen, zu dem sie diese 4%-Marke auch ohne die auf diesem Wege anfallenden Extra-Gewinne spielend erreichte? Die Antwort ist, daß die Betreuungsgebühren die Chance boten, das Problem der Eigenkapitalbildung bei den Tochtergesellschaften zu lösen. Denn die über 4% hinausreichenden Gewinne, die die NHH erwirtschaftete, konnte sie als Anteilseignerin in eine Verbreiterung von deren Eigenkapitalbasis investieren, und das tat sie auch: Bis 1954 erhöhte sie ihr Stammkapital auf jeweils 1 Mio. DM.146 Sie gab also den Tochtergesellschaften die von ihr erhobenen Gebühren in der Form von Kapitalerhöhungen zurück. Bei dem Zusammenschluß über Betreuungsverträge handelte es sich also um ein Verfahren zur Gewinnung von Eigenkapital aus der laufenden Geschäftstätigkeit. Dieses Verfahren wurde unternehmensintern als „Selbstfinanzierung“ bezeichnet – ein treffender Begriff, denn die Unternehmensgruppe zog sich damit in Münchhausenscher Manier am eigenen Schopfe empor.147 Am Beispiel dreier Tochtergesellschaften hatte die NHH auf diese Weise eine Struktur der Unternehmensorganisation geschaffen, mit der sie in der Lage war, die bei fast allen Wohnungsunternehmen bestehende Eigenkapitalproblematik offensiv anzugehen. Auf diese embryonische Struktur für den Aufbau eines wohnungswirtschaftlichen Konzerns konnte sie zurückgreifen, als sie 1953 erstmals über Hamburg hinausgriff. 3.1.3.3 Von Hamburg nach Bremen: Erste Schritte auf dem Weg zum überregionalen Wohnungsbaukonzern Die Ausdehnung über Hamburg hinaus ging dabei aber nicht auf einen im Voraus ausgeklügelten Plan zurück. Sie war vielmehr die Folge einer Kombination von Zwängen und Möglichkeiten, die sich aus den Förderungsbestimmungen für den Wohnungsbau, der Höhe der zur Verfügung stehenden Mittel und der Verbreitung gewerkschaftseigener Wohnungsbaugesellschaften über fast das ganze Bundesgebiet ergab. Von besonderer Bedeutung war dabei die Tatsache, daß die Mittel aus den von der NHH eingeworbenen 7c-Darlehen nicht völlig beliebig eingesetzt werden konnten. Sie waren als Restfinanzierungsmittel oder als Ersatz für nachstellige Kapitalmarktmittel gedacht. Alleine mit einem 7c-Darlehen konnte man daher keine Wohnungen bauen. Der Einsatz von erststelligen Hypotheken war nach wie vor unerläßlich.148 Diese erststelligen Hypotheken konnte die NHH, wie gezeigt, problemlos beschaffen. Hinsichtlich der zweitstelligen Hypotheken geriet die Gesellschaft aber in Schwierigkeiten. Zwar hätte sie hierfür 7c-Mittel verwenden können; doch dann wären die mit diesen Geldern errichteten Wohnungen in 146 Vgl. GB NHH 1952, S. 9. Dieser Vorgehensweise befleißigten sich später auch andere gemeinnützige Wohnungsunternehmen: Weil sie „nur begrenzt Gewinne ausschütten durften, benutzten sie ihre Erträge in starkem Maße dazu, ihre eigene unternehmerische Expansion zu finanzieren“, Schulz 1994, S. 331. 147 Vgl. die Interview-Aussagen von Rolf Dehnkamp, 18.8.2003. Zeitgenössische Nennungen des Begriffes „Selbstfinanzierung“ finden sich in allen Debatten, in denen es um den Abschluß von Betreuungsverträgen ging, z. B. in: Protokoll AR Ageka 24.6.1954, FZH 592–32 IV, S. 2. 148 Vgl. Steffan 1963(b), S. 66.

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die Kategorie des steuerbegünstigten Wohnungsbaus gefallen. Das versuchte Plett zu vermeiden, da die Mietpreise bei diesem Förderungsmodus erheblich über dem nach Ansicht der Gewerkschaften sozialpolitisch vertretbaren Niveau lagen. Die Alternative war der öffentlich geförderte soziale Wohnungsbau, bei dem ein zinsverbilligtes öffentliches Darlehen den zweiten Rang einnahm und 7c-Mittel nur zur Restfinanzierung eingesetzt wurden. Das war jedoch ebenfalls problematisch. Denn die von der Hansestadt Hamburg zur Verfügung gestellten Mittel reichten nicht annähernd aus, um öffentliche Darlehen in einem Umfang anzubieten, der es ermöglicht hätte, den von der NHH mobilisierten 7c-Geldern eine ausreichende Zahl an zweiten Hypotheken gegenüberzustellen.149 Plett stand damit vor einem angesichts der angespannten Lage am Kapitalmarkt recht erstaunlichen Problem. Das Hamburger Abendblatt formulierte es im Februar 1952 – als die Einwerbung von 7c-Mitteln durch die NHH noch in ihren Kinderschuhen steckte – so: „Im Direktionszimmer eines modernen Verwaltungsgebäudes am Habichtsplatz in Barmbek, inmitten einer erfreulichen Landschaft wiederaufgebauter Wohnblocks, sitzt ein Mann, der 4 ½ Mill. DM zuviel hat“ – zuviel, da er für sie „in Hamburg nicht den erforderlichen Anteil an öffentlichen Geldern bekommen kann.“150 Das Kernproblem, dem sich die NHH seit 1952 gegenüber sah, war also, daß ihr „im Verhältnis weniger öffentliche als private Mittel zur Verfügung“ standen.151 In dieser Situation kam der NHH der Gesetzgeber zu Hilfe, und zwar durch das im Dezember 1952 verabschiedete Kapitalmarktförderungsgesetz. Es sah vor, die Zinserträge aus neu auszugebenden Pfandbriefen und Kommunalobligationen von der Einkommens- und Körperschaftssteuer zu befreien, wenn mindestens 90% ihrer Erlöse für den sozialen Wohnungsbau eingesetzt würden.152 Durch die Einführung dieser sogenannten „Sozialpfandbriefe“ konnten bis Ende 1954 „praktisch nur [noch] steuerfreie Papiere untergebracht werden“.153 Damit stand der weitaus größte Teil der Gelder aus dem Pfandbriefabsatz exklusiv für den Wohnungsbau zur Verfügung. Zwar dauerte es einige Monate, bis sich die gesetzliche Regelung am Markt durchsetzen konnte. Doch die NHH erkannte die Chance, die in diesen Bestimmungen lag, sofort. Denn das Gesetz machte für Kapitalgeber, die auf der Suche nach Anlagemöglichkeiten waren, auch den Kauf von Kommunalobligationen, deren Erträge den Kommunen als Darlehen für die Wohnungsbaufinanzierung zugute kamen, attraktiv. Hier sah die NHH mit ihren hervorragenden Kontakten auf dem Kapitalmarkt die Möglichkeit, sich als Vermittler zu betätigen: „Am Kapitalmarkt durch den Verkauf von Kommunal-Obligationen erhaltene Mittel“ sollten nach dem Willen Pletts von ihr „Ländern und Gemeinden vermittelt [werden], die sie der ‚Neue Heimat‘ oder von ihr zu benennenden Gesellschaf-

149 Zum Umfang der öffentlichen Förderung in Hamburg vgl. Reichling 1956, S. 12 ff. 150 Hamburger Abendblatt, 22.2.1952. 151 Warum Gartenstadt Hohnerkamp? Kritik und Antwort, Hamburg o. D. [1954], FZH 592–30 I, S. 3. 152 Vgl. Steffan 1963(a), S. 398 sowie Krummacher 1978, S. 155. 153 Borchardt 1971, S. 166.

3.1 Die Neue Heimat Hamburg und die Entstehung des Großkonzerns

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ten als öffentliche Mittel zinsverbilligt zum Aufbau von Wohnungen zurückgaben.“154 Für die NHH stellte diese Vorgehensweise einen nahezu perfekten Ausweg aus ihrer verfahrenen Lage dar, denn die Gelder aus den vermittelten Kommunalobligationen konnten als öffentliche Mittel für den zweitstelligen Raum Verwendung finden. Mögliche Investoren für den Kauf von Kommunalobligationen zu finden, fiel dem Unternehmen mit seinen eingespielten Kontakten nicht schwer: Schon im Januar 1953 unterbreitete Plett Finanzsenator Walter Dudek und Bausenator Paul Nevermann den Vorschlag, der Stadt Hamburg ein Kommunaldarlehen in Höhe von 22 Mio. DM zu verschaffen, wenn sie sich im Gegenzug bereiterklärten, diese Gelder als öffentliche Fördermittel im Rang einer II. Hypothek an die NHH zurückzureichen. Damit wollte Plett ein Bauprogramm von 3.600 Wohnungen auflegen.155 Einerseits war dies für die Hansestadt ein verlockendes Angebot. Da die Kapitalsubventionen für den Wohnungsbau i. d. R. aus ordentlichen Haushaltsmitteln bezahlt wurden, bedeutete eine Finanzierung über ein Darlehen kurzfristig eine erhebliche Entlastung des Haushaltes. Die Stadt mußte im laufenden Haushaltsjahr lediglich Zins und Tilgung für das Darlehen aufbringen, konnte also mit erheblich geringerem finanziellem Aufwand die gleiche Anzahl an Wohnungen erbauen. Andererseits summierten sich die Annuitäten über die gesamte Laufzeit des Darlehens – typischerweise dreißig Jahre – hinweg zu einer Summe, die den ursprünglichen Darlehensbetrag deutlich überstieg. Die Stadtväter hatten daher erhebliche Bedenken, einen solchen Wechsel auf die Zukunft auf sich zu nehmen. Trotz der persönlichen Fürsprache des NHH-Aufsichtsrates und ehemaligen Wirtschaftssenators Otto Borgner drang Pletts Vorschlag nicht durch.156 Anfang Juni 1953 hatte der Senat noch immer keine Entscheidung über die Aufnahme des Darlehens getroffen. Die Kapitalgeber ließen sich nicht länger vertrösten. Plett mußte, wenn er nicht auf den Kommunaldarlehen – und damit auch auf den zugehörigen 7c-Darlehen und Pfandbriefdarlehen – sitzen bleiben wollte, die Mittel anderweitig zur Verwendung bringen.157 Allerdings war die NHH auf diesen Gang der Dinge durchaus vorbereitet. Das verdankte sie Richard Boljahn, der „grauen Eminenz“ der Bremer Landespolitik. Als Vorsitzender der SPD-Fraktion in der Bremer Bürgerschaft und des Bremer DGB-Kreises verfügte Boljahn über hervorragende Kontakte zu den gewerkschaftseigenen Wohnungsbaugesellschaften.158 Pletts Erfolge bei der Kapitalbeschaffung waren ihm nicht verborgen geblieben. Schon im Oktober 1952 hatte er 154 Protokoll AR VTG Düsseldorf 4. 1.1954, DGBA-BV, Abt. Finanzen, 24/412, S. 2. 155 Vgl. Schreiben Pletts an die Bürgerschaftsabgeordneten in den Aufsichtsräten der Unternehmensgruppe, FZH 592–30 I, S. 1. Konkret war damit die Planung der Gartenstadt Farmsen verbunden. 156 Vgl. Protokoll Finanzausschuß, 23.1.1953, FZH 592–30 I, S. 1 f. und Schreiben Pletts an die Freie und Hansestadt Hamburg, Finanzbehörde, 5.6.1953, FZH 592–30 I. 157 Vgl. ebd. 158 Zu Boljahn vgl. Karl-Ludwig Sommer, Wilhelm Kaisen und Richard Boljahn. Konturen einer besonderen politischen Partnerschaft, in: Adolf E. Hofmeister (Hg.), Beiträge zur bremischen Geschichte. Festschrift für Hartmut Müller (Veröffentlichungen aus dem Staatsarchiv der Freien Hansestadt Bremen 62), Bremen 1998, S. 194–214, bes. S. 196 ff. sowie Munzinger Internationales Biographisches Archiv 2/1993, 4.1.1993.

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mit der NHH Kontakt aufgenommen, um sie für eine Beteiligung am Wiederaufbau der sogenannten „Todeszone“ im Bremer Westen, einem im August 1944 komplett verwüsteten ehemaligen Arbeiterwohnviertel, zu gewinnen.159 Tatsächlich gelang es Plett noch im selben Jahr, zu diesem Zweck für die Stadt ein Kommunaldarlehen in Höhe von 10 Mio. DM zu mobilisieren. Dieses Darlehen bildete den Ausgangspunkt dafür, daß der unter dem Dach der NHH entstehende Unternehmensverbund 1953 erstmals über Hamburg hinausgriff. Das wäre allerdings nicht der Fall gewesen, wenn es nicht auch in Bremen einen Anknüpfungspunkt in Form einer gewerkschaftseigenen Wohnungsbaugesellschaft gegeben hätte. Das war die Gewoba. Sie war 1924 als „Gemeinnützige Wohnungsbaugemeinschaft der freien Gewerkschaften für Bremen und Umgegend“ in der Rechtsform des eingetragenen Vereins gegründet worden. Zu diesem Zeitpunkt befand sie sich vollständig im Besitz verschiedener Bremer Gewerkschaftsorganisationen.160 1933 beschlagnahmten die Nationalsozialisten das Vermögen des Vereins und führten es der DAF zu, die die Gesellschaft 1935 als GmbH (mit dem neuen Namen „Gemeinnützige Wohnungsbaugesellschaft Bremen“, also Gewoba) neu gründete. Dabei übernahmen auch einige Wirtschaftsunternehmen aus dem Kreis der DAF, das Land Bremen sowie eine Reihe von landeseigenen Unternehmen Anteile an dem Unternehmen. 1939 kamen noch diverse Fremdbeteiligungen hinzu: Auch Industriebetriebe wie Borgward, die Focke-Wulf Flugzeugbau GmbH und die Deutsche Schiffs- und Maschinenbau AG gehörten nunmehr zum Kreis der Gesellschafter.161 Diese für ein Wohnungsunternehmen der DAF recht ungewöhnliche Entwicklung führte nach 1945 zu erheblichen Problemen bei der Rückerstattung der Gesellschaft. Die Gewerkschaften fühlten sich als die wahren Eigentümer der Gewoba. Die zur Zeit der NS-Herrschaft hinzugekommenen Anteilseigner machten aber ebenfalls Besitzansprüche geltend. Dementsprechend zogen sich die Rückerstattungsverhandlungen in die Länge. Letztendlich bekam die VTG das Recht zugesprochen, innerhalb von fünf Jahren 50% der Anteile an der Gewoba zu erwerben. Ihre Forderung nach einer Mehrheitsbeteiligung hatte sie aber vor der Wiedergutmachungskammer nicht durchsetzen können, obwohl sie nach wie vor zumindest moralisch einen Anspruch auf das gesamte Vermögen des Unternehmens erhob.162 Plett betrachtete nun Ende 1952 die Gelegenheit als günstig, die Gewoba für die Gewerkschaften „zurückzuerobern“. Er knüpfte sein Angebot eines Kommunaldarlehens an zwei Bedingungen: Erstens sollte die Gewoba mit dem Bau von 1.000 Häusern beauftragt werden; und zweitens forderte er, daß die Anteile, die die Stadt an dem Unternehmen hielt, an die NHH bzw. die VTG veräußert wür-

159 Vgl. Wallenhorst 1993, S. 159. Zum Wiederaufbau des Bremer Westens vgl. ebd., S. 153 ff.; Gerhard Rabeler, Wiederaufbau und Expansion westdeutscher Städte 1945–1960 im Spannungsfeld von Reformideen und Wirklichkeit. Ein Überblick aus städtebaulicher Sicht (Schriftenreihe des Deutschen Nationalkomitees für Denkmalschutz Bd. 39), Bonn 1990, S. 139 ff. sowie NHH 1956, S. 60 ff. 160 Vgl. Wallenhorst 1993, S. 21 ff. 161 Vgl. ebd., S. 85 ff. 162 Vgl. ebd., S. 143 ff.

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den.163 Es war in erster Linie dem Einsatz von Richard Boljahn zu verdanken, daß dieser Plan im Februar 1953 tatsächlich zur Ausführung gelangte. Die NHH übernahm zu diesem Zeitpunkt die von der Stadt und der städtischen Feuerversicherungsanstalt gehaltenen Beteiligungen in Höhe von 465.000 DM. Ein Anteil von 200.000 DM entfiel ohnehin auf die VTG, so daß die Gewerkschaften nun über eine solide Mehrheit an dem Stammkapital von 1,04 Mio. DM verfügten.164 Allerdings war Plett damit noch nicht zufrieden. Die weiterhin bestehenden Beteiligungen der Bremer Industrieunternehmen empfand er als störend. Er wollte die Gewoba vollständig unter seine Kontrolle bringen. Da kam ihm die Tatsache, daß die Hansestadt Hamburg im Juni 1953 noch immer keine Entscheidung über die Aufnahme eines Kommunaldarlehens getroffen hatte, gerade recht. Denn dadurch sei, so führte er Mitte 1953 vor dem Finanzausschuß des Aufsichtsrates aus, „eine Umstellung notwendig gewesen, die“ – das Kommunaldarlehen und die zugehörigen anderweitigen, von der NHH aufgebrachten Finanzierungsmittel zusammengerechnet – „die Verlagerung eines Bauvolumens von mehr als 60 Mio. DM aus Hamburg nach anderen Bauorten zur Folge gehabt habe.“165 Mit diesen Geldern konnte Plett die „Rückeroberung“ der Gewoba zu einem für ihn günstigen Ende bringen. Denn ein Teil davon – DM 42 Mio. – floß wiederum nach Bremen.166 Dabei gelang es der NHH erneut, die Hergabe dieser für Bremer Verhältnisse gewaltigen Summe an die Bedingung zu knüpfen, daß ihr der Erwerb weiterer Beteiligungen ermöglicht werde. Bis Ende 1953 konnte sie nun auch die noch ausstehenden Gesellschaftsanteile aufkaufen – abgesehen von einer Splitterbeteiligung des Unternehmers Carl Borgward, der an seinem Anteil festhielt. Auch die Beteiligungen der VTG übernahm die NHH in diesem Zeitraum. Kapitalmäßig war die Gewoba damit im April 1954 endgültig zur Tochtergesellschaft der NHH geworden.167 Und auch organisatorisch band Plett die Gewoba in den bestehenden Hamburger Unternehmensverbund ein. Denn die Weitergabe von 7c-Mitteln durch die NHH an die Gewoba, die mit der Verlagerung des Kommunaldarlehens nach Bremen einherging, erforderte den Abschluß eines Betreuungsvertrages und damit eine Integration der Gewoba in das System der „Selbstfinanzierung“, wie es bereits bei den Hamburger Tochtergesellschaften installiert worden war. Im Unterschied zu diesen verfügte die Gewoba zwar weiterhin über eigenes Personal; aber immerhin die Finanzierungsdienstleistung sowie einige zentral gesteuerte Planungsdienstleistungen konnte die NHH dem Unternehmen nun in Rechnung stellen.168 Mit dem Abschluß des Betreuungsvertrages war die Gewoba voll in den Unternehmensverbund der NHH integriert. Damit verfügte die NHH nun auch über ein starkes Standbein außerhalb Hamburgs. Der erste Schritt zum Aufbau eines überregional agierenden Wohnungsbaukonzerns war vollzogen.

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Vgl. ebd., S. 159. Vgl. ebd., S. 164 und Protokoll Finanzausschuß NHH, 25.6.1953, FZH 592–30 I, S. 5. Protokoll Finanzausschuß NHH, 25.6.1953, FZH 592–30 I, S. 2. Vgl. ebd., S. 5. Vgl. Wallenhorst 1993, S. 166. Vgl. Protokoll Finanzausschuß NHH, 25.6.1953, FZH 592–30 I, S. 5.

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3.1.3.4 Die Zentralisierung der gewerkschaftseigenen Wohnungsbaugesellschaften Bei diesem ersten Schritt blieb es nicht. Denn selbst nach Abzug der Mittel, die nach Bremen geflossen waren, verblieben bei der NHH noch immer ungenutzte 7c-Gelder in Millionenhöhe. Doch andere gewerkschaftseigene Wohnungsunternehmen standen bereits in den Startlöchern. Ein Teil der überschüssigen Mittel floß in den Aufbau der Gartenstadt Elbhochufer in Wedel, der über eine Arbeitsgemeinschaft abgewickelt wurde, an der die ohnehin bereits zum Konzernverbund gehörende Gewog 1910 beteiligt war. Ein anderer Teil ging nach Lübeck – und zwar auf Initiative des dortigen Geschäftsführers, der darin eine Chance sah, die ständige Kapitalschwäche seines Unternehmens zu beenden. Dafür war er sogar bereit, seine Unabhängigkeit zu opfern.169 Zwar konnte die Angelegenheit nicht unmittelbar in diesem Sinne entschieden werden, weil die Gesellschaft nicht der VTG, sondern den lokalen Lübecker Gewerkschaftsorganisationen gehörte, die das Unternehmen auch behalten wollten.170 So mußte zunächst die Gewog 1910 die Bautätigkeit in Lübeck übernehmen. Wichtiger als der tatsächliche Vollzug der Angliederung Lübecks an die NHH waren aber die Schlüsse, die der DGBBundesvorstand aus der in den Fällen Bremen und Lübeck offensichtlich gewordenen Kapitalkraft der NHH zog. Seit Anfang 1953 hatte er keine Schritte mehr unternommen, um die immer noch um ihr Überleben kämpfenden, quer durch die Republik verteilten Wohnungsunternehmen zu unterstützen. Das Modell Bremen, obwohl ursprünglich gar nicht als „Rettungsaktion“ angelegt, schien nun einen geeigneten Ausweg aus dieser Lage aufzuzeigen. Es war der DGB, nicht die NHH, der nun die Konzentration weiterer gewerkschaftseigener Wohnungsgesellschaften in den Händen des einzigen mit Optimismus in die Zukunft blickenden Unternehmens betrieb. Als die Siwobag Neustadt, eine der schwächsten unter den vielen schwachen gewerkschaftseigenen Wohnungsbaugesellschaften, Mitte 1953 zum wiederholten Male um finanzielle Unterstützung durch den DGB bat, regte die VTG beim Bundesvorstand an, das Unternehmen nach dem Muster der Gewoba Bremen an die NHH zu verkaufen – und stieß dort mit diesem Vorschlag auf breite Zustimmung. „Der DGB“, trug Plett vor dem Finanzausschuß der NHH vor, „legt grossen Wert auf Übernahme [der Siwobag] durch die ‚Neue Heimat‘.“ Er nannte auch die zentrale Erwägung, von der sich der Bundesvorstand bei diesen Überlegungen leiten ließ: Das war die „ausserordentliche Knappheit an flüssigen Mitteln bei der Vermögens- und Treuhandgesellschaft des DGB“.171 Aus dem gleichen Grund strebte der Bundesvorstand auch noch den Verkauf einiger weiterer, ebenfalls auf wirtschaftlich unsicherem Boden stehender Wohnungsbaugesellschaften an die NHH an. Die NH Hannover, die NH Kiel, die Ge169 Vgl. ebd., S. 6. 170 Vgl. Brecht/Klabunde 1950, S. 333 ff. 171 Protokoll Finanzausschuß NHH, 25.6.1953, FZH 592–30 I, S. 10. Vgl. zudem Protokoll GBV, 3.8.1953, DGBA-BV, Abt. Vorsitzender, 5/DGAI 371, S. 4 und Protokoll GBV 24.8.1953, DGBA-BV, Abt. Vorsitzender, 5/DGAI 371, S. 4.

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wobag Kassel sowie vor allem die drei nordrhein-westfälischen Gesellschaften Westdeutsche Heimbau, NH Münster und NH Düsseldorf waren hierfür im Gespräch.172 Die Haltung der NHH zu diesen Vorschlägen war zunächst durchaus zwiespältig. Während Plett einerseits freudig zur Kenntnis nahm, daß „die Übernahme der ‚SIWOBAG‘ (...) ein Prestige-Erfolg für die ‚Neue Heimat‘“173 war, griff er den Wunsch des Bundesvorstandes, die NHH möge auch die NH Kiel übernehmen, mit bemerkenswerter und durchaus untypischer Zurückhaltung auf: „Der Geschäftsführer dieser Gesellschaft, Koll[ege] Damm,“ ließ er den Finanzausschuß wissen, „steht dieser Übernahme zunächst ablehnend gegenüber. Trotz Wunsch des Bundesvorstandes wollen wir uns zurückhaltend verhalten.“174 Plett war sich darüber im klaren, daß eine „unfreundliche Übernahme“ erhebliches Konfliktpotential barg: In Bremen waren dem Anschluß der Gewoba an die NHH heftige Konflikte mit dem Geschäftsführer Albert Götze, der noch zu den Gründern des Unternehmens gehört hatte, gefolgt. Dieser hatte erhebliche Bedenken gegenüber Pletts Finanzierungsmethoden geäußert. Plett griff in diesem Falle eisern durch, setzte sich selbst und Klüber als Geschäftsführer ein und ließ Götze „achtkantig aus der GEWOBA werfen“.175 Trotz dieses Konfliktpotentials ging die NHH aber im Falle der Siwobag schließlich doch aktiv zu Werke – zum einen aufgrund ihrer weiteren Erfolge bei der Beschaffung von 7c-Mitteln und Kommunalobligationen, zum anderen aber auch deshalb, weil die Gesellschaft faktisch führungslos war und dies der NHH nicht länger verantwortbar erschien.176 Im September 1953 erwarb Plett das Unternehmen zum Preis von 155.000 DM. Es wurde in „Neues Heim“ umbenannt und nach Mainz verlegt. Im Dezember erhöhte die NHH das Stammkapital der Gesellschaft auf 1 Mio. DM und machte sie zum Ausgangspunkt intensiver Bemühungen, in Rheinland-Pfalz und in Württemberg-Baden Kommunen von den Vorteilen einer Finanzierung des Wohnungsbaus durch von der NHH vermittelte Kommunaldarlehen zu überzeugen.177 Dabei setzte sie systematisch auf die Nutzung ihrer politischen Kontakte zu den kommunalen Amtsträgern in dieser Region – allerdings mit geringem Erfolg: „In den Städten, in denen die SPD in Opposition stehe,“ berichtete Plett 1954, „sei die SPD für eine derartige Finanzierung, in den Städten jedoch, in denen sie die Regierung bilde, sei sie dagegen. Bei der CDU sei 172 173 174 175 176

Vgl. Protokoll Finanzausschuß NHH, 25.6.1953, FZH 592–30 I, S. 10 f. Ebd., S. 10. Ebd., S. 11. Protokoll AR Gewoba 19.8.1953, zit. nach Wallenhorst 1993, S. 168. In der Geschäftsführung waren erhebliche Unregelmäßigkeiten aufgetaucht, vgl. Protokoll AR Neues Heim Mainz, 1.2.1954, DGBA, DGB-LB Baden-Württemberg (Fritz Fleck), 31/47; Protokoll AR Neues Heim Mainz, 15.6.1954, DGBA, DGB-LB Baden-Württemberg (Fritz Fleck), 31/47; Verband südwestdeutscher Wohnungsunternehmen e. V., Bericht über die Prüfung der Gemeinnützigen Siedlungs- und Wohnungsbau-Gesellschaft der Gewerkschaften Rheinland-Pfalz m.b.H., Neustadt/Weinstrasse, 20.10.1953, DGBA, DGB-LB Baden-Württemberg (Fritz Fleck), 31/47 sowie Kap. 3.1.3.5 dieser Arbeit. 177 Vgl. Protokoll AR Neues Heim Mainz, 15.6.1954, DGBA, DGB-LB Baden-Württemberg (Fritz Fleck), 31/47, S. 9 f. sowie Kurt Echtermeyer, Förderung zusätzlichen Wohnungsbaues über selbstschuldnerische Kommunalbürgschaften [Memorandum], 29.07.1954, DGBA, DGB-LB Baden-Württemberg (Fritz Fleck), 31/47.

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das genau so.“178 Es steht zu vermuten, daß hier – wie in Hamburg – die Frage der langfristigen Verschuldung den entscheidenden Knackpunkt bildete. Offenbar war kaum eine Regierungspartei dazu bereit, diese Verantwortung auf die Schultern der kommenden Generationen zu laden. Die Verhandlungen waren daher weitgehend erfolglos. Die Vermittlung von Kommunalobligationen konnte also kaum als ein auch mit entsprechenden unternehmensinternen Folgen behafteter großer Schritt über Norddeutschland hinaus gelten. In einem Punkt bestätigte sie allerdings einen Trend, der für die weitere Entwicklung der Unternehmensstrukturen von erheblicher Bedeutung sein sollte. Seit dem Ende des Trümmeraufbaus in Hamburg rückte die NHH zusehends von einer eigenen Bautätigkeit ab. Statt dessen konzentrierte sie sich mehr und mehr auf die Betreuung ihrer neu erworbenen Tochtergesellschaften. Vor allem ihre Rolle als Akquisiteur und Verteiler von Kapitalmarktmitteln fiel dabei besonders ins Gewicht.179 Diese neue überregionale Rolle, in die die NHH nun langsam hineinwuchs, war in der Zwischenzeit auch anderweitig bestätigt worden. Ob Walter Damm, der Geschäftsführer der NH Kiel, seinen Widerstand nach der Vermittlung größerer Summen an 7c-Mitteln freiwillig aufgab oder ob er dem Druck der VTG nachgeben mußte, ist nicht geklärt. Jedenfalls verkaufte der DGB-Bundesvorstand im Februar 1954 auch die NH Kiel an die NHH.180 Im März und April 1954 folgten dann die soeben zurückerstatteten nordrhein-westfälischen Gesellschaften: die „Westdeutsche Heimbau Essen“; die NH Münster und schließlich die NH Düsseldorf. Auch hier hatten die finanzielle Situation der VTG und die Kapitalkraft der NHH den Ausschlag für den Verkauf gegeben.181 Insgesamt erwarb die NHH zwischen September 1953 und Mitte 1954 also zu den bestehenden drei Hamburger Tochtergesellschaften noch sechs weitere Gesellschaften mit Schwerpunkt in Nord- und Nordwestdeutschland. Das Ziel, das der DGB-Bundesvorstand mit diesen Verkäufen verfolgte – die finanzielle Entlastung der VTG –, wurde damit in vollem Umfang erreicht. Der VTG Düsseldorf flossen in diesen Monaten insgesamt knapp 2,56 Mio. DM an baren Mitteln zu, die insbesondere „zu dem gewerkschaftspolitisch so notwendigen Bau von Gewerkschaftshäusern verwandt“182 wurden. Wichtiger aber war die Entlastung der VTG von den längst überfälligen Kapitalerhöhungen. Die NHH stattete alle neu erworbenen Unternehmen schon bald mit einem deutlich erhöhten Stammkapital aus. Den Anfang hatte, wie erwähnt, noch im Dezember 1953 die Siwobag gemacht. Im Mai 1954 wurde dann bei jeder der neu erworbenen Gesellschaften das Stammkapital auf mindestens 1 Mio. DM aufgestockt; in Bremen, Kiel und Düs-

178 Protokoll AR Neues Heim Mainz, 15.6.1954, DGBA, DGB-LB Baden-Württemberg (Fritz Fleck), 31/47, S. 9. 179 Vgl. GB NHH 1953, S. 7. 180 Vgl. Protokoll GBV, 22.2 1954, DGBA-BV, Abt. Vorsitzender, 5/DGAI 371, S. 3. 181 Vgl. Exposé zur Neuorganisation gewerkschaftseigener Wohnungsunternehmen, o. D. [September 1954], DBGA-BV Abt. Finanzen, 24/412, S. 2. 182 Ebd., S. 3.

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seldorf waren es jeweils 2 Mio. Insgesamt beliefen sich die Erhöhungen, die die NHH der VTG abnahm, auf einen Betrag von nominell 9,78 Mio. DM.183 Allerdings ging diese Summe deutlich über das hinaus, was die zwar langsam Oberwasser gewinnende, mit einem Stammkapital von 5 Mio. DM aber doch noch verhältnismäßig kleine NHH hätte bezahlen können. Das tatsächlich aufgebrachte Kapital lag denn auch wesentlich niedriger. Schließlich verlangte das GmbH-Gesetz nur eine 25%ige Einzahlung auf die nominale Summe des Stammkapitals, und von dieser Regelung machte die NHH ausgiebig Gebrauch. Tatsächlich hatte sie für die Erhöhungen daher zunächst nur knapp 2,67 Mio. DM aufgebracht; der zuvor erfolgte Erwerb der Unternehmen hatte sie 2,16 Mio. gekostet. Ihrem gesamten nominellen Beteiligungskapital von DM 11,99 Mio. DM stand daher Mitte 1954 ein eingezahltes Kapital von nur 4,83 Mio. DM gegenüber. „Die ganzen Kapitalerhöhungen“, bemerkte ein internes Papier folgerichtig, „sind demnach im weiten Umfange rein optischer Natur und legen der Neuen Heimat [Hamburg] die Verpflichtung auf, weitere rund DM 7,2 bzw. 7,8 Millionen aufzubringen.“184 Es gab im Prinzip nur einen Weg, um diese Mittel aufzubringen, nämlich die „Selbstfinanzierung“ – und das hieß: eine weitere erhebliche Ausdehnung der Bautätigkeit auch der neuen Gesellschaften. Die Perspektiven hierfür waren günstig. Gerade der immer noch vorhandene Überschuß an Kapitalmarktmitteln ließ die Möglichkeiten, die die Politik der Eingliederung der kapitalschwachen Gesellschaften bot, schier unbegrenzt erscheinen. Auch mit dem Kauf der nordrheinwestfälischen Unternehmen war die NHH noch nicht an der Grenze dessen angelangt, was ihr angesichts einer voraussichtlich noch auf Jahre hinaus ansteigenden Bautätigkeit finanzierbar erschien, und die VTG drängte aus den bekannten Gründen auf die Übernahme auch der noch in ihren Händen verbliebenen sieben weiteren Wohnungsunternehmen. Allerdings hatte sich durch die seit Ende 1953 geführte Diskussion um die Übernahme der nordrhein-westfälischen Gesellschaften das Kalkül der Beteiligten bis Mitte 1954 spürbar verändert. Plett hatte schnell erkannt, daß der Erwerb dieser Unternehmen nicht mehr nur ein pragmatisches Unterfangen, sondern eine Angelegenheit von grundsätzlicher unternehmenspolitischer Bedeutung war. Denn schon die vorausgehenden Verkäufe an die NHH hatten zu einer Situation geführt, die allen Beteiligten wenig erstrebenswert erschien. Die ursprünglich anvisierte Zusammenfassung aller Beteiligungen in der Hand der VTG Düsseldorf war mit den ersten Verkäufen in der zweiten Jahreshälfte 1953 praktisch aufgegeben worden. Die gewerkschaftseigenen Wohnungsunternehmen verteilten sich – von dem Sonderfall der Lübecker Gesellschaft abgesehen – Ende 1953 auf vier Eigentümer. Fünf Unternehmen waren in der Hand der NHH; acht in der Hand der VTG Düsseldorf bzw. an sie zurückzuerstatten; die beiden bayrischen Gesellschaften standen unter der Obhut der VTG Bayern; und schließlich befanden sich die Gewobag

183 Vgl. ebd., S. 2. 184 Ebd., Anlage 3: Aufwand der Neuen Heimat Hamburg für die Gesellschaftskapital-Beteiligungen nach dem Stand vom 30.6.1954, DGBA-BV, Abt. Finanzen, 24/412, S. 2 (Hervorhebung im Original unterstrichen).

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Kassel und die Gewobag Frankfurt, das größte der nicht zur NHH gehörenden gewerkschaftseigenen Wohnungsunternehmen, im Eigentum der VTG Hessen.185 Auf Seiten des DGB hatte schon 1950 die Auffassung bestanden, daß eine solche „Zersplitterung“186 nur schädlich sein konnte. Mit dieser Vorgabe geriet das System der Beteiligungen nun zunehmend überkreuz. „Durch den Zugang weiterer Beteiligungen an Wohnungsunternehmen in Nordrhein-Westfalen und Niedersachsen“, schrieb Plett im Januar 1954 an Julius Brecht, den Vorsitzenden des GGW, „ist die Frage aktuell geworden, ob dieses System so bleiben soll oder nicht. Es besteht allgemeine Einigkeit darüber, dass die jetzige Lösung keine dauernde, sondern nur eine vorübergehende sein kann.“187 Aus der von pragmatischen Gesichtspunkten geleiteten Übernahme einzelner Unternehmen durch die NHH ergab sich also nun „die Frage einer Neuorganisation der gewerkschaftseigenen Wohnungsunternehmen überhaupt.“188 Plett gab deshalb die Zurückhaltung, die er zunächst noch an den Tag gelegt hatte, endgültig auf und nutzte den Wunsch der VTG, die nordrhein-westfälischen Gesellschaften an die NHH zu verkaufen, um seine Vorstellungen von der Neugestaltung des gewerkschaftseigenen Wohnungsbaus zu präsentieren. Am 4. Januar 1954 trug er dem Aufsichtsrat der VTG Düsseldorf seine Überlegungen vor. Er forderte, nunmehr alle Beteiligungen „bei der stärksten Wohnungsbaugesellschaft – lies Hamburg“189 einzubringen. Was Plett seit diesem Zeitpunkt anstrebte, war also nichts weniger als die Bildung eines Konzerns – eines Großkonzerns, der bundesweit alle gewerkschaftseigenen Wohnungsbaugesellschaften unter dem Dach der NHH vereinigen sollte. Zur Begründung führte er aus, daß es ihm gelungen sei, auf der Basis der von ihm beschafften Kapitalmarktmittel eine „günstige und gesunde Entwicklung“190 der NHH zu erreichen, die sich nach seinen mittelfristigen Planungen auch in den Jahren 1954 bis 1957 fortsetzen werde. Kern seiner Überlegungen sei es, „die gegebenen Möglichkeiten und zur Verfügung stehenden Mittel auch für andere Gesellschaften auszunutzen, und zwar so, daß diese ihre Selbständigkeit behalten.“191 Um dieses Ziel zu erreichen, schlug er einen Modus der Konzernbildung vor, der sich von dem bei den Gewerkschaften in schlechtem Rufe stehenden, hochzentralisierten „GAGFAH-System“ grundlegend unterscheiden sollte.192 Statt, wie die GAGFAH, als Zentrale für eine Reihe von unselbständigen Filialen zu dienen, sollte die NHH, wie sie das im Hamburger Rahmen bereits getan hatte, nun auch für das Bundesgebiet die Rolle einer „Kopfstelle“ übernehmen – einer Zentrale 185 Vgl. GB NHH 1953, S. 13; DGB-GB 1952/53, S. 37 f.; Exposé zur Neuorganisation gewerkschaftseigener Wohnungsunternehmen, o. D. [September 1954], DBGA-BV Abt. Finanzen, 24/412, S. 2 sowie die undatierte graphische Darstellung im Anhang zu diesem Dokument. 186 Protokoll Finanzausschuß NHH, 3.3.1953, FZH 592–30 I, S. 5. 187 Schreiben Pletts an Brecht, 22.1.1954, IGM ZwA 2/17 434a, S. 1. 188 Exposé zur Neuorganisation gewerkschaftseigener Wohnungsunternehmen, o. D. [September 1954], DGBA-BV, Abt. Finanzen, 24/412, S. 4. 189 Schreiben Pletts an Brecht, 22.1.1954, IGM ZwA 2/17 434a, S. 1. 190 Protokoll AR VTG, 4.1.1954, DGBA-BV, Abt. Finanzen, 24/412, S. 2. 191 Ebd. 192 Schreiben Pletts an Brecht, 22.1.1954, IGM ZwA 2/17 434a, S. 1. Zum Organisationssystem der GAGFAH vgl. GAGFAH 1993, S. 52 ff. u. S. 74.

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mit doppelter Funktion: Zum einen war sie als Holding gedacht, bei der die Beteiligungen zusammengefaßt werden sollten. Darüber hinaus wollte Plett die NHH aber auch weiterhin als eigenständiges Wohnungsunternehmen mit eigenen Bauund Verwaltungskapazitäten fungieren lassen. Diese Ressourcen sollte sie aber weniger für eigene Projekte nutzen, sondern vielmehr den künftigen Tochtergesellschaften zur Verfügung stellen – und zwar im Rahmen von Betreuungsverträgen nach dem Hamburger Muster.193 Dies war das zentrale Element seiner Vorschläge zur Konzernbildung; denn die Übernahme der Beteiligungen konnte er nur mit den zu erwartenden Gewinnen aus der „Selbstfinanzierung“ bezahlen, und die wiederum basierte auf dem Abschluß von Betreuungsverträgen. Trotz seiner Versicherungen, mit diesem System die Selbständigkeit der Tochtergesellschaften zu bewahren, stieß Plett mit seinen Plänen aber auf Widerstand – und zwar gerade bei der stärksten der bis dahin noch außerhalb des Konzernkreises der NHH verbliebenen Gesellschaften. Das war die Gewobag Frankfurt.194 Ihr Geschäftsführer Reinhold Tarnow stand zu Plett ohnehin in einem problematischen Verhältnis.195 Nun fühlte er sich von dem finanziell übermächtigen Rivalen aus Hamburg unmittelbar bedroht und fürchtete um den Sonderstatus, den die Gewobag als zur VTG Hessen gehöriges Unternehmen besaß. Zusammen mit seinem Mitgeschäftsführer Hans Kampffmeyer äußerte er „Bedenken gegen die geplante Kopfstelle (...) und regt[e] an, zu überlegen, ob nicht eine andere Möglichkeit besteht, die finanziellen Mittel der ‚Neue Heimat‘ Hamburg auch den anderen Gesellschaften zugute kommen zu lassen.“196 Bei der VTG drangen Tarnow und Kampffmeyer mit dieser Haltung aber nicht recht durch. Auch die Gewobag mußte die „äußerst gute Entwicklung der ‚Neue Heimat‘ Hamburg und besonders ihre finanzielle Stärke“197 anerkennen und fand kaum ein Argument gegen Pletts Vorhaben. Zwar fällte die VTG zu diesem Zeitpunkt noch keine endgültige Entscheidung über die zukünftige Organisationsform des gewerkschaftseigenen Wohnungsbaus, sondern setzte statt dessen eine Kommission ein, die über die weitere Verfahrensweise beraten sollte. Dennoch bedeutete die Januar-Sitzung des VTG-Aufsichtsrates bereits eine Vorentscheidung: „Bis zur endgültigen anderweitigen Regelung“198 stimmte der Aufsichtsrat nämlich einer Übertragung der nordrhein-westfälischen Gesellschaften auf die NHH zu. Als die Kommission dann am 2. August 1954 endlich zusammentrat, hatte die NHH mit dem Vollzug des Erwerbs der nordrhein-westfälischen Gesellschaften und den veranlaßten Kapitalerhöhungen dann bereits Fakten geschaffen, die nicht mehr ohne weiteres zu ignorieren waren.199 193 Vgl. Protokoll AR VTG, 4.1.1954, DGBA-BV, Abt. Finanzen, 24/412, S. 2 f. 194 Zur Geschichte der Gewobag vgl. GWH o. J. [1999], passim; Gewobag Frankfurt 1954; Gewobag 1965; Weinert 1994, S. 110 f. 195 Vgl. ebd. sowie Schreiben Pletts an Brecht, 22.1.1954, IGM ZwA 2/17 434a, S. 1, wo von den „Diadochenkämpfe[n]“ zwischen Tarnow und Plett die Rede ist. 196 Protokoll AR VTG, 4.1.1954, DGBA-BV, Abt. Finanzen, 24/412, S. 3. 197 Ebd. 198 Ebd. 199 Vgl. Vorlage an den Bundesvorstand, betr. Neuorganisation der ‚Neue Heimat‘ G.m.b.H., Hamburg, 5.7.1954, DGBA-BV, Abt. Finanzen, 24/373, S. 1 f. Vgl. auch Haag 1995, S. 89 f.

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Das trat besonders deutlich in der Behandlung des Anliegens zutage, das Reinhold Tarnow in dieser Kommission vorbrachte. Zweifellos von seiner persönlichen Konkurrenz zu Plett motiviert, legte er einen weitreichenden Vorschlag für die Neuorganisation des gewerkschaftseigenen Wohnungsbaus vor, der dessen Überlegungen diametral entgegenstand. Tarnows Vorschlägen fehlte der visionäre Expansionismus Pletts völlig. Er empfahl, die vorhandenen Gesellschaften so umzugestalten, daß, vereinfacht gesprochen, in jedem Bundesland eine von den übrigen Unternehmen unabhängige Wohnungsbaugesellschaft aktiv werden konnte, die zu 60% vom DGB und zu 40% von den Industriegewerkschaften getragen werden sollte. Ihre Aufgabe sah Tarnow im Bau und in der Verwaltung von „Wohnungen für minderbemittelte Bevölkerungskreise und vorwiegend für gewerkschaftlich Organisierte“.200 Nur unter engen Voraussetzungen sollte diesen Gesellschaften die Unterhaltung eigener Tochtergesellschaften ermöglicht werden, die ausnahmsweise auch den Wohnungsbau außerhalb der öffentlichen Förderung zum Gegenstand haben konnte. „Diese Festlegung des Aufgabenprogramms der gewerkschaftseigenen Wohnungsgesellschaften zog eine klare Trennungslinie zwischen ‚echtem sozialen Wohnungsbau‘ und frei finanziertem“,201 und sie verwies damit ebenso wie mit der Anlehnung der Organisationsstruktur an die regionalen Gewerkschaftsorganisationen und mit der Definition der gewerkschaftlich Organisierten als primäre Zielgruppe auf die Tradition des gewerkschaftlichen Wohnungsbaus in der Weimarer Republik.202 In der Rückschau erfüllte sie damit in vieler Hinsicht genau das Idealbild, das viele Kritiker der NH in den siebziger und achtziger Jahren vom gewerkschaftseigenen Wohnungsbau zeichneten. „Die Tragik der Gewobag Frankfurt und der Person Reinhold Tarnows“, argumentiert etwa Rainer Weinert, „lag darin, daß ihr Alternativvorschlag genau die politisch wie unternehmerisch fragwürdigen Sachverhalte [, die später zur Krise der NH führten,] aufzeigte, ohne sich durchsetzen zu können.“203 Damit gemeint war vor allem die gemeinnützigkeitsrechtliche Fragwürdigkeit des für Pletts Vorschlag zentralen Systems der „Selbstfinanzierung“. Wie viele andere eher traditionell geprägte gewerkschaftliche Wohnungswirtschaftler hatte Tarnow Bedenken, „daß die von der ‚Neue Heimat‘, Hamburg, angewandten Methoden[,] auf dem Wege der Selbstfinanzierung Eigenkapital zu bilden, nicht in jedem Falle den Bestimmungen des Gemeinnützigkeitsgesetzes entsprächen“.204 Tatsächlich war die Frage im WGG nicht eindeutig geregelt und unter Fachleuten umstritten; solange die Prüfungsverbände und die Aufsichtsbehörden, die über das Verfahren stets im Bilde waren, keine Einwände erhoben, konnte die NHH aber guten Gewissens auf die normative Kraft des Faktischen verweisen.205 200 Vorschlag der Gewobag G.m.b.H., Frankfurt a. M. Organisationsgrundsätze der gewerkschaftseigenen Wohnungsunternehmen, Juli 1954, DGBA-BV, Abt. Finanzen, 24/412, S. 3. Vgl. auch Weinert 1994, S. 112 ff. u. S. 180 ff. 201 Ebd., S. 115. 202 Vgl. ebd. 203 Ebd., S. 116. 204 Exposé zur Neuorganisation gewerkschaftseigener Wohnungsunternehmen, o. D. [September 1954], DGBA-BV, Abt. Finanzen, 24/412, S. 5. 205 Vgl. Weinert 1994, S. 119.

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Die Kommission, die, wie der DGB hervorhob, aus „langjährige[n] Fachleuten“206 bestand, mochte sich Tarnows Urteil ohnehin nicht anschließen. Die Gründe hierfür lagen auf der Hand. Denn die Umsetzung seines Vorschlages hätte ein wesentlich weniger ambitioniertes Neubauprogramm zur Folge gehabt. Gleichzeitig aber hätte, weil die Vorschläge die Grundlage des Systems der Selbstfinanzierung außer Kraft setzten, der DGB für jede der geplanten Regionalgesellschaften eine Kapitalerhöhung herbeiführen und – wie bisher – auch das Risiko zukünftiger Kapitalerhöhungen tragen müssen. Angesichts der Tatsache, daß mit dem Konzernmodell Pletts eine Alternative bereitstand, die mit geringerem finanziellem Aufwand ein besseres Ergebnis zu erzielen versprach, erschien der Kommission Tarnows Vorschlag geradezu abwegig, zumal Pletts Modell seine Funktionsfähigkeit nicht erst unter Beweis stellen mußte. Nicht zuletzt „aufgrund der bereits geschaffenen Tatsachen“207 empfahl die Kommission deshalb dem Bundesvorstand, Pletts Anliegen zu entsprechen und den Weg zur Bildung eines großen Wohnungsbaukonzerns unter dem Dach der NHH freizumachen. Zur Begründung führte sie vier Punkte an: Erstens brauche der Bundesvorstand „keine Mittel mehr für die später zweifellos notwendig werdenden Kapitalerhöhungen auf[zu]bringen“; zweitens verfüge die Muttergesellschaft „über bestes Fachpersonal“ und könne den „angeschlossenen Gesellschaften Personalhilfen geben“; drittens komme diesen die „enge Verbundenheit der Muttergesellschaft mit dem Kapitalmarkt (...) zugute“; und viertens entwickle sich in den Gesellschaften durch den Zusammenschluß „ein außerordentlich fruchtbarer Gedankenaustausch“.208 Tarnows Vorschlag enthielt demgegenüber kaum nennenswerte Trümpfe – abgesehen vielleicht von seinem Appell an das gewerkschaftliche Traditionsbewußtsein. Doch das genügte nicht einmal, um ein einziges Mitglied der Kommission zu überzeugen. Tarnows Plan zeigte vor allen Dingen eines: Daß die Rezepte der Zwischenkriegszeit für die Probleme der Nachkriegszeit ungeeignet waren. Dieser Bewertung schloß sich auch der DGB-Bundesvorstand an. Am 20. September 1954 verabschiedete er die Vorlage der Kommission – einstimmig.209 Dieser Beschluß gilt neben dem Beschluß des 11. ADGB-Kongresses von 1922 bis in die wissenschaftliche Debatte der Gegenwart hinein als die eigentliche Geburtsstunde der Unternehmensgruppe NEUE HEIMAT.210 Diese Perspektive ist jedoch irreführend. Tatsächlich kann keine Rede davon sein, daß der DGB-Bundesvorstand 1954 eine „grundlegende Zäsur“211 oder gar eine Blaupause für den Aufbau eines gewerkschaftlichen Großkonzerns beschlossen hat. Statt dessen sanktionierte er lediglich im Nachhinein eine Entwicklung, die in den vorangehen206 Exposé zur Neuorganisation gewerkschaftseigener Wohnungsunternehmen, o. D. [September 1954], DGBA-BV, Abt. Finanzen, 24/412, S. 5. 207 Ebd., S. 4. 208 Ebd., S. 5 f. Vgl. auch Weinert 1994, S. 106 und ders. 1996, S. 113 f. 209 Vgl. Protokoll GBV 20.9.1954, DGBA-BV, Abt. Vorsitzender, 5/DGAI 371, S. 1 sowie Beschluß des geschäftsführenden Bundesvorstandes betreffend Neuorganisation gewerkschaftseigener Wohnungsunternehmen, IGM ZwA 2/17 434a. Dieser Beschluß ist auch abgedruckt in Weinert 1994, S. 177–179. 210 Vgl. z. B. Weinert 1994, S. 104 ff.; ders. 1996, S. 114 sowie 50 Jahre NH, S. A 14. 211 Weinert 1994, S. 123.

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den eineinhalb Jahren bereits eine Eigendynamik entfaltet hatte, der er sich, selbst wenn er gewollt hätte, kaum hätte entziehen können. Auch der Wortlaut der dem Beschluß zugrundeliegenden Kommissionsvorlage unterstützt diese Interpretation: Er besagte, daß „die ‚Neue Heimat‘-Hamburg zunächst für die ihr bereits angeschlossenen Gesellschaften als Muttergesellschaft auftreten soll. Den noch nicht angeschlossenen Gesellschaften solle es unbenommen bleiben, sich ihr anzuschließen oder aber selbständig zu bleiben.“212 Was der Beschluß bewirkte, war daher lediglich die Klarstellung, daß der längst im Gange befindlichen Konzernbildung von Seiten des DGB keine Steine mehr in den Weg gelegt werden sollten. Am wichtigsten war diese Klarstellung mit Hinblick auf die Selbstfinanzierung, die nun durch den DGB-Bundesvorstand gutgeheißen wurde. Es war dieser Umstand und nicht eine – gar nicht beschlossene – ausdrückliche Anweisung des Bundesvorstandes, die dazu führte, daß innerhalb kurzer Zeit auch die zuvor eher zögerlichen Wohnungsunternehmen ihr Einverständnis mit der Zentralisierung erklärten. Für sie überwogen nun die Vorzüge eines Anschlusses an die NHH die damit verbundenen Nachteile. Denn zum einen sicherte ihnen das System des Konzernverbundes ihre Eigenständigkeit, die im Beschluß des DGB-Bundesvorstandes noch einmal ausdrücklich bekräftigt wurde. Zum anderen aber konnten sie sich von einem Anschluß an den Konzernverbund eine baldige Erledigung ihrer finanziellen Probleme und eine Wiederbelebung ihrer Wohnungsbautätigkeit erhoffen. Noch während der Entscheidungsfindung über die Zentralisierung hatten deshalb bereits die Gewobag Kassel, die Auwog Augsburg und die Müwog München zu verstehen gegeben, daß sie eine Integration in den Unternehmensverbund anstrebten. Bis 1956 kamen dann noch eine weitere bayrische sowie drei niedersächsische Gesellschaften hinzu.213 Sie alle wurden nach dem bekannten System in die Unternehmensgruppe eingegliedert. Der DGB-Bundesvorstand hatte also mit seiner Entscheidung die Eigendynamik der Konzernbildung noch einmal beschleunigt, und das galt auch noch in einer weiteren Hinsicht. Denn der Beschluß bekräftigte Plett in einem Ziel, das in dieser Form zwar nicht zur Debatte gestanden hatte, nun aber wie eine natürliche Konsequenz aus der Konzernbildung anmutete. Plett wollte die Gelegenheit nutzen, die Lücken, die auch nach einer Eingliederung aller gewerkschaftseigener Wohnungsunternehmen auf der Landkarte der NHH noch verblieben, auszufüllen. Das war zweifellos eine Machtfrage, aber es hatte durchaus auch funktionale Gründe: „Wichtig sei eine derartige Unternehmenserweiterung schon deshalb,“ 212 Exposé zur Neuorganisation gewerkschaftseigener Wohnungsunternehmen, o. D. [September 1954], DGBA-BV, Abt. Finanzen, 24/412, S. 5 f. (meine Hervorhebung). Vgl. auch ebd., S. 7. Auch in dem Beschluß selbst ist keine ausdrückliche Anweisung zu weiteren Ankäufen enthalten. Dort ist nur die Rede davon, daß die Gesellschaften, „deren Geschäftsanteile aufgrund der verschiedenen Beschlüsse des geschäftsführenden Bundesvorstandes von ihr [der NHH] erworben worden sind und noch erworben werden sollen“, als selbständige Gesellschaften zu erhalten sind. Beschluß des geschäftsführenden Bundesvorstandes betreffend Neuorganisation gewerkschaftseigener Wohnungsunternehmen, IGM ZwA 2/17 434a, S. 1. 213 Vgl. Exposé zur Neuorganisation gewerkschaftseigener Wohnungsunternehmen, o. D. [September 1954], DGBA-BV, Abt. Finanzen, 24/412, S. 3 sowie Daten über die Entwicklung der Unternehmensgruppe in der Zeit von 1948 bis 1962, IGM ZwA 2/17 265.

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führte er vor dem Aufsichtsrat aus, „um die Namen weiterer Wohnungsgesellschaften als Kreditnehmer in Erscheinung treten zu lassen.“214 Als „weiße Flecken“ waren – neben Franken, das Plett unberücksichtigt ließ – zunächst Baden-Württemberg, Berlin und Hessen verblieben. Im Falle BadenWürttembergs, wo es vor dem Krieg keine gewerkschaftseigene Wohnungsbaugesellschaft gegeben hatte, war das Problem am einfachsten zu lösen. Hier gelang es Plett schnell, ein Unternehmen ausfindig zu machen, das von seinen vorherigen Eigentümern aufgegeben worden war. 1955 erwarb die NHH die „Wohnungsgesellschaft des oberrheinischen Handwerks AG“ in Karlsruhe, die unter ihrem neuen Namen „Gewag Karlsruhe“ auf Jahre hinaus die einzige Aktiengesellschaft in der Unternehmensgruppe blieb.215 Schwieriger lag der Fall in Berlin. Hier gab es zwar mit der GEHAG eine alteingesessene gewerkschaftseigene Wohnungsbaugesellschaft, die zudem in der Weimarer Republik zu einigem Ansehen gelangt war.216 Die Rückerstattungsverhandlungen waren allerdings anders verlaufen als in den anderen Ländern: Anstatt der DAG den Anteil, der ihr zugestanden hätte, auszuzahlen, hatte die Berliner Kommission für Vermögenswerte 1952 entschieden, die Gesellschaft als Ganzes zu erhalten. Da zudem das Land Berlin darauf bestand, an der Gesellschaft beteiligt zu werden, erhielt der DGB nur ein Drittel der Anteile an der GEHAG; die anderen beiden Drittel entfielen auf die DAG und auf das Land.217 Eine Übernahme der Anteile des DGB durch die NHH erschien unter diesen Umständen nicht opportun. Plett verlegte statt dessen den Firmenmantel der rückerstatteten NH Duisburg nach Berlin und versuchte, diese nun in „Neues Heim Berlin“ umbenannte Gesellschaft als Gegengewicht zur GEHAG aufzubauen.218 Im Vergleich zu der mit dem ererbten Vermögen ausgestatteten GEHAG blieb sie aber eine relative Randerscheinung.219 Der Fall GEHAG blieb vorerst ungelöst. Erst 1964 trat sie etwa ein Drittel ihres Wohnungsbestandes an die NH ab, die im Gegenzug ihre Anteile – die sie zwei Jahre zuvor dann doch vom DGB erworben hatte – an die DAG übertrug.220 Vorläufig blieb Berlin eine Lücke in der flächendeckenden Ausgestaltung der Unternehmensgruppe; wegen der Neues Heim Berlin aber nur eine kleine Lücke. Anders in Hessen: Hier klaffte ein großes Loch. Das hatte mit den Auseinandersetzungen um den „Zentralisierungsbeschluß“ von 1954 zu tun. Tarnow war zwar 214 Protokoll Gesamt-AR der der NHH angeschlossenen Wohnungsunternehmen, 21.12.1956, FZH 592–30 I, S. 12. 215 Vgl. GB NHH 1955, S. 17 und GB NHH 1956, S. 15. 216 Vgl. Kap. 2.2.1 dieser Arbeit. 217 Vgl. Notiz für die Besprechung mit dem Regierenden Bürgermeister Willy Brandt. Betrifft: GEHAG, Berlin, 29.8.1960, DGBA-BV, Abt. Vorsitzender, 5/DGAI 1790, S. 1, Schäche 1999, S. 237 sowie Dieter Hanauske, „Bauen, bauen, bauen...!“ Die Wohnungspolitik in Berlin (West) 1945–1961, Berlin 1995, S. 1014. 218 Vgl. GB NHH 1954, S. 15 u. S. 35. 219 Vgl. Aufteilung der Vermögenswerte der GEHAG, Gemeinnützige Heimstätten AG auf die drei Gesellschafter, 24.2.1959, DGBA-BV, Abt. Vorsitzender, 5/DGAI 1790. 220 Vgl. Schäche 1999, S. 239. Daß es sich dabei, wie Schäche schreibt, um einen „mißglückten Übernahmeversuch“ der NHH handelte, ist aus den Akten des DGB und der NH nicht ersichtlich; das Gegenteil allerdings ebensowenig.

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mit seinen Vorschlägen zur Neuorganisation des gewerkschaftseigenen Wohnungsbaus durchgefallen, ein Zugeständnis hatte er jedoch erreichen können: Die Eigenständigkeit der Gewobag Frankfurt blieb von dem Beschluß unangetastet. Eine Übertragung ihrer Gesellschaftsanteile vom DGB auf die NHH bedurfte, so war es 1954 festgelegt worden, der gesonderten Zustimmung des geschäftsführenden DGB-Bundesvorstandes. Zudem war der Gewobag auch das Recht zugestanden worden, im Falle der Notwendigkeit einer Kapitalerhöhung „mit den im Deutschen Gewerkschaftsbund angeschlossenen Gewerkschaften zu verhandeln und dem geschäftsführenden Bundesvorstand entsprechende Vorschläge für eine Kapitalerhöhung zu machen.“221 An dieser Regelung biß sich Plett zunächst die Zähne aus. Hessen blieb damit neben Berlin der letzte noch bestehende „weiße Fleck“ auf der Landkarte der Unternehmensgruppe. Abgesehen davon war die „Reorganisations- und Entwicklungsphase der Unternehmensgruppe“ bis 1956 aber „in ihren wesentlichen Zügen (...) abgeschlossen“.222 Bis zu diesem Zeitpunkt war unter der Ägide der NHH ein Verbund von 26 gemeinnützigen Wohnungsunternehmen entstanden, der nun fast ganz Westdeutschland abdeckte. Mit einem Bestand von knapp 63.000 Wohnungen, einer Bilanzsumme von 1,4 Mrd. DM und mit über 1.300 Beschäftigten – Tendenz in allen Punkten stark steigend – ließ dieser auf den Hinterlassenschaften des lokal orientieren gewerkschaftseigenen Wohnungsbaus der Weimarer Republik aufgebaute Konzern die Konkurrenz weit hinter sich.223 Die nächstgrößeren deutschen Wohnungsunternehmen, die SAGA und die GAGFAH, erreichten zusammen nicht einmal diese Zahlen; und mit den ungeheuren Wachstumsraten des Konzerns konnten sie – trotz der auch bei ihnen expansiven Grundstimmung – ohnehin nicht mithalten, so daß sich der Abstand in den kommenden Jahren noch einmal deutlich vergrößern sollte.224 3.1.3.5 Die Kopfstellenbildung Allerdings kamen diese Wachstumsraten nicht von selbst. Sie mußten hart erarbeitet werden. Denn 1956 war der Konzernverbund nicht viel mehr als ein Sammelsurium von Wohnungsunternehmen mit höchst unterschiedlichen Voraussetzungen. Während etwa die Hamburger Gesellschaften oder auch die Gewoba Bremen wohlorganisiert und wirtschaftlich gesund waren, ließ sich dies von den übrigen Unternehmen nicht gerade behaupten. Im Gegenteil: Die „Neuen Heimaten“ in Nordrhein-Westfalen, Rheinland-Pfalz und Baden-Württemberg boten ein Panop-

221 Beschluß des geschäftsführenden Bundesvorstandes betreffend Neuorganisation gewerkschaftseigener Wohnungsunternehmen, IGM ZwA 2/17 434a, S. 2. 222 50 Jahre NH, S. A 14. 223 Vgl. Anhang, Tabellen 3, 6 und 8. 224 Zu den Vergleichszahlen für SAGA und GAGFAH vgl. GAGFAH 1993, S. 388 u. S. 391 sowie Heinrich Thöns, Geschichte der SAGA (1922–1997), in: Manfred Sack/Heinrich Thöns (Hg.), SAGA. 75 Jahre Siedlungs-Aktiengesellschaft Hamburg 1922–1997, Düsseldorf/München 1997, S. 13–50, hier S. 25 ff.

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tikum nahezu aller möglichen Fehlschläge, die ein Wohnungsunternehmen in der ersten Hälfte der fünfziger Jahre ereilen konnten. So hatte der Geschäftsführer der „Neues Heim Mainz“ die Gesellschaft mehr oder weniger mutwillig in die Verlustzone getrieben, weil er ein Mehrfaches des Stammkapitals in den Kauf von Türen investiert hatte, für die aber keine Bauprojekte vorhanden waren – einfach deshalb, weil er den Hersteller der Türen, mit dem er persönlich gut bekannt war, vor dem Konkurs hatte bewahren wollen. 225 Noch wesentlich schwerwiegender war der Fall der NH Düsseldorf: Dort hatte der Geschäftsführer Grimm der VTG und der NHH zugesichert, die NH Düsseldorf werde die aus dem Rückerstattungsverfahren resultierenden Verpflichtungen gegenüber der DAG problemlos bezahlen können. Das war, wie sich herausstellen sollte, eine äußerst optimistische Prognose: Nachdem die NHH die Gesellschaft übernommen hatte, mußte sie feststellen, daß sie zum Jahresende 1954 einen Verlust von 1,9 Mio. DM aufzuweisen hatte. Da über diesen Bilanzverlust hinaus auch die Liquidität der Gesellschaft akut gefährdet war, benötigte sie zusätzliche Mittel in Höhe von knapp 8 Mio. DM. Zu einem Kapitalschnitt oder gar einem Konkursverfahren konnten sich NHH und DGB allerdings „schon aus Prestigegründen“226 nicht durchringen. Also mußten sie selbst für den Fehlbetrag aufkommen. Mit einer Kapitalaufstockung alleine war es allerdings nicht getan. Grimm, der von der Militärregierung auf den Geschäftsführerposten berufen worden war, hatte „in der Wohnungswirtschaft keinerlei Erfahrungen“227 vorzuweisen gehabt. Unter seiner Leitung waren deshalb gravierende organisatorische Schwächen nicht erkannt oder zumindest nicht behoben worden. Das mußte die NHH nun nachholen: Das Unternehmen wurde unter ihrer Aufsicht komplett umstrukturiert.228 Das Neue Heim Mainz und die NH Düsseldorf stellten mit Sicherheit die Extremfälle unter den von der NHH erworbenen Wohnungsunternehmen dar. Doch auch diejenigen Gesellschaften, deren Geschäftsführer weder korrupt noch unfähig waren, hatten mit großen Schwierigkeiten zu kämpfen. Neben dem Kapitalmangel waren es vor allem ineffiziente Organisationsstrukturen, die ihnen zu schaffen machten. Ihre Verwaltungskosten lagen vielfach weit über dem wirtschaftlich tragfähigen Niveau. Das hatte verschiedene Ursachen; die wichtigsten waren Schwächen im Qualifikationsniveau des Personals und die häufig viel zu geringe Größe der Unternehmen, die es ihnen nicht erlaubte, neue Technologien wie etwa eine maschinelle Buchführung einzusetzen.229 Parallel zur Einbringung der noch außerhalb der Unternehmensgruppe stehenden Gesellschaften bemühte sich die NHH daher seit Ende 1955 um eine Neuorganisation der Konzernstrukturen, die 225 Vgl. Protokoll AR Neues Heim Mainz, 15.6.1954, DGBA, DGB-LB Baden-Württemberg (Fritz Fleck), 31/47, S. 5 f. 226 Protokoll AA NHH, 17.01.1957, IGM ZwA 2/17 265, S. 13. 227 Ebd., S. 12. 228 Vgl. Aktennotiz, betr. Neue Heimat Düsseldorf, Neue Heimat Münster und Westdeutsche Heimbau GmbH, 10.2.1958, DGBA-BV, Abt. Vorsitzender, 5/DGAI 1790 und Aktennotiz, betr. NEUE HEIMAT Düsseldorf, 24.6.1958, ebd. 229 Vgl. Protokoll Arbeitsgemeinschaft gewerkschaftseigener Wohnungsunternehmen, 6./ 7.5.1955, DGBA-BV, Abt. Vorsitzender, 5/DGAI 1499, S. 26 sowie Protokoll AA NHH, 7.6.1956, IGM ZwA 2/17 434, S. 8.

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diese Schwächen korrigieren sollte. Im Kern griff Plett dabei auf das Modell zurück, das in den frühen fünfziger Jahren in Hamburg entstanden war. Dort hatte, wie bereits ausgeführt, die NHH die Betreuung für ihre nur noch juristisch bestehenden Tochtergesellschaften übernommen. Nach diesem Vorbild sollte nun in allen Regionen ein Unternehmen die Führung über die übrigen Gesellschaften übernehmen und als „Kopfstelle“ für diese fungieren.230 Den Anfang einer Neuorganisation nach diesem Schema machten die bayrischen Gesellschaften. Im Oktober 1956 bestimmte die NHH die „Müwog“ in München zur Kopfstelle für Bayern. Als sichtbares Zeichen für ihre Zugehörigkeit zur Unternehmensgruppe wurde sie in „Neue Heimat Bayern“ umbenannt. Außerdem gewährte ihr die NHH eine Kapitalerhöhung von 30.000 DM auf zunächst 1 Mio. und kurze Zeit später 3,5 Mio. DM. Die Gesellschaft sollte, so führte der Geschäftsbericht der NHH für das Jahr 1957 aus, „durch diese Kapitalerhöhung in die Lage versetzt werden, (...) einen Teil derjenigen Aufgaben für die übrigen bayrischen Gesellschaften zu übernehmen, die bisher von diesen allein (...) durchgeführt wurden: Aufgaben der Personal- und Büroorganisation, der gemeinsamen Verwaltung des Wohnungsbestandes, der Zusammenfassung des Rechnungswesens und der Bau- und Betreuungstätigkeit.“231 Zu diesem Zweck übernahm sie mit jeweils 74% den größten Teil des Kapitals an den beiden anderen bayrischen Gesellschaften, der „Auwog“ – nunmehr in „Neues Heim Schwaben“ umbenannt – und der Gewog München, mit denen sie zudem Betreuungsverträge nach Hamburger Muster abschloß. Die übrigen 26% des Kapitals, die Sperrminorität für Satzungsänderungen, blieben in Händen der NHH.232 Auch in Niedersachsen und in Nordrhein-Westfalen konnte dieses System ohne größere Schwierigkeiten installiert werden. Für Niedersachsen übernahm die Gewoba Bremen die Funktion der „Kopfstelle“; ihr angegliedert wurden im Verlauf des Jahres 1957 die Tochtergesellschaften NH Hannover, NH Weser-Ems, die „Hafen“ und die „Nordsee“.233 Bedenken seitens der Gewoba gab es in diesem Fall nicht; die Aussicht, ihren Geschäftskreis über Bremen hinaus ausdehnen zu können, genügte für ihre Zustimmung. Die Tochtergesellschaften selbst waren zu schwach, um gegen die Neuorganisation opponieren zu können. In NordrheinWestfalen war das Bild ähnlich: Hier hatte Plett die NH Düsseldorf zur Kopfstelle ausersehen. Ihr wurden – ebenfalls im Laufe des Jahres 1957 – die NH Münster, die Westdeutsche Heimbau Essen und die Neues Heim Remscheid zugeordnet.234 Etwas komplizierter lag der Fall in Schleswig-Holstein. Dort erschien zwar die NH Kiel als die natürliche Wahl für den Aufbau einer Kopfstellengesellschaft; aber die einzige in Frage kommende Tochtergesellschaft, das „Wohnungsunternehmen der Lübecker Gewerkschaften“, war im Besitz der lokalen Gewerkschaftsorganisationen.235 Diese wollten ihre Anteile behalten, weil das Unterneh230 Vgl. Protokoll AA NHH, 7.6.1956, IGM ZwA 2/17 434, S. 8. Vgl. auch Wallenhorst 1992, S. 220 f. 231 GB NHH 1956, S. 17. 232 Vgl. ebd. 233 Vgl. GB NHH 1957, S. 18 sowie detailliert Wallenhorst 1993, S. 220 ff. 234 Vgl. GB NHH 1957, S. 18 f. 235 Zusammenfassend zu diesem Unternehmen vgl. Brecht/Klabunde 1950, S. 333 ff.

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men seit seiner 1952 beschlossenen Kooperation mit der NHH florierte. Die NHH wollte diese allerdings aufkündigen, weil sie dem Lübecker Geschäftsführer Steffen – zurecht, wie sich später herausstellen sollte – die Veruntreuung von Geldern, die aus der NH-Zentrale stammten, vorwarf. Die lokalen Gewerkschaftsorganisationen stellten sich aber stur und waren weiterhin nicht zu einem Verkauf bereit. Erst Anfang 1958 trat eine Wendung ein, weil die mittlerweile ans Licht gekommenen Verfehlungen Steffens die Position der NHH unterstützen. Erst jetzt konnte sie das Unternehmen erwerben und der NH Kiel eingliedern.236 Auch in Baden-Württemberg gestaltete sich die Kopfstellenbildung problematisch, wenn auch aus anderen Gründen. Die Gewag Karlsruhe erwies sich als sehr schwächlich. Anfängliche Versuche, sie mit der Mainzer Tochtergesellschaft zusammenzuschließen, scheiterten an der Sondersituation im Raum Frankfurt. Deshalb entschloß sich Plett kurzerhand, eine weitere Wohnungsbaugesellschaft zu erwerben – die „Treubau-Gesellschaft Böblingen“, die er nach Stuttgart verlegte und in „Gewog Stuttgart“ umbenannte.237 Deren Stammkapital wurde zunächst auf 500.000 DM, 1958 dann auf 2 Mio. DM erhöht, um sie gezielt als Kopfstellengesellschaft aufzubauen. Das dauerte seine Zeit, aber Ende Oktober 1958 wurde die Gewag Karlsruhe schließlich doch der Gewog Stuttgart eingegliedert, so daß auch hier das bereits geschilderte Organisationssystem zum Einsatz kam.238 Insgesamt hatte die NHH damit eine flächendeckende, dreizügige Organisationsstruktur eingeführt. An der Spitze stand die Muttergesellschaft NHH; eine Stufe darunter die regionalen Kopfstellengesellschaften, die zu 100% der Muttergesellschaft gehörten und von dieser betreut wurden; und zuunterst die lokalen Tochtergesellschaften, die zu 74% den Kopfstellengesellschaften und zu 26% der Muttergesellschaft gehörten und deren Betreuung den Kopfstellengesellschaften oblag. Schon 1957 war dieses System in den meisten Regionen eingeführt worden; bis Oktober 1958 war der so angelegte Umbau des Konzerns – mit den Ausnahmefällen in Berlin und in Hessen – abgeschlossen.239 Unter den Bedingungen der fünfziger Jahre war diese auf den ersten Blick befremdlich erscheinende Konzernstruktur ein genialer Schachzug – und sowohl in organisatorischer Hinsicht als auch mit Hinblick auf das System der „Selbstfinanzierung“. Was die organisatorische Seite betrifft, so ging mit der Ausbildung der dreizügigen Struktur eine straffe Durchstrukturierung des Konzerns einher. Die Hamburger Geschäftsführer zogen sich nun aus den Aufsichtsräten der Untergesellschaften, in denen sie vorher als Hauptanteilseigner vertreten waren, zurück. Dies bedeutete zwar einerseits eine Verlagerung der Aufsichtskompetenz über die236 Vgl. GB NHH 1957, S. 19 sowie zu den Vorgängen um Steffen: Einschreiben an das Wohnungsunternehmen der Lübecker Gewerkschaften, 24.6.1956, IGM ZwA 2/17 434; Protokoll AR NHH, 27.6.1956, IGM ZwA 2/17 434, S. 6 f. und Willi Ginhold, Aktenvermerk betr. ARSitzung Wohnungsunternehmen Lübecker Gewerkschaften, 6.11.1958, DGBA-BV, Abt. Vorsitzender, 5/DGAI 1790, S. 3 f. 237 Vgl. Protokoll AA NHH, 30.10.1956, IGM ZwA 2/17 434, S. 10 f. 238 Vgl. Willi Ginhold, Aktenvermerk betr. AR-Sitzung Gewog Stuttgart, 28.10.1958, DGBABV, Abt. Vorsitzender, 5/DGAI 1790, S. 2. 239 Vgl. GB NHH 1958, S. 23 f. sowie GB NHH 1959, S. 25. Zu den Abweichungen von dieser Regel im Fall der Hamburger Tochtergesellschaften und der UBB vgl. Kap. 4.1.2.1 und Kap. 4.2.1.2 dieser Arbeit.

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se Unternehmen in die Hände lokaler Gewerkschaftsvertreter; andererseits wurden die Untergesellschaften aber gleichzeitig ihrer Entscheidungskompetenzen fast vollständig beraubt und zum ausführenden Organ der Kopfstellengesellschaften degradiert.240 Diese wiederum konnten von der um die Aufsicht bei den Untergesellschaften befreiten Hamburger Geschäftsführung nun weitaus effektiver kontrolliert werden als zuvor. Plett bzw. Vietor übernahmen in den Kopfstellengesellschaften jeweils den Aufsichtsratsvorsitz und sorgten dafür, daß dort im Sinne der Muttergesellschaft entschieden wurde.241 Das ging nicht ohne Konflikte ab; aber letztendlich sorgten die neuen Verhältnisse dafür, daß die Hamburger in diesen Konflikten stets die Oberhand behielten. Insgesamt gelang es ihnen auf diesem Wege sehr gut, die Willensbildung innerhalb des Konzerns zu dirigieren. Die Gewerkschaften waren von Pletts harter Hand geradezu begeistert: Walter Dudek wies schon im März 1957 im Aufsichtsrat darauf hin, „daß die durch die ‚Neue Heimat‘ Hamburg geschaffene straffe Organisation Erfolg hat. Der DGB (...) braucht sich deshalb im Wohnungsbausektor keinerlei Sorgen zu machen.“242 Allerdings hatte diese Zufriedenheit nicht allein mit der organisatorischen Ordnung des Konzerns zu tun. Mindestens ebenso wichtig waren die Auswirkungen der Kopfstellenbildung auf das System der Selbstfinanzierung. Denn die 1956 zum Konzernkreis gehörenden 26 Wohnungsunternehmen verfügten – inklusive der Muttergesellschaft – zwar über ein nominelles Stammkapital von insgesamt rd. 62,5 Mio. DM; doch bei den von ihr neu erworbenen Unternehmen und den von ihr vorgenommenen Kapitalerhöhungen hatte die NHH regelmäßig nur die gesetzlich geforderten 25% des Kapitals tatsächlich eingezahlt, während die übrigen 75% erst noch verdient werden sollten. Ende 1956 waren deshalb innerhalb des Konzerns noch Einzahlungen in Höhe von knapp 13,4 Mio. DM zu leisten.243 Diese ausstehenden Beträge sollten durch den Ausbau der Überschüsse aus der Betreuungstätigkeit erwirtschaftet werden. Deshalb bildete die Systematisierung der „Selbstfinanzierung“ ein zentrales Anliegen der „Kopfstellenbildung“.244 Während die NHH bis 1956 für alle ihr angeschlossenen Gesellschaften als betreuende Instanz agiert hatte, schloß sie nun jeweils Betreuungsverträge mit den neugebildeten Kopfstellengesellschaften ab. Die Überschüsse, die sie auf diese Weise erzielte, sollte sie in Form von Kapitalerhöhungen an die Kopfstellengesellschaften zurückgeben. Dieses System kam – und das war die eigentliche Neuerung – eine Ebene tiefer wiederum zu Einsatz: Die Kopfstellengesellschaften betreuten ihrerseits die lokalen Tochtergesellschaften, erzielten daraus Überschüsse und weiteten mit diesen Überschüssen die Kapitalbasis der Tochtergesellschaften aus. Die Betreuung und damit die Selbstfinanzierung sollten also „grundsätzlich nur noch zwischen der ‚Neue Heimat‘ und den Kopfgesellschaften einerseits und zwischen den Kopfgesellschaften und Untergesellschaften andererseits erfolgen.“245 Gegenüber dem vorherigen System ohne Kopfstellengesellschaften bot diese Vor240 241 242 243 244 245

Vgl. Protokoll AA NHH, 7.6.1956, IGM ZwA 2/17 434, S. 8. Vgl. Protokoll AA NHH 14.3.1958, IGM ZwA 2/17 265, S. 4 f. Protokoll AR NHH, 8.3.1957, IGM ZwA 2/17 286, S. 4. Berechnet nach GB NHH 1956, S. 46 f. sowie Statustableau 31.12.1956, IGM ZwA 2/17 269. Vgl. Protokoll AA NHH 7.6.1956, ZwA 2/17 434, S. 8. Ebd., S. 12.

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gehensweise gewichtige Vorteile: Sie ermöglichte eine weitere Rationalisierung, weil einige der Verwaltungen der kleineren Unternehmen eingespart wurden. Durch die Personalunion und die Bürogemeinschaft, wie sie etwa zwischen den drei nordrhein-westfälischen Gesellschaften eingerichtet wurde, konnten diese ihre Verwaltungskosten minimieren.246 Die Rationalisierungseffekte, die hiermit verbunden waren, schlugen sich innerhalb kürzester Zeit in dem Ergebnis der Selbstfinanzierung nieder. Wie vergleichsweise effizient die Organisation der Unternehmensgruppe war, zeigte sich schon daran, daß die NHH selbst aus der Betreuung der Hausbewirtschaftung, die für die meisten anderen Wohnungsunternehmen ein Verlustgeschäft darstellte, noch Gewinne schöpfen konnte – allerdings keine besonders großen: 1957 etwa 360.000 DM, 1958 nur noch 190.000 DM. 247 Der weitaus größere Teil der Ergebnisse aus der „Selbstfinanzierung“ entfiel aber auf die Baubetreuung. Hier kamen die Vorteile der großen Organisation besonders deutlich zum Tragen. Während die NHH zwischen 6,5 und 6,8% der Bausumme als Betreuungsgebühren abrechnen durfte, kam sie mit ihrer eingespielten Organisation de facto mit einem Regiekostensatz von etwas über 2% aus. Sie benötigte also nur ein Drittel ihrer Einnahmen aus der Baubetreuung für die Deckung der dabei entstehenden Kosten; der Rest konnte als Überschuß verbucht werden. Dieser Überschuß belief sich 1957 noch auf 2,35 Mio. DM, 1958 – nach Abschluß der Kopfstellenbildung – aber bereits auf 6,65 Mio. DM. Insgesamt erwirtschaftete die NHH aus Hausbewirtschaftung und Baubetreuung nach Abzug aller Kosten und Steuern zwischen 1954 und 1958 etwa 16 Mio. DM.248 Diese Summe überstieg die gemeinnützigkeitsrechtlich vorgesehene vierprozentige Dividende, die auf das tatsächlich eingezahlte, nicht auf das nominale Stammkapital zu zahlen war, um etwa das Zehnfache. Der nach Abzug der Gewinnausschüttung verbleibende Überschuß wurde zur Einzahlung auf das Stammkapital der Kopfstellengesellschaften und zur Stärkung der Rücklagen verwendet. So steigerte die NHH, die 1956 erst 63% des von ihr gezeichneten Kapitals eingezahlt hatte, diese Quote bis 1958 auf 95,5% – und das, obwohl das in ihren Beteiligungen gebundene nominelle Kapital im gleichen Zeitraum von 32,3 Mio. DM auf 43,7 Mio. DM anstieg. Anders formuliert: Innerhalb von zwei Jahren erhöhte die Gesellschaft ihre realen Einlagen bei Kopfstellen- und Tochtergesellschaften um 21,3 Mio. DM (die Differenz zu den Gewinnen aus der „Selbstfinanzierung“ brachte sie aus Einzahlungen auf ihr eigenes Kapital sowie aus Krediten auf).249 Hinzu kam noch, daß auch bei den regionalen Kopfstellengesellschaften Gewinne aus der „Selbstfinanzierung“ anfielen. Über deren genaue Höhe sind Details leider nicht bekannt. Einen groben Anhaltspunkt bietet aber die Tatsache, daß die 246 Vgl. ebd., S. 10 f. 247 Vgl. Verband Norddeutscher Wohnungsunternehmen, Bericht über die Prüfung der „Neue Heimat“ Gemeinnützige Wohnungs- und Siedlungsgesellschaft m.b.H. Hamburg, Jahresabschluß 1957, 11.3.1959, IGM ZwA 2/17 442, Ziff. a117 und ders., Bericht über die Prüfung der „Neue Heimat“ Gemeinnützige Wohnungs- und Siedlungsgesellschaft m.b.H. Hamburg, Jahresabschluß 1958, Teil II: Geschäftsführung und wirtschaftliche Verhältnisse, 2.12.1959, IGM ZwA 2/17 442a, Ziff. a83. 248 Vgl. ebd. 249 Vgl. GB NHH 1956, S. 46 f. und GB NHH 1958, S. 38 f.

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realen Erhöhungen des Gesellschaftskapital aller der NHH angeschlossenen gemeinnützigen Wohnungsunternehmen zwischen 1956 und 1958 die von der Muttergesellschaft übernommenen Erhöhungsbeträge um 7,2 Mio. DM übertrafen.250 Diesen Differenzbetrag hatten die Kopfstellengesellschaften also selbst aufgebracht. Er war sicherlich nicht vollständig aus der Selbstfinanzierung, sondern zum Teil auch aus Krediten finanziert; aber wenn der Kreditanteil des Beteiligungserwerbs bei den Kopfstellengesellschaften etwa gleich hoch war wie bei der Muttergesellschaft (knapp 50%), dann waren bei den diesen zwischen 1956 und 1958 Selbstfinanzierungsergebnisse in Höhe von etwa 3,5 Mio. DM angefallen. Das war in jedem Falle genug, um die Eigenkapitalprobleme der Untergesellschaften auf absehbare Zeit zu lösen. Plett zeigte sich 1960 dementsprechend zufrieden: „Das für die Bautätigkeit erforderliche Eigenkapital“, so resümierte er, sei „zu einem sehr großen Prozentsatz selbst verdient worden.“251 Dazu hatte die Kopfstellenbildung einen erheblichen Beitrag geleistet. Einen Schwachpunkt gab es in diesem System allerdings auch nach der Reorganisation der Konzernstrukturen noch: Das war die Kapitalausstattung der NHH selbst. Bis Ende 1955 belief sie sich auf lediglich 5 Mio. DM. Die Möglichkeit, diese Kapitalbasis auf dem Wege der „Selbstfinanzierung“ zu verbreitern, bestand nicht. Die NHH war allerdings viel zu erfolgreich, um sich auf Dauer einer solch schmalen Eigenkapitalbasis ausliefern zu können. Vor allem angesichts ihrer zahlreichen Beteiligungen argumentierte Plett im Juli 1955, daß eine Erhöhung des Eigenkapitals „unbedingt erforderlich“252 sei. Gleichzeitig bot er dem DGB eine elegante Lösung für dieses Problem an: Die 25%ige Einzahlung auf die angepeilte Erhöhung, die laut GmbH-Gesetz unmittelbar zu leisten war, könne der DGB, so schlug er vor, durch die Einbringung der zu diesem Zeitpunkt noch von der VTG gehaltenen Anteile an der Gewobag Kassel und an den niedersächsischen Gesellschaften aufbringen. Die übrigen 75% könnten nach und nach durch Gutschrift der dem DGB zustehenden Dividenden aufgebracht werden.253 Ohne einen Pfennig zu bezahlen, bewerkstelligte die VTG so eine Kapitalerhöhung um 20 Mio. DM.254 Allerdings war die NHH mit ihrem Stammkapital von nunmehr 25 Mio. DM, das nicht einmal zur Hälfte einbezahlt war, auch weiterhin unterkapitalisiert. Der Grund dafür war simpel: Es war der auch weiterhin anhaltende Erfolg. Nachdem das extensive – also durch den Zukauf von Wohnungsunternehmen angeheizte – Wachstum der Unternehmensgruppe seit 1956 bis auf einige Ausnahmen abgeschlossen war, flachte die Wachstumskurve zwar langsam ab; aber die Bauausgaben stiegen 1957 immer noch um 26% und 1958 – einem Jahr rückläufiger Wohnungsbaukonjunktur – um immerhin noch 12% auf nun 364 Mio. DM. Damit hatten sie sich gegenüber 1955 nahezu verdoppelt. Sogar mehr als verdoppelt hatte sich in diesem Zeitraum die Bilanzsumme: Sie belief sich mittlerweile auf knapp

250 251 252 253 254

Berechnet nach ebd. Protokoll Gesamt-AR UG NH, 11./12.1.1960, IGM ZwA 2/17 286, S. 5. Auszug Protokoll AA NHH, 15.7.1955, DGBA-BV, Abt. Finanzen, 24/1975, S. 1. Vgl. ebd., S. 2. Vgl. Protokoll GBV 28.11.1955, DGBA-BV, Abt. Finanzen, 24/373, S. 2.

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2,2 Mrd. DM. Damit war der Bilanzanteil des einbezahlten Kapitals auf 0,6% gesunken; und für die nächsten Jahre stand weiteres Wachstum zu erwarten.255 Die Kapitalbasis der NHH war damit erneut viel zu klein geworden. Wiederholt drängte Plett daher den DGB dazu, wenigstens die Einzahlungen auf das bereits gezeichnete Stammkapital zu leisten, nicht zuletzt deshalb, weil er Ärger mit dem Prüfungsverband befürchtete.256 Dem konnten sich die Gewerkschaften nach anfänglichem Widerstand nicht verschließen. Bezahlen konnten sie es allerdings auch nicht, zumal just zu diesem Zeitpunkt die Fusionierung der Gemeinwirtschaftsbanken zur Debatte stand. Auch hier waren die Gewerkschaften finanziell gefordert, weil sie vor der Fusionierung die Aktien der GEG ablösen mußten – Kostenpunkt: 14 Mio. DM.257 Die Lösung des Problems lag in einer Vorgehensweise, die 1952 noch gescheitert war: in einer Beteiligung der Industriegewerkschaften an der Unternehmensgruppe. Der DGB beschloß 1958, seine Anteile an der NHH teilweise auf diese zu überschreiben, wenn sie sich im Gegenzug verpflichteten, die ausstehenden Zahlungen auf diese Anteile zu übernehmen.258 Ernsthafte Gegenwehr von den Industriegewerkschaften gab es diesmal nicht: Immerhin übernahmen sie nun Anteile an einem Unternehmen, das, anders als sechs Jahre zuvor, wirtschaftlich gesund und höchst erfolgreich war. Mit dieser Veränderung der Kapitalstrukturen kam die organisatorische Entwicklung der Unternehmensgruppe in den fünfziger Jahren zu einem vorläufigen Abschluß – abgesehen von der Frage der Organisation der hessischen Gesellschaften, auf die gleich noch einzugehen sein wird. Insgesamt war unter der Regie Pletts innerhalb von nur vier Jahren ein florierender, einheitlich durchstrukturierter und bundesweit agierender Großkonzern entstanden. Angestoßen von dem Überschuß an Kapitalmarktmitteln, die der NHH in Hamburg zur Verfügung gestanden hatten, mündete Pletts Strategie, die Unternehmensgruppe zu einem flächendeckenden Verbund gemeinnütziger Wohnungsunternehmen auszubauen, in einer Art Tugendkreis. Die durch den Überschuß an Kapitalmarktmitteln mögliche Ausdehnung des Konzerns ermöglichte ihrerseits wieder einen verbesserten Zugriff auf den Kapitalmarkt, weil sie die Kreditfähigkeit der Unternehmensgruppe erhöhte. Gleichzeitig bot sie mit dem Finanzierungssystem, auf das Plett 1950 gestoßen war, auch eine Möglichkeit, diese Expansion aus sich selbst heraus zu finanzieren. Die economies of scale, die sich der NH in der Marktsituation der fünfziger Jahre – mit einem riesigen Wohnungsdefizit und einem fast exklusiven Zugang zu einer der wichtigsten Ressourcen, dem Kapitalmarkt – boten, waren enorm; und mit dem Erbe der vielen kleinen gewerkschaftseigenen Wohnungsbaugesellschaften aus der Zwischenkriegszeit konnte die NHH sie auch problemlos nutzen. Die Konzernbildung ging deshalb nicht nur auf 255 Vgl. Daten über die Entwicklung der Unternehmensgruppe in der Zeit von 1948 bis 1962, IGM ZwA 2/17 265. 256 Vgl. Protokoll AA NHH, 10.5.1957, IGM ZwA 2/17 286, S. 2 f. 257 Vgl. Protokoll BV 22.10.1958, DGBA-BV, Abt. Vorsitzender, 5/DGAI 531, S. 8 ff., auch abgedruckt in: Jens Hildebrandt (Hg.), Der Deutsche Gewerkschaftsbund 1956–1963 (Quellen zur Geschichte der deutschen Gewerkschaftsbewegung im 20. Jahrhundert Bd. 12), Bonn 2005, S. 365 ff. 258 Vgl. GB NHH 1958, S. 25.

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Pletts – sicherlich auch vorhandenen – „Machthunger“ zurück. Sie hatte eine innere Logik. Unter den Anforderungen der ersten Hälfte der fünfziger Jahre, d. h. angesichts eines dramatischen Wohnungsdefizits, das mit einer außergewöhnlich schwierigen Lage am Kapitalmarkt einherging, war dieser Konzentrationsprozeß die conditio sine qua non einer umfassenden Wohnungsbautätigkeit. 3.1.4 Eine gescheiterte Alternative zur Konzernbildung: Die Gewobag Frankfurt Wie zwingend diese Konzentrationsbewegung unter den spezifischen Bedingungen der fünfziger Jahre war, zeigte sich an zwei Dingen. Zum einen entsprach sie in vollem Maße dem Branchentrend, der in diesem Zeitraum von einem weit überdurchschnittlichen Wachstum großer Kapitalgesellschaften geprägt war. Hiervon wird an anderer Stelle noch ausführlicher zu sprechen sein.259 Zum anderen illustriert auch das Schicksal alternativer Strategien des gemeinnützigen Wohnungsbaus in diesem Zeitraum die Vorteile, die Pletts Konzernmodell bot. Um das zeigen zu können, muß man nicht lange nach passenden Vergleichsmöglichkeiten suchen. Schließlich gab es unter den gewerkschaftseigenen Wohnungsunternehmen eines, das auch über 1954 hinaus einen ganz anderen Kurs verfolgte als den, den die NHH eingeschlagen hatte: die Gewobag Frankfurt. An ihrem Beispiel zeigte sich besonders deutlich, daß der Rückbezug auf die Tradition des gewerkschaftseigenen Wohnungsbaus der Weimarer Republik den veränderten Rahmenbedingungen der frühen Bundesrepublik nicht gerecht zu werden vermochte und im Wettbewerb mit dem konkurrierenden System von Heinrich Plett unterlegen war. Denn der alternative Kurs der Gewobag scheiterte mit Pauken und Trompeten. An einem Faktor lag das allerdings nicht: an organisatorischen Schwächen. Im Gegensatz zu vielen anderen gewerkschaftseigenen Wohnungsunternehmen war die Gewobag unter Tarnows fachmännischer Leitung ordentlich geführt.260 Das Hauptproblem lag an anderer, allerdings ebenso typischer Stelle: Der Gewobag Frankfurt gelang es nicht, eine ausreichende Eigenkapitalbasis aufzubauen. Durch eine konjunkturell bedingte Abkühlungsphase im Wohnungsbau spitzte sich dieses Problem 1955/56 noch zu. Der Prüfungsverband machte der Geschäftsführung deutlich, daß das Unternehmen langfristig kaum würde überleben können. „Die Liquiditätsuntersuchung“, so war in seinem Bericht für das Jahr 1956 zu lesen, „zeigt eine erhebliche Finanzlücke, die nur durch Zufluß neuen Kapitals geschlossen werden kann, damit eine Finanzkrise vermieden wird.“261 Im Aufsichtsrat wurden die Vertreter des Verbandes noch deutlicher: „Der Anteil des Eigenkapitals 259 Vgl. Kap. 3.3.2 und Kap. 4.2.1.1 dieser Arbeit. 260 Vgl. Verband südwestdeutscher Wohnungsunternehmen e. V., Bericht über die Prüfung der „GEWOBAG“ Gemeinnützige Wohnungs- und Siedlungsbau-Gesellschaft mit beschränkter Haftung, Jahresabschluß zum 31.12.1955, 30.4.1957, IGM ZwA 2/17 439, S. 57. 261 Verband südwestdeutscher Wohnungsunternehmen e. V., Bericht über die Prüfung der „GEWOBAG“ Gemeinnützige Wohnungs- und Siedlungsbau-Gesellschaft mit beschränkter Haftung, Jahresabschluß zum 31.12.1956, 8.2.1958, IGM ZwA 2/17 439a, S. 47. Die sehr dürftig belegte These von Haag 1995, S. 22, die Gewobag habe sich wirtschaftlich besser gestanden als die in der Unternehmensgruppe zusammengeschlossenen Gesellschaften, ist nicht haltbar.

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am Gesamtkapital wird trotz der zwischenzeitlich erfolgten Kapitalerhöhungen als zu gering bezeichnet. Weitere Kapitalerhöhungen, von deren Umfang die künftige Bautätigkeit abhänge, seien dringend nötig.“262 Der Gewobag fehlte allerdings nicht nur das Eigenkapital, sondern auch der Zugang zum Kapitalmarkt. Plett wußte diesen strategischen Vorteil geschickt zu nutzen. Über die Gewobag Kassel, die bereits zum Konzernverbund gehörte, machte er 1956 der hessischen Landesregierung in Anlehnung an eine Finanzierungsmethode, die kurz zuvor in Bremen Gesetz geworden war, ein Angebot, das diese nicht ablehnen konnte. Er schlug ihr ein Bauprogramm von 10.000 Wohnungen vor, für das er 95 Mio. DM auf dem Kapitalmarkt beschaffen wollte, wenn das Land sich bereiterklärte, diese Mittel mit Zuschüssen auf die Zinszahlungen zu unterstützen.263 Das Land, das 1956 im Wohnungsneubau um über 30% hinter den Bundesdurchschnitt zurückgefallen war, nahm dieses Angebot mit Freuden auf und ging auch sofort auf eine Bedingung ein, die Plett gestellt hatte: Mindestens 5.000 der mit dem von der NHH beschafften Geld zu errichtenden Wohnungen sollte die Unternehmensgruppe nach seinem Willen selbst bauen dürfen.264 Damit geriet Plett allerdings in Konflikt mit der Gewobag. Denn das Land verlangte, daß das Bauprogramms schwerpunktmäßig in Südhessen durchgeführt werde – genau in dem Bereich, den die Gewobag bisher eifersüchtig gegen die Unternehmensgruppe verteidigt hatte. Gänzlich ohne die Gewobag aber hätte diese das Programm nicht durchführen können, weil ihr das für die Baudurchführung erforderliche local knowledge fehlte. Umgekehrt aber bestand auf Seiten der Gewobag eine erhebliche Abneigung gegen eine Zusammenarbeit mit der NHH.265 Dennoch einigten sich Plett und Tarnow überraschend schnell auf die Bildung einer Arbeitsgemeinschaft, an der die NHH, die Gewobag Frankfurt und die Gewobag Kassel beteiligt sein sollten und in der „jede der drei Gesellschaften das zu den Bauvorhaben beiträgt, was die andere in der Regel nicht beitragen kann, und zwar die Frankfurter Gesellschaft die örtliche Geländebeschaffung und Baudurchführung sowie ständige Vermögensverwaltung im südhessischen Raum, die Kasseler Gesellschaft das Gleiche im nordhessischen Raum, die Hamburger Gesellschaft die Mittelbeschaffung.“266 Institutionell sollte diese Arbeitsgemeinschaft die Form einer gemeinnützigen GmbH annehmen, an der die NHH mit 26%, die beiden anderen Gesellschaften mit je 37% beteiligt werden sollten. Dazu wollten Plett und Tarnow den bestehenden Mantel der NH Ost-Hannover nach Frankfurt verlegen und in „Neues Heim“ Hessen umbenennen. Trotz „gewisse[r] Bedenken“ seitens der Geschäftsführung und trotz des erheblichen Mißtrauens gegenüber den Motiven der NHH – Jakob Knöss mutmaßte sogar, daß durch diese Arbeitsgemeinschaft „unter Umständen der Grundstein ge-

262 Protokoll AR Gewobag Frankfurt, 14.6.1957, IGM ZwA 2/17 435, S. 2. 263 Vgl. Rundschreiben Pletts an die Mitglieder des Aufsichtsrates der NHH, 14.9.1956, IGM ZwA 2/17 434. 264 Vgl. ebd. sowie Protokoll AR Gewobag Frankfurt, 19.10.1956, IGM ZwA 2/17 434, S. 7. 265 Vgl. Protokoll AR Gewobag Frankfurt, 19.10.1956, IGM ZwA 2/17 434, S. 7. 266 Vereinbarung der Geschäftsführer der Gewobag Frankfurt, der Gewobag Kassel und der Neue Heimat Hamburg, 10.9.1956, IGM ZwA 2/17 434, S. 1.

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3. „Wohnungen, Wohnungen und nochmals Wohnungen“

legt werden [könne] zur Reorganisation der ganzen Angelegenheit“267 – stimmte der Aufsichtsrat der Gewobag einer Beteiligung an dieser neuen Gesellschaft zu. Dafür gab es handfeste Gründe. Zum einen befürchtete Tarnow, die NHH könne auch ohne die Gewobag aktiv werden oder gar den DGB-Bundesvorstand auf ihre Seite ziehen, um die Durchführung dieses prestigereichen Projektes zu erzwingen. Gewichtiger waren aber die Implikationen für die Unternehmensfinanzierung. Schließlich erwartete die Gewobag, daß sie „nach der derzeitigen Kapitalmarktsituation das Wohnungsbauvolumen 1957 nicht aufrecht erhalten werden könne.“268 Das bedeutete, daß die Rentabilität der Gesellschaft wiederum stark gefährdet sein würde. Die Betreuungstätigkeit für die neue Gesellschaft eröffnete eine vielversprechende Möglichkeit, diesem Problem entgegenzuwirken. Denn letztendlich ermöglichte es die in Aussicht genommene Konstruktion der Gewobag, die zentrale Mittelbeschaffung durch die NHH wahrzunehmen, ohne gleichzeitig dem Konzernverbund angehören zu müssen. Damit war allerdings die raison d‘être der Gewobag dahin. Die NHH verschwendete denn auch keine Zeit, auf diesen Umstand hinzuweisen. Noch bevor der erste Grundstein gelegt war, ging Plett in die Offensive. Offensichtlich hatte er – wie Knöss es befürchtet hatte – von vornherein den Gedanken gehegt, die neue Gesellschaft als Auslöser für eine Ausdehnung der Unternehmensgruppe nach Südhessen zu nutzen und sie Zug um Zug zur Kopfstelle für das gesamte Bundesland auszubauen. Das kam schon in der Namensgebung zum Ausdruck, denn entgegen aller Absprachen ließ Plett die Gesellschaft im Juni 1957 in „Neue Heimat Hessen“ umbenennen. Er gab ihr damit den Namen, den auch die Kopfstellen in den übrigen Ländern nach und nach bekommen sollten. Das war als Affront gedacht und wurde in Frankfurt auch so verstanden.269 Es war offensichtlich, daß Plett die Lücke im Aufbau der Unternehmensgruppe ein Dorn im Auge war. Eine Chance zur Schließung dieser Lücke ergab sich dann aus einer Verlegenheit. Da Frankfurt als Partner für den Konzernaufbau ausfiel, hatte die Geschäftsführung in Hamburg zunächst geplant, das nach wie vor schwächelnde „Neue Heim“ Mainz und die neu erworbene Gewag in Karlsruhe mit der Gewog Stuttgart zusammenzufassen.270 Das erwies sich allerdings als wenig praktikabel, weil keine der drei Gesellschaften wirtschaftlich in guter Verfassung war. Hinzu kam noch, daß der Mainzer Geschäftsführer Volker Berberich offenbar wenig mehr von seinem Fach verstand als sein unglückseliger Vorgänger. Seine Nachfolger fanden jedenfalls harte Worte: „unbeschreiblich und unfaßbar“,271 so urteilten sie, seien die Zustände in dem Unternehmen. Auf der Suche nach einem geeigneten Nachfolger für Berberich konnte Plett allerdings nicht auf die mit sich selbst ausreichend beschäftigten baden-württembergischen Gesellschaften zählen. Statt dessen wandte er sich 1958 dann doch an die räumlich nahe Gewobag Frankfurt. Tarnow ließ 267 268 269 270

Protokoll AR Gewobag Frankfurt, 19.10.1956, IGM ZwA 2/17 434, S. 7 f. Vgl. ebd., S. 6. Vgl. Protokoll AR Gewobag, 14.6.1957, IGM ZwA 2/17 435, S. 5 f. Vgl. Protokoll AA NHH, 8.10.1957, IGM ZwA 2/17 265, S. 4 sowie hierzu und zum folgenden Weinert 1994, S. 142 ff. 271 Aktennotiz betr. Neues Heim Mainz, 7.2.1958, DGBA-BV, Abt. Vorsitzender, 5/DGAI 1790, S. 1.

3.1 Die Neue Heimat Hamburg und die Entstehung des Großkonzerns

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sich von der Aussicht ködern, die Mainzer Gesellschaft schließlich selbst übernehmen zu können, um so die langfristigen Überlebenschancen seines eigenen Unternehmens zu sichern. Deshalb trat er im Februar 1958 zusammen mit dem Geschäftsführer der Gewobag Kassel, Rudi Löwe, auch in die Geschäftsführung der NH Mainz ein. Gleichzeitig aber bat er an Plett darum, die von der NHH gehaltenen Anteile an der Neues Heim erwerben zu dürfen.272 Allerdings ließ ihn nun der DGB im Stich. Aufgrund der viel zu geringen Eigenkapitalbasis der Gewobag hatte diese sich eine Kapitalerhöhung von 1,5 Mio. DM verordnet, an der sich die VTG des DGB zur Hälfte beteiligen wollte. Aufgrund eigener finanzieller Schwierigkeiten sah sie sich aber nicht dazu in der Lage, mehr als 150.000 DM aufzubringen. Der Gewobag fehlten also plötzlich 600.000 DM in der Kalkulation, und der Kaufpreis für die Mainzer Gesellschaft von nominal 1 Mio. DM war hierbei noch gar nicht berücksichtigt.273 Die beiden nun im Raum stehenden Probleme, die Frage der Kapitalerhöhung bei der Gewobag und die Frage der Einbeziehung der Mainzer Gesellschaft in den hessischen Raum, verknüpfte Plett geschickt. Eine Veräußerung der Neues Heim an die Gewobag lehnte er ab. Statt dessen stellte er Tarnow in Aussicht, 74% der Anteile der NHH an der NH Mainz als Kapitalerhöhung in die Gewobag einzubringen. Das hätte zwar einerseits dazu geführt, daß Tarnows Wunsch, die Kontrolle über die NH Mainz zu gewinnen, Wirklichkeit geworden wäre; andererseits wäre dann aber die NHH zum Miteigentümer der Gewobag geworden.274 Im August 1958 hatte Tarnow eine solche Lösung noch abgelehnt. Wegen der mangelnden Bereitschaft der VTG, sich an den nötigen Kapitalerhöhungen zu beteiligen, hatte er nun keine Alternative mehr. Er mußte sich darauf einlassen und darüber hinaus sogar noch einer weiteren Forderung Pletts nachgeben: der Forderung, daß die Miteigentümerschaft der NHH schlußendlich in einer Kopfstellenbildung in Hessen und damit in einer Einbeziehung aller hessischen Gesellschaften in die von Hamburg gesteuerte Unternehmensgruppe münden sollte.275 Immerhin konnte Tarnow aber durchsetzen, daß hierfür zunächst nur die Vorgehensweise, aber kein fester Zeitrahmen fixiert wurde. Und noch in einem weiteren Punkt errang er einen kleinen Sieg. Plett hatte vorgehabt, die NH Hessen zur Kopfstelle auszubauen und die Gewobag Frankfurt an den Rand zu drängen. Tarnow hielt dem entgegen, daß die NH Hessen nicht einmal eigenes Personal habe, während die Gewobag auf eine 25jährige Tradition zurückblicken könne und über einen hervorragenden Ruf verfüge. Der Aufsichtsrat der NHH gab ihm recht und beschloß, daß in der letzten Phase der Kopfstellenbildung „die GEWOBAG Frankfurt zur Kopfstelle ausgebildet werden“276 sollte. 272 Vgl. Schreiben Tarnow an Plett, 27.8.1958, DGBA-BV, Abt. Vorsitzender, 5/DGAI 1790. 273 Vgl. Protokoll AR Gewobag, 13.12.1958, IGM ZwA 2/17 435, S. 2 f. 274 Vgl. Schreiben der NHH an die Geschäftsführung der Gewobag, betr. Neues Heim Mainz, 16.9.1958, DGBA-BV, Abt. Vorsitzender, 5/DGAI 1790 sowie Besprechung zwischen den Herren Tarnow, Löwe, Plett, Vietor, Beyn, Dr. Klüber, betr. Organisationsfragen der gewerkschaftseigenen Wohnungsunternehmen in Hessen, Rheinland-Pfalz, Saar, 24.11.1958, IGM ZwA 2/17 269, S. 1 f. 275 Vgl. ebd., S. 2. 276 Protokoll AR NHH, 4.12.1958, S. 7, IGM ZwA 2/17 286.

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3. „Wohnungen, Wohnungen und nochmals Wohnungen“

Darüber hinaus gab der Aufsichtsrat grünes Licht für eine Kapitalerhöhung bei der Gewobag. Die Frage des Zeitpunktes der Kopfstellenbildung blieb aber offen. Damit hatte Tarnow seinem Unternehmen eine kleine Atempause verschafft, die allerdings – soviel war absehbar – nur bis zur nächsten Lücke in der Eigenkapitaldecke der Gewobag halten würde. Die NHH trug ihren Teil dazu bei, diese Lücke so schnell wie möglich herbeizuführen: Sie versuchte unter verschiedenen Vorwänden, ihren Anteil an der Kapitalerhöhung so lange wie möglich zurückzuhalten.277 Die wirtschaftliche Lage der Gewobag verschlechterte sich dadurch noch weiter. Zudem war ihre Ertragssituation letztendlich von ihrer über die NH Hessen organisierten Anlehnung an die Unternehmensgruppe geprägt. Als der Aufsichtsrat Ende 1959 den Abschluß des vorangegangenen Jahres diskutierte, kam dieses Problem zur Sprache. DGB-Finanzvorstand Stühler rechnete vor, daß der ausgewiesene Gewinn nur aufgrund der Zusammenarbeit mit der NH Hessen zustande gekommen war und daß ohne diese „im Jahre 1958 mit roten Zahlen hätte operiert werden müssen.“278 Außerdem hatte die Bilanzprüfung ergeben, daß aufgrund der stetig steigenden Eigenkapitalerfordernisse für den Wohnungsneubau über kurz oder lang eine weitere Kapitalerhöhung – über die 1958 beschlossene, aber noch immer nicht vollzogene hinaus – unvermeidbar sein würde. Damit war die Geduld und auch die Zahlungsfähigkeit des DGB erschöpft. Der Bundesvorstand sah sich nicht in der Lage, „mehr als die bereits in den Wohnungsbaugesellschaften investierten DM 36 Millionen zu geben“279 – zumal in Form einer Integration der Gewobag in die Unternehmensgruppe eine Alternative bereitstand, der aus Sicht der Gewerkschaften keinerlei sachliche, sondern nur noch persönliche Motive entgegenstanden. Stühler drängte deshalb nunmehr darauf, „dass auch in Hessen eine Kopfstelle gebildet werden sollte, um das Organisationsschema zu Ende zu führen.“280 Damit war auch das Urteil über den „Sonderweg“ der Gewobag gesprochen. Otto Brenner, dessen Unterstützung das Unternehmen 1954 noch vor Pletts Zugriff bewahrt hatte, brachte die Lehren aus der etwa fünfjährigen Konkurrenzsituation zwischen NHH und Gewobag auf den Punkt. Er erklärte, „dass die Vorstellung von der Möglichkeit der Bildung leistungsfähiger regionaler Wohnungsbauorganisationen der Gewerkschaften seiner Auffassung nach nicht mehr aufrecht zu erhalten ist.“281 Und Willi Richter, der ursprünglich ebenfalls zu den Unterstützern der Gewobag gezählt hatte, pflichtete ihm bei: „Die Idee, vier oder fünf Bezirkswohnungsbaugesellschaften für die Bundesrepublik zu schaffen, wäre nicht realisierbar gewesen.“282 Die These, daß die Situation, in der sich die Gewobag nun befand, „den Gewerkschaften die Chance eröffnete, grundsätzlich die Struktur der ‚gemeinnützigen Unternehmen der Gewerkschaften‘ zu überdenken und gegebenenfalls neu zu ordnen“,283 erscheint daher wenig plausibel. Vielmehr zeigt gerade die Tatsache, 277 278 279 280 281 282 283

Vgl. Protokoll AR Gewobag, 10.4.1958, IGM ZwA 2/17 435, S. 1 f. Zweite Anlage zum Protokoll AR Gewobag, 23.12.1959, IGM ZwA 2/17 435, S. 3. Ebd., S. 1. Ebd. Ebd., S. 6 Ebd., S. 7. Weinert 1994, S. 148. Vgl. ähnlich auch ders. 1989, S. 30.

3.1 Die Neue Hamburgder undWohnungswirtschaft“? die Entstehung des Großkonzerns 3.2Heimat Der „Sauerteig

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daß die Gewobag sich gezwungen sah, in der einen oder anderen Form mit der Unternehmensgruppe zusammenzuarbeiten, wie wenig realistisch die Forderung nach einer alternativen Organisationsstruktur schon Mitte der fünfziger Jahre gewesen war. Die hessische Gesellschaft scheiterte also nicht am mangelnden Willen des DGB, sondern daran, daß sie ein Modell des gewerkschaftseigenen Wohnungsbaus repräsentierte, das unter den gegebenen Rahmenbedingungen nicht mehr tragfähig war. Diese Einsicht setzte sich nun auch im Aufsichtsrat durch. Im Mai 1960 übernahm die NHH deshalb das Stammkapital der Gesellschaft und erhöhte es von 8 auf 13 Mio. DM.284 Tarnow fügte sich in sein Schicksal. Er blieb Geschäftsführer bei der Gewobag, bekam nun aber Rudi Löwe und Peter Emmel zur Seite gestellt. Mit zwei Jahren Verspätung war die letzte große Lücke in einem ansonsten seit 1958 komplett durchstrukturierten Konzern geschlossen. Schon zuvor war allerdings klar geworden, daß der flächendeckende Großkonzern eine nahezu ideale Lösung für die Probleme des Wohnungsbaus in den fünfziger Jahren bot. Das lag nicht daran, daß er gewerkschaftlichen Zentralisierungsträumen entsprach oder dem Expansionsstreben eines Einzelnen. Es lag daran, daß er nicht nur unternehmensintern, hinsichtlich der Betriebsergebnisse, sondern auch unternehmensextern, hinsichtlich seiner Produkte, genau die Ergebnisse liefern konnte, die von einem gewerkschaftseigenen Wohnungsunternehmen in diesem Zeitraum erwartet wurden. Das ist der Gegenstand des nächsten Kapitels.

3.2 DER „SAUERTEIG DER WOHNUNGSWIRTSCHAFT“? PRODUKTSTRATEGIEN UND REFORMANSPRUCH IN DEN FÜNFZIGER JAHREN 3.2 DER „SAUERTEIG DER WOHNUNGSWIRTSCHAFT“? 3.2.1 Der Wohnungsneubau 3.2.1.1 Zur Marktposition der NH Die Konzernbildung der NHH war einerseits, wie gezeigt, ein komplexes Phänomen mit einer ganzen Reihe von im Detail höchst differenzierten Ursachen und Motiven. Im weiteren Sinne war sie jedoch von einem einzigen, alles überragenden Ziel geleitet: von dem Ziel, angesichts der extremen Notlage „Wohnungen, Wohnungen und nochmals Wohnungen“ zu bauen. Vor dem Hintergrund dieser Zielsetzung war die Entstehung der Unternehmensgruppe in den fünfziger Jahren eine einzige Erfolgsgeschichte. Denn die Erfolge bei der Kapitalbeschaffung und bei der organisatorischen Rationalisierung erbrachten nicht nur ein positives Betriebsergebnis, sondern schlugen sich auch in einer von keinem anderen Wohnungsunternehmen auch nur annähernd erreichten Neubauziffer nieder. Hatte die Zahl der von der NHH errichteten Wohnungen in der Zeit von der Währungsreform bis zum Ende des Jahres 1949 noch bei knapp 150 gelegen, so stieg sie seitdem – mit den für den Wohnungsbau typischen starken konjunkturellen Schwankungen – sprunghaft an. 1950 belief sie sich auf 440, 1951 unter Einschluß der Hamburger Tochtergesellschaften schon auf 2.000 und in dem für die 284 Vgl. GB Gewobag 1959, o. S.

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3. „Wohnungen, Wohnungen und nochmals Wohnungen“

NHH krisenhaft verlaufenen Jahr 1952 immerhin noch auf 1.600 Objekte. Seit 1953 kamen dann auch die Fertigstellungen der außerhalb Hamburgs gelegenen Unternehmen hinzu. Damit erreichte die Wohnungsbauziffer der zur Unternehmensgruppe gehörenden Gesellschaften in diesem Jahr etwa 2.200, 1954 schon 8.900 und 1956 die Marke von 14.200.285 Auf diesem hohen Niveau verblieb sie auch in den beiden folgenden Jahren. Damit ließ die Unternehmensgruppe ihre nächsten Wettbewerber weit hinter sich. Global gesehen, erzielte sie mit ihren Fertigstellungen zwar nur einen Marktanteil von 2–3%. Aber erstens handelte es sich beim Wohnungsmarkt um einen in extremem Maße zersplitterten Markt, auf dem rund 50% der Bauleistungen von privaten Einzelbauherren erbracht wurden. Unter den gewerblichen Anbietern war die NH mit weitem Abstand der größte. Die in Essen ansässige GAGFAH, neben der NH das einzige bundesweit agierende Wohnungsunternehmen, errichtete in den Jahren 1950 bis 1958 nur etwa 4.000 bis 5.500 Wohnungen per annum.286 Alle anderen Gesellschaften erreichten nur Bruchteile dieser Neubauziffern. Der größte lokale Wettbewerber der NH in Hamburg etwa, die SAGA, kam im Durchschnitt der Jahre 1950 bis 1960 nur auf etwa 1.000 Fertigstellungen pro Jahr.287 Zweitens konzentrierte sich die Tätigkeit der Unternehmensgruppe auf die großen Ballungsräume, und dort erzielte sie Marktanteile, die zum Teil beträchtlich über die genannten 2–3% hinausgingen. Die Gewoba etwa errichtete 1956 etwas über 2.500 Einheiten und damit etwa jede fünfte in der Stadt Bremen gebaute Wohnung.288 In Hamburg kam die Unternehmensgruppe im selben Jahr sogar auf noch besseres Ergebnis: Mit 5.500 Neubauten baute sie dort gut 23% aller 1956 errichteten Wohngebäude.289 Auch mit Bezug auf den rasch anwachsenden eigenen Wohnungsbestand war die Marktmacht der NH gut zu erkennen. Da es sich bei den von ihr erstellten Wohnungen zum weit überwiegenden Teil – im Durchschnitt der Jahre 1950 bis 1958 zu etwa 87%290 – um Mietwohnungen handelte, die bei ihr verblieben, stieg ihr Wohnungsbestand steil an: Während die später zur Unternehmensgruppe gehörigen Unternehmen 1950 nur 4.500 eigene Wohnungen verwalteten, waren es 1958 bereits 89.400 – eine durchschnittliche jährliche Steigerungsrate von knapp 50%! Auch der Wohnungsbestand war, wie der Wohnungsneubau, vor allem auf die Ballungsräume konzentriert. Am Gesamtbestand der Bundesrepublik von 1956 etwa erreichte die Unternehmensgruppe mit knapp 63.000 Wohnungen nur einen Anteil von etwa 0,5%.291 Aber von den 495.000 Wohnungen, die die Hansestadt 285 286 287 288

Vgl. Anhang, Tabelle 1. Vgl. GAGFAH 1993, S. 387. Vgl. Thöns 1997, S. 27. Vgl. Wallenhorst 1993, S. 512 ff. und Statistisches Jahrbuch für die Bundesrepublik Deutschland 1958, S. 226. 289 Vgl. Daten über die Entwicklung der Unternehmensgruppe in der Zeit von 1948 bis 1962, IGM ZwA 2/17 265 sowie Freie und Hansestadt Hamburg, Baubehörde (Hg.), Die Baujahre 1955/56, 1956/57 (Schriften zum Bau-, Wohnungs- und Siedlungswesen H. 26), Hamburg o. J., S. 48. 290 Berechnet aus: Baufertigstellungen der Gesellschaften der Unternehmensgruppe von ihrer Gründung bis zum 31.12.1962, IGM ZwA 2/17 265. 291 Vgl. Anhang, Tabelle 3 sowie Schulz 1994, S. 352.

3.2 Der „Sauerteig der Wohnungswirtschaft“?

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Hamburg im selben Jahr aufzuweisen hatte, entfielen immerhin 22.500 auf die NHH; das waren gut 4,5%.292 Und in Bremen war das Bild noch deutlicher: Hier betrug der Anteil der Unternehmensgruppe am Wohnungsbestand sogar 5,6%.293 Sehr schwach vertreten war die NH dagegen in ländlichen Gebieten und im süddeutschen Raum, wo sie häufig – etwa in München und Stuttgart – nicht einmal 1% aller Wohnungen auf sich vereinigen konnte.294 Selbst dort gehörte sie allerdings zu den größten Anbietern auf dem Markt, und bezogen auf die Bundesrepublik insgesamt übertraf sie ihre Konkurrenten in punkto Wohnungsbestand ebenso weitgehend wie hinsichtlich der Fertigstellungen. Die GAGFAH etwa, die allerdings sehr viel stärker als die NH im Bau von zum Verkauf bestimmten Eigenheimen engagiert war, hatte 1958 einen Verwaltungsbestand von nur etwa 40.000 Einheiten aufzuweisen; bei der SAGA waren es 15.000.295 Und auch die SAGA und die GAGFAH waren untypisch große Unternehmen; insgesamt überwogen unter den Gemeinnützigen in den fünfziger Jahren Genossenschaften und kleine Kapitalgesellschaften mit Beständen von 100 bis 1.000 Wohnungen.296 Die Unternehmensgruppe erlangte also innerhalb kurzer Zeit eine Marktposition, wie sie kein anderes Wohnungsunternehmen vorher je innegehabt hatte und trug damit maßgeblich zu der außergewöhnlich hohen Neubauleistung, die die Bundesrepublik in den fünfziger Jahren erzielte, bei. Der Anspruch, den die Unternehmensgruppe an sich selbst stellte, ging allerdings weit über diesen quantitativen Aspekt ihrer Tätigkeit hinaus. Intern artikulierte Forderungen wie die, die gewerkschaftseigenen Unternehmen müßten der „‚Sauerteig‘ in der gemeinnützigen Wohnungswirtschaft“297 sein oder, wie Reinhold Tarnow es formulierte, zu „wohnungspolitischen Laboratorien“298 entwickelt werden, verwiesen darauf, daß es der NH um mehr ging als nur darum, möglichst hohe Neubauziffern zu erreichen. Sie hatte darüber hinaus auch den Ehrgeiz, wie in der Zwischenkriegszeit durch qualitativ beispielhaften Wohnungsbau hervorzutreten. 3.2.1.2 Leitbilder des gewerkschaftseigenen Wohnungsbaus Nach dem Ersten Weltkrieg hatte sich dieser Anspruch vor allem darauf gerichtet, Alternativen zur Mietskaserne zu entwerfen – etwa in Form des „Neuen Bauens“, bei dessen Umsetzung in der Frankfurter Römerstadt oder in Berlin die gewerkschaftseigenen Wohnungsbaugesellschaften eine tragende Rolle gespielt hatten.299 292 Vgl. GB NHH 1956, S. 25. 293 Berechnet aus: Statistisches Jahrbuch für die Bundesrepublik Deutschland 1958, S. 231 sowie den Angaben in: Entwicklung des Wohnungsbestandes der Unternehmensgruppe „Neue Heimat“, 13.3.1958, IGM ZwA 2/17 269. 294 Vgl. ebd. 295 Vgl. GAGFAH 1993, S. 388 und Thöns 1997, S. 27. 296 Vgl. Stöcker 1976, S. 272. 297 Plett 1952(a), S. 20. 298 Tarnow 1952, S. 22. 299 Vgl. Heinrich Klotz (Hg.), Ernst May und das Neue Frankfurt 1925–1930, Berlin 1986(a), passim sowie Schäche 1999, S. 30 ff.

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3. „Wohnungen, Wohnungen und nochmals Wohnungen“

Nach dem Zweiten Weltkrieg nahm die Unternehmensgruppe solches wohnungsreformerisches Gedankengut wieder auf – und nicht nur das: Sie entwickelte sich sogar zu einem seiner wichtigsten Träger. Allerdings konnte in der Nachkriegszeit, anders als noch in der Weimarer Republik, keine Rede mehr davon sein, daß es sich bei diesem Gedankengut um spezifisch gewerkschaftliche Vorstellungen handelte. Vielmehr war der Wohnungsbaus nach dem Zweiten Weltkrieg – unabhängig von der kontrovers diskutierten Frage nach Rekonstruktion oder Neuaufbau der zerstörten Innenstädte – von einem umfassenden Konsens über die Frage der städtebaulichen Gliederung der Gesamtstädte getragen, der sich gut in der zeitgenössischen Formel von der „gegliederten und aufgelockerten Stadt“ zusammenfassen ließ.300 Dieses städtebauliche Leitbild, das den gesamten Wohnungsbau der fünfziger Jahre dominierte, beinhaltete, knapp zusammengefaßt, drei Punkte: Erstens zielte es auf eine Verringerung der Einwohnerdichte durch eine Auflockerung der Bebauung ab. Zweitens sah es eine Gliederung der Städte in einzelne Nachbarschaften, die durch Grünzüge voneinander getrennt werden sollten, vor; und drittens gehörte eine weiträumige Verkehrserschließung, die dem erwarteten Anstieg des Individualverkehrs Rechnung tragen sollten, dazu.301 Trotz dieser allgemein anerkannten Eckpunkte war dieses Leitbild ein in viele Richtungen offener Kompromiß. Das hing eng mit seiner Entstehungsgeschichte zusammen. Denn es verknüpfte städtebauliche Ideen, die noch in der Zwischenkriegszeit zueinander in schärfstem Widerspruch gestanden hatten. Seine Wurzeln lagen zum einen in der Gartenstadtbewegung, die ihre Ursprünge in der Wohnungsreformbewegung des ausgehenden 19. Jahrhunderts hatte. Unter Rückgriff auf frühsozialistische Vorbilder hatte der Engländer Ebenezer Howard 1898 in seiner Schrift „Garden Cities of To-Morrow“ die Grundsätze einer Siedlungsform entworfen, die darauf abzielte, den kapitalistischen Metropolen gleich auf zweifache Weise eine Alternative entgegenzusetzen: einmal räumlich, indem sie für eine Verbindung städtischer und ländlicher Siedlungsformen durch die Errichtung geschlossener Siedlungen auf dem Lande warb; und zum anderen politisch-sozial, indem sie vorsah, das private Eigentum an Grund und Boden durch eine genossenschaftliche Organisationsform zu ersetzen.302 Einen ersten Versuch zur Umsetzung dieser Ideen stellte Letchworth Garden City, eine von Raymond Unwin und Barry Parker 1903 errichtete Gartenstadt dar. Sie ließ bereits erkennen, in welche Richtung sich Howards Ideen in der Zukunft entwickeln sollten: Während die Anlage 300 Vgl. hierzu zusammenfassend Klaus v. Beyme, Der Wiederaufbau. Architektur und Städtebaupolitik in beiden deutschen Staaten, München 1987, S. 71 ff. sowie die in den folgenden Fußnoten angeführte Literatur. 301 Vgl. Werner Durth, Kontraste und Parallelen: Architektur und Städtebau in West- und Ostdeutschland, in: Axel Schildt/Arnold Sywottek (Hg.), Modernisierung im Wiederaufbau. Die westdeutsche Gesellschaft der 50er Jahre, Bonn 1998, S. 596–611, hier S. 597. Ausführlicher zu den einzelnen Elementen des Leitbildes vgl. Werner Durth/Niels Gutschow, Träume in Trümmern. Planungen zum Wiederaufbau zerstörter Städte im Westen Deutschlands 1940– 1950. Erster Band: Konzepte, Braunschweig/Wiesbaden 1988, S. 215 ff. 302 Vgl. Ebenezer Howard, Gartenstädte von morgen. Das Buch und seine Geschichte, herausgegeben von Julius Posener (Bauweltfundamente Bd. 21), Berlin/Frankfurt a. M./Wien 1968, v. a. S. 59 ff. u. 56 ff.

3.2 Der „Sauerteig der Wohnungswirtschaft“?

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der Siedlung, ihre Wohnungen und ihre Durchgrünung weithin als vorbildlicher Kontrapunkt zu den dicht besiedelten englischen Industriestädten anerkannt wurden, erwies sich Howards sozialpolitisches Konzept zur genossenschaftlichen Organisation des Grundbesitzes als nur eingeschränkt tragfähig.303 Auf dem Kontinent verlief die Entwicklung der Gartenstadtidee in ganz ähnlichen Bahnen. Auch hier verschwanden die bodenreformerischen Zielsetzungen, die in einigen frühen Projekten noch eine herausragende Rolle gespielt hatten, bis Anfang der zwanziger Jahre fast vollständig aus der städtebaulichen Praxis. Dafür wurde aber das Ziel des „Wohnens im Grünen“ und des Gegensatzes zu den überfüllten Metropolen in einer Weise ideologisch überhöht, die weit über das hinausging, was Howard sich vorgestellt hatte. Ihre extremste Ausprägung fand diese Form der Zivilisationskritik in Theodor Fritschs Schrift „Die Stadt der Zukunft“.304 Fritsch, einer der prominentesten Antisemiten des Kaiserreichs, sah in der Gartenstadt das Organisationsprinzip einer im Sinne völkischer Ideen „organisch“ gegliederten Ständegesellschaft. Auch wenn nicht alle Vertreter des Gartenstadtgedankens so weit gingen: Seine Nähe zu biologistisch-völkischem Gedankengut war unübersehbar. Darin traf sich die Gartenstadtbewegung mit der der Lebensreformbewegung entspringenden „Organik“, die biologische Formen auf die Architektur zu übertragen suchte und später – unter dem Einfluß von Hans Scharoun und Hugo Häring – auch Eingang in den Städtebau fand.305 Die zweite Traditionslinie der „gegliederten und aufgelockerten Stadt“ entsprang einer Richtung, die ganz im Gegensatz zur Gartenstadtbewegung auf einer Bejahung der Moderne fußte: dem städtebaulichen Programm, das der vierte „Congrès International pour l‘Architecture Moderne“ (CIAM) 1933 formuliert hatte und das zehn Jahre darauf von Le Corbusier als „Charta von Athen“ veröffentlicht worden war.306 Ganz im Geiste eines für die klassische Moderne typischen technizistischen Rationalismus reduzierte die Charta von Athen städtisches Leben auf vier „Funktionen“: Wohnen, Arbeiten, Erholung und – als Bindeglied zwischen den anderen drei Funktionen – Verkehr. Diese Funktion sollten möglichst in Reinform zutage treten und waren deshalb räumlich voneinander zu trennen. Dem Wohnen kam dabei eine hervorgehobene Bedeutung zu: Es galt als „das eigentliche Zentrum der städtebaulichen Bestrebungen und als Angelpunkt aller Maßnahmen.“307 In diesem städtebaulichen Leitbild nahm also die Frage nach der Gestaltung des Wohnungsbaus eine zentrale Rolle ein, und dieser Einfluß hatte prägende Bedeutung für den Wiederaufbau nach 1945. Es ist richtig, daß die „Charta von Athen“ einem breiteren Publikum in Deutschland erst 1962 in ihrem Wortlaut zugänglich gemacht wurde.308 Dennoch: In ihren Grundsätzen war sie eng mit der aus Deutschland stammenden Tradition des „Neuen Bauens“ ver303 304 305 306 307

Vgl. Zimmermann 1997, S. 591 f. Theodor Fritsch, Die Stadt der Zukunft, Leipzig 1896. Vgl. Rabeler 1990, S. 19 sowie Pehnt 2006, S. 321 ff. Zur Entstehungsgeschichte der Charta von Athen vgl. Durth/Gutschow 1988, S. 202 ff. Charta von Athen – Lehrsätze, § 79, in: Ulrich Conrads (Hg.), Programme und Manifeste zur Architektur des 20. Jahrhunderts, Berlin/Frankfurt a. M./Wien 1964, S. 129–128, hier S. 132. 308 Vgl. Gerd Albers, Der Städtebau seit 1945, in: Lothar Juckel (Hg.), Haus, Wohnung, Stadt. Beiträge zum Wohnungs- und Städtebau 1945–1985, Hamburg 1986, S. 25–40, hier S. 30.

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3. „Wohnungen, Wohnungen und nochmals Wohnungen“

wandt. Und diese Tradition war, allen anderslautenden Bekundungen des NS-Regimes zum Trotz, zwischen 1933 und 1945 nicht verlorengegangen, sondern hatte auch in die Architektur und den Städtebau des „Dritten Reiches“ Eingang gefunden.309 Tatsächlich waren es die Jahre der Diktatur, in denen die Grundsätze der „Charta von Athen“ – insbesondere der Grundsatz der funktionalen Trennung – mit den aus der Gartenstadtbewegung stammenden Gedanken der Auflockerung und der Begrünung verknüpft wurden. Das lag daran, daß sich einzelne Elemente beider Richtungen gut zu einem städtebaulichen Leitbild zusammenfügen ließen, das in hohem Maße mit den Anforderungen der NS-Diktatur kompatibel war – und zwar nicht nur aus ideologischen, sondern auch aus ganz handfesten praktischen Gründen. Aus den zivilisationskritischen Einflüssen der Gartenstadtbewegung erwuchs etwa die Forderung nach einer Auflockerung der Bauweise – eine Forderung, die die Nationalsozialisten auch deshalb unterstützen, weil sie sich davon einen besseren Schutz vor Luftangriffen versprachen.310 Auch die Gliederung der Städte in einzelne aus reinen Wohnblocks bestehende „Nachbarschaften“, die ihre Wurzeln in der Idee der funktionalen Trennung hatte, entsprach nicht nur der Volksgemeinschaftsideologie, sondern sie hatte ihre Parallele in den politischen Strukturen der Diktatur: Die „Stadtkleinzelle“ sollte gleichzeitig die Basiseinheit der Parteiorganisation der NSDAP, der Ortsgruppe, sein.311 Und auch das dritte zentrale Element des Leitbildes der „gegliederten und aufgelockerten Stadt“, die Verkehrserschließung, kam den Nationalsozialisten aus militärischen Gründen sehr entgegen, wobei sie allerdings im Lichte des anwachsenden Individualverkehrs in den fünfziger Jahren erheblich größere Bedeutung erlangte, als dies vor 1945 noch der Fall gewesen war. Wie problemlos sich diese aus der Verknüpfung von Gartenstadtgedanken und funktionaler Trennung entstandene städtebauliche Konzeptionen nach 1945 „terminologisch entnazifizieren“312 und in die Bundesrepublik übernehmen ließ, geht mit kaum zu überbietender Deutlichkeit aus der Schrift hervor, die so etwas wie die „Bibel“ dieses Leitbildes darstellte: das von Göderitz, Rainer und Hoffmann 1957 veröffentlichte Buch „Die gegliederte und aufgelockerte Stadt“.313 Tatsächlich glich dieses Buch bis ins Detail einem Entwurf, den die drei Autoren bereits Anfang 1945 verfaßt hatten – mit einer gewichtigen Ausnahme: Sämtliche nationalsozialistischen Begrifflichkeiten waren entfernt und mit dem typischen Vokabular des Städtebaus der fünfziger Jahre ersetzt worden. Aus den mit der NSDAPOrtsgruppe deckungsgleichen „Stadtkleinzellen“ wurden so die „Nachbarschaften“, und die „Auflockerung“ betrachteten die Autoren nun nur noch aus „biologi-

309 Vgl. Joachim Petsch, Eigenheim und gute Stube. Zur Geschichte des bürgerlichen Wohnens. Städtebau – Architektur – Einrichtungsstile, Köln 1989, S. 180 und Gerd Kähler, Nicht nur Neues Bauen! Stadtbau, Wohnung, Architektur, in: ders. 2000, S. 303–452, hier S. 404 f. 310 Vgl. Uta Hohn, Der Einfluß von Luftschutz, Bombenkrieg und Städtezerstörung auf Städtebau und Stadtplanung im „Dritten Reich“, Die alte Stadt 19.1992, S. 326–353. 311 Vgl. Kähler 2000, S. 407 ff. sowie Lange 1994, S. 88. 312 Schildt 1998, S. 165. 313 Johannes Göderitz/Roland Rainer/Hubert Hoffmann, Die gegliederte und aufgelockerte Stadt (Archiv für Städtebau und Landesplanung Bd. 4), Tübingen 1957.

3.2 Der „Sauerteig der Wohnungswirtschaft“?

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schen“ Gründen als begrüßenswert, während der Aspekt des Luftschutzes aus dem Text verschwand.314 Das solchermaßen „bereinigte“ Leitbild der „gegliederten und aufgelockerten Stadt“ stieß in der Bundesrepublik auf breite Akzeptanz. Der Hauptgrund hierfür lag darin, daß der Krieg der traditionellen, schon in der Gartenstadtbewegung vorzufindenden deutschen Großstadtkritik zu neuem Leben verholfen hatte.315 Sie war nun eingebettet in eine fundamentalere Zivilisationskritik, die in der vermeintlichen Herauslösung des Menschen aus geistig-spirituellen Bindungen den Hauptgrund für die Barbarei des Nationalsozialismus und den daraus folgenden Krieg sah. Zusätzlich befeuert wurde diese zivilisationskritische Haltung noch durch die aus dem Kalten Krieg resultierende Frontstellung gegenüber dem „kollektivistischen Materialismus“ des Ostens, aber auch durch die Inferioritätsgefühle gegenüber dem „praktischen Materialismus“ der USA. Sie resultierte in einer Betonung christlich-abendländischer Traditionen, die zumindest auf einer kulturellen Ebene die „geistige Äquidistanz gegenüber den beiden antagonistischen Weltmächten“316 unter Beweis stellen sollte. Einer der Schlüsselbegriffe dieses von Ende der vierziger bis in die zweite Hälfte der fünfziger Jahre in Westeuropa verbreiteten Diskurses war der Begriff der „Vermassung“.317 Der Belgier Hendrik de Man definierte den Terminus in seinem 1951 erschienenen Bestseller „Vermassung und Kulturverfall“ als „die Nivellierung der Bedürfnisse, Gewohnheiten, Geschmacksrichtungen und Sitten“, die aus der „Massenproduktion von standardisierten Waren“ entstanden sei. 318 Diese mit der modernen Industriegesellschaft einhergehende Entwicklung hatte nach Auffassung der zeitgenössischen Gesellschaftskritik schwerwiegende Folgen: Durch das mit ihr verbundene „Bersten aller religiösen, sittlichen und gesellschaftlichen Normen“, schrieb ein Anhänger de Mans, fühle „sich der Mensch der Gegenwart – bewußt oder unbewußt – in ein Chaos hinausgeschleudert, das ihm weder Halt noch Mitte läßt. Was noch zu erkennen bleibt, sind die Trümmer des einstigen kulturellen Gefüges. An seine Stelle ist ein seelenloser, von wirtschaftli314 Vgl. die Gegenüberstellung von Teilen des Manuskripts von 1945 und der 1957 veröffentlichten Version bei Johann Friedrich Geist/Klaus Kürvers, Das Berliner Mietshaus. Bd. 3: 1945– 1989, München 1989, S. 571 ff. Zum stillschweigenden Fortbestehen des Luftschutzgedankens in den städtebaulichen Debatten der fünfziger Jahre vgl. Axel Schildt, Die Atombombe und der Wiederaufbau. Luftschutz, Stadtplanungskonzepte und Wohnungsbau 1950–1956, 1999. Zeitschrift für Sozialgeschichte des 20. und 21. Jahrhunderts 2.1987,4, S. 52–67. 315 Vgl. Dirk Schubert, Eine theoriegeschichtliche, ideologiekritische Untersuchung der Stadt, des Städtebaus und Wohnungsbaus in Deutschland von ca. 1850 bis heute, Diss. phil. Berlin [West] 1981, S. 183 ff. 316 Axel Schildt, Ende der Ideologien? Politisch-ideologische Strömungen in den 50er Jahren, in: Schildt/Sywottek 1998(b), S. 627–635, hier S. 631 f. 317 Generell zum „Vermassungsdiskurs“ vgl. Axel Schildt, Moderne Zeiten. Freizeit, Massenmedien und „Zeitgeist“ in der Bundesrepublik der 50er Jahre (Hamburger Beiträge zur Sozialund Zeitgeschichte Bd. 31), Hamburg 1995, S. 324 ff.; Paul Nolte, Die Ordnung der deutschen Gesellschaft. Selbstentwurf und Selbstbeschreibung im 20. Jahrhundert, München 2000, S. 303 ff.; und Helga Grebing, Konservative gegen die Demokratie. Konservative Kritik an der Demokratie in der Bundesrepublik nach 1945, Frankfurt a. M. 1971, S. 84 ff. 318 Hendrik de Man, Vermassung und Kulturverfall. Eine Diagnose unserer Zeit, München 1951, S. 52.

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cher Funktionalität durchdrungener wissenschaftlich-technisch-bürokratischer gesellschaftlicher Apparat getreten.“319 De Man selbst machte zudem deutlich, warum die „Vermassung“ auch ein Thema für den Städtebau war. „Dieser Prozeß“, so führte er aus, „wird durch Erscheinungen begünstigt, die, wenigstens was ihren Umfang betrifft, in der Geschichte beispiellos dastehen, nämlich: die Dichtheit der Bevölkerung, die Ausdehnung der Großstädte und die Schnelligkeit der Verbindungsmittel.“320 Die Großstädte beförderten also die „Vermassung“; und das war vor allem auf die „Dichtheit der Bevölkerung“ zurückzuführen. De Man und seine Anhänger vertraten damit beileibe keine Einzelmeinungen; sogar Konrad Adenauer äußerte sich in fast identischen Worten. In Übereinstimmung mit den meisten Stadtplanern dieser Zeit erblickten er und andere Politiker das geeignete Mittel gegen den auf diese Weise voranschreitenden Untergang des Abendlandes genau in den Maßnahmen, die das Leitbild der „gegliederten und aufgelockerten Stadt“ vorsah: eben in der Gliederung und Auflockerung oder, um einen anderen populären zeitgenössischen Begriff zu benutzen, in der „Entballung“ der großen Städte und Siedlungsräume.321 Das Vertrauen in die kulturbewahrende Funktion der „Entballung“ war dabei so groß, daß selbst die Zerstörungen des Krieges ein wenig von ihrem Schrecken verloren: „Endlich, so schien es einer ganzen Planergeneration, konnten nun auf dem Boden der durch den Krieg geschaffenen Tatsachen die seit den Gartenstadtideen der Jahrhundertwende auf Entballung und Zerschlagung des Molochs Großstadt gerichteten Konzepte der Auflockerung, der Herabsetzung der Dichte, der Durchgrünung und der Entwicklung der Stadt zur ‚Stadtlandschaft‘ verwirklicht werden“.322 Diese so offensichtlich konservativ-kulturkritischen Motiven entspringende Sichtweise machte – das war das eigentlich Bemerkenswerte – weder vor den Sozialdemokraten noch vor den Gewerkschaften Halt. Zwar hatte auch in ihren Reihen die Großstadtkritik eine lange Tradition; aber sie war immer vor allem als Kritik am kapitalistischen Wirtschaftssystem, das etwa die Bodenspekulation beförderte, gedacht.323 Unter der Hegemonie des konservativen Freiheitsdenkens der frühen fünfziger Jahre geriet diese eigenständige Tradition aber in den Hintergrund. Statt dessen dominierten nun auch bei ihnen jene Töne die Debatte, die die konservative Kulturkritik vorgab. Die gewerkschaftseigenen Wohnungsunternehmen bildeten hier keine Ausnahme. Nicht alle von ihnen gingen so weit wie die Frankfurter Gewobag und erklärten den „Kampf gegen Vermassung“324 zum Hauptziel ihrer Unternehmenspolitik; aber in ihrem Grundtenor war die Analyse der Gewobag in den frühen fünfziger Jahren innerhalb der gewerkschaftseigenen Wohnungsunternehmen mehrheitsfähig. „Die Entwicklung der Technik“, schrieb sie, „hat alle überkommenen gesellschaftlichen Gefüge gesprengt und zur modernen Massenwirtschaft geführt. Die Vermassung wird recht eigentlich als die Ge319 Rudolf Fischer, Masse und Vermassung. Versuch einer begrifflichen Klärung, Diss. Phil. Basel 1961, S. 80. 320 de Man 1951, S. 52. 321 Vgl. Schulz 1994, S. 108 f. 322 Harlander 1999, S. 240. 323 Vgl. Schubert 1981, S. 27 ff. 324 Gewobag Frankfurt 1954, Titel.

3.2 Der „Sauerteig der Wohnungswirtschaft“?

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fahr erkannt, die Persönlichkeit und Freiheit jedes einzelnen bedroht.“325 Wie weit die Durchschlagskraft dieser zivilisationskritischen Haltung, war daran zu erkennen, daß die gewerkschaftlichen Wohnungsunternehmen das Leitbild der „gegliederten und aufgelockerten Stadt“ nicht nur befürworteten, sondern sich in der ersten Hälfte der fünfziger Jahre sogar eher am konservativeren Ende dessen einreihten, was im Rahmen dieses Kompromisses als tragfähig galt. Während die (wenigen) verbliebenen Anhänger des Neuen Bauens in diesem Rahmen zumeist von der Idee der „Stadtlandschaft“ ausgingen, bemühten konservativere Architekten das Vokabular der Gartenstadtbewegung.326 Die gewerkschaftseigenen Wohnungsunternehmen schlugen sich eindeutig auf die Seite der letzteren: Sie setzten, kaum daß sie den Wiederaufbau ihrer zerstörten Wohnsiedlungen abgeschlossen hatten, voll und ganz auf den Bau „große[r], mit Grün durchzogene[r], gesunde[r] Wohnanlagen nach modernen Gesichtspunkten, in denen die zukünftigen Bewohner nicht nur ein Heim finden, sondern auch in harmonischen Lebensgemeinschaften, in ‚Nachbarschaften‘, leben“ sollten. Damit wollten sie „ein Gegengewicht zu der oft zu dichten Bebauung in den Großstadtkernen“327 schaffen. Es waren allerdings nicht nur ideologische, sondern auch pragmatische Gründe, die das Leitbild der „gegliederten und aufgelockerten Stadt“ für die gewerkschaftseigenen Wohnungsbaugesellschaften attraktiv machten. So spielte schon seit den zwanziger Jahren die Frage der bautechnischen Rationalisierung in ihren Strategien eine zentrale Rolle. Sie galt als Königsweg, um billig und dennoch qualitativ hochwertig bauen zu können. Diese Tradition nahmen die Gesellschaften nach 1945 auf. Schon in den Grundsätzen gewerkschaftlicher Wohnungspolitik aus dem Jahr 1948 spielte die Rationalisierungsfrage deshalb eine zentrale Rolle. Dabei legten diese einen eindeutigen Schwerpunkt auf die Frage der Baustoffbeschaffung, die sich dann in den fünfziger Jahren als weitgehend unproblematisch entpuppte. Allerdings war in den Grundsätzen auch schon die Rede von der „Typisierung und Normierung der Wohnungsgrundrisse“,328 die sich vor allem beim Bau geschlossener Siedlungen anbot. Und in der Praxis galt es ohnehin bereits als eine ausgemachte Sache, daß der wichtigste Aspekt der Rationalisierung im Wohnungswesen nicht allein auf der technischen, sondern auch in der Kombination mit der organisatorischen Seite liegen würde, nämlich in der Konzentration des Wohnungsbaus auf geschlossene Großbauvorhaben. Das wurde schon zum Zeitpunkt der Formulierung der Grundsätze beispielhaft vorexerziert – in einem Projekt, an dem die gewerkschaftseigenen Wohnungsbaugesellschaften nur sekundär beteiligt waren, bei dem aber die Federführung dem DGB und vor allem dem Wirtschaftswissenschaftlichen Institut des DGB, dem WWI, oblag. Das war das sogenannte „Schleswig-Holstein-Projekt“.329 325 326 327 328

Ebd., S. 6. Vgl. Beyme 1987, S. 78. GB NHH 1953, S. 7. Richtlinien für die Durchführung der gewerkschaftlichen Wohnungspolitik, in: Mielke/Rütters/Becker 1991, S. 686–690, hier S. 689. 329 Vgl. dazu zusammenfassend Reinhold Nimptsch, Produktive Flüchtlingshilfe der Gewerkschaften. Neue Organisationsmethoden für den Bau von 10.000 Wohnungen, Köln 1950; Weinert 1989, S. 26 ff.; ders. 1994, S. 78 ff. sowie ders. 1996, S. 108 ff.

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3. „Wohnungen, Wohnungen und nochmals Wohnungen“

Die Alliierten und die deutschen Behörden hatten schon seit 1947 Pläne gewälzt, wie dem Wohnungsproblem in dem besonders stark von Flüchtlingen überfüllten Schleswig-Holstein abzuhelfen war. Als Hauptproblem erwies sich hierbei die Finanzierung: Zum einen waren Kapitalmarktmittel ja ohnehin knapp; zum anderen lebten die meisten Flüchtlinge in bitterer Armut. Ein finanzieller Beitrag zum Wohnungsbau war von ihnen, solange die Frage des Lastenausgleichs ungeklärt war, nicht zu erwarten. Aufgrund der politischen Brisanz dieser Frage entschieden sich die Alliierten, „beim Wohnungsbau eine breite Front“ 330 zu eröffnen und verschiedene Verbände – u. a. die Gewerkschaften – um Mithilfe zu bitten. Das WWI schlug daraufhin vor, ein Wohnungsbauprogramm zu initiieren, das gleichzeitig der Wohnraum- und der Arbeitsbeschaffung für Flüchtlinge dienen sollte. In diesem Programm bildete die Rationalisierung ein zentrales Thema. Das Ziel einer Verbilligung des Bauens sollte dabei mit einer ganzen Reihe von Mitteln erreicht werden. So wollte das WWI unter Einsatz von genormten Teilen nur wenige Wohnungstypen produziert sehen; vor allem aber sollten die Baumaßnahmen in großen Baustellen zusammengefaßt und von Arbeitsgemeinschaften großer Wohnungsunternehmen durchgeführt werden.331 Die auf die Vorschläge des WWI im September 1949 gegründete „Arbeitsgemeinschaft für produktive Flüchtlingshilfe“, der neben dem DGB auch das schleswig-holsteinische Sozialministerium, die Landesarbeitsgemeinschaft der Heimatvertriebenen Schleswig-Holstein, der GGW und die GEG angehörten, setzte diese Überlegungen in ein Bauprogramm um, in dessen Rahmen innerhalb von zwei Jahren 10.000 Wohnungen erstellt wurden.332 Von zentraler Bedeutung für den Erfolg des Projektes war seine großmaßstäbliche Durchführung, also die Zusammenfassung zu Großbaustellen unter Einsatz normierter Teile und die Tatsache, daß kleine Genossenschaften als Bauträger bewußt übergangen wurden, weil ihre Leistungsfähigkeit nicht als ausreichend erschien. Die Ergebnisse dieser Vorgehensweise zeigten, daß es für den weiteren Wiederaufbau vielversprechend erschien, „Bauleistungen möglichst in größeren, geschlossenen Wiederaufbau- und Neusiedlungsvorhaben zu konzentrieren.“333 Diese Überzeugung spielte unmittelbar in die Hände des Leitbildes der gegliederten und aufgelockerten Stadt: Denn der Gedanke der funktionalen Trennung und des Baus von „Nachbarschaften“ legte es nahe, große, geschlossene Wohnungsbauvorhaben „aus einem Guß“ zu errichten. Die Gartenstädte, die die NH in den folgenden Jahren baute, entsprachen also nicht nur einer „grünen“ Ideologie, sondern auch dem Rationalisierungsideal, das im gewerkschaftseigenen Wohnungsbau eine lange Tradition hatte und mit dem „Schleswig-Holstein-Projekt“ aktualisiert worden war.

330 331 332 333

Weinert 1994, S. 80. Vgl. ebd. und Weinert 1996, S. 111. Vgl. Weinert 1994, S. 85 f. 50 Jahre NH, S. A 12.

3.2 Der „Sauerteig der Wohnungswirtschaft“?

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3.2.1.3 Die städtebauliche Praxis der NH in den fünfziger Jahren Vor diesem Hintergrund entfaltete die NHH nach dem Abschluß des Trümmeraufbaus eine Bautätigkeit, deren reformerischen Gehalt ihre Protagonisten in erster Linie in der Errichtung von Gartenstädten erblickten. Der Standort Hamburg bot einen fruchtbaren Boden für solche Bestrebungen: Die Zerstörungen des Krieges erforderten umfassende Wiederaufbaumaßnahmen, und die Generalbebauungspläne der Jahre 1941 und 1944, mit denen Hamburg zur „Führerstadt“ umgebaut werden sollte, boten gleich in zweifacher Hinsicht eine gute Grundlage für den Bau großer Gartenstädte. Zum einen hatten sie bereits ein in nahezu idealtypischer Weise dem Leitbild der „gegliederten und aufgelockerten Stadt“ entsprechendes Konzept der Entballung und Durchgrünung vorformuliert, das zwar um den Ballast nationalsozialistischer Ideologeme befreit wurde, im Grunde aber unverändert blieb und unmittelbar in den Generalbebauungsplan des Jahres 1947 und den Aufbauplan von 1950 Eingang fand.334 Durch den Aufbauplan 1960 nochmals bestätigt, blieb dieses Leitbild bis 1967 die erklärte Grundlage der Planungspolitik der Hansestadt.335 Zum anderen war durch die Planungen für die „Führerstadt“ in Hamburg ein Pool an Architekten vorhanden, die die nötige Erfahrung mitbrachten, um das Konzept der „gegliederten und aufgelockerten Stadt“ in die Tat umsetzen zu können. Das waren im Kern die Mitarbeiter des Arbeitsstabs des vom Hamburger Reichsstatthalter und Gauleiter Karl Kaufmann mit den Entwürfen für die „Führerstadt“ beauftragten Architekten Konstanty Gutschow. Gutschow selbst fiel zwar nach 1945 aufgrund seiner NS-Vergangenheit in Ungnade; doch seine Mitarbeiter zogen aus, um den Wiederaufbau in Deutschland zu prägen: außerhalb Hamburgs, wie Rudolf Hillebrecht, der als Stadtbaurat von Hannover zu einer der zentralen Figuren der Stadtplanung in der frühen Bundesrepublik avancierte; oder in Hamburg selbst, wie etwa Hans Bernhard Reichow.336 Daß ausgerechnet Reichow es war, auf den die NHH für die 1953 begonnene Planung ihrer ersten großen, geschlossenen Gartenstadt – der Gartenstadt Hohnerkamp – verfiel, entbehrte nicht eines schalen Beigeschmacks. Denn Reichow war nicht nur an den Planungen zur „Führerstadt“, sondern auch an den Arbeiten zum Generalplan Ost unmittelbar beteiligt gewesen. „Größere politische Vorbelastungen durch den Nationalsozialismus als bei Reichow“ waren, wie Georg Wagner treffend feststellt, „bei einem Architekten und einem Stadtplaner schon nicht mehr denkbar.“337 Warum hatte sich Plett ausgerechnet an diesen Mann gewendet? 334 Vgl. Lange 1994, S. 32 ff. u. S. 74 ff.; Stapelfeldt 1993, S. 101 ff.; Durth/Gutschow 1988, S. 609 ff. u. 646 ff.; Schildt 1992, S. 84 ff.; Friedrich R. Ostermeyer, Der Generalbebauungsplan 1947, in: Architekten- und Ingenieur-Verein Hamburg 1953, S. 39–40; Otto Sill/Heinrich Strohmeyer, Der Aufbauplan von 1950, in: ebd., S. 41–43. 335 Vgl. Lange 1994, S. 95; Schildt 1992, S. 94 ff.; Durth/Gutschow 1988, S. 660 sowie Edmund Schmidt-Eichberg/Theodor Schüler, Der Aufbauplan 1960, in: Architekten- und Ingenieurverein Hamburg e. V. (Hg.), Hamburg und seine Bauten 1954–1968, Hamburg 1969, S. 28–33. 336 Vgl. Werner Durth, Deutsche Architekten. Biographische Verflechtungen 1900–1970, München 1992, S. 205 ff. u. S. 318 ff. 337 Wagner 1995, S. 291 f. Vgl. auch Durth 1992, S. 202 ff.

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3. „Wohnungen, Wohnungen und nochmals Wohnungen“

Dafür gab es zwei Gründe – ein pragmatischen und einen städtebauideologischen. Der pragmatische Grund hing mit den von Reichow entworfenen Bauten für einen von der Marshallplanbehörde ausgeschriebenen Wettbewerb zusammen, der auf die Erprobung rationalisierter Bauweisen abgezielt hatte. Reichow war für die von ihm zu diesem Anlaß vorgelegten Pläne 1951 mit dem ersten Preis ausgezeichnet worden und hatte damit demonstriert, daß er in der Lage war, vorbildliche Entwürfe mit niedrigen Kosten zu verbinden.338 Das war im Falle der Planung von Hohnerkamp besonders wichtig. Denn den Ausgangspunkt für den Bau dieser Siedlung bildete wiederum jenes Problem, das auch dafür verantwortlich war, daß die NHH noch im gleichen Jahr über Hamburg hinaus expandierte: der Überschuß an Kapitalmarktmitteln und die Schwierigkeit, diese rechtzeitig zu „verbauen“. Denn obwohl Plett einen erheblichen Teil des eingeworbenen Geldes nach Bremen weiterleitete, verfügte er noch immer über überschüssige 7c-Gelder. Eine von Mannesmann eingeworbene Tranche von 22 Mio. DM konnte er aus Gründen, die nicht mehr ganz nachvollziehbar sind, anscheinend nicht auf die gewohnte Weise an andere Gesellschaften weiterleiten. Er mußte sie in Hamburg verbauen und stand dort abermals vor dem Problem, daß die Stadt nicht in der Lage war, ausreichende Mittel zur Verfügung zu stellen, um die Gelder im öffentlich geförderten sozialen Wohnungsbau einzusetzen.339 Die einzige Möglichkeit, sie innerhalb der vorgesehenen Frist von einem Jahr loszuwerden, bestand deshalb darin, auf den steuerbegünstigten Wohnungsbau auszuweichen. Das wollte Plett eigentlich vermeiden, weil die Kosten hierfür und die daraus resultierenden Mietpreise einem gewerkschaftseigenen Unternehmen nicht gut zu Gesichte standen. Mit Reichows rationeller Bauweise stellte sich die Lage allerdings etwas anders dar: Sie schien es zu erlauben, steuerbegünstigte Wohnungen zu einem sehr niedrigen Preis zu errichten. Plett konnte also die 7c-Gelder direkt verbauen, ohne allzu hohe Mietpreise befürchten zu müssen.340 Daß Hohnerkamp eine Gartenstadt werden sollte, war dabei von vornherein unumstritten. Zum Teil hatte das praktische Gründe. Denn der NHH fehlten die Trümmergrundstücke, die für einen weiteren Wiederaufbau in Frage gekommen wären, während das Gelände, das sie für Hohnerkamp in den Blick genommen hatte, wegen der geringen Zahl der Vorbesitzer und seiner relativen Nähe zur Stadt als ausgesprochener Glücksfall galt.341 Außerdem versprach man sich von der Errichtung eines geschlossenen Bauvorhabens weitere Einsparungsmöglichkeiten.342 Aber mindestens ebenso wichtig wie diese pragmatischen Erwägungen war die Tatsache, daß die Geschäftsführung konzeptionell voll und ganz hinter der 338 Vgl. Harlander 1999, S. 270 f; Lange 1994, S. 325; Hans Bernhard Reichow, Gartenstadt Hohnerkamp, in: Architekten- und Ingenieurverein Hamburg 1969, S. 401–403, hier S. 401 f. sowie Neue Heimat: Die Bauland-Fresser, SPIEGEL 13.1959,10, S. 26–42, hier S. 35. Generell zu dem sogenannten ECA-Wettbewerb vgl. Hafner 1993, S. 204 ff. und Klaus v. Beyme, Wohnen und Politik, in: Flagge 1999, S. 81–152, hier S. 93 ff. 339 Vgl. Neue Heimat: Die Bauland-Fresser, SPIEGEL 13.1959,10, S. 26–42, hier S. 35; NHH 1956, S. 21; und Neue Heimat Hamburg (Hg.), Warum Gartenstadt Hohnerkamp? Kritik und Antwort, o. D. [Januar 1954], FZH 592–30 I, S. 7 f. 340 Vgl. Neue Heimat: Die Bauland-Fresser, SPIEGEL 13.1959,10, S. 26–42, hier S. 35. 341 Vgl. Neue Heimat Hamburg (Hg.), Warum Gartenstadt Hohnerkamp? Kritik und Antwort, o. D. [Januar 1954], FZH 592–30 I, S. 7.

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Gartenstadtidee stand. Hieraus ergab sich auch der zweite Grund, aus dem Plett eine Zusammenarbeit mit Reichow attraktiv erschien. Denn mit seinem 1948 erschienenen Lehrbuch „Organische Stadtbaukunst“ war dieser zu einem der wichtigsten Theoretiker des Wiederaufbaus avanciert. In dieser Schrift hatte er – in Fortführung der Organik – dem aus der Biologie entlehnten Bild von der Stadt als lebendigem Organismus (mit den Verkehrswegen als Schlagadern und den Wohnsiedlungen als eigenständigen Zellen), das bereits Gutschows Planungen für Hamburg implizit zugrunde gelegen hatte, theoretische Geltung und sich selbst damit die Anerkennung der deutschen Städteplaner verschafft.343 Und genau dieses aus der Biologie entlehnte Bild des Städtebaus galt der NHH als so vorbildlich, daß sie ihm in der Konzeption von Hohnerkamp – abgesehen von einem BaukostenLimit – freie Hand ließ. 344 Tatsächlich verwirklichte Reichow in Hohnerkamp „seine Theorien über ‚organische Stadtbaukunst‘ im großen Zusammenhang“.345 Die Siedlung entstand auf einer Gesamtfläche von 300.000 qm, von denen über zwei Drittel als gemeinschaftliche Grünfläche erhalten blieben. „Die Aufschließung dieses Geländes“, so schwärmte die NHH 1956, „erfolgte im Sinne der von Dr. Reichow entwickelten Gedanken über den organischen Städtebau. Dies gilt vor allem für die konsequente Anwendung des ‚Verästelungsprinzips‘ mit Stichstraßen und Straßenschleifen, die von einer Haupterschließungsstraße abzweigen und zu den ‚Wohntrauben‘“ – traubenförmigen Ansammlungen von Wohnhäusern – „führen. Auf diese Weise wurden eine sinnfällige Wegeführung vom Stadtrand zur Stadtmitte sowie eine relative Kreuzungsfreiheit des Straßennetzes gewährleistet.“346 Zudem trennte Reichow die Fußwege, über die die Wohnsiedlungen hauptsächlich erschlossen werden sollten, von den Fahrwegen ab, um so die „stark durchgrünte Siedlung (...) zu einer Oase der Ruhe werden“347 zu lassen. Die etwas über 1.500 Wohnungen selbst waren auf Ein- und Zweifamilienhäuser sowie dreigeschossige Stockwerksbauten und sechsgeschossige „Punkthäuser“ verteilt. Reichow ordnete sie – hier war der Einfluß des „Neuen Bauens“ auch auf diese konservative Form des Gartenstadtbaues noch erkennbar – als Zeilenbauten an. Das sollte insbesondere der Besonnung dienen, und in diesem Sinne war auch jede Wohnung mit einer Balkonloggia oder einem Freisitz versehen. In dieser Hinsicht galt ihre Gestaltung als vorbildlich.348 Allerdings gab es auch einige Kritik, insbesondere an der Wohnungsgröße. Beispielsweise hatte Reichow 342 Vgl. Schreiben Pletts an die Bürgerschaftsabgeordneten in den Aufsichtsräten der NH-Gesellschaften, 14.1.1953, FZH 592–30 I, S. 3. 343 Vgl. Hans Bernhard Reichow, Organische Stadtbaukunst. Von der Großstadt zur Stadtlandschaft (Organische Stadtbaukunst, organische Baukunst, organische Kultur Bd. 1), Braunschweig 1948, passim. 344 Vgl. Protokoll Finanzausschuß NHH, 25.6.1953, FZH 592–30 I, S. 7 345 Friedrich Spengelin, Der Wohnungsbau seit 1945. Anmerkungen eines Zeitgenossen, in: Juckel 1986, S. 41–63, hier S. 47. Vgl. auch Hans Bernhard Reichow, Die Gartenstadt Hohnerkamp in Hamburg-Bramfeld, Raumforschung und Raumordnung 11.1953, S. 151–158; Reichow 1969, S. 402 f. sowie Stapelfeldt 1993, S. 150 f. u. S. 257 ff. 346 NHH 1956, 22 f. 347 Lange 1994, S. 87. 348 Vgl. NHH 1956, 22 f.

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Schlafzimmer entworfen, die so klein waren, daß sie zwei Türen benötigten. Sie wurden von den Bewohnern spöttisch als „Moltke-Zimmer“ bezeichnet – „getrennt marschieren, vereint schlafen“.349 Auch die Bauausführung ließ zu wünschen übrig: Zur Kostensenkung hatte Reichow eine Reihe von neuen Materialien und Techniken verwendet, die noch nicht ausgereift waren.350 Gravierender war aber, daß Reichow seine Vorgaben trotz dieser Sparmaßnahmen in einem zentralen Punkt verfehlte. Denn die Baukosten für Hohnerkamp überschritten das von Plett mit 240 DM pro qm angesetzte Limit deutlich. 351 Das blieb nicht ohne Folgen für die Miethöhe. Mit 1,55 DM bis 1,60 DM pro qm fiel sie zwar für die Verhältnisse des steuerbegünstigten Wohnungsbaus recht moderat aus, lag aber dennoch weit über dem Durchschnitt der öffentlich geförderten Wohnungen und damit auch weit jenseits dessen, was die Mehrzahl der Arbeitnehmer zu zahlen vermochte.352 Pletts Konzept, die Mehrkosten des steuerbegünstigten Wohnungsbaus durch Rationalisierungsmaßnahmen aufzufangen, ging also nicht auf. Dennoch: Die Verantwortlichen der NHH waren von der Siedlung, von dem vielen Grün und der großzügigen Anlage begeistert. Ihnen war zumindest bei diesem Vorzeigeobjekt die konsequente Umsetzung der „Organischen Stadtbaukunst“ letztendlich wichtiger als die Kostenfrage. Und tatsächlich war Hohnerkamp eine Siedlung, die dem städtebaulichen Idealbild der Zeitgenossen in vorbildlicher Weise entsprach. Dementsprechend war auch das Echo in der Öffentlichkeit: Neben der ebenfalls von Reichow entworfenen Sennestadt in Bielefeld galt die Siedlung lange Zeit als das „städtebauliche Meisterstück“353 der ersten Hälfte der fünfziger Jahre. Dieses Meisterstück konnte sich die NH auf ihre Fahnen schreiben. Zwar kamen die Planungen dazu nicht aus ihrem Hause; aber ihre organisatorischen und finanziellen Kapazitäten waren für seine Umsetzung unerläßlich. Ohne sie wäre diese Gartenstadt wohl kaum je entstanden. Wie bedeutsam die organisatorischen Ressourcen des neugebildeten Großkonzerns für die Verbreitung des Paradigmas der „gegliederten und aufgelockerten Stadt“ waren, läßt sich auch noch an einem anderen Beispiel illustrieren: der Parkstadt Bogenhausen. Auf dem ehemaligen „Führergelände“ rechts der Isar entstand in den Jahren 1954 bis 1956 nach den Plänen des Architekten Franz Ruf eine Großsiedlung mit 2.000 Wohnungen. Die Initiative für dieses Projekt lag allerdings zunächst nicht bei der NHH, sondern bei einem freien Wohnungsunternehmen: der Münchener Südhausbau GmbH.354 Die Finanzierung der Siedlung, die 349 Werner Norhaub, In Onkel Alberts Reich geht die Sonne nicht unter, STERN 26.1973,3, S. 78–81, hier S. 81. 350 Vgl. dazu die Vielzahl der Presseausschnitte aus dem Jahr 1954 in FZH 592–30 I sowie Reichow 1969, S. 402. 351 Vgl. ebd. 352 Vgl. Protokoll AA NHH 8.10.1957, IGM ZwA 2/17 265, S. 6 und Neue Heimat: Die Bauland-Fresser, SPIEGEL 13.1959,10, S. 26–42, hier S. 32. 353 Hamburger Anzeiger, 28.7.1954, FZH 592–30 I (im Original unbestimmt: „städtebauliches Meisterstück“). Zur Sennestadt vgl. Wagner 1995, S. 290 ff. sowie Deutsche Akademie für Städtebau und Landesplanung (Hg.), Deutscher Städtebau 1968. Die städtebauliche Entwicklung von 70 deutschen Städten, Essen 1970, S. 289 ff. 354 Zur Parkstadt Bogenhausen vgl. Franz Ruf, Parkwohnanlage München-Bogenhausen. Der städtebauliche und architektonische Entwurf, NHM 1955,2, S. 1–9; NHH 1956, S. 103 ff;

3.2 Der „Sauerteig der Wohnungswirtschaft“?

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auch hier – in diesem Falle wegen der hohen Grundstückspreise – im steuerbegünstigten Modus erfolgte, stellte allerdings ein Wagnis dar: Wie im Falle Hohnerkamps mußte sie mit möglichst niedrigen Baukosten einhergehen, da sonst die Vermietbarkeit der Wohnungen gefährdet erschien.355 Das damit verbundene Risiko erschien dem Gesellschafter der Südhausbau zu groß: er wollte „um keinen Preis dieses für ihn außerordentlich riskant erscheinende Projekt durchführen“356 und forderte seine Geschäftsführung auf, einen Übernehmer für das bereits angelaufene Projekt zu suchen. Es gab nicht allzu viele Gesellschaften, die bereit waren, sich das Risiko einer solch großen Siedlung aufzuhalsen; und es gab in ganz Deutschland nur eine einzige Gesellschaft, die mit einem im steuerbegünstigten Modus finanzierten Projekt in dieser Größenordnung überhaupt schon Erfahrungen gesammelt hatte – die NHH. Sie ging auf das Angebot der Südhausbau, die Parkstadt zu übernehmen, sofort ein. Unter der Regie einer Tochtergesellschaft, der Gewog 1910, wurde so bis 1956 mit einem Aufwand von 35 Mio. DM eine Siedlung erstellt, die ohne die organisatorischen Ressourcen der Unternehmensgruppe niemals gebaut worden wäre, und so trug die NH in diesem Falle unmittelbar dazu bei, einen weiteren Modellfall einer „gegliederten und aufgelockerten Stadt“ zu erbauen.357 Es ließe gegen dieses Argument allerdings einwenden, daß Bogenhausen ein schlechtes Beispiel für die Umsetzung dieses Leitbildes sei. Schließlich sah Rufs städtebaulicher Entwurf „zahlreiche Stockwerksbauten von 3 bis 6 Geschossen sowie Hochhäuser von 9–12 und 15 Geschossen mit insgesamt etwa 2000 Wohnungen [vor]. Keine eigentliche Gartenstadt also“.358 Doch Bogenhausen widersprach mitnichten dem Leitbild der „gegliederten und aufgelockerten Stadt“; es stellte vielmehr seine Fortentwicklung zu einer moderneren Variante dar. Als „Stadtlandschaft“ mit differenzierten Gebäudehöhen markierte die Parkstadt einen gestalterischen Wandel, der zwar von Reichows „Organik“ abrückte, im Grundsatz aber die Prinzipien der funktionalen Trennung, der Auflockerung und der Verkehrserschließung beibehielt.359 Die Siedlung bestach die öffentliche Meinung nun nicht mehr mit der vermeintlichen „Natürlichkeit“ Hohnerkamps, sondern dadurch, daß

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Neue Heimat Bayern (Hg.), 15 Jahre Wohnungs- und Städtebau der „Neue Heimat Bayern“ Gemeinnützige Wohnungs- und Siedlungsgesellschaft mbH. München 1955–1970, München o. J. [1970], S. 20 ff.; Georg Götze, Neue Siedlungen nach dem Krieg, in: Möller 1997, S. 82–86, hier bes. S. 85; Hilke Gesine Möller, Forstenrieder Straße und Parkstadt Bogenhausen: Siedlungsbau vor und nach dem Zweiten Weltkrieg. Ein Gespräch mit Dipl.-Ing. Franz Ruf am 19. September 1996 in Gmund am Tegernsee, in: ebd., S. 41–43. Daraus geht auch die Trägerschaft zur Südhausbau hervor. Zur Geschichte der Südhausbau vgl. Paul Ottmann, Vorwort, in: ebd., S. 8–9. Zur Finanzierung der Siedlung vgl. Ludwig Geigenberger, Die Finanzierung der Parkwohnanlage München-Bogenhausen, NHM 1955,2, S. 10–14. Zur Bedeutung der Grundstückspreise in diesem Zusammenhang vgl. Harlander 1999, S. 272. So die Aussage Ludwig Geigenbergers vor dem Parlamentarischen Untersuchungsausschuß des Bundestages, Stenographisches Protokoll 27. Sitzung des 3. Untersuchungsausschusses „Neue Heimat“, 25.9.1986, Parlamentsarchiv des Deutschen Bundestages, Bestand PUA Neue Heimat, Ordner „Prot 27–28–30“, S. 18. Vgl. 50 Jahre Gewog, S. 67 f. NHH 1956, S. 105. Vgl. auch Franz Ruf, Parkwohnanlage München-Bogenhausen. Der städtebauliche und architektonische Entwurf, NHM 1955,2, S. 1–9, hier v. a. S. 4 u. S. 6.

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sie die Durchgrünung beibehielt, aber gleichzeitig eine Modernität ausstrahlte, die „sich bis in die ‚amerikanischen‘ Grundrißlösungen mit der Erschließung von Küche, Eßplatz und Schlafräumen über den Wohnraum hinein“360 ausdrückte. Erkauft wurde diese Modernität allerdings mit einem Mietpreis, der mit „sozialem Wohnungsbau“ nichts mehr gemein hatte. Mit 1,65 DM pro qm lagen die Mieten für Bogenhausen um 40% über dem Münchener Stadtdurchschnitt und sogar um 65% über dem Durchschnitt der Unternehmensgruppe.361 Zwar waren die Wohnungen problemlos vermietbar, aber den Verdacht, daß moderner Wohnungsbau zu den Bedingungen der öffentlichen Förderung nicht zu bekommen war, konnte die Unternehmensgruppe auf diese Weise nicht entschärfen. Die NH mußte daher dem Vorwurf, Gartenstädte seien „wohl nur etwas für Großverdiener“,362 etwas entgegensetzen. Überlegungen hierzu hatte es schon vor Bogenhausen gegeben. Sie standen in direktem Zusammenhang mit dem Bau von Hohnerkamp. Als bewußtes Gegenstück zu dieser von vornherein recht teuren Siedlung wollte Plett 1953 im Hamburger Stadtteil Farmsen „eine Großsiedlung im Grünen“ erschaffen, „die fast ausnahmslos für Familien mit geringem Einkommen bestimmt ist, für Menschen, die bislang in Baracken hausten oder seit dem Krieg fern ihrer Heimatstadt als ‚Butenhamburger‘ zu leben gezwungen waren.“363 Und tatsächlich ging diese Siedlung auch etwa gleichzeitig mit Hohnerkamp in Bau. Die Pläne, die wiederum Hans Bernhard Reichow – diesmal in Zusammenarbeit mit Otto Gühlk – entwarf, sahen insgesamt drei Bauabschnitte mit ca. 2.500 Wohnungen vor. Sie lehnten sich mit den vorgesehenen Grünzügen, der Erschließung über Fuß- und Fahrradwege, den gestaffelten Bauhöhen und der sehr niedrigen Besiedlungsdichte von 165 Einwohnern pro ha deutlich an Hohnerkamp an.364 Auch für Farmsen gilt deshalb die Aussage, daß die Siedlung in den Augen der Zeitgenossen ein städtebaulich vorbildliches Projekt war. Als Beleg dafür, daß ein solches vorbildliches Projekt zu den Konditionen des öffentlich geförderten sozialen Wohnungsbaus auch ohne qualitative Abstriche umsetzbar war, taugte Farmsen aber nicht. Denn um die angepeilte Miethöhe von 1,25 DM pro qm erreichen zu können, setzte die NH noch weitaus stärker als in Hohnerkamp auf die Verwendung billiger Baumaterialien und Bauweisen, etwa auf die Verwendung von Putz statt der in Hamburg üblichen Klinkersteine und auf den Bau von Flachdächern.365 Das rächte sich bald, denn Farmsen war eine Siedlung voller Mängel. Zum Teil waren es die verwendeten Materialien, die – wie etwa der Außenputz – schon nach wenigen Monaten in ihrem Erscheinungsbild 359 Die hier praktizierte Verwendung des Begriffs der „Stadtlandschaft“ folgt der Unterscheidung von moderneren „Stadtlandschaften“ und traditionelleren „Gartenstädten“ in Beyme 1987, S. 78 ff. Nach dieser Unterscheidung fallen Reichows Siedlungen eindeutig unter den Begriff der „Gartenstadt“, obwohl er selbst vorzugsweise den Begriff der „Stadtlandschaft“ benutzt hat. 360 Harlander 1999, S. 273. 361 Vgl. Protokoll AA NHH 8.10.1957, IGM ZwA 2/17 265, S. 6 und Ulfert Herlyn, Wohnen im Hochhaus. Eine empirisch-soziologische Untersuchung in ausgewählten Hochhäusern der Städte München, Stuttgart, Hamburg und Wolfsburg, Stuttgart/Bern 1970, S. 104. 362 NHH 1956, S. 27. 363 Ebd. 364 Vgl. Stapelfeldt 1993, S. 263 f. 365 Vgl. ebd., S. 264.

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stark nachließen; zum Teil waren Reichow und Gühlk auch kaum mehr zu behebende Konstruktionsfehler unterlaufen, die unmittelbar auf den Kostendruck zurückzuführen war. Das galt etwa für die Tatsache, daß die als Sparmaßnahme gedachte Vereinigung von Dach und Decke der Häuser Kältebrücken nach sich zog, die sich nur unzureichend isolieren ließen.366 Insgesamt war Farmsen aufgrund dieser Mängel trotz der vorbildlichen städtebaulichen Anlage fast so etwas wie ein Fehlschlag. Die NH mußte also weiter nach Möglichkeiten suchen, vorbildlichen Wohnungsbau und sozialen Anspruch besser miteinander zu vereinbaren. 3.2.1.4 Die Ära May Einen Ansatzpunkt hierfür bot die Organisation der Planungstätigkeit, die bei der NHH mit außergewöhnlich hohen Kosten verbunden war. Das lag daran, daß das Unternehmen bis Ende 1953 keine eigene Planungsabteilung hatte und deshalb die wesentlichen städtebaulichen Impulse auf dem freien Markt kaufen mußte. Das Problem dabei war, daß die ad-hoc-Beschäftigung freier Architekten – insbesondere so hochkarätiger Vertreter ihrer Zunft wie Reichow oder Ruf – bei gleicher Auslastung bedeutend teurer kam als die Beschäftigung fest angestellter Architekten.367 Daran konnte auch die Tatsache nichts ändern, daß das technische Büro des Unternehmens kleinere Vorhaben gelegentlich auch ohne die Einschaltung externer Architekten abwickelte. Denn unter der Leitung des Bauingenieurs Beyn hatte es ein Profil ausgebildet, das die Planungsleistungen führender Architekten allenfalls ergänzen, sicherlich aber nicht ersetzen konnte. Beyn war vor allem an der Entwicklung und Rationalisierung bautechnischer Verfahren interessiert und verband damit die Hoffnung, das Bauen wirtschaftlicher gestalten zu können. Das war durchaus kein geringzuschätzendes Arbeitsgebiet; aber auf ein dauerhaftes Engagement bei städtebaulichen Großprojekten, wie es sich seit 1953 abzeichnete, war das technische Büro mit dieser Ausrichtung nicht vorbereitet.368 Zum Jahresbeginn 1954 richtete die Geschäftsführung daher eine neue, auf den Bau von kompletten Wohnsiedlungen zugeschnittene Planungsabteilung ein. Damit sorgte sie für Furore, denn die Leitung dieser Abteilung übernahm kein Geringerer als Ernst May, der Nestor der deutschen Stadtplanung.369 May war 1886 in Frankfurt geboren worden. Die englische Gartenstadtbewegung hatte er noch in ihrer Entstehungsphase intensiv kennengelernt, durch ein Studium in London und eine sechsmonatige Tätigkeit bei Raymond Unwin.370 Als 366 Vgl. Klaus Hübenbecker/Klaus Huwendieck/Albrecht Puffert, Wohnungsbau 1920–1980. Dokumentiert an Hamburger Beispielen, Hamburg 1983, S. 46. 367 Vgl. Protokoll Finanzausschuß, 2.9.1953, FZH 592–30 I, S. 4 sowie Beyn 1952, S. 77. 368 Vgl. ebd., passim. 369 Zu May vgl. Eckhard Herrel, Ernst May. Architekt und Stadtplaner in Afrika 1934–1953 (Schriftenreihe zur Plan- und Modellsammlung des Deutschen Architektur-Museums in Frankfurt am Main Bd. 5), Frankfurt a. M. 2001; Klotz 1986(a); Justus Buekschmitt, Ernst May (Bauten und Planungen Bd. 1), Stuttgart 1963 sowie Der Plan-Athlet, SPIEGEL 9.1955,19, S. 30–37. 370 Vgl. Buekschmitt 1963, S. 19 f. und Lange 1994, S. 324.

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3. „Wohnungen, Wohnungen und nochmals Wohnungen“

Stadtbaurat in Frankfurt verantwortete er zwischen 1925 und 1930 das „Neue Frankfurt“, das profilierteste Wohnreformprojekt der Zwischenkriegszeit.371 1930 ging er auf Einladung der sowjetischen Regierung nach Moskau. Zunächst von den unbehinderten Planungsmöglichkeiten einer Diktatur enthusiasmiert, entwarf er als Leiter einer etwa zwanzigköpfigen Gruppe von deutschen Architekten einen grandiosen Generalplan für die Moskauer Stadtentwicklung. Schon bald dämpften allerdings die sowjetische Bürokratie und die schlechte Versorgungslage seine Begeisterung. Mitte 1932 geriet er in das Fahrwasser der beginnenden stalinistischen Säuberungsaktionen. May wurde zwar nicht verfolgt, aber doch aufs Abstellgleis geschoben.372 Da eine Rückkehr nach Deutschland für ihn seit dem Antritt Hitlers als Reichskanzler nicht mehr in Frage kam, ging May zunächst nach Tanganjika, wo er als Farmer tätig wurde. 1937 siedelte er nach Nairobi über und gründete dort zusammen mit einem englischen Architekten das Büro Jackson and May. Nach seiner Internierung während des Krieges übernahm er 1945 die Erstellung eines Stadtentwicklungsplanes für die ugandische Hauptstadt Kampala sowie eine ganze Reihe weiterer hochkarätiger Projekte in Kenia und Tansania.373 Zu diesem Zeitpunkt hatte er bereits erste Überlegungen angestellt, nach Deutschland zurückzukehren, war aber zunächst zu dem Schluß gekommen, „dass die gegenwärtige Zeit nicht reif ist für ein Schaffen im Großen.“374 Seit 1950 bemühte er sich aber intensiv um eine Rückkehr. Die Bitte des Hamburger Bürgermeisters Nevermann, er möge sich um den Posten des Oberbaudirektors bewerben, mußte May Ende 1951 wegen seiner Verpflichtungen in Ostafrika noch abschlägig bescheiden; aber auf Vermittlung seines Schülers Werner Hebebrand, der an seiner Stelle zum Oberbaudirektor ernannt worden war, übernahm May dann mit Wirkung zum 1. Januar 1954 die Leitung der neugeschaffenen Planungsabteilung der NHH.375 Daß ausgerechnet ein Architekt von seinem Format hierin eine Chance sah, die ihn zur Rückkehr nach Deutschland veranlassen konnte, war ein eindrucksvoller Beleg für die Erwartungen, die mittlerweile im deutschen Städtebau auf die gewerkschaftseigenen Wohnungsunternehmen gerichtet waren. Tatsächlich verband May mit seinem neuen Amt die Hoffnung, dem Wohnungs- und Städtebau in der Bundesrepublik entscheidende neue Impulse geben zu können. Gleich in seiner ersten Pressekonferenz als neuer Chef der Planungsabteilung machte er das deutlich. Er stellte fest, daß „nach dem Kriege massenmäßig zwar Außerordentliches geleistet wurde, aber zweifellos wohl aufgrund der gebotenen Eile zunächst die Qualität zu kurz kam.“376 Einen rekonstruktiven Wiederaufbau lehnte er ab. Statt dessen schilderte er ein Programm, das stark von dem Idealbild der „gegliederten 371 Vgl. Klotz 1986(a), passim und Buekschmitt 1963, S. 33 ff. 372 Vgl. ebd., S. 59 ff. und Karin Carmen Jung, Ernst May in Moskau 1930–1934, Bauwelt 77.1986, S. 1067–1070. 373 Vgl. ebd. sowie ausführlich Herrel 2001, v. a. S. 18–139 374 Brief von Ernst May an Lore Greulich, 11.6.1946, zit. nach Herrel 2001, S. 142. 375 Vgl. Herrel 2001, S. 150; Buekschmitt 1963, S. 109 und Rudolf Hillebrecht, „Ein Ruf aus Deutschland“ – Ernst Mays Rückkehrversuch 1951, Bauwelt 77.1986, S. 1071–1072. 376 Redemanuskript Ernst Mays zur Pressebesprechung am 16.1.1954, FZH 592–30 I, S. 1 (Hervorhebung im Original).

3.2 Der „Sauerteig der Wohnungswirtschaft“?

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und aufgelockerten Stadt“ geprägt war. Besonderen Wert legte er dabei auf zwei Dinge: erstens auf eine intensive Berücksichtung der Verkehrsplanung, wie er es in seinem Generalplan für Moskau vorexerziert hatte; und zweitens darauf, den Aspekt der „Schönheit“ in viel stärkerem Maße zu berücksichtigen, als das bis dahin der Fall gewesen war. „Solche Schönheit“, führte er aus, „besteht nicht in der Ankleisterung von Verzierungen und Schnörkeln an unseren Bauten, sondern kann auf viel echtere und natürlichere Weise erreicht werden durch Durchdringung unserer Siedlungen mit natürlichem Grün, sowie durch die Staffelung der Bauten der Höhe nach und weiter durch räumlich vom schönheitlichen Gesichtspunkt aus geeigneteren Planungen unserer Siedlungen.“377 Mit diesem Idealbild im Hinterkopf ging May im Januar 1954 an die Arbeit. Schon seine ersten beiden Projekte, die Wohnsiedlung Lübeck-St. Lorenz und die „Grünhöfe“ in Bremerhaven, zeigten das deutlich.378 Besonders die „Grünhöfe“ bildeten eine nahezu idealtypische Ausführung dieser Ideen. Sie bestanden aus mehreren „in Grün eingebettete[n] Nachbarschaften“,379 die jeweils etwa 200 Wohnungen in sich vereinten. Bei der Gestaltung dieser Wohnungen legte May besonders auf die Frage der Besonnung großen Wert. Zudem brachte er insgesamt 15 verschiedene Grundrisse und mehrere verschiedene Wohnungsgrößen zum Einsatz. Er verband damit die Hoffnung, „das Ziel einer ‚Nachbarschafts-Seßhaftigkeit‘ zu erreichen“:380 Veränderte Wohnbedürfnisse sollten innerhalb der Nachbarschaft gedeckt werden können, um so „der den Großstadtmenschen in stets zunehmendem Maße bedrohenden Atomisierung der menschlichen Gemeinschaft Einhalt“381 zu gebieten – er hätte auch schreiben können: um der „Vermassung“ entgegenzuwirken. In zwei Punkten blieben die Grünhöfe allerdings hinter Mays Idealen zurück. Zum einen war die Staffelung der Gebäude nach ihrer Größe nicht besonders ausgeprägt. Zum anderen hatte auch die Verkehrsplanung nicht die Bedeutung erringen können, die May ihr zubilligen wollte. Das fiel besonders im Gegensatz zu seinem nächstem Projekt auf, wo diese beiden Aspekte eine zentrale Rolle spielten: in der Gartenstadt Vahr, die die Gewoba Bremen 1954 mit den nunmehr aus Hamburg fließenden Geldern östlich der Bremer Innenstadt errichten wollte. Der Planentwurf, den May für diese mit etwa 1.700 Wohnungen bis dahin größte geschlossene Siedlung in Bremen vorlegte, ergänzte die Anlage in Nachbarschaften und die großzügige Durchgrünung, wie sie schon bei den Grünhöfen zu sehen waren, um ein Verkehrskonzept, das bereits

377 Ebd., S. 4. Ähnliche Ansichten vertrat May auch in seinem weithin rezipierten Aufsatz für das Handbuch moderner Architektur, vgl. Ernst May, Wohnungsbau, in: Martin Elsässer u. a., Handbuch moderner Architektur. Eine Kunstgeschichte der Architektur unserer Zeit vom Einfamilienhaus bis zum Städtebau, Berlin 1957, S. 115–221, hier besonders S. 199 ff. 378 Zu Lübeck-St. Lorenz vgl. NHH 1956, S. 52 f. und Buekschmitt 1963, S. 111 f. Zu den Grünhöfen vgl. ebd., S. 112 f.; NHH 1956, S. 71 f; Wallenhorst 1993, S. 193 ff.; Gewoba Bremen (Hg.), Modell Neue Vahr. Katalog zur Ausstellung, Bremerhaven o. J. [ca. 1993], S. 26 f. sowie Ernst May, Siedlung Grünhöfe auf dem Weißenstein, Bremerhaven, NHM 1954,2, S. 11– 16. 379 Ebd., S. 11. 380 Ebd., S. 16. 381 Ebd.

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von einer „erhebliche[n] Motorisierung aller Bevölkerungskreise“382 ausging. Und er sah eine Staffelung nach Gebäudehöhen vor: In der Mitte der Siedlung sollte ein dreizehnstöckiges Wohnhochhaus eine städtebauliche Dominante bilden; von dort aus sank die Bauhöhe nach außen hin ab, über zwei sieben- und etwa 30 viergeschoßige Bauten bis zu zweigeschoßigen Häusern an den Rändern.383 Zumindest war dies Mays ursprünglicher Plan. Umsetzen konnte er ihn in dieser Form allerdings nicht. Zwar war der Bremer Baudirektor Tippel von seinem Vorhaben „regelrecht begeistert“;384 bei der Gewoba war die Stimmung aber eine andere. Denn Richard Boljahn befürchtete, daß mit einer aus Hamburg vorgegebenen Planung für ein solch bedeutungsvolles Großprojekt die Bremer Architektenschaft verärgert werden würde. Er sorgte deshalb dafür, daß mit Max Säume und Günther Hafemann zwei renommierte lokale Architekten in die Planungen eingeschaltet wurden, die auch schon den Wiederaufbau des Bremer Westens angeleitet hatten.385 Den Entwürfen für die Gartenstadt Vahr scheint das eher zuträglich gewesen zu sein, weil die Pläne, die unter der Mitarbeit von Säume und Hafemann entstanden, den vor allem hinsichtlich der städtebaulichen Gruppierung der Häuser vergleichsweise „eintönig[en] und spannungslos[en]“386 ersten Entwurf deutlich modifizierten. Dennoch dürfte May von der Beschneidung seiner Kompetenzen wenig begeistert gewesen sein; denn das war nicht das, was er sich unter einem „Schaffen im Großen“ vorgestellt hatte. Sein Selbstbild war das eines genialen, von allen Zwängen befreiten Solisten. Sich im Rahmen der Beschränkungen zu bewegen, die ihm die Zusammenarbeit mit Kollegen, mit einem Wohnungsunternehmen oder auch die gesellschaftlichen Rahmenbedingungen auferlegte, war seine Sache nicht. Das war besonders im Falle des neben der Gartenstadt Vahr bedeutendsten Projektes, das May als Leiter der Planungsabteilung der NH betreute, deutlich erkennbar: bei dem Sanierungsprojekt Neu-Altona.387 Neu-Altona bildete einen außergewöhnlichen Sonderfall in der Geschichte des Wohnungs- und Städtebaus der fünfziger Jahre. Während die übrigen großen Projekte der NH und anderer Wohnungsunternehmen allesamt Trabantensiedlungen betrafen, die auf der sprichwörtlichen grünen Wiese oder doch zumindest auf geräumten Trümmerfeldern errichtet wurden, lag der Fall in Altona anders. Denn 382 Ernst May u. a., Die Grünstadt „Bremen an der Vahr“, NHM 1955,3/4, S. 13–15, hier S. 14. 383 Vgl. ebd.; Wallenhorst 1993, S. 201 ff.; Gewoba Bremen o. J. [ca. 1993], S. 28 f.; NHH 1956, S. 64 f. und Buekschmitt 1963, S. 115 f. 384 Wallenhorst 1993, S. 199. 385 Zu Säume und Hafemann generell vgl. Gewoba Bremen o. J. [ca. 1993], S. 18 f.; zu ihrer Rolle beim Wiederaufbau des Bremer Westens vgl. ebd., S. 25. 386 Wallenhorst 1993, S. 200. 387 Zu Neu-Altona vgl. Christoph Timm, „... Die Kraft des freien Westens“. Neu-Altona – Wiederaufbau als Stadtsanierung, in: Schildt/Sywottek 1988, S. 461–493; Ernst May, „Neu-Altona“. Projekt für den geschlossenen Neuaufbau eines zerstörten Stadtteiles von Hamburg, NHM 1955,1, S. 1–11; Heinrich Plett, Neu-Altona. Eine große Chance im Städtebau, NHM 1956,7, S. 1–14; Arthur Dähn (Hg.), Neu-Altona. Planung zum Aufbau und zur Sanierung eines kriegszerstörten Stadtkerngebietes in der Freien und Hansestadt Hamburg (Schriftenreihe der Baubehörde zum Bau-, Wohnungs- und Siedlungswesen Heft 23), Hamburg 1958; ders., Neu-Altona, in: Architekten- und Ingenieurverein Hamburg 1969, S. 239–250; Buekschmitt 1963, S. 120 ff; Stapelfeldt 1993, S. 157 ff.; Lange 1994, S. 80 ff.; NHH 1956, S. 39 f.; Der Plan-Athlet, SPIEGEL 9.1955,19, S. 30–37, bes. S. 30 f. sowie Schildt 1992, S. 94.

3.2 Der „Sauerteig der Wohnungswirtschaft“?

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hier gab es bereits eine Stadt; eine Stadt allerdings, die bereits Anfang des 20. Jahrhunderts als klein, überaltert und „verslumt“ gegolten hatte. Immer wieder waren seit diesem Zeitpunkt Überlegungen zu einer Niederlegung und einem kompletten Neuaufbau der heruntergekommenen Altstadt angestellt worden. In den zwanziger Jahren konnten zwar einige Häuser im kleinen Maßstab erneuert werden, aber groß angelegte Sanierungspläne scheiterten mit schöner Regelmäßigkeit; zunächst aus Geldmangel, dann wegen der extremen Zersplitterung der Eigentumsverhältnisse; schließlich, weil sich die Nationalsozialisten selbst im Wege standen und ihre seit 1933/34 verfolgten Sanierungspläne in die völlig anders gelagerten Planungen zum Ausbau Hamburgs zur „Führerstadt“ integrieren mußten, nachdem Hitler Altona 1937 zum Stadtteil Hamburgs degradiert hatte. Den zu diesem Zeitpunkt immer noch ausstehenden Abbruch der Altstadt besorgten dann im Juli 1943 die alliierten Bombergeschwader.388 Für einen Wiederaufbau fehlte der Stadt in den ersten Nachkriegsjahren allerdings das Geld. Hier kam die NH ins Spiel. Denn Geld hatte sie seit 1953/54 im Überfluß; und darüber hinaus hatte sie seit Anfang 1954 einen Planungschef, der in dem Trümmerhaufen der Altonaer Altstadt eine Chance für ein „Schaffen im Großen“ erkannte, wie sie sich vielleicht in ganz Deutschland kein zweites Mal bieten würde. Mit einem Aufbau Altonas, so argumentierte die Unternehmensgruppe, „sei richtungsweisend darzutun, wie auch das freie Westdeutschland in der Lage sei, großzügig seine Städte wieder aufzubauen. Nur mit einem solchen Aufbau werde man gegenüber den Aufbaumaßnahmen Ostdeutschlands (Stalinallee in Ostberlin) die Kraft des Westens dartun können.“389 Mit diesem Gedanken im Hinterkopf traten Plett und May im April 1954 an die Baubehörde heran und unterbreiteten ihr den Vorschlag, einen Plan für die Altonaer Altstadt zu erarbeiten. Plett bot an, sich dort mit den von ihm auf dem Kapitalmarkt beschafften Mitteln zu engagieren. Welche Summen dabei im Gespräch waren, ist unklar; jedenfalls war es offenbar genug, um das Angebot in den Augen der Baubehörde sehr attraktiv erscheinen zu lassen. Denn diese ging ohne Zögern auf die Hauptbedingung ein, die die NH für ein solches Engagement stellte: die Überplanung der gesamten Altstadt. Das war insofern ungewöhnlich, als diese zwar weitgehend, aber keineswegs vollständig in Schutt und Asche lag. Besonders im südöstlichen Zipfel der Stadt sowie teilweise im Norden waren ganze Straßenzüge erhalten geblieben.390 Die NH hielt aber dennoch eine Aufbauplanung nur unter der Bedingung für sinnvoll, daß „die Stadt Hamburg bereit sei, die noch bewohnten, aber nicht erhaltungswürdigen Wohn- und Gewerbegebäude innerhalb des Planungsgebietes (man kann ruhig sagen, die ‚Slums‘) abzureißen bzw. die dadurch entstehenden Kosten zu übernehmen.“391 Diese Forderung lag darin begründet, daß die NH zu diesem Zeitpunkt gar nicht über die Kompetenzen verfügte, eine Kombination aus teilweisem Neuauf388 Vgl. Dähn 1958, S. 20 ff. sowie Timm 1988, S. 464 ff. 389 So die Darstellung der Position der Unternehmensgruppe in der Stellungnahme der Finanzbehörde zu einer Denkschrift der NH, 15.9.1954, zit. nach Timm 1988, S. 471. 390 Vgl. die Karten bei Dähn 1958, S. 32 f. 391 Heinrich Plett, Neu-Altona. Eine große Chance im Städtebau, NHM 1956,7, S. 1–14, hier S. 1.

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3. „Wohnungen, Wohnungen und nochmals Wohnungen“

bau und teilweiser Modernisierung zu planen. Was sie vor allem konnte, war schnell und billig eine große Anzahl von Neubauwohnungen zu errichten. Ob es sich bei den für einen Abriß vorgesehen Häusern allerdings tatsächlich, wie Plett so freimütig behauptete, um „Slums“ handelte, war keineswegs gesichert. Denn trotz der Tragweite der Forderung nach einem Abriß der noch bestehenden Wohnungen scheint es Untersuchungen über deren Modernisierbarkeit nicht gegeben zu haben.392 Das war insofern erstaunlich, als bis dahin schon aus Kostengründen das Prinzip der größtmöglichen Bestandswahrung gegolten hatte.393 Das, was die NH hier vorhatte, war hingegen eine Flächensanierung. Dafür gab es in der Nachkriegszeit keine Beispiele: „Wiederaufbau als Stadtsanierung – das war ein Novum in der jungen Geschichte der noch wohnungsnotleidenden Republik.“394 Auch von der Kostenseite her war es ein Novum: Alleine für den ersten von geplanten vier Bauabschnitten beliefen sich die Belastungen für die Stadt, die sich daraus ergaben, daß sie die abzureißenden Gebäude und die für die neue Überbauung vorgesehenen Grundstücke kaufen sollte, auf etwa 30 Mio. DM.395 Das war eine Summe, die die Experten von der Finanzbehörde eigentlich als viel zu hoch betrachteten. Dennoch beurteilten sie die Pläne der NH insgesamt positiv – einmal wegen der „ins politische hineinragenden (...) Bedeutung“, die sie in Übereinstimmung mit der NHH diagnostizierten; und zum anderen deshalb, weil sie in dem Sanierungsprojekt die Chance sahen, „städtebauliche Scheußlichkeiten der Vergangenheit zu beseitigen“.396 Damit waren vor allem die das Stadtbild noch immer dominierenden historistischen Bauten aus dem letzten Drittel des 19. Jahrhunderts gemeint, die bei den Planern der Nachkriegszeit in einem denkbar schlechten Ruf standen. Anders als etwa hinsichtlich der Siedlungen aus der Zwischenkriegszeit konnten sie sich bei diesen Bauten umstandslos auf einen Abriß einigen.397 An ihre Stelle sollte jenes Modell von „Neu-Altona“ treten, das eine gemischte Planungsgruppe von NH und Stadt unter der Leitung von May und Hebebrand seit März 1955 erarbeitete. Es sah einen Wiederaufbau vor, der sich mit bemerkenswerter Radikalität am Leitbild der „gegliederten und aufgelockerten Stadt“ orientierte. Besonderen Wert legten die Planer auf das Credo der „funktionalen Trennung“: Kern des Projektes, das den Neubau von über 9.000 Wohnungen vorsah, war ein großer Grünzug, durch den die städtische Bebauung in einzelne Nachbarschaften aufgelöst werden sollte.398 Zudem sahen die Planungen vor, das Bahnhofsviertel zur „City“ mit Büro- und Geschäftszentrum umzugestalten. Von zen392 393 394 395

Vgl. Timm 1988, S. 472. Vgl. Lange 1994, S. 81. Timm 1988, S. 462. Vgl. Dähn 1958, S. 106 ff. und Timm 1988, S. 472. Insgesamt wurden für das Projekt bis 1969 etwa 450 Mio. DM aufgewendet, vgl. Dähn 1969, S. 249. 396 Stellungnahme der Finanzbehörde zur Denkschrift der NH, 15.9.1954, zit. nach Timm 1988, S. 472. 397 Vgl. Timm 1988, S. 480 sowie Christian Farenholtz, Die Planung von Neu-Altona, Bauwelt 77.1986, S. 1072–1074, hier S. 1074. 398 Vgl. Ernst May, „Neu-Altona“. Projekt für den geschlossenen Neuaufbau eines zerstörten Stadtteiles von Hamburg, NHM 1955,1, S. 1–11, hier S. 8; Fahrenholtz 1986, S. 1073 f.; Stapelfeldt 1993, S. 165; Buekschmitt 1963, S. 123 und Dähn 1958, S. 46. Zur Zusammensetzung der erwähnten Planungsgruppe vgl. ebd., S. 11.

3.2 Der „Sauerteig der Wohnungswirtschaft“?

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traler Bedeutung war, ganz im Sinne des städtebaulichen Leitbildes, auch die Frage der Verkehrsplanung. Hier behielten die Planer zwar das alte Straßennetz in seinen Grundzügen bei, versahen es aber mit einer anderen Funktion. „Mit vier durchgehenden vorrangig realisierten Straßenzügen für den Auto-Durchgangsverkehr (...) wurden dem Stadtteil breite Schneisen geschlagen, die Altona in autogerechte ‚Wohninseln‘ zerlegten.“399 Zur Gestaltung der Stadtlandschaft griff die Planungsgruppe zudem auf das Mittel der differenzierten Gebäudehöhen zurück. Die Wohnhäuser, die zumeist als viergeschossige Zeilenbauten errichten werden sollten, sollten punktuell durch bis zu zwanziggeschossige Hochhäuser überragt werden. An der Elbuferkante etwa war eine Skyline aus drei vierzehngeschossigen Häusern vorgesehen, die arg an die Pläne der Nationalsozialisten erinnerten, an dieser Stelle mit einem „Gauhochhaus“ Hamburgs Weltgeltung zum Ausdruck zu bringen.400 Dabei stand das Sendungsbewußtsein der Städtebauer, das sich in diesen Plänen äußerte, in bemerkenswertem Gegensatz zur Praxisfähigkeit ihrer Entwürfe. Vor allem finanziell hatten sie den Bogen weit überspannt; angesichts der stetigen Bau- und Bodenpreissteigerungen geriet Neu-Altona schnell an die Grenzen der Finanzierbarkeit. Seit Beginn der sechziger Jahre rückten deshalb die politischen Mehrheiten für eine Fortsetzung des Projektes aus dem Blickfeld. Hinzu kamen eindeutige Planungsfehler, die vor allem in der mangelnden Sensibilität der Planer gegenüber der Bedeutung privater Gebiete innerhalb des städtischen Raumes begründet lagen.401 Schon nach wenigen Jahren war deshalb offensichtlich, daß auf der Grundlage der Planungen von May und Hebebrand „Altona, die traditionsreiche Schwesterstadt Hamburgs, (...) ihre bauliche Identität weitestgehend verloren“402 hatte. Das Projekt blieb zur Hälfte unvollendet, und Mays große Träume von Altona als Sinnbild der „Kraft des Westens“ wurden niemals Wirklichkeit. Statt dessen reüssierte das etwa gleichzeitig aufgebaute und mit der internationalen Bauausstellung 1957 verbundene Berliner Hansaviertel als das städtebauliche Renommierprojekt, das der Westen der Stalinallee in Ostberlin gegenüberstellte.403 Ernst May machte für dieses Scheitern Neu-Altonas allerdings nicht seine Planungen, sondern das „zähe Festhalten an Eigentumsgrenzen“404 verantwortlich. Dieses Argument entbehrte allerdings jeglicher Grundlage. In der besonderen Situation der Nachkriegszeit ging die Bodenneuordnung so problemlos vonstatten, wie das in späteren Jahren nie mehr der Fall sein sollte. Denn „die Mehrzahl der ‚alten‘ Grundeigentümer war physisch und finanziell am Ende und aus eigener Kraft zum Wiederaufbau nicht in der Lage; ihr blieb nur der Verkauf, um den ver-

399 400 401 402 403

Timm 1988, S. 477. Vgl. ebd., S. 479. Vgl. ebd. S. 483. Lange 1994, S. 82. Zum Hansaviertel vgl. Gabriele Dolff-Bonekämper/Franziska Schmitt, Das Hansaviertel. Internationale Nachkriegsmoderne in Berlin, Berlin 1999 sowie Hanauske 1995, S. 715 ff. 404 Ernst May, zit. nach: Städtebau von hoher Warte, Die Stadtbauplanung. Organ für Städtebau und Raumplanung 1.1956, S. 43–45, hier S. 43 (im Original Dativ: „zähen Festhalten“).

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3. „Wohnungen, Wohnungen und nochmals Wohnungen“

bliebenen Grundstückswert zu realisieren. Es bedurfte tatsächlich nur einer Handvoll Enteignungen, um die Stadt in den Besitz der Grundstücke zu bringen.“405 Mays Äußerungen zu dieser Frage deuteten deshalb weniger auf die Schwierigkeiten der Planungstätigkeit hin als vielmehr auf die überzogenen Ansprüche, die er für diese Planungstätigkeit erhob. Nirgends kam das so deutlich zum Ausdruck wie in seiner Klage, daß „die öffentliche Autorität im NS-Staat verbraucht“ worden und das „gegenwärtige gesellschaftliche Bewußtsein zu einem ganzheitlichen Akt nicht mehr fähig“406 sei. In solchen Ausführungen zeigte sich vor allem eines sehr deutlich: wie wenig ausgeprägt Mays Bereitschaft war, sich in seiner „Planerherrlichkeit“ durch irgendwelche institutionellen Vorgaben beschränken zu lassen. Aushandlungs- und Vermittlungsprozesse, in denen er womöglich Kompromisse eingehen mußte, waren ihm aufs Gründlichste zuwider. Er fühlte sich durch sie in seiner Genialität auf unzulässige Weise eingeschränkt. Im Falle Neu-Altonas blieb diese Haltung letztlich für ihn persönlich ohne Konsequenzen. Anders verhielt es sich aber in Bezug auf seine für die NH geplanten Wohnsiedlungen. Hier brachte ihm seine Kompromißlosigkeit große Schwierigkeiten ein. Das galt insbesondere für die noch immer ungelöste Frage des Verhältnisses „zwischen den Erfordernissen fortschrittlichen Wohnungsbaus und den zur Verfügung stehenden Mitteln.“407 Sie war vor allem bei den Planungen für die bereits erwähnte Gartenstadt Vahr erneut in den Vordergrund gerückt. May, Säume und Hafemann hatten hier bewußt ein Modellprojekt schaffen wollen. Das zeigte sich einmal in der Gestaltung der Grünanlagen, auf sie großen Wert legten; es zeigte sich darin, daß die Gewoba eine Plastik des Bildhauers Seff Weidl sponsorte, die für die Arbeiterfamilien das bieten sollte, was bislang den „Parks von Fürsten und sehr reichen Leuten“408 vorbehalten war; und es zeigte sich auch in der Ausstattung der Wohnungen, die allesamt über Balkone und Einbauküchen verfügten – und darüber hinaus in allen Häusern, die mehr als vier Stockwerke aufwiesen, über eine Zentralheizung.409 In diesem Modellcharakter der Siedlung lag aber auch ein erhebliches Kostenproblem begründet. Denn gerade die Zentralheizung war zwar fortschrittlich, aber für den Massenwohnungsbau Mitte der fünfziger Jahre viel zu teuer. Mit der Unterstützung Pletts und Boljahns konnten die genannten Ausstattungsmerkmale in der Gartenstadt Vahr zwar tatsächlich umgesetzt werden; aber May, Säume und Hafemann war auch das noch zu wenig: Sie beklagten sich darüber, daß städtebau-

405 Timm 1988, S. 477. Aus genau diesem Grund ging die Neuordnung der Grundstücksverhältnisse auch bei zahlreichen anderen Bauvorhaben der NH in den frühen fünfziger Jahren relativ problemlos vonstatten, vgl. Gerhard Bonn, Freiwillige Bodenordnung für 6.000 Wohnungen. Die Meisterung eines schwierigen Aufbau-Problems mit leichter Hand, NHM 1955,3, S. 1–5. 406 Ernst May, zit. nach: Städtebau 1956, S. 44. Vgl. auch Timm 1988, S. 477. 407 Ernst May u. a., Die Grünstadt „Bremen an der Vahr“, NHM 1955,3/4, S. 13–15, hier S. 14. 408 Bremer Nachrichten, 4.4.1959, zit. nach Wallenhorst 1993, S. 211. 409 Vgl. ebd., S. 206 f. Die Einrichtung der Zentralheizung ging unmittelbar auf May zurück, der die Auffassung vertrat, es sei „unsozial und veraltet, daß der Mensch Kohlen 3–4 Stockwerke hochzuschleppen hat, Öfen mit eigener Hand zu heizen und die Asche denselben Weg wieder zurückzuschleppen hat“, Redemanuskript Ernst Mays zur Pressebesprechung am 16.1.1954, FZH 592–30 I, S. 2 f.

3.2 Der „Sauerteig der Wohnungswirtschaft“?

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liche Gruppierung, Farben und Grünanlagen das ausgleichen müßten, was an architektonischen Gestaltungsmitteln nicht bezahlt werden könne.410 Das war denn doch des Guten zuviel. Vor allem Walter Beyn, der sein Hauptarbeitsgebiet, die bautechnische Rationalisierung, als ein Mittel verstand, möglichst billig und damit breitenwirksam bauen zu können, geriet in heftigen Konflikt mit May. Und in der Tat hatte seine Position einiges für sich, denn ein Projekt wie die Gartenstadt Vahr mochte als Ausnahmefall im Rahmen des öffentlich geförderten sozialen Wohnungsbaus finanzierbar sein, als Regelfall war sie es mit Sicherheit nicht. Auch hier bestand also das Dilemma fort, daß es der NH nur mit Mühe gelang, vorbildlichen Wohnungsbau und sozialen Anspruch miteinander zu vereinbaren. Zur Behebung dieses Problems, das ja im Hintergrund der Einrichtung der Planungsabteilung gestanden hatte, hatte May nichts Substantielles beigetragen, im Gegenteil: Er hatte sich von wirtschaftlichen Überlegungen ganz bewußt nicht einschränken lassen wollen. Mit dieser Einstellung zog er nun allerdings gegenüber Beyn den Kürzeren. Als langjähriger NH-Mitarbeiter verfügte dieser über eine beträchtliche Hausmacht, und er konnte durchsetzen, daß in künftigen Projekten die Kostenfrage verstärkte Beachtung finden sollte. Damit wollte May sich aber nicht abfinden. Es blieb ihm nur ein Ausweg: die Kündigung. Ende 1956 nahm er den Hut und verabschiedete sich als Leiter der Planungsabteilung.411 3.2.1.5 Die Neue Vahr Doch die „Ära May“ war damit noch nicht vorüber. Der Einfluß des großen Städteplaners auf die Unternehmensgruppe wirkte auch über 1956 hinaus fort. Zum einen prägte er mit seiner Arbeit ein wichtiges, vielleicht das wichtigste Element des äußeren Auftritts der NH. Das war der 1957 in Angriff genommene Neubau des Bürogebäudes der Unternehmensgruppe an der Lübecker Straße 1 in Hamburg. May lieferte hierfür zwar nur einige Entwürfe, während die Hauptarbeit auf den Schultern des zuständigen Sachbearbeiters der NH, Diether Haase, lastete.412 Doch das Ergebnis trug unverkennbar seine Handschrift. Das zwölfstöckige, mit gelbem Klinker und patinagrünen Keramikplatten verkleidete Hochhaus wies neben seiner bemerkenswerten Farbgebung auch eine Reihe weiterer Besonderheiten auf, die es zu einem der wichtigsten Zeugnisse der Hamburger Nachkriegs-Moderne werden ließen: so etwa das seitliche, transparente Treppenhaus; die Stützen im Erdgeschoß, die das Gebäude über den angeschlossenen Flachbauten schweben ließen; oder den runden, mit Bullaugen ausgestatteten Sitzungssaal auf dem Dach des Gebäudes, der Assoziationen an einen Schiffsschornstein wecken sollte und in dem von da ab fast alle wesentlichen Richtungsentscheidungen über die Unternehmenspolitik der NH gefällt wurden. In seiner architektonischen Kraft ein Zeichen 410 Vgl. Wallenhorst 1993, S. 207 sowie Ernst May u. a., Die Grünstadt „Bremen an der Vahr“, NHM 1955,3/4, S. 13–15, hier S. 14. 411 Vgl. Neue Heimat: Die Bauland-Fresser, SPIEGEL 13.1959,10, S. 26–42, hier S. 35; Buekschmitt 1963, S. 127 sowie Herrel 2001, S. 151. 412 Vgl. Lange 1994, S. 131.

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für die vorbildliche Gestaltung der Wohnsiedlungen der NH in den fünfziger Jahren, wurde das vielfach fotographierte Gebäude mit dem seitlich angebrachten NH-Logo im Verlauf der achtziger Jahre zum Symbol eines abgewirtschafteten Unternehmens – ein Schicksal, das es wohl schwerlich verdient hatte.413 Auch in einer weiteren Hinsicht war die „Ära May“ 1956 noch nicht zu Ende. Denn der Stadtplaner blieb der Unternehmensgruppe in den folgenden Jahren noch als freischaffender Berater erhalten. Paradoxerweise konnte er erst in dieser Eigenschaft seine Fähigkeiten voll entfalten. Das war besonders bei jenem Projekt sichtbar, das die NH von einem normalen Wohnungsunternehmen schlagartig zu einer international bekannten Marke machte: die Neue Vahr, das mit 10.000 Wohnungen für 25.000 Einwohner bis dahin „größte geschlossene Bauvorhaben des sozialen Wohnungsbaus in der Bundesrepublik“.414 Entscheidend für das Zustandekommen und für den durchschlagenden Erfolg dieses Projektes, das binnen kürzester Zeit zum dem Aushängeschild des bundesrepublikanischen Wohnungsbaus avancierte, waren drei Faktoren: erstens die ökonomischen und politischen Rahmenbedingungen in Bremen; zweitens die wohnungswirtschaftlichen Fähigkeiten der NH und ihrer Tochtergesellschaft, der Gewoba; und drittens die in den Augen der zeitgenössischen Öffentlichkeit herausragende Qualität des städtebaulichen Entwurfes, die nicht zuletzt Ernst May zu verdanken war. Was die ökonomischen und politischen Rahmenbedingungen betraf, so waren diese in erster Linie von dem Umstand geprägt, daß Bremen trotz einer im innerdeutschen Vergleich sehr ansehnlichen Bautätigkeit Mitte der fünfziger Jahre noch immer einen Brennpunkt der Wohnungsnot bildete. Das hing damit zusammen, daß die Hansestadt – neben München – die deutsche „Boomtown“ der fünfziger Jahre war. 1956 standen deshalb etwa 25.000 Wohnungssuchende auf der Bremer Dringlichkeitsliste – und das waren nur diejenigen, die bereits in der Stadt in Notunterkünften oder in viel zu kleinen Wohnungen untergekommen waren, während die Zuzugswilligen damit noch gar nicht erfaßt waren.415 In der Bremer Landespolitik galt es angesichts dieser Lage Mitte der fünfziger Jahre als ausgemachte Sache, daß die Stadt neue Wege finden müsse, um die Wohnungsnachfrage auch nur ansatzweise befriedigen zu können. Schon im März 1954 unternahm der Finanzsenator, Wilhelm Nolting-Hauff, einen Vorstoß in diese Richtung. Er schlug vor, ein neuartiges Finanzierungssystem zu schaffen, das das Förderungsvolumen schlagartig erhöhen sollte. Bis zu diesem Zeitpunkt war die Wohnungsbauförderung – in Bremen wie auch anderswo – im Regelfall als Kapitalsubvention gewährleistet worden. Das bedeutete, daß das Land öffentliche 413 Vgl. ebd., S. 130 f.; Buekschmitt 1963, S. 126; Karin Carmen Jung/Dietrich Worbs, Ernst Mays „Neue Heimat“, Bauwelt 82.1991, S. 1688–1689. 414 Hamburger Morgenpost 10.5.1957, zit. nach Wallenhorst 1993, S. 229 (im Original Genitiv: „größten geschlossenen Bauvorhabens“). Zur Neuen Vahr generell vgl. ebd., S. 229 ff; Lange 1994, S. 89 ff; Gewoba Bremen o. J. [ca. 1993], S, 30 ff.; Monika Zimmermann, Alte „Stadt der Zukunft“. Großsiedlung Neue Vahr, Bremen, in: Matthias Schreiber (Hg.), Deutsche Architektur nach 1945. Vierzig Jahre Moderne in der Bundesrepublik, Stuttgart 1986, S. 43–46; Buekschmitt 1963, S. 137 ff. und Herbert Ritze, Großprojekt Bremen-Vahr. 10.000 Wohnungen in vier Jahren, NHM 1956,8/9, S. 1–14. 415 Vgl. Wallenhorst 1993, S. 231 f. und Gewoba Bremen o. J. [ca. 1993], S. 31.

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Baudarlehen gewährte, die niedrig oder gar nicht zu verzinsen waren. Der Nachteil dieser Förderungsmethode bestand in der hohen Belastung, die sie für die öffentlichen Haushalte bedeutete; denn in der Regel mußte auf diesem Wege die zweite Hypothek, also etwa 20–25% der Baukosten, aufgebracht werden. Nolting-Hauff schlug nun vor, diese Kapitalsubvention zu streichen und die Bauherren das Geld statt dessen auf dem Kapitalmarkt aufnehmen zu lassen. Die öffentliche Hand sollte nur noch die Zinsen übernehmen, die die Banken den Bauherren für diese Gelder abverlangten.416 Für die Bauherren änderte sich dadurch auf der Kostenseite nichts; die öffentliche Hand aber kam bei dieser Lösung kurzfristig deutlich günstiger weg, weil sie nun im jeweils laufenden Haushaltsjahr nicht mehr das gesamte Kapital für die zweite Hypothek, sondern nur noch das Geld für die Verzinsung aufbringen mußte. Der Grundgedanke dieser Förderungsmethode, die unter dem Begriff der „Zinssubvention“ diskutiert wurde, war nicht so revolutionär neu, wie es später häufig dargestellt worden ist. Schon 1949 hatte die FDP in ihrem Programm zur Bundestagswahl einen ganz ähnlichen Vorschlag gemacht, und auch in anderen Bundesländern wurde Mitte der fünfziger Jahre die Zinssubventionierung diskutiert.417 Warum aber war dieser Weg, mit dem bei gleichem Kapitaleinsatz etwa zehnmal mehr Wohnungen gefördert werden konnten als bisher, dann nicht von Anfang an beschritten worden? Dafür gab es zwei Gründe. Der eine lag darin, daß der Weg über die Zinssubvention bei gleichem Bauvolumen zwar zu einer deutlich niedrigeren jährlichen Verpflichtung führte, diese aber auf einen wesentlich längeren Zeitraum verteilte. Während die Gelder für Kapitalsubventionen nur ein einziges Mal in den Haushalt eingestellt werden mußten – in dem Jahr, in dem sie gewährt wurden –, handelte es sich bei der Zinssubvention um eine Leistung, die jährlich wiederkehrte, solange der subventionierte Kredit lief. In der Summe addierten sich die Zinssubventionen damit je nach Laufzeit und Zinssatz u. U. zu einem wesentlich höheren Betrag als die einmal gewährte Kapitalsubvention. Zudem waren dem Landeshaushalt damit langfristige Belastungen auferlegt, die die Spielräume nachfolgender Generationen spürbar beschneiden konnten.418 Nolting-Hauffs Vorschlag weckte deshalb den Argwohn der Bremer Parlamentarier und auch der Bankenwelt.419 Gegen diese Widerstände konnte sich der Senator nicht durchsetzen, zumal es für sie auch noch einen zweiten Grund gab. Denn bevor die öffentliche Hand Zinssubventionen gewähren konnte, mußten die Bauherren ja erst einmal ein Darlehen auf dem freien Markt aufnehmen können, und dies war aufgrund der Kapitalmarktenge in den frühen fünfziger Jahren mit großen Schwierigkeiten verbunden. Auch 1954 überwog angesichts des bevorstehenden Auslaufens der steuerbegünstigten Pfandbriefe noch die Skepsis, ob sich das in absehbarer Zeit ändern würde; und so ka-

416 Vgl. Horst Adamietz, Die fünfziger Jahre. Bremer Parlamentarier 1951–1959, Bremen 1978, S. 56 f. und Wallenhorst 1993, S. 232. 417 Zur FDP vgl. Schulz 1994 S. 93; zu den anderen Bundesländern vgl. den Überblick bei Böhme 1960, S. 92 ff. 418 Vgl. Jaschinski/Klein 1957, S. 1691 f. 419 Vgl. Adamietz 1978, S. 57.

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men sowohl der Vorschlag der FDP von 1949 als auch Nolting-Hauffs Überlegungen von 1954 zu früh.420 Anders mußte sich die Lage freilich in dem Moment darstellen, in dem den Bauherren Kapitalmarktmittel in ausreichendem Maße zur Verfügung standen. So war es kein Zufall, daß Nolting-Hauffs Vorschläge eineinhalb Jahre später wieder auf den Tisch kamen; und es war auch kein Zufall, daß die Initiative hierfür diesmal nicht von der Bremer Politik ausging, sondern von einem Bauherren, der über hervorragende Verbindungen zum Kapitalmarkt verfügte: von der NHH. Pletts ehemaliger Chef, Heinz Roosch, hatte sich ein Konzept ausgedacht, das den Vorschlägen Nolting-Hauffs zur Zinssubvention bis ins Detail glich.421 Der Unterschied war allerdings, daß die NHH in Aussicht stellte, im Falle der Einführung der Zinssubventionierung ihre „eingespielten Bankverbindungen“422 zu nutzen und sich mit umfangreichen Mitteln in Bremen zu engagieren. Der eine Einwand gegen das System der Zinssubventionierung – die mangelnde Verfügbarkeit von Kapitalmarktmitteln – war damit ausgeräumt; aber der Einwand gegen die langfristigen Belastungen blieb weiterhin bestehen. Doch auch diesbezüglich verfügte die Unternehmensgruppe über eine wertvolle Ressource: über politische Kontakte. Sie brauchte sich nur an den Mann zu halten, der den Vorsitz im Aufsichtsrat ihrer Regionalgesellschaft, der Gewoba, innehatte: Richard Boljahn, den ungekrönten König von Bremen. An einem Wochenende am Plöner See erarbeiteten Plett und Roosch mit ihm zusammen einen Gesetzesentwurf, der „genau der Kreditpolitik angepaßt [war], die [sie] sich (..) auf lange Sicht zurechtgelegt“423 hatten. Und Boljahn nutzte seine Machtstellung, um diesen Gesetzesentwurf durchzusetzen, wobei ihm die Tatsache zugute kam, daß die Front gegen die Zinssubventionierung angesichts der langsamen Verbesserung der Kapitalmarktbedingungen bröckelte und der Handlungsdruck aufgrund der rapide anwachsenden Bevölkerungszahl – 1956 wuchs Bremen pro Monat (!) um 1.500 Einwohner – stetig stieg.424 Am 22. Februar 1956 verabschiedete die Bremer Bürgerschaft daher mit breiter Mehrheit das „Gesetz zur Behebung der Wohnungsnot im Lande Bremen“. Einzig die DP stimmte gegen den Entwurf, weil sie eine Stärkung der Machtstellung der gemeinnützigen Wohnungsunternehmen befürchtete. Alle anderen Parteien dagegen lobten das Gesetz als eine soziale Großtat, um die, so ein Vertreter der CDU, „die übrigen Bundesländer Bremen (...) beneiden werden.“425 Und tatsächlich waren die Eckdaten des Gesetzes beeindruckend: Innerhalb von vier Jahren sollten 40.000 mit Zinssubventionen geförderte Wohnungen entstehen, davon 420 Vgl. Borchardt 1971, S. 166 und Jaschinski/Klein 1957, S. 1961. 421 Es erscheint – anders als das bei Adamietz 1978, S. 57 dargestellt ist – plausibel, daß Roosch seinen Plan unabhängig von Nolting-Hauff formuliert hat, weil sich Anklänge dieses Finanzierungsmodells bereits in den schon 1952 von der NHH erarbeiteten Vorschlägen zur Wohnungsbaufinanzierung durch Aktien fanden. Vgl. dazu Kap. 4.1.1.3 dieser Arbeit. 422 Neue Heimat: Die Bauland-Fresser, SPIEGEL 13.1959,10, S. 26–42, hier S. 37. 423 Ebd. Vgl. auch Gewoba Bremen o. J. [ca. 1993], S. 31. 424 Vgl. Wallenhorst 1993, S. 232. Zur Bevölkerungsentwicklung vgl. auch Deutsche Akademie für Städtebau und Landesplanung 1970, S. 52 ff. 425 Zit. nach Adamietz 1978, S. 60.

3.2 Der „Sauerteig der Wohnungswirtschaft“?

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70% als Mietwohnungen mit einer Richtsatzmiete, die auf ein Familienbruttoeinkommen von 500 DM pro Monat abgestimmt war, sowie 30% als Eigenheime, die ebenfalls vorzugsweise mittleren bis niedrigen Einkommensschichten zugute kommen sollten. Das Land übernahm dafür Verpflichtungen für Zins- und Tilgungsbeihilfen bis zu einer Höhe von 450 Mio. DM.426 Es war angesichts der Entstehungsgeschichte dieses Gesetzes nicht weiter überraschend, daß die Bremer Tochtergesellschaft der NH, die Gewoba, mit etwa 15.000 Einheiten den weitaus größten Teil der vorgesehenen Wohnungen bauen sollte. Dies lag aber nicht nur daran, daß die Gewoba über beste Kontakte zur Bremer Landespolitik verfügte. Vielmehr war es schon aufgrund der schieren Masse der innerhalb von nur vier Jahren zu bauenden Wohnungen naheliegend, diese in geschlossenen Großprojekten „auf der grünen Wiese“ zu realisieren. Tatsächlich war die Gewoba die einzige Bremer Wohnungsbaugesellschaft, der man aufgrund ihrer Größe und ihrer Erfahrungen die Planung und Durchführung solcher Großprojekte zutrauen konnte.427 Das galt nicht zuletzt deshalb, weil in Bremen nur in wenige geeignete Grundstücksflächen vorhanden waren. So kam für ein Großprojekt zu diesem Zeitpunkt nur ein einziger Standort in Frage – das Gelände unmittelbar östlich der Gartenstadt Vahr. Dieses Gelände aber war so groß, daß man, um es vollständig auszunutzen, eine Siedlung mit etwa 10.000 Wohnungen erstellen mußte.428 Für ein solches Riesenprojekt, für das es in ganz Europa keine Vorbilder gab, kam von den in Bremen ansässigen Wohnungsbaugesellschaften nur die Gewoba in Frage. Sie übernahm deshalb im Mai 1956 die Planungen für eine Bebauung dieses Areals, das den Namen „Neue Vahr“ erhielt. Im Aufsichtsrat der Gewoba wurden zu diesem Zeitpunkt erste Überlegungen zur Gestaltung des neuen Stadtviertels angestellt. Der Bremer Oberbaudirektor Rosenberg hatte die Gesellschaft aufgefordert, für die städtebauliche Planung ausschließlich Bremer Architekten einzusetzen. Das konnten nach Lage der Dinge nur Säume und Hafemann sein. Doch der Aufsichtsrat traute ihnen ein Projekt in dieser Größenordnung wohl nicht zu, zumindest nicht, wenn sie es alleine zu verantworten hatten. Nach einigem Hin und Her entschied er deshalb, „die Herren Dr. Säume und Hafemann, sowie Dr. Reichow und Dr. May aufzufordern, in Arbeitsgemeinschaft einen Bebauungsplan zu entwerfen.“429 Die vier Architekten verfaßten zunächst getrennte Planentwürfe: Säume und Hafemann einen zusammen, May und Reichow jeweils einen eigenen. Die Vorgaben, die ihnen dabei von der Gewoba gemacht wurden, waren minimal. Lediglich die gesetzlich festgelegte Eigenheimquote und der Verlauf einer bereits existierenden Hauptverkehrsstraße waren zu berücksichtigen. Um so verblüffender war das Ergebnis: Alle vier kamen „zu deutlich vergleichbaren Ur-Entwürfen“.430 Mit ihrer niedrigen Bebauungsdichte, den großzügigen Grünflächen und dem Verkehrskonzept orientierten sich diese deutlich an den Leitlinien des Ideals der „gegliederten 426 Vgl. Gesetz zur Behebung der Wohnungsnot im Lande Bremen, 27.3.1956, §§ 1–5 und § 10, Gesetzblatt der Freien Hansestadt Bremen 1956, S. 19. 427 Vgl. Wallenhorst 1993, S. 233. 428 Vgl. ebd. sowie die zugehörigen Anmerkungen, ebd., S. 471. 429 Protokoll AR Gewoba, 14.5.1956, zit. nach Wallenhorst 1993, S. 233. 430 Ebd.

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und aufgelockerten Stadt“. Reichows Entwurf wich von den anderen beiden Plänen zwar insofern etwas ab, als er keine ausdrückliche Unterteilung in „Nachbarschaften“ vorsah. Diese ließ sich aber problemlos mit den von ihm geplanten Straßenschleifen verbinden, und so konnten sich die vier Architekten schnell darauf einigen, die Neue Vahr in fünf Nachbarschaften à 2.000 Wohnungen zu unterteilen. In der räumlichen Gliederung dieser Nachbarschaften war Mays Handschrift unverkennbar: Sie sollten jeweils „von einer zweigeschossigen Bebauung am Rande über vier- und achtgeschossige Häuser zu einem vierzehngeschossigen ‚Punkthaus‘ (...) aufsteigen.“431 Als Mittelpunkt für die gesamte Anlage hatte May ein Hochhaus vorgesehen, das mit zweiundzwanzig Geschossen alle anderen Wohnhäuser deutlich überragen sollte. Dieser Plan zur Errichtung eines zentralen Wohnhochhauses als einer „städtebaulichen Dominante“ war allerdings umstritten. Denn in den fünfziger Jahren gab es verbreitete grundsätzliche Bedenken gegenüber dem Bau von Hochhäusern, die sich in erster Linie aus konservativ-kulturkritischen Motiven speisten.432 Konrad Adenauer etwa vertrat die Auffassung, daß solche Bauten „zur Entpersönlichung des Menschen beitragen, insbesondere deshalb, weil sie die so dringend notwendige Verbindung der Familie, von Mann, Frau und Kindern, mit der Natur, mit der Pflege eines Gartens unmöglich machen“, und er sprach sogar davon, daß die Gefahr, „die Großstadt zu einer Verderbnis wahren Menschentums werden zu lassen (...) durch die Wohnhochhäuser vervielfacht“433 werde. Mit dieser skeptischen Haltung stand der Bundeskanzler nicht alleine. Viele Stadtplaner vertraten ähnliche Ansichten. Der ehemalige Hamburger Oberbaudirektor Fritz Schumacher etwa lehnte den Bau von Wohnhochhäusern ab, weil er seiner Meinung nach dem Leitbild der „gegliederten und aufgelockerten Stadt“ widersprach.434 Schenkt man der zeitgenössischen deutschen Diskussion Glauben, war auch die weite Verbreitung des Hochhauses in den skandinavischen Ländern eher pragmatischen Erwägungen, nämlich dem schwer zu bebauenden Felsgrund in diesen Ländern, geschuldet als der Überzeugung, damit eine moderne und vorteilhafte Wohnform zu schaffen.435 Teurer als die Unterbringung in viergeschossigen Bauten war die Unterbringung in Hochhäusern zudem auch noch.436 Warum also sollten Hochhäuser überhaupt gebaut werden, wenn ihnen so viele Bedenken gegenüberstanden? Ernst May rechtfertigte das mit zwei Argumenten. Zum einen nannte er die bereits erwähnten ästhetischen Überlegungen zur räumlichen Gliederung von Wohnsiedlungen. Zum anderen aber, so führte er in einem 1954 in Bremen gehaltenen Vortrag aus, sei der Bau von Wohnhochhäusern auch mit Rücksicht auf die 431 Wallenhorst, S. 236. Vgl. auch Buekschmitt 1963, S. 137. 432 Generell zur Hochhausdiskussion vgl. Beyme 1987, S. 84 ff; Schildt 1988, S. 84 ff. sowie aus Sicht der NH Heinrich Plett, Wohnhochhäuser. Erfahrungsbericht eines Bauherrn von 74 Hochhäusern, NHM 1956,4/5, S. 1–14. Zur Verbreitung von Wohnhochhäusern in der BRD nach 1945 vgl. Herlyn 1970, S. 98 ff. 433 Zit. nach Günther Baumann, Der Kanzler weiß es besser, NHM 1957,5, S. 45–47, hier S. 46 f. 434 Vgl. Schildt 1988, S. 84. 435 Vgl. Fred Forbat, Warum baut Schweden Wohnhochhäuser?, NHM 1954,4, S. 1–4, hier S. 3. 436 Dieser Punkt war allerdings nicht unumstritten, vgl. die bei Herlyn 1970, S. 82 f. überblicksartig dargestellte zeitgenössische Kontroverse.

3.2 Der „Sauerteig der Wohnungswirtschaft“?

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Bedürfnisse der Menschen eine angemessene Lösung. Denn in der Bevölkerung, so May, gebe es verschiedene Gruppen mit verschiedenen Wohnbedürfnissen. Während kinderreiche Familien zweifellos in Einfamilienhäusern am besten aufgehoben seien, könnten Familien mit nur wenigen Kindern, vor allem aber kinderlose, berufstätige Paare und Alleinstehende problemlos in Hochhäusern untergebracht werden, ja sie würden sogar erheblich davon profitieren, wenn ihnen eine ihrem Lebensstil angemessene Wohnung zur Verfügung gestellt würde.437 Kurzum: „May glaubte, daß der soziale Querschnitt einer Gesellschaft auch ein in sich differenziertes Bauprogramm erfordert.“438 Das war, bei allem Schematismus, der seiner Einteilung der Bevölkerung in drei Gruppen zugrunde lag, weitaus realistischer als Adenauers Sichtweise. Denn dieser lag implizit das Idealbild der intakten Kernfamilie zugrunde. Dieses war zwar in den fünfziger Jahren weit verbreitet, blendete aber einen großen Teil der sozialen Realität in der frühen Bundesrepublik aus. Denn der Krieg hatte die Familienstrukturen in einer Art und Weise aufgebrochen, wie man das noch nie zuvor erlebt hatte.439 Alleine die Zahl der Verwitweten und Geschiedenen war zwischen 1939 und 1950 um etwa 70% angestiegen, und bis 1957 wuchs sie nochmals um 8%.440 Zusammen mit der fast 10 Mio. Menschen umfassenden Gruppe der unverheirateten Erwachsenen hatten sie gerade auf dem Wohnungsmarkt am meisten unter jener Diskrepanz zwischen Wahrnehmung und Wirklichkeit zu leiden, die in Adenauers Äußerungen zutage trat.441 Genau in diese Kerbe hieben nun die Planungen für das zentrale Hochhaus in der Neuen Vahr. Während die Architekten die bauliche Einzelgestaltung der „Nachbarschaften“ unter sich aufteilten, zogen sie für die Konzeption dieser städtebaulichen Dominante einen international renommierten Kollegen hinzu, der wohl nicht zufällig aus den in punkto Hochhäusern als Vorreiter geltenden skandinavischen Ländern stammte: den weltberühmten finnischen Architekten Alvar Aalto. Aalto war schon bei der Berliner Interbau 1957 mit einem vielbeachteten achtgeschossigen Wohnhaus hervorgetreten.442 Sein Entwurf für die Neue Vahr war eine kleine Sensation. Im Rückgriff auf Mays Ideen schuf er dort ein Haus mit 180 originell gestalteten Wohnungen, die in erster Linie für alleinstehende, erwerbstätige Mieter gedacht waren. Wenn sie am Feierabend nach Hause kamen, sollten sie durch die Südwestausrichtung der in jeder Wohnung vorhandenen Balkone noch einige Stunden die Sonne genießen können; die hohe technische Ausstattung des Hauses sollte ihnen so viel häusliche Arbeit wie möglich abnehmen; und die auf jedem Flur vorhandenen Gemeinschaftsräume sowie die vorgesehenen Dach437 Vgl. Ernst May, Das Wohnhochhaus im modernen Städtebau, NHM 1954,4, S. 5–12, hier S. 5. 438 Gewoba Bremen o. J. [ca. 1993], S. 63. Auf eine ähnliche Schlußfolgerung läuft auch die Untersuchung von Herlyn hinaus, vgl. Herlyn 1970, S. 194 ff. 439 Vgl. generell Christoph Kleßmann, Die doppelte Staatsgründung. Deutsche Geschichte 1945– 1955, Göttingen 51991, S. 56 ff. sowie Niehuss 2001, S. 34 ff. 440 Vgl. Statistisches Jahrbuch für die Bundesrepublik Deutschland 1959, S. 40. 441 Eine plastische Schilderung der Lage der Alleinstehenden auf dem Wohnungsmarkt bietet NHH 1956, S. 32. 442 Vgl. Gewoba Bremen o. J. [ca. 1993], S. 61. Das Haus ist beschrieben in: Martin Wörner/Doris Mollenschott/Karl-Heinz Hüter, Architekturführer Berlin, Berlin 31991, S. 24.

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3. „Wohnungen, Wohnungen und nochmals Wohnungen“

gärten waren dazu gedacht, ihnen die Bildung einer Art von „Familienersatz“ zu ermöglichen.443 Diese Fürsorglichkeit gegenüber einer vernachlässigten gesellschaftlichen Gruppe brachte Aalto in der lokalen Presse großes Lob ein. Vor allem aber das überaus elegante und originelle Äußere des Gebäudes war es, das die Herzen der Bremer im Sturm eroberte: Wie ein Fächer öffnete sich das Hochhaus nach Westen hin, und je nach Perspektive changierte seine Silhouette zwischen der eines schlanken Turms und der einer imposanten und dennoch harmonisch gestalteten Wohnscheibe. Mit diesem Entwurf hatte der finnische Architekt sowohl in funktionaler als auch in ästhetischer Hinsicht den Nerv der Zeit getroffen. „Erstmals in der Bremer Baugeschichte“ schuf er so „ein Hochhaus, dessen Bau von keinerlei Kritik und Streit begleitet war, sondern nur von Staunen ob solcher imposanten Leistungen. Ganz offensichtlich waren die Bremer stolz darauf, daß nun in ihrer Stadt ein Haus entstehen würde, das vielleicht sogar im Weltmaßstab als einmalig eingestuft werden konnte.“444 Dieses positive Echo auf Aaltos Hochhaus, mit dessen Bau 1959 begonnen wurde, übertrug sich auch auf die gesamte Wohnsiedlung. Zum einen war es die schiere Zahl der hier gebauten Wohnungen, die auf positive Reaktionen stieß. Zweitens galt die technische Ausstattung der Neuen Vahr als absolut vorbildlich: Alle Wohnungen verfügten über Einbauküchen und waren voll elektrifiziert, und nach einigen Debatten über Chancen und Risiken dieser neuen Technologie hatte sich die Gewoba sogar entschlossen, das gesamte Viertel mit Fernwärme aus dem Kühlwasser eines extra neu errichteten Kraftwerkes zu beheizen.445 Dank des Bremer Wohnungsbaugesetzes war es diesmal auch gelungen, das Problem der Vereinbarkeit von sozialem Anspruch und zur Verfügung stehenden Mitteln weitgehend zu lösen. Durch die Verteilung der Subventionslasten über einen Zeitraum von 30 Jahren konnten die von der Stadt zur Verfügung gestellten Mittel so großzügig bemessen werden, daß trotz der mustergültigen Ausgestaltung der Neuen Vahr die vorgesehene Richtsatzmiete erreicht wurde. Drittens war es aber vor allem die städtebauliche Gestaltung der Siedlung, die in der Öffentlichkeit großen Anklang fand. In der Form, in der die Neue Vahr zwischen dem ersten Spatenstich am 15. Oktober 1956 und der feierlichen Einweihung am 12. August 1961 errichtet wurde, konnte sie als die wohl systematischste Verwirklichung des Programms der „gegliederten und aufgelockerten Stadt“ in Deutschland, ja sogar in ganz Europa gelten.446 Die Gliederung in Nachbarschaften, die starke Durchgrünung, die aufgelockerte Bebauung – all diese theoretischen Forderungen waren in hier beispielhaft verwirklicht worden, und das stieß auf einhellig positive Beurteilungen. Allenfalls die Architektur der Einzelbauten, die schnörkellose Schlichtheit, mit der vor allem Ernst May die von ihm errichteten Häuser gestaltet hatte, sorgte für einige Diskussion; aber diese Bedenken wur-

443 Vgl. Gewoba Bremen o. J. [ca. 1993], S. 63; Wallenhorst 1993, S. 250 ff. sowie Alvar Aalto, Das Aalto-Hochhaus, NHM 1958,12, S. 1–10. 444 Wallenhorst 1993, S. 253. 445 Vgl. ebd., S. 236 ff. 446 Vgl. Zimmermann 1986, S. 43.

3.2 Der „Sauerteig der Wohnungswirtschaft“?

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den durch das gelungene Farbkonzept, das in den Augen der Zeitgenossen „den Hochhäusern das Bedrückende nehmen“447 konnte, wieder weggewischt. Allerdings erfüllte die Neue Vahr das städtebauliche Credo der fünfziger Jahre auch in einem Punkt, der von Anfang an zu Schwierigkeiten führte war. Gemäß dem Paradigma der „funktionalen Trennung“ war sie ja nur ein Teil einer „gegliederten und aufgelockerten Stadt“; der Teil, dem die Rolle eines Wohnviertels zugemessen war. Ihr Funktionieren hing also schon in der Gedankenwelt der Planer von der Interaktion mit den übrigen Vierteln ab. Problematisch waren hierbei vor allem die Frage der Umsetzung des Verkehrskonzeptes, das die unabdingbare Voraussetzung für diese Interaktion bildete. Solange die Siedlung noch neu war, konnten die Komplikationen, die hierbei auftraten, als „Kinderkrankheiten“ gelten; schließlich, so lautete das Argument der Gewoba, dauere es seine Zeit, bis der Stadtbahnanschluß fertiggestellt sei, und damit würde sich auch das Problem der schlechten Erreichbarkeit öffentlicher Infrastruktureinrichtungen, mit dem sich die ersten Bewohner der Neuen Vahr herumschlagen mußten, von selbst erledigen.448 Das klang plausibel. So taten die vermeintlichen Anfangsschwierigkeiten der positiven Beurteilung der Neuen Vahr in der öffentlichen Meinung keinen Abbruch, zumal sich die Gewoba einige Mühe gab, mit ihnen fertigzuwerden. Erst ab den sechziger Jahren schwenkte die Beurteilung der „gegliederten und aufgelockerten Stadt“ und mit ihr die Beurteilung der Neuen Vahr um. Die mangelhafte Vor-OrtVersorgung mit Infrastruktureinrichtungen und die kommunikative Vereinsamung derjenigen, die ganztägig auf den Aufenthalt in dieser „Schlafstadt“ verwiesen waren, wurden nun nicht mehr als „Kinderkrankheiten“, sondern als grundlegende Konstruktionsfehler betrachtet.449 Aber das war Ende der fünfziger Jahre noch nicht absehbar. Zu diesem Zeitpunkt wurde die Neue Vahr als die herausragende städtebauliche Leistung der fünfziger Jahre beurteilt, und ein erheblicher Teil des Glanzes, den sie ausstrahlte, fiel auf ihre Macher zurück: auf die Stadt Bremen, die nun als „führend im europäischen Wohnungsbau“450 gelten konnte; auf Richard Boljahn; auf die Planer Säume, Hafemann, May und Reichow; zu einem nicht geringen Teil aber auch auf das Unternehmen, das dem städtebaulichen Konsens der fünfziger Jahre mit seiner Erfahrung und seinen organisatorischen Kapazitäten erst zu voller Geltung verholfen hatte. Ohne die Neue Vahr wäre die NEUE HEIMAT wohl kaum das geworden, als was sie gegen Ende der fünfziger Jahre wahrgenommen wurde: ein Unternehmen, das national und international als vorbildlich anerkannte Leistungen auf dem Gebiet des sozialen Wohnungsbaus erbrachte; Leistungen in einer Größenordnung, die alles Dagewesene spielend zu sprengen schienen. Mit einigem Recht konnte sie daher zu diesem Zeitpunkt als ein gelungenes Beispiel für ein Unternehmen mit gesellschaftspolitischem Anspruch gelten. Die Gewerkschaften waren stolz auf ihr Unternehmen, und sie hatten allen Grund dazu.

447 448 449 450

Bremer Nachrichten, 30.9.1958, zit. nach Wallenhorst, S. 244. Vgl. Wallenhorst 1993, S. 257 ff. Vgl. dazu Kap. 4.2.1.3 dieser Arbeit. Adamietz 1978, S. 49.

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3. „Wohnungen, Wohnungen und nochmals Wohnungen“

3.2.2 Vermietungs- und Bestandspolitik 3.2.2.1 Die NH und die gewerkschaftliche Mietenpolitik Dieser Stolz basierte allerdings nicht allein auf der vorbildlich erscheinenden Neubauleistung. Er lag ebenso in der Tatsache begründet, daß ein wichtiger Teilbereich der Unternehmenspolitik der NH, die Vermietungspolitik, gewerkschaftsintern und auch in der Öffentlichkeit so gut wie nie thematisiert wurde. Wenn überhaupt, dann wurde diese als ein Problem der Wohnungspolitik, nicht aber als ein Problem der Unternehmenspolitik von Wohnungsunternehmen wahrgenommen.451 Das hatte gute Gründe. Denn die Mietpreisbildung und die Vergabe des Wohnraums unterlagen in den fünfziger Jahren nach wie vor den zwangswirtschaftlichen Bindungen, die im Grundsatz seit 1936 bestanden hatten und 1946 durch den alliierten Kontrollrat noch einmal bestätigt worden waren.452 Die Vermietungspolitik war somit – so schien es zumindest – nahezu vollständig dem Zugriff der Unternehmensführung entzogen. Allenfalls auf politischer Ebene konnte sie von der NH beeinflußt werden. Konsequenterweise lag das Schwergewicht der unternehmenspolitischen Bemühungen, die in den Bereich der Vermietungspolitik fielen, auf dem Gebiet der Lobbyarbeit, bei der auch der DGB ein Wörtchen mitzureden hatte. Ich werde diese Bemühungen im folgenden in einem ersten Abschnitt darstellen. In einem zweiten Abschnitt werde ich dann versuchen zu zeigen, daß die vermeintliche vermietungspolitische Ohnmacht der NH keineswegs so eindeutig war, wie sie in der Öffentlichkeit und auch vom Unternehmen selbst häufig dargestellt wurde. Vielmehr modifizierte die Unternehmensgruppe durch ihre Vermietungstätigkeit die Vorgaben der Wohnungspolitik, die ohnehin bereits in erster Linie das Leitbild der „nivellierten Mittelstandsgesellschaft“ verfolgten, weiter zu Ungunsten sozial schwächerer Schichten. Die Gewerkschaften betrachteten die Mietenpolitik schon vor der Wiederaufnahme der Bautätigkeit der gewerkschaftseigenen Wohnungsbaugesellschaften als ein sozialpolitisches Schlüsselthema. Der unmittelbare Auslöser für ihre Beschäftigung mit dieser Frage waren die seit der Währungsreform von Hausbesitzern artikulierten Forderungen nach einer Aufhebung oder zumindest einer Lockerung der Stopmieten. Diese Forderungen waren alles andere als aus der Luft gegriffen, denn die niedrigen Mieten waren kaum dazu angetan, die dringend benötigten Investitionen in den Wohnungsbau zu lenken. Sie reichten nicht einmal dazu aus, auch nur die dringendsten Instandhaltungsarbeiten zu finanzieren.453 Auch die Gewerkschaften erkannten das. Sie schlugen deshalb vor, den Hausbesitzern Mittel aus dem Lastenausgleich zukommen zu lassen. Eine Mietenerhöhung lehnten sie dagegen ab, denn der Mietpreis war für sie ein politischer Preis – ein Preis, dessen Bildung nicht marktwirtschaftlichen Mechanismen überlassen werden durfte, sondern in Abhängigkeit von der finanziellen Leistungsfähigkeit

451 Vgl. Krummacher 1978, S. 175. 452 Vgl. Kap. 2.1.2 dieser Arbeit. 453 Vgl. Führer 1995, S. 254 und S. 264 f.

3.2 Der „Sauerteig der Wohnungswirtschaft“?

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der Mieter zu gestalten war.454 Dabei waren es allerdings nicht die sozialen Schwachen, die die Gewerkschaften als Maßstab für die Mietpreisgestaltung im Sinne hatten, sondern die „breiten Schichten des Volkes, deren Interessen von der Gewerkschaftsbewegung vertreten werden“.455 Diese „breiten Schichten“ waren nach Meinung der Gewerkschaften zu diesem Zeitpunkt nicht in der Lage, Mietpreiserhöhungen zu tragen: „Bei der gegenwärtigen Höhe der Realeinkommen unserer Arbeiter und Angestellten“, ließ der Gewerkschaftsrat der vereinten Zonen im Oktober 1948 verlauten, „ist eine Mietpreiserhöhung unmöglich.“456 Mit dieser Auffassung stand der Gewerkschaftsrat nicht alleine. Als 1950 mit dem I. Wohnungsbaugesetz die Weichen für die bundesrepublikanische Wohnungspolitik gestellt wurden, war sie sogar politisch mehrheitsfähig. Das schlug sich in zwei Dingen nieder: Erstens blieb der Mietpreisstop für die Altbauwohnungen auch über 1950 hinaus erhalten; und zweitens sah das I. Wohnungsbaugesetz vor, daß für die Neubauwohnungen des öffentlich geförderten Wohnungsbaus die Richtsatzmiete gelten sollte. Tatsächlich wurden deshalb bis 1956 alle im öffentlich geförderten sozialen Wohnungsbau errichteten Wohnungen zur Richtsatzmiete vermietet, und diese war mit ursprünglich einer Mark pro Quadratmeter so niedrig bemessen, daß die am Ende des Krieges ohnehin schon recht niedrige Mietbelastungsquote – also der Anteil der Wohnungsmieten an den Lebenshaltungskosten – während der fünfziger Jahre im Durchschnitt eher noch weiter absank als daß sie anstieg.457 Die Gewerkschaften hatten ihre Auffassung von der politischen Natur des Mietpreises und von der zulässigen Höhe der Mieten im I. Wohnungsbaugesetz also weitgehend durchsetzen können. Allerdings war das Problem der mangelnden Rentabilität des Hausbesitzes damit nicht gelöst. Den gewerkschaftseigenen Gesellschaften gelang es unter den Bedingungen der Richtsatzmiete nur mit großer Mühe, die Hausverwaltung kostendeckend zu gestalten.458 Andere Wohnungsunternehmen hatten weniger Glück, und so wurde die unzureichende Kostendeckung bei der Vermietungstätigkeit in den frühen fünfziger Jahren zur wohl am häufigsten artikulierten Klage der Wohnungswirtschaft.459 Schon nach kurzer Zeit kam deshalb die Mietpreisfrage wieder aufs Tapet. 1954 legte das Wohnungsministerium einen Entwurf für ein Bundesmietengesetz vor, der eine zehn- bis zwanzigprozentige Erhöhung der Altbaumieten, die Zulassung einer Kostenvergleichsmiete und die Einführung von Mietbeihilfen vorsah.460 454 Vgl. Niederschrift über die Sitzung des Gewerkschaftsrates der vereinten Zonen, Abt. Wohnungspolitik, 18./19.10.1948, DGBA, Gewerkschaftsrat der vereinten Zonen, 5/DGAB 10, S. 2. 455 Tarnow 1952, S. 22. 456 Niederschrift über die Sitzung des Gewerkschaftsrates der vereinten Zonen, Abt. Wohnungspolitik, 18./19.10.1948, DGBA, Gewerkschaftsrat der vereinten Zonen, 5/DGAB 10, S. 2. 457 Vgl. Pergande/Pergande 1973, S. 172 und Schildt 1998(a), S. 171. 458 Vgl. dazu die Anmerkungen zur NHH in Kap. 3.1.3.5 dieser Arbeit. 459 Vgl. Führer 1995, S. 265 ff. 460 Vgl. Bundesrat (Hg.), Entwurf eines Gesetzes über Maßnahmen auf dem Gebiet des Mietpreisrechts (Erstes Bundesmietengesetz), Drucksache 290/54 (24.9.1954), Bonn 1954. Vgl. zum Bundesmietengesetz auch Wagner 1995, S. 87 ff.; Krummacher 1978, S. 172 f. sowie Pergande/Pergande 1973, S. 197.

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3. „Wohnungen, Wohnungen und nochmals Wohnungen“

Die NH befürwortete dieses Anliegen. Plett vertrat im wohnungspolitischen Ausschuß die Auffassung, daß „bei der Miethöhe (...) eine gewisse Grenze beachtet werden [müsse], damit der Hausbesitz nicht verfällt (...) [und] einer begrenzten Mieterhöhung (...) keine stichhaltigen Argumente entgegengesetzt werden“461 könnten. Wegen der immer offensichtlicher werdenden Konsequenzen der niedrigen Mieten für den Zustand des Hausbesitzes und auch angesichts der nach oben deutenden Einkommensentwicklung fiel es dem DGB schwer, dieser Position zu widersprechen. Es gelang Plett deshalb, die Gewerkschaften davon zu überzeugen, sich „nicht stur gegen jeden Versuch einer Mietpreisregulierung beim Altwohnungsbau wenden, sondern (...) [sich] dafür ein[zu]setzen, daß dies sinnvoll in einer Weise geschieht, die verantwortet werden kann.“462 Allerdings kehrte sich die Bestimmtheit, mit der der DGB in den Jahren zuvor gegen Mieterhöhungen Front gemacht hatten, nun gegen ihn. Denn die Gewerkschaftsbasis konnte sich mit dem Entwurf für das Bundesmietengesetz nicht anfreunden. Ihre Erwartungshaltung hatte sich durch die bereits seit dem Ersten Weltkrieg andauernde, nach unten gerichtete Verzerrung der Mietpreise nachhaltig verändert. Während im Kaiserreich noch eine Mietbelastungsquote von bis zu 20% üblich gewesen war, war die breite Mehrheit der Gewerkschaftsmitglieder in den fünfziger Jahren nicht mehr bereit, wesentlich mehr als die mittlerweile erreichte Quote von gut 10% ihrer Einkünfte auf die Mietausgaben zu verwenden.463 Die daraus resultierende Opposition gegen das Bundesmietengesetz war eine potentiell gefährliche Entwicklung. Obwohl sich der Zorn der Mitglieder in dieser Frage nicht gegen die NH, sondern gegen die Bundesregierung richtete, machte er für die Spitzenfunktionäre dennoch deutlich, daß die Meinungen innerhalb der Gewerkschaften weit auseinander lagen. Der DGB verhielt sich deshalb im weiteren Verlauf des Gesetzgebungsprozesses zurückhaltend. Nach außen vertrat er zwar weiterhin die Forderung, Mieterhöhungen nicht schematisch und nur unter Berücksichtigung der Lohnentwicklung vorzunehmen. Intern gab er sich aber damit zufrieden, daß es ihm gelungen sei, die Erhöhung der Mieten um einige Monate hinauszuzögern.464 Größere gewerkschaftliche Aktionen gegen die im Juli 1955 erfolgte Verabschiedung des ersten Bundesmietengesetzes blieben aus. Allerdings war der Interessengegensatz zwischen den Mitgliedern und den Wohnungsbaugesellschaften der Gewerkschaften damit nur unter der Decke gehalten, aber nicht aufgehoben worden. Denn den Wohnungsunternehmen gingen auch die Erhöhungen des Bundesmietengesetzes noch nicht weit genug. Was sie wollten, war etwas anderes: die Einführung der Kostenmiete. Im Gegensatz zur Richtsatzmiete ermöglichte ihnen diese nämlich auch eine Anpassung an eine nachträgliche Erhöhung laufender Kosten. Damit beschränkte sie das unternehmerische Risiko unter den Marktbedingungen der fünfziger Jahre auf ein absolutes

461 Bericht über die Sitzung des wohnungspolitischen Ausschusses, 11.5.1954, DGBA-BV, Abt. Wirtschaftspolitik, 24/5231, S. 5. 462 Ebd., S. 6. 463 Vgl. ebd., S. 6 sowie Saldern 1997, S. 267. 464 Vgl. Niederschrift über die Sitzung des wohnungspolitischen Ausschusses des DGB, 2.11.1954, DGBA-BV, Abt. Wirtschaftspolitik, 24/5123, S. 1 f.

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Minimum. Kein Wunder also, daß die Gemeinnützigen im allgemeinen und Plett im besonderen glühende Verfechter dieses Prinzips waren.465 Allerdings sprach sich der DGB-Bundesvorstandes stets strikt gegen die Einführung der Kostenmiete aus. Schließlich ließ ein solcher Schritt erhebliche Mieterhöhungen erwarten, und zudem widersprach er dem gewerkschaftlichen Grundsatz, daß der Mietpreis auf politischem Wege zu bestimmen sei und mit marktwirtschaftlicher Preisbildung nichts zu tun haben dürfe. Plett hatte deshalb seine Forderung nach einer Einführung der Kostenmiete in der ersten Hälfte der fünfziger Jahre kaum einmal ausdrücklich formuliert. Mit dem Entwurf des Bundesmietengesetzes änderte sich dies aber. Denn in der gewerkschaftsinternen Diskussion über die sogenannten „Mietbeihilfen“, die dieser Entwurf vorgesehen hatte, war Pletts Befürwortung der Kostenmiete deutlich herauszuhören. Die Grundidee dieser Mietbeihilfen war einfach: Statt den Bau von Wohnungen zu subventionieren, sollte der Gesetzgeber die „Endverbraucher“, also die Mieter, direkt dabei unterstützen, den Mietpreis aufzubringen. Das war im Bundesmietengesetz zunächst so gedacht, daß diejenigen, die die vorgesehene Erhöhung der Richtsatzmieten nicht aufbringen konnten, in den Genuß solcher Beihilfen kommen sollten.466 Aber der Gedanke, auf diese Weise auch die Mehrbelastungen aus der Kostenmiete sozial abfedern zu können, lag nahe. Das war der Grund, warum Plett die Mietbeihilfen befürwortete: Sie konnten, so seine Hoffnung, den Gewerkschaften die Einführung der Kostenmiete schmackhaft machen und damit seine Bemühungen unterstützen, die Rentabilität der Hausbewirtschaftung zu verbessern.467 Die Resonanz, auf die Plett mit diesem Vorstoß stieß, ließ allerdings – aus seiner Perspektive zumindest – deutlich zu wünschen übrig. Die Gewerkschaften konnten sich für die Mietbeihilfen nicht recht erwärmen. Dafür gab es eine ganze Reihe von Gründen: Zum einen war ihnen die Tatsache suspekt, daß diese Maßnahme, sofern sie mit der Einführung der Kostenmiete einherging, die Preisbildung bei der Wohnungsproduktion ganz in die Hände marktwirtschaftlicher Mechanismen gegeben hätte; zweitens befürchteten sie, daß die Gewährung der Mietbeihilfen fürsorgeähnlichen Charakter gewinnen und die Empfänger damit diskriminieren würde; drittens gab es auch Stimmen, die in den Mietbeihilfen eine Benachteiligung derjenigen sahen, die fleißiger seien als andere, weil sie für ihre Leistungsbereitschaft mit höheren Mieten bestraft würden.468 Zwar sprach sich der DGB in der öffentlichen Diskussion über das Bundesmietengesetz schließlich doch für die Einführung der Beihilfen aus, weil er eine Erhöhung der Mieten letztlich als unvermeidbar betrachtete und auf diesem Wege wenigstens ihre schlimmsten sozialpolitischen Auswirkungen verhindern wollte.469 Im Grundsatz stand er ihnen aber auch weiterhin skeptisch gegenüber. Das zeigte sich etwa an der Reaktion der DGB-Spitze auf den 1958 vorgelegten soge465 Zu den Gemeinnützigen vgl. Führer 1995, S. 265 ff. Zu Plett vgl. die weiteren Ausführungen. 466 Vgl. dazu ausführlich Schulz 1994, S. 304 ff. sowie Zündorf 2006, S. 243 ff. 467 Vgl. Bericht über die Sitzung des wohnungspolitischen Ausschusses, 11.5.1954, DGBA-BV, Abt. Wirtschaftspolitik, 24/5231, S. 7. 468 Vgl. Niederschrift über die Sitzung des wohnungspolitischen Ausschusses des DGB, 2.11.1954, DGBA-BV, Abt. Wirtschaftspolitik, 24/5123, S. 4 sowie Protokoll wohnungspolitischer Ausschuß, 12.2.1958, DGBA-BV, Abt. Wirtschaftspolitik, 24/4718, S. 5.

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3. „Wohnungen, Wohnungen und nochmals Wohnungen“

nannten „Nevermann-Plan“. Dieser nach seinem Autor, dem Hamburger Regierenden Bürgermeister Paul Nevermann, benannte Gesetzesentwurf sah vor, das Wohnungsbauförderungssystem komplett von der „Objektförderung“, also der Förderung des Baus von Wohnungen, auf die „Subjektförderung“, also die Förderung der Mieter umzustellen.470 Obwohl die NH diesen Ansatz in den internen Beratungen immer wieder als überlegenswert darstellte, waren die Widerstände hier unüberwindbar. Das gesamte Spektrum der Argumente, die auch schon in der Diskussion um die Mietbeihilfen vorgebracht worden waren, kehrte nun wieder; und diesmal blieben die Gewerkschaften bei ihrer Ablehnung.471 Es sollte noch bis Mitte der sechziger Jahre dauern, ehe mit der Einführung des Wohngeldes die „Subjektförderung“ zu einem eigenen Förderungszweig ausgebaut wurde. In einer anderen Hinsicht bekam Plett seinen Willen aber schon deutlich früher. Denn mit dem II. Wohnungsbaugesetz wollte schließlich auch die Bundesregierung die Kostenmiete einführen. Die Gewerkschaften liefen zwar zusammen mit der SPD Sturm gegen dieses Vorhaben und drohten für den Fall seiner Umsetzung mit Lohnforderungen.472 Aber die Mehrheitsverhältnisse waren eindeutig, die Richtsatzmiete galt angesichts der steigenden Baupreise als nicht mehr finanzierbar, und zudem entsprach die Einführung der Kostenmieten dem schon im I. Wohnungsbaugesetz angelegten Grundsatz, nach dem das Wohnungswesen der marktwirtschaftlichen Ordnung nur vorübergehend entzogen sein und Zug um Zug wieder in diese integriert werden sollte. Das Gesetz passierte noch 1956 den Bundestag und wurde ein Jahr später durch die II. Berechnungsverordnung präzisiert. Die Mieten aller öffentlich geförderten Neubauten waren deshalb ab 1957 nach den in dieser Verordnung niedergelegten Grundsätzen zu ermitteln.473 Damit garantierte der Gesetzgeber de facto die Kostendeckung für die Vermietungstätigkeit bei den ab diesem Zeitpunkt errichteten Wohnungen, und die Wohnungsunternehmen konnten sich sogar über eine in der Mietpreisberechnung fest vorgesehene vierprozentige Verzinsung des von ihnen aufgebrachten Kapitals freuen. 3.2.2.2 Die NH als Vermieter Nach Ansicht der Gewerkschaften verschob sich mit dieser Einführung der Kostenmiete das soziale Profil des öffentlich geförderten Wohnungsbaus zugunsten besserverdienender Schichten. Den eigenen Unternehmen machten sie dabei aller-

469 Vgl. Deutscher Gewerkschaftsbund (Hg.), Wohnungspolitische Leitsätze, Düsseldorf o. D [1957], o. S. 470 Zum Nevermann-Plan vgl. Zur Lage: Der Nevermann-Plan für den Hamburger Wohnungsbau, NHM 1958,2, S. 45–46; IfdW 4.1958,13 (21.1.1958), Sonderbeilage sowie die Zusammenfassungen der dadurch ausgelösten Debatten in IfdW 4.1958,15 (23.1.1958), 16 (24.1.1958), 17 (25.1.1958) und 18 (28.1.1958). 471 Vgl. Protokoll wohnungspolitischer Ausschuß, 12.2.1958, DGBA-BV, Abt. Wirtschaftspolitik, 24/4718, S. 5. 472 Vgl. Schulz 1994, S. 305. 473 Vgl. ebd., S. 305 f.

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dings keine Vorwürfe: Sie betrachteten sie als Opfer der Mietpreispolitik der Bundesregierung. Das war angesichts der vielfältigen Bindungen des Wohnungsbaus, die eine eigenständige Mietpreispolitik der Unternehmen unmöglich erscheinen ließ, verständlich. Die Realität sah aber dennoch anders aus. Denn auch schon vor Einführung der Kostenmiete konnten die Wohnungsunternehmen zwar nicht die individuellen Wohnungsmieten, aber doch die durchschnittliche Miethöhe ihres Wohnungsbestandes durch ihre Neubaupolitik maßgeblich beeinflussen. Dafür gab es verschiedene Möglichkeiten. Zum einen gewährten die Bestimmungen des I. Wohnungsbaugesetzes den Unternehmen einigen Spielraum hinsichtlich des Verhältnisses der zum Einsatz gebrachten öffentlichen und der privaten Mittel. Dieses konnte so gestaltet werden, daß möglichst viele öffentliche Gelder eingesetzt wurden; dann lag der Mietpreis u. U. deutlich unterhalb der vorgesehenen Höchstgrenze von ursprünglich DM 1,10 pro qm. 474 Es konnte aber auch so gestaltet werden, daß möglichst viele Kapitalmarktmittel eingesetzt wurden; dann lag der Mietpreis sehr nahe bei dieser Höchstgrenze. Da die NH über erhebliche Kapitalmarktmittel verfügte und zudem – schon wegen der „Selbstfinanzierung“ – möglichst viel bauen wollte, entschied sie sich in der Regel für letztere Option; und so lagen die Mieten der von ihr neu errichteten Wohnungen (nicht die ihres gesamten Wohnungsbestandes) regelmäßig am oberen Ende der zulässigen Höchstmiete.475 Auch hinsichtlich der Wohnungsgrößen ergab sich für die Wohnungsunternehmen ein ähnlicher Spielraum. Der öffentlich geförderte soziale Wohnungsbau umfaßte nach Maßgabe des I. Wohnungsbaugesetzes Wohnungen einer Größe von 32 bis 65 qm.476 Innerhalb dieses Rahmens konnten die Unternehmen frei planen und ihren Bestand der Nachfrage oder ihren sozialpolitischen Zielsetzungen anpassen. Aus einer Veränderung der Größe ergab sich selbstverständlich keine Veränderung der qm-bezogenen Mieten, aber die absolute Miethöhe ließ sich auf diesem Wege sehr wohl beeinflussen. Tatsächlich war dies wohl das wichtigste Mittel der Unternehmensgruppe, die Mietpreise dem sozialen Anspruch anzupassen. Denn die durchschnittliche Größe ihrer Wohnungen hinkte weit hinter dem bundesweiten Trend her. Vor 1955 lag sie noch unter 50 qm, und auch 1957 erreichte sie nur 51,5 qm. Im öffentlich geförderten Wohnungsbau betrug sie dagegen 1953 schon 51,7 qm, und bis 1957 stieg sie auf 59,4 qm an. 477 Die Mieter der Unternehmensgruppe mußten also vergleichsweise enger zusammenrücken als die Mieter anderer öffentlich geförderter Wohnungsbauten. Schließlich konnten die Unternehmen die durchschnittliche Miethöhe ihres Bestandes auch dadurch beeinflussen, daß sie mehr oder weniger frei finanzierte bzw. steuerbegünstigte Wohnungen in diesen aufnahmen. Denn diese waren deutlich teurer als die Wohnungen des öffentlich geförderten sozialen Wohnungsbaus: 474 Vgl. ebd., S. 240. 475 Vgl. Vergleich der durchschnittlichen Mietpreise pro qm Fläche der eigenen Wohnungen und gewerblich genutzten Objekte für den Monat Dezember der Jahre 1955 und 1956, Anlage 4 zum Statustableau für die NHH und die ihr angeschlossenen Unternehmen zum 31.12.1956, 6.1.1958, IGM ZwA 2/17 269. 476 Vgl. Schulz 1994, S. 240. 477 Vgl. ebd. sowie Anhang, Tabelle 4.

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Im steuerbegünstigten Wohnungsbau konnten die Unternehmen auch schon vor 1957 die Kostenmiete berechnen (bis zu einer bestimmten Obergrenze), im frei finanzierten Wohnungsbau gab es keinerlei Beschränkungen für den Mietpreis. Das schlug sich auch bei den von der Unternehmensgruppe errichteten steuerbegünstigten Wohnungen der Siedlungen in Hohnerkamp oder in Bogenhausen deutlich nieder. So lag die qm-Miete in Hohnerkamp 1956 bei 1,67 DM, in Bogenhausen bei 1,76 DM und bei den Junggesellen-Einraumwohnungen der Tochtergesellschaft Neues Heim, die allerdings in vielerlei Hinsicht einen Sonderfall darstellten, gar bei 2,92 DM. Insgesamt belief sich der Durchschnittspreis der zur Kostenmiete finanzierten Wohnungen in diesem Jahr auf 1,90 DM. Damit übertraf er die durchschnittliche Richtsatzmiete bei den öffentlich geförderten Wohnungen im Bestand der Unternehmensgruppe um 78%.478 Für einen typischen Arbeitnehmerhaushalt hätten solche Sätze in einer Miethöhe resultiert, die mehr als 20% seines Budgets ausgemacht hätten.479 Diskussionen über die Frage, ob die steuerbegünstigten Wohnungsbauten der NH gewerkschaftspolitisch tragbar waren, gab es aber dennoch nicht. Denn der Anteil dieser Wohnungen am gesamten Bestand der Unternehmensgruppe fiel mit 1956 nur knapp 9% sehr niedrig aus, und ihr Anteil an den Fertigstellungen lag sogar noch etwas darunter.480 Folglich blieb auch ihr Einfluß auf den durchschnittlichen Mietpreis der Unternehmensgruppe gering: Die steuerbegünstigten Wohnungen erhöhten diesen von 1,07 DM auf 1,14 DM pro qm. Man konnte also nicht ernsthaft behaupten, daß der Bau dieser Objekte den sozialpolitischen Anspruch der Unternehmensgruppe aushöhlte. Das sahen auch die Gewerkschaften so: Albin Karl etwa bescheinigte der Geschäftsführung, „dass die Unternehmensgruppe ganz überwiegend weit unter den Mieten freifinanzierter Wohnungen liege“.481 Damit lag Karl zweifellos richtig. Über seine im selben Atemzug formulierte Auffassung, daß die NH „ganz überwiegend für die minderbemittelten [sic] Bevölkerungskreise Wohnungen schafft“,482 ließ sich allerdings trefflich streiten. Zwar waren die Richtsatzmieten so bemessen, daß, je nach dem welche Mietbelastungsquote man als vertretbar ansah, u. U. auch die unteren 30% der Einkommensskala auf ihrer Grundlage mit Wohnraum hätten versorgt werden können. Insofern lag Karl mit seiner Auffassung nicht völlig falsch. Aber andererseits war der Kreis der Wohnungsberechtigten im Rahmen der Bestimmungen des öffentlich geförderten sozialen Wohnungsbaus so weit gezogen, daß etwa 70% der Be478 Vgl. Vergleich der durchschnittlichen Mietpreise pro qm Fläche der eigenen Wohnungen und gewerblich genutzten Objekte für den Monat Dezember der Jahre 1955 und 1956, Anlage 4 zum Statustableau für die NHH und die ihr angeschlossenen Unternehmen zum 31.12.1956, 6.1.1958, IGM ZwA 2/17 269. Zu den Einzimmerwohnungen vgl. Ellen Kappius, Einzimmerwohnungen. Eine Forderung unserer Zeit, in: NHH 1952, S. 144–145 sowie NHH 1956, S. 32 ff. 479 Vgl. Diedrich Saalfeld, Die Mieten und Wohnungsausgaben der privaten Haushalte in Deutschland 1880–1980, in: Günther Schulz (Hg.), Wohnungspolitik im Sozialstaat. Deutsche und europäische Lösungen 1918–1960 (Forschungen und Quellen zur Zeitgeschichte Bd. 22), Düsseldorf 1993, S. 201–221, hier S. 218. 480 Vgl. Anhang, Tabelle 4. 481 Protokoll AA NHH, 8.10.1957, IGM ZwA 2/17 265, S. 6. 482 Ebd.

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völkerung als Mieter für eine solche Wohnung in Betracht kamen.483 Die Miethöhe alleine war deshalb für die Frage des sozialen Gehaltes des Wohnungsbaus der Unternehmensgruppe kein aussagekräftiges Kriterium; es kam darauf an, wer die Wohnungen tatsächlich erhielt. Die Frage, ob tatsächlich vor allem „minderbemittelte Bevölkerungskreise“ vom Wohnungsbau der NH profitierten, muß deshalb vor allem an der Vergabepolitik gemessen werden. Dabei erscheint es im historischen Rückblick und im Gegensatz zur zeitgenössischen Auffassung durchaus angebracht, die weitgehende Eigenständigkeit der Unternehmensgruppe in dieser Frage hervorzuheben. Denn ganz so ohnmächtig, wie es aufgrund der gesetzlichen Bestimmungen erscheinen mochte, war die NH bei der Vergabe der Wohnungen nicht. Das galt für Hamburg in ganz besonderem Maße; denn Hamburg verfügte über ein sehr liberales Wohnungsvergabesystem. Die dortige Durchführungsverordnung zum I. Wohnungsbaugesetz sah vor, daß die Bauherren für 40% der von ihnen errichteten Wohnungen die Mieter selbst aussuchen durften.484 Ab 1954 trat sogar eine Regelung in Kraft, nach der sich der Anteil der vom Amt für Wohnungswesen zu vergebenden Wohnungen nach dem Anteil der öffentlichen Mittel an der Finanzierung richtete. Dazu wurden vier Finanzierungsgruppen gebildet; in der Gruppe mit dem höchsten öffentlichen Darlehen durfte der Bauherr keine Wohnungen, in der zweiten Gruppe aber schon 70%, in der dritten Gruppe 90% und in der vierten Gruppe alle Wohnungen selbst vergeben.485 Das Kalkül, das hinter dieser Regelung stand, war simpel: Es sollte den Bauherren einen Anreiz bieten, mehr Eigenkapital zum Einsatz zu bringen und so die Wohnungsbauleistung insgesamt zu steigern. Auch andere Städte zeigten sich gegenüber den Vergabewünschen von Bauherren, die dem Wohnungsbau Kapital zuführen konnten, aufgeschlossen. Für die NH war das von großem Vorteil. Sie konnte so beispielsweise, einer häufig artikulierten Forderung von Gewerkschaftsmitgliedern folgend, insgesamt einen weit überdurchschnittlichen Anteil an Organisierten in ihren Wohnungen unterbringen. Genaue Zahlen hierzu liegen zwar nicht vor; gegenüber dem Aufsichtsrat und der Presse ließ Plett aber verlauten, die NH habe „in kollegialster und freundschaftlichster Zusammenarbeit mit den Wohnungsämtern erreicht, daß mehr als 70 Prozent unserer Wohnungen an Organisierte gegangen sind.“486 Diese Zahl mag aus Rücksicht auf gewerkschaftliche Empfindlichkeiten zu hoch gegriffen gewesen sein; aber sie illustriert dennoch, daß die Unternehmensgruppe erheblichen Einfluß auf die Belegung ihrer Wohnungen nehmen konnte. Allerdings hatte das Wohnungsvergabesystem, an dem dieser Erfolg hing, unter verteilungspolitischen Gesichtspunkten auch erhebliche Nachteile. Denn die Delegation der Wohnungsvergabe von den Wohnungsämtern an die Bauherren war von den Behörden auch mit dem Ziel vorgenommen worden, den Bauherren die Vereinnahmung sogenannter „Baukostenzuschüsse“ zu ermöglichen. Das wa483 Vgl. Wagner 1995, S. 33. 484 Vgl. Reichling 1956, S. 21. Ein detailliertes Beispiel für die Vergabepolitik in Hamburg bietet Schildt 1988, S. 125 ff. 485 Vgl. Reichling 1956, S. 22. 486 Neue Heimat: Die Bauland-Fresser, SPIEGEL 13.1959,10, S. 26–42, hier S. 34.

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ren Leistungen, mit denen sich Mieter an den von ihnen bezogenen Wohnungen – oder genauer gesagt: an der Bildung des für den Bau der Wohnung nötigen Eigenkapitals – finanziell beteiligten. Ein Baukostenzuschuß konnte verschiedene Formen annehmen: Entweder handelte es sich um ein rückzahlbares Darlehen, das vom Mieter selbst, von seinem Arbeitgeber oder von Ansprüchen des Mieters aus dem Lastenausgleich (LAG-Darlehen) aufgebracht wurde; oder es handelte sich um einen nicht rückzahlbaren, sogenannten „verlorenen Baukostenzuschuß“ – effektiv eine Art Abschlagszahlung.487 Diese Form der Kapitalmobilisierung war für den Wohnungsbau in der ersten Hälfte der fünfziger Jahre von zentraler Bedeutung, und das galt nicht nur für Hamburg.488 Auch den Wohnungsämtern in anderen Städten blieb aufgrund des knappen Eigenkapitals in der Regel nichts anderes übrig, als Wohnungen in der Hauptsache an solche Mieter zu geben, die in der ein oder anderen Form einen Baukostenzuschuß leisten konnten. Insgesamt sollen deshalb in diesem Zeitraum etwa 80% aller Neubauwohnungen auf diesem Wege vermietet worden sein.489 Dabei konnten die geforderten Zuschüsse gerade in den großen Ballungsräumen oft eine beachtliche Höhe erreichen. In Städten wie Hamburg oder München waren Mitte der fünfziger Jahre im öffentlich geförderten sozialen Wohnungsbau Mieterdarlehen von 3.000 DM für eine Dreizimmerwohnung keine Seltenheit. Auf dem freien Wohnungsmarkt lag die Darlehenshöhe zum Teil noch erheblich darüber, und hier waren auch verlorene Baukostenzuschüsse in ähnlicher Höhe durchaus üblich.490 Die Auswirkungen dieses Systems lagen auf der Hand: Nur relativ wohlhabende Mieter sowie bestimmte Gruppen von Sozialwohnungsmietern – etwa Flüchtlingsfamilien, die zum Empfang eines LAG-Darlehens berechtigt waren – konnten solche Beträge aufbringen, während einkommensschwächere und nicht bevorrechtigte „Normalverbraucher“ klar benachteiligt waren.491 Paradoxerweise waren gerade die Gemeinnützigen die Hauptträger dieser Entwicklung. Auch die NH machte hierbei keine Ausnahme. Zwar entwickelten sich die Gewerkschaften zu erbitterten Gegnern des Systems der „verlorenen Baukostenzuschüsse“, und der NH blieb deshalb kaum etwas anderes übrig, als auf dieses Mittel der Wohnungsbaufinanzierung zu verzichten. Aber rückzahlbare Zuschüsse gehörten von Anfang an zu ihrer Kalkulationsgrundlage, und hier verlangte auch die NH Beträge, die eine massive Benachteiligung einkommensschwächerer Schichten zur Folge hatten. Zu Beginn der fünfziger Jahre beliefen sich die bei ihr zu zahlenden Baukostenzuschüsse auf etwa 60 DM pro qm, 1956 auf 75 bis 100 DM pro qm Wohnfläche; insgesamt bei einer durchschnittlichen Wohnfläche von 50 bis 55 qm also auf 3.000 bis 5.500 DM.492 Zwar bestand gelegentlich – 487 Vgl. hierzu zusammenfassend Wagner 1995, S. 180 ff. 488 Vgl. ebd., S. 362. 489 Vgl. ebd., S. 182. Dabei spielte auch der Druck der Wohnungsbaugesellschaften auf die Wohnungsämter, möglichst solvente Mieter auszuwählen, eine nicht zu unterschätzende Rolle, vgl. Saldern 1997, S. 266. 490 Vgl. Wagner 1995, S. 458. 491 Vgl. ebd., S. 184. 492 Vgl. Protokoll Gesamt-AR UG NH, 21.12.1956, IGM ZwA 2/17 434, S. 14 sowie Vereinbarung zwischen NHH und FHH bzgl. der Vermittlung eines Kommunaldarlehens, Zweiter Ent-

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etwa bei der Gartenstadt Farmsen – die Möglichkeit, das Mieterdarlehen dadurch zu umgehen, daß die erste Hypothek erhöht wurde; aber erstens mußte dann der Mieter die zusätzlichen Zins- und Tilgungsaufwendungen übernehmen, also effektiv mehr Miete bezahlen; und zweitens waren dies Ausnahmefälle.493 Insgesamt konnte angesichts der von der Unternehmensgruppe erhobenen Beträge sicher keine Rede davon sein, daß ihre Wohnungen vorrangig an einkommensschwache Schichten vergeben wurden. Zwar liegen für den Wohnungsbestand der NH in den fünfziger Jahren keine Erhebungen vor, die genaue Aussagen über die Verteilungswirkung ihrer Vermietungspolitik erlauben. Aber eine vielzitierte zeitgenössische Studie, die die soziale Schichtung der Mieter im öffentlich geförderten Wohnungsbau der Stadt Hamburg untersuchte, kam zu dem eindeutigen Schluß, daß „die öffentlich geförderten Wohnungen nicht überwiegend, sondern nur zum kleinsten Teil von einkommensschwachen Haushalten bewohnt“494 wurden und Haushalte mit mittleren Einkommen das Bild dominierten. Es gibt angesichts der dargelegten Umstände keinen Grund anzunehmen, daß dies bei der NH anders gewesen sein sollte. Im Gegenteil: Der Verteilungseffekt, der sich in Hamburg beobachten ließ, scheint von den gewerkschaftseigenen Unternehmen trotz der zumindest offiziell restriktiveren Vergabepolitik auch in anderen Bundesländern erzielt worden zu sein. Das legt ein Blick auf die einzige erhalten gebliebene Erhebung der Sozialstruktur von Mietern eines gewerkschaftseigenen Wohnungsunternehmens in den fünfziger Jahren nahe. Von den am 30. Juni 1954 bei der Gewobag Frankfurt untergebrachten knapp 6.000 Mietern lebten 38% in einem Haushalt, dessen Vorstand in einem Angestelltenberuf beschäftigt war – eine Quote, die weit über dem Durchschnitt der Gesamtbevölkerung von ca. 13% (1950) lag.495 Demgegenüber belief sich der Anteil der Arbeiterhaushalte, der in der Gesamtbevölkerung 1950 bei knapp 43% gelegen hatte, nur auf 32%, und auch der Anteil der Bewohner ohne Beruf – also vor allem von Rentnern, die in den fünfziger Jahren ohne Zweifel zu den sozial schwächsten Schichten gerechnet werden mußten – lag mit 15% unterhalb des Durchschnitts für die Bundesrepublik (18,1%).496 Auch wenn genaue Vergleichszahlen für das Jahr 1954 ausstehen und die hohe Zahl der Angestellten sicherlich auch durch die Erwerbsstruktur im Raum Frankfurt bedingt war, gibt es doch keinen Zweifel daran, daß die einkommensschwächeren Gruppen unter den Mietern der Gewobag erheblich unterrepräsentiert waren. Es war ein Glücksfall für das Bild der Unternehmensgruppe in der Öffentlichkeit, daß diese tendenzielle Begünstigung besserverdienender Schichten aufgrund der generellen Wohnungsnot in der breiteren Öffentlichkeit wenig umstritten war.497 Denn es wäre im Zweifelsfalle nur wenig plausibel gewesen, die Schuld für diesen Verteilungseffekt den Wohnungsämtern in die Schuhe zu schieben. Wie wurf, 23.1.1953, FZH 592–30 I, S. 2. 493 Vgl. ebd. 494 Reichling 1956, S. 167. Vgl. auch Schildt 1992, S. 88. 495 Vgl. Gewobag Frankfurt 1954, S. 15 sowie die Vergleichszahlen aus: Statistisches Jahrbuch für die Bundesrepublik Deutschland 1955, S. 110. 496 Vgl. Gewobag Frankfurt 1954, S. 15. 497 Vgl. Wagner 1995, S. 184.

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Georg Wagner am Beispiel der Bielefelder Wohnungsbaugesellschaft „Eintracht“ überzeugend nachgewiesen hat, hätten die Wohnungsgesellschaften durchaus die Möglichkeit gehabt, die Vergabe stärker zugunsten von Arbeiterhaushalten mit unterdurchschnittlichen Einkommen zu beeinflussen.498 Der Verteilungseffekt war also nicht so sehr das Ergebnis der politisch gesetzten Rahmenbedingungen, sondern vor allem das Ergebnis unternehmenspolitischer Prioritätensetzungen. Die Quellenlage erlaubt allerdings keine eindeutigen Aussagen über die Ursachen für diese Prioritätensetzung. Klar ist, daß die Wohnungsbaugesellschaften prinzipiell ein starkes Interesse an solventen Mietern hatten; und klar ist auch, daß durch die starke Ausrichtung der NH auf den Wohnungsneubau die Einwerbung von Baukostenzuschüssen eine wichtiges Element der Unternehmensstrategie darstellte – mit den entsprechenden verteilungspolitischen Konsequenzen. Es gab allerdings noch einen weiteren Faktor, der ebenfalls eine zentrale Rolle gespielt zu haben scheint: Das war die eindeutige politische Orientierung der Gewerkschaften auf relativ gut ausgebildete und gut verdienende Arbeiterkreise, die tendenziell zu Lasten sozial schwächerer Schichten ging.499 Dies zeigte sich immer dann besonders deutlich, wenn die Auflegung von Sonderprogrammen für benachteiligte Bevölkerungsgruppen in der NH oder im DGB diskutiert wurde. Nicht nur die Tatsache, daß solche Sonderprogramme in den fünfziger Jahren niemals zustande kamen, ist dabei bemerkenswert. Mindestens ebenso interessant sind die Rückschlüsse, die diese Diskussionen auf den Umgang der Gewerkschaften mit den Randgruppen, die am nachhaltigsten unter der mangelhaften Wohnungsversorgung zu leiden hatten, zulassen. Denn sowohl die DGB-Führung als auch der Vorstand der NH äußerten gegenüber diesen regelmäßig erhebliche Vorbehalte. So vertrat Ludwig Rosenberg, der stellvertretende DGB-Bundesvorsitzende, 1958 beispielsweise die Ansicht, „daß mit einem Bauprogramm für Einkommensschwache, für die besonders billig und an bestimmten Stellen gebaut würde, Proletensiedlungen erstellt würden“.500 Das war zwar in erster Linie ein Plädoyer für die soziale Mischung von Wohnsiedlungen, wie sie seit der Weimarer Republik ohnehin praktiziert wurde; aber die abwertenden Untertöne gegenüber den „Proleten“ waren doch deutlich herauszuhören. Und das war kein Einzelfall. Plett äußerte sich in einem ganz ähnlichen Sinne, als er hinsichtlich der 1959 noch in Lagern untergebrachten „Ostzonenflüchtlinge“ verlauten ließ, daß es zwar einerseits „der stärksten Sorge und Fürsorge sowohl der Gemeinden als auch der Länder des Bundes [bedürfe], diese Restbestände wohnraummässig zu versorgen“, andererseits aber „der asoziale Teil, der sich unter diesen Flüchtlingen befindet, genauso behandelt werden sollte wie die asozialen Einheimischen, das heisst, sie sollten in Einfachstunterkünften solange zusammenge[p]fercht werden, bis sie sich besinnen, ein ordentliches Leben zu führen.“501

498 Vgl. ebd., S. 376. 499 Vgl. dazu generell Schneider 2000, S. 319. 500 Protokoll wohnungspolitischer Ausschuß, 12.2.1958, DGBA-BV, Abt. Wirtschaftspolitik, 24/4718, S. 5. 501 Brief Pletts an Georg Reuter, 9.2.1959, DGBA-BV, Abt. Organisation, 24/378.

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Auch in der Frage der Wohnungsversorgung sahen die Gewerkschaften und mit ihnen die NH in den fünfziger Jahren ihre hauptsächliche Klientel also keineswegs bei sozialen Randgruppen, sondern bei denjenigen Bevölkerungsschichten, die den Kern der – bloß vorgestellten – „nivellierten Mittelstandsgesellschaft“ bildeten. Daß mit dieser Zielgruppendefinition ein gehöriges Maß an autoritärer Rhetorik einherging, kann dabei nur auf den ersten Blick überraschen. Denn tatsächlich fand sich diese autoritäre Rhetorik auch an anderer Stelle wieder, insbesondere im Umgang der Unternehmensgruppe mit ihren Mietern. Das galt vielleicht noch am wenigsten für die Gestaltung der Mietverträge und der Hausordnungen. In dieser Hinsicht unterschied sich die NH kaum von anderen gemeinnützigen Wohnungsunternehmen. Was sie allerdings im Gegensatz zu diesen mit relativ großem Aufwand betrieb, war die propagandistische Begleitung ihrer Hausordnungen. Besonders ihre seit 1951 erscheinende Mieterzeitschrift, die „Monatlichen Mitteilungen“, setzte sie zu diesem Zweck ein. Die dritte Ausgabe dieses Blattes etwa bestand ausschließlich aus einer Auflistung der Vorschriften der Hausordnung, die mit ausgiebigen Kommentaren zur unbedingten Notwendigkeit und Sinnhaftigkeit dieser Bestimmungen angereichert waren. In den übrigen Nummern spielte diese Frage ebenfalls eine zentrale Rolle – vor allem mit Bezug auf das durch die beengten Wohnverhältnisse und die schlechte Schallisolierung bedingte Problem der Lärmbelästigung.502 Auch der nach Ansicht der Gesellschaft zu hohe Wasserverbrauch der Mieter und die „Schädigung“ des äußeren Ansehens der Wohnblocks durch unerlaubtes Aufhängen von Wäsche auf den Balkonen veranlaßten die NH wiederholt zu Hinweisen auf die besondere Bedeutung der Hausordnung. „Wenn ihre Paragraphen (§§) richtig beachtet werden,“ stand in den Monatlichen Mitteilungen zu lesen, „so werden auch manche gegenseitigen Quängeleien unter unseren Mietern schnell wegfallen.“503 Dabei waren es aber nicht allein die in der Zeitschrift wieder und wieder erläuterten Regeln des Zusammenlebens, die an den Stellungnahmen der NHH bemerkenswert waren. Wenn die Gesellschaft im Falle der (sicherlich sehr sinnvollen) Vorschrift, daß Küchenabfälle nicht in das Waschbecken geleert werden sollten, die Auffassung vertrat, sie sei „so zwingend, daß hierüber Meinungsunterschiede überhaupt nicht bestehen dürften“,504 dann versuchte sie nicht nur, ihre Hausordnung zu popularisieren. Sie suggerierte damit gleichzeitig, daß die Probleme des Zusammenlebens in einer Hausgemeinschaft nur durch bedingungslose Unterordnung unter ein vom Vermieter vorgegebenes Regelwerk zu lösen waren, das selbst in seinen Einzelheiten nicht verhandelbar war. Und dieser Unterton fand sich auch in ihren Stellungnahmen zu der Vorschrift wieder, die in späteren Jahren geradezu zum Symbol für die Rigidität der Vermietungspolitik großer Wohnungsunternehmen wurde: die Vorschrift nämlich, nach der die Grünanlagen nicht betreten und auch nicht von Kindern zum Spielen genutzt werden durften – aus Sorge um deren Erhaltungszustand. Auch in dieser Hinsicht erklärte die NHH in ihrer

502 Vgl. Monatliche Mitteilungen 3.1953,2/3, o. S. 503 Monatliche Mitteilungen 2.1952,2/3, o. S. 504 Monatliche Mitteilungen 1.1951,3, S. 3.

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Mieterzeitschrift jegliche Diskussion für unstatthaft.505 Die Monatlichen Mitteilungen projizierten damit das Bild einer Gesellschaft, deren Konfliktpotential sich nur durch eine starke, autoritäre Steuerung in den Griff bekommen ließ, und die Rolle, die dabei der Unternehmensgruppe als Vermieter zufiel, war zweifellos die einer zentralen Lenkungsinstanz.506 Die gewerkschaftseigenen Wohnungsbaugesellschaften hätten allerdings ihre wohnreformerische Tradition verleugnet, wenn sie das als eine rein negativ zu definierende Aufgabe betrachtet hätten. Es war deshalb konsequent, daß mit ihrer autoritären Rhetorik auch ein starker erzieherischer Gestus einherging. Dieser erzieherische Gestus hatte bei den Gemeinnützigen eine lange Tradition. Er ging bis auf den bürgerlichen Paternalismus ihrer großen Gründerfigur Victor Aimé Huber zurück.507 In der Weimarer Republik hatten ihn die reformorientierten Kräfte und damit auch die gewerkschaftseigenen Gesellschaften für ihre Zwecke übernommen. Am deutlichsten sichtbar war das in der Durchsetzung der „Frankfurter Küche“, die, so sahen das zumindest die Wohnungsreformer der Zwischenkriegszeit, zum Wohle derjenigen Mieter geschah, die nicht von selbst einsehen mochten, daß die Wohnküche ihnen – obwohl von einer breiten Mehrheit befürwortet – nur schaden konnte.508 In der Zeit nach 1945 trat dieser erzieherische Impetus bei den gewerkschaftseigenen Wohnungsunternehmen wieder hervor. In einem Punkt war das sogar noch deutlicher zu erkennen als in den zur Genüge zitierten Mieterzeitschriften: in der gewerkschaftlichen Wohnpädagogik, bei der allerdings nicht die NHH, sondern die Gewobag Frankfurt eine Vorreiterrolle übernahm. Unter der Führung von Reinhold Tarnow veranstaltete sie 1953 unter dem Titel „Richtig wohnen helfen“ ein groß angelegtes Experiment, bei dem sie 68 Flüchtlingsfamilien Kredite zur Einrichtung ihrer Wohnungen anbot und ihnen obendrein eine neue Küche spendierte, wenn diese im Gegenzug der Gesellschaft das letzte Wort über die Möblierung überließen und die eingerichteten Wohnungen vor Bezug für eine Ausstellung zur Verfügung stellten.509 Hinter diesem Projekt stand ein Gedankengang, der in fast identischer Form bei den Wohnungsreformern des Kaiserreichs (gleich welcher Couleur) anzutreffen gewesen war: Tarnow vertrat nämlich die Auffassung, daß „die Einrichtung vielfach nicht den wahren Wohnbedürfnissen der Familien entsprach“ und die „vorhandenen und neu gekauften Möbel (...) mehr an das Re505 Vgl. ebd., S. 4. 506 Auch an Stellen, an denen die Monatlichen Mitteilungen ausnahmsweise über Diskussionen der Hausordnungen hinausgingen, war diese Auffassung deutlich spürbar – so etwa bei den Tips „zur Abwehr der gewerbsmäßigen Bettler“ (Monatliche Mitteilungen 2.1952,2/3, o. S.) oder den „Gebote[n] über Balkonschmuck“ (Monatliche Mitteilungen 3.1953,4/5, o. S). 507 Vgl. dazu Michael A. Kanther/Dietmar Petzina, Victor Aimé Huber (1800–1869). Sozialreformer und Wegbereiter der sozialen Wohnungswirtschaft (Schriften zum Genossenschaftswesen und zur öffentlichen Wirtschaft Bd. 36), Berlin 2000, hier v. a. S. 131 ff. u. S. 143 ff. sowie Jenkis 1985, S. 38 ff. 508 Vgl. Adelheid von Saldern, Von der „guten Stube“ zur „guten Wohnung“. Zur Geschichte Wohnens in der Bundesrepublik Deutschland, AfS 35.1995, S. 227–254, hier S. 227. 509 Vgl. Gewobag Frankfurt 1954, S. 41 ff. sowie Reinhold Tarnow, Gewerkschaften und Wohnungsbau, in: Hermann Wandersleb (Hg.), Handwörterbuch des Städtebaus, Wohnungs- und Siedlungswesens Bd. 2, Stuttgart 1959, S. 716–719, hier S. 719.

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präsentations- als an das Wohnbedürfnis“510 appellierten. Seine Zielsetzung war es, dieses vermeintliche irrationale Wohnverhalten durch aufklärerische Maßnahmen zu korrigieren und so die Wohnsituation der Bevölkerung zu verbessern. Mit dieser Zielsetzung stand Tarnow innerhalb des gewerkschaftlichen Wohnungsbaus nicht alleine. Auch die NHH trat durch wohnpädagogische Sonderaktionen hervor. So organisierte sie in Zusammenarbeit mit dem Hamburger Amt für Wohnungswesen zwischen 1952 und 1954 eine Reihe von Möbelausstellungen, die sie mit einer Beratungsaktion für ihre Mieter verband.511 Besonderen Wert legte sie dabei, wie die Gewobag, auf die Verwendung von „raumsparenden Schlichtmöbeln“512 – wiederum ein Reflex auf das vermeintlich irrationale Repräsentationsbedürfnis in den Wohnungen von Arbeitern. Tatsächlich stießen die wohnpädagogisch motivierten Experimente der gewerkschaftseigenen Unternehmen auf einiges Interesse. 1952 wurden bei einer Ausstellung der NHH in Dulsberg etwa 14.000 Besucher gezählt, und die Aktion der Gewobag war nach ihrem eigenen Bekunden „ein voller Erfolg“.513 Hinsichtlich der Reichweite dieser Erziehungsversuche ist aber dennoch Skepsis angezeigt. An der Präferenz der Haushalte unterer und mittlerer Einkommen für repräsentative Einrichtungen änderte sich durch sie jedenfalls nichts: Selbst von den Besuchern der angesprochenen Ausstellung in Dulsberg sprachen sich nur 26% für die von der NHH entworfenen Schlichtmöbel aus, während knapp die Hälfte für traditionelle Ausstattungen plädierte.514 In den bekannten Meinungsumfragen aus diesem Zeitraum fiel das Bild noch deutlicher zugunsten des „Gelsenkirchener Barocks“ aus.515 Diese Entwicklung mag dazu beigetragen haben, daß die gewerkschaftseigenen Wohnungsunternehmen ihre pädagogischen Bemühungen seit Mitte der fünfziger Jahre Zug um Zug einstellten – in Übereinstimmung mit dem bundesweiten Trend, für den seit Mitte der fünfziger Jahre eine abnehmende Bedeutung der Wohnpädagogik zu diagnostizieren ist. Das war neben dem geringen Anklang dieser Experimente auch dem vielbeschriebenen „Rückzug ins Private“ geschuldet, der wohnpädagogische Bemühungen als eine unzulässige Intrusion in die nach außen abgeschottete Familie erscheinen ließ.516 Auf Seiten der NH kam noch hinzu, 510 Gewobag Frankfurt 1954, S. 41. 511 Vgl. Monatliche Mitteilungen 2.1952,9/10, o. S. sowie Anhaltspunkte für die Pressebesprechung, 16.1.1954, FZH 592–30 I, S. 1. Zu ähnlichen Aktionen anderer Träger vgl. Niehuss 2001, S. 153 ff. 512 Monatliche Mitteilungen 2.1952,9/10, o. S. 513 Gewobag Frankfurt 1954, S. 43. Zur Ausstellung der NHH in Dulsberg vgl. Monatliche Mitteilungen 2.1952,9/10, o. S. 514 Vgl. ebd. 515 Vgl. Christoph Kleßmann, Zwei Staaten, eine Nation. Deutsche Geschichte 1955–1970, Bonn 2 1997, S. 54 sowie Hannelore Brunhöber, Wohnen, in: Wolfgang Benz (Hg.), Die Bundesrepublik Deutschland. Band 2: Gesellschaft, Frankfurt a.M 1983, S. 183–208, hier S. 197 ff. 516 Vgl. Michael Andritzky, Balance zwischen Heim und Welt. Wohnweisen und Lebensstile von 1945 bis heute, in: Flagge 1999, S. 615–686, hier S. 628 ff. sowie Saldern 1995, S. 251 f. Die zeitgenössische Literatur zum Rückzug in die private Häuslichkeit faßt zusammen Axel Schildt, Freizeit, Konsum und Häuslichkeit in der „Wiederaufbau“-Gesellschaft. Zur Modernisierung von Lebensstilen in der Bundesrepublik Deutschland in den 1950er Jahren, in: Hannes Siegrist/Hartmut Kaelble/Jürgen Kocka (Hg.), Europäische Konsumgeschichte. Zur Gesellschafts- und Kulturgeschichte des Konsums (18. bis 20. Jahrhundert), Frankfurt a. M./New

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daß die Unternehmensgruppe mit zunehmender Größe verstärkt dazu überging, die Beziehungen zwischen Mietern und Vermieter zu formalisieren. Sie legte deshalb seit Mitte der fünfziger Jahre mehr Wert auf eine rationelle Ausgestaltung der Wohnungsverwaltung als auf eine individuelle Betreuung ihrer Mieter. Jedenfalls folgten den 1954 stattfindenden Ausstellungen zur Bewohnerberatung keine ähnlich gelagerten Projekte mehr. Auch die „Monatlichen Mitteilungen“ wurden 1954 eingestellt und durch die nur sehr vereinzelt erschienene, 1958 ebenfalls eingestellte Zeitschrift „zu hause“ ersetzt.517 An den grundsätzlichen Vorstellungen vom Verhältnis zwischen Mietern und Vermietern änderte sich zunächst freilich nichts. Es gab für die Unternehmensgruppe auch keinen Grund, hieran zu rütteln, denn bei allem durchaus vorhandenen nachbarschaftlichen Streit scheinen die Mieter ihre Ansichten über die Funktionsweise von Hausordnungen und Mietverträgen grundsätzlich geteilt zu haben. Zum einen war dies sicherlich der Wohnungsmarktlage geschuldet, die einen starken disziplinierenden Einfluß ausgeübt haben dürfte; zum anderen aber entsprach die Betonung von „Ruhe und Ordnung“ in hohem Maße dem politischen Zeitgeist.518 Es kann daher nicht verwundern, daß die Vermietungspolitik der NH für die Beurteilung der Unternehmensgruppe in der öffentlichen Meinung der fünfziger Jahre nur von untergeordneter Bedeutung war. Erst in den siebziger Jahren konnte diese Frage ein Mindestmaß an öffentlicher Aufmerksamkeit erregen. 3.2.3 Die Eigenheimfrage Die Ausnahme von der Regel, nach der der Erfolg gemeinnütziger Wohnungsunternehmen in den fünfziger Jahren nicht an dem Verteilungseffekt ihrer Unternehmenspolitik gemessen wurde, bildete die Eigenheimfrage.519 Sie bot Raum für Diskussionen, deren grundsätzlich-ideologische Natur der Wohnungspolitik in diesem Zeitraum ansonsten eher fremd war. Vordergründig handelte es sich bei ihr um ein reines Verteilungsproblem, bei dem es zu entscheiden galt, wie viele Wohnungen als Miethäuser zu errichten waren und wie viele als Eigenheime. Dabei spielten zwei Faktoren eine zentrale Rolle: zum einen die Zielsetzungen der jeweiligen Bauherren, also im vorliegenden Falle der NH; und zum anderen die Frage der Marktstruktur – also vor allem die Nachfrage nach Eigenheimen, bei der allerdings zu berücksichtigen ist, daß sie massiv von politisch gesetzten Rahmenbedingungen abhängig war. York 1997, S. 327–348, hier S. 335 ff. 517 Vgl. Protokoll AA NHH, 17.1.1957, IGM ZwA 2/17 265, S. 11. 518 Zum Zeitgeist vgl. ausführlich Schildt 1995, S. 306 ff. 519 Zur Eigenheimfrage zusammenfassend Clemens Zimmermann, Wohnungspolitik – Eigenheime für alle?, in: Tilman Harlander (Hg.), Villa und Eigenheim. Suburbaner Städtebau in Deutschland, Stuttgart/München 2001, S. 330–349, hier v. a. S. 332 ff.; Wagner 1995, S. 53 ff.; Schulz 1994, S. 255 ff. sowie ders., Eigenheimpolitik und Eigenheimförderung im ersten Jahrzehnt nach dem Zweiten Weltkrieg, in: Schildt/Sywottek 1988, S. 409–439. Für eine regionalgeschichtliche Perspektive vgl. Holger Lüning, Das Eigenheim-Land. Der öffentlich geförderte Soziale Wohnungsbau in Niedersachsen während der 1950er Jahre (Veröffentlichungen der Historischen Kommission für Niedersachsen und Bremen Bd. 231), Hannover 2005.

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Darüber hinaus entwickelte sich die Eigenheimfrage im Verlauf der fünfziger Jahre auf der Grundlage ihres politisch-ideologischen Potentials aber auch zu einer Art Lackmus-Test für die „Gesellschaftsfähigkeit“ der gemeinnützigen Wohnungsunternehmen im allgemeinen und der NH im besonderen. Sie bildete einen entscheidenden Stein des Anstoßes für die Frage ihrer Legitimität im Rahmen der Gesellschaftsordnung der Bundesrepublik. Ich werde im folgenden zunächst auf die Eigenheimfrage als Teil der Produktpolitik der Unternehmensgruppe eingehen, also danach fragen, warum und unter welchen Bedingungen die NH in den fünfziger Jahren Eigenheime anbot, welche Rolle dabei gewerkschaftspolitische Erwägungen einerseits sowie die Marktstruktur andererseits spielten und welche Bedeutung das Produkt „Eigenheim“ für das Unternehmen hatte. Die Diskussion der Bedeutung der Eigenheimfrage für die politische Legitimität der NH bleibt dagegen dem nächsten Kapitel vorbehalten. Die Ausgangsbasis für die erhebliche Bedeutung, die die Diskussion über das Eigenheim in den fünfziger Jahren entfalten konnte, bildete die verbreitete Wertschätzung dieser Wohnform in der Bevölkerung und in den politischen Parteien. Sie speiste sich aus unterschiedlichen Quellen: aus der Mangelerfahrung der unmittelbaren Nachkriegszeit, die vor allem das Haus mit (Nutz-)Garten als besonders attraktiv erscheinen ließ; aus der mit der Kriegserfahrung zusammenhängenden Sehnsucht nach Geborgenheit und Sicherheit;520 aus der „kollektivistischen Bedrohung“ des Ostens, der die private Eigentumsbildung entgegenwirken sollte; und schließlich aus dem Einfluß der katholischen Soziallehre, die traditionellerweise „einen engen Zusammenhang zwischen persönlicher Freiheit, Selbstbestimmung und dem Recht auf Privateigentum“521 herstellte. Der Einfluß dieses letzten Faktors war insbesondere in der sich formierenden CDU zu beobachten. Doch die Wertschätzung des Eigenheims blieb in der unmittelbaren Nachkriegszeit keineswegs auf sie begrenzt: Auch in der SPD trafen vor allem die Überlegungen zur Versorgungslage und die Ablehnung der Zwangswirtschaft des Ostens auf breite Zustimmung. „Eigentum mit Garten und Kleintierstall“, so warb die Partei auf einem Plakat zur Bundestagswahl 1949, „hat die volle Zustimmung der Sozialdemokratischen Partei. So wie sie den Kollektivismus in jeder Form ablehnt, so begrüßt sie alle Anstrengungen zur menschenwürdigen Lebensgestaltung. Die SPD sieht in jeder Siedlerstelle ein Stück vom Willen zur persönlichen Freiheit und wirtschaftlichen Unabhängigkeit und wird deshalb die Siedlung nach Kräften fördern.“522 Selbst die KPD trat – wenngleich wohl eher aus taktischen Gründen – bei der Bundestagswahl 1949 mit dem für eine kommunistische Partei doch recht untypischen Slogan „Trautes Heim – Glück allein“ 523 an die Öffentlichkeit.

520 Arne Andersen, Der Traum vom guten Leben. Alltags- und Konsumgeschichte vom Wirtschaftswunder bis heute, Frankfurt a. M./New York 1997, S. 127 ff., beleuchtet die Wohnungsfrage der fünfziger Jahre vor allem aus dieser Perspektive. 521 Schulz 1988, S. 419. Zum Aspekt des Antikommunismus vgl. ebd.; Zimmermann 2001(b), S. 333 sowie Petsch 1989, S. 103 f. 522 Zit. nach Schulz 1994, Abbildung zwischen S. 174 u. S. 175. 523 Zit. nach Schulz 1988, S. 414.

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Trotz dieser „großen Koalition“ des Eigenheimgedankens in der unmittelbaren Nachkriegszeit fand dieser im I. Wohnungsbaugesetz aber nur eingeschränkten Niederschlag. Zwar war das Eigenheim dort gleichberechtigt neben Kleinsiedlung und Mietwohnung als Objekt der Förderung vorgesehen. Einen Förderungsvorrang für das Eigenheim gab es allerdings nicht. Das hatte einen simplen Grund: Der Bau von Wohnungen in mehrstöckigen Mietshäusern war schlicht und einfach billiger – und zwar um etwa 30%.524 Angesichts der verbreiteten Wohnungsnot war dies ein schlagendes Argument. „Das Wohnungsdefizit, so schien es, war nur durch jahrelange Bauanstrengungen mit Hilfe des Massenmietwohnungsbaus kleiner Wohnungen zu lösen, nicht mit Hilfe des Einfamilienhauses“.525 Vor allem auf Seiten der CDU stellte sich allerdings schon sehr bald nach Verabschiedung des I. Wohnungsbaugesetz verbreitete Unzufriedenheit ein. Denn die konservativen Eigenheimbefürworter um Paul Lücke, den Vorsitzenden des Wohnungsbauausschusses des Bundestages und wohnungspolitischen Sprecher der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, waren nicht geneigt, die eindeutige Ausrichtung des Gesetzes auf den Neubau von Mietwohnungen hinzunehmen.526 Sie „begannen nun eine massive Agitation für das Eigenheim“527 und forderten eine stärkere Ausrichtung der Wohnungsbaupolitik auf die Familienförderung. Der Gesetzgeber folgte diesen Vorgaben angesichts der Tatsache, daß die Neubauziffern in den frühen fünfziger Jahren alle Erwartungen übertrafen, schnell. Schon die Novelle des I. Wohnungsbaugesetzes aus dem Jahre 1953 sah erstmals eine vorrangige Förderung des Eigenheimbaus im Rahmen des weiterhin bestehenden, 1950 beschlossenen Wohnungsbauprogramms vor.528 Mit dem gleichzeitig von Lücke vorgelegten Entwurf für ein II. Wohnungsbaugesetz wollte dieser die Eigenheimförderung sogar auf lange Sicht als exklusiven Modus der staatlichen Wohnungsbauförderung etablieren.529 Dabei konnte er auf die breite Unterstützung der regierenden CDU ebenso zählen wie auf die weiterhin sehr eigenheimfreundliche Stimmung in den anderen Parteien. Im Grundsatz erfaßte diese Stimmung sogar die Gewerkschaften und die NH. Tatsächlich kann, anders als das später häufig dargestellt worden ist, keine Rede davon sein, daß der Bau von Eigenheimen „in keiner Weise mit gewerkschaftlichen Zielen vereinbar“ gewesen sei und „quer zur gewerkschaftlichen ‚Beschlußlage‘ in Wohnungsbaufragen“530 gelegen habe. Das Gegenteil war der Fall: Prinzipiell waren sich die Gewerkschaftsspitzen und die Geschäftsführung der NH völlig darüber einig, daß der Bau von Eigenheimen „als ideale Lösung angesehen 524 Die NH kalkulierte für ihr Eigenheimsonderprogramm 1957 mit Kosten von ca. 30.000 DM pro Eigenheim. Zur gleichen Zeit betrugen die Baukosten pro in der BRD hergestellter Wohnung 21.140 DM. Da diese Zahl auch Eigenheime beinhaltet, ist die Differenz zwischen Mietwohnungen und Eigenheimen mit 30% eher unter- als überschätzt. Vgl. Schulz 1994, S. 353 sowie Protokoll AA NHH, 8.10.1957, IGM ZwA 2/17 265, S. 11. 525 Schulz 1988, S. 414 f. 526 Vgl. Schulz 1994, S. 257. Zu Lückes Biographie vgl. ebd., S. 258 ff. sowie Wagner 1995, S. 47. 527 Schulz 1988, S. 416. Vgl. auch Wagner 1995, S. 53 ff. 528 Vgl. ebd., S. 42 f. sowie Schulz 1994, S. 281. 529 Vgl. ebd., S. 288 ff. und Wagner 1995, S. 46 ff. 530 Goldberg 1987, S. 71. Ähnlich auch Lüken-Isberner 1983, S. 9.

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werden kann“.531 Das war kein bloßes taktisches Zugeständnis, sondern eine ernsthafte Überzeugung. Zwar gingen die Gewerkschaftsvertreter in ihrer ideologischen Überhöhung des Eigenheimbaus nicht ganz so weit wie die meisten CDUPolitiker; aber gerade aus den Reihen der gewerkschaftlichen Wohnungsunternehmen waren mitunter Töne zu hören, die Lückes Auffassung, daß die Mietswohnung „den Willen zum Kind“ töte und „zur Empfängnisverhütung, Abtreibung und zur Entsittlichung und damit zum biologischen Volkstod“532 führe, inhaltlich recht nahe kamen. Harro Iden etwa, der stellvertretende Leiter der Finanzierungsabteilung, schrieb, das Eigenheim sei „objektiv gesehen die ideale Wohnform“ und habe „nicht nur die gesellschaftspolitische Aufgabe, den ökonomischen Faktor Wohnbedarf zu befriedigen“, sondern führe „außerdem den Menschen aus der Masse auf sich selbst zurück, dient damit der Gesellschaftsordnung und gibt der Familie eine echte Heimat.“533 Und Heinrich Plett erklärte vor dem DGB-Bundesausschuß, daß „biologisch das Wohlbefinden der Familie durch ein Eigenheim im Grünen für den, der es sich leisten kann und will, vor allen Dingen in den Großstädten von Vorteil ist (...). Der biologische Vorteil des luftigen und freien Wohnens“ sei, so seine Auffassung, „natürlich im Eigenheim besonders günstig“.534 Allerdings führte diese Sichtweise noch nicht dazu, daß sich die Unternehmensgruppe im Bau von Eigenheimen besonders engagierte. Im Gegenteil: Der Anteil des Eigenheimbaus an ihren Fertigstellungen war sehr gering. Zwischen 1950 und 1955 betrug er nur etwa 10%, und 1952, im Jahr des Negativrekords, fiel er sogar auf deutlich unter 7%.535 Das lag daran, daß die Gewerkschaften in erster Linie den von ihnen vertretenen Empfängern mittlerer und unterer Einkommen eine ausreichende Versorgung mit Wohnraum sichern wollten. Das war mit dem Bau von Eigenheimen aber kaum zu machen – einfach aus Kostengründen. Zwar gab es auch Gewerkschaftsmitglieder, deren Einkommen für den Erwerb eines Eigenheimes ausreichte; eine breite Mehrheit war das in den fünfziger Jahren allerdings nicht. Solange die Wohnungsversorgung breiter Schichten der Bevölkerung von einem riesigen Defizit geprägt war, kam eine ausgeprägte Eigenheimförderung für die Gewerkschaften deshalb nicht in Frage. Auch die Geschäftsführung 531 Bericht über die Sitzung des wohnungspolitischen Ausschusses, 9.2.1954, DGBA-BV, Abt. Wirtschaftspolitik, 24/5231, S. 7. 532 Paul Lücke, Was geschieht heute im Wohnungsbau?, in: „Breitesten Schichten Eigentum an Wohnungen zu schaffen, das ist heute die Aufgabe“. Referate und Reden des Altenberger Treffens und der öffentlichen Kundgebung im Plenarsaal des Bundeshauses am 22. September 1951, o. O. 1951, S. 19–29, hier zit. nach Schulz 1988, S. 418. 533 Harro Iden, Sonderprogramm mit 8500 Eigenheimen. Beispiel für den Großeinsatz von 7cGeldern, NHM 1958,6, S. 26–43, hier S. 30. Für eine ähnliche Stellungnahme vgl. Gewobag Frankfurt 1954, S. 7. Vietor nahm eine etwas gemäßigtere Haltung ein; er begründete seine Auffassung, „daß das Eigenheim die beste Wohnform ist“, vor allem mit „sozialökonomische[n] Gesichtspunkte[n] (...). Über das Eigenheim ist es möglich, weiten Bevölkerungskreisen eine Eigentumsbildung zu ermöglichen.“ Albert Vietor, Das Eigenheim auf Raten. Ein Beitrag zur Diskussion um das Familienheimgesetz, NHM 1955,8/9, S. 1–4, hier S. 1. 534 Heinrich Plett, Die langfristige Unternehmenspolitik der NEUE HEIMAT Hamburg. Vortrag vor dem Bundesausschuß des DGB, 13.10.1961, DGBA-BV, Abt. Wirtschaftspolitik, 24/5049, S. 14. 535 Vgl. Anhang, Tabelle 1. Zur Gestaltung der von der Unternehmensgruppe bis 1958 errichteten Eigenheime vgl. Heinrich Plett, Das Eigentum an der Wohnung, NHM 1958,6, S. 1–12.

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der NH sah das so: Vietor erklärte in diesem Sinne, daß man den Bau von Eigenheimbauten zwar „mit allem Nachdruck anstreben“ solle, fügte aber hinzu, daß das nur dann geschehen könne, wenn „der kostspieligere Eigenheimbau ohne Beeinträchtigung des sozialen Gerechtigkeitsprinzip[s] verwirklicht werden“536 könne. In der ersten Hälfte der fünfziger Jahre war das nach Auffassung der NH aber nur in Ausnahmefällen möglich. Mit dieser Position geriet die Unternehmensgruppe in der von Lücke losgetretenen Eigenheimdiskussion allerdings zusehends in die Defensive. Denn die Befürworter des II. Wohnungsbaugesetzes warfen den Gemeinnützigen und mit ihnen der NH vor, den Eigenheimbau absichtlich zu hintertreiben, um auf diese Weise ihre Mietwohnungsbestände zu vergrößern, und dabei den Wunsch einer breiten Mehrheit in der Bevölkerung nach der Bildung von Wohneigentum zu mißachten.537 Tatsächlich war es unbestreitbar, daß die ohnehin bereits sehr breite politische Front für eine verstärkte Eigenheimförderung Mitte der fünfziger Jahre noch einmal zusätzlich an Potenz gewann. Plett bezweifelte allerdings, daß das Rückschlüsse auf die Stimmung in der Bevölkerung zuließ; er vertrat die Auffassung, daß gerade bei den Bevölkerungsschichten, die die Gewerkschaften vertraten, von einer breiten Befürwortung des Eigenheimgedankens keine Rede sein konnte.538 Belegen ließ sich das allerdings nicht, denn über die Präferenzen der Wohnungskonsumenten war zu diesem Zeitpunkt so gut wie nichts bekannt. Zwar hatte es in den Jahren seit Kriegsende bereits eine ganze Reihe kleinerer „Wohnwunsch-Erfragungen“ gegeben, etwa Elisabeth Pfeils berühmte Studie über „Die Wohnwünsche der Bergarbeiter“ oder die Befragung im Zusammenhang mit dem Bau der Grindelhochhäuser in Hamburg.539 Doch diese Untersuchungen hatten nur einen – sei es regional, sei es gruppenspezifisch – sehr eng begrenzten Fokus. Umfassend angelegte Studien gab es schon allein deshalb nicht, weil der extreme Nachfrageüberhang jede Art von Marktforschung aus Sicht der Wohnungsunternehmen überflüssig machte. Das änderte sich nun aber. Denn um ihre Position in der Eigenheimfrage zu stärken, führte die Unternehmensgruppe zusammen mit der „Südhausbau“, mit der sie schon bei der Parkstadt Bogenhausen zusammengearbeitet hatte, im Frühjahr 1954 eine groß angelegte „wohnungswirtschaftliche Befragung“ durch. Mit dieser methodisch anspruchsvollen Studie betraten die beiden Gesellschaften Neuland: In elf Städten befragten sie mehrere tausend (!) repräsentativ ausgewählte Bewohner hinsichtlich ihrer Wohnwünsche. Die Untersuchung deckte eine ganze Reihe 536 Albert Vietor, zit. nach NHH 1956, S. 35. 537 Vgl. Schulz 1994, S. 290. 538 Vgl. Bericht über die Sitzung des wohnungspolitischen Ausschusses, 11.5.1954, DGBA-BV, Abt. Wirtschaftspolitik, 24/5231, S. 12. 539 Vgl. Elisabeth Pfeil, Die Wohnwünsche der Bergarbeiter. Soziologische Erhebung, Deutung und Kritik der Wohnvorstellungen eines Berufes (Soziale Forschung und Praxis Bd. 12), Tübingen 1954; Axel Schildt, Die Grindelhochhäuser. Eine Sozialgeschichte der ersten deutschen Wohnhochhausanlage Hamburg-Grindelberg 1945 bis 1956 (Schriftenreihe des Hamburgischen Architekturarchivs Bd. 1), Hamburg 1988, S. 93 sowie die Übersicht über „Wohnwunsch-Erfragungen in der Nachkriegszeit“ in: Neue Heimat Hamburg (Hg.), „So möchte ich wohnen!“. Ergebnisse einer wohnungswirtschaftlichen Befragung der Bevölkerung in 11 deutschen Städten, Bd. 1, Hamburg 1955, S. 127.

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von Themenfeldern ab: etwa die Frage nach der bevorzugten Lage der Wohnung, nach ihrem Grundriß und ihrer Ausstattung, nach der Bedeutung und Nutzung der Gemeinschaftseinrichtungen oder nach der finanziellen Leistungsbereitschaft.540 Den Kern der Studie bildete aber – schon erkennbar an der Länge der Fußnote, mit der die Ergebnisse methodisch abgesichert wurden – die Frage nach Mietwohnung oder Eigenheim. Und hier kam die Untersuchung genau zu den Ergebnissen, die sich die NH erhofft hatte. Nur etwa ein Drittel der befragten Personen wünschte sich ein Eigenheim, während zwei Drittel der Mietwohnung den Vorzug gaben. Noch deutlicher fiel das Ergebnis aus, wenn die Frage nach dem Wohnwunsch mit der Frage nach der finanziellen Leistungsbereitschaft gekoppelt wurde: nur 7 bis 12% der Befragten waren der Meinung, „die wirtschaftlich erforderliche Eigenfinanzierung aufbringen [zu] können“ (als „wirtschaftlich erforderlich“ hatten die Wohnungsunternehmen ein Eigenkapital von DM 4.000 betrachtet; das war sogar eher knapp bemessen).541 Unter den wirtschaftlich schwächeren Schichten waren es noch einmal deutlich weniger: Bei ihnen verminderten sich „die als realisierbar ansprechbaren Eigenheim-Wünsche auf unter 2% bei Brutto-Familieneinkommen unter DM 350 bzw. auf 1 bis 5% bei Einkommen bis DM 450.“542 Man mochte gegenüber diesen Zahlen methodische Zweifel hegen. So hätte eine Einbeziehung ländlicher Gegenden, in denen die Eigentumsquote traditionell weit über der Eigentumsquote in den Städten lagen, mit Sicherheit ein weitaus „eigentumsfreundlicheres“ Ergebnis erbracht.543 Aber aus Sicht der Gewerkschaften machten die Ergebnisse der Umfrage es sehr unwahrscheinlich, daß der von Lücke angestrebte absolute Vorrang der Eigenheimförderung verteilungspolitisch vertretbar war. Denn zum einen ging er über die Wohnwünsche eines signifikanten Teils der städtischen Bevölkerung hinweg; und zum anderen konnten die sozial schwächeren Schichten aufgrund der mit Eigenheimen verbundenen Kosten kaum darauf hoffen, daß sich ihre Wohnraumversorgung durch diese Politik verbessern würde. „Die neuerlich vertretene Vorrangigkeit des Eigentumsheims [sic] (...) und die politische Tendenz einer primären Förderung der nicht-unternehmungsweisen [sic] Wohnungswirtschaft“, so schlußfolgert die NH, „findet in den geäußerten Wünschen städtischer Bewohner keine Stütze“.544 Lücke ließ sich davon allerdings nicht beirren. In einem Briefwechsel mit Reinhold Tarnow, in dem dieser ihn auf die negativen Verteilungseffekte einer verstärkten Eigenheimförderung ansprach, zeigte er sich trotz der gewerkschaftlichen Einwände von dem überlegenen sozialpolitischen Nutzen des Eigenheimes überzeugt. Das lag daran, daß er diesen an einem ganz anderen Maßstab maß als der DGB und die gewerkschaftlichen Wohnungsbaugesellschaften. „Wenn wir (...) 540 Vgl. ebd., Bd. 1 und Bd. 2, passim sowie Justus Buekschmitt, „So möchte ich wohnen!“ Bemerkungen zu einer wohnungswirtschaftlichen Befragung, NHM 1955,7, S. 1–6. 541 NHH 1955 Bd. 1, S. 24. 542 Ebd. 543 Vgl. zu den Auseinandersetzungen hierüber Harro Iden, Wohnungswünsche in Stadt und Land. Bemerkungen zur Heterogenität des Wohnungsmarktes, NHM 1955,8/9, S. 18–20 sowie Hafner 1993, S. 227 f. u. S. 250. 544 NHH 1955 Bd. 1, S. 68. Zu einem ähnlichen Ergebnis kam auch eine Erhebung des Statistischen Bundesamtes aus den Jahren 1956/57, vgl. Hafner 1993, S. 228.

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mithelfen“, so schrieb er, „daß über den sozialen Wohnungsbau möglichst viele eigentumslose Menschen wieder mit dem Grund und Boden verwurzelt werden und zu einem Eigentum an Haus und Boden kommen, wird sich dadurch der soziale Wohnungsbau im wahrsten Sinne des Wortes ‚sozial‘ auswirken. In der Auseinandersetzung zwischen Ost und West, die wir gemeinsam führen, kommt es darauf an, das persönliche Eigentum überall dort zu verwirklichen, wo sich eine Möglichkeit dazu bietet.“545 Für Lücke war der Wohnungsbau also in erster Linie eine gesellschaftspolitische Grundsatzfrage und erst in zweiter Linie eine Versorgungsfrage; die gewerkschaftlichen Prioritäten lagen dagegen genau umgekehrt. Angesichts der politischen Mehrheitsverhältnisse war es nicht weiter erstaunlich, daß Lücke die Oberhand behielt: Nach langwierigen Beratungen, bei denen die SPD den Gesetzesentwurf mit ähnlichen Argumenten wie der DGB zunächst abgelehnt, ihm schließlich aber doch zugestimmt hatte, verabschiedete der Bundestag im Juni 1956 das II. Wohnungsbaugesetz.546 Dieses Gesetz gab gemeinsam mit einigen flankierenden Maßnahmen dem Wohnungsbau in der Bundesrepublik eine neue Richtung. Das galt auch für die NH, die ihr Engagement im Eigenheimbau in den folgenden Jahren massiv steigerte. Das lag allerdings nicht daran, daß Plett oder der DGB nach der Verabschiedung des Gesetzes ihre Meinung über die sozialpolitische Tragfähigkeit des Eigenheimbaus schlagartig geändert hätten; es lag daran, daß sich die Unternehmensgruppe der Steuerungswirkung der Eigenheimpolitik der Bundesregierung nicht entziehen konnte. Entscheidend hierfür war gar nicht so sehr das II. Wohnungsbaugesetz selbst, sondern in erster Linie eine (vermeintlich) geringfügige Änderung des Einkommensteuerrechts, die schon 1955 – im Vorgriff auf die erwartete Verabschiedung des II. Wohnungsbaugesetzes – ergangen war. Sie besagte, daß die Verwendung von Mitteln, die nach § 7 c des Einkommensteuergesetzes vergeben wurden, nur noch für Wiederaufbaumaßnahmen, für den Bau von Eigenheimen oder als Arbeitgeberdarlehen für den Mietwohnungsbau gestattet war.547 Genau in dem Jahr, in dem diese zum 1. Dezember 1955 in Kraft getretene Änderung erstmals in großem Umfang Einfluß auf die Neubautätigkeit gewann, war die NH allerdings bei der Aufnahme von 7c-Geldern besonders erfolgreich. Etwa 111 Mio. DM solcher Mittel konnte sie 1956 einwerben. Das führte zu einem Problem, das in ähnlicher Form auch schon die Konzernbildung massiv beeinflußt hatte. Denn von diesem Geld konnte die Unternehmensgruppe nur etwa 20 Mio. DM für den Wiederaufbau von Trümmergelände und nur 6 Mio. DM als Arbeitgeberdarlehen zum Einsatz bringen. Um die noch verbleibenden Mittel einsetzen zu können, mußte sie dagegen wohl oder übel auf den Eigenheimbau ausweichen.548 Die NH hatte also 85 Mio. DM zur Verfügung, die sie ausschließlich für diesen Zweck verwenden konnte. Die Geschäftsführung wollte deshalb 1957 545 ‚Familiengerecht‘ – nur eine Forderung? Ein Briefwechsel zwischen Reinhold Tarnow und Paul Lücke, NHM 1956,11/12, S. 30–34, hier S. 34. 546 Vgl. Schulz 1994, S. 296 ff. sowie zum Inhalt des Gesetzes auch Schmittgen 1978, S. 248 ff. und Krummacher 1978, S. 173 ff. 547 Vgl. Schmittgen 1978, S. 393; Steffan 1963(b), S. 66 und Böttcher 1952, Abschnitt II B 2 (Nachtrag vom 1.12.1955), S. 8 ff. 548 Protokoll AR NHH, 17.1.1957, IGM ZwA 2/17 265, S. 6.

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ein auf fünf Jahre angelegtes „Eigenheimsonderprogramm“ auflegen, um diese gewaltige Summe – genug Geld, um damit (zusammen mit den zugehörigen erstund zweitstelligen Finanzierungsmitteln) etwa 8.500 Neubauten zu finanzieren – überhaupt „verbauen“ zu können.549 Dieser Plan führte im Aufsichtsrat zu einigen Diskussionen. Obwohl die Gewerkschaften ihn nicht rundheraus ablehnten, widersprach er in einem wesentlichen Punkt ihren verteilungspolitischen Forderungen. Denn die Geschäftsführung hatte zwar vorgesehen, den Löwenanteil des Sonderprogrammes (6.500 Eigenheime) in den Ländern Hamburg, Niedersachsen und Schleswig-Holstein zu errichten, wo der Bau aus öffentlichen Mitteln gefördert werden konnte; aber immerhin 2.000 der geplanten Eigenheime – sie entfielen auf Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz – sollten im steuerbegünstigten Modus finanziert werden. Für diese Häuser war ein Eigenkapital von bis zu 14.000 DM erforderlich, und die monatlich zu tragende Wohnlast belief sich auf die ausgesprochen hohe Summe von 140 bis 150 DM.550 Diese Lasten ließen genau das befürchten, was die Gewerkschaften bis dahin gegen das Eigenheim vorgebracht hatten: nämlich eine Vernachlässigung der mittleren und unteren Einkommensgruppen. Plett mußte denn auch zugeben, daß „den sozial Schwachen mit Eigenheim-Programmen nicht zu helfen sei, denn Eigenheime seien nun einmal teuer.“551 Dennoch konnte er seinen Vorschlag durchsetzen – vor allem deshalb, weil er erfolgreich auf die normative Kraft des Faktischen verwies: Sollte die NH, so seine rhetorische Frage, das Geld, das sie bereits in ihren Händen hielt, zurückgeben und damit den Bau von nach wie vor dringend benötigten Wohnungen verzögern? Das erschien den Gewerkschaftsvertretern im Aufsichtsrat nicht vertretbar, und so stimmten sie dem Eigenheimsonderprogramm schließlich doch zu.552 Damit war der Weg für ein verstärktes Engagement der Unternehmensgruppe in diesem Sektor frei. In den folgenden fünf Jahren errichtete die NH auf der Grundlage des Sonderprogramms 8.500 Eigenheime – zumeist (aus Kostengründen) als Reihen- und nur selten als freistehende Häuser; teils in einzelnen Eigenheimsiedlungen, teils im Rahmen der großen Wohnanlagen, die die NH in diesem Zeitraum baute.553 Hinzu kam, daß einzelne Regionalgesellschaften neben dem zentralen Eigenheimsonderprogramm noch einige allerdings wesentlich kleiner dimensionierte eigene Eigenheimprogramme verfolgten.554 Insgesamt konnte die Unternehmensgruppe so den Anteil des Eigenheimbaus an ihren Fertigstellungen beträchtlich steigern: Während er 1956 noch bei 11,4% gelegen hatte, stieg er bis 1959 auf 549 Vgl. Harro Iden, Sonderprogramm mit 8.500 Eigenheimen. Beispiel für den Großeinsatz von 7c-Geldern, NHM 1958,7, S. 26–43, hier S. 26. 550 Vgl. Protokoll AA NHH, 8.10.1957, IGM ZwA 2/17 265, S. 10 f. sowie Aufstellung über das Eigenheimsonderprogramm, o. D., IGM ZwA 2/17 269. 551 Protokoll AR NHH, 9.10.1957, IGM ZwA 2/17 286, S. 9. 552 Vgl. ebd. 553 Vgl. Harro Iden, Sonderprogramm mit 8.500 Eigenheimen. Beispiel für den Großeinsatz von 7c-Geldern, NHM 1958,7, S. 26–43, hier S. 32 ff. Zur Durchführung des Eigenheimsonderprogramms in Hamburg vgl. das Material in StA HH, 353–4 Amt für Wohnungswesen, Lagerungs-Nr. 321, Bd. 1. 554 Vgl. Heinz Roosch, Fördert das 2. Wohnungsbaugesetz den Eigenheimbau?, NHM 1958,6, S. 14–23, hier S. 15.

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glatte 22% an und verblieb in den folgenden Jahren in etwa auf diesem Niveau. Damit hinkte er zwar noch ein wenig hinter der Eigentumsquote bei den Gesamtfertigstellungen, die im gleichen Zeitraum von 26,4% auf 28,6% anstieg, her;555 aber dennoch war es offensichtlich, daß der Eigenheimbau bei der Unternehmensgruppe seit 1956 einen enormen Aufschwung nahm. Das war nicht nur deshalb bedeutsam, weil die NH die Debatte über die Frage nach der besten Wohnform oder die Frage nach der bestmöglichen Deckung des Wohnungsbedarfs nunmehr aus einer wesentlich entspannteren Position verfolgen konnte. Vielmehr konnte die Unternehmensgruppe mit dem Eigenheimsonderprogramm auch eine Reihe von Vorwürfen entkräften, die nicht allein ihre Produktpolitik, sondern auch ihre Existenzberechtigung und ihr Selbstverständnis in Frage stellten. Denn die Debatte über den Eigenheimbau war auch eine Debatte über die Rolle gemeinnütziger Wohnungsunternehmen in der Gesellschaftsordnung der Bundesrepublik, und sie rührte unmittelbar an die normativen Grundlagen des gemeinnützigen Wohnungsbaus. Das wird im folgenden Kapitel dargelegt.

3.3 POLITISCHE STANDORTBESTIMMUNGEN 3.3.1 Die NH in der gewerkschaftlichen Binnenkommunikation der fünfziger Jahre Um die Bedeutung dieser Debatte für die NH richtig einzuschätzen, ist es zunächst erforderlich, einige Worte über die Bedeutung der Wohnungsgemeinnützigkeit für die unternehmerische Tätigkeit der Gewerkschaften in den fünfziger Jahren zu verlieren. Es ist häufig bemerkt worden, daß die gewerkschaftseigenen Wohnungsbaugesellschaften in den programmatischen Beschlüssen der Gewerkschaften in der unmittelbaren Nachkriegszeit niemals explizit erwähnt wurden und auch nie eine eindeutige Aufgabe zugeordnet bekamen. Angesichts der Tatsache, daß eine eigene unternehmerische Tätigkeit der Gewerkschaften im Rahmen der gesamtwirtschaftlichen Neuordnungsvorstellungen des DGB nicht vorgesehen war, war dies zunächst verständlich. Behindert hat es die Wohnungsbaugesellschaften in den frühen fünfziger Jahren nicht: „Das institutionelle und mentale Geflecht aus Wohnungsgemeinnützigkeit, Prüfungsverbänden [und] behördlicher Aufsicht (...) ließ die anstehende Arbeit auch ohne ausdrücklichen Auftrag eines Eigentümers als selbstverständlich erscheinen.“556 An dieser „Programmlosigkeit“ änderte sich auch nichts, als die Gewerkschaften ihre gesamtwirtschaftlichen Neuordnungsvorstellungen mit dem Scheitern des Betriebsverfassungsgesetzes im Sommer 1952 aufgeben mußten. Im Gegenteil: Der damit einhergehende „Übergang zum gewerkschaftlichen Pragmatismus“557 555 Vgl. Anhang, Tabelle 1 sowie Krummacher 1978, S. 603 u. S. 605. 556 Kaltenborn 1986, S. 34. 557 Werner Müller, Die Gründung des DGB, der Kampf um die Mitbestimmung, programmatisches Scheitern und der Übergang zum gewerkschaftlichen Pragmatismus, in: Hemmer/ Schmitz 1990, S. 85–147, Titel.

3.3 Politische Standortbestimmungen

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beförderte sie noch. Die Kontroverse um das Betriebsverfassungsgesetz hatte den Gewerkschaften deutlich die Grenzen ihres Einflusses und das Ausmaß der Hegemonie der marktwirtschaftlichen Ordnung aufgezeigt.558 Die grundsätzliche Frage nach der Ausgestaltung der ordnungspolitischen Rahmenbedingungen stellte sich für sie von diesem Zeitpunkt an nicht mehr. Statt dessen bestimmten in der Folgezeit „die Sicherung und Ausdehnung der Mitbestimmung, der Kampf um lohnund sozialpolitische Verbesserungen und die Ausweitung der gewerkschaftlichen Schutzfunktionen, mithin also traditionelle und pragmatische gewerkschaftliche Aufgaben (...) faktisch die Politik der Gewerkschaften – und nicht mehr das Fernziel einer Ablösung des Kapitalismus.“559 Diesen Pragmatismus ließen die Gewerkschaften auch ihren Wohnungsunternehmen angedeihen. Das Aktionsprogramm des Jahres 1955, der erste Versuch, gewerkschaftliche Politik nach dem Scheitern des Betriebsverfassungsgesetzes neu zu definieren, verlor über den Wohnungsbau mit gewerkschaftseigenen Unternehmen wiederum kein Wort.560 Tatsächlich erschien den Gewerkschaften eine eigene Programmatik für die NH völlig unnötig. Denn die konkrete sozialpolitische Situation bot in ihren Augen auch weiterhin genügend Anknüpfungspunkte, mit sich denen ein unmittelbares Engagement im Wohnungsbau problemlos rechtfertigen ließ – und unter deren Zugrundelegung auch der Aufbau eines überregional agierenden Konzerns nicht völlig abwegig erschien.561 Selbst die Aufgabe, sicherzustellen, daß die Ergebnisse dieser unternehmerischen Tätigkeit tatsächlich sozialpolitisch wünschenswert im Sinne gewerkschaftlicher Zielsetzungen waren, hing aus Sicht des DGB nicht von einer eigenständigen programmatischen Stellungnahme ab. Das war besonders an dem Wortlaut zu erkennen, mit dem er 1957 schließlich doch erstmals Unternehmensaufgaben in einem gewerkschaftlichen Programm fixierte. In den in diesem Jahr beschlossenen „Wohnungspolitischen Leitsätzen des Deutschen Gewerkschaftsbundes“ hieß es mit Hinblick auf die Unternehmensgruppe NEUE HEIMAT: „Den gemeinnützigen Wohnungsunternehmen des DGB ist (...) die Aufgabe zugewiesen, die Wohnungsversorgung im Rahmen der gemeinnützigen Wohnungswirtschaft wohnungskulturell wie sozial beispielhaft voranzutreiben.“562 Diese starke Hervorhebung der Einbindung des gewerkschaftseigenen Wohnungsbaus in die gemeinnützige Wohnungswirtschaft war kein Zufall. Sie war vielmehr der Grund dafür, daß sich die gewerkschaftseigenen Wohnungsunternehmen auch vor 1957 schon gut in die gewerkschaftliche Programmatik einfügten, obwohl sie dort nirgendwo explizit erwähnt wurden. Die Rechtsform des gemeinnützigen Wohnungsunternehmens unterwarf ihre Tätigkeit von vornherein Bedingungen, die unmittelbar mit gewerkschaftlichen Grundsätzen korrespondierten. Denn die Gemeinnützigen waren das direkte Resultat der auf die Mietskasernen des 19. Jahrhunderts zurückgehenden Auffassung, daß der Wohnungsbau sich 558 559 560 561

Vgl. Thum 1991, S. 88. Müller 1990, S. 147. Vgl. Aktionsprogramm, in: DGB-GB 1954/55, S. 74–80, passim. Vgl. dazu die Forderungen in: Deutscher Gewerkschaftsbund (Hg.), Wohnungspolitische Leitsätze, Düsseldorf o. D. [1957], o. S. 562 Ebd.

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nicht über marktwirtschaftliche Mechanismen organisieren lasse, sondern wegen seiner sozialpolitischen Bedeutung nicht-profitorientierter Träger bedürfe.563 Dem lag die Idee einer unmittelbar auf die Bedürfnisse des Verbrauchers gerichteten, marktfreien „Bedarfsdeckungswirtschaft“ zugrunde. Diese Vorstellung war bei den Gewerkschaften in den ersten Nachkriegsjahren in jeder Hinsicht mehrheitsfähig: So forderten etwa die wirtschaftspolitischen Grundsätze des DGB von 1949, daß die Wirtschaftspolitik ganz allgemein auf „die Deckung des volkswirtschaftlich wichtigen Bedarfs“564 abzielen solle. Die rechtliche Regelung der Gemeinnützigkeit diente den Gewerkschaften vor diesem Hintergrund als Garant dafür, daß ihre Wohnungsbaugesellschaften auch ohne explizite Vorgaben eine Unternehmenspolitik betrieben, die mit gewerkschaftlichen Grundsätzen übereinstimmte. Die Gemeinnützigkeit war also für den DGB mehr als nur eine Unternehmensform: Sie war die Gesetz gewordene Quintessenz der „kulturellen Geschäftsgrundlage“ seiner unternehmerischen Betätigung. Die Identifikation der Gewerkschaften mit dem wirtschafts- und sozialpolitischen Gedankengut, das der Wohnungsgemeinnützigkeit zugrunde lag, ging sogar so weit, daß der stellvertretende DGB-Vorsitzende Bernhard Tacke im Januar 1957 mit ausdrücklichem Bezug auf die NH feststellte, „daß es richtiger wäre, nicht von gewerkschaftseigenem[,] sondern von gemeinnützigem Wohnungsbau zu sprechen.“565 Solange sich die NH im Rahmen der durch das WGG abgesteckten Gemeinnützigkeit bewegte, war ihre Existenz in den Augen der Gewerkschaften legitim und bedurfte keiner weiteren Erläuterung. Dies erklärt auch, warum es in den fünfziger Jahren innerhalb der Gewerkschaften so gut wie nie Kritik an den eigenen Wohnungsbaugesellschaften gab. Es erscheint an dieser Stelle angebracht, darauf hinzuweisen, daß dies nicht an mangelnder Information oder mangelnder Kontrolle gelegen hat. Im Gegensatz zu anderslautenden Darstellungen, die vor dem Hintergrund späterer Versäumnisse entstanden sind, war der DGB in den fünfziger Jahren durchaus in der Lage, bei der Unternehmensgruppe eine funktionierende Struktur von Aufsichts- und Lenkungsmaßnahmen zu installieren. Die formal vorgesehene Kontrolle und Beschlußfassung über die Beteiligungen des DGB auf den DGB-Bundeskongressen war für die NHH zwar de facto ohne Bedeutung; aber der Aufsichtsrat der Gesellschaft wurde von den Gewerkschaften schon seit Beginn der fünfziger Jahre systematisch zur zentralen Schnittstelle zwischen ihnen und den Wohnungsbaugesellschaften ausgebaut. Als der DGB-Bundesvorstand im September 1954 seinen sogenannten „Zentralisierungsbeschluß“ faßte, achtete er sorgfältig darauf, die Kontrollorgane der NHH entsprechend ihrer nunmehr endgültig anerkannten überregionalen Bedeutung zu besetzen.566 Auf Initiative des Bundesvorstandes verzichteten die Vertreter der Hamburger Gewerkschaften allesamt auf ihre Aufsichtsrats563 Vgl. Zimmermann 1991, S. 64 ff. sowie Werner Nowak, Das „Gemeinnützige Unternehmen“ als Instrument der Wohnungspolitik (Veröffentlichungen des Forschungsinstituts für Wirtschaftspolitik an der Universität Mainz Bd. 30), Berlin 1973, S. 32 ff. 564 Wirtschaftspolitische Grundsätze des Deutschen Gewerkschaftsbundes, in: Mielke/Rütters/Becker 1991, S. 822–830, hier S. 822. 565 Protokoll BA, 31.1.1957, DGBA-BV, Abt. Vorsitzender, 5/DGAI 440, S. 7 (Hervorhebungen im Original unterstrichen).

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mandate, und an ihrer Stelle rückten Anfang 1955 zusätzlich zu Albin Karl, der nun den Vorsitz des Aufsichtsrates übernahm, zwei weitere Mitglieder des geschäftsführenden Bundesvorstandes sowie die Vorsitzenden dreier Industriegewerkschaften in den Aufsichtsrat vor.567 Es besteht kein Zweifel daran, daß die Geschäftsführung der NHH in den folgenden Jahren keine einzige unternehmenspolitische Grundsatzentscheidung fällte, ohne vorher den Aufsichtsrat ausführlich darüber informiert zu haben. Insgesamt herrschte dabei – mit der einzigen Ausnahme der bereits erwähnten kritischen Bemerkungen von Georg Leber zur Frage der 7c-Gelder – in den fünfziger Jahren ein fast perfekter Gleichklang zwischen Geschäftsführung und Gewerkschaftsvertretern. Auch der DGB-Bundesvorstand hat an der Unternehmenspolitik der NH über Jahre hinweg nie ernsthafte Kritik geübt. Genau so wie im Falle des Aufsichtsrates lag das nicht daran, daß er von der Geschäftsführung der Gesellschaft über zentrale Fragen der Unternehmenspolitik im Unklaren gehalten worden wäre. Es lag vielmehr daran, daß der Bundesvorstand niemals an der gewerkschaftspolitischen Unbedenklichkeit einer unternehmerischen Betätigung im Wohnungsbau zweifelte, solange sich diese im Rahmen der Vorgaben des Wohnungsgemeinnützigkeitsgesetzes bewegte. Daß eine Einbindung des Unternehmens in eine von marktwirtschaftlichen Prinzipien bestimmte Wirtschaftsordnung politisch problematisch oder mit der gewerkschaftlichen Programmatik unvereinbar sein könnte, ist von den Gewerkschaftsspitzen in den fünfziger Jahren vor diesem Hintergrund kein einziges Mal in Erwägung gezogen worden. Eine analoge Feststellung gilt auch, soweit die in diesem Punkt etwas problematische Quellenlage definitive Aussagen zuläßt, für die Gewerkschaftsbasis. Immerhin gab es hier zumindest einen Kritikpunkt an der Unternehmensgruppe, der gelegentlich auftauchte, nämlich die Kritik an der Tatsache, daß die NH nicht, wie das einige gewerkschaftseigene Wohnungsunternehmen in der Weimarer Republik getan hatten, ausschließlich für Gewerkschafter baute. Offenbar widersprach es dem Gerechtigkeitsempfinden mancher Mitglieder, daß bei den gewerkschaftseigenen Wohnungsbaugesellschaften auch Nicht-Organisierte eine Wohnung erhielten, ja sogar gelegentlich vom Wohnungsamt bevorzugt behandelt wurden – zumal an der Gewerkschaftsbasis die irrige Auffassung, der Wohnungsbau der NH werde aus Mitgliedsbeiträgen finanziert, weit verbreitet war.568 In den fünfziger Jahren scheinen diese Bedenken gegenüber der Unternehmenspolitik der NH allerdings insgesamt nicht übermäßig verbreitet gewesen zu sein, zumindest wenn man die Veröffentlichungen der Gewerkschaftspresse und die Diskussionen in den Gremien des DGB als Maßstab gelten lassen kann. Erst 1961 wurden sie im DGB-Bundesausschuß erstmals angesprochen: Mit Bezug auf die Frage des Wohnungsbaus für Nicht-Organisierte meinte Adolph Kummernuß, daß sich ein „Graben“ zwischen den Gewerkschaftsmitgliedern und gewerkschaft566 Vgl. Exposé zur Neuorganisation gewerkschaftseigener Wohnungsunternehmen, o. D. [September 1954], DGBA-BV Abt. Finanzen, 24/412, S. 6. 567 Vgl. Vorlage an den Bundesvorstand betr. Neuorganisation der ‚Neue Heimat‘, 5.7.1954, DGBA-BV, Abt. Finanzen, 24/373, S. 1. 568 Vgl. Neue Heimat: Die Bauland-Fresser, SPIEGEL 13.1959,10, S. 26–42, hier S. 34 sowie Kap. 4.3.2.2 dieser Arbeit.

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lichen Wohnungsbaugesellschaften auftue und forderte, dieser Graben müsse baldmöglichst „zugeschüttet“569 werden. Mit dieser Auffassung stand er allerdings allein auf weiter Flur. Kummernuß‘ Kollegen nahmen sie nicht einmal richtig ernst. Das war insofern nachvollziehbar, als Plett zurecht behaupten konnte, daß seine Bautätigkeit in Kombination mit der Vergabepolitik der NH mehr Wohnraum für Organisierte geschaffen hatte, als das bei einer Beschränkung auf den Bau für Gewerkschaftsmitglieder möglich gewesen wäre. Denn der in den frühen fünfziger Jahren von der Müwog unternommene Versuch, nur für diese Gruppe zu bauen, war kläglich gescheitert, weil er einen Verzicht auf öffentliche Fördermittel erforderte.570 Allerdings setzte sich die Gewerkschaftsspitze mit ihrer Ignoranz gegenüber Kummernuß‘ Auffassung über die Bedenken und Ängste ihrer Basis hinweg, ohne ihnen argumentativ zu begegnen. Hier baute sich ein Konfliktpotential auf, das den DGB Mitte der sechziger Jahre noch vor große Probleme stellen sollte.571 In den fünfziger Jahren war es aber noch nicht so weit. Kritische Bemerkungen von Seiten der Gewerkschaftsbasis blieben in diesem Zeitraum die Ausnahme. Die Überlegung, daß eine unternehmerische Tätigkeit im Wohnungsbau in einer marktwirtschaftlichen Ordnung mit gewerkschaftlichen Zielsetzungen in Konflikt geraten könnte oder wenigstens besonderer programmatischer Vorkehrungen bedurfte, tauchte an keiner Stelle auf. Auch hier taten die Bestimmungen des WGG ihre Wirkung als Ersatz für eine eigenständige gewerkschaftliche Programmatik. Insgesamt diente die Vorstellung der Gemeinnützigkeit daher in den fünfziger Jahren als integrative Klammer, die eine Art prästabilierter Harmonie zwischen den gewerkschaftlichen Ordnungsvorstellungen und der Unternehmenspolitik der NH herstellte. An der Legitimität eines gemeinnützigen, gewerkschaftseigenen Unternehmens bestand in den Reihen der Gewerkschaften deshalb nicht der geringste Zweifel. Einer besonderen Rechtfertigung für diese Tätigkeit bedurfte es, so die implizite Auffassung, unter diesen Umständen nicht. Der gemeinnützige Status der Unternehmensgruppe war Rechtfertigung genug. 3.3.2 Die Debatte über die Reform des Gemeinnützigkeitsrechts und das Bild der NH in der öffentlichen Meinung Die Gemeinnützigkeit bildete also für die Gewerkschaften die Grundlage ihrer unternehmerischen Betätigung im Wohnungsbau. Ihre politischen Gegner und vor allem die konservativen Eigenheimpolitiker von CDU und katholischer Kirche um Paul Lücke sahen das allerdings anders. Für sie waren die Gemeinnützigen die Vorreiter des „Kollektivismus“572 – und damit in etwa gleichzusetzen mit denjenigen, die der Freiheit des Westens die Zwangswirtschaft des Ostens gegenüberstel569 Protokoll DGB-BA, 13.10.1961, DGBA–BV, Abt. Vorsitzender, 5/DGAI 442, S. 38. 570 Vgl. Wilfried Scharnagl, Das Groschenimperium. Gewerkschaften als Unternehmer, München 1970, S. 185 f. 571 Vgl. Kap. 4.3.2.2 dieser Arbeit. 572 Paul Lücke, zit. nach Schulz 1994, S. 289.

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len wollten. Dabei betrachteten sie allerdings die ordnungspolitische Frage nach dem Platz dieser Unternehmen im Rahmen des marktwirtschaftlichen Systems als Nebensächlichkeit. In erster Linie störten sich Lücke und seine Mitstreiter an den gesellschaftspolitischen Implikationen der Wohnungsgemeinnützigkeit. Besonders die Tatsache, daß die betroffenen Wohnungsunternehmen in ganz überwiegendem Maße Mietwohnungen bauten, stieß ihnen übel auf. Denn „unter ‚Gemeinnützigkeit‘ verstanden Lücke und die Eigenheimbewegung nicht allein den Verzicht auf Gewinn; sondern (...) auch die Bauträgerschaft für Eigenheime, die nach der Fertigstellung in den Besitz ihrer Bewohner übergehen sollten.“573 Ob eine solchermaßen verstandene Gemeinnützigkeit tatsächlich besser als die real existierenden Strukturen geeignet gewesen wäre, den Marsch in einen wie auch immer gearteten „Kollektivismus“ zu verhindern, sei dahingestellt. Zumindest ein Argument hatte die Eigenheimpolitiker um Lücke aber auch unabhängig von dieser Frage auf ihrer Seite. Denn sie kritisierten den Mietwohnungsbau auch deshalb, weil dieser mit der Anhäufung eines großen, im Besitz der Unternehmen befindlichen Wohnungsbestandes einherging.574 Hätten die Gemeinnützigen nur Eigenheime errichtet und diese veräußert, wäre es dazu nicht gekommen. So aber enthielt Vorwurf einer übermäßigen Zusammenballung von Vermögen einen wahren Kern. Denn wie in zahlreichen anderen Wirtschaftsbranchen hatte sich im Wohnungsbau in den fünfziger Jahren ein Konzentrationsprozeß vollzogen, der bei den Gemeinnützigen besonders ausgeprägt war.575 Die Gründe hierfür lagen, wie ein von der Bundesregierung in Auftrag gegebener Bericht einige Jahre später feststellte, auf der Hand: „Die Kriegszerstörungen und die Eingliederung der Heimatvertriebenen erzwangen vom Umfang der Aufgabe her eine einmalige Bautätigkeit. Mit ihr – und in den letzten Jahren immer mehr – kamen die Vorteile der großen Unternehmen zum Tragen: für die Erschließung neuer Wohngebiete und die Errichtung von größeren wohnungswirtschaftlichen Objekten ist eine sorgfältige Planung und Koordinierung der Bauausführung notwendig, für die die großen Wohnungsunternehmen eher die Organisation und die Fachkräfte haben. In der Beschaffung von Baumaterial erzielen sie teilweise erhebliche Nachlässe, auch konnten sie vor allem die Finanzierungsmittel leichter und zu geringeren Zinssätzen erhalten. Im übrigen sind sie durch ihre längerfristige Planung bei der Bevorratung mit Bauland im Vorteil.“576

Die NH als die mit Abstand größte gemeinnützige Unternehmensgruppe war geradezu das Paradebeispiel dieses Prozesses, und es besteht kein Zweifel daran, daß die Vorwürfe der konservativen Eigenheimpolitiker vor allem gegen sie gerichtet waren. Das war etwa an Lückes Äußerungen in einigen Bundestagsdebatten zur 573 Schulz 1988, S. 420. 574 Vgl. Triesch 1956, S. 172 und Schulz 1994, S. 289 f. 575 Vgl. zusammenfassend Julius Brecht, Konzentration in der Wohnungswirtschaft, in: Helmut Arndt (Hg.), Die Konzentration in der Wirtschaft. Bd. 1: Stand der Konzentration (Schriften des Vereins für Socialpolitik N. F. Bd. 20,1), Berlin 1960, S. 425–457 sowie Schmecht 1976, S. 308 ff. Zum Ausmaß dieses Prozesses vgl. Kap. 4.2.1.1 dieser Arbeit. 576 Deutscher Bundestag (Hg.), Bericht über das Ergebnis einer Untersuchung der Konzentration in der Wirtschaft vom 29. Februar 1964, erstattet durch das Bundesamt für gewerbliche Wirtschaft in Frankfurt am Main, Drucksache 4/2320, Bonn 1965, S. 49.

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Frage der Gemeinnützigkeit abzulesen. Sie enthielten zum Teil kaum verhohlene Spitzen gegen die gewerkschaftseigenen Wohnungsunternehmen.577 Plett wehrte sich gegen diese Vorwürfe nach Kräften, und zwar in erster Linie mit dem Hinweis auf den mit drei bis vier Prozent nur recht geringen Anteil der NH an den Wohnungsfertigstellungen in der Bundesrepublik. „Wir glauben,“ führte er vor dem DGB-Bundesausschuß aus, „dass das rein statistisch so wenig ist, dass man die berühmten Angriffe im Bundestag und anderen Parlamenten wegen Machtzusammenballung bei uns gar nicht ernst nehmen kann.“578 Allerdings wußte er wohl, daß das nur die halbe Wahrheit war: „Wenn wir natürlich bedenken,“, so fuhr er fort, „dass im Wohnungsbau neben 2.400 gemeinnützigen Wohnungsunternehmen noch unzählige – ich schätze an die 100.000 Einzelbauherren, vor allen Dingen die vielen Einfamilienhaus-Bauherren – vorhanden sind, dann ist eine Zusammenfassung von 3 ½–4% in einer Hand etwas bedeutungsvoller.“579 Aber den Vorwurf der unzulässigen Machtkonzentration wollte er dennoch nicht gelten lassen. Schließlich sei es, so Plett, der „Gewerkschaft unwürdig, wenn wir – wie es zum Teil vor 1933 war – mit Minimalzahlen, die gar nicht mehr in Prozenten messbar sind, tätig wären. Ich meine, wenn wir als Gewerkschaften Wirtschaftsunternehmen betreiben, vor allem alle Gewerkschaften zusammen, wie es bei uns der Fall ist, dann müssen sie auch ein Gewicht in der Wirtschafts- und Sozialpolitik in der Bundesrepublik abgeben.“580 Das war aus Sicht der Gewerkschaften eine nachvollziehbare Argumentation. Schließlich waren sie stolz auf das von ihren Wohnungsbaugesellschaften Erreichte und sahen darin eine spezifisch gewerkschaftliche Leistung. Und zudem, so argumentierten sie, unterlägen die Gemeinnützigen durch das WGG einer strengen Kontrolle, so daß ein Machtmißbrauch weitgehend ausgeschlossen sei.581 Für Lücke stellte sich das Problem allerdings etwas anders dar. Für ihn waren die Gemeinnützigen lediglich die Vollstrecker der von der Regierung ins Werk gesetzten Wohnungspolitik – und denkbar schlechte Vollstrecker noch dazu, weil sie, statt Eigenheime zu bauen, Mietwohnungen bauten und ein riesiges Vermögen bei sich aufhäuften, ohne eine eigenständige Gegenleistung zu erbringen. Die Gemeinnützigen waren ihm, kurz gesagt, ein Dorn im Auge. Auch deshalb trieb er nun, in der zweiten Legislaturperiode, die Eigenheimpolitik der CDU mit Nachdruck voran. Denn sie schien im nicht nur gesellschaftspolitisch wünschenswert, sondern er betrachtete sie auch als einen geeigneten Hebel, um die Gemeinnützigen loszuwerden oder zumindest ihre „Latifundienbesitze“582 zu beschneiden. Brentano, der Vorsitzende der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, sprach sogar offen 577 Vgl. die im folgenden angeführten Zitate von Paul Lücke. 578 Heinrich Plett, Die langfristige Unternehmenspolitik der NEUE HEIMAT Hamburg. Vortrag vor dem Bundesausschuß des DGB, 13.10.1961, DGBA-BV, Abt. Wirtschaftspolitik, 24/5049, S. 3. 579 Ebd. 580 Ebd., S. 3 f. 581 Vgl. Deutscher Gewerkschaftsbund (Hg.), Wirbel um wirtschaftliche Beteiligungen. Antworten und Argumente zur Frage der wirtschaftlichen Beteiligungen der Gewerkschaften, o. O. [Düsseldorf], o. J. [1965](a), S. 3. 582 So der FDP-Bundestagsabgeordnete Will bei der 3. Lesung des II. Wohnungsbaugesetzes, 4.5.1956, zit. nach Schulz 1994, S. 290.

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davon, man wolle mit dem II. Wohnungsbaugesetz „auch die Vorherrschaft der Wohnungsunternehmen brechen“.583 In dem von Lücke initiierten ersten Entwurf zu diesem Gesetz war diese Absicht deutlich zu erkennen. „Die Verfasser des Entwurfs“, so bemerkt Günther Schulz zurecht, „wollten nicht nur den Eigenheimbau größerer Familien, vornehmlich in Selbsthilfe, massiv fördern und damit die Weichen in der Wohnungspolitik anders stellen. Der Vorstoß war vielmehr auch eine Kampfansage an die Gemeinnützigen (...). Die Gemeinnützigen sollten nicht mehr überwiegend Mietwohnungen bauen und in ihrem Eigentum behalten.“584 Der Entwurf zielte daher darauf ab, die Gemeinnützigen zu reinen Bauträgern zu machen. Implizit sah er vor, daß von ihnen errichtete „Familienheime“ grundsätzlich zu veräußern waren. Im Laufe der Beratungen zu dem Gesetz machte Lücke diese Forderung, die in den folgenden Jahren unter dem Stichwort der „Anbietungspflicht“ diskutiert wurde, sogar explizit: Er trat „mit der Vorstellung hervor, juristischen Personen überhaupt nur noch dann Subventionen für den Wohnungsbau zu geben, wenn sie die fertiggestellten Wohnungen zum Kauf anboten. Diese ‚Anbietungspflicht‘ hätte den Gemeinnützigen als Machtfaktor der Bauwirtschaft den Garaus gemacht. Und so war sie auch geplant.“585 Außerdem hatte Lücke auch noch eine zweite Bestimmung vorgesehen, die, wenn sie tatsächlich umgesetzt worden wäre, einen ganz ähnlichen Effekt gehabt hätte: Das war der absolute Förderungsvorrang für den Bau von Eigenheimen. Dieser sah vor, daß, unabhängig von der Frage, wer der Bauherr war, öffentliche Fördermittel nur dann für Mietwohnungsbauten zur Verfügung gestellt werden konnten, wenn nach der Bedienung aller vorliegenden Förderanträge für Eigenheimbauten noch Gelder übrig waren.586 Allerdings konnte sich Lücke mit seinen Ideen in den Ausschußberatungen nicht durchsetzen. SPD, Gewerkschaften und Gemeinnützige liefen Sturm gegen das Vorhaben der „Anbietungspflicht“.587 „Unter dem Druck fast aller Sachverständigen aus den verschiedensten Lagern“588 mußten Lücke und Wohnungsbauminister Preusker, der sich Lückes Pläne zu eigen gemacht hatte, dieses Vorhaben schnell wieder fallen lassen. Auch in der Frage des absoluten Förderungsvorranges für Eigenheime mußten sie eine Niederlage einstecken. Der Förderungsvorrang fand zwar vom Wortlaut her Eingang in das Gesetz, aber dieser Wortlaut war dehnbar, und er wurde in den folgenden Jahren durch die Förderungspraxis der Länder gründlich konterkariert.589 Der Anschlag auf die „Vorherrschaft“ der Gemeinnützigen, den Lücke mit dem II. Wohnungsbaugesetz verfolgte, mißlang daher fast vollständig. Allerdings verschwand die „Anbietungspflicht“ nicht von der politischen Agenda, sondern feierte bald fröhliche Urständ. Zwar wurde das Thema seit der Verabschiedung des II. Wohnungsbaugesetzes auf wesentlich kleinerer 583 584 585 586 587 588

Zit. nach ebd. (Hervorhebung im Original) Ebd. Ebd., S. 301. Vgl. Wagner 1995, S. 51. Vgl. GB NHH 1960, S. 12 f. Schreiben des DGB-Bundesvorstandes an die Mitglieder des wohnungspolitischen Ausschusses, 20.12.1955, DGBA-BV, Abt. Wirtschaftspolitik, 24/5231, S. 1. 589 Vgl. Schulz 1988, S. 425.

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Flamme gekocht als zuvor; aber schon 1958 kündigte Lücke – zwischenzeitlich zum Wohnungsbauminister avanciert – eine Reform des WGG an, und nach Lage der Dinge stand zu erwarten, daß auch hier die Anbietungspflicht wieder eine zentrale Rolle spielen sollte.590 Denn die Standpunkte, die Lücke nach seiner Ankündigung in einer ganzen Reihe von Debatten bezog, ließen erkennen, daß sich seine Haltung gegenüber den Gemeinnützigen seit 1956 um keinen Deut geändert hatte. Nichts illustriert diese Auffassung besser als seine Antwort auf Fritz Erler, der ihm 1961 in einer Bundestagsdebatte, die sich auch um die NH drehte, die folgende Frage stellte: „Herr Minister, können Sie sich vorstellen, daß wir die Wohnungsbauleistungen auf dem Gebiet des sozialen Wohnungsbaus in den Jahren nach der Gründung der Bundesrepublik auch nur annähernd in dem erreichten Ausmaß hätten zustande bringen können, wenn es keine gemeinnützigen Wohnungsbaugesellschaften und -genossenschaften gegeben hätte?“

Lücke antwortete: „Ohne das Erste und Zweite Wohnungsbaugesetz, ohne den Einsatz von 32 Milliarden DM Steuergeldern in verschiedener Form wäre die Wohnungsbauleistung nicht möglich gewesen.“591

Lücke war also nach wie vor der Überzeugung, daß die Gemeinnützigen sich auf Kosten der Allgemeinheit bereicherten, und er war nach wie vor gewillt, dem abzuhelfen. Erfolgreich war er dabei allerdings nicht. Tatsächlich liefen die Vorbereitungen für eine Reform des WGG nur äußerst schleppend an. Lücke wollte das ungeliebte Paragraphenwerk gleich durch ein umfassendes „Wohnungswirtschaftsgesetz“ ersetzen, das neben der Gemeinnützigkeit auch noch verschiedene andere Materien regeln sollte. Um eine solche umfassende Vorlage zu erarbeiten, bildete er einen Sachverständigenbeirat, dem auch ein Vertreter des DGB angehörte.592 Diesem Beirat legte der Minister einen umfassenden Katalog von zu berücksichtigenden Themen vor – darunter auch, etwas versteckt, die Frage der Anbietungspflicht, die gleich in den ersten und für Lücke offenbar immer noch wichtigsten Punkt einging, nämlich in die Frage, „welchen Inhalt (...) künftig die Gemeinnützigkeit im Rahmen einer sozialen Marktwirtschaft erhalten [müsse], um den heutigen, vornehmlich auf die Eigentumsbildung ausgerichteten wohnungspolitischen Zielsetzungen gerecht zu werden“.593 Doch die Debatten über diese Frage führten zu keinem Ergebnis. Den Gemeinnützigen gelang es, das „Wohnungswirtschaftsgesetz“ so lange zu verschleppen, bis es Mitte der sechziger Jahre aufgrund 590 Vgl Peters 1984, S. 253 ff. sowie IfdW 4.1958,133 (16.7.1958). 591 Deutscher Bundestag (Hg.), Verhandlungen des Deutschen Bundestages, 3. Wahlperiode, Stenographische Berichte Bd. 48, Bonn 1961, S. 8588 (151. Sitzung, 15.3.1961). 592 Vgl. Protokoll GBV, 26.2.1962, DGBA-BV, Abt. Vorsitzender, 5/DGAI 377, S. 2. 593 Sachverständigenbeirat für die Gemeinnützigkeitsreform und des Wohnungswirtschaftsgesetzes beim Bundeswohnungsbauministerium: Katalog der Themen, die im Sachverständigenbeirat für die Gemeinnützigkeitsreform und des Wohnungswirtschaftsgesetzes beim Bundeswohnungsbauministerium behandelt werden, o. D. [Datum des Begleitschreibens: 11.03.1963], DGBA-BV, Abt. Wirtschaftspolitik, 24/4718, o. S.

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völlig veränderter Rahmenbedingungen hinfällig wurde.594 Auch Lückes zweiter Anschlag auf die Gemeinnützigen schlug also fehl. Diese Widerstandsfähigkeit der Wohnungsunternehmen gegenüber dem Vorhaben des Ministers hatte verschiedene Ursachen. Eine wichtige Rolle spielte die Tatsache, daß eine umfassende Regelung des Wohnungsbaurechts, wie Lücke sie anstrebte, angesichts der komplexen Materie nur sehr schwer zu bewerkstelligen war und zudem das Kabinett die Angelegenheit nicht gerade als vordringlich betrachtete.595 Zu einem erheblichen Teil lag die Stärke der Gemeinnützigen aber auch in ihrem hohen Ansehen in der veröffentlichten Meinung begründet. Denn trotz der erbitterten Auseinandersetzungen um die Eigenheimpolitik genossen sie gerade in den fünfziger Jahren einen hervorragenden Ruf. Vor allem die angespannte Lage auf dem Wohnungsmarkt führte dazu, daß weite Teile der Öffentlichkeit den Gemeinnützigen mit größter Hochachtung begegneten. Ein späteres Vorstandsmitglied der Unternehmensgruppe, der zu diesem Zeitpunkt bei der Gewoba Bremen tätige Rolf Dehnkamp, brachte die Stimmung, die dieser Haltung zugrunde lag, treffend auf den Punkt. „Wer Wohnungen baute,“ bemerkte er rückblickend, „war ein Held“.596 Vor diesem Hintergrund ist es nicht erstaunlich, daß der Stern der NH in der frühen Bundesrepublik besonders hell erstrahlte. Schließlich baute sie sehr viele Wohnungen, mehr als jeder andere Bauherr im Lande. Die Größe der Siedlungen, die sie errichtete, galt den Zeitungen schon in der ersten Hälfte der fünfziger Jahre als bemerkenswert, ja als sensationell. „Unter tausend Wohnungen auf einen Streich“, schrieb eine Hamburger Zeitung 1953 anerkennend, „scheint es bei der gewerkschaftseigenen Gemeinnützigen Wohnungs- und Siedlungsgesellschaft m.b.H. ‚Neue Heimat‘ keine Richtfeiern mehr zu geben.“597 Mit den Großprojekten der zweiten Hälfte der fünfziger Jahre etablierte sich die Unternehmensgruppe dann, wie am Beispiel der Neuen Vahr bereits ausgeführt, in der öffentlichen Meinung endgültig als wichtigster Träger eines in großem Maßstab durchgeführten sozialen Wohnungsbaus.598 Der Faszination, die von diesem Giganten auf dem Wohnungsmarkt ausging, konnten sich angesichts solcher Leistungen auch Skeptiker nicht immer entziehen. Das galt etwa für Günter Triesch, einen Mitarbeiter des von den Arbeitgeberverbänden getragenen Deutschen Industrieinstituts in Köln.599 Er legte 1956 eine umfassende und gründlich recherchierte Darstellung gewerkschaftlicher Machtausübung vor, die hinsichtlich der konservativen Gewerkschaftskritik für die nächsten Jahre tonangebend blieb. Darin hielt er mit seinen grundsätzlichen Vorbehalten gegenüber den Gewerkschaften keineswegs hinter dem Berg. Um so bemerkenswerter war es, daß er für den gewerkschaftlichen Wohnungsbau zu einem ausnehmend positiven Urteil kam. Dieses positive Urteil lag zum einen in der schieren Menge der von der NH gebauten Wohnungen begründet. Zum anderen hob 594 595 596 597 598 599

Vgl. Peters 1984, S. 256. Vgl. ebd. Interview mit Rolf Dehnkamp, 18.8.2003. Zit. nach NHM 1960,1, S. 7. Vgl. ganz ähnlich auch Hamburger Abendblatt, 30.3.1951. Vgl. Kap. 3.2 dieser Arbeit. Vgl. Hirche 1966, S. 19.

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Triesch aber auch die Gestaltung der von der Unternehmensgruppe gebauten Wohnsiedlungen positiv hervor. Die gewerkschaftlichen Wohnungsunternehmen, so schrieb er, hätten „sehr viel beigetragen zur Lösung des Problems der Auflockerung der Großstädte und zur Entwicklung neuer Wohnformen durch die Beschäftigung hervorragender Architekten.“600 Es waren also neben den hohen Neubauziffern vor allem die Gartenstädte, mit denen die NH in den fünfziger Jahren trumpfen konnte. Das galt gerade im Hinblick auf eher konservative Kreise, denn diese hatten die Begriffe der „Vermassung“ und der „Entballung“ schließlich erfunden. Ein weiterer, dritter Grund für das insgesamt überaus positive Bild der NH in der Öffentlichkeit kam hinzu. Zwar waren Erfolgsgeschichten großer Unternehmen in den Jahren des „Wirtschaftswunders“ nicht besonders ungewöhnlich; aber die enorme Expansion der NH, ihr schneller Aufstieg von der „bescheidenen Baracke in Bramfeld“ zum größten europäischen Wohnungsbaukonzern, stellte selbst den vielbeachteten Aufstieg deutscher Großunternehmen wie Mercedes-Benz oder Bertelsmann noch in den Schatten, zumal hier das Wachstum einem sozialen Zweck diente. Plett und sein Stab beteiligten sich nach Kräften an der Mythologisierung dieses Aufstiegs, und sie hatten damit großen Erfolg. Schon 1954 begann die NHH, ihre Binnenkommunikation und die Kontakte mit der Fachöffentlichkeit systematisch zu pflegen. Zu diesem Zweck gaben Plett und May gemeinsam die „Neue Heimat Monatshefte“ heraus, eine elitäre Hochglanzpublikation, die sich vor allem an Architekten wandte. Hinzu kam ab 1955 der unternehmensinterne Informationsdienst („Informationen für den Wohnungswirtschaftler“), der täglich Presseinformationen über die NH, aber auch über die Wohnungs- und die Baupolitik zusammenfaßte und rasch nicht nur innerhalb der Unternehmensgruppe, sondern in der gesamten Branche zum vielgenutzten Hilfsmittel avancierte.601 Die allgemeine Tages- und Wochenpresse hatte die NHH sogar schon von Anfang an systematisch bearbeitet. Mit Günther Baumann verfügte sie seit Pletts Amtsantritt 1950 über einen überaus rührigen Pressesprecher mit besten Kontakten in der Hamburger Medienlandschaft. 1956 zählte die Presseabteilung über 1.800 Veröffentlichungen, in denen die Unternehmensgruppe genannt wurde.602 Die Ergebnisse dieser systematischen Pressearbeit waren für die NH durchweg erfreulich. Die Hamburger Lokalpresse dankte Plett in den frühen fünfziger Jahren jede neue Wohnsiedlung mit einer Mischung aus Freude und Bewunderung. Der Geschäftsführer der NHH erschien dabei vorzugsweise in der Pose des zupackenden „Machers“, der zum Wohle der Allgemeinheit unerschrocken die Risiken der Wohnungsbaufinanzierung auf sich nahm und sich in dieser Mission auch von engstirnigen Vorschriften kurzsichtiger Beamter in den kommunalen Behörden oder auch im Wohnungsbauministerium nicht bremsen ließ.603 Genau dieser Tonfall dominierte die Berichterstattung über die Unternehmensgruppe auch 600 Triesch 1956, S. 170. 601 Vgl. Exposé über die Aufgabenstellung unseres Informationsdienstes, 30.10.1956, DGBABV, Abt. Vorsitzender, 5/DGAI 2062. 602 Vgl. Protokoll AA NHH, 17.1.1957, IGM ZwA 2/17 265, S. 10 f. 603 Vgl. z. B. Hamburger Abendblatt, 30.3.1951 und 22.2.1952.

3.3 Politische Standortbestimmungen

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dann noch, als sie seit der zweiten Hälfte der fünfziger Jahre nicht mehr nur im Lokalteil des Hamburger Abendblattes, sondern beispielsweise auch – wie im März 1959 – auf der Titelseite des SPIEGEL auftauchte. Zwar tat sich der SPIEGEL mit einer ganzen Reihe kritischer Äußerungen zu einzelnen Punkten der Unternehmenspolitik hervor, was dazu führte, daß die NH sogar versuchte, die Veröffentlichung zu stoppen; aber insgesamt war die Bewunderung für den raschen Aufstieg dieses ungewöhnlichen Unternehmens auch in diesem Artikel noch deutlich zu spüren.604 Diese Bewunderung galt dabei weniger einem solide geführten und mit einem schlüssigen Konzept arbeitenden Großkonzern, sondern vielmehr der Tatsache, daß die NH ihre als außergewöhnlich wahrgenommenen sozialpolitischen Leistungen gerade aufgrund ihrer unorthodoxen, ja zum Teil waghalsigen Strategien erreicht hatte; darauf, daß Plett, der diese Entwicklung geradezu verkörperte, große Risiken einzugehen bereit war, wenn es darum ging, Menschen zu einer neuen Wohnung zu verhelfen. Das imponierte den Journalisten. Zusammen mit der rasanten Expansion der Unternehmensgruppe verdichtete sich das Bild der NH in der Öffentlichkeit so zu dem eines unorthodoxen, aber dafür um so tatkräftigeren Unternehmens, das seine Erfolge einer mitreißenden Dynamik und Kreativität verdankte, die in der deutschen Unternehmenslandschaft ansonsten kaum zu finden war. Sichtbar war dies auch in der gerade im Gegensatz zu anderen Unternehmen ins Auge stechenden Jugendlichkeit der Führungsriege. Über Albert Vietor schrieb das Hamburger Abendblatt, daß er so gar nicht dem Bild entspreche, das man von einem Finanzdirektor habe: Statt des erwarteten älteren Herren mit graumelierten Schläfen hatte der Journalist einen jungen, sportlich-schlanken Mann angetroffen, der in seinem Tatendrang die nächste große Herausforderung im Wohnungsbau scheinbar gar nicht erwarten konnte.605 Dieses Image jugendlicher Dynamik und Zukunftsorientierung wurde von der Presseabteilung nachhaltig befördert – etwa durch filmische Selbstdarstellungen, in denen die Bautätigkeit der NH geschickt mit einem für die zweite Hälfte der fünfziger Jahre typischen Symbol visionärer Modernität verknüpft wurde: mit dem Motiv der Raumfahrt.606 Eine Hamburger Zeitschrift griff dieses Motiv auf und verarbeitete es zu einer Karikatur, in der sich das hohe Ansehen der Unternehmensgruppe zu unverhohlener Bewunderung steigerte: Sie zeigte Chruschtschow und Kennedy, die, gleichzeitig auf dem Mond landend, jeder für sich in Anspruch nahmen, der erste gewesen zu sein – ein Streit, der damit endete, daß die beiden Kontrahenten verdutzt ein Schild zur Kenntnis nehmen mußten, dem sie entneh-

604 Vgl. Neue Heimat: Die Bauland-Fresser, SPIEGEL 13.1959,10, S. 26–42. Zu den Versuchen der NH, die Veröffentlichung zu stoppen, vgl. Protokoll AR NHH, 14.5.1959, DGBA-BV, Abt. Vorsitzender, 5/DGAI 1905, S. 11 f. sowie Weinert 1994, S. 73 f. 605 Vgl. Günther Baumann, 10 Jahre danach. Ein Rückblick auf Tätigkeit und Entwicklung der NEUEN HEIMAT Hamburg in den Jahren 1950 bis 1960, NHM 1960,1, S. 1–14, hier S. 7. 606 Vgl. „Der Hecht im Karpfenteich“, 16mm Stummfilm, o. J. [ca. 1955], LMZ HH, Bestand „Neue Heimat“, Signatur 3000005. Zu weiteren Aspekten der filmischen Selbstdarstellung der Unternehmensgruppe in diesem Zeitraum vgl. Lüken-Isberner 1983, S. 6 ff.

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3. „Wohnungen, Wohnungen und nochmals Wohnungen“

men konnten, daß ihnen jemand zuvorgekommen war. Der Text auf dem Schild lautete: „Hier baut die Neue Heimat“.607 Gegen diese Heroisierung der Unternehmensgruppe waren kritische Stimmen machtlos. Selbst ein Pamphletist wie Hans Stadler, der in seinem Buch mit dem programmatischen Titel „Die Gewerkschaften. Ein Staat im Staate“ kaum eine Möglichkeit ausließ, nach Kräften auf das „Fehldenken“ und die „mehr als gefährliche Entwicklung“ der Gewerkschaften einzudreschen, kam nicht umhin, die Tätigkeit der NH insgesamt als „sozialpolitisch lobenswerte Arbeit“608 zu bezeichnen. Es gelang der Unternehmensgruppe daher bis weit in die sechziger Jahre hinein sehr gut, sich auf der Grundlage ihrer unbestrittenen Erfolge eine Legitimationsbasis zu schaffen, die auch Lückes Kampagne gegen die Gemeinnützigen unbeschadet überstehen konnte. Einen Kritikpunkt gab es in den Jahren vor 1956 allerdings, und der wurde regelmäßig auch von solchen Journalisten artikuliert, die den Gewerkschaften grundsätzlich wohlgesonnen waren. Das war das vermeintlich nur geringe Engagement der NH in Sachen Eigenheimbau. Triesch beispielsweise sah in seinem bereits erwähnten Werk in diesem Punkt den einzigen Wermutstropfen in einer ansonsten vorbildlichen Arbeit.609 Doch genau diesem Kritikpunkt konnte die NH ab 1956 effektiv entgegentreten – und das verdankte sie der Politik der Bundesregierung, die ihr das Eigenheimsonderprogramm mehr oder weniger aufgezwungen hatte. Welche Bedeutung dieses Eigenheimsonderprogramm dabei hatte, auch den letzten verbliebenen Kritikpunkt an der Arbeit der Unternehmensgruppe noch zu entkräften, war besonders im Falle einer Klage, die die DP 1956 im Zusammenhang mit dem Bau der Neuen Vahr gegen die Bremer Gewoba erhob, sichtbar. Auf den ersten Blick hatte diese Klage mit der Eigenheimfrage wenig zu tun. Denn die DP wollte mit ihr gerichtlich klären lassen, ob die Gewoba nicht gegen die Bremer Landesverfassung verstoßen habe. Artikel 45 dieser Verfassung beinhaltete einen in seiner Form bundesweit einzigartigen Passus: „Der Staat“, hieß es dort, „übt eine Aufsicht darüber aus, wie der Grundbesitz verteilt und wie er genutzt wird. Er hat das Fortbestehen und die Neubildung von übermäßig großem Grundbesitz zu verhindern.“610 Die DP argumentierte nun, daß die Gewoba mit den riesigen Grundstücksflächen, die sie für den Bau der Neuen Vahr erworben hatte, gegen diese Bestimmung verstoßen habe. Vor dem Hintergrund der Debatten um das Bremer Wohnungsbaugesetz war allerdings kaum zu verhehlen, daß es der DP dabei nur sekundär um die Grundstücksfrage ging. In erster Linie war die Klage als offener Angriff auf die Gemeinnützigen gedacht – und der war, wie die DP umstandslos zu erkennen gab, primär von der Eigenheimfrage motiviert. Der NH fiel es deshalb leicht, die Klage der DP als „wirklichkeitsfremde[n] Eigenheimfanatismus“ zu brandmarken – und diesen mit Blick auf das Eigenheimsonderprogramm gleichzeitig als deplaziert erschei607 608 609 610

Die Karikatur ist abgebildet in NHM 1961,2, S. 55. Hans Stadler, Die Gewerkschaften. Ein Staat im Staate, München 1965, S. 8 f. u. S. 92. Vgl. Triesch 1956, S. 172. Landesverfassung der Freien Hansestadt Bremen, 21.10.1947, Artikel 45, Gesetzblatt der Freien Hansestadt Bremen 1947, S. 251–257, hier S. 252.

3.3 Politische Standortbestimmungen

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nen zu lassen: Es könne kein Zweifel bestehen, so führte Harro Iden aus, daß dieser „Eigenheimfanatismus“ „gerade bei der Gewoba sein Ziel verfehlt. Die Unternehmensgruppe NEUE HEIMAT Hamburg hat immer wieder betont und beweist es durch die Tat, daß sie zahlreiche Eigenheime in der gesamten Bundesrepublik errichtet. (...) Und sie hat wiederholt erklärt, daß sie bei Bedarf auch bereit ist, noch mehr Eigenheime zu errichten.“611 Diese durch das Eigenheimsonderprogramm gestützten Erklärungen machten in der Öffentlichkeit großen Eindruck. Abgesehen davon, daß die Klage der DP abgewiesen wurde, läßt sich das beispielsweise auch an der Position des gewerkschaftskritischen Journalisten Gerhard A. Friedl festmachen. Friedl veröffentlichte 1964 ein Buch mit dem Titel „Die Gewerkschaften als Unternehmer“, das inhaltlich nicht viel mehr war als eine populäre Zusammenfassung des Buches von Triesch. Über dieses ging es nur insofern hinaus, als es einige Jahre später erschienen war. Einer der wenigen Punkte, in dem diese Tatsache eine inhaltliche Ergänzung gegenüber Trieschs Buch rechtfertigte, war die Eigenheimfrage. Zwar übernahm Friedl Trieschs Ansicht, daß der Eigenheimanteil bei der NH insgesamt recht niedrig läge; aber er bescheinigte der Unternehmensgruppe doch, sich um eine Steigerung des Eigenheimanteils zu bemühen – „teilweise sogar in bahnbrechender Art und Weise“.612 Das war ein unmittelbares Ergebnis des Eigenheimsonderprogramms. Gerade weil sich die Unternehmensgruppe der Steuerungswirkung der Eigenheimpolitik der Bundesregierung nicht entziehen konnten, war also das Feindbild der vermeintlich „eigentumsfeindlichen“ Unternehmensgruppe gegen Ende der fünfziger Jahre kaum noch aufrechtzuerhalten. Auch die „Volksheimstätte“, das Organ des in besonderem Maße der Förderung des Wohnungseigentums verpflichteten Deutschen Volksheimstättenwerks, kam 1959 zu diesem Schluß. „In Wahrheit“, schrieb sie in Anbetracht der großen Zahl der von den Gemeinnützigen seit 1956 gebauten Eigenheime, „ist der Feind des Familienheimbaus also nicht die große Wohnungsbaugesellschaft, sondern nach wie vor der Grundstücksspekulant.“613 Ironischerweise hatte Lücke also der NH mit seiner Politik dabei geholfen, den einzigen größeren Kritikpunkt, den die öffentliche Meinung bei der Unternehmensgruppe sah, zu beseitigen. Sein Versuch, die Legitimität der Gemeinnützigen und mit ihr die Legitimität der NH auf der Grundlage des II. Wohnungsbaugesetzes auszuhebeln, schlug nicht nur fehl; er bewirkte das genaue Gegenteil dessen, was er ursprünglich beabsichtigt hatte. Das führte dazu, daß auch sein zweiter Angriff auf die Gemeinnützigen, das „Wohnungswirtschaftsgesetz“, im Ansatz stekkenblieb. Solange die NH zusammen mit anderen Wohnungsunternehmen im Kreuzfeuer der gesellschaftspolitischen Debatten stand, war ihre Legitimation deshalb unstrittig. Insgesamt betrachtet gelang es der NH in den fünfziger Jahren also vorzüglich, die verschiedenen Aspekte ihrer Unternehmenspolitik miteinander zu vereinbaren 611 Harro Iden, Verfassungsklage gegen den sozialen Wohnungsbau, NHM 1958,4, S. 9–11, hier S. 11. Vgl. auch die Darstellung bei Wallenhorst, S. 240. 612 Friedl 1964, S. 103 f. 613 Die Volksheimstätte, Januar 1959, zit. nach IfdW 5.1959,16 (24.1.1959).

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3. „Wohnungen, Wohnungen und nochmals Wohnungen“

und die aus ihrer „Instrumentalfunktion“ resultierenden Transaktionskosten gering zu halten. Es ließe sich sogar argumentieren, daß die Erfolge der Unternehmensgruppe ohne diese „Instrumentalfunktion“ kaum zustande gekommen wären, denn die mit dem Ausbau kleiner, stark kriegsgeschädigter Wohnungsunternehmen verbundenen Risiken sprachen zunächst gegen eine expansive Strategie. Diese Hürde konnte die NHH nur aufgrund der sozialpolitisch motivierten Zielsetzung, möglichst vielen Menschen ein Dach über dem Kopf zu verschaffen, überspringen. Mit dieser mentalen Disposition und im Rückgriff auf das organisatorische Erbe der Zwischenkriegszeit schuf Heinrich Plett in der ersten Hälfte der fünfziger Jahre einen Großkonzern, der eine überzeugende Antwort auf die Marktbedingungen, d. h. vor allem auf das zentrale Problem der Kapitalbeschaffung bot. Nach einigen Anlaufschwierigkeiten konnte die NH deshalb seit 1953/54 mehr Wohnungen bauen als jeder andere Bauherr in der Bundesrepublik. Der Aspekt der Verteilungsgerechtigkeit bei der Vermietung dieser Wohnungen geriet dabei zwar in den Hintergrund, aber in der zeitgenössischen Beurteilung spielte dieser Makel keine Rolle. Hier waren es vor allem die Neubauzahlen und die städtebauliche Ausgestaltung der von der NH errichteten Siedlungen, die im Mittelpunkt des Interesses standen. Ihre überzeugenden Leistungen auf diesen Gebieten verschafften der Unternehmensgruppe eine breite Legitimationsbasis und halfen ihr dabei, Angriffe von Gewerkschaftsskeptikern abzuwehren. Insgesamt bot der flächendeckende Großkonzern in den fünfziger Jahren deshalb eine nahezu ideale Lösung für die Umsetzung gewerkschaftlicher Ziele auf dem Wohnungsmarkt.

4. AUF DER SUCHE NACH DEM VERLORENEN MARKT (1958–1966) 4. AUF DER SUCHE NACH DEM VERLORENEN MARKT

4.1 AN DEN GRENZEN DES WACHSTUMS? DIE NH IM ÜBERGANG ZU DEN SECHZIGER JAHREN 4.1 AN DEN GRENZEN DES WACHSTUMS? 4.1.1 „Unsere größte Sorge ist, daß einmal die Baukonjunktur abreißt“: Vermietung und Neubau im Umbruch 4.1.1.1 Vermietungspolitik im Zeichen des Lücke-Plans Gegen Ende der fünfziger Jahre veränderten sich die Rahmenbedingungen, auf denen der erfolgreiche Aufbau der Unternehmensgruppe beruht hatte, grundlegend. Das war im wesentlichen das Ergebnis der in diesem Sektor erzielten Erfolge. Zwar war das Wohnungsdefizit zu diesem Zeitpunkt noch nicht behoben, doch angesichts der langen Planungszyklen – von der Planung einer Wohnsiedlung bis zu ihrer Erstellung vergingen nicht selten vier bis sechs Jahre – rückte der für Mitte der sechziger Jahre erwartete statistische Ausgleich des Wohnungsmarktes allmählich in das Blickfeld der Politik und auch in das Blickfeld der NH.1 Der Bundesregierung war der Wohnungsmarkt schon seit geraumer Zeit ein Dorn im Auge, und zwar sowohl aus ordnungspolitischen Gründen als auch wegen der Belastung der öffentlichen Haushalte durch die staatliche Förderung. Letztere war mit dem II. Wohnungsbaugesetz von 1956 schon effektiv reduziert worden, aber das erstgenannte Problem blieb auch weiterhin bestehen.2 Im Oktober 1958 trat deshalb Wohnungsbauminister Lücke mit einem Plan an die Öffentlichkeit, der die ordnungspolitischen Zielsetzungen der Bundesregierung auf dem Wohnungsmarkt umsetzen sollte. Ausgangspunkt von Lückes Überlegungen war die Auffassung, „daß die Wohnungswirtschaft auf die Dauer keine marktwirtschaftsfremde Oase sein dürfte, weil sie mit den sie bestimmenden Kosten eindeutig in die Marktwirtschaft und ihre Abhängigkeiten hineingestellt ist.“3 Das war schon bei der Verabschiedung des I. Wohnungsbaugesetzes 1950 die Auffassung der Bundesregierung gewesen, aber in Anbetracht der extremen Wohnungsnot war sie vorübergehend auf Eis gelegt worden. Für Lücke war nun der Moment gekommen, in dem diese Sondersituation so weit zurückgedrängt war, daß die Politik ernsthafte Überlegungen zur Überführung des Wohnungswesens in die Marktwirtschaft anstellten mußte.4 Um dieses Ziel zu erreichen, sah sein Plan – der sogenannte „Lücke-Plan“ – drei Dinge vor: erstens einen schrittweisen Abbau der noch immer bestehenden Wohnraumbewirtschaftung; zweitens die Aufhebung der gesetzlichen Regelung der Mietpreisbildung zugunsten einer freien Vereinbarkeit des Mietpreises; und drittens die Außerkraftsetzung des bestehenden Mieterschutzgesetzes, also eine Vereinfachung der bis zu diesem Zeitpunkt außer1 2 3 4

Vgl. dazu ausführlicher Kap. 4.1.1.2 dieser Arbeit. Vgl. Schulz 1994, S. 292 f. Peters 1984, S. 189. Vgl. ebd.

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4. Auf der Suche nach dem verlorenen Markt

gewöhnlich strikten Kündigungsschutzbestimmungen.5 Im August 1959 präsentiert Lücke einen Gesetzesentwurf, der diese Maßgaben umsetzen sollte. Das Kernstück seiner Vorlage bildete ein Stufenplan, nach dem die Wohnungszwangswirtschaft jährlich von den Ländern überprüft und in denjenigen Stadt- bzw. Landkreisen aufgehoben werden sollte, in denen der statistische Fehlbestand an Wohnungen (also die Zahl der „Wohnparteien“ abzüglich der Zahl der Wohnungen) unter 3% betrug. Bis Ende 1965 sollten auf diesem Wege alle Landkreise in sogenannte „Weiße Kreise“ umgewandelt werden und die zwangswirtschaftlichen Bindungen in der ganzen Bundesrepublik beseitigt sein.6 Dieses Gesetzgebungsvorhaben war in den folgenden Monaten im Bundestag und auch in einer breiteren Öffentlichkeit Gegenstand heftiger Auseinandersetzungen. Außerhalb des Parlamentes waren es neben dem Mieterbund vor allem die Gewerkschaften, die dagegen Front machten.7 Die NH spielte dabei allerdings nur eine Nebenrolle, denn angesichts der großen sozialpolitischen Bedeutung des Themas hatte der DGB-Bundesvorstand selbst die Initiative übernommen. Schon auf Lückes ursprüngliche Ankündigung einer Überführung der Wohnungswirtschaft in die Marktwirtschaft hatte er ablehnend reagiert: Diese Absicht der Bundesregierung, so schrieb er in einer ersten Stellungnahme im Januar 1959, müsse „angesichts des immer noch außerordentlich großen Wohnungsmangels zu Spannungen führen, die den sozialen Frieden ernsthaft gefährden.“ Der DGB habe zwar „keine grundsätzlichen Bedenken gegen einen Abbau der Wohnungszwangswirtschaft, wenn die sozialen Voraussetzungen für diesen Schritt gegeben“8 seien; aber um das zu erreichen, müsse seiner Auffassung nach in den folgenden Jahren in erster Linie der öffentlich geförderte Wohnungsneubau forciert werden. Für eine Freigabe des Wohnungsmarktes sei es noch viel zu früh.9 Mit der Vorlage des Gesetzesentwurfes der Bundesregierung verschärfte sich die Opposition des DGB gegen den Lücke-Plan, die auf dem Bundeskongreß 1959 in der Mitgliedschaft auf breite Resonanz gestoßen war, noch einmal.10 Nun machten die Gewerkschaften unmißverständlich klar, daß sie nicht nur mit dem Zeitpunkt der Abbaumaßnahmen, sondern auch mit Lückes prinzipieller Annahme, die Wohnungszwangswirtschaft sei nur eine vorübergehende Notfallmaßnahme, nicht übereinstimmten. Nach Auffassung des DGB, so schrieb der Bundesvorstand in 5

Vgl. hierzu sowie generell zum Lücke-Plan vor allem Führer 1995, S. 111 ff., S. 294 ff. u. S. 384 ff.; daneben Beyme 1999, S. 129 ff.; Gewos 1990, S. 84 ff.; Peters 1984, S. 189 ff.; Krummacher 1978, S. 197 ff.; Pergande/Pergande 1973, S. 194 ff. sowie Georg Wagner-Kyora, Wohnungspolitik, in: Michael Ruck/Marcel Boldorf (Hg.), 1957–1966. Bundesrepublik Deutschland. Sozialpolitik im Zeichen des erreichten Wohlstandes (Geschichte der Sozialpolitik in Deutschland seit 1945 Bd. 4), Baden-Baden 2007, S. 757–793, hier S. 762 ff. 6 Vgl. Führer 1995, S. 294 ff. und Pergande/Pergande 1973, S. 198. 7 Zur Opposition des Mieterbundes vgl. Wagner 1995, S. 92. 8 DGB warnt vor wohnungspolitischen Experimenten, Nachrichtendienst der Bundespressestelle des Deutschen Gewerkschaftsbundes 15.1959,28 (23.1.1959), S. 22–23, hier S. 22 f. 9 Vgl. ebd., S. 23. 10 Zum Echo in der Mitgliedschaft vgl. die zahlreichen diesbezüglichen Anträge lokaler Gewerkschaftsuntergliederungen in: DGB-Bundesvorstand (Hg.), Protokoll 5. ordentlicher Bundeskongreß Stuttgart, 7. bis 12. September 1959, Düsseldorf o. J. [1959], S. 941 ff.

4.1 An den Grenzen des Wachstums?

223

einer Stellungnahme vom Februar 1960, habe „die staatliche Ordnung der Wohnungsversorgung nicht nur die Aufgabe (...), einen Notstand zu steuern und eine Verteilung des zu knappen Wohnungsbestandes sicherzustellen“, sondern sie müsse darüber hinaus auch „durch Mietenkontrolle und Mietensubvention die strukturelle Einkommensschwäche sehr grosser Bevölkerungskreise“11 ausgleichen. An der staatlichen Ordnung des Wohnungswesens müsse deshalb mit allen ihren Bestandteilen festgehalten werden, solange keine „ausreichende Wohnungsreserve vorhanden ist, die eine Übersteigerung des Mietpreisniveaus verhindert.“12 Vor allem Lückes Defizitkriterium stieß vor diesem Hintergrund auf den heftigen Widerstand des DGB. Denn als Maßstab für die geforderte „ausreichende Wohnungsreserve“ betrachteten die Gewerkschaften einen Wohnungsüberschuß von 3% – eine Ziffer, die als „Hasse‘sche Regel“ bekannt war und im Kaiserreich als Kennzeichen eines ausgeglichenen Wohnungsmarktes gegolten hatte.13 Außerdem erhob der DGB Bedenken gegen die im Gesetz vorgesehene Berechnungsmethode des Defizits und, in engem Zusammenhang damit, gegen den vorgesehenen, bundesstaatlich verordneten Automatismus beim Abbau der Zwangsmaßnahmen. Er forderte mit Blick auf die starke Fragmentierung des Wohnungsmarktes, die Defizitberechnung nicht auf die Landkreise, sondern auf die Gemeinden zu beziehen und diesen die Kompetenzen für die Entscheidung über die Aufhebung der Wohnraumbewirtschaftung zu übertragen. Hinzu kam, daß er die von der Bundesregierung für die Ermittlung des Defizits zugrundegelegte Zahl der „Wohnparteien“ für unrealistisch hielt, weil diese auf der Annahme beruhte, daß lediglich 50% der Einpersonenhaushalte als eigenständige Nachfrager auf dem Wohnungsmarkt in Erscheinung treten würden.14 Gerade in diesem Punkt erwies sich die auch von den Ländern vertretene Auffassung des DGB, daß diese Zahl zu niedrig angesetzt sei, in den Jahren der Umsetzung des Lücke-Plans als weitaus realistischer als die Überlegungen der Bundesregierung. Aber diese Feststellung half dem DGB nicht, im Gegenteil: Sie ging am Kern der Intentionen, die die Bundesregierung mit der Abbaugesetzgebung verfolgte, vorbei. Denn dieser ging es nicht darum, die Frage zu beantworten, wann die Wohnungsmärkte „objektiv“ entspannt und damit freigabewürdig waren. Das wäre ohnehin unmöglich gewesen; die Auffassung des DGB etwa, daß „freie Konsumwahl das wesentlichste [sic] Merkmal der Marktwirtschaft“15 sei und erst bei einem dreiprozentigen Überschuß möglich war, war ebenso wenig begründbar wie das Defizitkriterium der Bundesregierung. Die Differenzen zeigten nur, „daß 11 Stellungnahme des Deutschen Gewerkschaftsbundes zu dem Entwurf eines Gesetzes über den Abbau der Wohnungszwangswirtschaft und ein soziales Mietrecht (Bundestagsdrucksache 1234), 10.2.1960, Düsseldorf 1960, S. 2. 12 Ebd., S. 4. Vgl. auch Lücke-Plan revisionsbedürftig – DGB lehnt Mieterhöhung ab, Nachrichtendienst der Bundespressestelle des Deutschen Gewerkschaftsbundes 16.1960,45 (8.2.1960), S. 42–43. 13 Vgl. Wischermann 1997, S. 399. 14 Vgl. Stellungnahme 1960, S. 2 u. S. 4 sowie Deutscher Gewerkschaftsbund (Hg.), Schwarzbuch über Weiße Kreise. Wohnungsnot, Mieterhöhungen, Kündigungen. Der Wohnungsmarkt nach der Freigabe, o. O. [Düsseldorf], o. D. [1964], S. 5 ff. 15 IfdW 5.1959,19 (29.1.1959).

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4. Auf der Suche nach dem verlorenen Markt

es keine objektiven Bestimmungsmerkmale für einen ‚entspannten‘ oder ‚normalen‘ Wohnungsmarkt gibt. Schon beim Streit um die Berechnungsmethode zur Feststellung der Zahl der ‚Wohnparteien‘ spielten normative gesellschaftspolitische Vorstellungen eine wichtige Rolle. Die Entscheidung, ob für die Freigabe des Vermietungsgeschäftes ein Fehlbestand von drei oder null Prozent erreicht sein müsse, war vollends eine politische Ansichtssache.“16 Die Bundesregierung hatte das erkannt und ihr Defizitkriterium nicht mit sozialpolitischen oder wirtschaftstheoretischen, sondern mit rein pragmatischen Argumenten begründet. Ihr ging es um eine grundsätzliche ordnungspolitische Weichenstellung, und die Kriterien, die sie für die Freigabe der Mietpreise und der Bewirtschaftungsmaßnahmen angesetzt hatte, waren einzig und allein dazu bestimmt, den Prozeß der Überführung des Wohnungswesens in die Marktwirtschaft in den Gang zu bekommen. Dafür wollte sie eine Anzahl von Kreisen freigeben, die einerseits groß genug sein sollte, um den Prozeß unumkehrbar zu machen und andererseits klein genug, um die zu erwartenden politischen Proteste in einem erträglichen Rahmen zu halten. Die hierfür als angemessen betrachtete Zahl von 70 bis 75 Kreisen war nur dann zu erreichen, wenn die 3%-Marke als Kriterium eingesetzt wurde.17 Es verwundert daher nicht, daß die Bundesregierung sich auf eine sozialpolitisch motivierte Debatte über diese Grenze gar nicht erst einließ. Die Tatsache, daß angesichts dieses Umstands die Argumentation des DGB weitgehend auf taube Ohren stieß und eine andere, stärker auf die Ziele als auf die Umsetzungsmaßnahmen abgerichtete Argumentationsstrategie vielleicht erfolgreicher gewesen wäre, änderte allerdings nichts daran, daß die Sichtweise der Gewerkschaften weit verbreitet war. Auch bei den Gemeinnützigen war sie anzutreffen. Sie sahen ebenfalls die Voraussetzungen einer Freigabe des Wohnungsmarktes als „nicht gegeben“ an, „solange noch rd. 2,5 Mill. WE [Wohneinheiten] im Bundesgebiet fehlten.“18 Ihres Erachtens sollte daher zunächst diese „Bedarfslücke“ geschlossen werden und zudem „den Gemeinden die Entscheidung über die Aufhebung der Wohnraumbeschränkungen (...) überlassen [werden], anstatt mit Hilfe eines vielleicht neuen Dirigismus die Gefahr politischer und sozialer Unruhen heraufzubeschwören.“19 Auch die NH schloß sich dieser Sichtweise in ihren Geschäftsberichten vorbehaltlos an und forderte wie der DGB als Voraussetzung für eine Freigabe des Wohnungsmarktes einen Wohnungsüberschuß von 3% und ein „etappenweises Vorgehen auf regionaler Basis“.20 Diese Stellungnahmen der Gemeinnützigen und der NH liefen darauf hinaus, daß sie – wie der DGB – Lückes Gesetzesentwurf bei seiner Verabschiedung im Juli 1960 schließlich rundheraus ablehnten. Dennoch geht man wohl recht in der Annahme, daß ihre Position zu Lückes Vorhaben insgesamt sehr viel zwiespältiger ausfiel, als es diese öffentlichen Stellungnahmen vermuten ließen. Dafür gab 16 17 18 19 20

Führer 1995, S. 386. Vgl. ebd., S. 385. IfdW 5.1959,19 (29.1.1959). Ebd. GB NHH 1956, S. 9. Vgl. auch Harro Iden, In drei Jahren ohne Wohnungsamt?, NHM 1957,2, S. 11–14.

4.1 An den Grenzen des Wachstums?

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es zwei Gründe: Zum einen vermuteten die Gemeinnützigen, daß die Bestimmungen des Lücke-Plans ihnen erheblichen Zulauf verschaffen würden. Vor allem die NH vertrat in der Frühphase der Diskussion über den Abbau der Wohnungszwangswirtschaft die Auffassung, „daß die gemeinnützige Wohnungswirtschaft die Verhältnisse des freien Marktes nicht nur nicht fürchtet, sondern begrüßt, weil sie erst dann ihre besondere Leistungsfähigkeit erweisen könne.“21 Das war keineswegs aus der Luft gegriffen, denn eine Umsetzung von Lückes Plänen mußte die Attraktivität der Gemeinnützigen als Vermieter geradezu zwangsläufig erhöhen – und zwar gerade deshalb, weil diese von der Abbaugesetzgebung weitgehend ausgenommen blieben. So waren sie von den Mietanhebungsmöglichkeiten, die sich aus dem Gesetz ergaben, nur zum Teil betroffen. Da sie durch das WGG auf die Kostenmiete verpflichtet waren, waren die Altbaumieten bei ihnen anders als bei privaten Vermietern auch nach der vollständigen Umsetzung des Planes nicht frei vereinbar. Für die öffentlich geförderten Bauten nach dem I. Wohnungsbaugesetz, die einen großen Teil des Bestandes der Gemeinnützigen ausmachten, galt dies gleich doppelt, denn diese sollten auch weiterhin der Mietpreisbindung unterliegen und somit von der freien Vereinbarkeit der Mieten ausgenommen bleiben.22 Hinzu kam, daß auch der Abbau des Kündigungsschutzes die Gemeinnützigen kaum berührte. Denn die beiden Hauptgründe, aus denen Kündigungen zu erwarten waren, spielten bei ihnen keine Rolle: Eine Kündigung mit dem Ziel der Weitervermietung zu einem höheren Preis kam für sie aufgrund der fortbestehenden Mietpreisbindungen nicht in Frage; und auch eine Eigenbedarfskündigung, die mit dem Ende der Wohnraumbewirtschaftung zugelassen wurde, konnte es bei einem Wohnungsunternehmen nicht geben. Die NH rührte deshalb mit der Versprechung die Werbetrommel für sich, daß sie ihren Mietern auch nach dem Abbau des Kündigungsschutzes eine Art Dauerwohnrecht gewähren würde, das nur in außergewöhnlichen Fällen gekündigt werden könne.23 Allerdings gab es noch einen weiteren Grund, warum die Gemeinnützigen und mit ihnen die NH Lückes Plänen gemischte Gefühle entgegenbrachten. Das hatte mit der Motivation zu tun, die hinter Lückes Absicht einer Freigabe der Mietpreise stand. Denn sein Plan war nicht allein grundsätzlichen ordnungspolitischen Erwägungen geschuldet, sondern er bildete auch eine Reaktion auf die immer lauter werdenden Klagen der Haus- und Grundbesitzer über die mangelnde Kostendekkung und die daraus resultierenden Defizite bei der Instandhaltung des Hausbestandes.24 In der Tat handelte es sich hier um ein alarmierendes Problem. „Die Bindung der Mietpreise an eine unzulängliche Höhe“, so hatte Lücke schon im Dezember 1958 festgestellt, „hat dazu geführt, daß der Hausbesitz meist nur unzu21 IfdW 5.1959,16 (24.1.1959). Vgl. auch GB NHH 1956, S. 9 sowie Heinz Roosch, Kann man das Wohnungswesen in die Marktwirtschaft überführen?, Referat anläßlich der Eröffnung der Leistungsschau der Arbeitsgemeinschaft gewerkschaftseigener Wohnungsunternehmen am 28.1.1958 in Stuttgart, Hamburg 1958. Auch Julius Brecht, der Vorsitzende des GGW, vertrat diese Auffassung, vgl. Julius Brecht, Wann Marktwirtschaft für Wohnungen?, NHM 1958,5, S. 24–28, hier S. 28. 22 Vgl. Gewos 1990, S. 87. 23 Vgl. GB NHH 1963, S. 25. 24 Vgl. Wagner 1995, S. 94.

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reichend erhalten wird und vielfach verfällt. Sein Instandhaltungsdefizit wird (...) bereits auf etwa 13 Milliarden DM geschätzt.“25 Auch die Gemeinnützigen waren hiervon betroffen. Vor allem in zwei Bereichen hatten sie große Probleme, eine Kostendeckung bei der Bestandsverwaltung zu erzielen: Das waren zum einen die Altbaumieten, also die Mieten von Wohnungen, die vor der Währungsreform erstellt worden waren, und zum anderen die Richtsatzmieten der zwischen 1950 und 1956 nach dem I. Wohnungsbaugesetz errichteten öffentlich geförderten Mietwohnungen. Die Altbaumieten unterlagen seit 1936 einem generellen Mietpreisstop und waren das Hauptziel von Lückes Abbaugesetzgebung. Zwar blieben die Gemeinnützigen, wie erwähnt, bei diesen an die Kostenmiete gebunden. Aber da die tatsächlich vereinnahmten Mieten infolge des jahrelangen Mietpreisstops weit unterhalb der Kostenmieten lagen, ergaben sich aus dessen Aufhebung auch für sie erhebliche Mietanhebungsmöglichkeiten. Tatsächlich waren diese so groß, daß sich der Gesetzgeber gezwungen sah, „die Abschaffung der Mietenkontrolle durch eine amtlich gesteuerte Bildung von simulierten Marktpreisen vorzubereiten“,26 also übergangsweise die Anhebung der Altbaumieten noch unter Kontrolle zu halten. Mit dem in das Abbaugesetz integrierten zweiten Bundesmietengesetz schuf die Bundesregierung zunächst die Möglichkeit, die Mieten sofort um 15% zu erhöhen; zum Jahresbeginn 1963 traten weitere, im einzelnen sehr komplizierte Erhöhungsmöglichkeiten hinzu. Erst mit der Erklärung von „weißen Kreisen“ fielen die Mietpreisbindungen dann ganz weg.27 Was die Richtsatzmieten betraf, die ebenfalls schon seit Jahren als unzulänglich galten, so waren sie von den Kernbestimmungen des Lücke-Plans, die ja den öffentlich geförderten sozialen Wohnungsbau der Nachkriegszeit aussparten, eigentlich nicht betroffen. Aber auch hier hatte das zweite Bundesmietengesetz eine Regelung geschaffen: Es erlaubte die pauschale Anhebung der Richtsatzmieten um 0,10 DM pro qm. Sollte die Wirtschaftlichkeit des Wohnungsbestandes damit nicht gesichert sein, gestattete es eine weitere Anhebung um maximal weitere 0,10 DM pro qm.28 Diese Regelungen waren den Gemeinnützigen hoch willkommen, und das galt auch für die NH. Denn trotz ihrer vergleichsweise effektiv organisierten Wohnungsverwaltung war auch für sie eine Kostendeckung im Rahmen der alten Mietsätze problematisch. Zwar gab es hier innerhalb der Unternehmensgruppe erhebliche Unterschiede; in den besser laufenden Gesellschaften, etwa in Hamburg oder in Bremen, arbeitete die Wohnungsverwaltung mit geringfügigen Überschüssen. In anderen Gesellschaften waren die Fehlbeträge in der Hausbewirtschaftung dafür aber so groß, daß die Wohnungsverwaltung der Unternehmensgruppe insgesamt defizitär blieb. Vor allem die weniger profitablen Regionalgesellschaften drängten daher auf Mieterhöhungen. Eine daraufhin von Plett in Gang gebrachte Analyse kam zu dem Ergebnis, daß für eine kostendeckende Haubewirtschaftung eine An25 Rede Paul Lückes vor dem Verbandstag des Verbandes rheinischer Wohnungsunternehmen, 9.12.1958, zit. nach Peters 1984, S. 190. 26 Führer 1995, S. 299. 27 Vgl. ebd., S. 298 ff. 28 Vgl. ebd., S. 298.

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hebung der Altbaumieten um durchschnittlich 13,5% und der Neubaumieten um DM 0,09 pro qm erforderlich sei – also eine Erhöhung, die nur um jeweils etwa 10% unter den Möglichkeiten blieb, die das zweite Bundesmietengesetz den Gemeinnützigen eröffnete.29 Die Gewerkschaften waren von diesen Plänen, wie nicht anders zu erwarten, nicht begeistert; schließlich standen sie in offensichtlichem Widerspruch zu ihren Stellungnahmen zum Lücke-Plan, die sich ja auch gegen die mit ihm verbundenen Mieterhöhungen gewandt hatten. In den Regionalgesellschaften, deren Kostendekkung überdurchschnittlich gut war, traten deshalb die regionalen Gewerkschaftsvertreter in den Aufsichtsräten mit der Forderung hervor, nur eine geringere Erhöhung vorzunehmen. Das erschien der Hamburger Geschäftsführung aber nicht opportun; schließlich, so ihre Auffassung, sollten die gewerkschaftseigenen Unternehmen in dieser politisch höchst sensiblen Angelegenheit möglichst mit einer Stimme sprechen.30 Schließlich entwickelte sie gemeinsam mit Gewerkschaftsvertretern eine Idee, wie die Opposition des DGB gegen den Lücke-Plan mit den wirtschaftlichen Erfordernissen von Mietanhebungen ihrer Meinung nach zu vereinbaren war: Die NH sollte für das Jahr 1960, in dem das zweite Bundesmietengesetz in Kraft getreten war, auf jegliche Mieterhöhung verzichten und so ein politisches Signal setzen. Etwa 500.000 DM würde dies die Unternehmensgruppe pro Monat kosten. Das war nicht gerade wenig Geld, aber es erschien verkraftbar. Ab 1. Januar 1961 sollte „aber dann nach dem Prinzip der unbedingt notwendigen Kostendeckung von dem Gesetz Gebrauch gemacht werden.“31 Die Mietpreise sollten dann also angehoben werden, wobei die Unternehmensgruppe zugleich versprach, dies jetzt und in Zukunft nur in dem Maß zu tun, „wie es zur Sicherung der vorgeschriebenen Wirtschaftlichkeit der einzelnen Objekte erforderlich ist“,32 also die Anhebungsmöglichkeiten des Gesetzes nicht voll auszunutzen. Auf diesen Kompromiß einigten sich Gewerkschaften und Geschäftsführung im Aufsichtsrat der Muttergesellschaft, und genau so wurde er auch umgesetzt. Diese Vorgehensweise endete, man muß es in dieser Deutlichkeit sagen, in einem Fiasko. Denn der Widerspruch zwischen der politischen Opposition der Gewerkschaften gegen den Lücke-Plan und der Politik der NH war allzu offensichtlich, auch deshalb, weil Plett sich in der Öffentlichkeit ungewöhnlich plump verhielt. So hatte er an prominenter Stelle – in einem Interview mit der „Tagesschau“ – bekanntgegeben, „daß die Unternehmensgruppe Neue Heimat einen Entschluß gefaßt habe, in ihren 28 angeschlossenen gewerkschaftseigenen Wohnungsunternehmen ‚den Lückeplan nicht mitzumachen‘; sie werde ‚ihre Mieten nicht erhöhen‘.“33 Gleichzeitig aber hatte er in genau dem gleichen Interview angekündigt, daß die NH „nachprüfen werde, ob bei den Altbauwohnungen und den unter dem 29 Vgl. Protokoll AR Ageka, 11.10.1960, FZH 592–32 IV, S. 5 f. und Protokoll AR Neues Heim, 12.10.1960, FZH 592–32 I, S. 7. 30 Vgl. ebd. 31 Ebd., S. 6. Vgl. auch die Übersicht über die vorgesehenen Mietanhebungen vom 9.12.1960, IGM ZwA 2/17 269. 32 GB NHH 1962, S. 22. 33 Vermerk über die Besprechung des Herrn Bundesministers Lücke mit dem Geschäftsführer der Unternehmensgruppe Neue Heimat, Herrn Plett, 9.9.1960, BAK B 134–12065, S. 1.

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Ersten Wohnungsbaugesetz errichteten Wohnungen die angesetzten Kosten ausreichten, und, sofern dies nicht der Fall sei, die Mieten an die neuen Kostensätze angleichen werde“.34 Diese Art von Populismus trug Plett erheblichen Ärger ein – vor allem von Wohnungsbauminister Lücke, der darin eine „Irreführung der Öffentlichkeit“35 sah und zudem vermutete, die NH wolle die Mieterhöhungen nur verzögern, um sie in der Hoffnung auf den entsprechenden parteipolitischen Effekt kurz vor den Bundestagswahlen des Jahres 1961 durchzuführen. Letzteres mochte etwas weit hergeholt erscheinen; ersteres war aber durchaus zutreffend. Schließlich war es ja genau die Absicht des Lücke-Planes gewesen, den Vermietern die Möglichkeit zu geben, die Mieten an die Kosten anzupassen; insofern war Pletts Ankündigung, dies zu überprüfen, nur schwerlich mit der Aussage vereinbar, die NH werde den LückePlan „nicht mitmachen“. Tatsächlich war der Gegensatz so offensichtlich, daß Plett sich bei Lücke entschuldigen und für eine öffentliche Richtigstellung sorgen mußte – und zwar schon vor der ersten von der NH durchgeführten Mieterhöhung.36 Damit war es für die Bundesregierung ein leichtes, die politischen Forderungen des DGB bezüglich der Mietpreispolitik als unrealistisch hinzustellen; nicht einmal die Wohnungsunternehmen des DGB selbst konnten sich dem Druck der steigenden Kosten entziehen. Und noch einen negativen Effekt hatte die Verzögerung der Mietpreiserhöhung: Als die Erhöhung dann letzten Endes doch durchgeführt wurde, gelang es der NH nicht mehr, dem Lücke-Plan die Schuld dafür in die Schuhe zu schieben. Der zeitliche Abstand war bereits zu groß geworden, und die Mieterhöhungen waren nun nicht mehr die Mieterhöhungen Lückes, sondern die Mieterhöhungen der NH.37 Da spielte es dann auch kaum noch eine Rolle, daß der Vorsatz der NH, mit ihren Mieterhöhungen unter den Mindestsätzen des Lücke-Planes zu bleiben, schon Mitte 1964 wieder aufgegeben werden mußte.38 Dem ökonomischen Imperativ der Kostendeckung konnte sich die Unternehmensgruppe in diesem Falle nicht entziehen, so sehr es sich der DGB auch gewünscht haben mochte. Allerdings kam die Entscheidung, die Erhöhungsmöglichkeiten des zweiten Bundesmietengesetzes doch voll auszureizen, zu einem Zeitpunkt, zu dem die NH längst nicht mehr im Zentrum der Diskussionen um den Lücke-Plan stand. Denn seit 1963 seine Kernbestimmungen in die Umsetzungsphase eingetreten waren, beherrschte die Debatte über die Auswirkungen der Beschneidung des Kündigungsschutzes und vor allem der Freigabe der Mietpreise für den nicht öffentlich 34 35 36 37

Ebd. Ebd. Vgl. ebd., S. 4. Vgl. Protokoll AR NHH, 10.5.1967, DGBA-BV, Abt. Finanzen, 24/449, S. 10 f., wo die Zurückhaltung im Zusammenhang mit den Mieterhöhungsmöglichkeiten des Lücke-Plans aus diesem Grund rückblickend als „Fehler“ bezeichnet wird. 38 Zur Begründung hierfür erklärte Vietor vor dem Arbeitsausschuß des Aufsichtsrats, daß durch die Zurückhaltung bei den Mieterhöhungen „praktisch alle Kopfstellen (...) notleidend“ geworden seien. „Die Erhöhung der Miete sei unbedingt erforderlich, damit die Rentabilität des Bestandes wieder hergestellt werde“, Protokoll AA NHH, 8.4.1964, IGM ZwA 2/17 265, S. 5. Vgl. auch Protokoll AR NHH, 8.4.1964, IGM ZwA 2/17 286, S. 7 f.

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geförderten und nicht gemeinnützigen Wohnungsbestand die Schlagzeilen.39 Und von diesen Regelungen war die Unternehmensgruppe, wie erwähnt, bei weitem nicht in dem Maße betroffen, in dem das für freie Wohnungsunternehmen oder für private Vermieter galt. Einzig die Aufhebung der Wohnraumbewirtschaftung traf sie in vollem Umfang. Allerdings waren deren Auswirkungen auf den Verteilungseffekt der von ihnen vermieteten Wohnungen marginal; schließlich hatte die NH schon in den fünfziger Jahren die Belegung ihrer Wohnungen trotz der offiziellen Bewirtschaftungsmaßnahmen weitgehend frei gestalten können.40 Eine 1965 durchgeführte Erhebung über die Mieterstruktur im Wohnungsbestand der Unternehmensgruppe führte denn auch zu dem Ergebnis, daß sich die in den fünfziger Jahren zu beobachtende tendenzielle Begünstigung mittlerer gegenüber unteren Einkommen durch den Abbau der Zwangswirtschaft nicht weiter verstärkte. Im Gegenteil scheint sich die Sozialstruktur der Bewohnerschaft seit Mitte der fünfziger Jahre tendenziell zugunsten von Arbeitern, die nun 37% der Haushaltsvorstände in den Wohnungen der Unternehmensgruppe ausmachten, verschoben zu haben. Mit 32 bzw. 19% waren Angestellte und Selbständige aber gegenüber der Gesamtbevölkerung immer noch überrepräsentiert.41 Auch das durchschnittliche Nettoeinkommen der Haushalte, die in NH-Wohnungen wohnten, lag mit 880 DM pro Monat etwas über dem Bundesdurchschnitt von 830 DM – ein Effekt, der einmal mit der schon in den fünfziger Jahren verfolgten Belegungspolitik, zum anderen aber auch mit der Konzentration der Wohnungsbestände in den urbanen Ballungsräumen zu erklären war.42 Mit dem Lücke-Plan dagegen hatte er nichts zu tun. An der Diskussion über die Umsetzung der Abbaugesetzgebung beteiligte sich die NH deshalb ab 1963 kaum noch. Statt dessen überließ sie das Feld nun vollständig dem DGB, der sich weiterhin nach Kräften gegen die Liberalisierung des Wohnungsmarktes wehrte. Er führte zu diesem Zweck eine Reihe von Mieterbefragungen und statistischen Untersuchungen durch, die 1964 und 1965 in zwei „Schwarzbüchern über weiße Kreise“ veröffentlicht wurden.43 Darin bemühte sich der Gewerkschaftsbund nach Kräften, die sozialen Spannungen, die durch die Umsetzung des Lücke-Plans entstanden, zu dokumentieren. In der Tat nahmen diese in einigen Kreisen recht drastische Ausmaße an: In dem vom DGB detailliert untersuchten Fall von Solingen konnte das „Schwarzbuch“ unmittelbar nach Inkrafttreten der Neuregelungen gleich Dutzende von zweifelhaften Kündigungsschreiben und wucherartigen Miet39 Vgl. DGB o. D. [1964], passim. 40 Vgl. Gewos 1990, S. 102 f. 41 Vgl. Gesellschaft für Wohnungs- und Siedlungswesen e. V., Wohnungserhebung bei Mietern der NEUEN HEIMAT, Dezember 1965, BAK B 134–9216, S. 6. 42 Vgl. Gesellschaft für Wohnungs- und Siedlungswesen e. V., Repräsentativerhebung über die Mieterstruktur im Wohnungsbestand der Unternehmensgruppe NEUE HEIMAT, Dezember 1965, BAK B 134–9218, S. 7. 43 Vgl. DGB o. D. [1964] sowie ders. (Hg.), Zweites Schwarzbuch über weiße Kreise. Die Überführung des Wohnungswesens in die Marktwirtschaft – ein gefährliches Experiment, o. O. [Düsseldorf], o. D. [1965](b). Vgl. auch Konrad Kratzsch, Die Überführung des Wohnungswesens in die Marktwirtschaft. Ein Experiment mit Fehlschlägen, Wirtschaftswissenschaftliche Mitteilungen 18.1965, S. 81–93.

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preiserhöhungen dokumentieren.44 Die Ursache hierfür sahen die Gewerkschaften in der vorzeitigen Freigabe des Kreises, die auf der Fehlerhaftigkeit der amtlichen Defizitberechnung beruhte: Während diese einen Wohnungsüberschuß von 1,1% auswies, hatte eine Erhebung des Statistischen Amtes der Stadt ergeben, daß nach wie vor ein Fehlbestand von 5,7% zu vermelden war.45 Das war eine Folge der großzügigen Berechnungsmethode der Bundesregierung. Sie erwies sich bald auch andernorts als problematisch und brachte soziale Härten mit sich, die sich nicht nur nach der Auffassung der Gewerkschaften, sondern auch nach Auffassung der Länder am Rande des Erträglichen bewegten. Da die Länder daraufhin gegen die strikte Einhaltung von Lückes Stufenplan Sturm liefen und zudem das Wohnungsdefizit in den sechziger Jahren insgesamt nur sehr schleppend abnahm, sah sich die Bundesregierung in den folgenden Jahren gezwungen, das Abschlußdatum der Freigabe von Mietpreisen und Bewirtschaftungsmaßnahmen mehrfach hinauszuschieben.46 Erst 1969 war der Abbau im großen und ganzen vollzogen, und erst 1975 wurden die letzten Ausnahmeregelungen, die bis dahin für Hamburg, München und West-Berlin noch gegolten hatten, aufgehoben.47 Zu dieser Entwicklung dürfte die Öffentlichkeitsarbeit des DGB durchaus einen Beitrag geleistet haben, denn besonders das erste „Schwarzbuch“ bildete einen vielbeachteten Höhepunkt in der Debatte über die Umsetzung des LückePlans.48 Allerdings war die Verschiebung des Abschlußdatums für die Gewerkschaften kaum mehr als ein Minimalziel. Ihre zentralen, sehr viel weitergehenden Forderungen konnten sie zum größten Teil nicht durchsetzen: Eine Rückkehr zum alten Mieterschutz stand ebenso außer Frage wie eine Beschränkung des Abbaus auf solche Kreise, in denen ein Wohnungsüberschuß von 3% festzustellen war. Nur in einem Punkt war der DGB – zumindest in einer sehr langfristigen Perspektive – erfolgreich: Die Forderung nach einer verstärkten Wiederaufnahme der öffentlichen Wohnungsbauförderung, die sich ebenfalls aus der Umsetzung des Abbaugesetzes ableitete, stieß in der zweiten Hälfte der sechziger Jahre auf immer mehr Zuspruch und wurde Anfang der siebziger Jahre dann auch umgesetzt.49 Diese Forderung war auch die einzige der Reaktionen des DGB auf das Inkrafttreten der Abbaugesetzgebung, die von der NH in nennenswertem Maße unterstützt wurde. Zwar versäumten es die Geschäftsberichte der Unternehmensgruppe Mitte der sechziger Jahre nie, ganz im Sinne der Argumentation des DGB auf die negativen sozialen Folgen der Mietpreisfreigabe und der Mietrechtsänderungen hinzuweisen,50 aber in der täglichen Routine der NH spielte das Gesetz seit 1963 nur eine völlig untergeordnete Rolle – weil es die Unternehmensgruppe nicht direkt betraf und wohl auch deshalb, weil sie sich mit ihrer mietpreispolitischen Reaktion auf das Bundesmietengesetz gehörig in die Nesseln gesetzt hatte. Nur 44 45 46 47

Vgl. DGB o. D. [1964], S. 12 ff. u. S. 25 ff. Vgl. ebd., S. 6. Vgl. Peters 1984, S. 197 f. Vgl. Wagner 1995, S. 99; Krummacher 1978, S. 208 f. sowie Pergande/Pergande 1973, S. 199. 48 Vgl. DGB-GB 1965, S. 256. 49 Vgl. Kap. 5.3.3.1 dieser Arbeit. 50 Vgl. z. B. GB NHH 1965, S. 8.

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hinsichtlich der Frage des Wohnungsneubaus war dies anders. Hier versuchte die Unternehmensgruppe seit den ersten Abbaumaßnahmen mit allem Nachdruck, auf eine verstärkte öffentliche Förderung hinzuwirken.51 Das war einerseits sicherlich der Erkenntnis zu verdanken, daß eine verstärkte Neubautätigkeit die einzige langfristig wirksame Möglichkeit bot, die Probleme, die der Lücke-Plan aufwarf, zu beseitigen. Andererseits war es aber auch ein deutlicher Hinweis darauf, daß der Neubau für die Unternehmensgruppe die gesamten fünfziger und sechziger Jahre hindurch eine wesentlich größere Bedeutung besaß als die Vermietungspolitik. Tatsächlich war es dieses Problem und nicht der Lücke-Plan gewesen, von dem die stärksten Impulse für die Entwicklung der NH in den späten fünfziger und frühen sechziger Jahren ausgegangen waren. Das ist der Gegenstand des nächsten Abschnittes. 4.1.1.2 Das Ende des Baubooms? Wie für die deutsche Wohnungspolitik insgesamt galt in den fünfziger und sechziger Jahren auch für die NH der Satz, daß sie sich „einseitig auf die Wohnungsbaupolitik konzentriert[e]“.52 Schon ihre Selbstrepräsentation war ausschließlich die eines bauenden und nicht die eines vermietenden Wohnungsunternehmens.53 Das spiegelte sich auch in der Unternehmensfinanzierung wider: Hatte die GKB in der Zwischenkriegszeit noch etwa 75% ihrer Verwaltungskosten aus den Erträgen der Vermietungstätigkeit und nur 25% aus den Erträgen des Wohnungsneubaus bestritten, so lag der Fall bei der Unternehmensgruppe nun genau umgekehrt. Nur 25% ihrer Verwaltungskosten deckte sie durch Einkünfte aus der Vermietung, die restlichen 75% stammten aus dem Neubau.54 Bei den stark in den Neubau involvierten Regionalgesellschaften der Unternehmensgruppe, die noch über einen geringen Verwaltungsbestand verfügten, fiel das Verhältnis sogar noch deutlicher zuungunsten der Vermietung aus.55 Auch das System der Selbstfinanzierung, mit dem die NH die gesamten fünfziger Jahre hindurch ihr Wachstum finanziert hatte, hing entscheidend von der Neubautätigkeit ab. Da aber die umfangreichen Kapitalerhöhungen, die die Unternehmensgruppe bei ihren Tochtergesellschaften regelmäßig vornahm, Ende der fünfziger Jahre erst teilweise finanziert waren, mußte die NH weiter bauen, um ihren hieraus erwachsenden Verpflichtungen nachkommen zu können. Der SPIEGEL lag daher völlig richtig, als er das Dilemma, dem sich die Geschäftsführung Ende der fünfziger Jahre gegenübersah, mit den folgenden Worten zusammenfaßte: „Solange im gleichen Tempo wie bisher gebaut wird, kann Plett mit den Kapitalmarktmitteln und Bankkrediten, die an ihm vorbeifließen, jonglieren und not51 52 53 54

Vgl. dazu Kap. 5.3.3.1 dieser Arbeit. Krummacher 1978, S. 175. Vgl. Kap. 3.3 dieser Arbeit. Vgl. Protokoll Gesamt-AR UG NH 11./12.1.1960, IGM ZwA 2/17 286, S. 8 sowie Voraussichtliche Verwaltungskosten 1959 und ihre Deckung, 16.12.1959, DGBA-BV, Abt. Vorsitzender, 5/DGAI 1905. 55 Vgl. ebd.

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falls ein Loch stopfen, indem er ein anderes aufreißt. Wenn sich aber eines Tages der Geldstrom zu einem schmalen Fluß verengt, weil der Wohnungsbedarf gesättigt ist, wird das Jonglieren schwierig sein“ und Plett mit den Worten zitierte: „Unsere größte Sorge ist, daß einmal die Baukonjunktur abreißt“.56 Diese Sorge plagte Ende der fünfziger Jahre eine ganze Reihe von Wohnungsunternehmen, denn mit der Erwartung, daß das Wohnungsdefizit in einigen Jahren abgetragen sein würde, ging auch die Befürchtung einher, daß der außerordentliche Bauboom eines Tages zu Ende gehen würde. Schon Ende 1956 hatte Plett deshalb im Aufsichtsrat der NHH erstmals die Frage nach den Grenzen der Unternehmensexpansion gestellt.57 Allerdings lag die voraussichtliche Sättigung des Wohnungsmarktes zu diesem Zeitpunkt noch in sehr weiter Ferne. „Es müssen“, schrieb die NH 1956, „in den nächsten 6 Jahren noch mindestens jährlich 500.000 Wohnungen errichtet werden, wenn der Wohnungsmangel in der Bundesrepublik auch nur annähernd beseitigt werden soll. Diese von der Gesellschaft vertretene Ansicht wird heute auch von dem zuständigen Bundesminister geteilt, während die ersten amtlichen Veröffentlichungen von einem wesentlich geringeren Wohnungsdefizit sprachen.“58 Ungeachtet aller Differenzen über das tatsächliche Wohnungsdefizit erschien sowohl der NH als auch dem Bundesministerium für Wohnungsbau zu diesem Zeitpunkt eine Fortführung des Neubaus als wesentlich dringlicher als eine schrittweise Konsolidierung mit Blick auf das erst für einen sehr viel späteren Zeitpunkt zu erwartende Ende des Baubooms. Für die Unternehmenspolitik der NH bedeutete dies, daß sie zunächst darauf setzte, von den günstigen Voraussetzungen, die die Unternehmensgruppe für eine weitere Expansion mitbrachte, vollen Gebrauch zu machen. Im Oktober 1957 gab Plett vor dem Aufsichtsrat als Ziel die Verdoppelung des eigenen Wohnungsbestandes innerhalb von zwei bis drei Jahren aus.59 Die Gewerkschaften, deren Mitglieder zu diesem Zeitpunkt noch längst nicht alle in den Genuß einer bezahlbaren Wohnung gekommen waren, waren schon aus sozialpolitischen Gründen keineswegs abgeneigt, die bisher so erfolgreiche Tätigkeit der NH ausgedehnt zu sehen – solange, das verstand sich von selbst, diese Ausweitung den DGB nichts kostete. Allerdings hätten Pletts Ausführungen die Gewerkschaftsvertreter im Aufsichtsrat mißtrauisch stimmen müssen. Er hatte ausdrücklich darauf hingewiesen, daß er Wert auf die Unterstützung des Aufsichtsrates lege, „da sich bei der Errichtung von Wohnungen das Produktionsprogramm naturgemäß nur sehr langsam abstoppen lasse, weil die Vorbereitungszeit, die ja schon sehr viel mehr Mittel erfordere, sich insbesondere bei grösseren Bauvorhaben zwangsläufig auf Jahre erstreckt.“60 Damit wollte er sich gegen ein Risiko absichern, über das er zu diesem Zeitpunkt erste Gedankenspiele anstellte, das dem Aufsichtsrat aber in seinem vollem Umfang erst ein bis zwei Jahre später klar wurde. Denn einerseits erforderte der 56 57 58 59

Neue Heimat: Die Bauland-Fresser, SPIEGEL 13.1959,10, S. 26–42, hier S. 38. Vgl. Protokoll Gesamt-AR UG NH, 21.12.1956, IGM ZwA 2/17 434, S. 11 ff. GB NHH 1956, S. 9. Vgl. Protokoll AA NHH, 8.10.1957, IGM ZwA 2/17 265, S. 5 und Protokoll AR NHH, 9.10.1957, IGM ZwA 2/17 286, S. 6. 60 Protokoll AA NHH, 8.10.1957, IGM ZwA 2/17 265, S. 5.

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Expansionskurs eine Ausweitung der personellen Kapazitäten der Unternehmensgruppe. So stieg ihr Personalbestand zwischen 1958 und 1961 von 1.470 auf 2.279 Mitarbeiter.61 Andererseits aber war gerade die zunehmende Zahl der Mitarbeiter das erste Problem, das der Geschäftsführung entgegenschlagen mußte, sobald ein etwaiger Rückgang der Neubautätigkeit in den Horizont der strategischen Planung rückte. Denn die Unternehmensgruppe verursachte 1959 Verwaltungskosten in Höhe von 18,5 Mio. DM, und von diesen 18,5 Mio. DM gingen nicht weniger als 72,5% auf das Konto der Personalkosten.62 Eine interne Analyse aus dem gleichen Jahr prognostizierte deshalb, daß die NH, um diese Summe aufbringen zu können, bei ihrer Kostenstruktur bis 1964 jedes Jahr 17.200 neue Wohnungen bauen müsse; ab 1965 würde dann eine Neubautätigkeit von knapp 11.000 Wohnungen genügen, denn bei einem dann deutlich vergrößerten Wohnungsbestand von etwa 190.000 Wohnungen, so lautete die Prognose, könnten etwa 55% der Verwaltungskosten aus der Hausbewirtschaftung gedeckt werden.63 Das war allerdings bei weitem zu optimistisch; schon wegen der Mietpreisbindungen konnte kaum eine gemeinnützige Gesellschaft zu diesem Zeitpunkt eine solche Quote erreichen. Eineinhalb Jahre später mußte diese Schätzung deshalb korrigiert werden. Nun wurde der Kostendeckungsbeitrag der Hausverwaltung nach 1965 nur noch mit 42%, der des Neubaus aber mit 58% veranschlagt. Bis 1965 mußten nach dieser korrigierten Schätzung jährlich 18.000 Wohnungen gebaut werden, um den Personalbestand halten zu können, und danach konnte sie nur auf 14.000 Einheiten pro Jahr absinken, um diesem Ziel keinen Schaden zuzufügen.64 Dieses Ziel schien angesichts der Erwartungen, die Ende der fünfziger Jahre über die voraussichtliche Entwicklung des Wohnungsneubaus herrschten, äußerst hoch gesteckt. Das war zumindest die Auffassung, die eine im Januar 1959 veröffentlichte Prognose des ifo-Institutes suggerierte. Sie sagte für Mitte der sechziger Jahre einen drastischen Rückgang von 610.000 Fertigstellungen im Jahr 1959 auf jeweils 390.000 Einheiten in den Jahren 1965 bis 1969 voraus.65 Dies war, wie sich wenige Jahre später herausstellen sollte, eine völlige Fehlprognose, weil das Institut die ab Anfang der 1960er Jahre drastisch steigenden Ansprüche an die Wohnfläche, die sinkenden Haushaltsgrößen und das schnelle Bevölkerungswachstum nicht berücksichtigt hatte.66 In ihrer grundsätzlichen Tendenz erschien sie den Zeitgenossen aber plausibel, wohl nicht zuletzt deshalb, weil die statische Vorstellung eines festen Bedarfs, der zu einem bestimmten Zeitpunkt gedeckt sein würde, ja auch die öffentliche Diskussion um den Lücke-Plan beherrschte. Das galt offenbar für die NH ganz besonders, denn Plett nahm die Prognose des Insti61 Vgl. Anhang, Tabelle 8. 62 Vgl. Voraussichtliche Verwaltungskosten 1959 und ihre Deckung, 16.12.1959, DGBA-BV, Abt. Vorsitzender, 5/DGAI 1905. 63 Vgl. ebd. 64 Vgl. Protokoll AR NHH, 21.4.1961, DGBA-BV, Abt. Vorsitzender, 5/DGAI 1905, S. 14. 65 Vgl. Angaben über Wohnungsfehlbestand, Zugang an Wohnungsnachfrage, Ersatzbedarf erneuerungsbedürftiger Wohnungen und Fertigstellungen durch Bautätigkeit für die Jahre 1959– 1968 lt. Veröffentlichung des Ifo-Institutes vom Januar 1959, 16.12.1959, IGM ZwA 2/17 269. 66 Vgl. Kap. 4.2.1.1 dieser Arbeit.

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tuts nicht nur auf; er hielt sie sogar noch für zu optimistisch. Seiner Meinung nach waren vor allem die Zahlen über den Ersatzbedarf zu hoch gegriffen, denn im Gegensatz zum ifo-Institut glaubte er nicht daran, daß in der Bundesrepublik zukünftig jährlich 140–150.000 Wohnungen abgerissen werden würden. „Diese Kraft“, so meinte Plett, „haben die Politiker nicht, die letztlich die Abrisskosten aus ihren öffentlichen Haushalten bezahlten müssten.“67 Er glaubte, daß der Abbruch in den nächsten Jahren nur etwa 100.000 Wohnungen pro Jahr betragen würde. Deshalb ging er für das Jahr 1968, das er als das späteste Datum für den endgültigen Ausgleich des Fehlbestandes annahm, von einem Neubauvolumen von nur mehr 250-300.000 Wohnungen aus. Für die Unternehmensgruppe bedeutete dies, daß sie bei einem gleichbleibenden Marktanteil von etwa 3% 1968 nur noch 7.500 bis 9.000 Wohnungen würde bauen können – weniger als die Hälfte der 1959 fertiggestellten 18.350 Einheiten!68 Zwar war Plett angesichts des in der Unternehmensgruppe versammelten Know-how zuversichtlich, daß die NH unter den Bedingungen eines schärferen Wettbewerbs ihren Anteil an den Fertigstellungen auf über 4%, also etwa 10.000–12.000 Wohnungen würde steigern können. Doch auch das war weitaus weniger, als für die Deckung der Verwaltungskosten erforderlich war. Die Aussichten, die sich daraus ergaben, waren äußerst unangenehm. Schon 1958 hatte Plett en passant darauf hingewiesen, daß ein Rückgang der Bautätigkeit auch den Abbau von Personal erfordern würde. „Soweit die wirtschaftliche Lage jetzt voraussehbar sei“, führte er in diesem Jahr vor dem Arbeitsausschuß des Aufsichtsrates aus, „werde die Gesellschaft bis etwa 1962 weiter bauen können. Nach diesem Zeitpunkt sei dann wahrscheinlich ein Abbau des Bauvolumens und damit auch entsprechender Arbeitskräfte notwendig.“69 Plett hatte deshalb bereits Überlegungen anstellen lassen, welche Belastungen den Gesellschaften durch Vertragsauflösungen auferlegt würden. Die Option, auf dem Höhepunkt des „Wirtschaftswunders“ Personal zu entlassen, schien den Gewerkschaftsvertretern im Aufsichtsrat der NH allerdings völlig abwegig. Georg Leber wies etwa darauf hin, „dass sich der Apparat mühelos verkleinern lasse, aber seine Beibehaltung angestrebt werde.“70 Und im Grunde genommen war dies auch die Meinung der Geschäftsführung, die 1957 selbst eine so vergleichsweise wenig aufsehenerregende Konsolidierungsmaßnahme wie einen Kapitalschnitt bei einer Regionalgesellschaft mit dem Hinweis abgelehnt hatte, dies käme schon aus Prestigegründen nicht in Frage.71 Es sei, so erklärte Plett, „Ehrensache der Unternehmensgruppe (...), ihrem Stammpersonal eine Dauerbeschäftigung zu geben.“72 Auch die großzügige Bezahlung und die betrieblichen Sozialleistungen standen angesichts des gewerkschaftlichen Hintergrundes der Unternehmensgruppe nicht

67 Heinrich Plett, Die langfristige Unternehmenspolitik der NEUE HEIMAT Hamburg. Vortrag vor dem Bundesausschuß des DGB, 13.10.1961, DGBA-BV, Abt. Wirtschaftspolitik, 24/5049, S. 11. 68 Vgl. Protokoll Gesamt-AR UG NH, 11./12.1.1960, IGM ZwA 2/17 286, S. 7. 69 Protokoll AA NHH, 14.3.1958, IGM ZwA 2/17 265, S. 7. 70 Protokoll AR NHH, 25.3.1960, DGBA-BV, Abt. Vorsitzender, 5/DGAI 1905, S. 8. 71 Vgl. Protokoll AA NHH, 17.1.1957, IGM ZwA 2/17 265, S. 13. 72 Protokoll Gesamt-AR UG NH, 11./12.1.1960, IGM ZwA 2/17 286, S. 9.

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zur Debatte.73 Allzu viele Möglichkeiten blieben der Geschäftsführung also nicht. Neben einer Effektivierung der Verwaltungstätigkeit und einer personellen Konsolidierung über die natürliche Fluktuation richtete sie seit 1958/59 ihre ganze Aufmerksamkeit auf das Ziel, das ihr in dieser Situation am erfolgversprechendsten schien: auf das Ziel einer Aufrechterhaltung der Bautätigkeit um beinahe jeden Preis. Nun begann eine Art Suchprozeß – eine Suche nach Strategien, wie dieses Ziel zu erreichen sein würde. 4.1.1.3 „Hauseigentümer ohne Giftzähne“ Dabei ging die Geschäftsführung zunächst davon aus, daß die Gemeinnützigkeit der Unternehmensgruppe eine unabänderliche Nebenbedingung dieses Suchprozesses war. Das war angesichts der Bedeutung, die diesem Aspekt in den fünfziger Jahren für das unternehmerische Selbstverständnis der NH zukam, nicht überraschend. Zwar hatte Plett im März 1959 dafür gesorgt, daß in den Gesellschaftsvertrag der NHH ein Passus aufgenommen wurde, der ihr satzungsgemäß die Beteiligung an Wohnungsunternehmen aller Art – also auch an freien Wohnungsunternehmen – gestatten sollte.74 Aber hinter diesem Manöver standen zu diesem Zeitpunkt noch keine konkreten Absichten, und es ist zweifelhaft, ob Plett Ende der fünfziger Jahre in einer Ausdehnung auf den nicht-gemeinnützigen Sektor eine ernsthafte Möglichkeit sah, die Auslastung der Unternehmensgruppe dauerhaft zu sichern.75 Denn er war sich darüber im Klaren, daß dies gegenüber den Gewerkschaften kaum durchsetzbar gewesen wäre, und so schlug er zunächst einen Weg ein, der die Sicherung der Neubautätigkeit im Rahmen der Vorgaben des Gemeinnützigkeitsrechts verfolgte. Im Mittelpunkt von Pletts Ideen stand daher Ende der fünfziger Jahre eine Ausweitung des Marktanteils der Unternehmensgruppe in ihrem Kerngeschäft, also beim sozialen Mietwohnungsbau. Das wichtigste Hindernis, das sich einer solchen Ausweitung des Marktanteils in den Weg stellte, waren die zunehmenden Eigenkapitalanforderungen, die von den Ländern nach dem Ende der ersten Aufbauphase gestellt wurden.76 In den fünfziger Jahren hatte der Anteil echten Eigenkapitals an den Mietwohnungsbauten der NH stellenweise nur drei und selten mehr als sechs Prozent betragen. Das war mit einem erheblichen Risiko verbunden, und die Unterkapitalisierung einer großen Zahl gemeinnütziger Wohnungsunternehmen hatte den zuständigen Behörden bereits Mitte der fünfziger Jahre erhebliche Sorgen bereitet.77 Mit Rücksicht auf das riesige Wohnungsdefizit hatten aber die Landesministerien ihre Bedenken vorläufig zurückgestellt. Gegen Ende 73 Vgl. ebd. 74 Vgl. Bericht über die Prüfung der „Neue Heimat“ Gemeinnützige Wohnungs- und Siedlungsgesellschaft m.b.H. Hamburg, Jahresabschluß 1957, 11.3.59, IGM ZwA 2/17 442, S. 1, Ziff. a1; Gesellschaftsvertrag NHH, 14.12.1959, DGBA-BV, Abt. Vorsitzender, 5/DGAI 1513, S. 2 sowie Protokoll AA NHH 25.3.1959, DGBA-BV, Abt. Vorsitzender, 5/DGAI 1905, S. 3. 75 Vgl. ebd. 76 Protokoll AR NHH, 16.12.1960, DGBA-BV, Abt. Vorsitzender, 5/DGAI 1905, S. 13 f. 77 Vgl. das umfangreiche Material zu dieser Frage in BAK B 134–10544.

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der fünfziger Jahre änderte sich dies dann schlagartig. „Die Eigenkapitalanforderungen aller Länder der Bundesrepublik“, führte Plett im April 1961 vor dem Aufsichtsrat aus, „würden (...) immer größer. Z.Z. seien jährlich etwa DM 25 Mio bis DM 30 Mio echtes Eigenkapital erforderlich, um den beabsichtigten Mietwohnungsbau durchzuführen.“78 Schon ein Jahr später hatten einige Länder angesichts der insgesamt immer günstiger werdenden Rahmenbedingungen für den Wohnungsbau ihre Eigenkapitalerfordernisse auf 15% gesteigert; innerhalb der Unternehmensgruppe war nun die Rede von einem Betrag von 60 bis 70 Mio. DM, die als Eigenkapitaleinsatz erforderlich sein würden, um die eigene Bautätigkeit aufrecherhalten zu können.79 Das waren Summen, die aus der Selbstfinanzierung nicht mehr erwirtschaftet werden konnten.80 Hier hätte nur eine Kapitalerhöhung weiterhelfen können; doch dieser Weg war der NH traditionell versperrt, und angesichts der immer größer werdenden Beträge, die für eine Aufrechterhaltung der Bautätigkeit nötig gewesen wären, wurde die Hoffnung, die Gewerkschaften könnten ihr eigenes Kapital beisteuern, immer unrealistischer.81 Dieser Hoffnung hatte sich Plett allerdings ohnehin nie hingegeben. Ihm war von vornherein klar gewesen, daß mit der Hilfe der Gewerkschaften in diesem Punkt nicht zu rechnen war. Deshalb wälzte er seit Beginn der sechziger Jahre eine ganze Reihe von mitunter recht abenteuerlich anmutenden Plänen, um das fehlende Eigenkapital auf anderem Wege mobilisieren zu können.82 Aus diesen Ideen kristallisierten sich schließlich drei heraus, die die Unternehmensgruppe in den folgenden Jahren umzusetzen versuchte. Alle drei zielten darauf ab, die Aufbringung des für den Wohnungsbau notwendigen Eigenkapitals auf Dritte abzuwälzen. Die erste bestand darin, das Engagement der Unternehmensgruppe im Eigenheimbau auch über das Jahr 1962, in dem das Eigenheimsonderprogramm auslaufen sollte, hinaus auszudehnen. Dieser Plan hatte gleich zwei Vorteile: Zum einen mußte die NH das zum Bau dieser Häuser nötige Eigenkapital nicht selbst aufbringen, sondern nur vorstrecken; im Falle eines Verkaufs bekam sie das Geld mit dem Kaufpreis ja zurück. Zum anderen waren die Betreuungsgebühren, die sie für Eigenheime berechnen konnte, so bemessen, daß sie mit ihrer eingespielten Organisation großzügige Gewinne erzielen konnte. Das Eigenheimsonderprogramm hatte das exemplarisch unter Beweis gestellt: Während die NH hier 8–9% der Baukosten als Regiekosten abrechnen durfte, war sie insgesamt mit einem Satz von nur 3,5% ausgekommen. 18 Mio. DM hatte sie auf diese Weise als Über78 Protokoll AR NHH, 21.4.1961, IGM ZwA 2/17 286, S. 15 (Hervorhebung im Original unterstrichen). Eine Ausnahme bildete lediglich das Saarland, wo sich die Eigenkapitalanforderungen rückläufig entwickelten. Vgl. Yvonne Hoffmann, Wohnungsbau im Saarland 1945 bis 1959, Diss. phil. Saarbrücken 1998, S. 264 f. 79 Vgl. Protokoll Finanzausschuß Ageka, Gewog 1910 und Neues Heim, 21.2.1962, FZH 592– 31 II, S. 9. 80 Vgl. Protokoll AR NHH, 21.4.1961, IGM ZwA 2/17 286, S. 15. Das Selbstfinanzierungsergebnis des Jahres 1958 hatte bei etwa 7 Mio. DM gelegen. Vgl. Protokoll Gesamt-AR UG NH, 11./12.1.1960, IGM ZwA 2/17 286, S. 5. 81 Vgl. ebd., S. 9. 82 Vgl. ebd. sowie Protokoll AR NHH, 18.12.1959, DGBA-BV, Abt. Vorsitzender, 5/DGAI 1905, S. 16 f.

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schuß verbuchen und dann als Eigenkapital für den Bau von Mietwohnungen zum Einsatz bringen können – ein Argument, das auch den DGB von den Vorzügen des Eigenheimbaus überzeugte.83 Die nötigen 60 bis 70 Mio. DM waren auf diesem Weg alleine allerdings nicht aufzubringen. Eine zweite Möglichkeit hierfür lag in der Betreuungstätigkeit für Dritte, also darin, etwa für eine Versicherung den Bau von Mietwohnungen zu übernehmen, die in deren Eigentum verblieben.84 Auch dieser Weg war für die Unternehmensgruppe kein Neuland. Schon 1950 hatte die NHH in allerdings recht bescheidenem Umfang ein Betreuungsprogramm für private Grundstückseigentümer aufgelegt.85 Die Betreuungstätigkeit, die die Unternehmensgruppe nun anstrebte, bewegte sich jedoch hinsichtlich ihres Umfanges in einer ganz anderen Größenordnung. Das erste Programm dieser Art zeigte dies in aller Deutlichkeit: Für die Volksfürsorge wollte die NH zwischen 1961 und 1965 ein Betreuungsprogramm von 8.000 Mietwohnungen durchführen.86 Das war aufgrund der gewerkschaftlichen Zugehörigkeit der Volksfürsorge gegenüber dem DGB problemlos zu rechtfertigen, und es lohnte sich: Denn auch hier mußte die NH das für den Bau dieser Wohnungen nötige Eigenkapital nicht selbst aufbringen; und auch hier konnte sie sich die Abrechnungsbestimmungen zunutze machen und durch die Einsparung von Verwaltungskosten zusätzliches Eigenkapital verdienen. Darüber hinaus bestand bei dieser Art von Projekten auch noch die Möglichkeit, nach der Fertigstellung die Verwaltung der Wohnungen übernehmen und den Eigentümern der Wohnungen in Rechnung zu stellen.87 Die Betreuung des Mietwohnungsbaus für Dritte war deshalb eine attraktive Option für die Sicherung der Bautätigkeit. Der Markt für solche Programme war allerdings begrenzt; weitere größere Aufträge konnte die NH jedenfalls nicht an Land ziehen. Plett versuchte deshalb, die Betreuungstätigkeit auch auf einem anderen Wege noch auszudehnen: durch die Schaffung von Immobilienfonds. Das war der dritte Lösungsvorschlag, den er für eine Aufrechterhaltung der Neubautätigkeit anzubieten hatte.88 Die grundsätzliche Idee hierbei war simpel: Wenn es der NH gelingen sollte, die Wohnungsbaufinanzierung mit einer Form des Anlagesparens zu verbinden, dann könnte sie das Sparpotential breiter Schichten der Bevölkerung für den Wohnungsbau anzapfen – und zwar auch das Sparpotential derjenigen, die kein Eigenheim bauen wollten, sondern auf der Suche nach einer flexibleren Anlagemöglichkeit waren. Auch dies war kein völlig neuer Ansatz. Schon die „Richtlinien für die Durchführung der gewerkschaftlichen Wohnungspolitik“ von 1948 hatten eine Förderung des allgemeinen privaten Sparens ebenso verlangt wie eine besondere Förderung des „Wohnzwecksparen[s] über gemeinnützige Wohnungsbaugenossenschaften“.89 Allerdings waren die 1952 auf Initiative des DGB-Bundesvorstandes erstmals ins Auge gefaßten Pläne zur Gründung einer gewerkschaftseigenen Bauspar83 Vgl. Protokoll AR NHH, 14.12.1962, IGM ZwA 2/17 286, S. 4. 84 Zum Betreuungsbau vgl. die zeitgenössische Arbeit von Eberhard Plath, Die Betreuung des Wohnungsbaus durch Unternehmen, Diss. rer. pol. Köln 1963 sowie PUA HH, S. 347 ff. 85 Vgl. Hans Wünsche, Warum Betreuung privater Bauvorhaben?, in: NHH 1952, S. 191–193. 86 Vgl. Protokoll AR NHH, 16.12.1960, DGBA-BV, Abt. Vorsitzender, 5/DGAI 1905, S. 14. 87 Vgl. ebd. 88 Vgl. ebd., S. 13.

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kasse, die in diese Richtung wiesen, zunächst immer wieder verschoben und schließlich gänzlich auf Eis gelegt worden.90 Auch die 50%ige Beteiligung des DGB am Beamtenheimstättenwerk (BHW) konnte dafür keinen Ersatz bieten, weil sich das BHW auf den enggezogenen Personenkreis der Beschäftigten des öffentlichen Dienstes beschränkte.91 Für die Unternehmenspolitik der NH war die Frage einer gewerkschaftseigenen Bausparkasse zudem ohnehin marginal: Schließlich machten die Eigenheime, für deren Finanzierung die Bausparbeträge ja ausschließlich zur Verfügung standen, nur einen kleinen Teil ihrer Neubautätigkeit aus. Die NH mußte vielmehr daran interessiert sein, das Potential privater Sparer für die Finanzierung von Mietwohnungsbauten nutzbar zu machen. Schon seit Anfang der fünfziger Jahre hatte Plett deshalb Pläne entwickelt, für Sparer ein Beteiligungsrecht an Mietwohnungsbauprojekten zu schaffen. Gedacht war dabei zunächst an eine „Wohnungsbauaktie“, die das Grundpfandrecht des Pfandbriefes zu einem Beteiligungsrecht weiterentwickeln sollte.92 Diese Idee war vor allem von der akuten Kapitalmarktkrise der Jahre 1951 und 1952 inspiriert. Nachdem diese aber ohnehin bald überwunden war, wurde sie nicht weiter verfolgt, und zwar auch deshalb, weil das brachliegende Sparpotential in der ersten Hälfte der fünfziger Jahre äußerst gering war.93 In den späten fünfziger Jahren gewann die Idee eines Beteiligungsrechts am Bau von Mietwohnungen aber wieder an Bedeutung. Den Hintergrund hierfür bildete die seit Mitte der fünfziger Jahre zu beobachtende Zunahme der privaten Ersparnisbildung, die sich in einem steilen Anstieg der Sparquote niederschlug.94 Die Bundesregierung unterstützte diesen Trend nach Kräften. Sie zielte im Einklang mit ihren bereits in der Eigenheimdebatte offenbar gewordenen gesellschaftspolitischen Grundsätzen darauf ab, dieses Sparpotential zur Vermögensbildung in breiten Schichten der Bevölkerung zu nutzen. Das tat sie etwa durch das Sparprämiengesetz von 1959 oder durch die in der Öffentlichkeit stark diskutierte Privatisierung von bundeseigenen Unternehmen wie Preussag und VW, deren Anteile 1959

89 Richtlinien für die Durchführung der gewerkschaftlichen Wohnungspolitik, in: Mielke/Rütters/Becker 1991, S. 686–690, hier S. 689. 90 Vgl. Protokoll GBV, 18.4.1955, DGBA-BV, Abt. Vorsitzender, 5/DGAI 372. Erst 1972 wurde dieser Plan mit der Gründung der Volksfürsorge Bausparkasse umgesetzt, vgl. Loesch 1979, S. 253 f. 91 Vgl. Hirche 1966, S. 279 f; Loesch 1979, S. 252 f. und Niedenhoff 1984, S. 172 ff. 92 Vgl. zu diesem Plan Heinrich Plett, Die Anlage von Sparkapital in Wohnungsbau-Aktien, in: NHH 1952(d), S. 207–223; ders., Die Wohnungs-Aktie in der gewerkschaftlichen Wirtschaftspolitik, DGBA-BV, Abt. Wirtschaftspolitik, 24/4805 sowie ders., Möglichkeiten und Grenzen einer Wohnungsbaufinanzierung durch Aktien. Eine Stellungnahme zur Kritik der Wohnungsaktie, GWW 5.1952, S. 605–610. 93 Ähnlich erging es vergleichbaren Plänen, die von verschiedenen Hypothekenbanken ventiliert worden waren. Vgl. dazu Bellinger 2000, S. 281. 94 Zwischen 1950 und 1960 stieg die Sparquote in der Bundesrepublik von 3,2 auf 8,7%. Vgl. Reinhold Exo, Die Entwicklung der sozialen und ökonomischen Struktur der Ersparnisbildung in der Bundesrepublik Deutschland (Untersuchungen über das Spar-, Giro- und Kreditwesen Bd. 31), Berlin 1967, S. 336.

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bzw. 1961 als „Volksaktien“ ausgegeben wurden. Auch mit dem ersten Vermögensbildungsgesetz setzte sie deutliche Akzente in diese Richtung.95 Vor diesem Hintergrund wurde auch Pletts Idee der Wohnungsbau-Aktie im März 1959 von „Bonner Kreise[n]“96 wieder aufgegriffen. Sie hofften, mit diesem Modell die steigende Sparquote nutzen und so die öffentlichen Haushalte um einen Teil der Subventionen für den Wohnungsbau entlasten zu können. Wesentlich größere Bedeutung als dieser Vorschlag, der schnell wieder in der Versenkung verschwand, erlangte nun aber die Idee des geschlossenen Immobilienfonds. Dabei handelte es sich um einen Investmentfonds, der die von ihm entgegengenommenen Gelder in Grundstücke und Liegenschaften investierte und den Einlegern über die sich hieraus ergebenden Rechte Anteilsscheine ausstellte. „Geschlossen“ war ein solcher Fonds dann, wenn er von vornherein nur eine begrenzte Anzahl von Investoren zuließ und nur eine begrenzte Anzahl von Objekten in das Fondsvermögen aufnahm, um auf diese Weise den Anlegern eine Reihe von steuerlichen Vorteilen zu sichern.97 Geschlossene Immobilienfonds waren in Deutschland bis Mitte der fünfziger Jahre unbekannt gewesen. Das ihnen zugrunde liegende Konzept war allerdings in den vierziger und fünfziger Jahren bereits in der Schweiz, in den USA und in Kanada erprobt worden.98 Nach Deutschland brachte die Immobilienfonds ein Mann, der bei der NH kein Unbekannter war: Wolfgang Essen, der Vermittler der 7cGelder. Seine im April 1957 gegründete „Hansa Sachwert-Anlagen-Gesellschaft mbH“ hatte das Ziel, die steigende Sparfähigkeit der Deutschen mit einer Reihe verschiedener Fonds – Industriefonds, Auslandsfonds etc. – abzuschöpfen, und zu ihrem Programm zählten eben auch Immobilienfonds nach ausländischem Vorbild.99 Essens Idee machte bald Schule: Im Dezember 1958 gründeten die Bayerische Hypotheken- und Wechselbank und die Bayerische Vereinsbank gemeinsam einen Immobilienfonds, der ab Januar 1959 Anteilscheine ausgab, die „einen Miteigentumsanteil an den Aktien der Fonds-Immobilien AG und gleichzeitig (...) dinglich gesicherte Geldwertrechte gegen dieses Eigentum“100 boten. Unter diesem Gesichtspunkt – dem Gesichtspunkt der Eigentumsbildung – waren die Immobilienfonds auch für die Gewerkschaften interessant. Zwar stießen die Vermögensbildungspläne der Bundesregierung bei den Gewerkschaften vor allem in den fünfziger Jahren noch auf ein gemischtes Echo; doch insgesamt standen sie diesen Überlegungen seit Beginn der sechziger Jahre positiv gegenüber und leisteten mit dem 1964 in der Bauindustrie tarifvertraglich festgeschriebenen Investivlohn – dem sogenannten „Leber-Plan“ – einen wesentlichen Beitrag zu ihrer Weiterentwicklung.101 Die renditeorientierten Immobilienfonds lehnten sie zwar ab, weil diese ihre Rendite zu Lasten der Wohnungsmieter erwirtschafteten. 95 Vgl. Yorck Dietrich, Eigentum für jeden. Die vermögenspolitischen Initiativen der CDU und die Gesetzgebung 1950–1961 (Forschungen und Quellen zur Zeitgeschichte Bd. 29), Düsseldorf 1996, S. 321 ff. u. S. 365 ff. 96 IfdW 5.1959,45 (6.3.1959). 97 Vgl. Gabler Wirtschaftslexikon, Wiesbaden 141997, S. 1818. 98 Vgl. IfdW 4.1958,233 (4.12.1958). 99 Vgl. Zur Lage: Immobilien-Fonds in Deutschland, NHM 1957,6, S. 59–60, hier S. 59. 100 IfdW 4.1958,233 (4.12.1958).

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Aber das lieferte der NH nur ein zusätzliches Argument, selbst auf diesem Markt aktiv zu werden: Wenn sie als gemeinnütziges Wohnungsunternehmen einen Immobilienfonds betreute, konnte sie nur die Kostenmiete erheben und dadurch die „Ausbeutung“ der Mieter verhindern.102 Gleichzeitig konnte mit dem Fonds eine breite Eigentumsstreuung erreicht werden und, wenn die Anteilsscheine in kleiner Stückelung verfügbar waren, auch Geringverdiener in den Genuß einer Sachwertsicherung ihrer Anlagen kommen. Plett ging vor diesem Hintergrund bei seinen Anteilseignern – sehr zum Ärger des Haus- und Grundbesitzerverbandes – mit der Parole hausieren, daß es der NH bei ihren Überlegungen darum gehe, „eine Art ‚Hauseigentümer ohne Giftzähne‘ zu schaffen, um für alle Zukunft ein hausbesitzerisches, schrankenloses Gewinnstreben auszuschalten.“103 Das stieß bei den Gewerkschaften auf breiten Zuspruch. Es war allerdings zu einem guten Teil reine Rhetorik. Vietor ließ im Finanzausschuß der Hamburger Tochtergesellschaften keinen Zweifel daran, „daß eine der Hauptbegründungen für die Errichtung der Immobilienfonds auch die Tatsache sei, daß in den Ländern zum Teil schon die Eigenkapitalerfordernisse der gemeinnützigen Wohnungsunternehmen 15% betrage [sic]. (...) Aus diesem Grunde sei die Betreuung von Immobilienfonds sehr wichtig, um dadurch auch das erforderliche Eigenkapital für eigene Mietwohnungen zu verdienen.“104 Und tatsächlich hoffte die Geschäftsführung, damit in etwa den Betrag aufbringen zu können, der ihr fehlte, um ihre Bautätigkeit aufrechtzuerhalten: Sie ging davon aus, „dass es möglich sein wird, jährlich Hausbesitzbriefe für etwa DM 60 bis 80 Mio. abzusetzen.“105 Dennoch: Das Versprechen, „Hauseigentümer ohne Giftzähne“ zu schaffen, erschien den Gewerkschaften attraktiv genug, um ihre Zustimmung zu dem Vorhaben zu erteilen. Allerdings überließen sie die – sehr komplizierten – Details der Fondskonstruktion dem Gutdünken der Geschäftsführung.106 Das war ein Fehler, denn gerade diese Details waren es, an denen sichtbar wurde, daß der Aspekt der Kapitalbeschaffung für die NH eindeutig Vorrang vor dem Aspekt der breiten Eigentumsstreuung hatte. Denn um das ehrgeizige Ziel eines Absatzes von Hausbesitzbriefen im Wert von 60 bis 80 Mio. DM auch nur annähernd erreichen zu können, mußte diese Anlageform attraktiv genug sein, um potentielle Sparer überhaupt anziehen zu können. Und hier lag eines der zentralen Probleme eines Immo101 Vgl. zusammenfassend Dietrich 1996, S. 76 ff. Zur Kritik der Gewerkschaften an der Vermögensbildung durch die Privatisierung bundeseigener Unternehmen in den fünfziger Jahren vgl. Alfons Montag, Das Märchen von der VW-Volksaktie, GMH 9.1957, S. 353–357. Zum „Leber-Plan“ vgl. Georg Leber (Hg.), Vermögensbildung in Arbeitnehmerhand. Ein Programm und sein Echo (Sammlung res novae Bd. 33a-c), 4 Bde., Frankfurt a. M. 1964–1966. 102 Vgl. Der Hausbesitzbrief. Ein Instrument zur Bildung von gemeinwirtschaftlich kontrolliertem Kleineigentum, 29.1.1962, FZH 592–30 V, S. 1. 103 Protokoll AR NHH, 21.4.1961, IGM ZwA 2/17 286, S. 16. Vgl. auch Neue Heimat: Die Bauland-Fresser, SPIEGEL 13.1959,10, S. 26–42, hier S. 38. 104 Protokoll Finanzausschuß Ageka, Gewog 1910 und Neues Heim, 21.2.1962, FZH 592–31 II, S. 9. 105 Der Hausbesitzbrief. Ein Instrument zur Bildung von gemeinwirtschaftlich kontrolliertem Kleineigentum, 29.01.1962, FZH 592–30 V, S. 5. 106 Vgl. Protokoll AR NHH, 4.10.1961, DGBA-BV, Abt. Wirtschaftspolitik, 24/5049, S. 7.

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bilienfonds für eine gemeinnützige Wohnungsbaugesellschaft. Zwar war die Fondsgesellschaft hinsichtlich der Festsetzung der Gewinnausschüttung frei. Allerdings sah die Konstruktion vor, daß sie „durch langfristige Verwaltungs(Pacht-)Verträge mit der Neue Heimat (NH) verbunden werden soll, die die Mietpreisbildung und damit die Ertragshöhe nach dem Kostendeckungsprinzip bestimmt.“107 Da die NH als Betreuungsgesellschaft gemeinnützigkeitsrechtlich gebunden blieb, konnten die Mietpreise nur so berechnet werden, daß sie „dem in der gemeinnützigen Wohnungswirtschaft üblichen Verzinsungsfaktor von 4%“ entsprachen“.108 Und damit konnte auch die Verzinsung des Fonds langfristig nicht über 4% liegen. Gegenüber den Gewerkschaften ließ sich dies zwar argumentativ ausnutzen, um den gemeinnützigen Charakter des Vorhabens herauszustellen; aber für potentielle Anleger war es wenig attraktiv. Plett und Essen versuchten deshalb, den Hausbesitzbrief so zu gestalten, daß den Erwerbern eine Reihe von steuerlichen Vorteilen entstand, die die vergleichsweise geringe Verzinsung wettmachen konnten. In Zusammenarbeit mit der Deutschen Pfandbriefanstalt (Depfa) fanden sie eine Konstruktion, die den Hausbesitzbrief gegenüber den bereits existierenden Immobilienzertifikaten dadurch hervorhob, daß er sämtliche steuerliche Vorteile des Hauseigentums auf sich vereinigen konnte.109 Deren Kern bestand darin, daß Plett und Essen das Grundeigentum ihres Immobilienfonds nicht wie üblich an eine Aktiengesellschaft, sondern an eine Kommanditgesellschaft übertragen wollten. Das war mit einigen Schwierigkeiten verbunden. Erstens konnte eine Kommanditgesellschaft jeweils nur für ein im Voraus bestimmtes Objekt gegründet werden, so daß für jedes Objekt eine eigene Kommanditgesellschaft gegründet werden mußte und die Fonds zweckgebunden waren. Das brachte Nachteile bei der Risikostreuung mit sich und schränkte damit die Handelbarkeit der Anteilsscheine ein. Zweitens warf die Konstruktion rechtliche Probleme auf, weil eine Kommanditgesellschaft eben keine Kapitalgesellschaft war. Als Komplementäre einer Kommanditgesellschaft konnten nur natürliche Personen wirken. Zudem mußte der Kommanditanteil handelsrechtlich gesehen auf die Hausbesitzbrief-Inhaber entfallen, was angesichts der vorgesehenen breiten Streuung völlig unpraktikabel war. Plett und Essen lösten das Problem, indem sie zum einen Geschäftsführer von NH-Tochtergesellschaften als Komplementäre einsetzten und von der persönlichen Haftung freistellten.110 Zum anderen erfanden sie den „Treuhänderkommanditisten“, der die Anteile der Hausbesitzbriefinhaber verwalten sollte, selbst aber keinen Anteil besaß. Dafür war zunächst Essen selbst vorgesehen; schließlich übernahm die Depfa diesen Part.111 Diesen Schwierigkeiten stand allerdings auch ein gewichtiger Vorteil gegenüber, nämlich die mit dieser Konstruktion verbundene Steuerersparnis für den In107 Der Hausbesitzbrief. Ein Instrument zur Bildung von gemeinwirtschaftlich kontrolliertem Kleineigentum, 29.1.1962, FZH 592–30 V, S. 3. 108 Ebd. 109 Vgl. FAZ, 20.3.1962. 110 Vgl. PUA HH, S. 592. 111 Vgl. ebd. sowie Schreiben des Bundesministers für Wohnungswesen an den Bundesminister der Finanzen, 18.4.1963, BAK B 134–8639, Bd. 2, S. 1 f.

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haber eines Hausbesitzbriefes. Eben weil eine KG eine Personen- und keine Kapitalgesellschaft war, unterlagen die Anteile weder der Körperschafts- noch der Gewerbesteuer, so daß die Einkünfte aus der Vermietung dem Inhaber weitgehend ungeschmälert zufließen konnten.112 Auch der Erwerb und Verkauf der Hausbesitzbriefe blieb, anders als bei manchen auf Aktiengesellschaften beruhenden Fonds, steuerfrei, und dies galt auch für Veräußerungsgewinne, die nach dem Ablauf von mindestens zwei Jahren erzielt wurden. Gleichzeitig sicherte diese Konstruktion den Erwerbern die erhöhten Abschreibungsmöglichkeiten des § 7 b, die mit Abstand die wichtigste steuerliche Vergünstigung darstellten.113 Das war allerdings sozialpolitisch problematisch, weil es einseitig diejenigen begünstigte, die eine hohe Steuerlast zu tragen hatten – also die Bezieher hoher Einkommen. In der Steuerersparnis für diese Gruppen, so sah es das Wohnungsbauministerium, würde „mithin der echte Anreiz [des Hausbesitzbriefes] liegen“.114 Die Sachwertsicherung war demgegenüber nur von untergeordneter Bedeutung. In der öffentlichen Diskussion, die kurz nach der ersten Vorstellung dieses Modells entbrannte, wurde stets betont, die gemeinnützigkeitsrechtliche Bindung an die Kostenmieten könne dazu führen, daß sich der Sachwert der mit dem Hausbesitzbrief errichteten Wohnungen und der Handelswert der Hausbesitzbriefe auseinanderentwickelten, weil auch bei einer Steigerung der Sachwerte keine Steigerung der Mieten möglich sei. Obwohl die Hausbesitzbriefe in einer sehr kleinen Stückelung – ab DM 100 pro Anteilsschein – angeboten werden sollten, schlußfolgerte das Wohnungsbauministerium deshalb, „daß dem ‚kleinen Mann‘ die Geldanlage in diesen Papieren nicht empfohlen werden könne“.115 Die Art und Weise, wie sich der Hausbesitzbrief die steuerlichen Abschreibungsmöglichkeiten des § 7 b zunutze machte, entbehrte zudem nicht einer gewissen Ironie. Schließlich durchlief zum gleichen Zeitpunkt, zu dem Plett und Essen ihre Pläne schmiedeten, eine Änderung dieser Regelung die Mühlen der Ministerialbürokratie, die den § 7 b auf den Bau von Eigenheimen beschränken sollte.116 Die Konstruktion des Hausbesitzbriefes umging einerseits diese Neuregelung, weil die Hausbesitzbriefe steuerlich als Eigentum galten, führte aber andererseits nicht gerade zu dem, was sich Wohnungsbauminister Lücke unter gesellschaftspolitisch relevanter Eigentumsbildung vorstellte. Schließlich erwarben die Zertifikatsinhaber zwar Bruchteilseigentum, aber die mit ihrem Geld zu erbauenden Wohnungen waren allesamt Mietwohnungen. Weil die Maßnahmen deshalb „der vorrangigen wohnungspolitischen Zielsetzung der Bundesregierung (Schaffung von Kleineigentum) nicht dienen, vielleicht sogar Kapitalmittel in den Mietwohnungsbau umleiten“117 konnten, verhielt sich das Wohnungsbauministerium gegenüber dem Vorhaben von NH und Depfa zu112 Vgl. ebd. 113 Vgl. Zur Lage: Immobilien-Fonds in Deutschland, NHM 1957,6, S. 59–60, hier S. 59. 114 Vermerk zur Ministerbesprechung mit Herrn Plett, betr. Hausbesitzbriefe, 7.8.1962, BAK B 134–8639, S. 2. 115 Ebd. 116 Vgl. Ausführungen Staatssekretär Ernst, Ministerkonferenz am 27.2.1964, BAK B 134–19259 Bd. 1, S. 5. Ernst bezog sich dabei auf die Fortführung von Maßnahmen, die im Oktober 1962 – also genau zum hier zur Debatte stehenden Zeitpunkt – ergangen waren.

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nächst ablehnend. Hinzu kam, daß die Bundesbank auch konjunkturpolitische Bedenken erhob, weil sie fürchtete, die Hausbesitzbriefe würden zusätzliches Bauvolumen generieren und so weiter preistreibende Effekte auslösen. Zwar hatte die NH zu diesem Zeitpunkt bereits rechtsgültige Verträge mit der Depfa abgeschlossen. Lücke nutzte jedoch seinen Einfluß auf dieses bundeseigene Institut, um die Ausgabe der Hausbesitzbriefe zu verzögern.118 Da zudem einige steuerrechtliche Details der Klärung durch das Ministerium bedurften, hatte er ein zusätzliches Druckmittel in der Hand.119 Vorläufig unterließ er eine Beseitigung der steuerrechtlichen Unklarheiten. Der Hausbesitzbrief war damit zwar nicht tot, aber doch zunächst auf die lange Bank geschoben. Erst Anfang 1965, unter weitgehend veränderten Rahmenbedingungen, konnte er auf den Markt gebracht werden. Zur unmittelbaren Auslastung des Apparates der NH – das Ziel, das die Überlegungen zum Hausbesitzbrief erst in Gang gesetzt hatte –, trug er deshalb zu Beginn der sechziger Jahre noch nichts bei. 4.1.1.4 Der Einstieg in den Auslandswohnungsbau Auf einem anderen Weg zu diesem Ziel war die Geschäftsführung zu diesem Zeitpunkt bereits weiter vorangeschritten. Mit der Gründung der NEUE HEIMAT INTERNATIONAL (NHI) im November 1962 vollzog sie den Einstieg in den Auslandswohnungsbau. Dieser Schritt galt in der Rückschau seit den siebziger Jahren als Fanal der „expansionistischen Gelüste“120 der Unternehmensgruppe und als die entscheidende Zäsur, mit der sich die NH von der Tradition des Arbeiterwohnungsbaus abwandte. Diese Sichtweise war allerdings in erster Linie den späteren Auswirkungen des internationalen Geschäftes geschuldet. Mit seiner Entstehungsgeschichte hatte sie dagegen nur wenig zu tun. Denn diese war einerseits von den Bestrebungen Pletts gekennzeichnet, die Auslastung der Unternehmensgruppe zu sichern, und war andererseits in ihrem Verlauf fest in die Tradition des gewerkschaftlichen Internationalismus eingebunden. Es ist allerdings richtig, daß die Geschäftsführung im Verlauf der Diskussion über einen Einstieg in den Auslandswohnungsbau eine Argumentation verfolgte, die erstmals eine gegenüber den bedarfswirtschaftlich geprägten Konzepten der fünfziger Jahre veränderte Haltung zur marktwirtschaftlichen Ordnung signalisierte. Den Hintergrund für diese Überlegungen bildete die Unterzeichnung der Römischen Verträge im März 1957, die ein knappes Jahr später in die Gründung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft mündete.121 Dieser Schritt wurde von Plett ausdrücklich begrüßt. Denn er vertrat die Auffassung, „daß das sozialpolitische 117 Vermerk zur Ministerbesprechung mit Herrn Plett, betr. Hausbesitzbriefe, 7.8.1962, BAK B 134–8639, S. 2 f. 118 Vgl. Protokoll AR NHH, 14.12.1962, IGM ZwA 2/17 286, S. 8. 119 Vgl. Vermerk zur Ministerbesprechung mit Herrn Plett, betr. Hausbesitzbriefe, 7.8.1962, BAK B 134–8639, S. 3 und PUA HH, S. 591. 120 Fuhrich 1983, S. 120 (im Original Plural: „expansionistischen Gelüsten“). 121 Vgl. Franz Knipping, Rom, 25. März 1957. Die Einigung Europas, München 2004, S. 98 ff.

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Grundproblem der europäischen Volkwirtschaft die Steigerung der Realeinkommen sei“.122 Als Vorbild zur Lösung dieses Problems dienten ihm die USA, deren höheres Einkommensniveau seiner Meinung nach in der dortigen „Großraumwirtschaft“123 begründet lag. Deshalb verlangte Plett konkrete Schritte zur Schaffung ähnlicher Rahmenbedingungen in Europa und argumentierte, man solle „jetzt schon beginnen, auch den Wohnungsbaumarkt mit seiner Schlüsselstellung für die gesamte Bauwirtschaft und einige Nebenmärkte – vor allem den Kapitalmarkt – im europäischen Großraum zu integrieren.“124 Für diese Forderung hatte Plett neben grundsätzlichen Erwägungen auch einen konkreten Anlaß. Als Vertreter eines besonders zinsempfindlichen Wirtschaftszweiges war er beständig auf der Suche nach Möglichkeiten zur Beschaffung billiger Kapitalmarktmittel. Dabei kam ihm allerdings regelmäßig die Bundesbank mit ihren stabilitätspolitischen Zielsetzungen in die Quere. Den Hintergrund hierfür bildeten der chronische Überschuß in der Handelsbilanz der Bundesrepublik und die dauerhafte Unterbewertung der DM. Die hieraus resultierenden Devisenüberschüsse zwangen die Bundesbank seit September 1959 zu einer Hochzinspolitik, um eine mögliche Überhitzung der Wirtschaft abzuwenden.125 Das wirkte sich negativ auf die Finanzierungsbedingungen im Wohnungsbau aus. Im November 1960 schlug Plett daher öffentlich vor, den Kapitalmarkt durch Kapitalexporte zu entlasten. Er wollte also die Ursachen der Hochzinspolitik dadurch beseitigen, „dass die Devisenbestände wieder gegen D-Mark umgetauscht und dann im Ausland angelegt werden.“126 Hierfür empfahl sich aus seiner Sicht der Wohnungsbau im europäischen Ausland. „Die Vorzüge“, so argumentierte einer seiner Mitarbeiter, „liegen dabei auf der Hand: Das Erzeugnis ‚Wohnung‘ braucht relativ viel Geld; es fließen kaum Devisenbeträge nach Deutschland zurück, da (...) die heimische Bauindustrie diese Wohnungen erstellen soll und schließlich ein solcher Kapitalexport weitaus elastischer zu handhaben ist als etwa eine Manipulierung der Währungsparitäten. Sollten einmal die Exportüberschüsse geringer werden, ist es verhältnismäßig leicht, diese Art der Kapitalausfuhr auch entsprechend wieder einzuschränken.“127

122 Protokoll AR NHH, 21.4.1961, IGM ZwA 2/17 286, S. 17. 123 Ebd. 124 Heinrich Plett, zit. nach Johann W. Werner, Gemeinsamer Markt für den Wohnungsbau. Wohnungsbauaufgaben für Jahrzehnte in den Ländern der EWG, NHM 1961,7, S. 14–17, hier S. 14. 125 Vgl. Manfred Pohl, Das Symbol für Freiheit und Stabilität. Die D-Mark 1948–2001, in: CarlLudwig Holtfrerich/Harold James/Manfred Pohl (Hg.), Requiem auf eine Währung. Die Mark 1873–2001, Stuttgart/München 2001, S. 7–59, hier S. 34 f. sowie Gerold Ambrosius, Intensives Wachstum (1958–1965), in: Hans Pohl (Hg.), Geschichte der deutschen Kreditwirtschaft seit 1945, Frankfurt a. M. 1998, S. 149–202, hier S. 169 f. 126 Streitgespräch in der Reihe „Wirtschaftsgespräche“ des NDR vom 25.11.1960: Kapitalexport zwecks Kapitalzinssenkung = Mietzinssenkung, FZH 592–30 II, S. 1. Vgl. auch Heinrich Plett, Kapitalexport in Form von Wohnungsbau im Ausland, Der langfristige Kredit 12.1961, S. 159–160 sowie Scheiner/Schmidt 1974, S. 165. 127 Ulrich Meins, Wohnungsbau und Kapitalexport. Ein aktueller konjunkturpolitischer Beitrag, NHM 1961,1, S. 22–24, hier S. 24.

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Die Überlegungen, die dieser Forderung zugrunde lagen, gingen im Grunde genommen von einer vollständigen Akzeptanz der marktwirtschaftlichen Ordnung aus. Denn sie zielten nicht darauf ab, deren Funktionsweise zu verändern, sondern darauf, sie durch eine Forcierung der Marktintegration zu verbessern. Damit einher ging auch der Gedanke, daß sich die sozialpolitischen Ziele der Gewerkschaften durch wirtschaftliches Wachstum im Rahmen einer marktwirtschaftlichen Ordnung besser erreichen lassen würden als durch die Abschirmung der Arbeitnehmer von dieser Ordnung. Diese Auffassung, die hier von Plett erstmals unmißverständlich geäußert wurde, sollte in den folgenden Jahren noch für heftige Konflikte sorgen.128 Zunächst blieben solche Auseinandersetzungen allerdings noch aus, denn für den Einstieg der NH in den Auslandswohnungsbau waren Pletts Überlegungen nur von untergeordneter Bedeutung. Abgesehen davon, daß die Tragfähigkeit seiner Vorschläge hinsichtlich des Kapitalexportes in der Fachöffentlichkeit umstritten war, wurden sie mit dem Abbau des Überschusses in der Zahlungsbilanz nach der Aufwertung der DM von 1961 ohnehin weitgehend hinfällig.129 Vor diesem Hintergrund zeigte sich dann, daß seine Vorschläge bei aller marktwirtschaftlichen Rhetorik nicht so sehr auf einen fundamentalen unternehmenspolitischen Kurswechsel abgezielt hatten, sondern in erster Linie darauf, für die NH neue Absatzmärkte zu schaffen und so ihre Auslastung langfristig zu sichern.130 Denn auch nachdem die Rahmenbedingungen für groß angelegte Kapitalexporte weggefallen waren, ließ Plett mit seinen Auslandsplänen nicht locker, ja er formulierte sogar erstmals konkret die Forderung, daß sich die NH selbst im Ausland betätigen solle. „Die ‚Neue Heimat‘ Hamburg“, so argumentierte er 1961 vor dem Aufsichtsrat, „habe aus ihrer Tätigkeit in den letzten 12 Jahren innerhalb der Bundesrepublik außerordentlich große überörtliche Erfahrungen gesammelt. Dadurch dränge sich die Frage auf, ob es im Interesse der Gesellschaft nicht zweckmäßig sei, diese Erfahrungen durch Fortführung der Überörtlichkeit im europäischen Großraum zu nutzen und sich auf Grund dieser Erfahrungen weitere Betätigungsgebiete für die Zeit zu erschließen, in der infolge Beseitigung der hauptsächlichsten Wohnungsfehlbeträge die Bautätigkeit innerhalb der Bundesrepublik absinken wird.“131 Seit Anfang 1961 machte sich die Geschäftsführung auf dieser Grundlage daran, systematisch das europäische Ausland zu erkunden und Kontakte mit potenti128 Vgl. Kapitel 4.3.2.2 dieser Arbeit. 129 Zur Kritik der Fachöffentlichkeit vgl. Streitgespräch in der Reihe „Wirtschaftsgespräche“ des NDR vom 25.11.1960: Kapitalexport zwecks Kapitalzinssenkung = Mietzinssenkung, FZH 592–30 II, bes. S. 4 f. Zur Aufwertung der DM und den Auswirkungen auf die Zahlungsbilanz vgl. Pohl 2001, S. 35 f. sowie Margarete Wagner-Braun, Die Aufwertung der D-Mark im Jahre 1961 – eine kritische Stellungnahme zum Währungssystem von Bretton Woods, in: Rainer Gömmel (Hg.), Weltwirtschaft und Wirtschaftsordnung. Festschrift für Jürgen Schneider zum 65. Geburtstag (VSWG Beiheft 159), Stuttgart 2002, S. 339–356, passim. Zu den Auswirkungen der Veränderungen in der Zahlungsbilanz auf Pletts Vorschläge vgl. Johann Wolfgang Werner, Gemeinsamer Wohnungsbaumarkt in Sicht. NEUE HEIMAT Hamburg prüft Wege und Möglichkeiten des Auslandswohnungsbaus, NHM 1961,8, S. 14–19, hier S. 14. 130 So auch PUA HH, S. 499. 131 Protokoll AA NHH, 16.11.1961, IGM ZwA 2/17 265, S. 10.

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ellen Partnern zu knüpfen. Im November 1961 hatte Plett bereits Verbindung nach Frankreich, Belgien, Griechenland, England, Norwegen und Österreich aufgenommen, allerdings mit unterschiedlichen Ergebnissen.132 Während eine Betätigung in Belgien oder in Griechenland aussichtslos erschien, war in Frankreich bereits ein Kooperationspartner gefunden: die BATICOOP, eine Art Betreuungsgesellschaft für französische Wohnungsbaugenossenschaften. Sie war wie die NH eine Nonprofit-Organisation und hatte seit ihrer Gründung 1952 über die von ihr betreuten Genossenschaften immerhin etwa 40.000 Wohnungen errichtet.133 Mit ihr zusammen wollte die Unternehmensgruppe eine gemeinsame Tochtergesellschaft gründen, „um dann in gemeinsamer französisch-deutscher Zusammenarbeit sozialen Wohnungsbau in Frankreich zu betreiben.“134 Diesem Vorhaben standen die Gewerkschaften allerdings mit einiger Skepsis gegenüber, denn seine sozialpolitische Notwendigkeit leuchtete ihnen nicht ein. Georg Lebers Reaktion auf die Pläne der Geschäftsführung waren bezeichnend: „Was Frankreich betreffe“, erklärte er, „so gebe es seines Wissens dort, unter dem Strich gesehen, mehr Wohnungen als Mieter“135 – es war also nicht recht einzusehen, warum Frankreich ausgerechnet die Hilfe des gerade erst wieder auf die Beine gekommenen Deutschland benötigen würde. „Er glaube (...) nicht,“ führte Leber vor dem Aufsichtsrat aus, „daß die Franzosen den Deutschen eine Mithilfe im Wohnungsbau danken werden, zumal ja Frankreich reicher sei als Deutschland.“136 Lebers kritische Haltung zu einem Engagement in Frankreich bedeutete allerdings noch nicht, daß der Auslandswohnungsbau grundsätzlich gewerkschaftlichen Zielsetzungen widersprach. Schließlich gab es eine lange Tradition des gewerkschaftlichen Internationalismus, in deren Rahmen eine solche Betätigung durchaus sinnvoll erscheinen konnte. Tatsächlich hatte es schon Mitte der fünfziger Jahre bei der Europäischen Regionalorganisation (ERO) des Internationalen Bundes Freier Gewerkschaften (IBFG) regelmäßige Zusammenkünfte von gewerkschaftlichen Wohnungsexperten gegeben, und seit 1956 wurde dort „die Frage erörtert, wie durch gewerkschaftliche Initiative und Solidarität dem Wohnungsbau in den weniger industrialisierten Gebieten Europas geholfen werden könne“.137 Reinhold Tarnow, der die deutschen Gewerkschaften im Wohnungsbauausschuß der ERO/IBFG vertrat, hatte hierfür den Austausch von Studienteams, die gegenseitige finanzielle Hilfe und nicht zuletzt die „technische Mitarbeit bei Wohnungsbauprojekten durch gewerkschaftseigene Wohnungsunternehmen“138 angeregt. Das war allerdings ein Vorhaben, das mit Pletts Überlegungen 132 Vgl. ebd., S. 10 ff. 133 Zur BATICOOP vgl. Michel Anselme, Länderbericht Frankreich. BATICOOP – 40.000 Wohnungen in 10 Jahren, NHM 1962,2, S. 48–58. 134 Protokoll AA NHH, 16.11.1961, IGM ZwA 2/17 265, S. 11. 135 Ebd., S. 13 f. 136 Protokoll AR NHH, 14.12.1962, IGM ZwA 2/17 286, S. 12. 137 Reinhold Tarnow [im Dokument fälschlich: Fritz Tarnow], Tätigkeitsbericht des „ständigen Wohnungsbauausschusses“ der ERO/I.B.F.G, 24.5.1956, DGBA-BV, Abt. Wirtschaftspolitik, 24/5231, S. 4. 138 Ebd.

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zur Bedeutung der marktwirtschaftlichen Ordnung im Rahmen einer europäischen „Großraumwirtschaft“ nichts, aber auch gar nichts zu tun hatte – im Gegenteil: Tarnow begründete die Notwendigkeit zu einer internationalen Zusammenarbeit auf dem Gebiet des Wohnungsbaus gerade damit, daß die Gewerkschaften ein internationales Gegengewicht zur kapitalistischen Ordnung schaffen müßten.139 Zwar befand sich diese antikapitalistische Rhetorik zu Beginn der sechziger Jahre innerhalb des DGB auf einem absteigenden Ast, aber die Idee der internationalen Solidarität, die Tarnows Argumenten zugrunde gelegen hatte, blieb auch in diesem Zeitraum ein wichtiges Element des gewerkschaftlichen Selbstverständnisses. Das zeigte sich besonders deutlich im Rahmen der sich nunmehr in der politischen Öffentlichkeit entspannenden Debatte über die entstehende deutsche Entwicklungshilfepolitik, als deren öffentlichkeitswirksamste Ausprägung wohl die zahlreichen Afrikareisen des 1959 zum Bundespräsidenten gewählten Heinrich Lübke gelten können. Diese Debatte war vor allem aus der Überlegung entstanden, das Modell des rapiden Aufbaus der Bundesrepublik in den fünfziger Jahren lasse sich eins zu eins auf den Rest der Welt übertragen.140 Die Gewerkschaften sahen sich hier gerade aufgrund ihres traditionellen Internationalismus in einer Führungsrolle. Das führte dazu, daß einige Gewerkschaftsvertreter ungeachtet der marktwirtschaftlichen Begleittöne und trotz ihrer kritischen Haltung zu einer Expansion in die europäischen Nachbarländer geradezu enthusiastisch reagierten, als Plett seine Gedanken über eine Ausdehnung der Bautätigkeit der NH ins Ausland präsentierte.141 Denn sie sahen hierin eine Chance, das besondere Engagement der Gewerkschaften in der Entwicklungshilfe unter Beweis zu stellen. Während etwa Georg Leber, wie geschildert, eine Tätigkeit der NH in Frankreich ablehnte, stand er Projekten in Drittweltländern offen gegenüber, ja er drängte die Geschäftsführung sogar dazu, solche Aufgaben zu übernehmen. „Das politische Interesse für den Deutschen Gewerkschaftsbund“, so argumentierte er, „müsse bei einer Bautätigkeit im Ausland dort liegen, wo wirklich eine Hilfe notwendig und erbeten sei wie beispielsweise in Tanganjika. (...) In diesen echten Entwicklungsländern könne man mit wenig Einsatz große Hilfe leisten.“142 Im Kontext der zeitgenössischen Debatten über die Entwicklungshilfe war dieser Gedankengang alles andere als abwegig. Denn die NH hatte als eine der wenigen gewerkschaftlichen Organisationen ausreichende Ressourcen, um in größerem Umfang im Ausland agieren zu können. Zudem war sie auf einem Gebiet 139 Vgl. ebd., S. 2 f. 140 Vgl. Freimut Duve, Die Entwicklungspolitik der Bundesrepublik Deutschland – ein historischer Rückblick, in: Gerhard Leminsky/Bernd Otto (Hg.), Gewerkschaften und Entwicklungspolitik, Köln 1975, S. 57–66, hier S. 60 und Bastian Hein, Die Westdeutschen und die Dritte Welt. Entwicklungspolitik und Entwicklungsdienste zwischen Reform und Revolte 1959– 1974 (Quellen und Darstellungen zur Zeitgeschichte Bd. 65), München 2006, hier v. a. 39 f. 141 Vgl. Protokoll AR NHH, 21.4.1961, IGM ZwA 2/17 286, S. 18. Zum Kontext der gewerkschaftlichen Entwicklungspolitik in diesem Zeitraum vgl. Ludwig Rosenberg, Wie helfen wir den Entwicklungsländern?, GMH 11.1960, S. 449–454 sowie Bernd Otto, Die Rolle des Deutschen Gewerkschaftsbundes in der Entwicklungspolitik, in: Leminsky/Otto 1975, S. 69– 85, hier S. 69 ff. 142 Protokoll AR NHH, 14.12.1962, IGM ZwA 2/17 286, S. 12 f.

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tätig, das nicht nur vom DGB, sondern auch von anderen Institutionen als ein mögliches Schlüsselfeld der deutschen Entwicklungshilfepolitik identifiziert worden war. So setzten sich auch das Wohnungsbauministerium und der GGW seit Anfang der sechziger Jahre für ein Engagement gemeinnütziger Wohnungsbaugesellschaften in der Entwicklungshilfe ein, und die Stadt Hamburg hatte zu diesem Zeitpunkt bereits eines ihrer Unternehmen mit einer solchen Aufgabe betraut.143 Hinzu kam noch, daß die Unternehmensgruppe durch ihre international beachteten Projekte zum Teil auch in potentiellen Empfängerländern für Aufsehen gesorgt hatte. Nichts zeigt dies besser als der Brief, den der Bremer Senatspräsident Wilhelm Kaisen im November 1961 an die Geschäftsführung richtete und der den Ausgangspunkt für das erste konkrete Auslandsprojekt der NH bildete. Kaisen berichtete, daß wiederholt Diplomaten und Politiker aus Ceylon – dem heutigen Sri Lanka – „Bremen besucht und bei dieser Gelegenheit auch die Neue Vahr besichtigt“ hätten. Die ceylonesischen Vertreter seien, so Kaisen weiter, von dieser Aufbauleistung beeindruckt gewesen und hätten gebeten, sie bei der Durchführung ähnlicher Projekte in ihrem Lande zu beraten und in wirtschaftlicher und technischer Hinsicht zu unterstützen. Er würde es, so schloß er seinen Brief, „begrüssen, wenn die Gewoba oder die Unternehmensgruppe Neue Heimat die Bestrebungen Ceylons unterstützen würde, da die gewerkschaftseigenen Wohnungsunternehmen auf Grund ihrer Leistungen im sozialen Wohnungsbau die Garantie für eine durchgreifende Linderung des Wohnungselends in den Entwicklungsländern geben.“144 Bei den Gewerkschaften stieß dieser Brief auf ein lebhaftes Echo. Auch Plett sah in Kaisens Anfrage eine Chance, seinem Ziel der Auslastung des Apparates der NH näherzukommen. Er ließ sich deshalb nicht zweimal bitten und nahm sofort die Verhandlungen auf. Im März 1962 konnte er dem Aufsichtsrat berichten, daß die Unternehmensgruppe für die Stadt Colombo gemeinsam mit den dortigen Behörden die Errichtung von 3.000 und für das Land Ceylon den Bau von weiteren drei- bis viertausend Wohnungen projektierte.145 Dieses Vorhaben sollte fest in einen gewerkschaftlichen Kontext eingebunden werden: Mit der Durchführung wollte die Unternehmensgruppe die Deutsche Bauhütten GmbH, die sich in gewerkschaftlichem Eigentum befand, beauftragen; und diese sollte „in Ceylon mit den wichtigsten Gewerkschaften zusammenarbeiten, (...) die eine Tätigkeit der ‚Neue Heimat‘ in Ceylon sehr begrüssen und sogar darum bitten.“146 Was die von der NH selbst zu erbringenden Dienstleistungen betraf, so hatte die Geschäftsführung zunächst daran gedacht, sich – wie das auch für Frankreich geplant war – unmittelbar an einer mit einem einheimischen Partner im Ausland zu gründenden Gesellschaft zu beteiligen. Diesen Plan gab sie allerdings bald wieder auf, weil das Risiko für ein solches Vorhaben in Ceylon das Risiko der europäischen Projekte bei weitem übertraf. Statt dessen plante sie schließlich eine „rei143 Vgl. Vorlage für den Bundesvorstand, betr. Bauvorhaben der ‚Neue Heimat‘ in Ceylon, 2.4.1962, DGBA-BV, Abt. Vorsitzender, 5/DGAI 449, S. 2. 144 Vgl. Schreiben Kaisens an den Vorstand der NHH, 1.11.1961, IGM ZwA 2/17 288. 145 Vgl. Protokoll AR NHH, 23.3.1962, IGM ZwA 2/17 286, S. 7. 146 Vorlage für den Bundesvorstand, betr. Bauvorhaben der ‚Neue Heimat‘ in Ceylon, 2.4.1962, DGBA-BV, Abt. Vorsitzender, 5/DGAI 449, S. 1 f.

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ne Betreuungsmaßnahme“, bei der „die Wohnungen im Namen und für Rechnung der Stadt bzw. des Landes erstellt werden sollen. Die ‚Neue Heimat‘ solle die entsprechende Organisation aufbauen und insbesondere durch deutsche Bauunternehmen die am Bau beschäftigten Ceylonesen schulen.“147 Damit konnte die NH ihren Beitrag aus Betreuungsgebühren finanzieren, während das finanzielle Risiko auf diese Weise sowie durch eine Hermes-Bürgschaft auf einen Betrag von 200– 300.000 DM beschränkt werden sollte.148 Allerdings warf eine solche Betreuungstätigkeit im Ausland ein gemeinnützigkeitsrechtliches Problem auf: Im WGG war sie nicht vorgesehen. Möglich war sie aber durchaus, denn die Durchführungsverordnung zum Wohnungsgemeinnützigkeitsgesetz wies eine Lücke auf. Sie sah vor, daß die Gemeinnützigen unter bestimmten Umständen durch die zuständige Anerkennungsbehörde – das war in diesem Fall das Amt für Wohnungswesen (AfW), eine Untergliederung der hamburgischen Baubehörde – ihrer gemeinnützigkeitsrechtlichen Verpflichtungen punktuell enthoben werden konnten.149 Das beinhaltete auch die Möglichkeit, die Beteiligung gemeinnütziger Wohnungsunternehmen an anderen, nicht-gemeinnützigen Unternehmen zu genehmigen. Diese Möglichkeit wollte sich die NH nun zunutze machen. Im März 1962 beantragte sie deshalb beim AfW die Zustimmung zur Gründung der NHI – einer Tochtergesellschaft, die sich dem Auslandsgeschäft widmen sollte.150 Die gemeinnützigkeitsrechtliche Beurteilung dieses Vorhabens durch das AfW und die Oberfinanzdirektion fiel einhellig positiv aus. Lediglich die angestrebte Kapitalausstattung des neuen Unternehmens in Höhe von 10 Mio. DM hielt die Baubehörde angesichts des geringen Stammkapitals der Muttergesellschaft für zu hoch. Als sich die NH daraufhin mit einer Erstausstattung der Gesellschaft von einer Mio. DM zufrieden gab, stand der Erteilung einer Ausnahmegenehmigung nichts mehr im Wege.151 Zwar hatte die NH zu diesem Zweck auch ihre politischen Beziehungen zum Hamburgischen Senat spielen lassen; doch das änderte nichts daran, daß die Vorgehensweise des AfW rechtlich nicht zu beanstanden war. Die Zulässigkeit einer solchen Betätigung lag im Ermessen der Behörden, und da eine als Entwicklungshilfe begründete Tätigkeit im Auslandswohnungsbau angesichts des politischen Kontextes plausibel erschien, konnte keine Rede davon sein, daß die Unternehmensgruppe hier die Grenzen des gemeinnützigen Wohnungsbaus gesprengt hatte.152 Der Gründung der NHI standen deshalb im November 1962 keine Hindernisse mehr entgegen, zumal auch der DGB-Bundesvorstand sein Placet gegeben hatte.153 Allerdings erstreckte sich die Zustimmung der Gewerkschaften nur auf den Wohnungsbau in Entwicklungsländern. Hinsichtlich der von Plett ins Auge gefaßten europäischen Engagements stellten sie sich auch weiterhin quer. Im Falle Frank147 148 149 150 151 152 153

Protokoll AR NHH, 23.3.1962, IGM ZwA 2/17 286, S. 7. Vgl. ebd. Vgl. dazu ausführlich PUA HH, S. 476 ff. Vgl. Protokoll AR NHH, 23.3.1962, IGM ZwA 2/17 286, S. 7 f. Zu dem Vorgang vgl. PUA HH, S. 499 f. Vgl. ebd., S. 503. Vgl. Protokoll GBV, 2.4.1962, DGBA-BV, Abt. Vorsitzender, 5/DGAI 377, S. 6.

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reichs etwa hatten sie nach direkten Kontakten mit der Gewerkschaft Force Ouvrière den Eindruck gewonnen, daß die Hilfe der NH dort nicht wirklich erwünscht sei, und beauftragten deshalb die Geschäftsführung, sich aus den dortigen Verhandlungen zurückzuziehen. Zwar gelang es Plett mit dem Hinweis darauf, „daß die Absprachen mit den französischen Stellen so weit vorangeschritten seien, daß es sich, ohne einen Prestigeverlust in Frankreich zu erleiden, nicht ermöglichen lasse, sich aus der beabsichtigten Gründung dieser Studiengesellschaft herauszuziehen“,154 zumindest ein versuchsweises Engagement in einem französischen Projekt durchzusetzen. An der im Juni 1963 zusammen mit der BATICOOP und der Banque Commerciale de Paris gegründeten Société de Construction Franco-Alemande (SOCOFA), die ein Wohnungsbauprogramm von 100–150 Einheiten erstellen sollte, beteiligte sich die NHI deshalb mit 50%.155 Aber mit solchen Minimalprogrammen konnte sich der Wohnungsbau im europäischen Ausland nicht in der Form, in der Plett das ursprünglich geplant hatte, als Königsweg zur Auslastung des betrieblichen Apparates der Unternehmensgruppe etablieren. Auch in der Entwicklungshilfe war allerdings, wie sich bald nach der Gründung der NHI herausstellte, nicht viel zu holen. Denn das Projekt in Ceylon zerschlug sich innerhalb weniger Monate. Wegen der rapiden Verschlechterung der Devisenlage des Landes konnte sich die ceylonesische Regierung zunächst nicht zu einer Annahme des NH-Angebotes durchringen und entschied sich schließlich Mitte 1963 für eine weltweite Neuausschreibung des Projektes. Die Geschäftsführung der NH ahnte wohl, daß das Vorhaben damit in weite Ferne gerückt war; jedenfalls beschloß sie, „die Angelegenheit Ceylon weiter zu beobachten, neue Preise auf Anfrage abzugeben, um das Gesicht zu wahren, sich aber nicht nach dem Auftrag zu drängen.“156 Im Oktober 1963 wurde die Ausschreibungsfrist bis Ende 1965 verlängert. Aus „politischen Gründen“157 entschied sich die NH dann im Sommer 1964, an dieser Ausschreibung nicht mehr teilzunehmen. Diese „politischen Gründe“ wurden zwar nicht näher erläutert; es dürfte sich dabei aber um die Beteiligung der trotzkistischen LSSP an der Regierung Bandaranaike gehandelt haben, die diese wegen der sich zuspitzenden Wirtschaftskrise im Juni 1964 eingegangen war.158 Schließlich hatte die Geschäftsführung schon vor Aufnahme der Verhandlungen in voller Übereinstimmung mit den Gewerkschaften erklärt, daß sie eine Zusammenarbeit mit den in Ceylon aktiven kommunistischen Gewerkschaften ablehne.159 Das war eine kostspielige Grundsatzentscheidung, denn das Projekt hatte Anlaufkosten in Höhe einer guten dreiviertel Million DM verursacht.

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Protokoll AR NHH, 6.3.1963, IGM ZwA 2/17 286, S. 22. Vgl. GB NHH 1962, S. 22 und Protokoll AR NHH, 8.10.1963, IGM ZwA 2/17 286, S. 7. Vgl. Protokoll AA NHH, 24.5.1963, IGM ZwA 2/17 265, S. 5. Schreiben Albert Vietors an Otto Brenner, betr. Kosten der Auslandstätigkeit 1961–1963, 2.7.1964, IGM ZwA 2/17 288, S. 2. Vgl. auch Protokoll AR NHH, 8.4.1964, IGM ZwA 2/17 286, S. 14. 158 Vgl. Kingsley M. de Silva, A History of Sri Lanka, London/Berkeley/Los Angeles 1981, S. 526. 159 Vgl. Vorlage für den Bundesvorstand, betr.: Bauvorhaben der ‚Neue Heimat‘ in Ceylon, 2.4.1962, DGBA-BV, Abt. Vorsitzender, 5/DGAI 449, S. 1.

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Die NH hatte sich also bei dem ursprünglich nur auf etwa ein Drittel dieser Summe veranschlagten Risiko kräftig verschätzt.160 Andere außereuropäische Bauvorhaben ging die NH nach diesem Fehlschlag nur mit äußerster Vorsicht an. Zwar wurde sie von gewerkschaftlicher Seite gedrängt, weitere Projekte zu übernehmen, und knüpfte deshalb seit 1963 Kontakte nach Kenia, Mexiko, Algerien, an die Elfenbeinküste, nach Ghana, in den Libanon und nach Israel.161 Aber schon im März 1963 hatte Vietor „als obersten Grundsatz“ für die weitere Tätigkeit im außereuropäischen Ausland die Parole ausgegeben, „die Organisation der ‚Neue Heimat International‘ als Ausgangsposition für eine Auslandsbautätigkeit sehr sorgfältig und keineswegs überstürzt aufzubauen“.162 Und so arbeitete die NH zwar Ende 1964 an insgesamt 13 Auslandsprojekten; aber einzig die Kooperation mit der französischen BATICOOP war zu diesem Zeitpunkt bereits über das Stadium unverbindlicher Verhandlungen hinausgekommen.163 Wenig später kam zwar noch eine Beteiligung an der italienischen CA NOVA sowie an der israelischen Morash Ltd. zustande, doch auch diese Unternehmungen standen unter keinem guten Stern. Die israelische Gesellschaft führte immerhin ein größeres Projekt mit etwa 800 Eigentumswohnungen durch. Bei der italienischen Beteiligung, die auf Betreiben der italienischen Gewerkschaften zustande gekommen war – diesem Wunsch konnten sich die deutschen Kollegen bei aller Skepsis gegenüber den europäischen Engagements nicht verschließen –, verhinderte die schlechte Lage auf dem dortigen Wohnungsmarkt aber auf Jahre hinaus den Baubeginn eines ersten, auf 300 Wohneinheiten angelegten Projektes – von weitergehenden Bauvorhaben ganz zu schweigen.164 Insgesamt blieb die NHI deshalb auf Jahre hinaus ein Zuschußgeschäft. Davon, daß sie der Unternehmensgruppe ihre personelle Auslastung sicherte, konnte zu keinem Zeitpunkt die Rede sein: Ende 1962 arbeiteten für die NHI ganze sieben Angestellte; Betreuungsleistungen der Unternehmensgruppe, die der Tochtergesellschaft hätten in Rechnung gestellt werden können, gab es keine.165 Bis weit über die Mitte der sechziger Jahre hinaus blieb die NHI deshalb eines der Sorgenkinder des Vorstandes. 1966 stellte Vietor fest, daß ihre Tätigkeit „mit nachhaltigen Schwierigkeiten verbunden sei“;166 und noch 1967 erwirtschaftete die Gesellschaft Verluste in Höhe von 400.000 DM.167 160 Vgl. Schreiben Albert Vietors an Otto Brenner, betr. Kosten der Auslandstätigkeit 1961– 1963, 2.7.1964, IGM ZwA 2/17 288, S. 1. 161 Vgl. Protokoll AR NHH, 6.3.1963, IGM ZwA 2/17 286, S. 9. 162 Ebd. 163 Vgl. Scheiner/Schmidt 1974, S. 166. 164 Vgl. Protokoll AA NHH, 8.10.1963, IGM ZwA 2/17 265, S. 6; Bericht über die Auslandstätigkeit der NHI und NHIC, Vorlage zu TOP 1.6 AR NHS, 13.7.1973, StA HH, 622–2 Cordua 12; GB NHH 1965, S. 38; GB NHH 1966, S. 48; Herbert Weisskamp, Neue Heimat International: In vier Kontinenten tätig, NHM 1970,1, S. 63–70, hier S. 68 sowie Protokoll AR NHH, 14.1.1966, IGM ZwA 2/17 286, S. 20 f. 165 Vgl. Protokoll AR NHH, 14.12.1962, IGM ZwA 2/17 286, S. 14. 166 Protokoll AR NHH, 14.1.1966, IGM ZwA 2/17 286, S. 20. 167 Vgl. Protokoll AA NHH, 28.11.1968, DGBA-BV, Abt. Finanzen, 24/449, S. 6. Anders PUA HH, S. 500, wo für 1967 von einem Gewinn in Höhe von 20.000 DM die Rede ist.

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Der Versuch Pletts, auf dem Weg über den Auslandswohnungsbau die Neubautätigkeit der Unternehmensgruppe aufrechtzuerhalten, war also gescheitert. Auch seine übrigen Experimente in dieser Richtung verfingen zunächst nicht. Der Hausbesitzbrief und damit die Möglichkeit einer Betreuung von Immobilienfonds lag auf Eis; das Eigenheimsonderprogramm, das 1957 mit 7c-Mitteln ins Leben gerufen worden war, lief Ende 1962 aus und erfuhr aufgrund der Abschaffung des § 7 c 1961 keine Neuauflage; und der Anteil der Betreuungsmaßnahmen an den Gesamtfertigstellungen dümpelte auf niedrigem Niveau vor sich hin, während die Eigenkapitalerfordernisse der Länder weiter anstiegen. Kurzum: Die Zeit der großen „Heldentaten“ auf dem Gebiet des Wohnungsbaus schien sich dem Ende entgegenzuneigen. Zwischen etwa 1960 und 1963 stagnierte die NH. Vor allem die Zahl der Fertigstellungen drohte dauerhaft abzusacken. Hatte sie mit 19.600 Wohnungen 1960 noch einen Spitzenwert erreicht, so stieg sie im folgenden Jahr nicht mehr weiter an und sank dann 1962 auf 16.800 und 1963 sogar nur mehr 13.900 Einheiten.168 Pletts Prognosen schienen also zuzutreffen. Zwar war das, wie sich später herausstellen sollte, zum Teil nur ein konjunktureller Effekt, aber die Perspektiven für eine dauerhafte und durchgreifende Verbesserung der Lage erschienen den Zeitgenossen für einige Jahre sehr viel schlechter, als das angesichts der späteren Entwicklung zu vermuten stünde. 4.1.2 Die Konsolidierung des Großkonzerns 4.1.2.1 Organisatorische Straffung Diese trüben Aussichten konnten angesichts des mangelhaften Erfolgs von Pletts Versuchen zur Aufrechterhaltung der Neubautätigkeit nicht ohne Konsequenzen für die Unternehmensorganisation bleiben. Das „gegenüber den letzten Jahren verringerte Bauvolumen“, so faßte Vietor 1961 die Anforderungen, denen sich die Wohnungswirtschaft und damit auch die NH nunmehr gegenüber sah, zusammen, „werde naturgemäß Konsequenzen für die einzelnen Unternehmen haben. In der Uebergangszeit [sic] müsse sich die Wohnungswirtschaft (...) auf einen immer stärker werdenden Konkurrenzkampf am Wohnungsbaumarkt, unter anderem durch äußerste Rationalisierung der Betriebe, durch Betriebsvergleiche, durch Marktanalysen und durch Marktforschung vorbereiten“.169 Tatsächlich hatten er und Plett zu diesem Zeitpunkt bereits eine Reihe von Überlegungen angestellt, wie sich diese Zielsetzung bei der NH am besten verwirklichen ließe. Im Vordergrund stand für sie dabei eine Konsolidierung des Systems von Kopfstellen- und Tochtergesellschaften. Dieses war zwar mittlerweile (mit der Ausnahme Hessens) annähernd vollständig umgesetzt worden, aber durch die weitgehende Eigenständigkeit, die die Kopfstellengesellschaften im operativen Bereich nach wie vor besaßen, wies ihre betriebswirtschaftliche Entwicklung zum 168 Vgl. Anhang, Tabelle 1. 169 Vortrag Vietors auf der Jahrestagung des Verbandes Norddeutscher Wohnungsunternehmen, zit. nach FAZ, 6.9.1961.

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Teil riesige Unterschiede auf. Während etwa die Kopfstelle Bremen-Niedersachsen unter der Führung der Gewoba 1959 mit einem Verwaltungskostenaufwand von 3,1 Mio. DM knapp 4.600 Wohnungen errichtete und weitere 25.000 Wohnungen verwaltete, benötigte die Kopfstelle Nordrhein-Westfalen im selben Jahr knapp 4,4 Mio. DM, um etwa 3.850 Wohnungen zu bauen und 21.000 Wohnungen zu betreuen.170 Ihre Produktivität erreichte damit nicht einmal 60% des unternehmensinternen Konkurrenten. Auch wenn angesichts der jeweiligen örtlichen Umstände nicht zu erwarten war, daß jede Gesellschaft ein Ergebnis wie das der Bremer Gewoba abliefern konnte, verbarg sich hier doch offensichtlich ein erhebliches Rationalisierungspotential. Dieses Potential wollte Plett nutzen. Dabei vertrat er die Auffassung, daß dies nur durch eine stärkere zentrale Steuerung geschehen könne und verlangte demzufolge, „daß die Geschäftsführung im Interesse der Gesamtorganisation die Aufsicht über die auswärtigen der Unternehmensgruppe angeschlossenen Gesellschaften wesentlich verstärken müsse.“171 Dem stand allerdings ein Problem im Wege, das in der Organisation der Hamburger Gesellschaften begründet lag. Die Hamburger Gesellschaften waren, den in der Umsetzung befindlichen Sonderfall Hessen einmal ausgenommen, die einzigen, die nicht in das dreistufige Organisationsmodell Muttergesellschaft – Regionalgesellschaft – Tochtergesellschaft hineinpaßten. Hier hatte nämlich die NHH, also die Muttergesellschaft des Gesamtkonzerns, nach wie vor auch die Funktion der Regionalgesellschaft inne.172 Das bedeutete in der Praxis, daß die Geschäftsführung der NHH sowohl die überregionalen Aufgaben der Muttergesellschaft als auch die Aufgaben der Regionalgesellschaft wahrnehmen mußte. Mit der nun nötigen Intensivierung der Aufsicht war dies nicht zu vereinbaren. Denn diese sollte sich nach Pletts Vorstellungen in einer verstärkten Präsenz der Hamburger Geschäftsführung in den regionalen Aufsichtsräten sowie in ihrer gezielten Einflußnahme auf das operative Geschäft niederschlagen – etwa dadurch, daß die Weitergabe von Kapitalmarktmitteln oder von Betreuungsleistungen an die Regionalgesellschaften an Bedingungen geknüpft werden sollten. Beides sei aber, so argumentierte Plett, „nur möglich, wenn die Geschäftsführung von der ihr (...) obliegenden Routinearbeit für die Hamburger Gesellschaften wesentlich entlastet werde.“173 Allerdings: Eine Kopfstellenbildung nach dem Muster der übrigen Regionalgesellschaften kam für Hamburg nicht in Frage. Der Grund dafür war, daß sowohl der Aufsichtsrat als auch die Geschäftsführung die Entwicklung der NHH zu einer bloßen Holding-Gesellschaft unter allen Umständen vermeiden wollten, mit zwei Argumenten: Zum einen befürchtete die Geschäftsführung, sich wirtschaftlich zu sehr von den Regionalgesellschaften abhängig zu machen. Eine Gesellschaft, „die in Krisenjahren Kostgänger der anderen Gesellschaften werden muß“, kam für sie 170 Vgl. Daten über die Entwicklung der Kopfstellen in der Zeit von 1959 bis 1961, 28.6.1962, DGBA-BV, Abt. Vorsitzender, 5/DGAI 1905 sowie Voraussichtliche Verwaltungskosten 1959 und ihre Deckung, 16.12.1959, DGBA-BV, Abt. Vorsitzender, 5/DGAI 1905. 171 Protokoll AR Ageka, Gewog 1910 und Neues Heim, 14.12.1959, FZH 592–31 I, S. 3. 172 Vgl. GB NHH 1959, S. 44. 173 Protokoll AR Ageka, Gewog 1910 und Neues Heim, 14.12.1959, FZH 592–31 I, S. 3.

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nicht in Frage, denn so würden ihrer Meinung nach „die Fehler [von] vor 1933 wiederholt.“.174 Im Klartext: Die Geschäftsführung betrachtete diese Organisationsform als einen der Hauptgründe dafür, daß die Dewog vor 1933 wirtschaftlich gescheitert war. Auch in der Entwicklung der GAGFAH, die 1930 ihre 26 Gesellschaften zusammengelegt und daraufhin ein ähnliches Desaster wie die Dewog erlitten hatte, glaubte sie, ein abschreckendes Beispiel zu erkennen.175 Das zweite Argument war, daß die Geschäftsführung die fachliche Betreuung als eines der wesentlichen Elemente des Unternehmensverbundes ansah. Und hier vertrat sie die Auffassung, daß diese nicht mehr gewährleistet sei, wenn sie selbst nicht mehr unmittelbar in die Abwicklung des Wohnungsbaus involviert wäre. Vielmehr sollten die Geschäftsführer der NHH „durch ihre gleichzeitige Tätigkeit als Geschäftsführer der Hamburger Töchter in der Baupraxis bleiben, um nicht sonst eines Tages bei den auswärtigen Gesellschaften Entscheidungen vom grünen Tisch treffen zu müssen, wenn ihnen die Praxis wesensfremd geworden sein sollte“176 (die Tatsache, daß die NHH ihre nach dem WGG zu erfüllende Baupflicht einhalten mußte, spielte bei diesen Erwägungen keine Rolle; wie sich später zeigen sollte, konnte dieser Verpflichtung bereits durch eine minimale Bautätigkeit, die kaum Unternehmensressourcen in Anspruch nahm, Genüge geleistet werden). Bei den Gewerkschaften stieß diese Argumentation auf offene Ohren. Ihnen war die damit vorgegaukelte Bodenständigkeit offenbar sympathisch, und sie hielten es „für unbedingt wesentlich, dass die Herren der Geschäftsführung der ‚Neue Heimat‘ Hamburg in der Praxis bleiben und nicht nur Theoretiker werden.“ 177 Ganz abgesehen davon, daß die Konzernaufgaben wie etwa die Kapitalbeschaffung einen höchst praktischen Beitrag zum Erfolg der Unternehmensgruppe leisteten, war allerdings gerade die Tatsache, daß sie in der „Praxis“ standen, das Problem. Denn daran, daß die Geschäftsführung von den lokalen Aufgaben entlastet werden mußte, führte kein Weg vorbei. Da eine Kopfstellenbildung aber nicht in Frage kam, verlegte sich die Geschäftsführung zunächst auf eine andere Strategie. Mit Wirkung vom 1. Mai 1960 gab sie eine Reihe von Zuständigkeiten an drei Abteilungsdirektoren ab.178 Die operativen Aufgaben in der Finanzierung fielen nun unter die Aufsicht von Heinz Roosch; der Architekt Georg Bamberg erhielt die Zuständigkeit für Planung und Baudurchführung; und die Zuständigkeit für die innere Verwaltung, das Rechnungswesen, das Rechtwesen und die Grundstücksund Wohnungsverwaltung ging an Friedrich Schlimper, einen ehemaligen stellvertretenden Prüfungsdienstleiter des VNW, der 1958 zur NHH gewechselt war.179

174 Ebd., S. 7. 175 Vgl. Organisationsgrundsätze der Unternehmensgruppe „Neue Heimat“, o. D. [18.12.1959], IGM ZwA 2/17 442a, S. 1. Zur organisatorischen Entwicklung der GAGFAH 1929/30 vgl. auch GAGFAH 1968, S. 42. 176 Protokoll AR NHH, 18.12.1959, DGBA-BV, Abt. Vorsitzender, 5/DGAI 1905, S. 23. 177 Ebd., S. 24. 178 Vgl. Veränderung der Zuständigkeiten innerhalb der Kopfstelle Hamburg, 10.12.1959, FZH 592–31 II, S. 1. 179 Vgl. Lebenslauf Friedrich Schlimper, 28.6.1962, DGBA-BV, Abt. Vorsitzender, 5/DGAI 1905.

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Diese Lösung erwies sich als völlig impraktikabel. Schon innerhalb kürzester Zeit mußten sich auch die Abteilungsdirektoren zwischen den Aufgaben in Hamburg und den überregionalen Anforderungen zerreißen, und zur Behebung des Problems der steigenden Verwaltungskosten trug ihre Einbeziehung nichts bei. Plett nahm deshalb seinen ganzen Pragmatismus zusammen und warf kurzerhand seine Bedenken gegen das Modell einer Holdinggesellschaft über Bord. Im November 1961 legte er dem Aufsichtsrat ein Gesamtkonzept vor, das die Schwierigkeiten ein für alle mal beseitigen, die „Sorgenkinder“ unter den Regionalgesellschaften unter Kontrolle bringen und endlich eine wirksame Stabilisierung der Verwaltungskosten erreichen sollte. Er schlug vor, die Zahl der Kopfstellen auf vier zu reduzieren. Die Kopfstelle West mit Nordrhein-Westfalen und die Kopfstelle Mitte mit Hessen, Rheinland-Pfalz und dem Saarland sollten jeweils so erhalten bleiben, wie sie gerade entstanden waren. Die bayrischen und baden-württembergischen Gesellschaften sollten dagegen zu einer Kopfstelle Süd, die Gesellschaften in Hamburg, Schleswig-Holstein, Bremen und Niedersachsen unter Führung der Bremer Gewoba zu einer Kopfstelle Nord zusammengefaßt werden.180 Für die NHH hatte er in dieser Struktur genau die Funktion vorgesehen, die eineinhalb Jahre zuvor noch als undenkbar gegolten hatte: „Die Neugliederung“, so erklärte er vor dem Aufsichtsrat, „sei dergestalt vorgesehen, daß sich die ‚Neue Heimat‘ Hamburg voll aus ihrer derzeitigen Kopfstellenfunktion in Hamburg herauslöse und“ – abgesehen von der Erfüllung der gemeinnützigkeitsrechtlich vorgeschriebenen Baupflicht – „reine Holding-Gesellschaft für sämtliche ‚Neue Heimat‘-Gesellschaften werde.“181 Dieser Neuordnungsvorschlag war ein hartes Stück Brot. Denn erstens widersprach er allem dem, was die Gewerkschaften und auch Plett selbst eineinhalb Jahre zuvor als Argumente gegen die Bildung einer Kopfstelle Hamburg ins Feld geführt hatten. Und zweitens hatten die Aufsichtsräte der Hamburger Tochtergesellschaften schon die Aussicht, künftig von Abteilungsdirektoren verwaltet zu werden, anstatt Plett und Vietor als Geschäftsführer zu behalten, als Zurücksetzung empfunden.182 Wie sie nun auf eine Unterordnung unter die Gewoba reagieren würden, ließ sich leicht ausmalen. Doch auch die Gewoba selbst hatte wenig Interesse daran, sich die schwächeren Hamburger Gesellschaften zuzumuten, nur um auf diese Weise ihr hervorragendes Ergebnis zu verschlechtern. Bei den Gesellschaften, die die Kopfstelle Süd bilden sollten, verhielt es sich kaum anders. Diese Zusammenlegung scheiterte völlig, wenngleich immerhin der bayerische Geschäftsführer Ludwig Geigenberger auch die Geschäftsführung der baden-württembergischen Gesellschaften übernahm.183

180 Vgl. Protokoll AR NHH, 17.11.1961, IGM ZwA 2/17 286, S. 12 ff. sowie Protokoll AR NHH, 29.6.1962, IGM ZwA 2/17 286, S. 6. 181 Protokoll AR Ageka, Gewog 1910 und Neues Heim, 20.11.1962, FZH 592–31 II, S. 3. 182 Vgl. Protokoll AR Ageka, Gewog 1910 und Neues Heim, 14.12.1959, FZH 592–31 I, S. 4 ff. 183 Vgl. Protokoll AA NHH, 24.5.1963, IGM ZwA 2/17 265, S. 3. Erst drei Jahre später übernahm die NH Bayern Anteile an der NH Baden-Württemberg, ohne daß diese dabei ihre Eigenständigkeit als Kopfstelle verlor. Vgl. GB NH Baden-Württemberg 1966, S. 25.

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Auch im Norden sah sich Plett bald zu einem Rückzieher veranlaßt. Schon Mitte 1962 modifizierte er seinen Vorschlag dahingehend, daß die Kopfstelle Bremen/Niedersachsen unverändert erhalten bleiben und nunmehr lediglich die Hamburger und die schleswig-holsteinischen Gesellschaften gemeinsam eine Kopfstelle Nord bilden sollten. Selbst das war in den Aufsichtsräten der Hamburger Tochtergesellschaften noch schwer genug durchzusetzen, und erst mit Jahresanfang 1963 konnte diese Maßnahme in Kraft treten.184 Die von Plett ins Auge gefaßten Rationalisierungspläne kamen also nur sehr langsam in Gang. Außerdem war mit der Reduzierung der Zahl der Kopfstellen zwar eine Einsparung von Personal- und Sachkosten verbunden, weil durch sie eine Reihe von Geschäftsführern eingespart werden konnten und beispielsweise die bisher getrennten Finanzierungsabteilungen von Hamburg und Schleswig-Holstein zusammengelegt wurden.185 Aber diese Einsparungen wurden durch die Gesamtentwicklung der Unternehmensgruppe in den Jahren vor der Umsetzung dieser Pläne gründlich konterkariert. Denn trotz der rückläufigen Bautätigkeit stiegen die Verwaltungskosten des Konzerns von 1961 auf 1962 von 31,6 Mio. DM auf 36,4 Mio. DM, also um nicht weniger als 15%.186 Das war einerseits die Folge von Tariferhöhungen, lag aber andererseits auch daran, daß trotz des Rückgangs der Neubautätigkeit in diesem Zeitraum der Personalbestand der Unternehmensgruppe um 200 Mitarbeiter angewachsen war. Und dieser Trend setzte sich fort: Bis Ende 1963 stieg er nochmals um knapp 150 Mitarbeiter, während der Neubau weiter absank.187 Die Ursache hierfür lag darin, daß die Unternehmensgruppe für die Verwaltung des auch bei geringeren Neubauziffern weiterhin zunehmenden Wohnungsbestandes stetig neues Personal benötigte. Durch Umsetzungen aus dem Neubaubereich war das Problem nicht zu lösen, da sich für den Neubau zuständige Finanzierungssachbearbeiter kaum als Hausmeister in großen Wohnsiedlungen einsetzen ließen. So blieben nur kostenintensive Neueinstellungen. Da diese Kosten an anderer Stelle nicht wieder eingespart werden konnten, drohten Pletts Konsolidierungsmaßnahmen zu verpuffen. 4.1.2.2 Der Umbau in der Führungsetage Diese verfahrene Lage fiel mit einer Entwicklung zusammen, die ursprünglich nur einen zu vernachlässigenden Nebeneffekt von Pletts Rationalisierungsbemühungen gebildet hatte, schließlich aber in eine wichtige unternehmensgeschichtliche Zäsur mündete. Das war die personelle Erweiterung der Geschäftsführung, die im Juni 1962 in Angriff genommen worden war. Zu diesem Zeitpunkt hatte Plett sich darum bemüht, die zwei Jahre zuvor ernannten Abteilungsdirektoren Schlimper, Roosch und den mittlerweile für Bamberg nachgerückten Fritz Richter zu stellvertretenden Geschäftsführern zu befördern.188 Damit wollte er sie entsprechend ihrer 184 185 186 187 188

Vgl. GB NHH 1963, S. 33. Vgl. Protokoll AR NHH, 29.6.1962, IGM ZwA 2/17 286, S. 7. Vgl. Protokoll AR NHH, 6.3.1963, IGM ZwA 2/17 286, S. 9. Vgl. Anhang, Tabelle 8. Zu Richter vgl. den Lebenslauf vom 29.6.1962, DGBA-BV, Abt. Vorsitzender, 5/DGAI 1905.

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realen Bedeutung gegenüber den Geschäftsführern der Regionalgesellschaften aufwerten und ihnen zudem größere Entscheidungsbefugnis übertragen.189 Schlimpers Beförderung war angesichts seiner hervorragenden Kompetenzen unumstritten. Auch Richter wurde zum stellvertretenden Geschäftsführer bestellt, mit dem allerdings sehr beschränkten Teilgebiet „Fertigbau“; er schied schon zwei Jahre später wieder aus dem Vorstand aus. Heinz Roosch galt zwar fachlich ebenfalls als für eine solche Beförderung geeignet, kam aber aufgrund seiner NS-Vergangenheit für einen Geschäftsführerposten nicht in Frage.190 Da Vietor nun durch Schlimper in den Bereichen Betriebswirtschaft und Wohnungsverwaltung entlastet wurde, konnte er sich zudem voll auf die Unternehmensfinanzierung und die Grundstückspolitik konzentrieren, so daß die Berufung eines weiteren Geschäftsführers für diese Tätigkeitsbereiche ohnehin nicht nötig erschien. Damit schien die Erweiterung der Geschäftsführung zur allseitigen Zufriedenheit gelöst zu sein. Der entscheidende Schnitt im Umbau der Vorstandsetage sollte aber erst noch kommen. Noch bevor er sich recht in seine neue Position eingefunden hatte, erlag Schlimper am 3. November 1962 einem Herzinfarkt. 191 Für sich genommen konnte dies kaum den Charakter einer Zäsur beanspruchen. Doch es blieb nicht bei diesem einem Todesfall. Nur zweieinhalb Monate nach Schlimper verstarb im Alter von 54 Jahren völlig unerwartet auch der Mann, der nicht nur dem Unternehmen, sondern auch dem Wohnungsbau in Deutschland wie kein zweiter seinen Stempel aufgedrückt hatte: Heinrich Plett. Pletts Tod hinterließ, wie die Todesanzeige von Aufsichtsrat und Geschäftsführung in der üblichen Rhetorik, aber dennoch ohne jegliche Übertreibung feststellte, „eine kaum zu schließende Lücke.“192 Schon zu Lebzeiten hatte er sich den Nimbus des wagemutigen Finanzgenies erworben, der seine kontroversen Ansichten immer im Dienste des sozialen Wohnungsbaus vertrat und dessen unorthodoxe Strategien durch seine Erfolge gerechtfertigt wurden. Das Hamburger Abendblatt, das seinen Tod auf der ersten Seite vermeldete, titelte in diesem Sinne mit den Worten: „180.000 Familien verdanken diesem Mann die Wohnung“ und bemerkte, daß Pletts Tätigkeit „für immer (...) in der Chronik unserer Stadt als Ruhmestat verzeichnet stehen“193 werde. Dieser Mythos, der sich um Plett rankte, war im Grunde nicht verkehrt, auch wenn er ausblendete, daß Pletts unorthodoxe Strategien gelegentlich nicht ganz politisch korrekt, gelegentlich riskant und in Ansätzen auch moralisch zweifelhaft waren (im Zuge des Skandals der achtziger Jahre gerieten sie deshalb ins Zwielicht194). Weil Plett mit ihnen allerdings tatsächlich meistens Erfolg gehabt hatte, schied einer der beiden Kandidaten für seine Nachfolge von vornherein aus. Sein alter Gegenspieler Reinhold Tarnow aus Frankfurt hatte sich um die Stelle beworben und dafür auch die allerdings nur lauwarme Un189 Vgl. Protokoll AR NHH, 29.6.1962, IGM ZwA 2/17 286, S. 10 ff. 190 Vgl. ebd.; Geschäftsverteilung, 29.6.1962, DGBA-BV, Abt. Vorsitzender, 5/DGAI 1905 sowie zur Rolle von Rooschs NS-Vergangenheit in dieser Diskussion das Interview mit Wolfgang Vormbrock, 12.9.2003. 191 Vgl. GB NHH 1961, S. 3. 192 GB NHH 1962, S. 5. 193 Hamburger Abendblatt, 15.1.1963. 194 Vgl. z. B. Mehnert 1997, S. 145 f.

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terstützung von Willi Richter mobilisiert.195 Der Aufsichtsrat war aber der Meinung, daß Tarnow nur seine Rivalität mit Plett zu einem für ihn günstigen Ende führen wollte und entschied sich gegen ihn.196 Das fiel ihm um so leichter, als sich mit Albert Vietor ein natürlicher Kandidat für den Posten des Geschäftsführers aufdrängte. Vietor war mit seinen 41 Jahren zwar der Jüngste unter den Mitgliedern der Geschäftsführung, doch neben Walter Beyn derjenige, der am längsten in diesem Gremium vertreten war. Als kaufmännischer Leiter hatte er aufs Engste mit Plett zusammengearbeitet und großen Anteil am Erfolg der Unternehmensgruppe gehabt. Außerdem war er wegen der hervorgehobenen Bedeutung von Finanzierungsfragen in den fünfziger Jahren häufig auch nach außen in Erscheinung getreten. Bereits bei der Erweiterung der Geschäftsführung 1962 hatte Plett ihn deshalb offiziell zu seinem Stellvertreter ernannt.197 Die Gewerkschaftsvorsitzenden im Aufsichtsrat hatten keinen Zweifel daran, daß Vietor sein Werk problemlos würde fortsetzen können und beriefen ihn einstimmig auf den Chefsessel.198 Allerdings beließ es der Aufsichtsrat auf Vietors Initiative hin nicht bei der Berufung eines Nachfolgers für Plett. Vielmehr setzte er zu einer weitgehenden Neuorganisation der Geschäftsführung an. Zum stellvertretenden Geschäftsführer ernannte er Walter Beyn; und als Ersatz für Schlimper holte der Aufsichtsrat einen Mann, der nicht weniger als sein Vorgänger als herausragender Experte für betriebswirtschaftliche Fragen gelten konnte: den Geschäftsführer der Bremer Gewoba, Herbert Ritze. Wie Schlimper war auch der 57jährige Ritze lange Zeit als Verbandsprüfer tätig gewesen. In Bremen hatte er die Anlaufschwierigkeiten bei der Integration der Gewoba in die Unternehmensgruppe schnell überwunden und die Gesellschaft zum erfolgreichsten und mit der Neuen Vahr auch zum öffentlichkeitswirksamsten Unternehmen innerhalb des Konzernverbundes gemacht.199 Mit seiner Berufung war das Revirement der Geschäftsführung aber noch nicht abgeschlossen. Als ihr neuer Vorsitzender behielt Vietor zwar zunächst übergangsweise die Verantwortung für die Unternehmensfinanzierung. Mit seiner Aufgabe an der Unternehmensspitze ließ sich dies langfristig aber kaum vereinbaren, so daß die Einstellung eines neuen Geschäftsführers für Finanzierungsfragen unumgänglich war. Dadurch, daß Vietor auch die Rationalisierung des Konzerns forcieren wollte und zudem die Grundstückspolitik der Unternehmensgruppe immer mehr an Bedeutung gewann, war außerdem bereits bei der Berufung Ritzes zum Geschäftsführer für diese Bereiche abzusehen gewesen, daß dieser die Unter-

195 Richter meinte, er „halte ihn für geeignet, den Vorsitz in der Geschäftsführung zu übernehmen“, würde es aber „auch begrüßen, wenn Herr Tarnow in Frankfurt bleibt und die Mitgeschäftsführung der dortigen Kopfstellengesellschaft behalte“, Protokoll AR NHH, 6.3.1963, IGM ZwA 2/17 286, S. 16. 196 Vgl. ebd., S. 17. 197 Vgl. Geschäftsverteilung, 29.6.1962, DGBA-BV, Abt. Vorsitzender, 5/DGAI 1905. 198 Vgl. Protokoll AR NHH, 6.3.1963, IGM ZwA 2/17 286, S. 18. 199 Vgl. ebd., S. 17 u. S. 19. Zu Ritze und seiner Rolle in Bremen vgl. Wallenhorst 1993, S. 174, S. 216 ff. u. S. 290 f. Zu seiner fachlichen Qualifikation vgl. die Aussagen seines Nachfolgers, Interview mit Rolf Dehnkamp, 18.8.2003.

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stützung durch einen Stellvertreter gut gebrauchen konnte.200 Daß es dazu nicht bereits von vornherein gekommen war, lag an der damit verbundenen Personalie. Der Geschäftsführer der VTG, Willi Ginhold, hatte die notwendig gewordene Neuorganisation des Vorstandes dazu genutzt, sich selbst für diesen Posten ins Gespräch zu bringen. Ginhold war eine Art gewerkschaftlicher „Altlast“. Von 1949 bis 1956 war er Mitglied des geschäftsführenden DGB-Bundesvorstandes gewesen. Dort für das vergleichsweise randständige Sachgebiet „Jugend“ zuständig, war er 1956 in einer für DGB-Bundeskongresse äußerst ungewöhnlichen Form aus dem Vorstand ausgeschieden: Er scheiterte in einer Kampfkandidatur. Die gewerkschaftliche Solidarität gebot es in diesem Fall, ihm einen Arbeitsplatz zu beschaffen.201 Ginhold verfügte zwar über eine kaufmännische Ausbildung, hatte aber nur wenig Berufserfahrung vorzuweisen. Auf Intervention des DGBBundesvorstandes wechselte er dennoch 1957 als Prokurist zur VTG Düsseldorf, deren Geschäftsführer er 1959 wurde.202 Zur NH hatte er schon seit 1955 in Kontakt gestanden, weil er im Zuge der Umgestaltung des Aufsichtsrates als einer der Vertreter des DGB-Bundesvorstandes in dieses Gremium gewählt wurde. Ende 1957 betraute ihn der DGB-Bundesvorstand zudem mit der Aufgabe eines „Verbindungsmannes“ zur Unternehmensgruppe – faktisch eine Aufgabe, die von der NH als die eines „Aufpassers“ angesehen wurde.203 Vietor und seine Kollegen in der Geschäftsführung standen Ginhold deshalb skeptisch gegenüber. Noch mehr Feinde hatte er allerdings in den Reihen der Gewerkschaften, die ihn – wie etwa der Aufsichtsratsvorsitzende der NH, Kurt Stühler – als Problemfall betrachteten.204 Hinzu kam noch, daß sie ein klares Bild davon hatten, nach welchen Kriterien die Geschäftsführung ergänzt werden sollte. „Für alle diese Aufgaben“, so führte etwa Georg Leber im Aufsichtsrat aus, „müßten seiner Auffassung nach die Nachfolger in allererster Linie Sachverständige sein, die möglichst aus der Unternehmensgruppe kommen.“205 Ginhold sah das Problem allerdings mit anderen Augen; er war der Meinung, „daß es gut wäre, wenn auf Vorstandsebene unserer Wirtschaftsunternehmen, wie z. B. Volksfürsorge, Deutsche Sachversicherung, Bank für Gemeinwirtschaft, GEG und Konsumgenossenschaften und nicht zuletzt bei der Neue Heimat-Unternehmensgruppe neben dem Nur-Fachmann auch das gewerkschaftliche Element mit vertreten ist.“206 Damit stand er allerdings bezeichnenderweise allein auf weiter Flur. Mit seinem Wunsch, als stellvertretender Geschäftsführer berufen zu werden, konnte er sich deshalb zunächst nicht durchsetzen. Er wurde vorläufig als Prokurist einge200 Vgl. Protokoll AA NHH, 29.11.1963, IGM ZwA 2/17 265, S. 2. 201 Vgl. DGB-Bundesvorstand (Hg.), Protokoll 4. ordentlicher Bundeskongreß Hamburg, 1. bis 6. Oktober 1956, Düsseldorf o. D. [1956], S. 630 ff. sowie Hans Dieter Baroth, Willi Ginhold. Weg vom Fenster, GMH 51.2000, S. 239–243, hier S. 239 u. S. 243. 202 Vgl. Anlage zum Protokoll GBV, 25.2.1957, DGBA-BV, Abt. Vorsitzender, 5/DGAI 373 sowie Willi Ginhold, Selbstdarstellung meines Lebens, 26.5.1980, DGBA-BV, Abt. Vorsitzender, 5/DGAI 1908, S. 5. 203 Vgl. ebd. sowie Interview mit Harro Iden, 19.8.2003. 204 Vgl. Brief Ginhold an Otto Brenner, 25.2.1963, IGM ZwA 2/17 288, S. 1. 205 Protokoll AR NHH, 6.3.1963, IGM ZwA 2/17 286, S. 16. 206 Brief Ginhold an Otto Brenner, 25.2.1963, IGM ZwA 2/17 288, S. 1 f.

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stellt und sollte sich auf diesem Posten bewähren. Erst im November 1963 rückte er dann zum stellvertretenden Geschäftsführer auf; Vietor hatte erklärt, daß Ginhold sich gut eingearbeitet habe.207 Ob dies guter Wille oder eine Fehleinschätzung war, muß dahingestellt bleiben. Jedenfalls galt die Abteilung Grundstücks- und Wohnungswirtschaft bis zu Ginholds Ausscheiden 1980 als schwach besetzt.208 Damit war sie allerdings die Ausnahme. Denn davon, daß die Gewerkschaften die NH systematisch als „Verschiebebahnhof“ benutzten, um ihr abgehalftertes Führungspersonal ohne Rücksicht auf dessen Qualifikation zu versorgen, konnte in diesem Zeitraum keine Rede sein.209 Wie sehr im Gegenteil für die Gewerkschaften die Frage der fachlichen Qualifikation im Vordergrund stand, zeigt ein Blick auf die Besetzung des letzten noch offenen Postens in der Geschäftsführung, der Leitung der Unternehmensfinanzierung. Die Wahl fiel auf den erst 35jährigen Harro Iden, der trotz seines jugendlichen Alters als eine fachlich hervorragende Wahl für den Posten galt.210 Iden war in vielerlei Hinsicht das Gegenbild zu Ginhold. Sein Karriereweg war nicht über die Gewerkschaften, sondern über seine akademische Ausbildung verlaufen. 1955 hatte er in Hamburg promoviert und kurz mit dem Gedanken an eine akademische Laufbahn geliebäugelt.211 Vom Habitus her hätte ihm dies wohl näher gelegen als eine Karriere in einem gewerkschaftseigenen Unternehmen; jedenfalls kannte er, als er im selben Jahr in die Finanzierungsabteilung der NHH eintrat, Gewerkschaften nach eigener Aussage nur vom Hörensagen. Das hinderte ihn allerdings nicht an einer steilen Karriere. In seine Zuständigkeit fiel von Beginn an ein Bereich, der für das Wachstum der Unternehmensgruppe von zentraler Bedeutung war: die Betreuung der 7c-Mittel. Iden stieg in weniger als zwei Jahren zum stellvertretenden Leiter der Hauptabteilung Finanzierung auf und wurde 1960 auf den wohl schwierigsten Posten beordert, den die Unternehmensgruppe zu diesem Zeitpunkt zu bieten hatte. Als Geschäftsführer der NH Düsseldorf sollte er die von Mißmanagement geplagte Regionalgesellschaft auf Vordermann bringen.212 Neben seinen fachlichen Qualifikationen waren hier Führungsqualitäten gefragt. Auch die besaß Iden offenbar; jedenfalls gelang ihm die Sanierung der Düsseldorfer Gesellschaft mit Bravour.213 Mit seiner Berufung im November 1963 war der Umbau in der Führungsebene der NH komplett. Da zudem zwischenzeitlich auch noch Herbert Klüber, der Syndikus der Unternehmensgruppe und die vormalige „rechte Hand“ Pletts, ver207 Vgl. Protokoll AA NHH, 29.11.1963, IGM ZwA 2/17 265, S. 3. 208 Vgl. Mehnert 1997, S. 143. 209 In der gesamten Geschichte der Unternehmensgruppe gab es hierfür, soweit es die Führungsebene betrifft, neben Ginhold nur ein einziges weiteres Beispiel: Das war der Fall des 1953 abgewählten DGB-Bundesvorsitzenden Christian Fette, der im gleichen Jahr in die Presseabteilung der NHH wechselte. 1957 schied er aufgrund einer Erkrankung vorzeitig aus dem Unternehmen aus. Vgl. Vermerk über die Unterredung zwischen Christian Fette und Heinrich Plett, 23.4.1953, DGBA-BV, Abt. Vorsitzender, 5/DGAI 1954 sowie Protokoll AA NHH, 26.4.1957, IGM ZwA 2/17 265, S. 10. 210 Vgl. Protokoll AA NHH, 29.11.1963, IGM ZwA 2/17 265, S. 3. 211 Vgl. Interview mit Harro Iden, 19.8.2003 sowie Harro Iden, Entwicklung, Bedeutung und Probleme der Betriebskrankenkassen in Deutschland, Diss. rer. pol. Hamburg 1955. 212 Vgl. Lebenslauf Iden, 26.11.1963, IGM ZwA 2/17 269. 213 Vgl. Protokoll AA NHH, 29.11.1963, IGM ZwA 2/17 265, S. 3.

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storben war, war innerhalb eines Jahres die Führungsriege der Unternehmensgruppe bis auf Vietor und Beyn vollständig ausgetauscht worden.214 Das bedeutete allerdings nicht, daß es nun zu einem radikalen Kurswechsel kam. Dafür war Pletts Schatten zu lang. Der Mythos des genialen Übervaters sollte die Tätigkeit der neuen Geschäftsführung noch lange begleiten, und eine komplette Neuorientierung war unter Vietors Führung nicht zu erwarten. Und dennoch: Pletts Nimbus hatte gerade den Erfolgen des neuen Vorstandes einiges zu verdanken. Denn Plett starb genau zu jenem Zeitpunkt, zu dem sich seine Vision überlebt hatte. Das Expansionspotential des gemeinnützigen Wohnungsbaukonzerns war 1962/63 erschöpft. Erst nach Vietors Amtsübernahme kehrte die Unternehmensgruppe auf ihren Expansionskurs zurück – unter allerdings gänzlich veränderten Vorzeichen. Es war Vietor, der diese veränderten Vorzeichen erkannte und damit zu Pletts Nachruhm entscheidend beitrug, indem er die Grenzen seiner Vision erfolgreich den Blicken der Nachwelt entzog. 4.1.2.3 Vietors erste Schritte Unmittelbar nach Vietors Amtsübernahme war an eine Wiederbelebung der Expansionsbewegung allerdings noch nicht zu denken. Der neue Geschäftsführer mußte vielmehr als erstes den sich abzeichnenden Fehlschlag der Konsolidierungsbemühungen korrigieren, um die Unternehmensgruppe überhaupt in ihrer bisherigen Form erhalten zu können. Schon wenige Wochen nach seiner Amtsübernahme schlug Vietor angesichts der weiterhin ansteigenden Verwaltungskosten Alarm: „Diese Entwicklung“, teilte er dem Aufsichtsrat mit, „zeige eindeutig, daß weitere Rationalisierungsmaßnahmen, wie sie schon in den vergangenen Jahren eingeleitet wurden, Platz greifen müssen. Es gilt also, Tariferhöhungen und Steigerungen der sächlichen Kosten durch weitere Rationalisierungsmaßnahmen abzufangen.“215 Zu diesem Zweck unterbreitete er eine Reihe von Vorschlägen, die den Aufsichtsrat angesichts der heiklen Lage auch umstandslos passierten. Sie zielten auf drei Dinge: auf eine Beendigung des Personalanstiegs; auf die Nutzung von Rationalisierungspotentialen, die sich aus der Tatsache ergaben, daß in den Regionalgesellschaften bestimmte Verwaltungsstrukturen nach wie vor mehrfach vorgehalten wurden; und auf eine verstärkte Akquisition von neuen Aufträgen, eine Frage, die bis dahin – was angesichts der Marktbedingungen der fünfziger Jahre verständlich war – gar nicht als eigenständiger Aspekt der Unternehmensstrategie in Erscheinung getreten war. Im Sinne dieser Zielsetzungen beschloß der Aufsichtsrat zum einen, „Neueinstellungen auf ein Mindestmaß zu beschränken und einem für Sonderaufgaben vorübergehend auftretenden Personalbedarf durch Personalaustausch innerhalb der Kopfstellen, aber auch innerhalb der einzelnen Gesellschaften, zu begegnen.“216 Zweitens sollten die Liquiditätsüber- bzw. -unterschüsse der Regio214 Zu Klübers Tod vgl. Dr. Herbert Klüber +, NHM 1963,10, S. 41. 215 Protokoll AR NHH, 6.3.1963, IGM ZwA 2/17 286, S. 9. 216 Ebd., S. 9.

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nalgesellschaften künftig bei der NHH miteinander verrechnet werden, „da es widersinnig erscheint, daß in einzelnen Gesellschaften erhebliche Liquiditätsüberschüsse vorhanden sind, während andere Gesellschaften Kredite aufnehmen müssen.“217 Auch der Kapitaldienst und der Mieteinzug sollten zentralisiert und in einem eigenen Rechenzentrum bearbeitet werden – allerdings im Auftrag der weiterhin selbständigen Regionalgesellschaften. Schließlich kam noch eine dritte Maßnahme hinzu, die Vietor etwas irreführend als „Dezentralisierung“ bezeichnete. Damit gemeint war die Errichtung von kleinen, zum Teil nur ein oder zwei Mitarbeiter umfassenden Außenstellen, deren Hauptaufgabe „die Verstärkung der Akquisition“218 bilden sollte. Der Hintergedanke dabei war, daß die Unternehmensgruppe gerade in mittelgroßen Städten nur unzureichend vertreten war. Als Beispiele nannte Vietor Pinneberg, Bremerhaven, Braunschweig, Recklinghausen, Aurich, Emden und Lüneburg. Es habe sich, so erläuterte er, gezeigt, „daß eine intensivere Erfassung d[ies]er bisher unterbearbeiteten Gebiete nur durch besondere örtliche Vertretungen unter qualifizierter Leitung in diesen Bereichen gefördert werden könne.“219 Als Nebeneffekt versprach er sich davon auch einen engeren Kontakt mit der Gewerkschaftsbasis, um so deren sich langsam aufbauenden Bedenken gegen die Unternehmenspolitik der NH entgegenwirken zu können.220 Tatsächlich richteten die Regionalgesellschaften noch im Laufe des Jahres 1963 etwa 25 solcher Außenstellen ein.221 Welchen Beitrag sie zur Akquisitionstätigkeit der Unternehmensgruppe in den folgenden Jahren leisteten, ist allerdings aufgrund der diesbezüglich schlechten Quellenlage unklar. Die meisten Außenstellen scheinen innerhalb relativ kurzer Frist wieder aufgegeben worden zu sein, vermutlich deshalb, weil die Nachfrage nach Wohnraum ab 1964 – wie gleich noch zu zeigen sein wird – auch ohne ihre Tätigkeit wieder boomte. Die NH ging in den folgenden Jahren statt dessen dazu über, kleinere Teams von Mitarbeitern für einige Zeit zur Betreuung von Großprojekten in die betreffenden Städte zu entsenden, was freilich nichts mit der Frage der Akquisition, sondern ausschließlich mit der Durchführung solcher Aufträge zu tun hatte.222 Während die Bedeutung der Außenstellen also scheinbar eher marginal war, gelang es mit Hilfe der übrigen von Vietor eingeführten Rationalisierungsmaßnahmen tatsächlich, das Kostenproblem der Unternehmensgruppe innerhalb kurzer Zeit in den Griff zu bekommen. 1964 konnte der Personalzuwachs erstmals gestoppt werden; die Mitarbeiterzahl der Unternehmensgruppe sank von 1963 auf 1964 um 3,5% auf 2.882. Auf diese Weise konnte der Vorstand den Anstieg der Verwaltungskosten auf nur 9,5% begrenzen, obwohl gleichzeitig die Umsätze um 28% zunahmen.223 Der bilanzielle Rohgewinn der Unternehmensgruppe stieg deshalb innerhalb nur eines Jahres von 28 Mio. DM auf über 40 Mio. DM an. Bemer217 218 219 220 221 222

Ebd., S. 10 Protokoll AA NHH, 8.10.1963, IGM ZwA 2/17 265, S. 7. Ebd. Zu den Bedenken der Gewerkschaftsbasis vgl. Kap. 4.3.2.2 dieser Arbeit. Vgl. Protokoll AA NHH, 8.10.1963, IGM ZwA 2/17 265, S. 7 und GB NHH 1964, S. 32. Vgl. hierzu am Beispiel von Mannheim-Vogelstang Ilse Irion/Thomas Sieverts, Neue Städte. Experimentierfelder der Moderne, Stuttgart 1991, S. 68. 223 Vgl. Protokoll AA NHH, 30.6.1965, IGM ZwA 2/17 265, S. 12 sowie Anhang, Tabelle 7.

4.1 An den Grenzen des Wachstums?

263

kenswert hieran war aber nicht allein diese Steigerung, sondern vor allem die Tatsache, daß 1964 zum ersten Mal in der Geschichte der Unternehmensgruppe alle Kopfstellen einen positiven Beitrag zur „Selbstfinanzierung“ leisteten.224 Die organisatorischen Schwierigkeiten, die Ende der fünfziger Jahre noch bestanden hatten, waren also offenbar beseitigt. Zwar blieben zwischen den Kopfstellengesellschaften erhebliche Leistungsunterschiede bestehen; aber insgesamt kam es auf der Grundlage der durch die Rationalisierung erreichten Selbstfinanzierungsergebnisse zu einer erheblichen Stärkung aller dieser Gesellschaften. Die Überschüsse wurden nämlich zu großen Teilen wiederum in eine Ausweitung der Eigenkapitalbasis gesteckt. Das Grundkapital der Tochter- und Regionalgesellschaften der Unternehmensgruppe stieg so von etwa 115 Mio. DM 1961 auf 151 Mio. DM 1964 und bis 1966 weiter auf 206 Mio. DM.225 Hinzu kam noch das Kapitel der Muttergesellschaft in Höhe von 40 Mio. DM sowie die Rücklagen, die ebenfalls aus den Überschüssen finanziert wurden. 1965 betrugen sie 170 Mio. DM und erreichten damit annähernd die Höhe des Eigenkapitals; bei einigen Gesellschaften – etwa bei der Muttergesellschaft – übertrafen sie es deutlich.226 Diese aus Sicht der frühen sechziger Jahre überaus positive Entwicklung lag allerdings nicht nur in dem Erfolg von Vietors Konsolidierungsmaßnahmen begründet, sondern auch in der Tatsache, daß diese mit einem wenige Jahre zuvor noch für undenkbar gehaltenen Anstieg der Neubautätigkeit einhergingen. Nach dem enttäuschenden Ergebnis von nur 13.900 Fertigstellungen im Jahr 1963 errichtete die Unternehmensgruppe 1964 mit 18.970 Einheiten so viele Wohnungen wie nie zuvor in ihrer Geschichte.227 Diese Zunahme der Fertigstellungen hatte zunächst einmal konjunkturelle Gründe. Nach dem Einbruch, den der Wohnungsbau 1963 erlitten hatte, stieg er im folgenden Jahr massiv an, weil 1964 eine ganze Reihe glücklicher Umstände – von anfänglich günstigen Kapitalmarktbedingungen bis hin zu den außergewöhnlich guten Witterungsverhältnissen – zusammenkamen.228 Doch hinter dieser Entwicklung verbarg sich weitaus mehr als nur ein kurzfristiger konjunktureller Effekt, denn auch in den folgenden Jahren gingen die Fertigstellungsziffern, anders als das von der NH ursprünglich erwartet worden war, nicht zurück.229 Dies war der Tatsache zu verdanken, daß sich seit Beginn der sechziger Jahre zunächst langsam und dann immer schneller eine Veränderung der Rahmenbedingungen abzeichnete, die schlußendlich nicht in einem Rückgang, sondern in einem weiteren Anstieg der Neubauzahlen und in einer Hinwendung zu immer komplexeren Baumaßnahmen resultierte. Dieser Wandel, der die Unternehmensentwicklung der NH in den folgenden Jahren nachhaltig prägen sollte, ließ sich auf einen einfachen Begriff bringen: Städtebau. 224 Vgl. Protokoll AA NHH, 13.1.1966, IGM ZwA 2/17 265, S. 9 sowie Zusammengefaßte Analyse der Gewinn- und Verlustrechnungen für das Wirtschaftsjahr 1964, 10.12.1965, IGM ZwA 2/17 288. 225 Vgl. GB NHH 1961, S. 45; GB NHH 1963, S. 50 und GB NHH 1965, S. 68. 226 Vgl. Unternehmensgruppe Neue Heimat, Vorläufige Gesamtbilanz zum 31.12.1965, 1.6.1966, IGM ZwA 2/17 265. 227 Vgl. Anhang, Tabelle 1. 228 Vgl. GB NHH 1964, S. 10 u. S. 13 ff. 229 Vgl. Anhang, Tabelle 1.

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4. Auf der Suche nach dem verlorenen Markt

4.2 AUF DEM WEG ZUM STÄDTEBAU 4.2.1 Vom Wohnungsbau zum Städtebau 4.2.1.1 Die neue Agenda Selbstverständlich war der Begriff des Städtebaus schon vor Beginn der sechziger Jahre bekannt und verbreitet gewesen. Als Wohnungsbauminister Lücke 1959 in einer Rede vor dem Zentralverband der Haus- und Grundbesitzer als Ziel der Politik seines Ministeriums für die nächsten Jahre die Losung ausgab, „vom Wohnungsbau zum Städtebau“230 zu gelangen, wies die NH deshalb empört darauf hin, „daß so die alte Parole der Wohnungsreformer und der Gemeinnützigen seit den zwanziger Jahren lautet[e]“231 und daß Lücke erst mit erheblicher Verspätung die Politik aufgreife, die diese schon immer vertreten hätten. Dieser Vorwurf war allerdings überzogen. Denn es konnte kein Zweifel daran bestehen, daß sich zu Beginn der sechziger Jahre die Rahmenbedingungen des Wohnungsbaus gleich in mehrfacher Hinsicht grundlegend veränderten, und diese Entwicklung brachte Lücke mit seiner Parole treffend auf den Punkt. Während der Wiederaufbau im engeren Sinne zu diesem Zeitpunkt als abgeschlossen und die drängendste Wohnungsnot als beseitigt gelten konnte, traten nun auf dem Wohnungsmarkt eine ganze Reihe neuer Aspekte in Erscheinung.232 Den wichtigsten Faktor bildete das schnelle Bevölkerungswachstum, das die Bundesrepublik zwar schon seit Ende des Krieges erlebte, das sich nun aber zunehmend auf die Ballungsräume konzentrierte und damit verstärkt ins Bewußtsein trat. Dies war vor allem eine Folge des wirtschaftlichen Strukturwandels.233 So führte die massive Abnahme der Beschäftigung in der Landwirtschaft zu einer „Landflucht“, weil sich die parallele Ausdehnung des sekundären und vor allem des tertiären Sektors in erster Linie auf die Städte konzentrierte. Die Bevölkerung in den Stadtregionen wuchs deshalb in den sechziger Jahren um jährlich ein Prozent; in einzelnen Zentren wie München oder Bremen ging die Zahl deutlich darüber hinaus.234 Hinzu kam, daß der wirtschaftliche Strukturwandel und das mit ihm einhergehende wirtschaftliche Wachstum auch das Gesicht dieser Städte nachhaltig veränderten. Durch die zunehmende Ansiedlung von Kaufhäusern, Banken, Versicherungen und anderen Dienstleistern in den Stadtzentren wurden die Bewohner der 230 Paul Lücke, zit. nach IfdW 5.1959,160 (22.8.1959). Vgl. auch ders., An einem wohnungspolitischen Wendepunkt, BBB 9.1960, S. 565–570 sowie Joachim Fischer-Dieskau, Vom Wohnungsbau zum Städtebau, BBB 9.1960, S. 501–504. 231 IfdW 5.1959,160 (22.8.1959). 232 Vgl. Harlander 1999, S. 287 sowie zusammenfassend zum folgenden Albers 1986, S. 31 ff.; Wulf Tessin, Die Neubausiedlungen der Sechziger/Siebziger Jahre, in: Herlyn/Saldern/Tessin 1987, S. 75–101; ders., Zum Entstehungskontext der Stadtteilsiedlungen in den sechziger Jahren, in: Schildt/Sywottek 1988, S. 494–512. 233 Vgl. Werner Abelshauser, Die Langen Fünfziger Jahre. Wirtschaft und Gesellschaft in der Bundesrepublik Deutschland 1949–1966 (Historisches Seminar Bd. 5), Düsseldorf 1987, S. 61 f. sowie Kap. 5.1.1 dieser Arbeit. 234 Vgl. Tessin 1987, S. 79.

4.2 Auf dem Weg zum Städtebau

265

Innenstädte zunehmend auf die Randgebiete verwiesen. Die Eigenheimförderung beschleunigte diesen Trend zur Ausweitung suburbaner Wohngebiete noch; und ermöglicht wurde er ohnehin erst durch die massive Ausweitung des motorisierten Individualverkehrs, die eine der zentralen stadtentwicklungspolitischen Herausforderungen der beginnenden sechziger Jahre darstellte.235 Innerhalb relativ kurzer Zeit ergab sich aus dieser neuartigen Problemstellung ein völlig verändertes Bild von der Zukunft des Wohnungsbaus. Wider Erwarten entwickelte sich die Wohnungsnachfrage nach Abbau des Defizits angesichts steigender Geburtenraten, steigender Einkommen und steigender Ansprüche an die Wohnungsgrößen kaum rückläufig; sie nahm im Gegenteil noch dramatisch zu. Statt aus dem Mangel speiste sie sich nun aus dem Wohlstand. Insgesamt wurden daher die Vorhersagen über die Zahl der jährlich zu bauenden Wohnungen zu Beginn der sechziger Jahre deutlich nach oben korrigiert. Das war eine Entwicklung, die die NH relativ plötzlich überfiel. Noch im Juni 1962 war sie für die zweite Hälfte der sechziger Jahre von einer Neubauziffer von 300.000 bis maximal 380.000 Wohnungen pro Jahr ausgegangen.236 Innerhalb nur eines Jahres bewegten sich ihre Schätzungen dann sprunghaft nach oben: 450.000 bis 500.000 Wohnungen pro Jahr, prognostizierte sie zur Jahresmitte 1963, seien in den nächsten zehn Jahren nötig, um die genannten Faktoren zu berücksichtigen.237 Diese veränderte Erwartungshaltung entledigte die Unternehmensgruppe zwar einiger ihrer Sorgen aus den späten fünfziger Jahren, aber sie warf gleichzeitig auch ein ganze Reihe neuer Probleme auf. Denn durch die seit Mitte der fünfziger Jahre zu beobachtende Kostensteigerung bei den Bauleistungen konnte die nunmehr angepeilte Wohnungsbauziffer, so die Auffassung der Experten, wenn überhaupt nur durch eine stärkere Rationalisierung und Mechanisierung des Wohnungsbaus erreicht werden.238 Noch dramatischer als die Kosten auf den Bauleistungsmärkten, auf die noch zurückzukommen sein wird, entwickelten sich allerdings die Grundstückspreise. Zwar galt seit 1936 offiziell ein Preisstop auf den Verkauf von baureifen Grundstücken, doch durch eine Reihe von Ausnahmeregelungen und Schlupflöchern hatte sich in der Praxis bereits in den frühen fünfziger Jahren eine weitgehende Liberalisierung durchgesetzt.239 Trotz des Preisstops verdreifachten sich deshalb zwischen 1950 und 1960 die Preise für baureifes Land, und spätestens mit der seit 1958 zu beobachtenden deutlichen Verbesserung der Kapitalmarktbedingungen löste die Grundstücksfrage den Kapitalmarkt als den wichtigsten Engpaß des Wohnungsbaus ab.240

235 Vgl. Harlander 1999, S. 291 ff.; Dietmar Klenke, „Freier Stau für freie Bürger“. Die Geschichte der bundesdeutschen Verkehrspolitik 1949–1994 (WB-Forum Bd. 97), Darmstadt 1995, S. 63 ff. sowie zusammenfassend zum Prozeß der Suburbanisierung Johann Jessen, Suburbanisierung – Wohnen in verstädterter Landschaft, in: Harlander 2001, S. 316–329. 236 Vgl. Protokoll AR NHH, 29.6.1962, IGM ZwA 2/17 286, S. 3. 237 Vgl. GB 1962, S. 20. Die Datierung des Geschäftsberichts ist irreführend. Er wurde erst im August 1963 fertiggestellt, vgl. ebd., S. 45. 238 Vgl. Kap. 4.2.1.2 dieser Arbeit. 239 Vgl. Krummacher 1978, S. 160. Zur Diskussion über die Frage der Baulandpreise in diesem Zeitraum vgl. Schulz 1994, S. 247 ff.

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4. Auf der Suche nach dem verlorenen Markt

Diese Entwicklung spitzte sich in den folgenden Jahren noch zu, und zwar vor allem aufgrund der verfehlten Politik der Bundesregierung. Ihrer Ansicht nach waren die Preissteigerungen in den fünfziger Jahren das Ergebnis des Baupreisstops, weil dieser, so lautete ihr zentrales Argument, zur Hortung von Bauland geführt habe. Die Lösung sah sie daher in einer Freigabe der Baulandpreise (das traf sich auf wundersame Weise mit den generellen Bestrebungen, den Baulandmarkt ebenso wie den Wohnungsmarkt in die Marktwirtschaft einzugliedern).241 Allerdings erkannte der Gesetzgeber wohl, daß die auch künftig zu erwartenden Preissteigerungen weiterhin zu einer künstlichen Verknappung von Bauland durch Hortung führen würden und suchte deshalb nach einem marktkonformen Mittel, mit dem dieses Problem in den Griff zu bekommen war. Das 1960 verabschiedete Bundesbaugesetz gab deshalb zwar die Baulandpreise frei, sah aber gleichzeitig eine progressiv gestaffelte Baulandsteuer vor, die von Eigentümern baureifer, aber unbebauter Grundstücke erhoben und alle zwei Jahre schrittweise erhöht werden sollte.242 Diese Baulandsteuer war ein Fehlschlag. Zum einen waren von vornherein zahlreiche Ausnahmen vorgesehen; zweitens sträubten sich die Gemeinden zum Teil gegen ihre Umsetzung; und drittens blieb die verfassungsrechtliche Zulässigkeit der Steuer heftig umstritten. Schon 1964 wurde die Baulandsteuer daher wieder aufgehoben, und im Zeitraum ihrer Gültigkeit war sie nur höchst selektiv angewendet worden und daher ohne nennenswerten Einfluß geblieben.243 Übriggeblieben von den preisrechtlichen Regelungen des Bundesbaugesetzes war deshalb nur die Freigabe der Baulandpreise. Damit kam nun „eine Preislawine auf dem Baulandmarkt“ ins Rollen, „die den Baulandpreis um ein Vielfaches seines Stoppwertes in die Höhe trieb und Baulandbesitzern steuerfreie Gewinne ohne eigene Leistung in einem Umfange ermöglichte, wie sie in anderen Wirtschaftszweigen noch nie zu verzeichnen waren.“244 Zwar versuchte der Bund, diesem Trend durch den Verkauf von bundeseigenen Grundstücken entgegenzuwirken; doch dieser Notmaßnahme war kein durchschlagender Erfolg beschieden. Innerhalb von nur zwei Jahren verdoppelten sich die Preise für baureifes Land. Danach ließ der Preisauftrieb zwar etwas nach, blieb aber mit oft zweistelligen Zuwachsraten dauerhaft auf einem Niveau, das deutlich über dem fünfziger Jahre lag.245 In besonderem Maße hiervon betroffen waren die Ballungsräume. In Hamburg etwa, wo 1955 ein Quadratmeter Bauland noch für 5 DM zu haben gewesen war, verfünffachten sich die Preise für Bauland und für Trümmergrundstücke bis 1962; die Preise für land- und forstwirtschaftliche Flächen stiegen im gleichen Zeitraum auf das Zweieinhalbfache.246 Dabei spielte nicht nur die Knappheit des Baulandes 240 Vgl. Krummacher 1978, S. 611. Zur Entwicklung des Kapitalmarkts vgl. Ambrosius 1998, S. 153 ff. 241 Vgl. Krummacher 1978, S. 190 u. S. 195. 242 Vgl. Pergande/Pergande 1973, S. 155. Generell zum Bundesbaugesetz vgl. ebd., S. 140 ff.; Krummacher 1978, S. 190 ff.; und Beyme 1987, S. 132 ff. 243 Vgl. Pergande/Pergande 1973, S. 155. 244 GB NHH 1960, S. 10. 245 Vgl. Krummacher 1978, S. 611. Zur öffentlichen Reaktion auf die steigenden Grundstückspreise vgl. die Karikaturen in NHM 1961,1, S. 56/57 246 Vgl. GB NHH 1962, S. 11 sowie die Angaben in NH 1963, S. 75.

4.2 Auf dem Weg zum Städtebau

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eine Rolle, sondern auch die Tatsache, daß gerade in den besonders betroffenen Ballungsräume die Verlagerung der Bautätigkeit in die Außengebiete die Aufschließungskosten vervielfachte, weil auf bisher landwirtschaftlich genutzten Flächen jegliche Infrastruktur fehlte.247 Deshalb wurden die Bauland- und Aufschließungskosten nun zum wichtigsten preistreibenden Faktor auf dem Wohnungsmarkt; ihr Anteil an den Gesamtherstellungskosten für öffentlich geförderte Sozialwohnungen erhöhte sich von 15,8% 1954 auf 26,1% 1963.248 Wie ließ sich diese Entwicklung mit der seit Beginn der sechziger Jahre deutlich nach oben korrigierten Bedarfsschätzung für neugebauten Wohnraum in Einklang bringen? Diese Frage beschäftigte Stadtplaner und Wohnungspolitiker gleichermaßen. Vor allem der Bau von Großsiedlungen bot ihrer Auffassung nach eine plausible Strategie, um dem Preisauftrieb entgegenzuwirken und gleichzeitig auch weiterhin eine große Anzahl von Neubauwohnungen zu errichten. Unter dem Stichwort der „Trabantenstadt“ entspann sich in den Fachzeitschriften bald eine lebhafte Diskussion, in der die wohnungswirtschaftlichen Experten die Einsparungsmöglichkeiten von Großsiedlungen hervorhoben.249 Das betraf zum einen die Grundstücks-, zum anderen aber auch die Erschließungskosten. Gerade hinsichtlich des letztgenannten Punktes schienen Großsiedlungen enorme economies of scale in sich zu bergen: „10 Siedlungen à 1.000 WE würden infrastrukturell, so wenigstens die reine Lehre der ‚large-scale-Effekte‘, der [sic] Stadt sehr viel teurer kommen als 1 Siedlung à 10.000 WE.“250 Dabei ging die allerdings die Bedeutung der Frage der Infrastruktur weit über den Aspekt der Aufschließungskosten hinaus. Denn gerade in diesem Punkt lag zwischen den Wohnsiedlungen der fünfziger und den Großsiedlungen der sechziger Jahre auch ein entscheidender qualitativer Sprung. Die bisherigen Erfahrungen, so die einhellige Meinung der Stadtplaner, zeigten, daß die Ausstattung bestehender Trabantenstädte bei aller Sorgfalt, die auf die Planung von Wohnungen verwendet worden sei, unter städtebaulichen Gesichtspunkten erhebliche Mängel aufwies. Damit war vor allem ihre Infrastruktur gemeint – zum einen ihre Verkehrsanbindung, zum anderen aber das Fehlen von „Folgeeinrichtungen, wie Schulen, Krankenhäuser, Kirchen, Rathäuser, Kindergärten, Versorgungseinrichtungen aller Art (einschl. Läden, Handwerksbetrieben usw.), die nun einmal erforderlich sind, damit ein Gemeinschaftsleben sich entwickeln kann.“251 Gerade die zum Zeitpunkt ihres Entstehens hoch gelobten Gartenstädte der frühen fünfziger Jahre, etwa die von der NH errichteten Siedlungen in Hamburg-Hohnerkamp, Hamburg-Farmsen und München-Bogenhausen, mußten nun als Beispiele für die Mängel herhalten, die in Zukunft vermieden werden sollten. Der Kronzeuge für diese Kritik war aber zweifellos die Neue Vahr. Gerade dort „hatten die Bewohner 247 Vgl. GB NHH 1962, S. 11. 248 Vgl. GB NHH 1963, S. 13. 249 Vgl. zusammenfassend zu dieser Debatte Josef Wolff, Trabantenstädte – Wende des Städtebaues oder die ‚Ringelsocken der Stadtplaner‘, BBB 8.1959, S. 386–387, hier S. 386. Generell zu Begriff und Geschichte der „Trabantenstadt“ vgl. die klassische Darstellung von Lewis Mumford, Die Stadt. Geschichte und Ausblick, München 1979, S. 562 ff. 250 Tessin 1987, S. 81. 251 Fischer-Dieskau 1960, S. 502 (Hervorhebung im Original gesperrt).

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4. Auf der Suche nach dem verlorenen Markt

erleben müssen, daß die Entstehung von Kommunalbauten bei weitem nicht mit dem Zuzugstempo immer neuer Familien hatte Schritt halten können.“252 Vor allem aber war die Neue Vahr eine „Vorstadt, immer ausgerichtet auf die Einkaufsmöglichkeiten der Innenstadt“;253 eine Vorstadt zudem, der ein eigenes Zentrum und eine funktionierende Anbindung an den öffentlichen Nahverkehr fehlte. Das Schlagwort von den „grünen Witwen“, den tagsüber in ihrer Gartenstadt festsitzenden und zur Langeweile verdammten Hausfrauen, machte die Runde und signalisierte, daß die Planungsfehler der fünfziger Jahre unmittelbare negative Effekte für die Bewohner der Neuen Vahr hatten.254 Die Schlußfolgerung aus diesen Debatten lautete, daß einerseits wegen des nur geringen Rückgangs der Nachfrage wie bisher viele große – und eher: noch größere – Wohnsiedlungen errichtet werden mußten, diese aber andererseits von vornherein mit allen „Folgeeinrichtungen“ zu planen waren. Vereinfacht gesagt, sollten in Zukunft Stadtviertel anstelle von Wohnsiedlungen entstehen. Der Wohnungsbau, so die einhellige Auffassung, war deshalb zukünftig nur noch als integraler Bestandteil eines weiter definierten Städtebaus zu verstehen.255 Die Frage der Infrastruktur betraf allerdings nicht nur die Einrichtungen für die nun in der Planung befindlichen neuen Siedlungen. Sie bezog sich auch auf die bereits bestehenden Wohnsiedlungen und die alten Stadtkerne. Wegen der mit dem Wohnungsbau verbundenen Kosten war nämlich der Bau von Schulen, Kirchen, Rathäusern, Schwimmbädern und dergleichen während des Wiederaufbaus nicht nur beim Wohnungsneubau, sondern auch andernorts zurückgestellt worden. Der Nachholbedarf an kommunalen Einrichtungen dieser Art war, wie sich zu Beginn der sechziger Jahre herauskristallisierte, gewaltig. Eine 1962 veröffentlichte Studie des Deutschen Städtetages schätzte den Investitionsbedarf der Gemeinden für die nächsten zehn Jahre auf die unvorstellbare Summe von 157 Mrd. DM – mehr als das Dreifache des Bundeshaushaltes desselben Jahres! Den größten Teil hiervon (63 Mrd. DM) sollten die Ausgaben für den Verkehrsausbau einnehmen. Der Aufwand für Schulen war mit 23 Mrd. DM berechnet; es folgten Sportstätten – vor allem Turnhallen und Schwimmbäder – mit 7,5 Mrd. DM, Krankenhäuser mit 3 Mrd. DM und Altenheime mit 2 Mrd. DM. In den folgenden Jahren wurden diese Schätzungen laufend nach oben korrigiert: 1965 rechnete der Städtetag bereits mit einem Investitionsaufwand von 218 Mrd. DM.256 Doch das war nur ein Teil der nötigen Ausgaben. Denn bei diesen Zahlen war nicht berücksichtigt, daß sich der „Wohlstandsbedarf“ auch in einer Neueinschätzung des Sanierungsbedarfes niederschlug. Schon seit Mitte der fünfziger Jahre 252 Wallenhorst 1993, S. 274. 253 Gewoba Bremen o. D. [ca. 1993], S. 66. Vgl. auch Janpeter Kob u. a., Städtebauliche Konzeption in der Bewährung: Neue Vahr, Bremen. Lehren einer Fallstudie (Beiträge zur Stadtund Regionalforschung Bd. 3), Göttingen 1972, bes. S. 1 f. u. S. 64 ff. sowie Zimmermann 1986, S. 46. 254 Vgl. Kob 1972, S. 41 ff. sowie Martin Schwonke, Endlose Bandstadt oder Megalopolis? Städtebauliche Zukunftsvisionen eines Soziologen, NHM 1964,6, S. 1–10, hier S. 4. 255 Vgl. Fischer-Dieskau 1960, S. 501. 256 Vgl. 157 Milliarden. Der Deutsche Städtetag errechnet den Investitionsbedarf der Gemeinden, Der Städtetag 15.1962, S. 229–230, hier S. 229 sowie GB NHH 1965, S. 10.

4.2 Auf dem Weg zum Städtebau

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häuften sich die Probleme, die mit der Nutzung der alten Stadtkerne verbunden waren. So war die Überalterung der vorhandenen Wohnungen, deren Pflege während der Kriegsjahre zugunsten der Rüstung und nach Kriegsende zugunsten des Neubaus hatte zurückstehen müssen, kaum noch zu übersehen. Die Dringlichkeit von Modernisierungsnaßnahmen war schon durch den Einsturz eines Wohnhauses in Regensburg 1955 drastisch demonstriert worden.257 Eine von Johannes Göderitz im Auftrag des Bundesministeriums für Wohnungsbau durchgeführte Erhebung ergab 1963, daß etwa 900.000 Wohnungen als abbruchreif, 3,5 Mio. Wohnungen als von Grund auf überholungsbedürftig und weitere 3,6 Mio. Wohnungen als verbesserungsbedürftig gelten mußten. Vor allem die Ausstattung vieler Wohnungen mit Bädern und Heizungen entsprach nicht mehr den steigenden Ansprüchen, und Göderitz’ Befund, daß zwischen zehn und 20% der Schüler aufgrund ihrer Wohnverhältnisse ohne eigenes Bett auskommen mußten, sorgte für Aufsehen.258 Die von ihm errechneten Sanierungskosten in Höhe von 54 Mrd. DM wurden zwar von vielen Experten wegen ihrer exorbitanten Höhe bezweifelt.259 Aber die grundsätzliche Erkenntnis, daß der Wohnungsbestand der Bundesrepublik den Anforderungen der sechziger Jahre nur bedingt genügte, war kaum zu bestreiten. Außerdem fiel das Problem der Sanierung einzelner Wohnungen in den Augen der meisten Experten ohnehin mit der zweiten großen Herausforderung für die alten Stadtkerne, also mit ihrem verkehrsgerechten Umbau zusammen. Ein großer Teil der bemängelten Häuser bestand nämlich aus den als nicht modernisierungs-, sondern allenfalls als abrißwürdig erachteten Gründerzeithäusern. Der aus dem wohnungsreformerischen Konsens der Bundesrepublik gespeiste Haß auf die, so Wohnungsbauminister Lücke, „Mißgeburten der Gründerzeit“,260 spielte direkt in die Hände der durch den zunehmenden Individualverkehr an Bedeutung gewinnenden Zielsetzung der „autogerechten Stadt“.261 Wer sich für diese Zielsetzung stark machte und gleichzeitig in jeder Mietskaserne eine Gefährdung der öffentlichen Gesundheit erblickte, für den lag es nahe, die Sanierung – d. h. den Abriß und Neubau – einzelner Häuser mit dem Ausbau der Verkehrswege zu verknüpfen, also Flächensanierungen statt Objektsanierungen zu betreiben.262

257 Vgl. Harlander 1999, S. 296 ff. 258 Vgl. Albert Vietor, Städtebau durch Wohnungsunternehmen, Der langfristige Kredit 14.1963, S. 529–534, hier S. 532 sowie Heinz Roosch, Wohnungsstandard und Wohnungsbedarf, in: Protokoll Gewos-Arbeitstagung „Der Gemeinde-Sanierungsplan“, 6./7.1.1964, IGM ZwA 2/17 443, S. 5 f. 259 Vgl. Albert Vietor, Städtebau durch Wohnungsunternehmen, Der langfristige Kredit 14.1963, S. 529–534, hier S. 532 sowie GB NHH 1962, S. 17. 260 Paul Lücke, zit. nach Harlander 1999, S. 305. Vgl. auch Paul Lücke, Wohnungspolitik – Wohnungswirtschaft, GWW 12.1959,1, S. 1–8. 261 So der Titel von Hans Bernhard Reichow, Die autogerechte Stadt. Ein Weg aus dem Verkehrs-Chaos, Ravensburg 1959. Es sei angemerkt, daß Reichow damit zwar eines der zentralen Schlagworte der städtebaulichen Diskussion der sechziger Jahre lieferte, das Buch selbst aber noch auf den stadtplanerischen Ideen der fünfziger Jahre beruhte und – entgegen dem Titel – keineswegs die Schaffung autogerechter Städte im später praktizierten Sinn befürwortete. 262 Vgl. Harlander 1999, S. 302 ff.

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4. Auf der Suche nach dem verlorenen Markt

Neben die nun doch unverminderte Fortführung des Wohnungsbaus trat also zu Beginn der sechziger Jahre seine Einbettung in eine auf drei Eckpunkten basierende städtebauliche Agenda, die wesentlich durch den gestiegenen Wohlstand bedingt war. Zum einen galt es, zukünftige Wohnsiedlungen von vornherein mit einer funktionierenden Infrastruktur auszustatten und sie, stärker als das bisher geschehen war, auf die bereits bestehenden städtebaulichen Strukturen zu beziehen. Zweitens mußte der aufgestaute Nachholbedarf an kommunalen Einrichtungen gestillt werden. Und drittens waren auch die bestehenden städtebaulichen Strukturen selbst überholungsbedürftig. Diese Aufgabe, grob als „Stadterneuerung“ oder „Neuordnung von Stadtgebieten“ bezeichnet, zerfiel in die Wohnungsmodernisierung und –sanierung im engeren Sinne und den Verkehrsausbau. Diese Aspekte ließen sich aber durchaus verknüpfen und auch um die Dimension des Ausbaus der städtischen Infrastruktur ergänzen – wie überhaupt die Grenzen zwischen diesen Teilbereichen des Städtebaus ebenso fließend waren wie die Grenzen von Wohnungs- und Städtebau. Diese Wende „vom Wohnungsbau zum Städtebau“ bildete eine enorme Herausforderung an die Bauwirtschaft und an die Wohnungspolitik. Denn für die nun anstehenden Aufgaben bestanden in der Bundesrepublik weder adäquate rechtliche Rahmenbedingungen noch die angesichts der finanziellen Dimensionen nötigen Möglichkeiten der öffentlichen Förderung. Das warf eine ganze Reihe von politischen Problemen auf. So erforderten die Defizite der alten, „ungeplanten“ Städte eine Ausrichtung aller Erneuerungsmaßnahmen an übergeordneten Konzepten der Raumordnung – ein Problem, das auch die neu zu bauenden Stadtteile betraf. Mit der bestehenden administrativen Struktur war das kaum möglich: So lange die Planungshoheit bei den einzelnen Gemeinden lag und nicht bei den Wirtschaftsräumen, die die Grundlage solcher Planungen bilden sollten, konnte eine Einordnung der neuen wie der neugeordneten Stadtteile in eine gemeindeübergreifende Raumordnungsplanung kaum erfolgen. Das Raumordnungsgesetz von 1965 schuf hierfür erste Voraussetzungen.263 Hinzu kam, daß das deutsche Bau- und Bodenrecht hoffnungslos veraltet war. Das betraf vor allem die im Zusammenhang mit den Sanierungen bedeutsame Frage des gemeindlichen Vorkaufsrechtes und der Enteignung. Hierfür galten in der Bundesrepublik bis in die fünfziger Jahre hinein noch die Regelungen des preußischen Enteignungsgesetzes von 1874 und des Fluchtliniengesetzes von 1875, ergänzt um die Vorschriften der Behebungsverordnung von 1919 und des Baulandbeschaffungsgesetzes von 1953.264 Im bereits erwähnten Bundesbaugesetz wurden diese überarbeitet und zusammengefaßt. Dabei nahm die Bundesregierung eine Reihe von Regelungen auf, die auch für die Sanierung nutzbar gemacht werden konnten. Von der Normierung eines eigenständigen Sanierungsrechtes mußte sie allerdings absehen, um die ebenfalls im Bundesbaugesetz geregelte und von ihr als 263 Vgl. Konrad Meyer, Raumordnungsgesetz des Bundes, in: Akademie für Raumforschung und Landesplanung (Hg.), Handwörterbuch der Raumforschung und Raumordnung, Hannover 2 1970, Sp. 2486–2490. 264 Vgl. Wolfgang R. Krabbe, Die deutsche Stadt im 19. und 20. Jahrhundert, Göttingen 1989, S. 80 und Pergande/Pergande 1973, S. 137 ff.

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vorrangig erachtete Freigabe der Baulandpreise nicht weiter zu verzögern. 265 Deshalb stellte das Gesetz den Gemeinden nur wenige Instrumentarien zur Verfügung, mit denen sie Sanierungen durchsetzen konnten: die sogenannte Veränderungssperre, mit der die Kommunen sicherstellten, daß während der Aufstellung eines Bebauungsplanes keine Maßnahmen getroffen wurden, die dem in Arbeit befindlichen Plan widersprachen; das gemeindliche Vorkaufsrecht für bestimmte Grundstücke; und die Möglichkeit zur Umlegung oder Enteignung von Grundstücken.266 Die Grenzen für diese Instrumente waren allerdings so eng gezogen, daß sie kaum angewendet wurden und für die Sanierung keinerlei praktische Relevanz entfalten konnten. Die Forderung der Gemeinnützigen, der NH und des DGB nach einer sogenannten „Planungswertabgabe“, die die Gewinne aus den Bodenpreissteigerungen, die durch Planungsmaßnahmen entstanden, abschöpfen sollte, war vom Gesetzgeber überhaupt nicht berücksichtigt worden.267 In punkto Bodenordnung bestanden deshalb nach der Ansicht vieler Experten gravierende Defizite, die das Bundesbaugesetz als Instrument für die Stadtsanierung weitgehend unbrauchbar machten.268 Auch die übrigen Bestimmungen des Gesetzes stießen in der Wohnungswirtschaft auf wenig Gegenliebe: „Der Entwurf der Bebauungspläne und vor allen Dingen der hürdenreiche Weg bis zur Baugenehmigung der Einzelobjekte“, kritisierte etwa die NH Bayern 1964, sei „durch das Bundesbaugesetz und die Baunutzungs-Verordnung noch wesentlich komplizierter“269 geworden. Gingen die Vorstellungen von Wohnungswirtschaft und Wohnungspolitik bezüglich der Planungsinstrumentarien also weit auseinander, so bestand hinsichtlich der Finanzierungsfrage zumindest in einem Punkt weitgehende Einigkeit: Eine irgendwie geartete staatliche Förderung war unverzichtbar. Das galt vielleicht noch am wenigsten für den Neubau, weil hierfür die Mittel aus der Wohnungsbauförderung eingesetzt werden konnten. Doch die Finanzierung des Ausbaus der kommunalen Infrastruktur mußte – das war zumindest die herrschende Meinung – die Gemeinden angesichts der gewaltigen Summen, die hier zur Debatte standen, überfordern, und das betraf auch die Sanierungen und die Neuordnung städtebaulicher Strukturen.270 „Dem Bundesbaugesetz“, schlußfolgerte deshalb Joachim Fischer-Dieskau, Ministerialrat im Bundeswohnungsministerium und einer der Väter des I. Wohnungsbaugesetzes, „sollte die Schaffung eines Systems der Städtebaufinanzierung folgen, so wie es ein System der Wohnungsbaufinan-

265 Vgl. Pergande/Pergande 1973, S. 159. 266 Vgl. ebd., S. 143 ff. und Krummacher 1978, S. 190 ff. 267 Vgl. ebd., S. 195 und Pergande/Pergande 1973, S. 149 f. Zur Forderung nach einer „Planungswertabgabe“ vgl. Harro Iden, Bodenpreis und Wertausgleich, NHM 1958,8, S. 9–13, NHM 1958,9, S. 12–15 und NHM 1958,10, S. 10–15 sowie ders., Ohne Wertausgleich keine Bodenordnung, NHM 1958,10, S. 11–16. 268 Vgl. GB NHH 1960, S. 10. 269 GB NH Bayern 1964, S. 13. Vgl. mit ähnlichem Tenor auch Harro Iden, Bundesbaugesetz: Ein mangelhaftes Instrument, NHM, 1960,6, S. 10–15 sowie zur Baunutzungsverordnung Heinz Feicht, Gesetz von gestern für den Städtebau von morgen?, NHM 1968, S. 1–3. 270 Vgl. Albert Vietor, Städtebau durch Wohnungsunternehmen, Der langfristige Kredit 14.1963, S. 529–534, hier S. 530 f.

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zierung gibt.“271 Von dieser grundsätzlichen Auffassung zu einem konkreten Gesetzeswerk war allerdings schon aufgrund der finanziellen Belastungen, die dieses für die Staatskasse bedeuten mußte, ein weiter Weg zurückzulegen. Zwar wurden im Wohnungsbauministerium schon seit der Verabschiedung des Bundesbaugesetzes erste Überlegungen in dieser Richtung angestellt, aber einen konkreten Gesetzesentwurf legte die Behörde erst 1965 vor – und dieser Gesetzesentwurf markierte nicht etwa das Ende, sondern erst den Beginn einer langwierigen Diskussion über die Städtebaufinanzierung, die erst 1971 mit der Verabschiedung des Städtebauförderungsgesetzes ihren Abschluß fand.272 Für die konkrete Situation in den frühen sechziger Jahren bedeutete dies, daß die Sanierungsfrage zwar in ihrer Bedeutung erkannt worden war, ihre Bearbeitung zunächst aber gegenüber denjenigen Aufgaben zurücktreten mußte, die mit dem vorhandenen Planungs- und Finanzierungsinstrumentarium angegangen werden konnten. Deswegen standen zu diesem Zeitpunkt in erster Linie der Großsiedlungsbau und zum Teil auch der Ausbau der kommunalen Infrastruktur im Vordergrund der Überlegungen. Hier ergab sich nun allerdings ein weiteres Problem. Denn insbesondere hinsichtlich des Großsiedlungsbaus mangelte es in der Bundesrepublik an kompetenten Bauträgern, die für solche Projekte geeignet waren. Die wenigen Ausnahmen von dieser Regel waren fast ausschließlich gemeinnützige Wohnungsunternehmen. Das hing vor allem mit der Entwicklung der Größenstruktur der Gemeinnützigen zusammen. Zwar hatten diese im Verlauf der fünfziger Jahre gegenüber den freien Wohnungsunternehmen Marktanteile verloren. Aber während bei den freien Wohnungsunternehmen 1960 „große Unternehmen in dem Stil der gemeinnützigen Wohnungswirtschaft mit einem Bestand von über 5.000 Wohnungen nur sehr vereinzelt und über 10.000 Wohnungen noch überhaupt nicht“273 vorkamen, ging der Trend bei den Gemeinnützigen zu diesem Zeitpunkt eindeutig in Richtung Großunternehmen. 1958 hatten bereits zwölf gemeinnützige Wohnungsunternehmen einen Wohnungsbestand von 10–15.000 Wohnungen aufzuweisen, und elf Unternehmen betreuten gar über 15.000 Wohnungen.274 Diese Entwicklung brachte ihnen nun einen entscheidenden Wettbewerbsvorteil. Nur große Unternehmen verfügten über die nötigen Ressourcen, um Projekte der nunmehr angepeilten Größenordnung umzusetzen.275 Hinzu kam noch, daß sie im Rahmen des Wohnungsbaus der fünfziger Jahre bereits einige Objekte gebaut hatten, die sich mit dem, was nun gefordert war, zum Teil durchaus messen konnten. „Für die großen gemeinnützigen Wohnungsunternehmen“, so faßte Vietor deren Marktposition 1963 nicht ohne Stolz zusammen, „sind städtebauliche Aufgaben nichts Neues. Sie haben im vergangenen Jahrzehnt insbesondere große Erfahrungen auch auf diesem Gebiete sammeln können.“276 271 Fischer-Dieskau 1960, S. 504. Zur Person und Rolle Fischer-Dieskaus vgl. Schulz 1994, S. 193 ff. 272 Vgl. Kapitel 5.3.1.1 dieser Arbeit. 273 Brecht 1960, S. 448. 274 Vgl. ebd., S. 446. 275 Vgl. Schmecht 1976, S. 333. 276 Albert Vietor, Städtebau durch Wohnungsunternehmen, Der langfristige Kredit 1963, S. 529– 534, hier S. 529.

4.2 Auf dem Weg zum Städtebau

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Es kann kaum ein Zweifel daran bestehen, daß Vietor damit in erster Linie sein eigenes Unternehmen meinte. Denn was für die Gemeinnützigen insgesamt galt, mußte für die NH in ganz besonderer Weise gelten. Sie war um 1960 herum bereits das mit gewaltigem Abstand größte Wohnungsunternehmen in der Bundesrepublik. Und sie hatte, wie sich nun zeigte, bis gegen Ende der fünfziger Jahre eine Reihe von Kompetenzen aufgebaut, die ihr nun zugute kamen. Vor allem in der Baulandfrage, die sich mehr und mehr zum Schlüsselproblem des Großsiedlungsbaus entwickelte, befand sie sich in einer idealen Ausgangsposition. Schon in den fünfziger Jahren hatten einzelne Gesellschaften der Unternehmensgruppe versucht, dem Problem der steigenden Grundstückspreise durch eine Bevorratung von Grundstücken zu begegnen. Das war allerdings regelmäßig an den damit verbundenen Kosten und an der mangelnden Eigenkapitaldecke der Unternehmen gescheitert.277 So mußte die Unternehmensgruppe „hinsichtlich der Grundstücksankäufe von der Hand in den Mund leben“.278 Das führte dazu, daß die Grundstücksproblematik bei einigen Tochtergesellschaften Ende der fünfziger Jahre bereits zu Einschränkungen der Bautätigkeit führte.279 Als die Geschäftsführung zu diesem Zeitpunkt die Sicherung der Neubautätigkeit in den Mittelpunkt ihrer strategischen Überlegungen stellte, stand deshalb die Grundstücksbevorratung ganz oben auf der Prioritätenliste. Dabei kam der Unternehmensgruppe die Auflockerung des Kapitalmarktes zugute. Mit zinsgünstigen Krediten, die vor allem von der BfG und der Deutschen Genossenschaftskasse bereitgestellt wurden, kauften die Gesellschaften der Unternehmensgruppe seit Mitte 1958 innerhalb weniger Jahre einen riesigen Grundstücksbestand zusammen.280 Als gemeinnützige Wohnungsunternehmen waren sie von dem bis 1960 noch geltenden Baulandpreisstop ausgenommen und konnten zu beliebigen Preisen kaufen. Im März 1963 belief sich der Grundstücksbestand der Unternehmensgruppe deshalb schon auf 22,7 Mio. Quadratmeter – in etwa die Fläche von 3.000 Fußballfeldern. Der Buchwert dieses Bestandes belief sich auf 277 Mio. DM, die zu etwa 70% fremdfinanziert waren.281 Doch damit war das Ende der Fahnenstange noch nicht erreicht: 1964 wuchs der Grundstücksvorrat der Unternehmensgruppe noch einmal an und erreichte zur Mitte des Jahres einen Buchwert von 370 Mio. DM.282 Trotz dieser Summen schien die Vorratspolitik angesichts der aller Voraussicht nach auch in Zukunft explosionsartig ansteigenden Grundstückspreise nahezu risikolos zu sein. Die Höhe der Kredite – im Oktober 1962 beliefen sich die Grundstücksankaufskredite der Unternehmensgruppe auf 241 Mio., die gesamte Kreditbelastung auf 444 Mio. DM – erschien dem Aufsichtsrat jedenfalls „nicht übertrieben hoch.“283

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Vgl. Protokoll AA NHH, 30.10.1956, IGM ZwA 2/17 434, S. 7. Ebd. Vgl. GB Neues Heim 1958, FZH 592–32 I, S. 13. Vgl. Protokoll AR NHH, 14.5.1959, IGM ZwA 2/17 286, S. 5 sowie Protokoll AR NHH, 6.3.1963, IGM ZwA 2/17 286, S. 6. 281 Vgl. ebd. 282 Protokoll AA NHH, 30.6.1965, IGM ZwA 2/17 265, S. 12. 283 Protokoll AR NHH, 29.11.1963, IGM ZwA 2/17 286, S. 8.

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4. Auf der Suche nach dem verlorenen Markt

Allerdings setzte sich die Unternehmensgruppe mit ihrer Grundstückspolitik dem Vorwurf aus, Bodenspekulation in großem Stil zu betreiben. Plett habe, so formulierte es der SPIEGEL 1959, „wegen der unbändigen Baulust, die ihn beherrscht, stets großen Landhunger, und man sagt ihm nach, daß seine Vorratskäufe die Baulandpreise zumindest in und um Hamburg stark in die Höhe getrieben haben.“284 Das war für den Zeitraum vor 1960 zwar plausibel, aber angesichts der wegen des Preisstops fehlenden Baulandpreisstatistiken kaum nachweisbar. Für den Zeitraum nach 1960 konnte die NH den Vorwurf effektiv widerlegen.285 Schwerer wog da schon die Anschuldigung, die Unternehmensgruppe ziehe aus ihrer Machtposition unlautere Vorteile für die Grundstücksbeschaffung und damit für ihre eigene Bautätigkeit. So warf ihr etwa die Hamburger CDU vor, sie habe ihre Kontakte zum Senat genutzt, um im Voraus zu erfahren, welche Außengebietsflächen im Hamburger Aufbauplan von 1960 als Bau- oder Bauerwartungsland deklariert werden sollten.286 Ein solches Insiderwissen konnte äußerst wertvoll sein: Schließlich stieg der Grundstückswert nach der Ausweisung um ein Vielfaches; wer das Land vorher kaufen konnte, sparte erhebliche Summen. Noch zusätzlich an Brisanz gewann dieser Vorwurf, weil die NH seit Ende der fünfziger Jahre nicht nur Einfluß auf Flächennutzungs- und Bebauungsplanverfahren zu nehmen versuchte, sondern auch zunehmend selbst bei der Erstellung von Bebauungsplänen aktiv wurde. Das hatte seine Ursache wiederum in der Grundstückspolitik der Unternehmensgruppe. Die NH hatte nämlich genau diejenigen Flächen gekauft, die für die Entwicklung von neuen Stadtteilen besonders attraktiv waren. „Diese Tatsache“, konnte Albert Vietor seinem Aufsichtsrat im März 1963 mitteilen, „hat bereits jetzt dazu geführt, dass eine ganze Reihe von Städten an die Gesellschaften der Unternehmensgruppe herantritt, um sie für eine Planungsträgerschäft zu gewinnen“.287 Eine Planungsträgerschaft bedeutete, daß die Unternehmensgruppe für die betroffene Kommune die Erstellung von Flächennutzungsund Bebauungsplänen übernahm.288 Zwar war dies nicht automatisch mit einer Bautätigkeit verbunden. Dennoch zog das Unternehmen hieraus großen Nutzen. „Die Durchführung von Bebauungsplänen und anderen [Planungen] für öffentlich rechtliche Körperschaften“ habe, so erklärte Vietor, „den Vorteil, daß die Unternehmensgruppe als erste über die beabsichtigte Planungsmaßnahme Bescheid wisse und aus dieser Erkenntnis Vorteile für eine eigene Bautätigkeit – beispielsweise schon bei der Grundstücksbeschaffung – ziehen könne.“289 Insbesondere bei kleinen Gemeinden war dies problematisch, weil es potentiell ihre Entscheidungsfreiheit einengte. Eine ganze Reihe von Architekten und Wohnungsunternehmen, die in Gebieten, in denen die NH die Bebauungspläne erstellt hatte, von den folgenden Bauvorhaben ausgeschlossen blieben, klagte des284 Neue Heimat: Die Bauland-Fresser, SPIEGEL 13.1959,10, S. 26–42, hier S. 26. 285 Vgl. Johann Wolfgang Werner, Das Ende einer Legende. Am Baulandmarkt sind die Gemeinnützigen die vorsichtigsten Käufer, NHM 1963,9, S. 11–13. 286 Vgl. Neue Heimat: Die Bauland-Fresser, SPIEGEL 13.1959,10, S. 26–42, hier S. 42. 287 Protokoll AR NHH, 6.3.1963, IGM ZwA 2/17 286, S. 6. 288 Vgl. GB NHH 1962, S. 22. 289 Protokoll AR NHH, 6.3.1963, IGM ZwA 2/17 286, S. 13.

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halb darüber, daß die Übertragung einer Maßnahmenträgerschaft der NH ein erhebliches Mißbrauchspotential eröffnete.290 Doch auch diese Vorwürfe waren weit überzogen. Zum einen war nicht zu bestreiten, daß die Versuche der Unternehmensgruppe, die Planung zu beeinflussen, einen völlig legitimen Vorgang darstellten. Bezeichnenderweise kam gerade der ansonsten äußerst kritische Hamburger Untersuchungsausschuß über die NH 1986 nach einer detaillierten Untersuchung der Vorgänge um vier von der Unternehmensgruppe errichtete Siedlungen zu dem Schluß, „daß Investoren versuchen, Einfluß auf die Planung zu bekommen. (...) Einflußnahmen der NH wären (...) aus dem Rahmen fallend, wenn sie über das übliche Maß hinausgingen. Feststellungen dieser Art konnten in den exemplarisch betrachteten Fällen nicht getroffen werden.“291 Der Ausschuß vertrat also die Auffassung, daß die Unternehmensgruppe ihre Machtposition nicht ungebührlich ausgereizt habe. Wichtiger noch als diese Erkenntnis war aber die Tatsache, daß die Vorteile, die der NH aus den Planungs- und Maßnahmenträgerschaften entstanden, auf Seiten der Kommunen auch ausdrücklich erwünscht waren. Dies zeigt beispielhaft eines der größten Projekte, das die Unternehmensgruppe in diesen Jahren in Angriff nahm: das Projekt Mannheim-Vogelstang, eine Stadt für 20.000 Einwohner.292 Schon 1959 war die Karlsruher Tochtergesellschaft der NH an die Stadt Mannheim herangetreten und hatte ihr die Errichtung eines größeren Wohnungsbauvorhabens nahegelegt. Die Stadt, die insbesondere die Sicherung ihres Arbeitskräftepotentials im Hinterkopf hatte und aus diesem Grund dem Bau einer Großsiedlung nicht abgeneigt war, schlug vor, in der Vogelstang – einem bis dahin landwirtschaftlich genutzten Gebiet im Nordosten der Stadt – einen neuen Stadtteil zu erstellen.293 Dieses Baugelände hatte allerdings einen gravierenden Nachteil, der für fast alle der nunmehr ins Auge gefaßten Großprojekte galt. Der Grund und Boden, auf dem der neue Stadtteil gebaut werden sollte, war auf über 400 Einzeleigentümer verteilt.294 Diese Einzeleigentümer von einem Verkauf zu überzeugen, ohne dabei die Preise ins Unermeßliche zu treiben, war für sich genommen bereits ein Kunststück; viele Bauern nutzten die Gelegenheit, um sich einen sorgenfreien Lebensabend zu sichern. Hinzu kam noch das Problem, daß der Zeithorizont, innerhalb dessen dieses Kunststück vollbracht werden sollte, von vornherein auf mehrere Jahre zu veranschlagen war. Da mit dem Bau des Stadtteils aber erst begonnen werden konnte, wenn der Boden komplett in der Hand des Bauherren war, mußten die zuerst gekauften Grundstücke zwischenzeitlich bevorratet werden. Das erforderte finanzielle Ressourcen, die die Stadt nicht hatte. Die NH hingegen besaß zwar in Vogelstang, anders als in vielen Gebieten, die in anderen Städten für den Großsiedlungsbau vorgesehen waren, keinerlei Grundbesitz; aber „von ihrer finan290 Vgl. für ein Beispiel Scheiner/Schmidt 1974, S. 56. 291 PUA HH, S. 967. Vgl. auch Mehnert 1997, S. 66 sowie zu vergleichbaren Verhaltensweisen freier Bauunternehmen Schulz 1987, S. 11 f. 292 Vgl. zu Mannheim-Vogelstang zusammenfassend Irion/Sieverts 1991, S. 54 ff. sowie Neue Heimat Baden-Württemberg (Hg.), Mannheim-Vogelstang. Ein neuer Stadtteil für 20.000 Menschen. Ein Bericht der Neuen Heimat Baden-Württemberg, Stuttgart 1970. 293 Vgl. Irion/Sieverts 1991, S. 54 u. S. 59. 294 Vgl. ebd., S. 59.

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ziellen Ausgangssituation her“ war sie, so die Einschätzung des damaligen Mannheimer Oberbürgermeisters Ludwig Ratzel, „sicherlich eher in der Lage als die Stadt, den Grundbesitz auf Jahre hinaus praktisch zu stapeln, bis auch das letzte Grundstück in ihrem Besitz war und dann bebaut werden konnte.“295 Gleichzeitig ergab sich durch einen Träger, der finanziell in der Lage war, den Grundbesitz in seiner Hand zu vereinen, auch eine Chance, um der Preisexplosion entgegenzuwirken. Denn die Finanzkraft der NH ermöglichte es der Stadt, mit einer Reihe von Mannheimer Baugesellschaften eine Art Stillhalteabkommen zu vereinbaren: Nur die NH sollte als Grundstückskäufer in Erscheinung treten, im Gegenzug aber den übrigen Gesellschaften versprechen, daß diese „nach erfolgtem Totalerwerb ein ihrer Leistungsfähigkeit angemessenes großes Gelände zugewiesen bekommen, um es unter Einfügung in die Gesamtplanung nach ihren Vorstellungen bebauen zu können.“296 Der Hintergedanke hierbei war, den Wettbewerb um die Grundstücke zu eliminieren und so die Preise niedrig zu halten. Dieses Modell erwies sich als so erfolgreich, daß es auch in anderen Städten Schule machte. Bis Ende 1963 war die Unternehmensgruppe als federführende Gesellschaft von neun Arbeitsgemeinschaften bestimmt bzw. vorgesehen, die nach dem in Mannheim praktizierten Beispiel die Arbeit auf der Grundlage von Absprachen untereinander aufteilten. Der NH oblag in diesen Fällen „der treuhänderische Erwerb des Baugeländes, dessen Erschließung sowie die Mitwirkung bei der Aufstellung der Bebauungspläne und die künstlerische Oberleitung für die Gesamtbauvorhaben.“297 Allerdings waren die gemeinnützigen Wohnungsunternehmen auf die in diesen Arbeitsgemeinschaften verwirklichte „Form der vertikal verdichteten Großsiedlung für 10.000 und mehr EW [Einwohner] ökonomisch nicht unbedingt angewiesen (...). Sie hätten auch weiterhin (viele) kleinere 4-geschossige Siedlungen (auch im Umland) bauen können, wenn nur das Bauvolumen insgesamt dasselbe gewesen wäre.“298 Es waren vielmehr die Kommunen, die auf diese Form der Zusammenarbeit drängten. Sie suchten nach Wegen, um die Herausforderungen, vor denen sie auf dem Gebiet des Wohnungsbaus standen, möglichst günstig lösen zu können. Und für die Umsetzung des Weges, für den sie sich entschieden, benötigten sie „die Planungskapazitäten, die Managementfähigkeiten und insbesondere auch (...) die finanziellen Kapazitäten großer Bauträgerorganisationen“.299 Gerade das Beispiel des Grundstückserwerbs zeigt dies in aller Deutlichkeit. Daß das hierbei eingesetzte System allerdings, wie im Falle von München-Neuperlach, dem Mißbrauch dann Tür und Tor öffnete, wenn einzelne Beteiligte bereit waren, mit krimineller Energie zu operieren, steht auf einem anderen Blatt und wird an anderer Stelle noch zu erläutern sein.

295 Zit. nach ebd., S. 61 f. 296 Ebd., S. 62. 297 Verband Norddeutscher Wohnungsunternehmen, Bericht über die Prüfung der „Neue Heimat“ Gemeinnützige Wohnungs- und Siedlungsgesellschaft m.b.H. Hamburg, Jahresabschluß 1963, 30.11.1964, IGM ZwA 2/17 440, Ziff. a50. 298 Tessin 1987, S. 84. 299 PUA HH, S. 967.

4.2 Auf dem Weg zum Städtebau

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4.2.1.2 Die NH und die Rationalisierung des Bauwesens Die Versuche, durch die Planung großer Maßnahmen Kosten zu sparen, wirkten sich auch auf die Art der Baudurchführung aus, denn sie beschleunigten die Bemühungen um eine Senkung der Baukosten und damit um eine Rationalisierung des Neubaus. Dies war selbstverständlich kein neues Problem, sondern schon seit der Weimarer Republik eine der wichtigsten Entwicklungslinien gerade des gewerkschaftseigenen Wohnungsbaus.300 Auch in der Wiederaufbauphase der Bundesrepublik hatte die NH versucht, die Entwicklung der Baukosten in ihrem Sinne zu beeinflussen. In den fünfziger Jahren nutzte sie dabei vor allem ihre Stellung als einer der größten Auftraggeber für die Bauindustrie. Dabei zielte sie zum einen darauf ab, möglichst günstige Einkaufspreise für Baumaterialien zu erzielen. Zu diesem Zweck gründete sie 1954 zusammen mit der Großeinkaufsgesellschaft der deutschen Konsumgenossenschaften die Union Baubedarfs-Gesellschaft (UBB), ein Großhandelsunternehmen, das für alle Gesellschaften der Unternehmensgruppe die zentrale Baustoffbeschaffung übernahm.301 Zum anderen setzte sie ihre Marktmacht ein, um bei der Auftragsvergabe möglichst günstige Bedingungen auszuhandeln. Dabei stand die Frage der Preise zwar eindeutig im Vordergrund, aber daneben spielte auch die Durchsetzung gewerkschaftlicher Ziele eine wichtige Rolle. So wurden die Unternehmen, die die NH zur Abgabe von Angeboten aufrief, zuvor stets von den zuständigen Gewerkschaften überprüft und ggf. von der Angebotsabgabe ausgeschlossen.302 Der Versuch, mit der Auftragsvergabe sowohl günstige Preise als auch Wohlverhalten gegenüber gewerkschaftlichen Zielsetzungen zu erreichen, war allerdings ein zweischneidiges Schwert, denn der Preisdruck, den die NH auf die Bauleistungsmärkte ausübte, führte gelegentlich dazu, daß einzelne Unternehmen ihre Arbeitnehmer untertariflich bezahlten, um Aufträge von der NH zu erlangen.303 Aus gewerkschaftlicher Sicht wäre deshalb wohl eine Senkung der Baupreise über eine verstärkte Technisierung des Bauwesens erfolgversprechender gewesen. Erstaunlicherweise stand diese jedoch in den fünfziger Jahren bei der NH vergleichsweise niedrig im Kurs. Die Erklärung dafür war recht einfach: Unter den Bedingungen der fünfziger Jahre war der flächendeckende Einsatz von industriellen Techniken kaum rentabel zu gestalten. Die Arbeitskräfte in der Bauindustrie waren zu diesem Zeitpunkt noch relativ billig, während der Aufbau eines Werkes für industrielle Bauweisen mit der Investition von mehreren Millionen DM verbunden war. Die traditionelle Bauweise erwies sich deshalb insgesamt als die günstigere Lösung.304 300 Vgl. Kurt Junghanns, Das Haus für alle. Zur Geschichte der Vorfertigung in Deutschland, Berlin 1994, S. 119 ff. 301 Vgl. PUA HH, S. 455 ff. sowie die kurze Zusammenfassung der Unternehmensentwicklung der UBB vom 16.12.1960, IGM ZwA 2/17 269. 302 Vgl. DGB-Ortsausschuß Hamburg, Protokoll der Vorbesprechung der AR-Mitglieder Neues Heim und Ageka, 31.8.1956, FZH 592–31 I, S. 1. 303 Vgl. ebd. 304 Vgl. Projektgruppe Branchenanalyse TU Berlin, Industrialisierung des Bauens unter den Bedingungen des westdeutschen Kapitalismus, Kursbuch 27.1972, S. 99–136, hier S. 114; Man-

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Das galt auch ungeachtet der Tatsache, daß die Baukosten in den fünfziger Jahren bereits schneller stiegen als die Lebenshaltungskosten. Dieses Problem wäre ohnehin nur zu einem geringen Teil durch bautechnische Rationalisierungsmaßnahmen in den Griff zu bekommen gewesen. Denn selbst von dem Teil der Kostensteigerungen, der nicht auf die explodierenden Bodenpreise zurückzuführen war, ging nur etwa ein Drittel auf das Konto der reinen Baukosten. So hatte eine Untersuchung des Instituts für Bauforschung in Hannover aus dem Jahr 1963 ergeben, daß die Baukosten für eine Wohnung ohne Grundstückskosten von 10.100 DM 1950 bis zum Jahre 1963 auf 39.500 DM gestiegen waren. Diese Erhöhung war aber nur zu 32,3% durch reine Baupreissteigerungen bedingt, während 40,5% auf bessere Ausstattung und Hebung der Qualität sowie 27,2% auf eine Vergrößerung der Wohnfläche zurückzuführen waren.305 Daß die Bauindustrie dennoch seit Ende der fünfziger Jahre verstärkt auf eine Industrialisierung der Bauwirtschaft setzte, hatte im wesentlichen vier Gründe. Erstens wurden zu diesem Zeitpunkt die Arbeitskräfte in der Bauindustrie knapp und kapitalintensivere Produktionsweisen damit attraktiver. Zweitens erhoffte sich die Bauwirtschaft, die steigenden Ansprüche an die Wohnqualität durch den Einsatz des als höherwertig und weniger reparaturbedürftig geltenden Montagebaus besser befriedigen und dabei „steigende Leistungen und Qualität der Bauteile bei stagnierenden Kosten“306 gewährleisten zu können. Drittens gewann mit den steigenden Grundstückspreisen aus Sicht der Wohnungswirtschaft der Aspekt der Bauzeitverkürzung eine besondere Bedeutung. Die Finanzierung einer Großsiedlung brachte es mit sich, daß der Maßnahmenträger zum Teil jahrelang Grundstücke vorhalten mußte, die fremdfinanziert waren, also Zinsbelastungen verursachten. Je schneller eine Siedlung fertiggestellt war, um so eher konnte diese Zinsbelastung liquidiert werden. Die steigenden Grundstückspreise veränderten also die Bedeutung des Faktors „Geschwindigkeit“ in der Kalkulation der Neubaukosten – und die Aussichten ließen eindeutig erwarten, daß dieser auch zukünftig noch an Bedeutung gewinnen würde. Dieser dritte Punkt ging Hand in Hand mit einem vierten Aspekt, der besonders den Gewerkschaften am Herzen lag und auch von der Bundesregierung als arbeitsmarkt- und konjunkturpolitisch wünschenswert betrachtet wurde: der Sicherung einer ganzjährigen Beschäftigung in der Bauwirtschaft, für die der Montagebau deswegen besonders geeignet erschien, weil ein großer Teil der Fertigung in Fabriken stattfinden würde.307 Insgesamt schien es angesichts dieser Aussichten Anfang der sechziger Jahre plausibel, daß „die Fertigbauweise in der Zukunft nicht aufzuhalten“308 sein wür-

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fred Pohl, Philipp Holzmann. Geschichte eines Bauunternehmens 1849–1999, München 1999, S. 311 sowie die folgenden Ausführungen über die Veränderungen der Kostenrelationen seit Ende der fünfziger Jahre. Vgl. GB NHH 1963, S. 14. Bericht über Häuser mit vorgefertigten Bauelementen, 14.12.1960, IGM ZwA 2/17 269, S. 1. Vgl. auch Hafner 1993, S. 261 ff. Vgl. Bericht über Häuser mit vorgefertigten Bauelementen, 14.12.1960, IGM ZwA 2/17 269, S. 1. So die Einschätzung von Walter Beyn in: Protokoll Bauausschuß Ageka, Gewog 1910 und Neues Heim, 13.1.1961, FZH 592–31 II, S. 3.

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de. In Westdeutschland waren solche Techniken – gerade wegen der in den Jahren zuvor niedrigen Arbeitskosten – zu diesem Zeitpunkt allerdings noch so gut wie unbekannt.309 Das erkannte auch die NH. Sie unternahm deshalb in den folgenden Jahren eine Reihe von Anläufen zur Etablierung des Montagebaus. Dabei stützte sie ihre Erwartungen vor allem auf Erfahrungen, die im westlichen Ausland gewonnen worden waren.310 Ende 1959 begann sie damit, systematisch verschiedene Großbauelement-Bauweisen aus Frankreich, Holland und aus den skandinavischen Ländern unter die Lupe zu nehmen sowie einzelne Versuchsbauten zu errichten. Da, wie Fritz Richter das formulierte, „der Deutsche zu einem Massivhausbau neige“,311 kam eine ganze Reihe von ausländischen Techniken, die mit Holzhäusern arbeiteten, von vornherein nicht in Frage. Übrig blieben Montagebauverfahren, die auf großformatigen Betonplatten basierten. Für die Herstellung von mehrgeschossigen (Miet-)Wohnungsbauten waren das französische System „Camus“, mit dem in Frankreich bereits über 20.000 Wohnungen erstellt worden waren, und das dänische System Larsen und Nielsen am vielversprechendsten. Beim System „Camus“ wurden große, mehrschalige Betonelemente mit einem Gewicht von bis zu sieben Tonnen in einer vollmechanisierten stationären Fabrik hergestellt, wobei Einbauten wie Fenster und Leitungen bereits weitgehend in die Fabrikation mit einbezogen waren. Larsen und Nielsen war ein ähnlich angelegtes System, bei dem allerdings die einzelnen Elemente nur etwa halb so groß und damit auch nur halb so schwer waren wie beim System „Camus“.312 Schon bei diesen an sich weitgehend produktionsreifen Methoden zeichnete sich ab, daß mit der Umsetzung von Montagebauverfahren in der Praxis erhebliche Probleme verbunden waren. Eine Senkung der reinen Baukosten war von ihnen unter keinen Umständen zu erwarten. Die Errichtung einer Fabrikationsstätte für das System „Camus“ erforderte 1960 einen Betrag von sechs bis acht Mio. DM; erschwerend hinzu kam, daß die Transportkosten für die Fertigbauteile so immens hoch waren, daß sie maximal in einem Umkreis von fünfzig Kilometern rentabel zum Einsatz gebracht werden konnten. Um ein solches Werk zu errichten, bedurfte es also einer großen Wohnungsnachfrage im näheren Umkreis und eines finanzstarken Investors.313 Ersteres war höchstens in den Ballungsräumen, zweiteres aber schon aufgrund der Größenstruktur der deutschen Bauindustrie, in 309 Ein erster, Ende der vierziger Jahre zu beobachtender Versuch, in der Bundesrepublik Montagehausbauten auf breiter Front durchzusetzen, war an gravierenden technischen Problemen und an der mangelnden Akzeptanz durch die Bevölkerung gescheitert. Vgl. Hafner 1993, S. 73 ff. Zur Geschichte des Montagehausbaus vor 1945 vgl. Junghanns 1994, passim. 310 Vgl. Bericht über Häuser mit vorgefertigten Bauelementen, 14.12.1960, IGM ZwA 2/17 269, S. 1. Die Philipp Holzmann AG ging zu diesem Zeitpunkt ganz ähnlich vor, vgl. Pohl 1999, S. 314 f. 311 Protokoll AR NHH, 23.3.1962, DGBA-BV, Abt. Vorsitzender, 5/DGAI 1905, S. 11. 312 Vgl. Bericht über Häuser mit vorgefertigten Bauelementen, 14.12.1960, IGM ZwA 2/17 269, S. 2 f. Vgl. zusammenfassend zu den von der NH erprobten Bauweisen auch Gewog Stuttgart (Hg.), Neue Baumethoden im Wohnungsbau. Ein Bericht über angewandte neue Fertigungsund Baumethoden im sozialen Wohnungsbau im Land Baden-Württemberg 1960–1964, Stuttgart o. D. [1965]. 313 Vgl. Protokoll AR NHH, 16.12.1960, DGBA-BV, Abt. Vorsitzender, 5/DGAI 1905, S. 10 f.

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der vor allem kleinere Betriebe das Bild bestimmten (73% der knapp 61.000 Betriebe im Bauhauptgewerbe der BRD beschäftigten 1960 weniger als 20 Mitarbeiter314), so gut wie nirgendwo gegeben. Auch die NH selbst scheute die Investitionen, weil angesichts des verschärften Wettbewerbs auf den Bauleistungsmärkten für die Zukunft ein Absinken der Kosten auch für die traditionelle Bauweise nicht ausgeschlossen erschien.315 Noch deutlicher traten diese Schwierigkeiten bei den von der NH begutachteten Verfahren für Flachbauten zutage. Ihnen war eines gemeinsam, nämlich die Tatsache, daß sie erheblich teurer waren als traditionelle Bauweisen. „Sofern bei ‚importierten‘ ausländischen Verfahren auf solche im Ausland verwiesen wird“, stellte ein NH-interner Bericht resigniert fest, „zeigt sich bei näherer Untersuchung, dass die dort üblichen Konstruktionen und Ausstattungen auf deutsche Verhältnisse nicht ohne weiteres übertragbar sind. Die Unsicherheit in technischer und kalkulatorischer Hinsicht, die sich aus der mangelnden Erfahrung ergibt, zeigt ihren Niederschlag in den Angeboten der Montagebaufirmen. Die Kosten liegen allgemein wesentlich höher als für die Bauten in herkömmlicher Weise.“316 Die NH versuchte deshalb, selbst eine Alternative zu schaffen. Zwischen 1960 und 1963 entwickelte die Planungsabteilung in einer Reihe von Versuchsbauten in Kiel-Suchsdorf drei Einfamilienhaustypen, die „eine Leistungssteigerung und damit vergrößerte Angebotsmöglichkeiten, stabilere Baupreise und Qualitätssteigerungen“317 ermöglichen sollten. Bei der Umsetzung, die die NH als Dienstleister nicht übernehmen konnte, kam ihr die Unterstützung der IG Bau zugute, die vor allem an der dauerhaften Sicherung der Beschäftigung in der Bauindustrie durch ganzjährige Bautätigkeit interessiert war.318 Zusammen gründeten die hauptsächlich von der IG Bau getragene „Deutsche Bauhütten GmbH“ und die von der NH gesteuerte UBB 1962 eine Montagegesellschaft, die die Entwürfe in die Praxis umsetzen sollte.319 Diese „Montagehaus GmbH“ wurde von der NH beauftragt, „die technischen Voraussetzungen für die Fertigung und Lieferung von sogenannten vorgefertigten Teilen und für die Errichtung der Eigenheime zu schaffen“320 und erhielt in der Folgezeit neben diesem Entwicklungsauftrag auch einige Aufträge zur Lieferung erster Montage-Eigenheime. Allerdings waren diese Eigenheime alles andere als der erhoffte Durchbruch auf dem Gebiet des Fertigbaus. Sie zeigten vielmehr in aller Deutlichkeit, wo die ökonomischen Vor- und vor allen Dingen die Nachteile des Montagebaus lagen: Die Erstellung eines Eigenheimes mit etwa 100 qm Wohnfläche nach der von der NH entwickelten Technik erforderte eine Arbeitszeit von etwa 1.350 Stunden, wo314 315 316 317 318

Vgl. GB NHH 1966, S. 25. Vgl. Protokoll AA NHH, 8.4.1964, IGM ZwA 2/17 265, S. 9 f. Bericht über Häuser mit vorgefertigten Bauelementen, 14.12.1960, IGM ZwA 2/17 269, S. 2. GB NHH 1962, S. 22. Vgl. Bericht über Häuser mit vorgefertigten Bauelementen, 14.12.1960, IGM ZwA 2/17 269, S. 1. 319 Vgl. Protokoll AR NHH, 23.3.1962, IGM ZwA 2/17 286, S. 12. 320 Verband Norddeutscher Wohnungsunternehmen, Bericht über die Prüfung der „Neue Heimat“ Gemeinnützige Wohnungs- und Siedlungsgesellschaft m.b.H. Hamburg, Jahresabschluß 1963, 30.11.1964, IGM ZwA 2/17 440, Ziff. a49 (S. 18).

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von 73,5% in einer Fabrik und nur 26,5% auf der Baustelle erfolgten. In traditioneller Bauweise waren 3.500 Arbeitsstunden fällig, die zu knapp 90% auf der Baustelle zu verrichten waren. Doch trotz dieser Arbeitszeitersparnis von über 60% war die Fertigbauweise hinsichtlich der reinen Baukosten nur um etwa 10% günstiger als die traditionelle Fertigung; der höhere Kapitaleinsatz fraß die Kostenersparnis fast völlig auf.321 Erst in Verbindung mit den erhofften Zinseinsparungen durch die schnellere Fertigstellung waren die hohen Investitionen zu rechtfertigen – und auch das galt nur dann, wenn die „Montagehaus GmbH“ die Massenherstellung eines eigens für diese Häuser entwickelten Baumaterials, des sogenannten Blähtons, erfolgreich in den Griff bekam. Genau daran scheiterte die Gesellschaft aber in den folgenden Monaten. Die NH, die insgesamt etwa 4,5 Mio. DM in diese Entwicklung gesteckt hatte, entschied sich, das Unternehmen zu liquidieren und „auf Grund der bisherigen Erfahrungen (...) die Herstellung und Aufstellung der Montagehäuser Bauunternehmern zu übertragen.“322 Es war vor allem das mangelnde technische Know-how der neugegründeten Gesellschaft, das zu diesem Fehlschlag geführt hatte. Das war in den frühen sechziger Jahren eine durchaus typische Erfahrung, denn die Entwicklung des Fertigbaus befand sich zu diesem Zeitpunkt in Westdeutschland insgesamt noch in einer experimentellen Phase. In der ersten Hälfte der sechziger Jahre erfüllten sich die Hoffnungen, die die Geschäftsführung in diese Technik gesetzt hatte, deshalb noch nicht; hinsichtlich der Baukosten trug der Fertigbau zunächst vermutlich sogar zur weiteren Teuerung bei.323 Noch 1966 konstatierte der Geschäftsbericht der NH: „Trotz der zunehmenden Mechanisierung im Bauhauptgewerbe (...) wurden – zumindest im Bereich des Wohnungsbaus – die Erwartungen hinsichtlich der Vergrößerung des Anteils des Fertigteil- und Montagebaues an der Gesamtbauleistung in den letzten Jahren noch nicht erfüllt.“324 Erst als Mitte der sechziger Jahre eine größere Anzahl von Anbietern auf den Markt drängte, stieg die Zahl der in Fertigteilbauweise errichteten Wohneinheiten der Unternehmensgruppe sprunghaft an. Hatte ihr Anteil an den Fertigstellungen des Jahres 1964 noch bei 11,7% gelegen, so erreichte er 1965 schon 27,5% und 1966 33,8% (der Bundesdurchschnitt belief sich im gleichen Zeitraum dagegen nur auf drei bis fünf Prozent).325 Das betraf im wesentlichen den Geschoßwohnungsbau; im Flachbau war dem Montagebau in den sechziger Jahren kein nachhaltiger Erfolg beschieden. Die Ersparnisse, die der Unternehmensgruppe hierbei entstanden, resultierten vor allem aus der Zinsersparnis durch die verkürzten Bauzeiten und aus der Möglichkeit, bei gleichbleibendem Mitteleinsatz größere 321 Vgl. Protokoll AR NHH, 23.3.1962, IGM ZwA 2/17 286, S. 11. 322 Verband Norddeutscher Wohnungsunternehmen, Bericht über die Prüfung der „Neue Heimat“ Gemeinnützige Wohnungs- und Siedlungsgesellschaft m.b.H. Hamburg, Jahresabschluß 1963, 30.11.1964, IGM ZwA 2/17 440, Ziff. a49. Zu den Investitionen der NH vgl. ders., Bericht über die Prüfung der „Neue Heimat“ Gemeinnützige Wohnungs- und Siedlungsgesellschaft m.b.H. Hamburg, Jahresabschluß 1964, 17.12.1965, IGM ZwA 2/17 443, Anhang, S. 15. 323 Vgl. Tessin 1987, S. 83 und Hafner 1993, S. 268. 324 GB NHH 1966, S. 26. 325 Vgl. GB NHH 1965, S. 45; GB NHH 1966, S. 56 sowie Projektgruppe Branchenanalyse 1972, S. 108. Generell zur Entwicklung des Fertigbaus vgl. auch Hafner 1993, S. 268 ff.

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Wohnflächen erzielen zu können. Eine unmittelbare Senkung der Baukosten konnte dagegen nur in einem Teil der Fälle erreicht werden.326 Auch die Hoffnungen, die man sich hinsichtlich der vermeintlich höheren Qualität und damit der langfristig vermeintlich niedrigeren Reparaturkosten der Montagebauten gemacht hatte, entpuppten sich schon Ende der sechziger Jahre als Illusionen. Und das Ziel der Stärkung der ganzjährigen Beschäftigung, das allerdings nicht so sehr an der NH als vielmehr an der ihr weit hinterherhinkenden Entwicklung in der gesamten Baubranche hing, blieb ebenfalls unerreicht. Bis weit in die siebziger Jahre war dieses Problem für die Gewerkschaften ein ungelöstes Dauerthema.327 Es gab noch einen weiteren Nachteil der Montagebauweise, der allerdings den Akteuren bei allem Enthusiasmus, den insbesondere die IG Bau, aber auch Walter Beyn für die neuen Techniken hegten, von vornherein bewußt gewesen war: daß nämlich der Fertigteilbau die architektonischen Gestaltungsmöglichkeiten einengte. Das galt zum einen für die Gestaltung der Grundrisse, zum anderen aber auch für die Frage des äußeren Erscheinungsbildes der Siedlungen. Insbesondere beim System Larsen und Nielsen war nicht zu übersehen, „dass es wenig Variationsmöglichkeiten offen ließe, und infolgedessen bei größeren Bauvorhaben zu architektonischer Eintönigkeit führen könne.“328 Und auch die Eigenentwicklung der NH in Kiel-Suchsdorf mußte sich vorwerfen lassen, allzu offensichtlich ihre Herkunft aus dem Baukasten zu verraten.329 Dieses Manko wollte die Geschäftsführung allerdings in Kauf nehmen. Gegenüber den vermeintlichen Vorzügen schien dieser eine Nachteil nicht wirklich ins Gewicht zu fallen. Diese scheinbare Ignoranz mag zunächst erstaunen, war aber insofern nicht ganz falsch, als tatsächlich auch „Plattenbausiedlungen“ recht ansprechend gestaltet werden konnten, wie etwa das Beispiel Mannheim-Vogelstang, auf das im folgenden Abschnitt noch einzugehen sein wird, zeigte.330 Daß dies in der Mehrzahl der Fälle mißlang, hatte seine Ursachen nicht primär in der Tatsache, daß mit Montagebauteilen gebaut worden, sondern darin, wie mit Montagebauteilen gebaut wurde. Mit anderen Worten: Es war nicht allein der Montagebau, von dem die später so häufig beklagten negativen Auswirkungen auf die Gestaltung der neuen Großsiedlungen ausgingen, sondern ein anderer Faktor: der Wandel der städtebaulichen Leitbilder.

326 Vgl. GB NHH 1966, S. 52/53. 327 Vgl. Karl-Heinz Walper, Bauen im Winter. Möglichkeiten und Hemmschuhe, NHM 1970,2, S. 1–7; Rudolf Sperner, Neue Initiativen für den Winterbau, NHM 1972,6, S. 16–20 sowie zusammenfassend zu den Initiativen der NH auf diesem Gebiet: Förderung der kontinuierlichen Beschäftigung, 5.9.1973, DGBA-BV, Abt. Finanzen, 24/479. 328 Protokoll Bauausschuß Ageka, Gewog 1910 und Neues Heim, 29.5.1959, FZH 592–31 I, S. 4. Vgl. auch Protokoll Bauausschuß Ageka, Gewog 1910 und Neues Heim, 13.1.1961, FZH 592–31 II, S. 4, wo ähnliche Bedenken geäußert wurden. 329 Vgl. Protokoll Bauausschuß Ageka, Gewog 1910, Neues Heim, NH Kiel und Neues Heim Lübeck, 24.4.1963, FZH 592–31 III, S. 9. 330 Vgl. Gewog Stuttgart o. D. [1965], o. S.

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4.2.1.3 Die „Unwirtlichkeit der Städte“ und der Großsiedlungsbau der NH Die bereits erwähnte mangelhafte Berücksichtigung des Ausbaus der kommunalen Infrastruktur in den fünfziger Jahren hatte einerseits finanzielle Gründe gehabt, war aber durch das Leitbild der „gegliederten und aufgelockerten Stadt“ noch vorangetrieben worden. Die Vorstellung von der „funktionalen Trennung“ der Stadtteile beförderte den Bau von reinen Wohngebieten, die die Architekten bewußt von Freizeit- und Bildungseinrichtungen getrennt halten wollten. Dieses Leitbild geriet Anfang der sechziger Jahre national und international unter Druck.331 In der Hauptsache waren es allerdings nicht die Architekten, die hierfür den Anstoß gaben, sondern eine jüngere Generation von Sozialwissenschaftlern. Sie übten nunmehr heftige Kritik an der, so die schlagwortartige Verdichtung dieser Kritik durch Alexander Mitscherlich, „Unwirtlichkeit unserer Städte“.332 Diese Kritik, in der ein großes Maß an Enttäuschung über das Versagen der Architektenschaft enthalten war, erhielt einen wesentlichen Anstoß aus dem Werk der Amerikanerin Jane Jacobs und wurde in Deutschland neben Mitscherlich auch von dem Soziologen Hans Paul Bahrdt aufgegriffen.333 Bahrdt kritisierte 1960 als einer der ersten ein zentrales Element des Göderitz’schen Leitbildes, nämlich das Konzept der „Nachbarschaften“. Die „funktionale Trennung“, so lautete sein Verdikt, habe die innerstädtischen Kommunikationsstrukturen zerstört und damit die städtische Bürgergesellschaft atomisiert.334 Damit hieb er in eine Kerbe, die auch unter den Praktikern des Städtebaus Anklang fand. Vor der Hauptversammlung des Deutschen Städtetages brachte Edgar Salin – wiederum ein Sozialwissenschaftler – 1960 die Kritik an den alten Leitbildern auf einen (auch von Bahrdt verwendeten) Begriff, der in den folgenden Jahren zentrale Bedeutung für den Städtebau erlangen sollte: den Begriff der „Urbanität“.335 Diese sei, so lautete der Konsens unter den Kritikern des Städtebaus, in der funktionalen Trennung untergegangen und müsse nun wiederhergestellt werden. Was genau „Urbanität“ sein sollte, blieb weitgehend unklar; Salin etwa definierte 331 Vgl. dazu zusammenfassend Harlander 1999, S. 287 ff.; Hafner 1993, S. 305 ff.; Tessin 1987, S. 86 ff.; Beyme 1987, S. 90 sowie Albers 1986, S. 30 ff. 332 Alexander Mitscherlich, Die Unwirtlichkeit unserer Städte. Anstiftung zum Unfrieden, Frankfurt a. M. 1965, Titel. 333 Vgl. Jane Jacobs, Tod und Leben großer amerikanischer Städte (Bauwelt-Fundamente Bd. 4), Berlin 1963. Zentrale Thesen dieses Buches hatte Jacobs bereits in einem 1956 veröffentlichten Aufsatz vorweggenommen, vgl. dies., The Missing Link in City Redevelopment, The Architectural Forum. Magazine of Building 100.1956,6, S. 132–133. Vgl. hierzu sowie generell zum amerikanischen Einfluß auf den Wohnungs- und Städtebau in der Bundesrepublik Regina Fiorito, Wohnsiedlungsarchitektur der 60er Jahre in den Vereinigten Staaten von Amerika und Deutschland – eine vergleichende Untersuchung, Diss. phil. Köln 1999, S. 25 f. u. S. 63 ff. 334 Vgl. Hans Paul Bahrdt, Nachbarschaft oder Urbanität, Bauwelt 51/52.1960, S. 1467–1477, passim. Vgl. auch ders., Die moderne Großstadt. Soziologische Überlegungen zum Städtebau, Reinbek 1961, S. 119 f. sowie Elisabeth Pfeil, Zur Kritik der Nachbarschaftsidee, Archiv für Kommunalwissenschaften 2.1963, S. 39–54. 335 Edgar Salin, Urbanität, in: Erneuerung unserer Städte. Vorträge, Aussprachen und Ergebnisse der 11. Hauptversammlung des Deutschen Städtetages, Augsburg, 1.-3. Juni 1960 (Neue Schriften des Deutschen Städtetages Bd. 6), Stuttgart 1960, S. 9–34, Titel.

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sie in Anlehnung an hochgradig idealisierte Vorstellung von städtischer Gesellschaft in der griechischen Polis und im Oberitalien der Renaissance: „Urbanität [ist] mit der geistigen und politischen Freiheit eines aktiven Bürgertums identisch“. 336 In jedem Falle ging es dabei darum, daß die bauliche Gestaltung des Städtebaus in den fünfziger Jahren keinerlei gesellschaftsbildende Kommunikationsstrukturen, die ein solches aktives Bürgertum hätten hervorbringen können, geschaffen habe. Die definitorische Frage nach dem Inhalt des Urbanitätsbegriffs war aber ohnehin nur von untergeordneter Bedeutung, ganz einfach deswegen, weil der Weg zur Wiederherstellung von „Urbanität“ – worum auch immer es sich dabei handeln mochte – als eine ausgemachte Sache galt. Da die Funktionentrennung als Grundübel der Stadtplanung der fünfziger Jahre betrachtet wurde, war die Zusammenführung dieser Funktionen, die „Verflechtung“, eine offensichtlich erscheinende Möglichkeit zur Verbesserung der Situation – nicht zuletzt deshalb, weil sie als ein Charakteristikum „urbaner“ Städte galt. Und noch ein zweites Charakteristikum „urbaner“ Städte hatten die Kritiker des Städtebaus ausgemacht: ihre hohe bauliche Dichte. Dem Begriff der „Entballung“, der das städtebauliche Denken in den fünfziger Jahren dominiert hatte, setzten sie deshalb einen Begriff entgegen, der in den folgenden Jahren geradezu als der Königsweg zur Wiederherstellung der vermeintlich verlorengegangenen „Urbanität“ betrachtet wurde: den Begriff der „Verdichtung“. Durch eine dichtere Bauweise, eine stärkere Konzentration und eine Mischung der Funktionen sollten gesellschaftsbildende Kommunikationsstrukturen geschaffen werden. Mitscherlich formulierte die Essenz dieser Planungsauffassung 1965 so: Ihr Ziel läge „darin, Stadt auf dem kleinstmöglichen Raum zusammenzuziehen, um auf diese Weise der großen Zahl der Lebenden die Chance einer Verbesserung ihrer innerstädtischen Kommunikationswege, aber auch einer Erleichterung der Kommunikation von der Stadt in die Landschaft zu ermöglichen.“337 Dadurch sollten jene gesellschaftsbildenden Kräfte mobilisiert werden, die in der „gegliederten und aufgelockerten Stadt“ verlorengegangen waren. Das Thema einer 1963 veranstalteten Tagung führender Stadtplaner brachte es auf den Punkt: „Gesellschaft durch Dichte“.338 Die Annahme, daß die bloße Verkürzung der Kommunikationswege auch zu einer Verbesserung der Kommunikation selbst und damit zur Herausbildung einer aktiven, „urbanen“ Bürgergesellschaft führen müsse, entpuppte sich zwar, als sie gegen Ende der sechziger Jahre auf die Spitze getrieben wurde, gelinde gesagt als ein wenig einfältig. Das änderte aber nichts daran, daß sie zum beherrschenden Einfluß auf den Städtebau der sechziger Jahre wurde. Dabei kam dem Konzept zugute, daß es einer ganzen Reihe von bestehenden Trends in die Hände spielte: Die Entwicklung der Grundstückspreise machte eine höhere Ausnutzung des zur Verfügung stehenden Bodens schon aus ökonomischen Gründen ratsam; der drohende 336 Ebd., S. 16. 337 Mitscherlich 1965, S. 60. 338 Gerhard Boeddinghaus (Hg.), Gesellschaft durch Dichte. Kritische Initiativen zu einem neuen Leitbild für Planung und Städtebau 1963/1964 (Bauwelt-Fundamente Bd. 107), Braunschweig 1995, Titel.

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Verkehrsinfarkt führte zu einer verstärkten Förderung des öffentlichen Personennahverkehrs, der erst ab einer bestimmten Dichte rentabel gestaltet werden konnte; und auch Kultur- und Bildungsstätten sowie Läden und Einkaufszentren, denen im Rahmen des Begriffes der „Kommunikation“ eine Schlüsselrolle beigemessen wurde, war an einer Vergrößerung ihres Einzugsbereichs durch eine höhere Verdichtung gelegen.339 Aber es waren nicht nur pragmatisch-ökonomische Interessen, die hinter der raschen Akzeptanz dieses Leitbildes standen. Gerade jüngere Architekten griffen es begierig auf, weil sie darin die Chance erkannten, sich von den als belastet empfundenen Leitbildern und Personen des Städtebaus der fünfziger Jahre zu distanzieren. Die Möglichkeit, den Städtebau nach dem Vorbild des in den USA und in den skandinavischen Ländern bereits verbreiteten internationalen Stils stärker nach funktionalistischen Kriterien zu gestalten, wurde von ihnen „als ein Stück ‚Entnazifizierung‘ und ‚Entprovinzialisierung‘ des deutschen Nachkriegsstädtebaus empfunden.“340 Daß dieser internationale Stil einmal im „Neuen Bauen“ der zwanziger Jahre seinen Ursprung gehabt hatte, war dabei allerdings nur von untergeordneter Bedeutung: „Die Großsiedlungen der späten 60er Jahre sind städtebauideologisch (...) mehr als Reaktion auf den Siedlungsbau der 50er Jahre zu verstehen (...), denn als explizite Wiederanknüpfung an die 20er Jahre.“341 Diese grundsätzlichen Überlegungen, die die Großsiedlungsarchitektur der sechziger Jahre maßgeblich beeinflussen sollten, waren keine Erfindung der NH. Im Grunde genommen konnte es der Unternehmensgruppe herzlich egal sein, ob künftige Wohnsiedlungen dicht bebaut wurden oder mit großen Grünflächen versehen waren, solange das Volumen gleich blieb.342 Und tatsächlich ist ihre Rolle bei der Genese des Überganges von der „Entballung“ zur „Verdichtung“ insgesamt nur sehr gering zu veranschlagen. Als Beispiel hierfür kann eines der herausragenden städtebaulichen Großprojekte der frühen sechziger Jahre gelten, das genau an der Schwelle dieses Übergangs stand: die Frankfurter Nordweststadt. Hier war die NH zwar über einige ihrer Tochtergesellschaften an der Durchführung beteiligt; aber die Gründe dafür, daß beim Bau dieser Siedlung erstmals teilweise die neuen städtebaulichen Leitbilder aufgegriffen wurden, waren andere.343 Die Ausgangskonstellation für diese auf 25.000 Einwohner angelegte Trabantenstadt ähnelte der in Mannheim-Vogelstang. Auch die Stadt Frankfurt hatte in den fünfziger Jahren mit einem großen Wohnungsdefizit zu kämpfen, und für die sechziger Jahre rechnete sie zudem mit einer massiv steigenden Einwohnerzahl. 1955 hatte sie deshalb in ihren Bauleitplänen im Nordwesten der Stadt ein großes Erweiterungsgebiet vorgesehen.344 Auch hier arbeiteten die Stadt und die gemein339 340 341 342 343

Vgl. Albers 1986, S. 30 f.; Tessin 1987, S. 78 ff. sowie Harlander 1999, S. 291. Tessin 1987, S. 88. Ebd., S. 89. Vgl. ebd., S. 84. Zusammenfassend zur Nordweststadt vgl. vor allem Gleiniger 1995; daneben auch Irion/Sieverts 1991, S. 102 ff. sowie Sandro Einsiedel, Idee, Anspruch und Wirklichkeit – Die Nordweststadt in Frankfurt/Main, Stadtbauwelt 63.1979, S. 285–293. 344 Vgl. Gleiniger 1995, S. 91. Zur Bevölkerungsentwicklung und ihrer Bedeutung für die Frankfurter Stadtentwicklung in diesem Zeitraum vgl. auch Deutsche Akademie für Städtebau und

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nützigen Wohnungsbaugesellschaften Hand in Hand; schon 1956 trugen die Nassauische Heimstätte und die zu diesem Zeitpunkt noch eigenständige Gewobag Frankfurt der Stadt eine Bebauung dieses Gebietes an, und der technische Geschäftsführer der Gewobag, Hans Kampffmeyer, wurde im selben Jahr Bau- und Planungsdezernent der Stadt. Als solcher spielte er die entscheidende Rolle bei der Umsetzung des Großbauvorhabens. Im Februar 1959 schrieb die Stadt unter seiner Führung einen Wettbewerb für den Bau einer Wohnsiedlung aus, die einerseits Platz für 25.000 Neu-Frankfurter schaffen und andererseits diese mit vier bestehenden Ortschaften mit ebenfalls 25.000 Einwohnern zusammenführen sollte.345 Mit der städtebaulichen Planung beauftragte die Stadt schließlich die Träger des dritten Preises, Walter Schwagenscheidt und Tassilo Sittmann. In ihrem Entwurf griffen diese auf Schwagenscheidts ältere, bereits 1949 in Buchform publizierte Vorstellung der „Raumstadt“ zurück und münzten sie ausdrücklich in einen Mittelweg zwischen dem in Auflösung befindlichen Leitbild der „gegliederten und aufgelockerten Stadt“ und dem entstehenden Leitbild der Verdichtung und Verflechtung um. „Zur Zeit der Wettbewerbsausschreibung für die Nordweststadt“, erinnerte sich Sittmann zu Beginn der neunziger Jahre, „standen allenthalben zwei Städtebautheorien gegenüber. Die eine Tendenz befürwortete die Stadt mit der grünen Mitte, die andere Richtung vertrat ausschließlich die Forderung: ‚Gesellschaft durch Dichte‘. (...) In unserem Konzept sollten sich städtische Dichte und grüne Weite miteinander verbinden.“346 Allerdings war nicht zu übersehen, daß die Vorstellungen der Architekten trotz dieser mutigen Proklamationen nur einen zaghaften Schritt weg von den stadtplanerischen Idealen der fünfziger Jahre bedeuteten. Denn ihre Überlegungen zur „Raumstadt“ knüpften deutlich an die ideologischen Prämissen des „organischen“ Städtebaus an, die auch das Leitbild der „gegliederten und aufgelockerten Stadt“ mitgeprägt hatten. Schwagenscheidt entledigte sich dabei noch nicht einmal des zwischenzeitlich durch den Nationalsozialismus belasteten Vokabulars – etwa hinsichtlich der Verwendung des Raumbegriffes. Seine Überlegungen beruhten darauf, Häuser in nach den Prinzipien eines Innenraumes strukturierten räumlichen Gruppen oder, wie er 1949 geschrieben hatte, „Haus- und Baumkameradschaften“347 (!) anzuordnen. Diese sollten ihrerseits wieder zu aufgelockerten Strukturen zusammengefügt werden. Dabei wurde „Raum“ von Schwagenscheidt „weniger als eine ‚baukünstlerische‘ denn als eine psychologische Kategorie behandelt.“348 Was mit dieser grundlegenden städtebaulichen Einheit geformt werden sollte, waren nicht Häuser, sondern Menschen bzw. Beziehungen von Menschen untereinander; die architektonische Gestaltung der Einzelbauten war demgegenüber nur von untergeordneter Bedeutung.349 Darin ähnelte der Begriff der Bedeutung, die die „Kommunikation“ in den neu entstehenden städtebaulichen LeitLandesplanung 1970, S. 306 ff. 345 Vgl. Justus Buekschmitt, Wettbewerb Nordweststadtzentrum. Geschäfts- und Kulturzentrum für Frankfurts neues Stadtgebiet. Das Ergebnis, NHM 1962,7, S. 1–20, hier S. 1 ff. 346 Tassilo Sittmann, zit. nach Irion/Sieverts 1991, S. 122. 347 Walter Schwagenscheidt, Die Raumstadt, Heidelberg 1949, S. 13. 348 Gleiniger 1995, S. 102. 349 Vgl. ebd., S. 113.

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bildern einnahm. Aber seine Zielrichtung stammte noch aus den alten Leitbildern: In Schwagenscheidts „populär-ontologischen Raumbegriff (...) verlieren sich politische Faktoren wie ‚Gesellschaft‘ und ‚Öffentlichkeit‘ in einem bloßen Phänomen von ‚Gemeinschaft‘“.350 Diese sozialidyllische Gemeinschaftsvorstellung stand in eindeutiger Kontinuität zu den Leitbildern eines „organischen“ Städtebaus. Was bei der Nordweststadt schon eher auf die veränderten Konzepte hinwies, die den Großsiedlungsbau der sechziger Jahre dominieren sollten, war die Neueinschätzung des Mietwohnungsbaus, die den Planungen zugrunde lag. Schwagenscheidt und Sittmann hatten zwar ursprünglich einen Eigenheimanteil von 25% vorgesehen; doch die Stadt setzte eine Reduzierung auf nur 10% durch. 351 Das war eine unmittelbare Folge der neuen Problemlage zu Beginn der sechziger Jahre: Die vermeintlich dauerhaft steigende Bevölkerungszahl und die Effekte der Suburbanisierung auf die Grundstückspreise ließen den Eigenheimbau in einem neuen Licht erscheinen. Dies wurde von der städtebaulichen Theoriediskussion noch ideologisch überhöht – in einer Form, die der nicht zu Unrecht heftig kritisierten „Eigenheimideologie“ der fünfziger Jahre in nichts nachstand. Vom Eigenheimer als „Gartenzwergkapitalisten“ war da etwa die Rede oder vom Eigenheim als „dem Inbegriff städtebaulicher Verantwortungslosigkeit und der Manifestation des privaten Egoismus“.352 Dieser Meinungsumschwung kam so plötzlich, daß viele gerade im Bau befindliche Siedlungsprojekte, etwa die von der NH durchgeführte „Nachbarschaft U“ des Großprojektes Nürnberg-Langwasser, für die noch Mitte der fünfziger Jahre die Bebauung mit Einfamilienhäusern vorgesehen war, nun umgeplant und für den Geschoßwohnungsbau vorgemerkt wurden.353 Letztendlich entscheidend für die Tatsache, daß die Nordweststadt trotz ihrer Kontinuitäten zu den fünfziger Jahren zum Fanal für die Neukonzeption des Großsiedlungsbaus in der Bundesrepublik geriet, war aber ein anderer Gesichtspunkt: nämlich die Art und Weise, wie dort das Problem der städtebaulichen Infrastruktur gelöst werden sollte. Schon in Lübeck-Buntekuh, einer ebenfalls von der NH errichteten, aber von freien Architekten geplanten Großsiedlung, war zu sehen gewesen, in welche Richtung die Planer Ende der fünfziger Jahre dachten. Hier war, obwohl die vorgesehenen Schulen, Ladengruppen und Altersheime noch recht weit verstreut lagen, bereits ansatzweise erkennbar, daß sie versucht hatten, alle Infrastruktureinrichtungen im Zentrum der neuen Siedlung zu konzentrieren und so eine neue „Stadtmitte“ zu erschaffen.354 Dieser Trend wurde nun bei der Nordweststadt unter dem Eindruck der theoretischen Diskussionen noch forciert. Schon zu Beginn der Planungen hatte die Stadt festgelegt, daß in der Mitte der Siedlung ein nach amerikanischem Vorbild konzipiertes „integriertes Zentrum“ entstehen 350 Ebd., S. 104. 351 Vgl. Irion/Sieverts 1991, S. 115 f. 352 Alexander Mitscherlich, zit. nach stenographisches Protokoll Sitzung des Bundestags-Ausschusses für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau, 19.9.1973, BAK B 102–170434, S. 7. 353 Vgl. Neue Heimat Bayern o. D. [1970], S. 95. Das Gleiche geschah auch in Mannheim-Vogelstang, vgl. Irion/Sieverts 1991, S. 73 354 Vgl. Walter Beyn, Neue Städtebaukonzeption und Großbauvorhaben. Vorlage zu TOP 3 AR NHH, 2.2.1968, DGBA-BV, Abt. Finanzen, 24/449, S. 6 und Hans Konwiarz, Bunte Kuh, NHM 1962,1, S. 10–18, hier S. 16 f.

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sollte, das nicht nur „Verkehrsknotenpunkt und Einkaufszentrum (...) sein [sollte], sondern auch der kulturelle und gesellschaftliche Mittelpunkt eines weit über die eigentliche Nordweststadt hinausgehenden Einzugsbereiches der im Frankfurter Nordwesten eingemeindeten Ortschaften.“355 Dieses neue Stadtzentrum sollte auf einer vergleichsweise kleinen Fläche von 700 ha die Infrastruktur für einen Einzugsbereich von bis zu 80.000 Menschen in sich vereinen. Die 1961 erfolgte Ausschreibung für das Zentrum, die bewußt von dem Wettbewerb für die Wohnsiedlung abgetrennt worden war, schrieb deshalb eine hohe Verdichtung einer großen Anzahl infrastruktureller Einrichtungen vor, die wegen des begrenzten Platzangebotes in verschiedenen Ebenen übereinandergeschichtet werden mußten.356 Der schließlich von der Gewerbebauträger GmbH, einer Tochtergesellschaft der NH, umgesetzte Entwurf der Frankfurter Architekten Apel, Becker und Beckert sah eine Gliederung in vier Ebenen vor. Auf der tiefsten Ebene verlief die UBahn-Anbindung; die zweite Ebene war einem Parkhaus vorbehalten; auf der dritten Ebene befanden sich die Busanbindung und die Lieferwege; und auf der vierten, der Hochebene, fanden schließlich Läden, ein Ärztezentrum, Post, Schwimmbad, Bücherei und ähnliche Einrichtungen Platz.357 Diese letzte Ebene war ausschließlich für Fußgänger zu erreichen. Um das nur über Brücken zugängliche Zentrum herum sollte eine mehrspurige Ringstraße verlaufen, die eine klare Trennlinie zur umliegenden Wohnstadt bildete. Mit diesem in den folgenden Jahren umgesetzten „integrierten Zentrum“ gab die Nordweststadt den Ton für die Planung von Großsiedlungen in der ersten Hälfte der sechziger Jahre an. Das galt allerdings nicht nur für die Zentrumsbildung an sich, sondern auch für dessen architektonische Gestaltung. Denn das Zentrum verdankte seine Existenz der Tatsache, daß die Planer ihre Hauptaufgabe in der Schaffung von kommunikativen Räumen sahen – von Räumen, die Platz für die Entfaltung von sozialer Interaktion, „offenen Lebensraum für alle vorhersehbaren, aber auch noch nicht denkbaren künftigen Bedürfnissen [sic] und Entwicklungen der Bürger“358 schaffen sollten. Bemerkenswerterweise war das ihrer Auffassung nach keine Aufgabe, die von der Architektur zu leisten war, sondern eine, die an ihre Stelle trat. Mit anderen Worten: Gegenüber den sozialen Funktionen der Zentrumsbildung geriet die Frage der architektonischen Gestaltung der einzelnen Objekte völlig in den Hintergrund. „Die Beschwörung des Raumes als ein vornehmlich soziales, gesellschaftliches Ereignis, vor dessen selbstreferentieller und sich quasi selbst generierender Kraft die Architektur bescheiden und so unsichtbar wie möglich zurückzutreten habe“,359 wurde zum kennzeichnenden Merkmal dieser Auffassung. „Das städtebauliche Gefüge des Zentrums“, so brachte das der Ausschreibungstext der Stadt auf den Punkt, „muß so beschaffen sein, daß es 355 Gleiniger 1995, S. 198. Vgl. auch Henning Kias, Nordweststadtzentrum, NHM 1967,12, S. 1– 8. 356 Vgl. Irion/Sieverts 1991, S. 103 und Justus Buekschmitt, Wettbewerb Nordweststadtzentrum. Geschäfts- und Kulturzentrum für Frankfurts neues Stadtgebiet. Das Ergebnis, NHM 1962,7, S. 1–20, hier S. 5. 357 Vgl. Irion/Sieverts, S. 103. 358 Ebd., S. 107. 359 Gleiniger 1995, S. 202.

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das jedem Städter eigene – wenn auch meist unbewußte – urbane Gefühl positiv anspricht. Die Gestaltung des einzelnen Hauses ist in diesem Zusammenhang ohne jeden Belang.“360 Darin drückte sich ohne Zweifel die Skepsis einer jüngeren Generation von Architekten aus, die den älteren die mangelnde Berücksichtigung sozialstruktureller Faktoren und die einseitige Bevorzugung künstlerischer Aspekte, deren ideologischer Stammbaum als zweifelhaft galt, vorwarf.361 Allerdings fiel diese jüngere Generation genau in das gegenteilige Extrem. Ihre Auffassung ließ Raum für eine Ästhetik, die im wesentlichen aus funktionalen Kriterien abgeleitet war. Exemplifiziert wurde diese im Falle des Nordwestzentrums in der Metapher des „Steckbaukastens“, die schon in der Ausschreibung enthalten war und in dem schließlich umgesetzten Entwurf von Apel, Becker und Beckert auf die Spitze getrieben wurde. „Mit unerbittlicher Konsequenz durchdringt diese Systematik des Steckbaukastens das kleinste Detail vom Brüstungsfeld bis hin zur aufgesetzten Wohnkubatur (...). In schroffer Gradlinigkeit ist der rechte Winkel allgegenwärtig und macht vor den Beleuchtungskörpern sowenig Halt wie vor der Geometrie der Pflanzkübel.“362 Dieser Funktionalismus erhielt eine zusätzliche Spitze dadurch, daß der entstandene Freiraum konsequent im Sinne bautechnischer Rationalisierung genutzt wurde. Dies schlug sich in der einheitlichen Verwendung grauer Betonbauelemente nieder – eine Reduzierung des ästhetischen Gestaltungsanspruchs, die weitreichende Folgen hatte. Denn im Nordwestzentrum kristallisierten sich in den folgenden Jahren all jene Probleme, die vor allem in den achtziger Jahren das Bild der Großsiedlungen in der Öffentlichkeit bestimmten: hohe Leerstände, Verwahrlosung, Verödung und Kriminalität. Diese Entwicklung war eine unmittelbare Folge der architektonischen Tristesse des Zentrums und konnte erst durch eine komplette bauliche Umgestaltung gestoppt werden.363 Diese Probleme sind in den siebziger und achtziger Jahren des 20. Jahrhunderts wahlweise dem rücksichtslosen Machthunger der NH oder der Profitgier der großen Wohnungsbaugesellschaften zugeschrieben worden.364 Beide Auffassungen sind in dieser Form allerdings kaum haltbar. Alleine die NH hierfür verantwortlich zu machen – eine Tendenz, die in dem Spruch gipfelte, Deutschland sei zweimal zerstört worden (einmal im Krieg und einmal durch die NEUE HEIMAT) –, hieße, den Einfluß der Unternehmensgruppe bei weitem zu überschätzen. Das Beispiel der Nordweststadt zeigt deutlich, daß die Entstehung der Großsiedlungen viel zu sehr in der deutschen und internationalen architekturgeschichtlichen Tradition und in der sozioökonomischen Entwicklung der Bundesrepublik verankert war, als daß sie auf die Initiative eines einzigen Unternehmens hätte zurückgehen können. Außerdem übernahm die NH zwar in vielen, aber längst nicht in allen Fällen die Maßnahmenträgerschaft für diese Großprojekte. Mit der Durchführung 360 361 362 363 364

Zit. nach ebd. (meine Hervorhebung). Vgl. Tessin 1987, S. 88. Gleiniger 1995, S. 209 ff. Vgl. ebd., S. 216 ff. Vgl. z. B. Projektgruppe Branchenanalyse 1972, S. 109 und Karolus Heil, Neue Wohnquartiere am Stadtrand, in: Wolfgang Pehnt (Hg.), Die Stadt in der Bundesrepublik Deutschland. Lebensbedingungen, Aufgaben, Planung, Stuttgart 1974, S. 181–200, hier S. 187 f.

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des wohl bekanntesten und umstrittensten Bauvorhaben dieser Art, dem Märkischen Viertel in Berlin, hatte sie nichts zu tun.365 Aber auch davon, daß die Bauträgergesellschaften aus Rationalisierungsgründen oder, platter formuliert, aus „Profitgier“ die Entwürfe der Architekten so verfälscht hätten, daß aus ursprünglich guten Planungen schlechte Wohnsiedlungen wurden, kann nicht die Rede sein. Es ist sicher richtig, daß diese weit verbreitete Klage von Architekten in einigen Fällen zutraf. Die seit 1962 im Bau befindliche Berliner Gropiusstadt kann als das bekannteste Beispiel gelten: Gropius hatte dort ursprünglich eine relativ weitläufige und niedrig bebaute Stadt für 50.000 Einwohner geplant. Erst im Zuge der Umsetzung dieses Planes entwickelte sich daraus „ein planungsgeschichtliches Trauerspiel, in dem unter dem Druck der Interessen einer immer größeren Zahl beteiligter Wohnungsbaugesellschaften und Architekten der Einfluß von Gropius immer weiter zurückgedrängt wurde, die Verdichtung (...) und Höhe der Bebauung (bis 31 Geschosse) schrittweise höhergesetzt und der ursprüngliche Entwurf schließlich bis zur Unkenntlichkeit verändert wurde.“366 Auch Schwagenscheidt und Sittmann erhoben gegen die an der Nordweststadt beteiligten Bauträgergesellschaften ähnliche Vorwürfe. Sie bemängelten, daß die Einzelbebauung durch die Wohnungsunternehmen in ihrer Qualität nicht dem städtebaulichen Entwurf entspreche und der städtebauliche Zusammenhang damit zerstört werde. Bei genauerer Betrachtung kann allerdings davon, daß „die Defizite der Nordweststadt gegenüber den Konzept der Raumstadt ausschließlich den Bedingungen der Realisierung zuzuschreiben“367 sind, keine Rede sein: „Es muß“, so urteilt die beste Kennerin der Nordweststadt, „offen bleiben, ob ein deutlicher an den Vorstellungen von Schwagenscheidt und Sittmann orientierter Hochbau wirklich dazu beigetragen hätte, die räumlichen Möglichkeiten der Nordweststadt überzeugender umzusetzen und zur Geltung zu bringen. Denn auch Schwagenscheidt behandelt seine Haustypen als autonome, austauschbare, gemäß der funktionalistischen Doktrin von innen nach außen entwickelte Solitärbauten“.368 Das zentrale Problem dieser Siedlungen lag demnach nicht in der Veränderung der Entwürfe von Schwagenscheidt und Sittmann durch die beteiligten Wohnungsbaugesellschaften, sondern in den Entwürfen selbst. Denn diese Entwürfe waren den Problemen, die sich im Städtebau zu Beginn der sechziger Jahre stellten, nicht angemessen. „Es gab die Entstellung und die Instrumentalisierung der ursprünglichen Konzepte durch die wirtschaftlichen Interessen der Träger und der Baubürokraten. Aber diese war bereits in der unzureichenden Substanz der städtebaulichen Konzepte selbst angelegt. Weder die U- und kreisförmigen städtebaulichen Figuren von Gropius noch die (...) Raumstadtkonzepte Schwagenscheidts

365 Zum Märkischen Viertel vgl. Wörner/Mollenschott/Hüter 1991, S. 264 f. 366 Harlander 1999, S. 315. Vgl. auch Gerhard Fehl, Die Legende vom Stadtbaukünstler – Stadtgestalt und Planungsprozeß der Gropiusstadt in Berlin, Stadtbauwelt 63.1979, S. 275–285 sowie Fiorito 1999, S. 116 ff. 367 Einsiedel 1979, S. 290. 368 Gleiniger 1995, S. 159.

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waren tragfähige Antworten auf die mit den großen Stadterweiterungsprogrammen seit Anfang der sechziger Jahre gestellten komplexen Herausforderungen.“369 Sittmanns Idealvorstellung, „ohne Zwang durch Gesellschaften, durch mächtige Kräfte, die immer wieder auf einen einwirken und die besten Ideen in kürzester Zeit verwässern können“,370 bauen zu können, zeigte in ihrer erschreckenden Naivität deutlich, woran diese Konzepte krankten. Denn unter „mächtigen Kräften“ verstand Sittmann keineswegs nur die Wohnungsbaugesellschaften, sondern auch die Banken und sogar die Mitbürger. Am liebsten hätte er wohl Städtebau unter Ausschluß der Öffentlichkeit betrieben; schließlich sollte man seiner Auffassung nach „nicht diese Scheinspiele mit der Öffentlichkeit treiben, sondern lieber unter den Fachleuten in der Konkurrenz den Besten wählen.“371 Daß der Bau einer kompletten Stadt für 25.000 Einwohner eine öffentliche Angelegenheit war, die in der für moderne Industriegesellschaften typischen Form der politischen Mediation widerstreitender, aber dennoch völlig legitimer Interessen unterschiedlicher Gruppen – wozu Mitbürger, Banken und Wohnungsbaugesellschaften genauso gehörten wie Architekten – vonstatten gehen mußte, war für die deutsche Architektenschaft scheinbar eine neue Erfahrung. Es waren angesichts dieser Umstände gerade Wohnungsbaugesellschaften wie die NH, die maßgeblich dazu beitrugen, daß der Großsiedlungsbaus in diesem Zeitraum allen Unkenrufen zum Trotz insgesamt relativ erfolgreich war. Das läßt sich an zwei Dingen festmachen: erstens daran, daß sich die Nordweststadt in der von Sittmann und Schwagenscheidt so beklagten Form, in der sie schließlich von den Wohnungsunternehmen umgesetzt wurde, langfristig trotz der Defizite des Nordwestzentrums als eines jener Neubauviertel etablieren konnte, die aus heutiger Perspektive angesichts einer hohen Bewohnerzufriedenheit als recht gelungen angesehen werden können;372 und zweitens an den Fällen, in denen die Wohnungsbaugesellschaften nicht nur die Maßnahmen-, sondern auch die Planungsträgerschaft für den Großsiedlungsbau übernommen und deswegen die Entwürfe selbst erstellt hatten. Denn hier zeigte sich, daß sich gerade in den frühen sechziger Jahren bei den von der NH geplanten Siedlungen gute städtebauliche Gestaltung und ökonomische Tragfähigkeit nicht zwangsläufig ausschließen mußten.373 Die Siedlung Mannheim-Vogelstang liefert hierfür ein gutes Beispiel. Hier war es der NH-Architekt Peter Dresel, der in enger Zusammenarbeit mit dem Stadtplanungsamt die Bebauung für das neue Viertel entwarf.374 Das Ergebnis dieser Planungsarbeiten galt lange Zeit als vorbildlich. Dabei waren die Grundgedanken die gleichen, die zu diesem Zeitpunkt überall in Deutschland verfolgt wurden. Zum einen war auch für Vogelstang ein „integriertes Zentrum“ nach dem Vorbild der Nordweststadt vorgesehen, das als der entscheidende Referenzpunkt des gesamten Stadtteils konzipiert wurde. Es sollte „Gemeindeeinrichtungen, das Ein369 370 371 372 373 374

Harlander 1999, S. 321. Tassilo Sittmann, zit. nach Irion/Sieverts, S. 126. Ebd. Vgl. Irion/Sieverts 1991, S. 127. Das behauptet hingegen Tessin 1987, S. 94. Vgl. Irion/Sieverts 1991, S. 68 f.

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kaufszentrum, die Hauptstelle der Straßenbahn als öffentliches Verkehrsmittel, Büros, Arztpraxen, ein Hotel, Bildungs- und Unterhaltungsstätten, kurz alles, was zur Versorgung der 20.000 Einwohner notwendig ist und was darüber hinaus die Entwicklung eines lebendigen Gemeinwesens fördern kann“,375 umfassen. Zum anderen nahm die Planung auch Elemente der Raumstadt auf. Statt des Zeilenbaus versuchte Dresel, ganz wie in der Nordweststadt „Räume und Höfe zu bilden und so räumliche Einheiten zu schaffen mit spannungsvollen Begrenzungen“.376 In einem wesentlichen Punkt ging Vogelstang allerdings über die Nordweststadt hinaus. Neben die Raumbildung, die das Konzept der „Nachbarschaften“ abgelöst hatte, stellte Dresel noch ein zusätzliches Element der städtebaulichen Strukturierung, das zweifellos von der beginnenden Diskussion um die „Dichte“ beeinflußt war. Das Zentrum von Vogelstang stand nämlich an der Kreuzung zweier „Verdichtungsachsen“, also zweier Häuserzüge, die wesentlich kompakter aufgestellt waren als die umliegenden Blöcke.377 Die Wohnbebauung verlief vom Zentrum aus entlang dieser „Verdichtungsachsen“ abwärts gestaffelt: Während dort Hochhäuser mit bis zu 22 Stockwerken errichtet wurden, bevorzugten die Planer zur Mitte hin den Mittelhochbau und am Rand der Siedlung den Flachbau. Während die Ausrichtung hin zum Zentrum, die Abkehr vom Zeilenbau und die Verwendung von „Verdichtungszonen“ als Element der städtebaulichen Gliederung einen klaren Bruch mit den Planungsprinzipien der fünfziger Jahre bedeuteten, blieben andererseits aber auch zentrale Merkmale der Gartenstädte der fünfziger Jahre erhalten. Einmal investierten die Planer erhebliche Ressourcen in die Gestaltung des Grünkonzeptes, um damit „trotz einer relativ dichten Bebauung ein aufgelockertes, systematisch gegliedertes Wohngebiet mit einem an einer Stelle konzentrieren Grüngebiet zu erreichen.“378 Zum anderen aber war die Bebauungsdichte insgesamt trotz der stellenweisen Verdichtung entlang der Zentrumsachsen noch sehr niedrig: Mit einer Geschoßflächenzahl von 0,6–0,7 lag sie nur geringfügig über der der Neuen Vahr.379 Damit stand Vogelstang ebenso wie die Nordweststadt an der Schwelle zwischen den Gartenstädten der fünfziger Jahre und den hochverdichteten Großsiedlungen der späten sechziger und frühen siebziger Jahre. In diese Kategorie fielen auch eine ganze Reihe anderer Projekte der NH in den frühen sechziger Jahren, etwa Kiel-Mettenhof mit seinem 18-geschossigen Zentrum oder Düsseldorf-Monheim.380 Strenggenommen blieben diese Siedlungen hinter der theoretischen Diskussion des Zeitraumes, in dem sie entstanden, ein gutes Stück zurück, und unter zeitgenössischen Architekten und Planern waren sie daher nicht besonders wohlgelitten. Vergleicht man sie aber mit den in den späten 375 376 377 378 379 380

Ebd., S. 63. Ebd., S. 64. Vgl. ebd., S. 63. Ebd., S. 64. Vgl. ebd., S. 55. Vgl. Walter Beyn, Neue Städtebaukonzeption und Großbauvorhaben. Vorlage zu TOP 3 AR NHH, 2.2.1968, DGBA-BV, Abt. Finanzen, 24/449, S. 7; Hans Konwiarz, Mettenhof, NHM 1962,6, S. 20–30; Unternehmensgruppe Neue Heimat (Hg.), Mettenhof. Stadtteil für 25.000 Menschen, o. O., o. D., HAA BS 43. Auch ein Teil der Siedlung Düsseldorf-Garath wäre an dieser Stelle zu nennen. Vgl. dazu Fiorito 1999, S. 100 ff.

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sechziger und frühen siebziger Jahren entstandenen, wesentlich konsequenteren Umsetzungen dieser theoretischen Diskussion, so drängt sich der Eindruck auf, daß gerade diese in einer Übergangszeit entstandenen Projekte der Hauptgrund dafür sind, daß die Großsiedlungen der Bundesrepublik aus der heutigen Perspektive weitaus differenzierter beurteilt werden, als das noch in den siebziger Jahren des 20. Jahrhunderts der Fall war.381 Wenn es in der Nachkriegszeit je einen vernünftigen Großsiedlungsbau gegeben hat, dann war das in den Jahren zwischen etwa 1960 und 1965. Das lag allerdings nicht daran, daß sich in diesem Zeitraum die Architekten am besten gegen die Wohnungswirtschaft durchzusetzen vermochten, sondern daran, daß starke und erfahrene Wohnungsunternehmen wie die NH angesichts der im Fluß befindlichen städtebaulichen Diskussion in diesen Jahren die Möglichkeit hatten, wirtschaftliche und soziale Rahmenbedingungen auf relativ pragmatische Weise mit modernen Planungsvorstellungen in Einklang zu bringen, ohne dabei allzu stark ideologisch aufgeladenen Leitbildern aufgesessen zu sein. Das unterschied diesen Zeitraum von den fünfziger und auch von den späten sechziger und frühen siebziger Jahren. 4.2.2 Organisation und Expansion 1962–1966 4.2.2.1 Der Aufbau des verdeckten Bauträgerkonzerns Der Wandel vom Wohnungsbau zum Städtebau stellte auch die Organisationsstruktur der NH vor eine neue Herausforderung. War diese bis Anfang der sechziger Jahre ausschließlich auf den Bau von Wohnungen ausgerichtet, so mußte die Unternehmensgruppe angesichts der veränderten Rahmenbedingungen innerhalb weniger Jahre zu einem Dienstleister ausgebaut werden, der auch die Planung und Finanzierung von kommunalen Infrastruktureinrichtungen sowie die Sanierung ganzer Innenstädte anbieten konnte. Den Stolperstein für die hierfür erforderliche organisatorische Weiterentwicklung bildete das Wohnungsgemeinnützigkeitsgesetz. Denn anders als freie Unternehmen konnte die NH als Verbund gemeinnütziger Wohnungsunternehmen ihre Angebotspalette nicht ohne weiteres an die neue Situation anpassen. Sie war gesetzlich auf den Bau von Kleinwohnungen beschränkt. Zwar gestattete § 8 der Durchführungsverordnung zum WGG die Errichtung von sogenannten „Folgeeinrichtungen“ durch gemeinnützige Wohnungsunternehmen, also von Infrastruktureinrichtungen, die unmittelbar der Versorgung der Wohnsiedlungen dienten, die das betreffende Unternehmen selbst erbaut hatte;

381 Vgl. z. B. die detaillierte empirische Analyse von Jutta Schmidt-Bartel/Hartmut Meuter (Bearb.), Der Wohnungsbestand in Großsiedlungen in der Bundesrepublik Deutschland. Quantitative Eckdaten zur Einschätzung der Bedeutung von Großsiedlungen für die Wohnungsversorgung der Bevölkerung und für zukünftige Aufgaben der Stadterneuerung (Schriftenreihe 01 „Modellvorhaben, Versuchs- und Vergleichsbauvorhaben“ des Bundesministers für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau Heft 01.076), Bonn 1986, passim, sowie die differenzierten Urteile über die bei Irion/Sieverts 1991, passim, behandelten Wohnsiedlungen.

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aber die Durchführung von Einzelprojekten, die nicht in unmittelbarem Zusammenhang mit den eigenen Objekten standen, war den Gemeinnützigen verwehrt.382 Diese gesetzliche Regelung stammte aus einer Zeit, in der weder gemeinnützige Konzerne von der Größe der NH noch städtebauliche Projekte in den nunmehr angepeilten Dimensionen existiert hatten. Der Gesetzgeber hatte mit ihr verhindern wollen, daß sich die Gemeinnützigen in großem Umfang an Bau gewerblicher Objekte beteiligten und dabei der Wohnungsbau womöglich Schaden nahm. Das war in seinen Grundzügen auch zu Beginn der sechziger Jahre ein legitimes Anliegen, zumal den Restriktionen ja auch immer noch die Steuererleichterungen gegenüberstanden, die das WGG gewährte. Unter den Bedingungen des nunmehr infrastrukturell aufgewerteten Großsiedlungsbaus konnte diese Bestimmung allerdings zu Konsequenzen führen, die den Beteiligten absurd erscheinen mußten. In Mannheim-Vogelstang etwa durfte das Zentrum des neuen Stadtteils von der NH mitgebaut werden, weil es als Folgeeinrichtung zu den von der Gesellschaft errichteten Wohnanlagen galt. Anders in der Nordweststadt: Schon in einem sehr frühen Stadium war dort die Ausschreibung des Nordwestzentrums von der für die umgebende Stadt abgetrennt worden.383 Der Effekt war, daß sich die Gewobag zwar an der Ausschreibung für die Stadt, nicht aber an der für das Zentrum beteiligen durfte, weil letzteres nun als rein gewerbliches Objekt galt. Wären die beiden Teile der Nordweststadt aber gemeinsam ausgeschrieben worden, hätte die Unternehmensgruppe sie komplett übernehmen dürfen: Dann hätte das Nordwestzentrum als gemeinnützigkeitsrechtlich zulässige „Folgeeinrichtung“ gegolten. Mit der zunehmenden Größe der ins Auge gefaßten neuen Städte und vor allem mit der zunehmenden Bedeutung, die seit Beginn der sechziger Jahre der infrastrukturellen Versorgung dieser Städte beigemessen wurde, wurden solche Probleme immer wahrscheinlicher und eine Orientierung an dem Rahmen, den das WGG vorgab, immer weniger praktikabel.384 Hinzu kam, daß die hohe Komplexität dieser Maßnahmen Anforderungen stellte, die von einem allein auf den Wohnungsbau ausgerichteten Unternehmen kaum zu erfüllen waren. Das wichtigste Ziel der Unternehmensgruppe mußte es in dieser Situation sein, ihre Angebotspalette über den Bau von Kleinwohnungen hinaus zu erweitern, und das erforderte eine Änderung der Unternehmensorganisation. Die Unternehmensgruppe entschied sich dabei für eine doppelgleisige Strategie, die es ihr ermöglichen sollte, die Buchstaben des WGG zu wahren, seinen Geist aber hinter sich zu lassen: Zum einen verfolgte sie den Aufbau eines verdeckten und damit außerhalb des WGG liegenden gewerblichen Bauträgerkonzerns; und zum anderen trieb sie die Ausdehnung ihrer Geschäftstätigkeit in jene Bereiche des Städtebaus voran, die auch von den Anerkennungsbehörden als sozialpolitisch dringlich betrachtet wurden und in denen daher keine gemeinnützigkeitsrechtlichen Probleme zu befürchten waren. Letzteres tat sie vor allem nach Vietors Antritt als Geschäftsführer und 382 Vgl. Verordnung zur Durchführung des Gesetzes über die Gemeinnützigkeit im Wohnungswesen (WGGDV) vom 23. Juli 1940, RGBl. I, S. 1012–1018, hier S. 1014. 383 Vgl. Gleiniger 1995, S. 199. 384 Vgl. Joachim Fischer-Dieskau, Vom Wohnungsbau zum Städtebau, Der langfristige Kredit 14.1963, S. 493–496, hier S. 493.

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nachdem sie die Größenordnung der im Städtebau auftretenden Aufgaben abschätzen konnte; ersteres dagegen schwerpunktmäßig zu einem Zeitpunkt, zu dem Plett noch die Geschäftsführung innehatte und zu dem sich die Bedeutung des Städtebaus noch nicht eindeutig ermessen ließ. Einen ersten Schritt auf dem langen Weg zur Anpassung der Organisationsstrukturen der NH an die Anforderungen des Städtebaus bildete die Antwort der Unternehmensgruppe auf das Problem des Baus von Einkaufszentren. Die Tatsache, daß ein solcher erster Schritt ausgerechnet in diesem Arbeitsgebiet erfolgte, lag darin begründet, daß die NH, solange sie die Bedeutung des Städtebaus noch nicht überblickte, bei ihren Expansionsbemühungen alles andere als planvoll vorging und im wesentlichen äußere Impulse aufnahm. Diese äußeren Impulse kamen zuerst von Interessenten, die in den Bau von Einkaufszentren involviert waren. Schon 1961 hatten die GEG und die BfG die NH darauf aufmerksam gemacht, „daß eine kanadische Finanzgruppe dabei sei, in Westdeutschland Einkaufszentren für Großsiedlungen zu errichten.“385 Insbesondere die GEG hatte ein Interesse daran, dies künftig von der NH erledigt zu sehen. Schließlich fürchtete sie, daß „u. U. die in den Großsiedlungen der Unternehmensgruppe bereits vorhandenen Geschäfte“ – das waren in erster Linie die der GEG angeschlossenen Konsumgenossenschaften – „durch derartige Einkaufszentren notleidend werden könnten.“386 Im Mai 1962 gründete die NH deshalb gemeinsam mit der BfG die „Gewerbebauträger GmbH“, deren Aufgabe die Errichtung von Einkaufszentren sein sollte.387 Eine Beteiligung an einem solchen Unternehmen war der Unternehmensgruppe allerdings gemeinnützigkeitsrechtlich nicht gestattet, und auch die Erteilung einer Ausnahmegenehmigung, wie sie bei der Gründung der NHI erfolgt war, stand angesichts des kommerziellen Charakters von Einkaufszentren nicht zur Debatte. Die NH ging deshalb in Zusammenarbeit mit der BfG einen anderen Weg. Die BfG beteiligte sich mit 20% an der Neugründung, die mit einem Stammkapital von einer Mio. DM ausgestattet wurde; die übrigen 80% gingen auf das Konto der Union Treuhand GmbH, einer hundertprozentigen Tochter der BfG.388 Das war zumindest die Situation, wie sie sich nach außen hin präsentierte. Tatsächlich handelte es sich bei dem Anteil der Union Treuhand aber um eine verdeckte Beteiligung der NH, denn die Gesellschaft hielt ihren Anteil treuhänderisch für die UBB, die wiederum einer Reihe von Tochterunternehmen der NHH gehörte.389 In Wirklichkeit war die Gewerbebauträger also mehr als nur eine „befreundete“ Gesellschaft, wie die Geschäftsberichte der Unternehmensgruppe euphemistisch verkündeten; sie stand de facto unter ihrer vollen Kontrolle. Zwar wechselten die Beteiligungsverhältnisse in den folgenden Jahren mehrmals, vor allem als die UBB 1966 an die Deutsche Bauhütten GmbH verkauft wurde; aber an dieser grundsätzlichen Tatsache änderte sich nichts.390 385 386 387 388 389 390

Protokoll AA NHH, 16.11.1961, IGM ZwA 2/17 265, S. 15. Ebd. Vgl. ebd., S. 16. Vgl. PUA HH, S. 452. Vgl. ebd. und ebd., S. 455. Vgl. ebd., S. 452.

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Im Falle der Gewerbebauträger fand diese Vorgehensweise die ausdrückliche Zustimmung der Gewerkschaften, weil die Interessen mehrerer gewerkschaftseigener Unternehmen unmittelbar berührt waren und weil die Gewerbebauträger aus Sicht der Gewerkschaften „eine echte Lücke“391 schloß, also in ihren Augen mit dem politischen Anspruch der Unternehmensgruppe problemlos vereinbar war. Außerdem war ihre Verbundenheit mit der NH kein Geheimnis. Auch wenn die Beteiligungsverhältnisse nicht im einzelnen bekannt waren, so war in der weiteren Öffentlichkeit doch klar, daß hinter der Gewerbebauträger die NH stand.392 Wäre es dabei geblieben, so hätte das System der Treuhandbeteiligung später wohl kaum großes Aufsehen erregt. Aber es blieb nicht dabei. Vielmehr machte sich die Unternehmensgruppe seit der Gründung der Gewerbebauträger verstärkt daran, „über befreundete Unternehmen, gleich welcher Art, beispielsweise freie Wohnungsunternehmen, Versicherungsgesellschaften und Immobilienfonds, auch Einfluß auf die Bautätigkeit in solchen Gebieten“ zu nehmen, „wo ein unmittelbares Auftreten der ‚Neue Heimat‘ nicht erwünscht ist“393 – und damit auch in Bereichen, die aus gewerkschaftspolitischer Sicht höchst zweifelhaft waren. Daß die NH diesen Kurs einschlug, war allerdings, anders als diese Darstellung Vietors im Aufsichtsrat nahelegen würde, alles andere als das Ergebnis einer kohärenten Strategie oder einer klaren Vision von der Zukunft der Unternehmensgruppe. Diese Vorgehensweise trug vielmehr alle Merkmale einer trial-and-error-Strategie. Ihren Ausgangspunkt bildete eine mehr oder weniger zufällig zustande gekommene Beteiligung der Unternehmensgruppe. 1954 war der BfG Hamburg aus dem Vermögen des in Zahlungsschwierigkeiten geratenen Bankhauses Werner & Frese die nicht-gemeinnützige Wohnungsbaugesellschaft „Halbmond“ zugesprochen worden. Allerdings war die BfG zu diesem Zeitpunkt selbst gerade dringend auf flüssige Mittel angewiesen. Deshalb übernahm die NHH die Halbmond – als eine Art Gefälligkeitsdienst für die Bank. Sie profitierte aber auch selbst von dieser Vorgehensweise: Erstens hatte sie ein Interesse daran, „die Bank für Gemeinwirtschaft nicht zu zwingen, sich eine eigene Wohnungsbaugesellschaft zuzulegen, damit das Interesse der Bank an unserer Gesellschaft nicht durch eine andere abgezogen wird“;394 und zweitens verfügte die Halbmond über 7c-Mittel, die mit einer Übernahme der Unternehmensgruppe zugeführt werden konnten.395 Nachdem der Gesellschaftszweck der „Halbmond“ den Erfordernissen des WGG angepaßt worden war, erhielt die NHH für diese Beteiligung eine Ausnahmegenehmigung.396 Allerdings wurde die 1957 in Bewobau umbenannte „Halbmond“ selbst nicht als gemeinnütziges Wohnungsunternehmen anerkannt. Nachdem die 7c-Gelder der Gesellschaft verbraucht waren, kam in der Geschäftsführung deshalb aus nicht mehr nachvollziehbaren Gründen die Idee auf, die Bewobau gezielt als nicht-gemeinnütziges Unternehmen weiterzuführen. Diese Absicht 391 392 393 394 395 396

Protokoll AR NHH, 6.3.1963, IGM ZwA 2/17 286, S. 8. Vgl. Scharnagl 1970, S. 190. Protokoll AR NHH, 6.3.1963, IGM ZwA 2/17 286, S. 8. Protokoll Finanzausschuß NHH, 18.8.1954, FZH 592–30 I, S. 7. Vgl. ebd. Vgl. PUA HH, S. 433 f.

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mußte allerdings über kurz oder lang zu Konflikten mit der Anerkennungsbehörde führen. Deshalb entschloß sich die Geschäftsführung zu einem ungewöhnlichen Schritt: Sie erklärte die Ausnahmegenehmigung für hinfällig und veräußerte das Unternehmen – allerdings, wie Plett das formulierte, „unter Wahrung unserer Interessen“.397 Erworben wurde die Bewobau von zwei Banken: zum einen von der den Gewerkschaften zugeneigten Deutschen Genossenschafts-Hypothekenbank (DGHyp); und zum anderen vom Bankhaus Wölbern, mit dessen Inhaber, Ernst Wölbern, Plett schon in den dreißiger Jahren als Angestellter der Dresdner Bank zusammengearbeitet hatte.398 Diese beiden Banken übernahmen aber nicht die vollen Rechte an den von ihnen erworbenen Anteilen, sondern verwalteten sie treuhänderisch für die NHH. Die Bewobau war damit zu einer verdeckten Beteiligung der Unternehmensgruppe geworden. Das war eindeutig rechtswidrig, und die Beteiligung wurde in dementsprechend konspirativer Form geführt. Der Aufsichtsrat war jedenfalls über diesen Alleingang der Geschäftsführung nicht informiert, und man geht wohl recht in der Annahme, daß innerhalb der Unternehmensgruppe nur Plett, Vietor und Beyn die tatsächlichen Verhältnisse kannten.399 In den fünfziger Jahren blieb die Bewobau allerdings bedeutungslos; eine unmittelbare Verwendung für diese Gesellschaft gab es offenbar nicht. Erst mit den neuen Rahmenbedingungen seit Beginn der sechziger Jahre änderte sich dies. Die Bewobau wurde nun Zug um Zug zur Dachgesellschaft für eine ganze Reihe von gewerblichen Bauträgergesellschaften ausgebaut, die auf die Initiative von Plett und Vietor hin ins Leben gerufen wurden. Ende 1963 gründete sie die GVG Grundstücks-, Finanz- und Verwaltungsgesellschaft mbH, die die Verwaltung der von der Bewobau errichteten Gebäude, die Verwaltung für Dritte und den Bau von Eigentumsmaßnahmen übernahm.400 1964 übernahm die Bewobau 90% der bereits zwei Jahre zuvor von Wölbern und einer weiteren Bank für die NH gegründeten EGB Eigentums- und Betreuungsgesellschaft mbH mit Sitz in Düsseldorf.401 Ihr Geschäftsbereich war die Errichtung von Eigenheimen und Eigentumswohnungen für den gehobenen Bedarf – eine Aufgabe, für die sich im Rahmen der nunmehr geplanten Großsiedlungen zahlreiche Betätigungsfelder ergaben. 1966 schließlich kam noch die Begebau hinzu, eine Beratungsgesellschaft, deren Aufgabe die Betreuung, Marktforschung und Beratung bei gewerblichen Bauten bildete.402 Sie war bereits ein Jahr zuvor von der GEG und der Union Treuhandgesellschaft gegründet und seitdem mit der Gewerbebauträger in Unternehmereinheit geführt worden. Damit war ein Zwillingsunternehmen entstanden, das in fast allen Berei397 Schreiben Pletts an Otto Brenner, 20.1.1959, IGM ZwA 2/17 269, S. 4. 398 Vgl. PUA HH, S. 434. Zur Zusammenarbeit von Plett und Wölbern in den dreißiger Jahren vgl. Stenographisches Protokoll 27. Sitzung des 3. Untersuchungsausschusses „Neue Heimat“, 25.9.1986, Parlamentsarchiv des Deutschen Bundestages, Bestand PUA Neue Heimat, Ordner „Prot 27–28–30“, S. 23. 399 Vgl. ebd., S. 24. 400 Vgl. PUA HH, S. 655 ff. 401 Vgl. ebd. sowie generell zur EBG ebd., S. 436 und EBG Eigentums- und Betreuungsgesellschaft m.b.H. [Kurzdarstellung], 11.5.1962, IGM ZwA 2/17 288. 402 Vgl. PUA HH, S. 450. Die Beteiligungsverhältnisse sind insgesamt äußerst kompliziert und hier stark vereinfacht dargestellt.

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chen des gewerblichen Baus aktiv werden konnte und dies in den folgenden Jahren auch tat.403 Insgesamt entstand so bis 1966 unter dem Dach der Bewobau ein gewerblicher Bauträgerkonzern, der zahlreiche neue Geschäftsfelder abdeckte und zudem eine erkleckliche Größe erreichte: Das Stammkapital der Gesellschaften, die indirekt von der NH beherrscht wurden, betrug im November 1967 3,14 Mio. DM, und in den folgenden Jahren kamen noch weitere Beteiligungen hinzu.404 Im weiteren Sinne gehörten zu diesem gewerblichen Bauträgerkonzern auch die Terrafinanz Terrain- und Wohnungsbau GmbH und die Terrafinanz Terrainund Wohnungsbau GmbH & Co KG. Diese beiden Unternehmen waren 1961 unter Beteiligung von Ernst Wölbern gegründet worden. Auch sie bedienten einen der Wachstumsmärkte des Städtebaus, nämlich die Gründstücksbeschaffung. Allerdings lagen die Beteiligungsverhältnisse bei ihnen etwas anders als bei den Unternehmen, die unter dem Dach der Bewobau zusammengeschlossen waren. Als Gesellschafter der GmbH und als Kommanditisten der KG traten nach außen hin Wölbern, Norbert Plett – der Sohn Heinrich Pletts – und Gustav Adolf Blum, ein ehemaliger Prokurist der NH Bayern, in Erscheinung. Tatsächlich aber hielt Wölbern seine Anteile jeweils nur zu einem Sechstel für sich selbst; die übrigen fünf Sechstel verwaltete er treuhänderisch – nicht für die NH oder die UBB, sondern für Heinrich Plett, Albert Vietor, Herbert Ritze, Ludwig Geigenberger und später auch Walter Beyn.405 Damit waren Mitglieder der Geschäftsführung de facto Eigentümer eines freien Wohnungsunternehmens geworden – eine höchst bedenkliche Konstellation, die in dem Skandal des Jahres 1982 eine zentrale Rolle spielte. Allerdings beriefen sich die Geschäftsführer, nachdem diese Beteiligungsverhältnisse bekannt geworden waren, auf eine Reihe von Beschlüssen aus den fünfziger Jahren und behaupteten, diese gestatteten ihnen eine solche Beteiligung.406 Tatsächlich führte die Unternehmensgruppe seit einem entsprechenden Aufsichtsratsbeschluß vom Dezember 1954 im Rahmen ihres Betreuungsprogrammes auch Betreuungsbauten für Aufsichtsratsmitglieder und Geschäftsführer der Unternehmensgruppe durch, damit diese in den Genuß der Steuervorteile nach § 7 b EstG kommen konnten.407 Allerdings war diese Regelung umstritten, weil der private Mietshausbesitz von führenden Repräsentanten der Unternehmensgruppe vom Aufsichtsrat als nicht gerade erstrebenswert betrachtet wurde. Im Februar 1955 entschied dieser daher, seinen Beschluß durch ein Gutachten überprüfen zu lassen 403 Vgl. Bericht über die Beiratsprüfung der Beratungsgesellschaft für Gewerbebau mbH, Hamburg; Gewerbebauträger Gesellschaft m.b.H., Hamburg; Revisionsbericht Nr. 1/1970 vom 20. Februar 1970, FZH 592–30 III, S. 4. 404 Vgl. PUA HH, S. 438 sowie Kap. 5.2.1 dieser Arbeit. 405 Vgl. Treuarbeit AG, Teil-Bericht Nr. 10 5720 3 über die bei der NEUE HEIMAT Gemeinnützige Wohnungs- und Siedlungsgesellschaft m.b.H., Hamburg durchgeführte Sonderprüfung, Bd. 1, StA HH, 622–2 Cordua 110, S. 5; PUA HH, S. 697 f.; Das Geld lag auf dem Acker, SPIEGEL 36.1982,20, S. 34–47, hier S. 35 ff. sowie zum Zustandekommen der Beteiligungen PUA Bayern, S. 11 ff. 406 Vgl. Kusch 1986, S. 30 f. 407 Vgl. Abschrift Protokoll AR NHH, 22.12.1954, StA HH, 622–2 Cordua 42; Schreiben Pletts, Vietors und Beyns an Albin Karl, 14.9.1956, StA HH, 622–2 Cordua 42, S. 1; PUA HH, S. 351 f. u. S. 675 f. sowie Ritter 1987, S. 12 ff.

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und so lange den Abschluß neuer Betreuungsverträge zurückzustellen. Die Aufgabe, dieses Gutachten einzuholen, überließ er dem neuen Aufsichtsrat, der einige Wochen darauf ins Amt kommen sollte.408 Tatsächlich kam dieses Gutachten nie zustande. Statt dessen nutzte die Geschäftsführung die Tatsache aus, daß der Aufsichtsrat kleinere Bauvorhaben von seinem Beschluß zur Zurückstellung neuer Betreuungsverträge ausgenommen und die Entscheidung über etwaige Zweifelsfälle dem Aufsichtsratsvorsitzenden Albin Karl übertragen hatte. Diesem unterbreitete sie im September 1956 einen Vorschlag, um einerseits „das Gerede von böswilligen Zungen trotz korrektesten Verhaltens“ abzustellen und andererseits „riesige Steuerbeträge“409 einzusparen. Plett, Vietor und Beyn schlugen vor, nicht mehr selbst als Betreute der NH aufzutreten, sondern ihre Betreuungsbauten einem Treuhänder zu übertragen, der diese in seinem Namen, aber für ihre Rechnung abwickeln sollte. Karl erklärte sich mit diesem Vorschlag in einem Schreiben vom Januar 1957 einverstanden – unter drei Bedingungen: Erstens durfte durch die Bautätigkeit keine Konkurrenzlage zu den gewerkschaftseigenen Wohnungsbaugesellschaften entstehen; zweitens sollte sie sich maximal auf den für die Steuerersparnis notwendigen Umfang erstrecken; und drittens sollten für die Betreuungstätigkeit die in der Aufsichtsratssitzung vom Dezember 1954 formulierten Bedingungen Anwendung finden.410 Über die gewerkschaftspolitische Sinnhaftigkeit dieser Regelung läßt sich sicherlich streiten; ein im engeren Sinne rechtswidriges oder auch nur ehrenrühriges Verhalten bestand in der Beteiligung der Geschäftsführer an privaten Mietwohnungsbauten über verdeckte Treuhandverhältnisse aber nicht. Zwar hob der Hamburger Untersuchungsausschuß zurecht hervor, daß seit dem Beschluß vom Februar 1955 „eine grundsätzliche Zustimmung zu Baubetreuungen durch den AR nicht mehr vorlag“;411 aber daß dies nicht moniert wurde, war in erster Linie ein Versäumnis des Aufsichtsratsvorsitzenden, der sich offenbar keinerlei Gedanken darüber gemacht hatte, wie die Umsetzung seiner Richtlinien angesichts der verdeckten Konstruktion der Betreuungsverhältnisse zu kontrollieren gewesen wäre.412 Genau hier lag auch ein zentrales Problem der Beteiligung an der Terrafinanz: Die Geschäftsführung konnte leicht für sich in Anspruch nehmen, daß ihre Beteiligungen von Karls Brief aus dem Jahr 1957 gedeckt waren. Das stimmte zwar unter keinen Umständen, weil die Terrafinanz mit der Inanspruchnahme von Steuervergünstigungen nach § 7 b nichts zu hatte (diese konnten schließlich nur für den Wohnungsbau und nicht für den Grundstückshandel geltend gemacht werden); kontrollierbar war das aber nicht. So konnte Plett gegenüber Geigenberger auf

408 Vgl. Abschrift Protokoll AR NHH, 19.2.1955, StA HH, 622–2 Cordua 42 sowie PUA HH, S. 352. 409 Schreiben Pletts, Vietors und Beyns an Albin Karl, 14.9.1956, StA HH, 622–2 Cordua 42, S. 2. 410 Vgl. Schreiben Albin Karls an Plett, Vietor und Beyn, 10.1.1957, StA HH, 622–2 Cordua 42. Siehe auch PUA HH, S. 352; Kusch 1987, S. 32 sowie Ritter 1987, S. 13 f. 411 PUA HH, S. 352. 412 Zur Rolle Karls in diesem Zusammenhang vgl. Ritter 1987, S. 13 f.

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dessen Nachfrage mit Bezug auf Karls Brief behaupten, daß Beteiligungen wie die an der Terrafinanz ausdrücklich vom Aufsichtsrat genehmigt seien.413 Allerdings wäre im Lichte von Karls Schreiben eine verdeckte Beteiligung der Geschäftsführer an einem freien Wohnungsunternehmen nach 1982 nicht auf ein so verheerendes Echo gestoßen, wenn sie die Grenzen des moralisch Vertretbaren nicht noch in einer zweiten Hinsicht überschritten hätten. Das läßt sich besonders deutlich an dem mit Abstand größten Bauvorhaben der ersten Hälfte der sechziger Jahre, der Trabantenstadt Neu-Perlach zeigen. Die Stadt München hatte die NH 1963 mit der Planung und Durchführung dieses mit 80.000 Einwohnern größten städtebaulichen Einzelprojektes, das die Bundesrepublik bis dahin gesehen hatte, beauftragt.414 Die NH hatte im Jahr zuvor bereits den Flächennutzungsplan für diese Maßnahme erstellt und begann bald darauf mit dem Grundstücksankauf, den die Stadt ähnlich wie im Falle von Mannheim-Vogelstang aus der Hand gegeben hatte, weil sie, wie Oberbürgermeister Hans-Jochen Vogel das begründete, „die notwendigen Kaufsummen niemals hätte finanzieren können.“415 Allerdings kaufte sie die Grundstücke nicht selbst, sondern beauftragte damit einen Zwischenhändler – die Terrafinanz. Diese erwarb zum Teil Grundstücke im eigenen Namen und auf eigene Rechnung und veräußerte sie anschließend an die NH; zum Teil führte sie die Grundstücksbeschaffung auch als Maklerin für die NH Bayern auf Provisionsbasis durch. In jedem Falle aber beruhte ihre Tätigkeit darauf, daß sie vor dem Bekanntwerden der Planungen aktiv wurde, die Grundstücke aber erst nach der Übertragung der Maßnahmenträgerschaft und damit nach Bekanntwerden der Planungen an die NH weiterverkaufte. Die Grundstücke, die durch ihre Hände gingen, unterlagen somit erheblichen Wertsteigerungen, die an der NH vorbeigeleitet und bei der Terrafinanz realisiert wurden.416 Nun war die Einschaltung von Zwischenunternehmen oder Maklerfirmen für die Grundstücksbeschaffung bei solch großen Vorhaben nichts Ungewöhnliches. Die NH konnte in Perlach nur sehr begrenzt selbst als Nachfrager auf dem Grundstücksmarkt agieren. Ihr Auftreten hätte sofort preistreibend gewirkt, weil die Verkäufer davon ausgehen konnten, daß es sich um ein größeres Bauvorhaben handeln mußte. Daß für die Absicherung gegen dieses Risiko ein Preis zu bezahlen war, der in Form eines Gewinnes an die Maklerfirma floß, kann ebenfalls nicht verwundern. Insofern war die nach Bekanntwerden des Falls kursierende Berechnung eines Schadens von 50 Mio. DM, der der Unternehmensgruppe durch die Einschaltung der Terrafinanz entstanden sei, mit Sicherheit weit überzogen.417 413 Vgl. die Aussage Ludwig Geigenbergers, Stenographisches Protokoll 27. Sitzung des 3. Untersuchungsausschusses „Neue Heimat“, 25.9.1986, Parlamentsarchiv des Deutschen Bundestages, Bestand PUA Neue Heimat, Ordner „Prot 27–28–30“, S. 23. 414 Zu den städtebaulichen Aspekten von Neu-Perlach vgl. Kap. 5.3.1.2 dieser Arbeit. 415 Zit. nach: Das Geld lag auf dem Acker, SPIEGEL 36.1982,20, S. 34–47, hier S. 35. 416 Vgl. Treuarbeit AG, Teil-Bericht Nr. 10 5720 3 über die bei der NEUE HEIMAT Gemeinnützige Wohnungs- und Siedlungsgesellschaft m.b.H., Hamburg durchgeführte Sonderprüfung, Bd. 1, StA HH, 622–2 Cordua 110, S. 5; PUA HH, S. 698 sowie Kusch 1986, S. 41. Generell zur Frage der Bodenordnung in Neu-Perlach vgl. Scheiner/Schmidt 1974, S. 75 ff. 417 Die Schadensberechnung stammt aus: Treuarbeit AG, Teil-Bericht Nr. 10 5720 3 über die bei der NEUE HEIMAT Gemeinnützige Wohnungs- und Siedlungsgesellschaft m.b.H., Hamburg

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Daß nun aber ausgerechnet die Terrafinanz mit dem Grundstücksankauf beauftragt worden war, war mit den Grundsätzen ordentlicher Geschäftsführung in keinem Falle zu vereinbaren und illustriert in aller Deutlichkeit das Mißbrauchspotential, das in dem auch in Mannheim praktizierten Versuch zur Ausschaltung des Wettbewerbes bei der Grundstücksbeschaffung lag. Denn das aus damaliger Perspektive durchaus berechtigte Anliegen, die Grundstücksbeschaffung über einen Makler zu organisieren, begründete noch lange keine persönliche Beteiligung der Geschäftsführer des auftraggebenden Unternehmens an einer solchen Grundstücksgesellschaft. Es ist zwar umstritten, ob die Terrafinanz von vornherein in der Absicht gegründet wurde, die Grundstücksbeschaffung für Perlach zu übernehmen. Aber selbst wenn dies nicht der Fall gewesen sein sollte und die Wahl erst ex post und „ganz gegen die Absicht der Unterbeteiligten“418 auf sie fiel, weil sie das einzige Unternehmen war, das über die nötigen Kenntnisse und Kontakte am Münchener Grundstücksmarkt verfügte (was angesichts der Tatsache, daß die Terrafinanz nur aufgrund einer Bürgschaft der NH überhaupt die nötigen Kredite für die Grundstücksbeschaffung aufbringen konnte, allerdings eher unwahrscheinlich erscheint419), erfüllte die Beauftragung des Unternehmens dennoch den Tatbestand der Selbstkontrahierung. Dieser Vorwurf gewinnt noch dadurch Gewicht, daß die beteiligten Geschäftsführer aus diesem Rechtsbruch erhebliche persönliche Gewinne erzielten, weil die Terrafinanz – was angesichts der garantierten Grundstücksabnahme durch die NH auch kein Kunststück war – sehr erfolgreich agierte. Auf jeden der Treugeber – Vietor, Plett, Geigenberger, Ritze und Beyn – entfielen zwischen 1962 und 1966 Gewinne von durchschnittlich etwa 310.000 DM per annum.420 Es kann kein Zweifel daran bestehen, daß in diesen persönlichen Gewinnen, denen eine Einlage von nur 1.800 DM gegenüberstand, ein ganz zentrales Motiv für die verdeckte Beteiligung des Vorstandes an der Terrafinanz bestand.421 Diese Bereicherungsversuche werfen ein grelles Licht auf die moralischen Qualitäten des Führungspersonals der NH. Für den Aufbau des gewerblichen Bauträgerkonzerns insgesamt, also für die anderen Beteiligungen, für die die Unter-

418 419 420 421

durchgeführte Sonderprüfung, Bd. 1, StA HH, 622–2 Cordua 110, S. 6. Vgl. auch PUA HH, 698 f. u. S. 728 f.; PUA BT, S. 92; PUA Bayern, S. 6; Ritter 1987, S. 18 f. sowie Kusch 1986, S. 42. Zur Kritik an der Schadensberechnung vgl. die Aussage Ludwig Geigenbergers vor dem Parlamentarischen Untersuchungsausschuß des Bundestages, Stenographisches Protokoll 27. Sitzung des 3. Untersuchungsausschusses „Neue Heimat“, 25.9.1986, Parlamentsarchiv des Deutschen Bundestages, Bestand PUA Neue Heimat, Ordner „Prot 27–28–30“, S. 51. Ebd., S. 54. Vgl. PUA HH, S. 699. Zur umstrittenen Frage der Gründe für die Einschaltung der Terrafinanz vgl. PUA Bayern, S. 6 ff. u. S. 20 f. Vgl. PUA HH, S. 699. So hatte Plett Geigenberger an der Terrafinanz deshalb beteiligt, weil er diesem einen Ausgleich dafür zukommen lassen wollte, daß er auf Wunsch der NHH neben der Geschäftsführung der NH Bayern auch die Geschäftsführung der baden-württembergischen NH-Gesellschaften übernommen hatte, obwohl ihm dafür aufgrund der kritischen Lage dieser Gesellschaften kein Gehalt gezahlt werden konnte. Vgl. Stenographisches Protokoll 27. Sitzung des 3. Untersuchungsausschusses „Neue Heimat“, 25.9.1986, Parlamentsarchiv des Deutschen Bundestages, Bestand PUA Neue Heimat, Ordner „Prot 27–28–30“, S. 22.

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nehmensgruppe und nicht einzelne Geschäftsführer als Treugeber fungierten, spielten sie allerdings mit Sicherheit keine Rolle. Denn die Unternehmensgruppe hat an ihren verdeckten Beteiligungen, anders als die Geschäftsführer an ihren persönlich gehaltenen Beteiligungen, kaum einen Pfennig verdient. Zum einen handelte es sich bei diesen zum Teil nur um Erwerbsrechte, nicht um faktisch gehaltene Beteiligungen (etwa in der Frühphase der EBG). Zum anderen aber wurden selbst diejenigen Anteile, die Wölbern und die DGHyp treuhänderisch für die Unternehmensgruppe hielten, von diesen Instituten als Eigenbesitz bilanziert. Eventuell entstandene Gewinne verblieben also bei ihnen.422 Das war für die NH nicht nur wirtschaftlich nachteilig, sondern die Bilanzierung auf seiten des Treunehmers war auch noch rechtlich unzulässig.423 Die erstaunliche Tatsache, daß die NH sich dennoch darauf einließ, ist einerseits leicht erklärlich: Schließlich waren diese Beteiligungen der NHH als gemeinnützigem Wohnungsunternehmen nicht gestattet, und die Chancen auf eine Ausnahmegenehmigung waren angesichts des gewerblichen Charakters dieser Unternehmungen gleich null. Eine Bilanzierung der Treuhandschaften bei der Unternehmensgruppe oder eine Betreuungstätigkeit für diese Unternehmen hätte deshalb unweigerlich zu Schwierigkeiten mit der Anerkennungsbehörde geführt.424 Andererseits stellt sich damit aber erst recht die Frage nach den Motiven für den Aufbau eines gewerblichen Bauträgerkonzerns, der weder rechtlich zulässig noch wirtschaftlich gewinnbringend war. Daß die Unternehmensgruppe, wie der Hamburger Untersuchungsausschuß unterstellte, die „eindeutige Absicht“ hatte, die Bewobau dauerhaft „zu einem Baukonzern im nicht-gemeinnützigen Bereich, verdeckt neben der NH, auszubauen“,425 ist unwahrscheinlich: Eine strategisch bedeutsame Neuausrichtung der Unternehmensgruppe war auf dieser Basis nicht zu bewerkstelligen, denn wo hätte die komplizierte Verschachtelung der Beteiligungsverhältnisse auf Dauer hinführen sollen? Und warum hätte die Unternehmensgruppe Zeit und Geld investieren sollen, um anschließend die Gewinne, die sie auf den neuen Märkten erwirtschaftete, systematisch an Wölbern oder die DGHyp zu verschenken? Plausibler erscheint eine andere Variante, die sich an die spätere Aussage der NH anlehnt, bei den Treuhandbeteiligungen habe es sich nur um eine Übergangslösung gehandelt. Diese Aussage wurde vom Hamburger NH-Untersuchungsausschuß zwar zurückgewiesen, weil zur Zeit der ersten Treuhandbeteiligungen das Endstadium dieser Übergangslösung – die 1969 gegründete NHS, auf die später alle Beteiligungen der Bewobau übergingen – noch lange nicht in Sicht gewesen sei.426 Aber diese Fixierung auf das Endziel erscheint aus historischer Perspektive kaum haltbar. Gerade weil die endgültige Konstellation den Akteuren nicht bekannt war, jonglierten sie mit verschiedenen Möglichkeiten, auf die Veränderung der Rahmenbedingungen und die damit verbundenen Herausforderungen zu rea422 423 424 425 426

Vgl. für den Fall der Bewobau PUA HH, S. 441. Vgl. ebd., S. 420. Vgl. ebd., 448. Ebd. Vgl. ebd.

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gieren. Und diese Herausforderungen hatten es in sich: Denn einerseits stand die Geschäftsführung wegen des erwarteten Rückgangs der Wohnungsbautätigkeit unter Zugzwang, und zwar aufgrund ihrer gewerkschaftlichen Trägerschaft, die die Möglichkeit von Entlassungen a priori stark einschränkte, noch stärker, als das bei anderen Wohnungsunternehmen der Fall war. Andererseits aber ergaben sich angesichts der veränderten Rahmenbedingungen eine Vielzahl von neuen Expansionsmöglichkeiten, zum Teil – Stichwort Grundstücksbeschaffung – auch von neuen Anforderungen, die in dem Schlagwort von der Notwendigkeit zur „Ausweitung der Angebotspalette“427 ihren Niederschlag fanden. Und in dieser Übergangssituation war der Geschäftsführung eine der Grundfesten ihres unternehmerischen Handelns, nämlich die Orientierung am Wohnungsgemeinnützigkeitsgesetz abhanden gekommen. Denn angesichts der Überwindung der drängendsten Wohnungsnot, angesichts der beginnenden Diskussion über den Städtebau, die Sanierungsfrage, die Verkehrsprobleme und die neuen Großprojekte war zwar klar, daß die großen Wohnungsunternehmen über kurz oder lang die zumindest die Gedankenwelt, die dem WGG zugrunde lag, wahrscheinlich aber auch die Vorschriften des Gesetzes selbst bald hinter sich lassen würden.428 Aber die Frage, wohin die Reise gehen sollte, war in der konkreten Situation keineswegs eindeutig zu beantworten, und der Verpflichtung, sich zumindest formal an den Regularien des WGG zu orientieren, konnte das Unternehmen niemand entheben. Dieser Übergangszeitraum war daher geprägt von einer fundamentalen Unsicherheit über die zukünftige Rolle des Unternehmens, über die Märkte, auf denen es tätig sein sollte, und über den sozialpolitischen Stellenwert der NH als gemeinnütziges und als gewerkschaftseigenes Unternehmen. Dies erklärt erstens das scheinbare Paradoxon, daß die NH einerseits jede sich bietende Gelegenheit zur Ausdehnung ihres Geschäftskreises nutzte, andererseits aber in jedem dieser neuen Geschäftsfelder systematisch ihre Gewinne verschenkte. Den „Oberstrategen“429 Plett und Vietor konnte es angesichts des erst in Schemen auftauchenden zukünftigen Geschäftsfeldes der Unternehmensgruppe nur um eines gehen: sich Optionen offenzuhalten. Deshalb versuchten sie, in möglichst vielen der gerade entstehenden neuen Märkte den sprichwörtlichen „Fuß in der Tür“ zu halten, dort präsent zu sein, um im Falle eines Rückgangs der Bautätigkeit oder anderweitig veränderter Rahmenbedingungen – etwa einer Änderung des WGG, die ja zum gleichen Zeitpunkt intensiv diskutiert wurde430 – einen schnellen Einstieg finden zu können. Auf die Gewinne aus der Tätigkeit ihrer verdeckten Treuhandbeteiligungen konnten sie dabei leicht verzichten, wenn es ihnen dafür im Gegenzug gelang, ihren Einfluß zu sichern und ihre „Claims“ abzustecken.

427 Interview mit Wolfgang Vormbrock, 12.9.2003. 428 Vgl. dazu die Ausführungen am Anfang dieses Abschnitts; Kap. 5.1.3 dieser Arbeit sowie die Darstellung der gleichzeitigen Diskussionen über die Änderung des WGG bei Peters 1984, bes. S. 257 ff. 429 So Ludwig Geigenberger, Stenographisches Protokoll 27. Sitzung des 3. Untersuchungsausschusses „Neue Heimat“, 25.9.1986, Parlamentsarchiv des Deutschen Bundestages, Bestand PUA Neue Heimat, Ordner „Prot 27–28–30“, S. 41. 430 Vgl. Peters 1984, S. 257 ff.

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Zweitens erklären die Übergangssituation und die damit verbundene Unsicherheit über die zukünftige Rolle der Unternehmensgruppe auch die provisorische Struktur des gewerblichen Bauträgerkonzerns. Denn einerseits ermöglichte diese Struktur eine Reihe von „Probebohrungen“ auf verschiedenen Märkten, ohne daß damit jedesmal gleich ein Konflikt mit der Anerkennungsbehörde eingegangen werden oder der Aufsichtsrat gewerkschaftspolitische Grundsatzdebatten führen mußte, die man immer noch führen konnte, sobald sich eine Dauerlösung abzeichnete. Andererseits aber erlaubte es diese Struktur auch, sich – falls sich das eine oder andere Experiment als Fehlschlag erweisen sollte – schnell und ohne Gesichtsverlust wieder zurückzuziehen. Die Struktur des gewerblichen Bauträgerkonzerns entsprach damit vor allem seinem experimentellen Charakter. Daß dieser gewerbliche Bauträgerkonzern schlußendlich in fast allen Bereichen erfolgreich sein und sogar so schnell expandieren würde, daß selbst den Geschäftsführern innerhalb weniger Jahre angesichts seines provisorischen Charakters mulmig wurde, konnte 1962 noch niemand wissen.431 Und drittens erklärt dieser Ansatz die moralische Unsicherheit, die sich in der Beteiligung der Geschäftsführer an der Terrafinanz niederschlug. Denn einerseits wußten die Geschäftsführer, daß die alten Bestimmungen des WGG brüchig geworden waren und über kurz oder lang durch neue, weiter gefaßte Regeln ersetzt werden müßten; doch andererseits waren solche neuen Regeln – und vor allem die Grenzen, die sie setzen würden – noch nicht in Sicht. Daß die Akteure den so entstandenen Freiraum zu ihrem maximalen eigenen Vorteil nutzten, steht auf einem anderen Blatt und akzentuiert ihre individuelle Verantwortung; schließlich wäre es auch denkbar gewesen, in einer solchen Phase die größtmögliche Zurückhaltung zur Maxime des individuellen Verhaltens zu erklären. Aber das widersprach den expansiven Gewohnheiten, die sich die NH in den fünfziger Jahren zugelegt hatte. Es spricht daher einiges für die These, daß hinter den verdeckten Beteiligungen weder eine langfristig angelegte Strategie zur dauerhaften Installierung eines gewerblichen Bauträgerkonzerns neben der NH noch allein die kriminelle Energie unverantwortlicher Individuen steckte, sondern daß sie Teil eines seit Ende der fünfziger Jahre einsetzenden Suchprozesses waren – eines Prozesses, der sich nicht allein auf die Suche nach Möglichkeiten zur Sicherung der Beschäftigung in der Unternehmensgruppe oder auf die Suche nach neuen Märkten erstreckte, sondern der auch die Suche nach neuen intellektuellen Grundlagen für die Tätigkeit im Rahmen einer veränderten Ordnung und eines im Umbruch befindlichen sozioökonomischen Systems einschloß.

431 Vgl. dazu Kap. 5.2.1.1 dieser Arbeit. Für den experimentellen Charakter der Treuhandbeteiligungen spricht auch Pletts Aussage gegenüber Geigenberger in Hinblick auf die Gründung der Terrafinanz: „Herr Geigenberger, da gründet der Bankier Wölbern in Hamburg ein freies Wohnungsunternehmen in München. (...) Da biete ich ihnen (...) eine Unterbeteiligung an. (...) Wir wissen noch nicht, ob das was wird. Das muß man abwarten, wenn so ein Unternehmen neu gegründet wird.“ Stenographisches Protokoll 27. Sitzung des 3. Untersuchungsausschusses „Neue Heimat“, 25.9.1986, Parlamentsarchiv des Deutschen Bundestages, Bestand PUA Neue Heimat, Ordner „Prot 27–28–30“, S. 22 f. (meine Hervorhebung).

4.2 Auf dem Weg zum Städtebau

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4.2.2.2 Die NH auf dem Weg zum „Instrument des Städtebaus“ Daß diese Suche schließlich zu einem erfolgreichen Abschluß gebracht werden und die Unternehmensgruppe Mitte der sechziger Jahre ihre Phase der relativen Stagnation überwinden konnte, lag freilich nicht in dem Aufbau eines verdeckten Bauträgerkonzerns begründet, sondern darin, daß die sich verändernden Rahmenbedingungen auch solche Aufgabenfelder neu eröffneten, die in der Wohnungspolitik als genuin sozialpolitische Anliegen betrachtet wurden. Das galt in besonderem Maße für den zum Stadtteilbau erweiterten Wohnungsbau und für den Ausbau der öffentlichen Infrastruktur. Seit 1963 richtete die Geschäftsführung deshalb ihre Strategie darauf, nicht mehr nur jede sich bietende Chance zur Expansion zu nutzen, sondern gezielt die städtebauliche Angebotspalette und damit die Organisationsstruktur der Unternehmensgruppe auf diese Marktlücken zuzuschneiden. Einen ersten Ansatzpunkt für die Verbesserung ihrer diesbezüglichen Kompetenzen lieferten ihr einige der Maßnahmen, die sie schon Jahre zuvor in Reaktion auf den Rückgang des Wohnungsbaus ergriffen hatte. Neben der bereits erwähnten Grundstücksvorratspolitik war hier die Tatsache von Bedeutung, daß die Geschäftsführung frühzeitig erkannt hatte, daß die veränderten Marktbedingungen, die der Abbau des Wohnungsdefizits mit sich brachte, eine wesentliche Erweiterung ihres Planungsbegriffes erforderten. Während der Nachfrageüberhang in den fünfziger Jahren garantiert hatte, daß jede Wohnung auch einen Abnehmer fand, Fehlinvestitionen auf seiten der Wohnungsunternehmen also so gut wie ausgeschlossen waren, wendete sich zu Beginn der sechziger Jahre das Blatt.432 Mit dem beginnenden Wettbewerb auf dem Wohnungsmarkt stieg der Informationsbedarf der Wohnungsunternehmen dramatisch an. „Je mehr das Wohnungsdefizit schrumpft,“ führte der Geschäftsbericht 1962 aus, „desto weniger aussagekräftig werden alle Globalzahlen. Künftig kommt es darauf an, die besonderen Bedingungen und die besondere Versorgungsstruktur in den einzelnen Orten und Regionen zu ermitteln und diesen Bedarf durch gezielte Maßnahmen zu befriedigen. Mehr als bisher wird es notwendig sein, bestimmte Arten von Wohnungen und nicht nur ‚Wohnungen überhaupt‘ zu erstellen.“433 Denn, so hatte ein Mitarbeiter des Statistischen Bundesamtes in einem in der Wohnungswirtschaft weithin rezipierten Aufsatz von 1959 gewarnt, es bestehe die Gefahr, „daß Investitionen ohne vorhergehende Markterkundung eines Tages zu Schwierigkeiten führen können.“434 Die Geschäftsführung hatte deshalb schon Ende der fünfziger Jahre ihre eigens gegründete Abteilung Volkswirtschaft mit der Erhebung wirtschaftlicher Strukturdaten beauftragt, und diese Arbeit trug durchaus Früchte, wie etwa der Geschäftsbericht von 1964 zeigte.435 Darin unternahm die NH erstmals den Ver432 Vgl. Heinrich Plett, Die langfristige Unternehmenspolitik der NEUE HEIMAT Hamburg. Vortrag vor dem Bundesausschuß des DGB, 13.10.1961, DGBA-BV, Abt. Wirtschaftspolitik, 24/5049, S. 10. 433 GB NHH 1962, S. 17 f. 434 Arnold Sobotschinski, Miete und Einkommen unter marktwirtschaftlichen Gesichtspunkten, GWW 12.1959, S. 369–372, hier S. 369. Zur Rezeption vgl. IfdW 5.1959, 247 (28.12.1959). 435 Vgl. Protokoll AR NHH, 16.12.1960, DGBA-BV, Abt. Vorsitzender, 5/DGAI 1905, S. 14.

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such einer detaillierten Vorausschau der Entwicklung der Nachfrage nach Wohnraum, in die sie unter anderem die Bevölkerungsentwicklung, den Geburtenüberschusses, die Eheschließungen, die Haushaltsstruktur, die Bevölkerungsstruktur, die Verteilung des Bevölkerungszuwachses, die Wohnungswechsel-Absichten, die regionalen Kaufkraftunterschiede und einige weitere Faktoren mit einbezog.436 Allerdings standen diese Prognosen allesamt unter dem ausdrücklichen Vorbehalt der begrenzten Datenbasis. Für die konkrete städtebauliche Planung waren sie ohnehin nur von begrenztem Nutzen, da sie alleine auf ökonomischen Maßgrößen beruhten. Welche Besiedlungsdichte erforderlich war, um eine Buslinie rentabel betreiben zu können, welche Ortsgröße die Einrichtung eines Krankenhauses ermöglichte, welche Wünsche potentielle Bewohner hinsichtlich der Entfernung ihrer Wohnung zum Arbeitsplatz oder hinsichtlich der Ausstattung ihrer Wohnsiedlung mit Grünflächen hatten – das alles waren Fragen, die die NH ebenso wenig beantworten konnte wie die Frage, nach welchen Kriterien Wohnungen oder gar ganze Stadtviertel als sanierungsbedürftig zu klassifizieren waren. Dabei waren es genau diese Fragen, die sich in den frühen sechziger Jahren verstärkt stellten. Schließlich ging mit der Betonung der gesellschaftsbildenden Kraft des Städtebaus etwa durch Mitscherlich oder durch Bahrdt ein „neues Planungsdenken“ einher, das in der Folgezeit die im Begriff der „Stadtbaukunst“ verborgene Planungsphobie der fünfziger Jahre ablöste.437 Diese Entwicklung stellte den Städtebau vor die Herausforderung, verstärkt sozialwissenschaftliche Aspekte in den Siedlungsbau, aber auch in die Raumordnung oder in die Stadtplanung einzubeziehen. Hierfür benötigte er die Unterstützung einer Disziplin, die noch in den Kinderschuhen steckte: die soziologische Stadtforschung.438 Der Vorstand der NH suchte deshalb seit seiner Hinwendung zum Städtebau verstärkt nach einer Anlehnung an die sozialwissenschaftliche Forschung. Mit diesem Hintergedanken gründete er im August 1963 einen eingetragenen Verein, der in erster Linie von den Tochter- und Enkelgesellschaften der NH getragen werden sollte, prinzipiell aber auch anderen Wohnungsunternehmen sowie weiteren Interessenten, also etwa Kommunen und Banken, offenstand. Die „Gesellschaft für Wohnungs- und Siedlungswesen e. V.“ oder kurz Gewos – eine Art städtebaulicher think tank – sollte als Schnittstelle zwischen Wohnungswirtschaft und Wissenschaft dienen und konkrete Forschungsaufträge für die NH, aber auch für die übrigen Mitglieder durchführen. Der Verein stieß in der Wohnungswirtschaft auf reges Interesse: Bis 1968 stieg die Zahl seiner Mitglieder auf über 250. Darunter befanden sich neben allen größeren Wohnungsunternehmen der Bundesrepublik auch eine Reihe von Banken, Gebietskörperschaften sowie Einzelpersonen aus Praxis und Wissenschaft.439 436 Vgl. GB NHH 1964, S. 26. 437 Vgl. Harlander 1999, S. 287 sowie Kap. 5.1. dieser Arbeit. 438 Zur Entwicklung der soziologischen Stadtforschung von ihren Anfängen bis zum Beginn der siebziger Jahre vgl. zusammenfassend Elisabeth Pfeil, Großstadtforschung. Entwicklung und gegenwärtiger Stand, Hannover 21972, passim. 439 Vgl. Übersicht über die Entwicklung der GEWOS GmbH, 17.1.1974, StA HH, 622–2 Cordua 14, S. 1 sowie PUA HH, S. 411.

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Geschickt setzte die Geschäftsführung der NH den Verein als unabhängige und überparteiliche Schnittstelle in Szene, sorgte aber gleichzeitig dafür, daß die Gewos nahezu vollständig unter ihrer Kontrolle blieb. Abgesehen davon, daß die Unternehmensgruppe der mit Abstand größte Auftraggeber und auch der größte Beitragszahler war, hatte sie auch durch die Konstruktion des Vereins sichergestellt, „daß sich die Arbeit der GEWOS nach gewerkschaftlichen Vorstellungen“440 vollzog und „die Gefahr einer Überfremdung [sic] durch andere Kräfte ausgeschlossen“441 werden konnte. Zum Generalsekretär der Gewos ernannte die Mitgliederversammlung den vormaligen Leiter des Sekretariats der Geschäftsführung der NH, Heinz Roosch, der für fast alle wohnungspolitischen Initiativen der NH in den fünfziger Jahren verantwortlich gezeichnet hatte; und der Präsident des Kuratoriums war niemand anderes als Albert Vietor.442 Der tatsächliche Einfluß der NH auf die Gewos blieb in der Öffentlichkeit aber dennoch unterschätzt. Deshalb gelang es ihr ohne Probleme, im Wissenschaftsrat des Vereins die crème de la crème der städtebaulichen Forschung zu versammeln: Der Soziologe Hans Paul Bahrdt gehörte ihm ebenso an wie der der NH noch immer freundschaftlich verbundene Ernst May.443 Zusammen mit dem eigenen kleinen Arbeitsstab, den die NH der Gewos zur Verfügung stellte, konnte sich der Verein zunächst vor allem durch Umfragen zu Wohnwünschen und Wohnungsmärkten, bald aber auch durch städtebauliche Grundlagenforschung als zentrale wissenschaftliche Schaltstelle für den Städtebau in der Bundesrepublik profilieren. Bis 1965 setzte die Gesellschaft Fachkommissionen und Arbeitskreise zu den Themen Statistik und Repräsentativerhebungen, Wohnungsstandard, Wohnungsbedarf und Wohnungsaufsicht, Finanzierung, Boden- und Enteignungsrecht, wirtschaftliches Bauen, Nahverkehr sowie Gemeindeerneuerung ein, in denen „14 Universitäts-Professoren, 13 Wissenschaftler und 41 bekannte Fachleute“ 444 mitarbeiteten. Die NH machte von den Ressourcen, die ihr hier zur Verfügung standen, regen Gebrauch: „Zeitweilig übertraf das Volumen der Forschungsaufträge, die die Neue Heimat an die GEWOS vergab, selbst vergleichbare Aktivitäten des Bundeswohnungsbauministeriums.“445 Und der Nutzen, den sie hieraus zog, war beträchtlich. So entwickelte die Gewos beispielsweise wichtige Grundlagen für die Planung von Großsiedlungen sowie ein Bewertungssystem für die Ermittlung des Sanierungsbedarfes von Stadtteilen, das die Grundlage der diesbezüglichen Planungen der NH in der zweiten Hälfte der sechziger Jahre bildete.446 440 Gesellschaft für Wohnungs- und Siedlungswesen e. V., 23.9.1963, IGM ZwA 2/17 269, S. 2. 441 Ebd., S. 5. 442 Vgl. Übersicht über die Entwicklung der GEWOS GmbH, 17.1.1974, StA HH, 622–2 Cordua 14, S. 1. 443 Vgl. Gesellschaft für Wohnungs- und Siedlungswesen e. V., 23.9.1963, IGM ZwA 2/17 269, S. 3. 444 Albert Vietor, Rundschreiben vom 19.10.1965, betr. Fachveröffentlichungs-Reihe der „Gesellschaft für Wohnungs- und Siedlungswesen e. V.“, FZH 247 Gewos. Vgl. dazu ausführlicher die Jahresberichte 1966 und 1968 der Gewos e. V. in BAK B 134–9218. 445 Neue Heimat = Wohnungsbau + Städtebau, Welt der Arbeit, Extra-Dienst Juli 1973, o. S. 446 Vgl. GB NHH 1964, S. 34 sowie Gewos e. V., Bewertungssystem zur Beurteilung von Sanierungserfordernissen, November 1965, BAK B 134–9216.

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Doch die NH nutzte die Gewos nicht nur, um die wissenschaftliche und die politische Diskussion über den Städtebau zu beeinflussen, sondern auch, um sich konkrete Aufträge zu verschaffen. Dank der Zusammensetzung des Kuratoriums war der Verein für die NH „ein hervorragendes Akquisitionsinstrument“.447 Damit verschaffte sich die Unternehmensgruppe gegenüber ihren Mitbewerbern einen wichtigen Wettbewerbsvorteil, der vor allen Dingen den Bereich berührte, der den zentralen Ausgangspunkt einer legalen Erweiterung des Geschäftskreises der NH in Richtung Städtebau bildete. Das war der Ausbau der kommunalen Infrastruktur. Der Anstoß hierfür ging allerdings nicht von der NH selbst, sondern in erster Linie von den Gemeinden aus. Aus ihrer Sicht waren die Gemeinnützigen für die anstehenden Aufgaben bei der Errichtung von Infrastrukturbauten besonders geeignet. Wie sich in den folgenden Jahren herausstellen sollte, war es hinsichtlich der Schaffung von „Folgeeinrichtungen“ – anders als bei den Sanierungen – nicht die Finanzierung, die die Kommunen vor unüberwindliche Schwierigkeiten stellte, sondern vor allem die städtebauliche Planung und die technische Durchführung.448 Eine ganze Reihe von Gemeinden verfügte zwar über die nötigen Kompetenzen, um die Finanzierung großer infrastruktureller Projekte durchzuführen; aber kaum ein kommunales Bauamt war in der Lage, solche Projekte auch umzusetzen. Gerade für die kleineren und mittleren Städte lohnte es sich in der Regel nicht, für den Bau eines Krankenhauses personelle Kapazitäten aufzubauen, die nach der Fertigstellung womöglich nie wieder gebraucht würden.449 Zwar existierten außer den Wohnungsunternehmen auch noch die wenigen großen Bauträgergesellschaften, die diese Aufgaben ebenfalls hätten übernehmen können – was sie, wie etwa die Philipp Holzmann AG, auch durchaus taten.450 Doch alleine wären sie damit bei weitem überfordert gewesen. Außerdem zeigten vor allem die kleineren Gemeinden gegenüber diesen Unternehmen Berührungsängste, die sie bei den Gemeinnützigen nicht hatten. Denn erstens waren die traditionell engen Verbindungen zwischen Gemeinnützigen und Kommunen auch nach dem Zweiten Weltkrieg im großen und ganzen erhalten geblieben. Und zweitens war die städtebauliche Trendwende in den Kommunen von einer ähnlichen Befürchtung getragen wie die Diskussion um den Wohnungsbau in der Gründungsphase der Bundesrepublik: von der Befürchtung nämlich, daß eine marktwirtschaftliche Organisation des Kommunalbaus oder der Sanierungen angesichts des enormen Nachfrageüberhanges gewissenlosen Spekulanten Tür und Tor öffnen würde. Die Gemeinnützigen schienen hier eine sichere Alternative zu sein.451 Was für die Gemeinnützigen insgesamt galt, mußte für die NH in ganz besonderer Weise gelten. Ähnlich wie in punkto Großsiedlungsbau konnte sie bei der 447 PUA HH, S. 415. 448 Vgl. Protokoll AR NHH, 14.1.1966, IGM ZwA 2/17 286, S. 21. 449 Vgl. Krankenhausbau braucht klare Konzepte, NHM 1973,8, S. 1–19, hier S. 17 sowie Exposé „NEUE HEIMAT KOMMUNAL“ – Gesellschaft zum Bau öffentlicher und sozialer Einrichtungen mbH. Ihr Wesen und ihre Aufgaben, 20.3.1964, IGM ZwA 2/17 269, S. 2. Ähnlich auch Fischer-Dieskau 1960, S. 502. 450 Vgl. Pohl 1999, S. 310. 451 Vgl. Hans Hämmerlein, „Sanierungsunternehmen“ – eine neuer Unternehmenstyp, Der langfristige Kredit 16.1965, S. 531–534, hier S. 533.

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kommunalen Infrastruktur bereits auf einschlägige Erfahrungen zurückgreifen. Schon seit den fünfziger Jahren hatte sie, teils im Rahmen des gemeinnützigkeitsrechtlich zulässigen Baus von Folgeeinrichtungen für eigene Wohnsiedlungen, teils auf der Grundlage von Ausnahmegenehmigungen, eine ganze Reihe solcher kommunaler Infrastruktureinrichtungen errichtet. Reinhold Tarnow zählte rückblickend für den Zeitraum vom Ende des Zweiten Weltkrieges bis 1964 die Errichtung von 37 Altenwohnheimen, 16 Kindergärten, 6 Studenten- und Schwesternwohnheimen sowie 10 Schulen.452 Diese Erfahrungen wurden ihr nun von den Kommunen zugute gehalten. Deshalb häuften sich seit Beginn der sechziger Jahre die Fälle, in denen Gemeinden die NH um die Übernahme von Infrastrukturmaßnahmen baten, die diese aber aus gemeinnützigkeitsrechtlichen Gründen nicht übernehmen durfte. Die Unternehmensgruppe war daher „einem – durchaus willkommenen – politischen Druck ausgesetzt“,453 auf den sie nun anders reagieren konnte als auf die Möglichkeiten, die sich etwa beim Bau von Einkaufszentren boten. Angesichts der unumstrittenen sozialpolitischen Bedeutung des Kommunalbaus schien in diesem Fall der Weg über eine Ausnahmegenehmigung realistisch. Im Juli 1963 kontaktierte die Geschäftsführung erstmals die Hamburger Baubehörde und bat sie, ihr die Gründung einer Gesellschaft zu gestatten, „die in eigenem Namen und für eigene Rechnung der Allgemeinheit dienende Anlagen wie Schulen, Kindergärten und Krankenhäuser errichten und langfristig an die interessierten Gemeinden vermieten oder verpachten sollte.“454 Zur Begründung für ihr Anliegen erläuterten die Geschäftsführer, daß ihnen, „wenn wir den Wünschen der betreffenden Städte nachkommen wollen, kaum etwas anderes übrigbleiben [würde], als eine Tochtergesellschaft zu gründen, die sich nur mit der Errichtung derartiger im öffentlichen Interesse liegenden Bauten und Anlagen befaßt.“455 Um seinem Ersuchen Nachdruck zu verleihen, hatte Vietor gegenüber dem AfW mündlich erklärt, „daß die Errichtung anderer kommunaler Folgeeinrichtungen, wie Klärwerken, Müllverbrennungsanlagen u.ä., nicht geplant sei“.456 Außerdem bemühte sich die NH, die neu zu gründende Gesellschaft zumindest steuerrechtlich als gemeinnützig anerkennen zu lassen, um so die nicht-gewinnorientierte Natur des Vorhabens zu unterstreichen (und natürlich um Steuern zu sparen). Diesem letzten Punkt – der steuerlichen Gemeinnützigkeit – wollte die hierfür zuständige Hamburger Oberfinanzdirektion, die als einzige Behörde dem Vorhaben eher skeptisch gegenüberstand, nicht entsprechen. Hinsichtlich der Frage aber, ob die NH eine Ausnahmebewilligung für den Einstieg in den Kommunalbau erhalten sollte, verhielt sich die Hamburger Verwaltung so kooperativ, wie sie nur irgend konnte. Und das lag nicht oder zumindest nicht primär an dem politischen Einfluß, den die NH in der Hansestadt ausübte, sondern an der in den Augen der 452 Vgl. Reinhold Tarnow, Von der Grundschule zum Kongreßzentrum. Weit gefächertes Aufgabengebiet der Neuen Heimat Kommunal, NHM 1970,1, S. 56–62, hier S. 56. Siehe auch Wallenhorst 1993, S. 274. 453 PUA HH, S. 513. 454 Ebd., S. 509. 455 Schreiben der NHH an die Hamburgische Baubehörde, 12.7.1963, zit. nach PUA HH, S. 509. 456 Ebd.

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Baubehörde „große[n] volkswirtschaftliche[n] Bedeutung der Zielsetzung des Unternehmens“.457 Die Hamburger Experten vertraten nämlich die Auffassung, daß im Kommunalbau ein großer Nachholbedarf bestand. Und gleichzeitig beurteilten sie die Erfahrungen, die in den fünfziger Jahren unter ähnlichen Umständen auf dem Wohnungsmarkt mit den Gemeinnützigen gemacht worden waren, äußerst positiv. Mit anderen Worten: Sie teilten zu hundert Prozent die Auffassung der NH, daß der Druck der Nachfrage massiv und die NH eindeutig für den Kommunalbau prädestiniert war. Rechtlich zulässig war der Kommunalbau durch Gemeinnützige deshalb noch nicht. Aber die Behörde war bereit, den Ermessensspielraum, den ihr das unpräzise formulierte Gesetz einräumte, zugunsten der NH zu nutzen und das in ihren Augen veraltete WGG so weit zu strecken, daß von seinem ursprünglichen Gehalt – insbesondere dem Kleinwohnungsbau als dem Kern der Gemeinnützigkeit – nichts mehr übrigblieb.458 Diese Ansicht war keineswegs auf die Hamburger Behörde beschränkt: Im August 1963 bat das AfW die Anerkennungsbehörden der anderen Bundesländer um eine Meinungsäußerung zu dem Vorhaben der NH. Das Ergebnis war eindeutig. „Die Anerkennungsbehörden vertraten den Standpunkt, daß gegen die von der NH beabsichtigte Kapitalbeteiligung keine Bedenken bestünden. Sie waren der Auffassung, daß eine Ausnahmebewilligung erteilt werden sollte.“459 Am 10. Februar 1964 geschah das dann auch. Bausenator Müller-Link genehmigte der Unternehmensgruppe unter einigen mündlich vereinbarten Auflagen die Gründung einer Gesellschaft zum Bau von kommunalen Einrichtungen. Erstens beschränkte er die Beteiligung der NH und ihrer Tochtergesellschaften an der neu zu gründenden Gesellschaft auf ein Maximum von einer Million DM. Das hatte nichts mit dem WGG zu tun, sondern mit der relativen Kapitalschwäche des Mutterkonzerns. Zweitens schloß er nochmals ausdrücklich eine steuerliche Sonderbehandlung der neuen Gesellschaft aus, bestand aber gleichzeitig darauf, daß sie sich „satzungsgemäß und in ihrem Geschäftsbetrieb wie ein gemeinnütziges Unternehmen auf die Kostendeckung beschränken“460 müsse. Das hieß im Klartext, daß die Neugründung in Anlehnung an das WGG ihre Dividendenausschüttung auf 4% des Stammkapitals beschränken mußte. Und drittens verlangte er, wiederum in Anlehnung an das WGG, eine Prüfung der Jahresabschlüsse durch einen Wirtschaftsprüfer und die Einreichung der Prüfungsberichte bei der Anerkennungsbehörde. Am 9. April 1964 konnte die Geschäftsführung dann zur Tat schreiten und mit der Gründung der NEUE HEIMAT KOMMUNAL (NHK) den Grundstein für

457 AA- und AR-Sitzung NHH, 8.10.1963, Vorlage zu TOP 6: Gründung einer Gesellschaft zum Bau gemeindlicher Einrichtungen, IGM ZwA 2/17 265. Vgl. auch PUA HH, S. 510. 458 Diese Auffassung ging so weit, daß sich der Hamburger NH-Untersuchungsausschuß zu der Bemerkung veranlaßt sah, „Reformüberlegungen und –wünsche [dürften] den vom Gesetzund Verordnungsgeber festgelegten Normzweck nicht ersetzen, auch wenn sie den Beteiligten noch so wünschenswert erscheinen.“ PUA HH, S. 477 (meine Hervorhebung). 459 Ebd., S. 510. 460 Schreiben Müller-Link an die NHH, 10.2.1964, betr. Ausnahmegenehmigung für den Erwerb einer Beteiligung an einer Gesellschaft zum Bau gemeindlicher Einrichtungen, IGM ZwA 2/17 269.

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ihre städtebauliche Tätigkeit der nächsten Jahre legen.461 Die Hürde, die das Wohnungsgemeinnützigkeitsgesetz einem Strategiewechsel entgegenstellte, hatte die NH also souverän genommen, und dabei hatten ihr vor allem der Druck der Nachfrage und die Auffassung von der Überalterung des WGG entscheidenden Beistand geleistet. Die Beschränkungen, die die NH auf sich nehmen mußte, waren demgegenüber von marginaler Bedeutung. Schon bald waren die mündlichen Zusicherungen Vietors hinfällig, und die Gründung der NHK erwies sich nicht als der Endpunkt des Wachstums des Unternehmens, sondern als entscheidender Bruch mit den Hindernissen, die einer noch viel schnelleren Expansion entgegengestanden hatten. Die Startbedingungen für die NHK waren denkbar günstig. Der enorme Nachfrageüberhang und die schwach ausgeprägte Konkurrenz waren dabei allerdings nicht die einzigen Faktoren, die der Neugründung zugute kamen. Hinzu traten zwei weitere Aspekte: die planerischen Fähigkeiten der Unternehmensgruppe sowie ihre Erfolge bei der Vernetzung mit potentiellen Auftraggebern. Letzteres war, wie bereits erwähnt, im Falle der Gewos besonders offensichtlich; es galt aber auch im Hinblick auf die Beziehungen der NH zu den Landesregierungen, die ja – siehe Bremen – bereits in den fünfziger Jahren von erheblicher Bedeutung gewesen waren. Diese Beziehungen nutzte die Geschäftsführung seit 1963 systematisch aus, um sich gegen die Risiken, die mit einer Expansion in den Städtebau verbunden waren, abzusichern. Als die Gründung der NHK im April 1964 im Aufsichtsrat besprochen wurde, lag der NH bereits ein erster Großauftrag vor, den sie auf genau diesem Wege erhalten hatte. Die Stadt Bremen hatte sie mit dem Bau des 650-Betten-Krankenhauses „Links der Weser“ betraut.462 Das Auftragsvolumen betrug 53 Mio. DM. Eingefädelt hatte diesen Vertrag der gleiche Mann, der der NH auch schon das Bremer Wohnungsbaugesetz von 1956 auf den Leib geschrieben hatte: Bremens „graue Eminenz“, Richard Boljahn – in persona Fraktionsvorsitzender der regierenden SPD in der Bremer Bürgerschaft, Kreisvorsitzender des DGB und Aufsichtsratsvorsitzender der Gewoba, der Bremer Tochtergesellschaft der NH.463 Auch in Hessen zeichnete sich eine Reihe von sicheren Aufträgen für die NH ab. Die Landesregierung unter Ministerpräsident Georg August Zinn beriet seit Januar 1963 über ein umfassendes Investitionsprogramm, den sogenannten „Großen Hessenplan“, der u. a. auf zehn Jahre verteilte Investitionen für den Wohnungsund den Kommunalbau in der Größenordnung von 14 Mrd. DM vorsah.464 Und schon ein Jahr bevor das Kabinett diesen Plan im März 1965 verkündete, hatte es bereits beschlossen, daß die NH mit der Federführung für die dort vorgesehenen städtebaulichen Maßnahmen betraut werden sollte.465 Auch hier spielten personelle Verbindungen zwischen Landesregierung und NH eine entscheidende Rolle. 461 Vgl. PUA HH, S. 510. 462 Vgl. Wallenhorst 1993, S. 275 und „Neue Heimat Kommunal“ plant Krankenhaus für Bremen, NHM 1964,10, S. 52. 463 Vgl. Wallenhorst 1993, S. 232. 464 Vgl. Hessischer Ministerpräsident (Hg.), Der Große Hessenplan. Ein neuer Weg in die Zukunft (Schriften zum Großen Hessenplan Bd. 1), Wiesbaden 1965, S. 55. 465 Vgl. Protokoll AR NHH, 8.4.1964, IGM ZwA 2/17 265, S. 7.

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Denn der hessische Innenminister Heinrich Schneider gehörte bereits seit 1957 dem Aufsichtsrat der NH Hessen an. Er identifizierte sich offenbar so weitgehend mit dieser Aufgabe, daß er mitunter höchstpersönlich zugunsten der NH in die Entscheidungsabläufe seines Ministeriums eingriff – so etwa, als er 1965 die Genehmigung des von der NH erstellten Flächennutzungsplanes für die Waldstadt Raunheim veranlaßte, die wegen der Lage des Projektes in der Einflugschneise des Frankfurter Flughafens höchst umstritten war.466 Kein Wunder also, daß der Minister für die Geschäftsführung als besonders wertvoller Kontaktmann galt. Als die Eingliederung der hessischen Tochtergesellschaften in die Unternehmensgruppe im Frühjahr 1963 organisatorisch abgeschlossen wurde, behielt Vietor entgegen den soeben erst beschlossenen Grundsätzen der Unternehmensorganisation seinen Aufsichtsratssitz in der NH Hessen „aus Gründen der persönlichen Zusammenarbeit mit dem Hessischen Minister des Inneren“467 bei. Und diese persönliche Zusammenarbeit funktionierte offenbar hervorragend – nicht nur in Hessen. In den Aufsichtsrat der NHK zogen neben Schneider auch der Bremer Bausenator Wilhelm Blase, der Berliner Bausenator Schwedler, der nordrhein-westfälische Minister für Bundesratsangelegenheiten, Gerd Lemmer, der Innenminister des Saarlands, Schnur, und der niedersächsische Sozialminister Kurt Partzsch ein.468 Es ist wenig überraschend, daß sich genau die Länder, die diese Minister vertraten, in der Folgezeit zu den größten Auftraggebern der NH für kommunale Infrastrukturprojekte entwickelten.469 Die NH dominierte nicht nur den Wohnungsmarkt; sie war gleichzeitig ein wesentlicher Akteur der Wohnungspolitik. Und sie hielt diese Aufgaben keineswegs getrennt. Allerdings konnte die NHK auch aus anderen, stärker marktbezogenen Fähigkeiten Kapital schlagen. Daß sie schon wegen des Mangels an geeigneten Bauträgern für die Kommunen einen attraktiven Partner darstellte, ist bereits angemerkt worden. Hinzu kam, daß die Gesellschaft ihren Auftraggebern feste Preise und Termine sowie die Vermittlung günstiger Finanzierungsbedingungen zusichern konnte. Die überregionale Verbreitung der Unternehmensgruppe ermöglichte ihr zudem zusammen mit der aufgestauten Nachfrage eine Serienproduktion von kommunalen Infrastruktureinrichtungen. So entwickelte sie unter der Leitung ihres seit 1965 amtierenden technischen Geschäftsführers Paul Seitz – eines renommierten Architekten, der zuvor das Bauamt der Stadt Hamburg geleitet hatte und dort unter anderem für den Ausbau des Universitätsgeländes verantwortlich gewesen war – eine Reihe von Schul-, Schwimmbad- und Turnhallentypen, die in ver-

466 Vgl. Protokoll AR NH Hessen, 26.8.1965, IGM ZwA 2/17 286, S. 9. 467 Protokoll AR NHH, 6.3.1963, IGM ZwA 2/17 286, S. 5. 468 Vgl. Hauptabteilung Presse der Unternehmensgruppe NEUE HEIMAT Hamburg, Die Aufsichtsratsmitglieder der „Neuen Heimat Kommunal“, FZH 592–32 VIII, S. 1. 469 Vgl. Wirksame Hilfe für die Gemeinden, NHM 1965,12, S. 44–46, hier S. 44. Das hatte auch einen durchaus ernstzunehmenden Hintergrund. Angesichts der Größenordnung der Projekte konnten die Landesregierungen so eine bessere Kontrolle über die Mittel, die sie an die NHK verausgabten, erlangen. Modern gesprochen, war die personelle Verflechtung zwischen Landesregierungen und NH deshalb nichts anderes als ein Mittel zur Senkung von Transaktionskosten – allerdings um den Preis einer Einschränkung des marktwirtschaftlichen Wettbewerbs.

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schiedenen Größen und Ausstattungsvarianten zur Verfügung standen.470 Diese Serienanfertigungen waren zwar typische Zeugnisse der Montagebau-Ästhetik, waren aber technisch gut durchdacht und galten in der Fachwelt als vorbildlich.471 Vor allem aber waren sie – gerade weil sie in großer Serie im Montagebau hergestellt werden konnten – für die Gemeinden erschwinglich. Und die NHK garantierte eine schnelle Erstellung: „Bei unveränderter Übernahme der Typen“, so versprach sie, „kann davon ausgegangen werden, daß von der Auftragserteilung bis zur schlüsselfertigen Übergabe bei den Turnhallen 9–10 Monate und bei den Schulen 11–12 Monate benötigt werden“.472 Das war ein Angebot, das in dieser Kombination – moderne Gebäude, schnelle Erstellung zu festen Terminen, niedrige Preise und volle Finanzierung – kein anderes Unternehmen anbieten konnte. In den ersten Jahren nach der Gründung der NHK zeigte sich deshalb gerade beim Kommunalbau, daß die Unternehmensgruppe trotz aller späteren Anfeindungen nicht alleine ein Nutznießer politischer Kungelei, sondern gleichzeitig auch eines der wettbewerbsfähigsten Unternehmen am Markt war – zumindest so lange dieser Markt von einem erheblichen Nachholbedarf geprägt war, der es einem großen Unternehmen erlaubte, die economies of scale der Massenfertigung voll auszuschöpfen. Die Startbedingungen der NH für einen Einstieg in den Kommunalbau waren also nicht nur wegen des Nachfrageüberhanges und wegen der politischen Verbindungen des Unternehmens, sondern auch wegen der Produktpolitik optimal. Ein wirtschaftlicher Fehlstart ihrer neuen Strategie war ausgeschlossen. Die Geschäftsführung rechnete sogar mit erheblichen Gewinnen.473 Und tatsächlich erwies sich die NHK binnen kürzester Zeit als ein, wie Vietor es ausdrückte, „Schuß ins Schwarze“.474 Als reiner Dienstleistungsbetrieb, bei dem höchstens übergangsweise Unternehmenseigentum gebildet wurde, spielte das Problem des Eigenkapitaleinsatzes bei ihr keine Rolle. Schon im ersten Jahr ihres Bestehens konnte sie deshalb 36 Projekte mit einer Bauinvestitionssumme von 316 Mio. DM in Angriff nehmen, „darunter Krankenhäuser und –anstalten, Altenwohn- und Pflegeheime, Schulen, Turnhallen, und Kindertagesstätte.“475 1965 belief sich der Auftragsbestand bereits auf 676 Millionen DM; und im September 1967 waren es 1,5 Mrd. DM – 19% des Gesamtauftragsbestandes der Unternehmensgruppe.476 Zweifellos 470 Vgl. NHK. Aufgaben und Leistungen, Anhang, 28.9.1966, DGBA-BV, Abt. Vorsitzender, 5/ DGAI 2062. Zu Paul Seitz vgl. den Nachlaß im StA HH, 621–2 Seitz (Depositum HAA) sowie die Kurzbiographie im zugehörigen Bestandsverzeichnis. Zum Ausbau des Hamburger Universitätsgeländes vgl. Werner Dieckmann, Bauten der Wissenschaft und Forschung, in: Architekten- und Ingenieurverein Hamburg 1969, S. 296–304. 471 Vgl. NHK. Aufgaben und Leistungen, Anhang, 28.9.1966, DGBA-BV, Abt. Vorsitzender, 5/ DGAI 2062 und Scheiner/Schmidt 1974, S. 103 ff. 472 NHK. Aufgaben und Leistungen, Anhang, S. 3, 28.09.1966, DGBA-BV, Abt. Vorsitzender, 5/ DGAI 2062. 473 Vgl. Protokoll AA NHH, 8.4.1964, IGM ZwA 2/17 265, S. 7 sowie PUA HH, S. 510. 474 Protokoll AR NHH, 14.1.1966, IGM ZwA 2/17 286, S. 21. 475 GB NHH 1964, S. 35. 476 Vgl. GB NHH 1965, S. 38; Scheiner/Schmidt 1974, S. 101 sowie zusammenfassend zu den Leistungen NHK in den ersten Jahren nach ihrer Gründung Reinhold Tarnow, Von der Grund-

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leistete die Gründung der NHK damit einen entscheidenden Beitrag dazu, daß sich die Unternehmensgruppe über den konjunkturellen Aufschwung 1964 hinaus wieder auf einen Pfad kontinuierlicher Expansion zurückbewegte.477 Allerdings ist nicht zu übersehen, daß die NHK die unternehmensstrategische Hinwendung zum Städtebau zwar am deutlichsten symbolisierte, sie aber nicht alleine trug. Das wird besonders bei einem Blick auf die personelle Entwicklung der Unternehmensgruppe sichtbar. Auch hier war zwar insofern eine Trendwende zu beobachten, als 1965 erstmals seit drei Jahren die Zahl der Angestellten der Unternehmensgruppe wieder expandierte. Aber unter den hauptamtlich Beschäftigten, deren Zahl von 1964 auf 1965 um 123 Personen auf 2.606 Angestellte stieg, machten die Einstellungen für die NHK lediglich etwa die Hälfte aus.478 Die Erklärung hierfür liegt darin, daß der Städtebau nur zum Teil im organisatorischen Rahmen der NHK, zu einem erheblichen Teil – Stichwort Großsiedlungen – aber auch in dem „alten“ organisatorischen Rahmen der Unternehmensgruppe umgesetzt werden konnte. Er schlug sich deshalb nicht nur in vollen Auftragsbüchern bei der Kommunalbaugesellschaft, sondern auch in einer anhaltend hohen Neubauziffer bei den gemeinnützigen Tochtergesellschaften nieder: Auch 1965 und 1966 errichtete die Unternehmensgruppe jeweils etwa 19.000 Wohnungen. Daß dies nicht allein die Fortschreibung des Wohnungsbaus alten Typs war, sondern nur deshalb zustande kommen konnte, weil die NH sich aktiv auf den Städtebau eingelassen hatte, war daran ersichtlich, daß sich die meisten anderen Unternehmen – etwa die GAGFAH – wegen des kontinuierlichen Rückgangs der öffentlichen Förderung mit dem Versuch, die Rekordzahlen des Jahres 1964 zu halten, deutlich schwerer taten als die NH.479 Das spiegelte sich in einer kontinuierlichen Ausdehnung des Marktanteils der Unternehmensgruppe wider. Waren 1963 nur 2,4% aller fertiggestellten Wohnungen von ihr errichtet worden, so stieg dieser Anteil bis 1966 auf 3,1%. Noch deutlicher tritt dies mit Blick auf den Anteil der NH an den Fertigstellungen der Gemeinnützigen zutage. Er stieg von 8,3% 1963 kontinuierlich auf 11,4% 1966.480 Diese Ausdehnung ihres Marktanteiles konnte der Unternehmensgruppe nur deshalb gelingen, weil sie es besser als andere Unternehmen verstand, ihre Tätigkeit in den verstärkt nachgefragten Großprojekten zu bündeln. So waren bei der NH im Jahr 1965 allein 34 städtebauliche Maßnahmenträgerschaften in der Planung oder in der Durchführung. Darunter befanden sich, um einige Beispiele zu nennen, Projekte wie München-Neuperlach, das bei der Unternehmensgruppe alleine mit einer Bausumme von 700 Mio. DM zu Buche schlug, und die Großsiedlungen Mannheim-Vogelstang und Kiel-Mettenhof.481 Kein anderes Unternehmen erreichte auch nur annähernd solche Leistungsziffern.

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schule zum Kongreßzentrum. Weit gefächertes Aufgabengebiet der Neuen Heimat Kommunal, NHM, 1970,1, S. 56–62. Zum Unternehmenswachstum vgl. auch den Beitrag von Albert Vietor, Vom Wohnungsunternehmen zur Städtebau-Unternehmensgruppe, NHM 1970,1, S. 1–30. Vgl. GB NHH 1965, S. 52. Vgl. GAGFAH 1993, S. 90 u. S. 387. Vgl. Anhang, Tabelle 2. Vgl. GB NHH 1965, S. 39 f.

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Neben den städtebaulichen Fähigkeiten der NH gab es aber auch andere Gründe für die Tatsache, daß es der Unternehmensgruppe Mitte der sechziger Jahre gelang, ihre Wohnungsbautätigkeit auf sehr hohem Niveau zu halten. Erstens hatte sie die aufgrund der vorangehenden Rationalisierungsmaßnahmen recht hohen Gewinne aus den Vorjahren, wie bereits dargelegt, in eine Erweiterung der Eigenkapitalbasis investiert. Damit konnte sie die Zahl der eigenen Mietwohnungsbauten zumindest stabil halten, wenngleich sie sich insgesamt auf einem etwas niedrigeren Niveau bewegte als noch in den fünfziger Jahren. Und zweitens gelang es der Geschäftsführung ab 1963 auch, das zu erreichen, was seit Ende der fünfziger Jahre eines ihrer zentralen strategischen Ziele gewesen war: die Ausweitung des Betreuungsbaus, die den Engpaß „Eigenkapital“ überwinden sollte. Um 1960 herum hatte er noch bei etwa 5% gelegen und bis 1962 war er trotz aller Bemühungen nur auf etwa 7,5% angestiegen. 1963 kam dann der erste große Sprung: Knapp 19% aller in diesem Jahr fertiggestellten Objekte waren Betreuungsbauten für Dritte; unter den reinen Wohnungsbauten lag der Anteil mit knapp über 20% sogar noch etwas höher.482 Für diesen Anstieg war kurzfristig vor allem das Betreuungsprogramm für die Volksfürsorge verantwortlich gewesen. Daß die Unternehmensgruppe den Anteil der Betreuungsbauten an den Gesamtfertigstellungen aber auch über 1964 hinaus bei über 20% halten konnte, hatte allerdings andere Ursachen. Denn der Geschäftsführung war es zur Jahreswende 1964/65 doch noch gelungen, jenes Projekt zu etablieren, das zweieinhalb Jahre zuvor bereits gescheitert schien: den Hausbesitzbrief. Nachdem die konjunkturelle Lage sich beruhigt hatte und die ursprünglichen Ängste der Bundesbank vor einer Überhitzung der Wirtschaft damit hinfällig waren, konnte Lücke die Depfa und die NH nicht mehr länger hinhalten.483 Mitte 1964 bekamen die beiden Unternehmen grünes Licht, und in den folgenden Monaten gründeten sie – oder genauer gesagt: ihre Geschäftsführer als persönlich haftende Gesellschafter – eine Reihe von aus steuerlichen Gründen in Düsseldorf angesiedelten Immobiliengesellschaften. Im Januar 1965 begann die NH mit der Ausgabe von Kommanditanteilen.484 Der Hausbesitzbrief wurde ein bombastischer Erfolg. Innerhalb weniger Tage war die erste Tranche in Höhe von 30 Mio. DM ausverkauft. Schon allein damit konnte das Eigenkapital für über 6.000 Wohnungen finanziert werden. Das entsprach dem kompletten Betreuungsprogramm für das Jahr 1965.485 Auch in den folgenden Jahren trug der Hausbesitzbrief zur Aufrechterhaltung des Neubaus bei. Und nebenbei illustrierte er auch noch die Position, in die die NH Mitte der sechziger Jahre auf dem Kreditmarkt gerückt war. Denn nachdem die erste Tranche reißenden Absatz gefunden hatte, bot die Unternehmensgruppe ihrem Partner, der Depfa an, weitere Hausbesitzbriefprojekte im Umfang von 100 bis 150 Mio. DM 482 Vgl. Anhang, Tabelle 1. 483 Vgl. Schreiben Kurt Stühlers an die Mitglieder des geschäftsführenden Bundesvorstand, betr. Neue Heimat – Hausbesitzbrief, 22.7.1964, DGBA-BV, Abt, Organisation, 24/378. 484 Vgl. PUA HH, S. 591 sowie die Verträge über die Errichtung der Gesellschaften in BAK B 134–8639. 485 Vgl. Schreiben Depfa an den Bundesminister für Wirtschaft, 17.3.1965, BAK B 134–8639 Bd. 3, S. 1 f.

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4. Auf der Suche nach dem verlorenen Markt

zu bearbeiten. Die Depfa ihrerseits bedurfte dafür der Zustimmung des Bundeswirtschaftsministeriums – und beantragte sie in einem fünfseitigem Brief, der an Deutlichkeit nichts zu wünschen übrig ließ. „Wir haben“, so schrieb sie, „nach einem so erfolgreichen Start den dringenden Wunsch, die Anfrage der ‚Neue Heimat‘ zustimmend zu beantworten, um den gemeinsam begonnenen Weg – den Vorschlägen der ‚Neue Heimat‘ entsprechend – fortzusetzen. (...) Sollte die Deutsche Pfandbriefanstalt sich jedoch ausserstande sehen, an weiteren Projekten dieser Art mitzuwirken, könnte die ‚Neue Heimat‘ sich mit anderen Kreditinstituten zusammentun. Wir wissen, daß sich bereits mehrere große Kreditinstitute darum bemüht haben und nach wie vor daran interessiert sind, in den von uns und der ‚Neue Heimat‘ in jahrelanger mühevoller Arbeit entwickelten Plan einzutreten und ohne Aufwand an Mühen und Kosten unser Hausbesitzbrief-Projekt weiterzuführen. Wir bitten um Verständnis, dass eine solche Entwicklung für uns nicht nur sehr schmerzlich[,] sondern auch von grossem Nachteil sein würde.“486

An dieser Argumentation kam auch das Ministerium nicht vorbei. Es gestattete der Depfa deshalb eine Mitwirkung an weiteren Hausbesitzbrief-Objekten in Höhe von 120 Mio. DM.487 Damit war auch das Betreuungsprogramm für die folgenden Jahre gesichert; und bis weit in die siebziger Jahre hinein wurde der Hausbesitzbrief regelmäßig in Zusammenarbeit zwischen der Depfa und der NH neu aufgelegt. Bis 1975 verkauften sie Hausbesitzbriefe im Nennwert von 246,1 Mio. DM an 11.000 Sparer und Anleger.488 Der Hausbesitzbrief leistete daher einen wichtigen Beitrag zur Aufrechterhaltung der Wohnungsbautätigkeit der NH auch über das Boomjahr 1964 hinaus. Gegenüber dem boomenden Neubau blieb allerdings die Wohnungsbewirtschaftung für die betriebswirtschaftliche Entwicklung der Unternehmensgruppe bis 1965/66 von untergeordneter Bedeutung. Zwar stieg die Zahl der von der NH verwalteten Objekte mit in etwa der Rate weiter, die sie auch in den fünfziger Jahren schon erreicht hatte. Ende 1966 belief sie sich auf etwa 242.000 Wohnungen und gewerbliche Objekte. Aber die Bindungen des öffentlich geförderten Wohnungsbaus setzten dem Wachstum hier wesentlich deutlichere Grenzen als bei der Neubautätigkeit. Ein zentrales Problem bildete dabei die Tatsache, daß die Instandhaltungs- und Verwaltungskosten aufgrund der Kosteninflation schnell anstiegen, die Anpassung der Berechnungsverordnung, auf deren Grundlage die Mieten erhoben wurden, aber nur mit erheblicher Verzögerung nachfolgte.489 Fast alle Gemeinnützigen hatten deshalb erhebliche Schwierigkeiten, ihre Kosten in der Bestandsverwaltung zu decken. Hinzu kam im Falle der NH noch ein weiterer Faktor, nämlich die Zurückhaltung, die die Unternehmensgruppe bei der Ausschöpfung des Spielraumes übte, den ihr der Lücke-Plan verschaffte.490 Zwar gab 486 Ebd., S. 3 f. 487 Vgl. Schreiben des Bundesministers für Wirtschaft an den Bundesminister für Wohnungsbau, 10.5.1965, BAK B 134–8639 Bd. 3, S. 1. 488 Vgl. Unternehmensgruppe NEUE HEIMAT Städtebau- und Wohnungsgesellschaften, Jahresbericht 1975/76 (Jahresberichte der Unternehmensgruppe im folgenden zitiert als: JB + Jahreszahl), S. C 23. 489 Vgl. Protokoll AA NHH, 13.1.1966, IGM ZwA 2/17 265, S. 9. 490 Vgl. Kap. 4.1.1 dieser Arbeit.

4.2 Auf dem Weg zum Städtebau

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sie diese Zurückhaltung, wie erwähnt, bereits Mitte 1964 wieder auf, doch das genügte nicht, um das Verhältnis zwischen den Deckungsbeiträgen aus der Bewirtschaftung und aus dem Neubau grundlegend zu verändern. Während sich die Umsätze im Neubau zwischen 1962 und 1966 von 533 Mio. DM auf 1,05 Mrd. DM annähernd verdoppelten, stiegen die Umsätze in der Hausbewirtschaftung im gleichen Zeitraum „nur“ von 300 Mio. auf 420 Mio., d. h. um knapp 40%. Der Anteil der Bauumsätze an den Gesamtumsätzen wuchs somit von 1962 knapp 64% auf 71,4% vier Jahre später.491 Und während die Überschüsse aus der Bautätigkeit zwischen 1963 und 1965 von ca. 14 Mio. DM auf etwa 25 Mio. DM anstiegen, blieben die Überschüsse aus der Hausbewirtschaftung trotz zunehmender Bestandszahlen annähernd stabil bei nur 10 bis 12 Mio. DM.492 In der zweiten Hälfte der sechziger Jahre änderte sich dies zwar deutlich, aber zunächst blieb die NH – entgegen den ursprünglichen Planungen – ein Unternehmen, dessen Ertragsstruktur entscheidend von der Neubautätigkeit abhing. Obwohl sich in dieser Hinsicht also sehr viel weniger änderte, als Plett das Ende der fünfziger Jahre gefordert hatte, war der Bruch in der Entwicklungsrichtung, der etwa 1963/64 auftrat, doch deutlich zu spüren. Der expansive Elan, der die NH Ende der fünfziger Jahre verlassen hatte, war zurückgekehrt und die Grenzen der Expansion wieder offen. Das kam deutlich zum Ausdruck, als die Unternehmensgruppe am 9. Oktober 1963 – einen Tag nach dem grundsätzlichen Beschluß des Aufsichtsrates, im Kommunalbau tätig werden zu wollen – aus Anlaß der zweihunderttausendsten von ihr fertiggestellten Wohnung öffentlich ihre Aufbauleistungen zelebrierte. Das Ereignis wurde mit großem Aufwand in Szene gesetzt. So hatte die NH einen Bildband produziert, der Heinrich Plett gewidmet war und einen Überblick über die bis zu diesem Zeitpunkt fertiggestellten Wohnsiedlungen gab.493 Hinzu kam, daß sie der Stadt Berlin, wo die Feierlichkeiten (in bewußter Anspielung auf die nationale Bedeutung des Wiederaufbaus) stattfanden, eine großzügige Schenkung machte – ein komplettes Wohnheim, das „der Zusammenführung von Familien dienen [sollte], die durch die Spaltung Deutschlands, die sich in Berlin am sichtbarsten manifestiert, getrennt wurden.“494 Und zu guter Letzt stiftete die Unternehmensgruppe auch den mit 20.000 DM dotierten „Heinrich-Plett-Preis für Verdienste um den Wohnungs- und Städtebau“, der in den folgenden Jahren ein wichtiges Instrument bildete, um die führenden Experten des Städtebaus in der Bundesrepublik bei Laune zu halten.495 Noch bezeichnender für die Stimmungslage innerhalb des Unternehmens als diese ostentative Großzügigkeit waren aber die Reden, die seine Vertreter an besagtem Tag in der Berliner Kongreßhalle vor 700 geladenen Gästen hielten. Aus491 492 493 494

Vgl. Anhang, Tabelle 7. Vgl. Protokoll AA NHH, 13.1.1966, IGM ZwA 2/17 265, S. 9. NH 1963. Albert Vietor, Schenkung eines Wohnheimes an die Hauptstadt Berlin, in: Wir bauen für eine glückliche Zukunft, NHM Sonderbeilage 1964, S. 31. 495 Vgl. dazu Unternehmensgruppe Neue Heimat (Hg.), Heinrich-Plett-Preis 1963–1966, Hamburg o. D. [1966]; dies. (Hg.), Heinrich-Plett-Preis 1968–69, Hamburg o. D. [1969]; dies. (Hg.), Heinrich-Plett-Preis 1970–71, Hamburg o. D. [1971] sowie dies. [Hg.], Heinrich-PlettPreis 1972–73, Hamburg o. D. [1973].

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4. Auf der Suche nach dem verlorenen Markt

gerechnet der Aufsichtsratsvorsitzende Kurt Stühler, der als eher traditionell orientierter Anhänger des gemeinnützigen Wohnungsbaus gelten konnte, brachte die Stimmung dieses Tages am besten auf den Punkt. Die Fertigstellung der zweihunderttausendsten Wohnung, so führte er aus, bedeute für die NH „mehr als nur ein Zahlenjubiläum. Es vollendet einen wichtigen Entwicklungsabschnitt in der Geschichte des Wohnungsbaues für Arbeitnehmer und steht am Anfang größerer Aufgaben.“496 Der Pessimismus, der die Jahre zuvor die Strategie der Unternehmensgruppe bestimmt hatte, war endgültig verflogen.

4.3 DIE POLITISCHE LEGITIMATION DER NH IM UMBRUCH 4.3.1 Von der „Bedarfsdeckung“ zur „Gemeinwirtschaft“ Die expansive Stimmung, die Stühlers Äußerungen zu entnehmen war und die sich Mitte der sechziger Jahre in der Unternehmensgruppe ausbreitete, war auch darauf zurückzuführen, daß es der NH zu diesem Zeitpunkt gelungen war, eine neue Legitimationsbasis für ihre Betätigung zu etablieren. Daß dies nötig sein würde, war der Geschäftsführung spätestens seit ihren ersten Versuchen einer Neuorientierung in Richtung Städtebau Anfang der sechziger Jahre klar gewesen. Denn bei dieser Neuorientierung konnte sich die NH angesichts ihres gewerkschaftlichen Auftrages nicht ausschließlich auf die in privaten Unternehmen üblichen Kriterien der Strategieformulierung, also etwa auf die Ausnutzung neuer Marktchancen berufen. Der Weg der NH in den Städte- und in den Kommunalbau war daher nicht allein eine strategische, sondern auch eine normative Frage – ein Frage, die unmittelbar an die Grundfesten des Unternehmenszwecks rührte. Sie erforderte eine Neudefinition der Unternehmensziele und eine Begründung dafür, warum ein gewerkschaftseigenes Unternehmen in großem Umfang in einer Art und Weise tätig werden sollte, die mit dem Ursprungsgedanken des Arbeiter- und später des sozialen Wohnungsbaus kaum noch Gemeinsamkeiten hatte. Es waren dabei zunächst vor allem die Gewerkschaften, die eine solche Begründung einforderten. Denn das vorherrschende Bild, das sich die Mitglieder und viele Funktionäre von der NH machten, war bis weit in die sechziger Jahre das eines traditionellen Selbsthilfeunternehmens der Arbeiterbewegung. Ganz selbstverständlich gingen sie davon aus, daß es das primäre Ziel der Unternehmensgruppe sein müsse, die Wohnungsversorgung der Gewerkschaftsmitglieder zu verbessern.497 Ihre Vorstellung von den Aufgaben der NH beruhte also auf einem unternehmerischen Leitbild, das auf der Idee einer unmittelbar auf die Bedürfnisse des Verbrauchers gerichteten, marktfreien „Bedarfsdeckungswirtschaft“ aufbaute, diese aber ausschließlich auf die gewerkschaftliche Klientel bezog. Im Rahmen die496 Kurt Stühler, Aufgaben und Aufbauleistung der NEUEN HEIMAT, in: Wir bauen für eine glückliche Zukunft, NHM Sonderbeilage 1964, S. 5–7, hier S. 5 (meine Hervorhebung). 497 Vgl. Die Unternehmensgruppe ‚NEUE HEIMAT‘ als Instrument gewerkschaftlicher Wohnungs-, Wirtschafts-, Sozial- und Strukturpolitik. Entwicklungen, Leistungen, Funktionen, Ziele, September 1965, IGM ZwA 2/17 444, S. 15 ff.

4.3 Die politische Legitimation der NH im Umbruch

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ser (nie zu einem festen Programm ausformulierten) Konzeption ging im Prinzip schon die Tatsache, daß die NH auch Wohnungen für Nicht-Gewerkschaftsmitglieder baute, über die Grenzen des Zulässigen hinaus. Gewerkschaftsfunktionäre der älteren Generation und ein großer Teil der einfachen Gewerkschaftsmitglieder betrachteten die NH aus diesem Grund mit einigem Mißtrauen.498 Mit Hinblick auf die Mechanismen der staatlichen Wohnungsbauförderung ließ sich diese Kritik in den fünfziger Jahren noch gut abweisen. Eine Begründung, warum die NH in den sechziger Jahren noch weiter über die Grenzen dieses „Bedarfsdeckungskonzeptes“ hinausgehen und nun im Kommunalbau aktiv werden sollte, war allerdings weitaus schwieriger zu bewerkstelligen. Zwar konnte der Bau von Schulen und Krankenhäusern ebenfalls als „Bedarfsdeckung“ deklariert werden; aber im Gegensatz zum zumindest idealiter an die eigene Klientel gebundenen Wohnungsbau war nicht unmittelbar einzusehen, warum es ausgerechnet Aufgabe eines gewerkschaftseigenen Unternehmens sein sollte, Bauten zu errichten, deren spezifischer Nutzen für die Gewerkschaftsmitglieder eher zweifelhaft war. Daß die NH diese Ausrichtung ihrer Unternehmenspolitik rechtfertigen konnte, hatte sie der Tatsache zu verdanken, daß sich die wirtschaftspolitischen Vorstellungen der Gewerkschaften insgesamt in einem Übergangsstadium befanden. Für die politische Konzeption der gewerkschaftseigenen Unternehmen brachte dieses Übergangsstadium eine eigentümliche Vermischung des Bedarfsdeckungskonzepts mit ersten schemenhaften Vorstellungen von der Aufgabe dieser Unternehmen in der marktwirtschaftlichen Wettbewerbsordnung mit sich. Spätestens seit dem Scheitern des Betriebsverfassungsgesetzes 1952 war die Politik der DGB-Gewerkschaften von einer pragmatischen Akzeptanz des bestehenden politischen und wirtschaftlichen Systems geprägt.499 Die grundsätzliche Einschätzung der Wirtschaftsordnung durch die Gewerkschaften veränderte sich allerdings nur langsam. Nach wie vor sah eine deutliche Mehrheit im DGB, die insbesondere von der IG Metall und ihrem Vorsitzenden Otto Brenner getragen wurde, die Möglichkeit und auch die Notwendigkeit, wirtschaftlich „systemverändernde Struktur- bzw. Neuordnungspolitik theoretisch zu untermauern und politisch durchzusetzen.“500 Im Klartext hieß das, daß die grundlegende Forderung nach einer Sozialisierung der Schlüsselindustrien und damit einhergehend die grundsätzliche Ablehnung der marktwirtschaftlichen Wettbewerbsordnung auch nach 1955 ihre Gültigkeit noch behielten. Das war allerdings nicht unumstritten. Denn selbst Brenner mußte anerkennen, daß Arbeiter, Angestellte und Beamte von dem wirtschaftlichen Aufschwung in der Bundesrepublik in erheblichem Maße profitierten – ein Punkt, den Ludwig Rosenberg, zu diesem Zeitpunkt Mitglied des Bundesvorstandes, später Vorsitzender des DGB, bereits 1956 auf dem 4. DGB-Bundeskongreß zum Anlaß nahm, um 498 Vgl. ebd. sowie die bereits im vorangegangenen Kapitel zitierte Kritik von Adolph Kummernuß im DGB-Bundesausschuß, Protokoll DGB-BA, 13.10.1961, DGBA-BV, Abt. Vorsitzender, 5/DGAI 442, S. 37 ff. 499 Vgl. Müller 1990, S. 147; Schneider 2000, S. 296 sowie Schönhoven 1987, S. 219. 500 Helga Grebing, Gewerkschaften – Bewegung oder Dienstleistungsorganisation – 1955 bis 1965, in: Hemmer/Schmitz 1990, S. 149–182, hier S. 157.

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4. Auf der Suche nach dem verlorenen Markt

eine Neudefinition der gewerkschaftlichen Haltung zur marktwirtschaftlichen Ordnung zu fordern.501 Rosenberg entwickelte sich in der Folgezeit zum „profiliertesten Vertreter einer wirtschaftspolitischen Neuorientierung des DGB“502 im Sinne des reformorientierten Lagers innerhalb der Gewerkschaften, das sich politisch um Georg Leber, den Vorsitzenden der IG BSE, scharte.503 Rosenbergs Auffassungen standen denen von Otto Brenner diametral entgegen. Zwar warnte er auf dem 5. DGB-Bundeskongreß 1959 vor den Gefahren „hemmungsloser Marktwirtschaft“.504 Doch das war keineswegs ein Plädoyer gegen den Wettbewerb. Rosenberg beklagte im Gegenteil eine Untergrabung des Wettbewerbs durch mangelhafte Steuerung und durch die zunehmende Konzentration wirtschaftlicher Macht in der Hand einiger weniger großer Unternehmen. Diese Auffassung spitzte er in der Bemerkung zu, daß der krasse Liberalismus, der in der Bundesrepublik Platz greife, „ausgesprochen dirigistische Züge“505 trage. Rosenberg sah also ganz anders als Brenner die Gefahren des Wettbewerbs nicht in seiner Entfesselung, sondern gerade seiner Beschränkung. Die Konsequenz, die die Reformer hieraus für die gewerkschaftliche Wirtschaftspolitik zogen, war eindeutig. In einem Entwurf für den wirtschaftspolitischen Teil des neuen Grundsatzprogramms, das auf Beschluß des 5. Bundeskongresses bis 1962 vorgelegt werden sollte, gingen sie „vom Wettbewerb als einem konstruktiven Element der Wirtschaftsordnung“ aus und sahen die gestalterische Aufgabe der Wirtschaftspolitik vorrangig darin, „monopolistisch beherrschte oder durchsetzte Märkte (...) durch direkte öffentliche Intervention im Interesse der Gesamtheit zu regulieren“506 – also dafür zu sorgen, daß der Wettbewerb unter Bedingungen stattfand, die eine volle Entfaltung seiner positiven Auswirkungen ermöglichten. Hier nun – in der Frage der Regulierung der Märkte zum Zwecke der Stärkung der positiven Effekte des Wettbewerbs – trafen sich die Ideen der Reformer in den Gewerkschaften mit der seit Mitte der fünfziger Jahre wiederbelebten Diskussion über die Frage der „Gemeinwirtschaft als Ordnungsprinzip“.507 In der Zwischenkriegszeit hatten die Freien Gewerkschaften unter „Gemeinwirtschaft“ noch den sozialisierten Sektor der Wirtschaft verstanden, den sie schrittweise erweitern wollten, so daß dieser am Ende seinen Gegenpol, die Privatwirtschaft, überwinden sollte.508 Nach dem Krieg wurde dieses Konzept aber weitgehend fallen gelassen. Zumindest verbanden die Gewerkschaften nun keine kohärente Ordnungsvorstellung mehr mit ihm, weil sie statt auf eine schrittweise Sozialisierung „von unten“ auf eine staatliche Planung „von oben“ setzten und den Staat auf ihrer Seite wähn501 Vgl. Grebing 1990, S. 172. 502 Julia Angster, Konsenskapitalismus und Sozialdemokratie. Die Westernisierung von SPD und DGB (Ordnungssysteme Bd. 13), München 2003, S. 435 sowie Schneider 2000, S. 323. 503 Vgl. ebd, S. 321. Generell zur Reformdebatte innerhalb des DGB vgl. ebd., S. 321 ff. und Angster 2003, S. 430 ff. 504 DGB-Bundesvorstand o. J. [1959], S. 410. 505 Ebd. 506 Entwurf für den wirtschaftspolitischen Teil des Grundsatzprogrammes, 15.3.1962, DGBABV, Abt. Vorsitzender, 5/DGAI 100, S. 5. 507 Loesch 1977, S. 19. 508 Vgl. ebd., S. 21 ff. sowie Klein 1999, passim.

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ten. In der wirtschaftswissenschaftlichen Diskussion lebte der Begriff aber fort und erlebte Mitte der fünfziger Jahre eine Neudefinition. Der wichtigste Stichwortgeber dieser Debatte war der Kölner Ordinarius für Sozialpolitik und Genossenschaftswesen, Gerhard Weisser, der auch bei der Formulierung des Godesberger Programms der SPD eine zentrale Rolle spielte.509 Weisser skizzierte 1954 in Anlehnung an seine bereits 1943 verfaßte Habilitationsschrift,510 was einer seiner Adepten in den späten siebziger Jahren treffend als den Übergang des Begriffes der Gemeinwirtschaft „vom antikapitalistischen Ordnungsprinzip zum marktwirtschaftlichen Regulativ“511 bezeichnete. Er ging davon aus, daß der Teil der Wirtschaft, der in der alten Gemeinwirtschaftskonzeption als Ausgangspunkt für eine Sozialisierung der Wirtschaft dienen sollte, die marktwirtschaftliche Ordnung nun nicht mehr überwinden müsse, sondern seine Zielsetzungen auf dem Boden der Wettbewerbsordnung viel besser würde erfüllen können. Weisser betrachtete „Gemeinwirtschaft“ nicht mehr als einen Sektor, sondern als eine Eigenschaft von „Einzelwirtschaften“, d. h. von einzelnen Unternehmen. Und die definierte er wie folgt: „Gemeinwirtschaftliche Unternehmen sind Einzelwirtschaften, deren Ergebnis und gegebenenfalls auch einzelne Leistungen nach dem gemeinten Sinn des Gebildes unmittelbar dem Wohl einer übergeordneten Gesamtheit oder der Verwirklichung einer von ihr für objektiv verbindlich gehaltenen Idee gewidmet sind und die eine der Absicht nach dieser Widmung entsprechende institutionelle Form haben.“512 Die Umständlichkeit dieser Definition zeigte bereits, daß sie in der Praxis problematisch war. Aber die grundlegende Idee, die hinter Weissers Ausführungen stand, war recht einfach: Wenn Unternehmen von vornherein einem bestimmten gesellschaftspolitischen Ziel gewidmet waren, konnten sie das gleiche Ergebnis erzielen wie die „unsichtbare Hand des Marktes“ – und sie konnten es auch dort erzielen, wo Märkte versagten. Das war etwa bei der Ausfüllung von „natürlichen Monopolen“ durch öffentliche Unternehmen seit langem gängige Praxis. Doch Weisser sah auch einen Weg, wie gemeinwirtschaftliche Unternehmen statt als Ersatz für Märkte als Garanten für ihr Funktionieren agieren konnten. Aufgrund ihrer nicht-gewinnorientierten Natur konnten sie zum einen gezielt als Monopoloder Kartellbrecher auftreten. Zum anderen eröffnete ihnen diese betriebswirtschaftliche Spielräume, um die Preise für ihre Produkte zu senken und somit einen abwärts gerichteten Preisdruck zu erzeugen.513 Damit stärkten sie die Wettbewerbsintensität und automatisch auch die positiven Ergebnisse des Wettbewerbs für den Endverbraucher. Entscheidend hierbei war, daß diese Funktion der gemeinwirtschaftlichen Unternehmen nicht auf bestimmte, etwa durch Oligopole dominierte Märkte beschränkt war. Sie ließ sich potentiell für jeden Markt reklamieren.

509 Vgl. Loesch 1977, S. 99. Zu Weisser vgl. Archiv der sozialen Demokratie, Gerhard Weisser, o. D., URL: (Stand: 23.6.2008). 510 Gerhard Weisser, Form und Wesen der Einzelwirtschaften. Theorie und Politik ihrer Stile, Stuttgart 1943. 511 Loesch 1977, Untertitel. 512 Weisser 1954, S. 9. 513 Vgl. Loesch 1977, S. 89 ff.

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In den gewerkschaftseigenen Unternehmen fanden diese Ideen durchaus Anklang. Schon 1957 stellte Henry Everling, der Neubegründer der gewerkschaftlichen Konsumgenossenschaftsbewegung nach dem Zweiten Weltkrieg, auf einem vertraulichen Treffen von Vertretern der gewerkschaftseigenen Unternehmen (unter ihnen auch Heinrich Plett) fest, „daß ein Wirtschaftssystem ohne Wettbewerb ein Unglück für den Endverbraucher sein würde“514 und deutete an, daß die gewerkschaftlichen Unternehmen in Zukunft gezielt auf den Wettbewerb einwirken sollten. Allerdings stieß er mit diesen theoretischen Überlegungen bei Plett und Vietor nur auf mäßiges Interesse. Beide waren Pragmatiker, die sich mit Grundsatzdebatten dieser Art nur ungern aufhielten – zumal sie es angesichts der Tatsache, daß die NH einen in der Öffentlichkeit bis in die sechziger Jahre hinein weithin anerkannten Beitrag zur Lösung eines der drängendsten Probleme der Bundesrepublik leistete, auch nicht mußten. Anders erging es hier der BfG: Sie geriet aus Gründen, die im nächsten Abschnitt noch zu erläutern sind, schon Ende der fünfziger Jahre verstärkt in das Visier einer kritischen Öffentlichkeit. Es war deshalb in erster Linie Walter Hesselbach, der Vorstandsvorsitzende der BfG, der die Ideen Weissers in der Folgezeit durch eine Reihe von Publikationen und Vorträgen in die innergewerkschaftliche Diskussion einbrachte.515 Hesselbach teilte voll und ganz Weissers und Rosenbergs Auffassung von der Bedeutung des marktwirtschaftlichen Wettbewerbs – abgesehen davon, daß er in seinem Optimismus noch weit über diese hinausging. Er erklärte nicht nur, daß ein funktionierender Wettbewerb prinzipiell zu optimalen Ergebnissen gelange, sondern lieferte dafür auch gleich eine Begründung, die in ihrer naiven sozialdarwinistischen Rhetorik kaum zu überbieten war. Wettbewerb, so formulierte er im Rückgriff auf den Soziologen Leopold von Wiese, sei eine biologisch begründete Kategorie. „In der Form des Kampfes ums Dasein [sic] beherrscht er die ganze belebte Natur. Die vielfältigen Wettbewerbsprozesse, die innerhalb der menschlichen Gruppierungen stattfinden und das Wesen der menschlichen Gesellschaft weitgehend bestimmen, sind nur Formen, in die der allgemeine Kampf ums Dasein im Laufe der Geschichte umgewandelt worden ist. Der ökonomische Wettbewerb, die Konkurrenz, stellt nur einen Sonderfall des gesellschaftlichen Wettbewerbs dar.“516 Das war aus gewerkschaftlicher Perspektive höchst bemerkenswert. Schließlich war die Tradition der Aufklärung, auf die sich die Arbeiterbewegung berief, ja gerade dadurch gekennzeichnet, daß sie den vernunftbegabten und nicht den biologisch programmierten Menschen zum Ausgangspunkt ihrer Ordnungsvorstellungen machte. Hesselbachs Ausführungen dagegen führten „eine bestimmte, histo514 Henry Everling, Zur Einführung. Betr.: Zusammenkunft am 3.1.1957, FZH 592–30 II, S. 1. 515 Zu Hesselbach vgl. Michael Schneider, Walter Hesselbach: Bankier und Unternehmer (Politik im Taschenbuch Bd. 12), Bonn 1995. 516 Walter Hesselbach, Das gemeinwirtschaftliche Unternehmen im Wettbewerb, in: Kurt Nemitz/Richard Becker (Hg.), Gewerkschaft – Wirtschaft – Gesellschaft. Beiträge zu wirtschaftlichen und sozialen Gegenwartsfragen, Köln 1963, S. 107–124, hier S. 110. Vgl. auch ders., Die gemeinwirtschaftlichen Unternehmen. Der Beitrag der Gewerkschaften zu einer verbraucherorientierten Wirtschaftspolitik (Sammlung „res novae“. Veröffentlichungen zu Politik, Wirtschaft, Soziologie und Geschichte Bd. 48), Frankfurt a. M. 1966, S. 84.

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risch entstandene Wirtschaftsordnung letzten Endes auf biologische Gegebenheiten, auf ‚den Kampf ums Dasein‘“ zurück und implizierten, „daß Wirtschaftsordnungen, die nicht auf dem Wettbewerb basieren, letzten Endes ‚widernatürlich‘ sind.“517 Rosenbergs Idee, daß das Problem grundsätzlich nicht im Wettbewerb selbst, sondern in seiner Verhinderung durch die Bildung von Monopolen und durch die Konzentration wirtschaftlicher Macht bestehe, konnte Hesselbach deshalb nur bestätigen. „Daß er [der Wettbewerb] jahrhundertelang vielen als Ärgernis galt,“ führte er aus, „beruht auf seinen mannigfachen Entartungserscheinungen [sic] im Laufe der Geschichte, insbesondere auf den vielerlei monopolistischen Praktiken gesellschaftlicher und ökonomischer Art, die ihn im Interesse kleiner Gruppen oder gar von Einzelnen immer wieder außer Kraft setzten.“518 Gerade die gewerkschaftlichen Unternehmen sah Hesselbach nun dafür prädestiniert, diese Verzerrungen des Wettbewerbes in dem Sinne zu durchbrechen, den Weisser einige Jahre zuvor bereits angedeutet hatte: durch ihre Einschaltung in monopolistisch und oligopolistisch beherrschte Märkte und ganz allgemein durch den Konkurrenzdruck, den sie allerorten entfalten sollten. Doch Hesselbachs Sichtweise war nur die eine Seite der Medaille. Tatsächlich taten sich die meisten Gewerkschafter sehr schwer damit, sich von dem Ziel einer Überwindung der marktwirtschaftlichen Ordnung zu verabschieden. Und in der IG Metall und ihrem Vorsitzenden Otto Brenner hatte diese Gruppe einen mächtigen und dezidiert antikapitalistisch orientierten Fürsprecher.519 Gegen diesen Widerstand konnten sich die Reformer auf dem Düsseldorfer Bundeskongreß 1963 nur teilweise durchsetzen. Das Düsseldorfer Programm markierte daher im Gegensatz zu dem Entwurf des Jahres 1962 – und auch im Gegensatz etwa zum Godesberger Programm der SPD – keine klare Abkehr von dem Ziel der Überwindung der kapitalistischen Ordnung, sondern einen Kompromiß zwischen der Position Rosenbergs und Lebers auf der einen Seite und der Position Brenners auf der anderen Seite. Dieser Kompromiß ließ sich am besten mit der Formel „Wettbewerb und Planung“ kennzeichnen.520 Neben marktwirtschaftlichen Elementen beinhaltete das Düsseldorfer Programm auch Punkte, die sich als Schritte auf dem Weg zu dem Fernziel der Ablösung des Kapitalismus interpretieren ließen – etwa die Beibehaltung der Vergesellschaftung von Schlüsselindustrien als Mittel der Wirtschaftspolitik oder die volkswirtschaftliche Rahmenplanung und Investitionslenkung.521 Deshalb war kaum eindeutig zu entscheiden, ob es sich dabei um ein prinzipiell auf Wettbewerb hin ausgerichtetes Programm handelte, in dem die Planung gegenüber dem Wettbewerb eine dienende Funktion einnahm; oder ob es sich um 517 Goldberg 1974, S. 37. Allerdings gab es innerhalb der Arbeiterbewegung auch für diese Perspektive durchaus Vorläufer. Vgl. dazu zusammenfassend Reinhard Mocek, Biologie und soziale Befreiung. Zur Geschichte des Biologismus und der Rassenhygiene in der Arbeiterbewegung (Philosophie und Geschichte der Wissenschaften Bd. 51), Frankfurt a. M. u. a. 2002. 518 Hesselbach 1963, S. 111. Vgl. auch ders. 1966, S. 85. 519 Vgl. Schneider 2000, S. 323. 520 Vgl. Grebing 1990, S. 179. 521 Vgl. Grundsatzprogramm des Deutschen Gewerkschaftsbundes, in: Gerhard Leminsky/Bernd Otto (Hg.), Politik und Programmatik des Deutschen Gewerkschaftsbundes, Köln 1974, S. 45–62, hier S. 48 ff.

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ein prinzipiell auf Planung ausgerichtetes Programm handelte, in dem der Wettbewerb allenfalls als punktuelle Ergänzung dienen sollte.522 Für die gewerkschaftseigenen Unternehmen war diese Doppeldeutigkeit theoretisch betrachtet höchst problematisch. Zwar maßen die Reformer in ihrem Entwurf für das Grundsatzprogramm den gemeinwirtschaftlichen Unternehmen ganz im Sinne Weissers und Hesselbachs „wesentliche Bedeutung“523 für die Verwirklichung ihres Ziels eines funktionierenden Wettbewerbes bei. Dieser Passus wurde auf dem Düsseldorfer Bundeskongreß sogar noch dahingehend erweitert, daß die Gewerkschaften nun eine Ausdehnung des öffentlichen Besitzes an wirtschaftlichen Unternehmen und bessere Rahmenbedingungen für die „freie Gemeinwirtschaft“524 forderten. Doch die eigenen Unternehmen, die eigentlich zu den wichtigsten Vertretern der „freien Gemeinwirtschaft“ gehörten, wurden in dem Programm überhaupt nicht erwähnt! Worin genau der Grund für dieses Versäumnis lag, ist kaum sicher zu ergründen. Aber zweifellos war diese Lücke im Sinne des Kompromißcharakters des Programms nur konsequent. Denn wie die Debatten im Aufsichtsrat der NH zeigen sollten, implizierte die grundsätzliche Skepsis der Position Brenners gegenüber der marktwirtschaftlichen Ordnung, daß den gewerkschaftlichen Unternehmen – anders als den übrigen „freigemeinwirtschaftlichen“ Unternehmen – allenfalls eine bedarfsdeckende Funktion für eine bestimmte Klientel zukommen sollte. Das brachte die traditionellen Vorstellungen, wenn sie als Leitlinie für die konkrete Unternehmenspolitik dienen sollten, in unmittelbaren Gegensatz zu der „marktwirtschaftlich-pluralistischen“ Konzeption der gemeinwirtschaftlichen Unternehmen. Denn während erstere auf der Annahme basierten, daß Märkte gar nicht erforderlich waren, konnte Wettbewerb ja nur dort stattfinden, wo es überhaupt Märkte gab. Mehr noch: Die „marktwirtschaftlich-pluralistische Gemeinwirtschaftskonzeption“ war geradezu eine Aufforderung, neue Märkte und Marktanteile auch dann zu erobern, wenn das mit den Interessen der gewerkschaftlichen Klientel in keiner unmittelbaren Verbindung stand.525 Eine auf Bedarfsdeckung gerichtete Strategie mußte also in der Regel ganz anders aussehen als eine am Ziel der Wettbewerbsregulierung ausgerichtete Strategie. Politisch war es für den DGB vergleichsweise unproblematisch, gleichzeitig die Förderung des Wettbewerbs und die Stärkung nicht-marktwirtschaftlicher Elemente zu fordern. Aber eine kohärente Unternehmensstrategie ließ sich auf diese Weise nicht begründen – zumindest nicht in der Theorie. Anstatt die gewerkschaftseigenen Unternehmen auf solche potentiell gefährlichen Zweideutigkeiten festzulegen, ließ das Düsseldorfer Programm sie außen vor.

522 Vgl. Grebing 1990, S. 179; Schönhoven 1987, S. 229 ff. sowie Schneider 2000, S. 324 f. 523 Entwurf für den wirtschaftspolitischen Teil des Grundsatzprogrammes, 15.3.1962, DGBABV, Abt. Vorsitzender, 5/DGAI 100, S. 5. 524 Grundsatzprogramm des Deutschen Gewerkschaftsbundes, in: Leminsky/Otto 1974, S. 45–62, hier S. 51. 525 Vgl. dazu die Ausführungen von Hesselbach über „konkurrenzfähige Größe“ als Bedingung für die Wahrnehmung der gemeinwirtschaftlichen Rolle in einer Wettbewerbsordnung, Hesselbach 1966, S. 92 ff.

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Allerdings waren diese Zweideutigkeiten damit zwar aus dem Programm ferngehalten, aber keineswegs aus der Welt geschaffen. Und hier zeigte sich nun, daß in der Praxis erstaunlicherweise genau diese Kombination von einander theoretisch ausschließenden Zielsetzungen ausschlaggebend für strategische Grundsatzentscheidungen von enormer Tragweite sein konnte – etwa für die Zustimmung der Gewerkschaften zur Gründung der NHK. Denn als Vietor im Oktober 1963 seine diesbezüglichen Pläne im Arbeitsausschuß des Aufsichtsrates zur Diskussion stellte, konnte er sie weder mit der alten Vorstellung von der NH als einem bedarfsdeckenden Unternehmen noch mit der Idee der Wettbewerbsregulierung ausreichend begründen. Erst die Kombination dieser Vorstellungen, die nur aufgrund der spezifischen Lage auf dem Markt für städtebauliche Dienstleistungen einerseits und aufgrund der Doppelbödigkeit der gewerkschaftlichen Programmatik andererseits möglich war, gab ihm ausreichende Argumente für die Durchsetzung seines Vorhabens an die Hand. Denn für die eher traditionell orientierten Gewerkschaftsvertreter im Arbeitsausschuß der NH stand zunächst die Frage im Vordergrund, die der DGB-Finanzvorstand Kurt Stühler an Vietor richtete, die Frage nämlich, „ob für diese Gesellschaft ein Bedürfnis bestehe“.526 Die Antwort darauf fiel angesichts der seit Anfang der sechziger Jahre immer breiteren Diskussion über den Mangel an kommunalen Einrichtungen und angesichts der Position, in der sich die NH diesbezüglich befand, nicht besonders schwer: Vietor brauchte nur die Investitionsschätzung des deutschen Städtetages zu zitieren und nochmals darauf hinzuweisen, daß sich „die Fälle [mehrten], in denen insbesondere Städte an die Unternehmensgruppe mit der Bitte herantreten, (...) der Allgemeinheit dienende Anlagen wie Schulen, Kindergärten, Krankenhäuser zu errichten.“527 Übereinstimmend stellte der Arbeitsausschuss auf diese Ausführungen hin fest, „dass die ‚Neue Heimat‘ einem Bedürfnis entsprechen würde, wenn sie den Städten und Gemeinden eine Gesellschaft zu dem von der Geschäftsführung dargelegten Zweck anbieten würde.“528 Das war keine rein zufällige begriffliche Übereinstimmung mit dem Konzept der Bedarfsdeckung, wie sie angesichts der geringen Trennschärfe, mit der Begriffe wie „Bedürfnis“ und „Bedarf“ verwendet wurden, vielleicht zu vermuten gewesen wäre. Denn erstens formulierte Stühler diese Auffassung in klarer Abgrenzung zu der Position Walter Dudeks, die auf ganz anderen Argumenten beruhte, und sprach sich in der Aufsichtsratssitzung des selben Tages deutlich dafür aus, „mit der Gesellschaft nur dort tätig zu werden, wo die Gemeindeinstitutionen einen entsprechenden Beschluß gefaßt haben“.529 Und zweitens gab Otto Brenner, der zweite wichtige Vertreter dieser Linie, in der Aufsichtsratssitzung zu Protokoll, daß er beabsichtigte, seine Zustimmung von der Gewährung der steuerlichen Gemeinnützigkeit für die zu gründende Gesellschaft abhängig zu machen (später ließ er diesen Einwand allerdings fallen).530 Dieses Argument war wenig überraschend. Es 526 527 528 529 530

Protokoll AA NHH, 8.10.1963, IGM ZwA 2/17 265, S. 10 (meine Hervorhebung). Ebd., S. 9. Ebd., S. 10. Protokoll AR NHH, 8.10.1963, IGM ZwA 2/17 286, S. 11. Ebd., S. 12.

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4. Auf der Suche nach dem verlorenen Markt

reflektierte die Tatsache, daß das Etikett der „Gemeinnützigkeit“ von den Gewerkschaften seit den fünfziger Jahren als eine Art Garantiesiegel für die antikapitalistische Intention ihres Wohnungsunternehmens betrachtet wurde. Dieses Garantiesiegel wollte Brenner nun auch auf die NHK übertragen sehen. Überraschend war allerdings, daß er hierfür, was in den fünfziger Jahren undenkbar gewesen wäre, direkten Widerspruch erntete. Es war Ludwig Rosenberg, der im Aufsichtsrat erklärte, daß die Frage der Gemeinnützigkeit „untergeordneter Natur“531 sei. Aus seiner Perspektive und aus der Perspektive von Dudek und Hesselbach war einzig und allein die Tatsache entscheidend, daß die Einschaltung der NH in den Städtebau positive Auswirkungen auf den marktwirtschaftlichen Wettbewerb haben würde. Ihre Argumentation beruhte auf der Annahme, daß der Ausbau der kommunalen Infrastruktur viele Gemeinden vor massive finanzielle Probleme stellen würde. Die meisten Einrichtungen, so argumentierten sie, könnten nur im Leasing-Verfahren erbaut werden – d. h. nur dann, wenn ein Bauträger sie auf eigene Kosten erstellte und dann an die Gemeinden vermietete. Sie befürchteten, daß bei diesem Verfahren einzelne Bauherren auf Kosten der Allgemeinheit übergroße Profite erzielen könnten. Die NH-Führung stellte nun die Gründung eines gewerkschaftseigenen kommunalen Bauträgers als Chance dar, dieses Problem „im Sinne des Gemeinwohls“532 zu lösen, die Gemeinden vor der Ausbeutung durch profitorientierte Gesellschaften zu schützen und damit die öffentlichen Haushalte zu entlasten. „Falls man sich in diesen Tätigkeitsbereich (...) einschalte,“ führte Vietor im Aufsichtsrat aus, „könne man ein wirksames Gegengewicht zu dem in der Bundesrepublik raumgewinnenden Leasing-System schaffen, welches ausschließlich auf Profiterzielung ausgerichtet sei.“533 Während also die bedarfswirtschaftliche Konzeption insofern einen entscheidenden Anstoß für den Einstieg der NH in den Ausbau der kommunalen Infrastruktur lieferte, als sie die Zustimmung der traditionell orientierten Schwergewichte Kurt Stühler und vor allem Otto Brenner sicherte, ging der maßgebliche Impuls für Rosenberg, Dudek und Hesselbach von einem Argument aus, das eindeutig in einer marktwirtschaftlichen Konzeption wurzelte. Bezeichnenderweise aber war keines dieser Argument für sich genommen ausreichend, um den Schritt der NH in den Kommunalbau zu rechtfertigen bzw. dem Vorhaben der Geschäftsführung eine Mehrheit im Aufsichtsrat zu sichern. Die Gründung der NHK war daher zweierlei: der letzte Schritt der NH, der mit dem mittlerweile arg strapazierten Begriff der „Bedarfsdeckung“ legitimiert wurde; und der erste Schritt der NH auf dem Weg zu einer fest umrissenen Rolle in einer marktwirtschaftlichen Wettbewerbsordnung – „der entscheidende Schritt“, wie Vietor sie kommentierte, „über das Wohnungs- und Siedlungsunternehmen des alten Stils hinaus“.534

531 Ebd. 532 Exposé „NEUE HEIMAT KOMMUNAL“ – Gesellschaft zum Bau öffentlicher und sozialer Einrichtungen mbH. Ihr Wesen und ihre Aufgaben, 20.3.1964, IGM ZwA 2/17 269, S. 2. 533 Protokoll AA NHH, 8.10.1963, IGM ZwA 2/17 265, S. 9. 534 Albert Vietor, zit. nach Hirche 1966, S. 266.

4.3 Die politische Legitimation der NH im Umbruch

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4.3.2 Die Kritik am „Gewerkschaftskonzern“ und die Durchsetzung der gemeinwirtschaftlichen Konzeption 4.3.2.1 Gewerkschaftliche Unternehmen im Kreuzfeuer der Kritik Hatte das unklare Verhältnis der Gewerkschaften zur marktwirtschaftlichen Wettbewerbsordnung die Gründung der NHK also positiv beeinflußt, so konnte das für das Bild, das die Unternehmensgruppe seit diesem Zeitpunkt in der Öffentlichkeit abgab, nicht gelten. Denn gerade Mitte der sechziger Jahre wurde die NH erstmals zur Zielscheibe intensiver öffentlicher Kritik. Diese Kritik sollte schließlich in der endgültigen Durchsetzung der Konzeption der gemeinwirtschaftlichen Unternehmen, wie Walter Hesselbach sie vertrat, als offizieller programmatischer Grundlage der gewerkschaftlichen Betätigung im Wohnungs- und Städtebau münden. Es ist zunächst bemerkenswert, daß die öffentlichen Debatten über die Unternehmensgruppe keineswegs auf die später so häufig attackierte städtebauliche Qualität der in den sechziger Jahren fertiggestellten Wohnsiedlungen und Stadtviertel abzielten. Wie bereits ausgeführt, bewegte sich die NH diesbezüglich fest auf dem Boden des planerischen Mainstreams. Die später häufig auf ihre Produkte umgemünzte Mitscherlich’sche Kritik an der „Unwirtlichkeit unserer Städte“ war in Wahrheit nicht der Kontrapunkt, sondern der intellektuelle Nährboden für die „Verflechtung und Verdichtung“, die die NH Mitte der sechziger Jahre verstärkt vorantrieb.535 Aber auch die Expansion der Unternehmensgruppe in den Kommunalbau stand für sich genommen zu diesem Zeitpunkt noch nicht im Mittelpunkt der öffentlichen Kritik. Diese speiste sich vielmehr daraus, daß die NH mit ihrer Expansion unter den gewerkschaftlichen Wirtschaftsunternehmen nicht alleine stand. Vor allem die Bank für Gemeinwirtschaft hatte in dieser Hinsicht durchaus mit ihr Schritt gehalten. Sie war 1957 aus der Fusion von sechs regionalen Bankinstituten hervorgegangen, die 1949/50 von der GEG und dem DGB gemeinsam gegründet worden waren.536 Diese sechs Banken hatten bei der ihrer Gründung ein nominelles Eigenkapital von nur knapp 5 Mio. DM aufzuweisen gehabt, das von beiden Organisationen zu gleichen Teilen aufgebracht worden war. Bis 1957 stieg das Eigenkapital aber auf über 64 Mio. DM.537 Der weitaus größte Teil dieses Erhöhungsbetrages war von den Gewerkschaften eingezahlt worden, die damit zum Mehrheitsgesellschafter wurden. Aus der Verschmelzung der regionalen Banken 535 Vgl. Kap. 5.3.1.2 dieser Arbeit. 536 Vgl. Rolf W. Nagel, Die Transformation der Bank für Gemeinwirtschaft (BfG) als morphologisch-typologisches Problem. Die Entstehung und Entwicklung eines Kreditinstituts (Schriften zum Genossenschaftswesen und zur öffentlichen Wirtschaft Bd. 32), Berlin 1992, S. 124 ff.; Peter Kostka, Aufgaben und Entwicklung der Banken für Gemeinwirtschaft und ihre Stellung in der deutschen Bankenwirtschaft, Diss. rer. pol. Berlin (West) 1960, S. 16 ff. u. S. 25 ff.; Hirche 1966, S. 103 ff. und Loesch 1979, S. 224 f. Zur Vorgeschichte der Arbeiterbanken seit dem 19. Jh. vgl. ebd., S. 221 ff.; Hirche 1966, S. 44 ff.; Novy/Prinz 1985, S. 165 ff. u. S. 228 f.; Nagel 1992, S. 102 ff. sowie Hartmut Dietrich, Die volkswirtschaftliche Bedeutung und die gewerkschaftspolitische Zielsetzung der Gemeinwirtschaftsbanken, Diss. rer. pol. Freiburg 1957, S. 33 ff. 537 Vgl. Nagel 1992, S. 162.

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ging deshalb eine mächtige gewerkschaftliche Hausbank hervor, die gleichzeitig auch zur viertgrößten Geschäftsbank in der Bundesrepublik avancierte. Dieser Aufstieg der BfG zur Großbank hätte in der Öffentlichkeit vielleicht weniger Beachtung gefunden, wenn er nicht Teil einer großen Fusionswelle im Bankensektor gewesen wäre. Die ursprüngliche, regionale Struktur der BfG war nämlich darauf zurückzuführen gewesen, daß die Westmächte 1947 und 1948 eine Reihe von Gesetzen erlassen hatten, die eine Aufteilung der westlichen Zonen in elf Bankbezirke verfügten und die Bildung von über diese Bezirke hinausreichenden Großbanken untersagten.538 Diese Dezentralisierungsbestimmungen wurden aber Ende 1956 wieder aufgehoben. Das hatte zur Folge, daß im Laufe des Jahres 1957 neben der BfG auch andere große Bankhäuser wie die Deutsche Bank und die Dresdner Bank als überregionale Institute (wieder)entstanden.539 Zudem war zu diesem Zeitpunkt auch in anderen Wirtschaftszweigen, vor allem in der Montanindustrie, die Bildung großer Konzerne zu beobachten. Dieser Vorgang wurde nicht zuletzt mit Rücksicht auf die Erfahrungen im Nationalsozialismus kritisch beäugt.540 Die Bankenfusionen und die Entwicklung bei Kohle und Stahl gerieten deshalb zum Auslöser einer Debatte um die Konzentration wirtschaftlicher Macht, die in den folgenden Jahren in der Fachöffentlichkeit weite Kreise zog – von der Diskussion über das 1958 verabschiedete Kartellgesetz bis hin zum 1964 veröffentlichten Berichtes einer vom Bundestag eingesetzten Enquête-Kommission.541 Auch die DGB-Gewerkschaften beteiligten sich nach Kräften an dieser Debatte. Ihre Beurteilung des Phänomens der Konzentration fiel dabei uneinheitlich aus. Einerseits kamen sie kaum umhin, die wirtschaftlichen Chancen, die hinter diesem Prozeß standen, anzuerkennen. Schließlich gingen sie davon aus, daß die Schaffung von wirtschaftlichem Wohlstand auch von der Schaffung großer betrieblicher Einheiten zumindest in der Schwerindustrie abhängen konnte.542 Andererseits sahen sie aber in den „Machtzusammenballungen“, die insbesondere in der Industrie entstanden waren, eine Gefährdung der demokratischen Ordnung. Als Gegenmittel hierfür empfahl der DGB einen Ausbau der paritätischen Mitbestimmung.543

538 Vgl. ebd., S. 121 sowie Karl-Heinrich Hansmeyer, Das Kreditwesen der deutschen Besatzungszonen (1945–1948), in: Pohl 1998, S. 1–22, hier S. 21 f. 539 Vgl. Herbert Wolf, Vom Großbankengesetz bis zur „Normalisierung“ (1953–1958), in: ebd., S. 111–148, hier S. 118 f. u. S. 130 f. 540 Vgl. Hans-Heinrich Barnikel, Die Konzentrationspolitik nach 1945, in: Hans Pohl/Wilhelm Treue (Hg.), Die Konzentration in der deutschen Wirtschaft seit dem 19. Jahrhundert. Referate und Diskussionsbeiträge der 2. öffentlichen Vortragsveranstaltung der Gesellschaft für Unternehmensgeschichte e. V. am 28. Juni 1977 in Köln (ZUG Beiheft 11), Wiesbaden 1978, S. 54–73, hier S. 58 ff. 541 Zusammenfassend zu dieser Debatte vgl. die zeitgenössischen Beiträge in Arndt 1960. Zur Diskussion über das Kartellgesetz vgl. Barnikel 1978, S. 61 ff. sowie Rüdiger Robert, Konzentrationspolitik in der Bundesrepublik. Das Beispiel der Entstehung des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen (Volkswirtschaftliche Schriften Bd. 250), Berlin 1976. Zur Enquête-Kommission des Bundestages vgl. Deutscher Bundestag 1965. 542 So z. B. Karl-Heinz Sohn, Gewerkschaftliche Beurteilung der Konzentration, GMH 10.1959, S. 522–528.

4.3 Die politische Legitimation der NH im Umbruch

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Aus Gründen, die an anderer Stelle noch ausführlich erläutert werden, hatte er allerdings darauf verzichtet, mit gutem Beispiel voranzugehen und dieses Mittel im Zuge ihrer Fusion bei der BfG einzuführen.544 Das führte unweigerlich dazu, daß kritische Stimmen den Gewerkschaften vorwarfen, mit gespaltener Zunge zu sprechen. Günter Triesch vom Deutschen Industrieinstitut in Köln etwa sah in der Fusion der BfG ein Zeichen dafür, „daß die Gewerkschaften nicht gewillt sind, in ihrem eigenen Bereich auf die Konzentration wirtschaftlicher Macht zu verzichten.“545 Nicht die Konzernbildung der NH, sondern die Fusion der BfG bildete deshalb Ende der fünfziger, Anfang der sechziger Jahre einen ersten wichtigen Kristallisationspunkt der öffentlichen Kritik an der Herausbildung großer Unternehmen in der Hand der Gewerkschaften (das Wachstum der NH hingegen wurde – wie in Kapitel 3.3 geschildert – nur von denjenigen kritisiert, die meinten, mit den Gemeinnützigen aus ganz anderen Gründen noch eine Rechnung offen zu haben).546 Allerdings war die Debatte über die BfG wie die gesamte Konzentrationsdebatte zunächst nur von begrenzter Reichweite. Sie mochte Ökonomen und politische Entscheidungsträger interessieren, aber über das Handelsblatt oder den Wirtschafteil der FAZ gelangte sie kaum einmal hinaus. Genau dies begann sich aber Mitte der sechziger Jahre zu ändern – und zwar so grundlegend, daß sogar „die bundesdeutschen Familienblätter, die doch sonst von Soraya leben und ‚gänzlich unpolitisch‘ sind“,547 dieses Thema für sich entdeckten. Auch das lag allerdings nicht primär an der NH; es lag primär an der Breite des wirtschaftlichen Engagements der Gewerkschaften. Denn der DGB und seine Mitgliedsverbände nannten neben der BfG und der NH noch eine ganze Reihe weiterer großer und kleiner Unternehmen ihr Eigen, die seit dem Ende des Krieges zum größten Teil einen erheblichen Aufschwung erlebt hatten. Zum Teil handelte es sich dabei um sogenannte „gewerkschaftliche Eigenunternehmen“,548 die der unmittelbaren Erfüllung organisatorischer Aufgaben des DGB dienten. Dazu gehörten beispielsweise der 1947 gegründete Bund-Verlag, das Berufsfortbildungswerk des DGB, das WWI und die Liegenschaftsverwaltung des DGB. Sie waren wenig umstritten, da sie unmittelbar dem Erhalt der gewerkschaftlichen Organisation dienten. Anders lag der Fall aber bei den übrigen Unternehmen, die ihre Leistungen auf dem freien Markt anboten. Dazu zählten die BfG, die NH und als bekanntestes drittes Unternehmen auch die Volksfürsorge, die Mitte der sechziger hinsichtlich der Zahl der Versicherungen das größte und hinsichtlich der Versicherungssumme das drittgrößte Lebensversicherungsunterneh-

543 Vgl. Franz Deus, Gefahren der wirtschaftlichen Konzentration, GMH 11.1960, S. 429–432 und Rudolf Quast, Konzentration und Mitbestimmung, GMH 10.1959, S. 513–521. 544 Vgl. Kap. 5.2.2.3 dieser Arbeit. 545 Günter Triesch, Die Macht der Gewerkschaften, Die politische Meinung 4.1959,33, S. 30–39, hier S. 38. 546 Vgl. Hirche 1966, S. 388 sowie zusammenfassend Lorenz Wolkersdorf, Gewerkschaften und Konzentration, in: Arndt 1960, S. 489–521. 547 DGB o. J. [1965](a), S. 2. 548 Hirche 1966, S. 294.

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men in der Bundesrepublik war.549 Aber neben diesen drei großen Gesellschaften erstreckte sich die wirtschaftliche Betätigung der Gewerkschaften auch auf zahlreiche weitere Unternehmen, die der Öffentlichkeit bis zu diesem Zeitpunkt weitgehend unbekannt gewesen waren. Dazu zählte eine Beteiligung an der „Gemeinwirtschaftlichen Hochseefischerei-Gesellschaft“ ebenso wie eine Brauerei, ein Reisebüro, die Büchergilde Gutenberg und nicht zuletzt ein eigenes Bauunternehmen, die aus der 1958 aus den Bauhütten hervorgegangene Deutsche Bauhütten GmbH (die Konsumgenossenschaften hingegen wiesen zwar eine Vielzahl von personellen Verbindungen zu den Gewerkschaften und einigen gewerkschaftseigenen Unternehmen auf, gehörten ihnen aber zu diesem Zeitpunkt noch nicht).550 Es war das Erstaunen über diese Vielfalt der unternehmerischen Betätigung der Gewerkschaften, das dazu führte, daß die in Fachkreisen geführte Konzentrationsdebatte auch in einer breiteren Öffentlichkeit Widerhall fand. Das läßt sich besonders deutlich an dem im vorangegangenen Kapitel bereits erwähnten, 1964 von dem Journalisten Gerhard A. Friedl veröffentlichte Buch „Die Gewerkschaften als Unternehmer“ festmachen, das genau in diese Kerbe hieb: „Von der Ölsardine bis zum Großkredit“, stellte Friedl gleich eingangs fest, sei „von den Gewerkschaften indirekt über ihre wirtschaftlichen Engagements alles zu haben“, und schon beim Morgenkaffee müsse man sich fragen, ob er nicht etwa aus einer Rösterei stamme, an der „die Gewerkschaft“551 beteiligt sei. Friedl ging allerdings noch einen Schritt über diese Vorwürfe hinaus. Er nahm das in der Debatte über die BfG bereits formulierte Problem der Konzentration auf und suggerierte in seinem Buch, daß die einzige Zielsetzung der von ihm beschriebenen Unternehmen in der Mehrung der wirtschaftlichen Macht der Gewerkschaften liege, die letzten Endes nur einer Handvoll von Funktionären zugute käme.552 Er drehte also die von den Gewerkschaften im Zusammenhang mit der Konzentrationsdebatte selbst aufgebrachte Kritik an den demokratiegefährdenden „Machtzusammenballungen“ gegen diese und warnte vor der damit verbundenen Möglichkeit des Machtmißbrauchs. Friedls Schrift war keine besonders originelle und auch keineswegs eine fehlerfreie Darstellung der gewerkschaftlichen Unternehmen. Viele seiner Übertreibungen konnte man getrost als antigewerkschaftliche Stimmungsmache abtun. Dennoch war kaum zu übersehen, daß der Journalist mit seinen populär gehaltenen Ausführungen die öffentliche Stimmung auf den Kopf getroffen hatte. Innerhalb kürzester Zeit sorgten sie in den Medien für Furore. Eine Reihe von Zeitungen veröffentlichten Besprechungen oder Ausschnitte von Friedls Buch; die FAZ widmete ihm im Februar 1964 eine ganze Seite, weitere Buchveröffentlichungen folgten und auch die ARD-Fernsehsendung „Panorama“ sendete im April 1965 einen ausführlichen und äußerst polemischen Beitrag über die gewerkschaftlichen

549 Vgl. Hirche 1966, S. 187 ff. Zur Volksfürsorge und ihrer Geschichte vgl. generell Loesch 1979, S. 204 ff. sowie Novy/Prinz 1985, S. 143 ff. 550 Vgl. Loesch 1979, S. 161 ff.; Hirche 1966, S. 74 ff., S. 268 ff. u. S. 282 ff. sowie Wolkersdorf 1960, S. 501 ff. 551 Friedl 1964, S. 8. 552 Vgl. ebd., S. 11 ff. u. S. 150 ff.

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Unternehmen, auf den noch zurückzukommen sein wird.553 Schließlich forderte das Thema sogar zwei Autoren heraus, die sich in den sechziger Jahren auf dem Sprung in die Elite des deutschen Journalismus befanden: auf der einen Seite den SPIEGEL-Redakteur Bernt Engelmann, der später Vorsitzender des Verbandes deutscher Schriftsteller werden und einige äußerst kontroverse, dafür aber in Millionenauflage gedruckte Bücher zur Wahlkampffinanzierung der CDU und zur NS-Vergangenheit von Hanns-Martin Schleyer vorlegen sollte; und auf der anderen Seite Winfried Scharnagl, zu diesem Zeitpunkt leitender Wirtschaftsredakteur und später jahrzehntelang Chefredakteur des CSU-eigenen Bayernkurier. Engelmann und Scharnagl legten 1966 bzw. 1970 zwei inhaltlich nicht gerade besonders originelle, dafür aber um so parteiischere Buchveröffentlichungen vor, die sich des Themas mit jeweils unterschiedlichen Vorzeichen annahmen.554 Keine Frage: Das Thema „Gewerkschaften als Unternehmer“ hatte Konjunktur, und die These von der Machtkonzentration bei den Gewerkschaften sorgte in einer breiten Öffentlichkeit für so großes Aufsehen, daß der DGB darauf seit 1965 mit einer Reihe von Veröffentlichungen reagieren mußte.555 Einerseits fiel ihm das nicht schwer, denn in der zugespitzten Form, wie sie hier verbreitet worden war, war die Kritik an der Konzentration der gewerkschaftlichen Unternehmen völlig überzogen. „Der Gewerkschaftskonzern“, hatte etwa „Panorama“ behauptet, „ist so gross, dass er in die Spitzengruppe unserer Wirtschaftstrusts hineingehört. Wer von Krupp spricht, von Thyssen und Siemens, der tut gut daran, im gleichen Atemzug das unternehmerische Gewerkschaftsimperium zu nennen.“556 Das war freilich Unsinn, denn erstens waren die gewerkschaftlichen Unternehmen im Vergleich zu Krupp und Siemens, die zusammengenommen etwa 350.000 Mitarbeiter hatten, immer noch eher bescheidene Einrichtungen; 1966 kamen sie insgesamt nur auf knapp 15.000 Angestellte.557 Zweitens konnte von einer Konzernbildung im engeren Sinne keine Rede sein. Denn die großen gewerkschaftseigenen Unternehmen wie BfG, NH und Volksfürsorge waren zu diesem Zeitpunkt rechtlich und wirtschaftlich vollkommen voneinander unabhängig, ja sie waren nicht einmal alle in der Hand einer gemeinsamen Holdinggesellschaft, sondern gehörten zu unterschiedlichen Teilen unterschiedlichen Gewerkschaften. Und das galt auch für die kleineren Unternehmen: Während etwa die Mehrheit an den Bauhütten von der IG 553 Zum Echo auf Friedls Buch vgl. Hirche 1966, S. 15 u. S. 21; FAZ, 29.2.1964; Stadler 1965 sowie die in den folgenden Anmerkungen genannten Veröffentlichungen. 554 Vgl. Bernt Engelmann, Unternehmen ohne Unternehmer. Die gemeinwirtschaftliche Gruppe in der Bundesrepublik, Berlin 1966 sowie Scharnagl 1970. 555 Dazu zählen DGB o. J. [1965](a); Hirche 1966; Deutscher Gewerkschaftsbund (Hg.), Weshalb gibt es gemeinwirtschaftliche Unternehmen? Fragen und Antworten über die Gemeinwirtschaft, Düsseldorf 1967 sowie ders. (Hg.), Davon haben alle etwas. Bank für Gemeinwirtschaft, BSV, Neue Heimat, Büchergilde Gutenberg, Volksfürsorge, Düsseldorf o. D. [1969]. Alle dieser Veröffentlichungen waren Gegenstand ausgiebiger Beratungen des geschäftsführenden DGB-Bundesvorstandes. Vgl. dazu zahlreiche Protokolle und Unterlagen in DGBABV, Abt. Vorsitzender, aus dem Zeitraum 1965 bis 1969. 556 Wiedergabe des Tonbandes der Sendung „PANORAMA“ im 1. Programm des Deutschen Fernsehens am 26. April um 20.15 Uhr, DGBA-BV, Abt. Vorsitzender, 5/DGAI 1163, S. 1. 557 Vgl. Hirche 1966, S. 380 sowie Lothar Gall (Hg.), Krupp im 20. Jahrhundert. Die Geschichte des Unternehmens vom Ersten Weltkrieg bis zur Gründung der Stiftung, Berlin 2002, S. 667.

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Bau gehalten wurde, war das Reisebüro Sache der GdED; die gewerkschaftliche Beteiligung an der Hochseefischerei entfiel auf den DGB, und die „Gesellschaftsbrauerei Augsburg GmbH“ gehörte der NGG.558 Gemeinsame Führungsgremien, die eine einheitliche Willensbildung hätten durchsetzen können, gab es nicht (erst in den siebziger Jahren begann sich dies zu ändern). Zwar arbeiteten einzelne Unternehmen eng zusammen und halfen einander auf Intervention des DGB-Bundesvorstandes gelegentlich aus der Patsche – etwa im bereits geschilderten Fall des Betreuungsprogramms der NH für die Volksfürsorge oder bei der Sanierung des von der Deutschen Bauhütten GmbH übernommenen Bauunternehmens Boswau & Knauer, die im wesentlichen von der NH finanziert wurde.559 Andererseits gab es aber innerhalb dieses vermeintlichen „Gewerkschaftskonzerns“ auch Spannungen und Konkurrenzverhältnisse, die diese Vorteile zu einem guten Teil wieder zunichte machten. Auch hierfür waren die Bauhütten ein gutes Beispiel, denn während die NH florierte, hatten diese wegen ihrer geringen Kapitalausstattung und ihrer hohen Personalkosten mit anhaltenden Schwierigkeiten zu kämpfen. Ihre Zusammenfassung 1958 änderte daran wenig.560 Es kann allerdings als sicher gelten, daß sich diese Probleme nie gestellt hätten, wenn die Bauhütten von der NH bei der Auftragsvergabe bevorzugt berücksichtigt worden wäre. Genau das war allerdings aufgrund ihrer relativ hohen Preise nie der Fall. Von den seit Kriegsende bis 1963 von der NH errichteten Wohnungen entfielen deshalb nicht einmal ein Zehntel auf die Bauhütten, und die Unternehmensgruppe blieb auch in den folgenden Jahren unmißverständlich bei ihrer Auffassung, daß sich die Auftragsvergabe nach den Preisen und nicht nach gewerkschaftlichen Sympathien zu richten habe.561 Davon, daß die gewerkschaftlichen Unternehmen einen mit einer Stimme sprechenden und entsprechend mächtigen Großkonzern bildeten, konnte also gleich in mehrfacher Hinsicht keine Rede sein, und insofern hätte es ein Leichtes sein sollen, einen großen Teil der öffentlichen Anschuldigungen zurückzuweisen. Aber hinter der Kritik an der Machtkonzentration stand noch etwas anderes, nämlich die grundsätzliche Frage, wozu die gewerkschaftlichen Unternehmen überhaupt benötigt wurden. Denn die Auffassung, daß diese vor allem den Ausbau einer sich selbst dienenden Gewerkschaftsmacht bezweckten, war ja nur dann plausibel, wenn man ihnen andere Aufgaben absprechen konnte. Während diese Auffassung in den fünfziger Jahren allenfalls von einigen konservativen Gewerkschaftskritikern vertreten worden war (wobei selbst diese, wie gezeigt, die NH von ihrer Kritik in der Regel ausnahmen), schien sie nunmehr ein breites Echo zu finden. Die unternehmerische Betätigung der Gewerkschaften war damit Mitte der sechziger Jahre an einem Punkt angelangt, an dem sie die selbsterklärende Kraft, die sie in den fünfziger Jahren ausgezeichnet hatte, zu verlieren drohte. 558 559 560 561

Vgl. Hirche 1966, S. 271, S. 283, S. 287 f. u. S. 316 f. Vgl. PUA HH, S. 737 ff.; PUA BT, S. 55 f. und Goldberg 1987, S. 67. Vgl. Hirche 1966, S. 268 ff. sowie Werbik 1960, S. 48 ff. Der Anteil der Bauhütten an den Fertigstellungen der NH ist berechnet nach Hirche 1966, S. 275. Zum Vorrang der Kostenfrage gegenüber gewerkschaftspolitischen Erwägungen bei der Auftragsvergabe vgl. Protokoll AA NHH, 30.6.1965, IGM ZwA 2/17 265, S. 10.

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Das alleine hätte die Gewerkschaften womöglich nicht aus der Bahn geworfen. Äußere Anfeindungen waren sie gewohnt, ja sie gehörten in gewissem Maße zu ihrem Selbstverständnis. Die Angriffe, die auf Friedls Buch zurückgingen, unterschieden sich in dieser Hinsicht von früheren Kampagnen allenfalls graduell. Was der Debatte um die „Gewerkschaften als Unternehmer“ Mitte der sechziger Jahre eine neue Qualität verlieh, war die Tatsache, daß sie im Gegensatz zu früheren kritischen Ansätzen auch innergewerkschaftlich auf fruchtbaren Boden fielen. Es war dieser Umstand, der die Gewerkschaftsspitzen besonders beunruhigen mußte; und es war paradoxerweise auch dieser Umstand, der den Ausgangpunkt der endgültigen Durchsetzung jener Konzeption gewerkschaftlicher Unternehmen bildete, die auf der Akzeptanz der marktwirtschaftlichen Wettbewerbsordnung beruhte. 4.3.2.2 Die Durchsetzung der gemeinwirtschaftlichen Konzeption Zum Fanal für die innergewerkschaftliche Kritik an den gewerkschaftseigenen Unternehmen geriet die bereits erwähnte Panorama-Sendung vom 26. April 1965. Nur wenige Tage nach ihrer Ausstrahlung wurde der geschäftsführende Bundesvorstand mit empörten Briefen von einfachen Mitgliedern und besorgten Mitteilungen von Funktionären geradezu überschüttet.562 Ihnen war zu entnehmen, daß die Fernsehbilder die Gewerkschaftsfunktionäre in den Augen der Mitglieder in die Nähe zum kapitalistischen Ausbeutertum gerückt hatten. So veranlaßte „die gezeigte Hollywood-Traumvilla eines Gewerkschaftsfunktionärs“ – das war Albert Vietors Haus in Wedel – ein Mitglied der HBV, in seinem an den DGB-Vorsitzenden Ludwig Rosenberg gerichteten Brief zunächst festzustellen, daß es sich dabei um keine gute Reklame für die Gewerkschaften handele, und dann die Frage anzuschließen: „Wie müssen sie erst leben als oberster Boss dieser Organisation?“563 Gewerkschaftspolitisch bedeutsamer als diese verbale Kritik waren allerdings die Konsequenzen, die die Mitglieder aus dem vermeintlichen Reichtum des DGB zogen. Ludwig Linsert vom DGB-Bezirk Bayern schrieb an den Bundesvorstand: „Es rumort in Mitgliederkreisen vielmehr [sic], als Euch zur Kenntnis gebracht wird. Ich übertreibe nicht, wenn ich sage, daß in großen Werken durch diese Panorama-Sendung selbst der Kauf der Mai-Abzeichen z. T. verweigert wurde oder, wie in Regensburg geschehen, 33 Kollegen aus einer Dienststelle der ÖTV austraten.“564

Und er fuhr fort:

562 Vgl. die Sammlung kritischer Briefe in DGBA-BV, Abt. Vorsitzender, 5/DGAI 1163 und 1164. 563 Brief Ernst Rau an Ludwig Rosenberg, 1.5.1965, DGBA-BV, Abt. Vorsitzender, 5/DGAI 1163, S. 1. 564 Brief Ludwig Linsert an Ludwig Rosenberg, 7.5.1965, DGBA-BV, Abt. Vorsitzender, 5/DGAI 1163.

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4. Auf der Suche nach dem verlorenen Markt „Es ist durch diese Panorama-Sendung, so berichten mir einige Bezirksleiter, unmöglich geworden, die Mitglieder in Zukunft weiterhin zur Beitragsehrlichkeit bzw. zur Steigerung ihres Beitrages zu veranlassen.“565

Gerade der letzte Punkt mußte die Einzelgewerkschaften besonders schmerzen, vor allem dann, wenn sie – wie die ÖTV – gerade in der ohnehin schwierigen Situation waren, ihre Mitglieder von der Notwendigkeit einer Beitragserhöhung überzeugen zu müssen. „Beabsichigte Beitragserhöhungen“, schrieb Arnold Paul, der Vorsitzende des DGB-Kreises Wuppertal an Rosenberg, „kommen nicht nur nicht zustande, sondern ganze Belegschaften kürzen ihre Beiträge. Die immer wiederkehrenden Argumente sind in einem Satz zusammenzufassen: daß die Gewerkschaften aus ihrem Vermögen so viel Gewinn erzielen, daß damit hohe Beiträge überflüssig seien. Du wirst wissen, daß gegen solche Floskeln die besten Argumente verpuffen.“566 Der letzte Satz verriet die ganze Hilflosigkeit der Gewerkschaftsfunktionäre. Selbst in ihren eigenen Reihen machte sich „starkes Mißtrauen“567 gegenüber den gewerkschaftseigenen Wirtschaftsunternehmen breit. Vor allem die ÖTV übte nun Druck auf die DGB-Spitze aus: Sie sollte zu den Vorwürfen Stellung beziehen und Informationsmaterial über das gewerkschaftliche Vermögen und den Sinn und Zweck der gewerkschaftseigenen Unternehmen zur Verfügung stellen. Eine solche Stellungnahme wurde durch die programmatische Unsicherheit des Bundesvorstandes allerdings nicht gerade erleichtert. Doch die Defensive, in die sich der Bundesvorstand nun gedrängt sah, ließ eine Grundsatzdiskussion über die Rolle der gewerkschaftlichen Unternehmen nicht zu. Der internen Kampagne, die er nun in Reaktion auf die Unruhe unter den Mitgliedern startete, war das deutlich anzumerken. Besonders die im Mai 1965 von ihm herausgegebene Broschüre „Wirbel um wirtschaftliche Beteiligungen. Antworten und Argumente zur Frage der wirtschaftlichen Beteiligung der Gewerkschaften“, die auf die breite Mitgliedschaft abzielte, ist hierfür ein gutes Beispiel.568 Sie versuchte, zwischen der bedarfswirtschaftlichen Tradition der gewerkschaftlichen Unternehmen und den marktwirtschaftlichen Rahmenbedingungen, unter denen sie nun operierten, eine rhetorische Brücke zu schlagen, indem sie apodiktisch behauptete, „Selbsthilfe [sei] auch in der Sozialen Marktwirtschaft nötig“.569 Das erschien den meisten Mitgliedern allerdings wenig plausibel – nicht deshalb, weil sie diesen Gedanken abgelehnt hätten, sondern deshalb, weil sie nicht mehr erkennen konnten, was die gewerkschaftseigenen Unternehmen mit „Selbsthilfe“ zu tun hatten. Das galt besonders für die NH; denn die Tatsache, daß die NHK nach ihrer Gründung innerhalb kürzester Zeit begonnen hatte, große Universitätsgebäude und Rathäuser zu errichten, während die Gewerkschaftsmitglieder selbst zum Teil noch immer ohne 565 Ebd. 566 Brief Paul Arnold an Anton Fittkau, 24.5.1965, DGBA-BV, Abt. Vorsitzender, 5/DGAI 1163. 567 Empfehlung der ÖTV-Kreisverwaltung Kassel vom 6.5.1965, betr.: ‚Panorama-Sendung‘ am 26.4.1965 zur Frage: Vermögen des DGB, DGBA-BV, Abt. Vorsitzender, 5/DGAI 1164. 568 Vgl. DGB o. J. [1965](a). Zur Vorgeschichte dieser Veröffentlichung vgl. Protokoll GBV, 9.6.1965, DGBA-BV, Abt. Vorsitzender, 5/DGAI 379, S. 4. 569 DGB o. J. [1965](a), S. 3.

4.3 Die politische Legitimation der NH im Umbruch

335

ausreichenden Wohnraum waren, paßte mit dem Anspruch auf „Selbsthilfe“ in ihren Augen nicht zusammen.570 Auch die eher traditionell orientierten Gewerkschaftsführer, die sich – wie etwa Otto Brenner – mit dem Düsseldorfer Bekenntnis zur Marktwirtschaft ohnehin nur langsam anfreunden wollten, sahen das ähnlich. Sie ergriffen deshalb die Initiative und unternahmen im Nachgang zu dem Wirbel um die „Panorama“-Sendung den Versuch, von der traditionellen Substanz der gewerkschaftlichen Selbsthilfeeinrichtungen zu retten, was zu retten war. Dieser Versuch war vor allem an der Frage der Vorteilsgewährung für Gewerkschaftsmitglieder festzumachen. Im Juni 1965 schrieb Brenner einen Brief an Albert Vietor. „Du weißt,“ führte er aus, „daß sich gerade in der letzten Zeit die Stimmen mehren, die sich mit den Gewerkschaften und ihren Einrichtungen beschäftigen. (...) Im Hinblick auf die Beunruhigung, die in weiten Kreisen unserer Mitglieder durch die Welle von Publikationen über die sogenannte Wirtschaftsmacht der Gewerkschaften entstanden ist“, so fuhr er fort, „halte ich es für dringend erforderlich, daß wir uns sehr bald Gedanken darüber machen, in welcher Weise Gewerkschaftsmitgliedern als Mieter[n] der ‚Neuen Heimat‘ bestimmte Vorteile gewährt werden können, die Unorganisierte nicht erhalten.“571 Allerdings war auch Brenner klar, daß der Spielraum der NH in dieser Hinsicht gering war. Seine Versuche, die Unternehmenspolitik der NH mit den Bedürfnissen der Mitglieder zur Deckung zu bringen, waren deshalb recht zaghaft. Konkret schlug er vor, gewerkschaftlich Organisierten einen besseren Mieterschutz zukommen zu lassen, ihnen für einige Jahre stabile Mietpreise zu garantieren und die Mietforderungen bei Streiks und Aussperrungen auszusetzen. 572 Das alles waren Forderungen, bei denen die Geschäftsführung der NH den Gewerkschaften durchaus hätte entgegenkommen können. In punkto Mieterschutz gewährten die Gemeinnützigen ohnehin de facto eine Art Dauerwohnrecht, und zumindest einige Regionalgesellschaften boten Gewerkschaftern schon seit Jahren einen Kündigungsschutz für den Fall, daß sie aufgrund von Streiks oder Aussperrungen mit den Mietzahlungen in Rückstand gerieten.573 Doch als der Aufsichtsrat zwischen Juli 1965 und Januar 1966 wiederholt über Brenners Vorschläge diskutierte, bildeten diese Details nur einen Nebenkriegsschauplatz. Tatsächlich ging es um eine wesentlich grundsätzlichere Frage, die sich der Forderung nach einer Vorteilsgewährung für Gewerkschaftsmitglieder nur als Verpackung bediente. In Wirklichkeit holten Geschäftsführung und Aufsichtsrat an diesem Beispiel jene Grundsatzdebatte nach, die sie bei der Gründung der NHK noch vermieden hatten

570 Vgl. Die Unternehmensgruppe ‚NEUE HEIMAT‘ als Instrument gewerkschaftlicher Wohnungs-, Wirtschafts-, Sozial- und Strukturpolitik. Entwicklungen, Leistungen, Funktionen, Ziele, September 1965, IGM ZwA 2/17 444, S. 18 sowie Albert Vietor, Rundbrief betr. Zusammenarbeit, September 1965, IGM ZwA 2/17 444, S. 2. 571 Schreiben Otto Brenners an Albert Vietor, 4.6.1965, IGM ZwA 2/17 288, S. 1 f. 572 Vgl. ebd., S. 2. 573 Vgl. Unternehmensgruppe Neue Heimat (Hg.), Unternehmensgruppe NEUE HEIMAT: Entwicklung, Organisation, Aufgaben, Leistungen [Broschüre zur Tonbildschau], o. D. [1973], DGBA-BV, Abt. Finanzen, 24/479, S. 31.

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4. Auf der Suche nach dem verlorenen Markt

– die Debatte um die Rolle der NH im Rahmen einer marktwirtschaftlichen Ordnung, in deren Kontext sie mit dem Einstieg in den Städtebau zunehmend rückte. Allerdings verlief diese Grundsatzdebatte äußerst einseitig. Die vielfältigen Bindungen, die die Unternehmensgruppe in der Zwischenzeit sowohl im Wohnungs- als auch im Städtebau eingegangen war, ließen den meisten Beteiligten eine Rückkehr zu den Prinzipien des Arbeiterwohnungsbaus als abwegig erscheinen. Die normative Kraft des Faktischen war nunmehr ganz auf der Seite derjenigen, die die marktwirtschaftliche Konzeption der gemeinwirtschaftlichen Unternehmen vertraten. Hesselbach brachte das im Aufsichtsrat in unverblümter Weise auf den Punkt. „Die Einräumung von Vorzugsstellungen für Einzelgruppen“, argumentierte er, bedeute „ein[en] Rückschritt zu den antiquierten Selbsthilfeorganisationen des vergangenen Jahrhunderts (...). Heute gelte es dagegen, die Entwicklung zur Gemeinwirtschaft zu fördern und das Marktgeschehen allgemein in ganz bestimmter Weise und nach bestimmten Grundsätzen zu beeinflussen.“574 Auch Vietor vertrat diese Auffassung, wenn auch vor allem aus pragmatischen Gründen. Er hatte wohl schon vor der Gründung der NHK begriffen, daß allein die gemeinwirtschaftliche Theorie der NH gestattete, die Entfaltungsmöglichkeiten, die sich ihr eröffneten, auch zu nutzen. Nun konnte er vor dem Aufsichtsrat guten Gewissens ausführen, daß der entscheidende Faktor, auf dem Macht und Einfluß der NH beruhten, die durch die NHK-Gründung und die weiteren Schritte auf dem Weg zum „Instrument des Städtebaus“ entstandene „einmalige Kombination von Leistungen [sei], die einen umfassenden Städtebau auf allen Bereichen ermögliche“.575 Diese Kombination von Leistungen war mit einem am traditionellen Arbeiterwohnungsbau orientierten Unternehmensbild nicht zu rechtfertigen; sie beinhaltete schließlich neben dem Wohnungs- und Eigenheimbau, der Wohnungsverwaltung und dem Kommunalbau mittlerweile auch die Struktur- und Grundlagenforschungen sowie die Aufbau-, Entwicklungs- und Sanierungsberatung; den Bau von gewerblichen Einheiten einschließlich Einkaufszentren, die Betreuung privater Bauherren bei derartigen Bauvorhaben, die Vermietung und Verpachtung von Gewerbeeinheiten einschließlich Einkaufszentren; die Tiefbauplanung; und die Erstellung von Flächennutzungs- und Bebauungsplänen für die Kommunen.576 Alle diese Bereiche hatten die Gewerbebauträger GmbH, die Gewos und die NHK innerhalb von nur zwei bis drei Jahren erfolgreich besetzt, und die NH war damit dem 1963 noch diskutierten Bedarfsdeckungskonzept innerhalb von zwei Jahren endgültig enteilt. Konsequenterweise argumentierte Vietor deshalb in der Debatte des Aufsichtsrates über die Vorteilsgewährung an Gewerkschaftsmitglieder, „daß eine Einzelbevorzugung bestimmter Personengruppen in den meisten Bereichen der wohnungswirtschaftlichen Tätigkeit der ‚Neuen Heimat‘ nicht möglich sei und darüber hinaus auch nicht zweckmäßig erscheine. Große Vorteile lägen dagegen in einer beispielhaften Tätigkeit im allgemeinen. Die hierdurch gebotenen Einwirkungsmöglichkeiten auf das Marktgeschehen seien in ihrer Tragweite noch gar 574 Protokoll AA NHH, 13.1.1966, IGM ZwA 2/17 265, S. 6. 575 Protokoll AA NHH, 30.6.1965, IGM ZwA 2/17 265, S. 9. 576 Vgl. ebd.

4.3 Die politische Legitimation der NH im Umbruch

337

nicht abzusehen. Die Beeinflussung des Wirtschaftsgefüges biete ein vorzügliches Instrument zur Demonstration gewerkschaftlicher Wirtschaftspolitik in einem bestimmten Wirtschaftsbereich.“577 Auch die übrigen Mitglieder des Aufsichtsrates mußten nun anerkennen, daß dieser Ansatz, die Tätigkeit der NH mit der gemeinwirtschaftlichen Theorie zu begründen, angesichts des gewaltigen Grabens zwischen dem traditionellen Arbeiterwohnungsbau und der Realität eines wohnungs- und städtebaulichen Großkonzerns alternativlos war. Sie differierten nur in dem Grad an Enthusiasmus, mit dem sie sich dieser Erkenntnis stellten. Stühler und Leber, die in den Jahren zuvor noch Zweifel an manchen Expansionsschritten geäußert hatten, standen nun eindeutig auf der Seite Vietors. Das hatte im Falle Lebers sicherlich mit seiner aufgeschlossenen Haltung gegenüber dem marktwirtschaftlichen Wettbewerb zu tun. Er argumentierte zudem, daß man schon allein deswegen Gewerkschaftsmitglieder bei der Wohnungsvergabe nicht bevorzugt berücksichtigen könne, weil in den zur Verfügung stehenden Wohnungen der NH nach Abzug der de facto unkündbaren Mietverhältnisse „noch nicht einmal 5% aller Gewerkschaftsmitglieder untergebracht werden [könnte], so daß die Gefahr bestehe, 95% der Mitglieder zu verärgern, wenn man sich zum Ziel setze, alle Mitglieder unterzubringen.“578 Das war allerdings ein Argument, mit dem man auch in der Weimarer Republik schon auf den gewerkschaftseigenen Wohnungsbau hätte verzichten können. Doch selbst Brenner widersprach Leber nicht: Es war offensichtlich, daß die gemeinwirtschaftliche Theorie der Wettbewerbsregulierung und damit die Akzeptanz der Marktwirtschaft als Fundament der Tätigkeit der NH die einzige halbwegs plausible gewerkschaftspolitische Begründung für die Dimensionen abgab, in denen sich die Unternehmensgruppe mittlerweile bewegte. Im Januar 1966 waren Brenners Vorschläge deshalb vom Tisch, und damit war – zweieinhalb Jahre nach der Entscheidung über den Einstieg in den Kommunalbau – der letzte Rest bedarfswirtschaftlich motivierter Unternehmenspolitik endgültig getilgt. Zwar ließ sich Vietor noch dazu überreden, hauptamtlichen Gewerkschaftern Wohnungen grundsätzlich ohne Darlehen zu überlassen, Kündigungen bei Mietzahlungsunfähigkeit auf Grund von Streiks oder Aussperrungen zu unterlassen und sich stärker in der Förderung von Wohnungsgenossenschaften zu engagieren; aber die grundsätzliche Entscheidung, das Aufgabenfeld der NH in Zukunft nicht mehr durch ihren direkten Beitrag zur Behebung der Wohnungsnot einer bestimmten Bevölkerungsgruppe, sondern durch ihre marktregulierende Funktion definiert zu sehen, war dadurch nicht rückgängig zu machen.579 Das Problem, das Brenner ursprünglich zu seiner Initiative bewogen hatte, war mit dieser Festlegung aber noch nicht behoben. Die Gewerkschaftsführer hatten nur anerkannt, daß eine Rückbesinnung auf die ursprünglichen Motive des Arbeiterwohnungsbaus so gut wie ausgeschlossen war. Die Empörung der Gewerkschaftsbasis über die vermeintlich auf ihre Kosten stattfindende Vermögenskonzentration bei den gewerkschaftlichen Unternehmen war damit alleine aber nicht 577 Protokoll AA NHH, 13.1.1966, IGM ZwA 2/17 265. 578 Protokoll AA NHH, 30.6.1965, IGM ZwA 2/17 265, S. 10 f. 579 Vgl. Protokoll AA NHH, 14.1.1966, IGM ZwA 2/17 286, S. 7.

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4. Auf der Suche nach dem verlorenen Markt

in den Griff zu bekommen. Das sah auch der Aufsichtsrat so, der nun die Geschäftsführung der Unternehmensgruppe aufforderte, daß „man die Mitglieder möglicherweise mehr auf die indirekten Vorteile hinweisen [solle], die ihnen durch die ‚Neue Heimat‘ geboten würden.“580 Das war ein schwieriges Unterfangen, und darüber waren sich die Beteiligten auch durchaus im klaren. Zum einen hatte das organisatorische Gründe. So galt etwa das Verhältnis zwischen Gewerkschaftsfunktionären und NH-Mitarbeitern nicht gerade als vorbildlich. Die Aufsichtsräte sparten an diesem Punkt nicht mit Kritik und verlangten vor allem von den NH-Sachbearbeitern auf regionaler Ebene „eine größere Bereitwilligkeit, den einzelnen Kollegen zu helfen“.581 Zum anderen aber war die gemeinwirtschaftliche Theorie von vornherein nur dann tragbar, wenn die Mitglieder die marktwirtschaftliche Ordnung akzeptierten und die Funktionsweise der NH verstanden. Insbesondere letzteres hatte sich, wie wiederholte Auseinandersetzungen über die vermeintliche Wohnungsbaufinanzierung aus gewerkschaftlichen Mitgliedsbeiträgen zeigten, bereits in den Jahren zuvor als höchst problematisch herausgestellt. Die abstrakte Zieldefinition der „Wettbewerbsregulierung“, die der NH im Rahmen der gemeinwirtschaftlichen Theorie zugewiesen wurde, erleichterte die Überzeugungsarbeit auch nicht. Das „Wirken für die Allgemeinheit“, stellte Vietor fest, „wird von den Gewerkschaftsmitgliedern nicht recht verstanden.“582 Für den Aufsichtsrat der NH ergab sich daraus die Forderung, „die wesentlichsten Gesichtspunkte der Neue Heimat-Tätigkeit zusammenzufassen und in geeigneter Form der Öffentlichkeit und den Gewerkschaftsmitgliedern zur Kenntnis zu bringen“.583 Mit anderen Worten: Nachdem die gemeinwirtschaftliche Unternehmenskonzeptionen nach jahrelangem Ringen im Aufsichtsrat von den Spitzenfunktionären als offizielle Leitlinie der Unternehmenspolitik anerkannt worden war, sollte sie nun mit großem Aufwand auch unter den Mitgliedern der Gewerkschaften bekannt gemacht werden. Diese Zielsetzung wurde nicht allein von der NH verfolgt; auch die BfG trug wesentlich dazu bei. Im September 1965 beauftragte Vietor deshalb Johann Wolfgang Werner, den Leiter des Vorstandssekretariats, damit, die „Voraussetzungen dafür zu schaffen, daß die hauptberuflichen Kolleginnen und Kollegen des Deutschen Gewerkschaftsbundes und der Gewerkschaften sich wirksam zur Wehr setzen und Kenntnisse über die wichtigsten Funktionen der gewerkschaftseigenen Unternehmensgruppe ‚NEUE HEIMAT‘ erwerben können.“584 Das Ergebnis dieses Auftrages war die im selben Monat erfolgte Einrichtung der unter Werners Leitung stehenden sogenannten „Gewerkschaftsinternen Aufklärung“ (GiA), deren Aufgabe darin bestand, engen Kontakt zu den Gewerkschaftsfunktionären zu halten und diese regelmäßig mit Informationsmaterialien 580 Protokoll AR NHH, 1.7.1965, IGM ZwA 2/17 286, S. 13 (meine Hervorhebung). 581 Ebd., S. 12. Ein Beispiel für Auseinandersetzungen zwischen regionalen Gewerkschaftsfunktionären und NH-Mitarbeitern bietet ein Brief der IGM-Ortsverwaltung Friedrichshafen an den Vorstand der IGM vom 26.2.1964, IGM ZwA 2/17 288. 582 Albert Vietor, Rundbrief betr. Zusammenarbeit, September 1965, IGM ZwA 2/17 444, S. 2. 583 Protokoll AR NHH, 1.7.1965, IGM ZwA 2/17 286, S. 12. 584 Albert Vietor, Rundbrief betr. Zusammenarbeit, September 1965, IGM ZwA 2/17 444, S. 1.

4.3 Die politische Legitimation der NH im Umbruch

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zu versorgen. Das waren zum Teil ohnehin vorhandene Unterlagen wie Geschäftsberichte, Auszüge aus unternehmensinternen Statistiken oder Sonderdrucke von Reden Vietors und anderer Vorstandsmitglieder. Zum Teil erstellte das Vorstandssekretariat unter Werner aber auch speziell auf die Bedürfnisse der Funktionäre zugeschnittene Materialien wie beispielsweise eine Rednerdisposition zur Verteidigung gegen die am häufigsten an die Adresse der NH gerichteten Vorwürfe.585 Die GiA wurde von Anfragen förmlich überrollt. Im Mai 1966 mußten Vietor und Werner die Empfänger der Informationen um Geduld bitten, weil sich über 2.000 hauptamtliche Gewerkschaftsfunktionäre bei ihnen gemeldet hatten. Mit einer solchen Nachfrage hatten sie, wie sie selbst eingestanden, nicht gerechnet.586 Offenbar war der Informationsbedarf gewaltig. Allerdings gingen die von der NH im Rahmen der GiA erstellten Materialien wesentlich stärker auf die spezifischen Ziele und Absichten der NH als auf die gemeinwirtschaftliche Programmatik im allgemeinen ein.587 Diese Arbeit leistete vor allem die BfG. Das 1966 erschienene Buch „Die gemeinwirtschaftlichen Unternehmen“ ihres Vorstandsvorsitzenden Walter Hesselbach faßte die wichtigsten Argumente bezüglich der wettbewerbsregulierenden Funktion gewerkschaftseigener Betriebe knapp und allgemeinverständlich zusammen.588 Dieses Buch stieg in den folgenden Jahren zu einer Art kanonischem Text auf. Bis weit in die achtziger Jahre hinein wurde es von den Gewerkschaften immer wieder als Bezugspunkt für die Festlegung der Aufgaben ihrer Unternehmen herangezogen.589 Ob dieser Befund allerdings auch bedeutet, daß die Gewerkschaftsbasis die gemeinwirtschaftliche Theorie als legitime Grundlage einer unternehmerischen Betätigung ihrer Organisation akzeptierte, ist fraglich. Denn unter den Mitgliedern überwog weiterhin die Skepsis gegenüber theoretischen Konzepten, deren sozialpolitische Relevanz sich der unmittelbaren Beobachtung weitgehend entzog. In den siebziger Jahren mußte der DGB deshalb wiederholt neue programmatische Festlegungen über die Aufgaben seiner Unternehmen beschließen.590 Für den Moment allerdings erfüllte die gemeinwirtschaftliche Theorie Mitte der sechziger Jahre ihren Zweck. Sie gab den Unternehmen das sichere Gefühl, auch weiterhin von den Gewerkschaften unterstützt zu werden und ermöglichte ihnen gleichzeitig, sich aus dem als Fessel empfundenen Gedankengut der „Selbsthilfe“ und der „Bedarfsdeckung“ zu lösen.

585 Vgl. Die Unternehmensgruppe ‚NEUE HEIMAT‘ als Instrument gewerkschaftlicher Wohnungs-, Wirtschafts-, Sozial- und Strukturpolitik. Entwicklungen, Leistungen, Funktionen, Ziele [Rednerdisposition], September 1965, IGM ZwA 2/17 444; Übersicht GiA-Leistungen, 15.8.1973, DGBA-BV, Abt. Finanzen, 24/479 sowie generell zu den Aufgaben der GiA Wallenhorst 1993, S. 279. 586 Vgl. Rundschreiben Vietors und Werners, Rundschreiben, betr. gewerkschaftsinterne Aufklärung, 24.5.1966, FZH 592–36. 587 Vgl. Übersicht GiA-Leistungen, 15.8.1973, DGBA-BV, Abt. Finanzen, 24/479, S. 1. 588 Vgl. Hesselbach 1966, hier bes. S. 95 ff. 589 So z. B. bei Gerd Elvers, Vergangenheit und Zukunft der Gemeinwirtschaftsidee, GMH 37.1986, S. 755–765, hier S. 755 ff. und bei Hoffmann 1987, S. 343. Vgl. dazu kritisch Wilhelm Kaltenborn, Wie die Theorie der Gemeinwirtschaft auf die Praxis kam – und was sie vorfand, GMH 38.1987, S. 186–190. 590 Vgl. Kap. 6.3.2.1 dieser Arbeit.

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4. Auf der Suche nach dem verlorenen Markt

Insgesamt gesehen führte dieser Schwenk deshalb dazu, daß die NH die kurzfristige „Sinnkrise“, der sie sich zu Ende der fünfziger und zu Beginn der sechziger Jahre ausgesetzt sah, überwinden konnte. Während das alte organisatorische Modell des gemeinnützigen Wohnungsbaukonzerns in diesem Zeitraum wegen des zu erwartenden Rückgangs der Neubautätigkeit an seine betriebswirtschaftlichen Grenzen zu stoßen drohte, ergaben sich aus der fortbestehenden Dynamik des „Wirtschaftswunders“ bis Mitte der sechziger Jahre zahlreiche neue Absatzchancen, die sich vor allem auf den Kommunal- und Städtebau erstreckten. Zunächst versuchte die Unternehmensgruppe, diese auf der Grundlage ihrer traditionellen, an der Vorstellung der „Bedarfsdeckung“ orientierten Legitimationsstrategie zu nutzen. Auf diesem Wege ließ sich allerdings nicht plausibel begründen, warum die gewerkschaftseigenen Wohnungsbaugesellschaften in den genannten neuen Märkten tätig werden sollten. Wachsende öffentliche und gewerkschaftsinterne Kritik war die Folge. Nicht nur die Produktpolitik und die Organisationsstruktur, sondern auch politische Konzeption der NH bedurfte deshalb der Modernisierung. Mitte der sechziger Jahre wurde das Unternehmen eindeutig auf den Boden der marktwirtschaftlichen Ordnung gestellt und auf den Gedanken der „Wettbewerbsregulierung“ verpflichtet. Kurzfristig konnten durch diese Vorgehensweise Produktstrategie, organisatorische Ausgestaltung und politische Legitimationsbasis der NH wieder in Einklang gebracht werden. Die von der Unternehmensgruppe angebotenen kommunalen Infrastruktureinrichtungen und zum Teil auch die in diesem Zeitraum errichteten Großsiedlungen hielten, was die gemeinwirtschaftliche Konzeption versprach; betriebswirtschaftlich ließ die Expansion in den Städtebau die Furcht vor einem Rückgang des Wohnungsbaus schwinden; und auch das Problem der öffentlichen Kritik geriet nach der Neudefinition der Zielsetzungen zunächst wieder in den Hintergrund. Längerfristig jedoch barg die mit der Gemeinwirtschaftstheorie einhergehende Bestätigung der Wachstumsorientierung der NH auch eine Gefahr, zumal dieser Aspekt der Unternehmenspolitik in den folgenden Jahren eine Zuspitzung und Erweiterung erfahren sollte, die unter ungünstigen Rahmenbedingungen kaum durchzuhalten war. Dies war Mitte der sechziger Jahre allerdings noch nicht absehbar.

5. „WENN SIE WOLLEN, KÖNNEN SIE BEI UNS EINE KOMPLETTE STADT BESTELLEN“ (1966–1973) 5. „WENN SIE WOLLEN, KÖNNEN SIE BEI UNS EINE KOMPLETTE STADT BESTELLEN“ DES

5.1 „DIENST AM FORTSCHRITT“: DIE POLITISCHE FUNKTION WOHNUNGS- UND STÄDTEBAUS AM ENDE DER SECHZIGER JAHRE 5.1 „DIENST AM FORTSCHRITT“ 5.1.1 Dynamische Zeiten: Fortschrittsoptimismus, Rezession und Wachstumssicherung

In der zweiten Hälfte der sechziger Jahre entwickelte die Unternehmensgruppe ein Sendungsbewußtsein, das sogar ihre Selbstinszenierungen der fünfziger Jahre in den Schatten stellte. Das lag daran, daß nun binnen kürzester Zeit eine neue Auffassung von der gesamtwirtschaftlichen und gesamtgesellschaftlichen Funktion des Städtebaus Platz griff. Sie mündete in einer Unternehmenspolitik, die die NH auf den Höhepunkt ihrer Macht führte und den Eindruck erweckte, die Unternehmensgruppe habe erst jetzt, nach dem Abschluß des Wiederaufbaus, zu ihrer eigentlichen Bestimmung gefunden. Tatsächlich täuschte dieser Eindruck, denn im Rückblick waren es gerade die Entscheidungen, die in diesem Zeitraum getroffen wurden, die am meisten zum Scheitern des Konzerns beitrugen. Aber der Reihe nach. Ebenso wie dem Wandel vom Wohnungsbau zum Städtebau lagen der sich Mitte der sechziger Jahre verändernden Auffassung von der gesamtwirtschaftlichen Rolle des Städtebaus Faktoren zugrunde, die jenseits des Einflusses einzelner Unternehmen standen. Am bedeutsamsten war der stetige wirtschaftliche Aufschwung, der eine „ungebrochen optimistische Sicht auf die Zukunft“1 nach sich zog. Diese ist von einigen Historikern sogar als distinktives Merkmal des letzten Drittels der sechziger und des ersten Drittels des siebziger Jahre identifiziert worden.2 Man wird mit solcherlei generalisierenden Aussagen vorsichtig sein müssen, solange breit angelegte Untersuchungen über gesellschaftliche Diskurse noch ausstehen. Zumindest für die politischen Eliten hat diese Einschätzung, wie die folgenden Ausführungen nahelegen, aber sicherlich ihre Berechtigung. Allerdings ist auch zu beobachten, daß dieser Optimismus von einem Phänomen begleitet wurde, das tendenziell in einem Spannungsverhältnis zu ihm stand: von dem Gefühl eines immer schnelleren Wandels der wirtschaftlichen Umwelt, 1

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Axel Schildt, Materieller Wohlstand – pragmatische Politik – kulturelle Umbrüche. Die 60er Jahre in der Bundesrepublik, in: ders./Detlef Siegfried/Karl Christian Lammers (Hg.), Dynamische Zeiten. Die 60er Jahre in den beiden deutschen Gesellschaften (Hamburger Beiträge zur Sozial- und Zeitgeschichte Bd. 37), Hamburg 2000, S. 21–53, hier S. 49. Vgl. ebd. Aufschlußreich sind in diesem Zusammenhang die Erkenntnisse zur Zukunftsforschung der sechziger Jahre. Vgl. dazu Alexander Schmidt-Gernig, Die gesellschaftliche Konstruktion der Zukunft. Westeuropäische Zukunftsforschung und Gesellschaftsplanung zwischen 1950 und 1980, WeltTrends. Zeitschrift für internationale Politik und vergleichende Studien 18.1998, S. 63–84 sowie ders., Ansichten einer zukünftigen „Weltgesellschaft“. Westliche Zukunftsforschung der 60er und 70er Jahre als Beispiel einer transnationalen Öffentlichkeit, in: Hartmut Kaelble/Martin Kirsch/Alexander Schmidt-Gernig (Hg.), Transnationale Öffentlichkeit und Identitäten, Frankfurt a. M./New York 2002, S. 393–421.

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5. „Wenn Sie wollen, können Sie bei uns eine komplette Stadt bestellen“

das in dem Begriff der „Tertiarisierung“, also der Entstehung der Dienstleistungsgesellschaft, ebenso zum Ausdruck kam wie in der Formel vom „Zeitalter der Automation“.3 Aus dieser Wahrnehmung resultierten zwei Schlußfolgerungen, die in den zeitgenössischen Diskursen eine zentrale Rolle einnahmen. Erstens erforderte der beschleunigte wirtschaftliche Strukturwandel auch eine gesellschaftspolitische Modernisierung, am deutlichsten etwa im Bildungswesen oder in der Justiz. Damit verschoben sich die Ansprüche an die politische Sphäre. „Es ging nun nicht mehr vorrangig um grundsätzliche ordnungspolitische Positionen wie im ersten Jahrzehnt der Bundesrepublik (...). Statt dessen schien nun diejenige politische Partei Führung beanspruchen zu können, die mit glaubwürdigen Konzepten zur Modernisierung und Reformierung der Gesellschaft aufwartete“.4 Eng mit dieser wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Modernisierung ging ein zweiter Aspekt einher, nämlich der Glaube an die Notwendigkeit einer umfassenden Planung dieser Modernisierung.5 Das betraf vor allem die Wahrnehmung der Rolle des Staates, und es war in Fragen der Wirtschaftspolitik besonders deutlich zu beobachten: Das Vertrauen in die wohlstandssichernde Kraft des Ordoliberalismus Erhard‘scher Prägung begann zu bröckeln, und die in anderen Ländern längst praktizierte Wirtschaftspolitik nach keynesianischen Prinzipien gewann an Glaubwürdigkeit. „Der wirtschaftspolitische Elitendiskurs in Wirtschaft, Wissenschaft, Medien und Politik wurde nun zunehmend von der Einsicht geprägt, daß wirtschaftliche Prosperität als elementare Voraussetzung gesellschaftlicher Stabilität künftig planvoll organisiert werden müsse.“6 Diese Auffassung bildete die Grundlage für eine „merkwürdige Steuerungsideologie, die utopischer Züge nicht entbehrte.“7 Sie war vor allem ein Merkmal sozialdemokratischer Politik, wie überhaupt die SPD im Verlauf der sechziger Jahre eine Art „kultureller Hegemonie“ erlangte und als die Partei betrachtet wurde, die am ehesten die nun im Vor-

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Zur Tertiarisierung vgl. überblicksartig Andreas Rödder, Die Bundesrepublik Deutschland 1969–1990 (Oldenbourg Grundriß der Geschichte Bd. 19a), München 2004, S. 11 f. und Prollius 2006, S. 195 ff.; ausführlicher Gerold Ambrosius, Agrarstaat oder Industriestaat – Industriegesellschaft oder Dienstleistungsgesellschaft? Zum sektoralen Strukturwandel im 20. Jahrhundert, in: Reinhard Spree (Hg.), Geschichte der deutschen Wirtschaft im 20. Jahrhundert, München 2001, S. 50–69 und Werner Abelshauser, Deutsche Wirtschaftsgeschichte seit 1945, München 2004, S. 302 ff. Die wichtigste – auch von Vietor häufig zitierte – zeitgenössische Veröffentlichung ist Jean Fourastié, Die große Hoffnung des 20. Jahrhunderts, Köln 1954. Schildt 2000, S. 44. Zu dem hier zugrundegelegten Planungsbegriff vgl. Hans Günther Hockerts, Einführung, in: Matthias Frese/Julia Paulus/Karl Teppe (Hg.), Demokratisierung und gesellschaftlicher Aufbruch. Die sechziger Jahre als Wendezeit der Bundesrepublik (Forschungen zur Regionalgeschichte Bd. 44), Paderborn u. a. 2003, S. 249–257, hier S. 249. Michael Ruck, Ein kurzer Sommer der konkreten Utopie – Zur westdeutschen Planungsgeschichte der langen 60er Jahre, in: Schildt/Siegfried/Lammers 2000, S. 362–401, hier S. 381. Vgl. auch Gabriele Metzler, „Geborgenheit im gesicherten Fortschritt“. Das Jahrzehnt von Planbarkeit und Machbarkeit, in: Frese/Paulus/Teppe 2003, S. 777–797 sowie dies., Konzeptionen politischen Handelns von Adenauer bis Brandt. Politische Planung in der pluralistischen Gesellschaft, Paderborn u. a. 2005. Schildt 2000, S. 49.

5.1 „Dienst am Fortschritt“

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dergrund stehende wirtschafts- und gesellschaftspolitische Modernisierung zu leisten in der Lage war.8 Dennoch war es nicht erst die sozialliberale Koalition, mit der dieser Zeitgeist Eingang in die Regierungspolitik fand. Entscheidende Bedeutung hierfür erlangte vielmehr ein Ereignis, das die Zeitgenossen zunächst als einen schweren Rückschlag empfanden: die Rezession von 1966/67. Diese in der Rückschau vergleichsweise ephemere Krise „traf die Bundesrepublik ohne Vorbereitung und schien sie an den Rand der Gefährdung ihrer politischen Ordnung zu führen“.9 Erstmals seit der Währungsreform stagnierte das wirtschaftliche Wachstum. Die politischen Konsequenzen folgten auf dem Fuße: Die Regierung Erhard, die mit der Krise offensichtlich überfordert war, wurde von der Großen Koalition abgelöst. Dieser Regierungswechsel erwies sich in wirtschafts- und gesellschaftspolitischer Hinsicht als eine mindestens ebenso bedeutsame Zäsur in der Geschichte der Bundesrepublik wie die Etablierung der sozialliberalen Regierung drei Jahre später. Durch das Stabilitätsgesetz, die „‚Magna Charta‘ der Großen Koalition“, fand das Konzept der „Globalsteuerung“ nun Eingang in die Regierungspolitik. Das Gesetz atmete „wie kein anderes Reformprojekt den Geist ‚durchgreifender Modernisierung‘, auf den diese Regierung stolz war.“10 Und scheinbar hielten diese modernen Rezepte auch, was sie versprachen: Wo Erhard noch gescheitert war, produzierten Karl Schiller und Franz Josef Strauß nach wenigen Monaten einen Boom, der die Bundesrepublik wieder auf den Wachstumspfad der fünfziger und frühen sechziger Jahre zurückzuführen schien. In der historischen Betrachtung entpuppte sich die damit verbundene Vorstellung eines „Aufschwungs nach Maß“ zwar als „bloße Ideologie“,11 weil dieser Erfolg das Ergebnis eines ohnehin eintretenden konjunkturellen Aufschwungs und nicht der von Schiller eingesetzten fiskalpolitischen Mittel war. Aber in der öffentlichen Wahrnehmung wurde er dennoch dem Instrument der „Globalsteuerung“ zugeschrieben. Paradoxerweise trug die Krise 1966/67, die sich in der Rückschau als der Anfang vom Ende der Nach8 9

Vgl. ebd., S. 45 f. Werner Abelshauser, Wirtschaftsgeschichte der Bundesrepublik Deutschland 1945–1980, Frankfurt a. M. 1983, S. 111. Zu den Ursachen der Rezession vgl. ebd., S. 98 ff. sowie Prollius 2006, S. 151 ff. Zur Bedeutung der Rezession als „Katalysator für ein neues Planungsverständnis“ vgl. Hockerts 2003, S. 256; die dort zitierten Beiträge aus dem gleichen Band sowie in breiter, auch die Außenpolitik berücksichtigender Perspektive Holger Wiemers, Die Entwicklung der Sozialpolitik in der Bundesrepublik 1966–1975. Programme, Akteure, Ergebnisse (Kölner Schriften zur Sozial- und Wirtschaftspolitik Bd. 35), Regensburg 1999, S. 49 ff. 10 Kleßmann 1997, S. 222 (dort auch das Zitat aus dem vorangehenden Satz). Zur Globalsteuerung und zum Stabilitätsgesetz vgl. zusammenfassend Gerold Ambrosius, Staat und Wirtschaft im 20. Jahrhundert (Enzyklopädie deutscher Geschichte Bd. 7), München 1990, S. 49 ff. u. S. 110 ff.; Alexander Nützenadel, Stunde der Ökonomen. Wissenschaft, Politik und Expertenkultur in der Bundesrepublik 1949–1974 (Kritische Studien zur Geschichtswissenschaft Bd. 166), Göttingen 2005, S. 283 ff. u. S. 307 ff. sowie Tim Schanetzky, Die große Ernüchterung. Wirtschaftspolitik, Expertise und Gesellschaft in der Bundesrepublik 1966 bis 1982 (Wissenskultur und gesellschaftlicher Wandel Bd. 17), Berlin 2007, S. 81 ff. 11 Egbert Osterwald, Die Entstehung des Stabilitätsgesetzes. Eine Studie über Entscheidungsprozesse des politischen Systems (Campus Forschung Bd. 251), Frankfurt a. M./New York 1982, S. 95.

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kriegsprosperität darstellt, damit den Keim für den endgültigen Siegeszug des Machbarkeitsglaubens in sich.12 Denn für die Zeitgenossen war sie nach ihrer Überwindung nicht mehr der Anfang vom Ende, sondern das genaue Gegenteil: der Beweis dafür, daß das Wachstum der Nachkriegszeit durch eine aktive Wirtschaftspolitik potentiell ins Unendliche verlängert werden konnte. „Die Erfolge Schillers bei der Überwindung der Wirtschaftskrise 1969 hatten den Eindruck erweckt, Wirtschaft sei lenkbar, Wachstum machbar, Konjunktur beherrschbar.“13 Die Wachstumsorientierung der Politik der neuen Regierung erschöpfte sich allerdings nicht allein in konjunkturpolitischen Maßnahmen. Schon das Stabilitätsgesetz war ursprünglich von Schiller nicht als ein Instrument zur Konjunktursteuerung, sondern als ein Gesetz zur langfristigen Sicherung des wirtschaftlichen Wachstums konzipiert worden. Auf längere Sicht betrachtet bestand insbesondere für die SPD die Aufgabe der Regierung nicht allein in einem Ausgleich konjunktureller Zyklen, sondern auch darin, ein „stetiges und angemessenes Wirtschaftswachstum“ – so die Formulierung des Stabilitätsgesetzes – durch eine aktive staatliche Politik zu garantieren.14 Die Frage nach den hierfür nötigen Mitteln dominierte die wirtschaftspolitische Diskussion der Jahre 1966 bis 1969. Willy Brandt faßte die Ergebnisse in seiner Regierungserklärung von 1969, die erstmals das „Begriffsarsenal der modernen Sozialwissenschaften“15 bemühte, systematisch zusammen. Diese Regierungserklärung sah eine umfassende Strategie der staatlichen Investitionslenkung vor – eine Strategie, die die wichtigsten Hindernisse, die einem nachhaltigen Wachstum im Wege standen, gezielt aus dem Weg räumen sollte. Brandt identifizierte drei solcher Hindernisse. Zum einen galt ihm die Größenstruktur der Unternehmen als suboptimal. Zweitens sollten die Relationen zwischen den wirtschaftlichen Sektoren unter dem Gesichtspunkt des Wirtschaftswachstums optimiert werden, also beispielsweise Arbeitskräfte aus dem wachstumshemmenden Bergbau in den (vermeintlich) wachstumsfördernden Dienstleistungssektor „verschoben“ werden. Drittens schließlich – entscheidend im gegenwärtigen Kontext – galten ihm auch die existierenden regionalen Verteilungsmuster als wachstumshemmend. Das zielte vor allem darauf ab, die Wirtschaftsstruktur ländlicher Regionen durch die Ansiedlung kapitalintensiverer Wirtschaftszweige und durch den Ausbau der Infrastruktur zu verbessern.16 In diesem Punkt waren 12 Zur Rezession als Anfang vom Ende der Nachkriegsprosperität vgl. Abelshauser 1987, S. 70. 13 Thränhardt 1996, S. 198. 14 Vgl. Kleßmann 1997, S. 218 ff.; Klaus Schönhoven, Wendejahre. Die Sozialdemokratie in der Zeit der Großen Koalition 1966–1969 (Die deutsche Sozialdemokratie nach 1945 Bd. 2), Bonn 2004, S. 130 ff. u. S. 330 ff. sowie Nützenadel 2005, S. 328 ff. 15 Görtemaker 1999, S. 505. Vgl. auch Ruck 2000, S. 386 sowie zum breiteren Kontext der „Verwissenschaftlichung“ der Wirtschaftspolitik Schanetzky 2007, S. 139 ff. u. S. 151 ff. 16 Vgl. Willy Brandt, Regierungserklärung vom 29.10.1969, in: Klaus v. Beyme (Hg.), Die großen Regierungserklärungen der deutschen Bundeskanzler von Adenauer bis Schmidt, München/Wien 1979, S. 251–281, hier S. 268. Zur Bedeutung des Infrastrukturausbaus vgl. Metzler 2003, S. 790 und die dort genannte Literatur sowie aus Sicht der NH: Heinz Roosch, Infrastruktur und Stadtentwicklung, NHM 1971,1, S.12–16; JB 1971/72, S. 22 ff. und JB 1969/70, S. 47 ff. Zur historischen Einordnung vgl. Dirk van Laak, Infra-Strukturgeschichte, Geschichte und Gesellschaft 27.2001, S. 367–393, hier v. a. S. 367.

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die Ziele der Investitionslenkung nicht allein von wirtschaftspolitischen Maßgaben bestimmt: Neben den ökonomischen Effekten wie etwa der Sicherung eines gleichmäßigen Wachstums betrachtete Brandt die regionale Investitionslenkung auch als Schlüssel für die Verbesserung der Lebensverhältnisse in strukturschwachen Gebieten – und damit als Garant zur Herstellung der grundgesetzlich verankerten „einheitlichen Lebensverhältnisse“, ein Ziel, das in der Politik der sozialliberalen Koalition einen prominenten Platz einnehmen sollte.17 Zusammengefaßt wurden diese Investitionsstrategien unter dem schon länger bekannten Begriff der „Strukturpolitik“, der nun aber im Gegensatz zu vorher nicht mehr nur eine Ausnahmeregelung für eng begrenzte Sonderfälle wie etwa die Zonenrandgebietsförderung bezeichnete, sondern eben die systematische Steuerung der neu definierten (d. h. wesentlich erweiterten) Grundlagen des wirtschaftlichen Wachstums beinhaltete.18 Der marktwirtschaftliche Wettbewerb wurde dadurch keineswegs überflüssig, sondern im Verständnis der „Vordenker“ der Strukturpolitik – Karl Schiller und Alfred Müller-Armack spielten eine zentrale Rolle – überhaupt erst ermöglicht. Die Strukturpolitik galt ihren Initiatoren nicht als Alternative zur sozialen Marktwirtschaft, sondern als ihre konsequente Weiterentwicklung. 5.1.2 Städtebau – Strukturpolitik – Fortschrittspolitik Im Wohnungs- und Städtebau waren schon seit Anfang der sechziger Jahre verstärkt Ansätze zu einer Diskussion einzelner Elemente zu beobachten, aus denen später die regionale Strukturpolitik hervorgehen sollte. Die „Verwissenschaftlichung“ des Städtebaus, wie sie etwa von der Gewos betrieben wurde, gehörte dazu; das „neue Planungsdenken“ der Stadtplaner bildete einen Bestandteil; ebenso eine zuerst zögerliche, dann intensive Debatte um die Raumordnung; und auch die 1965 erstmals vorgelegten Pläne zur staatlichen Sanierungsförderung, auf die noch mehrfach zurückzukommen sein wird, deuteten darauf hin.19 Was diesen in 17 Vgl. Metzler 2003, S. 791; Harlander 1999, S. 329 sowie Harald Scherf, Enttäuschte Hoffnungen – vergebene Chancen. Die Wirtschaftspolitik der Sozial-Liberalen Koalition 1969– 1982 (Kleine Vandenhoeck-Reihe 1516), Göttingen 1986, S. 12. 18 Eine knappe Zusammenfassung zur Geschichte der Strukturpolitik bietet Ambrosius 1990, S. 52 ff. Die Anfänge der Strukturpolitik als Wachstumspolitik harren noch der historischen Aufarbeitung. Erste Ansätze bietet Christoph Nonn, Die Krise des Ruhrbergbaus. Entindustrialisierung und Politik 1958–1969, Göttingen 2001, v. a. S. 364 ff. Einige verstreute Hinweise zum älteren Begriff der Strukturpolitik finden sich bei Gerold Ambrosius, Der Staat als Unternehmer. Öffentliche Wirtschaft und Kapitalismus seit dem 19. Jahrhundert, Göttingen 1984. 19 Zur Debatte über die Sanierungsförderung vgl. Kap. 5.3.1.1 dieser Arbeit. Zusammenfassend zum Mitte der sechziger Jahre erreichten Stand der Debatten über Raumordnung und Stadtplanung vgl. Gerhard Isbary, Ziele einer deutschen Raumplanung, in: Deutschland ohne Konzeption? Am Beginn einer neuen Epoche. Zwanzig Beiträge internationaler Wissenschaftler, Schriftsteller und Publizisten (Modelle für eine neue Welt Bd. 3), München/Wien/Basel 1964, S. 97–140; Alexander Mitscherlich, Planen für die Freiheit. Notwendigkeit, Möglichkeiten und Grenzen der Städteplanung, in: ebd., S. 141–169; Hansgert Peisert, Stadtplanung auf dem Wege zur Wissenschaft, in: ebd., S. 186–215 sowie Christian Fahrenholtz, Erfahrungen und Aussichten im deutschen Städtebau, in: ebd., S. 216–247.

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weitgehender Trennung voneinander stattfindenden Debatten indes fehlte, war eine verbindende und gesamtgesellschaftlich relevante Perspektive. Genau dieses Manko verflog mit der Rezession 1966/67 schlagartig. Die NH, die früher als andere Unternehmen und früher auch als die Bundesregierung begonnen hatte, sich mit den gesamtwirtschaftlichen Implikationen des Wohnungsund Städtebaus zu beschäftigen, begriff das als eine der ersten. Durch die Rezession, schrieb sie in ihrem Geschäftsbericht für 1966, sei die Erkenntnis Allgemeingut geworden, „dass Wettbewerb und marktwirtschaftlicher Preismechanismus gesamtwirtschaftlich nicht ausreichen, um die Ziele der Wirtschaftspolitik (...) zu sichern, und dass es Aufgabe der Wirtschaftspolitik sein muss, den gesamtwirtschaftlichen Kreislauf zu steuern“; und dies, so fuhr sie fort, gelte „in besonderem Maße für die Bereiche der Wohnungswirtschaft und des Städtebaues.“20 Zwei Gründe machte sie für diese Sichtweise geltend. Erstens eignete sich die Bauwirtschaft ihres Erachtens wegen des hohen Anteils öffentlicher Investitionen am Gesamtbauvolumen in besonderer Weise für die staatliche Konjunkturpolitik. Wichtiger noch schien der zweite Aspekt, und das war die strukturpolitische Bedeutung des Wohnungs- und Städtebaus. Denn die NH maß diesem nun nicht mehr nur die Aufgabe zu, die Versorgung der Bevölkerung zu sichern, sondern sah in ihm auch ein geeignetes Mittel, „die allgemeinen Kosten privater und öffentlicher Wirtschaftstätigkeit zu vermindern und ihr bessere Voraussetzungen zu schaffen“ – und zwar deshalb, weil er eine ökonomisch „vorteilhaftere räumliche Zuordnung von Stätten des Wohnens, der Arbeit, der Ausbildung, Fortbildung und Erholung“ ermöglichte.21 Diese Auffassung von der strukturpolitischen Bedeutung des Städtebaus bedeutete zweierlei: erstens, daß die einzelnen Elemente des Städtebaus – Raumordnung, Infrastrukturausbau, Sanierung etc. – nunmehr alle an einem Kriterium, nämlich der Verminderung gesamtwirtschaftlicher Kosten, ausgerichtet werden konnten und somit durch eine einheitliche Perspektive verbunden waren; und zweitens, daß der Wohnungs- und Städtebau nun keine „normale“ Branche mehr war, sondern „Grundlage für günstigere Entwicklungen von Wirtschaft und Gesellschaft“22 – also der (markt-)wirtschaftlichen Betätigung vorgelagert war. „Die Aufgaben des Wohnungs- und Städtebaues“, so faßte Vietor diese Überlegungen zusammen, „fließen ein in die übergeordneten Aufgaben der Schaffung einer funktionsfähigen Wirtschaftsregion als Grundlage und Voraussetzung der Sicherung eines weiteren Wirtschaftswachstums, der Steigerung der Produktivität und der Verbesserung der Lebensverhältnisse unserer Menschen.“23 Diese Ausführungen mochten den Eindruck erwecken, als sei es der NH nur um die Förderung wirtschaftlichen Wachstums in einem technokratischen Sinne gegangen. Tatsächlich betrachtete die NH diese neue Auffassung vom Städtebau aber mit fast mythischer Überhöhung. Es gehe um mehr als nur darum, Wohnun20 21 22 23

GB NHH 1966, S. 6. Ebd. Ebd. Albert Vietor, Stadterneuerung – wirtschaftliche Probleme und Lösungen. Vortrag anläßlich der Internationalen Bau-Fachausstellung CONSTRUCTA II in Hannover, 23.1.1967, FZH 592–30 V, S. 25.

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gen zu bauen, lautete eines der unternehmensinternen Schlagworte in diesem Zeitraum, und Heinz Roosch, der Generalsekretär der Gewos, argumentierte, Städtebau sei „angewandte Gesellschaftspolitik im Raum“.24 Albert Vietor höchstpersönlich ging sogar noch weiter. In einer Rede auf einer Fachtagung mit dem Thema „Philosophie und Realität des Wohnungs- und Städtebaues“ führte er mit ganz untechnokratischem Pathos aus, daß „die Verantwortung des Bauherrn identisch ist mit der Verantwortung des Staatsmannes. Städtebau hat praktische Politik zu sein (...). Diese Aufgaben sind groß und anstrengend. Aber es ist eine wahrhaft gesellschaftspolitische und staatspolitische Aufgabe, die uns alle angeht. Es ist eine Aufgabe, für die sich der volle Einsatz eines jeden von uns lohnt. Sie ist Dienst am Fortschritt. Sie ist, so hoffen wir, Weg zu einer besseren und schöneren Welt.“ 25

Wie diese bessere und schönere Welt aussehen sollte, hatte die Geschäftsführung in einem Modell festgehalten, das die wirtschafts- und gesellschaftspolitischen Leitbilder, die der Unternehmenspolitik der NH nunmehr zugrunde lagen, exemplarisch reflektierte und damit zum Signum der neuen Unternehmensideologie wurde. Dieses Projekt, in dem sich „der übersteigerte, manchmal wahnwitzige Planungs- und Fortschrittsglaube“26 widerspiegelte, der mit diesen Leitbildern einherging, war das Alsterzentrum – ein „Vorschlag zur Umgestaltung des Hamburger Stadtteils St. Georg“,27 den die NH im Sommer 1966 der Öffentlichkeit vorstellte. „Eine Bombe“, schrieb die „Welt der Arbeit“ einige Jahre später, „hätte kein größeres Spektakel auslösen können als dieses Modell“.28 Der Vorschlag, den die Planungsabteilung der NH unter der Federführung des Architekten Hans Konwiarz erarbeitet hatte, sah vor, das zentral gelegene Hamburger Stadtviertel St. Georg komplett abzureißen und durch ein einziges Gebäude zu ersetzen, das etwa 20.000 Bewohner beherbergen sollte. Auf einer Fläche von 19 ha plante die Geschäftsführung die Errichtung eines etwa 700 m langen und 300 m breiten Kranzes von fünf miteinander baulich verbundenen Wohnhochhäusern, deren höchstes 63 Geschosse aufwies. Dieses Hochhausgebirge sollte 6.000 Wohnungen zur Verfügung stellen und ein modernes Gewerbe- und Kommunal24 „Roosch: Städtebau und Stadtentwicklung – angewandte Gesellschaftspolitik im Raum“, Informationen für den Wohnungswirtschaftler 16.1970,116 (26.06.1970). Vgl. auch Albert Vietor, Es geht um mehr als nur Wohnungen zu bauen, Sonderdruck aus: Holzarbeiter-Zeitung 9.1968, FZH 592–30 V und Walter Beyn, Neue Städtebaukonzeption und Großbauvorhaben. Vorlage zu TOP 3 AR NHH, 2.2.1968, DGBA-BV, Abt. Finanzen, 24/449, S. 14. 25 Albert Vietor, Stadterneuerung – wirtschaftliche Probleme und Lösungen. Vortrag anläßlich der Internationalen Bau-Fachausstellung CONSTRUCTA II in Hannover, 23.1.1967, FZH 592–30 V, S. 5 u. S. 25. Vgl. auch Wirtschaftliche Voraussetzungen für die Stadterneuerung, NHM 1967,2, S. 43–44. 26 Harlander 1999, S. 329. 27 Neue Heimat (Hg.), Das Alsterzentrum. Ein Vorschlag zur Umgestaltung des Hamburger Stadtteils St. Georg, Hamburg o. D. [1966], Titel. Generell zum Alsterzentrum vgl. ebd.; Hans Konwiarz/H. Schüler, Das Alsterzentrum. Zukunftsweisendes Stadterneuerungsprojekt in Hamburg, GWW 20.1967, S. 45–52 sowie kritisch Michael Grüttner, Wem die Stadt gehört. Stadtplanung und Stadtentwicklung in Hamburg 1965–1975, Hamburg 1976, S. 139 ff. 28 Neue Heimat = Wohnungsbau + Städtebau, Welt der Arbeit, Extra-Dienst Juli 1973, o. S.

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zentrum mit 470.000 qm Gewerbefläche umschließen. Der Verkehr sollte auf mehreren Ebenen unter dem Alsterzentrum hindurchgeführt werden; 16.000 Tiefgaragenplätze waren zudem für Bewohner und Besucher vorgesehen.29 Die optische Anmutung dieses Projektes, das dem Pentagon in Washington den Rang des größten Gebäudes der Welt abgelaufen hätte, war nicht weniger beeindruckend als die nackten Zahlen. „Gleich hinter der Uferpromenade an der Außenalster, wo der sanierungsbedürftige Stadtteil St. Georg bis an die Rückfront der Nobelherberge Atlantic heranreicht,“ schwärmte die „Welt der Arbeit“, „türmte sich, weiß und durch pyramidenartige Verjüngung zur Spitze hin vom Eindruck der Schwere befreit, ein den gesamten ehemaligen Stadtteil überspannender moderner Wohnkomplex.“30 Im Nachhinein betrachtet, muten die Fotomontagen, die die Planungsabteilung produziert hatte, allerdings eher so an, als sei ein überdimensioniertes Ufo gelandet; die zeitgenössische Kritik, es handele sich hierbei um „Exzesse der Betonphilosophen“,31 wird in der Rückschau selbst von den Beteiligten kaum noch bestritten. Tatsächlich war diese Ästhetik aber im Sinne der strukturpolitischen Konzeption des Städtebaus, die die NH nun vertrat, nur konsequent. Denn der Sanierungsentwurf für St. Georg zielte ähnlich wie im Falle des Nordwestzentrums darauf ab, soziale Prozesse und nicht einzelne Gebäude zu gestalten. „Das Wort ‚Stadterneuerung‘“, so führte Vietor in diesem Sinne aus, „könnte – isoliert begriffen – in die Irre führen. Was wir wirklich wollen und sollen, das ist die Wiederbelebung und Mehrung dessen, was unter dem Wesenhaften der Stadt, dem Städtischen, dem Urbanen verstanden wird.“ Stadterneuerung bedeutete für ihn deshalb, „Möglichkeiten [zu] schaffen, daß sich Menschen für alle denkbaren Arten gemeinsamen Tuns zusammenfinden können, daß sie sich weiter spezialisieren und die Ergebnisse ihres Schaffens kombinieren und austauschen, daß sie teilnehmen und teilhaben können am Leben der anderen und daß sie beitragen können zum Leben der anderen“.32 Daß dieser Versuch zu solchermaßen hochverdichteten und monumentalen Entwürfen wie dem Alsterzentrum führte, war eine Folge des spezifischen Verständnisses, das die NH von den hierfür nötigen Voraussetzungen entwickelt hatte. Denn die Freiheit zur Wahrnehmung dieser Möglichkeiten hing ihres Erachtens ganz wesentlich, ja sogar ausschließlich von materiellen Bedingungen ab. Sie galt ihr erst dann als gesichert, „wenn jeder seine Wohnung einigermaßen frei und vernünftig wählen kann, wenn er also im richtigen Ortsteil eine Wohnung zu dem politisch gewollten Mindeststandard auch bekommen kann.“33 Das setzte wirtschaftliches Wachstum voraus, und deshalb war Wachstum das zentrale Mittel zur Herstellung von Freiheitsrechten. Für die NH bestand eine vorbildliche Sozialpolitik 29 Vgl. Neue Heimat (Hg.), Das Alsterzentrum. Ein Vorschlag zur Umgestaltung des Hamburger Stadtteils St. Georg, Hamburg o. D. [1966], S. 11 f. 30 Neue Heimat = Wohnungsbau + Städtebau, Welt der Arbeit, Extra-Dienst Juli 1973, o. S. 31 Ebd. (im Original Dativ: „Exzessen der Betonphilosophen“). Zur heutigen Perspektive eines Beteiligten vgl. Interview mit Rolf Dehnkamp, 18.8.2003. 32 Albert Vietor, Stadterneuerung – wirtschaftliche Probleme und Lösungen. Vortrag anläßlich der Internationalen Bau-Fachausstellung CONSTRUCTA II in Hannover, 23.1.1967, FZH 592–30 V, S. 4 f. (Hervorhebungen im Original unterstrichen). 33 Ebd., S. 2.

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deshalb nunmehr darin, „langfristig eine optimale Allokation der sich wandelnden Produktionsfaktoren, also Strukturverbesserung und Produktivitätssteigerung und damit stetiges Wirtschaftswachstum, sicherzustellen.“34 Welche paradoxen Folgen dieses Verständnis nach sich ziehen konnte, zeigte wiederum das Beispiel des Alsterzentrums. Denn in St. Georg waren in einer zentrumsnahen Lage altersschwache Häuser mit niedrigen Mieten und einer dem hochwertigen Standort nicht „angemessenen“ Sozialstruktur vorzufinden. Die strukturpolitische Bedeutung der Planungen der NH lag daher darin, daß der innenstadtnahe Boden eine der Lage entsprechende hochwertige Nutzung erfahren und somit eine wirtschaftlich optimale Allokation der Produktionsfaktoren gewährleistet werden sollte. Dieser Argumentation konnten auch die Interessen der Bewohner des Viertels, deren Häuser abgerissen werden sollten, nicht standhalten, obwohl es sich bei ihnen ironischerweise um Arbeiter, also um die hauptsächliche Zielgruppe gewerkschaftlicher Sozialpolitik handelte.35 Vietor begegnete diesem Einwand mit dem Argument, daß es nicht die Aufgabe eines reformorientierten Wohnungsunternehmens und auch nicht im Interesse der Arbeiterschaft sein könne, ungesunde Wohnverhältnisse zu bewahren oder die wirtschaftliche Entwicklung zu behindern. Kulturelle Bindungen an das „Quartier“, die in den Diskursen der siebziger Jahre große Bedeutung erlangten, zählten für ihn nicht. In seiner Perspektive erschienen Arbeiter nicht primär als Träger eines eigenständigen Sinnzusammenhanges, sondern als die Opfer materieller Verhältnisse – und diese galt es zu beseitigen. „Es geht“, formulierte er drastisch, „nicht darum, die für den Fußgänger gebaute Stadt des Mittelalters, der Renaissance, des Barocks und schon gar nicht die fürchterlichen Entartungen [sic!] der Gründerjahre zu restaurieren und zu erhalten und damit jede weitere Entwicklung von Gesellschaft, Kultur und Wirtschaft, des Lebens schlechthin, zu strangulieren, sondern es kommt darauf an, neue Lebensbereiche in neuen Ausformungen und in einer Weise zu bauen, dass das Gebaute weitere Entwicklungen ermöglicht.“36 In diesem rüden Tonfall zeigte sich deutlich der autoritäre Zug, der seinem Idealbild zugrunde lag. Vor allem aber verwies die darin angelegte Bereitschaft zur Zerstörung der angestammten Lebenswelt von Arbeitern auf die kulturgeschichtliche Dimension der Forderung nach einer wachstumsfördernden Strukturpolitik. Wie Vietors Rede von den „Entartungen“ der Gründerzeit und der „Gesundheitsschädlichkeit“ der Wohnungen andeutete, hatte er von der Welt, der er durch diese Politik entkommen wollte, ein mindestens ebenso klares Bild vor Augen wie von der Welt, die durch sie entstehen sollte. Tatsächlich war es die aufkommende Industriegesellschaft der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts, die als negatives Abziehbild für die „moderne, weltoffene und demokratische Gesellschaft“,37 wie sie die NH verstand, diente. Besonders das Kaiserreich verkörperte 34 Ebd., S. 10. 35 Vgl. Grüttner 1976, S. 129 ff. 36 Albert Vietor, Stadterneuerung – wirtschaftliche Probleme und Lösungen. Vortrag anläßlich der Internationalen Bau-Fachausstellung CONSTRUCTA II in Hannover, 23.1.1967, FZH 592–30 V, S. 5. 37 So der Text einer verbreiteten, mit dem Begriff „Infrastruktur“ überschriebenen Anzeige der NH, bspw. in: Der langfristige Kredit 20.1969, S. 636.

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in den Augen des Vorstandes alles das, was im Wohnungs- und Städtebau jemals falsch gemacht worden war.38 Walter Beyn zeichnete in einem Vortrag vor dem Aufsichtsrat ein eindringliches Bild der katastrophalen Zustände in den Großstädten während der Phase der Hochurbanisierung, das in wenigen Sätzen das Geschichtsbild der Unternehmensführung zusammenfaßte. „Das Schicksal der Stadt, die sich in völlig unzusammenhängenden Einzelaktionen erweiterte“, so lautete seine Kernbotschaft, „war (...) den Spekulanten und dem Zufall überlassen“.39 Dieser Zufall sollte nun durch Planung überwunden und damit das vollendet werden, was die Sozialreformer, auf die Beyn in seinem Vortrag ausdrücklich verwies, im Kaiserreich begonnen hatten.40 Dieser Verweis war kein Zufall, denn die NH bezog sich immer wieder ausdrücklich auf diese Tradition. Sie sprach sogar davon, daß erst ihre Überlegungen zum Städtebau und zur Sanierungsfrage die eigentliche Durchführung des Gedankenguts der Wohnungsreformer erbringen würden.41 Es war also die Reformagenda aus dem Kaiserreich, die hier zu einem Abschluß gebracht werden sollte. Diese ging unmittelbar auf die Erfahrung materieller Not zurück, die im 19. Jahrhundert auch den Anstoß zur Entstehung der organisierten Arbeiterbewegung gegeben hatte. Sie entsprach damit dem, was Ralf Dahrendorf als die Vision von einer sozialdemokratischen Gesellschaft bezeichnet hat. „Alle Institutionen der sozialdemokratischen Gesellschaft“, so Dahrendorf, „sind um Wirtschaftswachstum herum aufgebaut. (...) Die Gleichung von mehr und besser ist dabei entscheidend“.42 In der wachstumsorientierten Strukturpolitik der späten sechziger Jahre fand diese Gleichung ihre höchste Vollendung. Daß mit der entstehenden Dienstleistungsgesellschaft auch neue Wertorientierungen und Problemlagen einhergingen, die sich vielleicht vage unter den Schlagworten der „Postmoderne“ bzw. der „reflexiven Modernisierung“ zusammenfassen lassen und für die „mehr“ eben nicht gleich „besser“ war, stand für die Unternehmensgruppe zu diesem Zeitpunkt nicht zur Debatte.43 Hier deutete sich ein Konfliktpotential an, das sich in den folgenden Jahren als eines der zentralen Probleme der NH entpuppen sollte. Zunächst jedoch 38 Mit dieser Einschätzung stand der Vorstand nicht alleine: Eine breite Front von Wohnungspolitikern und Wohnungswirtschaftlern sah in den „Trabantenstädte[n] und Stadterneuerungen der 60er und 70er Jahre (...) historische Antworten auf die verhaßte Stadt des 19. Jahrhunderts“, Harald Bodenschatz, Die Berliner „Mietskaserne“ in der wohnungspolitischen Diskussion seit 1918, in: Schildt/Sywottek 1988, S. 127–149, hier S. 127. 39 Walter Beyn, Neue Städebaukonzeption und Großbauvorhaben. Vorlage zu TOP 3 AR NHH, 2.2.1968, DGBA-BV, Abt. Finanzen, 24/449, S. 1. 40 Ebd., S. 2 41 Vgl Albert Vietor, Aufgaben und Möglichkeiten der Sanierungsfinanzierung, in: Wir bauen für eine glückliche Zukunft, NHM Sonderbeilage 1964, S. 25–31, hier S. 25. 42 Ralf Dahrendorf, Die Chancen der Krise. Über die Zukunft des Liberalismus, Stuttgart 1983, S. 18 (meine Hervorhebung). 43 Zum Begriff der „reflexiven Modernisierung“ und den damit einhergehenden Problemlagen vgl. Ulrich Beck, Risikogesellschaft. Auf dem Weg in eine andere Moderne, Frankfurt a. M. 1986, bes. S. 251 ff. Die loci classici für die These von der Entstehung neuer Wertorientierungen sind die – nach wie vor heftig umstrittenen – Arbeiten von Inglehart. Vgl. z. B. Ronald Inglehart, Kultureller Umbruch. Wertwandel in der westlichen Welt, Frankfurt a. M./New York 1989, hier bes. S. 90 ff. Zusammenfassend zur Diskussion über diese Frage mit Bezug auf die Bundesrepublik der siebziger Jahre vgl. Rödder 2004, S. 28 ff. u. S. 207 ff.

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war sie voller Hoffnung: Jetzt schien es möglich, mit den Mitteln des Städtebaus eine Art Vollendung der industriegesellschaftlichen Moderne zu erreichen und damit eine „bessere und schönere Welt“ zu schaffen. 5.1.3 Die Koalition des Fortschritts Mit diesem Optimismus stand die NH nicht alleine; im Gegenteil. Das Alsterzentrum scheiterte zwar nach einigem Hin und Her am Widerstand der Grundeigentümer in St. Georg,44 aber die grundsätzlichen Auffassungen über die strukturpolitische Rolle des Städtebaus, die die NH entwickelte hatte, trafen Ende der sechziger Jahre auf breite Resonanz: bei den Gemeinnützigen, den Gewerkschaften, in der SPD und nicht zuletzt bei der Bundesregierung. Am wenigsten Sorgen machen mußte sich die Geschäftsführung um die Unterstützung der gemeinnützigen Wohnungsunternehmen. Sie hatten – anders als die NH – während der Rezession erheblich Federn lassen müssen. Ihre Baubeginne lagen in den ersten 10 Monaten des Jahres 1966 um 20% unter dem Niveau des Vorjahres, und ihr Anteil an den Fertigstellungen im Wohnungsbau ging von 1965 30,3% auf 1966 27,3% zurück.45 Angesichts des Abbaus der öffentlichen Förderung stand aus ihrer Perspektive zudem zu befürchten, daß diese Krise kein kurzfristiges Phänomen war, sondern nur der Auftakt zu einer längerfristigen Abwärtsentwicklung – eine Erwartung, die sich in den folgenden Jahren bestätigen sollte: Bis 1972 fiel der Anteil der Gemeinnützigen an den Fertigstellungen auf nur noch knapp über 20%, und mit einer Umkehr dieses Trends war nicht zu rechnen. Mit anderen Worten: Die Gemeinnützigen bangten um ihre Existenz und mußten sich neue Märkte erschließen.46 Für die Überlegungen der NH waren diese Unternehmen deshalb leicht zu gewinnen. Mit den 1969 verabschiedeten „20 Thesen für die Arbeit der gemeinnützigen Wohnungswirtschaft“ gab der GGW eine programmatische Erklärung ab, die inhaltlich voll auf die von der NH seit 1966 vertretene strukturpolitische Konzeption des Städtebaus hinauslief.47 Mit dieser Perspektive konnten die Gemeinnützigen wieder in die Offensive gehen. Sie richteten an den Gesetzgeber die Forderung, er solle „nicht versuchen, ihre Aktivität mit zum Teil 50 Jahre alten Geset-

44 Zum Scheitern des Alsterzentrums vgl. Karl Heinz Hoffmann, Geschichte der Neuen Heimat. Kapitel 4: Mit neuem Steuermann durch die 60er: 1960–1969, o. D., URL: (Stand: 23.6.2008). 45 Vgl. Stöcker 1976, S. 269. Leicht abweichende Zahlenangaben bei gleicher Tendenz in GB NHH 1966, S. 7. 46 Diese Ängste bringt zum Ausdruck: Josef Brüggemann, Vor einer neuen Epoche der Wohnungspolitik. Ziele – Methoden – Möglichkeiten, GWW 19.1966, S. 357–364. 47 Vgl. An der Schwelle zum neuen Jahrzehnt. 20 Thesen für die Arbeit der gemeinnützigen Wohnungswirtschaft, NHM 1969,12, S. 39–40. Vgl. auch die zahlreichen in diese Richtung argumentierenden Beiträge im Verbandsorgan „Gemeinnütziges Wohnungswesen“, Jahrgänge 1966–1969, z. B. Jürgen H. B. Heuer, Der Standort des Wohnungsbaus im Rahmen der Stadtund Regionalplanung unter besonderer Berücksichtigung der Stadterneuerung, GWW 21.1968, S. 227–234.

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zen zu strangulieren“,48 sondern ihnen ein stärkeres Engagement im Städtebau ermöglichen – und zwar durch die Einführung einer Art städtebaulicher Gemeinnützigkeit.49 Bis zur Erfüllung dieser Forderung war aus der Perspektive der späten sechziger Jahre zweifellos noch ein weiter Weg zurückzulegen. Einer Sorge waren die Gemeinnützigen aber schon zu Beginn dieser Diskussion enthoben: Die Zweifel an ihrer Legitimität, die in den fünfziger und frühen sechziger Jahren immer wieder zu polemischen Angriffen insbesondere von konservativer Seite geführt hatten, gehörten nun endgültig der Vergangenheit an. Als Sanierungsträger konnte man, so sah es die überwiegende Mehrheit der Wohnungspolitiker nunmehr, auf ihre Erfahrungen und Kompetenzen nicht verzichten.50 Entsprechend stand ihre Abschaffung gegen Ende der sechziger Jahre nicht mehr zur Debatte. Daß die Gemeinnützigen sich unter diesen Vorzeichen mit Freuden auf die maßgeblich von der NH geprägte Idee einer strukturpolitisch motivierten Neuausrichtung des Wohnungs- und Städtebaus stürzten, erscheint nachvollziehbar. Auch bei den eigenen Anteilseignern, den Gewerkschaften, rannte die NH mit ihren Ideen offene Türen ein. Denn ihre Diagnose stellte eine konsequente und durch die Ereignisse von 1966/67 mit brennender Aktualität versehene Weiterentwicklung der Ideen dar, denen zumindest die Spitzen der Gewerkschaften ohnehin anhingen. Mit dem wirtschaftspolitischen Teil des Düsseldorfer Grundsatzprogramms von 1963, das zwar nicht den Begriff, aber doch bereits wesentliche Inhalte der Strukturpolitik vorwegnahm, ließen sich die Vorstellungen der NH ohne weiteres vereinbaren. Auch die Kombination aus Wachstumsoptimismus und Planbarkeitsglauben, die die Überlegungen der NH auszeichnete, fand bei den Gewerkschaftsspitzen Anklang.51 Die Ideen der NH waren mithin für den DGB nicht grundsätzlich neu; nur ihre Anwendung auf den Wohnungs- und Städtebau stand noch aus. Daß dies im Sinne der Unternehmensgruppe geschah, lag aber nicht nur an dem ohnehin vorhandenen programmatischen Gleichklang, sondern auch daran, daß die Gewerkschaften die Definitionsmacht über ihre Wohnungspolitik nach und nach an die NH abgetreten hatten. So war der wohnungspolitische Ausschuß des DGB schon Ende 1964 aufgelöst und durch die „Arbeitsgemeinschaft gewerkschaftlicher Wohnungswirtschaftler und Wohnungspolitiker“ ersetzt worden.52 48 Albert Vietor, Stadterneuerung – wirtschaftliche Probleme und Lösungen. Vortrag anläßlich der Internationalen Bau-Fachausstellung CONSTRUCTA II in Hannover, 23.1.1967, FZH 592–30 V, S. 22. Vgl. auch ders., Aufgaben unserer Zeit und die gemeinnützige Wohnungswirtschaft. Referat zum Verbandstag des Verbandes norddeutscher Wohnungsunternehmen e. V. im September 1967 in Grömitz, o. O. [Hamburg] 1967, bes. S. 2. 49 Vgl. Albert Vietor, Aspekte zum Städtebau der 70er Jahre aus der Sicht des städtebaulichen Managements, NHM 1970,10, S. 17–23, hier S. 20. Ähnlich auch schon GB NHH 1966, S. 40 ff. 50 Vgl. Hans Hämmerlein, „Sanierungsunternehmen“ – eine neuer Unternehmenstyp, Der langfristige Kredit 16.1965, S. 531–534, hier v. a. S. 533. 51 Schönhoven spricht in diesem Zusammenhang von der „optimistische[n] Vorstellung von der ‚Machbarkeit‘ eines krisenfesten Kapitalismus“, die sich im Düsseldorfer Programm widerspiegele, Schönhoven 1987, S. 230. 52 Das geht hervor aus: Schreiben Vietors an die Mitglieder des DGB-Bundesvorstandes vom 24.8.1966, DGBA-BV, Abt. Organisation, 24/378.

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Diese stand voll und ganz unter der Obhut der Unternehmensgruppe. Johann Wolfgang Werner, der Leiter der bei Vietor angesiedelten Hauptabteilung Sekretariat und Volkswirtschaft, übernahm den Vorsitz des Gremiums. Immerhin gehörte der Arbeitsgemeinschaft zunächst noch der für die Wohnungspolitik zuständige Referent des DGB-Bundesvorstandes, Wilhelm Haferkamp, an. Aber im Zuge der im Januar 1967 gefaßten sogenannten „Springener Beschlüsse“, eines weitreichenden Sparprogramms, das sich der DGB aufgrund einer akuten finanziellen Krise verordnete, wurde Haferkamps Referat ersatzlos gestrichen.53 Der letzte Rest an Definitionsmacht über die gewerkschaftliche Wohnungspolitik, der dem DGB noch verblieben war, fiel also dem Rotstift zum Opfer. Solchermaßen begünstigt, konnte die NH den Gewerkschaftsbund nun nach Belieben zu ihrem wohnungspolitischen Handlanger umfunktionieren. Unter Werners Ägide formulierte die Arbeitsgemeinschaft in der ersten Hälfte des Jahres 1966 einen Entwurf für „Leitsätze des Deutschen Gewerkschaftsbundes zur Wohnungspolitik, Gemeindeerneuerung und Raumordnung“, der die mittlerweile deutlich veralteten wohnungspolitischen Leitsätze von 1957 ablösen sollte.54 Im August 1966 übersandte Vietor diesen Entwurf an Rosenberg und an die Mitglieder des DGB-Bundesvorstandes. In seinem Begleitschreiben führte er aus, es erscheine ihm „dringend geboten, daß der Bundesausschuß (...) Grundsätze zur Wohnungspolitik, Gemeindeerneuerung und Raumordnung verabschiedet, also seine Intentionen zu der großen anstehenden Aufgabe bekundet, dabei auch die Funktion der gewerkschaftseigenen Wohnungsunternehmen festlegt und damit nicht nur innerhalb der deutschen Gewerkschaften selbst Richtpunkte setzt (...), sondern das Wollen im Wohnungs- und Städtebau auch nach außen hin, insbesondere gegenüber den gesetzgebenden Gremien und den Regierungen in Bund und Ländern sowie den Gemeinden zum Ausdruck bringen [sic].“55 Inhaltlich trug der Entwurf, den die NH dem DGB auf diesem Wege andiente, noch deutlich die Handschrift des Zeitraumes vor der Rezession. Der Begriff der „Strukturpolitik“ wurde zwar erwähnt, bildete aber nicht den Schwerpunkt der Überlegungen. Statt dessen standen diese ganz im Zeichen der gestiegenen Wohnbedürfnisse. Alle Wohnungen, so hielt der Entwurf fest, müßten den „kulturellen und gesundheitlichen Anforderungen genügen“, und da der Marktmechanismus alleine nicht ausreiche, um dies zu garantieren, sei „die staatliche Ordnungs- und Ausgleichsfunktion“ auf dem Wohnungsmarkt „eine Daueraufgabe.“56 Die Leitsätze waren also nicht an einer abstrakten Idee des Städtebaus als Instrument der 53 Vgl. Protokoll Sondertagung BV, 24.1.1967, DGBA-BV, Abt. Vorsitzender, 5/DGAI 535, S. 4, auch abgedruckt in: Wolther von Kieseritzky (Hg.), Der Deutsche Gewerkschaftsbund 1964–1969 (Quellen zur Geschichte der deutschen Gewerkschaftsbewegung im 20. Jahrhundert Bd. 13), Bonn 2006, S. 398 ff.; Vorlage BV 1.7.1969, betr. Geschäftsverteilung des Geschäftsführenden Bundesvorstandes, DGBA-BV, Abt. Vorsitzender, 5/DGAI 462 sowie Schreiben Georg Neemanns an die Mitglieder des GBV, 22.4.1974, betr. Wiedereinsetzung des Wohnungspolitischen Ausschusses, DGBA-BV, Abt. Vorsitzender, 5/DGAI 219. Zur Einnahmenentwicklung des DGB 1966 vgl. Hirche 1972, S. 482 f. 54 Leitsätze des Deutschen Gewerkschaftsbundes zur Wohnungspolitik, Gemeindeerneuerung und Raumordnung [Entwurf, August 1966], DGBA-BV, Abt. Organisation, 24/378. 55 Schreiben Vietors an die Mitglieder des DGB-Bundesvorstandes vom 24.8.1966 (mit Entwurf der Leitsätze), DGBA-BV, Abt. Organisation, 24/378.

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Wachstumssicherung orientiert, sondern im wesentlichen an der unmittelbaren Steigerung der Wohnstandards.57 Zwar enthielt das Papier auch Forderungen zu Themen, die wie die Frage der Boden- oder der Raumordnungspolitik bereits wesentliche Elemente dessen erkennen ließen, was ab 1966/67 unter dem Oberbegriff der „Strukturpolitik“ diskutiert wurde; aber von einem umfassenden Programm der Wachstumssteuerung und –förderung durch den Wohnungs- und Städtebau war der Entwurf der Leitsätze noch weit entfernt. Bereits kurz nach seiner Erstellung war er deshalb durch die Ereignisse der Rezession und den damit verbundenen rapiden Wandel der Auffassungen über die gesamtwirtschaftliche Funktion des Städtebaus obsolet geworden. Die Arbeitsgemeinschaft überarbeite ihn noch einmal komplett. In dem zweiten Entwurf der Leitsätze vom Dezember 1968 stand nunmehr, wie schon der neue Titel – „Leitsätze des Deutschen Gewerkschaftsbundes zu Struktur-, Raumordnung[s]-, Städtebau- und Wohnungspolitik“58 – zu erkennen gab, eindeutig die Strukturpolitik im Zentrum der Überlegungen. Hinsichtlich seiner konkreten Forderungen unterschied sich dieser Text zwar in keinem wesentlichen Punkt von dem ersten Entwurf. Neu war aber die Einordnung dieser Forderungen. Die Leitsätze gingen nunmehr davon aus, daß es in der Wohnungs- und Städtebaupolitik nicht primär um eine Hebung des Wohnstandards, sondern um eine Hebung des allgemeinen Lebensstandards „durch die Erneuerung und Entwicklung der städtischen und ländlichen Siedlungsräume“, also um eine Verbesserung von „deren wirtschaftliche[r] und gesellschaftliche[r] Struktur durch alle geeigneten Maßnahmen der Regional-, Städtebau- und Wohnungspolitik“ gehe. Nur durch eine „optimale Versorgung mit öffentlichen und privaten Leistungen“ könnten „den Menschen bestmögliche Lebens- und Entwicklungschancen“ bereitgestellt werden. Zugrunde lag dieser Auffassung die Vorstellung eines immer schnelleren Wandels, der „der immerwährenden zielstrebigen Steuerung“59 bedürfe. Kurzum: In diesem Entwurf wehte „der Geist der Moderne, des Glaubens an die Ewigkeit wirtschaftlichen Wachstums, technischen Fortschritts [und] dauernder Wohlstandssteigerung“, und dahinter stand das Idealbild des „flexible[n], mobile[n] Individuum[s], dem der Staat die Voraussetzungen und Rahmenbedingungen für seine Flexibilität liefert.“60 Es ist angesichts dieser Diagnose bemerkenswert, daß Werners Entwurf in der internen Diskussion – auch in den Landesverbänden des DGB – breite Zustimmung erhielt. Auf dem 8. DGB-Bundeskongreß 1969 in München wurde er mit nur wenigen redaktionellen Änderungen als Antrag des Bundesvorstandes einge56 Leitsätze des Deutschen Gewerkschaftsbundes zur Wohnungspolitik, Gemeindeerneuerung und Raumordnung [Entwurf, August 1966], DGBA-BV, Abt. Organisation, 24/378, S. 1 f. 57 Diese Orientierung der Leitsätze auf den Wohnungskonsumenten hin, die ja auch schon die „Grundsätze einer gewerkschaftlichen Wohnungspolitik“ von 1948 und die Leitsätze von 1957 gekennzeichnet hatte, wurde noch durch die Forderung nach einer Verschärfung des Mietrecht unterstrichen – und durch die Feststellung, es sei die „ständige Aufgabe des Staates, jedermann die Nutzung einer angemessenen Wohnung auch in finanzieller Hinsicht zu ermöglichen und sozial zu sichern“, vgl. ebd., S. 3. 58 Leitsätze des Deutschen Gewerkschaftsbundes zu Struktur-, Raumordnung[s]-, Städtebau- und Wohnungspolitik, Entwurf v. 17.12.1968, DGBA-BV, Abt. Finanzen, 24/2590. 59 Ebd., S. 1. 60 Fuhrich 1983, S. 124 f.

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bracht und mit großer Mehrheit verabschiedet – unter dem Titel „Leitsätze des DGB zu Regional-, Städtebau- und Wohnungspolitik im Rahmen von Raumordnungs- und Strukturpolitik“.61 Damit verfügte der DGB nun über ein starkes, von seinem wichtigsten Gremium abgesegnetes Programm für den Städtebau, und dieses Programm war bis in einzelne Formulierungen hinein eine Wiederholung dessen, was Vietor seit Ende 1966 landauf, landab in zahllosen Reden und Zeitschriftenaufsätzen verkündet hatte.62 Es wäre allerdings falsch zu glauben, die NH habe dem DGB hier ein Programm untergejubelt, dem dieser andernfalls seine Unterstützung versagt hätte. Im Gegenteil: Selten zuvor und nie wieder danach bestand zwischen NH und DGB – mit gewissen Einschränkungen hinsichtlich der einfachen Gewerkschaftsmitglieder63 – ein so eindeutiger Konsens in grundsätzlichen Fragen. Neben der breiten Zustimmung, die das Programm in der internen Diskussion erhielt, sprechen hierfür noch weitere Argumente: zum einen die Tatsache, daß die Gewerkschaften in den folgenden Jahren – vor allem bis 1973 – immer wieder auf den in Leitsätzen festgehaltenen „Auftrag“ der NH rekurrierten;64 zweitens die Tatsache, daß die IG BSE zum gleichen Zeitpunkt eine inhaltlich weitgehend deckungsgleiche „Entschließung zum Wohnungswesen, zum Städtebau, zur Raumordnung und zur allgemeinen Baupolitik“ verabschiedete;65 drittens schließlich die Tatsache, daß die Leitsätze des DGB nicht im luftleeren Raum, sondern im Zusammenhang mit einem breiten Konsens über die Entwicklung der Wohnungs- und Städtebaupolitik entstanden waren. Die NH und der DGB standen nämlich mit ihrer Forderung nach einer stärkeren Zusammenführung von Wohnungs- und Städtebaugesetzgebung nicht alleine. Unterstützung für sie kam – neben der IG Bau – auch aus der SPD und aus der Bundesregierung. Das lag zum einen an dem Wandel der „politischen Großwetterlage“, dem auch die Debatte um den Städtebau als zentrales Element der Wirtschafts- und Gesellschaftspolitik ihren Aufschwung verdankte und dessen sichtbarster Ausdruck die erstmalige Regierungsbeteiligung der SPD war. Mit ihr avancierte die Große Koalition zum sichtbaren Zeichen für den Auftakt einer vielschichtigen und nicht zuletzt durch die Studentenrevolte von 1968 geprägten „Re-

61 Zur internen Diskussion vgl. Protokoll BV, 31.3.1969, DGBA-BV, Abt. Vors., 5/DGAI 536 (auch in: Kieseritzky 2006, S. 830 f.). Die Leitsätze sind abgedruckt in DGB, Abt. Organisation (Hg.), Protokoll des 8. Ordentlichen Bundeskongresses in München vom 18. bis 23. Mai 1969, o. O., o. J. [1969] und in Leminsky/Otto 1974, S. 320–322. 62 Vgl. neben den bereits zitierten Reden auch Albert Vietor, Strukturverbesserung durch Stadterneuerung, Der langfristige Kredit 19.1968, S. 3–6; ders., Strukturverbesserung als Grundlage sozial verantwortlicher Bauherrenschaft, Der langfristige Kredit 19.1968, S. 709–711; ders., Städtebau der Zukunft – auch nach 1970 jährlich 450.000 Wohnungen, NHM 1968,4, S. 1–2; ders., Auf dem Wege zur Stadt von morgen, NHM 1969,4, S. 1–7; ders., Berichte aus der gemeinwirtschaftlichen Praxis – Unternehmensgruppe Neue Heimat, GMH 23.1972, S. 169–172. 63 Vgl. Kap. 6.3.2.1 dieser Arbeit. 64 Vgl. z. B. Protokoll Klausurtagung BV, 3.2.1971, DGBA-BV, Abt. Vorsitzender, 5/DGAI 469, S. 7 . 65 Vgl. IG Bau – Steine – Erden steckte ihre Ziele für die Zukunft ab, NHM 1969,7, S. 52–53.

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formzeit“ der BRD.66 Es lag zum anderen aber auch daran, daß seit dem Antritt der Regierung Kiesinger die maßgeblichen wohnungspolitischen Akteure von SPD, DGB und Regierung zu einem erheblichen Teil deckungsgleich waren. So brachte der Regierungswechsel gleich zwei Personen in führende Positionen, die nicht nur der NH sehr nahestanden, sondern auch in die Wohnungs- und Städtebaupolitik der SPD und der Gewerkschaften unmittelbar eingebunden waren. Das war zum einen Georg Leber, der stellvertretende Aufsichtsratsvorsitzende der NH, der bis 1966 Vorsitzender der IG Bau, seitdem Bundesverkehrsminister und den gesamten Zeitraum über einer der maßgeblichen Wohnungsbauexperten der SPD war. Zum anderen war es der überraschend zum Minister für Wohnungswesen und Städtebau ernannte vormalige hessische Justizminister Lauritz Lauritzen.67 Lauritzen entwickelte sich in den folgenden Jahren zu einer Schlüsselfigur in den Debatten um die Ausgestaltung des Wohnungs- und Städtebaus. Als ehemaliger Kasseler Oberbürgermeister hatte er maßgeblichen Anteil am Aufbau der schwer zerstörten Stadt gehabt und war vermutlich bereits zu diesem Zeitpunkt mit Heinrich Plett und Albert Vietor bekannt geworden. Schließlich hatte die Gewobag Kassel, bei der die beiden ihre Karriere begonnen hatten, mit Unterstützung der Stadt eines der ersten über Zins- statt über Kapitalsubventionen errichteten Bauvorhaben durchgeführt. Auch die bundesweit beachtete Gartenstadt Auefeld und die Wohnstadt Helleböhn waren von der Gewobag zu Lauritzens Amtszeit errichtet worden.68 Und zum Kabinett Zinn, dem Lauritzen seit 1963 angehörte, unterhielt die NH ebenfalls hervorragende Beziehungen, wie ihre Einbindung in den „Großen Hessenplan“ gezeigt hatte. Lauritzen entfaltete seit seinem Amtsantritt sowohl innerhalb der SPD als auch in der Bundesregierung eine Reihe von Aktivitäten, die genau auf der Linie der städtebaulichen Diskussion lagen, die auch die NH eingeschlagen hatte. 1968 übernahm er von Paul Nevermann, dem Vorsitzenden des Mieterbundes und der Hamburger SPD, die Leitung der „Bundesarbeitsgemeinschaft Sozialdemokratischer Wohnungswirtschaftler und Wohnungspolitiker“, die ab November 1969 als „Bundesarbeitsgemeinschaft für Städtebau und Wohnungspolitik der SPD“ firmierte.69 Neben ihm und Georg Leber gehörte dieser auch ein weiterer prominenter Wohnungsexperte an: Albert Vietor. Unter Lauritzens Führung ging die Arbeitsgemeinschaft sogleich daran, den Wohnungs- und Städtebau zu einem zentralen Feld sozialdemokratischer Reformpolitik zu erheben. Dazu formulierte sie eine Reihe von Forderungen, die im Januar 1968 in die „Sozialdemokratischen Perspektiven im Übergang zu den siebziger Jahren“, ein Positionspapier des SPD66 Vgl. Görtemaker 1999, S. 437 ff. u. S. 475 ff. sowie Edgar Wolfrum, Die geglückte Demokratie. Geschichte der Bundesrepublik Deutschland von ihren Anfängen bis zur Gegenwart, Stuttgart 2006, S. 227 ff. 67 Zu Leber vgl. Arnulf Baring, Machtwechsel. Die Ära Brandt-Scheel, Stuttgart 31982, S. 48 ff. sowie Robert K. Furtak, Georg Leber, in: Udo Kempf/Hans-Georg Merz (Hg.), Kanzler und Minister 1949–1998. Biografisches Lexikon der deutschen Bundesregierungen, Wiesbaden 2001, S. 413–419, hier v. a. S. 413. Zu Lauritzen vgl. Ralf G. Jahn, Lauritz Lauritzen, in: ebd., S. 409–413. 68 Vgl. GWH o. D. [1999], S. 51 f. 69 Vgl. IfdW 15.1969,224 (25.11.1969).

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Vorstandes, eingingen. Dieses Dokument umriß Grundsätze der Raumordnung und Strukturpolitik, die inhaltlich weitgehend deckungsgleich mit den Überlegungen der NH waren.70 Schon zwei Monate später verabschiedete der Bundesparteitag der SPD dieses Papier als Entschließung zum „Wohnungswesen und Städtebau“, die „die städtebauliche Erneuerung (...) zur entscheidenden gesellschaftspolitischen Aufgabe der nächsten Jahrzehnte“ erklärte und diese gleichzeitig als „unerläßliche Voraussetzung für die Sicherung des wirtschaftlichen Wachstums“71 bezeichnete. In unmittelbarem Zusammenhang mit den Leitsätzen des DGB veranstaltete die SPD zudem im Juni 1969 in München einen Wohnungs- und Städtebaukongreß, der die Forderungen der Entschließung nochmals bekräftigte.72 Diese programmatische Offensive derjenigen Partei, die auch den Städtebauminister stellte, blieb nicht ohne Auswirkungen auf die Regierungspolitik. Lauritzen bemühte sich zu Beginn seiner Amtszeit vor allem um die Schaffung wissenschaftlicher Grundlagen für die Neuausrichtung des Städtebaus. Dazu veranlaßte er beispielsweise die Wohnungs- und Gebäudezählung des Jahres 1968, auf die noch zurückzukommen sein wird. Er vergab eine Anzahl von Forschungsaufträgen, und ab 1969/70 veröffentlichte sein Ministerium eine stetig steigende Zahl regelmäßiger Fachberichte, etwa den Bauforschungsbericht und den Städtebaubericht.73 Dabei griff Lauritzen in hohem Maße auf das enge Geflecht von Experten zurück, das sich zwischen Gewerkschaften, SPD und Gemeinnützigen gebildet hatte und in dem Vertreter der NH eine überaus bedeutsame Rolle spielten. Die Entstehungsgeschichte des Städtebauberichts von 1970 macht dies deutlich: Der Entwurf für diesen Bericht stammte vollständig aus den Schreibstuben der von der NH kontrollierten Gewos, die auch an einer ganzen Reihe weiterer, zum Teil auf ihre eigene Initiative hin eingerichteter Forschungsprojekte maßgeblich beteiligt war.74 Zudem war die Gewos, wie erwähnt, auch ein Ort der personellen Vernetzung – und zwar nicht nur mit potentiellen Auftraggebern, sondern auch mit der Wohnungs- und Städtebaupolitik des Bundes. Im Kuratorium des Vereins hatte Vietor alle diejenigen versammelt, die in dieser Hinsicht Rang und Namen hatten: Ewald Bucher, von 1965 bis 1966 kurzzeitig Wohnungsbauminister, gehörte ihm ebenso an wie Oscar Schneider, der wohnungspolitische Sprecher der CDU/CSU-Bundestagsfraktion; Louis Storck und Hubert Abreß, beide nacheinander Staatssekretäre im Bundesministerium für Wohnungswesen, Städtebau und Raumordnung; Josef Stingl, ab 1968 Präsident der Bundesanstalt für Ar-

70 Das Dokument ist abgedruckt in NHM 1968,1, S. 35–36. 71 Entschließung „Wohnungswesen und Städtebau“ des Bundesparteitages der SPD, NHM 1968,4, S. 40. 72 Vgl. Städtebau- und Wohnungsprogramm der SPD, NHM 1969,7, S. 49–52. Zusammenfassend zur Wohnungs- und Städtebaupolitik der SPD in diesem Zeitraum vgl. auch Krummacher 1978, S. 233 ff. 73 Vgl. Bundesminister für Wohnungswesen und Städtebau (Hg.), Städtebaubericht, Bonn 1969 sowie ders. (Hg.), Bauforschungsbericht, Coburg 1969. 74 Vgl. Schreiben Dr. Tilse an den Leiter der Abteilung II des Städtebauministeriums, betr. Forschungsbericht der GEWOS „Wissenschaftliche Grundlagen einer städtebaulichen Reformpolitik“, 13.8.1970, BAK B 134–9217 – Gewos sowie die in der gleichen Mappe vorzufindenden Berichtsentwürfe der Gewos.

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beit; Joachim Teske, der Präsident des Verbandes Norddeutscher Wohnungsunternehmen sowie eine Reihe illustrer Vertreter aus Kommunen und Banken.75 Es steht außer Zweifel, daß die NH auf diesem Wege großen Einfluß auf die Politikformulierung des von Lauritzen geführten Städtebauministeriums erlangte. Lauritzens Nachfolger Hans-Jochen Vogel berichtete später gar, die NH habe das Ministerium zu diesem Zeitpunkt als eine Art „nachgeordnete Dienststelle des Vorstandes“76 behandelt. Das war sicherlich übertrieben, aber zweifelsohne hatte die NH in einigen zentralen Angelegenheiten ein gewichtiges Wörtchen mitzureden. Das galt vor allem für die von Lauritzen 1966 wieder aufgegriffenen Pläne seines Vor-Vorgängers Paul Lücke für eine staatliche Sanierungsförderung, auf die an anderer Stelle noch näher einzugehen sein wird.77 Allerdings ist auch hier festzustellen, daß die grundsätzliche Stimmungslage die Einflußnahme durch die NH erheblich erleichterte. Zwar wurden Maßnahmen zur Sanierungsförderung erst 1971, also zwei Jahre nach dem Antritt der sozialliberalen Koalition, in Form des Städtebauförderungsgesetzes verabschiedet. Aber die Diskussion über dieses Gesetz zeigte schon zu Zeiten der Großen Koalition sehr deutlich, daß zwischen NH, DGB, Gemeinnützigen und SPD in grundsätzlichen Fragen ein sehr weitgehender Gleichklang herrschte. Und dieser Gleichklang war, wie die programmatischen Stellungnahmen der genannten Institutionen zeigten, maßgeblich darauf zurückzuführen, daß diese die These der NH von der Wachstumsrelevanz und der gesellschaftspolitischen Grundlagenfunktion des Wohnungs- und Städtebaus und vor allem der Sanierungen ohne Abstriche teilten.78 Nicht nur Lauritzen, sondern eine breite Front von Wohnungspolitikern aller Couleur begründete die Notwendigkeit städtebaulicher Sanierungen nicht mehr allein mit ihrem unmittelbaren Effekt auf die wohnungs- und städtebauliche Versorgung, sondern glaubten in dem u. a. durch die Sanierungen möglichen Ausbau der öffentlichen Infrastruktur „geradezu die ultima ratio des Sozialstaats und einen Abschluß der ‚sozialen Frage‘ zu sehen.“79 Die „bessere und schönere Welt“, die Vietor versprochen hatte – sie schien unmittelbar vor der Tür zu stehen. 5.1.4 Speerspitze des Fortschritts: Die NH als „Instrument gewerkschaftlicher Strukturpolitik“ Die NH entwickelte also „im Gleichklang mit herrschender Städtebaupolitik“80 eine erkennbar neue Konzeption des Wohnungs- und Städtebaus. Doch wie sah sie ihre eigene Rolle in diesem Rahmen, und welche Konsequenzen ergaben sich daraus für ihre Tätigkeit im Städtebau? 75 Vgl. PUA HH, S. 411. 76 Hans-Jochen Vogel, zit. nach Kunz 2003, S. 71. Vgl. auch Hans-Jochen Vogel, Nachsichten. Meine Bonner und Berliner Jahre, München/Zürich 1996, S. 27 ff. Vogels Nachfolger Karl Ravens hat dies allerdings nicht so empfunden, vgl. Interview mit Karl Ravens, 17.10.2003. 77 Vgl. Kap. 5.3.1.1 dieser Arbeit. 78 Vgl. Bundesminister für Wohnungswesen und Städtebau 1969. 79 Laak 2001, S. 367 (Hervorhebung im Original). 80 Richter 1992, S. 202. Vgl. auch Fuhrich 1983, S. 123.

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Zunächst konnte kein Zweifel daran bestehen, daß Strukturpolitik eine genuin staatliche Aufgabe war, und das wurde von der NH auch anerkannt. Konsequenterweise verband die Unternehmensgruppe ihre diesbezüglichen Überlegungen mit der Forderung, daß „der Staat bessere Voraussetzungen für Städtebau und Strukturpolitik schafft“.81 Darunter verstand sie vor allem zwei Dinge: erstens die von ihr mit Nachdruck betriebene Verabschiedung des Städtebauförderungsgesetzes; und zweitens einen neuen rechtlichen Rahmen für die Bodenordnung, die sie als eines der Haupthindernisse für einen Städtebau nach ihren Vorstellungen betrachtete. Die NH machte sich indes keine Illusionen darüber, daß dies trotz des geschilderten Konsenses problematisch sein würde. Sie ging vielmehr davon aus, „daß die Voraussetzungen seitens des Staates nur sehr zögernd geschaffen und also für die nächsten Jahre noch nicht zur Verfügung stehen werden“.82 Und genau hier sah die Geschäftsführung nun das, was ihr in den Jahren zuvor abhanden gekommen schien: einen genuinen „Auftrag für die sozial handelnde Bauherrenschaft“.83 Denn gerade weil der Staat seinen Aufgaben offensichtlich nicht nachkam, mußte es nach ihrer Auffassung die Aufgabe gesellschaftlicher Gruppen sein, dieses Vakuum auszufüllen. „Die zu einem sozialen Handeln verpflichteten großen Bauträgerorganisationen“, erläuterte Vietor diese Sichtweise, „sollten sich auch nicht darauf beschränken, auf öffentliche Mittel zu warten. Es genügt heute nicht mehr, auf Marktgewinne zu verzichten und kostendeckend zu arbeiten, um wirklich sozial zu handeln. Dem Allgemeinwohl dienen heißt auch und vor allem, das alles selbst tun, was man selbst und vielleicht sogar besser tun kann und es nicht der öffentlichen Hand aufbürden.“84 Der NH kam, wie die Geschäftsführung es sah, in dieser Hinsicht eine Sonderrolle zu – eine Sonderrolle, die zum einen in ihrer Eigenschaft als gewerkschaftseigener Betrieb und zum anderen in ihrer Eigenschaft als mit Abstand größtes Wohnungs- und Städtebauunternehmen begründet lag. Ihre Größe spielte aus Gründen eine Rolle, die ähnlich gelagert waren wie bei ihrem Einstieg in den Städtebau in den frühen sechziger Jahren. Alle städtebaulichen Maßnahmen waren ja nun nicht mehr nur als einzelne Bauprojekte zu betrachten, sondern als Teil eines „integrierten Städtebaus“, der diese unter dem Gesichtspunkt ihrer gesamtwirtschaftlichen Relevanz ordnen sollte und daher – so erläuterte es Harro Iden, der Finanzvorstand der NH – einer umfassenden Städtebau-, Wirtschafts- und Regionalplanung bedurfte. Damit waren die kommunalen Bauämter vollends überfordert, und so lautete Idens Schluß, daß solchermaßen umfassende Aufgaben eines Unternehmenstypus bedurften, der als „Treuhänder“ der öffentlichen Hand Finanzierung, Planung und Durchführung integrierter städtebaulicher Projekte übernahm. Aus den „umfassenden Aufgaben des Städtebaus“, schrieb er, „ergibt sich

81 Exposé „Grundsätze der Unternehmenspolitik“, 18.9.1967, DGBA-BV, Abt. Finanzen, 24/449, S. 4. 82 Ebd. 83 Ebd., S. 1. 84 Albert Vietor, Stadterneuerung – wirtschaftliche Probleme und Lösungen. Vortrag anläßlich der Internationalen Bau-Fachausstellung CONSTRUCTA II in Hannover, 23.1.1967, FZH 592–30 V, S. 22 (Hervorhebungen im Original unterstrichen).

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der Begriff des Städtebauunternehmens“, dessen „Zweck die Gestaltung des baulichen Raumes im weitesten Sinne des Wortes ist.“85 Daß die NH nun die Position eines solchen Städtebauunternehmens einnehmen sollte, war auf der Basis dieser Argumentation eine pure Selbstverständlichkeit. Schon bevor die Idee eines integrierten Städtebaus Fuß fassen konnte, war sie als einzige in Deutschland der Idee des integrierten Städtebauunternehmens recht nahe gekommen. Unter den neuen Voraussetzungen trieb sie den Aus- und Umbau zu diesem Ziel nunmehr planmäßig voran. Im Juni 1966 – zu einem Zeitpunkt, zu dem sich eine unübersehbare Eintrübung der wirtschaftlichen Zukunftsaussichten und ein Rückgang des Wohnungsbaus abzeichnete – beschloß der Aufsichtsrat der NH, die Geschäftsführung solle sich um eine „Ausdehnung der Bauleistung in der Unternehmensgruppe um jährlich etwa 10%“86 bemühen. Ziel war es, das Unternehmenswachstum zu beschleunigen und so die Voraussetzungen für eine Übernahme städtebaulicher Großprojekte weiter zu verbessern. Doch es war nicht allein ihre Größe, die die NH in eine Sonderrolle drängte. Das zeigte sich wiederum am Beispiel des Alsterzentrums mit besonderer Deutlichkeit. Denn nicht nur seine Ästhetik machte dieses Projekt bemerkenswert. Bezeichnender noch waren die Begleitumstände. Sie gaben einen unmittelbaren Hinweis darauf, welche Rolle die NH für sich selbst sah und welche strategische Orientierung sie in den folgenden Jahren einschlagen würde. Zwar galt St. Georg auch dem Senat der Hansestadt als sanierungsbedürftig. Dennoch hatte dieser keineswegs der NH den Auftrag erteilt, Vorschläge für eine Neugestaltung des Stadtteils zu unterbreiten. Die NH hatte von sich aus begonnen, das Gebiet zu untersuchen und einen Sanierungsplan zu erstellen. Das war kein Zufall, sondern hatte System: Es war die erklärte Absicht der Unternehmensgruppe, in Zukunft verstärkt an Gemeinden heranzutreten, um sie für ihre Planungen zu gewinnen.87 Diese Absicht deutete darauf hin, daß ihr Selbstverständnis über das eines „Treuhänders“ öffentlicher Aufgaben weit hinausging, und das hing unmittelbar mit ihrer Eigenschaft als gewerkschaftliches Unternehmen zusammen. Denn ebenso häufig wie darauf, daß die NH ihre Aufgabe in der Umsetzung strukturpolitischer Maßnahmen der öffentlichen Hand erkenne, verwies der Vorstand darauf, daß sie auch ein „Instrument der gewerkschaftlichen Strukturpolitik“88 sei. Die NH beanspruchte also für sich, Strukturpolitik auch qua eigenem Recht betreiben zu können. Zwar war ihr das nicht in ähnlichem Umfang möglich wie der öffentlichen Hand, sondern nur in der Form von Beispielen. Diese Beispiele sollten es dafür aber, salopp gesagt, in sich haben: Sie sollten die These der Gewerkschaften von der Rolle des Städtebaus als zentralem gesellschaftspolitischem Faktor unter Beweis stellen. Und das konnte nach Auffassung der NH – und auch des DGB, der sich diese Sichtweise 1969 mit den bereits erwähnten Leitsätzen zur Strukturpoli-

85 Harro Iden, Verbesserung der Infrastruktur als Aufgabe des Städtebauunternehmens, Der langfristige Kredit 20.1969, S. 633–635, hier S. 633. 86 Protokoll AR NHH, 10.6.1966, IGM ZwA 2/17 286, S. 14. 87 Vgl. auch die Scheiner/Schmidt 1974, S. 138 ff. geschilderte Vorgehensweise der NH im Falle der Sanierung von Köln-Alt-Ehrenfeld. 88 Protokoll AA NHH, 30.6.1965, IGM ZwA 2/17 265, S. 9 (meine Hervorhebung).

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tik zu eigen machte – durchaus die „u. U. grundlegende Veränderung der Wirtschafts- und Bevölkerungsstruktur ganzer Städte und Regionen“89 bedeuten! Auf die Setzung solcher Beispiele hin orientierte der Vorstand nun die strategische Ausrichtung des Unternehmens. So begründete er seine Initiative hinsichtlich des Alsterzentrums;90 so war der Expansionsbeschluß des Aufsichtsrates zu verstehen; und aus dieser Maßgabe leitete der Vorstand den zukünftigen Stellenwert des Unternehmens im Wohnungs- und Städtebau ab. Ganz eindeutig sah sich die NH dabei als die Speerspitze des städtebaulichen und damit des gesellschaftlichen Fortschritts. „Die Unternehmensgruppe NEUE HEIMAT“, führte ein Exposé über die Grundsätze der Unternehmenspolitik vom September 1967 aus, „hat den Auftrag, Pionierarbeit und Beispielarbeit zu leisten. Sie kann nicht abwarten, bis die skizzierten Hemmnisse ihrer städtebaulichen Arbeit behoben sind. Sie muß vorangehen.“91 An dieser Maßgabe orientierte der Vorstand seine weitere Vorgehensweise. Was dies in erster Linie bedeuten mußte, machte das Exposé ebenfalls klar: Gerade weil mit der Erfüllung ihrer politischen Forderungen in der nächsten Zeit nicht zu rechnen war, stellte es die Forderung auf, daß sich die Unternehmensgruppe „eine neue Organisationsform zulegen muß, die sie in die Lage versetzt, ihren sozialpolitischen Auftrag zu erfüllen.“92 Diese Zielsetzung genoß in den folgenden Jahren höchste Priorität. Dabei spielte, wie zu zeigen sein wird, auch die Tatsache eine Rolle, daß diese Vorgehensweise die Möglichkeit bot, dem Problem des voraussichtlichen Rückgangs der Wohnungsbautätigkeit zu begegnen. Aber die Form, die diese Expansion annahm, zeigte sehr deutlich, daß die politische Ideologie des Unternehmens hierfür von zentraler Bedeutung war.93 Dies zu zeigen, ist der Gegenstand des nächsten Abschnitts.

89 Zielsetzungen des DGB im Wohnungs- und Städtebau sowie in der Regional- und Strukturpolitik, Vorlage zur Sitzung des DGB-Bundesausschusses, 5.9.1973, DGBA-BV, Abt. Vorsitzender, 5/DGAI 412. Die Datierung ist irreführend. Es handelt sich bei dem Dokument um eine Synopse zwischen 1966 und 1969 entstandener programmatischer Vorstellungen. 90 Vgl. Protokoll AR NHH, 10.6.1966, IGM ZwA 2/17 286, S. 10. 91 Exposé „Grundsätze der Unternehmenspolitik“, 18.9.1967, DGBA-BV, Abt. Finanzen, 24/449, S. 3. 92 Ebd. 93 Das ist auch gut daran zu erkennen, daß die eher konservativ ausgerichtete GAGFAH, die vom Rückgang der Wohnungsbautätigkeit ebenso betroffen war, aber diese Ideologie nicht teilte, für ihre Zukunftsplanung zu diesem Zeitpunkt sehr viel engere Grenzen steckte als die NH. Vgl. die Ausführungen über „Künftige Aufgaben“ in GAGFAH 1968, S. 115 ff. Ähnliches galt auch für die Wohnungsbaugesellschaften der katholischen Siedlungsbewegung, die zugleich die Schwierigkeiten kleinerer Unternehmen in diesem Zeitraum exemplarisch aufzeigen, vgl. Schillinger 2001, S. 626 ff.

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5.2 EXPANSION UND ZENTRALISIERUNG: DIE NH ALS „INTEGRIERTER STÄDTEBAUKONZERN“ 5.2 EXPANSION UND ZENTRALISIERUNG 5.2.1 Der Weg zum „Gleichordnungskonzern“ 5.2.1.1 Probleme der Konzernbildung Mit ihrer in der ersten Hälfte der sechziger Jahre entstandenen Struktur konnte die Unternehmensgruppe längst nicht alle im Rahmen der nunmehr angepeilten Zielsetzungen anfallenden Aufgaben aus einer Hand erledigen. Die NH befand sich im Gegenteil organisatorisch in einer Art permanentem Ausnahmezustand. Die NHK, die einen Großteil der außerhalb des WGG liegenden Projekte der NH übernommen hatte, beruhte auf einer zeitlich befristeten Ausnahmegenehmigung; Gesellschaften, die wie die Gewerbebauträger GmbH oder die geplante Gesellschaft für Industrieansiedlung eine zentrale Rolle in vielen Großprojekten spielten und faktisch zum Konzernverbund gehörten, waren diesem aus gemeinnützigkeitsrechtlichen Gründen nicht eingegliedert; und schließlich bestand unter der Führung der Bewobau noch ein in der Zwischenzeit zu ansehnlicher Größe gewachsener gewerblicher Bauträgerkonzern, dessen Verbindungen mit der NH sich hart am Rande der Legalität bewegten. Tatsächlich hatte die Geschäftsführung der Unternehmensgruppe deshalb schon vor der Rezession erste Überlegungen zu einer Neuordnung des Konzerns angestellt. Sie verfolgten ein doppeltes Ziel: Erstens sollte der Handlungsspielraum, der dem Unternehmen für eine Betätigung im Städtebau zur Verfügung stand, erweitert werden; und zweitens sollten die Abläufe im Unternehmen, die angesichts der organisatorischen Zersplitterung aus dem Lot zu geraten drohten, verbessert werden, und zwar vor allem durch eine Integration der gewerblichen Gesellschaften in die Konzernstruktur.94 Im Frühjahr 1966 gab die Geschäftsführung der NH deshalb bei der Allgemeinen Treuhandgesellschaft (ATH) ein Gutachten in Auftrag, das die Möglichkeiten einer Neuorganisation und insbesondere einer Einbeziehung des gewerblichen Bauträgerkonzerns in die Unternehmensgruppe untersuchen sollte.95 Als zentrales Problem einer solchen Neuorganisation entpuppte sich der § 4 des Wohnungsgemeinnützigkeitsgesetzes, die sogenannte AdB-Regel. Sie besagte, daß gemeinnützige Wohnungsunternehmen nicht unter dem überwiegenden Einfluß von Angehörigen des Baugewerbes – AdB – stehen durften. Als Angehörige des Baugewerbes galten Personen, die unmittelbar oder mittelbar den Wohnungsbau (gemeint war hier die Baudurchführung), die Herstellung von und den Handel mit Baustoffen oder sonstige Geschäfte für den Wohnungsbau betrieben. Dadurch sollte verhindert werden, daß die beherrschende Einflußnahme eines Angehörigen des Baugewerbes von diesem dazu ausgenutzt werden konnte, auf Kosten des gemeinnützigen Wohnungsunternehmens Gewinne zu erzielen.96 94 Vgl. PUA HH, S. 241. 95 Vgl. ebd. 96 Vgl. Gesetz über die Gemeinnützigkeit im Wohnungswesen vom 29.2.1940, § 4, RGBl. I, S. 438–442, hier S. 438 sowie PUA HH, S. 237.

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Obwohl im einzelnen umstritten war, was genau ein Angehöriger des Baugewerbes sei – die Aufzählung im Gesetzestext war nicht abschließend –, gehörten die Mitglieder der Geschäftsführung aufgrund ihrer verdeckten Beteiligungen an dem gewerblichen Bauträgerkonzern mit der Bewobau als Spitze eindeutig zu dieser Kategorie.97 Diese Beteiligungen stellten daher einen klaren Gesetzesbruch dar. Das blieb zwar aufgrund ihrer klandestinen Natur ohne unmittelbare Folgen; aber es erschwerte massiv die Suche nach einer neuen Organisationsform. Das Gutachten der ATH fand keinen gangbaren Weg, den gewerblichen Bauträgerkonzern mit dem gemeinnützigen Konzern zu verklammern und gleichzeitig dem § 4 des WGG gerecht zu werden.98 Diese scheinbar unüberwindlichen Probleme veranlaßten die Geschäftsführung, ihre Neuordnungspläne zunächst fallenzulassen. Erst die strategische Neuorientierung der Unternehmensgruppe hin zu einem „Instrument der gewerkschaftlichen Strukturpolitik“ gab der Diskussion einen neuen Anstoß. Bei der Vorlage des Exposés über die Grundlagen der Unternehmenspolitik im September 1967 ließ Vietor keinen Zweifel daran, daß als unmittelbare Folge des neu erdachten Konzepts der „gewerkschaftlichen Strukturpolitik“ eine radikale Umstrukturierung der Unternehmensgruppe erforderlich sei.99 Wie recht er mit dieser Einschätzung hatte, zeigte sich besonders deutlich an dem Projekt, das die Geschäftsführung seit 1966 als das neben dem Alsterzentrum wohl wichtigste Aushängeschild ihrer strukturpolitischen Konzeption betrachtete: am niedersächsischen Hochschulausbau, von dem in anderem Zusammenhang noch ausführlicher die Rede sein wird.100 Hier genügt der Hinweis, daß die niedersächsische Landesuniversität in Göttingen und die beiden Technischen Hochschulen des Landes in Braunschweig und Hannover angesichts steigender Studentenzahlen jahrelang überlastet waren. Nach längerem Hin und Her hatte die Landesregierung deshalb im März 1967 mit der Unternehmensgruppe einen äußerst umstrittenen Vertrag abgeschlossen, mit dem sich die NH als Generalunternehmer verpflichtete, die erste der vorgesehenen drei Stufen des Hochschulausbaus zum Festpreis von 971,1 Mio. DM zu übernehmen. Angesichts dieses enormen Auftragsvolumens hatte die vom Land mit dem Projekt beauftragte Niedersächsische Hochschulbaugesellschaft darauf bestanden, daß die Muttergesellschaft, also die gemeinnützige NHH, und nicht die eigentlich zuständige NHK ihr Vertragspartner würde.101 Formal benötigte das Unternehmen hierfür eine Ausnahmebewilligung von der Baubehörde. Die wurde ihr von dieser auch erteilt, weil die NH bereits Fakten geschaffen hatte und die Behörde dem Hochschulausbau aus politischen Gründen keine Steine in den Weg legen wollte.102 Aber selbst den so bereitwilligen Hamburgischen Beamten war offenbar klar, daß damit die Limiten des Gemeinnützigkeitsgesetzes ausgereizt, ja überschritten waren. Denn was konnte weiter von der

97 98 99 100 101 102

Vgl. ebd., S. 241. Vgl. ebd. Vgl. Protokoll AA NHH, 28.9.1967, IGM ZwA 2/17 280, S. 8. Vgl. Kap. 5.3.2.1 dieser Arbeit. Vgl. Protokoll AA NHH, 28.9.1967, IGM ZwA 2/17 280, S. 3. Vgl. PUA HH, S. 520.

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Intention des WGG entfernt sein als dieses Bauvorhaben – das volumenmäßig größte, das Deutschland bis dahin je gesehen hatte?103 Die Baubehörde, vor allem aber die Oberfinanzdirektion, die schon der Gründung der NHK skeptisch gegenübergestanden hatte, machte der NHH nun unmißverständlich klar, daß sie nicht gewillt waren, weitere Projekte dieser Art zu billigen. Staatsrat Mestern von der Baubehörde schrieb an Vietor: „Ob in Zukunft Ausnahmen von den Vorschriften des Wohnungsgemeinnützigkeitsgesetzes in dem von ihnen gewünschten Umfang überhaupt erteilt werden können, erscheint mir sehr zweifelhaft. Ich möchte sie daher bitten, dieser Situation bei ihren künftigen Dispositionen Rechnung zu tragen.“104 Damit hatte die Behörde der NH faktisch ein Ultimatum gesetzt. Sie forderte die Unternehmensgruppe auf, „durch eine Umstrukturierung des Konzerns künftig gemeinnützigkeitsrechtliche Schwierigkeiten bei Übernahme derartiger Aufgaben“105 zu vermeiden. Eine weitere Verzögerung der Neuorganisation konnte sich die NH von diesem Zeitpunkt an nicht mehr leisten. Ein Verzicht auf den gemeinnützigen Status kam allerdings auch nicht in Frage – schon allein deshalb nicht, weil das gesamte Vermögen der Unternehmensgruppe (bis auf das nominale Stammkapital von 1968 300 Mio. DM) dann gemäß den Bestimmungen des WGG unter treuhänderische Verwaltung gefallen wäre.106 Die organisatorische Entwicklung der NH in dieser Phase der Unternehmenspolitik war daher von der Bemühung geprägt, den Spagat zwischen der Erhaltung der Gemeinnützigkeit einerseits und der Ausweitung der städtebaulichen Angebotspalette andererseits zu schlagen. Über die Frage, wie diese Probleme organisatorisch zu bewerkstelligen waren, bestand allerdings nach wie vor keine Klarheit.107 Die Geschäftsführung machte sich deshalb nunmehr daran, einen Suchprozeß in die Wege zu leiten. An dessen Ende sollte eine Organisationsform stehen, die sowohl die Gemeinnützigkeit der Unternehmensgruppe erhielt als auch ihren organisatorischen Ausnahmezustand beendete – und gleichzeitig eine möglichst unbegrenzte Bautätigkeit auf möglichst allen Bereichen vom Wohnungsbau über die Industrieansiedlung bis hin zur Neuordnung von Städten und Wirtschaftsregionen ermöglichte. Nebenbei mußte diese Lösung wie immer für die Gewerkschaften kostenneutral sein und die Voraussetzungen für eine in Aussicht gestellte Änderung des Bilanzrechtes schaffen.108 Das nahm sich wie eine Quadratur des Kreises aus; der hauptsächliche Sinn und Zweck des Gesetzes, das die Grundlage der Unternehmensorganisation der NH bildete, lag schließlich darin, genau das zu verhindern, was Vietor und Co. nun vorhatten. Allerdings hatte der Gesetzgeber dabei wohl kaum ein Unternehmen von der Größenordnung der NH vor Augen gehabt, das es sich erlauben konnte, eine Heerschar von Hausjuristen und Gutachtern mit der Frage zu befas103 Zusammenfassend zur gemeinnützigkeitsrechtlichen Problematik des Falls Niedersachsen vgl. ebd., S. 525 ff. 104 Zit. nach Protokoll AA NHH, 28.9.1967, IGM ZwA 2/17 280, S. 3. Vgl. auch PUA HH, S. 245. 105 PUA HH, S. 520. 106 Zum nominalen Stammkapital vgl. GB 1968, S. 95. 107 Vgl. Protokoll AA NHH 28.9.1967, IGM ZwA 2/17 280, S. 8. 108 Vgl. ebd.

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sen, wie sie ihren „integrierten Städtebaukonzern“ systematisch um das WGG herum konstruieren konnte.109 Ein schlechtes Gewissen machte sich bei der NH deshalb niemand. Schließlich waren die Akteure samt und sonders davon überzeugt, daß „integrierter Städtebau“ nichts weiter war als eine zeitgemäße Übersetzung von „Wohnungsgemeinnützigkeit“. Da sie mit einer schnellen Änderung der gesetzlichen Lage kaum rechnen konnten und dies für ein schwerwiegendes Versäumnis des Gesetzgebers hielten, waren sie von vornherein bereit, wenn schon nicht zum offenen Bruch, so doch zur bewußten Umgehung des WGG zu schreiten. Vietor hatte ja oft genug darauf hingewiesen, daß sich die Unternehmensgruppe von den Vorgaben des WGG nicht behindern lassen dürfe; im Zusammenhang mit der Ausnahmebewilligung für den niedersächsischen Hochschulausbau vertrat er gegenüber dem AfW sogar die Auffassung, „daß die Zeit geradezu die Vorwegnahme der Ausweitung des gemeinnützigkeitsrechtlichen Tätigkeitsbereichs durch Ausnahmebewilligungen erfordere.“110 Mit dieser Deutung war die NH keineswegs alleine. Schließlich befand sich die Diskussion über das Gemeinnützigkeitsrecht ohnehin im Fluß.111 So gehörte auch der VNW zu denjenigen, die die Meinung der NH in diesem Punkt teilten. Es verwundert deshalb nicht, daß sich die NH Anfang November 1967 – also in unmittelbarem zeitlichem Zusammenhang mit der Verabschiedung der neuen unternehmenspolitischen Grundsätze Ende September 1967 – an den VNW wandte und den Verbandsdirektor Alfred Brillau und den Prüfungsdienstleiter Joachim Teske um die Anfertigung eines Gutachtens bat, „dessen Ziel es ist, nach organisatorischen, wirtschaftlichen, steuer- und gemeinnützigkeitsrechtlichen Gesichtspunkten zu prüfen, wie die gemeinnützigen NEUE HEIMAT-Gesellschaften und ihre befreundeten Unternehmen zweckentsprechend zu einem einheitlichen Konzern zusammengefaßt werden können“.112 Auch hier spielte also die Frage der Integration des verdeckt aufgebauten gewerblichen Bauträgerkonzerns (nichts anderes war mit den „befreundeten Unternehmen“ gemeint) eine zentrale Rolle. Der Weg über den VNW eröffnete der NH einige Vorteile. So waren Teske und Brillau der NH, die mit Abstand das größte und bedeutendste Mitglied des Verbandes war, seit langem freundschaftlich verbunden und nahmen regelmäßig an Aufsichtsratssitzungen, in denen die Prüfungsberichte des Verbandes besprochen wurden, teil.113 Zudem konnte es als sicher gelten, daß das Amt für Wohnungswesen den VNW im Falle eines Antrages der NH auf Erteilung einer Ausnahmebewilligung zur Gründung einer neuen Gesellschaft um eine Stellungnahme bitten würde. Ein konzertiertes Vorgehen von NH und VNW steigerte daher die Realisierungschancen für den ins Auge gefaßten Umbau des Gesamtkonzerns. 109 Vgl. Rechnungshof der Freien und Hansestadt Hamburg, Gutachten über die Aufgabenwahrnehmung der beteiligten Hamburger Behörden bei der Aufsicht über die „Neue Heimat“, Hamburg 1983, S. 101. 110 Zit. nach PUA HH, S. 520. 111 Auch die AdB-Regel, die den Spielraum der NH beschränkte, stand im Zuge dieser Diskussionen zur Disposition. Vgl. dazu die Niederschrift über die Sitzung der Fachkommission „Gemeinnützigkeitsrecht“, 1./2.2.1971, BAK B 226–34, S. 9. 112 Protokoll AA NHH 2.5.1968, DGBA-BV, Abt. Finanzen, 24/449, S. 6. 113 Vgl. PUA HH, S. 87 ff., hier v. a. S. 96.

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Tatsächlich war es deshalb der VNW und nicht die NH, der die ersten Gespräche mit dem AfW über die Umstrukturierung der NH führte. 114 Auf der Grundlage dieser Gespräche und umfangreicher verbandsinterner Vorarbeiten unterbreitete Teske der NH im Mai 1968 ein Exposé, das einen Ausweg aus der organisatorischen Sackgasse versprach, in der sich die Unternehmensgruppe befand.115 Im Kern lief sein Vorschlag darauf hinaus, die Bewobau zu einer Holdinggesellschaft auszubauen, die als Dach über den gemeinnützigen Konzernteil einerseits und einen nach dem gleichen regionalen Muster aufzubauenden nicht-gemeinnützigen Konzernteil andererseits gesetzt werden. sollte. Die Bewobau sollte also die Konzernleitungsaufgaben, die bisher die NHH wahrgenommen hatte, übernehmen.116 Die gemeinnützigen Gesellschaften blieben unverändert, bekamen aber die gewerblichen Bauträgergesellschaften als zweiten Konzern beigeordnet. Die Klammer dieser beiden Konzerne bildete die Bewobau. Diese Grundidee war mit einer Fülle von zusätzlichen Regelungen so auszugestalten, daß sie nicht mit dem WGG in Konflikt kam. Beispielsweise sollte die Bewobau zwar 100% des Kapitals des gemeinnützigen Konzernteils halten, aber nur unter 50% der Stimmrechte ausüben dürfen. Auf diese Weise sollte das Problem umgangen werden, daß die Bewobau in jedem Falle als Angehöriger des Baugewerbes gelten würde und somit keinen bestimmenden Einfluß auf die gemeinnützigen Gesellschaften erlangen durfte. Auch bei der Besetzung der Aufsichtsräte und der Geschäftsführungen der gemeinnützigen Gesellschaften war dieser Punkt zu beachten. Eine Gewinnbeschränkung, wie sie für die NHK 1964 noch als symbolische Anlehnung an das WGG beschlossen worden war, kam für die Bewobau allerdings nicht mehr in Frage. Im Hinblick auf ihre Steuerpflicht müsse, so führte Teske aus, „darauf Bedacht genommen werden, ihr ertragsfähige Funktionen zu übertragen, so daß eine ausreichende Rendite des einzusetzenden Kapitals gewährleistet wird“.117 Die steuerliche Belastung der Erträge, so erklärte Teske vor dem Aufsichtsrat, werde bei 50–60% liegen.118 Dieser letzte Punkt offenbarte eine von zwei gravierenden Schwachstellen von Teskes Entwurf. Seine Überlegungen zur Rendite des Unternehmens beruhten nämlich auf der Feststellung, daß das Konzept für die Gewerkschaften alles andere als kostenneutral war. Es sah vor, das Kapital der Bewobau durch die Einbringung der Anteile der VTG, des DGB und der Einzelgewerkschaften sukzessive zu erhöhen, ging jedoch davon aus, daß gleichzeitig „[i]m Hinblick auf die besonderen Aufgaben der Obergesellschaft (...) eine weitere Kapitalzuführung erforderlich 114 Vgl. ebd., S. 241. 115 Vgl. Exposé über eine Neugestaltung der Unternehmensgruppe Neue Heimat, 2.5.1968, DGBA-BV, Abt. Finanzen, 24/449. Zur Autorschaft Teskes und dem gesamten Vorgang vgl. PUA HH, S. 241 ff. Die Darstellung bei Richter 1992, S. 221 ff., ist insofern unvollständig, als die „Bewobau-Lösung“ nicht diskutiert ist. 116 Vgl. Exposé über eine Neugestaltung der Unternehmensgruppe Neue Heimat, 2.5.1968, DGBA-BV, Abt. Finanzen, 24/449, S. 2 f. 117 Ebd., S. 3. Daraus allerdings zu folgern, das „Gewinnstreben“ sei das Hauptmotiv der Umgestaltung gewesen, wie es PUA BT, S. 54, tut, greift deutlich zu kurz und übersieht den politischen und ideologischen Kontext. 118 Vgl. Protokoll AR NHH, 3.5.1968, DGBA-BV, Abt. Finanzen, 24/449, S. 9.

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werden“119 würde – und zwar, wie Vietor im Arbeitsausschuß erläuterte, in der Größenordnung von etwa 20 Mio. DM. Zu einer solchen Kapitalzufuhr waren die Gewerkschaften nur unter der Bedingung einer angemessenen Rendite, die deutlich über die gemeinnützigkeitsrechtlich vorgesehenen 4% hinausgehen sollte, bereit. Und da, wie Hesselbach im Arbeitsausschuß ausführte, „die Dividendenhöhe für den gemeinnützigen Bereich festliege, müsse der Nützlichkeitsgrad des übrigen Geschäftsbereiches wesentlich höher liegen, um eine angemessene Dividende erzielen zu können“.120 Die Geschäftsführung glaubte, eine solch hohe Dividende des nicht-gemeinnützigen Teils – sie hätte laut Teske etwa 10% betragen müssen – durchaus erreichen zu können. Allerdings galt ihr dafür eine möglichst umfassende Ausdehnung des Geschäftskreises, die sie aufgrund ihrer politischen Zielsetzungen ja ohnehin anstrebte, als unerläßlich. In Teskes Entwurf war das – und das war seine zweite zentrale Schwachstelle – nur so zu bewerkstelligen, daß die Geschäftsführer des neuzugründenden nicht-gemeinnützigen Unternehmensteils im Sinne des WGG als Angehörige des Baugewerbes gelten mußten. 121 Das konfligierte mit einem anderen Ziel, das sich die NH für die Neuorganisation gesetzt hatte, nämlich die Einführung einer Personenidentität zwischen den Geschäftsführern und möglichst auch den leitenden Angestellten des gemeinnützigen und der nicht-gemeinnützigen Unternehmensteils. Diese Personenidentität war für die NH aus drei Gründen wichtig. Zum einen war es schlicht eine Frage der zur Verfügung stehenden Ressourcen: Mehr Geschäftsführer kosteten mehr Geld, und qualifiziertes Personal war – wie die nicht wenigen „Nieten“ unter den regionalen Geschäftsführern in der ersten Hälfte der sechziger Jahre gezeigt hatten – außerordentlich knapp. Zweitens drohte bei einer Inflationierung der Geschäftsführerposten wieder genau jenes Auseinanderdriften der Konzernteile, das durch die Neuorganisation bekämpft werden sollte. Und drittens wachten die bisherigen Geschäftsführer, wie sich im Verlauf der nunmehr entstehenden Diskussion zeigen sollte, eifersüchtig über ihre Kompetenzen. Besonders Walter Beyn, der seine besten Zeiten hinter sich hatte und deshalb aus der Führung der gewerblichen Gesellschaften herausgehalten werden sollte, wehrte sich mit Händen und Füßen „gegen eine Diskriminierung eines Teils der jetzigen Geschäftsführung“122 – und damit auch gegen den Entwurf Teskes, in dessen Rahmen die Personenidentität nicht zu bewerkstelligen war. Hinzu kam, daß die Geschäftsführung die Möglichkeiten einer konzernweit einheitlichen Willensbildung unter den Vorzeichen von Teskes Entwurf recht skeptisch beurteilte. Die Konstruktion der Mehrstimmrechte, führte Vietor aus, sei problematisch; dahinter verbarg sich offenbar die Befürchtung, der Einfluß der Konzernleitung auf den gemeinnützigen Unternehmensteil könne durch eine solche Konstruktion gefährdet werden. Auf jeden Fall widersprach der Entwurf Vietors Auffassung, daß für die gesamte Unternehmensgruppe eine straffe Führung und eine weitgehend zentrali119 Exposé über eine Neugestaltung der Unternehmensgruppe Neue Heimat, 2.5.1968, DGBABV, Abt. Finanzen, 24/449, S. 2. 120 Protokoll AA NHH, 2.5.1968, DGBA-BV, Abt. Finanzen, 24/449, S. 8. 121 Vgl. Exposé über eine Neugestaltung der Unternehmensgruppe Neue Heimat, 2.5.1968, DGBA-BV, Abt. Finanzen, 24/449, S. 2. 122 Protokoll AR NHH, 28.11.1968, DGBA-BV, Abt. Finanzen, 24/449, S. 11.

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5. „Wenn Sie wollen, können Sie bei uns eine komplette Stadt bestellen“

sierte Entscheidungsfindung vonnöten seien. Hinzu kam noch, daß im Rahmen dieses Entwurfes auch eine umsatzsteuerliche Organschaft für den Gesamtkonzern nicht in Frage kam und deshalb steuerliche Nachteile zu befürchten waren.123 Aus diesen Gründen entschied sich die Geschäftsführung, gegenüber dem AfW im Juli 1968 eine neue Variante ins Spiel zu bringen, die eine Reihe von gemeinnützigkeitsrechtlichen Problemen umgehen sollte.124 Nunmehr plante sie, den nicht-gemeinnützigen Teil in eine Holding einzugliedern, die ihrerseits eine Tochtergesellschaft der gemeinnützigen NH bilden sollte. Dabei ging sie zunächst weiterhin davon aus, daß die neue Gesellschaft in jedem Falle als Angehöriger des Baugewerbes gelten mußte, ja sie wollte dies sogar bewußt in Kauf nehmen, weil ihr die im gegenteiligen Fall eintretende „Einengung des Tätigkeitsbereiches unerwünscht“125 war. Der Unternehmenszweck der neuen Tochtergesellschaft sollte demzufolge weit gefaßt werden und „die Vorbereitung und Durchführung von städtebaulichen Großmaßnahmen aller Art im eigenen Namen oder im Wege der Betreuung, die Beteiligung an Unternehmen, welche den Gesellschaftszweck fördern und der Abschluß sowie die Abwicklung aller mit diesem Zweck zusammenhängenden Rechtsgeschäfte“126 beinhalten. Demgegenüber schlug das AfW vor, den Geschäftskreis des Unternehmens auf „Sanierung, neue Wohnstätten (Wohnstädte), Folgeeinrichtungen und sonstige bauliche Anlagen, die das Wohl der Allgemeinheit erfordert“127 zu beschränken. Diese Formulierung war offenkundig darauf bedacht, die Tochtergesellschaft in eine Form zu bringen, die es vertretbar erscheinen ließ, sie nicht als Angehörigen des Baugewerbes im Sinne des § 4 des WGG zu betrachten und so diese schwierige gemeinnützigkeitsrechtliche Frage zu lösen. Dies war der NH aber eindeutig zu eng. Sie wollte sich aus strategischen Gründen – und im Sinne ihrer neu formulierten Unternehmenskonzeption durchaus konsequent – den größtmöglichen Freiraum bewahren. Zudem war ein entscheidendes Motiv der Umstrukturierung die Integration des bereits vorhandenen, aber verdeckt operierenden gewerblichen Bauträgerkonzerns in den Gesamtkonzern – und ein wesentlicher Teil der in diesem Kreis versammelten Unternehmen waren nun einmal Angehörige des Baugewerbes.128 Da eine Ausnahmebewilligung der Anerkennungsbehörde auf dieser Grundlage nicht zu erwarten war, einigte sich die NH mit dem VNW auf eine andere Argumentationsstrategie. In dem Antrag auf Erteilung einer Ausnahmebewilligung, den die NH an den VNW gereicht hatte, damit dieser ihn zusammen mit einer Stellungnahme an das AfW weitergab, gestand sie offen ein, daß die Tochtergesellschaft und ihre Angestellten Angehörige des Baugewerbes sein würden; aber gleichzeitig erklärte sie diesen Umstand aufgrund der vorgesehenen Beteiligungsverhältnisse für irrelevant. Bei einer Tochtergesellschaft, so lautete ihr Argument, könne kaum unterstellt werden, daß die gemeinnützige Muttergesellschaft zu ihr

123 124 125 126 127 128

Vgl. ebd., S. 9. Vgl. PUA HH, S. 243. Besprechungsvermerk Papert (VNW), 19.9.1968, zit. nach ebd. Schreiben Vietors an das AfW, 22.7.1968, zit. nach ebd. Vermerk Papert (VNW), 26.8.1968, zit. nach ebd. Vgl. ebd.

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in Abhängigkeit geraten würde.129 Der VNW fügte dem noch eine Stellungnahme hinzu, in der er auf das Problem der Personenidentität einging. Er hielt die von der NH vorgeschlagene Regelung für unbedenklich. Sie widerspreche „nicht dem Grundgedanken der Gemeinnützigkeit“, da sie „im weiteren Sinne einen Dienst an der Allgemeinheit darstellen dürfte“ – ein Argument, das der Verband damit rechtfertigte, daß es sich auch „durch die im Rahmen der vorgesehenen Neuregelung des WGG zu erwartende Einbeziehung der Sanierung und Städtebauförderung ergeben“130 werde. Es war wiederum die Auffassung, daß „Wohnungsgemeinnützigkeit“ modern mit „integriertem Städtebaukonzern“ zu übersetzen sei, die hier zum Tragen kam. Den Beteiligten schien das so offensichtlich zu sein, daß sie der Meinung waren, eine gesetzliche Neuregelung nicht abwarten zu müssen, sondern sie in einer Art rechtfertigendem Notstand vorwegnehmen zu können. Es ist bezeichnend für die Reichweite dieser Denkfigur, daß selbst die Baubehörde bereit war, sich dieser juristisch höchst problematischen Argumentation anzuschließen.131 Allerdings intervenierte nun, wie schon im Falle der NHK, die Oberfinanzdirektion gegen diese Neuordnung. Sie machte steuerrechtliche Bedenken geltend, hielt die saubere Trennung zwischen der NH und der ins Auge gefaßten Tochtergesellschaft für nicht gegeben und wies zudem darauf hin, daß die Erteilung einer weiteren Ausnahmebewilligung der Ankündigung zuwiderlaufe, es habe sich beim Hochschulausbau in Niedersachsen um die letzte solche Ausnahme gehandelt. Deshalb sah die OFD für den Fall der Umsetzung der Pläne die Gemeinnützigkeit der Unternehmensgruppe insgesamt gefährdet. Da aber auch die Finanzbeamten die Motive der NH und die wachsende Bedeutung ihrer außerhalb des Wohnungsbaus befindlichen Arbeitsbereiche ausdrücklich anerkannten, legten sie eine Reihe von Vorschlägen vor, wie dem Problem aus ihrer Sicht zu begegnen sei.132 Diese Vorschläge bildeten die Grundlage für die nach dem „Modell Bewobau“ und dem „Modell Tochtergesellschaft“ dritte Konzeption der Neuordnung des Gesamtkonzernes, das „Modell NHS“. Diese dritte Konzeption war es dann auch, die Mitte 1969 umgesetzt wurde. Konkret schlug die Finanzbehörde vor, dem gemeinnützigen Konzern ein neuzugründendes Unternehmen – die später so genannte NEUE HEIMAT STÄDTEBAU, kurz NHS – als rechtlich, organisatorisch und personell völlig unabhängige Schwestergesellschaft, also gewissermaßen als „Parallelkonzern“ einfach zur Seite zu stellen. Als minimales Zugeständnis an die Koordination dieser beiden eigenständigen Konzerne war sie bereit, eine Personenidentität in den Spitzenpositionen der Geschäftsführung zu genehmigen und so NH und NHS rechtlich gesehen als einen sogenannten „Gleichordnungskonzern“ operieren zu lassen.133 Abgesehen von der sauberen organisatorischen Trennung des gemeinnützigen und des nichtgemeinnützigen Konzernteils führte sie hierfür als weiteres Argument ins Feld, daß die NHS bei dieser Lösung keinerlei Geschäftsbeschränkungen unterliege und 129 130 131 132 133

Vgl. ebd., S. 244. Schreiben des VNW an das AfW, 5.11.1968, zit. nach ebd. Vgl. ebd. Vgl. ebd., S. 245. Vgl. ebd. und Richter 1992, S. 223.

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5. „Wenn Sie wollen, können Sie bei uns eine komplette Stadt bestellen“

auch die Dividendenausschüttung unabhängig von den Vorschriften des WGG stattfinden könne.134 Das war für die NH ein Angebot, über das sie nachzudenken bereit war. Nach einigen Wochen zäher Verhandlungen zog sie am 5. Mai 1969 ihren Antrag auf Erteilung einer Ausnahmebewilligung zurück. Sie knüpfte diesen Rückzug aber an eine Bedingung, die sie zuvor ausgehandelt hatte: nämlich daran, daß ihr neben einer Personenidentität in der Geschäftsführung auch die Personenidentität der leitenden Angestellten genehmigt würde – allerdings nur für eine Übergangsfrist von fünf Jahren.135 Das war angesichts der Tatsache, daß diese Bedingung ein Ergebnis der Behauptung der NH war, nicht ad hoc eine komplette Riege von leitenden Angestellten zur Verfügung stellen zu können, nur folgerichtig. Wirklich ausschlaggebend für die Zustimmung der Behörden, die letzten Endes bedeutete, daß sich die NH mit ihrem Vorhaben, einen durch gesetzliche Vorschriften möglichst unbehelligten Wohnungs- und Städtebaukonzern aufzubauen, durchsetzen konnte, war aber offenbar ein anderer, völlig „sachfremder“ Faktor. Der zuständige Referent der Baubehörde formulierte es so: „Aus Hamburger Sicht“, schrieb er in einem Vermerk vom 8. April 1969, „würde es sich sicher vorteilhaft auswirken, wenn ein schlagkräftiges Instrument der städtebaulichen Erneuerung in Hamburg geschaffen würde. Auch fiskalisch gesehen, würde durch die volle Steuerpflicht ein Interesse an der Sitzgründung dieser Gesellschaft in Hamburg h. E. [sic] gegeben sein.“136 Dieses Argument war von der NH in den vorangegangenen Verhandlungen gezielt als Druckmittel eingesetzt worden: Gegenüber der Baubehörde hatte sie dort eine Übernahme der Anteile durch die BfG ins Spiel gebracht, die eine Verlegung des Geschäftssitzes nach Frankfurt bedeutet hätte.137 In der NH-internen Überlieferung fehlt allerdings jeder Hinweis darauf, daß es sich hierbei um eine ernsthafte Option gehandelt haben könnte. Ob hauptsächlich aus diesem oder aus anderen Gründen: Jedenfalls waren sowohl Bau- als auch Finanzbehörde bereit, sich auf die Bedingung der NH einzulassen. Allerdings bestand die Baubehörde in einer letzten Referenz an die AdBRegel für den Fall der Personenidentität darauf, eine Beteiligung der NHS an Bauoder Baustoffunternehmens in jedem Falle auszuschließen. Sie sah darin – auch wenn dies über Umweg über eine Tochtergesellschaft geschehen sollte – ein zumindest mittelbares Betreiben eines Baugewerbes durch Personen, die gleichzeitig maßgeblichen Einfluß auf gemeinnützige Wohnungsunternehmen hatten.138 Damit wäre die NH genauso weit gewesen wie zwei Jahre zuvor: Die Übernahme des gewerblichen Bauträgerkonzerns in den Konzernverbund wäre wieder nur teilweise möglich gewesen. Zufall oder nicht: In dem Schreiben vom 27.5.1969, in dem Staatsraat Rademacher der NH die Zustimmung der Baubehörde zur Gründung der NHS gab, fehlte genau dieser kritische Passus – obwohl er im Protokoll der Behördenleitungssitzung, die über den Fall befunden hatte, noch enthalten war.139 134 135 136 137 138 139

Vgl. Rechnungshof der Freien und Hansestadt Hamburg 1983, S. 96. Vgl. PUA BT, S. 52. Vermerk Dr. Obst, 8.4.1969, zit. nach PUA HH, S. 251. Vgl. ebd. Vgl. ebd., S. 246 sowie PUA BT, S. 52 f. Vgl. PUA HH, S. 246.

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Dieses Schreiben, auf dem die Gründung der NHS schlußendlich basierte, war ohnehin ein merkwürdiges Dokument. Es war ausdrücklich keine Ausnahmebewilligung, da die Behörde eine solche ja kategorisch ausgeschlossen hatte. Und es äußerte sich nicht zu der alles entscheidenden Frage, ob die NHS nun als Angehöriger des Baugewerbes agieren durfte oder nicht. Der VNW vertrat die Ansicht, daß die Anerkennungsbehörde, sollte sie dies gemeint haben, einen glatten Rechtsbruch begangen hätte.140 Die NH hingegen stellte sich auf den Standpunkt, daß das Schreiben und die ganze Debatte der letzten zwei Jahre hinfällig seien, wenn sie nicht die Genehmigung einer Tätigkeit der NHS als Angehörige des Baugewerbes zur Folge hätte – schließlich war das ja der Ausgangspunkt der gesamten Diskussion.141 Die rechtliche Grundlage, auf der die NH den Umbau ihres Konzerns in den folgenden Monaten und Jahren betrieb, war also höchst umstritten. Die Geschäftsführung wußte, daß sie schnell Fakten schaffen mußte, bevor die Behörden allzu hellhörig wurden. 5.2.1.2 „Noch eine mehr...“? Die Gründung der NHS Es war deshalb nicht verwunderlich, daß der Vorstand nach dem Eingang des Schreibens der Baubehörde nicht viel Federlesens machte und sofort mit der Umstrukturierung begann. Dabei kam ihm zugute, daß die prinzipielle Zustimmung des Aufsichtsrates hierfür außer Frage stand. Schließlich hatte dieser das Konzept der gewerkschaftlichen Strukturpolitik geradezu enthusiastisch aufgenommen und bereits im November 1968 sein Placet für das dann doch nicht zu verwirklichende „Modell Tochtergesellschaft“ gegeben. Dabei hatte er nicht den Anschein erweckt, er tue dies schweren Herzens. Im Gegenteil: „Über die Notwendigkeit der Gründung“, hatte Gerhard Vater zu diesem Zeitpunkt ausgeführt, gebe es „keinen Zweifel“,142 und fast gleichlautend äußerte sich eine Reihe weiterer Aufsichtsratsmitglieder. Wie es der Zufall wollte, hatte der DGB zudem just eine Woche bevor die NH das Schreiben Rademachers erhielt, auf seinem Münchner Bundeskongreß die bereits erwähnten „Leitsätze des DGB zu Regional-, Städtebau- und Wohnungspolitik im Rahmen von Raumordnungs- und Strukturpolitik“ verabschiedet. Sie erhoben die strukturpolitische Programmatik, die die NH seit Anfang 1967 vertrat, zu gewerkschaftlichen Grundsätzen.143 Die NH konnte nunmehr die Gründung der NHS als unmittelbare Reaktion auf diesen gewerkschaftlichen „Auftrag“ darstellen, auch wenn dies angesichts der kurzen Zeitspanne, die zwischen der Verabschiedung der Leitsätze und der Gründung der NHS lag, und angesichts der fast zwei Jahre währenden Vorbereitungen hierauf nur schwerlich vertretbar war. Zumindest in der Rückschau gewann diese Darstellung aber erheblich an Gewicht.144 140 141 142 143 144

Vgl. ebd. Vgl. ebd., S. 247 f. Protokoll AA NHH, 28.11.1968, IGM ZwA 2/17 280, S. 10. Vgl. Kap. 5.1.3 dieser Arbeit. Vgl. z. B. Protokoll Klausurtagung BV, 3.2.1971, DGBA-BV, Abt. Vorsitzender, 5/DGAI 469, S. 7 und NH-Hauptverwaltung (Hg.), Informationen über die Unternehmensgruppe

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Auch in weiten Teilen der Mitarbeiterschaft stieß die bevorstehende Neuordnung auf ein positives Echo. Denn die organisatorischen Schwierigkeiten, die das WGG dem Unternehmen bereitete, empfanden sie in ihrer täglichen Arbeit als Belastung. Von ihrer Seite aus wuchs daher auch unabhängig von den strategischen Grundsatzüberlegungen der Geschäftsführung das Bedürfnis nach einem organisatorischen „Befreiungsschlag“.145 Trotz ihrer Radikalität, die ihr einige Jahre später das Etikett des „Größenwahns“ einbrachte, stand Vietors Strategie deshalb innerhalb des Unternehmens so gut wie überhaupt nicht zur Debatte, sondern erfreute sich breiter Zustimmung. So konnte die Geschäftsführung nach dem Zugang von Rademachers Schreiben schnell zur Tat schreiten. Am 13. Juni 1969 gründete sie die NEUE HEIMAT STÄDTEBAU, die künftige Dachgesellschaft der nicht-gemeinnützigen Unternehmen der Unternehmensgruppe. Als ihren Zweck definierte der Gesellschaftsvertrag „die Förderung der städtebaulichen Entwicklung zum Wohle der Allgemeinheit“146 – eine denkbar weite Definition, mit der sich die NH gegenüber dem AfW auf ganzer Linie durchgesetzt hatte. Das war auch daran zu erkennen, welche Geschäfte laut Gesellschaftsvertrag unter diesen Gegenstand fielen: die Bodenordnung und Baureifmachung von Grundstücken; die Mitwirkung bei der Aufstellung von Flächennutzungs- und Bebauungsplänen; die Sanierung von bebauten Gebieten; die Bebauung von Grundstücken nach städtebaulichen Gesichtspunkten (was immer das konkret heißen mochte); die Verwaltung von Bauten und die Beteiligung an Unternehmen, die den Gesellschaftszweck förderten. Für den unwahrscheinlichen Fall, daß mit dieser Liste noch irgendein städtebauliches Tätigkeitsfeld ausgelassen war, sah der Gesellschaftsvertrag als letzten Punkt auch noch die „Lösung anderer städtebaulicher Aufgaben“147 vor. Für dieses weitgesteckte Aufgabenfeld mochte die anvisierte Kapitalausstattung von 10 Mio. DM recht ärmlich anmuten. 148 Hier war es ganz klar die mangelnde finanzielle Leistungskraft der Gewerkschaften, die der Neugründung ihre Grenzen setzte. Während die IG Metall und die IG BSE mit nominell jeweils 2,5 Mio. DM. den Löwenanteil zum Stammkapital beitrugen und die Anteile der übrigen Gewerkschaften von den 1,5 Mio. DM der IGBE bis zu den 50.000 DM der Gewerkschaft HBV reichten, mußte der DGB aufgrund seiner chronisch knappen Finanzen sogar ganz auf eine Beteiligung verzichten. 149 Allerdings war die NHS auch mit „nur“ 10 Mio. DM zunächst gut versorgt, denn in den ersten Monaten nach ihrer Gründung bestand sie aus wenig mehr als einer Geschäftsführung und einigen leitenden Angestellten – und die waren allesamt, wie vorgesehen, identisch mit der Geschäftsführung der NHH. Eigene Aufgaben nahm die Gesellschaft zunächst nicht wahr. Ihre primäre Tätigkeit bestand in der zweiten Hälfte des Jahres 1969 darin, die Kompetenzen einer Muttergesellschaft an sich zu ziehen.150 Die Bewobau ging zwar unmittelbar an die NHS über; aber damit alleine war für den

145 146 147 148 149 150

NEUE HEIMAT, Hamburg 1981, S. 5. Vgl. Interview mit Klaus-Otto Cordua, 24.3.2002. Gesellschaftsvertrag NHS, 12.6.1969, § 2 (1), IGM ZwA 2/17 259, S. 1. Ebd. Vgl. den entsprechenden Einwand in PUA BT, S. 54. Vgl. Schreiben Vietors und Beyns an Otto Brenner, 12.5.1969, IGM ZwA 2/17 259, S. 2. Vgl. Protokoll AR NHS, 13.6.1969, IGM ZwA 2/17 259, S. 6 f.

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nun entstehenden Städtebaukonzern noch keine optimale organisatorische Lösung gefunden. Schließlich war der Konzern, der unter dem Dach der Bewobau entstanden war, konspirativen Bedingungen entsprungen, und wenn die NH die Synergien nutzen wollte, die nun aus der (umstrittenen) de-facto-Legalisierung ihrer gewerblichen Tätigkeit entstehen konnten, mußte sie diesen komplett neu gestalten. Dabei stützte sie sich im wesentlichen auf vier Säulen.151 Die wichtigste Säule im Aufbau des NHS-Konzerns bildeten die NHS-Regionalgesellschaften. In der zweiten Jahreshälfte 1969 gründete die NHS insgesamt acht Tochtergesellschaften mit einem Stammkapital von jeweils 500.000 DM, das sie selbst voll übernahm.152 Diese Gesellschaften waren exakt spiegelbildlich zu den Regionalgesellschaften des gemeinnützigen Konzerns angeordnet. Auch hier übernahmen die Geschäftsführer und leitenden Angestellten der gemeinnützigen Gesellschaften in Personenidentität die jeweils entsprechende Funktion in den Städtebaugesellschaften. Im Kern bestand die NH damit aus zwei jeweils regional gegliederten Konzernen: dem alten, gemeinnützigen Wohnungsbaukonzern und dem in exakter Parallelität aufgebauten neuen Städtebaukonzern. Rechtlich und wirtschaftlich waren diese beiden Konzernteile voneinander unabhängig; nur die Personenidentität diente als Klammer. Formal handelte es sich bei der Unternehmensgruppe NEUE HEIMAT – so lautete nun die Bezeichnung für Gesamtkonzern, während die beiden Teilkonzerne als NEUE HEIMAT [Gemeinnützig] (NHG) bzw. NEUE HEIMAT STÄDTEBAU (NHS) firmierten – damit, wie bereits beschrieben, um einen sogenannten Gleichordnungskonzern. Allerdings wurde diese in ihrem Grundprinzip recht überschaubare Konzernstruktur durch die weiteren Säulen in der Struktur der NHS weitgehend durchbrochen. Neben den Regionalgesellschaften stand als zweite Säule eine Reihe von überregional agierenden Spezialgesellschaften, die jeweils ein bestimmtes Aufgabengebiet erfüllen sollten. An dieser Stelle wurden nun neben der NHK nach und nach die Unternehmen angesiedelt, die vorher unter der Decke der Bewobau gesteckt hatten – so etwa die GVG Grundstücks- und Verwaltungsgesellschaft und die Bewobau selbst. In den folgenden Jahren stießen noch weitere, meist hinzugekaufte, zum Teil aber auch eigens gegründete Gesellschaften hinzu; etwa die Mediplan Krankenhausplanungsgesellschaft; die baudata GmbH, die das zentrale Rechenzentrum für die NH-Gesellschaften betrieb; oder die NH Fertighaus.153 Auch die NHI, die im Gegensatz zu GVG und NHK zunächst bei der NHH verblieb und erst zwischen Ende 1969 und April 1972 schrittweise der NHS eingegliedert wurde, gehörte zu diesen überregional tätigen Gesellschaften.154 Gleichzeitig bildete sie die dritte Säule des Städtebaukonzerns. Sie wurde die Muttergesellschaft einer seit 1968 stetig und ab 1970 nochmals verstärkt wachsenden Zahl von ausländischen Gesellschaften, die in der Regel keine hundertprozentigen Töchter, sondern Beteiligungsgesellschaften waren. An diesen hielt die NHI zumeist 50%, während die anderen 50% bei einem lokalen Kooperationspartner la151 152 153 154

Vgl. neben den folgenden Ausführungen auch die graphische Darstellung in PUA HH, S. 157. Vgl. GB NHS 1969, S. 8. Vgl. ausführlicher Kap. 5.3.2.1 dieser Arbeit. Zur Eingliederung der NHI in die NHS vgl. GB NHS 1969, S. 8, und GB NHS 1972, S. 10.

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gen.155 In einigen Sonderfällen ging die NHS solche Beteiligungen auch im Inland ein, und diese formten die vierte Säule des Städtebaukonzerns. Hierzu gehörte beispielsweise die seit langem geplante Gesellschaft für Industrieansiedlung, die die NHS im September 1969 zusammen mit der BfG, der Commerzbank, der Deutschen Bank und der Dresdner Bank gründete.156 Die Komplexität dieser Organisationsstruktur stand jedoch im wesentlichen auf dem Papier. Tatsächlich war es die Konzernmuttergesellschaft, zum Teil auch ihre regionalen Tochtergesellschaften, die den weitaus größten Teil der städtebaulichen Dienstleistungen abwickelten. Außer den Gesellschaften der zweiten Säule verfügten die Beteiligungsgesellschaften der NHS nämlich nur in Ausnahmefällen über eigenes Personal. In der Regel vollbrachten sie ihre Dienstleistung auf dem Weg der Betreuung durch die NHS-Muttergesellschaft, die nun zum zentralen städtebaulichen Kompetenzzentrum der NH ausgebaut wurde. Zusammen mit dem gemeinnützigen Konzernteil entwickelte sich die Unternehmensgruppe so zu einem Dienstleister, dessen Produktpalette auf der Welt ihresgleichen suchte. „Wenn Sie wollen“, so brachte Vietor dies gewohnt großspurig auf den Punkt, „können Sie bei uns eine komplette Stadt bestellen. Wir machen alles, von der Strukturanalyse über die Baulandbeschaffung, Finanzierung, Städte-, Tiefbau- und Hochbauplanung bis zur schlüsselfertigen Übergabe – zu festen Preisen und Terminen.“157 Auch wenn das, wie zu zeigen sein wird, ein gutes Stück von der Realität entfernt war, so machte es doch eines deutlich: In Wirklichkeit bedeutete die Gründung der NHS eben nicht, daß die NH nun, wie die BILD-Zeitung im Juni 1969 titelte, „noch eine [Tochtergesellschaft] mehr“158 besaß; sie bedeutete vielmehr eine grundlegende Transformation des Gesamtkonzerns und somit eine der wichtigsten organisatorischen Grundsatzentscheidungen in der Geschichte der Unternehmensgruppe. Tatsächlich war der Geschäftsführung mit der Gründung der NHS nichts weniger gelungen als die endgültige Herauslösung der NH aus den Grenzen des WGG. Damit tat sie den entscheidenden Schritt auf dem Weg zum Aufbau eines am strategischen Ziel der „gewerkschaftlichen Strukturpolitik“ orientierten „integrierten Städtebaukonzerns“. 5.2.2 Zentralisierung und Mitbestimmung: Aspekte der Binnenorganisation 5.2.2.1 Betriebliches Wachstum, strukturelle Probleme und die Reorganisation 1970/71 Unmittelbar bemerkbar machte sich dies darin, daß die Neuorganisation nicht nur eine Fortführung, sondern sogar eine Beschleunigung des massiven Expansionskurses ermöglichte, den die Unternehmensgruppe seit 1966 eingeschlagen hatte. Denn mit der Gründung der NHS gewann diese Expansion eine Eigendynamik, 155 156 157 158

Vgl. Kap. 5.3.2.2 dieser Arbeit. Vgl. dazu ausführlicher Kap. 5.3.2.1 dieser Arbeit. Welt am Sonntag, 31.5.1970. BILD, 18.6.1969.

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die die für sich genommen ebenfalls beeindruckenden Wachstumszahlen der Vorjahre spielend in den Schatten stellten. So stiegen die Gesamtumsätze der Unternehmensgruppe zwischen 1966 und 1972 von 1,47 Mrd. DM auf 4,24 Mrd. DM.159 Das entsprach einer jährlichen Steigerung von fast 20%, und hierbei fiel das Jahr 1968 mit einer rezessionsbedingten Abschwächung des Wachstums auf nur 4% noch deutlich aus dem Rahmen. Die höchsten Raten erreichte das Umsatzwachstum der Unternehmensgruppe in den Jahren nach der Gründung der NHS: 1970 waren das 26,5%, 1971 sogar 34,9% und 1972 immer noch 23,3%. Bei der NHS selbst lagen die Steigerungsraten noch deutlich höher. Seinen Anteil an den Gesamtumsätzen der Unternehmensgruppe konnte der Städtebaukonzern so rasch ausbauen. Er lag 1972 bereits bei 27,8%, und der Vorstand war sich sicher, daß dieser Anteil in den folgenden Jahren noch erheblich steigen würde.160 Es ließe sich zurecht einwenden, daß diese Umsatzsteigerungen in einen Zeitraum mit hohen Inflationsraten und geradezu explodierenden Baupreisen fielen. Insofern wäre die Expansionsdynamik der Unternehmensgruppe um einiges niedriger zu veranschlagen, als die hier vorgelegten Zahlen suggerieren. Daß sie mit der Gründung der NHS dennoch eine neue Qualität gewonnen hatte, läßt sich aber auch anhand eines inflationsresistenten Indikators belegen. Denn auch personell verstärkte sich die Unternehmensgruppe in einem Umfang, der deutlich über das Wachstum der Vorjahre hinausging. Während der Personalbestand 1964 noch rückläufig war und in den folgenden Jahren nur um jeweils etwa fünf Prozent auf 1967 3.260 Mitarbeiter zunahm, wuchs er zwischen 1968 und 1970 um durchschnittlich 12,3% per annum und – nach einer kurzen Abschwächung des Wachstums 1971 – 1972 noch einmal um 11% (die Tatsache, daß die Neueinstellungen bereits seit 1968 sprunghaft zunahmen, hing mit dem niedersächsischen Hochschulausbau zusammen, der zwar nicht direkt mit der Gründung der NHS zusammenhing, aber doch aufs Engste mit ihr verknüpft war). Insgesamt arbeiteten damit 1972 bei der Unternehmensgruppe 5.450, im folgenden Jahr sogar 5.780 Mitarbeiter. Allein die Zahl der Angestellten der NHS war dabei zwischen Mitte 1969 und Ende 1972 von null auf knapp 1.100 angeschwollen. 161 Die Gründung der NHS hatte sich also auch in dieser Hinsicht innerhalb kürzester Zeit als der Befreiungsschlag entpuppt, als der sie von der Geschäftsführung geplant und von den Mitarbeitern erhofft gewesen war – einerseits. Denn andererseits brachte die rasche personelle Expansion auch eine Reihe von neuerlichen Schwierigkeiten mit sich. Langfristig war dabei vor allem die Tatsache, daß mit ihr ein generationeller Bruch in das Unternehmen hineingetragen wurde, der auch für die Bundesrepublik insgesamt in diesem Zeitraum ein bedeutendes Phänomen darstellte, von nicht zu unterschätzender Bedeutung.162 Die Gründung der NHS spülte eine große Zahl gut ausgebildeter Architekten und Ingenieure in die Unternehmensgruppe, die das Jahr 1968 zumeist noch an den Uni159 160 161 162

Vgl. Anhang, Tabelle 7. Vgl. ebd. Vgl. Anhang, Tabelle 8. Vgl. Axel Schildt, Ankunft im Westen. Ein Essay zur Erfolgsgeschichte der Bundesrepublik, Frankfurt a. M. 1999, S. 181 ff.

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versitäten verbracht hatten – ein Faktum, das für die Binnenkommunikation des Unternehmens und insbesondere für die Arbeit des Betriebsrates in den siebziger Jahren noch einige Bedeutung gewinnen sollte.163 Auch unter den leitenden Angestellten deutete sich zu diesem Zeitpunkt ein ähnlicher Umbruch an. So rückten bei der Gründung der NHS mit Johann Wolfgang Werner, Klaus-Jürgen Biertz und Helmut Lahmann Personen in den Rang von Prokuristen auf, die anders als die Mitglieder des Vorstandes nicht mehr an dem Aufbau der Unternehmensgruppe in den fünfziger Jahren beteiligt gewesen waren, wobei sie allerdings – anders als die neu eingestellten Akademiker – auch noch nicht der Generation der um 1940 Geborenen angehörten.164 Die Effekte dieses Umbruchs waren allerdings zu Beginn der siebziger Jahre noch nicht abzusehen. Ganz anders verhielt es sich dagegen mit den betriebswirtschaftlichen Aspekten der Personalausweitung. Denn im Zuge der massenhaften Neueinstellungen verschlechterte sich die Relation von Kosten und Leistung erheblich. Schon seit 1968 stiegen die Bruttoverwaltungskosten sprunghaft an. Während sie sich 1967 noch auf 6,1% der Bauumsätze belaufen hatten, waren es 1970 bereits 11,3%.165 Zwar konnte die Unternehmensgruppe nach wie vor erhebliche Überschüsse erzielen; die ausgeschüttete Dividende lag für den gemeinnützigen Unternehmensteil stets bei den zulässigen vier Prozent, während sie bei der NHS 1969 zehn Prozent, ab 1970 sogar 12% betrug.166 Aber vor allem im Wohnungsbau zeichnete sich zu diesem Zeitpunkt nun endlich jene Verschärfung des Wettbewerbes ab, die von der Unternehmensgruppe schon Ende der fünfziger Jahre erstmals erwartet worden war.167 Wenn die NH ihre Rentabilität auf hohem Niveau halten wollte, mußte sie deshalb an einer Verbesserung des Verhältnisses von Kosten und Leistungen interessiert sein. Konsequenterweise stellte dies seit Ende der sechziger Jahre für den Vorstand „eine vorrangige Aufgabe dar.“168 Allerdings war an eine absolute Senkung der Personalkosten zu diesem Zeitpunkt nicht zu denken, weil die zusätzlichen Mitarbeiter für die Vielzahl der neuen Projekte benötigt wurden, qualifizierte Kräfte relativ knapp waren und die seit 1969 verstärkten inflationären Tendenzen eine rasche Steigerung der Lohnkosten nach sich zogen. Auf Seiten der Unternehmensorganisation schien aber noch Potential für Einsparungen vorhanden zu sein. Denn insbesondere die Entscheidungsabläufe innerhalb der Unternehmensgruppe konnten mit der zunehmenden Größe des Konzerns und auch mit der zunehmenden Größe der in Angriff genommenen Projekte nicht mehr Schritt halten. Der Hauptgrund hierfür lag in der problematischen Architektur des Konzerns, insbesondere in den Eigenarten der regional gegliederten Organisationsstruktur, die eher das Ergebnis historischer Zufälligkeiten als das Ergebnis eines planvollen Aufbaus widerspiegelte. Das zeigte sich schon an einem Detail, das dem Vorstand nun unangenehm aufstieß. Die meisten Tochtergesellschaften trugen Mitte der sechziger Jahre noch 163 164 165 166 167 168

Vgl. Interview mit Klaus-Otto Cordua, 24.3.2002 sowie Kap. 6.3.3.2 dieser Arbeit. Vgl. die Lebensläufe von Werner, Biertz und Lahmann in IGM ZwA 2/17 266. Protokoll AA NHH/NHS 17.5.1973, DGBA-BV, Abt. Finanzen, 24/478, S. 5. Vgl. GB NHS 1969, S. 10 und GB NHS 1970, S. 14. Vgl. Kap. 5.3.3.1 dieser Arbeit. Protokoll AR NHH, 2.7.1970, DGBA-BV, Abt. Finanzen, 24/476, S. 6 f.

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ihren ursprünglichen Namen und waren, wie etwa die Gewoba in Bremen oder die Gewobag in Frankfurt, für Außenstehende nicht ohne weiteres als Teile des Unternehmensverbundes identifizierbar. Hinzu kamen substantiellere Probleme. So waren die Regionalgesellschaften weder flächendeckend verteilt, noch stand ihre Verteilung in einem unmittelbaren Zusammenhang zu dem tatsächlich anfallenden Auftragsvolumen. Nicht einmal das regionale Gliederungsprinzip war bei den gemeinnützigen Gesellschaften konsequent verwirklicht worden. Vor allem bei den Untergesellschaften gab es eine ganze Reihe von Überschneidungen in den von ihnen betreuten Regionen. Schließlich war es auch auf Länderebene durchaus fragwürdig, ob sich eine eigene Kopfstelle für die Länder mit relativ geringem Bauaufkommen überhaupt lohnte.169 Schon vor der Gründung der NHS hatte der Vorstand deshalb damit begonnen, diese Probleme zu konfrontieren. Den Anfang machte er mit einer Umbenennung einiger Kopfstellengesellschaften. Sie erhielten im Laufe der Jahre 1966/67 alle den Namen „NEUE HEIMAT“ und die Bezeichnung der Region, in der sie tätig waren. Damit waren einige traditionsreiche Namen des gewerkschaftseigenen Wohnungsbaus gelöscht: Die Gewoba hieß nun NH Bremen; die hessische Gewobag wurde in NH Südwest umbenannt.170 Gleichzeitig versuchte der Hamburger Vorstand auch, zu einer „schärferen regionalen Gliederung“171 zu kommen. Deswegen wurde beispielsweise die „Nordhessen“ mit der in der gleichen Region aktiven NH Kassel verschmolzen, und in Süddeutschland sollten sich die badenwürttembergischen Gesellschaften zukünftig stärker an die jetzt so genannte NEUE HEIMAT BAYERN anlehnen.172 An der grundsätzlichen Aufgabenverteilung zwischen Regionen und Zentrale änderte sich durch diese Zusammenfassungen und Vereinheitlichungen allerdings nichts. Die Regionen besaßen auch weiterhin große eigenständige Kompetenzen, vor allem bei der Auftragsakquisition, der Projektplanung und der Baudurchführung. Dieses System war in den fünfziger Jahren ausdrücklich mit der für erforderlich gehaltenen Nähe zum lokalen Baugeschehen begründet worden.173 Für die Muttergesellschaften waren nur solche Aufgaben verblieben, die sich zentral besser erledigen ließen – etwa die Kapitalbeschaffung. Aus Sicht des Vorstandes war es seit Ende der sechziger Jahre gerade diese Aufgabenverteilung, die in Kombination mit der personellen Expansion für die abnehmende Effizienz der Unternehmensgruppe verantwortlich war. Denn seiner Meinung nach waren die Regionen der Muttergesellschaft fachlich und organisatorisch unterlegen und damit nicht mehr der richtige Ort, um über die Durchführung großer Projekte zu entscheiden. Dieses Problem hatte sich mit der NHSGründung noch einmal verschärft. Zum einen verdoppelte sich mit ihr die Zahl der Regionalgesellschaften auf einen Schlag. Zum anderen aber schienen gerade städ169 Vgl. Protokoll AR NHH 2.12.1966, IGM ZwA 2/17 286, S. 6 u. S. 9. 170 Vgl. GB NH Bremen 1967 S. 9; GWH o. D. [1999], S. 59; sowie zusammenfassend zu den weiteren Umbenennungen Protokoll AR NHH 2.12.1966, IGM ZwA 2/17 286, S. 8. 171 Ebd., S. 9. 172 Vgl. GB NH Südwest 1967, S. 22 ff.; GB NH Baden-Württemberg 1966, S. 25 und Protokoll AA NHH, 28.11.1968, DGBA-BV, Abt. Finanzen, 24/449, S. 3. 173 Vgl. Kap. 4.1.2.1 dieser Arbeit.

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tebauliche Großprojekte die Kompetenzen der Regionen und zum Teil auch der Spezialgesellschaften wie der NHK endgültig zu überfordern. Der niedersächsische Hochschulausbau hatte einen Präzedenzfall für die zentrale Steuerung eines Großprojektes gesetzt, und das sollte nunmehr zur Regel werden. Im April 1970 deutete Vietor deshalb erstmals die Notwendigkeit einer innerbetrieblichen Umstrukturierung an. Dabei rückte er zunächst einen Aspekt in den Vordergrund, der zwar ebenfalls dazu beigetragen hatte, daß der Ausbau der Entscheidungsstrukturen mit dem Wachstum nicht mitgehalten hatte, im Vergleich zur Frage der regionalen Organisation aber eher von untergeordneter Bedeutung war. Das war die Frage einer Erweiterung des Vorstandes.174 Tatsächlich war dieser seit 1963, also seit der Berufung von Iden und Ginhold, nur einmal verändert worden: im November 1968, als Rolf Dehnkamp, der Sohn des ehemaligen Bremer Senatspräsidenten und Bürgermeisters Willy Dehnkamp, den verstorbenen Herbert Ritze als für die Betriebswirtschaft zuständiges Vorstandsmitglied beerbt hatte. Gleichzeitig war auch Paul Seitz, der Geschäftsführer der NHK, für das neue Sachgebiet „Städtebau“ in den Vorstand berufen worden.175 Angesichts der Tatsache, daß seit dieser letzten Erweiterung das Arbeitsaufkommen des Vorstandes mit der Gründung der NHS stark gestiegen war, schien die Notwendigkeit einer erneuten Vergrößerung dieses Gremiums unmittelbar einleuchtend zu sein. Widerstände von Gewerkschaftsseite waren insofern kaum zu erwarten. Tatsächlich aber war in Vietors Vorschlag von Anfang an ein weit umfassenderer Plan enthalten, der die Unternehmensgruppe zu einem straff geführten und damit im Sinne der Vorstellungen der Geschäftsführung modernen Großkonzern umfunktionieren sollte. Das wurde deutlich, als die Geschäftsführung im September 1970 ein Exposé vorlegte, in dem sie ihre Vorstellungen von einer Neuorganisation der Unternehmensgruppe skizzierte. Das Exposé enthielt den Vorschlag, den bisher sechsköpfigen Vorstand beider Obergesellschaften – also der NHH und der NHS – um fünf Mitglieder zu erweitern.176 Von diesen fünf Mitgliedern sollte eines für das Personal- und Sozialwesen zuständig sein, ein Vorschlag, der mit der gleichzeitig geführten Diskussion um die Einführung der paritätischen Mitbestimmung in der Unternehmensgruppe zusammenhing. Darauf wird noch gesondert einzugehen sein.177 Die übrigen vier neu einzurichtenden Vorstandsressorts sollten hingegen keine funktionalen, sondern regionale Aufgaben übernehmen. Vorgesehen war, daß jeweils ein Vorstandsmitglied für die Regionen Nordwest, West, Südwest und Süd bestimmt werden sollte. Dafür waren vier Geschäftsführer aus den Regionalgesellschaften vorgesehen: Wolfgang Vormbrock für die Region Nord, Friedrich Riegels für Nordrhein-Westfalen, Rudi Löwe für den Südwesten und Ludwig Geigenberger für Bayern und Baden-Württemberg.178 Sie sollten die Regionen nicht nur im Vorstand vertreten, sondern gleichzeitig die Geschäftsführung der in ihrem Be174 Vgl. Protokoll AR NHS, 1.4.1970, DGBA-BV, Abt. Finanzen, 24/476, S. 5. 175 Vgl. Protokoll AA NHH, 28.11.1968, DGBA-BV, Abt. Finanzen, 24/449, S. 13 und Protokoll AR NHH, 29.11.1968, DGBA-BV, Abt. Finanzen, 24/449, S. 7. 176 Vgl. Exposé über vorgesehene organisatorische Veränderungen in der NEUE HEIMAT-Gruppe, 24.9.1970, DGBA-BV, Abt. Finanzen, 24/476, S. 1. 177 Vgl. Kap. 5.2.2.4 dieser Arbeit.

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reich liegenden Tochter- und im Falle des gemeinnützigen Konzernteils auch den Aufsichtsratsvorsitz der betreffenden Enkelgesellschaften übernehmen. Dies war nicht etwa dazu gedacht, den Regionen in den Entscheidungen der Zentrale ein größeres Gewicht einzuräumen, sondern sollte umgekehrt „die Durchsetzung der Vorstandsentscheidungen bei den Regionalgruppen“179 sicherstellen. Was sich hinter dieser personellen Veränderung verbarg, war also nichts weniger als eine Revolution in der Aufgabenverteilung zwischen Zentrale und Regionen. Der alte Grundsatz, nachdem die Muttergesellschaften nur diejenigen Aufgaben wahrnehmen sollte, die die Regionalgesellschaften nicht selbst erledigen konnten, wurde umgekehrt. Der Konzernspitze sollten nun die „geschäftspolitisch bedeutsamen Grundsatzangelegenheiten“ sowie die „im Interesse einer sinnvollen Arbeitsabwicklung zentral entscheidungsfähigen Bereiche der Regionen“180 übertragen werden. In der Praxis bedeutete dies, daß die Kompetenzen der Regionalgesellschaften durch Neufassungen der Gesellschaftsverträge drastisch beschnitten wurden. In diesen war als „viertes Organ“ neben der Geschäftsführung, dem Aufsichtsrat und der Gesellschafterversammlung auch die Muttergesellschaft NHH bzw. NHS vorgesehen.181 Beschlüsse des Aufsichtsrates einer Regionalgesellschaft bedurften demnach künftig der Zustimmung dieses „vierten Organs“, letztendlich also des Vorstandes der Muttergesellschaft. Dieser konnte aber nach Gutdünken „die zu treffenden oder getroffenen Beschlüsse durch eigene ersetzten“.182 Außerdem erhielt das „vierte Organ“ die Entscheidungsbefugnis über eine Reihe zentraler Gegenstände. Auch Jahresabschlüsse, Geschäftsberichte und Berichte des Aufsichtsrates waren nunmehr der NH zur Beschlußfassung vorzulegen.183 Vietor hielt im Aufsichtsrat nicht damit hinter dem Berg, daß die hiermit verbundene Entmachtung der Regionalgesellschaften das eigentliche Ziel der Neuorganisation war. „Eine zweckdienliche Aufgliederung der einzelnen Sachgebiete in regionale und zentrale Aufgaben der Obergesellschaften“, so führte er aus, „stelle sicher, daß eine eigenständige Geschäftspolitik der Regionen auf diesen Gebieten nicht mehr zum Tragen kommen könne.“184 Übrig blieben für die Tochtergesellschaften nur Teile der Planungstätigkeit, die Baudurchführung sowie die Wohnungsverwaltung.185 Auch auf der Seite der NHS sollten die regionalen Gesellschaften in ähnlicher Weise an die Muttergesellschaft angebunden werden. Hierfür entwarf der Vorstand ein „strukturelles Organisationsablaufschema“, in dem nicht 178 Vgl. Exposé über vorgesehene organisatorische Veränderungen in der NEUE HEIMAT-Gruppe, 24.9.1970, DGBA-BV, Abt. Finanzen, 24/476, S. 5. Zur Person der Geschäftsführern vgl. die Lebensläufe in StA HH, 622–2 Cordua 165. 179 Exposé über vorgesehene organisatorische Veränderungen in der NEUE HEIMAT-Gruppe, 24.9.1970, DGBA-BV, Abt. Finanzen, 24/476, S. 2. 180 Ebd., S. 1. 181 Vgl. ebd., S. 3; Protokoll AA NHH/NHS, 23.3.1971, StA HH, 622–2 Cordua 127, S. 4 sowie PUA HH, S. 190 ff. 182 Gesellschaftsvertrag NH Nord, § 10 Abs. 3, FZH 592–32 III, S. 3. 183 Vgl. beispielhaft den Gesellschaftsvertrag der NH Nord, § 14 Abs. 5, FZH 592–32 III, S. 5 f. 184 Protokoll AR NHS, 8.4.1971, IGM ZwA 2/17 259, S. 6. Vgl. auch Protokoll AA NHH/NHS 23.3.1971, StA HH, 622–2 Cordua 127, S. 3. 185 Vgl. Exposé über vorgesehene organisatorische Veränderungen in der NEUE HEIMAT-Gruppe, 24.9.1970, DGBA-BV, Abt. Finanzen, 24/476, Anlage B.

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nur die prinzipielle Aufgabenverteilung zwischen Zentrale und Tochtergesellschaften, sondern auch der genaue Ablauf einer ganzen Reihe möglicher Entscheidungsprozesse fixiert wurde.186 Hinzu kam noch, daß Finanzvorstand Iden die Geschäftsführung der stark expandierenden NHI übernehmen und damit auch diese Gesellschaft in die unmittelbare Zuständigkeit des Vorstandes einbeziehen sollte. Von dieser Neuverteilung versprach sich die Geschäftsführung gleich in doppelter Hinsicht eine Verbesserung ihrer Position im Wettbewerb. Erstens sollte die weitgehende Entmachtung der Regionen eine schnellere Umsetzung der Beschlüsse des Vorstandes ermöglichen und so die Flexibilität der Unternehmensgruppe erhöhen. Das hörte sich plausibel an, war aber nicht zwingend. Denn die Zentralisierung verlängerte die Kommunikationswege zwischen ausführender und entscheidender Stelle erheblich – nicht immer zum Vorteil einer schnellen Entscheidungsfindung.187 Daß dieser recht offensichtliche Aspekt bei der Planung der Neuorganisation keine Rolle spielte, hatte damit zu tun, daß bei diesen Maßnahmen auch ein ideologisches Element eine nicht zu unterschätzende Rolle spielte. Gemäß dem vom Vorstand verfaßten Exposé sollte die Unternehmensorganisation zukünftig vor allem eines sein: „modern“. Und unter „Modernität“ verstand der Vorstand – neben der Nutzung der elektronischen Datenverarbeitung, die in diesem Zeitraum verstärkt Einzug in den Unternehmensalltag hielt – in erster Linie eine strikte und im Sinne des „Organisationsablaufschemas“ bis ins letzte Detail durchgeplante Hierarchisierung der Entscheidungsabläufe. „Unsere Organisation“, erklärte Vietor 1973 apodiktisch, „muß straff sein.“188 Im Sinne dieser Ideologie war es nur konsequent, die regionalen Aufsichtsräte zu entmachten, auch wenn damit Entscheidungsebene und Durchführungsebene weit auseinanderrückten. Das galt um so mehr, als diese Entmachtung der regionalen Aufsichtsräte gleichzeitig auch ihre verstärkte Nutzung als Akquisitionsinstrumente ermöglichte, und das war der zweite Grund, aus dem sich der Vorstand von der Neuorganisation eine Stärkung seiner Position im Wettbewerb erhoffte. Die Mitgliedschaft der Vorstandsmitglieder in den regionalen Aufsichtsräten war nach einer Umstrukturierung aufgrund der direkten Einwirkungsmöglichkeiten nicht mehr nötig. Statt dessen plante der Vorstand, verstärkt Vertreter der Gebietskörperschaften in die regionalen Aufsichtsräte zu berufen.189 Das war aufgrund der geringen Kompetenzen, die bei diesen Gremien verbleiben sollten, weitgehend risikolos, bot aber die Möglichkeit, die Kontakte zu potentiellen Auftraggebern und Kreditgebern zu verstärken.190

186 Vgl. Strukturelles Organisationsablaufschema Gesamtbereich NEUE HEIMAT STÄDTEBAU (Zusammenarbeit der Unternehmensteile), 10.3.1971, IGM ZwA 2/17 259 sowie die Erläuterungen in AA NHS, 23.3.71, handschr. Protokoll Corduas, StA HH, 622–2 Cordua 127, S. 2 ff. 187 Vgl. Interview mit Wolfgang Vormbrock, 12.9.2003. 188 Zit. nach DIE ZEIT, 4.5.1973. 189 Vgl. Protokoll AR NHH, 10.11.1970, DGBA-BV, Abt. Finanzen, 24/476, S. 4. 190 Vgl. Vorlage Vetters zur AA-Sitzung NH, 23.3.1971, DGBA-BV, Abt. Finanzen, 24/476, S. 2.

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Gegen diese Pläne leisteten die Regionen zum Teil heftigen Widerstand.191 Umstritten war zum einen die Auflösung der regionalen Arbeits- und Bauausschüsse, weil diese bisher Schnittstellen zu den entsprechenden Gewerkschaftsuntergliederungen dargestellt hatten.192 Zum anderen peilte der Vorstand mit der Neuorganisation auch eine Veränderung des Zuschnittes der Tochtergesellschaften an: Das Exposé sah vor, die NH Nord mit der NH Bremen/Niedersachen und die NH Bayern mit der NH Baden-Württemberg zu fusionieren, um so die Größe der Regionen anzugleichen und die Zahl der für die Regionen zuständigen Vorstandsmitglieder bei der Muttergesellschaft in Grenzen zu halten.193 Während im Süden daraus keine ernsthaften Schwierigkeiten erwuchsen, stieß der Vorstand in Bremen auf Gegenwehr. Zwar war die Fusion von NH Nord und NH Bremen/Niedersachen als Fusion unter Gleichen angelegt; aber die Bremer Regionalgesellschaft wollte nicht hinnehmen, daß sie unter das „Kommando“ des Geschäftsführers der NH Nord, Vormbrock, gestellt werden sollte, obwohl sie wirtschaftlich weitaus erfolgreicher war als diese. In diesem einen Punkt war der Widerstand erfolgreich: Die NH Bremen und NH Nord wurden nicht fusioniert, und Vormbrock wurde auch nicht in die Bremer Geschäftsführung berufen.194 In allen anderen Punkten konnte sich der Vorstand aber durchsetzen. Bis zur Jahresmitte 1971 war die Neuorganisation beim gemeinnützigen Unternehmensteil deshalb – bis auf den Ausnahmefall der NH Berlin – weitgehend abgeschlossen.195 Die Regionen waren fortan nur noch ausführende Organe der Konzernzentrale in Hamburg. Kurzfristig zahlte sich dieser Kurs voll aus. Denn das Ziel einer Straffung der organisatorischen Abläufe wurde erreicht, wie sich an der Kostenentwicklung ablesen ließ: Von ihrem 1970 erreichten Höhepunkt von 11,3% fiel die Relation der Bruttoverwaltungskosten zu den Bauumsätzen schon 1971 auf 8,6% und 1972 weiter auf 7,7%, obwohl im gleichen Zeitraum sowohl der Personalbestand als auch die durchschnittlichen Personalkosten weiter anstiegen.196 Auch die angestrebte verstärkte Einbindung von Dritten in die Aufsichtsräte der Regionalgesellschaften wurde verwirklicht – und zwar so weitgehend, daß eine gewerkschaftskritische Publikation aus dem Jahr 1974 mehrere Seiten darauf verwenden mußte, um nur die wichtigsten Amtsträger, die ein Mandat bei einer Regionalgesellschaft innehatten, aufzulisten. Darunter waren nicht weniger als 23 Oberbürgermeister von großen deutschen Städten, vier Landesminister, zahlreiche Abgeordnete sowie eine ganze Reihe von Vertretern der Landesversicherungsanstalten und großer Banken.197 Ihre wichtigsten Ziele hat die NH mit der Zentralisierung also weitgehend umsetzen können. 191 Vgl. ebd., S. 1 f. 192 Vgl. Protokoll AA NHH/NHS, 23.3.1971, StA HH, 622–2 Cordua 127, S. 6 u. S. 8 f. 193 Vgl. Exposé über vorgesehene organisatorische Veränderungen in der NEUE HEIMAT-Gruppe, 24.9.1970, DGBA-BV, Abt. Finanzen, 24/476, S. 3. 194 Vgl. Protokoll AA NHH/NHS, 23.3.1971, StA HH, 622–2 Cordua 127, S. 5. Dort auch zum Stand der Neuorganisation in anderen Regionen. Zu Bremen vgl. auch Wallenhorst 1993, 312 ff., der allerdings den Widerstand nicht erkennt. 195 Vgl. Protokoll AR NHH, 8.4.1971, DGBA-BV, Abt. Finanzen, 24/476, S. 3 ff. 196 Vgl. Protokoll AR NHH/NHS, 17.5.1973, DGBA-BV, Abt. Finanzen, 24/478, S. 5. 197 Vgl. Scheiner/Schmidt 1974, S. 33 ff.

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Schwachpunkte in der Organisation verblieben gleichwohl, besonders bei der NHS. Auch hier wurden zwar die Regionalgesellschaften und die NHI bis Mitte 1971 neu organisiert. Das System, nach dem die Muttergesellschaft nur Steuerungs- und Lenkungsaufgaben übernehmen, die Baudurchführung aber an die Regionalgesellschaften abgeben sollte, ließ sich allerdings insofern nicht vollständig verwirklichen, als das Milliardenprojekt in Niedersachsen auch weiterhin direkt von Hamburg aus durchgeführt werden mußte. Diese Konstellation war problematisch:198 Die damit betrauten technischen Abteilungen unter Beyn und städtebaulichen Abteilungen unter Seitz waren mit dieser Aufgabe überfordert. Zwei Probleme kamen hier zusammen. Erstens waren die betroffenen Abteilungen bei der Muttergesellschaft funktional untergliedert und nicht, wie der Betriebsrat gefordert hatte, in projektbezogenen Arbeitsgruppen organisiert. Daraus ergaben sich große Koordinationsschwierigkeiten, weil die Abteilungen in zwei jeweils stark hierarchisch organisierte Hauptabteilungen eingegliedert waren.199 Zweitens erwiesen sich die beiden zuständigen Vorstandsmitglieder, Seitz und Beyn, als unfähig, diesen Schwierigkeiten entgegenzutreten – aus Gründen, die nicht mehr mit letzter Sicherheit zu klären sind. Jedenfalls hatte sich der niedersächsische Ministerpräsident Kubel bei Heinz Oskar Vetter, der seit dem Münchener DGB-Bundeskongreß das Amt des DGB-Vorsitzenden und damit auch das Amt des Aufsichtsratsvorsitzenden von NHH und NHS bekleidete, beschwert und ihn davon überzeugt, daß bei der NH „organisator. Schwierigkeiten überwunden werden müssen, die nicht zuletzt bis in den Vorstand hineinreichen!“200 Auf Vetters Intervention hin zog Vietor deshalb die Notbremse. Seitz und Beyn entgingen nur knapp einer Entlassung. An ihrer Stelle übernahm nun einer der Geschäftsführer der NH Nord, der Architekt Georg Bamberg, als eigens ernannter „Generalbevollmächtigter“ das Niedersachsen-Projekt – oder genauer gesagt seine Abwicklung. Denn Bambergs Aufgabe bestand hauptsächlich darin, die Abteilungen, die mit der Baudurchführung betraut waren, von der Muttergesellschaft zu lösen, um so bei der NHS endgültig die gleiche Arbeitsteilung einzuführen, wie sie beim gemeinnützigen Konzernteil schon seit eineinhalb Jahren galt. Die betroffenen Abteilungen wurden auf die NHK umgelegt, die nun als Spezialgesellschaft für Umweltbauten weitergeführt werden sollte und im Januar 1973 ebenfalls in das „Organisationsablaufschema“ eingefügt wurde.201 Kurze Zeit später folgten die Begebau und einige weitere funktionale Untergliederungen des nicht-gemeinnützigen

198 Vgl. Chronologischer Bericht über den Abbau der NHS-Muttergesellschaft, 9.2.1973, StA HH, 622–2 Cordua 136, S. 1. 199 Vgl. Interview mit Wolfgang Vormbrock, 12.9.2003; Protokoll AA NHH/NHS, 9.3.1972, StA HH, 622–2 Cordua 132, S. 3 f.; Protokoll. AA NHH/NHS, 29.9.1972, StA HH, 622–2 Cordua 134, S. 6 sowie Protokoll AA NHH/NHS, 23.3.1973, StA HH, 622–2 Cordua 135, S. 5 f. 200 Handschr. Notiz Corduas auf einer Vorlage zur AA-Sitzung NHH/NHS, 29.9.1972, Titel: Bericht des Vorstandes, StA HH, 622–2 Cordua 134. 201 Vgl. Protokoll AR NHS, 13.7.1973, StA HH, 622–2 Cordua 12, S. 11. Schon im Zuge der Umstrukturierung des gemeinnützigen Konzernteils war eine gravierende Änderung des Gesellschaftsvertrages der NHK vorgenommen worden: die Aufhebung der Gewinnbeschränkung. Vgl. Vorlage Vetters, 23.3.1971, DGBA-BV, Abt. Finanzen, 24/476, Blatt 2.

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Bereichs diesem Beispiel, so daß die Neuorganisation bis auf einige wenige Ausnahmen im März 1973 auch bei der NHS vollzogen war.202 5.2.2.2 Aufsicht und Kontrolle Die Einsetzung eines Generalbevollmächtigten für den niedersächsischen Hochschulausbau war nicht nur deshalb bemerkenswert, weil sie Schwächen auf der Ebene des Vorstandes enthüllte, sondern auch deshalb, weil der Aufsichtsrat von ihr erst in letzter Minute und von den vorangegangenen organisatorischen Schwierigkeiten überhaupt nicht erfuhr. Vielmehr wurde das Problem kursorisch im Arbeitsausschuß des Aufsichtsrates, vor allem aber in informellen Gesprächen zwischen Teilen des Vorstandes, Vetter und einigen Arbeitnehmervertretern behandelt.203 Diese Konstellation, die wenige Jahre zuvor noch undenkbar gewesen wäre, war das paradoxe Ergebnis einer unter Vetter vorangetriebenen Zentralisierung der Kontrollstrukturen, die eigentlich das Gegenteil, nämlich eine Intensivierung der Aufsicht zum Ziel gehabt hatte. Schon seit Ende der sechziger Jahre hatten sich bei einigen Gewerkschaftsvorsitzenden die Bedenken hinsichtlich der Kontrolle des Vorstandes gehäuft. Dafür gab es zwei Gründe: Erstens hatte der Vorstand ihnen mit einer teilweise recht nachlässigen Informationspolitik in zunehmendem Maße Anlaß zur Beschwerde gegeben. Besonders deutlich war dies im Zuge der sogenannten Boljahn-Affäre geworden, auf die an anderer Stelle noch näher einzugehen sein wird.204 Zweitens hatten sich die Schwierigkeiten der Kontrolle mit der Gründung der NHS und ihrer raschen Expansion vervielfacht, weil nun eine ganze Reihe von Beteiligungsgesellschaften unterhalb der NHS operierten, die dem unmittelbaren Zugriff des Aufsichtsrates entzogen waren.205 Daran war dieser zwar selbst schuld, weil er es versäumt hatte, dem Vorstand bei der Gründung der NHS klare Grenzen zu setzen; aber immerhin versuchte Vetter nun nachträglich, daran etwas zu ändern. Schon gleich zu Beginn seiner Amtszeit hatte er vollmundig die Parole ausgegeben, der DGB müsse mit seinen Unternehmen zu einer „anderen Art der Zusammenarbeit“206 gelangen und zu diesem Zweck in seinem Büro ein eigenes Referat eingerichtet. Von dort kam in den folgenden Jahren eine Reihe von Vorschlägen zur Verbesserung der Zusammenarbeit, die allerdings größtenteils im Sande ver-

202 Vgl. AA-Sitzung NHH/NHS, 23.3.1973, Vorlage zu T 2.2.4: Einbeziehung restlicher Gesellschaften in die Neuorganisation, StA HH, 622–2 Cordua 136. 203 Vgl. dazu die bezeichnenderweise als „streng vertraulich“ gekennzeichnete Unterlage von Cordua: Chronologischer Bericht über den Abbau der NHS-Muttergesellschaft, 9.2.1973, StA HH, 622–2 Cordua 136. 204 Vgl. Kap. 6.3.1.1 dieser Arbeit. 205 Vgl. Anlage zum Protokoll GBV, 29.11.1971: Hausmitteilungen, DGBA-BV, Abt. Vorsitzender, 5/DGAI 382, S. 1. 206 Protokoll BV, 3.2.1970, DGBA-BV, Abt. Vorsitzender, 5/DGAI 536, S. 6.

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liefen.207 Zumindest aber wurden nun vermehrt Koordinationsgespräche geführt und die Aufsichtsratssitzungen von DGB-Seite gründlicher vorbereitet.208 In diese Bemühungen, eine bessere Kontrolle zu bewerkstelligen, paßten die im September 1970 erstmals diskutierten Zentralisierungsbestrebungen des Vorstandes gut hinein. Vetters Kalkül war simpel: Je mehr Kompetenzen unmittelbar beim Vorstand lagen, um so einfacher ließen sich aus seiner Perspektive die Entscheidungsabläufe kontrollieren. Das galt etwa für die Regionalgesellschaften oder, noch deutlicher, für die NHI: Mit der Übertragung der Geschäftsführungskompetenzen für diese an die Vorstandsmitglieder der beiden Muttergesellschaften mußte automatisch auch eine verstärkte Berichterstattung in deren Aufsichtsräten einhergehen, und das geschah in den folgenden Jahren auch.209 Allerdings waren damit die Probleme hinsichtlich der Kontrolle des Vorstandes noch nicht zur allseitigen Zufriedenheit gelöst. Zum Teil lagen diese nämlich auch in der Struktur des Aufsichtsrats begründet.210 Im Zuge der Expansion der sechziger Jahre war dieser bis 1969 auf 33 Mitglieder angeschwollen. Zwar wurde er im November 1969 im Zuge der Einführung der paritätischen Mitbestimmung auf 21 Mitglieder reduziert; aber gleichzeitig wollte der Vorstand nicht auf die Möglichkeit verzichten, den Aufsichtsrat als Instrument zur Vernetzung mit den Gewerkschaften zu nutzen. Deshalb wurde gleichzeitig mit der Verkleinerung ein „Beirat“ als eine Art repräsentatives Gremium eingerichtet, in das vor allem diejenigen Gewerkschaftsführer berufen wurden, für die im Aufsichtsrat nun kein Platz mehr war.211 Dieser Beirat wurde aber nicht vom Aufsichtsrat abgetrennt, sondern seine Mitglieder nahmen mit beratender Stimme an den Aufsichtsratssitzungen teil. Das Ergebnis war, daß diese damit noch weiter aufgebläht wurden. An den Sitzungen der frühen siebziger Jahre nahmen zum Teil über vierzig Personen teil. Das war entschieden zu viel, um eine wirksame Kontrolle zu gewährleisten.212 Im Zuge der Reorganisation von 1970/71 wurden deshalb die Befugnisse des Arbeitsausschusses des Aufsichtsrates erheblich gestärkt. Ursprünglich hatte dieser schon seit Mitte der fünfziger Jahre bestehende, mit sechs Aufsichtsratsmit207 So etwa der Vorschlag einer gemeinsamen Führung der Personalakten aller gewerkschaftseigenen Unternehmen bei der Personalabteilung des DGB. Vgl. Vorlage GBV-Klausurtagung, 14./15.12.1970, betr. Führung der Personalakten von Beschäftigten in gewerkschaftseigenen Einrichtungen in der DGB-Personalabteilung, DGBA-BV, Abt. Vorsitzender, 5/DGAI 394. 208 Vgl. Protokoll Klausurtagung GBV, 14./15.12.1970, DGBA-BV, Abt. Vorsitzender, 5/DGAI 381, S. 2 sowie Vermerk für den Kollegen Vetter, betr. Protokolle NEUE HEIMAT, 5.3.1971, DGBA-BV, Abt. Finanzen, 24/476. 209 Vgl. Protokoll AA NHH/NHS, 23.3.1971, StA HH, 622–2 Cordua 127, S. 9. 210 Strenggenommen existierte seit der Gründung der NHS 1969 für jede der beiden Konzernmuttergesellschaften ein eigenständiger Aufsichtsrat. Bis 1977 tagten diese jedoch stets gemeinsam. Abgesehen von den internen Arbeitnehmervertreter waren sie zudem mit den gleichen Personen besetzt. Im folgenden ist daher zur Vereinfachung der Darstellung nur von „dem“ Aufsichtsrat die Rede. Dies ist nicht zuletzt deshalb möglich, weil alle beschriebenen Veränderungen in beiden Aufsichtsräten gleichermaßen beschlossen und umgesetzt wurden. Vgl. dazu auch PUA BT, S. 43 f. u. S. 154 ff. 211 Vgl. Protokoll AA NHH, 28.10.1969, IGM ZwA 2/17 280, S. 3 ff. Zur Einführung der Mitbestimmung vgl. Kap. 5.2.2.3 dieser Arbeit. 212 Vgl. Brief Klaus Willmann an Heinz Oskar Vetter, 12.3.1973, betr. Aufsichtsrat NHH, StA HH, 622–2 Cordua 136, S. 2.

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gliedern besetzte Ausschuß nur als vorbereitendes Organ für die Aufsichtsratssitzungen fungiert. Der Vorstand unterbreitete nun dem Aufsichtsrat den Vorschlag, dieses Gremium mit weitreichenden Kompetenzen auszustatten. Das bedeutete, daß er den Arbeitsausschuß „laufend über grundsätzliche Fragen der Geschäftstätigkeit unterrichten“ und ihm „in dringenden Fällen Beschlüsse über Gegenstände des § 12 des Gesellschaftervertrages“213 – das waren ausnahmslos alle üblicherweise dem Aufsichtsrat zufallenden Aufgaben – übertragen wollte. Gegen diese Erweiterung der Kompetenzen des Arbeitsausschusses gab es aus den Reihen der Arbeitnehmervertretung und von einzelnen Gewerkschaftsführern im Aufsichtsrat einigen Widerstand. Insbesondere die Übertragung der Beschlußfassung gemäß § 12 wurde von ihnen abgelehnt.214 Doch die Neuordnungsvorschläge hatten Vetters volle Unterstützung. Er sah darin eine Möglichkeit, trotz der mangelnden Arbeitsfähigkeit des Aufsichtsrates die Kontrolle über den Vorstand sicherzustellen und gleichzeitig sich selbst von der damit verbundenen Arbeit zu entlasten. Denn den Vorsitz des Arbeitsausschusses hatte nicht er, sondern der Vorsitzende der Gewerkschaft Gartenbau, Land- und Forstwirtschaft, Alfons Lappas, inne, der sich in den folgenden Jahren neben Vetter auf gewerkschaftlicher Seite zur Schlüsselfigur in Sachen NH entwickelte.215 Gemeinsam prägten Vetter und Lappas mit ihrer Autorität das Meinungsbild der übrigen Aufsichtsratsmitglieder. Hier spielte das später häufig als Grund für die vermeintlich mangelnde Kontrolle durch den Aufsichtsrat angeführte „blinde Vertrauen“ der Gewerkschaftsführer untereinander eine erhebliche Rolle. So ließ sich selbst der ansonsten stets kritische HBV-Vorsitzende Heinz Vietheer an Punkten mit mündlichen Erklärungen abspeisen, die unzweifelhaft der schriftlichen Fixierung bedurft hätten. Sein Einwand, es sei nicht akzeptabel, daß die Neuordnung der Befugnisse des Arbeitsausschusses diesem das Recht gebe, auch über die Geschäftsordnung des Vorstandes zu befinden, wurde von Lappas mit dem Hinweis abgebogen, „daß, solange er Arbeitsausschußvorsitzender sei, es keine Änderung der Geschäftsordnung für den Vorstand durch den Arbeitsausschuß geben werde.“216 Vietheer gab sich damit zufrieden: „Mit dieser Erklärung“, führte er aus, „seien seine Bedenken erledigt.“217 Auch die Arbeitnehmervertreter widersetzten sich dem Willen Vetters und Lappas‘ nicht. Insgesamt konnte sich der Vorstand deshalb mit seinen Vorstellungen zur Ausdehnung der Kompetenzen des Arbeitsausschusses voll und ganz durchsetzen. De facto war damit der Aufsichtsrat als Diskussions- und Entscheidungsgremium endgültig außer Gefecht gesetzt. Der Arbeitnehmervertreter Klaus Willmann be213 Befugnisse des Arbeitsausschusses der NEUE HEIMAT STÄDTEBAU, 12.3.1971, StA HH, 622–2 Cordua 1, S. 1. Vgl. auch Gesellschaftsvertrag NHS, 12.6.1969, IGM ZwA 2/17 259, S. 6. Für die NHG beantragte der Vorstand eine gleichlautende, auf § 16 des Gesellschaftsvertrags der Gesellschaft bezugnehmende Regelung, vgl. Befugnisse des Arbeitsausschusses der NEUE HEIMAT Hamburg, o. D. [12.3.1971], StA HH, 622–2 Cordua 1, S. 1. 214 Vgl. Zur Arbeitsausschußsitzung NH, 23.3.1971 [vorbereitende Notizen für Heinz-Oskar Vetter], DGBA-BV, Abt. Finanzen, 24/476 sowie Protokoll AA NHH/NHS, 23.3.1971, StA HH, 622–2 Cordua 127, S. 11 f. 215 Vgl. Protokoll AA NHH, 31.3.1970, DGBA-BV, Abt. Finanzen, 24/478, S. 2. 216 Protokoll AA NHH/NHS, 23.3.1971, StA HH, 622–2 Cordua 127, S. 12. 217 Ebd.

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merkte hierzu rückblickend, „daß die Erörterung wichtiger Fragen, die eigentlich alle Aufsichtsratsmitglieder angehen, in den relativ kleinen Kreis des Arbeitsausschusses verlagert“ worden sei. Und dies habe „ganz besonders für Diskussionen um evtl. Konfliktsituation“218 gegolten. Vietheer sprach sogar davon, daß sich der Aufsichtsrat zu einem „Jasager-Gremium“ entwickele und bemängelte, „daß aus Gründen der Solidarität gegenüber dem Unternehmen, dem Arbeitsausschuß und/oder dem Vorstand eine Diskussion über bestimmte Fragen unterbleibt.“219 Das Ergebnis der Umstrukturierung des Konzerns war also, daß nicht nur hinsichtlich der Entscheidungs-, sondern auch hinsichtlich der Kontrollstrukturen eine massive Zentralisierung der Kompetenzen stattfand: Nicht nur, daß die regionalen Aufsichtsräte entmachtet wurden; auch an der Konzernspitze konzentrierten sich die Kontrollbefugnisse nun in dem sehr kleinen Kreis des Arbeitsausschusses. Neben einen nach der Umstrukturierung erheblich gestärkten Vorstand trat somit eine Kontrollstruktur, die im wesentlichen von zwei Personen – Lappas und Vetter – geprägt war. Deren Tätigkeit wiederum war maßgeblich von ihren persönlichen Beziehungen zum Vorstand und insbesondere zum Vorstandsvorsitzenden geprägt, für die Ähnliches galt wie für das Verhältnis der Aufsichtsratsmitglieder untereinander: Auch sie ließen sich ohne Zögern mit dem Begriff „blindes Vertrauen“ beschreiben. Ein erstes Beispiel hierfür hatte schon die Frage der Kompetenzen des Arbeitsausschusses geliefert: Die von Vetters Büro vorgeschlagene Regelung, der Arbeitsausschuß solle auch Kredite und Bauprogramme ab einer bestimmten Größenordnung absegnen, ließen Lappas und Vetter fallen, weil sie einen solchen zusätzlichen Kontrollmechanismus angesichts Vietors Erfahrung für überflüssig hielten.220 Dieses weitgehende Vertrauen in die Integrationsfigur an der Spitze der Unternehmensgruppe kennzeichnete auch die Position anderer Mitglieder des Arbeitsausschusses, etwa Rudolf Sperners, des Vorsitzenden der IG BSE.221 Als zudem im April 1972 Otto Brenner, der Vietor stets kritisch gegenübergestanden hatte, verstarb, verblieb in diesem hochgradig zentralisierten und von einer starken Komponente „blinden Vertrauens“ gekennzeichneten Kontrollsystem nur noch eine einzige Gruppe, deren Mitglieder nicht a priori als „Jasager“ gelten konnten.222 Das war die Arbeitnehmervertretung. 5.2.2.3 Mitbestimmung Es ist angesichts der Tatsache, daß es sich bei der NH um ein gewerkschaftseigenes Unternehmen handelte, bemerkenswert, daß die Arbeitnehmervertretung erst zu Beginn der siebziger Jahre eine Bedeutung gewann, die eine eingehende Behandlung rechtfertigt. Zwar hatte es in der NHH schon seit 1948 einen Betriebsrat 218 Brief Klaus Willmann an Heinz Oskar Vetter, betr. Aufsichtsrat NHH, 12.3.1973, StA HH, 622–2 Cordua 136, S. 2. 219 Auszüge Brief Vietheer an Vetter, 4.1.73, StA HH, 622–2 Cordua 137. 220 Vgl. Zur Arbeitsausschußsitzung NH, 23.3.1971 [vorbereitende Notizen für Heinz-Oskar Vetter], DGBA-BV, Abt. Finanzen, 24/476. 221 Vgl. Schulz 1987, S. 131 ff. u. S. 139 sowie Hirche 1984, S. 64 f. 222 Zur Bedeutung von Brenner vgl. Interview mit Klaus-Otto Cordua, 24.3.2002.

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gegeben, und seit diesem Zeitpunkt waren auch zunächst einer, dann zwei Arbeitnehmervertreter im Aufsichtsrat der Muttergesellschaft vertreten.223 Aber anders als sich das vermuten ließe, nahm die Frage der Mitbestimmung in den eigenen Unternehmen für die Gewerkschaften keinerlei besonderen programmatischen Stellenwert ein. Die Begründung für diese auf den ersten Blick erklärungsbedürftige Tatsache war denkbar einfach. Der Gewerkschaftstag der IG Chemie-PapierKeramik formulierte sie im September 1966 wie folgt: „Gewerkschaftseigene Unternehmen sind nicht zum besonderen Vorteil der in ihnen Beschäftigten da, sondern zum Wohle einer breiten Allgemeinheit.“224 Gegenüber anderen Arbeitnehmern sollten die Gewerkschaftsangestellten deshalb gleich- und nicht bessergestellt werden. Das war eine Argumentation, die gut in den Wiederaufbaukonsens der Bundesrepublik paßte. Zu dem Zeitpunkt, zu dem die IG Chemie sie vertrat, war sie allerdings gerade in Bezug auf die Mitbestimmungsfrage schon beinahe überholt. Denn de facto erfüllte die Mitbestimmung, wie sie bei der NH praktiziert wurde, nicht einmal die Anforderungen, die das Betriebsverfassungsgesetz von 1952 formuliert hatte. Die dort vorgesehene drittelparitätische Mitbestimmung für Unternehmen mit über 500 Mitarbeitern gab es bei der Unternehmensgruppe jedenfalls nicht.225 Rein rechtlich mußte sie die gesetzlichen Bestimmungen – im Gegensatz etwa zur BfG – auch nicht erfüllen, da sie vor diesem Gesetz als ein Konglomerat unabhängiger Einzelunternehmen galt. Von diesen verfügte keines über die Mindestgröße, die für die Anwendung des Gesetzes erforderlich war. Aber de facto handelte es sich bei der NH um einen einheitlich durchstrukturierten Konzern, und dieser einheitlich durchstrukturierte Konzern lag Mitte der sechziger Jahre mit etwa 3.000 Mitarbeitern deutlich über der Grenze, die das Betriebsverfassungsgesetz für die Einführung der Mitbestimmung vorsah.226 Es kann deshalb nicht verwundern, daß gerade im Zuge der öffentlichen Diskussionen über Sinn und Zweck der gewerkschaftseigenen Wirtschaftsunternehmen zu dieser Zeit wiederholt die Forderung erhoben wurde, die Gewerkschaften sollten auch bei der NH die drittelparitätische Mitbestimmung einführen, um so ihre Glaubwürdigkeit zu erhalten.227 Die Gewerkschaften reagierten auf diese Forderungen zunächst allerdings ablehnend. Für sie zählte neben dem Argument, daß Angestellte der Gewerkschaften auf eine Besserstellung gegenüber anderen Arbeitnehmern verzichten sollten, auch noch die Überlegung, daß die Bestimmungen des Betriebsverfassungsgesetzes auch unabhängig von der Frage der Unternehmensgröße nicht so ohne weiteres auf gewerkschaftseigene Gesellschaften anzuwenden waren. Denn ihrer Meinung nach war die Mitbestimmung „in den Unternehmen der Gewerkschaften auf eine andere Ebene verlagert als im Privatbetrieb. Im Privatbetrieb gehören die Besitzer wirtschaftlich und gesellschaftlich einem anderen Lager an. Im Gewerkschaftsun223 Vgl. GB NHH 1948/51, S. 6 und GB NHH 1955, S. 5. 224 Protokoll 7. ordentlicher Gewerkschaftstag der IG Chemie, Papier, Keramik 1966 in Dortmund, zit. nach Niedenhoff 1984, S. 290 f. 225 Vgl. Betriebsverfassungsgesetz vom 11. Oktober 1952, § 77, BGBl. I, S. 681–695, hier S. 691. 226 Vgl. Anhang, Tabelle 8. 227 Vgl. Niedenhoff 1984, S. 290.

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ternehmen sitzen auf beiden Seiten Kollegen, die die Arbeitnehmerinteressen zu vertreten haben.“228 Dieser Auffassung konnten sich auch die Arbeitnehmervertreter im Aufsichtsrat der NH anschließen. Denn bis Mitte der sechziger Jahre waren so gut wie alle Konflikte zwischen ihnen und der Geschäftsführung einvernehmlich geregelt worden – was nicht zuletzt daran lag, daß die Arbeitnehmervertreter stets äußerste Zurückhaltung geübt hatten. Sie beschränkten sich in diesem Zeitraum weitgehend auf Fragen, die unmittelbare Arbeitnehmerbelange betrafen und versuchten erst gar nicht, unternehmenspolitische Grundsatzentscheidungen zu beeinflussen. Nicht zuletzt aus diesem Grunde sah sich der Betriebsratsvorsitzende Werner Staak noch 1966 „veranlaßt, auf das sehr gute Verhältnis zwischen Geschäftsführung und Betriebsrat hinzuweisen. (...) Es bestehe eine wesentlich engere Zusammenarbeit, als die gesetzlichen Bestimmungen es erfordern.“229 Die von außen an das Unternehmen herangetragene Forderung nach einer Einführung der drittelparitätischen Mitbestimmung bei der Konzernmuttergesellschaft entbehrte damit auch aus Sicht der Arbeitnehmervertreter jeglicher Dringlichkeit. Daß die Unternehmensgruppe schließlich doch umschwenkte und im Mai 1968 die drittelparitätische, ein gutes Jahr später sogar die paritätische Mitbestimmung einführte, lag daran, daß sich die Haltung der Gewerkschaften zu dieser Frage Ende der sechziger Jahre innerhalb kürzester Zeit grundlegend veränderte. Das war zum einen auf die zunehmende Unruhe der Gewerkschaftsbasis zurückzuführen. Seit den Vorwürfen über die Machtkonzentration der Gewerkschaften gärte es in der Mitgliedschaft. Zum anderen war es auch einer im Gefolge der Rezession veränderten gewerkschaftspolitischen Schwerpunktsetzung zu verdanken. Denn seit dem Frühjahr 1968 erneuerten die Gewerkschaften ihre Forderungen nach einer Ausdehnung der Mitbestimmung, ja sie bauten sie in den folgenden Jahren sogar zur wichtigsten gewerkschaftspolitischen Forderung überhaupt aus.230 Das sollte als eine Art Kompensation für die seit der Rezession angeratene Lohnzurückhaltung dienen und paßte auch gut zur „Hoffnung auf eine gesellschaftliche Zukunft, die ‚planbar‘ sein sollte, was eben auch hieß: wirtschaftspolitisch regulierbar, möglichst auf der Grundlage einer paritätischen Beteiligung der großen wirtschaftlich-sozialen Kräfte.“231 Unter diesen Umständen häuften sich seit 1968 die Forderungen von Mitgliedern nach einer Einführung der Mitbestimmung in gewerkschaftseigenen Unternehmen.232 In der in diesem Jahr gebildeten Kommission für ein neues Aktionsprogramm, die maßgeblich an der Erneuerung der Mitbestimmungsforderungen mitwirkte, wurde deshalb auch diese Frage verhandelt. Bei dieser Gelegenheit 228 Protokoll 7. ordentlicher Gewerkschaftstag der IG Chemie, Papier, Keramik 1966 in Dortmund, zit. nach ebd., S. 291. 229 Protokoll AA NHH, 13.1.1966, IGM ZwA 2/17 265, S. 17 f. 230 Vgl. Schönhoven 1987, S. 236 sowie Arno Klönne/Hartmut Reese, Zeiten des Umbruchs – Die Gewerkschaften unter der Großen Koalition, in: Hemmer/Schmitz 1990, S. 251–279, hier S. 265. 231 Ebd. 232 Vgl. Schreiben Vetters an die Mitglieder des BV, betr. Mitbestimmung bei der BfG, 10.2.1971, DGBA-BV, Abt. Vorsitzender, 5/DGAI 469.

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blieb die DGB-Spitze aber zunächst noch bei ihrer alten Meinung und vertrat weiterhin die Auffassung, „daß die bei den Gewerkschaften selbst beschäftigten Kollegen grundsätzlich nicht besser gestellt werden dürften als die vertretenen Mitglieder und daß deshalb die von den Gewerkschaften erhobenen Forderungen im eigenen Bereich erst dann erfüllt werden könnten, wenn diese Forderungen auch in der Wirtschaft zumindest teilweise verwirklicht seien.“233 Immerhin fand sich die NH aber im Mai 1968 auf den Druck der Mitglieder hin bereit, als letztes der großen gewerkschaftseigenen Unternehmen wenigstens die drittelparitätische Mitbestimmung einzuführen.234 Damit was das Problem allerdings nicht erledigt. Schließlich ging der DGB genau zu diesem Zeitpunkt öffentlich verstärkt mit der Forderung nach paritätischer Mitbestimmung hausieren. Schon ein Jahr später hatte sich deshalb, so berichtete Otto Brenner im Februar 1969 an den Bundesvorstand, „gezeigt, daß im Zuge der zunehmenden Intensivierung der Mitbestimmungsdiskussion die Frage nach der Mitbestimmung in den gewerkschaftseigenen Unternehmen sowohl in der Öffentlichkeit als auch in der Mitgliedschaft immer dringlicher gestellt wird. Dabei wird den Gewerkschaften Doppelzüngigkeit und Unglaubwürdigkeit vorgeworfen, wenn sie nicht bereit seien, die von ihnen propagierten Mitbestimmungsvorstellungen schon jetzt in den eigenen Unternehmen zu praktizieren.“235 Brenner erkannte hierin, nachdem er in der Frage der Sonderleistungen für Gewerkschaftsmitglieder hatte zurückstecken müssen, eine Chance, die Besonderheiten der gemeinwirtschaftlichen Unternehmen stärker zu profilieren. Er entwikkelte sich nun zur treibenden Kraft in dieser Frage und sorgte dafür, daß von der Abteilung Mitbestimmung beim DGB-Bundesvorstand Vorschläge für die Verwirklichung der Mitbestimmung in den gewerkschaftseigenen Unternehmen ausgearbeitet wurden. Als der DGB-Bundeskongreß dann im Mai 1969 einen Antrag verabschiedete, in dem der Bundesvorstand aufgefordert wurde, die gemeinwirtschaftlichen Unternehmen zu einer freiwilligen Einführung der qualifizierten Mitbestimmung zu drängen, verfügte der Bundesvorstand deshalb bereits über ein fertiges Konzept, das er nur noch umzusetzen brauchte.236 Die Abteilung Mitbestimmung hatte herausgearbeitet, daß die paritätische Mitbestimmung nur für die drei großen gewerkschaftseigenen Unternehmen, also die BfG, die Volksfürsorge und die NH, überhaupt in Frage kam. Dafür sollten zwischen dem DGB als Vertreter der Anteilseigner und den jeweils für die Arbeitnehmer zuständigen Gewerkschaften – bei der NH waren dies die HBV und IG BSE – freiwillige Vereinbarungen geschlossen werden, in denen sich die Parteien darauf einigten, bei den Unternehmen das sogenannte „DGB-Modell“ der Mitbe233 Vorlage für die Sitzung des BV, betr. Einführung der qualifizierten Mitbestimmung in den gewerkschaftseigenen Unternehmen, 4.2.1969, DGBA-BV, Abt. Vorsitzender, 5/DGAI 461, S. 1. 234 Vgl. Protokoll AA NHH, 2.5.1968, DGBA-BV, Abt. Finanzen, 24/449, S. 13. 235 Vorlage für die Sitzung des BV, betr. Einführung der qualifizierten Mitbestimmung in den gewerkschaftseigenen Unternehmen, 4.2.1969, DGBA-BV, Abt. Vorsitzender, 5/DGAI 461, S. 1. 236 Vgl. ebd. und: Mitbestimmung in gemeinwirtschaftlichen Unternehmen (Antrag Nr. 354), in: DGB, Abt. Organisation o. J. [1969], Abschnitt „Anträge und Entschließungen“, S. 331–332.

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stimmung einzuführen. Im Klartext hieß das, daß der Aufsichtsrat aus 21 Mitgliedern bestehen sollte – zehn Vertreter der Anteilseigner, zehn Vertreter der Arbeitnehmer und als 21. Mitglied ein „neutraler Mann“. Drei der Arbeitnehmervertreter sollten Externe, also Gewerkschaftsfunktionäre sein.237 Schon bei der Umbildung des Aufsichtsrates zur Einführung der Drittelmitbestimmung, die ebenfalls unter Einbeziehung externer Arbeitnehmervertreter vonstatten gegangen war, hatte sich bei der NH daraus eine absurd anmutende Konsequenz ergeben. Weil eine Aufblähung des Aufsichtsrates partout verhindert werden sollte, wurden nur zwei statt der eigentlich nötigen drei Arbeitnehmervertreter neu gewählt. Den dritten Posten nahm der Vorsitzende der Gewerkschaft HBV, Heinz Vietheer, ein. Er hatte dem Aufsichtsrat bis zu diesem Zeitpunkt als Gesellschaftervertreter angehört und wechselte nun die Fronten.238 Und genau dieses Bäumchen-wechsel-Dich-Spiel sollte nun bei den Neuwahlen der Aufsichtsräte aller drei zur Debatte stehenden Unternehmen wiederholt werden. Auf die Spitze getrieben wurde dieses Problem noch dadurch, daß die Mitbestimmungsvereinbarungen als „neutralen Mann“ in allen Unternehmen den DGBVorsitzenden Heinz Oskar Vetter vorsahen, der gleichzeitig auch Vertreter des größten Anteilseigners, des DGB, war. Kritiker der Gewerkschaften – besonders das industrienahe Institut der deutschen Wirtschaft – nahmen diese Vorgehensweise zum Anlaß, das Vorhaben der paritätischen Mitbestimmung in den gewerkschaftseigenen Unternehmen als bloße Rhetorik zu brandmarken; schließlich sähen sie vor, daß in den Aufsichtsräten jeweils 14 Anteilseigner, aber nur sieben Arbeitnehmervertreter säßen.239 Mit dieser Kritik stand das Arbeitgeberlager nicht alleine: Bei der BfG etwa stieß die Einführung der paritätischen Mitbestimmung auf den heftigen Widerstand des Gesamtbetriebsrates, weil dieser Vetter nicht als „neutralen Mann“ akzeptieren wollte.240 Bei der NH gab es solche Stimmen allerdings nicht. Vietors Position war derart gefestigt, daß er die Diskussion mit einem Machtwort beenden konnte. Er konterte die Kritik aus dem Arbeitgeberlager mit dem Argument, bei der Unternehmensgruppe säßen „21 Arbeitnehmervertreter im Aufsichtsrat“;241 und damit war die Angelegenheit erledigt. Auch der Betriebsrat hatte dem nichts hinzuzufügen. So kam es, daß die NH, wiewohl sie den anderen gewerkschaftseigenen Unternehmen bei der Einführung der drittelparitätischen Mitbestimmung jahrelang hinterhergehinkt war, als erstes dieser Unternehmen eine Mitbestimmungsvereinbarung abschloß und somit die paritätische Mitbestimmung einführte. Allerdings ging das nicht problemlos über die Bühne. Schließlich mußte hierfür der Aufsichtsrat von zuletzt 33 auf 21 Personen verkleinert werden. Das widerstrebte dem Vorstand, weil er nicht nur in den Aufsichtsräten der Regionalgesellschaften, son237 Vgl. §§ 1 u. 2 der Vereinbarung zwischen DGB und IG BSE/HBV über die Zusammensetzung des Aufsichtsrates der NHH, 26.8.1969, DGBA-BV, Abt. Vorsitzender, 5/DGAI 462, S. 1. 238 Vgl. Protokoll AA NHH, 2.5.1968, DGBA-BV, Abt. Finanzen, 24/449, S. 13. 239 Vgl. Niedenhoff 1984, S. 295. 240 Vgl. Protokoll BV 3.2.1971 [Entwurf], DGBA-BV, Abt. Vorsitzender, 5/DGAI 469, S. 12 sowie Anlage zum Protokoll GBV 8.3.1971, DGBA-BV, Abt. Vorsitzender, 5/DGAI 382, S. 1. 241 Zit. nach Handelsblatt, 6.12.1972.

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dern auch im Aufsichtsrat der Muttergesellschaften ein Akquisitionsorgan sah, das mit möglichst vielen externen Kontaktleuten besetzt sein sollte. Vietor löste das Problem dadurch, daß er, wie bereits beschrieben, zusätzlich zum Aufsichtsrat einen erweiterten Beirat schuf. Einer Umgestaltung des Aufsichtsrates stand nun nichts mehr im Wege. Im November 1969 wählte die NHH das Kontrollgremium neu und bestimmte dabei neben sieben Arbeitnehmern und zehn Arbeitgebervertretern mit Heinz Vietheer, Carl Stenger und Karl-Heinz Tiedtke drei Personen zu externen Arbeitnehmervertretern, die jeweils auch die Vorsitzenden von Gewerkschaften waren, die bei der NHH als Anteilseigner im Buche standen.242 Bei der NHS, die sich zu diesem Zeitpunkt noch im Aufbau befand, wurde etwa ein Jahr später nach dem gleichen System verfahren. In den Regionen gab es allerdings Schwierigkeiten bei der Umsetzung der Mitbestimmung. Denn Vietor nutzte sie dazu, seine im Zuge der Umstrukturierung 1970/71 angepeilte Umwandlung der regionalen Aufsichtsräte in Beiräte ohne Entscheidungskompetenzen zu beschleunigen. Gegen diese Neuregelung der Kompetenzen der regionalen Aufsichtsräte liefen die Arbeitnehmervertreter in diesen Gremien Sturm, weil sie ihre gewachsene Mitbestimmung durch die „Degradierung“243 zu Beiräten gefährdet sahen. Aus dem Beschluß über die neue Aufgabenverteilung zwischen Muttergesellschaft und Regionalgesellschaften, so urteilten die Arbeitnehmervertreter der NH Nordrhein-Westfalen, „ergeben sich u. E. recht erhebliche Konsequenzen insofern, als dass die Rechte der Arbeitnehmervertreter in den regionalen Aufsichtsräten fast gänzlich aufgehoben werden. Hierdurch wird die Mitbestimmung in den Regionalgesellschaften bewusst abgebaut und zu einer Farce.“244 Diesem Argument mußte Vietor begegnen. Er tat es auf zweierlei Weise: Zum einen versuchte er, den Arbeitnehmern in den Regionen glaubhaft zu machen, daß ihre Mitspracherechte nicht angetastet würden.245 Zum anderen aber nutzte er nun die Einführung der paritätischen Mitbestimmung auf Konzernebene als Argument, um die Entmachtung der Regionen zu rechtfertigen. „Wenn man“, so führte er aus, „das Ziel, die paritätische Mitbestimmung bei der Muttergesellschaft einzuführen, erreichen wolle, dürfe man nicht entgegengesetzt verfahren und die Befugnisse der Regionalgruppen stärken.“246 Seine Zustimmung zur Einführung der Mitbestimmung war also auch darauf zurückzuführen, daß sie für ihn ein Aspekt der ohnehin im Gange befindlichen Zentralisierung der Unternehmensgruppe war. Tatsächlich hatte er mit dieser Linie Erfolg; sie half mit, die Zentralisierung gegenüber den Gewerkschaftsvertretern im Aufsichtsrat zu rechtfertigen und sie somit durchzusetzen. Die freiwillig eingerichteten Arbeitnehmervertretungen in den Aufsichtsräten der Regionalgruppen blieben zwar erhalten, aber zu sagen hat242 Protokoll AA NHH, 28.10.1969, IGM ZwA 2/17 280, S. 4. 243 Vorlage Vetters zur Arbeitsausschußsitzung NH, 23.3.1971, DGBA-BV, Abt. Finanzen, 24/476, S. 1 f. 244 Schreiben der Arbeitnehmervertreter NH NRW an Vetter, 15.2.1971, StA HH, 622–2 Cordua 169. Vgl. auch Schreiben der Arbeitnehmervertreter NH Bremen an Vetter, 5.4.1971, StA HH, 622–2 Cordua 169. 245 Vgl. Protokoll AR NHH, 8.4.1971, DGBA-BV, Abt. Finanzen, 24/476, S. 4. 246 Protokoll AA NHH/NHS, 23.3.1971, StA HH, 622–2 Cordua 127, S. 8.

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ten sie – ebenso wie diese regionalen Aufsichtsräte insgesamt – seit 1971 nichts mehr.247 Die Einführung der paritätischen Mitbestimmung begünstigte auf diese Weise die extreme Zentralisierung, die den Umstrukturierungsplänen des Jahres 1970 zugrunde lag. 5.2.2.4 Personalwesen und betriebliche Sozialpolitik Diese Indienstnahme der betrieblichen Sozialpolitik für die Zentralisierung der Unternehmensgruppe war auch auf einem anderen Feld deutlich zu erkennen: im Personalwesen. Zu den gewerkschaftlichen Forderungen zum Thema Mitbestimmung gehörte – so hatte es beispielsweise die Kommission zur Vorbereitung des Aktionsprogramms beschlossen – auch die Berufung eines für das Personal- und Sozialwesen zuständigen Vorstandsmitgliedes. Nichts lag näher, als auch diese Forderung an die gewerkschaftseigenen Unternehmen heranzutragen. Vietor war gegen die Einführung eines solchen Vorstandsmandates; aber da ihm angesichts des Drucks, den die Gewerkschaften in dieser Frage ausübten, Widerstand zwecklos erschien, versuchte er, das Beste daraus zu machen. Wenn schon ein Personalvorstand eingeführt werde, so lautete sein Argument, müsse dieser zumindest die Kompetenzen erhalten, Personal- und Sozialangelegenheiten für die gesamte Unternehmensgruppe und nicht nur für die Muttergesellschaften regeln zu können.248 Das war insofern ein nachvollziehbares Argument, als ein Personalvorstand nur für die Muttergesellschaften angesichts von deren 1970 gerade einmal 400 Angestellten tatsächlich des Guten ein wenig zuviel bedeutet hätte.249 Andererseits zog Vietors Standpunkt einschneidende Konsequenzen nach sich. Denn rechtlich war eine solche Zuständigkeit für alle Angestellten der Unternehmensgruppe nicht ohne weiteres möglich. Schließlich hatten die Angestellten ihre Arbeitsverträge stets mit der jeweiligen Regional- oder Spezialgesellschaft, bei der sie arbeiteten, abgeschlossen. Die einzige Chance, dem Personalvorstand die Kompetenzen für die gesamte Belegschaft der Unternehmensgruppe zuzusprechen, bestand daher darin, das Personal der Unternehmensgruppe komplett auf die NHH bzw. auf die NHS-Muttergesellschaft zu transferieren.250 Diese Idee paßte genau in das Schema, das sich Vietor für die Umstrukturierung des Gesamtkonzerns zurechtgelegt hatte und das da lautete, durch eine möglichst weitgehende Zentralisierung aller Kompetenzen zu einer straffen Führung der Unternehmensgruppe zu gelangen. Die Forderung nach einem Personalvorstandsmitglied entwickelte sich so unversehens zu einem weiteren Katalysator der Zentralisierung. Tatsächlich gelang es Vietor, die Belegschaftsvertreter in den Regionalgesellschaften davon zu überzeugen, daß eine Übernahme des Personals durch Hamburg zu ihrem Besten sei. Erst durch sie, so lautete sein Argument, könnten alle Mitarbeiter gleichermaßen

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Vgl. Protokoll AA NHH/NHS, 9.11.1970, DGBA-BV, Abt. Finanzen, 24/476, S. 5. Vgl. Protokoll AA NHH, 1.7.1970, DGBA-BV, Abt. Finanzen, 24/476, S. 7 f. Vgl. ebd., S. 7. Vgl. Protokoll AA NHH/NHS, 23.3.1971, StA HH, 622–2 Cordua 127, S. 6.

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von der paritätischen Mitbestimmung profitieren.251 Der Beschluß zur Durchführung der Zentralisierungsmaßnahmen beinhaltete deshalb auch die Übernahme des gesamten Personals in die jeweiligen Zentralen.252 Vietor und der Vorstand hatten so zumindest erreicht, daß die Einführung eines Personalvorstandsmitgliedes im Sinne ihrer organisatorischen Zielsetzungen nutzbar gemacht wurde. Zwei bittere Pillen mußten sie allerdings schlucken. So wurde nach der Übernahme des gesamten Personals auf die NHH – diese erfolgte schrittweise und war zum 1.7.1971 größtenteils abgeschlossen – auch ein Konzernbetriebsrat gebildet, und zwar jeweils getrennt für NHG und NHS.253 Vietor hätte hierauf wohl gut und gerne verzichten können. Denn während die gewachsene Mitbestimmung in den Regionalgesellschaften von einem recht konstruktiven Verhältnis geprägt war, konnte dies für die Konzernbetriebsräte nicht ohne weiteres gelten. Vor allem der Konzernbetriebsrat der NHS entwickelte sich in den folgenden Jahren zum wichtigsten unternehmensinternen Gegenspieler des Vorstandes – egal, ob es um weitere Umstrukturierungsmaßnahmen, um die Auslandspolitik der Unternehmensgruppe oder um die Gehälter des Vorstandes ging.254 Darauf wird in Kapitel 6 zurückzukommen sein. Auch mit dem Personalvorstand selbst wurde Vietor nicht recht glücklich. Wie wenig er auf die Einführung dieses Postens, für den mit Helmut Pinther der vormalige Leiter der Abteilung Arbeitsrecht beim DGB-Bundesvorstand ausersehen wurde, erpicht gewesen war, war schon daran ersichtlich, daß er zunächst die bei ihm angesiedelte Kompetenz für das Arbeits- und das Betriebsverfassungsrecht nicht an Pinther abgeben wollte – oder auch daran, daß Pinther in der internen Vertretungsregelung des Vorstandes stets zuletzt genannt und gelegentlich auch nicht ganz ernst genommen wurde.255 Solche Nickeligkeiten konnten allerdings nicht verhindern, daß das Personalund Sozialwesen unter Pinther in den folgenden Jahren einen Ausbau erlebte, der seinesgleichen suchte. Das hatte im Kern die gleiche Ursache, die auch schon zur Einführung seines Amtes geführt hatte, nämlich die Tatsache, daß die Gewerkschaften seit Ende der sechziger Jahre auf die Frage der Ausgestaltung der Arbeitsverhältnisse innerhalb ihrer eigenen Unternehmen ein besonderes Augenmerk gerichtet hatten und auch gewillt waren, ihre Vorstellungen notfalls gegen den Vorstand durchzusetzen. Besonders deutlich spürbar war dies in der Tarifpolitik und in den Sozialleistungen, die die Unternehmensgruppe gewährte. Einen ersten Schritt stellte das Rationalisierungsschutzabkommen dar, das 1970 im Zusammenhang mit der Umstrukturierung des gemeinnützigen Konzernteils abgeschlossen wurde. Es sah vor, daß Kündigungen aufgrund von Betriebsänderungen oder Ra251 Mit diesem Argument gaben sich die Arbeitnehmervertreter auch tatsächlich zufrieden, vgl. Protokoll AA NHH/NHS, 9.11.1970, DGBA-BV, Abt. Finanzen, 24/476, S. 5. 252 Vgl. Protokoll AA NHH/NHS, 23.3.1971, StA HH, 622–2 Cordua 127, S. 6. 253 Vgl. Protokoll AR NHS, 26.11.1971, IGM ZwA 2/17 259, S. 7. 254 Zu den Auseinandersetzungen zwischen dem Vorstand und dem Konzernbetriebsrat der NHS vgl. die zusammenfassende Aufstellung von Cordua, Wichtige Aktivitäten der ANV seit 1970, o. D. [ca. 1982], StA HH, 622–2 Cordua 169. 255 Vgl. Mehnert 1997, S. 133 f. Zur Person Pinthers vgl. den Lebenslauf in StA HH, 622–2 Cordua 165.

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tionalisierungen nur dann möglich sein sollten, wenn mindestens sechs Monate zuvor ein Einstellungsstop ausgesprochen worden war. Auch dann galten – je nach Dauer der Betriebszugehörigkeit – noch Kündigungsfristen von sechs bis 18 Monaten, eine finanzielle Entschädigung und die Fortdauer von evtl. gewährleisteten Arbeitgeberdarlehen. Versetzungen an andere Arbeitsplätze waren nur mit Zustimmung des Betriebsrates möglich. Dieses Abkommen hatte, wie Pinther stolz berichtete, „in seinem materiellen Inhalt zugunsten der betroffenen Arbeitnehmer kaum ein Beispiel.“256 Das war eine Aussage, die ohne Zweifel auch für fast alle anderen Leistungen galt, die die NH ihren Mitarbeitern auf dem Gebiet des Personal- und Sozialwesens bot: Die allgemeine Betriebsvereinbarung beinhaltete großzügige Regelungen für die Urlaubsgewährung, Sonderurlaube, das Urlaubsgeld, Jubiläumszahlungen und ähnliches.257 Die Ruhegeldordnung wurde – wiewohl bereits zuvor recht großzügig bemessen – 1971 nochmals erweitert. Sie garantierte nun bereits nach zehnjähriger Betriebszugehörigkeit eine Altersrente in Höhe von 50% des Durchschnitts der letzten 24 Brutto-Monatsgehälter, ein Satz, der sich mit jedem weiteren Jahr um einen Prozentpunkt steigerte.258 Hinzu kam, daß der Vorstand den Mitarbeitern eine ganze Reihe von Sonderleistungen bot: Neben der Zahlung von vermögenswirksamen Leistungen bestand bei der Unternehmensgruppe auch eine „Vergabeordnung“ für den Erwerb eines Eigenheimes. Gemäß dieser Vergabeordnung erhielten Mitarbeiter beim Kauf eines Hauses oder einer Eigentumswohnung aus dem Angebot der Unternehmensgruppe einen Nachlaß von zehn Prozent. Auch das Betreuungsangebot konnten die Angestellten in Anspruch nehmen und dabei einen erheblichen Gebührenerlaß erhalten – und obendrein einen Teil ihrer Ausgaben über ein von der NH gewährtes Arbeitgeberdarlehen finanzieren.259 Und nicht zuletzt die Zusatzvereinbarung zum Tarifvertrag, an der Pinther seit 1971 gearbeitet hatte und die im Januar 1974 unter Dach und Fach gebracht wurde, konnte sich sehen lassen. Da die Unternehmensgruppe schon seit Jahrzehnten stets übertariflich bezahlt hatte und zudem aufgrund ihrer Größe einen Grad der inneren Ausdifferenzierung aufwies, der in der Branche ohne Beispiel war, waren insbesondere die Eingruppierungen des Tarifvertrages für die Wohnungswirtschaft für sie weitgehend unbrauchbar. Pinther machte Nägel mit Köpfen und entwarf eine Gehaltsstruktur, die, wie auch Kritiker der Unternehmensgruppe anerkennen mußten, vorbildlich gestaltet war.260 So konnte etwa die Tatsache, daß die Eingruppierungsregeln dieser Gehaltsstruktur vorsahen, die Bezahlung allein von den Tätigkeitsmerkmalen abhängig zu machen und die Frage, „auf welche Weise der Arbeitnehmer die dafür erforderliche Qualifikation erworben hat“, für irrelevant 256 Protokoll AR NHS, 26.11.1971, IGM ZwA 2/17 259, S. 7. Dort auch zum Inhalt des Rationalisierungsschutzabkommens. 257 Vgl. Scheiner/Schmidt 1974, S. 185 ff. 258 Vgl. Protokoll AR 26.11.1971, IGM ZwA 2/17 259, S. 8 und Scheiner/Schmidt 1974, S. 188. 259 Vgl. ebd., S. 191. 260 Vgl. Zusatzvereinbarung zum Gehaltstarifvertrag für die Angestellten und zum Rahmentarifvertrag für die gewerblichen Arbeitnehmer in der Wohnungswirtschaft, 21.1.1974, StA HH, 622–2 Cordua 14; Zusatzvereinbarung zum Gehaltstarif- und Rahmentarifvertrag, Vorlage zu TOP 7 AR NHH/NHS, 15.2.1974, StA HH, 622–2 Cordua 14 und JB 1973/74, S. 90.

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erklärten, als „für deutsche Verhältnisse fast sensationell“261 gelten. Da war es schon kaum mehr der Erwähnung wert, daß bei der Einstufung bestehende Besitzstände in jedem Falle gewahrt wurden und die Unternehmensgruppe grundsätzlich 14 Monatsgehälter bezahlte. Angesichts dieses Kataloges von Sozialleistungen kann es kaum verwundern, daß die Arbeitnehmer von der Arbeit des Personalvorstandes in diesen Jahren sehr angetan waren. Sie wüßten, so führte der Arbeitnehmervertreter Klaus Willmann im Aufsichtsrat aus, „zu schätzen, was hier geleistet werde“262 und bedankten sich dafür ausdrücklich beim gesamten Vorstand der Unternehmensgruppe. Das war allerdings in gewissem Sinne die falsche Adresse. Denn die Begeisterung des Vorstandes über diese Maßnahmen hielt sich in Grenzen. Zwar konnte die großzügige Gehaltsstruktur das Problem der Rekrutierung von Arbeitskräften und insbesondere von qualifiziertem Fachpersonal, das seit Ende der sechziger Jahre zunehmend an Bedeutung gewonnen hatte, überwinden helfen (aus diesem Grund unterstützte der Vorstand auch zumindest einen Aspekt von Pinthers Tätigkeit ohne jeden Vorbehalt: die innerbetriebliche Aus- und Weiterbildung, die in der ersten Hälfte der siebziger Jahre massiv ausgebaut wurde).263 Doch die mit diesen Leistungen in Gang gesetzte Kostenspirale mußte den Vorstand beunruhigen. Anders als in fast allen anderen Fragen der Geschäftspolitik biß er allerdings hinsichtlich der Personal- und Sozialpolitik beim DGB auf Granit. Deutlich wurde dies beispielsweise, als die Aufsichtsräte in der ersten Hälfte des Jahres 1973 die Einführung eines Systems „leistungsbezogener Zusatzvergütungen“ debattierten. Der Vorstand hatte bemängelt, daß die ausschließliche Eingruppierung von Mitarbeitern nach Tätigkeitsmerkmalen den Aspekt der individuellen Leistung unberücksichtigt lasse. Um dieses Manko auszugleichen, schlug er ein Prämiensystem vor, das zunächst die Leistung von Regionalgesellschaften kollektiv honorieren, später aber auf betriebliche Teileinheiten und langfristig auch auf individuelle Leistungen anwendbar sein sollte.264 Damit drang er allerdings weder bei den Gewerkschaften noch beim Betriebsrat durch. Sie bemängelten, daß die für die Ausschüttung vorgesehene Summe vom Vorstand ohne Berücksichtigung der Mitbestimmung festgelegt werde und waren der Auffassung, daß das Prämiensystem in der vorliegenden Form ungerecht sei. Mit ihrer äußerst skeptischen Haltung zwangen sie die Geschäftsführung dazu, ihre Vorlage zurückzuziehen – „weil die NH aus gewerkschaftl. Sicht astrein bleiben muß!“265 261 Scheiner/Schmidt 1974, S. 184. 262 Protokoll AA NHH/NHS, 17.5.1973, DGBA-BV, Abt. Finanzen, 24/478, S. 18. 263 Zur Gehaltsstruktur vgl. 1975 Gehaltsstruktur der NH/Jahr [handschriftl. Notiz Corduas], o. D. [1975], StA HH, 622–2 Cordua 170. Zu den Aus- und Weiterbildungsmaßnahmen vgl. Unternehmensgruppe „NEUE HEIMAT“. Personal- und Sozialwesen, Anlage 2: Übersicht über die 1973 durchgeführten innerbetrieblichen Aus- und Weiterbildungsmaßnahmen, 5.9.1973, DGBA-BV, Abt. Finanzen, 24/479. Zur Unterstützung dieser Maßnahmen durch den Vorstand vgl. Protokoll NHS 26.11.1971, IGM ZwA 2/17 259, S. 7 f. 264 Vgl. Entwicklung eines Modells für leistungsbezogene Zusatzvergütungen im Bereich der Unternehmensgruppe NEUE HEIMAT Städtebau- und Wohnungsgesellschaften, Vorlage zu TOP 2.4.2 AA NHH/NHS, 23.3.1973, StA HH, 622–2 Cordua 136. 265 Handschr. Notiz Corduas, betr. Punkt 1.3.2 der TO AA NHH/NHS 17.5.1973, StA HH, 622– 2 Cordua 137, Blatt 1.

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Dies war eine Auffassung, die merklich von der noch wenige Jahre zuvor vertretenen Meinung, daß Angestellte in gewerkschaftlichen Unternehmen nicht bessergestellt werden dürften als andere Arbeitnehmer, differierte. Die harte Haltung des DGB in dieser Frage war vor allem darauf zurückzuführen, daß die Ausgestaltung der innerbetrieblichen Beziehungen ein Argument gegen die zunehmende Kritik zu bieten schien, die der NH und zum Teil auch den anderen gewerkschaftlichen Unternehmen seit Beginn der siebziger Jahre von Seiten der Gewerkschaftsbasis entgegenschlug.266 Sie hätte allerdings kaum aufrechterhalten werden können, wenn nicht das Umfeld, in dem sich die NH bewegte, so expansiv gewesen wäre wie nie zuvor. Die Vorstöße der Unternehmensgruppe in die neuen Märkte der Sanierungstätigkeit und des „integrierten Städtebaus“ waren so erfolgreich, daß ihr hoher Soziallevel trotz der Bedenken des Vorstandes problemlos zu finanzieren war. Diesen Vorstößen in die neuen Märkte widmet sich der nächste Abschnitt.

5.3 „WIR MACHEN ALLES“: PRODUKTSTRATEGIEN IM ZEICHEN DER STRUKTURPOLITIK 5.3 PRODUKTSTRATEGIEN IM ZEICHEN DER STRUKTURPOLITIK 5.3.1 Der Geist der Moderne: Städtebau nach neuen Leitbildern 5.3.1.1 Die Sanierungsfrage Die Erschließung neuer Märkte durch die NH in dem Zeitraum zwischen 1966 und 1973 zeichnete sich durch zwei besondere Merkmale aus. Zum einen ging mit ihr eine gewaltige betriebliche Expansion einher. In diesem Zusammenhang war es ohne Zweifel der kommerzielle Städtebau, dem die größte Bedeutung zukam, während die Unternehmensgruppe im Wohnungsbau mit einigen Problemen zu kämpfen hatte. Zum anderen war sie aber auch in hohem Maße von dem Versuch gekennzeichnet, die strukturpolitische Konzeption, die den Ausgangspunkt der Expansionsbemühungen markiert hatte, in die Tat umzusetzen – und mit ihr eine Reformagenda, die auf einer spezifischen Vorstellung von Modernität und Planbarkeit beruhte. Auch hierfür war der kommerzielle Städtebau von Bedeutung. Aber noch deutlicher trat diese Tendenz in zwei anderen Bereichen zutage: im Großsiedlungsbau, und in der Stadterneuerung. Daß bei der Stadterneuerung ein großes Aufgabenfeld zu bewältigen war, war allerdings nicht erst seit der Rezession 1966/67 abzusehen. Schon mit der Wende vom Wohnungsbau zum Städtebau zu Beginn der sechziger Jahre war die Sanierungsfrage in das Zentrum der öffentlichen Aufmerksamkeit gerückt. Allerdings fehlte es zu diesem Zeitpunkt sowohl an den finanziellen als auch an den (boden)rechtlichen Voraussetzungen, um das Problem im großen Maßstab angehen zu können.267 Seit Mitte der sechziger Jahre wurden deshalb im Wohnungsbauministerium unter der Regie von Paul Lücke Pläne für eine systematische Förderung der Sanierungstätigkeit und für die Einrichtung eines der Wohnungsbaufi266 Vgl. Kap. 6.3 dieser Arbeit. 267 Vgl. Kap. 4.2.1.1 dieser Arbeit.

5.3 Produktstrategien im Zeichen der Strukturpolitik

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nanzierung vergleichbaren Systems der Städtebaufinanzierung gewälzt. Nach einer Reihe von Vorentwürfen brachte die Bundesregierung 1965 einen ersten Entwurf für ein Städtebauförderungsgesetz in den Bundestag ein, der die Frage der Bodenordnung zunächst außen vor ließ und in erster Linie als Finanzierungsgesetz mit allerdings relativ unbestimmten Maßgaben gedacht war.268 Zunächst scheiterten die Bemühungen um dieses Gesetz daran, daß der Bundesrat die verfassungsrechtliche Kompetenz des Bundes, den Gemeinden Finanzierungshilfen zur Verfügung zu stellen, bezweifelte. Allerdings bedeutete diese Verzögerung noch nicht, daß die Städte in punkto Sanierungen völlig ohnmächtig waren. Denn zum einen konnten Sanierungsmaßnahmen auch auf Grundlage des Bundesbaugesetzes in Angriff genommen werden, wenn hierfür ausreichende Mittel zur Verfügung standen.269 Zum anderen hatte der Bund im Vorgriff auf die Einführung des Städtebauförderungsgesetzes 1962 die Möglichkeit einer Sanierungsförderung im Rahmen von Studien- und Modellvorhaben eingerichtet. Diese sollten dazu dienen, Erfahrungen für die Einrichtung des Städtebauförderungsgesetzes zu sammeln und sie durch begleitende sozialwissenschaftliche Forschungen systematisch auszuwerten. Um die Teilnahme an solchen Modellvorhaben bewarben sich eine ganze Reihe von Städten, aus denen schließlich 1966/67 neben einigen anderen mit Hameln, Osnabrück, Stade und Karlsruhe auch solche Projekte ausgesucht wurden, an denen die NH maßgeblich beteiligt war.270 Mit am weitesten fortgeschritten waren die Debatten zu diesem Zeitpunkt in Hameln, das in vielerlei Hinsicht einen Modellfall für die Sanierungsmaßnahmen bot, die die Unternehmensgruppe als Bauträger verantwortete. Der Rat der Stadt hatte schon 1964 beschlossen, für die Innenstadt einen neuen Bebauungsplan aufzustellen und die Altstadt zum Sanierungsgebiet im Sinne des Bundesbaugesetzes zu erklären. 1966 beantragte er die Förderung im Rahmen der Modellvorhaben des Bundes, die ein Jahr später auch bewilligt wurde. Etwa zum gleichen Zeitpunkt erging an die Gewos der Auftrag, ein Gutachten zur Sanierung der Altstadt zu erstellen.271 Warum die Stadt gerade die Gewos hiermit beauftragte, ist unklar; eine nachvollziehbare Entscheidung war es allemal, da der Verein als eine der wenigen deutschen Forschungseinrichtungen über die nötige Expertise für eine solche Un268 Vgl. Günter Gaentzsch, Gesetz über städtebauliche Sanierungs- und Entwicklungsmaßnahmen in den Gemeinden – Städtebauförderungsgesetz – vom 27. Juli 1971. Kommentar, Siegburg 1971, S. 4 f.; Eberhard von Einem, Zur Entstehung und Funktion des Städtebauförderungsgesetzes, arch+ 16.1972, S. 3–46, hier S. 3 ff.; Pergande/Pergande 1973, S. 159 ff.; Krummacher 1978, S. 261 ff. sowie Beyme 1987, S. 137 ff. 269 Auf dieser Basis erfolgte bspw. ein Großteil der Sanierungsmaßnahmen im Essener Stadtteil Steele. Vgl. Tim Schanetzky, Endstation Größenwahn. Die Geschichte der Stadtsanierung in Essen-Steele, Essen 1998, hier v. a. S. 39 u. S. 56 ff. 270 Vgl. Wallenhorst 1993, S. 381. 271 Vgl. Gewos GmbH (Hg.), Modellvorhaben Hameln. Projektbegleitende Untersuchungen zum Modellvorhaben des Bundes und des Landes Niedersachsen (Schriftenreihe Stadtentwicklung Bd. 02.011), Bonn 1978(a), S. 25 sowie Wallenhorst 1993, S. 381 f. Generell zu Hameln vgl. auch Wolfgang Galler/Joachim Schröpel/Reinhard Wehmeier, Altstadtsanierung Hameln: Erneuerung eines historischen Stadtkerns, NHM 1976,8, S. 14–25 und Friedrich Spengelin/ Horst Wunderlich, Stadtbild und Gestaltung. Modellvorhaben Hameln (Schriftenreihe Stadtentwicklung Bd. 02.033), Bonn 1983.

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tersuchung verfügte und zudem zu der Sanierungsdiskussion insgesamt maßgeblich beitrug. Allerdings saß, wo die Gewos beteiligt war, auch die NH mit im Boot. Das war im Falle Hamelns besonders offensichtlich: Denn die Gewos beauftragte ihrerseits die NH damit, auf der Grundlage ihres Sanierungsgutachtens ein Neuordnungskonzept für die Hamelner Altstadt zu erstellen. Auch das war von der Stadt gewünscht; aber es führte dazu, daß die Entscheidung über die Vergabe der Voruntersuchung bereits einen möglichen Aspiranten auf die Vergabe der Sanierungsträgerschaft bevorzugte, und es gab dem späteren Sanierungsträger die Möglichkeit, über das von ihm durchzuführende Bauprogramm mitzuentscheiden. Denn als die NH 1968 ihre Neuordnungskonzeption vorlegte, verabschiedete der Rat der Stadt diese Neuordnungskonzeption unverändert als Grundlage der weiteren Bebauungsplanung. Und als die Stadt im August 1970 über die Vergabe der Sanierungsträgerschaft entschied, erschien die Unternehmensgruppe – in diesem Falle vertreten durch die NH Bremen als zuständige Regionalgesellschaft – angesichts der bereits geleisteten Vorarbeiten als die natürliche Wahl. Ihr wurden mit dem offen gestalteten Sanierungsvertrag weitreichende Kompetenzen für die Bodenordnung, die Betreuung von Neubau- und Modernisierungsmaßnahmen sowie die treuhänderische Verwaltung des ihr im Zuge der Sanierungsmaßnahmen vorübergehend zu übertragenden Vermögens eingeräumt.272 In dieser Hinsicht waren andere Städte, die erst zu einem späteren Zeitpunkt Sanierungsmaßnahmen in die Wege leiteten, auf der Basis der bis dahin gesammelten Erfahrungen deutlich restriktiver. Was aber das Zusammenspiel von Gewos und NH betraf, konnten sie sich der überragenden Marktstellung, die in dieser Kombination begründet lag, kaum entziehen. Auch in Stade und Osnabrück war der Ablauf ein ganz ähnlicher wie in Hameln: Die Gewos übernahm die Voruntersuchungen, und die NH erhielt den Sanierungsauftrag.273 Das mag aus heutiger Perspektive schon deshalb verwundern, weil sowohl die Gewos als auch die NH ihren Auftraggebern Erkenntnisse und Vorhaben zumuteten, die kaum als besonders angenehm gelten konnten. So hatte etwa das Gutachten der Gewos für Hameln ergeben, daß in dem untersuchten Gebiet etwa 47% aller Wohnungen dringend modernisiert werden müßten, weil sie den Mindestanforderungen an Abstand, Besonnung und Brandschutz nicht genügten. Was das in der Praxis bedeutete, zeigte das Neuordnungskonzept der NH für die Hamelner Altstadt: Etwa 36% der Bruttofläche der Altstadt hätten laut diesem Konzept abgebrochen werden sollen, um Platz für neue Wohnungsbauten zu schaffen. Dabei sollte zwar die jeweilige Blockrandbebauung weitgehend erhalten bleiben, das 272 Vgl. Gewos 1978(a), S. 29 u. S. 39 f. 273 Vgl. Wallenhorst 1993, S. 383. Generell zur Stadtsanierung in Osnabrück vgl. Peter FoersterBaldenius, Osnabrück. Die Erneuerung des Stadtkerns wird vorbereitet, NHM 1969,8, S. 5– 17; Reinhard Wehmeier, Die Sanierung Osnabrücks in der Praxis, NHM 1975,4 S. 16–27 sowie Gewos GmbH (Hg.), Modellvorhaben Osnabrück. Projektbegleitende Untersuchungen zum Modellvorhaben des Bundes und des Landes Niedersachsen (Schriftenreihe Stadtentwicklung Bd. 02.013), Bonn 1978(b). Zu Stade vgl. Burkhardt Noel, Stade. Neue Aufgabe für eine alte Stadt, NHM 1971,11, S. 15–25 und Stadt Stade/NH Bremen (Hg.), Stade. Zwanzig Jahre Stadtsanierung 1964–1984, Stade 1984.

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Blockinnere jedoch „entkernt“ und mit zum Teil fünfgeschossigen, hochverdichteten Neubauten aufgefüllt werden. Hinzu kam die Errichtung eines Kaufhauses, eines neuen Rathauses sowie mehrerer Parkhäuser. Letztere waren Bestandteil einer großzügigen Verkehrsplanung, die auch den Bau einer zweiten Weserbrücke sowie die Erschließung von Teilen der Altstadt für den Fahrverkehr beinhaltete. Insgesamt sollte die Altstadt so zu einem funktional durchgeplanten und verkehrsmäßig gut erschlossenen Dienstleistungszentrum umgebaut werden.274 Damit war allerdings ein Preis verbunden, den – wie sich einige Jahre später herausstellen sollte – viele Bewohner der Stadt nicht zu zahlen bereit waren. Denn die Modellzeichnungen, die die Planungsabteilung der NH anfertigte, zeigten deutlich, daß das mittelalterliche Stadtbild dieser im Krieg nur geringfügig zerstörten Stadt auf drastische Weise verändert werden sollte. Wo zuvor Fachwerkhäuser standen, ragten nun hochverdichtete Wohngebäude und Parkhäuser aus der Silhouette heraus.275 Und das war nicht nur in Hameln so: Im Falle der Altstadtinsel in Stade empfahl die Gewos sogar den Abriß und Neubau von 60% des vorhandenen Wohnungsbestandes, in Osnabrück, wo das ursprüngliche Planungskonzept der NH Bremen ebenfalls eine völlige Veränderung des Stadtbildes bedeutet hätte, immerhin noch von 23%.276 Die NH strebte also überall nach Maßnahmen, die sich mit einem später gefürchteten Begriff auf den Punkt bringen ließen: mit dem Begriff „Flächensanierung“. Es wäre ein Leichtes, aus dieser Präferenz für die Flächensanierung den Schluß zu ziehen, daß die NH vor allem an der „langfristigen Sicherung der Wohnungsverwertung“ interessiert war und deshalb darauf hinarbeitete, daß „Wohnraum (...) künstlich verknappt“ wurde, um „mietpreisgebundene, also relativ billige Altbauwohnungen“ abzureißen und an „ihre Stelle Neubauten mit weniger, dafür teureren Wohnungen“277 zu setzen. Doch zum einen war, wie noch zu zeigen sein wird, an den höheren Mietpreisen der neuen Wohnungen aufgrund der explodierenden Neubaukosten nicht zwangsläufig mehr, sondern in der Regel sogar eher weniger verdient als an den niedrigeren Altbaumieten.278 Zum anderen wäre – auch das sollte sich später noch zur Genüge zeigen – mit umfangreichen Modernisierungsmaßnahmen, die, wenn sie auf den Standard von Neubauten abzielten, mitunter noch teurer waren als diese, für ein Wohnungsunternehmen genauso viel Geld zu verdienen gewesen wie mit Flächensanierungen.279 Die Präferenz der Unternehmensgruppe für die Flächensanierung ist also mit materiellen Motiven alleine kaum zu erklären. Aufschlußreicher ist wiederum ein Blick in das Gewos-Gutachten für Hameln. Den Angelpunkt dieses Gutachtens bildete nämlich die Feststellung, daß es in der gesamten Innenstadt „funktionale Mängel (...) im Bereich der Entwicklungsmöglichkeiten des tertiären Wirtschaftssektors, der Berücksichtigung des überörtlichen Individualverkehrs und einer se274 Vgl. Gewos 1978(a), S. 29 f. 275 Vgl. die Abbildung bei Wallenhorst 1993, S. 382. Zum weiteren Verlauf der Sanierung in Hameln vgl. Kap. 6.1.1.1 dieser Arbeit. 276 Zu Stade vgl. Wallenhorst 1993, S. 382; zu Osnabrück vgl. Gewos 1978(b), S. 75. 277 Saldern 1997, S. 363. 278 Vgl. Kap. 5.3.3.2 dieser Arbeit. 279 Vgl. Gewos 1990, S. 392.

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gregativen Bevölkerungsentwicklung“280 gäbe. Diese Perspektive wies darauf hin, daß die Herstellung einer funktionsfähigen Wirtschafts-, Verkehrs- und Bevölkerungsstruktur in den Augen der Gewos das wichtigste Ziel der Sanierungstätigkeit war – ein Ziel, das in vollem Umfang mit dem Vorhaben der NH korrespondierte, Stadtsanierungen im Sinne strukturpolitischer Zielsetzungen nutzbar zu machen und auf diese Weise ihrer spezifischen Vision von Modernität zum Durchbruch zu verhelfen. Die Unternehmensgruppe ließ keinen Zweifel daran, daß genau dies der Grund war, aus dem Flächensanierungen gegenüber Modernisierungsmaßnahmen vorzuziehen waren. „‚Städtebauliche Sanierungsmaßnahmen‘“, so argumentierte sie, „haben die Beseitigung ‚städtebaulicher‘ Mißstände zum Ziel und zur Aufgabe. Sie können im Regelfall nicht durch die Summierung von selbständig nebeneinanderlaufenden Einzelhaus-Sanierungen erfüllt werden, sondern nur durch städtebaulich geschlossene, technisch und zeitlich einheitlich konzipierte GesamtSanierungsmaßnahmen“.281 Immerhin: Das war nicht nur die Auffassung der Unternehmensgruppe, sondern auch einer breiten Mehrheit von Wohnungsbau- und Sanierungsexperten. In Osnabrück etwa war „1970 zwischen den beteiligten Fachleuten und der vertretenen Öffentlichkeit zunächst kein verkennbarer [sic, erkennbarer] Dissens über den Umfang der Substanzeingriffe“282 zu bemerken. Und auch dort, wo die Unternehmensgruppe nicht – oder, wie in dem folgenden Beispiel, zunächst nicht – an den Sanierungsplanungen beteiligt war, verliefen die Diskussionen in sehr ähnlichen Bahnen. Das galt etwa für das „Dörfle“, einen Teil der Karlsruher Innenstadt, dessen Sanierung schon seit den zwanziger Jahren zur Debatte gestanden hatte.283 Hier war es ursprünglich die GAGFAH gewesen, die von der Stadt 1961 als Träger für die später ebenfalls als Modellvorhaben des Bundes anerkannte Sanierung beauftragt worden war. Die Planungen hatte allerdings nicht die Wohnungsbaugesellschaft, sondern der Braunschweiger Architekt Friedrich Wilhelm Kraemer in Zusammenarbeit mit dem Stadtplanungsamt übernommen. Sie sahen eine Flächensanierung vor, bei der „das Stadtviertel mit großflächigen Einzelbaukörpern von vier bis sieben Geschossen für Handelseinrichtungen, mit etwa 20geschossigen Einzelhochhäusern für Verwaltungen und versetzt gereihten Wohnhochhausgruppen mit zehn bis 18 Geschossen“284 überzogen werden sollte. Mit den Planungen der NH in Hameln oder Osnabrück hatten diese Überlegungen gemeinsam, daß sie sämtliche von der ursprünglichen Bebauung gesetzten Maßstäbe sprengten

280 281 282 283

Gewos 1978(a), S. 29 (im Original Dativ: „funktionalen Mängeln“). JB 1969/70, S. 20 f. Gewos 1978(b), S. 74. Zusammenfassend zur Sanierung des „Dörfle“ vgl. Manfred Koch, Trümmerstadt – Residenz des Rechts – Zentrum der Technologieregion. Wechselvoller Weg in die Gegenwart, in: Susanne Asche u. a. (Hg.), Karlsruhe. Die Stadtgeschichte, Karlsruhe 1998, S. 519–675, hier S. 580 ff.; Stadt Karlsruhe (Hg.), Altstadtsanierung „Dörfle“ Karlsruhe 1954–1994, Karlsruhe 1995 sowie Gewos GmbH (Hg.), Modellvorhaben Karlsruhe-Dörfle. Vergleichende Untersuchung der Realisierung unterschiedlicher Erneuerungsaufgaben unter Anwendung des Städtebauförderungsgesetzes am Beispiel der Altstadtsanierung Karlsruhe-Dörfle (Schriftenreihe Stadtentwicklung Bd. 02.022), Bonn 1981. 284 Koch 1998, S. 582.

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und sie durch eine funktionalistische Architektur ersetzten, die dem Viertel seine Identität völlig genommen hätte. Der Plan wurde zwar bis 1968 unter Verschluß gehalten, aber dennoch begannen die Stadt und die GAGFAH schon in der ersten Hälfte der sechziger Jahre damit, in großem Umfang Grundstücke zu erwerben und schnellstmöglich „abzuräumen“, um recht bald mit dem Neuaufbau beginnen zu können. Dieser Teil der Maßnahme war recht erfolgreich: Bis 1971 befanden sich 74% des Nettobaulandes in den Händen der Stadt, und ein großer Teil hiervon war bereits „freigeräumt“.285 Ein solcher Erfolg war den anderen Schritten des Projektes allerdings nicht beschieden. Aus Gründen, die nicht mehr nachzuvollziehen sind, hatte die GAGFAH ihre Mitarbeit an den Planungen schon 1967 wieder gekündigt. Zudem wurde der Kraemer-Plan nach seiner Veröffentlichung 1968 auf Eis gelegt, weil die Karlsruher Architektenkammer und die TU nicht gewillt waren, einen unter konspirativer Geheimhaltung erarbeiteten Plan zu akzeptieren und statt dessen auf einem dann auch tatsächlich durchgeführten städtebaulichen Wettbewerb beharrten (öffentlichen Widerstand gegen die Flächensanierungen hatte es dagegen zu diesem Zeitpunkt noch nicht gegeben).286 Die hiermit verbundene zeitliche Verzögerung führte zu weiteren Problemen: Die ursprünglich vorgesehenen privaten Investoren sprangen ab, und die finanziellen Belastungen aus den Grundstücksankäufen und den Abbrüchen drohten, die Stadt zu überfordern. Die abgeräumten Flächen in der Innenstadt lagen nun, nachdem für ihren Ankauf und den Abbruch knapp 90 Mio. DM verausgabt worden waren, brach und wurden als Stellflächen verwendet. Ihre Bezeichnung als „teuerster Parkplatz Europas“287 war noch eher harmlos; da in dem mittlerweile stark heruntergekommenen Viertel niemand mehr investieren mochte, verschlechterte sich der Zustand der verbliebenen Gebäude immer weiter, so daß verschiedentlich auch von einem „Krebsgeschwür“,288 das sich durch die Stadt fresse, die Rede war. Mit daran Schuld war neben der Unsicherheit über die Planungen auch die Tatsache, daß die Größenordnung des Projektes die Modellförderung durch den Bund bei weitem überforderte. Der Bund trug nur 10,8%, das Land 13,6% zur Finanzierung bei; den Rest mußte die Stadt über den Kapitalmarkt finanzieren. Daraus ergab sich eine enorme Zinsbelastung, die sich alleine 1971 auf über 2,8 Mio. DM belief.289 Die Stadt geriet deshalb in eine akute finanzielle Notlage. Dieser Umstand bewirkte zweierlei: Zum einen spielte er in die Hände der Befürworter des Städtebauförderungsgesetzes; und zum anderen spielte er in die Hände großer Sanierungsträger, also vor allem der NH. Die Debatte um das Städtebauförderungsgesetz beeinflußte das Schicksal des „Dörfle“ insofern, als es das zentrale Argument beförderte, mit dem die Befürworter des Gesetzes seine schnelle Einführung gefordert hatten: das Argument, daß die Städte und Gemeinden mit den Aufgaben, die im Rahmen der Sanierungen auf 285 286 287 288 289

Vgl. Gewos 1981, S. 44. Vgl. Stadt Karlsruhe 1995, S. 15. Gewos 1981, S. 47. Interview mit Karl Ravens, 17.10.2003. Vgl. Gewos 1981, S. 122.

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sie zukamen, überfordert waren. Das „Dörfle“ war der lebendige Beweis dafür, daß, wie Vietor es formulierte, „Deutschlands Städte und Gemeinden (...) den an sie gestellten Anforderungen vielfach nicht mehr gewachsen“ waren. Dieser Zustand, so fürchtete der Vorstandsvorsitzende, werde „sich in nicht allzuferner [sic] Zeit zum Chaos auswachsen, wenn nicht sofort und mit aller Kraft an eine der größten Aufgaben herangegangen wird, die in der Bundesrepublik vor uns stehen: Die Neuordnung und Sanierung der Städte und Gemeinden und die Neustrukturierung ganzer Regionen.“290 Mit diesem alarmistischen Tonfall stand die Unternehmensgruppe nicht alleine. Tatsächlich war der Verfall der Innenstädte in den Augen maßgeblicher Wohnungspolitiker bereits weit vorangeschritten; sie befürchteten, daß in der Bundesrepublik bald Zustände herrschen würden, wie sie in der DDR zu diesem Zeitpunkt bereits zu beobachten waren. Diese Stimmung erreichte ihren Höhepunkt in dem dramatischen Motto, unter dem der Deutsche Städtetag des Jahres 1971 stattfand: „Rettet unsere Städte jetzt!“291 Zu diesem Zeitpunkt hatte der Gesetzgeber allerdings schon erhebliche Fortschritte auf dem Weg zur Verabschiedung des Städtebauförderungsgesetzes gemacht. Als entscheidender Einschnitt erwies sich einmal mehr die Rezession. Kurzfristig hatte sie zwar einen Rückschlag für die Sanierungsgesetzgebung bedeutet, weil sie der zweiten Einbringung von Lückes unverändertem Entwurf durch seinen Nachfolger Ewald Bucher den konjunkturell bedingten Garaus bereitete.292 Aber schon bald nach Überwindung der Krise unternahm die Große Koalition einen neuen Vorstoß. Auch das Städtebauministerium wollte die Frage der Sanierungsgesetzgebung nun mit größerer Dringlichkeit behandeln – in erster Linie deshalb, weil es sie verstärkt im Lichte der seit der Rezession veränderten Stimmungslage betrachtete. Diese Tatsache kam schon in Lauritzens martialischer Rhetorik bei der Einbringung der neuen Vorlage in den Bundestag zum Vorschein. Er zitierte Bertolt Brechts Worte vom „Dickicht der Städte“ und betonte die Düsternis der urbanen Industriegesellschaft, die es zu durchdringen gelte.293 Ein wichtigerer Hinweis war aber, daß Lauritzens Entwurf sehr viel weitgehendere Enteignungsmöglichkeiten vorsah, als das zuvor der Fall gewesen war.294 Wäre es dem Minister nur um die Wiederherstellung des Wohnwertes von Innenstadtgebäuden gegangen, wäre das wohl nicht nötig gewesen. Aber darum ging es ihm nicht; vielmehr wollte er eine wachstumsfördernde Neuordnung der städtebaulichen Strukturen erreichen – ganz im Sinne des Konzeptes der Strukturpolitik, wie

290 Städtebauförderungsgesetz unaufschiebbar. Erklärung von Kollege Albert Vietor, Vorsitzender des Vorstandes der Unternehmensgruppe „NEUE HEIMAT“, für dpa, 2.5.1969, IGM ZwA 2/17 280. 291 Deutscher Städtetag (Hg.), Rettet unsere Städte jetzt. Vorträge, Aussprachen und Ergebnisse der 16. Hauptversammlung des Deutschen Städtetages vom 25. bis 27. Mai 1971 in München (Neue Schriften des Deutschen Städtetages Bd. 28), Stuttgart 1971, Titel. Zur DDR als Vergleichsmaßstab vgl. Interview mit Karl Ravens, 17.10.2003 sowie Thomas Topfstedt, Wohnen und Städtebau in der DRR, in: Flagge 1999, S. 419–562, hier S. 508 ff. u. S. 545 ff. 292 Vgl. Pergande/Pergande 1973, S. 160; Einem 1972, S. 4 und Gaenztsch 1971, S. 7. 293 Vgl. Deutscher Bundestag (Hg.), Verhandlungen des Deutschen Bundestages, 5. Wahlperiode, Stenographische Berichte Bd. 68, Bonn 1968/69, S. 10836 f. (201. Sitzung, 4.12.1968). 294 Vgl. Gaentzsch 1971, S. 7 f.

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es auch das Handeln der NH bestimmte.295 Die Überlegungen zum Städtebauförderungsgesetz, die nun die Debatte dominierten, stammten eindeutig „aus dem rationalistischen Geist des Leitbilds der funktionsgerechten Stadt“.296 Letztendlich lief das auf die Forderung nach umfassenden Flächensanierungen hinaus. Um diese Forderung aber umsetzen zu können, bedurfte es weitgehender Vorkaufs- und Enteignungsmöglichkeiten. Deswegen hatte Lauritzen für die Überarbeitung von Lückes Entwurf eigens eine Arbeitsgruppe „Bodenrecht“ eingesetzt. Sie sollte diesen an die veränderte Perspektive, die die Diskussionen um den Städtebau seit 1966 beherrschte, anpassen. Vor allem ein Problem, das den Experten immer wieder Kopfzerbrechen bereitet hatte, faßte sie dabei ins Auge: die Frage, wie sich sanierungsbedingte Werterhöhungen von Grundstücken und ihre Abwälzung auf die Gemeinden vermeiden ließen. Die Arbeitsgruppe brachte deshalb erstmals den Gedanken einer Preiskontrolle bei der Grundstücksveräußerung ins Gespräch.297 Allerdings hatte der auf ihren Empfehlungen basierende Gesetzesentwurf, den Lauritzen im Oktober 1968 in den Bundestag einbrachte, auch erhebliche Schwächen. Zum einen enthielt er – in Erwartung der erst noch zu verabschiedenden Finanzreform – nur einige unverbindliche Formulierungen zur Finanzierungsfrage; und zum anderen galten die Regelungen, die er in punkto Werterhöhungen vorsah, als impraktikabel.298 Auch dieser Entwurf konnte den Bundestag nicht mehr vor Ende der Legislaturperiode passieren. Erst als er unter der neuen, sozialliberalen Regierung in leicht überarbeiteter Form wieder eingebracht wurde, begann ein intensiver Prozeß von Ausschußberatungen und öffentlichen Anhörungen. Schließlich landete das Gesetz noch im Vermittlungsausschuß, wo es dann endgültig die Form erhielt, in der es am 1. August 1971 als „Gesetz über städtebauliche Sanierungs- und Entwicklungsmaßnahmen in den Gemeinden – Städtebauförderungsgesetz“ in Kraft treten konnte.299 Das fertige Gesetz beinhaltete nun zum einen – nachdem hierfür noch zu Zeiten der Großen Koalition mit der Finanzreform die entsprechenden Grundlagen geschaffen worden waren – eine Reihe von Bestimmungen hinsichtlich der finanziellen Sanierungsförderung durch den Bund, der für allein für die Jahre 1971– 1973 immerhin 450 Mio. DM zur Verfügung stellte. 300 Zum anderen sah es auch einige neue Instrumente für die Bodenordnung vor. So eröffnete es die Möglichkeit, für Sanierungs- und Entwicklungsmaßnahmen ein zeitlich und räumlich begrenztes Sonderrecht zu beschließen, in dessen Rahmen die Gemeinden nicht mehr nur ein Vorkaufsrecht ausüben, sondern auch Abbruch-, Bau- und Moderni295 Vgl. Deutscher Bundestag 1968/69, S. 10830 f. 296 Beyme 1987, S. 140. 297 Vgl. Bundesminister für Wohnungswesen und Städtebau (Hg.), Stellungnahme zu dem Entwurf eines Städtebauförderungsgesetzes. Bericht der Arbeitsgruppe „Bodenrecht“ beim Bundesminister für Wohnungswesen und Städtebau (Schriftenreihe des Bundesministers für Wohnungswesen und Städtebau Bd. 23), Coburg 1968, passim sowie Gaentzsch 1971, S. 7 f. 298 Vgl. ebd., S. 8. 299 Gesetz über städtebauliche Sanierungs- und Entwicklungsmaßnahmen in den Gemeinden (Städtebauförderungsgesetz) vom 27. Juli 1971, BGBl. I, S. 1125–1156. 300 Vgl. Krummacher 1978, S. 263.

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sierungsgebote aussprechen konnten. Das Verfahren für die als letztes Mittel vorgesehene Enteignung wurde erheblich vereinfacht; und die hierfür vorgesehenen Entschädigungszahlungen wurden so geregelt, daß sanierungsbedingte Wertsteigerungen bei der Bemessung ihrer Höhe keine Berücksichtigung fanden.301 Diese umfassenden Maßnahmen zur Bodenordnung waren im Gesetzgebungsprozeß heftig umstritten gewesen; gegen die ursprüngliche, in einigen Punkten noch deutlich weitergehende Fassung waren Haus- und Grundbesitzerverbände sowie Teile der CDU Sturm gelaufen und hatten sie als „verkappte Kommunalisierung und Sozialisierung des Grundeigentums“302 angegriffen. Der schließlich gefundene Kompromiß war aber tragfähig genug, um einerseits eine einstimmige Verabschiedung des Gesetzes im Bundestag zu ermöglichen und andererseits selbst hartnäckige Befürworter eines sehr weitgehenden Sanierungsrechtes wie etwa die NH einigermaßen zufriedenzustellen. Zwar betrachtete die Unternehmensgruppe die Bestimmungen des Gesetzes nur als einen ersten Schritt zu einer umfassenden Bodenrechtsreform; aber immerhin bildeten die Regelungen für sie vorläufig eine gute Arbeitsgrundlage.303 Das sahen auch andere so: Der SPIEGEL bezeichnete das Städtebauförderungsgesetz gar als eine „Lex Neue Heimat“.304 Das war angesichts des langen Stammbaums des Gesetzes, des breiten Konsenses über die Notwendigkeit einer Sanierungsförderung und der Vielzahl der involvierten Interessengruppen, Vorschläge und Gegenvorschläge sicherlich übertrieben – zumindest soweit es unterstellte, daß das Gesetz eigens für die Unternehmensgruppe geschaffen worden sei. Das bedeutet allerdings nicht, daß die NH nicht versucht hätte, die Ausgestaltung des Gesetzes zu beeinflussen; und es bedeutet auch nicht, daß die Unternehmensgruppe von seiner Verabschiedung nicht überdurchschnittlich profitierte. Was die Beeinflussung des Gesetzgebungsprozesses betraf, waren die öffentlichen Stellungnahmen von Vietor wohl noch am wenigsten bemerkenswert. Sie bewegten sich im Rahmen des üblichen Lobbyismus.305 Deutlich darüber hinaus ging aber das Kapital, das die NH aus ihrem über die Gewos vermittelten Einfluß auf die Meinungsbildung innerhalb des Städtebauministeriums schlagen konnte. Nachdem die Gewos bereits maßgeblich an der Erstellung des Städtebauberichtes beteiligt gewesen war, erarbeitete sie Ende 1970 auch noch eine Reihe von „Formulierungsvorschlägen“ für den Entwurf des Städtebauförderungsgesetzes. Heinz Roosch, der Generalsekretär der Gewos, übersandte sie im Januar 1971 – vor dem

301 Vgl. Gaenztsch 1971, S. 12 ff.; Einem 1972, S. 24 ff. sowie generell zum Verfahren der Festlegung und Durchführung von Sanierungs- und Entwicklungsmaßnahmen nach dem Städtebauförderungsgesetz Hartmut Dieterich/Christian Farenholtz (Hg.), Städtebauförderungsgesetz in der Praxis. Gesetzestext und systematische Darstellung des praktischen Verfahrensablaufs von Sanierungs- und Entwicklungsmaßnahmen, Stuttgart 1972. 302 Beyme 1999, S. 113. 303 Vgl. Protokoll AR NHS, 26.11.1971, IGM ZwA 2/17 259, S. 3 f. 304 Länge mal Breite mal Geld, SPIEGEL 25.1971,24, S. 54–72, hier S. 67. 305 Vgl. z. B. Albert Vietor, Keine Zeit verlieren. Dringendste Zukunftsaufgabe: Erneuerung der Städte und Dörfer, NHM 1968,11, S. 1–11 sowie Städtebauförderungsgesetz unaufschiebbar. Erklärung von Kollege Albert Vietor, Vorsitzender des Vorstandes der Unternehmensgruppe „NEUE HEIMAT“, für dpa, 2.5.1969, IGM ZwA 2/17 280.

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Beginn der Ausschußberatungen – an den „lieben Louis“,306 den zuständigen Staatssekretär in Lauritzens Ministerium, Louis Storck. Als wichtigster Punkt – handschriftlich als „sehr dringend“307 gekennzeichnet – war in dieser Liste eine Überarbeitung der Bestimmungen vorgesehen, die den Gemeinden die Möglichkeit eröffnen sollte, Unternehmen als Sanierungsträger zu beauftragen. Das Ministerium hatte ursprünglich beabsichtigt, daß solche Unternehmen nur als Treuhänder der Gemeinden, die damit eine starke Kontrolle und ein starkes Weisungsrecht erhielten, agieren durften. Zur „Vermeidung unnötig einengender Bestimmungen“308 sollten nun, so empfahl die Gewos, die Unternehmen nicht nur auf Rechnung der Gemeinden, sondern auch auf eigene Rechnung arbeiten können. Das hatte die NH von Anfang an gefordert, weil es eine erhebliche Ausweitung der Kompetenzen des Sanierungsträgers bedeutete. Und tatsächlich erhielt der Vorschlag der Gewos auf dem Umweg über das Ministerium in leicht abgeänderter Form Eingang in die endgültige Fassung des Gesetzestextes – honi soit qui mal y pense!309 In einem Punkt konnte sich die Gewos mit ihren „Formulierungsvorschlägen“ allerdings nicht durchsetzen: Ein Unternehmen, das schon die Bauleitpläne erarbeitet hatte, durfte nicht auch noch die Aufgaben eines auf eigene Rechnung tätigen Sanierungsträgers übernehmen. Roosch hatte zwar argumentiert, daß diese Bestimmung dazu führen werde, „daß die leistungsfähigen Städtebau- und Wohnungsunternehmen nicht mitmachen“;310 aber das war Zweckpessimismus und angesichts der Nachfrage, die durch die finanzielle Förderung von Sanierungsmaßnahmen aus Bundesmitteln geschaffen wurde, kaum haltbar. Tatsächlich war diese finanzielle Förderung die für die Unternehmensgruppe wohl wichtigste Bestimmung des neuen Gesetzes. Sie eröffnete ihr großartige Perspektiven. Vietor untertrieb ausnahmsweise einmal maßlos, als er im Aufsichtsrat die Frage nach den Konsequenzen des Städtebauförderungsgesetzes für die Unternehmensgruppe mit der Bemerkung beantwortete, er erwarte „eine Ausweitung der Geschäftstätigkeit“.311 Tatsächlich hätte er auch sagen können, daß gerade die NH fest mit einen riesigen Auftragsboom rechnen konnte. Warum das so war, zeigt wiederum ein Blick auf den Stillstand in Karlsruhe. Denn dieser Stillstand führte dazu, daß der Stadt bei der Suche nach einem Unternehmen, das die Nachfolge der GAGFAH als Sanierungsträger übernehmen konnte, angesichts der bisherigen Erfahrungen „die finanzielle, personelle und inhaltliche Leistungsfähigkeit eines überregional tätigen Unternehmens (...) dringend geboten schien.“312 Die trotz der im Rahmen des Städtebauförderungsgesetzes zur 306 Schreiben Rooschs an Louis Storck, betr. Städtebauförderungsgesetz, 13.1.1971, BAK B 134–19277, S. 1 (Original Nominativ: „Lieber Louis!“) 307 Gewos e. V., Formulierungsvorschläge: Städtebauförderungsgesetz, 8.1.1971, BAK B 134– 19277, S. 1 u. S. 7 f. 308 Ebd., S. 8. 309 Vgl. Gaentzsch 1971, S. 10. 310 Schreiben Rooschs an Louis Storck, betr. Städtebauförderungsgesetz, 13.1.1971, BAK B 134–19277, S. 2. 311 Protokoll AR NHS, 26.11.1971, IGM ZwA 2/17 259, S. 5. 312 Gewos 1981, S. 81.

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Verfügung gestellten Förderungsmittel nach wie vor hohen finanziellen Belastungen, die mit dem Projekt verbunden waren, machten also deutlich, daß Flächensanierungen im großen Stil nur mit der Hilfe eines finanzkräftigen Partners zu leisten waren. An diesem Kriterium gemessen, war die NH erste Wahl. Folgerichtig schloß die Stadt Karlsruhe im September 1971 mit ihr einen Treuhändervertrag, in dem die Unternehmensgruppe mit der Übernahme der Sanierungsträgerschaft im Sinne des Städtebauförderungsgesetzes beauftragt wurde.313 Das war ein Signal auch an andere Städte, die umfangreiche Sanierungsmaßnahmen planten; und dies waren angesichts der Verabschiedung des Städtebauförderungsgesetzes sehr viele. Auch für sie lag es nahe, sich einen möglichst starken Partner zu suchen. Da das Gesetz zudem vorbereitende Untersuchungen zwingend vorschrieb und die Gewos, die 1968 um eine kommerziell ausgerichtete GmbH gleichen Namens ergänzt worden war, in diesem Bereich nahezu über eine Monopolstellung verfügte, kam auf die Unternehmensgruppe eine große Zahl neuer Aufträge zu.314 In dieser Erwartung hatte Vietor der Gewos schon 1970 die Weisung erteilt, Personal- und Büroflächenreserven zu schaffen.315 Hinzu kam noch, daß die NH seit dieser Zeit gezielt Fabrikanlagen in zentraler Lage kaufte, „um bei einer späteren Sanierung die Hand auf einem großen Teil der Sanierungsfläche zu haben“316 – so etwa im Falle des Geländes der Kämmerei Döhren AG in Hannover, das später zum Objekt von Auseinandersetzungen mit Hausbesetzern wurde, oder der Maschinenfabrik Menck und Hambrock in Hamburg-Ottensen.317 Auch das trug dazu bei, daß die Auftragsbücher der Unternehmensgruppe schon bald nach der Verabschiedung des Städtebauförderungsgesetzes bis an den Rand gefüllt waren. 1972 war die Gewos GmbH „im Bereich vorbereitender Untersuchungen für städtebauliche Erneuerungs- und Entwicklungsmaßnahmen für 30 Städte tätig“.318 Nicht für alle diese Projekte waren Flächensanierungen vorgesehen; aber wenn es nach der NH gegangen wäre, hätte es in den nächsten Jahren Dutzende solcher Maßnahmen gegeben. Seit das Städtebauförderungsgesetz in Kraft getreten war, schien es nur noch eine Frage der Zeit zu sein, bis die mit den Sanierungsvorhaben verbundenen strukturpolitischen Zielsetzungen in die Tat umgesetzt werden konnten. Bei der NH herrschte deshalb Aufbruchsstimmung. 5.3.1.2 Großsiedlungsbau im Zeichen der „Verdichtung“ Während die großen Projekte einer an strukturpolitischen Kriterien orientierten Sanierungstätigkeit kurz nach der Verabschiedung des Städtebauförderungsgeset313 Vgl. ebd., S. 49. Zum weiteren Verlauf der Sanierung des „Dörfle“, die bis in die achtziger Jahre hinein mit großen Schwierigkeiten behaftet blieb, vgl. ebd., S. 49 ff. sowie Stadt Karlsruhe 1995, S. 17 ff. 314 Zur Gewos GmbH vgl. PUA HH, S. 411. 315 Vgl. Übersicht über die Entwicklung der GEWOS GmbH, 17.1.1974, StA HH, 622–2 Cordua 14. 316 Scheiner/Schmidt 1974, S. 161. 317 Vgl. ebd. sowie Schulz 1987, S. 36. 318 JB 1972/73, S. 117.

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zes erst noch ihrer Umsetzung harrten, hatte die NH im Großsiedlungsbau die von ihr verfochtenen Idealbilder zu diesem Zeitpunkt bereits in großem Maßstab verwirklicht. Schon seit Mitte der sechziger Jahre stieg die Nachfrage nach großen Siedlungsprojekten sprunghaft an, und die städtebaulichen Trends zur „Verdichtung“, zur Rationalisierung der Bautechniken und zur „Verwissenschaftlichung“ der Planungstätigkeit, die zum Teil schon in den frühen sechziger Jahren zu beobachten waren, wurden nun Gegenstand einer ideologisch unterfütterten Zuspitzung, die den Zeitraum zwischen 1966 und 1973 als die wohl bemerkenswertesten Jahre des Großsiedlungsbaus in der Bundesrepublik hervorstechen lassen.319 Für diese Zuspitzung waren allerdings nicht nur städtebauliche Idealvorstellungen verantwortlich, sondern auch eine Reihe von Faktoren, die unmittelbar auf den Wachstumserwartungen für die kommenden Jahre beruhten und unter der Prämisse, daß diese auch tatsächlich eintreten würden, einer geradezu zwingenden Logik zu folgen schienen. Das galt vor allem für das auch weiterhin erwartete Wachstum der großen Ballungsräume, das mit den hohen Geburtenraten und dem wirtschaftlichen Wachstum einherging und sich, so die Erwartung, in einer stark ansteigenden Wohnungsnachfrage niederschlagen würde. Der Bau von Großsiedlungen erschien in dieser Situation als die einzig rentable Möglichkeit, um dieser steigenden Nachfrage gerecht zu werden. Hinzu kam gerade in den Ballungsräumen die immer stärkere Verknappung von Bauland, die sich in unaufhörlich steigenden Grundstückspreisen niederschlug. Das machte die städtebauliche „Verdichtung“, die vor dem Hintergrund des Leitgedankens der „Urbanität“ von Stadtplanern seit Beginn der sechziger Jahre angestrebt wurde, zu einer Lösung, die auch den wirtschaftlichen Erfordernissen Genüge zu leisten schien.320 Besonders deutlich sichtbar waren diese relativ pragmatischen Leitgedanken an einem bereits erwähnten Projekt, welches an der Schwelle zwischen dem Großsiedlungsbau der ersten Hälfte der sechziger und des Zeitraumes der Jahre 1966– 1973 stand. Das war die 1967 begonnene, in ihrer Planung aber bis zum Beginn der sechziger Jahre zurückreichende „Entlastungsstadt Neu-Perlach“, das mit 25.000 Wohnungen größte tatsächlich durchgeführte Siedlungsprojekt in der Geschichte der Bundesrepublik. Ausgangspunkt für dieses Vorhaben war die starke Zunahme der Münchener Bevölkerung. Sie stieg von 840.000 Einwohnern 1950 auf 1,24 Mio. 1966. Ein Ende dieser Entwicklung war nicht in Sicht; für das Jahr 1990 rechnete die Baseler Prognos AG mit einer Bevölkerungszahl der Region München von 3 Mio. Zudem drohte das zur Verfügung stehende Bauland knapp zu werden. Diese Gründe bewogen die Stadt 1963 dazu, den Bau einer „Entlastungsstadt“ nahe des am südöstlichen Stadtrand gelegenen Dorfes Perlach ins Auge zu fassen.321 Der NH bot sich dabei die Gelegenheit, sich als sozial orientier319 Vgl. dazu zusammenfassend Harlander 1999, S. 312 ff.; Saldern 1997, S. 358 ff. sowie Tessin 1987 und Tessin 1988, passim. 320 Vgl. Saldern 1997, S. 359. 321 Vgl. Edgar Luther/Ewald Mücke, Entlastungsstadt Perlach, NHM 1967,5, S. 1–14, hier S. 1. Generell zum Projekt Neu-Perlach vgl. ebd.; Neue Heimat Bayern o. D. [1970], S. 82 ff. sowie Neue Heimat Bayern, Neuperlach ‘74 – Es geht weiter, HAA BS 44. Bereits vor dem Ersten Weltkrieg existierten Pläne, auf dem Gelände eine Gartenstadt zu errichten, vgl. HansEduard von Berlepsch-Valendàs, Die Gartenstadt München-Perlach, München 1910.

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ter „Treuhänder der öffentlichen Hand“ zu profilieren. Sie schloß mit der Stadt einen Vertrag, mit dem ihre bayrische Tochtergesellschaft zum „Maßnahmenträger“ für das gesamte Bauvorhaben avancierte und dementsprechend umfassende Kompetenzen eingeräumt bekam. Dazu gehörte die Mitwirkung am Gesamt- und an den Teilbebauungsplänen; die bereits ausführlich erörterte Grundstücksbeschaffung;322 die Vorbereitung der Erschließung; und die Koordinierung der künftigen Bauträger, wobei die Unternehmensgruppe immerhin 50% der von ihr erworbenen Wohnungsbauflächen selbst bebauen durfte. Der Grund für diese weitreichenden Kompetenzen lag auf der Hand: Die Stadt selbst war mit einer solch umfangreichen Aufgabe überfordert, und nur ein großer Bauträger schien in der Lage, die damit verbundenen organisatorischen und finanzierungstechnischen Anforderungen bewältigen zu können.323 Allerdings erregte die Übertragung der Maßnahmenträgerschaft an die NH den Argwohn der Öffentlichkeit. Vor allem im Gefolge des NH-Skandals in den achtziger Jahren wurden die Handlungsvollmachten der Unternehmensgruppe als sicheres Indiz für Machtmißbrauch und ungebührliche Einflußnahme auf die Planungsautonomie der Stadt gewertet. Ersteres war, wie etwa die bereits geschilderten Grundstücksgeschäfte im Zusammenhang mit Neu-Perlach zeigten, nicht von der Hand zu weisen; aber zweiteres war doch übertrieben. Das zeigt ein Blick auf eine andere in den Jahren zwischen 1966 und 1973 geplante Großsiedlung: Hamburg-Mümmelmannsberg.324 Wie in München sollten Ende der sechziger Jahre auch in Hamburg wegen des weiterhin erwarteten Wirtschafts- und Bevölkerungswachstums „auf kostengünstigem Bauland in Stadtrandlagen und durch industrialisiertes Bauen möglichst hohe Wohnungsbauzahlen erreicht und durch ausreichende Siedlungsgröße die Voraussetzungen für ein optimales Versorgungsangebot an Erschliessung [sic], Läden, Schulen, Kindergärten, Sportanlagen geschaffen werden.“325 Und wie in Neu-Perlach nahm die Unternehmensgruppe auch in Mümmelmannsberg eine starke Stellung ein. Sie gewann sogar erheblichen Einfluß auf den Gang der Planungen. So war das Gebiet, auf dem die Siedlung entstand, im ursprünglichen Flächennutzungsplan als landwirtschaftliche Fläche ausgewiesen, und die Baubehörde lehnte eine Umwidmung zunächst ab – unter anderem aufgrund der Luftverschmutzung des Gebietes und wegen seiner schlechten Verkehrsanbindung.326 Erst in einem langwierigen Prozeß, in dem die NH eine Reihe von Gutachten erstellen ließ, ließ sich die Stadt umstimmen und verabschiedete 1970 auf der Grundlage der Ergebnisse eines zwei Jahre zuvor ausgeschriebenen Wettbewerbes einen neuen Flä-

322 Vgl. Kap. 4.2.2.1 dieser Arbeit. 323 Vgl. Edgar Luther/Ewald Mücke, Entlastungsstadt Perlach, NHM 1967,5, S. 1–14, hier S. 8. 324 Generell zu Mümmelmannsberg vgl. Hübenbecker/Huwendiek/Puffert 1983, S. 60 ff.; JB 1980/81, S. C 15; Rainer Goes, Mümmelmannsberg, in: Architekten- und Ingenieurverein Hamburg e. V./Hamburgische Gesellschaft zur Beförderung der Künste und nützlichen Gewerbe (Hg.), Hamburg und seine Bauten 1969–1984, Hamburg 1984, S. 116–121. 325 Hübenbecker/Huwendiek/Puffert 1983, S. 60. 326 Vgl. Fuhrich 1983, S. 151.

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chennutzungs- und Bebauungsplan. Er sah die Errichtung eines Stadtteils mit 7.200 Wohnungen vor, in dem künftig etwa 24.000 Bewohner leben sollten.327 Es wäre allerdings vermessen, diesen Stimmungsumschwung alleine dem Einfluß der NH zuzuschreiben und den Eindruck zu erwecken, die Stadt habe nur deshalb eine Großsiedlung errichtet, weil die NH dies so wollte.328 Vielmehr hatte sich die Hansestadt in erster Linie selbst unter Druck gesetzt. So galt es in der Bürgerschaft als ausgemachte Sache, daß der Wohnungsbau erheblich forciert werden müsse, und dementsprechend sah das Hamburger Regierungsprogramm für die Legislaturperiode der Jahre 1970 bis 1974 den Neubau von 30.000 mit öffentlichen Mitteln geförderten Wohnungen vor.329 Sicherlich nahm die NH Einfluß auf die Wahl des Standortes für einen Teil dieser Wohnungen und auch auf die bauliche Ausgestaltung; aber dieser Einfluß bewegte sich innerhalb der Grenzen dessen, was im Rahmen eines komplexen Aushandlungsprozesses für ein solches Großvorhaben üblich war.330 Die Haushaltspläne, aus denen Mümmelmannsberg finanziert werden sollte, hatte die Unternehmensgruppe jedenfalls nicht entworfen, und das galt auch für Neu-Perlach und für alle anderen Großsiedlungen, die in diesem Zeitraum errichtet wurden. Sie entsprangen nicht den „Markt- und Produktionsinteressen der großen Kapital- und Wohnungsbaugesellschaften“,331 sondern einerseits einer gefühlten Zwangslage der Kommunen, denen angesichts des prognostizierten Bevölkerungswachstums gar nichts anderes übrig blieb, als in den Wohnungsbau zu investieren; und sie entsprangen andererseits – und in der zweiten Hälfte der sechziger Jahre in zunehmendem Maße – der bereits angeführten Euphorie, die im Ausbau der öffentlichen Infrastruktur den Schlüssel zur Vollendung des Sozialstaates sah. Auch „der Entwicklungsstand der Bautechnologie“,332 also vor allem die Verfügbarkeit von Montagebautechniken mit großen Bauteilen, ist verschiedentlich für die Entstehung der Großsiedlungen verantwortlich gemacht worden. Ihr Einsatz, so das Argument, habe die damit verbundenen Kostenersparnisse „in den Taschen der die Innovation tragenden Kapitalisten verschwinden“333 lassen. Da er sich aber erst ab einer bestimmten Größe der Projekte rentiert habe, hätten die Beteiligten – besonders die Wohnungsunternehmen und die Bauwirtschaft – auf die Errichtung möglichst großer Siedlungen gedrängt. Daran ist richtig, daß die Verwendung rationalisierter Bauweisen tatsächlich ein herausragendes und verbindendes Merkmal des Großsiedlungsbaus der späten sechziger und frühen siebziger Jahre war, obwohl die Entwicklung in der ersten Hälfte der sechziger Jahre von einer ganzen Reihe von Rückschlägen auf diesem Gebiet gekennzeichnet gewesen war.334 Unter den Bedingungen der späten sechziger Jahre unternahmen viele Un327 328 329 330 331

Vgl. ebd., S. 151 f. In diese Richtung argumentiert Fuhrich 1983, S. 152. Hübenbecker/Huwendieck/Puffert, S. 60 Vgl. PUA HH, S. 909 ff. Saldern 1997, S. 359. Tessin 1987 argumentiert in eine ähnliche Richtung, ist aber wesentlich differenzierter. 332 Saldern 1997, S. 359. 333 Projektgruppe Branchenanalyse 1972, S. 109. 334 Vgl. Kap. 4.2.1.2 dieser Arbeit.

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ternehmen, unter ihnen auch die NH, dennoch einen neuen Anlauf zum Bau mit vorgefertigten Bauteilen. Für die Unternehmensgruppe bot sich der Standort Hamburg in besonderem Maße an, weil das Montagebauwesen dort für bundesrepublikanische Verhältnisse ungewöhnlich gut ausgebaut war und zudem der Senat im Rahmen seines Wohnungsbauprogramms die industrielle Bauweise durch ein Sonderprogramm förderte.335 Sie entwickelte deshalb die Siedlung in Mümmelmannsberg zu einem Experimentierfeld für die Anwendung des Montagebaus. So errichtete sie den weit überwiegenden Teil der im ersten Bauabschnitt zwischen 1970 und 1975 gebauten Wohnhäuser mit vorgefertigten Bauteilen, wie sie auch schon Mitte der sechziger Jahre zum Einsatz gekommen waren.336 Dieser Versuch verlief allerdings recht enttäuschend; denn auch auf diese Weise ließ es sich nicht verhindern, daß in Mümmelmannsberg erstmals die in Hamburg zulässigen Gesamtkosten für den öffentlich geförderten Wohnungsbau in Höhe von 1.000 DM pro Quadratmeter Wohnfläche überschritten wurden.337 Die Montagebauweise brachte damit hinsichtlich der reinen Baukosten gegenüber dem traditionellen Backsteinbau keinerlei Kostenvorteile. In einer weiteren Hinsicht hatte sie sogar erhebliche Defizite aufzuweisen: „Durch die Erprobung von industrieller Vorfertigung der Bauteile entstand eine monotone Baustruktur, die“ – aufgrund der massiv tragenden Konstruktion der Fassadenbauteile – „häufig geprägt war von einheitlich glatten Betonfassaden.“338 Zudem brachte es die Serienfertigung der Bauelemente mit sich, daß die Flexibilität hinsichtlich der Grundrißgestaltung den „Vorstellungen der Architekten und Bewohner nach differenzierter Gestaltung und Nutzungsvariabilität“339 nicht zu entsprechen vermochte. Die Produktion einer größeren Bandbreite von Bauelementen hätte dem zwar entgegenwirken können, gleichzeitig aber wieder zu erhöhten Kosten geführt. Das war im Grunde genommen ein schon seit Mitte der sechziger Jahre bekanntes Problem, und die NH war auch nicht das einzige Unternehmen, das sich damit beschäftigte. Angesichts der explodierenden Kosten hatte sich auch das Wohnungsbauministerium seiner angenommen und eine Reihe von Initiativen zum wirtschaftlicheren Bauen gestartet.340 1972 schrieb es zusammen mit dem „Stern“ einen Wettbewerb aus, dessen Ziel die Entwicklung eines Montagebausystems war, das mit wenigen Großtafel-Bauelementen größtmögliche Flexibilität bei der Grundrißgestaltung erzielte.341 An diesem Wettbewerb, der den Titel „elementa 1972“ trug, beteiligte sich auch die Planungsabteilung der NH unter Paul Seitz. Sie reichte einen Entwurf ein, der – anders als die in Mümmelmannsberg verwendeten Systeme – eine sogenannte Schottenbauweise vorsah. Dabei hatten die Fassadenelemente keine tragende Funktion mehr und konnten deshalb sehr viel flexibler gestaltet werden. Da die „Schotten“, also die tragenden Querwände, 335 336 337 338 339 340

Vgl. Fuhrich 1983, S. 156 und Hübenbecker/Huwendieck/Puffert 1983, S. 65. Vgl. ebd. Vgl. ebd. Fuhrich 1983, S. 149. Hübenbecker/Huwendieck/Puffert 1983, S. 66. Vgl. zusammenfassend Karl-Heinz Walper, Bauforschung im Rückstand, NHM 1969,6, S. 1– 4. 341 Vgl. Wettbewerb Elementa 72 setzt neue Maßstäbe, NHM 1972,12, S. 26–37, hier S. 26.

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eine mit 7,20 Meter außergewöhnlich hohe Spannweite aufwiesen, blieben innerhalb der dadurch entstehenden Räume viele Möglichkeiten zur individuellen Ausgestaltung des Grundrisses durch nicht-tragende Trennwände.342 Seitz und sein Team errangen zwar in dem Wettbewerb nur einen dritten Preis, was angesichts des Aufwandes, den die Unternehmensgruppe betrieben hatte, fast eine Niederlage war; aber das hinderte die NH nicht daran, ihr System sehr schnell in die Praxis umzusetzen.343 Neben einer Versuchssiedlung in Hannover war es vor allem der zweite Bauabschnitt in Mümmelmannsberg, bei dem es zum Einsatz kam – eine Reaktion auf die Kritik an der Monotonie der Fassaden in der Siedlung. Tatsächlich erreichte das elementa-System eine spürbare Verbesserung: Es war „durchaus anschaubarer als bisherige Großplattensysteme. Balkone mit farbigen Brüstungen verdeckten die schnöden Platten.“344 Aber in einem anderen Punkt brachte es keine durchgreifende Besserung: Von den reinen Baukosten her war „elementa“ zwar nicht teurer als traditionelle Bauweisen; billiger war es aber auch nicht.345 Tatsächlich hatte die Unternehmensgruppe – auch angesichts der Erfahrungen aus den zurückliegenden Jahren – mit dem System auch gar nicht erst die Hoffnung auf eine nachhaltige Senkung der Baukosten verbunden gehabt. Warum hatte sie aber angesichts dieser Erwartungshaltung dennoch zur Montagebauweise gegriffen und zudem noch viel Zeit und Geld in die Entwicklung eines neuen, flexibleren Systems gesteckt? Auch hierauf gibt das Beispiel Mümmelmannsberg eine Antwort: Das Projekt wurde nur deswegen nicht in der traditionellen Backsteinbauweise errichtet, weil „Hamburg nicht über die notwendige Anzahl qualifizierter Maurer verfügte, um in der vorhergesehenen Zeit die Bauleistung zu erbringen.“346 Das zentrale Argument für die Montagebauweise waren also nicht die niedrigeren Baukosten, sondern die kürzere Fertigstellungsdauer.347 Auch das brachte natürlich Kostenersparnisse, weil die NH bei kürzerer Bauzeit den Zinsbelastungen aus den von ihr gehorteten Grundstücken schneller Mieteinnahmen gegenüberstellen konnte. Aber die Hortung von Grundstücken war ja nur dann nötig, wenn eine Großsiedlung errichtet werden sollte; bei kleineren Bauprojekten war sie überflüssig. Es ist daher auszuschließen, daß die Unternehmen Großsiedlungen nur deshalb errichten wollten, weil sie dann Montagebauweisen zum Einsatz bringen konnten. Die Anwendung der Montagebauweise brachte ja – ceteris paribus – keine Kostenvorteile, sondern sie glich nur einen Kostennachteil aus, der ohne die Zielsetzung, Großsiedlungen zu erbauen, gar nicht erst entstanden wäre. Auch aus dieser Perspektive gab es also für die Unternehmensgruppe keinen zwingenden Grund, hochgradig verdich342 Vgl. ebd., S. 37; Hübenbecker/Huwendieck/Puffert 1983, S. 66; sowie Unternehmensgruppe NEUE HEIMAT (Hg.), Werkbericht. Entwicklung des Wohnungsbausystems elementa NEUE HEIMAT 1971–1977, o. D., HAA BS 02/1 und 02/2. 343 Vgl. Die Wohnung paßt sich der Familie an, NHM 1973,1, S. 13–22, hier S. 22 sowie Karl Heinz Hoffmann, Geschichte der Neuen Heimat. Kapitel 5: Die Neue Heimat seit 1970, o. D., URL: (Stand: 23.6.2008). 344 Ebd. 345 Vgl. Protokoll AA NHH/NHS, 17.5.1973, DGBA-BV, Abt. Finanzen, 24/478, S. 16. 346 Hübenbecker/Huwendieck/Puffert 1983, S. 65 (meine Hervorhebung). 347 Vgl. auch Tessin 1987, S. 85.

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tete Trabantenstädte zu errichten.348 Es waren daher – vielleicht abgesehen von dem Argument der Grundstückspreise – nicht so sehr ökonomische, sondern vor allem „städtebauideologische“349 Gesichtspunkte, die dafür verantwortlich waren, daß die NH seit Mitte der sechziger Jahre verstärkt auf den Bau solcher Großsiedlungen setzte. Die Unternehmensgruppe hatte selbst maßgeblich zur Entstehung und Verbreitung dieser städtebaulichen Ideologie beigetragen. Die Forderungen nach „Verflechtung“ und „Verdichtung“ etwa war von Paul Seitz seit 1966 regelmäßig erhoben und in der – allerdings ohnehin sehr ähnlich denkenden – Fachöffentlichkeit vertreten worden.350 Um diesen Ideen Nachdruck zu verleihen, hatte die Unternehmensgruppe zudem unter der Regie von Seitz 1966 zusammen mit dem Bund deutscher Architekten einen großen Ideenwettbewerb für den Bau einer 20.000-Einwohner-Siedlung in Ratingen-West ausgeschrieben. Dieser sollte ein „Modell für die Stadt von morgen“351 liefern und ging dabei von der Feststellung aus, „daß sich in den neuen Städten und Großsiedlungen, die in den letzten Jahrzehnten im In- und Ausland geplant und gebaut wurden, ein eigenes Leben gar nicht oder nur sehr schwer entwickeln will“.352 132 Architekten nahmen teil und lieferten sehr verschiedenartige Diskussionsbeiträge, um dieses Problem zu lösen. Eines hatten jedoch die zum Teil sehr futuristisch anmutenden Ideen wie etwa der Vorschlag, eine Art „Wohngebirge“ zu schaffen, mit den etwas bodenständigeren Entwürfen wie dem mit dem ersten Preis ausgezeichneten Beitrag einer Werkgemeinschaft freier Architekten gemeinsam: Alle zeichneten sich dadurch aus, daß sie den Schlüssel für eine Verbesserung der Kommunikationsstrukturen in einer Mischung der Funktionen und in einer hohen baulichen Verdichtung sahen.353 In Ratingen hatte dieser Wettbewerb zwar keinerlei praktische Folgen, weil die NH schließlich doch einen eigenen Entwurf durchsetzte. Aber auch in diesem eigenen Entwurf schlugen sich die von den Wettbewerbsteilnehmern exemplarisch verfolgten Ziele deutlich nieder.354 Und für eine ganzen Reihe weiterer, zwischen 1966 und 1973 von der NH geplanter Großprojekte galt dies um so mehr. In einem ihrer Bauvorhaben, dem zurecht so genannten „Stadtteil der extremen Ambitionen 348 Vgl. ebd., S. 84. 349 Ebd., S. 86. 350 Vgl. z. B. Paul Seitz, Gartenstadtidee und Stadtverdichtung , NHM 1970,1, S. 35–46 sowie die zahlreichen Vortragsmanuskripte von Seitz in: StA HH, 621–2 Seitz (Depositum HAA), bes. A 84 und A 85. 351 So der Text einer Anzeige, in der die aus dem Wettbewerb hervorgegangene Dokumentation beworben wurde, NHM 1970,1, S. 37. 352 Neue Heimat Hamburg/Bund Deutscher Architekten (Hg.), Das Leben in der Siedlung. Die Kommunikationsbereiche. Dargestellt am Beispiel Ratingen-West. Gemeinsamer Ideenwettbewerb der NEUE HEIMAT und des Bundes Deutscher Architekten, Hamburg 1967, S. 61. 353 Vgl. ebd., passim sowie Oliver Schöller, „Urbanität durch Dichte“ – ein umkämpftes Konzept. Dargestellt am Beispiel des Großsiedlungsbaus der „Neuen Heimat“, Die alte Stadt 28.2001, S. 111–129, hier S. 123. Entgegen dem etwas irreführenden Titel beschäftigt sich dieser Aufsatz – ebenso wie ders., Die Blockstruktur. Eine qualitative Untersuchung zur politischen Ökonomie des westdeutschen Großsiedlungsbaus, Berlin 2005 – ausschließlich mit dem Fall Ratingen. 354 Vgl. Schöller 2001, S. 124 ff.

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und der unerfüllten Erwartungen“,355 führte die Verknüpfung von strukturpolitischen Zielsetzungen und sozialwissenschaftlich fundierten Planbarkeitsvorstellungen gar zu einer geradezu dramatischen Zuspitzung der Ideologie der „Verdichtung“ und „Verflechtung“. Das war die Siedlung Emmertsgrund in Heidelberg.356 Auch hier bildete die für die kommenden Jahre erwartete Wohnungsnot in der Stadt den Ausgangspunkt der Planungen. Der neue Stadtteil sollte zunächst auf eine Größe von 11.000 Bewohnern ausgerichtet sein und etwa 3.200 Wohnungen bereithalten.357 Neben der Beseitigung der Wohnungsnot selbst verfolgten die Stadt und die NH Baden-Württemberg, die 1967 das südlich von Heidelberg gelegene Gelände gekauft und einen Erschließungsauftrag erhalten hatte, aber noch weitere Ziele, die maßgeblichen Einfluß auf die Planungstätigkeit gewinnen sollten. Dazu gehörte die Wachstumsförderung im Sinne der oben skizzierten Ambitionen, den Städtebau als ein Instrument der regionalen Strukturpolitik nutzbar zu machen. Diese Zielsetzung äußerte sich erstens in der Vorstellung, daß die Beseitigung der Wohnungsnot einen kritischen Engpaß, der dem weiteren wirtschaftlichen Wachstum der Region im Wege stehen würde, beseitigen würde. Zweitens war sie an einem Detail zu erkennen, das die Planungen von Emmertsgrund gegenüber den meisten anderen Siedlungen auszeichnete: an der Tatsache, daß mit der Planung der Siedlung auch eine starke Arbeitsplatzkomponente, insbesondere die Erschließung eines zur Siedlung gehörigen Industriegebietes einhergehen sollte.358 Auf diese Weise sollte die bis dahin sehr einseitige Wirtschaftsstruktur der Universitätsstadt durch ein industrielles Element ergänzt werden.359 Entsprach Emmertsgrund schon in dieser Hinsicht weitestgehend dem Idealbild, das sich die NH seit der Rezession für ihre Betätigung im Wohnungs- und Städtebau zurechtgelegt hatte, so war es doch in erster Linie die dritte mit dem Projekt verbundene Zielsetzung, die es als Signum des Modernitäts- und Fortschrittsglaubens dieser Zeit erscheinen ließ: die Absicht, „ein zukunftsweisendes städtebauliches Vorbild zu schaffen“ – „eine Blüte der Urbanität, Verdichtung und des kommunikativ-städtischen Lebens.“360 Emmertsgrund war also von vornherein als eine modellhafte Verwirklichung des „modernen“ Leitbildes von der „Urbanität durch Dichte“ gedacht. Um diesem Anspruch gerecht zu werden, fuhren die Stadt, die NH und die beteiligten Architekten die schwersten Geschütze auf, die der Städtebau in diesen Jahren zu bieten hatte. Das war in besonderem Maße an dem Planungsprozeß für das neue Stadtviertel erkennbar. Emmertsgrund sollte unter Berücksichtigung modernster sozialwis355 Irion/Sieverts 1991, S. 56. 356 Zusammenfassend zu Emmertsgrund vgl. ebd., S. 76 ff.; Neue Heimat Baden-Württemberg (Hg.), Heidelberg-Emmertsgrund. Ein neuer Stadtteil für 11.000 Menschen. Ein Bericht der Neuen Heimat Baden-Württemberg, Stuttgart 1971; Walter Brodbeck, Alt-Heidelberg, NeuHeidelberg, NHM 1972,6, S. 1–15 sowie Bundesminister für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau (Hg.), Heidelberg-Emmertsgrund. Planung unter sozialen Aspekten (Schriftenreihe „Versuchs- und Vergleichsbauten und Demonstrativmaßnahmen“ Bd. 01.056), Bonn 1976. 357 Vgl. Walter Brodbeck, Alt-Heidelberg, Neu-Heidelberg, NHM 1972,6, S. 1–15, hier S. 4. 358 Vgl. Irion/Sieverts 1991, S. 83. 359 Zur zeitgenössischen Wirtschaftsstruktur der Stadt vgl. Deutsche Akademie für Städtebau und Landesplanung 1970, S. 388 ff. 360 Irion/Sieverts 1991, S. 76 u. S. 58.

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senschaftlicher Erkenntnisse gestaltet werden. Hierzu hatte die Gewos im Auftrag der NH ein Gutachten über die künftige Wohnungsnachfrage in Heidelberg und über die Eignung des Emmertsgrundes als Standort für eine „Ergänzungs-City“ erstellt. Auf dieser Grundlage arbeiteten die NH Baden-Württemberg und die Stadtverwaltung in den Jahren 1967 und 1968 ein Programm für den Wohnungsbau und den Bau von Gemeinschaftseinrichtungen aus.361 Dabei bedienten sie sich des Ratschlages eines Mannes, der wie kein zweiter dafür geeignet schien, die Erfüllung der Forderung nach einer sozialwissenschaftlichen Fundierung des Städtebaus zu garantieren. Das war der Sozialpsychologe Alexander Mitscherlich. Mitscherlich war 1965 mit dem berühmt gewordenen Buch „Die Unwirtlichkeit der Städte“, das nicht zuletzt auf die in den fünfziger Jahren von der NH gebauten Gartenstädte gemünzt war, als der wohl prominenteste Kritiker des Städtebaus in der Bundesrepublik hervorgetreten.362 Seine Aufgabe sollte es nun sein, das Wohnungsbauprogramm von Stadt und NH aus sozialpsychologischer Perspektive zu kommentieren und Vorschläge für seine Ausgestaltung zu machen. Damit betrat er Neuland. Ein Wissen über die wechselseitige Beeinflussung von Stadtstrukturen und sozialpsychologischen Phänomenen oder gar unmittelbar für Planung und Architektur nutzbar zu machende Handlungsanweisen aus sozialpsychologischer Perspektive gab es nicht.363 Immerhin war Mitscherlich aber der Meinung, daß es sie geben könnte. Er ging für seine Arbeit von der These aus, daß „ein guter Teil mißlungener Planung bei Stadtsanierungen, im Neubau von Trabantensiedlungen usw. (...) durch die Mißachtung elementarer individual- und kollektivpsychischer Gesetzlichkeiten zustande gekommen“ sei und es deshalb für die Quartiersplanung wichtig sei, „psychische Reaktionsbereitschaften und Reaktionsgesetze zu kennen und in der Planung mit psychologischer Umsicht vorzugehen.“364 Im Anschluß an Hans Paul Bahrdt vertrat er die Auffassung, „daß das Leben des Menschen in der Stadt zwischen Öffentlichkeit und Privatheit oszilliert und daß die anregende Wirkung des städtischen Lebens gerade auf dieser Oszillationsmöglichkeit beruht“.365 Mitscherlich strebte deswegen in erster Linie eine Verwirklichung dieser „Oszillationsmöglichkeit“ an. In diese Richtung wies etwa sein Plädoyer für eine hohe bauliche Dichte, die er als kommunikationsfördernd betrachtete. Konkret sprach er sich des weiteren für die Schaffung eines Platzes oder einer Serie hintereinandergeschalteter Plätze im Zentrum der Siedlung aus, die einen „unausweichlichen Kommunikationsort“366 mit Anziehungspunkten in Form von Geschäften, Cafés und Restaurants bilden sollten. Zudem befürwortete er eine 361 Vgl. ebd., S. 56 sowie Bundesminister für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau 1976, S. 14. 362 Mitscherlich 1965. Vgl. auch Tobias Freimüller, Alexander Mitscherlich. Gesellschaftsdiagnosen und Psychoanalyse nach Hitler (Beiträge zur Geschichte des 20. Jahrhunderts Bd. 6), Göttingen 2007, S. 337 ff. 363 Vgl. Alexander Mitscherlich, Psychologie im Städtebau. Wechselbeziehung zwischen der Planungstätigkeit des Architekten und dem Wissen des Sozialpsychologen am Beispiel Heidelberg-Emmertsgrund, NHM 1969,12, S. 1–9, hier S. 1. 364 Ebd., S. 1 f. 365 Ebd., S. 7. 366 Ebd., S. 8.

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Erschließung der Siedlung durch ein netzförmiges Straßensystem, das gleichzeitig als Träger ihrer Infrastruktur dienen sollte. Anstatt diese „völlig phantasielos auf einem Haufen zusammenzuklatschen“,367 sollten also infrastrukturelle Einrichtungen in dieses Straßensystem integriert werden – etwa indem „die Kinder nicht nur auf die Spielplätze verbannt würden“, sondern „stattdessen sehr breite Bürgersteige, schön mit Bäumen bepflanzt, angelegt würden, auf denen dann auch sie sich tummeln könnten“.368 Auch eine unmittelbar mit der Errichtung der Siedlung einhergehende Einbindung in das Verkehrsnetz hielt Mitscherlich für unverzichtbar. Was die konkrete Ausgestaltung der Infrastruktur betraf, ging er vor allem von den Bedürfnissen dreier Personengruppen aus, die seiner Meinung nach eine Trabantenstadt am stärksten nutzen würden und gleichzeitig alle drei unterprivilegierte Minoritäten darstellten: Ehefrauen und Mütter; Kinder; und alte Menschen. Gerade die Infrastruktureinrichtungen für diese Gruppen sollten beim Bau der Siedlung am stärksten berücksichtigt werden – etwa durch die Schaffung von Ausbildungseinrichtungen, die Integration von Kindergärten und Sportzentren sowie die Einrichtung eines „Betreuungs- und Pflegesystem[s] für die im Wohnbereich verstreut lebenden wirklich gebrechlichen alten Menschen“.369 Auch den Bau einer „hervorstechende[n] Einrichtung als überörtliche Freizeitattraktion“ empfahl Mitscherlich, um auf diese Weise „die traurige Vorstadtisolierung durch spontan sich zur übrigen Stadt herstellende Verbindungen“370 zu durchbrechen. Viele dieser Vorschläge waren im Detail interessant und bedenkenswert; eine grundlegende Erweiterung des städtebaulichen Wissens stellten sie hingegen nicht dar. Die Kernforderungen des städtebaulichen Leitbildes der „Urbanität durch Dichte“ – vor allem also die hohe Verdichtung und die kommunikationsstrukturierende Bedeutung infrastruktureller Einrichtungen – wurden von Mitscherlich noch einmal mit Nachdruck vertreten; mehr nicht. Im Gegenteil: Die methodische Fundierung und die empirische Basis seiner etwas essayistisch daherkommenden Überlegungen waren unklar und blieben weit hinter dem zurück, was die Gewos in ihren Gutachten präsentierte. Das änderte aber nichts daran, daß Mitscherlichs Überlegungen großen Einfluß auf die Planung hatten. Im Endeffekt liefen sie allerdings nur darauf hinaus, die ohnehin bestehenden Trends noch einmal zu bestätigen und ihnen die Aura der sozialpsychologischen Fundierung zu verleihen. Als 1968 auf der Basis des unter seiner Mitwirkung entstandenen Programms ein städtebaulicher Wettbewerb für die Erstellung eines Planungsgutachtens ausgeschrieben wurde, gab Mitscherlich dem schlußendlich ausgewählten Entwurf der Münchener Architekten Fred Angerer und Alexander von Branca öffentlich seinen Segen. „Die Gesamtgestaltung des Stadtteils“, so führte er aus, „scheint mir sehr harmonisch, reich an städtischen Variationen und Überraschungen. Der Monotonie, die bei in einem Zug erstellten Siedlungsplanungen so selten vermieden wird, hier wird ihr mit Erfolg begegnet. (...) Wenn das Projekt, so wie geplant, gelingt, wird

367 368 369 370

Ebd., S. 9. Ebd., S. 8. Ebd., S. 6. Ebd., S. 7.

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es exemplarische Bedeutung erlangen – einen Schritt in Richtung auf bessere städtische Lösungen darstellen.“371 Tatsächlich hatte das Konzept von Angerer und Branca Mitscherlichs Ideen in vielen zentralen Punkten aufgegriffen. Es ging von einer hochverdichteten Stadtstruktur mit einer Geschoßflächenzahl von 1,35 aus. Als kommunikatives Zentrum sah es einen Platz vor, der in der Mitte einer „Aktiv-Achse“ liegen sollte. Diese „Aktiv-Achse“ war eine Fußgängerzone, die parallel zu dem Höhenzug, an dem das Baugelände lag, verlaufen und „all Einrichtungen, die nach MitscherlichMaß das Wohlbehagen des städtischen Lebens fördern können“,372 aufnehmen sollte. Damit wurde Mitscherlichs Forderung nach einer Integration von Straßensystem und Infrastruktur Genüge geleistet. Überhaupt waren die infrastrukturellen Einrichtungen äußerst großzügig geplant worden – zu großzügig, wie sich bald zeigen sollte. So stellte einer der Architekten rückblickend fest, „bei der Ausstattung und der Zahl der Kinderplätze“ sei „wohl etwas übertrieben“373 worden. Das galt auch für die Zahl der Altenwohnungen und für die angepeilten Wohnungsgrößen. Die Planer und später auch die NH hatten Mitscherlichs Forderung nachgegeben, „im Zeichen wachsender Freizeit mehr Bewegungsraum auch in den eigenen ‚vier Wänden‘“ zu ermöglichen.374 Deshalb lag beispielsweise die Zahl der Vier-Zimmer-Wohnungen, die Angerer und von Branca vorgesehen hatten, weit über dem Durchschnitt anderer Siedlungen, und auch die Wohnflächen der kleineren Wohnungen waren – mit 40 bis 46 qm für eine Ein- und 66 bis 86 qm für eine Zweizimmerwohnung – überaus großzügig bemessen. Das brachte erhebliche Schwierigkeiten bei der Umsetzung des Konzeptes, denn es war, wie Mitscherlich selbst einräumte, „zwar nicht marktgerecht, aber wünschenswert.“375 Obwohl das Projekt als Demonstrativbauvorhaben vom Bund mit Zuschüssen gefördert wurde, ließ es sich unter dieser Prämisse nicht bewerkstelligen. Um die großzügige Ausstattung des Viertels überhaupt finanzieren zu können, nahm die NH als Bauträger in Abstimmung mit den Architekten und der Stadt eine Reihe von Veränderungen an dem ursprünglichen Plan vor: In erster Linie erhöhte sie nochmals die Bebauungsdichte, indem sie einige Hochhäuser um ein Geschoß aufstockte. Das Ziel hierbei war es, Bau- und Grundstückskosten einzusparen und die Auslastung der Infrastruktur sicherzustellen. Mitscherlich konnte oder wollte diese Veränderungen nicht mittragen und zog sich deshalb von seiner Beratungstätigkeit zurück.376 Die Architekten selbst sahen in der Erhöhung der Geschoßzahl allerdings kein Problem. Überhaupt waren sie mit der Arbeit der NH – ebenso wie die Stadt – sehr zufrieden. Ohne ihre finanziellen Kapazitäten hätte das Konzept nicht umgesetzt werden können. Die Stadt jedenfalls konnte es sich nicht leisten, die Grundstücksflächen jahrelang vorzuhalten, bis nach der Bebauung den Zinsbela371 Alexander Mitscherlich, zit. nach Walter Brodbeck, Alt-Heidelberg, Neu-Heidelberg, NHM 1972,6, S. 1–15, hier S. 9. Vgl. auch Bundesminister für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau 1976, S. 15. 372 Irion/Sieverts 1991, S. 88. 373 Fred Angerer, zit. nach ebd., S. 97. 374 Ebd., S. 92. 375 Zit. nach ebd., S. 92. 376 Vgl. ebd., S. 81.

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stungen endlich Miet- oder sonstige Einkünfte gegenübergesetzt werden konnten.377 Selbst die NH – genauer gesagt die baden-württembergische Regionalgesellschaft – geriet angesichts dieser Belastungen in den folgenden Jahren ins Schleudern. Zunächst schien der Bau von Emmertsgrund nach Plan zu verlaufen. Schon 1970 waren die Erschließungsmaßnahmen abgeschlossen, und im Frühjahr 1971 begannen die Hochbaumaßnahmen für die ersten Bauabschnitte.378 Aber als sich mit der Krise 1973/74 die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen verschlechterten und sich die Vorhersagen über den Wohnungsbedarf der Stadt als ein Produkt des übersteigerten Wachstumsglaubens entpuppten, war die Vermietbarkeit der sehr teuren Wohnungen akut gefährdet. Deshalb sahen ergänzende Planungen eine Verminderung des Wohnungsangebotes vor. Das brachte neue Probleme mit sich: „Diese neuen Anforderungen vertrug weder das Bebauungsplan-Konzept sehr gut noch entsprach es der Finanzierungskonzeption. Die enormen Investitionen in öffentliche Einrichtungen und Erschließung belasteten die Grundstückskosten, durch verzögerte Bebauung entstanden zusätzliche Zinslasten.“379 Zudem führte die ausbleibende Wohnungsnachfrage dazu, daß bei der Wohnungsvergabe sozialstrukturelle Überlegungen nicht mehr weiter berücksichtigt wurden, das Viertel daher schnell ein Negativ-Image aufbaute und die Nachfrage weiter nachließ.380 Die Tatsache, daß Emmertsgrund unter Rahmenbedingungen geplant wurde, die zum Zeitpunkt seiner Realisierung keinen Bestand mehr hatten, war also ein wichtiger Grund für die vielen Probleme, die die Siedlung in der zweiten Hälfte der siebziger Jahre plagten. Doch es erscheint fraglich, ob die mit Emmertsgrund verbundenen Planungsziele unter besseren Bedingungen hätten erreicht werden können. Zum einen zeigten ja die Krise von 1973/74 und die Wachstumsschwäche der Jahre danach, daß eine der Grundannahmen dieser Planungen, nämlich die Annahme, wirtschaftliches Wachstum lasse sich durch Maßnahmen des Städtebaus steuern, einfach nicht stimmte; denn hätte diese Steuerung tatsächlich funktioniert, dann hätte es diese Schwierigkeiten niemals geben dürfen.381 Zum anderen aber war es die ideologische Zuspitzung des Leitbildes von der „Urbanität durch Dichte“, die Emmertsgrund zum Problemfall machte. Vor allem der Anspruch, sozialpsychologischen Bedürfnissen allein durch die Planung von Kommunikationsstrukturen und Infrastruktur gerecht werden zu können und auf diese Weise „Urbanität“ herstellen zu können, konnte nicht verwirklicht werden. Als ein in irgendeiner Weise „urbanes“ Wohnviertel ist der Emmertsgrund in Heidelberg nie akzeptiert worden, und auch den ästhetischen Anforderungen einer breiteren Öffentlichkeit konnte der Stadtteil nicht gerecht werden. Es ist zwar richtig, daß die Siedlung zwischenzeitlich erhebliche Verbesserungen erfahren hat, aber gemessen an dem hochfliegenden Anspruch, städtisches Leben, Urbanität, Kommunikation und Wohlbefinden der Bewohner hervorzubringen, ist Emmerts377 378 379 380 381

Vgl. ebd., S. 83 u. S. 90. Vgl. Bundesminister für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau 1976, S. 35 f. Irion/Sieverts 1991, S. 95. Vgl. ebd. Vgl. ähnlich auch Tessin 1987, S. 82.

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grund gescheitert – und zwar „nicht nur durch die wirtschaftlichen und politischen Faktoren (...), sondern auch durch das (...) Planungsziel.“382 Die Planer wollten „zu vieles gleichzeitig (...) erreichen und besser machen“.383 Einige der Beteiligten räumten das im Rückblick auch ein: „Der Trend war zu extrem, er überschlug sich. Emmertsgrund ist ein Exzeß des Trends.“384 Als ein solcher „Exzeß des Trends“ ist das Projekt allerdings ein herausragendes Zeugnis jenes Zeitgeistes, der die Unternehmenspolitik der NH zwischen 1966 und 1973 maßgeblich bestimmte. Und in dieser Hinsicht ist es in seinen Extremen vielleicht ein Einzel-, in seiner grundsätzlichen Stoßrichtung aber mit Sicherheit kein Sonderfall. Auch bei kleineren Projekten wie dem Projekt „Hannibal“ im Stuttgarter Asemwald oder dem „Großen Kurfürsten“, den Friedrich Spengelin für die NH Bremen errichtete, war die Gestaltung in hohem Maße auf „städtebauideologische“ Faktoren und weniger auf zwingende Erfordernisse zurückzuführen.385 Für die größeren Projekte galt das noch viel mehr, und für diese war Emmertsgrund ein repräsentatives Beispiel. Denn die Errichtung hochverdichteter, infrastrukturell luxuriös erschlossener und völlig überdimensionierter Großsiedlungsprojekte in rationalisierter Montagebauweise kennzeichnete die Unternehmenspolitik der Gruppe nicht nur in Heidelberg, sondern auch an vielen anderen Orten – exemplifiziert etwa durch Siedlungen wie Hamburg-Osdorfer Born oder durch das seit 1967 in Planung befindliche, aber erst 1972 in Bau gegangene Bauvorhaben Osterholz-Tenever in Bremen.386 Grenzen schien es für solche Projekte nicht mehr zu geben: In Hamburg-Allermöhe plante die Unternehmensgruppe seit 1972 gar den Bau einer Stadt mit 30.000 Wohnungen.387 Diese hochfliegenden Ambitionen der späten sechziger und frühen siebziger Jahre entsprangen einer Ideologie der Planbarkeit und der Machbarkeit, die mit den realen Anforderungen an den Wohnungsbau nur noch wenig zu tun hatten. „Der Großsiedlungsbau der 60er/70er Jahre war [daher] weniger ein zwangsläufiger als vielmehr ein bloß naheliegender, ‚zeitgemäßer‘ (...) Versuch der Großstädte und der großen Wohnungsbaugesellschaften, im Rahmen staatlicher Wohnungspolitik und unter dem Einfluß entsprechender Architektur- und Städtebauideologien auf die spezifischen Problemstellungen jener Zeit zu reagieren.“388 382 383 384 385

Irion/Sieverts 1991, S. 100. Ebd., S. 95. So der Geschäftsführer der NH Baden-Württemberg, Knoblauch, zit. nach ebd., S. 100. Zum Projekt „Hannibal“ vgl. Justus Buekschmitt, Wohnanlage Asemwald. Das Ende der „Legende Hannibal“, NHM 1962,12, S. 1–5; Von „Hannibal“ bis Asemwald, NHM 1969,11, S. 1–12; Hafner 1993, S. 288 sowie Thomas Hafner/Barbara Wohn/Karin Rebholz-Chaves, Wohnsiedlungen. Entwürfe, Typen, Erfahrungen aus Deutschland, Österreich und der Schweiz, Basel u. a. 1998, S. 44 ff. Zum „großen Kurfürsten“ vgl. Wallenhorst 1993, S. 321 ff. sowie Friedrich Spengelin/Ingeborg Spengelin, Großer Kurfürst, NHM 1969,5, S. 7–17. 386 Vgl. dazu zusammenfassend Tassilo Braune, Osdorfer Born, in: Architekten- und Ingenieurverein Hamburg e. V./Hamburgische Gesellschaft zur Beförderung der Künste und nützlichen Gewerbe 1984(a), S. 108–109 sowie Wallenhorst 1993, S. 331 ff. 387 Vgl. dazu Wettbewerb Billwerder-Allermöhe, NHM 1975,3, S. 20–36; JB 1973/74, S. 98 f.; Tassilo Braune, Billwerder-Allermöhe, in: Architekten- und Ingenieurverein Hamburg e. V./Hamburgische Gesellschaft zur Beförderung der Künste und nützlichen Gewerbe 1984(b), S. 128–130 sowie Hafner/Wohn/Rebholz-Chaves 1998, S. 146 ff., hier v. a. S. 147. 388 Tessin 1987, S. 77 f.

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Die NH nahm in diesem Zusammenhang eine prominente Rolle ein und verstand sich selbst als Speerspitze der dahinter verborgenen Planungseuphorie. Das Beispiel des Großsiedlungsbaus zeigt daher, daß die Unternehmensgruppe ihre Expansion in diesem Bereich nicht in erster Linie aus „Profitgier“ vorantrieb, sondern mit dem Ziel, eine soziale Vision umzusetzen.389 Ihre Produktpolitik verstand sie tatsächlich, wie Vietor das formuliert hatte, als „Dienst am Fortschritt“. Und zumindest in den Jahren vor 1973 fand diese Sichtweise auch einige Unterstützung, denn die „Verdichtungs- und Urbanitätsideologie fußte“ – ebenso wie die Planbarkeitsvorstellungen der Unternehmensgruppe – „auf einem breiten gesellschaftlichen Konsens“390 (Osterholz-Tenever, ein später höchst umstrittenes Projekt, wurde sogar vom Bund als Demonstrativbauvorhaben gefördert, um auszutesten, „wie weit man den Flächenbedarf für künftige Wohnungsbauten reduzieren konnte, wenn man nur konsequent genug ‚verdichtete‘“391). Unter der Voraussetzung, daß man ihre Vorstellungen von der sozialen Bedeutung des Infrastukturausbaus, von der Rolle der Kommunikation im Großsiedlungsbau und von der Planbarkeit moderner sozialer Strukturen teilte – und zwischen 1966 und 1973 taten die politischen Eliten dies fast ohne Abstriche –, mußte man die NH für ihre Rolle als Agent gesellschaftlicher Modernisierung fast ein wenig bewundern. 5.3.2 Die Expansion des Gewerbebaus 5.3.2.1 Kommunal- und Gewerbebau im Aufwind Die Sanierungen und der Großsiedlungsbau waren also von einer relativ geschlossenen sozialpolitischen Vision bestimmt, die sich zwar bald als höchst problematisch herausstellen sollte, immerhin aber dem Selbstbild der NH als einem modernen, sozialpolitisch engagiertem Unternehmen eine gewisse, vor allem unternehmensintern bedeutsame Glaubwürdigkeit verlieh. Die These, daß die Unternehmensgruppe nur, wie spätere Kritiker der Sanierungen und des Großsiedlungsbaus mutmaßten, auf die schnelle Mark aus sei, traf in diesem Zeitraum betriebsintern und auch bei den Gewerkschaftsspitzen jedenfalls auf wenig Widerhall. Dafür saß die Vorstellung, mit diesen Bauvorhaben dem sozialpolitischen Fortschritt zu dienen, viel zu tief.392 Etwas anders stellte sich die Lage allerdings hinsichtlich des Kommunal- und des Industriebaus dar. Hier überwog eindeutig ein Aspekt, der neben dem Versuch der Umsetzung einer sozialpolitischen Reformagenda das zweite wichtige Merkmal der Produkt- und Absatzpolitik der Unternehmensgruppe zwischen 1966 und 1973 darstellte. Das war der Aspekt der Expansion in neue, nie zuvor von einem gemeinnützigen Wohnungsunternehmen bearbeitete Märkte, 389 Ähnlich argumentiert auch Christian Farenholtz, Großsiedlung – politischer Sachzwang oder Weg zu einer Qualität städtischen Lebens, NHM 1974,3, S. 10–16. 390 Tessin 1987, S. 90. 391 Wallenhorst 1993, S. 333. 392 Insofern war man, wie Tessin das formulierte, tatsächlich „der eigenen Ideologie aufgesessen“, Tessin 1987, S. 86.

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die mit dem Ausbau des Konzerns zu einem „integrierten Städtebauunternehmen“ einherging. Am wenigsten mochte diese Trennung zwischen Vision und Expansion vielleicht noch auf den Bereich dessen zutreffen, was sich im weitesten Sinne unter dem Begriff des „Kommunalbaus“ zusammenfassen ließ. Im Unterschied zum Wohnungsbau handelte es sich hier in der zeitgenössischen Beurteilung um einen echten Wachstumsmarkt. Ende der sechziger Jahre wurden die ohnehin bereits sehr optimistischen Prognosen, die seitens der Unternehmensgruppe 1964 zur Gründung der NHK geführt hatten, nochmals nach oben revidiert: 1969 schätzte der Deutsche Städtetag die innerhalb eines Jahrzehnts nötigen kommunale Bauinvestitionen – ohne die Stadtsanierungsmaßnahmen – auf 280 Mrd. DM, die NH kam in ihren Berechnungen auf etwa 400 Mrd. DM und Paul Seitz in einer anderen Schätzung sogar auf 550 Mrd. DM!393 Zwar gab es auch kritische Stimmen, die diese Zahlen für weit überzogen hielten. Aber sie gingen in der verbreiteten Auffassung unter, daß „die notwendige Berücksichtigung der Wechselwirkungen zwischen der sozioökonomischen Entwicklung eines Landes und dem Ausbau seiner Infrastruktur (...) dazu [zwinge], den gemeinschaftsbezogenen Aktivitäten wesentlich mehr Gewicht zu verleihen“, weil „der wirtschaftliche Fortschritt (...) unlösbar von den absolut und anteilig steigenden Bauinvestitionen der öffentlichen Hand in den Infrastrukturbereichen“394 abhänge. Diese Auffassung dominierte seit Mitte der sechziger Jahre auch die Politik der Kommunen. Durch die sozialliberale Koalition erhielt diese noch zusätzliche Impulse. Denn die Reformen der Regierung stärkten die Investitionsfähigkeit der Gemeinden gleich durch eine ganze Reihe von Maßnahmen. Neben dem Städtebauförderungsgesetz war hier insbesondere das 1969 verabschiedete Finanzreformgesetz, das die Steuerverteilung zwischen Bund, Ländern und Gemeinden neu regelte und den finanziellen Spielraum der Gemeinden erheblich erweiterte, von Bedeutung.395 Hinzu kam, daß einige Teile des Programms der Bundesregierung auch eine unmittelbare Nachfrage nach Kommunalbauten schufen. Das galt z. B. für das Bildungswesen, das in Brandts Regierungserklärung „an der Spitze der Reformen“396 stand. Schon die Große Koalition hatte unter dem Eindruck einer sich zuspitzenden „Bildungskrise“ durch die Schaffung von Gemeinschaftsaufgaben von Bund und Ländern die Voraussetzungen für eine langfristige Bildungsplanung geschaffen und die klare Absicht zu erkennen gegeben, diesen Sektor überproportional zu fördern.397 Aus Sicht der NH bedeutete das, daß der Markt für Bildungsbauten in den kommenden Jahren erheblich expandieren würde. Und tatsächlich 393 Vgl. Protokoll AR NHS, 1.4.1970, DGBA-BV, Abt. Finanzen, 24/476, S. 3; JB 1971/72, S. 28; Paul Seitz, Kommunalbauten (Vortragsmanuskript), 11.5.1968, StA HH, 621–2 Seitz (Depositum HAA), A 79–0025, S. 1. 394 JB 1971/72, S. 28. Zu den kritischen Stimmen vgl. den Vermerk eines Beamten aus dem Wohnungsbauministerium betr. die Kosten der Erneuerung von Städten und Dörfern, 14.8.1968, BAK B 134–19271, Bd. 3, S. 2. 395 Vgl. JB 1969/70, S. 18; Schönhoven 2004, S. 333 ff. sowie hier und im folgenden auch HansPeter Ullmann, Der deutsche Steuerstaat. Geschichte der öffentlichen Finanzen vom 18. Jahrhundert bis heute, München 2005, S. 194 ff. 396 Willy Brandt, Regierungserklärung vom 29.10.1969, in: Beyme 1979, S. 251–281, hier S. 265.

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wurden ihre Hoffnungen nicht enttäuscht, denn die sozialliberale Koalition startete gleich nach ihrem Amtsantritt eine bildungspolitische Offensive, wie sie die BRD noch nicht erlebt hatte. So sah sie 1970 in ihrem „Bericht zur Bildungspolitik“ vor, das gesamte Schulsystem nach dem Modell der integrierten Gesamtschule zu organisieren.398 Zudem sollte auch das berufliche Bildungswesen reformiert und weiter ausgebaut werden.399 Die Kosten für die bauliche Umsetzung der Maßnahmen in diesen beiden Bereichen schätzte die Bundesregierung allein für die Jahre 1970 bis 1975 auf etwa 20 Mrd. DM, die vor allem in den Bau von großen Schulzentren investiert werden sollten.400 Von diesem Kuchen konnte sich die NHS mit der Marktstellung, die sich die NHK durch die Serienanfertigung von Schulgebäuden seit Mitte der sechziger Jahre erobert hatte, und mit ihren traditionell guten Verbindungen zu Ländern und Kommunen ein großes Stück abschneiden. In Hannover-Laatzen, WolfsburgWesthagen und im Märkischen Viertel in Berlin errichtete sie große Schulzentren;401 in Biberach ein riesiges „berufliches Modellschulzentrum“; und an zahllosen anderen Orten in der ganzen Republik kleinere Gesamt- und Berufsschulen, die die Zahl der von Unternehmensgruppe betreuten Schulbauten bis 1973 auf über 50 anwachsen ließ.402 „Selbst in Millionenstädten wie Berlin, Hamburg und München bedien[t]en sich die Schulbauexperten gern der versierten Fachleute des gewerkschaftseigenen Konzerns“,403 und für kleinere Gemeinden galt dies um so mehr. Mit ihrer Erfahrung und ihrem technischen Know-how war die Unternehmensgruppe in vielen Regionen nahezu konkurrenzlos. Man könnte meinen, daß dies auch für den Hochschulausbau gegolten haben müßte. Doch obwohl hier seit der 1970 verabschiedeten Ausweitung des Hochschulbauförderungsgesetzes bei den öffentlichen Ausgaben noch weitaus höhere Steigerungsraten zu verzeichnen waren als im Schulbau, bekam die NHS in diesem Sektor nur sehr mühsam Boden unter den Füßen.404 Das lag daran, daß die Unternehmensgruppe schon Mitte der sechziger Jahre ein Projekt in Angriff genommen hatte, das vom Vorstand explizit als Einstieg in den expandierenden 397 Zum Begriff und Inhalt des Konzeptes der Bildungsplanung vgl. Wilfried Rudloff, Bildungsplanung in den Jahren des Bildungsbooms, in: Frese/Paulus/Teppe 2003, S. 259–282, hier v. a. S. 259 ff. Zusammenfassend zum Ausbau des Bildungssystems vgl. Wiemers 1999, S. 43 ff. sowie Klaus Hüfner u. a., Hochkonjunktur und Flaute. Bildungspolitik in der Bundesrepublik Deutschland 1967–1980, Stuttgart 1986. 398 Vgl. Carl-Ludwig Furck, Das Schulsystem: Primarbereich – Hauptschule – Realschule – Gymnasium – Gesamtschule, in: Christoph Führ/Carl-Ludwig Furck (Hg.), Handbuch der deutschen Bildungsgeschichte. Bd. VI: 1945 bis zur Gegenwart. Erster Teilband: Bundesrepublik Deutschland, München 1998, S. 282–356, hier S. 330. 399 Vgl. Antonius Lipsmeier, Berufsbildung, in: ebd., S. 447–489, hier S. 448 ff. 400 Vgl. JB 1971/72, S. 29. 401 Zu diesen Projekten vgl. JB 1972/73, S. 111 ff. und Scheiner/Schmidt 1974, S. 103 ff. 402 Vgl. Scheiner/Schmidt 1974, S. 107. 403 Ebd., S. 106. 404 Zur Ausgabenentwicklung im Hochschulbau vgl. die Tabellen in Hüfner u. a. 1986, S. 107 ff. sowie Wolfgang Jäger, Die Innenpolitik der sozialliberalen Koalition 1969–1974, in: Karl Dietrich Bracher/Wolfgang Jäger/Werner Link (Hg.), Republik im Wandel 1969–1974. Die Ära Brandt (Geschichte der Bundesrepublik Deutschland Bd. 5/I), Stuttgart/Mannheim 1986, S. 15–160, hier S. 129.

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Markt des Hochschulausbaus gedacht gewesen war, sich aber zu Beginn der siebziger Jahre in das Gegenteil verkehrte – in den Hauptgrund dafür, daß die Erfolge der NH auf diesem Gebiet hinter den Erwartungen zurückblieben. Das war der Hochschulausbau in Niedersachsen. Seit November 1965 hatte das Land mit Krupp, der Salzgitter AG und der NH in Kontakt gestanden, um über eine Erweiterung der Landesuniversität in Göttingen und der beiden Technischen Hochschulen in Braunschweig und Hannover zu verhandeln.405 Alle drei Hochschulen galten als chronisch unterfinanziert und schlecht ausgestattet. Darin ähnelten sie ein wenig dem niedersächsischen Landeshaushalt. Die Offerte, die die NH dem Land machte, klang deshalb verlockend. Sie bot an, die Universität Göttingen innerhalb von zehn Jahren für eine Summe von 1,25 Mrd. DM auszubauen. Der Clou daran war, daß die Unternehmensgruppe sich bereiterklärte, nicht nur die technische Betreuung des Bauvorhabens zu übernehmen, sondern dieses auch noch komplett vorzufinanzieren und eine Festpreisgarantie zu übernehmen.406 Aus Sicht der Geschäftsführung war Niedersachsen nämlich nur der erste Schritt auf dem Weg zu einer umfassenden, strukturpolitisch verstandenen Tätigkeit im Städtebau: „Sie war an dem Auftrag vor allem interessiert, um Erfahrungen im Universitätsbau zu sammeln und ein Schauobjekt für ihre weitere Entwicklung zu bekommen.“407 Wegen der enormen langfristigen finanziellen Bindungen des Landes, die nach den ursprünglichen Planungen bis in das Jahr 1993 reichen sollten, war das Angebot der NH allerdings äußerst umstritten, vor allem in der Reihen der mitregierenden CDU. In langwierigen Verhandlungen wurde es bis zum Herbst 1966 dahingehend abgewandelt, daß es nun einen in drei Stufen erfolgenden Ausbau nicht nur der Universität Göttingen, sondern auch der beiden Technischen Hochschulen des Landes vorsah. Hiervon sollte zunächst nur die erste Stufe, deren Kosten sich auf 1,1 Mrd. DM beliefen, der NH übertragen werden.408 Auf dieser Basis schlossen die NH und die vom Land eigens gegründete Niedersächsische Hochschulbaugesellschaft im März 1967 einen Vertrag, der der NH die Maßnahmenträgerschaft für das Projekt übertrug. Im Kern sah dieser Vertrag den Bau von 55 Einzelgebäuden vor, deren Baukosten auf 971,1 Mio. DM festgelegt wurden. Die NH verpflichtete sich, „daß die Kosten des gesamten Bauvorhabens die festgelegte Kostensumme nicht überschreiten“409 sollten. Ungeklärt blieb allerdings, ob diese Selbstverpflichtung tatsächlich eine Festpreisvereinbarung darstellte. Zwar wurde der Vertrag bei seinem Abschluß von beiden Vertragspartnern öffentlich als eine solche verkauft. Im juristischen Sinne galt dies allerdings nicht, weil die Ausstattung der zu errichtenden Institutsgebäude noch gar nicht im einzelnen festgelegt war. Nachträgliche Änderungen in diesen Punkten konnten, so sah es der Vertrag vor, auch zu nachträglichen Preisänderungen führen.410

405 Vgl. Wolfgang Renzsch, Alfred Kubel – 30 Jahre Politik für Niedersachsen. Eine politische Biographie, Bonn 1985, S. 143 und PUA HH, S. 517. 406 Vgl. Protokoll AR NHS, 1.4.1970, IGM ZwA 2/17 259, S. 4. 407 Scheiner/Schmidt 1974, S. 114. 408 Vgl. Renzsch 1985, S. 144 f. 409 Zit. nach FAZ 19.5.1971. 410 Vgl. Scheiner/Schmidt 1974, S. 116 f. sowie Renzsch 1985, S. 147.

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Im Laufe der Jahre 1970/71 stellte sich dann tatsächlich heraus, daß NH die festgelegte Bausumme um mehr als 200 Mio. DM überschreiten würde. Obwohl das hauptsächlich eine Folge der gestiegenen Zinsen und der schlampigen Vorgaben des Landes war, die NH also keine wirkliche Schuld traf, entbrannte nun eine heftige Debatte darüber, ob das Unternehmen das Land mit seiner vermeintlichen Festpreisvereinbarung nicht aufs Kreuz gelegt habe.411 Zwar zeigte sich der Vorstand kompromißbereit, weil er an dem Folgeauftrag für die zweite Ausbaustufe interessiert war, und schloß 1973 nach einigem Hin und Her mit dem Land einen Vergleich; aber in der Presse stand die NH schlecht da, nachdem sie bei Vertragsabschluß solch einen Wirbel um die vermeintliche Festpreisvereinbarung gemacht hatte – zumal die Bedingungen des Vergleichs der Eindruck, sie habe die Landesregierung über den Tisch gezogen, noch verstärkten.412 Das hatte für die Unternehmensgruppe höchst unangenehme Konsequenzen. Denn aus Sicht des Landes war es unter diesen Umständen ein Ding der Unmöglichkeit, ihr den Nachfolgeauftrag zu erteilen. Noch schlimmer war, daß andere potentielle Auftraggeber ähnliche Schlüsse zogen. Nach den Debatten um die Festpreisgarantie bekam die NHS deshalb im Hochschulbau kaum mehr einen Fuß auf den Boden.413 Solange die Situation in Niedersachsen, die ohnehin die meisten der innerhalb der Unternehmensgruppe verfügbaren Fachkräfte für Universitätsbauten band, ungeklärt war, bemühte sich der Vorstand auch nicht ernsthaft, weitere Großprojekte in diesem Bereich zu akquirieren. In einer Hinsicht konnte die Unternehmensgruppe dieses Defizit allerdings wieder wettmachen. Denn der Hochschulbau ging – auch in Niedersachsen – häufig mit dem Ausbau der medizinischen Fakultäten einher und war insofern nicht nur Bestandteil des Bildungs-, sondern auch des Gesundheitswesens.414 Und an dieser Schnittstelle war die NH weitaus erfolgreicher als im Hochschulausbau selbst. Auch hier profitierte sie von einer durch staatliche Förderung herbeigeführten Sonderkonjunktur. Zwar stand die Bundesrepublik zu Beginn der siebziger Jahre bei wichtigen Indikatoren der Gesundheitsversorgung, etwa in der Ausstattung mit Krankenhausbetten, im internationalen Vergleich sehr gut da; aber das prognostizierte Bevölkerungswachstum, der zunehmende Anteil alter Menschen und die hohe Auslastung der Betten ließ für die nahe Zukunft einen Engpaß erwarten. Hinzu kam noch, daß die überwiegende Zahl der Krankenhäuser aus der Zeit der Jahrhundertwende stammte und deshalb modernisierungsbedürftig war.415 Die Unternehmensgruppe errechnete auf dieser Grundlage für den Zeitraum bis 1980 einen Neubaubedarf von 175.000 Betten. Das war in etwa auch die Zahl, von der 411 Vgl. FAZ, 19.5.1971. 412 Vgl. Protokoll AA NHH/NHS, 5.10.1971, StA HH, 622–2 Cordua 130, S. 4; Protokoll AR NHS 13.7.1973, StA HH, 622–2 Cordua 12, S. 12 f. sowie den Vergleichsvertrag in: Vorlagen AR NHS, 13.7.1973, StA HH, 622–2 Cordua 12. Zum Echo in der Öffentlichkeit vgl. das Material in StA HH, 622–2 Cordua 136. 413 Vgl. JB 1971/72, S. 94. 414 Die Grundgesetzänderung des Jahres 1969, mit der die „Gemeinschaftsaufgaben“ von Bund und Ländern eingerichtet wurden, zählte sogar explizit den „Ausbau und Neubau von Hochschulen einschließlich der Hochschulkliniken“ zu den „integrierten Gemeinschaftsaufgaben“, vgl. Jäger 1986, S. 129. 415 Vgl. JB 1969/70, S. 51 f.

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die Bundesregierung ausging. Durch das Krankenhaus-Finanzierungsgesetz vom Januar 1972 stellte sie deshalb für einen Zeitraum von zweieinhalb Jahren ca. eine Mrd. DM zur Deckung von Krankenhauskosten zur Verfügung.416 Das kam der Unternehmensgruppe nun voll zugute. Schon Mitte der sechziger Jahre war es ihr mit dem Bremer „Krankenhaus links der Weser“ erstmals gelungen, im Krankenhausbau Fuß zu fassen. Weil sie dort den Fertigstellungstermin eingehalten und die veranschlagten Baukosten sogar um zwei Mio. DM unterschritten hatte, hatte die NHK mit diesem Bau einen spektakulären Erfolg erzielt.417 In den folgenden Jahren erhielt sie deshalb eine wahre Flut von Aufträgen. Gerade für kleinere Kommunen waren ihre standardisierten Kreis- und Stadtkrankenhäuser zu festen Preisen und Terminen ein verlockendes Angebot. Bis 1969 übernahm die NHK einige Dutzend solcher Projekte. Hinzu kam noch eine ganze Reihe anderer Bauten des Gesundheitswesens, etwa Rehabilitationszentren für Behinderte oder Pflegeeinrichtungen.418 Nach der Gründung der NHS wurden neue Aufträge in diesem Bereich zunächst von deren Regionalgesellschaften wahrgenommen. Allerdings zeichnete sich zu diesem Zeitpunkt bereits ab, daß sich die Nachfrage mit der Expansion des Gesundheitswesens und auch im Zusammenhang mit dem Ausbau der Universitätskliniken zusehends auf Großkliniken, mit deren Planung und Errichtung die NHS-Regionalgesellschaften überfordert waren, verlagerte. Ein deutliches Signal in diese Richtung war etwa die vom Land Nordrhein-Westfalen im September 1969 gegründete Hochschulbau- und Finanzierungsgesellschaft. Ihre Aufgabe bestand darin, für den Ausbau der Universitäten Bielefeld und Düsseldorf sowie den Neubau klinischer Einrichtungen an der TH Aachen, am Klinikum Essen und an der Universität Münster Sorge zu tragen.419 Vor allem der Neubau des Klinikums in Aachen stach unter diesen Projekten hervor.420 Die erklärte Absicht der Landesregierung war es, hier ein Großkrankenhaus zu erstellen, das gleich dreierlei sein sollte: ein Klinikum der Maximalversorgung, eine Forschungseinrichtung und eine Ausbildungsstätte für angehende Ärzte. Dafür hatte sie ein Bauvolumen von ca. 630 Mio. DM vorgesehen – ein gigantisches Projekt also, das in der Bundesrepublik keine Vorbilder hatte. Es gab nicht viele Unternehmen in Deutschland, die man mit einem solchen Bau betrauen konnte; die NHS gehörte dazu und verfügte zudem über gute Kontakte zur Landesregierung. Sie war es daher, die im April 1970 mit der Hochschulbau- und Finanzierungsgesellschaft einen Vertrag über die Planung und Durchführung des 416 Vgl. ebd. 417 Vgl. Scheiner/Schmidt 1974, S. 102 sowie Bautermin gehalten – Kosten unterschritten, NHM 1967,10, S. 42–43. 418 Vgl. JB 1969/70, S. 90. 419 Vgl. Im Dienste der Untersuchung, Forschung und Pflege: Medizinische Fakultät der Technischen Hochschule Aachen, NHM 1972,9, S. 1–12, hier S. 1. 420 Vgl. hierzu allgemein ebd; JB 1972/73, S. 118; Finanzminister des Landes Nordrhein-Westfalen (Hg.), Das Klinikum Aachen stellt sich vor, Düsseldorf o. D., HAA BS 154; Landtag Nordrhein-Westfalen (Hg.), Zwischenbericht des Parlamentarischen Untersuchungsausschusses betr. die Hochschulbau- und Finanzierungsgesellschaft (HFG) zum Auftrag des Landtags Nordrhein-Westfalen vom 11. Mai 1977, Drucksache 8/4960, Düsseldorf 1979; Kusch 1986, S. 63 ff. sowie Ritter 1987, S. 108 f.

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Bauvorhabens abschloß.421 Schon einen Monat später präsentierte sie erste Planungsergebnisse. Ihr Vorschlag lief darauf hinaus, die gesamte medizinische Fakultät mit ihren verschiedenen Funktionsbereichen – 1.585 Betten, 1.000 Ausbildungsplätze für Studenten sowie eine Vielzahl von Bildungs- und Forschungseinrichtungen – in einem einzigen, riesigen Klinikgebäude zusammenzufassen.422 Das war für sich genommen bereits ein Novum, aber aus Sicht des Bauträgers kam noch ein weiteres Problem hinzu: Da das Land einen engen Zeitplan gesetzt hatte und der Rohbau bereits Ende 1973 fertiggestellt sein sollte, war kaum genügend Zeit, um den Innenausbau der Einrichtung zu planen. Die Pläne der NH sahen deshalb eine „Synchronisation des Programmierungs-, Planungs- und Bauprozesses“423 vor. Das bedeutete, daß die Planung der inneren Struktur des Klinikums erst in einem Stadium erfolgen sollte, in dem der Rohbau schon im Gange war. Der Rohbau sah deshalb „zunächst hallenartige Areale vor, die durch Verfeinerung und Diskussion des Raumprogramms schrittweise“424 geplant und ausgebaut werden sollten. Diese Vorgehensweise stellte in vielerlei Hinsicht höchste Anforderungen an die Zusammenarbeit aller beteiligten Gruppen und Behörden. So gerieten schon die Vertragsgestaltung und der Kostenvoranschlag zum Problem, weil ja das Ausbauprogramm zum Zeitpunkt des Vertragsabschlusses noch gar nicht feststand.425 Und auch die funktionsgerechte Verknüpfung der verschiedenen Ausstattungsbereiche und Arbeitsabläufe innerhalb des auszubauenden Gehäuses war im Falle der Synchronplanung nur unter großem Aufwand sicherzustellen. Die NH meinte, diese Probleme bewältigen zu können, weil sie mit der sogenannten Netzplantechnik ein Planungssystem zum Einsatz brachte, das seit Mitte der sechziger Jahre geradezu als das Ei des Kolumbus jeder Art von Projektmanagement galt. Daß auch die Netzplantechnik ihre Schwächen hatte, erkannte sie erst einige Jahre später; einstweilen verließen sich die Planer, ganz dem Zeitgeist entsprechen, blind auf dieses vielversprechende Instrument, obwohl sie mit seiner Anwendung bis dahin nur sehr wenige Erfahrungen hatten sammeln können.426 Unabhängig von der Frage der Netzplantechnik war innerhalb der Unternehmensgruppe allerdings recht bald klar, daß ein solches Riesenprojekt wie das Klinikum in Aachen mit den standardmäßigen Ressourcen einer NHS-Regionalgesellschaft nicht zu bewerkstelligen war, vor allem deshalb, weil diese in erster Linie „Generalisten“ beschäftigten, die einmal eine Schule, dann wieder ein Hallenbad oder eben ein Krankenhaus bauten. Ihre Fachkenntnisse mochten für kleine Projekte ausreichen; für größere Aufgaben erwies sich aber „die Zuziehung von Spezialisten“427 als unerläßlich. Kurzfristig versuchte die NHS, dieses Problem 421 Vgl. hierzu und zur Vorgeschichte Landtag Nordrhein-Westfalen 1979, S. 17 ff. Zu den Gründen der Auftragsvergabe an die NH vgl. ebd., S. 22 u. S. 23. 422 Vgl. Im Dienste der Untersuchung, Forschung und Pflege: Medizinische Fakultät der Technischen Hochschule Aachen, NHM 1972,9, S. 1–12, hier S. 1. 423 Ebd. 424 Ebd. 425 Vgl. Landtag Nordrhein-Westfalen 1979, S. 70 ff. 426 Vgl. Kusch 1986, S. 65 f. sowie die knappen Bemerkungen zur Verbreitung der Netzplantechnik in den sechziger Jahren bei Jochen Schwarze, Netzplantechnik. Eine Einführung in das Projektmanagement, Herne 71994, S. 12 f. 427 JB 1975/76, S. A 18.

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durch den Zukauf von Dienstleistungen bei anderen, stärker spezialisierten Unternehmen zu lösen. In Aachen ging das recht gut; denn mit der 1965 von Siemens gegründeten Mediplan Krankenhausplanungsgesellschaft konnte die NHS hier ein Unternehmen einschalten, das über rund 90 Mitarbeiter mit genau der Spezialisierung verfügte, die für den Bau der Medizinischen Fakultät benötigt wurde. 428 In anderen Bereichen war es schwieriger. Auf dem Gebiet der Umweltbauten und Versorgungseinrichtungen etwa gab es überhaupt kein überregional tätiges Unternehmen, das auf solche Objekte spezialisiert war. Dabei sagte die Unternehmensgruppe dem Bau von Kläranlagen und Abfallbeseitigungsanlagen zu Beginn der siebziger Jahre eine große Zukunft voraus.429 Im Rahmen einer NHS-Regionalgesellschaft lohnte sich der Aufbau von entsprechenden Spezialistenteams allerdings nicht, denn aufgrund der damit einhergehenden regionalen Beschränkung ihres Tätigkeitsbereiches wäre ihre Auslastung nicht zu garantieren gewesen. „Als Ausweg (...) bot es sich an, die geeigneten Sonderfachleute unter den Mitarbeitern der NEUE HEIMAT-Gesellschaften mit neuangeworbenen Spezialisten zu Teams zusammenzufassen und ihnen – ohne Begrenzung auf die regionalen Arbeitsbereiche der Einzelgesellschaften – die Spezialaufgaben zu übertragen, die im Zusammenhang mit umfassenden städtebaulichen Entwicklungsmaßnahmen anfallen.“430 Im Falle der Umweltbauten tat die NHS dies, indem sie die entsprechenden Experten bei der NHK, deren ursprüngliches Aufgabengebiet mittlerweile weitgehend von den NHS-Regionalgesellschaften übernommen worden war, zusammenfaßte. Damit schuf sie eine selbständige Sondergesellschaft „mit eng begrenzten Fachaufgaben, aber regional unbeschränkten Arbeitsbereichen“431 – eine Konstellation, die in idealer Weise den Anforderungen expandierender Märkte für stark spezialisierte Großbauvorhaben gerecht zu werden vermochte. Denn eine solche Gesellschaft hatte „ohne Zweifel den Vorteil, daß sie aufgrund ökonomischer Auftragsgrößen Spezialistenteams aus Ingenieuren, Architekten, Betriebs- und Volkswirten sowie Finanzierungsfachleuten einsetzen (...) und damit dem Investor nicht nur fachlich gute, sondern vor allem auch kostengünstige Leistungen anbieten“432 konnte. Die Kehrseite der Medaille waren freilich hohe Fixkosten und eine geringe Risikostreuung, da eine solch hochgradig spezialisierte Gesellschaft im Falle veränderter Marktbedingungen nicht so ohne weiteres auf andere Märkte ausweichen konnte. Das war allerdings zu Beginn der siebziger Jahre nicht zu erwarten, im Gegenteil: Auch in anderen Teilmärkten als dem Umweltbau ging die Unternehmensgruppe für die kommenden Jahre von einem starken Anstieg der Nachfrage aus. So war die Medizinische Fakultät in Aachen vom Vorstand nicht so sehr als Sonderfall, sondern vielmehr als ein Einstieg in den vermeintlich expandierenden Markt der Großkrankenhäuser gedacht. Deshalb gab er sich auch nicht mit einer 428 Vgl. Bericht über die MEDIPLAN, Vorlage zu TOP 1.3 AA NHS, 13.7.1973, StA HH, 622–2 Cordua 138 sowie generell zur Arbeit der Mediplan: Krankenhausbau braucht klare Konzepte, NHM 1973,8, S. 1–19. 429 Vgl. JB 1971/72, S. 30. 430 JB 1975/76, S. A 18 (meine Hervorhebung). 431 Ebd. 432 Wolfgang Vormbrock, Industrieansiedlung heute, NHM 1970,4, S. 15–19, hier S. 19.

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Zusammenarbeit mit der Mediplan zufrieden, sondern kaufte Siemens das Unternehmen bei nächster Gelegenheit ab und etablierte es 1972 neben der NHK als eine weitere zum Konzern gehörende überregionale Spezialgesellschaft.433 Diese zog nun sämtliche in der Unternehmensgruppe regional verstreuten Krankenhausprojekte an sich und konnte auf diese Weise gegenüber anderen, weniger spezialisierten Gesellschaften erhebliche Kostenvorteile erzielen. Deshalb betreute die Mediplan 1973 neben der Medizinischen Fakultät in Aachen bereits ein gutes Dutzend weiterer, allerdings wesentlich kleinerer Krankenhausprojekte, für die sie zum Teil recht unterschiedliche Leistungen – von der gesamtverantwortlichen Planung und Durchführung bis hin zur Beratung für einzelne Teilbereiche wie etwa die Medizintechnik – erbrachte.434 Noch deutlicher als in den Tätigkeitsbereichen, die aus dem Kommunalbau hervorgegangen waren, zeichnete sich der Trend zur Spezialisierung aber auf den Gebieten ab, die Mitte der sechziger Jahre unter dem Dach der Bewobau erstmals in Angriff genommen und erst mit der Gründung der NHS offiziell in den Konzernkreis der Unternehmensgruppe integriert worden waren. Die Bewobau selbst wurde zu Beginn der siebziger Jahre zu einer nicht-gemeinnützigen Wohnungsbaugesellschaft umgebaut, die im Bau von Eigenheimen und Eigentumswohnungen für gehobene Ansprüche tätig werden sollte.435 Das war in erster Linie als eine Abrundung des Wohnungsbauprogramms der Unternehmensgruppe gedacht, über das noch ausführlicher zu sprechen sein wird. Immerhin war, wie die Bewobau zeigte, auch in diesem Bereich eine zunehmende Ausdifferenzierung und Spezialisierung auf eng segmentierte Märkte zu beobachten. Noch augenscheinlicher war dies aber im Falle zweier weiterer Spezialgesellschaften, die sehr viel weiter über den traditionellen Geschäftskreis der NH hinausgingen als die Bewobau: zum einen bei den Zwillingsunternehmen Gewerbebauträger GmbH und Begebau; und zum anderen bei der im September 1969 gegründeten Gesellschaft für Industrieansiedlung (GIA).436 Die GIA zeigte mit aller Deutlichkeit, welche praktische Bedeutung die Zielsetzung, die Unternehmensgruppe in ein „Instrument der gewerkschaftlichen Strukturpolitik“ umzuwandeln, mit Bezug auf die Aktivitäten der NH am Markt hatte. Denn einerseits gehörte die Industrieansiedlung eindeutig zum Kernbestand dessen, was unter einer wachstumssichernden Strukturpolitik zu verstehen war. Schließlich war mit dem Ziel, das „Leistungsgefälle“ zwischen verschiedenen Regionen auszugleichen, vor allem die industrielle Leistungsfähigkeit gemeint. Im Umfeld der NH war deshalb schon seit der Rezession immer wieder die Forderung erhoben worden, ein umfassender Städtebau müsse „mit Industrieansiedlung Hand in Hand gehen“.437 Hinzu kam, daß es sich hierbei um einen Markt handelte, der 433 434 435 436

Vgl. Protokoll AA NHH/NHS, 9.3.1972, StA HH, 622–2 Cordua 132, S. 12. Vgl. JB 1972/73, S. 109. Vgl. JB 1973/74, S. 78. Vgl. GB NHS 1969, S. 8 f. sowie PUA BT, S. 66. Zu den Planungen für die Gründung der GIA vgl. Protokoll AA NHH, 28.11.1968, DGBA-BV, Abt. Finanzen, 24/449, S. 9. Zur GIA generell vgl. JB 1974/75, S. 60. 437 Karl Heinz Walper, Strukturpolitik. Städtebau muß mit Industrieansiedlung Hand in Hand gehen – Die klassische Standorttheorie hat sich überlebt, NHM 1968,9, S. 1–5, Titel. Vgl. auch

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der sozialliberalen Koalition besonders förderungswürdig erschien. Er profitierte sowohl von der regionalen Strukturpolitik als auch von der Stärkung der kommunalen Finanzen und vom Städtebauförderungsgesetz, das auch die finanzielle Unterstützung sogenannter „Entwicklungsmaßnahmen“ regelte. Und nicht zuletzt die expansiven gesamtwirtschaftlichen Rahmenbedingungen, die mit einer hohen Investitionsquote einhergingen, machten die Industrieansiedlung im Verständnis der Zeitgenossen zu einem Schlüsselbereich einer strukturpolitisch orientierten Bautätigkeit.438 Andererseits waren die Tätigkeitsfelder, die sich hier für die Unternehmensgruppe erschlossen, denkbar weit von den Kerngebieten gewerkschaftlicher Betätigung entfernt. Abgesehen davon, daß die Industrieansiedlung mit dem seit Gründung der NHS de facto hinfälligen WGG nicht das Geringste mehr zu tun hatte, äußerte sich dies auch in der Organisationsform, die der Vorstand für die Gesellschaft wählte. Anders als bei den übrigen inländischen Gesellschaften beteiligte sich die Unternehmensgruppe an der GIA nur mit 40%. Die übrigen 60% entfielen zu jeweils gleichen Teilen auf die BfG, die Commerzbank, die Deutsche Bank und die Dresdner Bank – abgesehen von der gewerkschaftseigenen BfG nicht gerade Institutionen, von deren Mitarbeit man typischerweise die beschleunigte Durchsetzung gewerkschaftlicher Zielsetzungen erwarten würde.439 Für einen Vorstoß in den vielversprechenden Markt der Industrieansiedlung war diese Zusammenarbeit freilich von großer Bedeutung. Das Problem, das sich hier stellte, war das Gleiche, das auch für den Großsiedlungsbau galt: Die nunmehr ins Auge gefaßten Projekte waren so groß und gleichzeitig so komplex, daß sie die Leistungsfähigkeit von Ländern, Kommunen und potentiellen Investoren bei weitem überschritten. Denn zwischen den strukturpolitischen Konzepten der Länder, die in der Regel mit „beschränkteren Möglichkeiten im akquisitorischen Bereich, in der Finanzierung und der Vorhaltung von erschlossenen Ansiedlungsgrundstücken“440 einhergingen, und einer Vielzahl ansiedlungsbereiter Investoren und erschließungswilliger Gemeinden klaffte eine große Lücke. Keine dieser beiden Gruppen war in der Lage, sowohl die richtigen Standorte und Ansiedlungsstrategien auszuwählen als auch die nötigen Grundstücksbeschaffungen, Erschließungs- und Investitionsmaßnahmen zu finanzieren. Es war genau diese Kombination von Fähigkeiten, die sich aus einer Kooperation von NH und Banken ergab. Während die NH das nötige planungstechnische Know-how einbringen konnte, ergab sich mit Hilfe der Banken die Möglichkeit, die Ansiedlungsprojekte für die Gemeinden vorzufinanzieren – und zwar im Unterschied zur Wohnungsbautätigkeit der NH auch ohne den Einsatz von öffentlichen Bürgschaften.441 „Die besondere Attraktivität des Leistungsangebotes“ der

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Exposé „Grundsätze der Unternehmenspolitik“, 18.9.1967, DGBA-BV, Abt. Finanzen, 24/449, S. 5. Vgl. Scherf 1986, S. 8 sowie Karl-Heinz Walper, Strukturpolitik. Städtebau muß mit Industrieansiedlung Hand in Hand gehen – Die klassische Standorttheorie hat sich überlebt, NHM 1968,9, S. 1–5, hier S. 1 ff. Vgl. PUA HH, S. 643. Wolfgang Vormbrock, Industrieansiedlung heute, NHM 1970,4, S. 15–19, hier S. 15. Vgl. ebd., S. 17.

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GIA beruhte also „auf der Verbindung von technischen und wirtschaftlichen Leistungen mit Hilfe eines einheitlichen Projektmanagements“.442 Hinzu kam noch, daß die Banken auch über die nötigen Mittel und im Gegensatz zur NH auch über den nötigen Ruf verfügten, damit eine von ihnen getragene Industrieansiedlungsgesellschaft von ansiedlungswilligen Betrieben als Leasing-Geber akzeptiert werden konnte. Und nicht zuletzt ergab sich aus der Zusammenarbeit von fünf großen deutschen Unternehmen die Möglichkeit, die GIA von vornherein mit großen Ressourcen auszustatten und so die Vorteile einer weitgehenden Spezialisierung auszunutzen.443 Unter den expansiven Bedingungen der beginnenden siebziger Jahre ging dieses Kalkül voll auf. Zwischen 1969 und 1973 schloß die GIA eine ganze Reihe großer Entwicklungs- und Maßnahmenträgerschaftsvereinbarungen ab, darunter beispielsweise die bereits erwähnte Erschließung des zur Neubaumaßnahme im Heidelberger Emmertsgrund gehörenden Industriegebiets. Insgesamt betrug das Investitionsvolumen der von der Gesellschaft in diesem Zeitraum betreuten Projekte etwa 200 Mio. DM.444 Die Tätigkeit der GIA war also zunächst recht erfolgreich. Großes unternehmens- oder gewerkschaftsinternes Interesse erregte sie allerdings – trotz der Beteiligung der Großbanken – nicht; im Aufsichtsrat der NHS wurde kaum einmal über sie diskutiert. Teilweise lag das sicherlich daran, daß die Erschließung von Industriegebieten im Vergleich zu anderen Arbeitsgebieten der Unternehmensgruppe wenig spektakulär anmutete. Zudem nahm die GIA im Rahmen des Konzernverbundes eine Sonderstellung ein. Denn als Minderheitsbeteiligung gehörte sie im bilanzrechtlichen Sinne nicht zum Konzernkreis. Großen Einfluß auf das Unternehmen besaßen die Gewerkschaften daher nicht. Ohnehin gehörte die GIA von vornherein zu den kleineren Beteiligungen der NHS: Sie trug 1972 nur etwa 2% zum Gesamtumsatz der Städtebaugruppe bei.445 Ganz anders verhielt es sich im Falle der Gewerbebauträger/Begebau. Dieses Zwillingsunternehmen befand sich seit 1969 zu 100% im Besitz der NHS. Seine Projekte erregten sehr viel mehr Aufsehen als die der GIA und steuerten auch sehr viel mehr – 1972 etwa 14% – zum Umsatz der NHS bei.446 Ihren Anfang hatte die GBT 1962 mit dem Bau von Einkaufszentren gemacht. Diesen Geschäftszweig baute das Unternehmen seit der Zusammenfassung mit der Begebau 1966 noch einmal deutlich aus. Welches Renommee diese beiden Unternehmen im Verlauf der sechziger Jahre errungen hatten, zeigte sich daran, daß sie um 1970 herum mit der Planung und Durchführung einer Reihe hochkarätiger Projekte betraut wurden. Besonders das Olympia-Einkaufszentrum in München, mit dessen Bau auch die Errichtung des Pressezentrums für die Olympischen Spiele 1972 einherging, wäre hier zu erwähnen.447 Besonders gewinnträchtig war dieses Projekt allerdings nicht; aus Prestigegründen war der Vorstand der Unternehmensgruppe bereit gewesen, 442 443 444 445

JB 1971/72, S. 93. Vgl. Wolfgang Vormbrock, Industrieansiedlung heute, NHM 1970,4, S. 15–19, hier S. 19. JB 1973/74, S. 77. Vgl. Statistik der Unternehmensgruppe NEUE HEIMAT, Gesamtumsätze 1972, 14.8.1973, DGBA-BV, Abt. Finanzen, 24/479. 446 Vgl. ebd. 447 Vgl. JB 1971/72, S. 93.

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bei diesem Bauvorhaben das hohe Risiko, das mit der Errichtung des Pressezentrums, dessen weitere Verwendung nach Beendigung der Spiele unsicher war, einherging, einzugehen. Das sollte später zu Verlusten führen.448 Ein generelles Muster für die Tätigkeit der GBT/Begebau war darin allerdings nicht angelegt. Der Bau von Einkaufszentren war im Gegenteil in den Jahren zwischen 1966 und 1973 ein riesiger Wachstumsmarkt, der hohe Gewinne versprach. Das lag vor allem in den Interessen der großen Kaufhauskonzerne begründet, die seit Anfang der sechziger Jahre stark expandierten. Der Boom beim Bau von Einkaufszentren, der sich hieraus ergab, stand teilweise in direktem Zusammenhang mit dem Boom beim Umbau der Stadtkerne. Denn die großen Ketten wie Kaufhof, Karstadt oder C & A spielten bei diesem als große Investoren häufig eine tragende Rolle und konnten, gestärkt durch die gegenüber Wohnungsbauten höhere Rendite ihrer Einrichtungen, regelmäßig die Errichtung großer Einkaufszentren in innerstädtischen Bestlagen durchsetzen.449 Die finanziell erstarkten Kommunen machten dieses Spiel auch aus „städtebauideologischen“ Gründen mit. Sie wollten auf diese Weise kompakte Infrastruktureinrichtungen zur Verfügung stellen, die als kommunikativer Mittelpunkt für komplette Stadtviertel dienen sollten – ganz im Sinne des Frankfurter Nordwestzentrums, das zu diesem Zeitpunkt als „Mekka der Städteplaner im In- und Ausland“450 galt. Diese Überlegungen dominierten beispielsweise die Planungen für das 1969 von der GBT/Begebau begonnene LeineEinkaufszentrum, das „mit einer Geschäftsfläche von ca. 35.000 qm und verschiedenen kommunalen Einrichtungen (...) zum Mittelpunkt des neuen Stadtteils“451 Laatzen bei Hannover werden sollte; oder den Bau des Collini-Centers am Rande der Mannheimer Innenstadt, das allerdings in wichtigen Punkten bereits darauf verwies, daß die GBT/Begebau seit 1966 verstärkt auch über den Bau von Einkaufszentren hinausging. Denn das Collini-Center, dessen Bauvolumen sich auf 63,2 Mio. DM belief, sollte nicht nur Geschäfte beherbergen, sondern auch als „multifunktionaler innerstädtischer Mittelpunkt“452 fungieren. Folglich waren neben den Ladenflächen auch ein 32geschossiges Wohngebäude mit gut 500 Wohnungen und ein zwölfgeschossiges Bürogebäude vorgesehen.453 Die Planung, Finanzierung und Durchführung solcher hochkomplexer, multifunktionaler Einrichtungen war neben dem Bau von Einkaufszentren ein zweiter Schwerpunkt der GBT/Begebau, und auf diesem Markt war das Doppelunternehmen deutschlandweit führend. Neben dem Collini-Center waren hierfür vor allem das Löwentor-Zentrum in Stuttgart und die Frankfurter Senckenberg-Anlage, die mit einem Volumen von 220 Mio. DM das mit Abstand größte Projekt der beiden 448 Vgl. Schulz 1987, S. 37. 449 Vgl. dazu beispielhaft Schanetzky 1998, S. 111 ff. 450 Josef Menzel, Einkaufszentren, Hotels, Fernheizwerke. Investition und Dienstleistung – Tätigkeit und Entwicklung des Gewerbebauträgers und der Beratungsgesellschaft für Gewerbebau, NHM 1970,1, S. 47–54, hier S. 51. 451 JB 1971/2, S. 93. 452 Ebd. (Original Akkusativ: „multifunktionalen innerstädtischen Mittelpunkt“). Generell zum Collini-Center vgl. NHM 1973,1, S. 1–9; zu den Kosten vgl. Vorlage zu TOP 1 der AR-Sitzung NHS, 13.7.1973, StA HH, 622–2 Cordua 12. 453 Vgl. JB 1971/2, S. 93.

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Unternehmen darstellte, wichtige Beispiele. Anders als beim Collini-Center waren bei diesen beiden Projekten allerdings keinerlei Wohngebäude vorgesehen. Vielmehr errichtete die GBT/Begebau in Stuttgart ein „integriertes Verwaltungs- und Dienstleistungszentrum“454 und an der Senckenberg-Anlage eine Kombination aus Büro- und Hotelgebäude. Mit 162 m bildete sie das zu diesem Zeitpunkt höchste Gebäude der Bundesrepublik und bot – unmittelbar am Eingang zur Messe gelegen – Platz für Messebesucher und Messebüros.455 Gegenüber solchen Großprojekten, die mehrere Funktionen miteinander verbanden, hatte der Bau von Einzelobjekten wie etwa des im Rahmen der Bundesgartenschau 1972 errichteten Mannheimer Fernsehturmes eher Seltenheitswert. Von dieser Regel gab es allerdings eine gewichtige Ausnahme, die gleichzeitig den dritten Schwerpunkt der Tätigkeit der GBT/Begebau bildete. Das betraf den wohl am stärksten expandierenden gewerblichen Markt, den Bau von großen Hotelgebäuden der Luxusklasse. Die GBT/Begebau profitierte hierbei von der Tatsache, daß Deutschland im Hotelsektor gegenüber dem angloamerikanischen Ausland erheblichen Nachholbedarf hatte.456 Im Zuge des expansiven Klimas und der verstärkten weltwirtschaftlichen Verflechtungen versuchten deshalb Ende der sechziger Jahre vermehrt große Hotelketten wie Hilton oder Loew‘s in der BRD Fuß zu fassen. Ende 1969 schloß die NH mit Loew‘s, der viertgrößten amerikanischen Hotelgesellschaft, einen Rahmenvertrag ab, der eine enge Zusammenarbeit auf dem Gebiet der Planung und des Betriebes von Loew‘s-Hotels vorsah. 457 Zwar war dies in erster Linie für die internationale Tätigkeit der NH von Bedeutung; aber zumindest eines der Projekte, die aus dieser Kooperation im Inland hervorgingen, verdient es, erwähnt zu werden. Hierbei handelte es sich um das wohl bemerkenswerteste Hotelprojekt der Unternehmensgruppe: um das unmittelbar am Hamburger Dammtorbahnhof gelegene „Loew‘s Hamburg Plaza“, das mit 570 Zimmern zum Zeitpunkt seiner Eröffnung größte Hotel der Bundesrepublik. 458 Bemerkenswert war es auch deshalb, weil es – anders als eine ganze Reihe weiterer im Inland von der NH errichteter Hotelbauten – kein isoliertes Einzelprojekt war, sondern in unmittelbarem Zusammenhang mit dem Bau des Congress Centrum Hamburg (CCH), eines der teuersten und aufwendigsten Infrastrukturprojekte der frühen siebziger Jahre stand.459 Die Hansestadt plante schon seit den frühen sechziger Jahren, ein großes Kongreßzentrum zu errichten, das „die überregionale und internationale Bedeutung Hamburgs heben“ und die „Metropolfunktion“460 der Stadt stärken sollte. Dafür war den Stadtvätern das Beste gerade gut genug: „Hamburg möchte“, so ließ der 454 455 456 457

Ebd., S. 89. Vgl. Pohl 1999, S. 317. Vgl. Luxus mit Rabatt, SPIEGEL 28.1974,15, S. 54–57, hier S. 54. Vgl. Herbert Weisskamp, Neue Heimat International: In vier Kontinenten tätig, NHM 1970,1, S. 63–70, hier S. 70. 458 Vgl. „Loew‘s Hamburg Plaza“ wurde eröffnet, NHM 1973,4, S. 50. 459 Vgl. zu dem Gesamtprojekt Jost Schramm/Gerd Pempelfort, Congreßcentrum (CCH), PlazaHotel und Hamburg Messe, in: Architekten- und Ingenieurverein Hamburg e. V./Hamburgische Gesellschaft zur Beförderung der Künste und nützlichen Gewerbe 1984, S. 368–371 sowie Kongreßzentrum für Hamburg, NHM 1969,9, S. 1–10. 460 Ebd., S. 10.

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Hamburger Wirtschaftssenator Kern auf einer Pressekonferenz wissen, „das schönste, größte und vielseitigste Kongreßzentrum Europas bauen.“461 Dafür schaltete die Hansestadt 1969 die NHK als Generalübernehmer ein. Nach der Gründung der NHS übernahm dann die zuständige NHS-Regionalgesellschaft, die NH Norddeutscher Städtebau, den Auftrag. Die Unternehmensgruppe verpflichtete sich, das Kongreßzentrum zum Festpreis von knapp 96 Mio. DM bis zum Beginn der Internationalen Gartenbauausstellung im April 1973 schlüsselfertig zu errichten.462 Zu diesem Preis bot sie ein Gebäude an, das die hochgesteckten Ziele allesamt verwirklichen sollte. Von den renommierten Hamburger Architekten Schramm und Pempelfort hatte die Unternehmensgruppe Entwürfe für das CCH erstellen lassen, die mehrere große Säle für 330 bis 3.000 Personen, ein großes Restaurant und eine Tiefgarage vorsahen. Zudem war das Kongreßzentrum mit allen erdenklichen Schikanen wie Dolmetscherkabinen, Presseeinrichtungen, Konzertmöglichkeiten, Ausstellungsflächen und vielfach variablen Bestuhlungsmöglichkeiten ausgerüstet.463 Was das Angebot der NH für die Hansestadt aber besonders attraktiv machte, war die Tatsache, daß die GBT/Begebau in unmittelbarer Nähe zu dem geplanten Kongreßzentrum auch das bereits erwähnte Luxushotel errichten wollte. Dieses Vorhaben gehörte nicht zum von der Bürgerschaft verabschiedeten Bauprogramm, erhöhte aber die Attraktivität des CCH noch einmal deutlich: Schramm und Pempelfort hatten einen Turm von 105 Metern Höhe entworfen, der sowohl als Unterkunft für die Besucher des Kongreßzentrums als auch als optischer Höhepunkt und integraler Bestandteil der Architektur desselben dienen sollte.464 Aufgrund der Kooperation der GBT/Begebau mit Loew‘s war auch ein Betreiber für das Hotel schnell gefunden. An diesem Projekt zeigte sich einmal mehr, welche Vorteile die Organisationsstruktur der Unternehmensgruppe unter expansiven Bedingungen bot. Einerseits zahlte sich die hochgradige Spezialisierung insofern aus, als die Unternehmensgruppe auf Gebieten wie dem Bau von Einkaufszentren oder Krankenhäusern über große Erfahrung und eingearbeitete Spezialistenteams verfügte. Gleichzeitig aber war die Angebotspalette der NH aufgrund der Vielzahl solcher Spezialgesellschaften so umfangreich, daß sie auch komplexe Bauten mit verschiedenen Funktionsbereichen – also beispielsweise, wie im vorliegenden Fall, ein Kongreßzentrum mit einem Hotel oder, wie in Emmertsgrund, einen neuen Stadtteil mit einem zugehörigen Industriegebiet – aus einer Hand anbieten konnte. Und diese Angebote beinhalteten zudem nicht nur Architekten- oder Ingenieurleistungen, sondern auch die „gesamte Abwicklung von Bauvorhaben einschließlich ihrer Koordination und Kombination der verschiedenen Leistungsbereiche.“465 Diese Kombination aus umfassenden Leistungen bei gleichzeitig starker Spezialisierung war in Deutschland einzigartig, und sie brachte der Unternehmens461 Zit. nach ebd., S. 2. 462 Vgl. ebd., S. 10. 463 Zur Ausstattung des CCH vgl. Schramm/Pempelfort 1984, S. 369. Zur Person der Architekten vgl. Karl Heinz Hoffmann, Horst von Bassewitz, o. D., URL: (Stand: 23.6.2008). 464 Vgl. Schramm/Pempelfort 1984, S. 369 f. 465 Protokoll AR NHS, 4.7.1972, StA HH, 622–2 Cordua 9, S. 4.

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gruppe zu Zeiten, zu denen auf zahlreichen Märkten massiv in komplexe Großprojekte investiert wurde, entscheidende Wettbewerbsvorteile. Daß sich diese Vorteile bei veränderten Marktbedingungen, d. h. vor allem bei rückläufiger Auslastung, wegen der hohen Fixkosten der Spezialgesellschaften geradezu zwangsläufig in ihr Gegenteil verkehren mußten, spielte für die Unternehmenspolitik keine Rolle, denn danach sah es zunächst überhaupt nicht aus. Bis 1972/73 nahm die NHS Kommunal- und Sonderbauten mit einem Gesamtauftragsvolumen von über 2,3 Mrd. DM unter Vertrag.466 Dabei entfielen 1972 knapp über 40% des Umsatzes der NHS auf die Regional- und knapp unter 60% auf die Spezialgesellschaften, unter denen die NHK mit 16% und die GBT/Begebau mit etwa 14% des Gesamtumsatzes die Spitzenplätze einnahmen. Insgesamt konnte die NHS ihren Umsatz zwischen 1969 und 1972 von 340 Mio. DM auf knapp 1,2 Mrd. DM steigern; das entsprach im letztgenannten Jahr einem Anteil am Umsatz der gesamten Unternehmensgruppe von 27,8% und einem jährlichen Wachstum von über 50%!467 Diese exorbitant hohe Wachstumsziffer hing naheliegenderweise auch mit Anlaufphänomenen wie etwa der Übertragung von Aufträgen aus anderen Bereichen, vor allem von der NHK, zusammen und war deshalb auf Dauer nicht zu halten. Aber das 1972, nach Abschluß der Aufbauphase, erreichte Wachstum von 18,4% war eine Ziffer, an der der Vorstand sich für die Zukunft orientieren zu können meinte. Die Hochphase des Infrastrukturausbaus hatte jedenfalls nach seiner Auffassung gerade erst so richtig begonnen, und die NHS schien mit ihrer auf expansive Märkte ausgerichteten Produktpolitik und Unternehmensorganisation goldenen Zeiten entgegenzugehen.468 Für das Umfeld der frühen siebziger Jahre waren die Vorhaltung von Spezialgesellschaften und die Konzentration auf möglichst große und komplexe Projekte jedenfalls bestens geeignet. 5.3.2.2 Die Internationalisierung der NH Auch im internationalen Geschäft konnte die NH seit Ende der sechziger Jahre weiter expandieren. Das lag zum einen an der guten Ertragssituation der Unternehmensgruppe, die dazu führte, daß nun zunehmend Mittel für Investitionen in Auslandsbeteiligungen vorhanden waren.469 Zum anderen befanden sich die Immobilienmärkte international im Aufwind, so daß die Nachfrage nach Wohnraum und auch nach gewerblichen Objekten in mehreren Ländern gleichzeitig merklich anzog. Idealtypisch läßt sich das am Beispiel Frankreichs festmachen. Seit Mitte der sechziger Jahre hatte sich dort eine Entwicklung angebahnt, die sich schlußendlich als Beginn einer Trendwende für die bis dahin als Zuschußgeschäft betriebene NHI entpuppen sollte. Wegen der starken Überalterung des Wohnungsbestandes hatte die französische Regierung seit diesem Zeitpunkt mit einer extremen Zunah466 Vgl. Vorlage TOP 1 AR NHS, 13.7.1973, StA HH, 622–2 Cordua 12. 467 Vgl. Statistik der Unternehmensgruppe NEUE HEIMAT, Gesamtumsätze 1972, 14.8.1973, DGBA-BV, Abt. Finanzen, 24/479 sowie Anhang, Tabelle 7. 468 Zu den Wachstumserwartungen des Vorstandes vgl. ausführlicher Kap. 6.1.2.1 dieser Arbeit. 469 Vgl. Scheiner/Schmidt 1974, S. 168.

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me der Wohnungsnot in den Ballungsräumen zu kämpfen. Verstärkt wurde diese Tendenz noch durch die demographische Entwicklung und durch den ausprägten Zuzug nach Paris. Insgesamt ergab sich daraus ein enormer Nachfrageüberhang, der die Regierung veranlaßte, die Wohnungsbaufinanzierung, die zuvor fast ausschließlich vom Staat getragen worden war, zu liberalisieren und die bürokratischen Barrieren für den Wohnungsbau abzubauen. Nach einem kurzen Einbruch in den Jahren 1966 und 1967 stieg die Neubautätigkeit deshalb seit 1968 an und wuchs 1969 um vier, 1970 sogar um acht Prozent.470 Auf diesen fahrenden Zug sprang die NH auf. Weil ihre bereits bestehende Beteiligung an der SOCOFA nur Versuchscharakter hatte und auch nicht besonders vielversprechend verlaufen war, bemühte sich der Vorstand um eine Kooperation mit einem anderen französischen Wohnungsunternehmen, der Manera S.A., die 1968 auch tatsächlich zustande kam – in Form einer 50%igen Beteiligung. Für die Manera war eine Zusammenarbeit mit der NH deshalb attraktiv, weil sie so in den Genuß deutscher Kapitalmarktmittel kommen konnte. Die Schwächen des französischen Systems der Wohnungsbaufinanzierung, das das Haupthindernis für eine verstärkte Bautätigkeit darstellte, ließen sich auf diese Weise erfolgreich umgehen, wie ein Blick auf die Entwicklung der Neubautätigkeit zeigt. Das Bauvolumen der Manera stieg innerhalb kürzester Zeit massiv an: Hatte es sich 1969 noch auf 5.000 Wohneinheiten belaufen, so lag es drei Jahre später bereits bei 12.000 Wohnungen.471 Auch in Italien und in Israel konnte die Unternehmensgruppe ähnliche Erfolge vermelden, wenn auch in einem deutlich kleineren Maßstab. In Italien, wo sich der Wohnungsbau aus ähnlichen Gründen im Aufwind befand wie in Frankreich, trat zu der bereits vorhandenen Beteiligung an der CA‘NOVA Ende 1969 noch eine Beteiligung an einer Florenz tätigen Gesellschaft, der Immobiliare Italia 70 hinzu. Dadurch stieg die Zahl der jährlichen Fertigstellungen der italienischen NHI-Beteiligungen, die sich 1969 noch auf etwa 350 Wohnungen belaufen hatte, bis 1973 auf etwa 630 Einheiten an.472 Auch die Beteiligung an der israelischen Morash entwickelte sich in ähnlichen Bahnen: Die Gesellschaft errichtete bis 1973 etwa 2.700 Wohnungen, die zur Hälfte mit deutschen Kapitalmarktmitteln finanziert wurden, und konzentrierte sich dabei vor allem auf den sozialen Wohnungsbau für Einwanderer (Grund genug übrigens für die arabische Liga, die NH auf ihre Boykottliste zu setzen).473 Doch bei der in diesen Zahlen zutage tretenden Expansion der Wohnungsbautätigkeit blieb es nicht. Das war besonders deutlich bei der dritten französischen Beteiligung der NHI zu erkennen. Zusammen mit der Manera gründete sie 1969 die IFRA S.A. (Société Immobilière Franco-Allemande), an der beide Part470 Vgl. Ulrich Meins, Wohnungsbau im Schatten des Eiffelturms, NHM 1969,9, S. 35–47, hier S. 40 und JB 1971/72, S. 20. 471 Vgl. Ulrich Meins, Bauen in Frankreich, NHM 1972,11, S. 1–14, hier S. 1. 472 Vgl. Herbert Weisskamp, Neue Heimat International: In vier Kontinenten tätig, NHM 1970,1, S. 63–70, hier S. 68 und Bericht über die Auslandstätigkeit der NHI und NHIC, Vorlage zu TOP 1.6 AR NHS, 13.7.1973, StA HH, 622–2 Cordua 12. 473 Vgl. Auslandsbericht, Vorlage zu TOP 1 AA NHH/NHS, 18.4.1974, StA HH, 622–2 Cordua 142, S. 5.

5.3 Produktstrategien im Zeichen der Strukturpolitik

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ner zu je 50% beteiligt waren. Diese Gesellschaft war von vornherein dafür konzipiert worden, „sich künftig auf gewerbliche Objekte, wie zum Beispiel Einkaufszentren, [zu] spezialisieren.“474 Eine solche Zielsetzung war erst durch die NHSGründung möglich geworden, weil mit der Übertragung der Betreuung der NHI an die NHS auch die Beschränkungen aus einer Ausnahmebewilligung von 1964, die der NHG die Betreuung der NHI nur unter der Bedingung einer Beschränkung auf den Wohnungsbau gestattet hatte, hinfällig geworden waren.475 Das machte sich die NHI nun zunutze. Sie beabsichtigte, daß in Zukunft nicht nur in Frankreich, sondern in allen Bereichen ihrer Auslandstätigkeit Projekte „des gewerblichen und kommunalen Sektors (...) das Bild ihrer Tätigkeit bestimmen“476 sollten. Die größte symbolische Bedeutung für diese Neuorientierung hatte ein Vorhaben, das Manera, IFRA und NHI 1969 gemeinsam in Angriff nahmen: Mit dem Fürstentum Monaco schlossen sie einen Vertrag, der ihnen die Übernahme der baulichen Gesamtbetreuung einer hypermodernen Kongreßhalle für 2.000 Personen einbrachte.477 Ergänzt werden sollte sie durch ein 660-Betten-Hotel der Luxusklasse, das die NHI auf der Grundlage ihrer Kooperation mit der amerikanischen Hotelgesellschaft Loew‘s errichtete. Dieses Projekt, das im September 1972 begonnen wurde, hatte einen Umfang von 160 Mio. DM – und geriet damit zum Symbol dafür, daß die NHI mit ihrem neuen Kurs das Maß für sozialpolitisch motiviertes Handeln zu verlieren schien.478 Die Geschäftsführung argumentierte dagegen zwar, daß das Fürstentum die NH ausdrücklich um die Übernahme des Projektes gebeten habe, weil diese bereits Erfahrungen im Bau von Kongreßzentren gesammelt habe,479 aber in der Presseberichterstattung herrschte eine andere Stimmung. Der Kölner Express brachte sie auf den Punkt: Die NH, so schrieb er, baue in Monaco „einen Hotelpalast, in dem die Gäste zu Spitzenpreisen High-SocietyLuft schnuppern können. Freut euch, Arbeitnehmer!“480 Dabei war das Projekt in Monaco allerdings hinsichtlich der Ausdehnung der internationalen Tätigkeit in den gewerblichen Bau nur die Spitze des Eisbergs. Materiell rangierte es in seiner Bedeutung weit hinter anderen Vorhaben wie z. B. der Ende 1969 gegründeten österreichischen NH-Beteiligungsgesellschaft Infrabau. Sie sollte als Dach für einen neu aufzubauenden Konzern dienen, der mit einer Kapitalausstattung von zunächst 25, später 50 Mio. öS alleine für die Muttergesellschaft groß angelegt war. Einen ähnlichen Umfang erreichte nur die Promotora Venezolana Alemana, eine venezolanische Beteiligung, die in den folgenden Jahren eine Reihe von Großprojekten in Caracas und Umgebung durchführte – 474 Ulrich Meins, Wohnungsbau im Schatten des Eiffelturms, NHM 1969,9, S. 35–47, hier S. 37 f. 475 Vgl. PUA HH, S. 502. 476 Herbert Weisskamp, Neue Heimat International: In vier Kontinenten tätig, NHM 1970,1, S. 63–70, hier S. 70. 477 Vgl. ders., Kongreßzentrum in Monte Carlo, NHM 1972,4, S. 1–10 und Scheiner/Schmidt 1974, S. 167. 478 Vgl. Bericht über die Auslandstätigkeit der NHI und NHIC, Vorlage zu TOP 1.6 AR NHS, 13.7.1973, StA HH, 622–2 Cordua 12. 479 Vgl. Scheiner/Schmidt 1974, S. 167. 480 Zit. nach Schifferer 1988, S. 35.

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etwa das multifunktionale Stadtteilzentrum „Prado Humboldt“, das aus mehreren Büro- und Wohnhäusern, Ladenpassagen und dergleichen bestanden.481 Auch kleinere Engagements im Wohnungsbau, wie sie die NH etwa 1970 in Kanada und den USA einging, oder die Auflage eines internationalen NH-Immobilienfonds, die – aus steuerlichen Gründen – im gleichen Jahr zur Gründung einer Tochtergesellschaft in Luxemburg führten,482 konnten angesichts solcher Projekte nicht darüber hinwegtäuschen, daß die NHI seit der Jahreswende 1969/70 vor allem deswegen verstärkt expandieren konnte, weil sie nun voll und ganz auf den gewerblichen Bau setzte. Hinzu kam, daß sich die Grenzen für ihre Tätigkeit auch geographisch zusehends auflösten. Im Zuge der Entspannungspolitik der Regierung Brandt schien sogar eine Tätigkeit in den Ländern des Ostblocks nicht mehr ausgeschlossen. Jedenfalls berichtete Vietor dem Aufsichtsrat im Juli 1970, „Gesprächspartner aus den osteuropäischen Staaten, insbesondere Jugoslawien, CSR, Rumänien und Ungarn, zeigten außerordentliches Interesse an einer Zusammenarbeit und wünschten die Intensivierung der Kontakte mit der NEUEN HEIMATGruppe“.483 Hinsichtlich des Baus eines Kongreßzentrums in Ost-Berlin seien sogar schon konkrete Gespräche geführt worden. Zwar wurde aus diesen Vorhaben nichts; aber sie verdeutlichten, daß die Geschäftsführung für ihre Tätigkeit keine Grenzen mehr kannte. Spätestens mit der Gründung der NHS war die „Bremse“ der Gemeinnützigkeit auch im internationalen Bereich erfolgreich über Bord geworfen worden. Es mag angesichts dieser recht unverblümten Expansionsstrategie, deren sozialpolitisches Profil nur noch schwer zu erkennen war, überraschen, daß die Geschäftsführung bei den Gewerkschaften kaum auf Widerstand stieß. Das gilt um so mehr, als die ursprünglichen Bemühungen aus den frühen sechziger Jahren ja auch deswegen gescheitert waren, weil der Aufsichtsrat zu diesem Zeitpunkt erhebliche, sozialpolitisch motivierte Bedenken gegenüber den europäischen Beteiligungen geäußert hatte.484 Die Ursachen dafür, daß sich dies zu Beginn der siebziger Jahre nicht wiederholte, waren vielschichtig. Am bedeutsamsten war die Tatsache, daß die unternehmensinterne Kommunikation hinsichtlich der internationalen Tätigkeit, gelinde gesagt, verbesserungsfähig gewesen wäre. Zwar erstattete der seit der Reorganisation 1970/71 für die NHI zuständige Finanzvorstand Harro Iden dem Aufsichtsrat der Muttergesellschaft regelmäßig Bericht über die Beteiligungen der Gesellschaft; aber diese Berichterstattung war äußerst lückenhaft: Sie ging kaum über das hinaus, was auch in den gedruckten Jahresberichten der Unternehmensgruppe veröffentlicht wurde.485 Das lag zum Teil daran, daß der Vorstand das internationale Geschäft als seine ureigenste Angelegenheit betrachtete und kein Interesse daran hatte, sich darin von 481 482 483 484 485

Vgl. Protokoll AR NHS, 8.4.1971, IGM ZwA 2/17 259, S. 11 und JB 1975/76, S. 76. Vgl. Protokoll AR NHH, 2.7.1970, DGBA-BV, Abt. Finanzen, 24/476, S. 4 f. Ebd., S. 5. Vgl. Kap. 4.1.1.4 dieser Arbeit. So war bspw. der auf der Arbeitsausschußsitzung vom 18.4.1974 vorgelegte Auslandsbericht des Vorstands identisch mit den Ausführungen, die im NH-Jahresbericht 1974/75 enthalten waren. Vgl. Auslandsbericht, Vorlage zu TOP 1.2 AA NHH/NHS, 18.4.1974, StA HH, 622–2 Cordua 142 und JB 1974/75, S. 76.

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den Gewerkschaften beeinträchtigen zu lassen. Wichtiger war aber die Tatsache, daß er selbst kaum in der Lage war, seine Auslandsbeteiligungen zu überblicken. Ein Konzept, das Akquisitionsmöglichkeiten und organisatorische Erfordernisse auslotete, gab es nicht; vielmehr handelte es sich bei fast allen Beteiligungsgesellschaften um ad-hoc-Gründungen, die eine sich bietende Chance ausnutzten, ohne sich um langfristige Zukunftsaussichten groß zu scheren.486 Während dies angesichts der expansiven Rahmenbedingungen der frühen siebziger Jahre vielleicht noch entschuldbar erscheinen mag, waren zwei weitere Punkte nur durch Schlamperei zu erklären: Eine konsolidierte Bilanz der ausländischen Beteiligungsgesellschaften zu erstellen, versuchte der Vorstand erst gar nicht. Bis 1978 wußte daher niemand so recht, ob die Auslandstätigkeit insgesamt gesehen Gewinne abwarf oder nicht. Auch der Informationsfluß zwischen den einzelnen Gesellschaften und der Zentrale in Hamburg ließ in vielen Fällen sehr zu wünschen übrig. Selbst wenn der Vorstand gewollt hätte, hätte er den Aufsichtsrat also gar nicht umfassend über die Auslandstätigkeit der Unternehmensgruppe informieren können.487 Daß die Geschäftsführung angesichts dieser Kapriolen vom Aufsichtsrat nicht energisch in die Schranken verwiesen wurde, hatte mit der bereits beschriebenen Zusammenfassung der Aufsichtsbefugnisse in den Händen von Alfons Lappas und Heinz Oskar Vetter zu tun. Besonders die Übernahme des Aufsichtsratsvorsitzes durch Vetter im Juni 1969 erwies sich für die Auslandstätigkeit der Unternehmensgruppe als eine wichtige Zäsur. Denn während Vetters Vorgänger Kurt Stühler als „Pfennigfuchser“ galt, der Plett und später auch Vietor mit seiner pedantischen Art häufig auf die Palme getrieben hatte und nicht zuletzt maßgeblich dafür verantwortlich gewesen war, daß die europäischen Beteiligungen weitgehend gescheitert waren, nahm der neue DGB-Vorsitzende eine ganz andere Position ein.488 Zwar argumentierte auch er, „daß bei der gesamten Auslandstätigkeit der NEUEN HEIMAT das soziale Engagement im Vordergrund bleiben müsse“.489 Aber das war ein Lippenbekenntnis, denn erstens vertrat Vetter gleichzeitig die angesichts der überhand nehmenden gewerblichen Objekte nur schwer nachvollziehbare Auffassung, daß dieser „Grundgedanke“ von der Geschäftsführung „auch eingehalten werden würde“;490 und zweitens war er umstandslos dazu bereit, den Vorstand 486 Beinahe idealtypisch ist dies am Beispiel eines von der Unternehmensgruppe gebauten Hotels an der Elfenbeinküste zu beobachten. Hier übernahm die NHI zusammen mit zwei weiteren Partnern den Bau eines 300-Betten-Hotels – und zwar ausschließlich aufgrund der ungewöhnlichen Gelegenheit, risikolos gutes Geld zu verdienen: Die Regierung hatte nämlich den beteiligten Gesellschaften auf die Dauer von zwölf Jahren eine Dividende von 12% auf das eingezahlte Kapital garantiert. Vgl. Bericht über die Tätigkeit der NHI/NHIC, Vorlage AR NHS, 8.7.1976, StA HH, 622–2 Cordua 21, S. 43. 487 Vgl. Protokoll AA NHH/NHS, 25.1.1977, StA HH, 622–2 Cordua 156, S. 8;. Koordinationsstelle Ausland, Vorlage zu TOP 2.3 ARP NHH/NHS, 11.10.1978, StA HH, 622–2 Cordua 78; die zeitgenössische Aussage des NH-Pressesprechers Günther Baumann, nach der es in der Unternehmensgruppe gerade mit Bezug auf das Auslandsgeschäft „wahnsinnig schwierig [war], genaue Statistiken zu bekommen“, zit. nach Scheiner/Schmidt 1974, S. 166 sowie Kap. 6.2.2.3 dieser Arbeit. 488 Zum Kontrast zwischen Stühler und Vetter vgl. Interview mit Rolf Dehnkamp, 18.8.2003. 489 Protokoll AR NHS, 26.11.1971, IGM ZwA 2/17 259, S. 6. 490 Ebd.

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auch dann zu verteidigen, wenn er ganz offensichtlich aus rein pekuniären Motiven handelte. Als die Geschäftsführung beispielsweise hinsichtlich ihrer Tätigkeit in der Schweiz, die ausschließlich kommerzielle Projekte umfaßte, vom Betriebsrat mit kritischen Fragen konfrontiert wurde, verteidigte Vetter sie mit dem Argument, „daß die NEUE HEIMAT offensichtlich vorhandene Verbindungen ausnutze“491 – augenscheinlich mit der Implikation, daß er dies für völlig natürlich halte. Anders als Stühler duldete Vetter also die Expansion in Europa, und zwar auch unter den seit Gründung der NHS veränderten, d. h. gewerblichen Vorzeichen. Hinsichtlich einer Tätigkeit in Entwicklungsländern ging Vetter über eine solche Duldung sogar weit hinaus: Hier erwies er sich als treibende Kraft. Das war insofern verständlich, als einerseits Ende der sechziger Jahre eine Wiederbelebung der zwischenzeitlich etwas abgeebbten innergewerkschaftlichen Diskussion über die Entwicklungshilfe zu beobachten war,492 andererseits aber das Ziel, auch den Wohnungsbau der NH als Entwicklungshilfe zu gestalten, für den Vorstand während der rapiden Ausweitung der Auslandstätigkeit seit 1968/69 keinerlei erkennbare Priorität hatte. Zwar engagierte sich die NHI seit 1970 in der Stadterneuerung von Kuala Lumpur, aber ein solches Einzelprojekt war kaum ausreichend, um die Gewerkschaften zufriedenzustellen.493 Vetter sah hier ein Feld, auf dem sein Engagement gefragt war. Er nutzte dafür vor allem seine zahlreichen Auslandsreisen: Mehr als einmal sicherte er befreundeten Gewerkschaftsvorsitzenden bei solchen Gelegenheiten die Unterstützung der NH zu und bestand nach seiner Rückkehr darauf, daß die Unternehmensgruppe seine Versprechungen einlöste – so etwa im Falle Mexikos.494 Vetter hatte dem dortigen Gewerkschaftsbund CTM die Mitarbeit der NH an der nördlich von Mexiko City gelegenen Trabantenstadt Cuautitlan Izcalli, des mit geplanten 320.000 Wohnungen bis dahin größten städtebaulichen Einzelprojektes in der Geschichte Mexikos, zugesagt.495 Die Begeisterung des Vorstandes über diesen Auftrag hielt sich allerdings in Grenzen. Denn dieser hatte handfeste Gründe dafür, sein Engagement in Drittweltländern mit äußerster Vorsicht zu betreiben. Schließlich war die Finanzierung eigener Bauvorhaben in diesen Fällen, wie die Unternehmensgruppe im Falle Ceylons schmerzlich hatte erfahren müssen, mit erheblichen Risiken verbunden. Schon bei den Projekten im europäischen Ausland hielt der Vorstand deshalb an seinem Grundsatz fest, nie eigenständig, sondern nur „über Beteiligungsgesellschaften im Ausland tätig zu werden und eine Zusammenarbeit mit ausländischen Partnern anzustreben“, weil er deren „Kenntnis der örtlichen Verhältnisse, das Wissen um die sozialen und ökonomischen Daten in

491 Ebd. Zur Tätigkeit der NHS in der Schweiz vgl. JB 1974/75, S. 75. 492 Vgl. hierzu zusammenfassend die zahlreichen Beiträge in Leminsky/Otto 1975 sowie Georg Jostkleigrewe, Gewerkschaften und Entwicklungspolitik. Der Beitrag der deutschen Gewerkschaften und ihre Rolle bei der Formulierung der Entwicklungspolitik der Bundesrepublik Deutschland, Freiburg i. Br. 1979. 493 Vgl. Scheiner/Schmidt 1974, S. 169 sowie Herbert Weisskamp, Neue Heimat International: In vier Kontinenten tätig, NHM 1970,1, S. 63–70, hier S. 68 f. 494 Vgl. Interview mit Rolf Dehnkamp, 18.8.2003 sowie Mehnert 1997, S. 108. 495 Zu dem Projekt vgl. JB 1973/74, S. 89 sowie Kap. 6.2.2.3 dieser Arbeit.

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fremden Ländern“ als „Voraussetzung für eine erfolgreiche und sinnvolle Tätigkeit“496 betrachtete. Selbst bei der Zusammenarbeit mit solchen einheimischen Partnern waren die Probleme aber immer noch groß genug. Zum einen war auf diese, wie die NH ja schon im Falle der SOCOFA in Frankreich festgestellt hatte, nicht immer Verlaß. In den außereuropäischen Ländern stellte sich dieses Problem, wie die Geschäftsführung später noch bemerken sollte, in verschärfter Form.497 Hinzu kam, daß mit ausländischen Direktinvestitionen gerade in weniger entwickelten Ländern erhebliche Währungsrisiken verbunden sein konnten. Der Vorstand hatte schon 1971 darauf hingewiesen, daß „feste Wechselkurse (...) auf [lange] Sicht eine Voraussetzung für eine weitgehend erfolgreiche Tätigkeit“498 seien. Genau diese Voraussetzung mußte aber als gefährdet gelten, seit die USA im August 1971 die Einlösbarkeit des Dollars in Gold suspendiert hatten. Mit der Freigabe der DM gegenüber dem Dollar und der Einführung des Block-Floating im März 1973 war sie endgültig hinfällig.499 Seit diesem Zeitraum war der Vorstand deshalb kaum noch bereit, in große Entwicklungshilfeprojekte zu investieren. Im Falle Mexikos war für solche Bedenken allerdings aufgrund der persönlichen Intervention Vetters kein Platz. Etwas widerwillig kaufte sich die NH deshalb 1973 mit je 50% bei den seit 1959 bestehenden Gesellschaften ‚Austroplan de Mexico S.A.‘ und ‚Ingenieros Intercontinentales S.A.‘ ein und begann mit den Planungen für den Bau von 14.000 Wohnungen in Cuautitlan Izcalli.500 Grundsätzlich stand für den Vorstand aber fest, daß dies eine Ausnahme bleiben sollte und er, wenn er dem Wunsch der Gewerkschaften nach einer verstärkten Tätigkeit in Entwicklungsländern nachkommen wollte, nach anderen Wegen der Auslandstätigkeit suchen mußte. Diesem Ziel diente die schon im Februar 1972 gegründete NEUE HEIMAT INTERCONSULT (NHIC) – eine Tochtergesellschaft, die „Projekte aus allen Bereichen der Förderung von wirtschaftlichen und sozialen Entwicklungen im Ausland sowie insbesondere auch in den Ländern der Dritten Welt“ übernehmen sollte und dabei die „Vorbereitung, Planung und Betreuung der Realisierung von Projekten, Trägertätigkeiten und Finanzierungsaufgaben“501 zur Aufgabe hatte. Entscheidend war hierbei, daß die NHIC anstrebte, dies auf dem Weg der Beratungsdienstleistung zu tun. Anstatt selbst zu investieren, wollte sie also Projektmanager entsenden, „die ständig am Ort des Projektes in geschäftsführender Funktion als Vorstand, Verwaltungsrat, Geschäftsführer etc. tätig sind“,502 und sich so gegen die Risiken von Direktinvestitionen schützen. In diesem Sinne beriet die 496 497 498 499 500

Protokoll AR NHS, 26.11.1971, IGM ZwA 2/17 259, S. 6. Vgl. Kap. 6.2.2.3 dieser Arbeit. Protokoll AR NHS, 26.11.1971, IGM ZwA 2/17 259, S. 6. Vgl. Pohl 2001, S. 42 f. Vgl. Bericht über die Auslandstätigkeit der NHI und NHIC, Vorlage zu TOP 1.6 AR NHS, 13.7.1973, StA HH, 622–2 Cordua 12 sowie Mexiko-Bericht, März 1982, StA HH, 622–2 Cordua 304, S. 3 501 Bericht über die Auslandstätigkeit der NHI und NHIC, Vorlage zu TOP 1.6 AR NHS, 13.7.1973, StA HH, 622–2 Cordua 12. Vgl. auch Scheiner/Schmidt 1974, S. 170. 502 Bericht über die Auslandstätigkeit der NHI und NHIC, Vorlage zu TOP 1.6 AR NHS, 13.7.1973, StA HH, 622–2 Cordua 12.

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Gesellschaft 1973 etwa ein Projekt zur Industrieansiedlung im venezolanischen Maracay, ein Projekt zur Erstellung von 350 Ferienwohnungen am Gardasee sowie die Erstellung einer Seilbahn in Italien.503 Ihre beiden wichtigsten Maßnahmen entfielen aber auf das Land, das zu Beginn der siebziger Jahre den größten Hoffnungsträger und das bedeutendste Experimentierfeld der bundesdeutschen Entwicklungspolitik darstellte: Brasilien, ein Land, das zu diesem Zeitpunkt Wachstumsraten von um die 10% erzielte, als weitgehend korruptionsfrei galt und mit außergewöhnlich effizienten Verwaltungsstrukturen aufwarten konnte.504 Die Folge dieser günstigen Rahmenbedingungen war, daß deutsche Unternehmen mit Unterstützung der Bundesregierung ihre Aktivitäten in Brasilien massiv ausweiteten.505 Diese Unternehmen waren es auch, die den Anstoß dafür gaben, daß sich die NH an dem Boom beteiligte. VW do Brasil wandte sich 1973 an die NH mit der Bitte, zwei große Wohnungsbauprojekte zu betreuen: erstens die Errichtung einer Entlastungsstadt mit 3.000 Wohnungen in Sao Bernardo do Campo, in der Nähe von Sao Paolo; und zweitens eine Satellitenstadt mit 7.000 Wohnungen in der südbrasilianischen Stadt Taubaté. Beide Projekte waren als Unterkünfte für die Arbeiter der dort im Bau befindlichen VW-Werke gedacht. 506 Der Automobilbauer wollte die NH deshalb mit dieser Aufgabe betrauen, weil er befürchtete, von einheimischen Bauunternehmen über‘s Ohr gehauen zu werden – eine Sorge, die nicht nur den VW-Konzern umtrieb: Auch von Mercedes-Benz lag eine Anfrage für ein Wohnungsbauprojekt in Brasilien vor; Hoechst, Bayer und Ford baten bei der NH um Unterstützung für den Bau von Zweigfabriken.507 Die Unternehmensgruppe ließ sich nicht lange bitten: 1974 gründete sie die Construtora Moura Schwark S.A., die die ins Auge gefaßten Industriebauten übernehmen sollte, und die Anchieta S.A., die sich der beiden Wohnungsbauprojekte für VW annahm.508 Im Aufsichtsrat in Hamburg waren diese Vorhaben allerdings heftig umstritten. Es war zwar unzweifelhaft, daß die von der Anchieta ins Auge gefaßten Projekte eine konkrete Verbesserung der Wohnungsversorgung der VW-Arbeiter zum Ziel hatten, und die von einem Mitglied des Arbeitsausschusses artikulierte Hoff503 Ebd. Vgl. auch JB 1974/5, S. 77. 504 Vgl. Manfred Wöhlcke, Brasilien 1976, in: Hanns-Albert Steger/Jürgen Schneider (Hg.), Aktuelle Perspektiven Brasiliens. Referate des 1. interdisziplinären Kolloquiums der Sektion Lateinamerika des Zentralinstituts 06 (Lateinamerika-Studien Bd. 4), München 1979, S. 141– 154, hier S. 146 sowie das der NH als Entscheidungsgrundlage dienende Papier der FriedrichEbert-Stiftung, Privatinvestitionen in Brasilien: Beurteilungsgrundlagen [Vorlage AA NHH/ NHS, 29.11.1973], StA HH, 622–2 Cordua 140. 505 Vgl. Rüdiger Zoller, Direktinvestitionen und wirtschaftliche Entwicklung. Zur Rolle der Auslandsinvestitionen in Brasilien, in: Steger/Schneider 1979, S. 97–122, hier S. 109 sowie als aufschlußreiche Fallstudie Frank J. Nellißen, Das Mannesmann-Engagement in Brasilien von 1892 bis 1995. Evolutionspfade internationaler Unternehmenstätigkeit aus wirtschaftshistorischer Sicht (Schriftenreihe zur ZUG Bd.2), München 1997, hier v. a. S. 55, S. 78 f. u. S. 359 ff. 506 Vgl. JB 1974/75, S. 77. 507 Vgl. Mitschrift Corduas zu TOP 1 AA NHH/NHS, 29.11.1973, StA HH, 622–2 Cordua 140, Blatt 6; Protokoll AA NHH/NHS, 29.11.1973, StA HH, 622–2 Cordua 140, S. 5 sowie JB 1973/74, S. 90. 508 Vgl. JB 1973/74, S. 90 und JB 1974/75, S. 77 sowie Brasilien-Bericht, März 1982, StA HH, 622–2 Cordua 302, S. 1 f.

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nung, daß Brasilien durch diese Form der Entwicklungshilfe in kurzer Zeit zu einem wirtschaftlichen „Aktivposten der westl. Welt“509 aufsteigen könne, brachte die grundsätzliche Position des DGB gut auf den Punkt. Aber andererseits wurde das Land von einer rabiaten Militärdiktatur regiert, die die einheimischen Gewerkschaften nicht gerade zuvorkommend behandelte und – trotz einiger liberalisierender Tendenzen seit Beginn der siebziger Jahre – mit freiheitlich-demokratischen Grundwerten wenig am Hut hatte. Aus ähnlichen Gründen hatte der Aufsichtsrat bereits ein allerdings vergleichsweise kleines Engagement in Portugal abgeblasen.510 In Brasilien stellte sich die Lage aber etwas anders dar: Vietor war angesichts der außergewöhnlich guten Rahmenbedingungen, angesichts des Umfangs der Projekte und wohl auch deshalb, weil er der Meinung war, gegenüber den anderen in Brasilien tätigen deutschen Großunternehmen das Gesicht wahren zu müssen, entschlossen, dieses Vorhaben mit allen Mitteln durchzusetzen.511 Er versuchte deshalb, sich gar nicht erst auf eine inhaltliche Diskussion einzulassen, sondern stellte sich ausdrücklich auf den Standpunkt, daß der Aufsichtsrat der NHS bzw. der Arbeitsausschuß desselben in dieser Frage ohnehin keine Entscheidungsbefugnis habe. Diese läge vielmehr beim Beirat der NHIC – und damit beim Vorstand der Unternehmensgruppe, aus dem dieser Beirat zusammengesetzt war.512 Formal betrachtet war das nicht ganz falsch, denn bei der NHIC handelte es sich um eine rechtlich eigenständige Tochtergesellschaft, die sich tatsächlich in erster Linie ihrem Beirat gegenüber zu verantworten hatte. Aber bei der Brasilien-Frage ging es eindeutig um eine den gesamten NHS-Konzern betreffende unternehmenspolitische Grundsatzentscheidung, und eine solche oblag ausschließlich dem Aufsichtsrat der Muttergesellschaft. Und ganz abgesehen davon bedeutete Vietors Standpunkt angesichts der Tatsache, daß die mit diesem Engagement verbundenen politischen Implikationen unmittelbar die Glaubwürdigkeit des DGB berührten, einen ungeheuerlichen Affront gegenüber den Gewerkschaftsvorsitzenden im Aufsichtsrat! Unter dem Regiment von Kurt Stühler wäre ein solcher Vorfall wohl undenkbar gewesen, aber Vetter und Lappas ließen das durchgehen; in einem bemerkenswerten Akt der Selbstentmündigung erklärte Lappas sogar, „daß der Arbeitsausschuß der NHS“ – notabene das von ihm selbst geleitete Gremium – „eine Zustimmungsbefugnis nicht besitze“.513 Vietor bekam seinen Willen, ohne daß im Aufsichtsrat der NHS hierüber ein formaler Beschluß gefaßt worden wäre. Neben der geradezu grotesken Willfährigkeit der Vorsitzenden von Arbeitsausschuß und Aufsichtsrat kam ihm dabei allerdings auch die Tatsache zugute, daß an der wirtschaftlichen Tragfähigkeit der Brasilien-Projekte niemand ernsthaft zweifelte. Im Gegenteil: Der Vorstand ließ sich angesichts der scheinbar exzellen509 Mitschrift Corduas zu TOP 1 AA NHH/NHS, 29.11.1973, StA HH, 622–2 Cordua 140, Blatt 8. 510 Vgl. Protokoll AR NHS, 8.4.1971, IGM ZwA 2/17 259, S. 11 ff. und die handschriftlichen Anmerkungen von Cordua auf dem Protokoll AA NHH/NHS, 29.11.1973, StA HH, 622–2 Cordua 140, S. 7. 511 Vgl. Interview mit Wolfgang Vormbrock, 12.9.2003. 512 Vgl. Protokoll AA NHH/NHS, 29.11.1973, StA HH, 622–2 Cordua 140, S. 7. 513 Ebd.

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ten Zukunftsaussichten sogar genau zu jenen Direktinvestitionen hinreißen, die zu vermeiden das ursprüngliche Ziel der NHIC-Gründung gewesen war. Sowohl an der Anchieta als auch an der Moura Schwark beteiligte sich die Gesellschaft mit 51%, obwohl die festen Wechselkurse, die der Vorstand noch wenige Jahre zuvor als die wichtigste Voraussetzung für eine erfolgreiche Auslandstätigkeit genannt hatte, mittlerweile Makulatur waren.514 Daß ein Konzern wie VW die NH – wie es in der zweiten Hälfte der siebziger Jahre passierte – hängenlassen würde, weil ihm das Geld für den Werkswohnungsbau auszugehen drohte, lag zu dem Zeitpunkt, zu dem die Entscheidung für das Brasilien-Engagement getroffen wurde, offenbar noch jenseits der Vorstellungskraft des Vorstandes. Einstweilen waren es gerade die von VW in Auftrag gegebenen Projekte, auf die dieser sich bei seinem Urteil stützte, die NHIC habe „eine Stellung im Markt erzielen können, die auch langfristig eine günstige Weiterentwicklung verspricht“.515 Diese positive Einschätzung galt indes nicht nur für die brasilianischen Beteiligungen, sondern auch für das Auslandsgeschäft insgesamt. Tatsächlich waren die Aussichten für NHI und NHIC glänzend.516 Ihre Umsätze stiegen alleine zwischen 1972 und 1974 von 172 Mio. DM auf 390 Mio. DM. Zwar machten sie damit 1974 gerade einmal 7,8% der Umsätze der gesamten Unternehmensgruppe aus und warfen zudem kaum Gewinne ab, weil fast überall durch die Neugründungen hohe Anlaufkosten entstanden waren.517 Aber es schien nur eine Frage der Zeit zu sein, bis sich das änderte. Daß die internationalen Tochtergesellschaften erheblich schneller wuchsen als die NHS oder gar der Gesamtkonzern, war jedenfalls offensichtlich. Außenstehende waren deshalb sogar der Meinung, daß sie die Muttergesellschaft bald überflügeln würden.518 Das mag eine Übertreibung gewesen sein, aber zweifelsohne erwartete auch die Geschäftsführung für die folgenden Jahre einen steilen Anstieg der Auslandstätigkeit, und dies auch noch zu einem Zeitpunkt, zu dem die Bedingungen in Deutschland sich bereits merklich verschlechterten.519 Nicht nur auf der nationalen, sondern auch auf der internationalen Ebene schienen der Unternehmensgruppe ihre besten Jahre erst noch bevorzustehen. 5.3.3 Das unsichere Kerngeschäft: Probleme des Wohnungsbaus am Beginn der siebziger Jahre 5.3.3.1 Der Wohnungsmarkt zwischen Kostenexplosion und staatlicher Förderung Die Tatsache, daß der Vorstand die Expansion in den Städtebau und in das internationale Geschäft mit einer solchen Vehemenz vorantrieb, hatte, vor allem was 514 Vgl. Brasilien-Bericht, März 1982, StA HH, 622–2 Cordua 302, S. 1 f. 515 Bericht über die Auslandstätigkeit der NHI und NHIC, Vorlage zu TOP 1.6 AR NHS, 13.7.1973, StA HH, 622–2 Cordua 12. 516 Vgl. die Einschätzung des Vorstandes in Protokoll AA NHH/NHS, 9.3.1972, StA HH, 622–2 Cordua 132, S. 4. 517 Vgl. Anhang, Tabelle 7 sowie Kap. 6.2.2.3 dieser Arbeit. 518 Vgl. Scheiner/Schmidt 1974, S. 169. 519 Noch von 1974 auf 1975 stieg der Umsatz der NHI um 17,4%, vgl. Anhang, Tabelle 7.

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den gewerblichen Bau betraf, nicht nur politische, sondern auch betriebswirtschaftliche Gründe. Denn während die Rezession einerseits den Optimismus hinsichtlich der weiteren wirtschaftlichen Entwicklung auf einen neuen Höhepunkt brachte, entwickelte sich der Wohnungsmarkt, der nach wie vor das Kerngeschäft der Unternehmensgruppe bildete, seit Mitte der sechziger Jahre zusehends zu einem Problemfall. Vor allem die Entwicklung der Neubaupreise bereitete den Wohnungsunternehmen Sorgen. So stiegen die durchschnittlichen Gesamtkosten für den Bau einer Wohnung im öffentlich geförderten sozialen Wohnungsbau zwischen 1967 und 1973 von 60.500 DM auf 114.500 DM. Das entsprach einer durchschnittlichen jährlichen Steigerungsrate von 11,6%, und zwischen 1970 und 1973 waren es sogar durchschnittlich 15,5%.520 Für diese Entwicklung war eine Reihe von Faktoren verantwortlich, die zu einem guten Teil schon in den späten fünfziger und in den frühen sechziger Jahren wurzelten. Das galt vor allem für die steigenden Grundstückspreise. Besonders in den Ballungsräumen, die auch weiterhin die Schwerpunkte des Wachstums bildeten, wurde brauchbarer Baugrund im Verlauf der sechziger Jahre knapper und knapper. Der Bodenpreisindex eilte dem Preisindex für die Entwicklung der Lebenshaltungskosten weit voraus; die Preise für baureifes Land, die sich zwischen 1950 und 1966 nominal fast verzehnfacht hatten, verdoppelten sich zwischen 1966 und 1973 noch einmal annähernd.521 Erschwerend kam hinzu, daß die Bemühungen um eine Rationalisierung der Bauwirtschaft hinsichtlich des Ziels der Kostenreduktion enttäuschend verlaufen waren. In der traditionellen Bauwirtschaft waren die Kapazitäten zudem voll ausgeschöpft, so daß auch von dieser Seite keine Besserung zu erwarten war.522 Deshalb stiegen auch die Rohbaupreise für öffentlich geförderte Wohnungen unaufhaltsam weiter – zwischen 1967 und 1973 um ziemlich genau 100%, wobei dieser Trend allerdings nicht nur die reinen Baupreissteigerungen, sondern auch die weiter zunehmenden Durchschnittsflächen und die verbesserte Ausstattung von Neubauwohnungen widerspiegelte.523 Mitte der sechziger Jahre trat allerdings zu diesen längerfristigen Trends noch ein weiterer Faktor hinzu, der dem Problem der Kostensteigerungen in den folgenden Jahren eine neue Qualität verlieh. Gemeint ist die Verschlechterung der Kapitalmarktbedingungen. Zum Fanal hierfür geriet die 1965 eingeführte Couponsteuer, die die Kapitalerträge von „Gebietsfremden“ besteuerte und so einer nicht zuletzt aufgrund verstärkter Investitionen aus dem Ausland drohenden Überhitzung entgegenwirken sollte.524 Damit alleine war dem Problem der zunehmenden inflationären Tendenzen allerdings nicht beizukommen, weil dieses zu einem guten Teil hausgemacht war. Die Bundesbank erhöhte deshalb zwischen Anfang 1965 und Mitte 1966 schrittweise ihre Leitzinssätze. Der Diskontsatz stieg in diesem Zeitraum von 3% auf 5%, und das zog eine erhebliche Verschlechterung der Bedingungen für jene Kapitalmarktinstrumente nach sich, die für den Wohnungsbau 520 521 522 523 524

Vgl. JB 1976/77, S. A 32 f. Vgl. Krummacher 1978, S. 611. Vgl. Gewos 1990, S. 183. Vgl. JB 1973/74, S. 44. Vgl. Pohl 2001, S. 37.

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besonders wichtig waren. So fiel beispielsweise das Kursniveau von sechsprozentigen Hypothekenpfandbriefen im gleichen Zeitraum von 97 auf nur mehr 81% des Ausgabekurses.525 Zwar sanken die Kapitalzinsen von dem Höhepunkt, den sie in den Jahren 1966/67 erreicht hatten, 1969 noch einmal kurzzeitig auf den Stand des Jahres 1965, und auch später erreichten sie punktuell nochmals ähnliche Tiefstände. Aber dies war eine Folge der steigenden Volatilität des Zinssatzes und überdeckte nur die Tatsache, daß die Kapitalzinsen seit der Rezession dauerhaft auf ein höheres Niveau einschwenkten.526 Für den Wohnungsbau war diese Entwicklung außerordentlich problematisch. Denn zum einen handelte es sich bei ihm schon a priori um einen besonders zinsempfindlichen Wirtschaftszweig; und zum anderen war gerade im öffentlich geförderten Wohnungsbau der Grad der Abhängigkeit der Neubaukosten vom Zinsniveau seit Mitte der sechziger Jahre noch einmal deutlich angestiegen. Das hing mit der Entwicklung der Wohnungsbauförderungspolitik zusammen. Da sich die öffentliche Förderung auf dem Rückzug befand und der Anteil der öffentlichen Mittel an der Wohnungsbaufinanzierung von knapp 21% 1965 auf unter 6,5% 1973 fiel, stieg im Gegenzug der Anteil der Kapitalmarktmittel im gleichen Zeitraum von 54,1% auf 68,3%.527 Diese Mittel mußten unter Zahlung des marktüblichen Zinssatzes beschafft werden, und so stieg auch die Abhängigkeit der Herstellungskosten von öffentlich geförderten Wohnungsbauten von der Entwicklung dieses Zinssatzes.528 Dieser Effekt wurde noch dadurch verstärkt, daß seit Anfang der sechziger Jahre vermehrt Aufwendungs- statt Kapitalsubventionen eingesetzt wurden. Denn die Aufwendungsbeihilfen waren in der Regel befristet, und nach ihrem Auslaufen mußte der Darlehensnehmer die volle Zinslast tragen.529 Das Hauptproblem, das hieraus resultierte, lag in der besonderen Bedeutung der Finanzierungsbedingungen für die Höhe der Mieten im öffentlich geförderten sozialen Wohnungsbau begründet. Denn die II. Berechnungsverordnung sah vor, daß die Zinszahlungen für die Finanzierung einer Wohnungsbaumaßnahme Eingang in die Berechnung der Mietpreise finden sollte. Da die Kapitalkosten insgesamt um 1970 herum etwa für drei Viertel des Mietpreises verantwortlich waren, erwies sich die „zu ermittelnde Miete als äußerst abhängig vom Umfang niedrig verzinsbarer öffentlicher Mittel einerseits und hoch verzinsbarer Kapitalmarktmittel andererseits“.530 Mit dem immer größer werdenden Anteil der Kapitalmarktmittel an der Finanzierung stieg so auch der Einfluß des Zinsniveaus auf das Mietpreisniveau im öffentlich geförderten Wohnungsbau. Im Jahr 1970 etwa konnte eine Zinserhöhung von einem Prozent bei Neubauwohnungen eine Mieterhöhung von durchschnittlich etwa 50 Pfennig pro qm verursachen – das waren zwischen 12 und 15% des durchschnittlichen Mietpreises einer Neubauwohnung. Im steuerbegünstigten Wohnungsbau waren die Auswirkungen des hohen Zinsniveaus so525 Vgl. GB NHH 1966, S. 18 526 Vgl. Wolfram Weimer, Deutsche Wirtschaftsgeschichte. Von der Währungsreform bis zum Euro, Hamburg 1998, S. 303. 527 Vgl. Krummacher 1978, S. 614. 528 Vgl. JB 1969/70, S. 15. 529 Vgl. Wagner 1995, S. 145 ff. 530 Fuhrich 1984, S. 58.

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gar noch deutlicher zu spüren. „Allein die Kreditverteuerung der letzten 15 Monate um 1 1/2%“, beklagte der DGB-Bundesvorstand im März 1970 in einer von der NH verfaßten Stellungnahme, „bewirkt[e] damit für die durchschnittliche 80 qm Wohnung eine Erhöhung der Miete pro Monat um 60 DM im sozialen Wohnungsbau und um 96 DM pro Monat im steuerbegünstigten Wohnungsbau.“531 Problematisch war diese Entwicklung für die Wohnungsunternehmen vor allem deshalb, weil durch sie die Vermietbarkeit ihrer öffentlich geförderten Neubauwohnungen akut gefährdet war. Denn die Mietpreise stiegen schneller als die Einkommen, und die Mietzahlungsbereitschaft war in Deutschland aufgrund der lange Zeit recht günstigen Mieten ohnehin nicht besonders groß. Vietor ging 1972 davon aus, daß die Belastbarkeitsgrenze der breiten Schichten der Bevölkerung, die für den öffentlich geförderten sozialen Wohnungsbau in Frage kamen, bei etwa 3 DM/qm liege. Die reinen Kostenmieten – also die Mieten unter Abzug der öffentlichen Förderungsmittel – beliefen sich zu diesem Zeitpunkt aber bereits auf 10 bis 12 DM/qm.532 Selbst mit hohem finanziellem Aufwand war die Schwelle von 3 DM also kaum noch zu erreichen. Den Wohnungsunternehmen blieben in dieser Situation wenige Handlungsmöglichkeiten. Auf das Zinsniveau hatten sie keinerlei Einfluß, auch wenn die NH wiederholt Zinssenkungen forderte. Alle Versuche, die Bau- und Baunebenkosten nachhaltig zu senken, scheiterten ebenfalls an Einflüssen, die jenseits der Reichweite eines einzelnen Unternehmens lagen – also etwa an der Entwicklung der Grundstückspreise. Es blieb den Unternehmen deshalb nichts anderes übrig als hinzunehmen, „daß die Mietenpolitik einen unmittelbaren Einfluß auf die Produktionspolitik“533 erlangte. Mit anderen Worten: Sie mußten ihre Neubautätigkeit drosseln, um nicht Gefahr zu laufen, auf den teuren Neubauwohnungen sitzenzubleiben. Insgesamt resultierte die Verschlechterung der Kapitalmarktbedingungen daher aufgrund der hohen Kostenmieten seit Mitte der sechziger Jahre in einem deutlichen Rückgang des Wohnungsbaus im allgemeinen und des öffentlich geförderten Mietwohnungsbaus im besonderen. Zwischen 1966 und 1970 fiel die Zahl der Fertigstellungen im Wohnungsbau insgesamt von knapp über 600.000 kontinuierlich auf knapp unter 480.000 Wohnungen pro Jahr, und der öffentlich geförderte Wohnungsbau ging gar von 203.500 Fertigstellungen 1966 auf 137.000 Fertigstellungen 1970 zurück.534 Auch die Unternehmensgruppe blieb von dieser Entwicklung nicht verschont. Zwar konnte sie die Zahl der fertiggestellten Wohnungen von 1966 auf 1967 entgegen dem Trend noch einmal deutlich steigern (auf 21.600 Wohnungen); aber in den folgenden Jahren nahm sie kontinuierlich ab, bis sie 1970 bei einer Zahl von 12.100 Wohnungen ihren vorläufigen Tiefpunkt erreichte.535 Der starke Rückgang des Jahres 1970 war zum Teil dadurch entstanden, daß die Unternehmensgruppe 531 Zur Lage des Städte- und Wohnungsbaues (Entwurf für eine Entschließung des DGB-Bundesvorstandes), 23.3.1970, IGM ZwA 2/17 259, S. 2. Vgl. auch die Modellrechnungen bei Fuhrich 1984, S. 65 ff. 532 Vgl. Protokoll AA NHH/NHS, 29.9.1972, StA HH, 622–2 Cordua 134, S. 3. 533 Protokoll AR NHH, 29.9.1967, DGBA-BV, Abt. Finanzen, 24/449, S. 5. 534 Vgl. Krummacher 1978, S. 603 f. 535 Vgl. Anhang, Tabelle 1.

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angesichts der extremen Kostenexplosion in diesem Jahr Baubeginne von vier- bis fünftausend Wohnungen zurückgestellt hatte, um so die Anbieter von Bauleistungen zu Zugeständnissen hinsichtlich ihrer Preisgestaltung zu zwingen.536 Aber das Grundproblem des deutlichen Abwärtstrends war zweifelsohne den explodierenden Kostenmieten und den daraus folgenden Absatzproblemen zuzuschreiben. Diese Entwicklung ließ beim Vorstand die Alarmglocken schrillen. Er versuchte deshalb vermehrt, Druck auf die Regierung auszuüben, damit diese den Wohnungsbau stärker fördere. Schon seit ihrer Opposition gegen den Lücke-Plan war die NH nicht müde geworden, eine Stärkung der Rolle des Staates im Wohnungsbau zu verlangen und hatte dies vor allem mit der aus ihrer Perspektive immer noch unzureichenden Wohnungsversorgung begründet. „Die früheren Bundesregierungen“, so ließ sie verlauten, „haben die Liberalisierung der Wohnungsmärkte, also den Abbau der Sicherungsmaßnahmen, mit dem Versprechen verbunden, daß am Ende der Liberalisierung genug gute Wohnungen vorhanden sein würden, um Not und Spekulation zu verhindern. Der neue Bundesminister für Städtebau und Wohnungswesen, Dr. Lauritzen, hat ein Erbe angetreten, das diesen Versprechen nicht entspricht.“537 450.000 bis 500.000 Wohnungen, so forderte die NH, müßten in den nächsten zehn Jahren jährlich neu gebaut werden, um das nötige Angebot zu sichern. Unterstützung erhielt diese Sichtweise aus der von Lauritzen 1968 in Auftrag gegebenen Wohnungs- und Gebäudezählung. Sie enthüllte ein Ausmaß an Unterversorgung, das zwar für Fachleute keineswegs unerwartet kam, die Öffentlichkeit aber gerade angesichts der optimistischen Stimmungslage schockieren mußte. Daß den 22 Mio. zu diesem Zeitpunkt bestehenden Privathaushalten nur ein Bestand von 19,6 Mio. Wohnungen gegenüberstand, das globale Wohnungsdefizit sich mithin noch immer auf 2,4 Mio. Wohnungen belief, mochte noch am ehesten zu erwarten gewesen sein;538 aber schon die Defizite in der Ausstattung der Wohnungen bildeten eine unangenehme Überraschung. Etwa 6,4 Mio. Wohnungen – ein Drittel des Gesamtbestandes – waren demnach nicht mit einem Bad ausgerüstet, und 4,1 Mio. (21%) hatten nicht einmal eine Innentoilette aufzuweisen. Nur 30% verfügten über eine gute Ausstattung mit Bad, WC und Zentralheizung.539 Noch bedeutsamer war, daß die Erhebung schlaglichtartig die fragwürdige Verteilungswirkung der bisherigen Wohnungspolitik hervorhob. Denn während einerseits 1,2 Mio. öffentlich geförderte Wohnungen statistisch gesehen unterbelegt waren, also die Zahl der Räume die Zahl der Haushaltmitglieder um mehr als zwei übertraf, mußten andererseits etwa 1,7 Mio. Wohnparteien – das entsprach etwa 7,5 bis 8 536 Vgl. Arbeitsausschußssitzung NHH [Vorlage zu TOP 5], 1.7.1970, DGBA-BV, Abt. Finanzen, 24/476. 537 Zur Lage des Städte- und Wohnungsbaues (Entwurf für eine Entschließung des DGB-Bundesvorstandes), 23.3.1970, IGM ZwA 2/17 259, S. 2. 538 Vgl. Krummacher 1978, S. 220 sowie Tilman Harlander/Gerd Kuhn, Wohnungspolitik, in: Hans Günter Hockerts (Hg.), 1966–1974. Bundesrepublik Deutschland. Eine Zeit vielfältigen Aufbruchs (Geschichte der Sozialpolitik in Deutschland seit 1945 Bd. 5), Baden-Baden 2006, S. 859–886, hier S. 864. 539 Vgl. Herbert Thiel, Gebäude und Wohnungen nach Art, Alter und Ausstattung. Ergebnis der Gebäude- und Wohnungszählung 1968, Wirtschaft und Statistik 1970, S. 381–388, hier S. 387.

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Mio. Menschen – in Wohnungen leben, in denen ihnen weniger als ein Raum pro Person zur Verfügung stand.540 Der von der Wohnungsreformbewegung im 19. Jahrhundert formulierte Mindeststandard von einem Raum pro Person war also zu einem Zeitpunkt, zu dem sich die BRD auf dem Höhepunkt ihrer Nachkriegsprosperität wähnte, für fast 15% der Bevölkerung noch nicht erfüllt. Vollends im Widerspruch zum Selbstbild des Wirtschaftswunderlandes standen aber die Ergebnisse, die die Wohnungszählung hinsichtlich des unteren Endes der sozialen Rangordnung zutage förderte. Etwa eine Million Wohnungen befand sich demnach in abbruchreifem bzw. „wohnunwürdigem“ Zustand; und etwa 2,5 Mio. Menschen lebten 1968 noch in Baracken, Nissenhütten, Obdachlosenheimen und nicht zuletzt in Flüchtlingslagern, deren letztes erst 1974 aufgelöst wurde.541 Angesichts dieser Ergebnisse konnte es kaum verwundern, daß die Frage einer Hebung des Wohnstandards gegen Ende der sechziger Jahre an politischem Gewicht gewann.542 Der Unternehmensgruppe fiel es vor diesem Hintergrund leicht, die soziale Wirkung des Beinahe-Zusammenbruchs des sozialen Wohnungsbaus zu brandmarken. „Solange Wohnungen dort, wo sie gebraucht werden, fehlen,“ hieß es in der bereits zitierten, von der NH verfaßten Stellungnahme des DGBBundesvorstandes vom März 1970, seien „spekulative Verteuerungen der gesamten Mieten – mit Ausnahme der Mieten für Sozialwohnungen und der Wohnungen gemeinnütziger Wohnungsunternehmen – und damit die Ausbeutung von Mietern und Untermietern möglich. Hiervon sind insbesondere junge Familien, Alleinstehende und Gastarbeiter betroffen.“543 Deshalb, so die Schlußfolgerung, sei eine Fortsetzung des sozialen Wohnungsbaus auf hohem Niveau unumgänglich; und hierfür waren, so argumentierten NH und DGB weiter, angesichts der Kostenentwicklung zusätzliche öffentliche Mittel erforderlich.544 Diese Sichtweise konnte bei der regierenden SPD auf Unterstützung zählen. Zwar hatte die Große Koalition den Wohnungsbau anfangs völlig der Konjunkturpolitik untergeordnet und mit dem Wohnungsbauänderungsgesetz von 1968 den Kurs eines Subventionsabbaus zur Entlastung der Staatsausgaben zunächst fortgesetzt.545 Aber schon Mitte der sechziger Jahre war in den Reihen der SPD die seit Inkrafttreten des Abbaugesetzes sichtbare Tendenz zur „Liberalisierung und Zurücknahme des staatlichen Einflusses auf die Wohnungsversorgung“546 als problematisch empfunden worden. In der Entschließung des Nürnberger Parteitages von 1968 zum Wohnungswesen und Städtebau, an der auch Albert Vietor mitgearbei540 Vgl. Dieter Häring, Zur Geschichte und Wirkung staatlicher Interventionen im Wohnungssektor. Gesellschaftliche und sozialpolitische Aspekte der Wohnungspolitik in Deutschland, Hamburg 1974, S. 164 u. S. 193. 541 Vgl. Krummacher 1978, S. 221. 542 Zu der Bedeutung, die die Wohnungspolitik den Ergebnissen der Wohnungszählung beimaß, vgl. die Ausführungen von Karl Ravens, Wohnungsbaupolitik zwischen gestern und morgen, NHM 1972,8, S. 18–24, hier S. 20. 543 Zur Lage des Städte- und Wohnungsbaues (Entwurf für eine Entschließung des DGB-Bundesvorstandes), 23.3.1970, IGM ZwA 2/17 259, S. 2. 544 Vgl. ebd. sowie Gefährliche Auswirkungen der Diskontpolitik. NEUE HEIMAT fordert Stützungsmaßnahmen für Wohnungs- und Kommunalbau, NHM 1969,10, S. 45–46. 545 Vgl. Gewos 1990, S. 141. 546 Ebd., S. 171.

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tet hatte, forderte sie deshalb einen grundsätzlichen Kurswechsel und eine stärkere Rolle des Staates im Wohnungsbau. 400.000 bis 450.000 Wohnungen sollten nach Meinung der Sozialdemokraten in den kommenden zehn Jahren jährlich gebaut werden; davon sollte mindestens die Hälfte öffentlich gefördert werden, „um so auf die Mieten einen regulierenden Einfluß ausüben zu können.“547 Mit diesen Forderungen zog die SPD auch in den Wahlkampf des Jahres 1969, und tatsächlich führte die Bildung der sozialliberalen Koalition zu einem Neuanfang im sozialen Wohnungsbau. Das kam besonders deutlich im sogenannten „langfristigen Wohnungsbauprogramm“ zum Ausdruck, das die Koalition mit dem Wohnungsbauänderungsgesetz des Jahres 1970 einführte. Dieses „langfristige Wohnungsbauprogramm“ sollte sicherstellen, daß zukünftig jährlich 500.000 Wohnungen errichtet würden und sah deshalb vor, den Bau von etwa 200–250.000 Wohnungen öffentlich zu fördern. „Der Soziale Wohnungsbau sollte demnach nicht nur absolut, sondern auch relativ zum gesamten Wohnungsbau drastisch gesteigert werden und zwar auf 40–50% gegenüber 29% im Jahre 1970“.548 Bei dieser Zielsetzung spielte die Tatsache eine Rolle, daß das Städtebauministerium in Übereinstimmung mit den konjunkturpolitischen Zielsetzungen der Regierung die Schaffung eines vom Konjunkturverlauf unabhängigen Sockels an Neubauwohnungen für erstrebenswert hielt.549 Die hauptsächliche Motivation für die angestrebte Expansion des sozialen Wohnungsbaus lag aber woanders: in der Hoffnung, den Staat zu einem umfangreichen Instrument der Gesellschaftspolitik ausbauen zu können. „Noch vor wenigen Jahren“, so argumentierte der Staatssekretär im Städtebauministerium, Karl Ravens, 1972, „glaubte man entgegen unserer Auffassung, die Wohnungspolitik auf eine Art Krisenhilfe in Notfällen einengen zu können. (...) Die vergangenen Jahre haben uns [aber] gelehrt, daß die Vorstellung, man könnte die Aufgabe der Versorgung mit Wohnungen in einen neutralen, vorpolitischen Bereich an privater und privatwirtschaftlicher Tätigkeit abdrängen, falsch ist. Der Sozialstaat ist kein Trostpflasterproduzent, der nur tätig wird, wenn es irgendwo brennt oder die soziale Not unübersehbar geworden ist, und der Sozialstaat ist auch mehr als der letzte Nothelfer. Wir gehen davon aus, daß die Gesellschaftspolitik eine aktive, planende und vorsorgende Rolle übernehmen muß – und zwar in allen zentralen Bereichen, wie der Arbeitsplatzsicherung, der Berufsausbildung, der Sicherung im Krankheitsfall, oder bei der Versorgung mit Wohnungen.“550

Aus dieser Perspektive ist verständlich, warum die Ziele des langfristigen Wohnungsbauprogramms bemerkenswert nahe bei den sehr hoch gegriffenen Forderungen der NH und der gemeinnützigen Wohnungswirtschaft lagen; sie entsprangen genau den Auffassungen über die Sicherung der materiellen Lebensgrundlagen als Voraussetzung für die Teilhabe an einer demokratischen politischen Kultur, die auch von der NH vertreten wurden. Insofern war es auch konsequent, daß 547 Entschließung „Wohnungswesen und Städtebau“ des Bundesparteitages der SPD, NHM 1968,4, S. 40. 548 Krummacher 1978, S. 244. Vgl. auch Harlander/Kuhn 2006, S. 877 f. 549 Vgl. Interview mit Karl Ravens, 17.10.2003. 550 Karl Ravens, Wohnungsbaupolitik zwischen gestern und morgen, NHM 1972,8, S. 18–24, hier S. 19.

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das „langfristige Wohnungsbauprogramm“ zwar – im Rahmen des sogenannten „Sozialprogramms“ – eine spezifische Förderung für die einkommensschwächeren Schichten vorsah, insgesamt aber keineswegs diesen alleine vorbehalten bleiben sollte. Im Gegenteil: Neben das „Sozialprogramm“ und die Fortführung des „normalen“ sozialen Wohnungsbaus traten mit dem „Regionalprogramm“ und dem „Modernisierungsprogramm“ zwei Förderungsmöglichkeiten, die explizit für Wohnungssuchende mit höherem Einkommen gedacht waren.551 So sollten beispielsweise mit dem Regionalprogramm, das sich in den folgenden Jahren zu einem der wichtigsten Pfeiler des öffentlich geförderten Wohnungsbaus entwickelte, in ausgesuchten Entwicklungsschwerpunkten jährlich 50.000 Wohnungen im sogenannten „Zweiten Förderungsweg“, also für Wohnungsanwärter mit höheren Einkommen errichtet werden. Zusätzlich wurden auch noch die Einkommensgrenzen für den Anspruch auf öffentlich geförderte Wohnungen kräftig angehoben, so daß 1972 nicht mehr „nur“ zwei Drittel, sondern etwa 80% aller Haushalte im sozialen Wohnungsbau wohnberechtigt waren.552 Auch hier manifestierte sich also der Anspruch der Bundesregierung, die Wohnungspolitik zu einem Teil ihrer umfassenden gesellschaftspolitischen Reformagenda auszubauen. Erreicht wurde damit zunächst ein massiver Boom im Wohnungsneubau, der sich 1973 in der höchsten Neubauziffer in der Geschichte der Bundesrepublik niederschlug: 714.000 Wohnungen wurden in diesem Jahr fertiggestellt. Auch die Unternehmensgruppe partizipierte an diesem Boom: Die Zahl ihrer Neubauten stieg auf knapp 22.000 Wohnungen. Diese Entwicklung war allerdings nicht allein durch das „langfristige Wohnungsbauprogramm“, sondern auch durch die inflationäre Entwicklung und das 1972 vorübergehend recht niedrige Zinsniveau bedingt. Das Programm selbst trug zwar ebenfalls dazu bei, konnte aber sein Mengenziel dennoch nicht erreichen: Die Fertigstellungen im öffentlich geförderten Wohnungsbau stiegen zwar von 1970 137.000 auf 169.000 1973, aber von der Zielmarke von 200–250.000 Wohnungen war dies weit entfernt.553 Hinzu kam, daß diese Wohnungen das Problem der überhöhten Kostenmieten nicht behoben. Im Gegenteil: Der beispiellose Boom der Jahre 1972/73 beförderte die Baupreisinflation noch zusätzlich, so daß die Kosten schneller anstiegen, als die Bundesregierung ihre Fördermittel steigern konnte (das war auch der Grund dafür, daß das Programm sein Mengenziel verfehlte). 1973 erreichten die ersten Neubauwohnungen des öffentlich geförderten sozialen Wohnungsbaus die magische Mietpreisgrenze von 5 DM pro qm Wohnfläche. Sie gehörten damit, auf den gesamten Wohnungsbestand – inklusive des frei finanzierten Wohnungsbaus – gerechnet, „zu der Gruppe der teuersten Mietwohnungen, die (...) höchstens 15% des Gesamtbestandes umfaßt.“554 Die „wohnungspolitischen Zweifel an der inneren Folge- und Zielrichtigkeit des Wohnungsbauförderungssystems,“555 die mit dieser Erkenntnis einhergingen, 551 552 553 554 555

Vgl. Krummacher 1978, S. 244 f. Vgl. ebd., S. 245. Vgl. ebd., S. 604. JB 1974/75, S. 8. Ebd.

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erhielten in den folgenden Jahren auch noch durch einen weiteren, eng mit diesem Aspekt zusammenhängenden Umstand Nahrung – durch das Problem der Mietpreisverzerrungen.556 Im Kern ging es dabei darum, daß die Mietpreisbildung durch das System der Kostenmiete nur sehr bedingt den tatsächlichen Marktwert, also Größe, Lage und Ausstattung einer Wohnung berücksichtigte. Wegen der ständigen Baukostensteigerungen differierten die Mietpreise statt dessen in erster Linie nach dem Herstellungszeitpunkt. Allgemein konnte gelten, daß eine Wohnung um so billiger war, je früher sie erstellt worden war. Die Unterschiede waren riesig, denn während die Herstellung einer Wohnung im öffentlich geförderten sozialen Wohnungsbau 1955 nur 17.400 DM gekostet hatte, mußten 1975 für eine solche – allerdings durchschnittlich größere und besser ausgestattete – Wohnung bereits 146.000 DM aufgewendet werden.557 Hinzu kam noch, daß sich auch Unterschiede bei den Förderungsmodalitäten in den Mietpreisen niederschlugen. Wegen der Vielzahl der länderspezifischen Förderungsprogramme führte das dazu, daß auch zwischen den Bundesländern erhebliche Mietpreisunterschiede für an sich gleichwertige Wohnungen bestanden.558 So kam es, daß 1973 bescheiden ausgestattete Wohnungen der Baujahre 1950 bis 1956 in Berlin bereits für etwa 1,50 DM/qm zu haben waren, während eine öffentlich geförderte Neubauwohnung in den Flächenstaaten zu diesem Zeitpunkt bereits bis zu 5 DM/qm kosten konnte. Bei Wohnungen, die im steuerbegünstigten Wohnungsbau errichtet worden waren, lag die Spanne gar zwischen 3 DM und 14 DM/qm.559 Zwar bewegte sich die Mehrzahl der Mietwohnungen zwischen 2,50 DM bis 3,50 DM, und das galt auch für die Wohnungen der Unternehmensgruppe (der durchschnittliche Mietpreis ihrer öffentlich geförderten Wohnungen, die 1972 gut 93% ihres Wohnungsbestandes ausmachten, lag mit 3,21 DM/qm nur knapp über dem Bundesdurchschnitt von 3,13 DM). Aber die Neubauwohnungen des Jahres 1973 waren bereits sehr viel teurer; sie kosteten bei der Unternehmensgruppe 4,15 DM pro qm und hoben damit die Durchschnittsmiete ihres gesamten öffentlich geförderten Wohnungsbestandes auf 3,46 DM/qm.560 Hinzu kam, daß die Modalitäten des langfristigen Wohnungsbauprogramms erwarten ließen, daß „die – in den einzelnen ‚Altersgruppen‘ der geförderten Mietwohnungsbeständen [sic] noch annähernd erhaltene – Einheitlichkeit der Mietpreise in den jüngeren (...) Gruppen (...) immer mehr verfällt und die Distanz zwischen den Kostenmieten der alten und jungen Bestände immer größer wird“. 561 Denn gerade mit den Wohnungen, die im Rahmen des Regionalprogramms gefördert wurden, hatte der Gesetzgeber eine mietpreispolitische Zeitbombe gelegt: Für sie war von vornherein eine sogenannte degressive Förderung vorgesehen gewesen. Das bedeutete, daß die Subventionsempfänger in den ersten drei Jahren einen 556 Vgl. dazu zusammenfassend Fuhrich 1984, S. 206 ff. sowie Die Mietverzerrungen, Vorlage DGB-BA, 5.9.1973, DGBA-BV, Abt. Finanzen, 24/479. 557 Vgl. JB 1976/77, S. A 24. 558 Vgl. Die Mietverzerrungen, Vorlage DGB-BA, 5.9.1973, DGBA-BV, Abt. Finanzen, 24/479, S. 1 f. 559 Vgl. ebd., S. 1. Zusammenfassend auch JB 1976/77, S. A 48 ff. 560 Vgl. ebd. sowie JB 1973/74, S. 75. 561 Die Mietverzerrungen, Vorlage DGB-BA, 5.9.1973, DGBA-BV, Abt. Finanzen, 24/479, S. 3.

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Förderungssatz von (1971) 2,70 DM pro qm als Aufwendungsdarlehen erhielten, daß sich dieser Satz aber nach jeweils drei Jahren um 0,70 DM verringerte und mit dem zwölften Jahr endgültig auslief.562 Diese reduzierte Förderung sollte durch steigende Mietpreise ausgeglichen werden. Weitere Preissteigerungen dieser ohnehin zu teuren Wohnungen und damit auch weitere Mietpreisverzerrungen waren also vorprogrammiert. Das sollte sich wenige Jahre später bitterlich rächen. Denn die Ungerechtigkeiten, die mit den Mietpreisverzerrungen einhergingen, waren, wie noch zu zeigen sein wird, dazu geeignet, den sozialen Anspruch des öffentlich geförderten Wohnungsbaus weitgehend in Frage zu stellen.563 Zunächst wurde dieses Problem aber unterschätzt – aus zwei Gründen: Zum einen sollte es noch dauern, bis die Auswirkungen der degressiven Förderung sichtbar wurden, und in der Zwischenzeit stützten sich Wohnungspolitik und Wohnungswirtschaft auf die Hoffnung, eine Fortsetzung der Einkommensentwicklung der vergangenen Jahre würde dazu führen, daß die Mietbelastungsquote trotz steigender Mieten in den folgenden Jahren konstant gehalten werden könnte.564 Zum anderen war schon 1963 ein neues Element in die Wohnungsbauförderung aufgenommen worden, das, so hoffte zumindest die Unternehmensgruppe, die Mietpreisverzerrungen lindern konnte und zudem Abhilfe für den Fall versprach, daß die Mieten schließlich doch zu hoch ausfallen würden: die Wohnbeihilfe, die 1965 in „Wohngeld“ umbenannt worden war. Diese Einrichtung förderte diejenigen, deren Einkommen unterhalb einer bestimmten Grenze lag, mit einem direkten Zuschuß zu ihrer Miete bzw. zu den Lasten, die im Falle der Eigentumsbildung zu tragen waren.565 Gegenüber der unmittelbaren Förderung von Wohnbauten hatte dieses System der Subjektförderung einige Vorteile: Es war sehr viel zielgenauer als die Objektförderung, weil seine Höhe mit der Mietbelastung variierte und das Wohngeld bei Überschreiten der Einkommensgrenze einbehalten werden konnte, während die Objektförderung im vorhinein gewährt wurde und später nicht mehr korrigiert werden konnte. Damit versprach die Subjektförderung Linderung sowohl für das Problem der Mietpreisverzerrung als auch für das Phänomen der Fehlbelegung. Dieses war dadurch zustande gekommen, daß mit dem steigenden Wohlstand auch die Zahl derjenigen stieg, die zum Zeitpunkt ihres Einzuges in eine öffentlich geförderte Wohnung ein Anrecht auf eine solche hatten, deren Einkommen aber mittlerweile die zulässigen Höchstgrenzen übertraf.566 Zudem ließ die Subjektförderung im Gegensatz zur Objektförderung die Angebotsbedingungen intakt und minimierte somit die verzerrenden Einflüsse der staatlichen Interventionen auf dem Wohnungsmarkt. Darin 562 563 564 565

Vgl. Krummacher 1978, S. 244 f. sowie Tessin 1987, S. 91 f. Vgl. Fuhrich 1984, S. 208 sowie Kap. 6.3.1.2 dieser Arbeit. Vgl. Gewos 1990, S. 177. Zusammenfassend zum Wohngeld vgl. Gewos 1990, S. 146 ff. u. S. 340 ff.; Krummacher 1978, S. 237 ff.; Pergande/Pergande 1973, S. 184 ff. sowie Wagner-Kyora 2007, S. 769 ff. 566 Die um 1970 herum öffentlich diskutierte Zahl von 300.000 fehlbelegten Wohnungen war dabei vermutlich bei weitem zu tief gegriffen; die Unternehmensgruppe ging intern von einer Zahl von drei bis vier Millionen aus, weil die Obergrenzen für das Anrecht auf eine öffentlich geförderte Wohnung trotz laufend steigender Einkommen seit Jahren nicht mehr angepaßt worden waren. Vgl. Protokoll AR NHH 1.4.1970, DGBA-BV, Abt. Finanzen, 24/478, S. 5.

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lag allerdings auch eine Gefahr; denn polemisch ausgedrückt, handelte es sich beim Wohngeldsystem um eine „Haus- und Grundbesitzerlösung, bei dem das Wohngeld über den Mieter in die Taschen des Vermieters fließt.“567 Die NH war jedenfalls höchst angetan von der Einführung dieses neuen Instruments: Die „optisch hohe[n] Zahl[en]“ bei den Kostenmieten, so argumentierte sie, bräuchten nun „nicht [mehr] zu erschrecken, weil die sozial erträgliche Belastung individuell durch das Wohngeld herbeigeführt wird, das zunehmend die Aufgabe der früheren Objektsubventionierung und damit der Mietpreisverringerung übernommen hat.“568 Daß die Mieten dabei aber keineswegs nur „optisch“ hoch waren, sondern die Beträge auch tatsächlich bezahlt und dafür vom Steuerzahler aufgebracht werden mußten, unterschlug sie geflissentlich. Im Unterschied zur Objektförderung, die regelmäßig mit von den Baukosten her definierten Förderungshöchstgrenzen verbunden war, bot das Wohngeld für den Anbieter dabei auch keinerlei Anreiz mehr zur Kostensenkung. Seit dem Regierungsantritt der sozialliberalen Koalition galt das gleich doppelt. Denn durch das Ende 1970 verabschiedete Zweite Wohngeldgesetz wurde die Einkommensgrenze, die zum Empfang von Wohngeld berechtigte, wesentlich angehoben. Der staatliche Subventionsaufwand für diese Leistung stieg damit sprunghaft an: Zwischen 1970 und 1972 verdoppelte er sich von 600 Mio. DM auf 1,2 Mrd. DM, und trotz eines leichten Rückgangs 1973 entwickelte er sich auch in den folgenden Jahren tendenziell steigend.569 Damit bot das Zweite Wohngeldgesetz aus der Sicht der unternehmerischen Wohnungswirtschaft die Aussicht, daß die Frage des Absatzes von neuen Mietwohnungen auf absehbare Zeit als gelöst betrachtet werden konnte. Zwar sah das Gesetz Mietobergrenzen vor, bis zu denen das Wohngeld höchstens bezogen werden konnte; aber für den Moment lagen diese Grenzen noch oberhalb der Kostenmieten, und der Umfang der nun gewährten Leistungen schien groß genug, um vorübergehend auch die Mieten der Neubauwohnungen tragbar zu machen.570 Außerdem war in dem Gesetz zwar keine dynamische Anpassung, aber immerhin eine regelmäßige Überprüfung der Wohngeldsätze vorgesehen.571 Die Perspektive bei der Verabschiedung des Gesetzes 1970 war deshalb eindeutig, daß das Wohngeld auf absehbare Zeit das Problem der steigenden Kostenmieten neutralisieren würde. Mit diesen Aussichten konnte die Frage des Absatzes – unter der Voraussetzung, daß die Politik der Regierung von Dauer war – als ein gelöstes Problem betrachtet werden, und zwar auch weitgehend unabhängig von der Frage der weiteren Kostenentwicklung. Es verwundert daher nicht, daß die NH den Kurswechsel, den die sozialliberale Koalition in der Wohnungspolitik vornahm, geradezu enthusiastisch begrüßte. Vietor freute sich Ende 1970, „daß der Wohnungsbau im Rahmen von Städtebau und regionaler Strukturverbesserung in den letzten Monaten in der Bundesrepublik an politischem Gewicht außerordentlich gewonnen habe“572 567 568 569 570 571 572

Krummacher 1978, S. 239. GB NHH 1968, S. 10. Vgl. Krummacher 1978, S. 619 sowie JB 1976/77, S. A 55. Vgl. ebd., S. A 52. Vgl. Krummacher 1978, S. 240. Protokoll AR NHH, 10.11.1970, DGBA-BV, Abt. Finanzen, 24/476, S. 5 f.

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und stelle zufrieden fest, „daß die maßgeblichen politischen Gremien in der Bundesrepublik dem Wohnungs- und Städtebau wieder eine höhere Rangordnung zuweisen.“573 Auch der Wohnungsneubau, der einige Jahre lang ein Sorgenkind gewesen war, schien sich nun aus Sicht der Unternehmensgruppe der positiven Stimmung, die sich in den anderen Geschäftsbereichen ausgebreitet hatte, nicht mehr in den Weg zu stellen. 5.3.3.2 Vom Randgeschäft zur strategischen Schlüsselgröße: Die Hausbewirtschaftung Diese guten Aussichten waren allerdings in einer Hinsicht mit einer gewichtigen Einschränkung verbunden. Denn in den Jahren seit der Rezession rückte zusehends ein Problem in den Vordergrund, das ein wesentlich größeres Hindernis für eine fortgesetzte Expansion des gemeinnützigen Konzernteils darstellte als der Wohnungsneubau. Das war die Frage der Bestandsbewirtschaftung. Für das Selbstverständnis der Wohnungswirtschaft im allgemeinen und der Unternehmensgruppe im besonderen hatte diese Frage bis Mitte der sechziger Jahre nur eine Nebenrolle gespielt.574 Dafür, daß sich dies nun änderte, gab es eine ganze Reihe von Gründen. Zum einen hatte es damit zu tun, daß sich die Beziehungen zwischen Unternehmen und Mietern zu verändern begannen – ein Prozeß, der im nächsten Kapitel genauer untersucht werden soll. 575 In diesem Abschnitt steht zunächst ein anderer Aspekt im Vordergrund: die Tatsache, daß die Bestandsbewirtschaftung aus betriebsökonomischer Sicht an Bedeutung gewann. So war der Verwaltungsbestand der Unternehmensgruppe in den vergangenen Jahren kontinuierlich angestiegen; die Zahl ihrer Wohnungen, die sich 1962 noch auf 163.000 belaufen hatte, stieg bis 1967 auf 225.000 und weiter bis 1973 auf 333.000. Hinzu kamen noch gewerbliche Objekte, Garagen und nicht verkaufte Eigenheime, so daß – diese eingerechnet – die Gesamtzahl der bewirtschafteten Einheiten zwischen 1967 und 1973 von 263.000 auf 391.000 anstieg.576 Die Bestandsbewirtschaftung stellte nunmehr also einen Geschäftszweig dar, der für Umsätze in der Größenordnung von einer halben (1968) bis über einer Milliarde DM (1973) verantwortlich war. Zwar trug sie damit angesichts der starken Bautätigkeit Ende der sechziger Jahre nur etwas über 30% zu den Gesamtumsätzen der Unternehmensgruppe bei, und dieser Anteil sank bis 1973 sogar auf nur 22%.577 Mit Blick auf die Gewinnsituation stellte sich die Lage seit Mitte der sechziger Jahre allerdings anders dar. Denn die Gewinne aus der Hausbewirtschaftung stiegen seit diesem Zeitpunkt aus Gründen, auf die noch zurückzukommen sein wird, sprunghaft an. Hatten sie in der ersten Hälfte der sechziger Jahre noch relativ stabil bei ca. 10–12 Mio. DM per annum gelegen, betrugen sie 1966 bereits 44 573 574 575 576 577

Protokoll AR NHH, 8.4.1971, DGBA-BV, Abt. Finanzen, 24/476, S. 9. Vgl. Wallenhorst 1993, S. 351 sowie Kap. 3.2.2.2 dieser Arbeit. Vgl. Kap. 6.1.1.4 dieser Arbeit. Vgl. Anhang, Tabelle 3. Vgl. Anhang, Tabelle 7.

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Mio. DM und stiegen weiter bis auf 61,5 Mio. DM im Jahr 1969.578 Diese Überschüsse entwickelten sich im letzten Drittel der sechziger Jahre zu einer Angelegenheit von zentraler unternehmensstrategischer Bedeutung. Denn sie konnten dazu genutzt werden, einen der wichtigsten Engpässe bei der Neubautätigkeit zu überbrücken: die mangelnde Eigenkapitalbasis der Unternehmensgruppe, die sich zusehends als die Achillesferse des Wohnungsneubaus entpuppte. Das lag zum einen an den steigenden Kosten, denn mit ihnen stiegen auch die Eigenkapitalanforderungen. Zweitens machte auch die nachlassende öffentliche Förderung einen verstärkten Eigenkapitaleinsatz erforderlich, weil zur Erlangung von Krediten auf dem freien Kapitalmarkt mehr Eigengeld nötig war als zur Erlangung von Förderungsmitteln. Drittens konnte auch der Eigenheimbau kaum noch als Eigenkapitalquelle dienen, weil auf diesem Markt verstärkt Eigentumswohnungen gefragt waren, die von der Unternehmensgruppe traditionell kaum gebaut wurden. 579 Der Anteil der Eigentumsmaßnahmen an den Fertigstellungen der Unternehmensgruppe stürzte deshalb zwischen 1965 und 1969 von 17,6% auf 7,9% ab.580 Aus diesen Gründen waren es nunmehr die Überschüsse aus der Hausbewirtschaftung, die den Löwenanteil des benötigten Eigenkapitals einbringen mußten. „Für 1968“, so führte Harro Iden vor dem Aufsichtsrat aus, sei „zur Durchführung des Bauprogramms für die Gruppe ein Eigenkapital von 75 Mio. erforderlich.“ Der liquiditätsmäßige Überschuß aus der Hausbewirtschaftung war deshalb „unbedingt notwendig, um in dem bisherigen Umfang weiter bauen zu können“. 581 Damit war klar, daß die Hausbewirtschaftung in den folgenden Jahren eine Schlüsselrolle auch für die Neubautätigkeit einnehmen würde. Ihre besondere Brisanz gewann diese Tatsache aber erst aus dem Umstand, daß sie diese Schlüsselrolle voraussichtlich nicht auf Dauer würde ausfüllen können, oder anders formuliert: daß die so wichtigen Gewinne aus der Hausbewirtschaftung nur ein vorübergehendes Phänomen waren. Denn angesichts der stetigen Verbesserung des Wohnungsangebotes stieg der Wettbewerbsdruck für die Anbieter von Wohnungen langsam an, und die NH war hierfür nicht gerüstet. Gerade die älteren Wohnungen ihres Bestandes wiesen eine Reihe von Problemen auf, die ihre Konkurrenzfähigkeit in Frage stellten. So belief sich die Durchschnittsfläche ihrer in den fünfziger Jahren erstellten Mietwohnungen auf wenig mehr als 50 statt der im Neubau mittlerweile üblich gewordenen gut 78 qm. 582 Und obwohl die Unternehmensgruppe zwischen 1967 und 1970 ca. 25 Mio. DM in Modernisierungsmaßnahmen gesteckt hatte, waren von den etwa 270.000 Wohnungen, die sich 1970 im ihrem Eigentum befanden, 105.000 noch immer ohne Zentralheizung und 6.000 ohne eigenes Bad. Gerade diese Wohnungen waren es, deren Vermietbarkeit bei der zu erwartenden Verschärfung des Wettbewerbs als erste zu leiden hatte. Bis 1975 sollten sie deshalb komplett modernisiert werden. Schon 1971 hat578 Vgl. Protokoll AA NHH, 13.1.1966, IGM ZwA 2/17 265, S. 9 sowie Protokoll AR NHH/NHS 3.7.1972, StA HH, 622–2 Cordua 133, S. 5. 579 Vgl. Exposé „Grundsätze der Unternehmenspolitik“, 18.9.1967, DGBA-BV, Abt. Finanzen, 24/449, S. 4. 580 Vgl. Anhang, Tabelle 1. 581 Protokoll AA NHH, 2.5.1968, DGBA-BV, Abt. Finanzen, 24/449, S. 5. 582 Vgl. JB 1970/71, S. 96.

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te die NH dafür 18 Mio. DM veranschlagt, und dieser Satz stieg bis 1975 kontinuierlich bis auf 100 Mio. DM pro Jahr an.583 Von diesem Geld wurden die modernisierungsbedürftigen Wohnungen vor allem mit Sanitär- und Heizungseinrichtungen, aber auch mit Isolierglasfenstern, verstärkten elektrischen Leitungen und neuen Fußböden ausgerüstet.584 Dabei entwickelte die Unternehmensgruppe eine Reihe innovativer Modernisierungsmethoden, die die Kosten drücken und die Umbauzeiten erheblich verringern sollten. In Zusammenarbeit mit einem Schweizer Unternehmen fertigte sie beispielsweise eine Sanitärzelle, die in etwa 80% der nur mangelhaft mit sanitären Einrichtungen ausgestatteten Wohnungen eingebaut werden konnte. Mit Hilfe dieses Systems gelang es, die Umbauzeiten bei gleichbleibenden Kosten von drei Monaten auf etwa fünf Tage zu reduzieren; die Mieter konnten in diesem Zeitraum sogar in ihrer Wohnung bleiben.585 Übermäßige Begeisterung war von ihrer Seite allerdings dennoch nicht zu erwarten. Denn die Modernisierungsmaßnahmen konnten unter den Bedingungen des 1971 verabschiedeten Artikelgesetzes voll auf den Mietpreis umgelegt werden. Das mochte aus der Perspektive der Unternehmensgruppe zunächst als ein Vorteil erscheinen, weil so die Investitionen wieder amortisiert werden konnten. So einfach war die Sache aber nicht: Eine komplette Modernisierung kostete 1973 nominal etwa so viel wie zwanzig Jahre zuvor ein ganzes Einfamilienhaus. Daraus ergaben sich enorme Mietaufschläge. Bei einem Objekt in Hessen, dessen durchschnittliche Miete sich zuvor auf 2,06 DM/qm belaufen hatte, mußten die Bewohner nach Abschluß der Modernisierungsmaßnahmen zunächst 3,45 DM/qm, nach dem Wegfall aller Zinsvergünstigungen fünf Jahre später sogar 4,43 DM/qm bezahlen.586 Das war beileibe kein Einzelfall: Die Unternehmensgruppe rechnete damit, daß die Modernisierungen gerade bei den Wohnungen aus den fünfziger Jahren typischerweise zu einer Verdoppelung der Mieten führen würden. Damit widerfuhr den modernisierten Wohnungen ein ähnliches Schicksal wie den Neubauten: Ihre Vermietbarkeit war akut gefährdet. „Aufgrund der anhaltenden Hochzinspolitik“, so stellte die Unternehmensgruppe 1973 fest, „führen umfassende Modernisierungsmaßnahmen zu Mietpreissteigerungen, die von den Mietern nicht mehr akzeptiert werden.“587 Die NH steckte also in einem Dilemma: Während einerseits nicht modernisierte Wohnungen immer schwieriger zu vermieten waren, waren andererseits die Modernisierungsmaßnahmen so teuer, daß auch der Absatz von modernisierten Wohnungen zu Problemen führte. Deshalb forderte die Unternehmensgruppe staatliche Unterstützung ein.588 Tatsächlich hatte die Bundesregierung bereits entsprechende Pläne in der Schublade: Für 1974 hatte sie ein einmaliges Modernisie583 Vgl. vorbereitende Unterlagen für Vetter zu TOP 8 der AA-Sitzung NHH, 1.7.1970, DGBABV, Abt. Finanzen, 24/476; JB 1973/74, S. 74; JB 1975/76, S. C 4 sowie: Modernisierung, Vorlage DGB-BA, 30.8.1973, DGBA-BV, Abt. Finanzen, 24/479. 584 Vgl. dazu ausführlich am Beispiel der Gewoba Bremen Wallenhorst 1993, S. 351 ff. 585 Vgl. Modernisierung, Vorlage DGB-BA, 30.8.1973, DGBA-BV, Abt. Finanzen, 24/479. 586 Vgl. ebd. 587 JB 1973/74, S. 74. 588 Vgl. ebd.

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rungsprogramm vorgesehen, und ein Wohnungsmodernisierungsgesetz befand sich ebenfalls in Planung. Bis zu seiner Verabschiedung vergingen allerdings noch zwei weitere Jahre.589 Einstweilen mußte die NH mit dem geschilderten Dilemma selbst fertigwerden. Das schien insofern machbar, als sich die negativen betriebswirtschaftlichen Effekte einer hinausgezögerten Modernisierung nicht sofort, sondern erst in einiger Zukunft – wenn der Zustand der Wohnungen so schlecht war, daß sie nicht mehr zu vermieten waren – zeigen würden. Für einen anderen Bereich der Hausbewirtschaftung galt dies allerdings nicht. Das war die Instandhaltung der Wohnungen, also die laufende Behebung kleinerer Mängel. Hier waren die Probleme akut. Das lag vor allem an der Altersstruktur des von der NH verwalteten Bestandes. Während für neugebaute Wohnungen in der Regel nur sehr geringe Instandhaltungsausgaben erforderlich waren, stiegen diese nach etwa 15 bis 20 Jahren sprunghaft an. Genau zu dem Zeitpunkt, zu dem sich eine Verschärfung des Wettbewerbes auf dem Mietwohnungsmarkt abzuzeichnen begann, kam deshalb eine riesige Instandhaltungswelle auf die Unternehmensgruppe zu. Während bis Mitte der sechziger Jahre kaum Instandhaltungsarbeiten zu leisten gewesen waren, weil 15 bis 20 Jahre zuvor so gut wie keine Wohnungen gebaut worden waren, erreichten nun die Wohnungen aus der ersten Phase des Massenwohnungsbaus ein kritisches Alter.590 Die Unternehmensgruppe ging deshalb 1970 davon aus, daß ohne weitere Maßnahmen innerhalb von nur zwei bis drei Jahren sämtliche Altbauten – also die vor der Währungsreform errichteten Wohnungen – sowie fast alle der zwischen 1950 und 1958 gebauten Wohnungen nicht mehr konkurrenzfähig sein und ihre Vermietbarkeit einbüßen würden. Das waren immerhin 25% ihres Wohnungsbestandes!591 Um die Marktfähigkeit dieser Wohnungen zu erhalten, sah sich die NH deshalb seit 1970 gezwungen, ein großes Instandhaltungsprogramm anlaufen zu lassen. Innerhalb von drei Jahren verdoppelte sie ihre Aufwendungen für diese Aufgabe annähernd, so daß sie 1972 einen Stand von 82 Mio. DM erreichten. 592 Finanziell hätte das im Prinzip keinerlei Probleme bereiten dürfen, denn in der II. Berechnungsverordnung war vorgesehen, daß die Kostenmiete auch einen Pauschalbetrag für die Instandhaltung enthalten sollte. So vereinnahmte die Unternehmensgruppe 1970 mit den Mieten eine Instandhaltungspauschale von 3,40 DM bis 4,50 DM pro qm und Jahr; im Durchschnitt waren das 1972 4,07 DM.593 Tatsächlich aber lagen die Aufwendungen in diesen Jahren deutlich über den vereinnahmten Kostensätzen: 1971 erreichten sie 4,27 DM, 1972 sogar 5,11 DM – eine Differenz, die sich zu einem Unterschuß bei den Instandhaltungskosten von 1971 knapp 4 Mio. DM und 1972 sogar von 11 Mio. DM addierte.594 Die Unternehmensgruppe erklärte diese für sie äußerst unerfreuliche Entwicklung offiziell mit der starken Steigerung der Baukosten und forderte deshalb seit 589 Vgl. Gewos 1990, S. 209 ff. 590 Vgl. Wallenhorst 1993, S. 351. 591 Vgl. vorbereitende Unterlagen für Vetter zu AA NHH/NHS, 31.3.1970 oder AR NHH/NHS, 1.4.1970 [unbetitelte, lose Blätter], DGBA-BV, Abt. Finanzen, 24/478, S. 6. 592 Vgl. Instandhaltung, Vorlage DGB-BA, 30.8.1973, DGBA-BV, Abt. Finanzen, 24/479, S. 2. 593 Vgl. Protokoll AA NHH, 31.3.1970, DGBA-BV, Abt. Finanzen, 24/478, S. 10 f. 594 Vgl. Instandhaltung, Vorlage DGB-BA, 30.8.1973, DGBA-BV, Abt. Finanzen, 24/479, S. 2.

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1970 eine Anhebung der Instandhaltungspauschalen auf 6 bis 8 DM pro qm und Jahr.595 Auch andere Unternehmen drängten immer heftiger auf eine solche Anhebung. Der Gesetzgeber sah sich aufgrund der stetig steigenden Baukosten in den folgenden Jahren denn auch mehrfach gezwungen, dieser Forderung nachzukommen. Allerdings tat er das nur widerwillig – verständlicherweise, denn die Forderungen der Wohnungswirtschaft glichen einem Treppenwitz: Die nunmehr über den Instandhaltungspauschalen liegenden Kosten waren nämlich nichts anderes als die Quittung dafür, daß die Unternehmen einen aufgestauten Instandsetzungsbedarf decken mußten, weil sie vor 1970 jahrelang die Instandhaltungspauschalen einkassiert und für andere Zwecke verwendet hatten. So hatten Instandhaltungsaufwendungen bei der NH 1968 und 1969 nur jeweils rund 36 Mio. betragen. Das waren etwa 2,50 DM bis 2,70 DM pro qm – also weit weniger als die knapp 4 DM, die sie im Durchschnitt in diesen Jahren verlangen durfte.596 Es waren diese zurückgehaltenen Instandhaltungseinnahmen, die jene Gewinne aus der Hausbewirtschaftung verursacht hatten, aus denen die Unternehmensgruppe vor 1970 das Eigenkapital für den Bau neuer Wohnungen geschöpft hatte. Das rächte sich nun, denn mit der nötigen Instandhaltungs-Offensive fielen die Gewinne aus der Hausbewirtschaftung rapide ab: Von 61,5 Mio. DM 1969 sanken sie bis 1971 auf 45,6 Mio. DM.597 Damit schmolz auch das der Unternehmensgruppe für den Neubau zur Verfügung stehende Eigenkapital zusammen. Kurt Jaenecke, einer der Geschäftsführer der NH Nord, brachte das Dilemma auf den Punkt: Er führte aus, „daß die Gesellschaft darauf angewiesen sei, aus dem Bereich der Hausbewirtschaftung nachhaltig Erträge zu erwirtschaften, die für den Eigenkapitaleinsatz herangezogen werden könnten.“ Es müsse daher „vermieden werden, daß (...) die Instandhaltungsausgaben praktisch die Höhe der kalkulatorischen Einnahmen hierfür erreichen.“598 Tatsächlich waren die Aussichten dafür, daß das gelingen könnte, schlecht; schließlich war es schon allein aufgrund der Explosion der Baupreise offensichtlich, daß die Unternehmensgruppe ihre Instandhaltungsaufwendungen, die bereits seit 1971 ein Zuschußgeschäft waren, in den kommenden Jahren noch weiter würde steigern müssen. Auf die Gewinne aus der Hausbewirtschaftung als Quelle des Eigenkapitals für eine künftige Neubautätigkeit konnte die Unternehmensgruppe daher seit Beginn der siebziger Jahre immer weniger rechnen. Auch eine Stammkapitalerhöhung, die einen einfachen Ausweg aus dem Dilemma geboten hätte, kam wegen der begrenzten finanziellen Mittel der Gewerkschaften nicht in Frage. Andererseits konnte die NH auf eine anhaltende Neubautätigkeit aber kaum verzichten: Schließlich waren bei nachlassender Bautätigkeit die Auslastung ihres Apparates und somit die Arbeitsplätze ihrer Mitarbeiter gefährdet. Wollte die Unternehmensgruppe eine Entlassungswelle vermeiden, mußte sie daher nach Möglichkeiten suchen, das nötige Eigenkapital für den Neubau auf anderen Wegen als über die einbehaltenen Instandhaltungspauschalen zu erwirtschaften. 595 596 597 598

Vgl. Protokoll AA NHH 31.3.1970, DGBA-BV, Abt. Finanzen, 24/478, S. 10 f. Vgl. JB 1969 /70, S. 103. Vgl. Protokoll AR NHH/NHS 3.7.1972, StA HH, 622–2 Cordua 133, S. 5. Protokoll AR Ageka, 16.11.1972, FZH 592–32 V, S. 5 f.

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5.3.3.3 Das Problem der Sicherung des Neubaus Schon 1967 hatte der Vorstand deshalb die Devise ausgegeben, daß es, „um künftig im notwendigen Ausmaß bauen, vorhandene Versorgungslücken schließen und den Wohnstandard heben zu können“, erforderlich sei, „neue Finanzierungskonstruktionen zu finden.“ Dabei sollten „in stärkerem Ausmaße (...) Eigenkapitalbeiträge der Bewohner mit herangezogen werden.“ Zunächst dachte er daran, eine dem Hausbesitzbrief nicht unähnliche „Teileigentums-Rechtskonstruktion“599 auf den Markt zu bringen, die es ermöglichen sollte, auch denjenigen zu Eigentum zu verhelfen, die sich ansonsten aufgrund ihrer finanziellen Lage nur eine Mietwohnung hätten leisten können, und deren Geld gleichzeitig als Eigenkapitalersatz zu nutzen. Nach der Überwindung der Rezession wurden diese Pläne zwar zurückgestellt, aber bereits 1971 unter dem Eindruck der steigenden Instandhaltungskosten wieder aus der Schublade geholt. Noch im gleichen Jahr stellte sie der Vorstand unter der Bezeichnung „Wohnbesitzbrief“ der Öffentlichkeit vor.600 Der Wohnbesitzbrief war wie der Hausbesitzbrief als eine Art Anteilsschein an einem geschlossenen Immobilienfonds gedacht. Er sollte allerdings nicht als Kapitalanlage dienen, sondern Abnehmer finden, „die zugleich Nutzer der Fondswohnungen sind“.601 Mit dem Brief wollte die NH also ein Anteilsrecht an einer vom Käufer selbst bewohnten Wohnung schaffen. Für den Erwerb eines solchen Anteils mußte der Interessent einen Preis bezahlen, der etwa 10 bis 15% der Herstellungskosten seiner Wohnung entsprach. Um den sozialen Charakter des Unterfangens zu unterstreichen, richtete die Unternehmensgruppe auch die Option ein, diesen Betrag in einem Zeitraum von bis zu sieben Jahren anzusparen. Hinzu kam ein regelmäßiges Nutzungsentgelt, das sich aus den Zins- und Tilgungsleistungen für die Baudarlehen einerseits und aus den Bewirtschaftungskosten andererseits zusammensetzte. Mit fortschreitender Tilgung sollte dieses Nutzungsentgelt zusammenschrumpfen, bis schließlich nur noch die Bewirtschaftungskosten zu entrichten waren. Im Gegenzug für diese Aufwendungen erhielt der Inhaber eines Wohnbesitzbriefes einen Anteil an dem Vermögen des Fonds und vor allem ein unbefristetes Wohnrecht.602 Auf diese Weise wollte die NH denjenigen, „die nicht zum Erwerb eines Eigenheimes oder einer Eigentumswohnung (...) in der Lage“ waren, die Möglichkeit geben, zu Eigentum zu kommen, und so „in die bestehende Lücke zwischen Mietwohnung und Eigentumswohnung hineinstoßen“. Hier sah sie offenkundig ein großes Potential; denn sie plante, zukünftig „einen wesentlichen Teil ihres Wohnbauvolumens für die Eigentumsbildung nach dem Prinzip des NH-Wohnbe-

599 Alle Zitate in diesem Absatz aus dem Exposé „Grundsätze der Unternehmenspolitik“ vom 18.9.1967, DGBA-BV, Abt. Finanzen, 24/449, S. 4. 600 Vgl. zusammenfassend Albert Vietor, Neue Wege der wohnungswirtschaftlichen Vermögensbildung, Hamburg 1972; Scheiner/Schmidt 1974, S. 86 ff. sowie Peters 1984, S. 212 ff. 601 Überlegungen zur Gründung von Immobiliengesellschaften zum Zwecke der Vermögensbildung in Arbeitnehmerhand, Vorlage AA NHH/NHS 5.10.1971, StA HH, 622–2 Cordua 130, S. 1 (meine Hervorhebung). 602 Vgl. ebd., S. 2 ff.

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sitzbriefes“603 einzusetzen. Die Absicht, die dahinter stand, war offenkundig: Aus der Perspektive der Unternehmensgruppe hatte dieses Modell den Vorteil, daß die Bewohner selbst das zum Bau der Wohnungen erforderliche Eigenkapital aufbringen mußten. Mit der Wohnbesitzwohnung sollte also „nicht nur Wohnungssuchenden eine Anlagemöglichkeit und ein stärkeres Wohnrecht im Vergleich zur Mietwohnung geboten werden, sondern sie sollte gleichzeitig der unternehmerischen Wohnungswirtschaft die Beschaffung des zum Bau erforderlichen Eigenkapitals erleichtern.“604 In der Fachöffentlichkeit waren die Pläne der NH deshalb höchst umstritten. Böse Zungen behaupteten, es handele sich bei dem Modell nur um eine Wiederaufnahme des Mieterdarlehens in vermögenspolitisch verbrämter Form. Auf Mißfallen stieß auch die Tatsache, daß die Unternehmensgruppe die Verwaltung der Wohnbesitzbrief-Objekte übernehmen sollte und zudem als Treuhänder für die Verwaltung der Anteile über eine sehr starke Stellung verfügte. Der umstrittenste Punkt war jedoch ein anderer: die Frage, inwiefern es sich bei dem Wohnbesitzbrief überhaupt um Eigentumsbildung in einem vermögenspolitisch relevanten Sinne handelte. Kritiker des Wohnbesitzbriefes wandten ein, daß der Wohnbesitzbrief dem Inhaber in dieser Hinsicht zu viele Nachteile einbringe.605 Damit war vor allem die Tatsache gemeint, daß die Verfügungsrechte über den Wohnbesitzbrief in zahlreichen Punkten stark eingeschränkt waren. So war etwa eine Übertragung nur mit der Zustimmung des Treuhänders, also der jeweiligen NH-Regionalgesellschaft möglich. Und diese sollte nach dem Willen der Unternehmensgruppe von eng definierten Kriterien abhängen: Zum einen sollte ein Erwerb streng an die Wohnungsnutzung gebunden bleiben, ein Verkauf also nur an einen Wohnungsnachfolger möglich sein. Zum anderen wollte die NH selbst einen solchermaßen eingeschränkten Verkauf nur dann zulassen, wenn er zum „Anschaffungswert zuzüglich Zuwachs durch Tilgungsbeiträge minus (...) Abschreibung“606 erfolgte. An einem eventuellen Wertzuwachs sollte der Inhaber der Wohnbesitzbriefes also nicht partizipieren können. Der Vorstand machte hieraus sogar eine Prinzipienfrage. Er sah darin eine Möglichkeit, „die Spekulation mit Grundvermögen“607 zu verhindern und so eines der Phänomene zu beseitigen, das die Gemeinnützigen und die Gewerkschaften seit Jahr und Tag als eines der Hauptprobleme des Wohnungseigentums betrachtet hatten. Auch in einer weiteren Hinsicht war der Wohnbesitzbriefinhaber einem „echten“ Eigentümer nicht gleichgestellt: Im Gegensatz zu einer Eigentumswohnung war der Wohnbesitz-

603 NH-Wohnbesitzbrief. Eigentumsbildung in Arbeitnehmerhand, Vorlage AA NHH/NHS 25.11.1971, StA HH, 622–2 Cordua 131, S. 3. 604 Bericht der Bundesregierung zur Neuen Heimat vom 23. Oktober 1985, in: Kunz 2003, S. 519–523 u. S. 539–541, hier S. 522. 605 Zu allen diesen Kritikpunkten vgl. Ludwig Trippen, Perspektiven der Vermögensbildung. Die Bedeutung für die Wohnungswirtschaft, GWW 25.1972, S. 624–628, bes. S. 625 f. 606 NH-Wohnbesitzbrief. Eigentumsbildung in Arbeitnehmerhand, Vorlage AA NHH/NHS 25.11.1971, StA HH, 622–2 Cordua 131, S. 2 f. 607 Zit. nach Scheiner/Schmidt 1974, S. 88.

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5. „Wenn Sie wollen, können Sie bei uns eine komplette Stadt bestellen“

brief nicht verpfändbar und konnte deshalb auch nach Tilgung aller Fremdmittel nicht als Sicherheit für ein Darlehen dienen.608 Die Vorteile der Konstruktion waren demgegenüber wesentlich weniger deutlich. Die Unternehmensgruppe verwies vor allem darauf, daß für den Erwerb des Wohnbesitzbriefes ein geringerer Eigenkapitalanteil notwendig war als für den Erwerb einer Eigentumswohnung. Während dieser bei einer durchschnittlichen öffentlich geförderten Eigentumswohnung 1975 bei etwa 23% lag, sollte er beim Wohnbesitzbrief, wie bereits dargelegt, nur etwa 10–15% betragen. Allerdings war der Durchschnittssatz nicht unbedingt maßgeblich; so erlaubte das II. Wohnungsbaugesetz auch die Förderung von Eigentumswohnungen, bei denen eine Eigenleistung von 15% oder weniger vorgesehen war.609 Da ansonsten die laufenden Belastungen genauso hoch lagen wie im Falle einer Eigentumswohnung, war der finanzielle Vorteil, den die Wohnbesitzwohnung brachte, unter Umständen marginal. Viele Fachleute sahen deshalb „keinen überzeugenden Grund, der dagegen spricht, unter der gleichen finanziellen Beteiligung, die man im Wohnbesitzbriefmodell der Neuen Heimat vom Mieter erwartet, eine normale Eigentumswohnung zu finanzieren.“610 Selbst bei den Gewerkschaften waren die Pläne der NH aus diesem Grund nicht unumstritten. Trotz dieser vielfältigen Kritik stieß der Wohnbesitzbrief aber in der politischen Arena auf breite Resonanz. Das lag daran, daß seine Vorstellung – ähnlich wie die des Hausbesitzbriefes zehn Jahre zuvor – zu einem Zeitpunkt erfolgte, zu dem die Frage der Vermögensbildung ein viel diskutiertes innenpolitisches Thema darstellte. Erst ein Jahr zuvor hatte die sozialliberale Koalition das Dritte Vermögensbildungsgesetz verabschiedet, und just zum Zeitpunkt der öffentlichen Präsentation des Wohnbesitzbriefes befanden sich die im Bundestag vertretenen Parteien in einer Art Wettlauf um das Ziel, „sich selbst als die jeweils ‚besseren‘ Verfechter der Wohneigentumsförderung“ – insbesondere der Wohnungseigentumsförderung für einkommensschwächere Bevölkerungskreise – „auszuweisen“.611 Die CDU-Opposition hatte in diesem Sinne Anfang 1972 einen Entwurf für ein Gesetz vorgelegt, das den Ausbau der traditionellen Eigentumsförderung anstrebte und zu diesem Zweck verstärkte staatliche Hilfen zur Aufbringung von Eigenkapital vorsah.612 Die Regierung suchte nach Möglichkeiten, diesem Vorschlag ein eigenes Modell entgegenzusetzen – und stieß dabei auf den Wohnbesitzbrief: Unter explizitem Rückgriff auf die Vorschläge der NH legte Lauritzen im März dessel608 Vgl. ebd., S. 89 und Schmittgen 1978, S. 310 ff. 609 Vgl. Krummacher 1978, S. 346. 610 Ludwig Trippen, Perspektiven der Vermögensbildung. Die Bedeutung für die Wohnungswirtschaft, GWW 25.1972, S. 624–628, hier S. 626. Vgl. auch Schmittgen 1978, S. 308 f. 611 Krummacher 1978, S. 352 (Hervorhebung im Original unterstrichen). Dieser Wettlauf der Parteien um eine möglichst großzügige Sozialpolitik ist im gleichen Zeitraum auch auf anderen Feldern zu beobachten, vgl. Manfred G. Schmidt, Sozialpolitik in Deutschland. Historische Entwicklung und internationaler Vergleich (Grundwissen Politik Bd. 2), Opladen 21998, S. 97; Wiemers 1999, S. 158 f. sowie Hans Günther Hockerts, Vom Nutzen und Nachteil parlamentarischer Parteienkonkurrenz. Die Rentenreform 1972 – ein Lehrstück, in: Karl Dietrich Bracher u. a. (Hg.), Staat und Parteien. Festschrift für Rudolf Morsey zum 65. Geburtstag, Berlin 1992, S. 903–934. 612 Vgl. Krummacher 1978, S. 341.

5.3 Produktstrategien im Zeichen der Strukturpolitik

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ben Jahres einen Entwurf für ein „Wohnbesitzgesetz“ vor, das in allen wesentlichen Punkten den Plan der Unternehmensgruppe übernahm.613 Dieses Modell hatte gegenüber dem CDU-Vorschlag einen entscheidenden Vorteil: Es war annähernd kostenneutral zu verwirklichen. Die gesetzliche Regelung sollte nur dazu dienen, eine Eigentumsform rechtlich zu sanktionieren, die wirtschaftlich auch ohne diese Regelung tragfähig gewesen wäre. Allenfalls durch die Klarstellung einiger steuerrechtlicher Details, die dem Wohnbesitzbrief für die Vergabe öffentlicher Förderungsmittel die gleichen Sondervergünstigungen zuerkennen sollte, wie sie bis dahin dem Familienheim und der Eigentumswohnung vorbehalten waren, war mit diesem Entwurf noch eine materielle Förderung verbunden.614 Es war schon aus diesem Grunde recht unwahrscheinlich, daß die NH, wie einige Kritiker vermuteten, ungebührlichen Einfluß auf die Gesetzgebung genommen hatte.615 Dennoch mußte der Regierungsentwurf einige Kritik einstecken. Zum einen argumentierten seine Gegner, daß vor allem die großen Bauträger von dem Gesetz profitieren würden und den Eigenkapitalgebern keine adäquaten Gegenleistungen geboten würden; vor allem aber kritisierten sie – wie auch schon bei der erstmaligen Vorstellung des Entwurfs der NH – die vermeintliche Eigentumsfeindlichkeit dieses Vorhabens.616 Aufgrund der heftigen Auseinandersetzungen über diese Frage konnte das Gesetz erst sechs Jahre später verabschiedet werden – nach dreimaliger Beratung im Vermittlungsausschuß.617 Wenn das Gesetz also tatsächlich, wie die Kritiker vermuteten, als Hilfestellung für die Unternehmensgruppe geplant war, dann kam es viel zu spät. Schließlich war die Eigenkapitalproblematik, die aus der Sicht der NH den Anstoß für die Überlegungen zum Wohnbesitzbrief gegeben hatte, schon seit 1970 virulent. Bei der Verabschiedung des Gesetzes 1976 hatte die Unternehmensgruppe deshalb schon längst begonnen, Wohnbesitzbriefwohnungen auch ohne staatliche Förderung zu bauen und auf den Markt zu werfen. Die erste solche Anlage, die 1974 von der NH Nordrhein-Westfalen fertiggestellt wurde, scheint recht erfolgreich gewesen zu sein; insgesamt war es der Wohnbesitzbrief allerdings nicht.618 Bis 1976 errichtete die Unternehmensgruppe nur rund 300 solcher Wohnungen. Das war nicht einmal ein Prozent ihrer Gesamtfertigstellungen in diesem Zeitraum. Wesentliche neue Impulse für die Eigenkapitalbeschaffung gingen von diesen Minimalzahlen nicht aus. Auch als das Gesetz schließlich doch noch verabschiedet wurde, konnte es nicht mehr verhindern, daß der Wohnbesitzbrief ein Flop wurde. „Von wenigen Ausnahmen abgesehen“, so resümierte die 613 614 615 616

Vgl. ebd. sowie Peters 1984, S. 212 f. Vgl. Handelsblatt, 18./19.4.1975. Vgl. Krummacher 1978, S. 344 und PUA HH, S. 604. Vgl. Vermerk über den gegenwärtigen Sach- und Verfahrensstand bei der Verabschiedung des Entwurfs eines Gesetzes zur Förderung von Wohnungseigentum und Wohnbesitz im sozialen Wohnungsbau, 13.5.1974, BAK B 102 Bundesministerium für Wirtschaft 170434 (Dauerwohnrecht durch Wohnbesitzbrief), S. 3 sowie Rheinische Post, 11.4.1975. 617 Zur Verabschiedung und zum Inhalt des Gesetzes vgl. Schmittgen 1978, S. 300 ff.; Krummacher 1978, S. 340 ff. sowie Geert Becker, Gesetz zur Förderung von Wohnungseigentum und Wohnbesitz im sozialen Wohnungsbau, NHM 1976,10, S. 15–19. 618 Vgl. JB 1974/75, S. 65.

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5. „Wenn Sie wollen, können Sie bei uns eine komplette Stadt bestellen“

Bundesregierung 1985, „wurde diese Zwitterlösung nicht angenommen“.619 Noch im selben Jahr kassierte sie das bereits völlig bedeutungslos gewordene Gesetz wieder ein. Die Ursache für diesen Mißerfolg lag allerdings nicht primär in den Details der Konstruktion des Wohnbesitzbriefes, sondern darin, daß das expansive Potential des Wohnungsbaus zum Zeitpunkt seiner Einführung an seine Grenzen stieß. 1973/74 kippte der Wohnungsmarkt vollständig um und trat in eine neue Entwicklungsphase ein. Das kostete zum einen den Wohnbesitzbrief seine Marktchancen; und es war zum anderen für die Unternehmensgruppe auch über den Wohnbesitzbrief hinaus von großer Bedeutung. Das ist der Gegenstand des nächsten Kapitels. An dieser Stelle ist zunächst noch zusammenfassend festzuhalten, daß die NH seit 1966/67 eine neue Auffassung vom Wohnungs- und Städtebau entwickelte, die dessen Grundlagenfunktion für wirtschaftliches Wachstum und sozialpolitischen „Fortschritt“ betonte. In diesem Rahmen begriff sie ihre eigene Rolle als die eines „Instruments gewerkschaftlicher Strukturpolitik“. Bei konsequenter Anwendung erzwang dieses Selbstverständnis geradezu eine Expansion in neue Märkte, um so die Sicherung wirtschaftlichen Wachstums durch städtebauliche Maßnahmen im weitesten Sinne zum Gegenstand der Unternehmenspolitik machen zu können. Der breite Konsens unter den politischen Eliten über die strukturpolitische Funktion des Städtebaus ermöglichte es der NH dabei, diese Expansion auch organisatorisch abzusichern. Mit zwei eng aufeinander Bezug nehmenden Elementen, der Gründung des Parallelkonzerns NHS 1969 und der Zentralisierung der Entscheidungsfindung durch die Umstrukturierung 1970/71, löste der Vorstand die Unternehmensgruppe endgültig aus den Beschränkungen des WGG heraus. Da die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen und vor allem die Ausdehnung der staatlichen Aufgaben gleichzeitig die Aufnahmefähigkeit der Märkte für die von der NH angebotenen Dienstleistungen sicherten, konnte sie mit den Stadtsanierungen und den Großsiedlungen in großem Stile Aktivitäten entfalten, die im Sinne ihrer politischen Ideologie Maßstäbe setzten. Es gelang der Unternehmensgruppe in diesem Zeitraum deshalb ähnlich wie in den fünfziger Jahren sehr gut, ihre Produktpolitik, ihre Unternehmensorganisation und ihre Legitimationsstrategie so in Übereinstimmung zu bringen, daß aus ihren politischen Zielsetzungen keinerlei zusätzliche Transaktionskosten, sondern eher noch zusätzliche Impulse für die Erhaltung ihrer Rentabilität hervorgingen. Dieses Ende der sechziger Jahre etablierte „politisch-organisatorische Modell“ der NH war allerdings sowohl in betriebswirtschaftlicher Hinsicht als auch hinsichtlich seiner Legitimationsbasis voll und ganz um die Annahme herum konstruiert, immerwährendes Wachstum sei wünschbar und machbar. Schon seit Beginn der siebziger Jahre war abzusehen, daß diese Annahme auf schwankendem Grund stand. 1973/74 wurde sie hinfällig.

619 Bericht der Bundesregierung zur Neuen Heimat vom 23. Oktober 1985 (Schneider-Bericht), in: Kunz 2003, S. 519–523, hier S. 522.

6. KRISE VOR DEM FALL (1973–1982) 6. KRISE VOR DEM FALL

6.1 DER WOHNUNGSBAU IM UMBRUCH 6.1.1 Marktbedingungen und Absatzstrategien im Zeichen der Sättigung 6.1.1.1 Die „Ölkrise“ und die Kritik an der Architektur der Moderne Das Jahr 1973 brachte nicht nur für die Bundesrepublik, sondern für die gesamte westliche Welt die neben der „Wende“ 1989/90 wohl bedeutendste Zäsur der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts.1 In das kollektive Gedächtnis hat sich diese Zäsur in erster Linie als Folge eines ökonomischen Schocks eingeprägt, der der „Ölkrise“, also dem sprunghaften Anstieg der Ölpreise nach dem Ausbruch des Yom-Kippur-Krieges im Oktober 1973 zugeschrieben wird.2 In Westdeutschland war dieser ökonomische Schock allerdings kein isoliertes, plötzlich hereinbrechendes Ereignis. Vielmehr bildete er den Höhepunkt einer schon seit Beginn der siebziger Jahre absehbaren Überlastung der Produktionsfaktoren, die sich in einer stetigen Zunahme der Inflationsraten niederschlug. Diese Entwicklung gab einen deutlichen Hinweis darauf, daß die Bundesrepublik zu diesem Zeitpunkt am Ende ihrer außerordentlichen Nachkriegsprosperität angelangt war. Die Ölpreiskrise war also nur die Spitze eines Eisberges. Hinter ihr verbarg sich ein fundamentaler struktureller Umbruch in der Entwicklung der deutschen Wirtschaft.3 Für die NH war diese ökonomische Zäsur, wie noch zu zeigen sein wird, von zentraler Bedeutung. An dieser Stelle soll allerdings zunächst die Tatsache im Vordergrund stehen, daß sich der epochale Charakter des Einschnitts der Jahre 1973/74 nicht nur auf die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen, sondern auch auf die sozialkulturelle Entwicklung und die politische Kultur erstreckte.4 Tatsächlich brachte die Zäsur auch „eine grundsätzliche Wende gegen den Glauben an uneingeschränkte Machbarkeit, gegen technokratische Zukunftsplanung und auch gegen die unhinterfragte Orientierung an wirtschaftlichem Wachstum“ mit sich. „An die Stelle von Rationalismus und Planbarkeit traten Kontingenz und Eigendynamik, an die Stelle der Steuerbarkeit der Welt trat ihre Unbeherrschbarkeit.“5 Dies war allerdings nicht alleine eine Folge der Krise. Vielmehr war der Wachstumsglaube schon seit Beginn der siebziger Jahre international in die Kritik geraten, wie etwa der 1972 veröffentliche Bericht des Club of Rome mit seinem schlagwortartigen 1 2

3 4 5

Vgl. Eric J. Hobsbawm, Das Zeitalter der Extreme. Weltgeschichte des 20. Jahrhunderts, München/Wien 1995, S. 20 u. S. 503 ff. Vgl. Jens Hohensee, Der erste Ölpreisschock 1973/74. Die politischen und gesellschaftlichen Auswirkungen der arabischen Erdölpolitik auf die Bundesrepublik Deutschland und Westeuropa (Historische Mitteilungen Beiheft 17), Stuttgart 1996, hier v. a. S. 66 ff., 109 ff. u. S. 236 ff.; Prollius 2006, S. 180 ff. sowie Wolfrum 2006, S. 335 ff. Vgl. Abelshauser 2004, S. 420 ff.; Harm G. Schröter, Von der Teilung zur Wiedervereinigung 1945–2004, in: North 2005, S. 356–426, hier S. 357 f. u. S. 388 ff. sowie Schanetzky 2007, S. 37 ff. Vgl. Rödder 2004, S. 49 sowie in breiterer Perspektive Görtemaker 1999, S. 597 ff. Rödder 2004, S. 50.

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6. Krise vor dem Fall

Titel von den „Grenzen des Wachstums“ deutlich machte.6 Allerdings münzte die Krise diese abstrakten Überlegungen in greifbare Alltagserfahrungen um – am deutlichsten am Beispiel der autofreien Sonntage, die in der Bundesrepublik zum Symbol der „Verletzlichkeit der westlichen Industrienationen“7 avancierten. Für die NH war das von großer Bedeutung, denn diese Krisenerfahrung war „ein zentraler Ansatzpunkt der Postmoderne mit ihrer Abkehr von funktionalistischem Rationalismus und einheitlichen Großformen zugunsten radikaler Pluralisierung“. Sie stellte damit auch „eine Zäsur in der Geschichte von Architektur, Stadtplanung und Siedlung dar“.8 Das betraf vor allem die beiden Bereiche, die den größten Symbolwert für die Idealbilder der späten sechziger und frühen siebziger Jahre gehabt hatten: den Großsiedlungsbau und die Stadtsanierung. Was die Sanierungstätigkeit betraf, so läßt sich diese Zäsur vor allem daran festmachen, daß sich die öffentliche Meinung seit etwa 1972/73 radikal gegen die Flächensanierungen zu kehren begann.9 Dabei waren es zunächst nicht die später vielgerühmten Bürgerinitiativen vor Ort, die sich als Träger dieses Stimmungsumschwungs profilierten, sondern in erster Linie eine intellektuelle Elite von Kritikern. Sie zeichnete sich dadurch aus, daß sie eben nicht aus jenen Stadtplanern, Architekten und Soziologen bestand, die die städtebauliche Diskussion in den späten fünfziger und frühen sechziger Jahren geprägt hatten. Das Paradebeispiel hierfür war die Literaturwissenschaftlerin Marianne Kesting. Im April und August 1972 veröffentlichte sie in der FAZ und im Deutschen Allgemeinen Sonntagsblatt zwei Artikel, die sich mit einem der Vorzeigeprojekte der NH, der Stadtsanierung in Hameln, befaßten.10 Sie griff das Konzept, das die Unternehmensgruppe aufgestellt hatte, frontal an – mit zwei Argumenten. Zum einen zog sie die grundlegenden Annahmen über die strukturpolitische Bedeutung der Flächensanierungen in Zweifel: Die Zielvorstellung der Sanierung, so Kesting, sei „der übliche ‚Entwicklungs‘-Gedanke“, also die „Steigerung der Wachstumsrate sowohl des Handels wie der Bevölkerung.“11 Sie hielt das nicht nur für schwierig umzusetzen, sondern für ganz und gar nicht erstrebenswert: Dieser Entwicklungsgedanke werde die Menschen, so schrieb sie mit Verweis auf „das Problem Umweltschutz“, „über kurz oder lang Kopf und Kragen kosten“.12 Zum anderen ging Kesting davon aus, daß das historische Ensemble der Hamelner Altstadt einen intrinsischen Wert besäße, der hinter dem Wert des von ihr so kritisch beurteilten Entwicklungsgedankens nicht zurückstehen müsse. Dabei unterstellte sie, daß dieser Aspekt bisher nur deshalb nicht zur Geltung gekommen sei, weil die Wohnungsunternehmen einseitige Profitinteressen verfolgt hätten und dabei auch noch vom Staat unterstützt worden seien. Es sei, so lautete ihr Argument, „nach den vom Städtebauförderungsgesetz aufgestellten Wohnungskriterien 6

Vgl. Franz-Josef Brüggemeier, Tschernobyl, 26. April 1986. Die ökologische Herausforderung, München 1998, S. 215. 7 Rödder 2004, S. 50. Vgl. auch Hohensee 1996, S. 143 ff. 8 Rödder 2004, S. 50 f. Vgl. auch Albers 1985, S. 35 ff. sowie Harlander 1999, S. 331 ff. 9 Vgl. Harlander 1999, S. 335 ff. 10 Vgl. FAZ, 1.4.1972 und Deutsches Allgemeines Sonntagsblatt, 27.8.1972. 11 Ebd. 12 Ebd.

6.1 Der Wohnungsbau im Umbruch

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natürlich einfacher, die nicht geschützten alten Häuser abzureißen, als an die modernen Wohnviertel heranzugehen. Und abgerissen werden muß in jedem Fall, denn wie sollte sonst die Bauwirtschaft belebt werden?“13 Dieser Tenor dominierte eine ganze Reihe von Presseveröffentlichungen, die in den folgenden Monaten zur Sanierung der Hamelner Altstadt erschienen.14 Auch das Fernsehen berichtete über den Fall. Im Sommer 1974 produzierte das ZDF eine Sendung, die inhaltlich auf die These hinauslief, daß die von den alliierten Bombern unversehrte Stadt nun, dreißig Jahre nach Kriegsende, die ausgebliebene Katastrophe nachholen würde und seit Anlauf der Sanierungsmaßnahmen „Trümmerflächen wie nach einem Bombenangriff“15 aufzuweisen habe. Auch über andere Sanierungsvorhaben berichteten überregionale Medien in ähnlicher Weise, während gleichzeitig die Bedeutung des Altbaubestandes als kulturelles Erbe verstärkt in den Vordergrund gerückt wurde – am sichtbarsten dadurch, daß der Europarat das Jahr 1975 zum „Europäischen Jahr des Denkmalschutzes“ erklärte.16 In den betroffenen Kommunen selbst gerieten die Flächensanierungen ebenfalls ins Gerede. Das hatte allerdings im Falle von Hameln verblüffend wenig mit denjenigen zu tun, die von den Sanierungsmaßnahmen unmittelbar berührt wurden. Zwar hatte das Städtebauförderungsgesetz einige Regelungen getroffen, mit denen die Beteiligung der Bürger an den Planungen sichergestellt werden sollte.17 So wurde beispielsweise in Hameln ein Sanierungsbeirat eingerichtet, an dem eine ganze Reihe von höchst unterschiedlichen Gruppierungen beteiligt war. Tatsächlich hielt sich der Einfluß dieses Beirates aber in engen Grenzen. Zum einen war er nicht als Entscheidungsgremium, sondern als Informations- und Diskussionsforum gedacht. Zum anderen aber waren die Kritiker der Flächensanierungen im Sanierungsbeirat in den ersten Jahren nur eine kleine Minderheit.18 Zwar begann sich dies mit den ersten Abrißmaßnahmen seit 1973 zu verändern; aber der eigentliche Umbruch in der Meinung der lokalen Öffentlichkeit war eine Folge der Diskussion in den überregionalen Medien. Vor allem die erwähnte Fernsehsendung des ZDF übte nachhaltigen Einfluß auf den weiteren Gang der Ereignisse aus. Ihre Produktion war von der Lokalpresse begleitet und ausgiebig diskutiert worden. Das ZDF wolle, so berichtete die Deister- und Weserzeitung im August 1974, Hameln als „Modellfall für ‚brutale Sanierung‘“19 an den Pranger stellen. Angesichts dieser Aussichten kippte die Stimmung in der Stadt: „Die Hamelner Öffentlichkeit war von der Einschätzung, die ihre Altstadtsanierung – bis dahin allseits als Modellfall Nr. 1 gefeiert – außerhalb erfuhr, schockiert.“20 Nun erst nahm der Rat der Stadt von den geplanten Flä13 Ebd. 14 Vgl. Gewos 1978(a), S. 158. 15 G. Kirchner, Von Münden bis Minden, Weserballade, Zweites Deutsches Fernsehen, April 1975, zit. nach ebd. 16 Vgl. Harlander 1999, S. 333 17 Vgl. Gaentzsch 1971, S. 39, S. 41 u. S. 46 ff. 18 Vgl. Gewos 1978(a), S. 156 f. 19 Deister- und Weserzeitung, 22.8.1974, zit. nach Gewos 1978(a), S. 160. 20 Ebd., S. 159. Die Einschätzung ebd., S. 65, nach der die externe Öffentlichkeit keine große Rolle gespielt habe, wird ebd., S. 158, effektiv widerlegt.

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6. Krise vor dem Fall

chensanierungen Abstand. Im Januar 1975 legte er den geplanten Totalabriß der „Kleinen Straße“ auf Eis. Bis zum September wurde ein neues Planungskonzept erarbeitet, das den Erhalt weiterer Straßenzüge beinhaltete und sehr viel stärker auf die Modernisierung von Einzelgebäuden abhob. Dieses Konzept wurde schließlich weitgehend in die Tat umgesetzt.21 Auch in anderen Städten, in denen die NH als Sanierungsträger tätig war, verlief die Diskussion in ähnlichen Bahnen. In Osnabrück wurde das Sanierungskonzept mehrfach modifiziert; in Stade die Zahl der abzureißenden Wohnungen auf der Altstadtinsel von 60 auf 18% reduziert; 22 und in Marburg, wo die NH Südwest zunächst ein Konzept entwickelt hatte, das den Abbruch von 70% der Altstadt vorsah, erarbeitete sie 1975 eine neue Sanierungsstrategie, die „eine erhaltende Erneuerung in Form von Modernisierung der Altbausubstanzen“ vorsah – „aufgrund“, wie die Planer der NH hervorhoben, „der Diskussion in der Öffentlichkeit“.23 Generell gab es also „um das Jahr 1973 herum einen Stillstand der Sanierungstätigkeit. Bis 1975 wurden überall modifizierte Konzepte erstellt, deren Inhalt besonders durch die Wende von der Flächensanierung zur erhaltenden Sanierung gekennzeichnet war.“24 Für die Unternehmensgruppe war dieser Umschwung allerdings weniger problematisch, als man vielleicht zu vermuten geneigt ist. Zwar sperrte sie sich zunächst gegen die sanierungspolitischen Anliegen der von Vietor so genannten „Romantiker“,25 die in ihren Augen die wirtschaftlichen Entwicklungschancen behinderten; aber weil sich bald die Aussichtslosigkeit dieser Argumentation abzeichnete, schwenkte sie schnell um – ein Schwenk, der ihr auch dadurch erleichtert wurde, daß der Gesetzgeber 1976 eine Modernisierungsförderung einrichtete, die besser auf die neuen Erfordernisse abgestimmt war als das den Geist der Flächensanierungen atmende Städtebauförderungsgesetz.26 Mit dieser Förderungsmöglichkeit im Rücken konnte sich die Unternehmensgruppe schnell auf die erhaltende Modernisierung einstellen. Sie entwickelte ein Verfahren zur Beurteilung der Erhaltungswürdigkeit und Modernisierungsfähigkeit von historischen Altbausubstanzen und widmete sich in der zweiten Hälfte der siebziger Jahre einer Reihe von Stadterneuerungmaßnahmen, die dem Klischee vom abrißwütigen Baugiganten kaum gerecht wurden.27 Neben den Umplanungen in Hameln, Osnabrück und Stade, die allesamt mit Preisen ausgezeichnet 21 Vgl. ebd., S. 65 sowie Wolfgang Galler/Joachim Schröpel/Richard Wehmeier, Altstadtsanierung Hameln: Erneuerung eines historischen Stadtkerns, NHM 1976,8, S. 14–25, hier v. a. S. 25. 22 Vgl. Wallenhorst 1993, S. 382 f. 23 B. Busacker/Diethlem Fichtner/B. Neuer, Marburg kämpft um seine Altstadt, NHM 1976,4, S. 15–25, hier S. 17. 24 Wallenhorst 1993, S. 384. 25 Protokoll Gewos-Arbeitstagung „Der Gemeinde-Sanierungsplan“, 6./7.1.1964, IGM ZwA 2/17 443, S. 4. Vgl. auch JB 1975/76, S. B 2 sowie Möglichkeiten und Grenzen der Wohnungsmodernisierung als Instrument der Stadtstrukturpolitik, NHM 1976,2, S. 20–23, hier S. 23. 26 Vgl. Krummacher 1978, S. 376 ff. 27 Vgl. überblicksartig JB 1980/81, S. B 11 sowie beispielhaft ebd., S. B 12 u. C 2 f.; JB 1973/ 74, S. 104 f., JB 1975/76, S. D 3 ff. sowie JB 1978/79, S. B 12 ff. u. S. C 12 ff.

6.1 Der Wohnungsbau im Umbruch

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wurden, waren dabei besonders die gelungenen Sanierungen in Marburg und in Flensburg erwähnenswert.28 Mit hohem Aufwand modernisierte die Unternehmensgruppe dort zahlreiche alte Innenstadtgebäude und rekonstruierte, was wenige Jahre zuvor noch undenkbar gewesen wäre, in Marburg sogar einige verfallene Fachwerkhäuser.29 Zwar geriet auch diese Vorgehensweise Ende der siebziger Jahre unter Beschuß, weil sie in den Ruch geriet, durch Luxussanierungen billigen Wohnraum zu vernichten.30 Aber vorläufig war die Unternehmensgruppe mit dem Umstieg auf die erhaltende Sanierung gut bedient, und zwar auch in materieller Hinsicht: Die von den Kritikern der Flächensanierungen geäußerte Vermutung, daß diese vor allem den Profitinteressen der Wohnungsunternehmen entgegenkamen, wurde nämlich durch die nun durchgeführten Stadterneuerungsmaßnahmen effektiv widerlegt. So war etwa die in Marburg durchgeführte Modernisierung deutlich teurer als die ursprünglich geplante Flächensanierung – was angesichts des Aufwands, mit dem zum Teil mehrere hundert Jahre alte Gebäude auf den Stand der Technik gebracht wurden, nicht allzu verwunderlich erscheint.31 Auch mit der erhaltenden Sanierung ließ sich also Geld verdienen, und schon 1978 hatte sie nach Meinung der NH „einen Rangstellenwert erreicht, der – nach Aufwand und Erfolg – wahrscheinlich bereits über dem der städtebaulichen Maßnahmen in förmlich festgelegten Sanierungs- und Entwicklungsgebieten liegt.“32 Problematischer war in dieser Hinsicht die Tatsache, daß sich auch bei den Großsiedlungen seit Beginn der siebziger Jahre ein Umschwung in der öffentlichen Meinung abzuzeichnen begann. Eine wichtige Rolle spielten dabei die Frage der Mieten und der Sozialstruktur, auf die in anderem Zusammenhang noch einzugehen sein wird.33 Hinzu kam aber auch eine ästhetische Kritik, die jenen Funktionalismus aufs Korn nahm, der für die Gestaltung der Großsiedlungen von zentraler Bedeutung gewesen war. Die Befürworter einer „postmodernen Architektur“, die in Deutschland etwa zeitgleich mit der Ölkrise verstärkten Widerhall fanden, forderten, die Baukunst solle „wieder Bedeutungsträger werden, mehr sein als eine auf die bloße Funktion reduzierte Behälterarchitektur.“34 Als Reservoir für die hierfür nötigen Anregungen bezogen sie sich explizit auf die Baugeschichte und gerade auf die in den vorangegangenen Jahren verpönte Gründerzeit.35 Als Opposition gegen die als seelenlos geltenden Großsiedlungen war diese Haltung nicht nur unter Architekten, sondern auch in der veröffentlichten Meinung problemlos mehrheitsfähig. Schon 1969 hatte der SPIEGEL unter dem Titel „Es bröckelt“ eine beißende Kritik der Großsiedlungsarchitektur abgeliefert, und in den folgen-

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Vgl. JB 1980/81, S. B 10. Vgl. JB 1979/80, S. C 3. Vgl. Kap. 6.3.1.3 dieser Arbeit. Vgl. JB 1979/80, S. C 3. JB 1978/79, S. A 2. Vgl. Kap. 6.1.1.4 dieser Arbeit. Harlander 1999, S. 333. Vgl. auch Heinrich Klotz, Moderne und Postmoderne. Architektur der Gegenwart 1960–1980, Braunschweig/Wiesbaden 21986(b), S. 13 ff. 35 Vgl. ebd., S. 135 f. sowie Flagge 1999, S. 861 f.

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den Jahren schwoll die Debatte so stark an, daß sich die Bundesregierung in ihrem Städtebaubericht 1975 offiziell von Großsiedlungen lossagte.36 Auch die Unternehmensgruppe blieb von diesem Meinungsumschwung nicht verschont. Zwar führte sie begonnene Bauprojekte auch über die Schwelle der Jahre 1973/74 hinaus fort; aber die meisten von ihnen wurden durch Umplanungen an die neue Situation angepaßt. Das galt beispielsweise für Osterholz-Tenever am Stadtrand von Bremen. Äußerlich hatte dieses Projekt die funktionalistische Ästhetik des Großsiedlungsbaus auf die Spitze getrieben und sie damit in den Augen der Bremer Öffentlichkeit ad absurdum geführt: Der Weser-Kurier berichtete, daß „das Gebirge aus Beton und Stein“,37 je höher es wüchse, umso mehr beim Betrachter für Beklemmung sorge, und gab damit den Sorgen einer sich bildenden Front der Ablehnung Ausdruck, die die Gestaltung der Siedlung als Widerspruch zur Forderung der Bauherren nach einem humanen Städtebau empfanden. Diese Front der Ablehnung erhielt seit 1973 so schnell Zulauf, daß sich der Bremer Bausenator nach der Vollendung des ersten Bauabschnittes gezwungen sah, das Projekt vorerst zu stoppen und eine „Denkpause“38 anzuordnen. „Dabei“, so begründete er diesen ungewöhnlichen Schritt, „ergibt sich die Gelegenheit, sich einmal über den Begriff ‚Lebensqualität‘ Gedanken zu machen, den jeder im Munde führt. (...) Es erscheint eine Korrektur der bisherigen, auf stetiges Wachstum eingestellten Planungsprämissen erforderlich“.39 Diese Korrektur fiel im Falle von Osterholz-Tenever so aus, daß das Bauprogramm radikal zusammengestrichen wurde: Statt der ursprünglich geplanten 4.600 Wohnungen hatte die Siedlung bei ihrer Fertigstellung 1977 nur noch 2.600 Wohnungen aufzuweisen. Die grundsätzliche Anlage der Siedlung ließ sich allerdings nicht mehr verändern. Ihr abschreckendes Äußeres blieb erhalten und führte dazu, daß in den späten siebziger Jahren vereinzelt auch ein Abriß des Wohngebiets nicht mehr ausgeschlossen wurde.40 Dazu kam es zwar nicht, aber immerhin war die Ablehnung des Großsiedlungsbaus seit Mitte der siebziger Jahre stark genug, um etliche Projekte, die sich noch im Planungsstadium befanden, komplett in Frage zu stellen. Das prominenteste „Opfer“ dieses Meinungsumschwungs war die Großsiedlung Billwerder-Allermöhe. Zunächst als typische Trabantenstadt geplant, wurde sie im Juni 1976 vom Hamburger Senat auf Eis gelegt. Zwar konnte die NH Teile der für das Projekt vorgesehenen Grundstücke später doch noch bebauen, aber insgesamt entstanden dort statt der ursprünglich vorgesehenen 30.000 Wohnungen bis 1982 nur 490 Eigenheime.41 Diese Umwidmung und auch die enorme Reduzierung der Größenordnung des Projekts war typisch für das Schicksal jener Großsiedlungen, die sich 1973 zwar bereits in der Planung, aber noch nicht in der Durchführung befanden. Tatsächlich nahm die Unternehmensgruppe, nachdem sie seit Kriegsende knapp 36 37 38 39 40 41

Vgl. Es bröckelt, SPIEGEL 23.1969,6, S. 38–63 sowie Flagge 1999, S. 861. Weser-Kurier, 24./25.2.1973, zit. nach Wallenhorst 1993, S. 336. Ebd., S. 336. Weser-Kurier, 12.4.1973, zit. nach ebd. Vgl. ebd., S. 337 u. S. 339. Vgl. Braune 1984(b), S. 130; Hafner/Wohn/Rebholz-Chaves 1998, S. 147 sowie Flagge 1999, S. 884.

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90 Großbauprojekte durchgeführt hatte, von denen alleine 26 mehr als 2.000 Wohnungen umfaßten, seit 1975 kein einziges solches Bauvorhaben mehr in Angriff. Statt dessen verlagerte sich ihre Bautätigkeit seit diesem Zeitpunkt vollständig auf kleinere Projekte.42 6.1.1.2 Das Ende der „alten Wohnungsnot“ Es wäre allerdings falsch zu glauben, daß das Feuilleton der deutschen Tageszeitungen hier einen großen Sieg über die Wohnungsbaugesellschaften herbeigeschrieben habe. Denn weder die veränderte Wertschätzung des Altbaubestandes, die in der Neuformulierung der Sanierungskonzepte zum Ausdruck kam, noch die veränderte Haltung zum Großsiedlungsbau waren alleine auf einen kollektiven Sinneswandel zurückzuführen. Aus der Perspektive der NH war vielmehr ausschlaggebend, daß den Vorzeigeprojekten der frühen siebziger Jahre seit dem Einschnitt 1973/74 auch ökonomisch der Boden entzogen war. Sichtbar war dies vor allem daran, daß der Wohnungsbau Mitte 1973 in seine tiefste Krise seit der Gründung der Bundesrepublik stürzte. Diese Krise hatte ihre unmittelbare Ursache in dem außergewöhnlichen Boom, den der Wohnungsmarkt in den vorangegangenen Monaten erlebt hatte.43 Die Kapazitäten der Bauwirtschaft reichten kaum aus, um diesen Nachfrageschub zu befriedigen; rapide in die Höhe schnellende Preise waren die Folge. Da auch in anderen Wirtschaftszweigen ähnliche Überhitzungserscheinungen auftraten, hob die Bundesbank seit Ende 1972 das Zinsniveau drastisch an: Von 3 bzw. 4% im Oktober 1972 stiegen der Diskont- und der Lombardsatz stufenweise auf 7 bzw. 9% im Juli 1973.44 Doch damit alleine war die Inflationsgefahr nicht in den Griff zu bekommen. Im sogenannten „Zweiten Stabilitätsprogramm“ vom Mai 1973 ergänzte die Regierung diese geldpolitischen Maßnahmen deshalb mit einer Reihe von flankierenden Regelungen: Sie erhob eine (befristete) 11%ige Investitionssteuer, senkte die Einkommensgrenzen für die Erhebung des bereits bestehenden Stabilitätszuschlages und setzte einige Abschreibungsregelungen außer Kraft – unter anderem die § 7 bAbschreibungen für den Wohnungsbau.45 Die Folge dieser Maßnahmen war, daß sich der Wohnungsbau nochmals sprunghaft verteuerte. Zwischen 1972 und 1974 stiegen die monatlichen Kosten einer zu 85% mit Kapitalmarktmitteln finanzierten Durchschnittswohnung von 10,80 DM pro qm Wohnfläche auf 16 DM/qm.46 Damit überschritt die Kostenmiete im frei finanzierten Mietwohnungsbau endgültig die erzielbare Marktmiete, die zu diesem Zeitpunkt bei maximal 14 DM/qm lag. Auch im Eigenheim- und Eigentumswohnungsbau erhöhten sich die Kosten schlagartig. Im Frühsommer 1973 gab es deshalb erstmals ernsthafte Absatzschwierigkeiten – „zuerst im Bereich des 42 43 44 45

Vgl. Fuhrich 1984, S. 179 u. S. 366 f. Vgl. Kap. 5.3.3.1 dieser Arbeit. Vgl. JB 1973/74, S. 27. Vgl. Baring 1982, S. 574 ff.; Scherf 1986, S. 36; Weimer 1998, S. 238 f. sowie Abelshauser 2004, S. 421. 46 Vgl. JB 1974/75, S. 34.

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freien und steuerbegünstigten Mietwohnungsbaues, später beim Verkauf von Eigentumswohnungen und Eigenheimen und danach – in Ausnahmefällen – auch bei der Vermietung neuer Sozialwohnungen.“47 Konkret äußerten sich diese Absatzschwierigkeiten darin, daß die Wohnungsunternehmen seit Mitte 1973 hohe Leerstände unverkaufter bzw. unvermieteter Neubauwohnungen zu verzeichnen hatten. Offizielle Statistiken hierzu gibt es nicht, aber die NH schätzte ihre Zahl 1974 auf 300–400.000 – etwa 1,5% des gesamten Wohnungsbestandes.48 Für die Wohnungswirtschaft war das mit enormen finanziellen Aufwendungen verbunden: Alleine der Wert der Mitte 1974 leerstehenden unverkauften Eigenheime belief sich auf etwa 80 Mrd. DM; für sie waren jährlich etwa 2 bis 2,5 Mrd. DM an Zinszahlungen zu leisten.49 Neben diesen unmittelbaren Belastungen hatten die Absatzschwierigkeiten auch zur Folge, daß der Wohnungsneubau in sich zusammenbrach. Die Zahl der Baubeginne sank von 1972 auf 1974 um über 40%. Der frei finanzierte Mietwohnungsneubau kam praktisch vollständig zum Erliegen, und auch der öffentlich geförderte Mietwohnungsneubau war überdurchschnittlich betroffen: Er ging im gleichen Zeitraum um fast zwei Drittel zurück.50 Diese Entwicklung hatte für die Bauwirtschaft gravierende Konsequenzen. Sie wurde 1974/75 von einer riesigen Pleitewelle erfaßt. Allein im Bauhauptgewerbe mußten 1974 1.100 Betriebe Insolvenz anmelden – fast dreimal so viele wie noch zwei Jahre zuvor.51 Man konnte diese Entwicklung, wie die NH das tat, als eine Art reinigendes Gewitter betrachten, zumal sie sich Anfang 1976 wieder legte.52 Aber diese Perspektive übersah, daß sich hinter der akuten Krise ein struktureller Umbruch des Wohnungsmarktes verbarg, dessen Bedeutung weit über die Mitte der siebziger Jahre hinauswies. Das deutlichste Anzeichen hierfür waren die erwähnten Leerstände. Sie stellten in historischer Perspektive ein absolut außergewöhnliches Phänomen dar. Von vereinzelten Ausnahmen während der „Rezession“ von 1966/67 abgesehen, hatte es so etwas zuletzt 1914 gegeben – in dem letzten Jahr, in dem Deutschland global betrachtet einen ausgeglichenen Wohnungsmarkt aufzuweisen hatte.53 Seit diesem Zeitpunkt hatte das Land immer unter einem strukturellen Wohnungsdefizit, also unter einem Überschuß der Zahl der Haushalte gegenüber der Zahl der zur Verfügung stehenden Wohnungen, zu leiden gehabt. Zwar ist die Aussagekraft einer solch globalen Meßziffer angesichts der starken Fragmentierung des Wohnungsmarktes begrenzt; über die geographische oder soziale Verteilung der Wohnungen sagt sie nichts aus.54 Zweifellos diente sie aber als zentrale 47 48 49 50 51

JB 1973/74, S. 7. Vgl. JB 1974/75, S. 41. Vgl. Protokoll AR NH Nord, Ageka, NH Schleswig-Holstein, 1.8.1974, FZH 592–31 IV, S. 4. Vgl. JB 1974/75, S. 34. Vgl. Zur Lage in der Bau- und Wohnungswirtschaft, Vorlage AR NHH/NHS, 27.5.1975, StA HH, 622–2 Cordua 17, S. 3. 52 Vgl. ebd., S. 8. 53 Vgl. Führer 2000, S. 39 f. 54 Zu den methodischen Problemen einer angemessenen Bestimmung der Zahl der benötigten Wohnungen vgl. Wolfgang Glatzer, Wohnungsversorgung im Wohlfahrtsstaat. Objektive und subjektive Indikatoren zur Wohlfahrtsentwicklung in der Bundesrepublik Deutschland, Frankfurt a. M./New York 1980, S. 35 ff.

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Orientierungsmarke der Wohnungspolitik der Nachkriegszeit, und solange das globale Defizit fortbestand, war davon auszugehen, daß der Wohnungsbau einen außerordentlichen Nachholbedarf befriedigen mußte. Umgekehrt konnte man daher auch annehmen, daß die Bautätigkeit nachlassen würde, sobald diese Orientierungsmarke erreicht war. Genau dies war 1974 der Fall, denn einem Wohnungsbestand von 23,5 Mio. standen in diesem Jahr 23,5 Mio. Haushalte gegenüber.55 Hinter der krisenhaften Entwicklung des Wohnungsmarktes stand deshalb nicht nur der „Abschluß der fast 30-jährigen Aufbauphase nach 1945“,56 sondern vielmehr sogar der Abschluß einer Sonderentwicklung, die ihre Wurzeln bereits im Ersten Weltkrieg gehabt hatte. Bezieht man zudem noch die Frage nach dem Wohnungsstandard mit ein, so geht die Bedeutung dieser Zäsur selbst darüber noch hinaus. Denn ganz im Gegensatz zu den Jahren vor 1914 hatte die Bundesrepublik 1974 „nach allen statistisch meßbaren Qualitätsmerkmalen der baulichen Substanz der Städte und des Wohnungsbestandes (...) ein[en] – im weltweiten wie im europäischen Vergleich (...) hervorragenden Standard der Wohnversorgung der Bevölkerung und der Ausstattung unserer Städte und Gemeinden mit öffentlichen und privatwirtschaftlichen Infrastrukturbauten erreicht.“57 Sowohl hinsichtlich quantitativer als auch hinsichtlich qualitativer Maßstäbe war deshalb in diesem Jahr das Ende der spezifisch industriegesellschaftlich-urban geprägten, breite Bevölkerungsschichten betreffenden Wohnungsnot erreicht, die nicht erst seit 1945 oder seit 1914, sondern schon seit der Mitte des 19. Jahrhunderts das zentrale Problem der Wohnungsmärkte und auch den wichtigsten Bezugspunkt der gemeinnützigen Wohnungsunternehmen gebildet hatte. Schon aus diesem Grunde war seit Mitte der siebziger Jahre mit einer auch langfristig rückläufigen Wohnungsbautätigkeit zu rechnen. Zudem schwenkte nach der Krise auch das wirtschaftliche Wachstum dauerhaft auf ein niedrigeres Niveau ein, und die Tatsache, daß die Bevölkerungszahl langfristig stagnieren würde, trat verstärkt in das Bewußtsein der Öffentlichkeit. Die Nachfrage nach Wohnraum entwickelte sich deshalb in der zweiten Hälfte der siebziger Jahre stark rückläufig; die Zahl der Fertigstellungen sank von etwa 500.000 Wohnungen per annum im Durchschnitt der Jahre 1970 bis 1974 auf nur etwa 390.000 Wohnungen im Durchschnitt der Jahre 1975 bis 1980.58 Tatsächlich war es vor allem dieser Faktor, der den Flächensanierungen und dem Großsiedlungsbau zwischen 1973 und 1975 ein schnelles Ende bereitete. Die Sanierung von Hameln bildete ein gutes Beispiel: Denn während die öffentliche Kritik an den Plänen zur Flächensanierung, wie geschildert, bereits 1972/73 auf breiter Front einsetzte, begann die Stadt erst Anfang 1975, diese Pläne zu revidieren. Man könnte dies als die bei hochbürokratisierten Planungsvorgängen übliche 55 Vgl. Statistisches Jahrbuch für die Bundesrepublik Deutschland 1975, S. 63 u. S. 280; Bundesminister für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau (Hg.), Städtebaubericht der Bundesregierung, Bonn 1975, S. 13 sowie Ingrid Herlyn/Ulfert Herlyn, Wohnverhältnisse in der BRD, Frankfurt a. M./New York 1976, S. 44 f. 56 JB 1977/78, S. A. 57 JB 1976/77, S. A (im Original Nominativ: „hervorragender Standard“). Vgl. auch ebd., S. A 44 ff. sowie Herlyn/Herlyn 1976, S. 45 ff. 58 Vgl. JB 1980/81, S. A 8.

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Zeitverzögerung abtun, wenn nicht der Umplanung von 1975 bereits 1973 eine erste Umplanung vorangegangen wäre. Diese erste Umplanung, die zu einem Zeitpunkt entstand, zu dem die überregionale Kritik an dem Vorhaben bereits in vollem Gange war, sah zwar in einigen Details eine Reihe von Veränderungen vor, durch die die Abbruchquote von 36 auf 32% des Altwohnungsbestandes sinken sollte; aber sie beinhaltete mitnichten eine Abkehr von der Flächensanierung. Diese erfolgte erst zwei Jahre später mit der zweiten Umplanung.59 Was sich in der Zwischenzeit geändert hatte, war zwar auch die lokale Meinung. Aber die Tatsache, daß die lokalen Eliten nun – im Gegensatz zu 1973 – für die überregionale Kritik an den Flächensanierungen aufnahmefähig waren, lag nicht einfach nur an deren Intensivierung, sondern daran, daß aufgrund der radikal veränderten Rahmenbedingungen die mit der ursprünglichen Planung verbundenen Zielsetzungen hinfällig geworden waren. Denn zum einen führte „die wirtschaftliche Gesamtentwicklung Mitte der siebziger Jahre (...) zu einem unerwartet niedrigeren Bedarf an Einzelhandels- und Dienstleistungsflächen und trug dazu bei, daß Hameln in der Konkurrenz mit anderen Mittelzentren den ehemals angestrebten Zentralitätsgrad nicht erreicht[e]“; und zum anderen war „die Entwicklung auf dem Wohnungsmarkt (...) gekennzeichnet durch Sättigung im Sektor der Neubauwohnungen, so daß auch im Bereich der Hamelner Altstadt ein entsprechender Investitionsdruck von Bauträgern schwand. Erst auf diesem Hintergrund konnte sich die Wertschätzung des historischen Bestandes – ob bauhistorisch wertvoll oder nicht – entwickeln und auswirken.“60 Letztlich war es also nicht die veränderte Wertschätzung des Altbaubestandes, die für das Ende der Flächensanierungen den Ausschlag gab (wenngleich sie dieses Ende zweifelsohne beschleunigt haben dürfte), sondern die mit der Krise einhergehende strukturelle Verwerfung der Wirtschaft im allgemeinen und des Wohnungsmarktes im besonderen. Für den Großsiedlungsbau galt dieses Argument noch viel stärker.61 In Osterholz-Tenever beispielsweise war die NH regelrecht froh darum, daß der Bausenator ihr eine Zwangspause verordnete. Denn während die ursprünglichen Planungen davon ausgegangen waren, daß Bremen im Jahr 2000 etwa 800.000 Einwohner haben würde, deutete sich seit 1973 an, daß sich die Bevölkerungszahl der Stadt zukünftig womöglich rückläufig entwickeln würde. Diese Trendumkehr „stellte die Geschäftsgrundlage aller Stadtentwicklungsplanung völlig auf den Kopf“62 – und damit auch die Geschäftsgrundlage des Großsiedlungsbaus. Wollte die NH nicht das Risiko langfristiger Leerstände eingehen, so mußte sie ihr Bauprogramm zwangsläufig reduzieren. Die eigentliche Herausforderung, die sich den Wohnungsunternehmen seit der Krise 1973 stellte, war daher nicht der Umschwung der öffentlichen Meinung hinsichtlich des Großsiedlungsbaus oder der Flächensanierungen. Sie bestand vielmehr darin, daß sich die Bedingungen auf dem Wohnungsmarkt durch den Ausgleich des Wohnungsdefizits fundamental veränderten.

59 60 61 62

Vgl. Gewos 1978(a), S. 64 f. sowie Wallenhorst 1993, S. 382. Gewos 1978(a), S. 65 (meine Hervorhebung). Vgl. hierzu zusammenfassend Tessin 1987, S. 97. Wallenhorst 1993, S. 336 f.

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Dies wäre vielleicht weniger problematisch gewesen, wenn es sich auf den Rückgang des Wohnungsbaus beschränkt hätte. Tatsächlich wandelte sich aber auch die Struktur der Wohnungsnachfrage seit 1973/74 grundlegend. So war beispielsweise die alte Zielgruppe der Gemeinnützigen mittlerweile nicht mehr nur gut mit Wohnraum versorgt, sondern sie hatte zudem im Laufe des „Wirtschaftswunders“ so erhebliche Einkommenszuwächse erfahren, daß sich für sie nun die Möglichkeit ergab, sich in ihrem Konsumverhalten stärker individuellen Präferenzen und qualitativen Aspekten zuzuwenden.63 Diese Ausdifferenzierung der Nachfrage wurde noch dadurch befördert, daß sich die Industriearbeiterschaft als homogene Gruppe schon seit Anfang der sechziger Jahre Zug um Zug auflöste und zudem die „geschlossene Klein- und Kernfamilie“64 ihren Status als „Normalfall“ der Wohnungsnachfrage zusehends verlor. Zudem bedeutete der statistische Ausgleich des Wohnungsdefizits keineswegs, daß es auf dem Wohnungsmarkt seit diesem Zeitpunkt keine Probleme mehr gab. Vielmehr tauchten nun verstärkt neue, nur unzureichend mit Wohnraum versorgte Gruppen auf, die bis dahin noch gar nicht als autonome Faktoren der Nachfrage in Erscheinung getreten waren: Jugendliche und Studenten, alleinstehende Frauen und Männer, junge Paare, Lebensgemeinschaften sowie ausländische Familien, die von ihren in den sechziger Jahren als Gastarbeiter nach Deutschland gekommenen Vätern nachgeholt wurden. Sie waren es vor allem, die unter der sich bis Ende der siebziger Jahre herausbildenden „neuen Wohnungsnot“ zu leiden hatten.65 Diese „neue Wohnungsnot“ unterschied sich von der „alten“ Wohnungsnot in zweierlei Hinsicht: dadurch, daß sie nur bestimmte Minderheiten und „Randgruppen“, aber nicht die breite Masse der Bevölkerung betraf; und dadurch, daß sie teilweise überhaupt erst deshalb entstehen konnte, weil die „alte“ Wohnungsnot weitgehend behoben war.66 Denn erst der Erfolg der Wohnungsbaupolitik ermöglichte es Jugendlichen und Studenten, die zuvor typischerweise im Haushalt der Eltern gelebt hatten, sich auf die Suche nach einer eigenen Wohnung zu machen. Die „neue“ Wohnungsnot war also eine Wohnungsnot zweiter Ordnung, die ohne die Beseitigung der „alten“ Wohnungsnot gar nicht denkbar gewesen wäre. Es kann daher nicht verwundern, daß sich die durch sie induzierten Be63 Vgl. Schröter 2005, S. 390 sowie Peter Kramper, From Economic Convergence to Convergence in Affluence? Income Growth, Household Expenditure, and the Rise of Mass Consumption in Britain and West Germany, 1950–1974 (LSE Working Papers in Economic History 56), London 2000, S. 38 u. S. 53. 64 Saldern 1995, S. 253. Zur Heterogenisierung der Industriearbeiterschaft vgl. Josef Mooser, Arbeiterleben in Deutschland 1900–1970. Klassenlagen, Kultur und Politik, Frankfurt a. M. 1984, S. 228 f. 65 Zur zeitgenössischen Diskussion über die „neue Wohnungsnot“ vgl. zusammenfassend Renate Petzinger/Marlo Riege, Die neue Wohnungsnot. Das Wohnungswunder Bundesrepublik, Hamburg 1981; Deutscher Städtetag (Hg.), Neue Wohnungsnot in unseren Städten. Wohnungspolitische Fachkonferenz des Deutschen Städtetages am 4. und 5. März 1980 in München (Neue Schriften des Deutschen Städtetages Heft 41), Köln 1980 sowie die von der NH finanziell unterstützte, mit z. T. drastischem Bildmaterial illustrierte Dokumentation von Renate v. Forster/Jürgen Roth, Wie soll man hier leben? Wohnungsnot in der Bundesrepublik, Hamburg 1981. Zu den Ursachen vgl. Roland Buchheit, Soziale Wohnungspolitik? Sozialstaat und Wohnungsversorgung in der Bundesrepublik, Darmstadt 1984, S. 103 ff. u. S. 204 ff. 66 Vgl. JB 1980/81, S. A 3.

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dürfnisse stark von der durch die „alte“ Wohnungsnot geschaffenen Nachfrage unterschieden.67 Deshalb trug auch die „neue Wohnungsnot“ zu einer weiteren Ausdifferenzierung der Wohnungsmärkte bei. „Bis 1973“, so stellte die NH deshalb zusammenfassend fest, „war es richtig, aus der Mitte heraus zu denken (...). Der Massenwohnungsbau (...) [war] eindeutig von der Quantität geprägt. Der Umschlag von der Quantität in die differenzierte Qualität kam Mitte der 70er Jahre und hat sich bis Ende der 70er Jahre zunehmend beschleunigt“.68 Schließlich wurde diese Veränderung der Marktlage noch durch einen weiteren Faktor verstärkt: durch eine Kehrtwende der staatlichen Wohnungsbauförderungspolitik. Diese hing ebenfalls mittelbar mit der Ölkrise zusammen. Zum einen hatten die Krise und die anschließende Wachstumsschwäche die Bundesregierung gründlich ernüchtert und der Vorstellung einer umfassenden, auf optimales Wachstum ausgerichteten Strukturpolitik, in deren Rahmen auch dem Wohnungsbau eine wichtige Rolle zukam, dauerhaft die Grundlage entzogen.69 Zweitens schlugen die veränderten Rahmenbedingungen unmittelbar auf die öffentlichen Haushalte durch. Denn die öffentlichen Finanzen war bis Mitte der siebziger Jahre auf eine Volkswirtschaft ausgerichtet, die in der Geschwindigkeit wuchs, die man aus den fünfziger und sechziger Jahren gewohnt war. In der Krise türmten sich deshalb schnell strukturelle Haushaltsdefizite in einer Höhe auf, die eine Fortsetzung der bis dahin gepflegten Ausgabenpolitik unmöglich machte.70 Da drittens auch die sozialpolitische Notwendigkeit einer umfassenden Wohnungsbauförderungspolitik angesichts des Abbaus des strukturellen Defizits zusehends fraglicher wurde, war der Wohnungsbau einer der Bereiche, die als erste dem Rotstift zum Opfer fielen. „Wir können“, so argumentierte der mittlerweile zum Städtebauminister avancierte Karl Ravens 1975 in bemerkenswertem Gegensatz zu seiner drei Jahre zuvor artikulierten Auffassung, „den Grund für eine öffentliche Förderung zukünftig nicht mehr allein darin sehen, daß überhaupt Wohnungen gebaut werden. Der vorhandene Angebotsüberhang wie auch der begrenzte Finanzierungsspielraum machen es notwendig, die Schwerpunkte künftig so zu setzen, daß vor allem den noch benachteiligten Gruppen unserer Bevölkerung geholfen wird.“71 Konkret erfuhr die staatliche Förderungspolitik deshalb seit diesem Zeitpunkt eine Reihe von Akzentverschiebungen. Neben der erwähnten stärkeren Gewichtung der Althausmodernisierung setzte die Bundesregierung nunmehr darauf, das Wohngeldsystem auszubauen und den sozialen Mietwohnungsbau nur noch in Bedarfsschwerpunkten fortzuführen. Andererseits verstärkte sie aber mit dem Wohnungseigentumsgesetz von 1976 ihr Engagement in der Eigenheimförderung.72 67 Vgl. Petzinger/Riege 1981, S. 44 ff. sowie ausführlich zu den Wohnbedürfnissen von Alleinerziehenden, Ausländern und anderen von der „neuen Wohnungsnot“ betroffenen sozialer Gruppen Kathrin Zapf, Haushaltsstrukturen und Wohnverhältnisse, in: Flagge 1999, S. 563– 614, hier S. 591 ff. 68 Indikatoren für den Wohnungsbau, Unterlage Beirat NHH, 6.11.1979, StA HH, 622–2 Cordua 161. 69 Vgl. Abelshauser 2004, S. 425; Schröter 2005, S. 393 ff. und Schanetzky 2007, S. 163 ff. 70 Vgl. Ullmann 2005, S. 201 ff. 71 Zit. nach Gewos 1990, S. 189. Zu der drei Jahre zuvor von Ravens vertretenen Meinung vgl. Kap. 5.3.3.1 dieser Arbeit. 72 Vgl. Gewos 1990, S. 220 und Krummacher 1978, S. 275.

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Das ließ sich insofern gut als sozialpolitische Errungenschaft verkaufen, als es auf einer Linie mit den Überlegungen zur Stärkung der Vermögenspolitik lag, die zum gleichen Zeitpunkt von allen Parteien angestellt wurden. Hinzu kam auch, daß die Bundesregierung nunmehr eine Auffassung vertrat, die als „Filtering-Theorie“ bekannt wurde: Sie war der Meinung, daß der Bau von Eigenheimen Umzugsketten auslösen würde, so daß die freigewordenen Wohnungen der Eigenheimkäufer den sozial Schwächeren zugute kämen.73 Unter Experten galt es allerdings als ausgemacht, daß das in der Praxis nicht annähernd so reibungslos funktionieren würde, wie es die Verfechter dieser Theorie behaupteten.74 Die Bundesregierung ließ sich durch diese Kritik allerdings nicht von ihrem Kurs abbringen, denn sie hatte für diesen nicht nur sozial-, sondern auch wirtschaftspolitische Beweggründe. Sie erhoffte sich von ihm eine Verbesserung der konjunkturpolitischen Wirkung des Wohnungsbaus: Da die Eigenkapitalquote des Eigenheimbaus regelmäßig über der des Mietwohnungsbaus lag, war mit dem gleichen Einsatz an Förderungsmitteln ein stärkerer Wachstumsimpuls verbunden.75 Die damit einhergehende Vernachlässigung des Mietwohnungsbaus führte dazu, daß sich gerade die Wohnungsversorgung einkommensschwächerer Gruppen in der zweiten Hälfte der siebziger Jahre eher verschlechterte als verbesserte.76 Andererseits war die Eigentumsbildung in den breiten Schichten der Bevölkerung – anders als noch in den sechziger Jahren – überaus populär. 77 Diese veränderte Wertschätzung führte in Kombination mit der verstärkten staatlicher Förderung dazu, daß der Eigenheimbau in der zweiten Hälfte der siebziger Jahre einen Boom erlebte, der selbst die Zahlen aus den späten fünfziger Jahren noch in den Schatten stellte. Von ihrem 1975 erreichten Tiefstand von 157.000 stieg die Fertigstellungsziffer in diesem Segment bis 1980 auf 208.000 Wohnungen an. Damit lag sie weit über dem Höchststand der fünfziger Jahre und nur um etwa 1.500 Einheiten hinter dem historischen Hoch aus dem inflationären Boom des Jahres 1973.78 Das war um so bemerkenswerter, als sich der Wohnungsbau insgesamt zwischen 1975 und 1980 massiv rückläufig entwickelte. Der Anteil des Eigenheimbaus an den Gesamt-Fertigstellungen stieg deshalb sprunghaft an. Während er 1973 noch bei 29,4% gelegen hatte (die Vergleichszahl für die fünfziger Jahre lag bei etwa 25– 28%), belief er sich 1975 bereits auf 36%. Seit 1978 übertraf die Zahl der gebauten Eigenheime und Eigentumswohnungen sogar die der Mietwohnungen; 1980 lag ihr Anteil bei knapp 55%.79 Für die Gemeinnützigen war dies eine recht unerfreuliche Entwicklung. Denn sie waren seit 1945 vor allem auf die massenhafte Produktion eines relativ unifor-

73 Vgl. Häußermann/Siebel 2000, 148 ff. 74 Vgl. ebd.; Buchheit 1984, S. 190 ff. sowie die empirische Studie von Herbert Glasauer/Detlev Ipsen/Vera Lasch, Markt und Raum. Über die Verteilungswirkung staatlicher Wohnungspolitik, in: Prigge/Kaib 1988, S. 142–156, die die „Filtering-Theorie“ effektiv widerlegt. 75 Vgl. Krummacher 1978, S. 285. 76 Vgl. JB 1980/81, S. A 2 sowie Buchheit 1984, S. 105 f. 77 Vgl. die bei Glatzer 1980, S. 158 ff. zusammengefaßten Umfrageergebnisse. 78 Vgl. JB 1980/81, S. A 10. 79 Vgl. ebd.

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men Produktes, der öffentlich geförderten Mietwohnung, ausgerichtet.80 Für die NH galt dies in besonderem Maße. Mit den neuen Marktbedingungen sah sie sich deshalb seit Mitte der siebziger Jahre einer großen Herausforderung gegenübergestellt. „Das ganze Selbstverständnis, sozusagen der Grund des eigenen Daseins, mußte neu definiert werden und sich in neuen Schwerpunkten der Geschäftspolitik ausdrücken. Man kann es auch so interpretieren: Zu Beginn der siebziger Jahre hatte die (...) [Unternehmensgruppe] ihren wichtigsten ursprünglichen Zweck erfüllt (...). Ein radikaler Wandel wurde nötig“.81 6.1.1.3 Zögerliche Anpassung: Der Wohnungsneubau Bevor der Vorstand allerdings erste Überlegungen über eine Anpassung an die langfristig veränderten Marktbedingungen anstellte, stand zunächst die unmittelbare Krise im Mittelpunkt seiner Aufmerksamkeit. Als die Bundesregierung im Mai 1973 ihr Stabilitätsprogramm verkündete, war die Unternehmensgruppe mit einem Kreditengagement von rund 2,6 Mrd. DM einer der größten privaten Schuldner der Bundesrepublik.82 Besonders die Zinserhöhungen der Bundesbank mußten sie deshalb hart treffen. Das galt vor allem für den gemeinnützigen Konzernteil, auf den über 90% der Verschuldung der Unternehmensgruppe entfielen. Etwa die Hälfte dieser Kredite ging auf das Konto der Finanzierung des Grundstücksbestandes, während die andere Hälfte überwiegend dem Wohnungsneubau sowie zu einem kleinen Teil der kurzfristigen Unternehmensfinanzierung diente.83 Was die Neubaufinanzierung betraf, so führte die mit dem steigenden Zinsniveau einhergehende Kreditverteuerung dazu, daß sich die ohnehin bereits über der Marktmiete liegenden Kostenmieten weiter verteuerten. Die einzige Möglichkeit, sich angesichts dieser Entwicklung vor Leerständen zu schützen, war eine drastische Reduzierung des Neubaus. Waren die gemeinnützigen Konzerngesellschaften 1972 noch auf 18.700 und 1973 immerhin noch auf 17.800 Fertigstellungen im Wohnungsbau gekommen, so mußten sie nun hinnehmen, daß diese Ziffer 1974 auf 14.600, 1975 auf 11.900 und 1976 auf nur noch auf 10.925 Einheiten sank – ein Rückgang um 42% innerhalb von fünf Jahren.84 Noch größeres Kopfzerbrechen bereitete dem Vorstand allerdings die Frage der Finanzierung des Grundstücksbestandes. Um ihr Bauprogramm ungehindert durchführen zu können, hatte die Unternehmensgruppe seit Ende der fünfziger Jahre eine großzügig angelegte Grundstücksvorratspolitik betrieben. Ende 1974 saß die NHG deshalb auf 31.300 ha unbebauten Flächen, deren Buchwert sich auf

80 Vgl. Wolfgang Vormbrock, Produktionsplanung in der Wohnungswirtschaft, NHM 1976,7, S. 14–21, hier S. 15. 81 Wallenhorst 1993, S. 350. 82 Vgl. Protokoll AA NHH/NHS, 17.5.1973, DGBA-BV, Abt. Finanzen, 24/478, S. 10. 83 Vgl. ebd. 84 Vgl. JB 1973/74, S. 73; JB 1974/75, S. 53; JB 1975/76, S. C3 sowie JB 1977/78, S. B 5. Die Angaben weichen von den im Anhang, Tabelle 1 genannten Zahlen ab, weil dort die der NHS zufallenden Wohnungsbauten eingerechnet sind.

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etwa 1,4 Mrd. DM belief.85 Da dieser Grundstücksvorrat zu fast 100% kreditfinanziert war, kam das steigende Zinsniveau die Unternehmensgruppe teuer zu stehen: jede Zinserhöhung um 1% bedeutete Mehraufwendungen von ca. 14 Mio. DM pro Jahr. Auch als das Zinsniveau nach überstandener Krise zeitweise wieder absank, blieb der Grundstücksbestand eine große Belastung, denn er war ursprünglich in der Erwartung angelegt worden, jährlich etwa 15–20.000 Wohnungen errichten zu können. Mit der in der zweiten Hälfte der siebziger Jahre dauerhaft niedrigeren Neubautätigkeit verlängerte sich deshalb auch der Zeitraum, den diese Grundstücke von der Unternehmensgruppe gehalten und finanziert werden mußten, weit über das kalkulierte Maß hinaus. Während die NH Ende der sechziger Jahre noch davon ausgegangen war, zwei Drittel ihres Grundstücksvorrates innerhalb von zwei Jahren verwerten zu können, hatten sich die Aussichten bis 1977 erheblich verschlechtert:86 Nun rechnete der Vorstand damit, innerhalb von vier Jahren nur etwas mehr als die Hälfte des Grundstücksbestandes verwerten zu können, während 15% die Bilanz der Unternehmensgruppe voraussichtlich mehr als acht Jahre lang belasten würden.87 Hinzu kam auch ein Anstieg des Risikos, Grundstücke gar nicht verwerten zu können, weil die NH zum Teil Ackerland gekauft hatte, das erst noch zu Bauland umgewidmet werden mußte. Das wichtigste Beispiel hierfür bildete der Fall Keferloh, wo die Unternehmensgruppe auf einem Grundstück von ca. 570 ha sitzen blieb, weil sie wider Erwarten die Gemeinden Grasbrunn und Haar in der Nähe von München nicht dazu hatte überreden können, das Gebiet als Bauland auszuweisen.88 Der Fall geriet im Zuge des Skandals 1982 in die Schlagzeilen, weil die NH das Grundstück ursprünglich nicht selbst erworben hatte, sondern lediglich gegenüber der Terrafinanz eine Kaufverpflichtung eingegangen war, die sie 1976 mit finanziellen Nachteilen in der Größenordnung von ca. 60 Mio. DM realisieren mußte. Das war zum einen WGG-rechtlich unzulässig und begünstigte zum anderen die Besitzer der Terrafinanz, weil es sie von drohenden Verlusten freihielt – und diese Besitzer waren allesamt ehemalige Vorstandsmitglieder oder Mitarbeiter der NH.89 Im Kern war der Fall Keferloh allerdings nicht nur ein Beispiel für die krummen Geschäfte des Vorstandes, sondern auch ein Beispiel für die Belastungen, die der Unternehmensgruppe in der zweiten Hälfte der siebziger Jahre aus ihrer optimistischen Grundstückspolitik entstanden. Denn die mangelnde Verwertbarkeit des dortigen Grundstücks illustrierte das grundsätzliche Problem, daß die Erlangung des Baurechts in diesem Zeitraum zunehmend mit Schwierigkeiten verbunden war. Die Ursachen hierfür lagen in der Kombination der rückläufigen Neubautätigkeit mit komplizierteren Bebauungsplanverfahren und zunehmenden um85 Vgl. Unternehmensdaten. Unbebaute Grundstücke NH/NHS, o. D., StA HH, 622–2 Cordua 235. 86 Vgl. Protokoll AA NHH, 2.5.1968, IGM ZwA 2/17 280, S. 12. 87 Vgl. Grundstücksbestand der Unternehmensgruppe NEUE HEIMAT, 22.6.1978, StA HH, 622–2 Cordua 235, S. 1. 88 Vgl. PUA HH, S. 729 ff. 89 Vgl. ebd.; Das Geld lag auf dem Acker, SPIEGEL 36.1982,20, S. 34–47, hier v. a. S. 45 ff.; Kusch 1986, S. 45 f.; Ritter 1987, S. 123 ff. sowie Mehnert 1997, S. 66 f.

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weltpolitischen Debatten über die negativen Folgen der Erschließung neuer Flächen.90 Auch aus diesen Gründen entwickelte sich das Grundstücksgeschäft für die NHG zu einer permanenten Verlustquelle: Zwischen 1973 und 1980 konnte sie in dieser Sparte, die in den Jahren zuvor stets positiv zu Buche geschlagen hatte, wegen der steigenden Zinsen und der verlängerten Umschlagszeiten nicht ein einziges Mal ein positives Ergebnis verbuchen. Insgesamt addierten sich die Verluste aus den Grundstücksgeschäften, soweit sie bei der Konzernmuttergesellschaft anfielen, in diesem Zeitraum auf 28 Mio. DM; hinzu kamen noch die Fehlbeträge aus den Regionalgesellschaften, die zum Teil weitaus höher lagen.91 Gegen diese Belastungen konnte die NH nur wenig unternehmen; verkaufen ließen sich die angehäuften Flächen jedenfalls nicht so ohne weiteres. Um so wichtiger war es für die Unternehmensgruppe allerdings, ihre Produktpolitik so zu gestalten, daß sie einen möglichst großen Beitrag zur Verwertung der überschüssigen Vorräte und damit zum Abbau der Risiken leisten konnte. Von der traditionellen Domäne der NH, dem Mietwohnungsbau, gingen in dieser Hinsicht allerdings auch nach der Überwindung der akuten Krise keine wesentlichen Impulse aus. Zwar gelang es der Unternehmensgruppe, ihren Marktanteil in diesem Geschäftsbereich in der zweiten Hälfte der siebziger Jahre zu halten und sogar leicht auszubauen, aber insgesamt schrumpfte dieses Segment so stark, daß auch die Verbesserung der relativen Position einen massiven Rückgang der absoluten Neubauzahlen nicht verhindern konnte. Bis 1978 sank das Fertigstellungsergebnis der NH im Mietwohnungsbau (ohne das Auslandsgeschäft) auf 3.800 Wohnungen, und nach einer kurzen Erholung 1979/80 weiter auf schließlich nur noch 3.200 Einheiten 1982 – etwa ein Viertel der Zahl des Jahres 1973.92 Dieser starke Rückgang konnte nur bedeuten, daß die Unternehmensgruppe ihre Neubautätigkeit verstärkt auf den Ausbau des einzigen expandierenden Marktsegmentes, also des Eigenheimbaus ausrichten mußte. Dieses Ziel verfolgte der Vorstand seit der Jahreswende 1975/76.93 Er mußte dafür aber zunächst eine Reihe von Hindernissen aus dem Weg räumen. Die erste Herausforderung bestand darin, einen solchen Schritt mit der Programmatik des DGB in Übereinstimmung zu bringen. Als die Fertigstellungsziffern im öffentlich geförderten Wohnungsbau 1974/75 dramatisch zurückgegangen waren, hatten die Gewerkschaften darauf nämlich mit der Forderung reagiert, die staatliche Förderung des Mietwohnungsbaus zu forcieren. Auf dem 10. DGB-Bundeskongreß 1975 in Hamburg verabschiedeten sie einen Antrag, der die Aufstellung eines auf fünf Jahre angelegten Wohnungsbauförderungsprogramms forderte.94 In dessen Rahmen sollten jährlich 90 Vgl. Grundstücksbestand der Unternehmensgruppe NEUE HEIMAT, 22.6.1978, StA HH, 622–2 Cordua 235, S. 2; JB 1978/79, S. A 28 sowie Harlander 1999, S. 365 ff. 91 Vgl. PUA HH, S. 219. Zur Gesamthöhe der Verluste aus dem Grundstücksverkehr vgl. Kap. 6.1.2.2 dieser Arbeit. 92 Vgl. JB 1978/79, S. B 6; JB 1980/81, S. B 4 und GB NHH 1982, S. 9. 93 Vgl. Protokoll AR NHH/NHS, 28.11.1975, DGBA-BV, Abt. Finanzen, 24/2253, S. 6. 94 Vgl. Antrag 89, betr.: Entschließung zur Wohnungspolitik, Wohnungs- und Städtebauforschung, in: DGB-Bundesvorstand, Abt. Organisation (Hg.), Protokoll 10. ordentlicher Bundeskongreß Hamburg 25. bis 30. Mai 1975, o. O. 1975, Abschnitt „Anträge und Entschließungen“, S. 99–102, hier S. 99.

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200.000 öffentlich geförderte Wohnungsbauten des ersten Förderungsweges – also Mietwohnungen – errichtet werden. Dem zweiten Förderungsweg und dem eng mit ihm verbundenen Eigenheimbau hatten sie dagegen eine Absage erteilt.95 Als Reaktion auf eine kurzfristige Krise war dieser Beschluß nachvollziehbar; als langfristig angelegtes Konzept war er dagegen untauglich. Denn im Kern lief er auf die Forderung hinaus, das alte, vor 1970 erkennbare Muster des sozialen Wohnungsbaus – mit hohen Neubauziffern im Mietwohnungs- und niedrigen Fertigstellungsziffern im Eigenheimbau sowie einer Konzentration auf die Objektförderung – wiederherzustellen. Dies war angesichts des Umbruchs auf dem Wohnungsmarkt weder möglich noch sinnvoll. Das sah auch die NH so. Als der Vorstand nach und nach zu der Auffassung gelangte, daß der Wohnungsmarkt in eine neue Entwicklungsphase eingetreten war, begann Vietor deshalb, eine Politik zu propagieren, die den Beschlüssen des DGB diametral entgegenstand. „Nach dem Abbau der größten Wohnungsnot“, so führte er in einer im Oktober 1976 vor dem Wirtschaftsbeirat der bayrischen SPD gehaltenen Rede aus, sei „es möglich, die in den Notjahren notwendige Reglementierung und Steuerung zu mindern und die Überführung in eine sozial abgesicherte Wohnungsmarktwirtschaft anzustreben.“96 Konkret forderte er zum einen, die Neubauförderung auf Eigentumsmaßnahmen für mittlere Einkommensschichten zu konzentrieren – ein Ziel, das er mit der „Filtering-Theorie“ rechtfertigte. „Eine solche Art Förderung“, so behauptete er, habe „durchaus soziale Wirkungen.“ Man dürfe „die Dinge eben nicht zu eng betrachten“.97 Zum anderen verlangte er, die soziale Absicherung des Wohnungswesens statt über die Objektförderung ausschließlich über das Wohngeld zu organisieren. Wenn dies geschehe, so seine Argumentation, könne gleichzeitig auch das Problem der Mietpreisverzerrungen gelöst werden, und zwar durch die Einführung einer „Wohnwertmiete“ – eines Mietpreissystems, dessen Grundlage der nach bestimmten Kriterien zu ermittelnde Wohnwert, also Lage, Ausstattung, Größe usw. einer Wohnung, bilden sollte.98 Im Prinzip liefen Vietors Forderungen damit auf eine weitgehende Liberalisierung des Wohnungsmarktes hinaus, der nur noch mit marktkonformen Mitteln sozial abgesichert werden sollte. Damit war der DGB allerdings nicht einverstanden. Das zeigte sich, als Anfang 1977 Johann Wolfgang Werner, der Leiter der Zentralabteilung Wohnungsbau und Strukturpolitik bei der NH, den zuständigen Referenten des DGB, Alois Pfeiffer, dazu zu bewegen versuchte, einen offenen Brief zu unterstützen, den der Deutsche Verband für Wohnungswesen und Städtebau als Reaktion auf eine Regierungserklärung von Helmut Schmidt am 16. Dezember 1976 an die Bundesregierung schicken wollte. Der Verband begrüßte darin die „Neuorientierung in der Wohnungs- und Städtebaupolitik“99 und formulierte eine Reihe von Forderungen, die fast vollständig mit den wenige Wochen zuvor von Vietor geäußerten Ansich95 Vgl. ebd., S. 100 sowie Fuhrich 1984, S. 105. 96 Albert Vietor, Aufgaben und Ziele der Wohnungs- und Städtebaupolitik. Vortrag vor dem Wirtschaftsbeirat des SPD-Landesverbandes am 26.10.1976 in München, o. O., o. D. [1976], S. 3. 97 Ebd., S. 29. 98 Vgl. ebd., S. 12.

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ten übereinstimmten. Gegen diese Forderungen hatte der DGB große Bedenken, wie Pfeiffer in seiner Antwort an Werner ausführte. Er wandte sich gegen den Eindruck, „daß das System der öffentlichen Mietpreisbindung im sozialen Wohnungsbau prinzipiell in Frage gestellt werden soll“100 und widersprach der in dem offenen Brief vertretenen Ansicht, daß die erreichte soziale Absicherung ausreichend sei. Besonders die „Wohnwertmiete“ lehnte der DGB ab, weil er „sich nicht für eine Politik einsetzen könne, die zu einer generell höheren Belastung der Arbeitnehmereinkommen durch die Miete führt“.101 Und in Reaktion auf eine zweite Version des offenen Briefes, in der Werner einige Formulierungen geändert hatte, verwarf Pfeiffer auch die von der NH und dem Verband befürwortete Umstellung des Neubauförderungssystems. „Wenn ich dieses Konzept richtig verstanden habe,“ führte er aus, „soll der soziale Wohnungsbau alter Prägung praktisch aufgegeben werden und das Wohnungswesen in eine ‚sozial abgesicherte‘ Marktwirtschaft überführt werden (...). Ohne nochmals auf die Einzelheiten einzugehen, ist mir nach wie vor nicht klar, wie dies mit der Entschließung des 10. Ordentlichen DGB-Kongresses zur Wohnungspolitik, Wohnungs- und Städtebauforschung (Antrag 89) in Einklang zu bringen ist, wo Bund, Länder und Gemeinden aufgefordert werden, ein fünfjähriges Förderungsprogramm für den Bau von jährlich 200.000 Sozialwohnungen mit tragbaren Mieten verbindlich festzulegen.“102 Vor allem um diesen Punkt der Neubauforderungen entspann sich in den folgenden Monaten eine größere Debatte. Von Pfeiffer zu einer Stellungnahme aufgefordert, erklärte Vietor im Mai 1977, daß seiner Meinung nach auch in Zukunft 450–500.000 Wohnungen gebaut werden sollten. Gleichzeitig wies er aber darauf hin, daß die Förderung von 200.000 Sozialwohnungen von 1975 von Bund und Ländern finanziell nicht getragen werden könne.103 Nach einigen Diskussionen mußte die DGB-Spitze einsehen, daß Vietor wohl recht hatte: Das von ihr geforderte Fertigstellungsergebnis war seit 1975 nicht annähernd erreicht worden, und die Tendenz wies auch weiterhin deutlich nach unten.104 In der zweiten Jahreshälfte 1977 setzte der DGB deshalb zu einer teilweisen Revision des Beschlusses von 1975 an.105 Für den Laien war dies allerdings nicht ohne weiteres zu erkennen. Denn bei dem als Ergebnis dieser Revision auf dem 11. DGB-Bundeskongreß 99 Offener Brief des Deutschen Verbandes für Wohnungswesen, Städtebau und Raumordnung an den Deutschen Bundestag und die Bundesregierung und an die Parlamente und Regierungen der Bundesländer [Entwurf], o. D., DGBA-BV, Abt. Wirtschaftspolitik, 24/1208, S. 7. 100 Fernschreiben Pfeiffers an Werner, 13.1. 1977, DGBA-BV, Abt. Wirtschaftspolitik, 24/1208, S. 1. 101 Protokoll Ausschuß für Wohnungsbau, Städtebau und Raumordnung, 16.6.1977, DGBA-BV, Abt. Wirtschaftspolitik, 24/1208, S. 7. Auch Pfeiffer wies in seinem Brief darauf hin, daß der DGB der „Wohnwertmiete“ skeptisch gegenüberstehe, vgl. Fernschreiben Pfeiffers an Werner, 13.1.1977, DGBA-BV, Abt. Wirtschaftspolitik, 24/1208, S. 2. 102 Schreiben Pfeiffers an Werner, 28.1.1977, DGBA-BV, Abt. Wirtschaftspolitik, 24/1208, S. 1 f. 103 Vgl. Fragen zur Neuordnung der Wohnungspolitik an den Kollegen Albert Vietor, 31.5.1977, DGBA-BV, Abt. Vorsitzender, 5/DGAI 493, S. 1 u. S. 3. 104 Vgl. Protokoll Ausschuß für Wohnungsbau, Städtebau und Raumordnung, 16.6.1977, Anlage, DGBA-BV, Abt. Wirtschaftspolitik, 24/1208, S. 1. 105 Vgl. Vorentwurf eines Antrags zur Wohnungs- und Städtebaupolitik, 14.11.1977, DGBA-BV, Abt. Wirtschaftspolitik, 24/1208.

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1978 verabschiedeten Antrag zur Wohnungs- und Städtebaupolitik stach in erster Linie die Tatsache ins Auge, daß der DGB „die staatliche Ordnungs- und Ausgleichsfunktion auf dem Wohnungsmarkt“ als eine „Daueraufgabe“ bezeichnete und in demonstrativer Kontinuität zum DGB-Grundsatzprogramm von 1963 darauf beharrte, daß „eine Wohnungswirtschaft nach rein marktwirtschaftlichen Gesichtspunkten (...) dieser Forderung nicht gerecht“106 werde. In der Öffentlichkeit hatte der DGB damit seine traditionelle Position bekräftigt. Für Fachleute war allerdings rasch zu erkennen, daß der Antrag der NH in wichtigen Details die Möglichkeit gab, mit den Beschränkungen durch die Beschlüsse von 1975 zu brechen. Das läßt sich etwa an den Forderungen der Gewerkschaften zur Neubaupolitik zeigen, denn hier gaben sie sich nunmehr damit zufrieden, den Bau von 200.000 öffentlich geförderten statt 200.000 Sozialwohnungen zu verlangen.107 Dies war ein wichtiger Unterschied, denn anstatt den zweiten Förderungsweg in Bausch und Bogen zu verdammen, schloß ihn diese Formulierung in die Forderung nach 200.000 Neubauwohnungen ein. Damit einhergehend beurteilte der DGB jetzt auch die Eigentumsbildung positiv. 108 Und hinsichtlich der Frage einer Liberalisierung der Mietpreispolitik kam er der NH ebenfalls ein Stück weit entgegen. Zwar betrachteten die Gewerkschaften nach wie vor die Höhe des Einkommens und die Haushaltsgröße als „Maßstäbe für die zumutbare Mietbelastung“; aber daneben trat nun gleichberechtigt – in Anlehnung an die Forderung der NH nach Einführung einer Wohnwertmiete – auch die Wohnungsqualität. Zudem vertrat der DGB im Sinne des von der NH befürworteten Ausbaus der Subjektförderung die Auffassung, daß „Miethöchstbeträge und Einkommensgrenzen des Wohngeldgesetzes (...) der Entwicklung der Mieten zeitnah und flexibel anzupassen“109 seien. Insgesamt hatten DGB und NH also einen Kompromiß gefunden, der einer Neuausrichtung der Unternehmenspolitik – anders als der Beschluß des Jahres 1975 – keine Steine mehr in den Weg legte. Mit dieser programmatischen Freigabe im Rücken konnte die Unternehmensgruppe daran gehen, ihre Produktpalette auf die neue Situation einzustellen. Dabei stieß sie aber sogleich auf ein weiteres Problem: Ihr Produktionssystem hatte angesichts der veränderten Marktbedingungen große Nachteile. Denn die NH arbeitete ausschließlich nach dem System des Vorratsbaus. Sie erstellte also zuerst das Produkt und begann dann, einen Käufer dafür zu suchen. Zu Zeiten eines extremen Nachfrageüberhanges war diese Vorgehensweise unproblematisch, weil jederzeit auch solche Wohnungen verkauft werden konnten, die nicht hundertprozentig den Idealvorstellungen der Wohnungssuchenden entsprachen. Unter den Bedingungen eines ausgeglichenen Marktes und einer verschärften Konkurrenzsituation aber waren die Absatzchancen für suboptimale Produkte gleich null. Welches Risiko sich hier verbarg, hatte die Unternehmensgruppe in der Krise der Jahre 1973–1975 schmerzlich erfahren müssen, denn in diesen Jahren blieben zeit106 Antrag 121, betr.: Wohnungs- und Städtebaupolitik, in: DGB-Bundesvorstand, Abt. Organisation (Hg.), Protokoll 11. ordentlicher Bundeskongreß Hamburg 21.–26.5.78, o. O. 1978, Abschnitt „Anträge und Entschließungen“, S. 149–152, hier S. 150. 107 Vgl. ebd. 108 Vgl. ebd., S. 151. 109 Ebd., S. 152.

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weise über 4.000 der von ihr auf Vorrat gebauten Eigenheime unverkauft. Sie verschlangen jährlich etwa 30 Mio. DM an Zinszahlungen.110 Eine Möglichkeit, sich gegen dieses Risiko abzusichern, war der sogenannte Bestellbau, bei dem der Käufer ein Haus nach seinen Wünschen erwarb, das dann aber erst gebaut werden mußte. Deshalb begann der Bestellbau sich angesichts der neuen Marktsituation seit Mitte der siebziger Jahre mehr und mehr durchzusetzen.111 Allerdings erforderte diese Form der Vermarktung ganz andere organisatorische Voraussetzungen als der Vorratsbau. Schließlich mußte das Unternehmen ein Produkt verkaufen, das noch gar nicht existierte. Und für den Kunden war der Bestellbau nicht zuletzt deshalb interessant, weil er im Gegensatz zum Vorratsbau die Möglichkeit zum individuellen Zuschnitt des bestellten Hauses bot. Diese Möglichkeit mußte ein Wohnungsunternehmen aber auch anbieten können, um konkurrenzfähig zu bleiben. Mit dem Umbruch auf dem Wohnungsmarkt gingen also eine Reihe neuartiger Anforderungen an die Unternehmensorganisation einher.112 Die NH war hierfür schlecht gerüstet. Das lag zum Teil darin begründet, daß sie, wie die meisten gemeinnützigen Wohnungsunternehmen, zwar „mit den kostbaren Wässern wohnungsreformerischer Ideale und Bewegungen getauft, aber immer noch nicht so recht mit der marktwirtschaftlichen Nüchternheit konfirmiert“113 war. Wolfgang Vormbrock konstatierte in diesem Sinne selbstkritisch, es gebe bei der Unternehmensgruppe eine Art „Beleidigtsein darüber, daß die Menschen am Markt (...) mehr und mehr das nehmen, was ihnen genehm ist und nicht das, was unserer oder irgendeiner Ideologie entspricht.“114 Die vom Vorstand regelmäßig monierte mangelnde Service-Mentalität vieler Mitarbeiter, die es gewohnt waren, daß ihnen Wohnungssuchende eher als Bittsteller denn als Kunden gegenübertraten, dürfte den Wandel der NH zu einem absatzorientierten Unternehmen ebenfalls nicht gerade beschleunigt haben.115 Allerdings hatten diese Mentalitätsprobleme auch eine handfeste Entsprechung in der Organisationsstruktur der Unternehmensgruppe. Den Hintergrund hierfür bildete die Tatsache, daß sich unter den nunmehr obwaltenden Umständen die Faktoren einer erfolgreichen Betätigung im Neubau veränderten. Eine Schlüsselrolle spielten seit Mitte der siebziger Jahre vor allem der rechtzeitige Erwerb geeigneter Grundstücke und der enge Kontakt zu potentiellen Kunden. Da diese Kunden in der Regel Einzelpersonen waren, die kleine, auf Einzelgrundstücken gebaute Objekte errichteten, waren sowohl hin110 Vgl. Protokoll AR NH Nord, Ageka, NH Schleswig-Holstein, Gesellschaft für Landsiedlung, 1.8.1974, FZH 592–31 IV, S. 4. 111 Vgl. Wolfgang Vormbrock, Produktionsplanung in der Wohnungswirtschaft, NHM 1976,7, S. 14–21, hier S. 15. 112 Vgl. ebd., S. 19. 113 Ebd., S. 14. 114 Ebd. 115 Vgl. Albert Vietor, Referat, in: Heinz Oskar Vetter u. a., Die gemeinwirtschaftlichen Unternehmen der deutschen Gewerkschaften. Diskussionsveranstaltung in Heidenrod-Springen vom 10. bis 12. Oktober 1977, ausgerichtet von der Abteilung Gemeinwirtschaft, Bank für Gemeinwirtschaft. Leitung: Diether Hoffmann und Erich Frister, Frankfurt a. M. 1978, S. 41–53, hier S. 42 sowie Überlegungen zum Selbstverständnis der NEUEN HEIMAT, StA HH, 622–2 Cordua 190, S. 14.

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sichtlich des Grundstückskaufs als auch hinsichtlich des Kundenkontakts schnelle, dezentral zu treffende Entscheidungen von großer Bedeutung.116 Hier lag eine wesentliche Schwachstelle der Organisation des gemeinnützigen Konzernteils. Denn zu dem Zeitpunkt, zu dem diese aufgebaut worden war, war der Wohnungsmarkt von Projekten geprägt gewesen, die in erster Linie von Städten und Gemeinden, aber nur in Ausnahmefällen von Privatpersonen betrieben wurden. Das hatte zum einen dazu geführt, daß die unterste Ebene der Organisation nicht besonders stark ausgebaut war, die NH also für die neue Marktsituation örtlich nur unzureichend repräsentiert war; zum anderen reichten ihre Kompetenzen nicht aus, um die Entscheidungen alleine treffen zu können. Schließlich hatten sie in den Jahren zuvor nur als ausführendes Organ für Beschlüsse gewirkt, die höheren Ortes gefaßt worden waren.117 Während die Tochtergesellschaften also etwa hinsichtlich eines Grundstückskaufs noch eifrig Rücksprache mit der zuständigen Regionalgesellschaft hielten, hatten längst konkurrierende lokale Wohnungsunternehmen den Zuschlag erhalten. Auch die strikte Arbeitsteilung zwischen den einzelnen Abteilungen, die sich beispielsweise in getrennten Zuständigkeiten für Neubau und Grundstückserwerb niedergeschlagen hatten, erwies sich als hinderlich. Sie führte zu langwierigen Abstimmungs- und Entscheidungsprozessen, die die Bauzeiten verlängerten, die Flexibilität verringerten und die Kosten in die Höhe trieben.118 Insgesamt entsprach deshalb „die in der Tradition des Mietwohnungsbaus entstandene Organisationsstruktur“119 der NH nicht den Anforderungen, die die neuen Rahmenbedingungen stellten. Diese Organisationsstruktur zu verändern und den gemeinnützigen Teil der NH von einem produktionsorientierten zu einem absatzorientierten Unternehmen umzubauen, hätte deshalb in den folgenden Jahren das Hauptziel des Vorstandes darstellen müssen. Aber in dieser Hinsicht tat er sich schwer. Erkennbar war das beispielsweise an dem Umgang mit dem Problem der strikten Arbeitsteilung. Zwar reagierte der Vorstand hierauf, indem er für den Eigenheimbau Projektgruppen einrichtete, die die wichtigsten Funktionen aus verschiedenen Abteilungen in sich vereinigen sollten; aber im mittleren Management war die Tendenz zur Besitzstandswahrung groß genug, um diese Projektgruppen direkt bei ihrer Einführung wieder ad absurdum zu führen. Die Funktionen des Vertriebs und des Grundstückswesens, beide für den Eigenheimbau von zentraler Bedeutung, blieben von ihnen ausgenommen.120 Auch beim Umbau des Vertriebs selbst ging der Vorstand bestenfalls halbherzig zu Werke. Zwar hatte Wolfgang Vormbrock schon 1976 gefordert, daß der Vertrieb „bei marktorientierter Produktionsplanung zur tragenden Säule der Organisation“121 ausgebaut werden müsse. Statt dessen taten seine Vorstandskollegen allerdings zunächst einmal gar nichts. Da der Eigenheimbau seit 1976 massiv ex116 Vgl. McKinsey & Company, Inc., Anpassung der Neuen Heimat an die Anforderungen der 80er Jahre. Dokumentation, März 1981, Parlamentsdokumentation der Hamburgischen Bürgerschaft, Akten PUA „Neue Heimat“, 06.7.13, S. 11. 117 Vgl. ebd., S. 13. 118 Vgl. ebd., S. 38. 119 Ebd., S. 13. 120 Vgl. ebd., S. 37 ff.

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pandierte, glaubten sie, auch ohne eine groß angelegte Umstellung auf den Bestellbau auszukommen. Das war insofern nachvollziehbar, als der Aufbau eines Vertriebsnetzes eine kostspielige und langwierige Angelegenheit war. Besonders problematisch hierbei war die Rekrutierung des Verkaufspersonals; die bei der NH zur Verfügung stehenden Kräfte galten intern als mangelhaft ausgebildet und waren im Umgang mit anspruchsvollen Kunden überfordert.122 Hinzu kam noch, daß auch den Regionen, die bis dahin den Vertrieb der Massivhäuser übernommen hatten, an der Errichtung eines eigenständigen, womöglich von Hamburg aus gesteuerten Vertriebsnetzes kaum gelegen sein konnte. Aus diesen Gründen setzte der Vorstand auch weiterhin auf den Vorratsbau. Gleichzeitig versuchte er aber, die Produktpalette so auszuweiten, daß sie ein möglichst breites Spektrum des boomenden Eigenheimmarktes abdeckte. So gelang es der Unternehmensgruppe noch 1976, zwei neuartige Produkte am Markt zu etablieren. Neben ihren standardmäßigen Ein- und Zweifamilienhäusern bot sie seit diesem Zeitpunkt auch „NH-Fertighäuser“ und „NH-Partnerhäuser“ an.123 Die „Partnerhäuser“ waren konventionell gebaute Eigenheime, bei denen dem Erwerber die Möglichkeit gegeben wurde, durch Eigenleistungen einen Teil der Bau- und Ausstattungsarbeiten selbst zu übernehmen, um auf diese Weise Eigenkapital einzusparen; das Fertighausprogramm umfaßte fünf Grundtypen mit einer Wohnfläche von 81 bis 195 qm, die mit verschiedenen Ausstattungen und Dächern lieferbar waren.124 Beide Produktneuheiten galten in der Fachwelt als qualitativ sehr hochwertig, und kurzfristig führten sie tatsächlich zu einer deutlichen Steigerung des Eigenheimbaus der Unternehmensgruppe: Von 2.600 Einheiten 1976 stieg die Anzahl der Fertigstellungen in diesem Segment bis 1978 auf 3.850. Schon ein Jahr später brach der Absatz allerdings wieder ein – und zwar entgegen dem bundesweiten Trend, für den weiterhin eine geringfügige Steigerung des Eigenheimbaus zu beobachten war. Während 1978 bundesweit 201.000 und 1980 208.000 Wohnungen dieser Art errichtet wurden, sank die Zahl der Fertigstellungen der Unternehmensgruppe im gleichen Zeitraum auf 3.400 und bis 1982 weiter auf unter 3.000.125 Die NH verlor also Marktanteile in dem Bereich, der als einziger noch Wachstumsmöglichkeiten offenbarte. Das lag in erster Linie daran, daß die Zahl der öffentlich geförderten Eigenheimbauten seit 1977 rückläufig war, das hauptsächliche Wachstumspotential also im frei finanzierten Wohnungsbau lag.126 In diesem insgesamt höherpreisigen Sektor war allerdings der individuelle Zuschnitt der Leistungen wegen der höheren Ansprüche der Kunden noch wichtiger, als das im Eigenheimbau ohnehin der Fall war. In dieser Situation zeigten sich die Nachteile des Vorratsbaus gegenüber dem Bestellbau noch deutlicher als zuvor. Die Unter121 Wolfgang Vormbrock, Produktionsplanung in der Wohnungswirtschaft, NHM 1976,7, S. 14– 21, hier S. 21. 122 Vgl. Vertriebsprogramm, Vorlage zu TOP 4 ARP NHH, 21.2.1980, StA HH, 622–2 Cordua 86, S. 8 f. u. S. 11. 123 Vgl. JB 1976/77, S. B 1. 124 Vgl. ebd. sowie Das NH-Partnerhaus. Eine neue Form des Einfamilienhausbaus mit Selbsthilfe, NHM 1976,1, S. 15–16. 125 Vgl. JB 1980/81, S. A 10. 126 Vgl. ebd.

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nehmensgruppe wurde deshalb das Opfer eines Verdrängungswettbewerbes, von dem sich seit Ende 1978 abzeichnete, daß sie ihn mit einer bloßen Ausweitung der Produktpalette nicht gewinnen konnte.127 Angesichts dieser Entwicklung rang sich der Vorstand schließlich doch noch dazu durch, zumindest den Fertighausbau konsequent auf den Einzelvertrieb auszurichten. Anfang 1979 gründete er die bei der NHS angesiedelte NEUE HEIMAT FERTIGHAUS (NHF), deren vorrangige Aufgabe der Aufbau eines Vertriebsnetzes für den Fertighausbau sein sollte. Eine Ausdehnung des Einzelhausvertriebes auf den Bau von Massivhäusern wurde zwar erprobt, stieß aber auf heftigen Widerstand in den Regionen.128 Sie wäre allerdings ohnehin zu spät gekommen, wie auch Gründung der NHF zu spät kam. Denn der Arbeitsmarkt für qualifiziertes Vertriebspersonal war zu diesem Zeitpunkt praktisch leergefegt – und zwar deshalb, weil andere Wohnungsunternehmen hinsichtlich der Einführung eines absatzorientierten Organisationssystems Mitte der siebziger Jahre gleich Nägel mit Köpfen gemacht hatten, anstatt sich, wie die NH, noch einmal fünf Jahre Zeit zu lassen. Ausschließlichkeitsverträge mit freien Verkäufern konnte die Unternehmensgruppe deshalb Ende der siebziger Jahre nicht mehr abschließen; und da sie aufgrund ihrer hohen Kosten nur unterdurchschnittliche Provisionen bezahlen konnte, blieb das Problem bis auf weiteres ungelöst.129 Auch eine intensive Marketing-Kampagne war erfolglos. Die Verkaufszahlen der NHF erreichten 1979 und 1980 nur jeweils etwa 500 Einheiten und lagen damit um ein Drittel unter den Zielen, die sich die Unternehmensgruppe selbst gesteckt hatte.130 Dabei waren selbst diese Ziele schon vergleichsweise bescheiden: Konkurrenten wie Neckermann, die sich bereits einige Jahre zuvor im Einzelhausvertrieb etabliert hatten, erreichten fast die zehnfache Zahl an Verkäufen.131 Obendrein hatte die Unternehmensgruppe auch noch erhebliche Investitionen in die Entwicklung des Fertighausprogramms gesteckt, die nun nur sehr zögerlich amortisiert werden konnten. Die NHF kam deshalb nie in die schwarzen Zahlen, und eine Trendwende hinsichtlich der Fertigstellungen bei den Eigentumsmaßnahmen konnte von ihr nicht ausgehen.132 Für den Massivhausbau galt das wegen seiner fortbestehenden Ausrichtung auf den Vorratsbau um so mehr. Selbst mit einem voll ausgebauten Vertriebsnetz wäre es der NH allerdings schwer gefallen, sich auf dem Eigenheimmarkt gegen die Konkurrenz der Vielzahl kleiner Anbieter durchzusetzen. Denn ihr Beharren auf dem Vorratsbau bildete nur eines ihrer Probleme. Ebenso große Schwierigkeiten bereiteten ihr die Kostennachteile, die sie im Eigenheimbau hatte. So stiegen in der zweiten Hälfte der siebziger Jahre die Preise der von der NH angebotenen Eigenheime deutlich schneller als die der Konkurrenz. 1980 waren sie deshalb um etwa 11% höher als 127 Vgl. Vertriebsprogramm, Vorlage zu TOP 4 ARP NHH, 21.2.1980, StA HH, 622–2 Cordua 86, S. 1 ff. u. S. 7 ff. 128 Vgl. ebd., S. 8 f. 129 Vgl. ebd., S. 11. 130 Vgl. ebd., S. 5 u. S. 13 sowie Bericht des Vorstandes. Vorlage zu TOP 1 AR NHH/NHS, 13.11.1980, StA HH, 622–2 Cordua 33, S. 34. 131 Vgl. ebd. 132 Vgl. ebd., S. 39.

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der Durchschnitt.133 Neben dem großzügigen und NH-weit einheitlichen Ausstattungsniveau waren hierfür auch die durch den hohen Sozialstandard der Unternehmensgruppe verursachten Gemeinkosten sowie die komplizierte Vergabe und die bürokratische Zusammenarbeit mit anderen Unternehmen, die sich in weit überdurchschnittlichen Bauzeiten niederschlug, verantwortlich.134 Diese Umstände verwiesen darauf, daß die organisatorischen Probleme der NH nicht allein einzelne Bereiche wie beispielsweise die Absatzorganisation betrafen, sondern auch in der Größe der Gesellschaft und der sozialen Ausgestaltung der Arbeitsverhältnisse begründet lagen. Tatsächlich war dies seinerseits einer der Hintergründe für den schleppenden Umbau des Vertriebs, denn dieser gefährdete die sozialen Besitzstände der Mitarbeiter in den alten Abteilungen und hätte zudem bei konsequenter Umsetzung zu deutlichen Personaleinsparungen geführt.135 In ihrem Kern waren daher die Schwierigkeiten bei der Anpassung des Neubaus an die gewandelten Rahmenbedingungen nicht allein das Ergebnis schlechten Managements und verspäteter Entscheidungen, sondern auch das Ergebnis der Prinzipien der Unternehmensorganisation der NH. Auf diese These wird im Verlauf des vorliegenden Kapitels zurückzukommen sein.136 6.1.1.4 Die mißglückte Vermietungspolitik Zunächst ist allerdings noch der Bereich der Bestandsbewirtschaftung zu betrachten, der in der zweiten Hälfte der siebziger Jahre eine ganz ähnliche Entwicklung wie der Wohnungsneubau nahm. Auch hier war durch den Umbruch der Jahre 1973–75 eine neue Marktlage entstanden, und auch hier erwiesen sich die alten Tugenden der Unternehmensgruppe, besonders ihre Größe und ihre hochgradige Zentralisierung, angesichts dieser Veränderungen als gravierende Nachteile. Den Ausgangspunkt dafür, daß diese Nachteile in der zweiten Hälfte der siebziger Jahre deutlich zutage traten, bildete die Welle der Leerstände, die seit 1973 über die Wohnungswirtschaft hinwegrollte. Auch die NH blieb von ihr nicht verschont: Die Zahl ihrer unvermieteten Wohnungen stieg von unter 500 zur Jahresmitte 1972 auf etwa 2.500 zwei Jahre später und weiter auf etwa 3.750 in der zweiten Hälfte des Jahres 1975. Die Mietausfälle, die hieraus resultierten, beliefen sich 1974 auf ca. zehn, ein Jahr darauf bereits auf 23 Mio. DM.137 Die Leerstände waren also eine kostspielige Angelegenheit. Das war um so schlimmer, als sich 133 Vgl. McKinsey & Company, Inc., Anpassung der Neuen Heimat an die Anforderungen der 80er Jahre. Dokumentation, März 1981, Parlamentsdokumentation der Hamburgischen Bürgerschaft, Akten PUA „Neue Heimat“, 06.7.13, S. 45. 134 Vgl. ebd., S. 47 ff. sowie handschr. Notiz Corduas zu AR NHH/NHS, 2.12.77, StA HH, 622– 2 Cordua 25. 135 Vgl. McKinsey & Company, Inc., Anpassung der Neuen Heimat an die Anforderungen der 80er Jahre. Dokumentation, März 1981, Parlamentsdokumentation der Hamburgischen Bürgerschaft, Akten PUA „Neue Heimat“, 06.7.13, S. 96. 136 Vgl. Kap. 6.1.2.2 dieser Arbeit. 137 Vgl. Bericht über die Bestandsverwaltung, Anlage 1: Entwicklung der Leerstände bei Mietwohnungen des eigenen und gepachteten Bestandes, Vorlage zu TOP 3 ARP NHH/NHS, 30.11.1978, StA HH, 622–2 Cordua 78 sowie PUA HH, S. 222.

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bald abzeichnete, daß die zwischen 1973 und 1975 auftretenden Schwierigkeiten bei der Vermietung unter Umständen auch längerfristig bestehen würden – vor allem aufgrund der steigenden Arbeitslosigkeit. „Die in den nächsten Jahren möglicherweise verstärkte allgemeine Nachfrage“, so analysierte die NH, „wird in Problemgebieten nur bei gleichzeitig vermehrtem Arbeitsplatzangebot wirksam werden. Wo das nicht zutrifft, werden wir es nachhaltig mit Vermietungsschwierigkeiten und Leerständen zu tun haben.“138 Die zentrale Herausforderung, der sich die Unternehmensgruppe in den folgenden Jahren gegenüber sah, war deshalb die dauerhafte Sicherung der Vermietbarkeit des eigenen Wohnungsbestandes. Dabei gab es durchaus eine Reihe von Ansatzpunkten, die der Vorstand verfolgen konnte, denn die Leerstände waren nicht einfach eine automatische Folge der verbesserten Wohnungsversorgung oder der steigenden Arbeitslosigkeit, sondern vielmehr ein Zeichen dafür, daß die leerstehenden Wohnungen in der einen oder anderen Form unter den nunmehr herrschenden Bedingungen nicht mehr konkurrenzfähig waren. Das galt besonders für die Großsiedlungen, denn bei ihnen waren schon seit Anfang der siebziger Jahre verstärkt Probleme aufgetreten, die sich unmittelbar negativ auf die Vermietbarkeit auswirkten. Diese Probleme waren zum Teil das Ergebnis von Planungsfehlern. Dazu gehörte gerade bei den älteren Großsiedlungen wie beispielsweise der Neuen Vahr die mangelnde infrastrukturelle Ausstattung.139 Auch bei neueren Siedlungen gab es dieses Problem; hier waren ausreichende Einkaufsmöglichkeiten und Verkehrsverbindungen zwar von Anfang an vorgesehen gewesen, aber ihre Einrichtung zögerte sich oft lange hinaus, weil ihre Auslastung erst gesichert werden konnte, wenn die Siedlungen vollständig bezogen waren. Deshalb mußten die ersten Bewohner – wie etwa in der Hamburger Siedlung Mümmelmannsberg – oft jahrelang mit Provisorien vorlieb nehmen.140 Hinzu kamen gerade bei den neueren Siedlungen auch Mängel in der Bauausführung, die sich häufig aus der Anwendung neuer, noch kaum erprobter Bautechniken und aus dem Termindruck bei der Fertigstellung ergaben.141 Auch in dieser Hinsicht bildete Mümmelmannsberg ein Negativbeispiel. Der zweite Bauabschnitt dieser Siedlung wurde aus einem 1974 aufgelegten Konjunkturprogramm der Bundesregierung gefördert, dessen Mittel nur bis zum 30. Juni 1977 zur Verfügung standen. Um die Wohnungen rechtzeitig fertigstellen zu können, nahmen es die ausführenden Bauunternehmen mit der Qualität nicht so genau. Undichte Decken und fehlende Lichtschalter waren die Folge.142 Für sich genommen waren diese Mängel ein zwar unerfreuliches, aber kein allzu schwer zu behebendes Problem. Auch hinsichtlich der infrastrukturellen Ausstattung waren Nachbesserungen vergleichsweise einfach zu bewerkstelligen; in der Neuen Vahr beispielsweise errichtete die Unternehmensgruppe 1976 ein Bürgerhaus sowie eine Altentagesstätte und korrigierte damit die wichtigsten De-

138 Probleme der Bestandspolitik. Anlage zum Bericht des Vorstandes, 3.12.1976, StA HH, 622– 2 Cordua 22, S. 1. 139 Vgl. Wallenhorst 1993, S. 356 f. 140 Vgl. Saldern 1997, S. 360 sowie Fuhrich 1983, S. 154. 141 Vgl. Tessin 1987, S. 96 f. 142 Vgl. Fuhrich 1983, S. 159.

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fizite.143 Wesentlich größeres Kopfzerbrechen als die Fehler bei der Planung und der Durchführung der Großsiedlungen bereitete dem Vorstand daher ein anderes Problem. Das war die unter den Zeitgenossen viel diskutierte Beobachtung, daß seit Beginn der siebziger Jahre die Sozialstruktur dieser Wohnanlagen „umzukippen“ drohte.144 In den sechziger Jahren war diese Sozialstruktur in erster Linie von Arbeiter- und Angestelltenfamilien und damit von den „breiten Schichten“ der Bevölkerung geprägt, die die Hauptzielgruppe der Wohnungspolitik bildeten. Zumindest vermutete die Unternehmensgruppe dies; gesicherte Erkenntnisse über die Zusammensetzung der Bewohnerschaft der eigenen Siedlungen gab es, abgesehen von der sehr allgemein gehaltenen Umfrage aus dem Jahr 1964, nicht. 1971 beauftragte deshalb die NH Bremen die Gewos mit einer Studie über die Sozialstruktur der Neuen Vahr, die im September desselben Jahres vorlag.145 Hinzu kam in den Jahren 1975 bis 1977 eine Reihe von Umfragen, die insgesamt zehn Großsiedlungen der Unternehmensgruppe umfaßte und dabei sowohl die Zusammensetzung der Mieterschaft als auch die Wohnzufriedenheit ermittelte.146 Die Ergebnisse dieser Studien liefen auf dreierlei hinaus: Erstens belegten sie, daß die Bewohnerstruktur in den Großsiedlungen „sehr stark in Abhängigkeit der jeweiligen städtischen oder regionalen Wirtschaftsstruktur“147 streute. Die typische Großsiedlung gab es also nicht. Während in München-Neuperlach nur 19% der Bewohner Arbeiterfamilien, aber 58% Angestellten- und Beamtenfamilien angehörten, lagen die Verhältnisse in Dortmund-Scharnhorst genau umgekehrt (52% bzw. 17%).148 Gleichwohl ließ sich – zweitens – feststellen, daß die Vermutungen, die in den sechziger Jahren über die soziale Zusammensetzung der Mieterschaft angestellt worden waren, insgesamt weitgehend zutrafen. So entsprach der Arbeiteranteil an den Bewohnern der Großsiedlungen in etwa dem Bundesdurchschnitt; Angestellte und Beamte waren hingegen überdurchschnittlich vertreten.149 Die Ergebnisse hinsichtlich des Altersaufbaus und der Familienstruktur sprachen eine noch deutlichere Sprache: Junge Familien mit ein bis zwei Kindern dominierten das Bild.150 Es war also tatsächlich eine breite Mittelschicht, die in den Großsiedlungen untergekommen war. 143 Vgl. Wallenhorst 1993, S. 358 ff. 144 Vgl. hierzu zusammenfassend Ulfert Herlyn, Lebensbedingungen und Lebenschancen in den Großsiedlungen der 60er und 70er Jahre, in: ders./Saldern/Tessin 1987, S. 102–126; Hans Jürgen Naroska, Sozialstruktureller Wandel in Siedlungen der 60er Jahre und seine Bedeutung für eine quartierliche Versorgungspolitik, in: ebd., S. 224–258 sowie Saldern 1997, S. 361 ff. 145 Vgl. Wallenhorst 1993, S. 356. Kob 1972 ist eine im folgenden verwendete Teilveröffentlichung aus dieser unveröffentlichen Arbeit, vgl. ebd., S. 3. 146 Vgl. Basile Muratidis (Bearb.), Neue Wohnanlagen im Urteil der Bewohner. Analyse der Wohnzufriedenheit (Schriftenreihe der Gesellschaft für Wohnungs- und Siedlungswesen e. V. N. F. Bd. 27), Hamburg 1978. 147 Naroska 1987, S. 231. 148 Vgl. Muratidis 1978, S. 16. Zur Sozialstruktur von Neuperlach vgl. auch Petra Dorsch, Eine neue Heimat in Perlach. Das Einleben als Kommunikationsprozeß, München 1972, S. 37 ff. sowie Stefan Grzimek, Neuperlach bewährt sich, NHM 1976,6, S. 16–25, hier S. 19 ff. 149 Vgl. Muratidis 1978, S. 16. 150 Vgl. ebd.; Saldern 1997, S. 361 sowie Kob 1972, S. 6 ff.

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Allerdings war aus den Untersuchungen der Unternehmensgruppe – drittens – auch erkennbar, daß sich diese Sozialstruktur seit Ende der sechziger Jahre zunächst langsam und seit Mitte der siebziger Jahre immer schneller veränderte.151 Die stetige Verbesserung der Einkommenssituation und die wachsenden Ansprüche an den Wohnraum führten dazu, daß vor allem aufstiegsorientierte Familien aus dem Facharbeiter- und Angestelltenmilieu nach und nach aus den Neubausiedlungen abwanderten, wenn sie eine neue, größere, besser ausgestattete Wohnung fanden.152 Andererseits wurde der freigewordene Wohnraum typischerweise, „soweit die Stadt ein Belegungsrecht hatte, an sogenannte ‚Problemfälle‘ abgegeben. Dazu gehörten kinderreiche Familien, Behinderte, Alleinerziehende, Sanierungsbetroffene, Pendler, Aussiedler, Asylbewerber, Obdachlose sowie Bewohnerinnen und Bewohner gesundheitsgefährdender Wohnungen.“153 Im Prinzip handelte es sich dabei um einen von der Wohnungspolitik gewünschten Effekt, denn die „Filtering-Theorie“ sah ja vor, daß Wohnungen, die von den „Aufsteigern“ geräumt wurden, den sozial Schwächeren zugute kommen sollten.154 Diese Entwicklung hätte deshalb einem gewerkschaftseigenen Wohnungsunternehmen durchaus am Herzen liegen müssen. Dem war allerdings nicht so; die Experten der Unternehmensgruppe sahen darin vielmehr eine große Gefahr: „Wenn sich (...) derartige Umschichtungen in einer Sozialwohnungsanlage in der Größe eines ganzen Stadtteils vollziehen,“ führte etwa die Gewos ihrem Gutachten über die sozialstrukturelle Entwicklung der Neuen Vahr aus, „so werden die ernsten Folgen einer solchen Entwicklung auf Dauer nicht hingenommen werden dürfen. Keine Stadt wird es zulassen können, mit erheblichem Aufwand gebaute Neubaustadtviertel quasi zu Ghettos von lower-class-families herabsinken zu lassen.“155 Zu Beginn der siebziger Jahre stand dieser Prozeß zwar noch am Anfang seiner Entwicklung. Der Vorstand war aber dennoch besorgt. Denn auch jenseits des Gutachtens der Gewos meinte er, eine Zunahme der Spannungen zwischen den Mietern ausmachen zu können – einmal deswegen, weil nun vermehrt ausländische Familien in die Großsiedlungen zogen, deren „abweichende Lebensgewohnheiten (...) oft die Integration in die Hausgemeinschaft“156 erschwerten; zum anderen aber auch, weil das Zusammenleben innerhalb der Siedlungen wegen der „Verschiebung im Gefüge gesamtgesellschaftlicher Normen von Pflicht- und Akzeptanzwerten (...) hin zu Selbstentfaltungswerten wie Selbstständigkeit und Mitbestimmung“157 seit der zweiten Hälfte der sechziger Jahre ganz allgemein zunehmend konfliktträchtiger zu werden drohte. 151 152 153 154 155

Vgl. ebd., S. 37 ff. Vgl. ebd., S. 35 sowie Saldern 1997, S. 362. Ebd. Vgl. auch Fuhrich 1984, S. 81 ff. Saldern 1997, S. 362. Kob 1972, S. 84. Vgl. auch Wallenhorst 1993, S. 482 sowie Wolfgang Vormbrock, Wohnen im Quartier. Quartierswirtschaft im Lichte ökonomischer Zwänge und sozialer Forderungen, Hamburg 1988, S. 58 f. 156 Mietverträge mit Ausländern, 30.8.1973, DGBA-BV, Abt. Finanzen, 24/479 (im Original Dativ: „abweichenden Lebensgewohnheiten“). 157 Rödder 2004, S. 29. Vgl. auch Helmut Klages, Wertorientierungen im Wandel. Rückblick, Gegenwartsanalyse, Prognosen, Frankfurt a. M. 21985, S. 39 ff.

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Ein Beispiel hierfür bildete der sogenannte „Frankfurter Rasenprozeß“. 1970 hatte die NH Südwest eine Unterlassungsklage gegen ein Ehepaar eingereicht, dessen Kinder wiederholt auf den Grünanlagen der Frankfurter „Heimatsiedlung“ gelärmt und gespielt hatten, obwohl dies laut Hausordnung verboten war. Der Unternehmensgruppe wurde dies in der Öffentlichkeit als „Musterprozeß“ und „Kinderfeindlichkeit“158 ausgelegt. Tatsächlich waren es aber wohl eher einige Mieter, die hier Kinderfeindlichkeit an den Tag gelegt hatten. Nur auf ihr wiederholtes Drängen war die NH überhaupt gegen das Ehepaar vorgegangen.159 Allerdings mußte die Unternehmensgruppe schnell feststellen, daß ein Prozeß um solche Nachbarschaftsstreitigkeiten mit einem erheblichen Maß an öffentlicher Aufmerksamkeit verbunden war und den Eindruck erweckte, hier werde mit Kanonen auf Spatzen geschossen. Andererseits stand der NH für eine außergerichtliche Regelung keinerlei Instrumentarium zur Verfügung. Ihre Vermietungssachbearbeiter waren nur für die Buchhaltung zuständig, und die Hausverwalter, die in der Regel die einzigen Ansprechpartner der Unternehmensgruppe vor Ort bildeten, waren für eine soziale Betreuung der Mieter nicht ausgebildet. Um dieses Manko zu kompensieren, ergriff der Vorstand seit 1971 verstärkt Maßnahmen, die Ende der siebziger Jahre unter dem Stichwort „Quartiersmanagement“ bei einer Vielzahl von Wohnungsunternehmen große Bedeutung erlangen sollten.160 Ein erster Schritt in diese Richtung war die Einrichtung von gewählten Mieterbeiräten. Vorläufer dieser Gremien hatte es in der Form sogenannter Mieterausschüsse bereits in den zwanziger Jahren gegeben. Im Dritten Reich abgeschafft, konnten sie nach 1945 zunächst nicht wiederbelebt werden.161 Erst Anfang der siebziger Jahre änderte sich dies. Die NH rief 1971 in unmittelbarer Reaktion auf den „Rasenprozeß“ in der Heimatsiedlung einen Mieterbeirat ins Leben und erhob diesen 1973 zum Vorbild für die gesamte Unternehmensgruppe.162 Bis 1980 ließ sie etwa fünfzig ähnliche Einrichtungen in der ganzen Bundesrepublik folgen. Zweifellos spielte hierbei der generelle gesellschaftspolitische Liberalisierungsschub seit Mitte der sechziger Jahre, der sich in zahlreichen Bemühungen, die Demokratie als gesellschaftliches Organisationsprinzip zu etablieren, niederschlug, eine gewisse Rolle.163 Wichtiger war aber, wie der unmittelbare Zusammenhang der Entstehung des ersten Mieterbeirates mit dem Frankfurter Prozeß zeigte, ein anderer Grund: „Die Gründung und Förderung von Mieterbeiräten“, so hoffte die Unternehmensgruppe, „kann unter anderem entscheidend dazu beitragen, bei den übrigen Mietern Verständnis für die Situation bestimmter Problemgruppen zu 158 Schreiben der Geschäftsführung der NH Südwest an die Aufsichtsratsmitglieder der Gesellschaft, 26.10.1970, IGM ZwA 2/17 257, S. 1. 159 Vgl. ebd. 160 Vgl. allgemein zum Quartiersmanagement Vormbrock 1988, passim. 161 Vgl. dazu Ronald Kunze, Mieterbeteiligung im sozialen Wohnungsbau in den Siedlungen der 20er und 60er Jahre, in: Herlyn/Saldern/Tessin 1987, S. 188–223, hier S. 198 ff. sowie ders., Konzepte der Mieterbeteiligung von den zwanziger Jahren bis zur frühen Nachkriegszeit, in: Schulz 1993, S. 247–265, passim. 162 Vgl. Schreiben der Geschäftsführung der NH Südwest an die Aufsichtsratsmitglieder der Gesellschaft, 26.10.1970, IGM ZwA 2/17 257, S. 2. 163 Hierin sieht Kunze 1987, S. 204, den Hauptgrund für die Etablierung von Mieterbeiräten.

6.1 Der Wohnungsbau im Umbruch

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wecken.“164 Aus Sicht der NH war also das Hauptziel, das sie mit der Einrichtung dieser Institutionen verfolgte, die Einhegung der Probleme, die sich aus der Veränderung der Sozialstruktur in den Großsiedlungen ergab. Die Mieterbeiräte sollten in erster Linie „als demokratisch installiertes ‚Frühwarnsystem‘ über Probleme in den Großsiedlungen“165 wirken und dadurch das Problem der großen Entfernung der hochzentralisierten Wohnungsverwaltung von den Mietern überbrücken. Hinzu kam, daß sie den Mietern die Möglichkeit geben sollten, sich ihr Wohnumfeld anzueignen und das „Gefühl eines Zuhauses“166 zu generieren. Tatsächlich hatten die Mieterbeiräte in dieser Hinsicht eine ganze Reihe von Erfolgen zu verzeichnen. Zwar war die Beteiligung an den Wahlen zu diesen Gremien in aller Regel sehr gering – sie lag normalerweise bei etwa 5% und stieg nur bei akut vorliegenden Problemen auf 20 bis 30% –, aber die Aktionen, die die aktiveren Mieterbeiräte in Angriff nahmen, zogen meist weitaus mehr Aufmerksamkeit auf sich.167 Das galt vor allem für die sogenannte „Wohnumfeldgestaltung“, also für gemeinsame Verschönerungsaktionen, für die Anlage zusätzlicher Spielplätze oder für die Ausrichtung von Mieterfesten. Hinzu kam auch die Einschaltung in die Diskussionen über Instandhaltungs- und Modernisierungsmaßnahmen, wo die Mieterbeiräte unter günstigen Umständen großen Einfluß auf die Gestaltung ihrer Siedlungen nehmen konnten.168 Unterstützung erhielten sie dabei noch durch einer weitere Maßnahme des Quartiersmanagements: Auf Beschluß des Vorstandes stellten die Regionalgruppen bis Ende 1973 zur Betreuung von Großsiedlungen 23 Sozialarbeiter an, deren Aufgabe darin lag, „ältere oder hilfsbedürftige Mieter zu betreuen und – in Verbindung mit den örtlichen Sozialbehörden – sonstige Problemfälle (Familien- und Zahlungsschwierigkeiten, Erziehungsfragen etc.) zu bearbeiten“.169 Sie konnten sich trotz einiger Skepsis seitens der als „betreuungsbedürftig“ eingestuften Mieter rasch etablieren, und besonders bei der Ausgestaltung des Zusammenlebens in den Siedlungen spielten sie mitunter eine wichtige Rolle.170 Aus Sicht der NH kam als Positivum noch hinzu, daß sie auch als „sozialer Filter bei der Eignungsprüfung von problemhaften Wohnungssuchenden“171 agierten. Es ist richtig, daß diese gelegentlich in der Ablehnung von „Problemfamilien“ resultierende Vorgehensweise den Forderungen des DGB, wonach diese Gruppen bei der Wohnungsversorgung vorrangig zu berücksichtigen seien, widersprach, aber die Sorge des Vorstandes um die Sozialstruktur der Großsiedlungen überwog in diesem Fall die gewerkschaftspolitischen Bedenken.172 164 Die Wohnungsversorgung der Problemgruppen, NHM 1976,5, S. 12–26, hier S. 26. 165 Fuhrich 1984, S. 222. 166 Schreiben an die Mieter der Wohnanlage Neuenlande, 22.3.1971, zit. nach Wallenhorst 1993, S. 364. 167 Vgl. Fuhrich 1984, S. 223. 168 Vgl. JB NH Region Nordwest 1974/75, S. 75; JB NH Region Nordwest 1975/76, S. 76 sowie Wallenhorst 1993, S. 365. 169 Sozialarbeiter, 30.8.1973, DGBA-BV, Abt. Finanzen, 24/479. 170 Vgl. D. Modersohn, Ein Arbeiter hilft bei Problemen, NHM 1978,4, S. 16–18; JB NH Region Nordwest 1974/75, S. 75 und JB NH Region Nordwest 1975/76, S. 76. 171 Fuhrich 1984, S. 220. 172 Vgl. ebd., S. 221.

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Allerdings waren die Interventionen der Sozialarbeiter ohnehin kaum dazu geeignet, den Trend hinsichtlich der Entwicklung der Sozialstruktur zu stoppen oder gar umzukehren; dazu war ihr Einfluß viel zu gering.173 Tatsächlich entwickelte sich der schon seit Beginn der siebziger Jahre befürchtete Negativ-Trend in einigen Siedlungen bis weit in die achtziger Jahre hinein ungebremst fort. Das „Problemviertel“ Osterholz-Tenever war so ein Fall. Hier entfaltete sich bis Anfang der achtziger Jahre ein Bild, das allen Vorurteilen über einen klassischen „sozialen Brennpunkt“ entsprach. 1982 waren etwa 25% der Bewohner des Viertels Sozialhilfeempfänger; knapp die Hälfte der neu zugezogenen Mieter beurteilte das Quartier von vornherein negativ; und der Alltag in der Siedlung war geprägt von „erheblichen sozialen Spannungen, ständig wiederkehrenden Zerstörungen und Lärmbelästigungen“.174 Aber dieser Trend war nicht in allen Siedlungen unausweichlich. Vielmehr gab es auch Gegenbeispiele wie etwa Mannheim-Vogelstang, das hinsichtlich seiner Sozialstruktur eine weitgehend unproblematische Entwicklung nahm und kaum mit Leerständen zu kämpfen hatte.175 Diese Einschätzung wird dadurch bestätigt, daß die Großsiedlungen der Unternehmensgruppe in einer Reihe von Umfragen aus den Jahren 1973 bis 1977 von der weit überwiegenden Mehrheit ihrer Bewohner überaus positiv beurteilt wurden.176 Das galt nicht nur für „Paradesiedlungen“ wie Vogelstang oder Stuttgart-Asemwald, sondern beispielsweise auch für das Wohnviertel Mümmelmannsberg, das vor allem hinsichtlich der vielen Baumängel negative Schlagzeilen gemacht hatte.177 Zwar monierte hier fast die Hälfte der Bewohner, daß die Siedlung Kindern und Jugendlichen wenig zu bieten habe, und etwa ein Viertel fand die Architektur eintönig und wenig attraktiv. Aber mit den Wohnungen selbst waren die Mieter hoch zufrieden: Die Grundrisse und die Ausstattung fanden das Lob von 83% der (insgesamt 880) Befragten, und rund 85% der Mieter sowie 100% der Eigentümer wären bereit gewesen, ihre Entscheidung für die von ihnen bewohnte Wohnung zu wiederholen. Auch die – mittlerweile verbesserten – Einkaufs- und Erholungsmöglichkeiten fanden breiten Zuspruch.178 In anderen, in der Öffentlichkeit ebenfalls als problematisch eingeschätzten Großsiedlungen, etwa in Laatzen-Mitte und Bremen-Mahndorf, waren die Ergebnisse ähnlich.179 173 174 175 176

Vgl. Die Wohnungsversorgung der Problemgruppen, NHM 1976,5, S. 12–26, hier S. 26. Wallenhorst 1993, S. 367. Vgl. Irion/Sieverts 1991, S. 55 u. S. 60. Ein Teil dieser Umfragen ist enthalten in Muratidis 1978, passim. Zu den weiteren vgl. Negative Kritik – aber zufriedene Bewohner. Meinungsumfragen bei Bürgern neuer Stadtteile, NHM 1975,11, S. 43–45; Zur Lage: Negative Kritik – aber zufriedene Bewohner, NHM 1976,8, S. 39–40 sowie die in der folgenden Fußnote angeführten Aufsätze. Vgl. auch die ähnlichen Ergebnisse der Untersuchung von Dorsch 1972, S. 54 ff. 177 Zur Vogelstang vgl. Margot Brunner, Auf der Vogelstang fühlt man sich wohl, NHM 1973,3, S. 14–22; zu Asemwald: Umfrage bei den Mietern und Bewohnern von Stuttgart-Asemwald, NHM 1975,9, S. 14–20 sowie zu Mümmelmannsberg NH Nord, Wohnzufriedenheit in Hamburg-Mümmelmannsberg, 9.2.1976, StA HH, 622–2 Cordua 20 und Zur Lage: Neue Stadtteile bei den Bewohnern beliebt, NHM 1976,5, S. 53–54. 178 Vgl. ebd. 179 Vgl. Muratidis 1978, v. a. S. 34 u. S. 42 sowie JB 1976/77, S. B 15 u. S. C 5.

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Sicherlich ist angesichts der Tatsache, daß diese Umfragen allesamt von der NH in Auftrag gegeben worden sind, einige Skepsis angebracht. 180 Zudem sind die positiven Ergebnisse nicht nur mit der Qualität der neuen Wohnungen, sondern auch mit dem häufig miserablen Zustand der von den Mietern zuvor bewohnten Häuser zu erklären. Es wäre daher in der Tat, wie Kritiker anmerkten, eine Schande für die NH gewesen, wenn wesentlich mehr als die von der Umfrage für Mümmelmannsberg ermittelten 2% der Mieter lieber in ihrer alten Wohnung geblieben wären.181 Aber auch in der Forschung hat sich mittlerweile die Auffassung durchgesetzt, daß die alarmistischen Töne der zeitgenössischen Kritiker der Großsiedlungen vielfach übertrieben waren und vor allem die Tatsache ausblendeten, daß es neben den Problemgebieten auch gut funktionierende und von den Bewohnern akzeptierte neue Stadtteile gab.182 Insgesamt entbehrte daher der Anspruch der Unternehmensgruppe, die „Betonburgen“ seien „besser als ihr Ruf“,183 nicht einer gewissen Grundlage. Daß einige Großsiedlungen auch weiterhin höchst problematische Brennpunkte darstellten, bleibt von dieser Feststellung unberührt. Allerdings bedeutete die Tatsache, daß die Sozialstruktur der Großsiedlungen insgesamt wohl positiver zu beurteilen ist, als das die zeitgenössische Diskussion vermuten ließe, noch nicht, daß die Unternehmensgruppe nicht auch weiterhin mit Vermietungsschwierigkeiten zu rechnen hatte. Dafür gab es vor allem einen Grund: die Höhe der Mietpreise für Neubauten. Dieses Problem stellte für die NH eine noch größere Herausforderung dar als das Image der Großsiedlungen, zumal die hohen Mieten nicht nur die Vermietbarkeit der um 1974 herum fertiggestellten Wohnungen gefährdeten, sondern auch die einige Jahre älteren Bauten betrafen. Schließlich waren diese zum Teil nach dem 1966/67 erstmals eingerichteten System der degressiven Förderung errichtet worden.184 Unter den Rahmenbedingungen der zweiten Hälfte der siebziger Jahre war dieses System nur mit Mühe aufrechtzuerhalten. „Der Abbau der Subventionen“, so stellte die NH fest, „bedeutet Mietsprünge, die, obwohl seit Vertragsabschluß bekannt, im Zeitpunkt der Fälligkeit zu erheblicher Unruhe und zum Teil massivem Widerstand auf Seiten der Mieterschaft führen.“185 Zwar entschlossen sich 1976 einige Bundesländer, die Laufzeiten der von ihnen gewährten Subventionen um ein Jahr zu verlängern. Kurzfristig konnten die zu erwartenden Mietsprünge auf diese Weise eingeebnet werden, aber angesichts der knappen Kassen der öffentlichen Hand war absehbar, daß dies keine dauerhafte Lösung sein konnte.186 Die von der NH angepeilte Wohnwertmiete und auch das Alternativmodell einer „Unternehmensmiete“, bei der Kostensteigerungen in einzelnen Siedlungen auf den Gesamtbestand eines Un180 Vgl. Fuhrich 1983, S. 157 f. 181 Vgl. NH Nord, Wohnzufriedenheit in Hamburg-Mümmelmannsberg, 9.2.1976, StA HH, 622– 2 Cordua 20, S. 2 sowie Fuhrich 1983, S. 157 f. 182 Vgl. Schmidt-Bartel/Meuter 1986, S. 6, S. 8 f., S. 42 u. S. 44. 183 Zur Lage: Neue Stadtteile bei den Bewohnern beliebt, NHM 1976,5, S. 53–54, hier S. 53. 184 Vgl. Kap. 5.3.3.1 dieser Arbeit. 185 Probleme der Bestandspolitik. Anlage zum Bericht des Vorstandes, 3.12.1976, StA HH, 622– 2 Cordua 22, S. 2. 186 Vgl. JB 1977/78, S. A 3 sowie Probleme der Bestandspolitik. Anlage zum Bericht des Vorstandes, 3.12.1976, StA HH, 622–2 Cordua 22, S. 3.

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ternehmens hätten verrechnet werden sollen, schieden als Lösungsmodelle ebenfalls aus; einmal aufgrund der nach wie vor bestehenden Bedenken auf Seiten des DGB, zum anderen aber auch deswegen, weil beide Modelle überaus große Umsetzungsschwierigkeiten aufgeworfen hätten.187 Selbst wenn sie erfolgreich verwirklicht worden wären, wäre das Problem der „Mietsprünge“ aber immer noch nicht ohne weiteres in den Griff zu bekommen gewesen. Denn diese gingen nicht allein auf die degressive Förderung zurück, sondern auch auf einen Anstieg der Nebenkosten. Das betraf zum einen die im Mietpreis enthaltenen Verwaltungs- und Instandhaltungspauschalen, die im Laufe der siebziger Jahre mehrfach kräftig erhöht wurden; und es betraf zum anderen die Betriebskosten, also die mit der Ölkrise explodierenden Heizkosten und die in der zweiten Hälfte der siebziger Jahre in die Höhe schnellenden öffentlichen Gebühren. Während die Sozialmieten zwischen 1970 und 1979 durchschnittlich „nur“ um knapp 50% anstiegen, belief sich die Steigerungsrate bei den Kosten für Strom und Kohle im gleichen Zeitraum auf 80%, bei Wasser auf 90% und bei Heizöl sogar auf 130%.188 Diese „zweite Miete“189 floß zwar – anders als die Verwaltungsund Instandhaltungspauschalen – nicht in die Kassen der Unternehmensgruppe, aber sie wurde von ihr zusammen mit der Miete erhoben und erst dann mit den jeweiligen Dienstleistern abgerechnet. Für die Mieter machte es dabei kaum einen Unterschied, ob sie aufgrund von Mietpreissteigerungen oder aufgrund gestiegener Betriebskosten mehr Geld für ihre Wohnung aufbringen mußten; erfreut waren sie weder über das eine noch über das andere. Im Kern konnte die NH gegen diese steigenden Belastungen kaum etwas unternehmen. Sie waren in erster Linie das Ergebnis unternehmensexterner Faktoren. Um so wichtiger war es aber, diese steigenden Belastungen so zu „managen“, daß die Verärgerung der Mieter möglichst gering gehalten, Verständnis für die Entwicklung der Mieten und Mietnebenkosten geweckt und der Bestand der Unternehmensgruppe damit möglichst attraktiv gemacht wurde. Das sah der Vorstand auch durchaus ein; Vietor erklärte es sogar zu einem Hauptziel, die seines Erachtens viel zu niedrige Mietzahlungsbereitschaft nachhaltig anzuheben.190 In diesem Punkt versagte die NH aber weitgehend. Durch die Art und Weise, wie sie die Mietpreisentwicklung zu vermitteln versuchte, beförderte sie vielmehr die Unruhe unter den Mietern noch. Auch dieses Problem hatte seinen Ausgangspunkt in der Größe der Unternehmensgruppe. Mit einem Bestand von 1974 etwa 350.000 Wohnungen war sie zweifelsohne darauf angewiesen, „Verwaltungsvorgänge zu standardisieren und zu rationalisieren.“191 Deshalb hatte sie schon 1967 ein zentrales Rechenzentrum eingerichtet, das die Mietabrechnung für alle der von ihr verwalteten Wohneinheiten übernahm.192 Prinzipiell war dies im Sinne einer Kosteneinsparung sinnvoll. Unter den Bedingungen der siebziger Jahre erwies sich diese Vorgehensweise aber 187 188 189 190 191 192

Vgl. ebd. Vgl. JB 1979/80, S. B 11. JB 1978/79, S. B 11. Vgl. Vietor o. D. [1976], S. 5 u. S. 9. Fuhrich 1984, S. 192. Vgl. Protokoll AR NHH, 10.5.1967, DGBA-BV, Abt. Finanzen, 24/449, S. 5.

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als kontraproduktiv. Denn die zahlreichen und häufigen Kostenerhöhungen an verschiedenen Fronten führten dazu, daß die Mieter der Unternehmensgruppe seit der Mitte des Jahrzehnts mit den jeweils fälligen Mietänderungerklärungen (zu denen die NH gesetzlich verpflichtet war) geradezu bombardiert wurden. In einzelnen Fällen erhielten Mieter in einem Jahr bis zu fünf solcher Mitteilungen.193 Abgesehen von den höheren Kosten war es vor allem die Form der Mietänderungserklärungen, die für Verärgerung sorgte. Denn zum einen beliefen sie sich – gerade bei den Nebenkosten – häufig auf Kleinstbeträge, die aus Sicht der Mieter die Frage aufkommen ließen, „ob die Erstellung und Verschickung der (...) Mietänderungserklärungen nicht teurer kommt als die monatliche Mieterhöhung.“194 Zum anderen aber war es die Gestaltung der mit dem Computer erstellten Dokumente, die die Kritik auf sich zog. Die wenigsten Mieter waren mit den Regularien der Berechnung der Kostenmiete vertraut. Mit den von der Unternehmensgruppe zugestellten „Auszügen aus der Wirtschaftlichkeitsberechnung“, die von einer „computer-gestützte[n] Sprache aus betriebswirtschaftlichen und gesetzlichen Versatzstücken“195 geprägt war, konnten sie in der Regel nichts anfangen. Das war beileibe keine Lappalie, denn die Mietabrechnung bildete zweifelsohne die wichtigste Schnittstelle in der Kommunikation zwischen Mietern und Wohnungsunternehmen.196 An dieser Schnittstelle brachte die Unternehmensgruppe deutlich zum Ausdruck, daß ihr bei der Wohnungsverwaltung Rationalisierungseffekte wichtiger waren als der Kontakt zu ihren Kunden. „Die Formsprache und die Verwendung standardisierter Computerausdrücke [sic]“, so faßte ein Kritiker der Unternehmensgruppe diese problematische Prioritätensetzung zusammen, „entspricht zwar den Anforderungen einer ordnungsgemäßen Geschäftsführung und der Rationalisierung wiederkehrender Verwaltungsvorgänge. Sie drückt aber andererseits auch die Ferne zum Bewohner der verwalteten Mietwohnung aus.“197 Dieses Problem der „Ferne zum Bewohner“ ließ sich nicht ohne weiteres abstellen. Zwar versuchte die NH seit 1977, die Mietabrechnungen optisch besser aufzubereiten und sie durch zusätzliche Erklärungen zu ergänzen.198 Hinzu kamen generell verstärkte Bemühungen, einen stetigen Kommunikationsfluß mit den Mietern aufrechtzuerhalten. So ließ die Unternehmensgruppe ihnen jeden Monat die Zeitschrift „Gut Wohnen“, das Organ des GGW, zustellen, das sie um eine speziell auf ihre Mieter zugeschnittene Beilage ergänzte. Zudem spielte sie mit dem Gedanken, einen eigenen, nur für ihre Siedlungen bestimmten Fernsehkanal aufzubauen.199 Aber diese Maßnahmen konnten die Schwierigkeiten, die die NH 193 194 195 196

Vgl. Fuhrich 1983, S. 13. Fuhrich 1984, S. 199. Ebd., S. 198. Vgl. Rolf Dehnkamp, Welchen Wert kann die EDV haben?, NHM 1978,4, S. 27–29, hier S. 29. 197 Fuhrich 1984, S. 198 198 Vgl. Rolf Dehnkamp, Welchen Wert kann die EDV haben?, NHM 1978,4, S. 27–29, hier S. 29. 199 Vgl. Fuhrich 1984, S. 195; Schulz 1987, S. 35; Wallenhorst 1993, S. 354 f. sowie die Auseinandersetzungen zwischen NH und DGB über die Frage der Trägerschaft der von der Unternehmensgruppe in ihren Siedlungen eingerichteten Kabelnetze in Protokoll BV 2.1.1976 (Übertragung aus dem Stenogramm), DGBA-BV, Abt. Vorsitzender, 5/DGAI 491, S. 28 ff.

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bei der Kontaktpflege mit ihren Mietern hatte, bestenfalls lindern; zu lösen waren sie mit rein kommunikativen Mitteln nicht, weil sie Ausdruck eines Problems waren, das weit grundsätzlicherer Natur war. Es wurzelte zum Teil in den Unregelmäßigkeiten der Geschäftsführung, die 1982 zum Vorschein kamen, größtenteils aber in den organisatorischen Strukturen der Unternehmensgruppe. Besonders deutlich war die Bedeutung dieser Faktoren wiederum im Zusammenhang mit den Mietabrechnungen zu erkennen – und zwar in den Fällen, in denen Mieter nicht nur ihren Unmut äußerten, sondern tatsächlich versuchten, Aufklärung über strittige Punkte zu erhalten. Das geschah verhältnismäßig selten, weil es in aller Regel keinen Grund gab, an der Ordnungsmäßigkeit dieser Abrechnungen zu zweifeln; schließlich mußte die Unternehmensgruppe die gesetzlichen Bestimmungen einhalten, und sie unterlag dabei der Kontrolle durch den Prüfungsverband. Fehler und überhöhte Mietabrechnungen kamen vor, aber dabei handelte es sich um Einzelfälle.200 Eine größere Ausnahme von dieser Regel gab es allerdings: Das waren jene Betriebskosten, die den Mietern durch die Zulieferverträge der NH mit zwei dubiosen Unternehmen entstanden. Zum einen handelte es sich dabei um die teletherm Gesellschaft für Fernwärme, deren Geschäftszweck im Bau und Betrieb von Block- und Fernheizkraftwerken bestand (genau genommen gab es nicht die teletherm, sondern zahlreiche lokale, selbständige Betreibergesellschaften, die allerdings stets den gleichen Namen trugen und die gleichen Besitzer hatten).201 Das andere Unternehmen war die AVB Antennenverwaltungs- und Betreuungsgesellschaft, die sich auf die Errichtung von Gemeinschaftsantennenanlagen spezialisiert hatte. Beide Gesellschaften sorgten wiederholt für großen Ärger in der Mieterschaft der NH. Sie wurden regelmäßig beschuldigt, überhöhte Heizkosten und überhöhte Nutzungsgebühren für Antennenanlagen zu kassieren. Hinsichtlich der AVB trafen diese Vorwürfe zu: So stellte der VNW 1982 fest, daß die von der Gesellschaft erhobenen Gebühren seit 1974 stets deutlich über den Preisforderungen anderer Anbieter gelegen hatten.202 Bei der tele-therm lag der Fall weniger eindeutig. Zwar errechnete eine Berliner Mieter-Initiative 1981, daß die Wärmeversorgung durch diese Gesellschaft 30% teurer war als die vergleichbarer anderer Anbieter; das scheint jedoch ein Einzelfall gewesen zu sein. Dauerhaft überhöhte Preise waren dem Unternehmen jedenfalls nicht nachzuweisen.203 Statt dessen kam bei ihm aber ein anderes Problem zum Tragen: die extreme Intransparenz seiner Kostenberechnung. So benutzte die tele-therm als Grundlage ihrer Preisgestaltung eine äußerst komplizierte Gleitklausel, die auf einer Vielzahl verschiedener Variablen – vom Ölpreis bis zum Lohntarif des Heizungs- und Lüftungshandwerks – beruhte.204 Für die meisten betroffenen Mieter war diese Berechnungsmethode völlig undurchschaubar. Gerade in Zeiten dauernder Kostener-

200 201 202 203 204

und Fernschreiben Vietors und Ginholds, betr. Netzträgerschaft künftiger Kabelfernsehnetze, DGBA-BV, Abt. Vorsitzender, 5/DGAI 491. Vgl. Fuhrich 1984, S. 203 sowie ausführlich PUA HH, S. 885 ff. Vgl. ebd., S. 681 ff. Vgl. ebd. S. 895 f. Vgl. Kusch 1986, S. 33. Vgl. Gut getarnt im Dickicht der Firmen, SPIEGEL 36.1982,6, S. 92–104, hier S. 102.

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höhungen wäre es deshalb für die Gesellschaft um so wichtiger gewesen, ihre Kunden umfassend zu informieren und Verständnis für die steigenden Preise zu wecken. Die tele-therm und die NH, die für sie die Abrechnung gegenüber den Mietern übernommen hatte, taten allerdings das genaue Gegenteil: „Wenn“, so stellte der SPIEGEL 1982 fest, „Mieter nachfragen, wie denn ihre Heizkostenrechnungen zu verstehen seien, dann bekommen sie von den Experten der Neuen Heimat nichtssagende oder verwirrende Antworten.“205 Dazu zählten etwa mehrseitige Berechnungsbeispiele, die selbst die Richter des Lübecker Amtsgerichtes in einer Reihe von der tele-therm angestrengter Verfahren gegen Heizkosten-Boykotteure nicht verstanden (die Gesellschaft verlor prompt alle diese Prozesse).206 Die daraufhin wiederholt von Mietern artikulierten Forderungen an die NH, die Zusammenarbeit mit der tele-therm zu beenden, stießen bei der Unternehmensgruppe allerdings auf wenig Gegenliebe – aus einem einfachen Grund: Die tele-therm-Gesellschaften gehörten ebenso wie die AVB dem ehemaligen Leiter der volkswirtschaftlichen Abteilung der NH, Karl Maximilian Eberhardt. Eberhardt war 1959 aus der NH ausgeschieden, hatte sich selbständig gemacht und wollte 1963 in das Geschäft mit der Fernwärme einsteigen – allerdings nicht aus eigenem Antrieb, sondern auf Initiative seines ehemaligen Vorgesetzten Albert Vietor. Vietor und eine Reihe weiterer hochrangiger NH-Mitarbeiter schlugen Eberhard ein Geschäft vor: Sie boten ihm an, den Löwenanteil des Kapitals für eine neu zu gründende Fernwärmegesellschaft aufzubringen und für die nötigen Aufträge zu sorgen, wenn er sich im Gegenzug bereiterklärte, als Treuhänder für ihre Anteile zu fungieren. Genau so geschah es auch: An der 1966 gegründeten „Kommanditgesellschaft tele-therm Lübeck mbH & Co.“ waren gleich zehn NHAngehörige und darüber hinaus noch Walter Hesselbach, der Chef der BfG, als Treugeber für den offiziell von Eberhard gehaltenen 92%igen Kommanditanteil beteiligt.207 Ähnlich wurde später auch bei der tele-therm Berlin verfahren. Mit anderen Worten: Die tele-therm gehörte zum überwiegenden Teil den Vorstandsmitgliedern der Unternehmensgruppe, und das gleiche galt aller Wahrscheinlichkeit nach auch für die AVB. Da beide Gesellschaften die NH mit Dienstleistungen belieferten, erfüllte das den Tatbestand der Selbstkontrahierung. Aus diesem Grund standen die tele-therm und die AVB im Mittelpunkt des ersten SPIEGEL-Artikels aus dem Jahr 1982, der den Skandal um die Unternehmensgruppe auslöste.208 Zunächst aber waren die Mieter und nicht die Vorstandsmitglieder der NH die Leidtragenden dieser Konstruktion, denn sie führte dazu, daß eine Beendigung der Zusammenarbeit zwischen der Unternehmensgruppe und den genannten Gesellschaften nicht in Frage kam. Allerdings ist auch festzuhalten, daß von den Geschäften der AVB wahrscheinlich, von denen der tele-therm ganz sicher nur ein recht geringer Anteil der Mieterschaft betroffen war: 1974 wurden nur etwa 7% der NH-eigenen Wohnungen mit Fernwärme beheizt, und auch davon entfiel nur 205 Ebd., S. 101. 206 Vgl. ebd., S. 102. 207 Vgl. ebd., S. 99. Die im einzelnen sehr komplizierten Details der Beteiligungsverhältnisse sind PUA HH, S. 681 ff., zu entnehmen. 208 Vgl. Kap. 6.4 dieser Arbeit. Zu den Indizien der niemals zweifelsfrei nachgewiesenen Beteiligung von einigen Vorstandsmitgliedern an der AVB vgl. PUA HH, S. 688 ff.

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ein – nicht genauer bezifferbarer – Teil auf die tele-therm, der Rest aber auf Kraftwerke, die von Esso und Shell betrieben wurden.209 Was die Frage der Kommunikation mit den Mietern betraf, waren die von der AVB und der tele-therm verursachten Schwierigkeiten deshalb nur Sonderfälle. Tatsächlich stellte die mangelnde Auskunftsfreudigkeit der Unternehmensgruppe aber ein wesentlich grundsätzlicheres Problem dar, das nicht allein in den illegalen Nebengeschäften des Vorstandes, sondern auch in der Unternehmensorganisation begründet lag. Das begann damit, daß den Mietern für Fragen der Mietberechnung in ihrem unmittelbaren Umfeld keine Ansprechpartner zur Verfügung standen. In den Großsiedlungen waren die Hausverwalter, die ausschließlich mit technischen Aufgaben betraut waren, die einzigen Vertreter der Unternehmensgruppe. Die zuständigen Vermietungssachbearbeiter saßen dagegen in den Regionalgesellschaften und waren dort nicht nur für eine Großsiedlung, sondern i. d. R. für einige tausend Wohnungen zuständig. Zwar gab es beispielsweise bei der NH Nord noch einmal eine Unterteilung in „Bestandsgruppen“, die als weitgehend selbständige Einheiten für die Bewirtschaftung und Verwaltung eines regional begrenzten Teils der Wohnungsbestände zuständig waren, und diese Unterteilung wurde bis 1975 auch in den übrigen Regionalgesellschaften eingeführt.210 Aber auch damit war das Problem nicht in den Griff zu bekommen: Selbst die kleinste Bestandsgruppe der NH Nord verwaltete etwa 5.500 Wohnungen. Alle Mieter der Unternehmensgruppe mußten sich bei Fragen hinsichtlich ihrer Mietabrechnung an diese regionale Zentrale wenden, „auch in Stadtteilen mit NEUE HEIMAT-Wohnanlagen von 1.000 und mehr Vermietungseinheiten gibt es keine Verwaltungsaußenstelle zur Kontaktpflege mit den Mietern.“211 Gerade in den Fällen, in denen – wie etwa in Mümmelmannsberg – in Großsiedlungen mit NH-Wohnungen auch andere Wohnungsunternehmen vertreten waren, machte sich schnell bemerkbar, daß dies einen erheblichen Wettbewerbsnachteil darstellte. Vor allem die kleinen Unternehmen vermochten es sehr viel besser als die NH, mit ihren Mietern zu kommunizieren und Mängel zu beheben.212 Im Kern bestand das Problem der Unternehmensgruppe also darin, daß eine „bestandsorientierte Wohnungsversorgung (...) nach dezentralen, mieternahen Verwaltungsstrukturen“213 verlangte. Diese mieternahen Verwaltungsstrukturen konnte die NH mit ihrer hochzentralisierten, noch immer hauptsächlich auf den Neubau ausgerichteten Unternehmensorganisation nicht aufbieten, zumal auch hier die Mentalität ihrer Angestellten diesen Nachteil noch vergrößerte. Beschwerden über die herablassende Art der Sachbearbeiter und der Hausverwalter waren an der Tagesordnung, und selbst der Vorstand kam nicht um das Eingeständnis herum, daß gerade auf der Ebene derjenigen, die im intensivsten Kontakt mit den Mietern standen, „Bewußtseinsveränderungen“214 herbeigeführt werden mußten. Wie das anzustellen war, darüber bestand allerdings wenig Klarheit. Zwar führte 209 Vgl. Abrechnung von Heizungs- und Warmwasserkosten, Vorlage zu TOP 1.1.3 AA NHH/ NHS, 23.4.1975, StA HH, 622–2 Cordua 147, S. 11. 210 Vgl. JB NH Region Nordwest 1972/73, S. 97 ff. sowie JB 1976/77, S. B 17. 211 Fuhrich 1984, S. 193. 212 Vgl. Fuhrich 1983, S. 159. 213 Fuhrich 1984, S. 302.

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die Unternehmensgruppe ein internes Schulungsprogramm über den Umgang mit Mietern durch, aber gerade im Vergleich mit anderen Wohnungsunternehmen schnitten die Verwalter der NH auch weiterhin sehr schlecht ab.215 Auch die Institutionen, die die Unternehmensgruppe im Rahmen des Quartiersmanagements eingerichtet hatte – also die Mieterbeiräte und die Sozialarbeiter – konnten diesen Mißstand nicht beheben. Im Gegenteil: Während sie in Bezug auf die Regelung der Verhältnisse der Mieter untereinander die Erwartungen weitgehend erfüllten, stießen sie bei der Regelung von Konflikten zwischen Mieter und Vermieter schnell an ihre Grenzen. In Bezug auf die Probleme hinsichtlich der Mietabrechnungen oder der Instandhaltung konnten etwa die Sozialarbeiter die Funktion eines „Prellbockes für die Beschwerden der Mieter gegenüber der Wohnungsverwaltung“216 nur sehr bedingt wahrnehmen, weil sie in diesen Fragen über keinerlei Kompetenzen verfügten und zudem von vielen Mietern nicht als neutrale Anlaufstellen, sondern als Interessenvertreter der NH betrachtet wurden. Die Mieterbeiräte steckten in einem ähnlichen Dilemma: Ein Mitspracherecht in Instandhaltungs- und Vermietungssachen besaßen sie nicht. Das war problematisch, weil es die von Seiten einiger Mieter geäußerten Hoffnungen auf eine der Produktionssphäre ähnliche Form der Mitbestimmung enttäuschte. Zwar hatte die Unternehmensgruppe von vornherein klargemacht, daß sie in den Mieterbeiräten keine Instrumente für den Ausbau von Partizipationsmöglichkeiten, sondern lediglich die Chance „zur Verbesserung der Kommunikation und des Informationsflusses zwischen Mieter und Vermieter“ sah.217 Diese Linie verfolgte die NH aber mit einer Rücksichtslosigkeit, die sich kontraproduktiv auswirkte. Zumindest in Einzelfällen versuchte sie, die Mieterbeiräte selbst in vergleichsweise geringfügigen Angelegenheiten zu umgehen, weil sie fürchtete, dadurch den Wunsch nach stärkeren Mitbestimmungsrechten zu fördern. Das führte dazu, daß die Mieterbeiräte von den Betroffenen bald nur noch als Alibi-Veranstaltung betrachtet wurden.218 „Viele Mieter der NEUE HEIMAT“, so lautete ihre Schlußfolgerung, „haben erkennen müssen, daß die Einrichtung von Mieterbeiräten noch nicht die erfolgreiche Wahrnehmung ihrer Interessen ermöglicht. Eine tatsächliche Interessenvertretung der Mieter kann (...) nur dann erfolgen, wenn die gewählten Vertreter mit mehr Kompetenzen ausgestattet sind und eine erfolgreiche Interessenvertretung über den Mieterbeirat auch den Mietern möglich erscheint.“219 Hierzu war die Unternehmensgruppe allerdings nicht bereit – aus verständlichen Gründen, denn schließlich war sie als Wirtschaftsunternehmen auf die Erhaltung ihrer Rentabilität angewiesen. Die Entscheidung über den Preis des angebotenen Produktes in die Hände der Kunden zu legen, wie dies von manchen Verfechtern eines „echten Mitspracherechtes“220 gefordert wurde, mußte ihr deshalb abwegig erscheinen. Andererseits war sie aber auch nicht in der Lage, dem Problem der 214 Protokoll AR NHH/NHS 13.2.1976, StA HH, 622–2 Cordua 20, S. 13. Vgl. auch Protokoll AA NHH/NHS 28.4.1976, StA HH, 622–2 Cordua 152, S. 8. 215 Vgl. Vietor 1978, S. 42. 216 Fuhrich 1984, S. 220. 217 JB 1979/80, S. B 12. 218 Vgl. Wallenhorst 1993, S. 365. 219 Fuhrich 1984, S. 225.

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mangelnden Nähe zu den Mietern auf andere Weise abzuhelfen. Insofern war es nicht verwunderlich, daß diese bei akuten Mißständen seit Mitte der siebziger Jahre vermehrt zum Mittel der Selbstorganisation griffen. „Sprunghaft steigende Mieten für Sozialwohnungen, falsch berechnete Betriebskosten oder Mängel in der Bauausführung“, so resümierte ein kritischer Bericht über die Unternehmensgruppe 1980, „haben einige Dutzend Mieterinitiativen im Ruhrgebiet, in Berlin, Wiesbaden, Köln, Bochum, Hannover und Hamburg, in Pforzheim und in Troisdorf gegen die ‚Neue Heimat‘ auf den Plan gerufen.“221 Im Umgang mit diesen Mieterinitiativen war die Unternehmensgruppe nun endgültig überfordert. Kritische Mieter versuchte sie mit Kündigungsdrohungen einzuschüchtern, und in Einzelfällen wurden solche Kündigungen auch vollstreckt.222 Für diese Überreaktion gab es eine ganze Reihe von Gründen; die aufgeheizte öffentliche Debatte über die Unternehmensgruppe, auf die in anderem Zusammenhang noch ausführlich einzugehen sein wird, war einer davon.223 Zum Teil war sie aber auch nur eine schiere Verzweiflungstat. Denn der Vorstand wußte, daß gerade hinsichtlich der Baumängel und der mangelnden Instandhaltung viele Mieterbeschwerden völlig zu recht ergingen. Vietor ließ das durchblicken, als er 1979 auf einer Betriebsversammlung davon sprach, „daß uns die Frage der Wohnungsverwaltung, die Frage der Instandhaltung unserer Wohnungen, überhaupt der Zustand unserer Wohnungen, besondere Sorge bereitet.“224 Allerdings mußte die Unternehmensgruppe zu diesem Zeitpunkt, um ihr wirtschaftliches Überleben zu sichern, bereits an allen Ecken und Enden sparen; und ausgerechnet die Instandhaltungspauschale war einer der wenigen Posten in der Bilanz, die sich kurzfristig manipulieren ließen.225 Das resultierte zwar in einem langfristig schädlichen Substanzverzehr, aber darum ging es Ende der siebziger Jahre schon nicht mehr. Die NH mußte vielmehr darauf bedacht sein, die Verluste, die sie mittlerweile in fast allen Sparten ihrer Geschäftstätigkeit einfuhr, in irgendeiner Weise zu kompensieren, um so den in greifbare Nähe gerückten Kollaps zu vermeiden.226 Die Zuspitzung der wirtschaftlichen Lage der Unternehmensgruppe trug somit weiter zu einer qualitativen Verschlechterung ihrer Wohnungsverwaltung bei. Der NHG gelang es daher in den späten siebziger Jahren nicht mehr, ihr Ergebnis aus der Hausbewirtschaftung zu verbessern. Zwar fiel die Zahl ihrer unvermieteten Wohnungen, die sich 1976 auf 4.600 belaufen hatte, ab 1978 wieder; aber das geschah nur deshalb, weil sich der Vorstand 1977 dazu durchgerungen hatte, in 220 Ebd., S. 223 (im Original Nominativ: „echtes Mitspracherecht“). Zur Gegenargumentation der NH vgl. Wallenhorst 1993, S. 365 f. 221 Sepp Ebelseder, Angeklagt: Die Neue Heimat, STERN 33.1980,11, S. 18–25 u. S. 296–297, hier S. 23. 222 Vgl. ebd., S. 22. 223 Vgl. Kap. 6.3 dieser Arbeit. 224 Zusammenfassung nach Themenbereichen der Rede des Vorsitzenden des Vorstandes der Unternehmensgruppe NEUE HEIMAT, Albert Vietor, auf der Betriebsversammlung am 18.1.1979, S. 8, zit. nach Fuhrich 1984, S. 232. Zum Wissen des Vorstands um Versäumnisse in dieser Frage vgl. auch Mehnert 1997, S. 109. 225 Vgl. Schulz 1987, S. 57 sowie Protokoll AR NHH, 3.7.1981, StA HH, 622–2 Cordua 37, S. 10. 226 Vgl. ebd. sowie Kap. 6.1.2.2 und Kap. 6.1.2.3 dieser Arbeit.

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großem Umfang auf das Mittel des Mietverzichts zurückzugreifen, also seine Wohnungen zu Preisen unterhalb der Kostenmiete an den Mann zu bringen. Die Mietausfälle gingen deshalb, anders als die Leerstände, bis 1980 nicht zurück, sondern bewegten sich seit 1976 stabil in der Größenordnung von etwa 70 Mio. DM pro Jahr.227 Diese negative Entwicklung war nur zum Teil den überhöhten Kostenmieten und somit der Wohnungspolitik zuzuschreiben: Die mißglückte Vermietungspolitik der Unternehmensgruppe bildete in diesem Zusammenhang einen ebenso wichtigen Faktor. Und diese war wie die Konkurrenzschwierigkeiten, mit denen die NH im Neubau zu kämpfen hatte, ein Problem, das in erster Linie in den Grundsätzen der Unternehmensorganisation wurzelte. Für die Frage nach den Ursachen der krisenhaften Entwicklung der NH in der zweiten Hälfte der siebziger Jahre ist daher eine genauere Betrachtung dieser Grundsätze unerläßlich. 6.1.2 Der Niedergang des gemeinnützigen Konzernteils 6.1.2.1 Konsolidierung oder Expansion? Unternehmensorganisation in der Umbruchphase Zweifellos war der Vorstand der NH von dem Ausmaß des Rückgangs, den der Wohnungsbau in der zweiten Hälfte der siebziger Jahre hinnehmen mußte, überrascht worden. Die grundsätzliche Tatsache, daß sich die Rahmenbedingungen wegen des Ausgleichs des Wohnungsdefizits in diesem Zeitraum tendenziell verschlechtern würden, hatte er allerdings frühzeitig vorhergesehen. Schon 1972 war deshalb eine Debatte über die Frage entbrannt, welche Konsequenzen aus dieser Erkenntnis zu ziehen seien. In deren Verlauf kristallisierte sich eine grundsätzliche Richtungsentscheidung heraus, die für den weiteren Kurs der Unternehmensgruppe von kaum zu überschätzender Bedeutung war. Den Anlaß für diese Diskussionen bildete eine zweitätige Klausursitzung, zu der der Vorstand im Januar 1972 in Garmisch-Partenkirchen mit dem DGB-Bundesvorstand zusammentraf. Diese Tagung war im wesentlichen auf das Drängen eines Vorstandsmitgliedes, Ludwig Geigenbergers, einberufen worden. Geigenberger war seit 1955 Geschäftsführer der NH Bayern und später auch der NH Baden-Württemberg gewesen. 1970 hatte Vietor ihn zum Regionalvorstandsmitglied für den diese beiden Gesellschaften umfassenden Süd-Bereich nach Hamburg berufen.228 Dort versuchte er schon kurz nach Beginn seiner Amtszeit, eine Debatte über die Entwicklung der Kapitalbasis der Unternehmensgruppe in die Wege zu leiten. Bei seinen Vorstandskollegen stieß er damit zwar nur auf geringe Resonanz, aber immerhin erreichte er, daß er auf der besagten Klausurtagung einen

227 Vgl. PUA HH, S. 222 f.; Bericht über die Bestandsverwaltung, Anlage 1: Entwicklung der Leerstände bei Mietwohnungen des eigenen und gepachteten Bestandes, Vorlage zu TOP 3 ARP NHH/NHS, 30.11.1978, StA HH, 622–2 Cordua 78 sowie zum Umfang der Mietverzichte JB 1979/80, S. B 10. 228 Zu Person und Laufbahn Geigenbergers vgl. den Lebenslauf in StA HH, 622–2 Cordua 165.

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Vortrag mit dem Titel „Gedanken über die Entwicklung neuer Beteiligungs- und Kapitalstrukturen“229 halten durfte. Vermutlich waren die in Garmisch anwesenden Gewerkschaftsvorsitzenden von dem, was Geigenberger ihnen in diesem Vortrag präsentierte, sehr überrascht. Denn nach außen hin galt die Unternehmensgruppe 1972 als ein vitaler, finanzstarker Baugigant, der durch gelegentliche konjunkturelle Höhen und Tiefen kaum aus der Spur zu bringen war.230 Geigenbergers Darstellung vermittelte einen anderen Eindruck. Der Regionalvorstand sah die NH an einem Wendepunkt angelangt und erhob eine Reihe von Forderungen, die insgesamt darauf hinausliefen, die expansive Politik der vergangenen Jahre zu beenden und einen Konsolidierungskurs einzuschlagen. Den Ausgangspunkt seiner Überlegungen bildete die sich abzeichnende Übersättigung des Marktes, die eine hohe Wohnungsproduktion zu den Bedingungen der vorangegangenen Jahre nicht mehr zuließ. Nach Geigenbergers Auffassung war damit ein zentraler Pfeiler des Unternehmenswachstums, die auf den Überschüssen aus dem Neubau basierende „Selbstfinanzierung“, hinfällig. Dies erforderte eine Ausweitung der Eigenkapitalbasis, weil der hohe Fremdkapitalaufwand der Unternehmensgruppe seiner Meinung nach unter dieser Voraussetzung nicht mehr sicher zu bewältigen war. Angesichts eines Verwaltungsbestandes von ca. 300.000 Objekten bezifferte Geigenberger den rechnerischen Eigenkapitalbedarf für eine risikofreie Finanzierung des gemeinnützigen Konzernteils auf etwa eine Milliarde DM.231 Trotz zahlreicher Kapitalerhöhungen in den vergangenen Jahren fehlten hierzu 1972 noch etwa 120 Mio. DM. Geigenberger zog hieraus hieraus die Konsequenz, daß die Gewerkschaften in Zukunft jährlich etwa 20 bis 30 Mio. DM in die Unternehmensgruppe einbringen müßten. Nur auf diese Weise lasse sich die Organisation in der bestehenden Form erhalten.232 Die Alternative, die der Regionalvorstand aufzeigte, war ebenso eindeutig wie unangenehm: Er wies darauf hin, „daß, wenn solche Hilfen seitens der Gesellschafter nicht stattfinden, unverzüglich daran gegangen werden muß, (...) das Personal und die Organisation also erheblich zu reduzieren, weil eben auch schon zu Beginn des Jahres ‘72 die Marktverhältnisse die Fortsetzung eines (...) unternehmerischen Wohnungsbaus dieses Umfangs nicht mehr zulassen.“233 Mit anderen Worten: An229 Der Titel des Vortrags ist der in DGBA-BV, Abt. Organisation, 24/378, enthaltenen Einladung zu der Tagung (datiert 13.1.1972) entnommen. Der Vortrag selbst ist nicht überliefert. Die folgende Darstellung stützt sich auf Geigenbergers Aussage vor dem Bonner NH-Untersuchungsausschuß und auf einen Brief, den Geigenberger im Zuge der Auseinandersetzungen nach dem Skandal des Jahres 1982 an den DGB-Vorsitzenden Ernst Breit geschrieben hat (vgl. Brief Geigenberger an Breit, 23.3.1983, StA HH, 622–2 Cordua 49). Diese Quellen sind insofern problematisch, als sie elf bzw. 16 Jahre nach dem Vortrag entstanden sind und zudem von Geigenberger selbst stammen. Sie werden allerdings durch das Interview mit Wolfgang Vormbrock vom 12.9.2003 bestätigt. Auch der Rücktritt Geigenbergers im Anschluß an die Klausurtagung in Garmisch kann als Indiz für Richtigkeit seiner Darstellung gelten. 230 Vgl. Kap. 6.3.1 dieser Arbeit. 231 Vgl. Brief Geigenberger an Breit, 23.3.1983, StA HH, 622–2 Cordua 49, S. 3. 232 Vgl. ebd., S. 5 sowie Aussage Geigenberger, Stenographisches Protokoll 27. Sitzung des 3. Untersuchungsausschusses „Neue Heimat“, 25.9.1986, Parlamentsarchiv des Deutschen Bundestages, Bestand PUA Neue Heimat, Ordner „Prot 27–28–30“, S. 82. 233 Ebd., S. 83.

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gesichts der veränderten Marktlage hätte nach Geigenbergers Auffassung die Organisation radikal umgebaut werden und ein großer Teil des Personals entlassen werden müssen.234 Diese Option schied allerdings von vornherein aus. Zum einen waren größere Entlassungen aus gewerkschaftlicher Perspektive schon aus prinzipiellen Gründen kaum vertretbar. Zum anderen war just in dem Moment, in dem Geigenberger seine Ideen vorstellte, eine gewerkschaftsinterne Debatte im Gange, die wenige Monate später in einem Programmpapier und damit einer öffentlichen Standortbestimmung über „Ziele und Funktionen der gemeinwirtschaftlichen Unternehmen“235 mündete. Im Unterschied zu den noch Mitte der sechziger Jahre verbreiteten Ansichten vertrat der DGB in diesem Papier die Auffassung, daß „eine vorbildliche Betriebs- und Unternehmensverfassung“ als „Basis für eine fortschrittliche Unternehmensführung in gemeinwirtschaftlichen Unternehmen“236 betrachtet werden müsse. Konkret forderte er die Verwirklichung einer demokratischen Betriebs- und Unternehmensverfassung, beispielhafte Arbeitsbedingungen, weitgehende Publizität und eine vorbildliche Berufsförderung. Beinahe wie einst die Genossenschaften sollten die gemeinwirtschaftlichen Unternehmen nun nicht mehr nur die Aufgabe der Versorgung und der Wettbewerbsregulierung übernehmen, sondern auch eine Art alternativer Produktionskultur etablieren helfen.237 Diese neue Standortbestimmung, die vor allem auf den Druck einer mit den eigenen Unternehmen unzufriedenen Gewerkschaftsbasis zurückging, führte dazu, daß die Ausgestaltung der Binnenorganisation im gewerkschaftlichen Sinne zu einem der „höchsten Heiligtümer gemeinwirtschaftlichen Glaubens“238 erhoben und von den Gewerkschaften in den folgenden Jahren mit besonderer Aufmerksamkeit bedacht wurde. Die von Geigenberger ins Auge gefaßte Verkleinerung der Unternehmensorganisation oder auch nur eine Absenkung des außergewöhnlich hohen Niveaus der von der NH angebotenen Sozialleistungen hätte sich damit nur schwerlich vereinbaren lassen. So blieb als Alternative in Geigenbergers Szenario nur die Forderung nach einer Finanzspritze zur Aufstockung des Eigenkapitals. Und auch hier fiel die Antwort der Vorsitzenden der Einzelgewerkschaften deutlich aus: Sie waren unter keinen Umständen bereit, sich in dem geforderten Umfang finanziell zu engagieren. Ihre Begründung war denkbar einfach: „Die sagten: Bei Beteiligung an einer 234 Vgl. ebd., S. 127. 235 Ziele und Funktionen der gemeinwirtschaftlichen Unternehmen, in: Leminsky/Otto 1974, S. 277–280. Zum Beginn der Debatte über dieses Papier vgl. Protokoll GBV, 10.5.1971, DGBA-BV, Abt. Vorsitzender, 5/DGAI 382, S. 2. 236 Ziele und Funktionen der gemeinwirtschaftlichen Unternehmen, in: Leminsky/Otto 1974, S. 277–280, hier S. 279. 237 Vgl. ebd. 238 Aussage Geigenberger, Stenographisches Protokoll 27. Sitzung des 3. Untersuchungsausschusses „Neue Heimat“, 25.9.1986, Parlamentsarchiv des Deutschen Bundestages, Bestand PUA Neue Heimat, Ordner „Prot 27–28–30“, S. 127. Zum Druck der Gewerkschaftsbasis vgl. die Anträge 22, 23 und 24 in: DGB-Bundesvorstand, Abt. Organisation (Hg.), Protokoll 9. ordentlicher Bundeskongreß Berlin 25. bis 30. Juni 1972, o. O. 1972, Abschnitt „Anträge und Entschließungen“, S. 24–26. Zu den Ursachen der darin zum Ausdruck kommenden Unzufriedenheit vgl. Kap. 6.3.2.1 dieser Arbeit.

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gemeinnützigen Gesellschaft bekommen wir 4% brutto abzüglich 25% Kapitalertragssteuer, dann haben wir 3%; das ist für die Kalkulation unserer Kassierer vollkommen unzumutbar. Als Anlage scheidet das aus.“239 Die Gewerkschaftsvorsitzenden waren also nicht bereit, die gemeinnützigkeitsrechtlich geforderte Gewinnbeschränkung in Kauf zu nehmen, jedenfalls nicht in dem Umfang, in dem dies nach Geigenbergers Auffassung nötig gewesen wäre (ganz abgesehen davon, daß sie vermutlich große Schwierigkeiten gehabt hätten, die geforderten Beträge aufzubringen). Ihre Ablehnung brachten sie auf drastische Weise zum Ausdruck: „Man hat mir aus berufenem Mund (...) vorgeworfen,“ schilderte Geigenberger die Situation im Rückblick, „ich würde jetzt versuchen, den Gewerkschaftskassierern das Geld aus der Tasche zu stehlen, und da sei ich wohl zu spät aufgestanden. Da würde man lieber das Geld auf Schweizer Banken anlegen. (...) Mehr auf dem Bauch landen als wie ich [sic] (...) konnte man nicht.“240 Die Verantwortung für diese Bauchlandung traf allerdings nicht die Gewerkschaftsvorsitzenden alleine. Denn auch der Mann, der das Unternehmen seit nunmehr über zwei Jahrzehnten maßgeblich geprägt hatte und dessen Autorität nach wie vor unangefochten war, widersprach Geigenberger explizit. Es war Albert Vietor, der die Gesellschafter beruhigte und ein alternatives Szenario entwarf, dessen Quintessenz sinngemäß lautete: „Das ist alles Unsinn, was der Geigenberger da sagt, uns geht es hervorragend“.241 Vietors Optimismus basierte auf zwei Überlegungen. Zum einen war der Vorstandsvorsitzende „der Überzeugung (...), daß das geschaffene Vermögen so unermeßlich groß sei, daß man alles abfangen könne.“242 Sein Argument war, daß die Unternehmensgruppe ihr Anlagevermögen problemlos würde mobilisieren und so bei Bedarf ohne großen Aufwand eine halbe Milliarde DM oder mehr würde erwirtschaften können. Geigenberger sah das allerdings anders. Er vertrat die Auffassung, „daß das mit den Vermögensreserven stimmen möge, wenn jemand 300 Wohnungen hat.“ Bei einem Anlagevermögen von 300.000 Wohnungen lasse sich dies aber nicht behaupten: „Wenn Sie anfangen, 300.000 Wohnungen zu verkaufen, dann kriegen Sie entweder nichts mehr los, weil die kaufkräftige Nachfrage zu dem Zeitpunkt, zu dem Sie sie brauchen, gar nicht existiert, oder sie machen den Markt kaputt.“243 Dieses Argument war kaum von der Hand zu weisen. Auch Vietor, der ein erfahrener Fachmann war, muß sich darüber im Klaren gewesen sein. Daß er dennoch bei seiner Auffassung blieb, hatte einen anderen Grund: Er war nämlich der festen Meinung, daß es zum Fall der Fälle niemals kommen würde.244 Sein Kalkül war denkbar einfach: Wenn es der Unternehmensgruppe gelang, ihre Expansion zu verstetigen, konnte die Organisation in ihrer bisherigen Größe beibehalten werden, ohne daß dafür einschneidende Veränderungen notwendig waren. Man konn239 Aussage Geigenberger, Stenographisches Protokoll 27. Sitzung des 3. Untersuchungsausschusses „Neue Heimat“, 25.9.1986, Parlamentsarchiv des Deutschen Bundestages, Bestand PUA Neue Heimat, Ordner „Prot 27–28–30“, S. 155. 240 Ebd., S. 77. 241 Ebd., S. 155. 242 Ebd., S. 79. 243 Ebd., S. 156. 244 Vgl. ebd., S. 84.

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te das auch als eine Zwangslage interpretieren; wenn die Organisation aufrechterhalten werden sollte, war das Unternehmen „durch den Block der eigenen Gemeinkosten, durch den Block der eigenen Vorausinvestitionen auf viele Jahre hinaus gezwungen, mal ganz unabhängig von der Marktentwicklung, diese Dynamik einfach krampfhaft aufrechtzuerhalten.“245 Vietor setzte also auf eine strategische Option, derer sich die NH in den frühen sechziger Jahren schon einmal bedient hatte: „Expansion zur Vermeidung des Untergangs“.246 Für eine solche Unternehmenspolitik sah der Vorstandsvorsitzende eine ganze Reihe von Möglichkeiten. Die Grundlage hierfür bildete seine Auffassung, daß sich die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen und damit auch die Umsätze der Unternehmensgruppe im kommenden Jahrzehnt ähnlich entwickeln würden wie in den vorangegangenen Jahren. „Ausgehend von einer Steigerungsrate für die Jahre 1962 bis 1972 von über 500%,“, so argumentierte Vietor, „sei auch in den kommenden Jahren ein enormer Anstieg der Bilanz- und Umsatzzahlen zu erwarten“.247 Wer darin die von Spöttern im nachhinein häufig monierte Tendenz erkennt, die Wachstumskurve aus den sechziger Jahren mit dem Lineal bis in das Jahr 2000 zu verlängern, liegt nicht völlig falsch, denn tatsächlich war genau das die Methode, mit der die NH noch Anfang 1976 (!) versuchte, die Entwicklung der ausgabefähigen Einnahmen und der durchschnittlichen Mietaufwendungen vorherzusagen – durch „lineare graphische Trendextrapolation [sic!]“.248 Selbst zu diesem Zeitpunkt rechnete die NH für die nächsten zehn Jahre mit einer Einkommenssteigerung um nominal 7,6% per annum bei Haushalten mit mittlerem bzw. 8,4% bei Haushalten mit gehobenem Verdienst sowie mit einem überproportionalen Anstieg der durchschnittlichen Mietaufwendungen. Das war zwar bei weitem zu optimistisch, aber immerhin befanden sich die Volkswirte der Unternehmensgruppe mit dieser Fehlprognose in bester Gesellschaft: Auch eine Reihe von wissenschaftlichen Forschungsinstituten und der Sachverständigenrat gelangten zu ähnlichen Ergebnissen.249 Aus diesem Grunde glaubte Vietor auch nicht, daß der Rückgang im Wohnungsbau allzu dramatisch ausfallen würde. Er hegte vielmehr die Hoffnung, daß sich die Zahl der absetzbaren Wohnungen in den folgenden Jahren knapp unter dem Niveau der Jahre vor 1970 einpendeln könne. Diese Annahme basierte allerdings auf den von der NH erstellten Bedarfsprognosen, die nicht die Vorhersage der effektiv auftretende Nachfrage, sondern die Vorhersage der Neubauziffer zum Ziel hatte, die aus Sicht der Unternehmensgruppe nötig war, um eine sozial abge245 246 247 248

Ebd., S. 126. So die treffende Formulierung eines der Mitglieder des NH-Untersuchungsausschusses, ebd. Protokoll AA NHH/NHS, 9.3.1972, StA HH, 622–2 Cordua 132, S. 3. Mittelfristige Entwicklungstendenzen der potentiellen sektoralen Nachfrage nach NeubauWohnungen, 10.2.1976, StA HH, 622–2 Cordua 20, S. 6. 249 Vgl. JB 1975/76, S. B 13. Tatsächlich stiegen die Einkommen in diesem Zeitraum nur um 5,9 respektive 5,8%. Zwar nahm wie erhofft auch der Anteil der Mietaufwendungen zu; jedoch langsamer als erwartet. Im Endeffekt lag das Einkommen der Haushalte mit höherem Einkommen 1985 um knapp 16%, das der als Zielgruppe für die NH wesentlich bedeutsameren Haushalte mit mittlerem Einkommen gar um fast 24% unter der von der Unternehmensgruppe für dieses Jahr berechneten Zahl. Für die Mietausgaben belief sich der Fehler auf 15 bzw. 26%. Vgl. Statistisches Jahrbuch für die Bundesrepublik Deutschland 1986, S. 451.

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sicherte Wohnungsversorgung sicherzustellen.250 Daß diese Zahl dann auch tatsächlich gebaut wurde, war nach Auffassung der NH Sache der Wohnungspolitik. Auf diese war allerdings spätestens seit 1975 kein Verlaß mehr. Vietor konnte aber auch dies nicht bekümmern, denn er richtete seine Hoffnungen auf eine Fortsetzung der Expansionsbewegung ohnehin nicht primär auf den Wohnungsbau, sondern auf „die Erfindung neuer Arbeit“.251 Damit war der Städtebau gemeint. Von Anfang an hatte er die Gründung der NHS auch als Rückversicherung gegen eine möglicherweise nachlassende Wohnungsbautätigkeit verstanden. Nun schien sich dieses Kalkül zu bestätigen, denn der Städtebau wies nach Auffassung der meisten Experten noch ein großes Wachstumspotential auf. Wenn der Wohnungsneubau zurückgehen würde, die Beschäftigten aber in die weniger eigenkapitalintensiven Geschäftsfelder des Städtebaus übernommen werden könnten, ließen sich, so lautete Vietors Argument, sowohl eine Eigenkapitalerhöhung als auch eine Verkleinerung der Organisation vermeiden.252 Man konnte das bezweifeln, wie Geigenberger es tat. Er argumentierte, daß auch die Städtebaugesellschaften langfristig defizitär arbeiten würden, weil die auf dem Markt durchsetzbaren Betreuungsgebühren weit unter dem lagen, was angesichts des großen Umfangs und der Komplexität der in Frage stehenden Projekte nötig sei, um kostendeckend arbeiten zu können.253 Ob das so stimmte oder nicht, war umstritten; die Mehrheit des Vorstandes scheint dieses Argument nicht geteilt zu haben. Daß Vietors Expansionspolitik aber auch dann riskant sein mußte, wenn Geigenbergers These nicht zutraf, muß den Vorstandsmitgliedern klar gewesen sein. Schließlich galten eine Reihe der Faktoren, die die Lage auf dem Wohnungsmarkt für die Unternehmensgruppe so schwierig machte, in ähnlicher Weise auch für den Städtebau – etwa die Frage der Entwicklung des Zinsniveaus. 254 Angesichts dieser Entwicklung die Hoffnung auf eine unverminderte Expansion in diesem Bereich zur Grundlage der Unternehmensstrategie zu machen, war auch aus damaliger Perspektive ein zweifelhaftes Unterfangen. Zumindest von der Tendenz her scheint dies auch die Auffassung einer Reihe von Vorstandsmitgliedern der Unternehmensgruppe gewesen zu sein.255 Vietor sah das anders, und hierbei spielten auch Motive eine Rolle, die mit einer soliden Marktanalyse und einer nüchternen Abwägung von Chancen und Risiken wenig zu tun hatten. „Vietor war“, wie Vormbrock das formulierte, „ein Mann der Quantität“.256 Sein permanentes Streben nach immer mehr und immer größeren Aufgaben und Projekten gehörte nach einhelliger Bekundung aller Zeit250 Vgl. JB 1976/77, S. A 42. 251 Aussage Geigenberger, Stenographisches Protokoll 27. Sitzung des 3. Untersuchungsausschusses „Neue Heimat“, 25.9.1986, Parlamentsarchiv des Deutschen Bundestages, Bestand PUA Neue Heimat, Ordner „Prot 27–28–30“, S. 127. 252 Vgl. ebd. sowie die zahlreichen, in Kap. 6.2.1 dieser Arbeit angeführten Äußerungen Vietors. 253 Aussage Geigenberger, Stenographisches Protokoll 27. Sitzung des 3. Untersuchungsausschusses „Neue Heimat“, 25.9.1986, Parlamentsarchiv des Deutschen Bundestages, Bestand PUA Neue Heimat, Ordner „Prot 27–28–30“, S. 152. 254 Vgl. ausführlich Kap. 6.2.1 dieser Arbeit. 255 Vgl. Interview mit Rolf Dehnkamp, 18.8.2003. 256 Interview mit Wolfgang Vormbrock, 12.9.2003.

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genossen zu den auffälligsten Charakterzügen des Vorstandsvorsitzenden.257 Die Wurzeln hierfür lagen zum einen in einem Quentchen Größenwahn, das, wie Cordua es sah, den aus kleinen Verhältnissen stammenden Mann angesichts seiner atemberaubenden Erfolge ereilt hatte. Vietors offen zur Schau getragene Leidenschaft für das Golfspiel, für große Auftritte vor internationalem Publikum und seine Villa in Ascona deuteten in diese Richtung.258 Zum anderen war es auf einen, wie Geigenberger das nannte, doppelten „Schneewittchen-Komplex“259 zurückzuführen. Damit gemeint war sein Konkurrenzverhältnis zu Walter Hesselbach, dem Vorstandsvorsitzenden der BfG, „unter dem Motto, wer ist der schönste Gemeinwirtschaftler“ und zu seinem Vorgänger Heinrich Plett, aus dessen langen Schatten herauszutreten Vietor ein lebenslanges Anliegen war. „Zweifelsohne“, so urteilte Geigenberger rückblickend, „haben diese rein menschlichen Dinge einen Teil seiner Dynamik bestimmt“.260 Sie führten dazu, daß eine wie auch immer geartete Konsolidierung für ihn schon aus persönlichen Gründen nicht in Frage kam, solange es dazu auch nur den Anschein einer Alternative gab. Und Vietors Wort hatte Gewicht: im Vorstand, wo ihm in dieser grundsätzlichen Frage außer Geigenberger niemand offen zu widersprechen wagte; noch mehr aber bei den Gewerkschaftsvorsitzenden, die großes Vertrauen in den Mann hatten, der die Unternehmensgruppe von Anfang an auf ihrem Erfolgsweg in verantwortlicher Position begleitet hatte. Dabei spielte auch die Tatsache eine Rolle, daß Vietor zu diesem Zeitpunkt in der veröffentlichten Meinung einen tadellosen Ruf genoß: Eine Zeitung beschrieb ihn gar als einen „Manager, von dem ein privat geführtes Unternehmen nur träumen kann“;261 schon dreimal habe man versucht, ihn abzuwerben. „Der von der Presse gepflegte Personenkult“, so urteilte der Betriebsrat Hans-Jürgen Schulz mit nur geringer Übertreibung, „stilisierte ihn zum unfehlbaren genialen Vollblutunternehmer. Dieses öffentliche Ansehen machte ihn in der Gewerkschaft und vor allem im Betrieb unangreifbar.“262 Es war daher nicht schwer auszurechnen, wer in dem Konflikt zwischen Vietor und Geigenberger den Kürzeren ziehen würde: Geigenberger hatte keinerlei Trümpfe in der Hand – außer der Tatsache, daß sich seine Vorhersagen Jahre später allesamt bewahrheiteten. Für den Moment war das allerdings zu wenig. Seine Vorschläge blieben ohne jede Realisierungschance.263 Geigenberger entschloß sich daraufhin noch in Garmisch zum Rückzug aus der Geschäftsführung. Nicht einmal 257 „Seine Heimat“, so formulierten Spötter in Anspielung auf seine Begeisterung für das Segeln, „ist das Mehr“; laut Geigenberger war Vietor „ein leidenschaftlicher Mehrhaber“, Stenographisches Protokoll 27. Sitzung des 3. Untersuchungsausschusses „Neue Heimat“, 25.9.1986, Parlamentsarchiv des Deutschen Bundestages, Bestand PUA Neue Heimat, Ordner „Prot 27– 28–30“, S. 127. 258 Vgl. Interview mit Klaus-Otto Cordua, 24.3.2002. Ähnlich auch Mehnert 1997, S. 129 f. u. S. 133. 259 Aussage Geigenberger, Stenographisches Protokoll 27. Sitzung des 3. Untersuchungsausschusses „Neue Heimat“, 25.9.1986, Parlamentsarchiv des Deutschen Bundestages, Bestand PUA Neue Heimat, Ordner „Prot 27–28–30“, S. 125. 260 Ebd., S. 126. Vgl. auch Mehnert 1997, S. 142. 261 Zit. nach Schulz 1987, S. 152. 262 Ebd.

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der Aufsichtsrat erfuhr die wahren Gründe für diesen Schritt: Offiziell erklärten Vetter und Vietor ihn damit, daß Geigenberger sich womöglich überfordert fühle, vielleicht in die Münchener Politik einsteigen wolle und zudem immer schon „eine künstlerische Seite“264 gehabt habe. Alle Beteiligten waren sich – nicht zuletzt deshalb, weil Geigenberger unternehmensintern als sehr erfolgreich galt – darüber im Klaren, daß das nicht der wirkliche Grund für den Rücktritt gewesen sein konnte.265 Aber die Mauer des Schweigens, die den Vorfall umgab, konnte der Aufsichtsrat, konnten vor allem die Arbeitnehmervertreter nicht durchbrechen. Ihr Gefühl, in dieser Angelegenheit hintergangen worden zu sein, bestärkte die Spannungen zwischen ihnen und dem Vorstand, zumal das Verschweigen der Rücktrittsgründe nicht die einzige Chuzpe war, die sich Vietor und Vetter im Zusammenhang mit der Affäre Geigenberger erlaubten. Gegen den Willen der Arbeitnehmervertreter und einiger Gewerkschaftsvorsitzender gelang es ihnen auch noch, den Geschäftsführer der NH Baden-Württemberg, Lothar Späth, als Nachfolger für Geigenberger nach Hamburg zu holen.266 Späth war zu diesem Zeitpunkt bereits Vorsitzender der CDU-Fraktion im baden-württembergischen Landtag, und während an seiner fachlichen Eignung keine Zweifel bestanden, waren die politischen Bedenken gegen seine Beförderung zum Regionalvorstand doch erheblich.267 Zwar konnte Vietors Argument, daß sich durch eine Einbindung von Vertretern der CDU die Akquisitionschancen im konservativ geprägten Süden merklich verbessern ließen, noch einige Aufsichtsratsmitglieder überzeugen. Hinzu kam aber noch, daß die Arbeitnehmervertreter befürchteten, Späth werde sich mit seinen vielen Ämtern übernehmen und im Zweifelsfalle für seine politische Karriere und gegen die NH entscheiden. 268 Genau so kam es, kaum anderthalb Jahre nach seiner Verpflichtung, dann auch. Im April 1974 sah sich Späth „nicht [mehr] in der Lage, neben seiner Tätigkeit als Vorsitzender der CDU-Fraktion im Landtag von Baden-Württemberg die umfangreichen Aufgaben eines Vorstandsmitgliedes (...) zu bewältigen“269 und bat darum, ihn zum Jahresende 1974 von seinen Pflichten zu entbinden. Während Späths Tätigkeit im Vorstand der NH also eine Episode blieb, waren andere Folgeerscheinungen der Auseinandersetzungen um Geigenberger wesentlich langlebiger. Zum einen wußte nun jedermann, daß die Größe der Unternehmensgruppe und die Ausgestaltung ihrer betrieblichen Lohn- und Sozialpolitik in allen Überlegungen zur Anpassung an die neuen Marktverhältnisse einen Fixpunkt bilden mußte. Das war, wie bereits dargelegt, kein akzidenteller Aspekt der Unter263 Aussage Geigenberger, Stenographisches Protokoll 27. Sitzung des 3. Untersuchungsausschusses „Neue Heimat“, 25.9.1986, Parlamentsarchiv des Deutschen Bundestages, Bestand PUA Neue Heimat, Ordner „Prot 27–28–30“, S. 77. 264 Handschr. Notizen Corduas auf einer Vorlage zu TOP 1 AA NHH/NHS, 29.9.1972, StA HH, 622–2 Cordua 134, S. 6. 265 Vgl. ebd., S. 8. 266 Zur Person Späths vgl. den Lebenslauf in StA HH, 622–2 Cordua 134. 267 Vgl. Protokoll AA NHH/NHS, 6.11.1972, StA HH, 622–2 Cordua 134, S. 3 ff. sowie Protokoll AR NHH/NHS, 6.11.1972, StA HH, 622–2 Cordua 10, S. 3 ff. 268 Vgl. ebd., S. 5. 269 Schreiben Vietors und Beyns an Cordua, 18.4.1974, betr. Lothar Späth, StA HH, 622–2 Cordua 142.

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nehmensorganisation, sondern es verwies unmittelbar auf die 1972 neu formulierten Unternehmensziele. Zum anderen war „nach dieser langen Grundsatzdiskussion (...) klar: Neue Heimat, du mußt dich selbst finanzieren, wie auch immer, mit Zuschüssen, Nachschüssen; Eigenkapitalerhöhungen der Gesellschafter sind nicht zu erwarten.“270 Auch diese Ansicht hing eng mit den politischen Zielen der NH zusammen, denn es war vor allem ihre Wachstumsorientierung, die eine Ausdehnung der Eigenkapitalbasis unnötig erscheinen ließ. Und diese Wachstumsorientierung war nicht allein eine Folge von Vietors Größenwahn, sondern auch des politischen Auftrags der gemeinwirtschaftlichen Unternehmen. Schließlich ließ sich das schon Mitte der sechziger Jahre formulierte Ziel der Wettbewerbsregulierung um so besser verfolgen, je größer ein Unternehmen war, und gerade dieses Ziel war in dem Gemeinwirtschaftspapier von 1972 noch einmal ausdrücklich bestätigt worden.271 Nicht zuletzt deshalb waren die Gewerkschaftsvorsitzenden im Aufsichtsrat der NH für Vietors Expansionsstrategie so empfänglich. Sowohl die Größe als auch die Wachstumsorientierung der Unternehmensgruppe waren also keine zufälligen Begleiterscheinungen ihrer Politik. Die Auseinandersetzung um Geigenberger hatte vielmehr gezeigt, daß diese beiden Elemente die Eckpunkte des „politisch-organisatorischen Modells“ der NH bildeten – den Kernbestand dessen, was die Gesellschaft nach Auffassung des Vorstands und der Gewerkschaften von „gewöhnlichen“ Unternehmen unterschied. Es war dieses „politisch-organisatorische Modell“, das unter den Rahmenbedingungen der zweiten Hälfte der siebziger Jahre zum zentralen Problem der Unternehmensgruppe werden sollte. 6.1.2.2 Krisenreaktion und Offenlegung stiller Reserven Schon die Reaktion des Vorstandes auf die akute Krise der Jahre 1973 und 1974 ließ dies erkennen. Angesichts des Einbruchs bei den Neubauten, des sprunghaften Anstiegs der Leerstände und des steigenden Zinsaufwandes für die Grundstücksbevorratung schien die Liquidität des gemeinnützigen Konzernteils 1973/74 akut gefährdet zu sein. Der Vorstand war sich deshalb schon unmittelbar nach der Verkündung des zweiten Stabilitätsprogrammes darüber einig, „daß eine Konsolidierungsphase für die Unternehmensgruppe vonnöten sei.“272 Dazu faßte er eine Reihe von Maßnahmen ins Auge. So kassierte er etwa die Planungen für ein neues Bürohochhaus und setzte eine vorgesehene Erhöhung sozialer Leistungen aus. Das Kernstück der Konsolidierungspolitik bildete aber ein im Dezember 1973 erlassener Einstellungsstop, der sowohl die Schaffung neuer Stellen als auch die Neubesetzung bereits vorhandener Stellen betraf.273 Auf diese Weise sollte in den folgenden Jahren ein Ausbau der personellen Kapazitäten verhindert und nach Möglich270 So die Formulierung eines der Mitglieder des NH-Untersuchungsausschusses, Stenographisches Protokoll 27. Sitzung des 3. Untersuchungsausschusses „Neue Heimat“, 25.9.1986, Parlamentsarchiv des Deutschen Bundestages, Bestand PUA Neue Heimat, Ordner „Prot 27–28– 30“, S. 155. 271 Vgl. dazu ausführlich Kap. 6.3.1.2 dieser Arbeit. 272 Protokoll AA NHH/NHS, 17.5.1973, DGBA-BV, Abt. Finanzen, 24/478, S. 5.

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keit auch eine Verkleinerung des Apparates erreicht werden – und zwar ohne das Mittel der Entlassungen. Tatsächlich gelang es der Unternehmensgruppe auch, ihren Personalbestand über die einsetzende Fluktuation zu reduzieren. Von dem 1973 erreichten Höchststand von 5.780 Mitarbeitern sank er bis 1977 auf knapp unter 5.200 Mitarbeiter, also um ziemlich genau 10%.274 Doch dieser Personalrückgang verfehlte seine Wirkung insoweit, als die Personalkosten trotz dieses Rückganges weiterhin erheblich anstiegen. Das lag vor allem an den hohen Tarifabschlüssen der Jahre 1974 und 1975. Sie führten dazu, daß die Personalausgaben bei der NHG von 1973 auf 1974 trotz der rückläufigen Beschäftigtenzahlen um 11,7% und von 1974 auf 1975 immer noch um 5,4% zunahmen.275 Schon bald nach dem Erlaß des Einstellungsstops war deshalb absehbar, daß zur Bewältigung der Krise weitere Sparmaßnahmen erforderlich waren. Da eine Personalreduzierung nicht in Frage kam, verlegte sich der Vorstand auf eine Straffung der vorhandenen Strukturen. Oberstes Ziel war hierbei der Versuch, die wirtschaftliche Flexibilität der Unternehmensgruppe zu erhöhen. Gerade der gemeinnützige Konzernteil sah sich in dieser Hinsicht mit einem gewichtigen Problem konfrontiert. Während der Verschiebung von Vermögen zwischen Mutter- und Tochtergesellschaften bei der NHS praktisch keine Grenzen gesetzt waren, machten die Bestimmungen des WGG solche Verschiebungen und damit einen Ausgleich zwischen den einzelnen Regionalgesellschaften bei der NHG unmöglich. Diese bestand ja ausschließlich aus rechtlich eigenständigen gemeinnützigen Wohnungsbaugesellschaften, die in vollem Umfange der in § 9 WGG niedergelegten Beschränkung der Gewinnausschüttung auf 4% des Stammkapitals sowie dem in den §§ 9 und 11 WGG niedergelegten Grundsatz der Vermögensbindung unterlagen.276 Im Kern war deshalb eine Vermögensübertragung zwischen den Gesellschaften, die über die Gewinnausschüttung von 4% hinausging, rechtlich nicht zulässig. Dies lief gerade angesichts der Krise auf eine massive Einschränkung der wirtschaftlichen Flexibilität des Gesamtkonzerns hinaus. Denn während einerseits eine Reihe von Tochter- und Regionalgesellschaften weiterhin gute Ergebnisse erzielte und zum Teil erhebliche Vermögensreserven ansammelte, gab es andererseits innerhalb der Unternehmensgruppe auch Gesellschaften, deren wirtschaftliche Überlebensfähigkeit in der Krise akut gefährdet war.277 Seit Mitte 1974 suchte der Vorstand daher nach Möglichkeiten, dieses Hemmnis zu überwinden. Er verfiel dabei auf genau die Lösung, die bei der NHS schon von Beginn an eingeführt worden war: den Abschluß von sogenannten „Ergebnisabführungsverträgen“, mit denen die Tochtergesellschaften bzw. die Regionalgesellschaften ab dem 1. Januar 1975 verpflichtet wurden, ihre Ergebnisse – Gewinne wie Verluste – an die Regionalgesellschaften bzw. an die Muttergesellschaft

273 Vgl. ebd.; Bericht des Vorstandes, Vorlage zu TOP 1 AR NHH/NHS, 28.11.1975, DGBABV, Abt. Finanzen, 24/2253, S. 15 f. sowie Interview mit Harro Iden, 19.8.2003. 274 Vgl. Anhang, Tabelle 8. 275 Vgl. Anhang, Tabelle 9. 276 Vgl. Gesetz über die Gemeinnützigkeit im Wohnungswesen vom 29.2.1940, § 9 u. § 11, RGBl. I, S. 438–442, hier S. 439 sowie PUA HH, S. 168. 277 Vgl. ebd., S. 169.

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abzuführen.278 Das war zum einen ein letztes Stück Machtverlust gerade für diejenigen Tochter- und Regionalgesellschaften, die sich wirtschaftlich sehr gut standen, weil sie nun auch ihre über 4% hinausgehenden Gewinne für das Wohl des Gesamtkonzerns opfern mußten; zum anderen war es aber auch ein wirksames Instrument, um die schwächeren Gesellschaften vom ärgsten Anpassungsdruck zu befreien. So erreichen die Verlustübernahmen durch die Zentrale 1975 knapp 20 Mio. DM. Zwar konnten sie mit den Erträgen aus der Ergebnisabführung, die sich nur auf 11,3 Mio. DM beliefen, in diesem Jahr nicht ausgeglichen werden; im nächsten Jahr sah das allerdings schon anders aus, und es besteht kein Zweifel daran, daß die Unternehmensgruppe mit der Einführung der Ergebnisabführungsverträge einen wichtigen Schritt getan hatte, um ihre Flexibilität und ihre Fähigkeit zur Krisenreaktion zu verbessern.279 Ein Problem verblieb allerdings: Die gemeinnützigkeitsrechtliche Zulässigkeit der zunächst auf fünf Jahre abgeschlossenen Verträge war nach wie vor höchst umstritten. Während der VNW der Meinung war, daß die Ergebnisabführungsverträge eine zeitgemäße und damit zulässige Erweiterung des Gemeinnützigkeitsrechtes darstellten, vertraten die Anerkennungsbehörden der Länder, in denen die betroffenen Regional- und Tochtergesellschaften lagen, die gegenteilige Auffassung. Die Behörden in Niedersachsen und Nordrhein-Westfalen strengten 1977 sogar ein Gerichtsverfahren an, um eine Aufhebung der Ergebnisabführungsverträge und eine Rückabwicklung ihrer wirtschaftlichen Folgen zu erreichen.280 Vorstand und Aufsichtsrat der NH waren sich der Risiken, die sich hieraus ergaben, vollauf bewußt. Sie waren aber bereit, diese Risiken einzugehen – aus einem einfachen Grund: Zunächst ging es ihnen in erster Linie um eine Reaktion auf die unmittelbare Krise der Jahre 1974/75, und dabei konnten die Ergebnisabführungsverträge auch dann helfen, wenn sie später wieder gekippt würden.281 Daß sie sich aufgrund der über 1975 hinaus schlechten Ertragslage auch längerfristig zu einem wichtigen Instrument der Unternehmensorganisation entwickelten und die NH deshalb den sich bis 1985 hinziehenden Rechtsstreit bis in die letzte Instanz durchfocht, steht auf einem anderen Blatt.282 Zunächst war die NH mit den Resultaten, die dieses neue Element der Unternehmensorganisation erbrachte, recht zufrieden. Dennoch: So bedeutsam die Ergebnisabführungsverträge für das Betriebsergebnis auch gewesen sein mögen – als alleiniges Mittel der Krisenbewältigung oder gar der nachhaltigen Anpassung an die neuen Rahmenbedingungen reichten sie nicht aus. Denn das operative Ergebnis des gemeinnützigen Unternehmensteils fiel in den Krisenjahren 1974 und 1975 äußerst negativ aus: Etwa 50 bis 60 Mio. DM mußte der Vorstand in diesen beiden Jahren jeweils aufwenden, um eine ausgeglichene Bilanz präsentieren zu können.283 Sie stammten zum größten Teil aus

278 279 280 281

Vgl. ebd. sowie Wallenhorst 1993, S. 316. Vgl. PUA HH, S. 169. Vgl. ebd., S. 169 ff. sowie Richter 1992, S. 311 ff. Vgl. Bericht der Bundesregierung zur Neuen Heimat, 23.10.1985, in: Kunz 2003, S. 519–523 u. S. 539–541, hier S. 540. 282 Vgl. ebd. sowie Richter 1992, S. 316 ff.

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der Aufdeckung stiller Reserven durch sogenannte Grundstücksquerverkäufe, auf die im folgenden noch näher einzugehen sein wird. Zudem blieb es nicht bei diesen krisenbedingten Negativergebnissen. Vielmehr kehrte die NHG in der zweiten Hälfte der siebziger Jahre im operativen Geschäft nie mehr in die Gewinnzone zurück. Im Gegenteil: Ihre Verluste beschleunigten sich nach 1975 noch einmal. Bis 1980 addierten sie sich (inklusive der Jahre 1974/75) auf sage und schreibe 529 Mio. DM – das waren etwa 46% des Eigenkapitals, das der Unternehmensgruppe 1979 zur Verfügung gestanden hatte.284 Dieses Ergebnis war in den Jahren bis 1978 in erster Linie eine Folge der Verluste aus den überhöhten Grundstücksvorräten und den Leerständen bei den unverkauften Eigentumsobjekten. Erstere belasteten das Gesamtergebnis der Unternehmensgruppe in diesem Zeitraum jährlich mit 60–90 Mio. DM, zweitere mit etwa 30 Mio. DM.285 Die leerstehenden Mietwohnungen fielen demgegenüber etwas weniger ins Gewicht, weil die Verluste aus diesen teilweise durch die in der Mietberechnung vorgesehene Leerstandspauschale aufgefangen wurden. Da zudem der Vorstand die fälligen Instandhaltungsausgaben zurückhielt, wies die Hausbewirtschaftung bis Anfang der achtziger Jahre noch ein ausgeglichenes Ergebnis aus.286 Die Verluste der NHG waren zweifellos in erster Linie eine Folge der übersteigerten Wachstumserwartungen aus der ersten Hälfte der siebziger Jahre, die zu der Anlage großer Grundstücksbestände und zum Bau der nunmehr leerstehenden Wohnungen geführt hatten. Insofern reflektierten die negativen Ergebnisse die Expansionsorientierung des „politisch-organisatorischen Modells“ der Unternehmensgruppe. Auch in finanzierungstechnischer Hinsicht war dieser Zusammenhang nicht zu übersehen. Denn die Kosten, die der NH aus den Grundstücksvorräten und den Leerständen entstanden, entfielen in erster Linie auf Zinszahlungen. Mit einem höheren Eigenkapital hätte die Unternehmensgruppe also ihre Verluste deutlich reduzieren können. So aber belastete beispielsweise der Zinsaufwand für die Grundstückvorratshaltung das Ergebnis 1978 netto mit 54 Mio. DM, und diese Zahl stieg in den folgenden Jahren aufgrund steigender Zinsen weiter an. Hinzu kam noch, daß die Unternehmensgruppe auch einen Teil ihres Eigenkapitals durch Fremdmittel finanzierte und so zusätzlich zu ihrem operativen Ergebnis auch in ihrem Finanzergebnis stark von Zinsschwankungen abhängig war.287 Allerdings beschränkten sich die Verlustursachen der Unternehmensgruppe nicht auf die schlechte Finanzierungsstruktur. Das war unter anderem daran zu erkennen, daß sich die Umschlagszeiten für Grundstücke und die Leerstände im Zuge einer anziehenden Baukonjunktur seit 1978 zwar deutlich verringerten, die Negativergebnisse aus diesen Bereichen sich aber trotz der kurzzeitig günstigen 283 Vgl. Bericht des Vorstandes, Vorlage zu TOP 1.1.2 AA NHH/NHS, 23.4.1975, StA HH, 622–2 Cordua 147. 284 Vgl. McKinsey & Company, Inc., Anpassung der Neuen Heimat an die Anforderungen der 80er Jahre. Dokumentation, März 1981, Parlamentsdokumentation der Hamburgischen Bürgerschaft, Akten PUA „Neue Heimat“, 06.7.13, S. 24. 285 Vgl. PUA HH, S. 222 u. S. 223. 286 Vgl. Entwicklung des Hausbewirtschaftungsergebnisses 1976–1982, Anlage zum Protokoll AR NHH/NHS, 4.12.1981, StA HH, 622–2 Cordua 40. 287 Vgl. PUA HH, S. 223; Richter 1992, S. 379 ff. sowie Kap. 6.1.2.3 dieser Arbeit.

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Rahmenbedingungen nicht vollständig beseitigen ließen. Sie pendelten sich vielmehr ab 1979 bei 35–40 Mio. DM ein.288 Diese Verluste lagen, wie der Vorstand unumwunden zugab, in erster Linie in der Organisationsstruktur der Unternehmensgruppe begründet. Vor allem die Kombination aus Größe und Zentralisierung war es, die, wie bereits erläutert, sowohl im Neubau als auch in der Wohnungsverwaltung einen klaren Wettbewerbsnachteil darstellte. Unter den Bedingungen des „politisch-organisatorischen Modells“ der NH ließ sich das allerdings kaum verändern, denn eine funktionsfähige Dezentralisierung wäre nur um den Preis einer personellen Schrumpfung zu haben gewesen.289 Da ein solcher Schritt nicht in Frage kam, mußte die NHG aufgrund ihrer Personalpolitik jahrelang mit einer inadäquaten Organisationsstruktur vorlieb nehmen. Ihre Produktivität entwickelte sich deshalb seit Mitte der siebziger Jahre stark rückläufig. In der Hausbewirtschaftung sank sie, gemessen am Umsatz pro Mitarbeiter, zwischen 1975 und 1979 real um 29, im Neubau sogar um 54%.290 Paradoxerweise blieb dem gemeinnützigen Konzernteil deshalb ab 1978 trotz seiner personellen Überbesetzung nichts anderes übrig, als neue Mitarbeiter einstellen, um die anziehende Nachfrage bedienen zu können. Da zudem die Lohnkosten weiterhin überproportional anstiegen und die weit überdurchschnittlichen Gehaltszahlungen ebenfalls unantastbar waren, stieg der Personalaufwand der NHG zwischen 1976 und 1980 nochmal deutlich an – von 162 auf 284 Mio. DM, während gleichzeitig die Fertigstellungsziffern um über 40% zurückgingen!291 Es besteht also kein Zweifel daran, daß neben der knappen Eigenkapitalbasis auch die sakrosankte Personalpolitik in den späten siebziger Jahren eines der Grundprobleme der NH darstellte. In ihrem Kern verwiesen damit alle zentralen Verlustursachen der Unternehmensgruppe auf die beiden Eckpunkte ihres „politisch-organisatorischen Modells.“292 Anders formuliert: Hätte die NH in diesem Zeitraum das getan, was Geigenberger 1972 vorgeschlagen hatte – also entweder die Organisation radikal verkleinert oder aber vermehrt Eigenkapital zugeführt und somit ihre Finanzstruktur verbessert –, dann wären ihre Ergebnisse weitaus besser ausgefallen. Sogar Vietor gestand das ein, als er 1975 ausführte, „die Mitarbeiterzahl (....) sei noch ausgerichtet auf ein jährliches Wohnungsbauprogramm von 15.000–16.000 Wohnungen. Gebaut würden aber lediglich nur [sic] 11.000– 12.000 WE. Bei reiner Kostenbetrachtung würde das dazu führen, daß man sich

288 Vgl. PUA HH, S. 222. 289 Vgl. McKinsey & Company, Inc., Anpassung der Neuen Heimat an die Anforderungen der 80er Jahre. Dokumentation, März 1981, Parlamentsdokumentation der Hamburgischen Bürgerschaft, Akten PUA „Neue Heimat“, 06.7.13, S. 68 ff. u. S. 96 ff. 290 Vgl. ebd., S. 21. 291 Vgl. Anhang, Tabelle 9. 292 Vgl. auch die Analyse in dem nach der Zäsur von 1982 erarbeiteten Strukturkonzept Neue Heimat Gemeinnützig, 26.8.1982, StA HH, 622–2 Cordua 240, S. 3. Dort heißt es: „Wesentliche Ursache für die eingetretene Entwicklung im gemeinnützigen Konzernteil ist die bis Mitte 1981 verfolgte Unternehmenspolitik, einen Rückgang der Bautätigkeit nach Möglichkeit zu vermeiden bzw. in engen Grenzen zu halten. Fehlinvestitionen, überhöhte Grundstücksvorhaltung, Verschlechterung der Finanzstruktur und versäumte Anpassung der Personalkapazitäten waren die Folge.“

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von 1.000 Leuten trennen müsse“.293 Eine solche „reine Kostenbetrachtung“ kam für die gewerkschaftseigene NH allerdings spätestens seit den Auseinandersetzungen um Geigenberger und seit der Verabschiedung des Gemeinwirtschaftspapiers von 1972 nicht mehr in Frage, denn sie hätte seit diesem Zeitpunkt die Aufgabe der politischen Ansprüche der Unternehmensgruppe impliziert. Hierzu waren weder die Gewerkschaften und noch Albert Vietor bereit. Vielmehr sahen sie ihre Berufung gerade darin, diese Ansprüche trotz der widrigen Rahmenbedingungen aufrechtzuerhalten.294 Da sich ab 1976 auch abzeichnete, daß die Strategie der „Expansion zur Vermeidung des Untergangs“ aufgrund der negativen Entwicklung im Städtebau nicht verfing, bedeutete dies, daß sie zugunsten des „politischorganisatorischen Modells“ der NH dazu bereit sein mußten, von der vermeintlich unermeßlich großen Vermögenssubstanz der Unternehmensgruppe zu zehren. Tatsächlich hatte die NHG einen außergewöhnlich langen Atem. Alleine die Mietwohnungen, die sich in ihrem Eigentum befanden, repräsentierten 1972 einen Gegenwert von etwa 8,5 Mrd. DM.295 Diese breite Vermögensbasis war im Zuge der Krisenjahre sogar noch weiter ausgebaut worden, weil der Vorstand die Chance genutzt hatte, mit der Nordwestdeutschen Wohnungs- und Siedlungsgesellschaft (NWDS) im April 1974 ein kurzfristig illiquides, grundsätzlich aber wirtschaftlich gesundes Wohnungsunternehmen günstig aufzukaufen und sich so zusätzliche Reserven zu verschaffen.296 Allerdings sollte sich bald herausstellen, daß mit der Offenlegung stiller Reserven, wie Geigenberger es prophezeit hatte, gewichtige Schwierigkeiten verbunden waren. Das galt besonders für ihre einfachste Variante, also für den Verkauf der Mietwohnungen. Ein solcher Verkauf hatte für die Unternehmensgruppe in der Situation, in der sie sich in der zweiten Hälfte der siebziger Jahre befand, gewichtige Vorteile. De facto stellte er die einzige Möglichkeit dar, wie ein gemeinnütziger Bauherr einen etwaigen Wertzuwachs seines Anlagekapitals realisieren konnte.297 Der hieraus resultierende Erlös konnte nicht nur zur Abdeckung von Betriebsverlusten verwendet werden, sondern auch zur Auslastung des unterbeschäftigten Apparates dienen, indem er reinvestiert, also als Eigenkapital in den Neubau gesteckt wurde. Hinzu kam noch, daß der Verkauf auch die einzige Möglichkeit darstellte, wie sich ein gemeinnütziger Bauherr einer unrentierlichen Vermögensanlage entziehen konnte.298 Wenn es, so das Kalkül des Vorstandes, der NH gelingen sollte, vorwiegend sehr alte oder ganz neue, seit 1971 gebaute Mietwohnungen zu verkaufen, würde ihr damit nicht nur der Verkaufserlös zufließen, sondern gleichzeitig könnte sie sich auch der mit diesen Beständen verbundenen Risiken entledigen: des hohen 293 Protokoll AA NHH/NHS, 3.7.1975, StA HH, 622–2 Cordua 148, S. 9. Vgl. ähnlich auch Protokoll ARP NHH/NHS, 10.2.1979, StA HH, 622–2 Cordua 81, S. 12. 294 Vgl. dazu die entsprechenden Äußerungen von Vetter in: Statement für Podiumsdiskussion der Betriebsrätevollkonferenz der NH, 25.10.1977, DGBA-BV, Abt. Vorsitzender, 5/DGAI 153, S. 2. 295 Vgl. Brief Geigenberger an Breit, 23.3.1983, StA HH, 622–2 Cordua 49, S. 3. 296 Vgl. PUA HH, S. 795 ff. sowie Vorlage AA NHH/NHS, 18.4.1974, betr. Erwerb einer Beteiligung an der Nordwestdeutschen Siedlungsgesellschaft mbH, StA HH, 622–2 Cordua 142. Zur Tätigkeit der NWDS vgl. jeweils die Berichte in JB, z. B. 1976/77, B 12 f. 297 Vgl. Fuhrich 1984, S. 243. 298 Vgl. ebd.

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Instandsetzungsbedarfes der alten und des hohen Vermietungsrisikos der neuen, sehr teuren Mietwohnungen.299 Die Vorteile eines Verkaufs von Mietwohnungen waren also aus betriebswirtschaftlicher Sicht bestechend. Zudem entsprach ihre Umwandlung in Eigentumswohnungen auch der seit Anfang der siebziger Jahre von der Bundesregierung wieder verstärkt verfolgten politischen Zielsetzung der Eigentums- und Vermögensbildung bei breiten Schichten der Bevölkerung. Neben dem Wohnbesitzgesetz legte die sozialliberale Koalition im Frühjahr 1977 – also einige Monate, nachdem die NH erstmals mit dem Gedanken gespielt hatte, Wohnungen aus ihrem Bestand zu verkaufen – einen Gesetzesentwurf vor, der dies deutlich machte. Mit dem am 11. Juli 1977 verabschiedeten „Gesetz über steuerliche Vergünstigungen bei der Herstellung oder Anschaffung bestimmter Wohngebäude“ wurden nämlich die steuerlichen Vergünstigungen des § 7 b Einkommensteuergesetz, die bis dahin nur für Erwerber neuer Wohnungen gegolten hatten, auch auf Käufer von gebrauchten Eigenheimen oder Eigentumswohnungen ausgedehnt, sofern diese die Wohnung zur Eigennutzung erwarben.300 Das eröffnete vielen Arbeitnehmern, für die „der Kauf von gebrauchten Wohnungen, insbesondere der Erwerb der bisher gemieteten Wohnungen, der einzige Weg zum Wohneigentum“301 war, die Chance zur Bildung eines eigenen Vermögens. Diese Förderungsmaßnahme traf in der Öffentlichkeit auf Zustimmung, denn sie schien ein probates sozialpolitisches Mittel gegen die explodierenden Mietpreise zu sein.302 Auch aus gewerkschaftlicher Perspektive hätte der Verkauf von Mietwohnungen deshalb attraktiv erscheinen können, zumal der DGB die Eigentumsbildung breiter Bevölkerungsschichten prinzipiell unterstützte. Tatsächlich war dem aber nicht so. Statt dessen gab es gegen die Pläne der NH heftigen Widerstand aus den DGB-Landesbezirken, die den Bundesvorstand dringend baten, gegen dieses Vorhaben einzuschreiten, weil sie die gemeinnützigen Absichten der Unternehmensgruppe dadurch beschädigt sahen. Auch für diese Auffassung ließen sich gute Argumente anführen: Zum einen hatten die von einigen freien Wohnungsunternehmen bereits in den Jahren zuvor durchgeführten Verkaufsaktionen zum Teil großes Aufsehen erregt, weil diese hierbei mitunter recht robuste Methoden angewendet und dabei auch noch überhöhte Preise verlangt hatten.303 Hinzu kam die Befürchtung, daß die „guten“ Sozialwohnungen allesamt verkauft würden, während diejenigen, die weiterhin auf den Mietwohnungsbau angewiesen waren, mit den verbliebenen „schlechten“ Wohnungen abgespeist werden müßten.304 Der Vorstand hatte deshalb alle Mühe, seine Haltung gegenüber den Gewerkschaften zu rechtfertigen. Er stützte sich auf drei Argumente: Erstens wies er dar299 Vgl. Nachtrag zum Protokoll der 20. Bundesvorstandssitzung, 7.6.1977, DGBA-BV, Abt. Vorsitzender, 5/DGAI 493, S. 1 f. 300 Vgl. Gesetz über steuerliche Vergünstigungen bei der Herstellung oder Anschaffung bestimmter Wohngebäude vom 11. Juli 1977, BGBl. I, S. 1213–1221; Gewos 1990, S. 380 f. sowie JB 1976/77, S. A 5. 301 Fuhrich 1984, S. 237. 302 Vgl. ebd., S. 252 f. 303 Vgl. ebd., S. 243. 304 Vgl. Schreiben Jochen Richert [DBG-LBZ Hessen] an Heinz Oskar Vetter, betr. Eigentumskauf von Altbauten der Neuen Heimat an Arbeitnehmer, DGBA-BV, Abt. Vorsitzender, 5/DGAI 235, S. 1.

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auf hin, daß die NH aufgrund ihres großen Wohnungsbestandes „in den letzten 10 bis 15 Jahren heftigen Angriffen wegen dieser großen Vermögensmasse ausgesetzt“ gewesen sei“ und deshalb „alle Parteien (...) mit völligem Unverständnis reagieren [würden], wenn ausgerechnet die Gewerkschaften sich dagegen sperren würden, breiten Bevölkerungsschichten die Bildung von Wohnungseigentum zu ermöglichen.“305 Zweitens versuchte er, die geplante Verkaufsaktion nicht primär als Beitrag zur Eigentumsbildung, sondern als Programm zur Ankurbelung des darniederliegenden sozialen Mietwohnungsbaus erscheinen zu lassen: „Wenn man davon ausgeht“, so führte Vietor im Juni 1977 vor dem DGB-Bundesvorstand aus, „daß eine Wohnung mit 30.000,– DM Gewinn zu verkaufen ist, dann bedeutet das bei der Anzahl, die wir uns vorgenommen haben, 10–15.000, einen außerordentlichen Gewinn von 300 bis 450 Mio. DM. Mit diesen Millionen könnten neue 10 bis 15.000 [Miet-]Wohnungen (...) gebaut werden“.306 Dies gelte, so Vietor, auch dann, wenn sich die öffentliche Hand noch weiter aus dem öffentlich geförderten Wohnungsbau zurückziehen sollte, als sie das bis dahin bereits getan hatte. Das Argument, das letztlich den Ausschlag für die Zustimmung der Gewerkschaften gab, war aber ein anderes. Vetter brachte es auf den Punkt, indem er feststellte, daß es bei der NH „um Mark und Pfennig“ 307 gehe. Dem Druck der bis zu diesem Zeitpunkt entstandenen Verluste konnten sich also auch die Gewerkschaften nicht entziehen. Immerhin gelang es ihnen aber, die NH auf eine Reihe von Bedingungen zu verpflichten, mit denen der Verkauf der Wohnungen sozialverträglich gestaltet werden sollte. Was die Preisbildung betraf, so waren Wucherpreise von der NH ohnehin nicht zu befürchten, weil die Durchführungsverordnung des WGG eine Veräußerung nur zum Wiederbeschaffungswert zuließ.308 Die Beschränkung auf den Verkauf von 10–15.000 Wohnungen und die Verpflichtung, das eingeworbene Geld auch tatsächlich in den Neubau zu reinvestieren, hatte der Vorstand bereits von sich aus angeboten, um seinem Vorhaben Nachdruck zu verleihen. Hinzu kam nun noch, daß die Wohnungen nur an eigene Mieter verkauft werden sollten und daß den nicht kaufwilligen Mietern keine Nachteile entstehen durften.309 Unter diesen Bedingungen bekam der Vorstand grünes Licht für seine Verkaufsaktion. Die Gelegenheit schien günstig zu sein. Eine Untersuchung der Gewos hatte ergeben, daß die erwerbswilligen Mieterhaushalte bereit waren, bis zu 33% ihres verfügbaren Einkommen in den Wohnungskauf zu investieren. Das war ein Wert, der erheblich über die zwischen 15 und 20% liegende Mietzahlungsbereitschaft hinausging.310 Allerdings waren die Belastungen, die auf die Käufer zu305 Nachtrag zum Protokoll der 20. Bundesvorstandssitzung, 7.6.1977, DGBA-BV, Abt. Vorsitzender, 5/DGAI 493, S. 1. 306 Protokoll BV 7.6.1977 (Übertragung aus dem Stenogramm), DGBA-BV, Abt. Vorsitzender, 5/DGAI 493, S. 5. 307 Ebd., S. 2. 308 Vgl. Fuhrich 1984, S. 244. 309 Vgl. Nachtrag zum Protokoll der 20. Bundesvorstandssitzung, 7.6.1977, DGBA-BV, Abt. Vorsitzender, 5/DGAI 493, S. 2 und JB 1978/79, S. B 11. 310 Vgl. Gewos e. V. (Hg.), Verkauf von Gebrauchtwohnungen. Wohnungseigentum aus dem Mietwohnungsbestand – ohne soziale Konflikte – für breitere Vermögensstreuung – zur Erhaltung und Verbesserung der Stadtstruktur. Empfehlungen einer unabhängigen Kommission

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kamen, trotz der steuerlichen Absetzungsmöglichkeiten fast doppelt so hoch wie die Mietbelastungen, die sie vorher hatten tragen müssen.311 Hinzu kam, daß die Vorteile eines Kaufs gegenüber dem Verbleib als Mieter für die meisten potentiellen Käufer minimal waren: Aufgrund der Gemeinnützigkeit der Unternehmensgruppe genossen sie ohnehin eine Art Dauerwohnrecht; die Verwaltung der Wohnungen verblieb so oder so in den Händen der NH; und als Kapitalanlage zur späteren Weiterveräußerung kam die Wohnung, in der sie oftmals bereits jahrelang wohnten, für die meisten potentiellen Käufer nicht in Betracht, zumal die steuerlichen Vorteile ausdrücklich für den Fall der Eigennutzung vorbehalten waren. Aus diesen Gründen blieb der Verkauf von Mietwohnungen, den der Vorstand gegen so viele Widerstände durchgesetzt hatte, weit hinter den Erwartungen zurück. 1978 wurde mit etwa 720 Einheiten nicht einmal ein Drittel der im Rahmen eines Pilotprojektes angebotenen Wohnungen abgesetzt, und 1979 und 1980 lagen die Zahlen mit 830 bzw. 960 Wohnungen nicht wesentlich höher.312 Hinzu kam, daß die Unternehmensgruppe die Erträge aus diesen Verkäufen aufgrund der Verpflichtung zur Reinvestition nicht zur Verlustabdeckung verwenden konnte. Zwar änderte sich dies, als die Krise der Unternehmensgruppe seit 1980 existentielle Ausmaße annahm; aber zu diesem Zeitpunkt hatte die NHG bereits Verluste in Höhe einer halben Milliarde DM eingefahren. Um diese abzudecken, hatte der Vorstand deshalb auf eine andere Methode zurückgegriffen: auf die sogenannten Grundstücksquerverkäufe.313 Schon 1974 begannen die gemeinnützigen Unternehmen der Gruppe damit, sich gegenseitig bebaute Grundstücke abzunehmen. Das war zum Teil auf den Versuch zurückzuführen, die Bestände der jeweiligen Regional- bzw. Tochtergesellschaften strukturell zu bereinigen, also den außerhalb regionaler Zuständigkeiten liegenden Streubesitz zu beseitigen. Der eigentliche Zweck dieser Geschäfte war aber, daran ließ Dehnkamp im Aufsichtsrat keinen Zweifel, ein anderer. Er bestand „in der Offenlegung von Reserven und der Verlustabdeckung aus anderen Bereichen.“314 Das hatte folgenden Hintergrund: Der Buchwert der in Frage stehenden Grundstücke richtete sich grundsätzlich nach den Anschaffungskosten. Aufgrund des steigenden Preisniveaus lag ihr Marktwert aber in der Regel erheblich über dem Buchwert. In der Bilanz waren also stille Reserven enthalten, die bei einem Verkauf realisiert werden konnten. Wenn etwa eine Tochtergesellschaft der Unternehmensgruppe einer anderen Gesellschaft ein Grundstück, das bei ihr mit 100.000 DM zu Buche stand, zum aktuellen Marktwert, als beispielsweise zum Preis von 300.000 DM verkaufte, konnte die kaufende Gesellschaft das Grundstück mit diesen 300.000 DM in ihre Bilanz einstellen. Allerdings mußte sie das Geld auch tatsächlich aufbringen; insofern hätte bei dieser Vorgehensweise dem

311 312 313 314

der Gewos e. V. an den Gesetzgeber, Bonn 21979, S. 29. Zu dieser Umfrage vgl. auch Mehnert 1997, S. 142 f. Vgl. das Berechnungsbeispiel bei Fuhrich 1984, S. 257 ff. Vgl. Vorläufiges Jahresergebnis 1980: Neue Heimat mit leichtem Umsatzplus, Neue Heimat Presseinformation Nr. 4, 4.3.1981 und Fuhrich 1984, S. 248. Vgl. dazu zusammenfassend PUA HH, S. 293 ff. Protokoll AA NHH/NHS, 23.4.1975, StA HH, 622–2 Cordua 147, S. 9. Vgl. auch PUA HH, S. 294 f.

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Buchgewinn bei der einen Gesellschaft ein Buchverlust in gleicher Höhe bei der anderen Gesellschaft gegenübergestanden.315 Komplettiert wurde das Geschäft deshalb erst dadurch, daß die verkaufende Gesellschaft mit den Einnahmen aus dem Verkauf der kaufenden Gesellschaft ihrerseits ein Grundstück abnahm – ein Grundstück, das vorher vielleicht ebenfalls nur mit 100.000 DM zu Buche gestanden hatte, nun aber wiederum mit 300.000 DM verbucht werden konnte. Im Endeffekt hatte also jede der beiden Gesellschaften 300.000 DM ausgegeben, 300.000 DM eingenommen, aber statt eines Grundstückes im Wert von 100.000 DM nun ein Grundstück im Wert von 300.000 DM in ihrer Bilanz stehen. Beide Gesellschaften erzielten auf diese Weise einen Buchgewinn von 200.000 DM, ohne daß sich an ihrer realen Vermögenslage etwas geändert hätte.316 Die Querverkäufe waren also nichts anderes als ein Trick, um durch eine einmalige, fingierte Markttransaktion den Buchwert an den Marktwert anzugleichen. Dank ihrer Beziehungen zum VNW gelang es der Unternehmensgruppe auch durchzusetzen, daß sie die Vorschriften für die Eliminierung von Zwischengewinnen, die nach dem Urteil aller anderen Prüfungsverbände die Verbuchung von Gewinnen aus Querverkäufen unmöglich machten, nicht beachten mußte.317 So kam es, daß diese Art der Bilanzkosmetik in den folgenden Jahren große Bedeutung gewann: In den Krisenjahren 1974/75 ergaben sich aus ihr bilanzielle Überschüsse in Höhe von 57 bzw. 43 Mio. DM; 1976 waren es nur 15,7 Mio. DM; bis 1979 stieg diese Zahl aber wieder auf den Höchststand von 149,8 Mio. DM. Insgesamt beliefen sich die zwischen 1974 und 1980 auf diesem Wege aufgedeckten stillen Reserven auf etwa eine halbe Milliarde DM – ein eindrucksvoller Beweis dafür, wie umfangreich die in dem Wohnungsbestand der Unternehmensgruppe enthaltenen Vermögenswerte waren.318 Im Unterschied zu den Erlösen aus dem Verkauf von Mietwohnungen konnten die Buchgewinne zwar nicht als Eigenkapital in den Wohnungsneubau investiert werden; aber immerhin ließen sie sich zur Abdeckung von Verlusten aus der betrieblichen Tätigkeit verwenden. Und in dieser Hinsicht stellten sie, wie ein Vergleich der operativen Verluste mit den Buchgewinnen aus den Querverkäufen nahelegt, zweifelsohne den wichtigsten Faktor dar. 6.1.2.3 Auf dem Weg „in eine andere Zukunft“: Die verspätete Schrumpfung der NHG Allerdings war Ende der siebziger Jahre nicht zu verkennen, daß das Potential zur Vermeidung struktureller Reformen durch die Offenlegung stiller Reserven bald zu Ende gehen würde. Das lag in erster Linie an den negativen Folgeerscheinungen dieser Politik. Vor allem ihre Auswirkungen auf die Moral der Mitarbeiter waren katastrophal. Die untergeordnete Bedeutung, die in ihrem Rahmen der un315 316 317 318

Vgl. ebd., S. 300 f. Vgl. ebd. sowie Mehnert 1997, S. 110 ff. Vgl. PUA HH, S. 296 f. Vgl. ebd., S. 293.

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ternehmerischen Leistung zukam, führte dazu, daß die Anreize für individuelle Anstrengungen verlorengingen, weil sie für das Betriebsergebnis irrelevant erschienen.319 Dies beschleunigte den Produktivitätsverfall und machte es immer unwahrscheinlicher, daß die Unternehmensgruppe jemals wieder in die schwarzen Zahlen kommen könnte. In dem verhältnismäßig positiven Umfeld der Jahre 1978/79 fiel dies noch nicht so sehr ins Gewicht. Aber Ende 1979 wurde schlagartig deutlich, daß unter diesen Umständen die Existenz der Unternehmensgruppe langfristig nicht aufrechterhalten werden konnte. Denn zu diesem Zeitpunkt machte sich eine deutliche Eintrübung der gesamtwirtschaftlichen Lage bemerkbar, die die mangelhafte Leistungsfähigkeit der NH schonungslos offenlegte. Die expansive Finanzpolitik der Bundesregierung hatte seit Jahresbeginn die Inflationsraten merklich angeheizt. Hinzu kamen die Auswirkungen des „zweiten Ölpreisschocks“. Im Gefolge der iranischen Revolution stieg der Ölpreis zwischen Anfang 1979 und Mai 1980 um etwa 130%.320 Die gesamtwirtschaftlichen Auswirkungen folgten auf dem Fuße: Das wirtschaftliche Wachstum fiel von 4% 1979 auf 1% 1980; die Inflationsraten schnellten noch weiter in die Höhe und erreichten 1981 6,3%. Gleichzeitig rutschte die Leistungsbilanz ins Defizit. Der Bundesbank blieb deshalb trotz der schwächelnden Konjunktur und der steigenden Arbeitslosigkeit nichts anderes übrig, als die Zinssätze in eine seit 1974 nicht mehr erreichte Höhe zu schrauben und die Bundesrepublik so in eine Rezession zu stürzen. 1982 schrumpfte die Wirtschaft um 1,1%.321 Für die Entwicklung des Dienstleistungsergebnisses der NHG, das aufgrund der fallenden Produktivität selbst in einem Boomjahr wie 1979 nur mit Mühe hatte ausgeglichen werden können, mußte diese Entwicklung einschneidende Konsequenzen haben. Dabei war es gerade die in den vergangenen Jahren vorangetriebene Konzentration auf den Eigenheimbau, die sich nun als Problem entpuppte. Denn die Tatsache, daß für diese Baumaßnahmen keine öffentlichen Mittel in Anspruch genommen werden konnten, bedeutete eine größere Abhängigkeit von der Entwicklung des Zinsniveaus, und die häufig höhere Belastung der Konsumenten ließ erwarten, daß die Nachfrage nach Wohneigentum in konjunkturell unsicheren Zeiten schneller absinken würde als die Nachfrage nach Mietwohnungen. 322 Der Vorstand rechnete deshalb seit Ende 1979 mit einem dramatischen Rückgang des Eigenheimbaus. Weil sich dessen Anteil an den Fertigstellungen der Unternehmensgruppe aber mittlerweile bei knapp 70% bewegte, mußte sie ein Einbruch auf diesem Markt sehr viel stärker treffen, als das wenige Jahre zuvor der Fall gewe319 Vgl. die Vielzahl der aus Interviews gewonnenen Belege hierfür in: McKinsey & Company, Inc., Anpassung der Neuen Heimat an die Anforderungen der 80er Jahre. Dokumentation, März 1981, Parlamentsdokumentation der Hamburgischen Bürgerschaft, Akten PUA „Neue Heimat“, 06.7.13, S. 60 ff. 320 Vgl. Nicholas Woodward, The Search for Economic Stability: Western Europe since 1973, in: Max-Stephan Schulze (Hg.), Western Europe: Economic and Social Change since 1945, London/New York 1999, S. 63–80, hier S. 71. 321 Vgl. Weimer 1998, S. 297 ff.; Scherf 1986, S. 56 f. sowie Prollius 2006, S. 201 ff. 322 Vgl. Mündlicher Bericht VF, AR/ARP-Sitzungen NHH/NHS, 19.12.1979, StA HH, 622–2 Cordua 85, S. 2.

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sen wäre.323 Es ließ sich deshalb leicht ausmalen, daß die NH 1980 in noch weitaus größerem Maße als in den Jahren zuvor gezwungen sein würde, aus ihren stetig schrumpfenden Reserven zu schöpfen. Diese Einschätzung bildete die Initialzündung für eine Kehrtwendung in der Unternehmenspolitik. Sie kam allerdings zu spät, denn ihre Umsetzung sollte sich auf über zweieinhalb Jahre erstrecken. Am Anfang stand das Eingeständnis, daß eines der zentralen Standbeine des bisherigen unternehmerischen Selbstverständnisses der NH hinfällig war. Iden deutete das angesichts der veränderten Rahmenbedingungen für den Eigenheimbau Ende 1979 im Aufsichtsrat erstmals an. Er erklärte, „daß die konjunkturelle Abhängigkeit aufgrund der starken Tätigkeit im Eigentumssektor eine größere Flexibilität in der Zukunft in der Kapazitätsanpassung erfordern wird. Wir werden im NH-Bereich in den achtziger Jahren nur dann gut dastehen, wenn wir dieser Frage wachsende Bedeutung beimessen.“324 Mit anderen Worten: Der Finanzvorstand der Unternehmensgruppe hielt die Beibehaltung der personellen Ausstattung der NHG nicht länger für tragbar. Vietor brauchte etwas länger, um diesem Argument zu folgen; zur Jahreswende 1979/80 vertrat er noch die Auffassung, die Kapazitäten der NH müßten erhalten bleiben. Aber wenige Monate später begann auch er einzusehen, daß die anstehende Rezession eine Abkehr von der bisherigen Unternehmenspolitik erforderte. „Der Rückgang im Eigentumsbau“, so erklärte er im Mai 1980, sei „enorm, so daß die NEUE HEIMAT gezwungen (ist), auch an die Organisation und die Personalkapazität heranzugehen. Auf keinen Fall (ist) es möglich, nochmals die gleichen finanziellen Verluste wie 1975 zu verkraften.“325 Der Vorstand war damit im Frühjahr 1980 zu der Auffassung gelangt, daß die bisher sakrosankte Personalpolitik der Unternehmensgruppe nicht länger aufrecht erhalten werden konnte. Allerdings war er sich darüber im Klaren, daß eine Kehrtwende in dieser Frage äußerst schwierig zu bewerkstelligen sein würde. Um dem zu erwartenden Widerstand der Gewerkschaften und der Arbeitnehmervertreter im Aufsichtsrat entgegentreten zu können, griff er zu einem Trick: Er schlug vor, eine externe Unternehmensberatung mit einer Organisationsuntersuchung zu beauftragen – in der Überzeugung, „daß oft den Meinungen und den eigenen Erkenntnissen im Hause weniger Glauben geschenkt wird, als der bezahlten Meinung eines Unternehmensberaters“.326 Dafür hatte er mit McKinsey ausgerechnet jene Organisation ausersehen, die die Arbeitnehmervertreter als eine der „rüdesten dieser Branche“327 betrachteten. Doch ihre Abwehrversuche fielen nur sehr zaghaft aus. Denn zum einen hielten auch sie „grundsätzlich eine Organisationsuntersuchung für nützlich (...), um die Organisation der Hauptverwaltung an die notwendigen

323 Vgl. ebd. 324 Ebd. 325 Protokoll AR Gewoba, 13.5.1980, zit. nach Wallenhorst 1993, S. 396 (Änderungen und Klammern wurden übernommen). 326 Manfred Franz, Was hat die Untersuchung durch McKinsey gebracht?, Mitarbeiterbrief August 1981, S. 1–2, hier S. 1. 327 Schreiben Corduas an die Arbeitnehmervertreter in der Aufsichtsräten der NH und NHS Hamburg, 14.4.1980, StA HH, 622–2 Cordua 87.

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Erfordernisse anzupassen“;328 und zum anderen hatte der Vorstand versprochen, daß es keine automatische Umsetzung der Empfehlungen von McKinsey geben würde, sondern daß eine Entscheidung über Umstrukturierungsmaßnahmen ausschließlich dem Aufsichtsrat vorbehalten bleiben sollte. Unter diesen Voraussetzung ließen sich auch die Arbeitnehmervertreter von einer Einschaltung der „Firma“ überzeugen. Mitte 1980 erhielt sie den Auftrag für ein umfassendes Gutachten, das die Grundlage für eine „Anpassung der NH an die Anforderungen der 80er Jahre“329 bilden sollte. Aus unerfindlichen Gründen dauerte es allerdings bis März 1981, bis dieses Gutachten fertiggestellt war. In der Zwischenzeit passierte erst einmal gar nichts – abgesehen davon, daß die Zinsen weiter anstiegen und die rückläufige Entwicklung auf dem Eigenheimsektor sich noch verschärfte.330 Es ist unklar, warum der Vorstand unter diesen Umständen nicht auf einer beschleunigten Umsetzung der grundsätzlichen Einsicht, daß eine Kapazitätsanpassung unentrinnbar war, beharrte. Sicher ist, daß er die beginnende Wirtschaftskrise falsch einschätzte; er war noch Ende 1980 der Auffassung, „daß sich die BRD gegenwärtig nicht am Beginn einer tiefgreifenden Rezession, sondern in einer Phase der Wachstumsabschwächung befindet“,331 die bereits Mitte 1981 wieder vorbei sein würde. Das nährte bei einzelnen Vorstandsmitglieder und insbesondere bei Albert Vietor offenbar die Hoffnung, vielleicht doch noch um eine grundlegende Veränderung der Unternehmenspolitik herumzukommen. Zumindest ließe sich dies daraus schließen, daß Vietor zu dem Zeitpunkt, zu dem ein Personalabbau nur noch eine Frage der Zeit zu sein schien, noch immer Pläne ausheckte, mit denen die Auslastung der Unternehmensgruppe nicht durch eine Anpassung der Kapazitäten an die Nachfrage, sondern durch eine Anpassung der Nachfrage an die Kapazitäten gesichert werden konnte. Wie in alten Tagen verknüpfte er dieses Bestreben geschickt mit aktuellen sozialpolitischen Debatten – allerdings nun nicht mehr wie Anfang der sechziger Jahre beim Auslandswohnungsbau mit der Entwicklungshilfe oder beim Hausbesitzbrief mit der Vermögensstreuung, sondern mit der „neuen Wohnungsnot“.332 Die Bundesregierung hatte dieses Problem wohl erkannt, sah sich aber aufgrund der knappen Kassen und ihrer stabilitätspolitischen Zielsetzungen außerstande, ihm durch eine Ausweitung des sozialen Mietwohnungsbaus entgegenzuwirken.333 Vietor hielt aber genau das für erstrebenswert – aus sozialpolitischen, vor allem aber aus unternehmenspolitischen Gründen, denn der Mietwohnungsneubau war die traditionelle Domäne der Unternehmensgruppe und konnte ihr hel328 Schreiben Betriebsrat NHH an den Vorstand der Unternehmensgruppe, betr. Organisationsuntersuchungen in der HV, 14.4.1980, StA HH, 622–2 Cordua 87. 329 McKinsey & Company, Inc., Anpassung der Neuen Heimat an die Anforderungen der 80er Jahre. Dokumentation, März 1981, Parlamentsdokumentation der Hamburgischen Bürgerschaft, Akten PUA „Neue Heimat“, 06.7.13, Titel. 330 Vgl. Bericht des Vorstands, Vorlage zu TOP 1 AR NHH/NHS 13.11.1980, StA HH, 622–2 Cordua 33, S. 1 ff. u. S. 20 sowie Bericht des Vorstandes, Vorlage zu TOP 2 AR NHS, 2.7.1981, StA HH, 622–2 Cordua 36, S. 1. 331 Bericht des Vorstands, Vorlage zu TOP 1 AR NHH/NHS 13.11.1980, StA HH, 622–2 Cordua 33, S. 4. 332 Zur „Neuen Wohnungsnot“ vgl. Kap. 6.1.1.2 dieser Arbeit. 333 Vgl. Gewos 1990, S. 191 f.

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fen, die Krise zu überwinden. Der Vorstandsvorsitzende suchte deshalb nach Möglichkeiten, die allgemein anerkannte Notwendigkeit einer stärkeren Förderung des Mietwohnungsneubaus mit den eingeschränkten Möglichkeiten der öffentlichen Haushalte in Einklang zu bringen. Er trat im Februar 1981 mit dem Vorschlag an die Öffentlichkeit, die Bundesregierung solle, statt selbst zusätzliche Gelder aufzuwenden, einen mit 4 bis 5% zu verzinsenden, dabei aber ertragssteuerbefreiten Sozialpfandbrief auflegen, um auf diesem Wege die Finanzierung des öffentlich geförderten Mietwohnungsneubaus für private Kapitalanleger attraktiv zu machen.334 Davon versprach sich Vietor den Bau von 100.000 zusätzlichen Wohnungen pro Jahr sowie – über die Vor- und Rückkopplungseffekte des Wohnungsbaus – einen Investitionsschub in Höhe von 120 Mrd. DM. Ob das eine realistische Einschätzung war, sei dahingestellt; jedenfalls trug sie nicht unwesentlich dazu bei, daß Vietors „großer Plan gegen die Wohnungsnot“335 in der Presse auf breite Resonanz stieß. Nicht alle Zeitungen waren so enthusiastisch wie BILD, die Helmut Schmidt sogar dazu aufforderte, den NH-Chef zum Bauminister zu machen;336 aber insgesamt zeichnete sich ein positives Echo auf das Vorhaben des Sozialpfandbriefes ab. Die Bundesregierung war von dem Vorschlag allerdings deutlich weniger beeindruckt. Sie hielt der NH eine Reihe von Nachteilen des Sozialpfandbriefs entgegen: So betrachtete sie die Verteilungswirkung eines solchen Papiers als problematisch, weil es vor allem für Wohlhabendere die Möglichkeit zur Steuerersparnis bot; sie befürchtete eine Spaltung des Kapitalmarktes, die für den sozialen Mietwohnungsbau ein niedrigeres, für alle anderen Wirtschaftssektoren aber ein noch einmal deutlich höheres Zinsniveau zur Folge haben würde; und anders als die NH waren die Beamten des Bauministeriums keineswegs der Meinung, daß der Sozialpfandbrief für den Staat kostenneutral sein würde, sondern rechneten mit großen Steuerausfällen, die sie für nicht verkraftbar hielten.337 Als das Bundeskabinett am 27. Mai 1981 zusammentrat, um über die prekäre Lage auf den Wohnungsmärkten zu beraten, war der Vorschlag Vietors deshalb von vornherein chancenlos. Auch der von verschiedenen Seiten erhobenen Forderung nach der Auflage eines Sonderprogramms für den Mietwohnungsneubau kam die Regierung nicht nach. Statt dessen beschloß sie nur einige kosmetische Neuregelungen des Vermietungsrechts und beschränkte sich bezüglich der Neubauförderung darauf, Kommunen und Länder zu einer Verstärkung ihrer Aktivitäten aufzufordern.338 Für die NH waren diese Beschlüsse enttäuschend, denn sie nahmen ihr die letzte Möglichkeit, einer radikalen Kehrtwende in der Unternehmenspolitik doch 334 Vgl. Albert Vietor: Steuerfreier Sozialpfandbrief soll Wohnungsbau ankurbeln, Neue Heimat Presseinformation Nr. 2, 2.2.1981; Albert Vietor: Ertragssteuerbefreiter Sozialpfandbrief ist die einzig machbare Lösung, Neue Heimat Presseinformation Nr. 3, 6.2.1981 sowie Neue Finanzierungsmodelle notwendig. Beitrag Bauherrenmodell und Sozialpfandbrief, GWW 33.1980, S. 639–642. 335 BILD, 7.2.1981. 336 Vgl. BILD, 3.2.1981 sowie die Umfrage der Bild am Sonntag vom 15.2.1981, laut der Vietor im Wunschkabinett ihrer Leser Bauminister werden sollte. 337 Vgl. DIE ZEIT, 5.2.1981; Welt der Arbeit, 19.3.1981 sowie Welt der Arbeit, 16.4.1981. 338 Vgl. Kurzübersicht über Geschäftstätigkeit und Entwicklung der NH/NHS, Vorlage zu TOP 2 AR NHS, 2.7.1981, StA HH, 622–2 Cordua 36, S. 3.

6.1 Der Wohnungsbau im Umbruch

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noch zu entkommen. Allerdings hatte diese Hoffnung schon in den Monaten zwischen der ersten Vorstellung des Sozialpfandbriefs im Februar und den Kabinettsbeschlüssen im Mai nahezu irreparablen Schaden genommen; zum einen deshalb, weil sich in diesem Zeitraum abzeichnete, daß die wirtschaftliche Krise eben keine vorübergehende Wachstumsabschwächung, sondern der Beginn einer scharfen Rezession war,339 zum anderen, weil im März 1981 die Berater von McKinsey endlich ihren Bericht fertiggestellt und dem Vorstand präsentiert hatten. Ihr Urteil fiel vernichtend aus: Die Produktivitätskennziffern des gemeinnützigen Konzernteils, so stellten sie fest, hätten sich seit Jahren nur verschlechtert; die Unternehmensgruppe sei zu groß, zu teuer und zu wenig kundenorientiert; und um wieder kostendeckend arbeiten zu können, dürfe sie sich nicht – wie im Falle des Sozialpfandbriefs – auf politische Lösungen verlassen, sondern müsse einschneidende Änderungen in ihrer Organisationsstruktur vornehmen. Diese Analyse galt besonders für den Geschäftsbereich „Neubau“, dem die Berater bescheinigten, er sei „ohne eine grundsätzliche Umorientierung (...) nicht zu erhalten, da fast alle Leistungsindikationen seit Jahren einer [sic] starken negativen Trend zeigen.“340 McKinsey empfahl mehrere Schritte. Dazu gehörte an erster Stelle eine deutliche Personalreduzierung. Nach Ansicht der Berater ließen sich 23% des Personals einsparen – eine Zahl, die vermutlich deutlich zu niedrig gegriffen war, denn die Wohnungsmärkte entwickelten sich in den achtziger Jahren erheblich schlechter, als zum Zeitpunkt der Organisationsuntersuchung zu erwarten stand.341 Ohnehin betonte die Unternehmensberatung aber auch, daß es mit einem Personalabbau alleine nicht getan sei. Vielmehr bedürfe es einer strukturellen Reorganisation, die die Kosten senke, ein besseres Marketing unter verstärkter Berücksichtigung lokaler Rahmenbedingungen ermögliche und vor allem die Abläufe zwischen Zentrale und Regionen besser koordiniere. Konkret entwarf McKinsey hierfür eine Reihe von verschiedenen Szenarien, die alle darauf hinausliefen, lokale Geschäftsbereiche aufzubauen, die die „Aufgaben eines lokalen Bauträgerunternehmens selbständig“342 durchführen sollten. Die Konzernzentrale sollte vollständig und die Regionalgesellschaften teilweise zu „Führungsholdings“ ohne operative Aufgaben umgewandelt werden. Von dieser Rücknahme des Trends zur Zentralisierung, der die organisatorische Entwicklung der Unternehmensgruppe seit dreißig Jahren bestimmt hatte, versprach sich die Unternehmensberatung größere Markt- und Kundennähe, größere Flexibilität und einen geringeren Personalbedarf.343 Es ist den Quellen nicht direkt zu entnehmen, welche Aufnahme dieses Konzept im Aufsichtsrat gefunden hat.344 Anscheinend war der Vorstand aber nunmehr fest entschlossen, eine Kehrtwende in der Unternehmenspolitik auch gegen starke 339 Vgl. Weimer 1998, S. 299 ff. 340 McKinsey & Company, Inc., Anpassung der Neuen Heimat an die Anforderungen der 80er Jahre. Dokumentation, März 1981, Parlamentsdokumentation der Hamburgischen Bürgerschaft, Akten PUA „Neue Heimat“, 06.7.13, S. 63. 341 Vgl. ebd., S. 96. 342 Ebd., S. 68. 343 Vgl. ebd., S. 68 ff. 344 Das betreffende Aufsichtsratsprotokoll der NHG vom März 1981 konnte nicht aufgefunden werden.

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6. Krise vor dem Fall

Widerstände durchzupauken, wohl nicht zuletzt deswegen, weil seit der Verschärfung der konjunkturellen Krise in der ersten Jahreshälfte 1981 der NHG zusehends die Luft auszugehen drohte. Denn das steigende Zinsniveau drückte nicht nur auf das Dienstleistungsergebnis des gemeinnützigen Konzernteils, sondern bedrohte seine Existenz auch noch in einer anderen Hinsicht. In der zweiten Hälfte der siebziger Jahre war die Verschuldung der NHG stetig angestiegen; hatte sie 1973 noch 2,6 Mrd. DM betragen, so belief sie sich Mitte 1980 schon auf 3,9 Mrd. DM.345 Gleichzeitig hatte sich auch die Struktur der Belastungen drastisch verschlechtert. Den Hintergrund hierfür bildete die Tatsache, daß durch die Verlustabdeckung aus Grundstücksquerverkäufen nur Buchgewinne erzielt, aber keine realen Mittel freigesetzt werden konnten. Die Unternehmensliquidität mußte deshalb mit Betriebsmittel-, also kurzfristigen, nicht dinglich gesicherten Zwischenkrediten eingeholt werden. Deren Anteil an der Gesamtverschuldung stieg folglich überproportional an – von 14% 1976 auf 35% 1980.346 Gerade die Betriebsmittelkredite aber waren von den Anfang 1980 einsetzenden Zinssteigerungen besonders stark betroffen. Im Frühjahr 1979 hatte die NHG für sie noch durchschnittlich 5,75% Zinsen bezahlt. Ein Jahr später mußte sie bereits mit 9,5% kalkulieren; und im März 1981 belief sich der Aufwand für neu aufgenommene Betriebsmittelkredite sogar auf 13%.347 Der Zinsaufwand des gemeinnützigen Konzernteils schnellte deshalb nochmals in die Höhe. Da diesen steigenden Ausgaben aber im operativen Bereich kaum noch Einnahmen gegenüberstanden, blieb der NHG seit Ende 1980 nichts anderes mehr übrig, als für ihre Zinszahlungen neue Kredite einzuwerben und sich so in eine Verlustspirale zu begeben.348 Im Laufe dieses Jahres stieg die Summe der von ihr aufgenommenen Mittel daher auf über 4,2 Mrd. DM, während die Eigenkapitalbasis unverändert blieb.349 Angesichts der sich derart zuspitzenden Lage war im Frühsommer 1981 auch unabhängig von der passiven Haltung der Bundesregierung, wie sie in den Kabinettsbeschlüssen vom Mai 1981 zum Ausdruck kam, klar, daß es so beim besten Willen nicht mehr weitergehen konnte. Als der McKinsey-Bericht Anfang Juli 1981 im Aufsichtsratspräsidium des gemeinnützigen Konzernteils beraten wurde, gelang es dem Vorstand deshalb schnell, die Anteilseigner auf seine Seite zu ziehen. Die Arbeitnehmervertreter scheinen in ihrer Haltung zögerlicher gewesen zu sein, konnten sich aber dem Druck der schlechten betriebwirtschaftlichen Lage nicht entziehen. Auch sie billigten schließlich das Konzept, das der Vorstand ihnen vorgelegt hatte und das sich in wesentlichen Teilen an dem McKinsey-Gutachten orientierte. Es ging von 345 Vgl. Aktenvermerk. Von Banken gewährte Kredite bzw. übernommene Bürgschaften, 9.9.1980, StA HH, 622–2 Cordua 234. 346 Vgl. ebd. sowie Entwicklung der Kreditaufnahme NH-Gruppe, 1. Halbjahr 1977/Jahresvergleich 30.6.77 zu 30.6.76, StA HH, 622–2 Cordua 234. 347 Vgl. Finanzierungsbedingungen für den Eigentumsbereich, o. D. [1982], StA HH, 622–2 Cordua 234. 348 Vgl. Finanzplanung für die Zeit vom 1.9. bis 31.12.1980, StA HH, 622–2 Cordua 234, S. 2 ff., v. a. S. 5. 349 Vgl. Entwicklung der Kreditsituation, Stand: 31.12.1980, StA HH, 622–2 Cordua 234 und Aktenvermerk. Von Banken gewährte Kredite bzw. übernommene Bürgschaften, 11.3.1982, StA HH, 622–2 Cordua 234. Zusammenfassend zur wirtschaftlichen Entwicklung des gemeinnützigen Konzernteils zwischen 1981 und 1985 vgl. auch Richter 1992, S. 376 f.

6.1 Der Wohnungsbau im Umbruch

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einer zukünftigen Bauleistung von 6.000 Wohnungen pro Jahr aus, wovon etwa zwei Drittel auf Eigentumsmaßnahmen entfallen sollten.350 Die Neubauproduktion selbst sollte in „dezentralen und fachübergreifenden Organisationseinheiten“, also in Niederlassungen ablaufen; die Regionen waren auf die Führung dieser Niederlassungen zuzuschneiden; und die Hauptverwaltung sollte „keine operativen Aufgaben“ mehr wahrnehmen, sondern „auf die Funktionen der Planung und Kontrolle sowie Richtlinienkompetenz beschränkt“ werden.351 Dieser Grundsatzbeschluß über die Neuorganisation der NHG war für die Unternehmensgruppe von epochaler Bedeutung, denn er bedeutete nichts anderes als das Eingeständnis, daß sich ihr altes „politisch-organisatorisches Modell“ endgültig überlebt hatte. Das zeigte sich besonders deutlich an der für dieses Modell zentralen Frage der Arbeitsplatzsicherheit. Denn als der Vorstand im Dezember 1981 – in der letzten Aufsichtsratssitzung vor dem Skandal vom Februar 1982 – konkretere Vorschläge und auch einen Zeitplan für die Neuorganisation vorlegte, machte der eigens für die Umstrukturierung ins Amt gehobene „Organisationsbeauftragte“ Edmund Eisenberger unmißverständlich deutlich, daß „die Mitarbeiterkapazität mittelfristig angepaßt werden würde“ – und daß dafür „notfalls Entlassungen in Betracht zu ziehen seien.“352 In ihrer alten Form und mit ihrem alten, auf Arbeitsplatzsicherung und Expansion der Bautätigkeit gerichteten Selbstverständnis war die NHG also schon vor dem Skandal nicht mehr zu erhalten, und auch ohne diesen hätte sie sich einem radikalen Wandel unterziehen müssen. Helmut Fischer, einer der Arbeitnehmervertreter im Aufsichtsrat der NHG, brachte diese Einsicht auf den Punkt, als er im Dezember 1981 die Auffassung vertrat, „die Unternehmensgruppe werde in eine andere Zukunft hineingehen. (...) Der Prozeß werde nicht ohne Schmerzen vonstatten gehen. Wenn der Konzern jedoch langfristig erhalten bleiben solle, könne er nicht dort stehen bleiben, wo er in den letzten beiden Jahren gestanden habe.“353 Daß der Konzern, anders als Fischer das hoffte, langfristig nicht mehr erhalten bleiben konnte, lag zum einen daran, daß die Kehrtwende der NHG angesichts der sich weiterhin verschlechternden Rahmenbedingungen zu spät kam, um zu verhindern, daß die NHG ein Sanierungsfall wurde. Aber selbst wenn der Vorstand sich schon früher zu einer konsequenten Umstrukturierung entschlossen hätte, wäre ein „turn-around“ wohl kaum zu erreichen gewesen. Denn auch die Hoffnungen, die er Mitte der siebziger Jahre in den Städtebau und in das Auslandsgeschäft gesetzt hatte, waren nicht in Erfüllung gegangen. Nicht nur die NHG, sondern auch die NHS hatte sich damit am Beginn der achtziger Jahre zu einem Sanierungsfall entwickelt.

350 Vgl. Protokoll AR NHH, 3.7.1981, StA HH, 622–2 Cordua 37, S. 5. 351 Albert Vietor, Aufsichtsrat billigt Umorganisation bei der NHG, Mitarbeiterbrief 4, August 1981, S. 1. 352 Protokoll AR NHH, 3.12.1981, StA HH, 622–2 Cordua 38, S. 6. 353 Protokoll AR NHH/NHS, 4.12.1981, StA HH, 622–2 Cordua 40, S. 7.

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6. Krise vor dem Fall

6.2 VOM HOFFNUNGSTRÄGER ZUM FASS OHNE BODEN: DER STÄDTEBAU 6.2.1 Stagnation statt Expansion: Städtebauliche Märkte in der zweiten Hälfte der siebziger Jahre Dabei hatte in der Krise 1973/74 zunächst alles so ausgesehen, als würde Vietors Strategie, die wegbrechende Beschäftigung im Wohnungsbau durch eine Ausdehnung des Städtebaus wettzumachen, voll und ganz aufgehen. Die im Stabilitätsprogramm der Bundesregierung vorgesehenen restriktiven Maßnahmen trafen den öffentlichen Infrastrukturausbau weniger hart als den Wohnungsbau, weil er nicht im selben Maße von der Einschränkung steuerlicher Abschreibungsmöglichkeiten betroffen war. Schon vor dem Ölpreisschock ging Vietor daher davon aus, daß der Umsatz der Städtebaugruppe weiterhin in ähnlicher Weise steigen werde wie bisher.354 Diese Einschätzung wurde in der Unternehmensgruppe weithin geteilt. So trug der Geschäftsführer der NH Nord Ende Oktober 1973 in seinem Aufsichtsrat die Auffassung vor, daß sich „die seinerzeitige Vorstellung des Kollegen Vietor, über die Gründung der Städtebaugesellschaften nicht nur die angebotene Palette der Unternehmensgruppe wesentlich zu verbreitern, sondern auch auf längeren Zeitraum betrachtet über diesen Weg Gewichtsverlagerungen im Beschäftigtenpotential vornehmen zu können, (...) heute aus[zahle]“ und äußerte die Erwartung, „daß dieser Unternehmensbereich sich weiterhin kontinuierlich nach oben entwickeln wird.“355 Auch mit dem Beginn der Ölpreiskrise änderte sich an dieser Einschätzung zunächst nichts. Im April 1974 erklärte Vietor vor dem Aufsichtsrat, daß ihm die Lage im öffentlichen Hochbau noch „relativ am besten erscheine“.356 Er rechnete damit, daß die öffentlichen Investitionen in diesem Bereich 1974 real etwa das Niveau von 1973 erreichen würden und ging sogar davon aus, daß in einigen Geschäftsfeldern – etwa bei Kläranlagen und Müllverbrennungsanlagen – eine deutliche Expansion möglich sein würde.357 Selbst als die Krise 1974 die öffentlichen Haushalte erreichte, blieb er bei dieser Auffassung. Denn gerade der Städtebau schien davon nicht betroffen zu sein: Schließlich legte die Bundesregierung im September 1974 angesichts der steigenden Arbeitslosigkeit ein Konjunktur-Sonderprogramm auf, das im wesentlichen den Hochbau fördern sollte.358 Das schlug sich bei der NHS in einer positiven Entwicklung der Auftragslage nieder: So verfügten die Städtebaugesellschaften im November 1974 über bereits eingenommene Vorschüsse in Höhe von 148 Mio. DM. Dies entsprach einer kostendeckenden Weiterbeschäftigung des Unternehmens von zwanzig Monaten.359 Zwar erwartete 354 Vgl. Protokoll Beirat NH Norddeutscher Städtebau, 23.10.1973, FZH 592–32 VII, S. 3. 355 Allgemeine geschäftspolitische Lage, Anlage zum Protokoll AR NH Nord, 23.10.1973, FZH 592–31 IV, S. 9 f. 356 Protokoll AA NHH/NHS, 18.4.1974, StA HH, 622–2 Cordua 142, S. 3. 357 Vgl. Protokoll AR NHS, 12.7.1974, StA HH, 622–2 Cordua 15, S. 7. 358 Vgl. Wolfgang Jäger, Die Innenpolitik der sozialliberalen Koalition 1974–1982, in: ders./ Werner Link (Hg.), Republik im Wandel 1974–1982. Die Ära Schmidt (Geschichte der Bundesrepublik Deutschland Bd. 5/II), Stuttgart/Mannheim 1987, S. 9–272, hier S. 16. 359 Vgl. Protokoll AA NHH/NHS, 21.11.1974, StA HH, 622–2 Cordua 145, S. 3.

6.2 Vom Hoffnungsträger zum Faß ohne Boden: Der Städtebau

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der Vorstand für 1975 eine etwas schwächere Entwicklung, aber wirklich beunruhigen konnte ihn das nicht. Vietor war sogar der Meinung, daß trotz der Ende 1974 vorübergehend leicht eingetrübten Wachstumsaussichten „im NHS-Bereich grundsätzlich Möglichkeiten für einen weiteren Ausbau“ bestünden. „Wenn alle zur Zeit geführten Verhandlungen in reale Vertragsabschlüsse münden würden“, so urteilte er noch im Februar 1975, „hätte die NEUE HEIMAT STÄDTEBAU keine Sorgen.“360 Und tatsächlich stiegen zwischen 1974 und 1975 die Gesamtumsätze im Städtebau um 8,6%, wohingegen sie bei den gemeinnützigen Gesellschaften stagnierten.361 Erstmals übertrafen auch die Bauumsätze der NHS jene des gemeinnützigen Unternehmensteils. Der mit der Gründung der Städtebaugesellschaften einhergehende „Aufbau der verschiedenen Leistungsbereiche“362 schien also, wie Vietor vor dem Aufsichtsrat erläuterte, der Unternehmensgruppe in vollem Umfang zugute zu kommen. Diese Einschätzung stand allerdings auf wackligen Füßen. Schließlich waren die Hauptinvestoren auf dem Gebiet des öffentlichen Baus und des Wirtschaftsbaus keineswegs immun gegen rezessive Tendenzen. Mochte man mit Blick auf die Wirtschaftsbauten noch davon ausgehen, daß die Investitionen in diesem Bereich in einer Krise, die für ein vorübergehendes Phänomen gehalten wurde, nicht allzu stark rückläufig sein würden, so konnte dies für die Investitionen der öffentlichen Hand nicht gelten. Der Hauptgrund hierfür bestand in der Entwicklung der Steuerausfälle: So blieben 1974 aufgrund der Rezession die Einnahmen von Bund, Ländern und Gemeinden um 11 Mrd. DM hinter dem Schätzwert, auf dem die Haushaltspläne basierten, zurück.363 Das zwang besonders die Kommunen zu drastischen Ausgabenreduzierungen, die wiederum vor allem den öffentlichen Hochbau trafen – allerdings mit zeitlicher Verzögerung: Erst im Haushaltsjahr 1976 schlugen die Steuerausfälle voll auf die öffentlichen Ausgaben durch. Während die Baukosten für genehmigte Wirtschaftsbauten von 1975 auf 1976 „nur“ von 18,8 Mrd. DM auf 16,5 Mrd. DM sanken, gingen sie im öffentlichen Hochbau innerhalb des gleichen Zeitraumes von 14,5 Mrd. DM auf 9,9 Mrd. DM zurück.364 Hätte es sich hierbei nur um eine konjunkturell bedingte „Delle“ im Investitionsverhalten gehandelt, wäre es für die NHS wohl zu verschmerzen gewesen. Dem war aber nicht so. Denn ein genauerer Blick ließ erkennen, daß sich der Markt für den öffentlichen Infrastrukturbau und zu einem geringeren Teil auch der Markt für den Wirtschaftsbau in einer Umbruchphase befand, die der des Wohnungsbaus im gleichen Zeitraum nicht unähnlich war. Das schlug sich in drei Entwicklungstendenzen nieder: in einem strukturell bedingten Wandel des Investitionsverhaltens von Gemeinden und Unternehmen; in einer grundlegenden Veränderung der „Bedarfssituation“ bei der öffentlichen Infrastruktur; und schließlich in

360 361 362 363 364

Protokoll AA NHH/NHS, 26.2.1975, StA HH, 622–2 Cordua 146, S. 7. Vgl. Anhang, Tabelle 9. Protokoll AA NHH/NHS, 18.4.1974, StA HH, 622–2 Cordua 142, S. 4. Vgl. JB 1974/75, S. 20. Vgl. Protokoll AA NHH/NHS, 2.12.1977, StA HH, 622–2 Cordua 25, S. 5.

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6. Krise vor dem Fall

einer durch diese beiden Faktoren hervorgerufenen Verschärfung der Konkurrenzsituation.365 Schon die Verringerung der öffentlichen Ausgaben Mitte der siebziger Jahre war nicht alleine durch die Steuerausfälle im Gefolge der Krise zu erklären, sondern gleichzeitig ein Anzeichen dafür, daß das Ausgabeverhalten der Kommunen auch eine strukturelle Veränderung durchmachte. Denn seit der Anfang der siebziger Jahre kam eine Vielzahl neuer Aufgaben auf sie zu. Das war etwa am Beispiel der verstärkten öffentlichen Diskussion über eine staatliche Umweltpolitik zu erkennen. Die NH rechnete damit, daß diese auch den Umfang des Neubaus in der öffentlichen Infrastruktur beeinflussen würde. „Zur Vermeidung der Schäden zunehmender Verstädterung und Verdichtung sowie einer Überforderung der natürlichen Umwelt“, so begründete sie diese Auffassung, „sind beträchtliche Umweltschutzmaßnahmen, Schutz vor Lärm-, Staub- und Geruchsbelästigungen, erforderlich, insbesondere für den Luftemissionsschutz, den Gewässerschutz und den Landschaftsschutz. Der Teil des Sozialprodukts, der gegenwärtig absorbiert wird, wird in Zukunft erheblich steigen. Selbst bei gleich hohen realen Zuwachsraten wie in der Vergangenheit verbliebe infolgedessen von dem ‚Mehr‘ an Sozialprodukt für die übrigen Verwendungsbereiche nur ein geringerer verteilungsfähiger Rest.“366 Diese These vom „geringeren verteilungsfähigen Rest“ traf auch auf einen anderen Aspekt der Ausgabenstruktur der Kommunen zu. Denn während sich in den sechziger Jahren die kommunalen Ausgaben in den Bereichen Personalausgaben, Ausgaben für soziale Leistungen und Sachinvestitionen in etwa gleich schnell verändert hatten, entwickelten sie sich in den siebziger Jahren völlig unterschiedlich: Während die Sachinvestitionen zwischen 1971 und 1977 nur um etwa 27% wuchsen, stiegen die Personalausgaben im gleichen Zeitraum um 98%, die Ausgaben für soziale Leistungen sogar um 180%.367 Diese Entwicklung hatte eine Reihe von Ursachen. Zum Teil lag sie darin begründet, daß die von den Kommunen errichteten Infrastrukturbauten von diesen auch betrieben werden mußten. Mit zunehmendem Ausstattungsniveau ging daher auch ein geringerer Investitionsspielraum für den Neubau einher.368 Wichtiger war aber die Tatsache, daß die Kombination aus gegenüber den sechziger Jahren niedrigeren Wachstumsraten, steigender Inflation und relativ starker Position der Gewerkschaften dazu führten, daß die Lohnquote seit Anfang der siebziger Jahre spürbar anstieg.369 Von diesem Prozeß war der öffentliche Sektor besonders stark betroffen; erinnert sei in diesem Zusammenhang nur an die von der ÖTV 1974 durchgesetzte 11%ige Lohnerhöhung, die der öffentlichen Hand eine Mehrbelastung von 15 Mrd. DM auferlegte.370 Aber auch gesamtwirtschaftlich betrachtet nahm der Anteil der abhängig Beschäftigten am 365 Vgl. Mündlicher Bericht NHS – Regionalbereich Nord anläßlich AR-Sitzung NHS, 5.7.1979, StA HH, 622–2 Cordua 30, S. 9. 366 JB 1973/74, S. 6. 367 Vgl. JB 1977/78, S. A 38 . 368 Vgl. Jan Formanek, Investitionen – Mittel gegen die kommunale Finanzmisere?, NHM 1976,1, S. 12–14, hier S. 12 f. 369 Vgl. Abelshauser 2004, S. 342 f. 370 Vgl. Weimer 1998, S. 254 sowie die ausführliche Darstellung bei Baring 1982, S. 694 ff.

6.2 Vom Hoffnungsträger zum Faß ohne Boden: Der Städtebau

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Volkseinkommen zu, während die Gewinnquote fiel. Somit stand nicht nur im öffentlichen Hochbau, sondern auch im Wirtschaftsbau langfristig weniger Geld für Neuinvestitionen zur Verfügung.371 Insgesamt gingen daher die realen Bauinvestitionen von Staat und Unternehmen (ohne den Wohnungsbau) Mitte der siebziger Jahre deutlich zurück: Zwischen 1973 und 1977 fielen sie von 62 Mrd. DM auf 58,4 Mrd. DM.372 Zwar entspannte sich die Lage in den folgenden Jahren wieder ein wenig, aber erstens kam es 1981 zu einem erneuten Einbruch, und zweitens fand diese kurzfristige Erholung unter Bedingungen statt, die sich von denen vor 1973/74 merklich unterschieden. Denn nicht nur der Umfang der Hochbauinvestitionen, sondern auch die Struktur der Nachfrage unterlag in der zweiten Hälfte der siebziger Jahre tiefgreifenden Veränderungen. Generell gesprochen, speiste sie sich in diesem Zeitraum nicht mehr aus einem besonderen Nachholbedarf, sondern aus strukturellen Verschiebungen. So gab es eine Reihe von Sektoren, in denen Sättigungserscheinungen auftraten. Im Hotelbau beispielsweise, der in der zweiten Hälfte der siebziger Jahre weitgehend brachlag, waren in den Jahren vor 1973 Überkapazitäten aufgebaut worden waren, die auf weit überzogenen Wachstumserwartungen beruht hatten.373 Der Schul- und Hochschulausbau, der in den späten sechziger und frühen siebziger Jahren geboomt hatte, stieß ebenfalls an seine Grenzen, allerdings primär deshalb, weil die nunmehr stagnierende Bevölkerungszahl und die zunehmende Alterung der Gesellschaft einen weiteren Ausbau dieser Einrichtungen unnötig erscheinen ließ.374 Auch der Wandel der Wirtschaftsstruktur wirkte sich auf die Nachfrage nach öffentlichen Einrichtungen aus. Das galt beispielsweise für den Trend zur Substitution von Arbeitsplätzen im sekundären durch Arbeitsplätze im tertiären Sektor, weil die Arbeitsplätze im Dienstleistungssektor stärker als die industriellen Arbeitsplätze auf die Großstädte konzentriert waren. Insbesondere die jüngere Erwerbsbevölkerung wanderte deshalb seit Beginn der siebziger Jahre verstärkt aus strukturschwächeren Regionen in die Ballungsräume ab.375 Diese Entwicklung bedrohte die öffentliche Infrastruktur in zweierlei Hinsicht: Zum einen gefährdete sie die Auslastung der bestehenden Einrichtungen in den dünner besiedelten Gegenden; zum anderen führte sie bei den Einrichtungen in den Ballungsgebieten zu einer zusätzlichen Belastung.376 Schon in ihrem Raumordnungsbericht von 1974 hatte die Bundesregierung deshalb davon gesprochen, daß an die Stelle der vorhandenen Pläne zum großzügigen Ausbau der Infrastruktur Überlegungen treten müßten, wie die Funktionsfähigkeit der vorhandenen Einrichtungen erhalten werden könne. Sie prognostizierte, daß im Infrastrukturausbau ähnlich wie im Wohnungsbau „der Gedanke der ‚Bestandspflege‘ (...) gegenüber den bisherigen quantitativen Wachstumsvorstellungen zunehmend an Bedeutung gewinnen“377 würde. Mit dieser Vorhersage

371 372 373 374 375 376

Vgl. Abelshauser 2004, S. 342 f. Vgl. JB 1980/81, S. A 4. Vgl. Luxus mit Rabatt, SPIEGEL 28.1974,15, S. 54–57, hier S. 54. JB 1978/79, S. A 39. Vgl. JB 1977/78, S. A 8. Vgl. ebd.

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stand sie nicht allein: Die NH kam zwei Jahre später in ihrem Jahresbericht zu ganz ähnlichen Schlüssen.378 Diese Wende zur „Bestandsorientierung“ hatte für die Städtebauunternehmen zweierlei Konsequenzen. Zum einen führte sie dazu, daß die Ausgaben für die öffentliche Infrastruktur zunehmend in Bereiche gelenkt wurden, auf denen sie nur wenig Erfahrung vorzuweisen hatten. Denn bei öffentlichen Infrastruktureinrichtungen und bei Wirtschaftsbauten bedeutete „Bestandsorientierung“ nicht primär bauliche Modernisierungsmaßnahmen, sondern eine effektivere Gestaltung des Betriebs solcher Einrichtungen. Die NH lag daher richtig, als sie 1977 vorhersagte, daß „der öffentliche Bedarf an betriebsorganisatorischen Beratungen, Personalberatung und Verwaltungsreformvorschlägen künftig erheblich steigen“379 werde. Diese korrekte Prognose in ein entsprechendes Angebot umzusetzen, gelang ihr allerdings nicht. Denn Beratungsdienstleistungen fielen nicht in die Kernkompetenzen von Städtebauunternehmen, sondern eher in die Kernkompetenzen von Unternehmensberatungen. Im Wettbewerb gegen diese blieben die Bauunternehmen auf die Dauer nur zweiter Sieger.380 Das Ergebnis dieser Situation war, daß für die Bauunternehmen von den Investitionen in die öffentliche Infrastruktur nur das Stück des Kuchens übrig blieb, das auch weiterhin in den Neubau wanderte, und dieses Stück wurde stetig kleiner. Auf dem verbleibenden Markt für den Neubau verschärfte sich deshalb in der zweiten Hälfte der siebziger Jahre die Wettbewerbssituation deutlich.381 Hinzu kam noch, daß auch die Art der Maßnahmen, die im nun noch verbleibenden Neubau verfolgt wurden, deutlichen Veränderungen unterlag. So ging seit Mitte der siebziger Jahre die Zahl der infrastrukturellen Großprojekte drastisch zurück, während umgekehrt ein immer größerer Teil des öffentlichen Hochbaus auf kleinere Objekte entfiel. Dieser Trend hatte verschiedene Ursachen. Die auch im Wohnungsbau zu beobachtende Abwendung von der Architektur der Moderne spielte eine wichtige Rolle. Auch die in der ersten Hälfte der siebziger Jahre in Gang gesetzte Veränderung der Planungsprozesse durch eine verstärkte Bürgerbeteiligung und zunehmende vom Konzept der „Lebensqualität“ beeinflußte Restriktionen für Neubauten in Innenstädten trugen ihren Anteil dazu bei. So erschwerte beispielsweise die 1977 verabschiedete Novellierung der Baunutzungsverordnung die Flächenexpansion des Einzelhandels in den Innenstädten, um auf diese Weise der Verdrängung der Wohnbevölkerung aus diesen Bereichen entgegenzuwirken; die Folge war ein Rückgang beim Bau von großen Einkaufszentren.382 Am bedeutsamsten waren allerdings zweifellos die mit der stagnierenden Bevölkerungszahl einhergehenden rückläufigen Bedarfsschätzungen. Die seit Mitte der sechziger Jahre in Gang gesetzten Großprojekte waren ja nicht zuletzt eine Reaktion auf das 377 Bundesminister für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau (Hg.), Raumordnungsbericht 1974 (Schriftenreihe „Raumordnung“ Bd. 06.004), Bonn 1974, S. 10. 378 Vgl. JB 1976/77, S. A 8. 379 Ebd., S. A 34. 380 Vgl. Allgemeiner schriftlicher Bericht des Vorstandes, ARP NHH/NHS 30.11.1978, StA HH, 622–2 Cordua 79, S. 24. 381 Vgl. ebd. 382 Vgl. JB 1976/77, S. A 5 und JB 1978/79, S. A 39.

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Gefühl gewesen, einen gigantischen Nachholbedarf befriedigen zu müssen. Mit der stagnierenden Nachfrage seit Mitte der siebziger Jahre waren sie hinfällig. In der zweiten Hälfte der siebziger Jahre brach der Markt für solche Objekte deshalb fast vollständig zusammen.383 6.2.2 Die Krise der NHS 6.2.2.1 Probleme der Konzernorganisation Die NHS war der klare Verlierer dieser Marktentwicklung, denn sie hatte in der ersten Hälfte der siebziger Jahre vor allem von Großprojekten gelebt. Aber während sie in diesem Zeitraum nahezu ein Dutzend Infrastrukturbauten mit einem Bauvolumen von 100 Mio. DM und mehr unter Vertrag genommen hatte, gab es von dieser Sorte nach 1975 nur noch ein einziges neues Projekt: Das war das zwischen 1976 und 1979 von der Unternehmensgruppe erbaute Internationale Congress-Centrum in Berlin.384 In der Konkurrenz um die nunmehr verstärkt ausgeschriebenen kleineren Projekte war die NHS allerdings kleinen und mittleren Architekturbüros hoffnungslos unterlegen. Ihre Umsätze entwickelten sich deshalb in der zweiten Hälfte der siebziger Jahre noch stärker rückläufig als der Gesamtmarkt: Zwischen 1975 und 1978 schrumpften sie um nicht weniger als 27%.385 Diese Entwicklung war wie bei der NHG vor allem der Organisationsstruktur der Unternehmensgruppe geschuldet. Unter den nunmehr vorherrschenden Bedingungen entwickelte sie sich zum größten Hindernis einer erfolgreichen Betätigung auf einem kleiner werdenden Markt. Das war in erster Linie eine Folge der Etablierung der zahlreichen zur NHS gehörigen Spezialgesellschaften, von der sich die Unternehmensgruppe bei gut gehenden Geschäften Vorteile in der Auftragsakquisition versprochen hatte, die aber gleichzeitig mit hohen Fixkosten einherging. Denn jede einzelne Gesellschaft sah sich gezwungen, eine eigene Unternehmensinfrastruktur zu unterhalten. Das bezog sich zum einen auf Spezialistenteams, zum anderen aber auch auf die Geschäftsführung, die in der Regel nicht nur mit einem, sondern mit zwei oder drei Mitgliedern besetzt war. So verfügten die GBT, die Begebau, die NHK, die GVV und die GIA 1974 zusammen über nicht weniger als 16 Geschäftsführerposten, die von insgesamt 13 verschiedenen Personen ausgefüllt wurden. Hinzu kamen noch die Geschäftsführer der Mediplan und der Bewobau.386 Diese mehrfach vorgehaltenen Geschäftsführungen bereiteten unter den ungünstigen Rahmenbedingungen, wie sie seit 1974 vorherrschten, gleich in doppelter Weise Schwierigkeiten. Erstens stellten sie einen erheblichen Kostenfaktor dar; und zweitens erschwerten sie die Koordination der Gesellschaften untereinander. Dieser zweite Punkt war auch insofern problematisch, als es gerade bei den ge383 Vgl. Bericht über die Region Nordwest, Vorlage zu TOP 1.2 AR NHH/NHS, 13.2.1976, StA HH, 622–2 Cordua 20, S. 4. 384 Vgl. allgemein zu diesem Projekt die ausführliche Darstellung in: Internationales Congress Centrum Berlin, Berliner Bauwirtschaft, Sonderdruck April 1979, HAA BS 176. 385 Vgl. Anhang, Tabelle 7. 386 Vgl. Protokoll AR NHH/NHS, 15.2.1974, StA HH, 622–2 Cordua, 14, S. 9.

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nannten Gesellschaften – abgesehen von der Mediplan und der Bewobau – erhebliche Überschneidungen in ihren Geschäftsfeldern gab. Unter den erschwerten Akquisitionsbedingungen seit 1974 kam es vor, daß sie sich gegenseitig Konkurrenz machten.387 Immerhin war dies ein Problem, das leicht zu lösen schien. Im Februar 1974 beschloß der Vorstand, daß „eine Reihe von überregional tätigen Tochter- und Beteiligungsgesellschaften des NHS-Bereiches zum Zwecke einer optimalen Ausschöpfung der Akquisitionsmöglichkeiten, einer reibungslosen und zweckentsprechenden geschäftspolitischen Koordination und zwecks rationeller Ausnutzung vorhandener Infrastrukturen unter Berücksichtigung gemeinsamer Aktivitäten in Zukunft enger zusammenarbeiten“388 sollten. Dazu wurde eine Personalunion zwischen den Geschäftsführern der betroffenen Unternehmen eingerichtet und ein Generalbevollmächtigter benannt, der eine einheitliche Leitung des nun geschaffenen Verbundes garantieren sollte. Die beiden wichtigsten Spezialgesellschaften, die Begebau und die NHK, bekamen klar voneinander getrennte Aufgaben zugesprochen. Während erstere nur noch gewerbliche Bauvorhaben wie Büro- und Hotelbauten betreuen sollte, war für zweitere ausschließlich der Kommunalbau und hier vor allem die Umwelttechnik und der Umweltschutz vorgesehen.389 Diese Maßnahme mag zur Vereinfachung der Kontrolle und der Koordination beigetragen haben; eine durchgreifende Verbesserung der Lage erbrachte sie nicht, und zwar gleich aus mehreren Gründen. Erstens entwickelten sich die von den Spezialgesellschaften und besonders die von der Begebau bedienten Märkte weiterhin rückläufig. Zweitens konnten durch den Verbund zwar einige Geschäftsführerposten eingespart werden, aber die personelle Ausstattung der beteiligten Gesellschaften blieb mit ca. 130 Mitarbeitern unverändert.390 Und drittens gelang es auf diesem Wege nicht, eines der Grundprobleme zu beseitigen, das sich für die NHS aus den schlechten Marktbedingungen ergab. Das war die Tendenz zu einer Konkurrenzsituation zwischen den Spezial- und den Regionalgesellschaften, die in den folgenden Jahren fast ausnahmslos zu Ungunsten der Spezialgesellschaften enden sollte. Dieses Problem war besonders deutlich am Beispiel der Bewobau zu beobachten. Ihre Entwicklung geriet in den folgenden Jahren zum paradigmatischen Fall für die Spezialgesellschaften der NHS. Zunächst sah es allerdings so aus, als handele es sich bei der Bewobau um einen nicht gerade typischen Sonderfall. Schließlich war die Gesellschaft in erster Linie auf den Bau von Eigenheimen und Eigentumswohnungen für mittlere und höhere Einkommensschichten, also auf den Wohnungsbau spezialisiert.391 Weil sie nicht dem Gemeinnützigkeitsrecht unterlag, war sie bei der Gründung der NHS 1969 in deren Konzernkreis einbezogen 387 Vgl. ebd., S. 8. 388 Ebd. 389 Vgl. Bericht über Spezialgesellschaften im NHS-Bereich, Vorlage zu TOP 1.3 AR NHH/NHS 24.11.1974, StA HH, 622–2 Cordua 16, S. 1 sowie Protokoll AA NHH/NHS, 27.11.1975, StA HH, 622–2 Cordua 150, S. 4 ff. 390 Vgl. Bericht über Spezialgesellschaften im NHS-Bereich, Vorlage zu TOP 1.3 AR NHH/NHS 24.11.1974, StA HH, 622–2 Cordua 16, S. 1. 391 Vgl. JB 1973/74, S. 78.

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worden. Das änderte aber nichts daran, daß ihre wirtschaftliche Entwicklung maßgeblich von der Entwicklung des Wohnungsmarktes abhing, die im vorangegangenen Abschnitt bereits dargelegt worden ist. In den frühen siebziger Jahren boomten die Geschäfte der Bewobau: Zwischen 1971 und 1974 nahm ihre Personalstärke von 75 auf 200 Mitarbeiter zu, und die Gesellschaft verkaufte jährlich zwischen 1.200 und 1.500 auf dem Wege des Vorratsbaus errichtete Eigenheime.392 Der Einbruch auf dem Wohnungsmarkt stürzte das Unternehmen aber 1974 in eine Absatzkrise. Ende des Jahres standen bei der Bewobau 500 unverkaufte Eigentumswohnungen auf Halde. Zudem hatte die Spezialisierung der Gesellschaft auf den Verkauf gleich zwei Eigenarten mit sich gebracht, die sich nun negativ auswirkten: Zum einen verfügte die Bewobau über keinen Verwaltungsbestand, der bei den gemeinnützigen Gesellschaften für eine Verstetigung der Einnahmen auch in Zeiten niedriger Neubauproduktion sorgte – ein Problem, das in ähnlicher Form für alle Städtebaugesellschaften galt. Zum anderen hatte die Gesellschaft aufgrund des Booms der vorangegangenen Jahre einen großen Grundstücksvorrat aufgebaut, der nun nicht mehr ohne weiteres zu verwerten war. Im Frühjahr 1975 belief er sich auf knapp 1,5 Mio. Quadratmeter, die mit etwa 180 Mio. DM zu Buche standen.393 Die hieraus resultierende Zinsbelastung und die Verluste aus den unverkauften Eigenheimen drückten das Ergebnis der Bewobau massiv. Hatte sie in den frühen siebziger Jahren noch stets mit Gewinnen abgeschlossen, so erwirtschaftete sie 1974 einen Verlust in Höhe von 4,2 Mio. DM.394 Zumindest einen Teil dieses schlechten Ergebnisses hoffte die Geschäftsführung in näherer Zukunft durch einen Abbau der Wohnungshalden wettmachen zu können. Aber unzweifelhaft war auch, daß die Neubaukapazitäten der Bewobau weit über ihre Absatzmöglichkeiten hinausgingen: 1974 waren sie nicht einmal zur Hälfte ausgelastet, und selbst bei einer Besserung der Lage in den folgenden Jahren mußten zunächst die Halden reduziert werden, bevor neue Projekte in Angriff genommen werden konnten.395 Obwohl sich der Eigenheimmarkt langfristig positiv entwickeln sollte, hätte die Bewobau deshalb wohl in Konkurs gehen müssen, wenn sie nicht zur Unternehmensgruppe gehört hätte. Im März 1975 beschloß der Vorstand daraufhin ein Konzept, das eine radikale Umstrukturierung des Unternehmens vorsah. Grundsätzlich sollte die Gesellschaft keinerlei Grundstücke mehr ankaufen und auch keinen Vorratsbau mehr betreiben. Statt dessen sollte sie sich zukünftig auf den Bestellbau beschränken.396 Wichtiger noch als diese Änderung der Geschäftspolitik waren die Sanierungsmaßnahmen, die der Vorstand einleitete. Sowohl die Halden als auch die übergroßen Grund392 Vgl. Vermerk an VP, GF und PL, Diskussionsbeitrag „Sanierung Bewobau“, 28.5.1975, StA HH, 622–2 Cordua 228, S. 1 sowie Protokoll AA NHH/NHS, 8.10.1975, StA HH, 622–2 Cordua 149, S. 5. 393 Vgl. Bewobau Betreuungs- und Wohnungsbaugesellschaft mbH, Übersicht über den Grundstücksbestand per 15.4.1975 nach Situation Baurecht per 25.3.1975, StA HH, 622–2 Cordua 22 394 Vgl. Funktionale Ergebnisrechnung 1974 für den NHS-Konzern, Vorlage zu AA NHH/NHS, 3.7.1975, StA HH, 622–2 Cordua 149. 395 Vgl. Vorschlag zur Beschlußfassung gemäß § 8 Absatz 2 des Gesellschaftsvertrages der NHS – Konzept Bewobau, o. D. [10.3.1975], StA HH, 622–2 Cordua 228, S. 2. 396 Vgl. ebd., S. 1.

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stücksbestände sollten abgebaut werden. Das geschah vor allem dadurch, daß sie an die gemeinnützigen Regionalgesellschaften übertragen wurden.397 Den Kern der Restrukturierungsmaßnahmen bildete aber ein massiver Personalabbau. Die Bewobau sollte auf maximal fünfzig Mitarbeiter reduziert werden. Das Konzept des Vorstandes sah vor, die regionalen Niederlassungen des Unternehmens aufzulösen und das freiwerdende Personal in die NHS-Regionalgesellschaften einzugliedern. Dagegen hagelte es Proteste: Die Arbeitnehmervertretung bezeichnete das Vorhaben als „Liquidierung auf Raten“.398 Sie wies – zurecht – darauf hin, daß der Vorstand zu einem Zeitpunkt, zu dem sich bereits Schwierigkeiten anbahnten, die Zügel hatte schleifen lassen: Noch im Februar 1974 hatte er die Auffassung vertreten, eine Einbeziehung der Bewobau in den Kreis der NHS-Verbundgesellschaften sei nicht nötig, weil sich die Gesellschaft positiv entwickele.399 Wichtiger als diese Hinweise auf die Vernachlässigung der Kontrolle durch den Vorstand war aber ein anderer Kritikpunkt: „In einer Situation, in der der Vorstand im Bau von Einfamilienhäusern einen entwicklungsfähigen Markt erkennt,“ so der Standpunkt der Arbeitnehmervertretung, „sollte die dafür vorhandene Spezialgesellschaft nicht aufgegeben werden.“400 Tatsächlich war es dieser Punkt, der zum Kern des Problems führte. Einerseits war das Argument der Arbeitnehmervertretung gut nachvollziehbar; schließlich bildete auf dem Wohnungsmarkt der Eigenheimbau das einzige zukunftsträchtige Betätigungsfeld. Andererseits hatte aber genau dieser Umstand dazu geführt, daß die Bewobau mit den gemeinnützigen Regionalgesellschaften in Konflikt geraten war. Denn auch diese waren darauf angewiesen, verstärkt im Bau von Eigenheimen und Eigentumswohnungen tätig zu werden. Das hatte unweigerlich dazu geführt, daß sie in unmittelbare Konkurrenz zur Bewobau getreten waren. Dieser Effekt wurde noch dadurch verstärkt, daß diese aufgrund der rückläufigen Marktentwicklung ebenfalls versucht hatte, ihre Produktpalette zu erweitern und sich deshalb seit 1973/74 – unabhängig von der Umstrukturierung – verstärkt im Geschoßwohnungsbau, also in der traditionellen Domäne der NHG engagiert hatte.401 Sowohl die NHG-Regionalgesellschaften als auch die Bewobau drangen also im Rahmen einer insgesamt rückläufigen Bautätigkeit nach und nach in den angestammten Geschäftsbereich der jeweils anderen Gesellschaft(en) vor, ohne ihr altes Kerngeschäft aufzugeben. Im Ergebnis führte das dazu, daß die Unternehmensgruppe für ein und dieselbe Aufgabe zwei komplette Unternehmen bereithielt. In der zweiten Hälfte der siebziger Jahre zeigte sich dann, daß es sich bei diesem Problem der Bewobau nicht um eine Sonderentwicklung, sondern um ein generelles Merkmal der Spezialgesellschaften handelte. Vor allem bei der Begebau, die auf den besonders stark rückläufigen und deshalb besonders hart umkämpften 397 Vgl. ebd., S. 2 sowie PUA HH, S. 720. 398 Stellungnahme zur „Unternehmenskonzeption Bewobau“, 2.7.1975, StA HH, 622–2 Cordua 228, S. 1. 399 Vgl. Protokoll AR NHH/NHS, 15.2.1974, StA HH, 622–2 Cordua, 14, S. 9. 400 Stellungnahme zur „Unternehmenskonzeption Bewobau“, 2.7.1975, StA HH, 622–2 Cordua 228, S. 2. 401 Vgl. ebd. sowie Vorschlag zur Beschlußfassung gemäß § 8 Absatz 2 des Gesellschaftsvertrages der NHS – Konzept Bewobau, o. D. [10.3.1975], StA HH, 622–2 Cordua 228, S. 1.

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Bau von Einkaufzentren, Hotels und Verwaltungsgebäuden spezialisiert war, war zwischen 1975 und 1978 eine ganz ähnliche Entwicklung zu beobachten wie bei der Bewobau. Auch ihr entstand in den ebenfalls unter Auftragseinbußen leidenden Regionalgesellschaften (diesmal denen der NHS) eine starke Konkurrenz; auch hier hielt die Unternehmensgruppe also zwei Unternehmensstrukturen bereit, die miteinander in einer Art Verdrängungswettbewerb standen; und auch hier war es die Spezialgesellschaft, die dem Wettbewerb nicht gewachsen war und daher den klaren Verlierer dieser Entwicklung abgab.402 Dafür gab es in diesem Fall eine ganze Reihe von Gründen: So war der Wissensvorsprung der Begebau im gewerblichen Bau bis Mitte der siebziger Jahre deutlich geschrumpft, weil die Regionalgesellschaften zwischenzeitlich mit einer größeren Zahl von Projekten Erfahrungen hatten sammeln können. Auch der Trend zu kleineren, weniger komplexen Bauvorhaben, die ein geringeres Spezialwissen erforderten, wirkte in eine ähnliche Richtung. Und zu guter Letzt war die Begebau in weitaus größerem Maße von „sektoral sehr eng begrenzte[n] Märkte[n] (...) mit schwer abschätzbaren Nachfrageentwicklungen“403 abhängig, als das bei den Regionalgesellschaften der Fall war. Diese Spezialisierung erbrachte zwar Vorteile bei der Auftragsakquisition; aber „unter den Bedingungen ‚sektoral-nachhaltig-rückläufiger‘ Bautätigkeit“ führte sie „zur Gefährdung der ‚vollen Auslastung‘ der hochqualifizierten Leistungskörper (...), die durch diese Akquisitionsvorteile nicht (...) aufgewogen und beseitigt werden“404 konnten. Die Begebau warf deshalb seit 1975 jährlich Verluste in der Größenordnung von etwa drei bis vier Mio. DM ab, und auch bei der von ihr betreuten GBT entwickelte sich die Ertragslage in ähnlichen Bahnen.405 Diese Negativergebnisse machten der NHS vor allem deshalb schwer zu schaffen, weil sie das zweite Grundproblem, das ihre Organisationsstruktur neben der Aufteilung in Spezial- und Regionalgesellschaften plagte, offenlegten: ihre knappe Eigenkapitaldecke. Zwar war diese im Zuge der Expansion 1974 auf 40 Mio. DM angehoben worden, und Lappas hatte bei dieser Gelegenheit verkündet, es sei „zu erwarten, dass das auf DM 40 Mio. erhöhte Stammkapital der NHS in den nächsten Jahren nicht weiter erhöht wird.“406 Aber diese Prognose basierte auf der optimistischen Annahme, daß die Eigenkapitalbasis der Unternehmensgruppe 402 Vgl. Protokoll ARP NHH/NHS, 30.11.1978, StA HH, 622–2 Cordua 79, S. 7 ff. sowie Protokoll AR NHH/NHS, 30.11.1978, StA HH, 622–2 Cordua 28, S. 9 ff. 403 Allgemeiner schriftlicher Bericht des Vorstandes, ARP NHH/NHS 30.11.1978, StA HH, 622– 2 Cordua 79, S. 23. 404 Ebd. 405 Vgl. Protokoll ARP NHH/NHS, 30.11.1978, StA HH, 622–2 Cordua 79, S. 5 sowie Protokoll AR NHH/NHS, 30.11.1978, StA HH, 622–2 Cordua 28, S. 11. 406 Schreiben Lappas‘ an die Mitglieder des GBV, betr. Stammkapitalerhöhung bei der NHS, 29.8.1974, DGBA-BV, Abt. Vorsitzender, 5/DGAI 220. Anders als in der von Geigenberger ausgelösten Debatte um die NHG zwei Jahre zuvor verweigerte sich der DGB diesen Kapitalerhöhungen nicht, denn im Unterschied zur NHG konnte die NHS zu diesem Zeitpunkt mit hervorragenden Renditeaussichten locken: 1973 hatte sie eine Dividende von 12% ausgeschüttet, und aus Sicht des DGB sprach nichts dagegen, daß dies auch in Zukunft der Fall sein würde. Die Aufstockung der Beteiligung an der NHS stellte daher für die Gewerkschaften eine attraktive Geldanlage dar. Vgl. Vorlagen Vetters für AA NHH/NHS, 23.3.1974, DGBABV, Abt. Finanzen, 24/478.

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in Zukunft wenn überhaupt, dann nur deshalb in Frage gestellt werden würde, weil sie mit dem rasanten Wachstum der NHS nicht würde mithalten können. Was Lappas 1974 noch nicht auf der Rechnung hatte, war die Tatsache, daß eine Aufstockung des Eigenkapitals auch als Stützungsmaßnahme bei zunehmender Zinsbelastung und rückläufiger Gewinnentwicklung erforderlich sein könnte. Genau diese Umstände führten dazu, daß die Unternehmensgruppe schon 1976 wieder bei den Gewerkschaften vorstellig wurde, um eine weitere Kapitalerhöhung zu verlangen – und zwar diesmal sowohl für den gemeinnützigen Konzernteil als auch für die NHS.407 Dabei war der defensive Charakter dieser Maßnahme besonders hinsichtlich der NHS gut zu erkennen. Denn während die Kapitalerhöhung bei der NHG zu einem Kurs von 100% erfolgen und nur zu einem Viertel eingezahlt werden sollte, legte der Vorstand großen Wert darauf, daß der Erhöhungsbetrag bei der NHS sofort vollständig aufgebracht wurde und bat sogar darum, die Anteile zum Kurs von 120% verkaufen zu dürfen, um so zusätzliche vier Mio. DM in die Kassen des Unternehmens zu spülen.408 Und sollte es am Stützungsbedarf der Städtebaugesellschaften zu diesem Zeitpunkt noch Zweifel gegeben haben, so wurden diese spätestens ein Jahr später endgültig ausgeräumt. Denn schon Mitte 1977 trat der Vorstand der Unternehmensgruppe zum nunmehr dritten Mal innerhalb von drei Jahren mit der Bitte um eine Kapitalerhöhung für die NHS an den DGB-Bundesvorstand heran. Diesmal erhoffte er sich eine Kapitalspritze von stolzen 60 Mio. DM.409 Vordergründig schien dieses Ansinnen mit der wirtschaftlichen Lage der Städtebaugesellschaften allerdings nur wenig zu tun zu haben. Denn zunächst einmal ging es bei der Kapitalerhöhung darum, daß die NHS eine Beteiligung der NHG an der BfG übernehmen sollte. Das hatte gemeinnützigkeitsrechtliche Gründe, denn nach den Buchstaben des WGG war eine Beteiligung eines Wohnungsunternehmens an einem Kreditinstitut nur dann zulässig, wenn das zur Kreditbeschaffung ausnahmsweise erforderlich war.410 Die Baubehörde in Hamburg hatte zwar beim Erwerb der 50-Mio.-DM-Beteiligung durch die NHG Ende 1970 diesbezüglich keine Bedenken geltend gemacht. Die Finanzbehörde aber war von vornherein skeptisch gewesen, ob die NH sich die nötigen Kredite nicht auch auf anderem Wege hätte beschaffen können. Sie mutmaßte aufgrund des außergewöhnlich hohen Kurses, zu dem die NH die BfG-Anteile erstanden hatte, daß der eigentliche Sinn des Beteiligungserwerbs in einer gemeinnützigkeitsrechtlich unzulässigen Vermögensverlagerung von der NH auf die BfG lag.411 Als dann 1977 die „Bremer Treuhand“, ein gemeinnütziges Wohnungsunternehmen, mit Pauken und Trompeten zusammenbrach, schwenkte auch die Baubehörde auf diese skeptischere Linie ein. Denn der Konkurs dieser Gesellschaft war die Folge eines riskanten Auslandsgeschäfts, das nur aufgrund der laxen Haltung

407 Vgl. Vorlage, betr. Kapitalerhöhung bei NHH und NHS, 18.2.1976, DGBA-BV, Abt. Vorsitzender, 5/DGAI 229. 408 Vgl. ebd. 409 Vgl. Protokoll AR NHS 8.7.1977, StA HH, 622–2 Cordua 24, S. 10. 410 Vgl. PUA HH, S. 619. 411 Vgl. ebd., S. 620 ff.

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der Bremer Anerkennungsbehörde überhaupt zustande gekommen war.412 Die Konsequenz aus ihrem Zusammenbruch war deshalb, „daß die Anerkennungsbehörden (...) generell schärfere Maßstäbe bei den Ausnahmebereichen der gemeinnützigen Wohnungsunternehmen“413 anlegten. Daraus ergab sich für die NH ein starker Anreiz, ihre Anteile an der BfG an die NHS zu veräußern. Hinzu kam noch, daß durch die 1977 verabschiedete Steuerreform für die Beteiligung an der BfG Gutschriften auf Körperschafts- und Kapitalertragssteuer geltend gemacht werden konnten – allerdings nur dann, wenn die Anteile bei der NHS lagen, denn die NHG war als gemeinnütziges Wohnungsunternehmen von diesen Steuern ohnehin befreit.414 Auch aus dieser Perspektive schien eine Verlagerung der Beteiligung an der BfG auf die NHS erstrebenswert zu sein. Aufgrund ihres Umfangs war dies aber nur dann möglich, wenn die Gewerkschaften der NHS eine „kongruente Finanzierung des Beteiligungserwerbs“415 ermöglichten, sprich: Ihr eine Kapitalerhöhung gewährten, die in etwa dem Preis der (zwischenzeitlich auf 92,9 Mio. DM aufgestockten) Anteile entsprach. Das waren die angepeilten 60 Mio. DM, die zu einem Kurs von 150% eingezahlt werden sollten. Diese technisch anmutenden Gründe, die Vietor für seine Forderung nach einer Kapitalerhöhung ins Feld führte, waren allerdings nur die halbe Wahrheit. Tatsächlich ging es dem Vorstand hauptsächlich darum, die Bilanz der NHS aufzubessern. Denn seit die Krise im öffentlichen Hochbau 1976 auf die NHS durchgeschlagen war, stieg ihr Kreditbedarf sprunghaft an. Zwischen dem 30.6.1976 und dem 30.6.1977 wuchs die Summe der von ihr aufgenommenen Fremdmittel von 723 Mio. auf über 1 Mrd. DM. Dieser Anstieg entfiel wie bei der NHG so gut wie ausschließlich auf Betriebsmittelkredite. Sie machten Mitte 1977 mit 550 Mio. DM mehr als die Hälfte des Kreditvolumens der NHS-Gesellschaften aus.416 Anders als beispielsweise Grundstücksankaufskredite waren Betriebsmittelkredite allerdings nicht dinglich gesichert, sondern sie beruhten alleine auf der Bonität des Kreditnehmers. Nun galt die NH zwar aufgrund ihres riesigen Anlagevermögens als besonders kreditwürdig; aber gerade wegen des außerordentlichen Umfangs ihrer Verpflichtungen war die Erhaltung dieser Kreditwürdigkeit für die Unternehmensgruppe von größter Wichtigkeit. Schließlich konnte eine Gefährdung ihrer Bonität zu einer Verteuerung der Kredite führen, und das galt es angesichts ihres großen Ausmaßes zu vermeiden. Dafür bot sich eine Aufbesserung der Eigenkapitalbasis an, die zudem auch die Anfälligkeit für Zinsschwankungen, die das Fremdkapital schlagartig verteuern konnten, reduzieren würde. Hinzu kam noch, daß die Übertragung der BfG-Anteile auf die NHS auch eine rechtlich nicht zulässige Möglichkeit bot, die großen Reserven der NHG zugunsten der weitaus weniger vermögenden NHS anzuzapfen. Denn der Kaufpreis für 412 Vgl. ebd., S. 431; Protokoll AA NHH/NHS, 27.4.1977, StA HH, 622–2 Cordua 157, S. 13 ff. und Protokoll AA NHH/NHS 17.5.1977, StA HH, 622–2 Cordua 158, S. 2 ff. 413 Protokoll AR NHS, 8.7.1977, StA HH, 622–2 Cordua 24, S. 10. 414 Vgl. ebd., S. 622. 415 Protokoll AR NHS 8.7.1977, StA HH, 622–2 Cordua 24, S. 10 (im Original Genitiv: „kongruenten Finanzierung“). 416 Vgl. Entwicklung der Kreditaufnahme NH-Gruppe, 1. Halbjahr 1977/Jahresvergleich 30.6.77 zu 30.6.76, StA HH, 622-2 Cordua 234.

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diese Anteile lag mit einem Kurs von etwa 170% weit unter dem Marktwert. „Der NH“, so stellte der Hamburger Untersuchungsausschuß 1986 rückblickend fest, war „insoweit zugunsten der NHS ein Nachteil von rund 90,8 Mio. DM entstanden“,417 und bei der NHS wurde auf diese Weise ein Vermögenswert geschaffen, auf den sie im Notfall zurückgreifen konnte. Eine Kapitalerhöhung um 60 Mio. DM lag allerdings weit jenseits der Leistungsfähigkeit des DGB und seiner Einzelgewerkschaften. Sie hatten bereits die vorangegangenen, viel geringeren Aufstockungen nur mit Mühe aufbringen können. Für solche Fälle war allerdings in der ersten Hälfte der siebziger Jahre Vorsorge getroffen worden, denn die NHS war nicht das einzige Unternehmen aus dem Kreis der gewerkschaftlichen Unternehmen, das mit dem Problem eines ständig steigenden Eigenkapitalbedarfs zu kämpfen hatte. Vor allem die BfG war hiervon ebenfalls betroffen. Zudem hatte sie seit Ende der sechziger Jahre in zunehmendem Maße als „Ersatz-Holding“ für zum Teil notleidende kleinere Gewerkschaftsbeteiligungen gedient. Sie sah sich deshalb zu Beginn der siebziger Jahre vermehrter öffentlicher Kritik an diesen branchenfremden Aktivitäten ausgesetzt.418 Daraufhin hatte Hesselbach 1974 dem DGB-Bundesvorstand die Bildung einer Holdinggesellschaft für alle gewerkschaftlichen Beteiligungen vorgeschlagen, die diese übersichtlicher strukturieren und zudem durch ihre Größe die Kapitalbeschaffung erleichtern sollte. Tatsächlich wurde eine solche Holdinggesellschaft im November 1974 unter dem Namen „Beteiligungsgesellschaft für Gemeinwirtschaft AG“ (BGAG) auch gegründet.419 Sie übernahm die gewerkschaftlichen Anteile an der BfG, der Volksfürsorge, der Co op und des g-u-t, des „Gemeinwirtschaftlichen Unternehmens für Touristik“.420 Die NH blieb bei dieser Neugründung allerdings zunächst außen vor. Sie galt 1974 noch als stark genug, um unabhängig von der BGAG existieren zu können, und zudem war Vietor nicht gewillt, seine Macht an Walter Hesselbach, der den Vorstandsvorsitz der BGAG übernahm, abzugeben. Nicht zuletzt deshalb hatte er bei den Kapitalerhöhungen der Jahre 1974 und 1976 eine Beteiligung der BGAG auch abgelehnt. Mit der nunmehr notwendigen weiteren Kapitalaufstockung kam er darum aber nicht mehr herum. Die BGAG übernahm die Erhöhung komplett bis auf einen Bruchteilsanteil und erwarb so 49,9% an der NHS. Zwar war damit zunächst keine Übertragung von Gesellschafterrechten verbunden; diese verblieben weiterhin bei den Gewerkschaften. Aber immerhin war die BGAG jetzt in den Aufsichtsgremien der NHS vertreten, und die wirtschaftliche Lage der Städtebaugesellschaften wurde zum Beratungsgegenstand im Beirat der Beteiligungsgesellschaft, wo Vietor nun gelegentlich an Hesselbach berichten mußte.421 Mit der Kapitalerhöhung war zunächst die optische Balance in der Bilanz der NHS wiederhergestellt worden. Die Probleme, die überhaupt erst zu den Verlusten, der erhöhten Kreditaufnahme und damit zur Notwendigkeit der Kapitalerhö417 418 419 420 421

PUA HH, S. 623. Vgl. Loesch 1979, S. 157. Vgl. ebd., S. 155. Vgl. DGB-GB 1972/74, S. 325. Vgl. Kunz 2003, S. 35.

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hung geführt hatten, waren damit allerdings keineswegs beseitigt. Im Gegenteil: Im Laufe des Jahres 1978 spitzten sie sich dramatisch zu. Das lag zum Teil daran, daß in diesem Jahr die negative Entwicklung des Auslandsgeschäfts, auf die im folgenden Abschnitt noch genauer einzugehen sein wird, kulminierte und das Ergebnis der NHS drückte. Doch auch das Inlandsgeschäft rutschte in eine erneute Krise. So erreichten die Verluste der Bewobau und der Begebau in diesem Jahr einen Höhepunkt. Bei der Bewobau lag das daran, daß die von ihr besetzte Nische zu klein war, um das Unternehmen zu erhalten. Trotz der erst kurz zuvor erfolgten Umstrukturierung war die Gesellschaft deshalb auf Dauer nicht zu halten. Der Vorstand beschloß im Februar 1978, daß sie ihre Geschäftstätigkeit einstellen und alle noch laufenden Aufgaben sowie ihr gesamtes übriggebliebenes Personal auf die Regionalgesellschaften übertragen solle.422 Auch bei der Begebau bahnte sich eine ähnliche Entwicklung an. Ihre aus der ersten Hälfte der siebziger Jahre stammende Fixierung auf Großprojekte brachte es mit sich, daß die relativ kleine Gesellschaft in hohem Maße vom Gelingen einzelner Bauvorhaben abhängig war. Ein oder zwei aus den Boom- in die Krisenjahre herübergetragene Fehlschläge konnten sie an den Rand des Ruins treiben. So geschah es dann auch: Der von der Begebau errichtete Fernmeldeturm in Mannheim hatte Kosten von 30 Mio. DM verursacht und mußte für nur 16 Mio. DM veräußert werden; und auch beim Collini-Center, ebenfalls in Mannheim, lagen die Verluste in einer ähnlichen Größenordnung.423 Alleine für das Jahr 1978 mußte die Begebau deshalb ein Minus in Höhe von 6,4 Mio. DM ausweisen; für 1979 war sogar noch eine leichte Zunahme dieser Verluste auf 6,6 Mio. DM zu erwarten.424 Seit Anfang 1978 stand daher nicht nur die Bewobau, sondern auch die Begebau zur Disposition; und mit ihr gerieten in den folgenden Monaten die übrigen Spezialunternehmen ebenfalls auf den Prüfstand. „Die NHS“, so urteilte Vetter im Februar 1978, „befinde sich in einer Konsolidierungsphase, in der überlegt werden müsse, was beibehalten werden sollte und was nicht.“425 Und Vietor fügte hinzu, „daß bei weiterhin unveränderter Auftragssituation die Aufrechterhaltung der BEGEBAU oder auch anderer Gesellschaften, beispielsweise der NHK, mit ihren hohen Kostenstrukturen zu Lasten des Gesamtunternehmens nicht mehr zu verantworten sei.“426 Einzig für die auf den Krankenhausbau spezialisierte Mediplan schätzte der Vorstand die Zukunftsaussichten positiv ein, weil man dieser Gesellschaft aufgrund ihres Spezialwissens auch Akquisitionen im Ausland zutraute.427 Doch mit der Auflösung der Spezialgesellschaften, die nun langsam in Gang kam, waren die Probleme der NHS noch nicht beseitigt. Denn der Geschäftsverlauf des Jahres 1978 zeigte, daß auch die Regionalgesellschaften mit großen Schwierigkeiten behaftet waren. Das lag zum einen daran, daß sie die Hauptlast der Sanierung der Spezialgesellschaften tragen mußten. Deren Personal wurde 422 Vgl. Protokoll AA NHH/NHS, 16.2.1978, StA HH, 622–2 Cordua 162, S. 4. 423 Vgl. Protokoll ARP NHH/NHS, 30.11.1978, StA HH, 622–2 Cordua 79, S. 4. Zu den Ursachen für die Verluste bei Großprojekten vgl. die folgenden Ausführungen. 424 Vgl. Protokoll ARP NHH/NHS, 30.11.1978, StA HH, 622–2 Cordua 79, S. 5. 425 Protokoll AA NHH/NHS, 16.2.1978, StA HH, 622–2 Cordua 162, S. 7. 426 Ebd., S. 6. 427 Vorlage zum Bericht über NHS, 28.4.1978, StA HH, 622–2 Cordua 26, S. 15.

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schließlich nicht entlassen, sondern von den Regionalgesellschaften übernommen. Wenngleich damit die Konkurrenzsituation zwischen Regional- und Spezialgesellschaften wegfiel und auch einige Geschäftsführerposten eingespart werden konnten, wurden die Belastungen aus den Personalkosten auf diese Weise zum überwiegenden Teil nicht reduziert, sondern verschoben.428 Diese Verschiebung fiel allerdings um so stärker ins Gewicht, als die Regionalgesellschaften selbst mit einer rückläufigen Auftragslage zu kämpfen hatten. Denn gegenüber den Spezialgesellschaften der eigenen Unternehmensgruppe waren sie zwar im Vorteil, aber das bedeutete noch nicht, daß sie für die rezessiven Bedingungen im öffentlichen und privaten Hochbau besonders gut gerüstet waren. Insbesondere bei der Akquisition neuer Aufträge hatten sie große Wettbewerbsnachteile. Das war in erster Linie ein Kostenproblem, denn zum einen lagen ihre Personalkosten aufgrund ihrer großzügigen betrieblichen Sozialpolitik in der zweiten Hälfte der siebziger Jahre um etwa 30% über denen ihrer Mitbewerber.429 Zweitens wurden die Gemeinkosten auch dadurch in die Höhe getrieben, daß aufgrund der regionalen Struktur der NHS einige Spezialistenteams mehrfach vorgehalten wurden, obwohl die rückläufigen Marktbedingungen deren Auslastung gefährdeten.430 Drittens schließlich wurden die durch die hohen Kosten hervorgerufenen Akquisitionsschwierigkeiten der Regionalgesellschaften noch dadurch verstärkt, daß diese – ähnlich wie die Regionalgesellschaften der NHG – aufgrund ihrer Größe und ihrer ausgeprägten Hierarchien nur langsam auf veränderte Marktbedingungen reagieren konnten. Potentiellen Kunden erschienen sie weitaus weniger zugänglich als die Vielzahl kleiner, lokaler Architekturbüros, die der Unternehmensgruppe im Schulbau oder bei der Errichtung von Bürogebäuden in der zweiten Hälfte der siebziger Jahre das Leben schwer machten.431 Auch bei den Regionalgesellschaften schrumpfte deshalb der Auftragsbestand zwischen 1976 und 1978 kontinuierlich um etwa 10% pro Jahr.432 Diese negative Entwicklung traf die NHS härter, als die Zahlen es erahnen lassen. Denn zum einen erschwerte sie die Verwertung des Grundstücksbestandes, den auch die NHS unter anderen Rahmenbedingungen und angesichts anderer Zukunftsaussichten in der ersten Hälfte der siebziger Jahre angelegt hatte. Ende 1976 stand dieser mit 204 Mio. DM zu Buche.433 Und zweitens legte die Verlangsamung der Auftragseingänge schlagartig ein Problem bloß, das bis zu diesem Zeitpunkt immer hatte unter der Decke gehalten werden können: die Tatsache nämlich, daß die von ihr betreuten Großprojekte extrem anfällig für Fehlkalkulationen waren und deshalb enorme finanzielle Risiken bargen. Der wichtigste Grund hierfür lag 428 Vgl. Vorschlag zur Beschlußfassung gemäß § 8 Absatz 2 des Gesellschaftsvertrages der NHS – Konzept Bewobau, o. D. [10.3.1975], StA HH, 622–2 Cordua 228, S. 4 sowie Protokoll AA NHH/NHS, 16.2.1978, StA HH, 622–2 Cordua 162, S. 4. 429 Vgl. Protokoll ARP NHH/NHS, 19.2.1979, StA HH, 622–2 Cordua 81, S. 9. 430 Vgl. ebd. 431 Vgl. Bericht über die NHS-Gesellschaften Südwest, Bayern, Baden-Württemberg, Vorlage zu TOP 2.3 AR NHS, 4.5.1979, StA HH, 622–2 Cordua 29, S. 3. 432 Vgl. Protokoll ARP NHH/NHS, 19.2.1979, StA HH, 622–2 Cordua 81, S. 9. 433 Vgl. Statistik des Grundstücksbestandes der UG per 1.1.1977, Anlage 2, StA HH, 622–2 Cordua 35.

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darin, daß die zu Beginn der siebziger Jahre in Angriff genommenen Baumaßnahmen völlig neue Planungsverfahren erforderten und damit den Rahmen der bis dahin gesammelten Erfahrungen sprengten. Das Paradebeispiel hierfür war der Neubau des Klinikums in Aachen, der sich in der zweiten Hälfte der siebziger Jahre zum wichtigsten Problemfall der Unternehmensgruppe entwickelte. Denn die von der NHS bei diesem Projekt verfolgte Synchronplantechnik war von der nordrhein-westfälischen Regionalgesellschaft mangels einschlägiger Erfahrungen nur laienhaft umgesetzt worden. Sie hatte beispielsweise den mit diesem Planungssystem verbundenen Koordinierungs- und Kontrollaufwand weit unterschätzt – ein fataler Fehler, denn das System konnte nur dann funktionieren, „wenn das Management auf allen Ebenen mit dem Verfahren vertraut ist und (...) eine genaue Termin- und Kostenkontrolle“ 434 erfolgte. Die nordrhein-westfälische Gesellschaft war damit überfordert, weil ihr Personal nicht über die erforderliche Qualifikation verfügte und der zuständige Regionalvorstand, Friedrich Riegels, dieses Problem nicht schnell genug erkannte. Da die NHS zudem für das Projekt einen Zeitrahmen zugesagt hatte, der „praktisch keine Sicherheitsreserven für nicht vorhersehbare Koordinierungsprobleme“435 beinhaltete, war die von ihr versprochene Flexibilität des Planungs- und Bauprozesses weitgehend Makulatur; selbst kleinste Veränderungen in den Vorgaben des Landes waren „nur noch unter erheblichen Auswirkungen auf Kosten- und Zeitplan durchführbar“.436 Die Fertigstellung des Baus verzögerte sich deshalb immer wieder, während gleichzeitig die Kosten geradezu explodierten. 1978 war statt der ursprünglich veranschlagten 630 Mio. DM bereits von 890 Mio. DM die Rede. Bei der Endabrechnung Mitte der achtziger Jahre lagen die Gesamtkosten schließlich bei 2,6 Mrd. DM.437 Das war zwar nicht alleine die Schuld der NH, sondern lag auch daran, daß die landeseigene Hochschulbaugesellschaft während der langjährigen Bauzeit fast 200 Änderungswünsche eingebracht hatte.438 Aber erstens wären diese Probleme und die mit ihnen verbundenen Verzögerungen nicht so stark ins Gewicht gefallen, wenn die NHS das System der Synchronplanung besser beherrscht hätte; und zweitens half es der Unternehmensgruppe nicht weiter: Sie mußte die Anerkennung ihrer steigenden Honorarforderungen zum Teil vor Gericht erkämpfen und aufgrund der eigenen Versäumnisse damit rechnen, daß sie diese nicht in vollem Umfang würde zugesprochen bekommen. Der Vorstand bezifferte das hieraus resultierende Risiko 1978 auf etwa 30 Mio. DM.439 Im Falle von Aachen gab es allerdings immerhin die Hoffnung, die Realisierung dieses Risikos vermeiden zu können, denn einen verbindlichen Höchstpreis für das Gesamtprojekt enthielten die mit der Hochschulbaugesellschaft abge434 435 436 437 438

Landtag Nordrhein-Westfalen 1979, S. 190. Ebd. Ebd. Vgl. Ritter 1987, S. 108. Vgl. ebd. sowie Medizinische Fakultät der Technischen Hochschule Aachen, Vorlage zu TOP 2.2, ARP NHH/NHS 11.10.1978, StA HH, 622–2 Cordua 78, S. 1. 439 Vgl. Gespräch bei VV, 28.11.1978, handschr. Notiz Corduas, StA HH, 622–2 Cordua 79, S. 1.

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schlossenen Verträge nicht. Aber in zahlreichen anderen Fällen mußte die Unternehmensgruppe feststellen, daß ihr in der zweiten Hälfte der siebziger Jahre durch die systematische Unterschätzung der Komplexität großer Bauvorhaben Belastungen entstanden, die ihr „in früheren Jahren unbekannt gewesen“440 waren: die sogenannten „Nachläufe“, also Nacharbeiten an Projekten, für die die NHS bereits mehr Geld ausgegeben hatte, als sie auf der Grundlage von Höchstpreisangeboten an Betreuungsgebühren vereinnahmt hatte. Gerade große Vorhaben, die viele Ressourcen banden, waren hierfür besonders anfällig, weil die Unternehmensgruppe „bei großen Betreuungsvolumina am Anfang einen riesigen Fundus“ hatte, „aus dem sie Betreuungsgebühren ziehen“ konnte. Weil die mit diesen Geldern erbrachten Leistungen aber „sehr viel komplexer“441 waren als der Wohnungsbau und sehr viel längere Laufzeiten aufwiesen, gelangte die NHS Mitte der siebziger Jahre bei einer Vielzahl von Projekten an einen Punkt, an dem diese nur dadurch zu sichern waren, daß sie aus den Betreuungsgebühren neu eingeworbener Aufträge bezuschußt wurden. Dieses System geriet ins Wanken, als sich die Auftragslage 1978 rückläufig entwickelte. Dem Vorstand wurde nun schlagartig klar, daß die wirtschaftlichen Ergebnisse der Regionalgesellschaften aus den Vorjahren nur Momentaufnahmen waren. Für die Frage, ob die Unternehmen dauerhaft in der Lage waren, rentabel zu arbeiten, bildeten sie einen äußerst unzuverlässigen Indikator. Als Dehnkamp angesichts des Auftragsrückgangs zum Jahreswechsel 1978/79 eine betriebswirtschaftliche Analyse zusammenstellen ließ, die nicht nach Jahres-, sondern nach Projektergebnissen gegliedert war, mußte er erkennen, daß von den 375 Projekten, die die NHS zwischen 1969 und 1978 bearbeitet hatte, lediglich 88 mit Gewinn und davon nur 64 mit einem Gewinn von über 50.000 DM abgeschlossen worden waren.442 Unter dem Strich belief sich das kumulierte betriebswirtschaftliche Gesamtergebnis der NHS für den Zeitraum zwischen 1969 und 1978 alleine im Inland auf minus 53 Mio. DM. Zu allem Überfluß kamen zum gleichen Zeitpunkt noch größere Verluste aus dem Ausland hinzu, so daß bis Ende 1978 bei der NHS insgesamt ein Negativergebnis von 180 Mio. DM zu verbuchen war.443 Verluste in dieser Höhe waren ohne weitere Stützungsmaßnahmen nicht zu verkraften. Erschwerend hinzu kam noch, daß just Ende 1978 auch die rechtliche Ausgestaltung des Konzernverbundes zur Disposition stand. Denn aufgrund ihrer schärferen Gangart seit dem Zusammenbruch der Bremer Treuhand stellten die Anerkennungsbehörden nunmehr auch eine der wichtigsten organisatorischen Grundlagen der Unternehmensgruppe in Frage: die Personalunion zwischen den Vorständen des gemeinnützigen und des freien Unternehmensteils. Zwar war die ursprüngliche Befristung dieser Personalunion 1974 vom Amt für Wohnungswesen aufgehoben worden, aber als das Hamburger Finanzamt für Prüfungsdienste im Oktober 1978 bei der Unternehmensgruppe eine Betriebsprüfung unternahm, 440 Protokoll AR NHS, 28.4.1977, StA HH, 622–2 Cordua 23, S. 8. 441 Aussage Geigenberger, Stenographisches Protokoll 27. Sitzung des 3. Untersuchungsausschusses „Neue Heimat“, 25.9.1986, Parlamentsarchiv des Deutschen Bundestages, Bestand PUA Neue Heimat, Ordner „Prot 27–28–30“, S. 152. 442 Vgl. Protokoll ARP NHH/NHS, 3.5.1979, StA HH, 622–2 Cordua 82, S. 5. 443 Vgl. Protokoll ARP NHH/NHS, 30.11.1978, StA HH, 622–2 Cordua 79, S. 5.

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erklärte es die enge Verzahnung zwischen den leitenden Angestellten der beiden Unternehmensteile mit Hinweis auf die AdB-Regel des Gemeinnützigkeitsgesetzes für unzulässig.444 Diese Feststellung hatte für die Unternehmensgruppe zwar keinen unmittelbar bindenden Charakter, weil Entscheidungen in dieser Angelegenheit nur vom AfW getroffen werden konnten. Aber der Vorstand mußte nun damit rechnen, daß die Personalunion auf Dauer nicht erhalten bleiben konnte. Das wäre nicht so schlimm gewesen, wenn nicht durch die hierüber entstehende Debatte gleichzeitig auch die Frage der wirtschaftlichen Verklammerung der beiden Unternehmensteile aufs Tapet gekommen wäre. Denn die Unternehmensgruppe hatte die Verluste der NHS bis 1978 nicht nur durch Kapitalerhöhungen und Kredite finanziert, sondern auch dadurch, daß sie in großem Umfang Vermögenswerte der NHG auf den Städtebaubereich übertragen hatte. So hatten etwa die gemeinnützigen Gesellschaften der Bewobau Grundstücke im Buchwert von etwa 150–200 Mio. DM zu Preisen abgenommen, die deutlich über dem Marktwert lagen.445 Zusammen mit einigen anderen, ähnlich angelegten Maßnahmen flossen der NHS auf diesem Wege bis 1982 schätzungsweise etwa 100 Mio. DM zu.446 Davon dürfte der Löwenanteil auf den Zeitraum der Jahre bis 1978 entfallen sein; schließlich konnte seit der Intervention des Finanzamtes selbst das AfW die Augen in dieser Angelegenheit nicht mehr zudrücken, denn während die Frage der Personalunion umstritten sein mochte, waren die Vermögensverschiebungen eindeutig rechtswidrig. Gerade in dem Moment, in dem sich die finanzielle Lage der NHS dramatisch zuspitzte, war also „die jeweilige Verlagerung der Probleme zw. NH+NHS (...) nicht mehr mögl.“447 Diese Kombination der hohen Verluste mit der Diskussion über eine stärkere Trennung von NH und NHS nährte bei den Arbeitnehmern die Befürchtung, die NHS werde alleine kaum überlebensfähig sein. Sogar Gerüchte über ihre unmittelbar bevorstehende Auflösung machten in der Unternehmensgruppe im Herbst 1978 die Runde.448 6.2.2.2 Ein Rettungsversuch: Die Umstrukturierung 1978/79 Ernsthaft in Erwägung gezogen wurde diese Möglichkeit allerdings nicht. Im Vorstand scheint sie immerhin diskutiert worden zu sein, aber die Gewerkschaften waren für einen solchen Schritt viel zu stolz – nicht allein aufgrund der Arbeitsplätze, sondern auch aus sehr grundsätzlichen Motiven heraus. Das ließ sich an der Art und Weise erkennen, wie die Diskussion um eine Auflösung der NHS beendet wurde; der DGB-Vorsitzende Heinz Oskar Vetter sprach ein Machtwort. „Ein Jahrhundertwerk wie die NHS“, sagte er im November 1978 vor dem Auf444 445 446 447

Vgl. PUA HH, S. 264 ff. Vgl. PUA BT, S. 62 sowie Richter 1992, S. 268 ff. Vgl. PUA HH, S. 726. Gespräch mit H.-O. Vetter, 19.2.79, handschr. Protokoll Corduas, StA HH, 622–2 Cordua 81, S. 1. 448 Vgl. Protokoll AA NHH/NHS, 6.7.1978, StA HH, 622–2 Cordua 77, S. 7 sowie ARP-Sitzung 30.11.1978, handschr. Protokoll Cordua, StA HH, 622–2 Cordua 79, S. 8 f.

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sichtsrat, „kann nicht einfach aufgelöst werden“.449 An Selbstvertrauen scheint es ihm selbst in Zeiten, in denen es wirtschaftlich bei der NH drunter und drüber ging, nicht gemangelt zu haben. Dennoch: Daran, daß die NHS im Herbst 1978 einer grundlegenden Umstrukturierung bedurfte, kam auch Vetter nicht vorbei – schon deshalb nicht, weil einzig die BGAG in der Lage war, dem Unternehmen aus der Klemme zu helfen und Hesselbach dem Vorstand die Pistole auf die Brust setzte. Er war bereit, der NHS ihre BfG-Aktien zu einem Kurs von 250% abzukaufen und so der Unternehmensgruppe etwa 230 Mio. DM – 70 Mio. DM mehr, als sie ein Jahr zuvor für das Aktienpaket bezahlt hatte – zufließen zu lassen.450 Hesselbach wollte sein Geld allerdings nicht in einem schwarzen Loch verschwinden sehen und stellte deshalb eine Reihe von Bedingungen: Er verlangte, daß der ohnehin bereits im Gange befindliche Abbau der Spezialgesellschaften beschleunigt und insbesondere die Begebau schnellstmöglich liquidiert werden sollte.451 Darüber hinaus war er sich mit Teilen des Vorstands – insbesondere mit Dehnkamp – darüber einig, daß die NHS schnellstmöglich in die Lage versetzt werden mußte, mehr Anschlußaufträge zu akquirieren, um so ihre Verluste auffangen zu können. Es war deshalb auch seiner Initiative zu verdanken, daß der Vorstand im November 1978 ein Konzept zur Neuorganisation der NHS präsentierte, dessen Prämisse lautete, die NHS müsse „auf Dauer eine eigenständige wirtschaftliche Grundlage erhalten. Jegliche Alimentationsbemühungen schaden der unternehmerischen Moral – und zwar zugleich bei NH und NHS“.452 Dies war eine Verurteilung der bis dahin verfolgten Politik, wie sie schärfer kaum hätte sein können, und dieser Gestus zog sich durch die gesamte in diesem Papier enthaltene Analyse der Schwachstellen der NHS hindurch. Sie listete alle jene Punkte auf, die mittlerweile seit Jahren bekannt waren: die Größe der Städtebaugesellschaften und ihre bürokratische Auftragsabwicklung; die personelle Überbesetzung, den hohen Sozialstandard und die damit verbundenen hohen Gemeinkosten der Unternehmensgruppe; und die Aufteilung in Regional- und Spezialgesellschaften sowie die unklare, häufig in gegenseitige Konkurrenz mündende Arbeitsteilung zwischen diesen.453 Kern der Maßnahmen, die der Vorstand anstrebte, um diese Probleme zu beheben, war das Vorhaben, die Regionalgesellschaften auf die NHS-Muttergesellschaft zu fusionieren und örtliche Niederlassungen an ihre Stelle treten zu lassen. Im Gegensatz zu den Regionalgesellschaften sollte bei den Niederlassungen die eigenständige Unternehmensinfrastruktur in den Bereichen Unternehmenspolitik, Betriebswirtschaft, Finanzen, Vertragswesen und Personalwesen entfallen. Diese 449 Ebd. Vgl. auch die handschr. Marginalie Corduas zum Protokoll ARP NHH/NHS, 30.11.1978, StA HH, 622–2 Cordua 79, S. 8. 450 Vgl. Gespräch VV/CO, 19.4.1978, handschr. Protokoll Cordua, StA HH, 622–2 Cordua 79, S. 1 sowie PUA HH, S. 622. 451 Vgl. handschr. Marginalie Corduas zum Protokoll ARP NHH/NHS, 30.11.1978, StA HH, 622–2 Cordua 79, S. 7. 452 Grundsätze der zukünftigen Unternehmenspolitik NHS, 23.11.1978, StA HH, 622–2 Cordua 28, S. 4. 453 Vgl. ebd., v. a. S. 1 u. S. 5 sowie die noch stärker zugespitzte Analyse in: Probleme im Konzern Neue Heimat Städtebau, Mai 1978, DGBA-BV, Abt. Vorsitzender, 5/DGAI 1908.

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war statt dessen von der NHS in Hamburg zentral für alle Niederlassungen vorzuhalten.454 Auch die noch verbliebenen Spezialgesellschaften wollte der Vorstand größtenteils abschaffen: Ihre Teams sollten nun als Betriebsabteilungen der NHSZentrale geführt werden, die fallweise an die Niederlassungen „ausgeliehen“ werden konnten.455 Insgesamt sollten mit diesen Maßnahmen die Kosten der mehrfach vorgehaltenen Unternehmensinfrastrukturen reduziert und die Entscheidungswege verkürzt werden. Der Vorstand hoffte, auf diese Weise „rentabilitätsmäßige Auswirkungen mit Verbesserungen zwischen DM 10 Mio. und DM 15 Mio.“456 erzielen zu können. Und nebenbei wollte Vietor auch die Gelegenheit ergreifen, durch eine Verkleinerung des Vorstands einige Schwachstellen in der Führungsebene zu beseitigen. Das traf den für die Bestandsbewirtschaftung zuständigen Willi Ginhold, der intern schon lange zur Disposition gestanden hatte, und den nordrheinwestfälischen Regionalvorstand Friedrich Riegels, der als Hauptverantwortlicher für die Schwierigkeiten beim Klinikbau in Aachen galt.457 Die eigentlichen Verlierer der vorgesehenen Umstrukturierungsmaßnahmen waren aber nicht diese beiden Vorstandsmitglieder, die sich ohnehin dem Rentenalter näherten, sondern die Arbeitnehmervertreter im Aufsichtsrat der NHS. Bei ihnen stießen die Umstrukturierungsmaßnahmen auf heftige Kritik. Sie monierten, daß eine genaue Analyse der Verlustquellen in der bestehenden Organisation der NHS ebenso fehle wie eine Darstellung der durch die Neuorganisation erhofften Einsparungen.458 Beides wies der Vorstand in scharfer Form zurück, und tatsächlich waren diese Äußerungen wohl vor allem auf die Verärgerung zurückzuführen, die bei den Arbeitnehmervertretern darüber bestand, daß sie über die vorgesehenen Maßnahmen erst zu einem sehr späten Zeitpunkt informiert worden waren. Treffend war allerdings ein dritter von ihnen geäußerter Kritikpunkt: Sie monierten, daß „eine differenzierte Marktanalyse als Ausgangspunkt für eine zukünftige Aufgabenpalette der NHS“459 fehle. Das war nicht so ohne weiteres von der Hand zu weisen. Denn die Unterlagen, die der Vorstand für die Umstrukturierung präsentierte, sahen zwar vor, daß sich die NHS künftig auf kommunale Großprojekte mit einem Umfang von mindestens 10 Mio. DM konzentrieren sollte, aber den Ausgangspunkt für diesen Vorschlag bildete eine Analyse der Fähigkeiten des Unternehmens, nicht jedoch eine Erkundung des Marktpotentials. Der Vorstand rechtfertigte sich mit der Behauptung, daß Prognosen über die Nachfrageentwicklung für die NHS „durch Marktanalysen im üblichen Sinne im voraus kaum zu ermitteln“ seien, weil die meisten Aufträge von der öffentlichen Hand kämen – und deren Investitionsentscheidungen seien „weniger marktorientiert“, sondern vor allem von „politische[n] Entscheidungen auf der Basis unterschiedlichen, teils ideologischen und somit wechselnden In454 Vgl. Grundsätze der zukünftigen Unternehmenspolitik NHS, 23.11.1978, StA HH, 622–2 Cordua 28, S. 5. 455 Vgl. ebd. 456 Protokoll ARP NHH/NHS, 30.11.1978, StA HH, 622–2 Cordua 79, S. 6. 457 Vgl. Protokoll AR NHH/NHS, 30.11.1978, StA HH, 622–2 Cordua 28, S. 9. 458 Vgl. Schreiben Konzernbetriebsrat NHS an Albert Vietor, 16.2.1979, StA HH, 622–2 Cordua 81. 459 Ebd.

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halts“460 abhängig. Das war ein ziemlich fadenscheiniges Argument, denn für die entscheidende Frage nach dem Umfang öffentlicher Investitionen spielten die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen eine mindestens ebenso bedeutsame Rolle wie politische Entscheidungen; gerade das war ja einer der Faktoren, die in der Krise 1974/75 offenbar geworden waren. Die Unternehmensgruppe hatte das mit einer weiteren Entscheidung zu ihrer zukünftigen Produktpolitik auch anerkannt: Die Umstrukturierungsmaßnahmen beinhalteten nämlich auch die Forderung, verstärkt auf dem Gebiet der Eigeninvestitionen tätig zu werden, also Infrastruktureinrichtungen zu bauen, die von der NHS selbst verwaltet werden sollten.461 Hinter dieser Absicht steckte ein doppeltes Kalkül: Zum einen konnten auf diese Weise die Einnahmen der Städtebaugesellschaften verstetigt werden, indem ihnen (in Form der erhofften Mieteinnahmen) ein Element hinzugefügt wurde, das von der Neubaukonjunktur relativ unabhängig war. Zum anderen aber wollte der Vorstand auf diese Weise Vermögenswerte schaffen, von denen er hoffte, sie bei anziehender Konjunktur mit Gewinn veräußern zu können.462 Eine solche Vorgehensweise machte allerdings, wie der Vorstand in seinen Überlegungen zum Thema „Eigeninvestitionen“ auch eingestand, nur dann Sinn, wenn die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen eine Aufwärtsentwicklung am Immobilienmarkt versprachen, und das war mit einer eingehenden Marktanalyse durchaus zu erkunden.463 Der eigentliche Beweggrund, der sich hinter der Weigerung des Vorstandes, eine solche Analyse durchzuführen, stand, war deshalb ein anderer. Denn während die Arbeitnehmervertreter auf einer solchen Vorgehensweise beharrten, weil sie der Auffassung waren, daß sich die NHS auf diesem Wege neue Märkte würde erschließen können, wußte der Vorstand ganz genau, was eine konsequente Marktanalyse wirklich ergeben hätte: Sie hätte ergeben, daß eine Garantie für eine nachhaltige Anpassung der NHS an die Bedingungen der folgenden Jahre nur über eine Absenkung des Personalbestandes und der hohen sozialen Standards der Unternehmensgruppe zu haben gewesen wäre.464 Im Vorstand gab es deshalb auch Stimmen, die für eine solche Vorgehensweise plädierten. Rolf Dehnkamp, in dessen Zuständigkeitsbereich die Umstrukturierung fiel, gehörte zu dieser Gruppe: „Wenn die Unternehmensgruppe“, so ließ er im Zuge der Diskussionen über die Neugestaltung der Städtebaugesellschaften wissen, „weiterhin fortfahre, das Beschäftigungsverhältnis über die Wirtschaftlichkeit zu stellen, wäre das nicht nur außerordentlich unvernünftig, sondern nicht

460 Stellungnahme zum Schreiben des Konzernbetriebsrates NHS vom 16.2.1979, 19.2.1979, StA HH, 622–2 Cordua 81, S. 3. 461 Vgl. Grundsätze der zukünftigen Unternehmenspolitik NHS, 23.11.1978, StA HH, 622–2 Cordua 28, S. 2. 462 Vgl. mündlicher Bericht VF, Vorlage zu AR/ARP NHH/NHS, 19.12.1979, StA HH, 622–2 Cordua 85, S. 7 f. 463 Vgl. ebd. sowie Grundsätze der zukünftigen Unternehmenspolitik NHS, 23.11.1978, StA HH, 622–2 Cordua 28, S. 2. 464 Vgl. die Ausführungen zum Themenkomplex „Personal“ in: Grundsätze der zukünftigen Unternehmenspolitik und damit korrespondierender Unternehmensorganisation NHS, Vorlage zu TOP 1 ARP NHH/NHS, 15.2.1979, StA HH, 622–2 Cordua 81, S. 5, die ein merkliches Einsparungspotential implizieren, sowie die im folgenden zitierten Äußerungen von Dehnkamp.

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mehr vertretbar.“465 Doch diese Auffassung war nicht mehrheitsfähig. Die meisten Vorstandsmitglieder verstanden die Umstrukturierung vielmehr als einen letzten Versuch, den Personalbestand der NHS zu retten. Deshalb beinhalteten die Vorschläge zu ihrer Reorganisation die Feststellung, daß die Aufrechterhaltung des Personalbestandes und des hohen Soziallevels „unternehmenspolitisch gewollt“466 sei und die Aussicht, daß die Umstrukturierung ohne Entlassungen vonstatten gehen würde. Paradoxerweise mußte der Vorstand dieses Ziel aber gegen die Arbeitnehmervertreter durchsetzen, denn diese waren der Meinung, die vorgesehenen Maßnahmen seien gar nicht nötig. Sie sahen vielmehr das Problem darin, daß die NHS sich nicht intensiv genug um die Erschließung neuer Märkte bemüht habe.467 Diese Kritik hatte insofern einen wahren Kern, als die Vorschläge des Vorstandes tatsächlich in sich wenig konsistent waren, aber angesichts der Rahmenbedingungen für den Städtebau ging sie insgesamt doch an den Realitäten vorbei. Selbst die Anteilseigner sahen das so: Vetter persönlich versuchte, den Konzernbetriebsrat von der Notwendigkeit einer Umstrukturierung zu überzeugen. Er verwies darauf, daß eine Reihe anderer Unternehmen bereits Konkurs gegangen sei – und daß dieser auch bei der NHS bereits unmittelbar bevorgestanden habe. 468 Ein Konkurs aber, darüber waren sich alle Beteiligten einig, war für die NHS undenkbar. Zum einen stand hier der Ruf der Gewerkschaften als Unternehmer, der ohnehin seit Beginn der siebziger Jahre schwer gelitten hatte, auf dem Spiel.469 Zum anderen aber ging es auch um das Überleben der Unternehmensgruppe insgesamt. Denn „ein Konkurs der NHS hätte in der Folge auch einen Konkurs der NHG verursacht. Management, Organisation, Personal, Finanzierung der NHS und der NHS waren als Gleichordnungskonzern miteinander verbunden. Die NH-Gruppe bot im Geschäftsleben ein einheitliches Erscheinungsbild. (...) Ein Konkursausfall bei der NHS hätte demzufolge die Banken veranlaßt, sich bei der NHG zu erholen“.470

Die einzige Alternative zu einem Konkurs aber war die Verlustübernahme durch die Gesellschafter – oder eben ein Erfolg der vom Vorstand vorgeschlagenen Umstrukturierungsmaßnahmen. Die disziplinierende Wirkung der Aussicht, in naher Zukunft weitere Millionenbeträge in die Städtebaugesellschaften investieren zu müssen, war so stark, daß sich selbst diejenigen Gewerkschaftsvorsitzenden, die als externe Arbeitnehmervertreter im Aufsichtsrat der NHS saßen, mit den Anteilseignervertretern solidarisierten.471 Dem Druck, der aus dieser Konstellation 465 Protokoll ARP NHH/NHS, 3.5.1979, StA HH, 622–2 Cordua 82, S. 6. 466 Grundsätze der zukünftigen Unternehmenspolitik NHS, 23.11.1978, StA HH, 622–2 Cordua 28, S. 3. 467 Vgl. Schreiben Konzernbetriebsrat NHS an Albert Vietor, 16.2.1979, StA HH, 622–2 Cordua 81. 468 Vgl. Gespräch mit H.-O. Vetter, 19.2.79, handschr. Protokoll Corduas, StA HH, 622–2 Cordua 81, S. 1. 469 Vgl. Kap. 6.3 dieser Arbeit. 470 Lage bei NHS und NHG: BGAG-Vermerk, Januar 1986, in: Kunz 2003, S. 615–618, hier S. 615. Vgl. ähnlich auch Schulz 1987, S. 69. 471 Vgl. handschr. Stichpunkte von Cordua zur ANV-Besprechung, 3.4.1979, StA HH, 622–2 Cordua 82.

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hervorging, waren die betrieblichen Arbeitnehmervertreter nicht gewachsen. In der entscheidenden Aufsichtsratssitzung Anfang Mai, auf der das Thema abschließend behandelt wurde, knickten sie ein: Sie verlasen eine äußerst widerwillig formulierte Erklärung, mit der sie noch einmal ihrem Ärger über die Informationspolitik des Vorstandes Luft machten, gleichzeitig aber ihren Widerstand gegen die Neuorganisation aufgaben.472 Damit war der Weg für die Umstrukturierung frei, und der Vorstand machte sich sogleich an die Arbeit. Im Juli 1979 war die Umwidmung der Regionalgesellschaften zu Niederlassungen in vollem Gange, und bis zum Jahresende waren auch die Spezialgesellschaften – mit Ausnahme der NHK, der Mediplan und der baudata, die das Rechenzentrum verwaltete – verschwunden.473 Nur die angestrebte Verkleinerung des Vorstandes kam nicht in Gang, weil Vietor in typischer Manier an seinen Eitelkeiten festhielt: Nachdem die öffentliche Diskussion über das Klinikum in Aachen mit der Veröffentlichung des ersten Untersuchungsausschußberichtes im Dezember 1979 einen Höhepunkt erreicht hatte, vertrat er die Auffassung, daß eine Pensionierung von Riegels unter diesen Umständen einem Schuldeingeständnis gleichkäme, und so wurde dessen Vertrag noch einmal um ein Jahr verlängert – nur um den Anschein zu vermeiden, daß die NH dem öffentlichen Druck nachgebe.474 Zu diesem Zeitpunkt war allerdings bereits absehbar, daß die Umstrukturierung ihr Ziel, die Städtebaugesellschaften wieder in die Gewinnzone zurückzuführen, deutlich verfehlen würde. Zwar gingen von dem neuen System tatsächlich erhebliche Rentabilitätsverbesserungen aus. So prognostizierte der Vorstand Anfang 1980, daß sich die Verluste des Dienstleistungsbereichs von 11 Mio. DM 1978 auf 9,3 Mio. DM 1979 und auf voraussichtlich 6,8 Mio. DM 1980 verringern würden.475 Allerdings lag dieses Ergebnis deutlich unterhalb der ursprünglich angepeilten Marke einer Verlustreduzierung von 10 bis 15 Mio. DM. Die Ursachen hierfür lagen auf der Hand: „Das notwendige Umsatzvolumen, auf das die Kostenstruktur zugeschnitten“476 war, konnte nicht erreicht werden. Dafür wäre ein jährliches Honorar von 60 Mio. DM erforderlich gewesen. Das tatsächlich eingeworbene Honorar lag allerdings bei nur 45 Mio. DM.477 Mit anderen Worten: Die Struktur, die der Vorstand 1979 entwickelt hatte, beruhte auf einer dreißigprozentigen Überschätzung des Marktpotentials. Zwar verbesserte sich das Bild im Laufe des Jahres 1980 nochmal ein wenig, und eine anziehende Konjunktur hätte dem Inlandsgeschäft der NHS womöglich vorübergehend ein ausgeglichenes Ergebnis beschert; aber spätestens als der öffentliche Hochbau im Gefolge der Rezession Mitte 1981 einen erneuten Einbruch erlitt, war das Ziel, die Rentabilität des In-

472 Vgl. Protokoll AR NHS, 4.5.1979, StA HH, 622–2 Cordua 29, S. 3 f. 473 Vgl. Protokoll AR NHS, 5.7.1979, StA HH, 622–2 Cordua 30, S. 8 und JB 1980/81, S. B 3. 474 Vgl. Protokoll ARP NHH/NHS, 19.12.1979, StA HH, 622–2 Cordua 85, S. 6 sowie Gespräch mit den Anteilseignervertretern und Arbeitnehmervertretern, handschr. Protokoll Cordua, 17.12.1979, StA HH, 622–2 Cordua 31, S. 2. 475 Vgl. Protokoll ARP NHS, 21.2.1980, StA HH, 622–2 Cordua 86, S. 7. 476 Ebd. 477 Vgl. ebd., S. 7 u. S. 10.

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landsgeschäftes wiederherzustellen, ohne gleichzeitig Personal entlassen zu müssen, endgültig in weite Ferne gerückt.478 Auch die Politik der Eigeninvestitionen blieb erfolglos. Mitte 1980 hatte die NHS zwar ein halbes Dutzend solcher Projekte in der Vorbereitung, aber das zu diesem Zeitpunkt wieder deutlich anziehende Zinsniveau machte ihr einen Strich durch die Rechnung. Da die erzielbaren Mieterträge wesentlich langsamer anstiegen als die Zinsen, war absehbar, daß sie zu einer Deckung der laufenden Kapitalund Bewirtschaftungskosten kaum ausreichen würden.479 Auch wenn langfristig die Aussicht auf eine gewinnbringende Veräußerung bestanden hätte, konnte sich die NHS in ihrer angeschlagenen Lage eine weitere Verlustquelle nicht erlauben. Kurzfristig war es ohnehin fraglich, ob die von der NHS in Planung genommenen Immobilien eine ausreichende Wertsteigerung würden erzielen können; die seit 1980 wieder rückläufige Immobilienkonjunktur ließ das Gegenteil vermuten.480 Die Umstrukturierung der NHS war also insgesamt ein Fehlschlag. Es schien nur eine Frage der Zeit zu sein, bis die Gesellschaft erneut die Gewerkschaften um finanzielle Unterstützung bitten mußte. Daß dies bereits Ende 1981 geschah und die NHS sich in den folgenden Jahren für die Gewerkschaften nicht nur zu einem Problemfall, sondern buchstäblich zu einem Milliardengrab entwickelte, lag allerdings nicht alleine im Fortgang des Inlands-, sondern auch in der Entwicklung des Auslandsgeschäfts begründet. 6.2.2.3 Der Absturz des Auslandsgeschäfts Schon in der ersten Hälfte der siebziger Jahre hatte es auf diesem Gebiet neben vielen Erfolgen auch vereinzelt erste Fehlschläge gegeben, die zeigten, daß die Risiken einer Betätigung im Ausland das aus dem Inland gewohnte Maß deutlich überstiegen. Das galt vor allem für die Entwicklung in Italien. Mit dem „heißen Herbst“ des Jahres 1969 begann dort eine Phase politischer und wirtschaftlicher Instabilität, die sich in äußerst ungünstigen Rahmenbedingungen für den Wohnungsbau, d. h. insbesondere in stetig steigenden Zinssätzen für Grundstücksankaufs- und Bauzwischenkredite niederschlug. 1976 erreichten diese ein Niveau von 21%. Da die Lira als schwach und das Abwertungsrisiko als sehr hoch galt, konnten die italienischen Gesellschaften nicht auf Kredite aus dem Ausland zurückgreifen, sondern mußten sich mit diesen hohen Zinssätzen abfinden.481 Das war um so problematischer, als sie von Anfang an unterkapitalisiert waren und deshalb eine hohe Fremdverschuldung auf sich nehmen mußten. Hinzu kam noch die im Vergleich zu anderen europäischen Ländern geringere Rechtssi478 Vgl. Protokoll AR NHS, 11.3.1981, StA HH, 622–2 Cordua 34, S. 3 f.; Protokoll AR NHS, 2.7.1981, StA HH, 622–2 Cordua 36, S. 4 f. sowie Referat VV, Anlage zum Protokoll AR NHH/NHS, 4.12.1981, StA HH, 622–2 Cordua 40, S. 1 ff. u. S. 12 f. 479 Vgl. Bericht über Eigeninvestitionen. Vorlage zu TOP 1.2.3, AR NHS, 3.7.1980, StA HH, 622–2 Cordua 32. 480 Vgl. ebd. 481 Vgl. Protokoll AR NHS, 28.4.1977, StA HH, 622–2 Cordua 23, S. 4 sowie Bericht über die Tätigkeit der NHI/NHIC, 8.7.1976, StA HH, 622–2 Cordua, 21, S. 16.

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cherheit, die sich darin niederschlug, daß politische Wechsel auf kommunaler Ebene des öfteren eine Aufhebung von bereits erteilten Baugenehmigungen nach sich zogen. Dies stellte die Unternehmen bei der Verwertung ihres Grundstücksbestands vor große Schwierigkeiten.482 Seit 1974 ging die NHI aus diesen Gründen in Italien keine neuen Engagements mehr ein, und schon ein Jahr später gab der Vorstand die Parole aus, „sich Schritt für Schritt aus diesem Lande zurückzuziehen“.483 Auch in Österreich bahnte sich bereits zu einem sehr frühen Zeitpunkt eine ähnliche Entwicklung an. Hier hatte die Nationalbank schon Ende 1972 Restriktionsmaßnahmen ergriffen, um der sich beschleunigenden Inflation Herr zu werden.484 Während die gemeinnützigen Wohnungsbaugesellschaften, an denen die NHI-Gesellschaft Infrabau beteiligt war, recht gut aufgestellt waren und auch in den Krisenjahren mit Gewinn arbeiteten, trafen die steigenden Zinssätze die Infrabau selbst, die sich vor allem dem Kommunal- und Gewerbebau widmete, hart. Dafür gab es drei Gründe: erstens eine laxe Organisation; zweitens Probleme mit dem örtlichen Partner; und drittens die Belastung durch einen großen, auf wenige Komplexe beschränkten Grundstücksbestand, der unter rezessiven Bedingungen kaum noch verwertet werden konnte.485 Seit 1973 fuhr die Infrabau deshalb nur Verluste ein, und schon 1975 spitzte sich die Lage so dramatisch zu, „daß eine Reihe einschneidender Maßnahmen unumgänglich wurde“.486 Einen kompletten Rückzug faßte der Vorstand in diesem Fall zwar nicht ins Auge, aber immerhin wechselte die NHI den lokalen Partner aus. Statt der Bawag beteiligte sich nun die Tractus GmbH an der Infrabau, eine Gesellschaft, die mittelbar der österreichischen Eisenbahnergewerkschaft und der SPÖ gehörte. In den folgenden Jahren war die Geschäftstätigkeit der Infrabau in erster Linie von Sanierungsbemühungen geprägt. Von einer weiteren Expansion konnte dagegen keine Rede mehr sein.487 Im Gesamtbild der Auslandsbetätigung der Unternehmensgruppe waren diese Fehlschläge allerdings zunächst nur Ausnahmen. Insgesamt dominierte bis Mitte der siebziger Jahre in fast allen Ländern, in denen die NH aktiv war, der Eindruck boomender Geschäfte. Der Vorstand gab deshalb sogar die mit der NHIC verbundene Konzeption, statt auf risikoreiche Beteiligung auf den Verkauf von Beratungsdienstleistungen zu setzen, 1974 wieder auf und verschmolz die Gesellschaft de facto mit der NHI.488 Die positive Grundstimmung, die darin zum Ausdruck kam, bedeutete allerdings nicht, daß die Auslandstätigkeit unangefochten gewesen wäre. In der veröffentlichten Meinung geriet sie seit Anfang der siebziger Jahre verstärkt in die Kritik, und auch innerhalb der Unternehmensgruppe gab es Stim482 Vgl. ebd. 483 Protokoll AA NHH/NHS, 23.4.1975, StA HH, 622–2 Cordua 147, S. 7. 484 Vgl. Auslandsbericht, Vorlage zu TOP 1.2 AA NHH/NHS, 18.4.1974, StA HH, 622–2 Cordua 142, S. 2. 485 Vgl. Schriftlicher Auslandsbericht, Vorlage zu ARP NHH/NHS 30.11.1978, StA HH, 622–2 Cordua 79, S. 92 f. 486 Ebd., S. 92. Vgl. auch Protokoll AA NHH/NHS, 28.4.1976, StA HH, 622–2 Cordua 152, S. 8. 487 Vgl. Schriftlicher Auslandsbericht, Vorlage zu ARP NHH/NHS 30.11.1978, StA HH, 622–2 Cordua 79, S. 92 ff. 488 Vgl. Bericht des Vorstands, Vorlage zu TOP 1 AR NHH/NHS 15.2.1974, StA HH, 622–2 Cordua 14, S. 8.

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men, die diesen Geschäften skeptisch gegenüberstanden. Das galt in erster Linie für die Arbeitnehmervertreter im Aufsichtsrat. Ihre Kritik entzündete sich zunächst vor allem an der Frage der gewerkschaftspolitischen Glaubwürdigkeit einzelner Projekte wie beispielsweise eines Hotelbaus an der Elfenbeinküste.489 Mit diesen Einwänden hinterließen sie beim Vorstand allerdings keinen großen Eindruck. Angesichts der Vielzahl der Auslandsengagements konnte er die Kritik mit dem Hinweis auf die Ausnahme, die die Regel bestätige, abbiegen.490 Aber schon zu einem sehr frühen Zeitpunkt machten die Arbeitnehmervertreter auch auf einen Aspekt der Auslandsbetätigung aufmerksam, der sich nicht so leicht ignorieren ließ. Das war die schwache Finanzierungsbasis der Auslandsgeschäfte. Da die Eigenkapitaldecke der meisten Auslandsbeteiligungen der NHI sehr gering war, hatten diese für ihre Grundstückskäufe und ihre Baumaßnahmen typischerweise sehr hohe Kredite aufnehmen und sie durch Avalkredite absichern müssen. Diese Avalkredite wiederum gingen ausnahmslos zu Lasten der NH-Muttergesellschaft, die letztendlich mit ihrem guten Namen haftete (es lag in der Natur der Sache, daß für Avalkredite keinerlei Rückstellungen gebildet wurden). Das galt den Arbeitnehmervertretern als höchst riskant, denn bis 1974 war auf diese Weise bereits ein Bürgschaftsvolumen von ca. einer Mrd. DM aufgelaufen.491 Damit fiel fast das gesamte Risiko der ausländischen Gesellschaften auf die NH-Muttergesellschaft zurück, obwohl sie über die NHI typischerweise nur mit 50% an den betroffenen Gesellschaften beteiligt war. Die lokalen Partner trugen dagegen kaum etwas zur Absicherung der Risiken bei.492 Diese Konstruktion, die auf expansive Märkte zugeschnitten war und von dem Glauben an ein stetiges Wachstum lebte, bot in Zeiten, in denen Verluste eingefahren wurden, einen erheblichen Anreiz zu deren Vertuschung. Das sollte die NHI später des öfteren vor Probleme stellen, aber es war auch in dem noch relativ stabilen Umfeld der Jahre 1973/74 schon zu erkennen. Denn einige Auslandsgesellschaften erwirtschafteten bereits zu diesem Zeitpunkt Verluste, die allerdings nicht auf Krisenerscheinungen, sondern auf Anlaufkosten zurückzuführen waren.493 Um diese aus den Bilanzen fernzuhalten, griffen die Unternehmen zu dubiosen Tricks: Die „Verlustabdeckung in der Bilanz erfolgt[e] oft durch vorzeitige Aktivierung von späteren Gebühren aufgrund von bestehenden Verträgen“ und fingierten Rechnungen – „ohne, daß entsprechende Leistungen bereits erbracht wären“. Zum Teil wurden die Verluste (ähnlich wie bei der NHS) auch „immer von den folgenden Verträgen aufgefangen und damit solange weitergegeben bis keine neuen Aufträge eingehen“.494 Cordua, der diese Beobachtungen in einer Notiz festhielt, vergaß nicht zu ergänzen, daß dieses System zwangsläufig zum Zusammenbruch führen mußte, wenn die Anschlußaufträge einmal ausblieben. 489 490 491 492

Vgl. Protokoll AA NHH/NHS, 17.5.1973, DGBA-BV, Abt. Finanzen, 24/478, S. 2. Vgl. ebd. sowie Protokoll AA NHH/NHS, 23.3.1973, StA HH, 622–2 Cordua 142, S. 8. Vgl. Schulz 1987, S. 139. Vgl. zusammenfassend zu diesem Problem: Tätigkeit der Neue Heimat International, 30.1.1981, StA HH, 622–2 Cordua 34, S. 17. 493 Vgl. handschr. Notiz Corduas, ohne Titel, o. D. [zu AA NH/NHS, 18.4.1974], StA HH, 622– 2 Cordua 142, S. 2. 494 Ebd., S. 2 f.

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Angesichts dieser Vorgänge warnte 1974 ein Belegschaftsvertreter im Beirat der NHI davor, daß sich das hohe Bürgschaftsvolumen der Gesellschaft bereits 1975 existenzgefährdend auswirken könne. Doch diese Kritik erreichte nicht einmal den Aufsichtsrat der Muttergesellschaft. Wenn man der Darstellung von Schulz Glauben schenken möchte, wurde der Belegschaftsvertreter gezwungen, seine Äußerungen zurückzunehmen, damit diese nicht den Wirtschaftsprüfern, die die Beiratsprotokolle einsehen durften, zu Ohren kämen.495 Von einer möglichen Gefährdung der NHS durch die NHI, wie sie der Betriebsrat befürchtete, wollte der Vorstand nichts wissen. Er ging im Gegenteil davon aus, daß die NHI in den nächsten vier Jahren jeweils fünf Mio. DM als Gewinn abführen werde.496 Vietors Optimismus reichte darüber sogar noch deutlich hinaus. Er sah in einer Ausdehnung des Auslandsgeschäfts auch die Möglichkeit, sich aus der Affäre um die zu diesem Zeitpunkt angeschlagene NHG zu ziehen – auf dem vermeintlich bewährten Wege der „Expansion zur Vermeidung des Untergangs“. Mit diesem Hintergedanken peilte er um die Jahreswende 1974/75 eine Reihe von Projekten im Iran, in Marokko und in Algerien an.497 Wegen der weltweiten Krise auf dem Immobilienmarkt wurden diese Vorhaben zwar bald darauf zurückgestellt, aber schon einige Monate später unternahm der Vorstandsvorsitzende einen neuen Anlauf – diesmal mit Blick auf die sich abzeichnenden Auslastungsschwierigkeiten bei der NHS.498 Im Auslandswohnungsbau sah er gigantische Expansionschancen: Vor dem Aufsichtsrat schwadronierte er Mitte 1976 über die Entwicklung des Weltwohnungsbedarfs in den nächsten dreißig Jahren und nannte eine Reihe von Ländern, in denen die NH seines Erachtens aktiv werden sollte. Im Sudan etwa sah er die Möglichkeit, „beispielhafte Lösungsmodelle“ für die „internationalen Wohn- und Beschäftigungsprobleme“ zu erarbeiten, bei deren Bearbeitung „die sozial verantwortlichen Kräfte nicht abseits stehen könnten“. Er wollte deshalb gemeinsam mit dem sudanesischen Staat eine Gesellschaft gründen, die „eine umfassende Bautätigkeit für die Landes- und Stadtentwicklung“499 betreiben sollte. Auch im Irak und in Portugal schwebte ihm Ähnliches vor. Mit spezifisch gewerkschaftlichen Zielsetzungen hatte dies nichts zu tun; im Irak etwa regierte zu diesem Zeitpunkt de facto bereits Saddam Hussein. Um so bemerkenswerter war es allerdings, daß Vietors grundsätzliche Überlegungen die Billigung des DGB-Bundesvorstandes fand. Auf einer gemeinsamen Sitzung mit dem Vorstand der NH im Juni 1976 hatte er seine ausdrückliche Unterstützung für diesen Kurs erklärt – zum einen in der Hoffnung, auf diesem Wege um Entlassungen herumzukommen, zum anderen aber wohl auch deswegen, weil er einen geradezu überbordenden Stolz auf die internationale Präsenz der Unternehmensgruppe entwickelt hatte.500

495 Vgl. Schulz 1987, S. 139. Die Darstellung der Kritik des Betriebsrates wird bis auf das Detail hinsichtlich der Rücknahme der Äußerungen durch eine handschriftliche Notiz Corduas vom 17.12.1979, StA HH, 622–2 Cordua 31, bestätigt. 496 Vgl. ebd. sowie Protokoll AA NHH/NHS, 18.4.1974, StA HH, 622–2 Cordua 142, S. 8. 497 Vgl. Protokoll AA NHH/NHS, 27.9.1974, StA HH, 622–2 Cordua 144, S. 4. 498 Vgl. Protokoll AA NHH/NHS, 2.12.1976, StA HH, 622–2 Cordua 155, S. 3. 499 Protokoll AR NHS, 8.7.1976, StA HH, 622–2 Cordua 21, S. 4. 500 Vgl. ebd. sowie Protokoll AA NHH/NHS, 2.12.1976, StA HH, 622–2 Cordua 155, S. 3 f.

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Die optimistische Einschätzung der Entwicklung des Auslandsgeschäfts, die dieser Haltung zugrunde lag, war allerdings insofern erstaunlich, als die Weltwirtschaft zu diesem Zeitpunkt bereits in eine neue, von zunehmender Volatilität und gegenüber den Vorjahren deutlich niedrigeren Wachstumsraten geprägte Phase eingetreten war. Selbst wenn die Gewerkschaften nicht mit Sicherheit vorhersagen konnten, wie sich die Lage in den kommenden Jahren entwickeln würde, so wußten sie doch sehr genau, daß 1973 mit den festen Wechselkursen der Faktor weggefallen war, den der Vorstand noch 1971 als wichtigste Voraussetzung für eine erfolgreiche Auslandstätigkeit bezeichnet hatte.501 Unter den seit Mitte der siebziger Jahre vorherrschenden Umständen war das Auslandsgeschäft deshalb unversehens mit großen Schwierigkeiten behaftet. Denn das Floating bildete eine Quelle der Unsicherheit in den Kalkulationen der NHI, die sich unter Umständen katastrophal auswirken und die Avalhaftung der NH in die Pflicht nehmen konnte. Welches Risiko sich hier verbarg, zeigte der Fall Mexiko, der Vietors Expansionsbestrebungen schon zwei Monate, nachdem er seine Visionen im Aufsichtsrat dargelegt hatte, einen Dämpfer verpaßte – und mit ihnen auch den Vorstellungen Vetters und der DGB-Spitze. Angesichts eines starken Verkäufermarktes plante die dortige NHI-Beteiligungsgesellschaft, die Austroplan de Mexico, seit 1973, im Rahmen der nördlich von Mexiko City gelegenen Trabantenstadt Cuautitlan Izcalli 14.000 Wohneinheiten zu errichten.502 Zu diesem Zweck erwarb sie bis 1976 Grundstücke mit einer Bruttofläche von 4 Mio. qm. Finanziert hatte die Austroplan diese Grundstücksankäufe durch Fremdwährungskredite, die von die NHI avaliert wurden. In der zweiten Jahreshälfte 1976 wies die mexikanische Gesellschaft deshalb eine Fremdwährungsverschuldung von 63 Mio. US$ auf. Ihr Eigenkapital betrug dagegen nur 8,5 Mio. Pesos – das entsprach etwas über 400.000 US$ und damit nur etwa 0,6% der in Anspruch genommenen Kredite.503 Das Hauptproblem der Austroplan lag allerdings nicht in dieser enormen Verschuldung selbst, sondern darin, daß sie ihre Einkünfte in Pesos erzielte, die fälligen Zins- und Tilgungsleistungen aber in Dollar erbringen mußte. Das machte sie anfällig für Wechselkursschwankungen. Schon im Frühjahr 1976 hatte die NHI erste Warnungen vorliegen, nach denen mit einer baldigen Abwertung des Peso zu rechnen war. Ihre Grundstücksankäufe setzte die Austroplan dennoch fort; schließlich hatte sie eine 30–35%ige Abwertung bereits einkalkuliert und entsprechend disponiert. Womit sie allerdings nicht gerechnet hatte war, daß der Peso am 1. September gleich um 60% abgewertet wurde.504 Diese Abwertung bewirkte de facto eine extreme Verteuerung der Fremdwährungskredite. Die Verluste, die sich für die Austroplan hieraus ergaben, beliefen sich auf 405 Mio. Pesos, etwa 36 Mio. DM.505 Allerdings galt der Grundstücksbestand der Gesellschaft als werthaltig; in ihm waren stille Reserven enthalten, und so konnten die Verluste bilanziell ausgeglichen werden, indem die vorhandenen Grundstücke höher bewertet wur501 502 503 504 505

Vgl. Kap. 5.3.2.2 dieser Arbeit. Vgl. JB 1973/74, S. 89 sowie JB 1976/77, S. C 20 f. Vgl. Mexiko-Bericht, März 1982, StA HH, 622–2 Cordua 304, S. 4. Vgl. Protokoll AR NHH/NHS, 14.10.1976, StA HH, 622–2 Cordua 154, S. 11. Vgl. Schriftlicher Auslandsbericht, Vorlage zu ARP NHH/NHS 30.11.1978, StA HH, 622–2 Cordua 79, S. 72 ff.

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den. Dies war durchaus nicht unüblich und in dem Rahmen, in dem die Austroplan zu diesem Mittel griff, auch vertretbar. Es bedeutete allerdings, daß der Unterschied zwischen Buch- und Marktwert der betroffenen Grundstücke geringer wurde und künftige Veräußerungsgewinne von vornherein niedriger zu veranschlagen waren. Effektiv korrigierte die Austroplan also ihre Bilanz zuungunsten zukünftiger Erträge.506 Das war insofern problematisch, als der mexikanische Immobilienmarkt parallel zur Peso-Abwertung in eine tiefe Krise rutschte und der Absatz der von der Austroplan gebauten Objekte deshalb ins Stocken geriet. Die Ertragssituation verschlechterte sich daraufhin gründlich: 1977 wies die Bilanz des Unternehmens, das zwischen 1973 und 1975 stets mit Gewinn gearbeitet hatte, einen Verlust von 1,8 Mio. DM aus, und auch für 1978 war noch keine durchgreifende Verbesserung in Sicht. Die NHI mußte deshalb 1978 einen Betrag von sechs Mio. DM als Eigenkapital nachschießen.507 Diese negative Entwicklung in Mexiko blieb nicht ohne Folgen für Vietors Expansionspläne. Im Januar 1977 stellte Iden dem Aufsichtsrat ein neues Auslandskonzept vor, das ursprünglich auf die Idee Vietors aus dem Juli 1976, die Auslandstätigkeit zu forcieren, zurückzuführen war, gegenüber dieser aber deutlich zurückhaltender argumentierte, und das war vor allem auf die Lehren aus der Peso-Abwertung zurückzuführen. Das Konzept sah vor, daß sich die „zukünftige Tätigkeit der Unternehmensgruppe Neue Heimat auf den Auslandsmärkten (...) neben der traditionellen Form über Beteiligungsgesellschaften vor allem auch auf die Durchführung von Einzelprojekten konzentrieren“ sollte. Dahinter stand der Gedanke, daß „in Anbetracht der Änderung der Währungsverhältnisse und der allgemeinen weltwirtschaftlichen Entwicklung Finanzierungen nach Möglichkeit vermieden werden sollen“.508 An der grundsätzlichen Einsicht, daß die Auslandsengagements mit außergewöhnlichen Risiken behaftet waren, mangelte es also seit 1977 nicht mehr. Davon, daß der Vorstand die Auslandstätigkeit stagnieren lassen oder gar zurückfahren wollte, konnte allerdings keine Rede sein. Er vertrat vielmehr noch immer ein – wenn auch gegenüber Vietors Ausführungen vom Juli 1976 etwas abgemildertes – offensives Konzept. Denn in ihrer grundsätzlichen Tendenz zielten Idens Überlegungen auf die Etablierung zusätzlicher Engagements. Deshalb hatte sein Papier von der Regel, daß keine neuen Beteiligungsgesellschaften mehr gegründet werden sollten, auch ausdrücklich einige Ausnahmen vorgesehen. Davon machte der Vorstand in den folgenden Monaten regen Gebrauch: De facto handelte es sich bei allen größeren der zu diesem Zeitpunkt diskutierten neuen Engagements um solche Ausnahmen, während die Regelfälle eher kleinere Projekte wie beispielsweise den Bau eines Hotels in Moskau umfaßten.509 Diese auch 1977 noch aufrechterhaltene expansive Orientierung war nicht nur wegen der in Mexiko offensichtlich gewordenen Risiken bemerkenswert, sondern auch deshalb, weil Iden in der Diskussion um das neue Konzept zugeben mußte, 506 Vgl. ebd., S. 72 ff. 507 Vgl. ebd., S. 75. 508 Geschäftspolitik der NHI. Vorlage zu TOP 1.2 AA NHH/NHS, 25.1.1977, StA HH, 622–2 Cordua 156, S. 1. 509 Vgl. Protokoll AA NHH/NHS, 27.4.1977, StA HH, 622–2 Cordua 157, S. 9 f.

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daß das wichtigste Argument für die Auslandstätigkeit überholt war oder, genauer gesagt, nie gegolten hatte: „Der Beschäftigungseffekt,“ so führte er aus, „das müsse klar gesagt werden, sei nicht sehr groß. (...) In Portugal beispielsweise würden bei einem vorläufigen Apparat von 25 Mitarbeitern nur 4 Deutsche eingesetzt werden.“510 Die Hoffnung, den Beschäftigungsstand der NH über eine forcierte Auslandstätigkeit halten zu können, war damit hinfällig. Es verwundert nicht, daß die latente Unzufriedenheit der Arbeitnehmervertretung angesichts dieser Neuigkeiten Auftrieb erhielt. Die Vorstellung des neuen Auslandskonzepts markierte deshalb den ersten Anlaß, zu dem die Auslandspolitik auf höchster Ebene, also im Aufsichtsrat kontrovers diskutiert wurde – kontrovers bis zu dem Punkt, daß von den Arbeitnehmervertretern sogar die Forderung nach einer kompletten Aufgabe des Auslandstätigkeit in Betracht gezogen wurde. So erklärte Erich Frister, der Vorsitzende der GEW und einer der externen Arbeitnehmervertreter im Aufsichtsrat, „es komme immer der Zeitpunkt, wo man eine bisherige Politik überprüfen müsse. Der vorgelegte Bericht lege die Aussage nahe, daß die Aktivitäten nicht so erfolgreich gelaufen seien, wie man es gedacht habe. Deshalb scheine die Überlegung gerechtfertigt, ob man arrondieren sollte, was zu arrondieren sei, um die Situation nicht noch ungünstiger zu gestalten.“511 Und Klaus Willmann betonte, daß die bisherige Logik der Auslandstätigkeit zusammengebrochen sei: Es sei, so führte er aus, „wohl eine Illusion gewesen zu glauben, durch Auslandstätigkeit kompensieren zu können, was im Inland verloren gehe. Diese Feststellung könne wohl heute getroffen werden. Sie gelte offensichtlich auch für die Zukunft.“ Hinzu kam, daß aus seiner Sicht noch immer erhebliche „Unklarheit über den geschäftspolitischen Grund der Auslandstätigkeit, etwa hinsichtlich des World Trade Center in Brüssel“,512 bestand. Er schlug deshalb vor, über einen geordneten Rückzug aus dem Ausland nachzudenken. Diesem Anliegen mochte sich die Mehrheit des Aufsichtsrates allerdings nicht anschließen. An einen schnellen Ausstieg aus dem Auslandsgeschäft wäre, das wußten auch die Arbeitnehmervertreter, ohnehin nicht zu denken gewesen, weil die NHI in der Form ihrer riesigen Grundstücksvorräte Verpflichtungen eingegangen war, die sich keinesfalls von heute auf morgen erledigen ließen.513 Allerdings war bei einer Mehrheit im Aufsichtsrat die Hoffnung, im Ausland wenn schon keine Beschäftigung sichern, so doch zumindest dringend benötigte Erträge erwirtschaften zu können, ungebrochen. Noch im Juli 1977 äußerte Vietor die Hoffnung, „einen Teil der fehlenden Bautätigkeit im Inland durch Auslandsaktivitäten auffangen zu können“.514 Er stieß damit bei den Gewerkschaftsvorsitzenden auf regen Zuspruch.515 Und Peter Dresel, der Mitte 1977 Walter Beyn als Vorstandsmitglied für den Bereich „Technik“ abgelöst hatte, erklärte, warum er nicht bereit war, die negativen Entwicklungen in Österreich, Italien und Mexiko als Maßstab für die zukünftige Gestaltung des Auslandsgeschäfts gelten zu lassen: „Eine ein510 511 512 513 514 515

Ebd., S. 10. Ebd., S. 12. Ebd., S. 10. Vgl. ebd. Protokoll AR NHS, 8.7.1977, StA HH, 622–2 Cordua 24, S. 4. Vgl. Protokoll AA NHH/NHS, 25.1.1977, StA HH, 622–2 Cordua 156, S. 7.

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heitliche Beurteilung der Auslandstätigkeit“, so argumentierte er, „sei fehl am Platze. Es gebe vielfältige Aktivitäten unterschiedlichsten Inhalts. Deshalb sei eine differenzierte Betrachtung notwendig.“516 Mit anderen Worten: Dresel hielt die mit Problemen behafteten Engagements für Sonderfälle, aus denen sich keine Rückschlüsse über die generelle Tragfähigkeit des Auslandsgeschäftes ziehen ließen. Und oberflächlich betrachtet, gab es eine Reihe von Beteiligungsgesellschaften, die diese These zu bestätigen schienen – etwa die Promotora Venezolana Alemana, bei der die Geschäfte lange Zeit hervorragend liefen: Bis 1979 errichteten die Unternehmen, an denen die NHI über die Promotora Venezolana beteiligt war, knapp 1.300 Wohnungen und warf dabei regelmäßige Gewinne ab.517 Allerdings war dies nur eine Seite der Medaille. Ein genauerer Blick zeigt, daß Dresels Einschätzung keineswegs so einleuchtend war, wie sie scheinen mochte. Tatsächlich gab es eine ganze Reihe von Problemen, die allen Auslandsengagements gemeinsam waren und die im Rückblick eine insgesamt gleichgerichtete Entwicklung aller oder doch zumindest der meisten Auslandsgesellschaften sehr wahrscheinlich machten. Da war einmal die Abhängigkeit von lokalen Partnern, die meist schlecht ausgesucht und wenig zuverlässig waren.518 In Österreich hatte dieser Faktor maßgeblich zur dortigen Misere beigetragen; in Mexiko erschwerte er die fällige Sanierung der Austroplan;519 in Kanada war schon 1973 der örtliche Partner der NHI wegen Verwicklung in dunkle Geschäfte ermordet worden; und die Teilhaber in Brasilien standen im Verdacht, Millionenbeträge unterschlagen zu haben.520 Selbst dort, wo sich die regionalen Partner als verläßlich erwiesen, warf die Zusammenarbeit mit ihnen häufig ein zweites Problem auf, denn sie waren meist klein und dadurch auf wenige sektorale oder regionale Teilmärkte beschränkt. Dies beeinträchtigte die Möglichkeiten zur Diversifizierung der Produktpalette und trug somit dazu bei, die Auslandsbeteiligungen besonders krisenanfällig zu machen. Das war etwa am Beispiel Kanadas gut zu beobachten: Die dortige Beteiligungsgesellschaft Homeco hatte in der zweiten Hälfte der siebziger Jahre mit hohen Leerständen zu kämpfen, weil sie sich in den Jahren zuvor ausschließlich auf die Herstellung hochpreisiger Eigentumswohnungen konzentriert hatte. Das war genau jenes Marktsegment, das am stärksten unter der 1975 eingetretenen Rezession auf dem kanadischen Immobilienmarkt zu leiden hatte. 1978 mußte die NHI der Homeco deshalb eine Kapitalspritze von 2 Mio. Can-$ (etwa 3 Mio. DM), Mitte 1979 schließlich noch einmal 6 Mio. Can-$ gewähren.521

516 Protokoll AA NHH/NHS, 27.4.1977, StA HH, 622–2 Cordua 157, S. 11. 517 Vgl. Die Baumaßnahmen der Beteiligungsgesellschaften der NHI in Venezuela, Vorlage AR NHS 24.4.1980, StA HH, 622–2 Cordua 87, S. 3. 518 Vgl. NHI-Bericht, o. D. [29.11.1978], StA HH, 622–2 Cordua 79. 519 Vgl. Mexiko-Bericht, März 1982, StA HH, 622–2 Cordua 304, S. 5 ff. 520 Vgl. handschr. Marginalie Corduas in: Auslandsbeteiligungen, Vorlage zu TOP 2.2.3, AA NHH/NHS, 23.3.1973, StA HH, 622–2 Cordua 136; Brasilien-Bericht, März 1982, StA HH, 622–2 Cordua 302, S. 2 ff. u. S. 17 ff. sowie Mehnert 1997, S. 82 f. 521 Vgl. Neue Heimat International, Länderberichte, Stand: Juni 1979, StA HH, 622–2 Cordua 297, o. S.

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Ähnlich, wenngleich insgesamt etwas weniger kostspielig, verlief die Geschäftsentwicklung in Großbritannien, in den USA und in der Schweiz. Auch in diesen Ländern war es vor allem die mangelnde Diversifizierung, die die Beteiligungsgesellschaften der NHI in den Strudel der weltweiten Krise auf den Immobilienmärkten riß.522 Und selbst die vermeintliche Mustergesellschaft in Venezuela war von diesem Problem betroffen: Der dortige Partner der NHI war von Haus aus nur in Caracas tätig, wo Bauland aufgrund der topographischen Besonderheiten knapp und die Baukonstruktion wegen der Erdbebengefahr besonders teuer war. Deshalb war die Rentabilität dieser Bauprojekte unmittelbar an eine bestimmte Zielgruppe gekoppelt: Nur mittlere und gehobene Einkommensschichten konnten die aufwendig gebauten Häuser bezahlen.523 Gegen Ende der siebziger Jahre hatten allerdings die ständig steigenden Baulandpreise in Caracas ein Niveau erreicht, das selbst für Angehörige der Mittelschichten jenseits ihrer Leistungsfähigkeit lag. Der Teilmarkt, auf dem die Promotora tätig war, drohte damit in naher Zukunft zum Erliegen zu kommen.524 Zwar war die Gesellschaft aufgrund der vorangegangenen Gewinne in guter Verfassung, und ihre Rentabilität stand zu diesem Zeitpunkt außer Zweifel; aber hier kam nun ein drittes Problem zum Vorschein, mit dem ebenfalls fast alle NHIAuslandsbeteiligungen zu kämpfen hatten – die Diskrepanz zwischen den hochfliegenden Erwartungen der frühen und den realen Rahmenbedingungen der späten siebziger Jahre. Diese schlug sich in zwei Dingen nieder: erstens in der prekären Finanzierungsbasis der Auslandsgesellschaften, also in einer äußerst knapp bemessenen Eigenkapitalbasis und einer hohen Fremdwährungsverschuldung. In dieser Hinsicht war Mexiko keine Ausnahme, sondern die Regel, denn von dem Problem der Unterkapitalisierung waren ausnahmslos alle und von dem Problem der Fremdwährungsverschuldung alle lateinamerikanischen Beteiligungen, also auch die Promotora Venezolana, betroffen.525 Zweitens waren die Zukunftserwartungen der frühen siebziger Jahre auch an den großen Grundstücksvorräten abzulesen, die fast alle NHI-Beteiligungsgesellschaften angelegt hatten. In der zweiten Hälfte der siebziger Jahre erwuchsen ihnen daraus große Risiken, weil sich die Bautätigkeit in fast allen Ländern stark rückläufig entwickelte. Dadurch geriet die Verwertung der Grundstücke ins Stocken, und das hatte zur Folge, daß „die Liquidität und Flexibilität der [betroffenen] Gesellschaft[en] erheblich eingeengt“526 wurde. Die brasilianische Anchieta bildete hierfür ein gutes Beispiel. Sie hatte bei ihrer Gründung 1974 an zwei Standorten, in Sao Bernardo und in Taubaté, je einen großen Grundstückskomplex gekauft, um dort Wohnungen für die jeweils unmittelbar angrenzenden VW-Wer522 Vgl. ebd. 523 Vgl. Die Baumaßnahmen der Beteiligungsgesellschaften der NHI in Venezuela, Vorlage AR NHS, 24.4.1980, StA HH, 622–2 Cordua 87, S. 2. 524 Vgl. Schriftlicher Auslandsbericht, Vorlage ARP NHH/NHS 30.11.1978, StA HH, 622–2 Cordua 79, S. 46. 525 Vgl. ebd., passim, sowie Tätigkeit der Neue Heimat International, 30.1.1981, StA HH, 622–2 Cordua 34, S. 16 f. 526 Tätigkeit der Neue Heimat International, Bericht für AR NHS, 11.3.1981, StA HH, 622–2 Cordua 73, S. 3.

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ke zu errichten. Dieses Engagement war auf besonderes Bitten von VW zustande gekommen; aber als die Absatzzahlen für Neuwagen ins Stocken gerieten, stellte der Wolfsburger Konzern den Bau der Werkswohnungen zurück, und die NH blieb auf ihren Grundstücken sitzen. Da bis zu diesem Zeitpunkt immerhin ein Teil des Projektes in Sao Bernardo abgeschlossen war, konnte die NH in langwierigen Verhandlungen wenigstens erreichen, daß VW 1978 diesen Teil übernahm.527 Mit den Veräußerungsgewinnen aus dieser Transaktion sowie mit einigen kleineren Grundstücksverkäufen und Eigentumsmaßnahmen erzielte die Anchieta immerhin während der gesamten zweiten Hälfte der siebziger Jahre ein ausgeglichenes Ergebnis, aber dieser Teilerfolg stand angesichts des fortbestehenden unverwerteten Grundstücksbestandes auf wackligen Beinen. Auch in Mexiko verlief die Entwicklung in ähnlichen Bahnen. Hier hatte die Austroplan nach dem ersten „Peso-Schock“ alle Hebel in Bewegung gesetzt, um ihren Grundstücksbestand zu reduzieren; aber obwohl sie dem mexikanischen Gewerkschaftsbund (!) CTM „Sensibilisierungszahlungen“528 (vulgo: Schmiergelder) in Höhe von 41 Mio. Pesos – etwa 1,7 Mio. US-$ – hatte zukommen lassen, damit ihr dessen Wohnungsbaugesellschaft Grundstücke abkaufte, standen bei der Gesellschaft 1981 immer noch 1,15 Mio. qm Bauland zu Buche. Hier bestanden also weiterhin große Risiken.529 Der Vorstand dürfte allerdings schon froh gewesen sein, daß er in Mexiko bis 1981 größere Verluste hatte vermeiden können. Das war, wie ein Blick auf die übrigen Auslandsbeteiligungen zeigt, zu diesem Zeitpunkt längst keine Selbstverständlichkeit mehr. In Österreich beispielsweise hatte die NHI 1976 als Gegenleistung für den Einstieg der Tractus in die angeschlagene Infrabau die Risiken aus deren Grundstücksbeständen voll übernehmen müssen.530 Den hieraus resultierenden Belastungen war die Gesellschaft auf Dauer nicht gewachsen. Schon bis Ende 1977 hatten sich ihre operativen Verluste auf 63 Mio. öS addiert, obwohl der Personalbestand zwischen 1975 und 1977 von 48 auf 34 Mitarbeiter reduziert worden war.531 Eine genaue Bilanz der Belastungen, die via Infrabau auf die NH entfielen, ist kaum zu erstellen; anstatt eine Kapitalerhöhung vorzunehmen, übernahm die NHI einige Objekte der österreichischen Gesellschaft, deren Kaufpreis unbekannt ist. Insgesamt dürften sich die Verluste bis 1978 aber in einer ähnlichen Größenordnung bewegt haben wie in Italien, wo sich der 1975 beschlossene Rückzug wegen des großen Grundstückbestands nur schwer verwirklichen ließ. 1978 mußte die NHI etwa 10 Mio. DM für die Gründung einer Auffanggesellschaft aufwenden, um die auf diese Weise aufgelaufenen Verluste abzudecken.532 527 Vgl. Schriftlicher Auslandsbericht, Vorlage zu ARP NHH/NHS 30.11.1978, StA HH, 622–2 Cordua 79, S. 87. 528 Mexiko-Bericht, März 1982, Anlage 1: S-Kasse Mexiko (streng vertraulich), StA HH, 622–2 Cordua 304. Vgl. auch Protokoll ARP NHH/NHS, 11.10.1978, StA HH, 622–2 Cordua 78, S. 5. 529 Vgl. Mexiko-Bericht, März 1982, StA HH, 622–2 Cordua 304, S. 13. 530 Vgl. Schriftlicher Auslandsbericht, Vorlage zu ARP NHH/NHS 30.11.1978, StA HH, 622–2 Cordua 79, S. 100. 531 Vgl. ebd., S. 104 ff. 532 Vgl. ebd., S. 18 ff.

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Im Vergleich zu dem, was der Unternehmensgruppe in Frankreich noch bevorstand, handelte es sich dabei allerdings bloß um die sprichwörtlichen „Peanuts“. Denn auf dem dortigen Immobilienmarkt entfaltete sich 1976/77 eine schwere Krise. Nachdem der Markt in den Jahren zuvor durch eine staatlich geförderte Überproduktion geradezu überschwemmt worden war, geriet der Wohnungsabsatz der Manera ab Mitte 1976 ins Stocken. Ähnlich wie zwei Jahre zuvor in Deutschland blieb die Gesellschaft nun auf einer großen Wohnungshalde sitzen, deren Wert sich 1978 auf etwa 600 Mio. FF belief.533 Hinzu kamen unverwertete Grundstücke im Wert von etwa 400 Mio. FF, die mit ähnlichen Risiken wie in Mexiko und in Brasilien behaftet waren: 70% dieses Bestandes gingen auf das Konto eines einzigen Grundstückskomplexes. Am Pariser Passy Kennedy, unmittelbar neben der Maison de la Radio, hatte die Manera 1970 ein großes Areal erworben, um dort ein Hotel zu errichten. Offensichtlich hatte sie die damit verbundenen Schwierigkeiten unterschätzt; jedenfalls gelang es ihr nicht, für dieses Projekt eine Baugenehmigung zu erhalten. Das traf die Gesellschaft hart, denn auf dem Grundstück lastete ein enormer Zinsaufwand.534 Anders als in Mexiko enthielten in Frankreich zudem weder die Grundstücke noch die unverkauften Wohnungen ein aktivierbares Potential; tatsächlich lag die Wertsteigerungsrate dieser Bestände mit etwa 8% deutlich unter der Inflationsrate, so daß sie real an Wert verloren. Da zudem aufgrund der geringen Bautätigkeit auch die Gebühreneinnahmen aus der Baubetreuung stagnierten und hinter den Verwaltungskosten zurückblieben, war das mit 55 Mio. FF viel zu geringe Eigenkapital der Manera durch die aufgelaufenen Betriebsverluste bald aufgezehrt.535 Iden, der im Vorstand für die NHI verantwortlich war, bemerkte von dieser Entwicklung nichts und wurde von dem deutschen Prokuristen vor Ort gezielt im Unklaren gehalten. Er erfuhr von der sich dramatisch zuspitzenden Lage erst im Frühjahr 1978. Da war es längst zu spät: In der Zwischenzeit hatte die Manera Verluste in Höhe von 80 bis 100 Mio. FF aufgehäuft. Bis Ende 1978 stiegen sie auf knapp 150 Mio. FF.536 Da das französische Recht im Falle des Verlustes von drei Vierteln des Gesellschaftskapitals einen Beschluß der Gesellschafter darüber vorsah, ob das Unternehmen aufgelöst oder weitergeführt werden sollte, sahen sich die NHI und ihre französischen Partner im Oktober 1978 gezwungen, das Grundkapital der Manera um 200 Mio. FF aufzustocken. Entsprechend den Beteiligungsverhältnissen entfielen von diesem Betrag 50% auf die NHI; aber es gelang ihr nicht, ihren französischen Partner – die Triad-Gruppe des Adnan Kashoggi – dazu zu bewegen, sich an dieser Kapitalerhöhung zu beteiligen.537 Deshalb mußte sie letztendlich einen Betrag von 195 Mio. FF. selbst übernehmen. Gleichzeitig leitete sie umfangreiche 533 Vgl. ebd., S. 8. 534 Vgl. ebd. sowie Neue Heimat International, Länderberichte, Stand: Juni 1979, StA HH, 622–2 Cordua 297, S. 3. 535 Vgl. Schriftlicher Auslandsbericht, Vorlage zu ARP NHH/NHS 30.11.1978, StA HH, 622–2 Cordua 79, S. 8. 536 Vgl. Gespräch VV/CO, 19.4.1978, handschr. Protokoll Cordua, StA HH, 622–2 Cordua 79, S. 1 sowie Protokoll AR NHS, 5.7.1979, StA HH, 622–2 Cordua 30, S. 4. 537 Vgl. ebd., S. 5.

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Sanierungsmaßnahmen in die Wege. Der Geschäftsführer, der die Zentrale in Hamburg lange Zeit nicht informiert hatte, wurde ausgetauscht. Zudem sollten die Verwaltungskosten der Manera, die zu 75% aus Personalkosten bestanden, drastisch zurückgeführt werden, um die Gesellschaft langfristig auf ein Bauprogramm von etwa 500 Wohnungen einzustellen. Parallel dazu wollte Iden auch eine am deutschen Vorbild orientierte Vertriebsorganisation aufbauen. Allerdings benötigten diese Maßnahmen Zeit: Nicht vor 1980, schätzte der Vorstand, würden sie sich auf die Bilanz der Manera auswirken.538 Derweil blieben die Belastungen, die sich aus den Leerständen und den Zinsbelastungen für die Grundstücke ergaben, weiterhin bestehen. Gleichzeitig mit dem Kapitalschnitt bei der Manera hatte der Aufsichtsrat der NHS deshalb eine Aufstockung des Eigenkapitals der NHI von 20 auf 80 Mio. DM beschließen müssen. Dieser Erhöhungsbetrag war in vollem Umfange von der NHS aufzubringen und belastete die ohnehin am Rande des Abgrunds stehende Städtebau-Gruppe noch weiter.539 Es kann kaum verwundern, daß den Arbeitnehmern im Aufsichtsrat der NHS angesichts dieser Probleme endgültig der Geduldsfaden riß. Manfred Franz, der Betriebsratsvorsitzende des gemeinnützigen Konzernteils, erklärte im Oktober 1978, die außerhalb Deutschlands „eingegangenen Risiken stünden s. E. in keinem Verhältnis zu den Vorteilen“540 und forderte einen Rückzug aus dem Auslandsgeschäft. Sein Kollege Klaus-Otto Cordua ging sechs Wochen später vor dem gleichen Gremium noch einen Schritt weiter: Er erklärte, „der Vorstand habe offensichtlich das Risiko aus der von den Arbeitnehmervertretern als halsbrecherisch angesehenen Geschäftspolitik im Ausland unterschätzt“.541 Er lastete dies vor allen Dingen Iden an, dem allgemein die Hauptschuld für das Desaster in Frankreich gegeben wurde.542 Tatsächlich zeigte die nun folgende Auseinandersetzung über die Vorwürfe der Arbeitnehmervertreter allerdings deutlich, daß es letztlich nicht Iden, sondern Vietor war, der Verantwortung dafür trug, daß die „halsbrecherische“ Auslandspolitik auch nach den ersten Krisenerscheinungen Mitte der siebziger Jahre weiter vorangetrieben worden war und auch jetzt noch weiter vorangetrieben werden sollte. Denn gerade jetzt, wo eigentlich hätte klar sein müssen, daß ein genauerer kontrollierender Blick nötig war, wischte Vietor die Einwände der Arbeitnehmervertreter brüsk beiseite. Er verbürge sich dafür, daß er die Risiken aus den Geschäften der NHI im Griff habe – und wer an seinem Wort zweifle, müsse zu anderen Maßnahmen greifen: „Wenn ihr dem Vorstand nicht traut“, ließ er den Aufsichtsrat wissen, „solltet ihr ihn rauswerfen!“543 538 Vgl. ARP-Sitzung 30.11.1978, handschr. Protokoll Cordua, StA HH, 622–2 Cordua 79, S. 4; Protokoll AR NHS, 5.7.1979, StA HH, 622–2 Cordua 30, S. 5 sowie Protokoll ARP NHH/NHS, 10.10.1979, StA HH, 622–2 Cordua 84, S. 6. 539 Vgl. Protokoll ARP NHH/NHS, 11.10.1978, StA HH, 622–2 Cordua 78, S. 5 u. S. 22 sowie Kapitalerhöhung bei der NHI, Vorlage zu TOP 8.5 ARP NHH/NHS, 11.10.1978, StA HH, 622–2 Cordua 78. 540 Protokoll ARP NHH/NHS, 11.10.1978, StA HH, 622–2 Cordua 78, S. 10. 541 Protokoll ARP NHH/NHS, 30.11.1978, StA HH, 622–2 Cordua 79, S. 11. 542 Vgl. ebd. sowie Gespräch mit den Anteilseignervertretern und Arbeitnehmervertretern, handschr. Protokoll Cordua, 17.12.1979, StA HH, 622–2 Cordua 31, S. 1 ff. u. S. 8. 543 Handschr. Marginalie Corduas, Protokoll ARP NHH/NHS, 30.11.1978, StA HH, 622–2 Cordua 79, S. 11.

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An solch drastische Maßnahmen war allerdings zu diesem Zeitpunkt nicht zu denken. Dafür gab es verschiedene Gründe. Vor allem gelang es Vietor sehr gut, den Eindruck zu erwecken, mit den in Frankreich getroffenen Maßnahmen seien die Probleme der NHI unter Kontrolle. Vielleicht glaubte er sogar selbst daran, denn aufgrund der mangelhaften Auslandsstatistik konnten weder er noch die Gewerkschaftsvorsitzenden im Aufsichtsrat auch nur annähernd einschätzen, wie hoch die Risiken tatsächlich waren.544 Erst mit der Umsetzung des neuen Auslandskonzepts änderte sich dies. Im Mai 1978 richtete der Vorstand eine „Koordinationsstelle Ausland“ ein, die unter anderem eine konsolidierte Gesamtbilanz für die NHI erstellen sollte.545 Deren Ergebnisse lagen aber am Jahresende noch nicht vor. Vietors Optimismus, daß die Risiken aus dem Auslandsgeschäft beseitigt seien, war also nicht überprüfbar. Für die gegenteilige Behauptung galt das allerdings ebenso. Deshalb kam an dieser Stelle noch ein weiterer Grund dafür zum Tragen, daß die Probleme in Frankreich nicht zu den Konsequenzen führten, die die Arbeitnehmervertreter forderten. Das war die unverbrüchliche Solidarität zwischen Vietor und den Vertretern der Anteilseigner. Sie war besonders daran zu erkennen, daß Vetter Corduas Kritik an Vietor empört zurückwiesen. Er beschwerte sich über die harten Anschuldigungen und verlangte eine Entschuldigung für das Wort von der „halsbrecherischen“ Auslandspolitik.546 Wäre es hierbei nur um die Form gegangen, wäre eine solche Reaktion vielleicht verständlich gewesen. Aber scheinbar hatten die Gewerkschaftsvorsitzenden die Hoffnung noch nicht aufgegeben, mit der NHI die internationale Arbeitersolidarität fördern zu können. Zumindest widersprach niemand, als Vietor „auf den Beschluß des Deutschen Gewerkschaftsbundes, wonach die NEUE HEIMAT-Gruppe im Ausland, insbesondere im Bereich der Entwicklungshilfe, tätig sein sollte“ verwies und erklärte, „aus diesem Grunde werde man sich nicht ohne weiteres beispielsweise aus dem Auslandswohnungsbau herauslösen können.“547 Diese Argumentation mußte allerdings angesichts der konkreten Unternehmenspolitik, die die NHI verfolgte, geradezu lächerlich anmuten, denn diese war seit Ende 1978 endgültig nur noch von mitunter sehr kurzfristigen Nützlichkeitserwägungen geprägt. Das galt etwa für Mexiko, wo die Austroplan zu diesem Zeitpunkt entgegen allen Konsolidierungsplänen versuchte, weitere Beteiligungen zu erwerben, um so eine temporäre Verbesserung der Rahmenbedingungen auszunutzen;548 oder auch für Frankreich, wo die NHI 1979 in die von der französischen Volksbankengruppe Credit Mutuel gegründete SODEREC einstieg, die vor allem im Kommunal- und Gewerbebau tätig war.549 Weil sich die Tätigkeitsbereiche von NHS und SODEREC weitgehend deckten, hoffte sie, durch diese Partnerschaft 544 Vgl. Kap. 5.3.2.2 dieser Arbeit. 545 Vgl. Koordinationsstelle Ausland, Vorlage zu TOP 2.3 ARP NHH/NHS, 11.10.1978, StA HH, 622–2 Cordua 78. 546 Vgl. Protokoll ARP NHH/NHS, 30.11.1978, StA HH, 622–2 Cordua 79, S. 12. 547 Protokoll ARP NHH/NHS, 11.10.1978, StA HH, 622–2 Cordua 78, S. 10. 548 Vgl. ebd. sowie Protokoll AR NHH/NHS, 30.11.1978, StA HH, 622–2 Cordua 28, S. 4. 549 Vgl. Beteiligung NHS, Vorlage zu TOP 4 ARP NHH/NHS, 5.7.1979, StA HH, 622–2 Cordua 83 sowie JB 1980/81, S. B 20.

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ihre Planungskapazitäten in Deutschland besser auslasten zu können. Das änderte allerdings nichts daran, daß die SODEREC, wie im Auslandsbericht vom November 1978 ausdrücklich vermerkt war, „als Neugründung auf einen voll besetzten Markt trifft, und dies in der Periode einer Rezession des öffentlichen Bausektors“.550 Worauf sich die von der NH öffentlich verbreitete Analyse stützte, nach der die Betätigung der SODEREC mit Optimismus zu sehen sei, blieb unklar – ebenso wie die Frage, welche entwicklungspolitischen Ziele die Gesellschaft in Frankreich wohl verfolgte.551 Die Ereignisse der kommenden Monate schienen allerdings Vietors ungebrochene Zuversicht zu bestätigen. Denn Mitte 1979 beruhigte sich die Lage ein wenig. Zwar hatten sich die angestrebten Engagements im Sudan, in Portugal und im Irak zu diesem Zeitpunkt zerschlagen, aber in Frankreich zog der Immobilienmarkt langsam an. Nachfrage sowie Preise waren im Aufschwung begriffen. Die eingeleiteten Konsolidierungsmaßnahmen schienen deshalb langfristig erfolgversprechend.552 Auch in Italien war eine leichte Besserung in Sicht; zumindest bestand hier die Aussicht, sich bald von den verlustreichen Geschäften trennen zu können. Die mexikanische Austroplan schrieb dank der mit Schmiergeldern erkauften Unterstützung des CTM wieder schwarze Zahlen; die Verschlechterung der Lage in Venezuela stand erst noch bevor; und auch in Brasilien zeichnete sich auf Vermittlung des IG-Metall-Vorsitzenden Loderer, der bei VW stellvertretender Aufsichtsratsvorsitzender war, eine mögliche Lösung für die Bebauung des Grundstückes in Taubaté ab. Nur in Kanada und in Österreich gab es weiterhin Verluste.553 Diese scheinbar positiven Entwicklungen waren allerdings, wie sich bald herausstellte, eher ein Irrlicht als ein Silberstreif am Horizont. Im Dezember 1979 waren sie hinfällig, denn in diesem Monat legte die „Koordinierungsstelle Ausland“ erstmals eine konsolidierte Gesamtbilanz für die Beteiligungen der NHI vor. Das Ergebnis schockierte den Aufsichtsrat.554 Zwar wußte dieser schon vorher, daß die Erträge aus den Beteiligungen und aus den Avalgebühren 1979 mit einem Minus von 3,6 Mio. DM negativ ausfallen würden. Aber für 1980 hatte ihm der Vorstand ursprünglich einen Überschuß von 4,8 Mio. DM vorgerechnet. Wenn – wie nun im Rahmen der Konsolidierung – die Verwaltungskosten der NHI-Zentrale auf die einzelnen Länder verrechnet wurden, sah das Ergebnis allerdings anders aus. Besonders die Gesellschaften in Italien und Frankreich schnitten bei dieser Rechnung sehr schlecht ab, weil die Kosten für die dort vorgenommenen Restrukturierungen vor allem auf das Konto der NHI-Zentrale gingen. Insgesamt lieferten die Beteiligungen bei Berücksichtigung der zentralen Verwaltungskosten deshalb 550 Schriftlicher Auslandsbericht, Vorlage zu ARP NHH/NHS 30.11.1978, StA HH, 622–2 Cordua 79, S. 13. 551 Zum Optimismus der NH vgl. JB 1979/80, S. B 25. 552 Vgl. Neue Heimat International, Länderberichte, Stand: Juni 1979, StA HH, 622–2 Cordua 297, S. 2 ff. 553 Vgl. ebd., o. S. Zur Person Loderers vgl. Klaus Kempter, Eugen Loderer und die IG Metall. Biografie eines Gewerkschafters, Filderstadt 2003. 554 Vgl. Gespräch mit den Anteilseignervertretern und Arbeitnehmervertretern, handschr. Protokoll Cordua, 17.12.1979, StA HH, 622–2 Cordua 31, passim.

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1979 einen negativen Deckungsbeitrag in Höhe von 8 Mio. DM.555 Zwar sollte sich auch dieses Ergebnis 1980 auf ein leichtes Plus von 66.000 DM verbessern; aber das war sehr viel weniger als ursprünglich angepeilt. Zudem machte die konsolidierte Gesamtbilanz deutlich, daß diese positive Prognose mit enormen Risiken behaftet war. Denn erstens waren nur aus zwei Ländern – Mexiko und Venezuela – positive Deckungsbeiträge zu erwarten, während für alle anderen Beteiligungen negative Ergebnisse in Aussicht standen.556 Ein Fehlschlag in einem dieser beiden Länder konnte also fatale Konsequenzen haben. Zweitens basierten die Beteiligungsergebnisse zum überwiegenden Teil auf außerordentlichen Erträgen, die aufgrund der Verschlechterung der weltwirtschaftlichen Rahmenbedingungen als besonders unkalkulierbar galten.557 Einige Auslandsgeschäfte hatten deshalb, wie ein interner Bericht rückblickend formulierte, nur mehr „spekulativen Charakter“.558 Und drittens war nun auch die drückende Last der Verwertungsrisiken aus den großen Grundstücksbeständen in Mexiko, Brasilien, Venezuela und Frankreich deutlich sichtbar: Die konsolidierte Bilanz der NHI wies bei Vermögenswerten in Gesamthöhe von 1,6 Mrd. DM im Umlaufvermögen Grundstückswerte von 403 Mio. DM aus, wovon alleine 112 bzw. 113 Mio. DM auf Frankreich und Mexiko entfielen. Hinzu kamen noch einmal 300 Mio. DM für unverkaufte Bauten.559 Die Beteiligungsgesellschaften der NHI saßen also auf Grundstücken und unverkauften Bauten im Wert von 700 Mio. DM, die zu über 90% fremdfinanziert und mit entsprechenden Zinszahlungen verknüpft waren, deren Verwertung aber äußerst schwierig war. Da die NHI bei diesen Gesellschaften weiterhin Haftungsverpflichtungen in Höhe von fast einer Mrd. DM trug, hatte sie insgesamt ein enormes Risiko zu schultern. Der Vorstand bezifferte es Anfang 1980 für die nächsten drei bis vier Jahre auf 112 bis 154 Mio. DM – notabene zusätzlich zu den etwa 120–130 Mio. DM, die er bereits in den vergangenen Jahren auf die Auslandsbeteiligungen hatte abschreiben müssen und zusätzlich zu den Risiken, die die NHS im Inland belasteten.560 Diese beliefen sich auf 58 bis 78 Mio. DM.561 Der entscheidende Punkt war, daß die NHI unter diesen Umständen die Existenz der angeschlagenen NHS bedrohte. Deshalb kündigte Iden als unmittelbare Konsequenz aus der neuen Risikoeinschätzung für das Ausland an, die NHS werde 1979 und voraussichtlich auch in den folgenden beiden Jahren keine Dividende ausschütten können.562

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Vgl. Tätigkeit der Neue Heimat International, 30.1.1981, StA HH, 622–2 Cordua 34, S. 14. Vgl. ebd. Vgl. ebd., S. 14. Neue Heimat. Gegenwärtige Lage und Perspektiven. Konsequenzen und Erfahrungen aus den Ereignissen 1982, 18.1.1983, in: Kunz 2003, S. 526–532, hier S. 531. 559 Vgl. Protokoll ARP NHH/NHS 19.12.1979, StA HH, 622–2 Cordua 85, S. 12 f. 560 Vgl. ARP-Sitzung 21.2.1980, handschr. Protokoll Cordua, StA HH, 622–2 Cordua 86, S. 4 u. S. 14. Vgl. auch die Angaben zu den Inlandsverlusten in: Protokoll ARP NHH/NHS, 3.5.1979, StA HH, 622–2 Cordua 82, S. 5 und zu den Gesamtverlusten der NHS in Protokoll ARP NHH/NHS, 30.11.1978, StA HH, 622–2 Cordua 79, S. 5, aus denen sich per Saldo ein Auslandsverlust von 127 Mio. DM ergibt. 561 Vgl. ARP-Sitzung 21.2.1980, handschr. Protokoll Cordua, StA HH, 622–2 Cordua 86, S. 4.

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Im Aufsichtsrat knallte es daraufhin gewaltig. Denn nachdem Vietor nur ein Jahr zuvor mit Nachdruck behauptet hatte, das Auslandsgeschäft unter Kontrolle zu haben, waren nicht mehr nur die Arbeitnehmervertreter, sondern auch einige Gewerkschaftsvorsitzende der Meinung, vom Vorstand hinters Licht geführt worden zu sein.563 Hätten nicht Vetter und Lappas wie gewohnt abgewiegelt, wären im Vorstand wohl Köpfe gerollt. Immerhin kam die Unternehmensgruppe nicht mehr darum herum, den mannigfaltigen Ankündigungen über einen Rückzug aus der Auslandstätigkeit endlich Taten folgen zu lassen. Iden versprach, daß nunmehr in Frankreich daran gedacht sei, „mittelfristig das Engagement zu halbieren. Auch für Italien, Luxemburg, die Schweiz und Kanada sei eine wesentliche Rückführung vorgesehen.“564 Diesmal widersprach Vietor nicht: Er hatte im September 1979 einen schweren Herzinfarkt erlitten und damit erst den Weg für eine nüchterne Situationsanalyse freigemacht.565 Es blieb seinem ewigen Konkurrenten Walter Hesselbach überlassen, das Sterbeglöcklein für die NHI zu läuten. „Wenngleich es möglicherweise im Ausland hier und da interessante Aufgaben gebe“, erklärte er im Februar 1980, „handele es sich bei der internationalen Tätigkeit im Grunde um ein Abwicklungsgeschäft.“566 Im Januar 1981 legte die NHI dann dem Aufsichtsrat ein Strategiepapier vor, das jene Leitlinien explizit machte, die de facto bereits seit Anfang 1980 verfolgt wurden. Die Beteiligungen in Italien, Luxemburg, der Schweiz und in Kanada sollten endgültig abgebaut, die übrigen verkleinert werden. Schwerpunkt der künftigen Tätigkeit mußten die Länder sein, in denen große „Altlasten“ in Form von Grundstückbeständen lagen: also vor allem Brasilien, Venezuela, Mexiko und Frankreich, aber auch Belgien und Österreich.567 In allen diesen Ländern strebte der Vorstand strukturelle Veränderungen an, deren Zusammenfassung sich wie ein positiv formuliertes Register jener Sünden ausnahm, die die NHI in den zurückliegenden Jahren begangen hatte: Die Eigenkapitalquote der betroffenen Gesellschaften sollte erhöht werden; hinsichtlich der verbleibenden Fremdverschuldung galt es nun als erstrebenswert, diese in der jeweiligen Landeswährung zu finanzieren; die Avalhaftung der NHS sollte reduziert und die Produktpalette diversifiziert werden; Vermietungsbestände, die in Krisenzeiten wenigstens einen Teil zur Verwaltungskostendeckung beitragen konnten, sollten aufgebaut werden, und schließlich sollten einige Geschäftsführer ausgetauscht und ein einheitliches Planungs- und Berichtswesen geschaffen werden, um so „zu einer strafferen Unternehmensziel-Vorgabe und damit zu einer strafferen Unternehmensführung zu kommen“.568 Alle diese Maßnahmen kamen sehr spät, 562 Vgl. Protokoll AR BGAG 13.12.1979, StA HH, 622–2 Cordua 307, S. 56 sowie Protokoll ARP NHH/NHS, 19.12.1979, StA HH, 622–2 Cordua 85, S. 12 f. 563 Vgl. Gespräch mit den Anteilseignervertretern und Arbeitnehmervertretern, handschr. Protokoll Cordua, 17.12.1979, StA HH, 622–2 Cordua 31, S. 11 ff. sowie AR-Sitzung 19.12.1979, handschr. Protokoll Corduas, StA HH, 622–2 Cordua 31, S. 2, wo Heinz Kluncker mit den Worten „arglistige Täuschung“ zitiert wird. 564 Protokoll ARP NHH/NHS, 19.12.1979, StA HH, 622–2 Cordua 85, S. 12. Vgl. auch Protokoll ARP NHS, 21.2.1980, StA HH, 622–2 Cordua 86, S. 4. 565 Vgl. Welt am Sonntag, 17.2.1980. 566 Protokoll ARP NHS, 21.2.1980, StA HH, 622–2 Cordua 86, S. 7. 567 Vgl. Tätigkeit der Neue Heimat International, 30.1.1981, StA HH, 622–2 Cordua 34, S. 16. 568 Ebd., S. 18.

6.2 Vom Hoffnungsträger zum Faß ohne Boden: Der Städtebau

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nachdem die NHI die NHS bereits weit über 100 Mio. DM gekostet hatte, und allen diesen Maßnahmen war eines gemeinsam: Ihre Umsetzung benötigte Zeit. Von Iden waren für den Umbau der Manera zwei Jahre als Frist genannt worden; für die Herauslösung der NHS aus der Avalhaftung wurden Anfang 1981 drei bis vier Jahre veranschlagt.569 Schon zu diesem Zeitpunkt war absehbar, daß der NHI diese Zeit nicht mehr vergönnt sein sollte. Denn die zweite Ölpreiskrise hatte nicht nur in Deutschland, sondern auch in vielen anderen Ländern zu äußerst ungünstigen Rahmenbedingungen für den Wohnungsbau geführt. Besonders in Frankreich, wo die linkskeynesianische Wirtschaftspolitik des neu gewählten Präsidenten François Mitterand die Krise noch verschärfte, erlebte der Immobilienmarkt in der zweiten Hälfte des Jahres 1981 „seinen schlimmsten Einbruch in der Nachkriegszeit“.570 Die Absatzzahlen der Manera blieben deshalb weit hinter den Planungen zurück, während gleichzeitig die Zinssätze in schwindelerregende Höhen stiegen: Bis zu 38% ihrer neu aufgenommenen Kreditbeträge mußte die Gesellschaft nunmehr für die Zahlung der Annuitäten einplanen. Die wirtschaftlichen Folgen für das ohnehin angeschlagene Unternehmen waren katastrophal. Ende 1981 wies die Manera, nachdem der Vorstand in seinen Kalkulationen zu Jahresbeginn noch von einem Gewinn von 10–12 Mio. FF. ausgegangen war, einen Verlust in Höhe von 8 Mio. FF aus, und die Prognosen für das Jahr 1982 fielen noch einmal deutlich schlechter aus.571 Auch in Brasilien, wo die Inflationsrate 1981 auf 95% stieg, traf die Ölpreiskrise die Tochtergesellschaft der NHI mit voller Härte. Bei VW do Brasil blieben in diesem Jahr 50.000 Autos auf den werkseigenen Parkplätzen stehen. Eine große Entlassungswelle folgte auf dem Fuße.572 An eine baldige Verwertung der NH-Grundstücke war nicht zu denken. Die Anchieta blieb deshalb 1981 beinahe beschäftigungslos. Aus bilanzrechtlichen Gründen konnte die Gesellschaft zudem – anders als in Mexiko – den Zinsaufwand für ihre unbebauten Grundstücke nicht aktivieren, so daß dieser das Ergebnis zusätzlich negativ belastete. Insgesamt erwirtschaftete die Anchieta einen Verlust von 29 Mio. DM.573 In anderen Ländern fielen die Ergebnisse zwar 1981 nicht ganz so gravierend aus, weil die ökonomischen Rahmenbedingungen dort – also beispielsweise in Mexiko und Venezuela – zu diesem Zeitpunkt noch recht stabil schienen.574 Aber da gleichzeitig mit den Krisenerscheinungen in Frankreich und Brasilien auch die Inlandsmärkte der NHS zusammenbrachen, reichten die Einbußen aus diesen beiden Ländern aus, um die Unternehmensgruppe endgültig an den Rand des Ruins zu bringen. Im November 1981, als sich das ganze Ausmaß der Auslandsverluste abzuzeichnen begann, ließ sich ein Konkurs nur noch durch eine erneute Kapitalspritze vermeiden. Mit Beträgen von 20 oder 60 Mio. DM, mit denen die NHS in 569 Vgl. ebd., S. 17 und Protokoll ARP NHH/NHS, 10.10.1979, StA HH, 622–2 Cordua 84, S. 6. 570 Länderbericht NHI, 16.6.1982, StA HH, 622–2 Cordua 305, S. 1. 571 Vgl. ebd. und Tätigkeit der Neue Heimat International, 30.1.1981, StA HH, 622–2 Cordua 34, S. 1. 572 Vgl. ebd., handschr. Anmerkung Corduas, S. 5 (Rückseite) sowie Länderbericht NHI, 16.6.1982, StA HH, 622–2 Cordua 305, S. 54. 573 Vgl. ebd., S. 55. 574 Vgl. James 1997, S. 188.

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6. Krise vor dem Fall

der zweiten Hälfte der siebziger Jahre gestützt worden war, war diesmal freilich kein Staat mehr zu machen: Nach der Schätzung des Vorstands benötigten die Städtebaugesellschaften etwa 220 Mio. DM, um die aufgelaufenen Verluste und die verbleibenden Risiken aus den übergroßen Grundstücksbeständen kompensieren zu können. Das war ein Betrag, der selbst die BGAG vor große Schwierigkeiten stellte. Schließlich wurde das Problem so gelöst, daß die Gewerkschaften der BGAG ein Darlehen gaben, aus dem diese dann der NHS einen einmaligen Zuschuß in Höhe von 100 Mio. DM und eine zu 200% einzuzahlende Kapitalerhöhung von 60 Mio. DM gewährte.575 Damit hatte die BGAG einen Konkurs der NHS zunächst einmal vermieden. Aber sollten sich die Verantwortlichen die Illusion gemacht haben, die Unternehmensgruppe sei damit saniert, so währte diese nicht lange. Denn einige der im Ausland bestehenden Risiken waren schlichtweg unkalkulierbar. Dies bekam die NH nur wenige Wochen, nachdem die Kapitalerhöhung unter Dach und Fach gebracht worden war, zu spüren. Denn mit dem nunmehr einsetzenden Verfall der Ölpreise entwickelte sich die Konjunktur seit Anfang 1982 auch in denjenigen Ländern rückläufig, in denen sie auf der Grundlage von Erdölexporten bis dahin noch getragen hatte. Das betraf genau die beiden Länder, in denen die NHI zuletzt noch positive Deckungsbeiträge erwirtschaftet hatte: Mexiko und Venezuela.576 Die Promotora Venezolana wurde nun ein Opfer ihrer großen Grundstücksvorräte. Die NHI bezifferte die Risiken aus diesem Bestand Ende 1982 auf 49,9 Mio. DM.577 Ähnlich entwickelte sich die Lage in Mexiko. Hier war es die Fremdwährungsverschuldung, die der Austroplan den Garaus machte. Selbst nach den schlechten Erfahrungen von 1976 hatte die NHI auf eine Umschuldung der Fremdwährungskredite verzichtet, denn die Geschäftsführung war fest davon ausgegangen, daß eine solch radikaler Währungsschnitt wie in diesem Jahr nicht noch einmal vorkommen würde. Diese Einschätzung war aus der Sicht von 1976/77 realistisch, und sie wurde von fast allen Experten geteilt. Falsch war sie aber trotzdem. Als der mexikanische Boom zusammenbrach, wurde der Peso Mitte Februar 1982 nochmals massiv abgewertet – um etwa 70%.578 Die Austroplan stand vor einem Scherbenhaufen. Alleine für die Verluste aus dem Währungsschnitt mußte ihr die NHI 25 Mio. DM zukommen lassen. Die Verwertungsrisiken aus dem weiterhin bestehenden Grundstücksvermögen beliefen sich auf weitere 20 Mio. DM.579 Und wenige Wochen nach der Abwertung des Peso geriet auch Brasilien in den Strudel der lateinamerikanischen Schuldenkrise. Die ohnehin hoch defizitäre Anchieta belastete das Ergebnis der NHI zum Jahresende 1982 mit weiteren 54 Mio. DM.580 575 Vgl. Protokoll AR BGAG, o. D. [Dezember 1981], StA HH, 622–2 Cordua 307, S. 76 f. 576 Vgl. James 1997, S. 188. 577 Vgl. Deutsche Baurevision Wirtschaftsprüfungsgesellschaft, Bericht über die Prüfung des Konzernabschlusses zum 31.12.1982 der NEUE HEIMAT STÄDTEBAU, 14.10.1983, StA HH, 622–2 Cordua 115, Anhang, S. E 12. 578 Vgl. Mexiko-Bericht, März 1982, StA HH, 622–2 Cordua 304, S. 17. 579 Vgl. Deutsche Baurevision Wirtschaftsprüfungsgesellschaft, Bericht über die Prüfung des Konzernabschlusses zum 31.12.1982 der NEUE HEIMAT STÄDTEBAU, 14.10.1983, StA HH, 622–2 Cordua 115, Anhang, S. E 12. 580 Vgl. ebd.

6.2 Vom Hoffnungsträger zum Faß ohneder Boden: 6.3 Die Delegitimation NH Der Städtebau

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Die Auslandsgesellschaften hatten sich zu einem Faß ohne Boden entwickelt. Alleine 1982 mußte die NHS zusätzlich zu den bereits im Vorjahr geleisteten Zahlungen weitere 250 Mio. DM in sie investieren, um ihre Verluste abzudecken. Ein Ende dieser Abwärtsspirale war aufgrund der Risiken aus den nur schwer abzubauenden Grundstücksvorräten nicht abzusehen.581 Die NHI, die NHS und mit ihnen auch die NHG standen erneut unmittelbar vor dem Konkurs.

6.3 DIE DELEGITIMATION DER NH 6.3.1 Die NH in der öffentlichen Meinung 6.3.1.1 Der „Bremer Baulandskandal“ und die Debatte über die „Verfilzung“ Die unternehmerische Pleite, die sich seit Ende der siebziger Jahre abzeichnete, war allerdings nur ein Element, das zu Krise und Fall der Unternehmensgruppe beitrug. Wäre es dabei geblieben, hätten die Gewerkschaften wohl viel Geld, aber kaum ihren guten Ruf verloren. Denn es war nicht die wirtschaftliche Lage der NH, die gemeint war, als der SPIEGEL im Februar 1982 jenen Skandal lostrat, der später in den Verkauf und in die Zerschlagung der Unternehmensgruppe mündete. Gemeint waren vielmehr die privaten Nebengeschäfte, mit denen sich der Vorstand auf Kosten des Unternehmens bereichert hatte.582 Doch diese Enthüllungen, so bedeutsam sie aufgrund der ihnen folgenden Entlassung des Vorstands auch waren, kamen nicht aus heiterem Himmel. Sie waren vielmehr der Schlußpunkt unter einem schleichenden Prozeß der Delegitimation, der die Unternehmensgruppe seit Anfang der siebziger Jahre erfaßt hatte und der im folgenden Abschnitt nachgezeichnet wird. 1969 – in eben dem Jahr, in dem die Unternehmensgruppe mit der Gründung der NHS einen organisatorischen „Befreiungsschlag“ erzielte – beherrschte ein Vorgang die Schlagzeilen um die NH, der zum Fanal für diese Entwicklung geriet: Der „Bremer Bauland-Skandal“.583 Die zentrale Figur dieses Skandals war Richard Boljahn, die „graue Eminenz“ der Bremer Politik. Schon bei der Verabschiedung des Bremer Wohnungsbaugesetzes von 1956 und beim Bau der Neuen Vahr hatte er eine tragende Rolle gespielt.584 Im April 1966 schlug er der Bremer NH-Tochter Gewoba ein Bauprojekt vor, das ganz im Sinne der zeitgenössischen Wachstumserwartungen und des Trends zur urbanen Verdichtung konzipiert war. Im Norden Bremens, im sogenannten Hollerland, sollte in unmittelbarer Nähe zur noch zu bauenden Universität eine Großstadt mit 15.000 Wohnungen, einem großen Einkaufszentrum, einem Baggersee, einem Sportzentrum und einem Industriegebiet entstehen. Die Konzep581 Vgl. ebd. 582 Vgl. Kap. 6.4 dieser Arbeit. 583 Zusammenfassend zum Bremer Baulandskandal vgl. Scheiner/Schmidt S. 36 ff.; Gustav Adolf Salander, Bremen im Wandel von sechs Jahrzehnten, Bremen 1977, S. 217 ff.; Wallenhorst 1993, S. 283 ff. sowie Mehnert 1997, S. 62 ff. 584 Vgl. Kap. 3.2.1.5 dieser Arbeit. Zur Person Boljahn vgl. die Angaben in Kap. 3.1.3.3 dieser Arbeit.

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6. Krise vor dem Fall

tion dieser „Superstadt“585 zielte darauf ab, den „Name[n] Bremens (...) um die Welt gehen“586 zu lassen. Als sich die Gewoba im Sommer 1967 entschloß, mit diesem Plan an die Öffentlichkeit zu gehen, zeichnete sich zunächst eine breite Zustimmung für das Vorhaben ab. Bremen galt nach wie vor als eines der wichtigsten Wachstumszentren der Bundesrepublik; die Stadtväter rechneten für das Jahr 2000 mit einer Einwohnerzahl von über einer dreiviertel Million.587 Die Vorschläge der Gewoba stießen daher auf offene Ohren und ließen alles andere erwarten als einen politischen Skandal, der den Ruf der NH ruinieren konnte. Auch die Tatsache, daß zum gleichen Zeitpunkt im Hollerland große landwirtschaftliche Flächen aufgekauft wurden, änderte daran nichts. Denn diese Käufe gingen nicht auf das Konto der NH, sondern auf das der halbstaatlichen „Grundstücksgesellschaft Weser“. Diese war allerdings mit der Unternehmensgruppe eng verbunden: Ihr Aufsichtsratsvorsitzender war niemand anderes als der Aufsichtsratsvorsitzende der Bremer Gewoba, Richard Boljahn.588 Die „Weser“ beauftragte einen Makler mit dem Ankauf der Grundstücke in ihrem Namen: Willi Lohmann, einen engen Freund Boljahns, der der Gesellschaft knapp 100 ha Agrarland vermittelte. Allerdings war die Finanzkraft der „Weser“ bald erschöpft. Auf den Rat Boljahns hin kaufte Lohmann nun weitere 130 Hektar Land auf eigene Rechnung. Das war eine Investition, die nur auf Insiderwissen beruhen konnte, denn der Bremer Senat war zu diesem Zeitpunkt noch weit davon entfernt, die Bebauung des Hollerlandes zu beschließen. Tatsächlich war Boljahns Rat an Lohmann nur so zu verstehen, daß der mächtige SPD-Fraktionsvorsitzende in Übereinstimmung mit seiner Gewohnheit, „Entscheidungen zu treffen und erst danach die eigentlich betroffenen Gremien zu Rate zu ziehen“,589 für sich bereits beschlossen hatte, das Projekt durchzuführen, ohne in der Bürgerschaft noch lange nachzufragen. Dieser Eindruck wurde dadurch noch erhärtet, daß sowohl die „Weser“ als auch Lohmann ihre Grundstücke nur wenige Wochen nach dem Erwerb weiterverkauften – und zwar an die NH. Das brachte die Opposition in der Bremer Bürgerschaft auf die Palme, denn damit, so lautete ihr Argument, hätten die „politischen Vertreter der Hansestadt dazu beigetragen, daß die Planungshoheit von Bürgerschaft und Senat eingeschränkt wird.“590 Schließlich, so die zugrunde liegende Annahme, präjudizierte der Grundstücksbesitz der NH auch eine spätere Auftragsvergabe. Tatsächlich lagen die Oppositionsparteien mit dieser Auffassung völlig richtig, denn Boljahn und Bausenator Blase hatten der NH bewußt vor der offiziellen Entscheidungsfindung signalisiert, daß sie das geplante Projekt würde durchführen können, um ihr auf diese Weise einen möglichst günstigen Erwerb der Grundstücksflächen zu ermöglichen – im Interesse des sozialen Wohnungsbaus und um der Stadt die Steuergelder für den Grundstückskauf zu sparen.591 Diese Vorgehensweise ähnelte dem Verfahren, das auch auf der Mannheimer Vogelstang zur 585 586 587 588 589 590

Weser-Kurier, 11.9.1967, zit. nach Wallenhorst 1993, S. 283. Bremer Bürgerzeitung, 26.8.1967, zit. nach ebd., S. 285. Vgl. ebd., S. 287. Vgl. ebd., S. 285. Ebd., S. 286. So der Fraktionsvorsitzende der FDP in der Bürgerschaft, zit. nach Scheiner/Schmidt 1974, S. 37.

6.3 Die Delegitimation der NH

569

Anwendung gekommen war und dort recht erfolgreich eine Explosion der Grundstückspreise verhindert hatte. In einem wichtigen Punkt unterschied sich die Situation in Bremen allerdings von diesem Präzedenzfall, denn hier war das „Insiderwissen“ nicht nur einem gemeinnützigen Bauunternehmen, sondern mit Lohmann auch einem privaten Makler zugeflossen – und zwar nicht auf der Grundlage freier Konkurrenz, sondern auf der Grundlage seiner persönlichen Bekanntschaft mit dem allmächtigen Richard Boljahn. Auch das wäre vielleicht in der Öffentlichkeit gar nicht zur Kenntnis genommen worden, wenn Lohmann nicht auch noch in eine Reihe anderer Grundstücksgeschäfte verwickelt gewesen wäre, bei denen die Einschaltung eines Maklers offensichtlich sinnlos war und nur dazu geführt hatte, daß die Stadt finanziell geschädigt worden war.592 Diese Vorfälle führten ihrerseits dazu, daß die Bürgerschaft einen Untersuchungsausschuß einsetzte. Dieser konnte Lohmanns Geschäfte zwar nie ganz klären, wirbelte dafür aber eine Menge Staub auf – schon allein deshalb, weil die Ausschußsitzungen live in Radio Bremen übertragen wurden. Dadurch wurde erstens die Vetternwirtschaft zwischen Boljahn und Lohmann im Fall von Hollerland einer breiteren Öffentlichkeit bekannt. Zweitens rückte die zentrale Rolle Boljahns verstärkt ins öffentliche Bewußtsein. Offenbar handelte es sich hier um einen Mann, dessen Machtfülle so groß war, daß er beinahe im Alleingang über ein solch bedeutsames Projekt wie die Hollerstadt entscheiden konnte.593 Und drittens fand der Untersuchungsausschuß auch heraus, daß Boljahn seine Machtposition womöglich gar nicht für sich, sondern für einen Dritten genutzt hatte – für die NH. Denn Boljahn war nicht nur Aufsichtsratsvorsitzender der Gewoba; das war allgemein bekannt und galt nicht als kompromittierend, weil er für dieses Ehrenamt nur eine symbolische Entschädigung erhielt. Aber im Zuge der Ermittlungen des Untersuchungsausschusses kam ans Licht, daß Boljahn via Beratervertrag auch auf der Gehaltsliste der NH Hamburg stand. Und hierfür bezog er ein fürstliches Entgelt: 4.000 DM pro Monat plus 300 DM Spesen.594 Der staatliche Auftraggeber des Hollerland-Projekts war also ein Angestellter des privaten Auftragnehmers – eine Konstellation, die große öffentliche Empörung über den „Filz“ der regierenden SPD hervorrief. Das ging so weit, daß die Sozialdemokraten bei den anstehenden Wahlen um ihre Mehrheit fürchten mußten. Bausenator Blase trat zurück; Boljahn mußte ein Parteiordnungsverfahren über sich ergehen lassen. Er verlor sämtliche Führungspositionen bei SPD und DGB.595 Schlimmer als der Verlust ihres Kontaktmannes waren für die NH aber die Konsequenzen ihrer eigenen Arroganz. Vietor hatte vor dem Untersuchungsausschuß den starken Mann gespielt und die Frage, ob Boljahn in einem Dienstverhältnis zur NHH stehe, mit der Aussage beantwortet, die Personalpolitik der Un591 Vgl. ebd., S. 38; Wallenhorst 1993, S. 285 sowie die Aussage des späteren Bremer Bausenators Meyer in: Kunz 2003, S. 77. 592 Vgl. FAZ, 3.7.1969 sowie Bremische Bürgerschaft (Hg.), Bericht des parlamentarischen Untersuchungsausschusses zur Prüfung der in der Öffentlichkeit beanstandeten Grundstücksgeschäfte in Bremen vom 6. August 1970, Drucksache 7/III.37, Bremen 1970, S. 9 ff. 593 Vgl. FAZ, 22.9.1970. 594 Vgl. Scheiner/Schmidt 1974, S. 39 sowie Bremische Bürgerschaft 1970, S. 93 f. 595 Vgl. Sommer 1998, S. 196 f.

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6. Krise vor dem Fall

ternehmensgruppe gehe den Ausschuß nichts an.596 Und zusätzlich ließ er öffentlich verlauten: „Sozialpolitiker wie der ehemalige Bremer SPD-Fraktionsvorsitzende Boljahn sind das soziale Gewissen der Neuen Heimat.“597 Das erregte bundesweite Aufmerksamkeit. Der Bremer SPD blieb, wollte sie den Effekt, den sie durch ihre Maßnahmen gegen Boljahn gerade erst erzielt hatte, nicht sogleich wieder zunichte machen, kaum etwas anderes übrig, als sich nachdrücklich von Vietor zu distanzieren. Das Projekt Hollerstadt wurde auf Eis gelegt, und in den folgenden Jahren blieben der Unternehmensgruppe die direkten Kanäle zur politischen Führung des Stadtstaates verschlossen.598 Die NH mußte deshalb den wirtschaftlichen Schaden aus den nunmehr wertlosen Grundstücken im Hollerland und aus dem faktischen Ausschluß von weiteren Großbauvorhaben verkraften. Hinzu kamen die negativen Folgen für das Bild der Gesellschaft in der Öffentlichkeit. Durch die „Verfilzung“ in Bremen hatte die NH auf diese Seite ihrer Unternehmenspolitik aufmerksam gemacht – und weitere Angriffsflächen dieser Art bot sie zur Genüge. Nach kleineren Auseinandersetzungen über die Frage der Auftragsvergabe für den Niedersächsischen Hochschulausbau 1971 sowie für die Hamburger Projekte Mümmelmannsberg und Allermöhe-Ost 1973 sorgte 1975 erneut der Bremer Zweig der Gruppe für großes Aufsehen.599 Diesmal ging es um eine in Bremerhaven errichtete Müllverbrennungsanlage.600 Ähnlich wie im Falle des „Bauland-Skandals“ waren auch hier Auftraggeber und Auftragnehmer nur schwer auseinanderzuhalten, denn der Geschäftsführer der Bremerhavener Tochtergesellschaft der NH war gleichzeitig auch der Vorsitzende der SPD-Fraktion in der Stadtverordnetenversammlung. Hinzu kam noch, daß die Anlage für die kleine Stadt an der Wesermündung viel zu groß geraten war. Die mangelhafte Rentabilität stürzte die Kommune in eine Schuldenkrise. Wieder gab es einen Untersuchungsausschuß; wieder standen die Geschäftspraktiken der Unternehmensgruppe im Rampenlicht.601 Auch in Berlin rückte die NH in der zweiten Hälfte der siebziger Jahre ins Zentrum der öffentlichen Aufmerksamkeit. Hier war es besonders der Fall des Internationalen Congress-Centrums, der für Furore sorgte. Dieses spektakuläre Bauprojekt verschlang bis zu seiner Fertigstellung 1979 nicht weniger als eine Mrd. DM, obwohl die Unternehmensgruppe die Kosten ursprünglich mit nur knapp 300 Mio. DM veranschlagt hatte.602 Allerdings war diese Steigerung nicht allein auf die NH zurückzuführen; ähnlich wie beim Hochschulausbau in Niedersachsen waren es vor allem die sich laufend verändernden Vorgaben des Landes sowie die allgemeinen Baupreissteigerungen, die die zusätzlichen Ausgaben verursachten. 596 597 598 599

Vgl. Mehnert 1997, S. 63. Zit. nach FAZ, 3.3.1970. Vgl. Mehnert 1997, S. 65. Zu Niedersachsen vgl. FAZ, 19.5.1971; zu Mümmelmannsberg vgl. Schifferer 1988, S. 37; zu Allermöhe vgl. Scheiner/Schmidt 1974, S. 40 ff. 600 Zu diesem Objekt vgl. Wallenhorst, S. 318. 601 Vgl. Bremische Bürgerschaft (Hg.), Bericht des parlamentarischen Untersuchungsausschusses Müllbeseitigungsanlage Bremerhaven, Drucksache 9/949, Bremen 1978, passim; Mehnert 1997, S. 69 f. sowie Zur Lage: Was ist wirklich dran an der „Müllaffäre“?, NHM 1976,9, S. 39–40. 602 Vgl. DIE ZEIT, 4.2.1977.

6.3 Die Delegitimation der NH

571

Aber in der öffentlichen Diskussion ergab sich ein anderes Bild: Die Berliner Tagespresse beschuldigte die Unternehmensgruppe der mangelnden Transparenz und warf ihr vor, mit ihren Preis-Nachforderungen das Abgeordnetenhaus zu erpressen.603 Den Hintergrund hierfür bildete eine Frage, die ganz an den Anfang des Projektes zurück verwies: die Frage, wie die Unternehmensgruppe überhaupt an den Auftrag für das ICC gelangt war. Während vier Konkurrenzunternehmen, die sich ebenfalls um die Trägerschaft beworben hatten, „kofferweise detaillierte Massenberechnungen“ angestellt hatten, hatte sich die NH „mit einem einfachen Schreiben von wenigen Seiten“604 begnügt. Das nährte den Verdacht, daß es bei der Vergabe des Auftrags für das teuerste Bauprojekt in der Geschichte der Stadt nicht mit rechten Dingen zugegangen war und die NH vor allem von ihren politischen Verbindungen zum SPD-geführten Berliner Senat profitiert hatte. Obwohl das nur schwer nachweisbar war, beschädigte der Vorgang das öffentliche Ansehen der NH in der Stadt massiv.605 Daß die NH Berlin in der Folgezeit versuchte, ihr Image durch die Bestechung von Zeitungsjournalisten aufzubessern und ihre Geschäftsführer obendrein auch noch des Subventionsbetrugs angeklagt waren, trug nicht zu einer Verbesserung dieses Bildes bei.606 Den Höhepunkt der Debatte über den „Filz“ und die dubiosen Geschäftspraktiken der NH bildeten aber zweifellos die Auseinandersetzungen um das Klinikum in Aachen. Die Vielzahl der Mißstände auf der dortigen Baustelle, die auch hier umstrittene Frage der Auftragsvergabe und nicht zuletzt die Arbeit des vom nordrhein-westfälischen Landtag eingesetzten Untersuchungsausschusses generierten ein Maß an öffentlicher Aufmerksamkeit, das die Berliner Auseinandersetzungen noch in den Schatten stellte.607 Allenfalls konnte sich die NH damit trösten, daß sie hier nicht allein im Rampenlicht stand; auch die Landesregierung und besonders der zwischenzeitlich zum Ministerpräsidenten aufgerückte vormalige Wissenschaftsminister Johannes Rau wurden durch die Ende 1979 veröffentlichten Ergebnisse des Untersuchungsausschusses schwer belastet.608 Diese Vorfälle hielten die Unternehmensgruppe wochenlang in den Schlagzeilen und trugen damit zur Erosion ihrer Legitimationsbasis bei. Dennoch ist es leicht, die Relevanz dieser öffentlichen Auseinandersetzungen zu überschätzen.609

603 Vgl. dazu die Sammlung von Ausschnitten aus Berliner Zeitungen sowie die zugehörige Erklärung der NH in StA HH, 622–2 Cordua 30, datiert 28./29.6.1979. 604 DIE ZEIT, 4.2.1977. 605 Vgl. Mehnert 1997, S. 70. 606 Ihr Bestechungskonzept ließ die NH Berlin von dem später in der Barschel-Affäre zu trauriger Berühmtheit gelangten Reiner Pfeiffer ausarbeiten, vgl. Sepp Ebelseder, Angeklagt: Die Neue Heimat, STERN 33.1980,11, S. 18–25 u. S. 296–297, hier S. 296 f. sowie Mehnert 1997, S. 76 f. Zur Anklage wegen des Subventionsbetrugs vgl. Vietor und die „sogenannten reichen Leute“, SPIEGEL 36.1982,7, S. 98–104, hier v. a. S. 101 ff. 607 Vgl. neben dem Bericht des Untersuchungsausschusses auch FAZ, 14.10.1976; FAZ, 8.12.1976; FAZ, 20.1.1977; FAZ, 28.7.1979 sowie FAZ 23.11.1979. Das Medienecho auf die Mißstände im Fall Aachen war so groß, daß die NH im Zusammenhang damit von einer „Pressekampagne“, sprach, Protokoll AA NHH/NHS, 27.4.1977, StA HH, 622–2 Cordua 157, S. 8. 608 Vgl. FAZ, 23.11.1979. 609 So z. B. bei Mehnert 1997, S. 57 ff.

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6. Krise vor dem Fall

Dies gilt nicht nur für den Fall Aachen, sondern für die „Verfilzungsdebatte“ insgesamt. Schließlich war diese keine Erfindung der siebziger Jahre, sondern nur eine Variante der schon zuvor weit verbreiteten Angriffe auf die „Gewerkschaften als Unternehmer“. Und in diesen Fällen war es der Kritik selten gelungen, die Legitimität des Unternehmen grundsätzlich in Frage zu stellen, vor allem deshalb, weil sie häufig sehr durchsichtige politische Zielsetzungen verfolgt hatte.610 Es gibt Grund zu der Annahme, daß die in den siebziger Jahren erhobenen Vorwürfe ähnlich wirkungslos geblieben wären, wenn in diesem Zeitraum nicht noch andere Aspekte der Arbeit der NH in der Kritik gestanden hätten. Denn auch die Vorwürfe der „Verfilzung“ konnten kaum als unparteiisch gelten. Gerade hinsichtlich des für die NH besonders bedeutsamen innergewerkschaftlichen Meinungsbildes ließen sie sich leicht als eine Form der Kritik darstellen, die nicht primär auf die Unternehmensgruppe, sondern vor allen Dingen auf die Gewerkschaften abzielte.611 Und zudem war es durchaus plausibel, viele der skandalträchtigen Probleme etwa beim Bau des Klinikums in Aachen oder des ICC, aber auch in anderen Fällen, als Verfahrensfehler abzutun. Wer baute, so argumentierte die NH, dem konnten Fehler passieren; wer viel baute, dem konnten eben viele Fehler passieren. Das blieb bis weit in die siebziger Jahre hinein eine Binsenweisheit, mit der die Unternehmensgruppe die Kritik an ihrem Geschäftsgebaren zumindest abzumildern vermochte.612 Für sich genommen konnten die Vorwürfe der „Verfilzung“ deshalb das Bild der NH in der Öffentlichkeit zwar ankratzen, aber nicht nachhaltig beschädigen. 6.3.1.2 Der sozialpolitische Anspruch der NH in der Kritik Ein sehr viel größeres Problem bildete in dieser Hinsicht der offensiv vertretene sozialpolitische Anspruch der Unternehmensgruppe. Das hing damit zusammen, daß die Gewerkschaftsspitzen Anfang der siebziger Jahre als Reaktion auf die im Zusammenhang mit der „Verfilzungsdebatte“ geäußerten Vorwürfe dazu übergingen, die Mitte der sechziger Jahre entwickelte Konzeption der gemeinwirtschaftlichen Unternehmen noch stärker zu propagieren als zuvor.613 Vetter setzte zu diesem Zweck 1971 eine gemeinsame Kommission aus leitenden Angestellten der Unternehmen und aus den Stäben der Gewerkschaften ein.614 Im Mai 1972 legte diese dem Bundesvorstand das bereits erwähnte Papier mit dem Titel „Ziele und Funktionen der gemeinwirtschaftlichen Unternehmen“ vor, das die programmatische Grundlage für die unternehmerische Betätigung der Gewerkschaften in den siebziger Jahren bilden sollte.

610 611 612 613

Vgl. Kap. 4.3.2.1 dieser Arbeit. So z. B. Vietor 1978, S. 41 f. Vgl. ebd., S. 50. Zu dieser Strategie vgl. Protokoll AA NHH/NHS, 17.5.1973, DGBA-BV, Abt. Finanzen, 24/478, S. 6. 614 Vgl. Protokoll Klausurtagung BV, 3.2.1971 [Entwurf], DGBA-BV, Abt. Vorsitzender, 5/DGAI 469, S. 1.

6.3 Die Delegitimation der NH

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Es beinhaltete zum einen die schon in anderem Zusammenhang erläuterten Überlegungen zur Ausgestaltung der innerbetrieblichen Ordnung. Zum anderen wurde den gemeinwirtschaftlichen Unternehmen mit diesem Programm aber auch aufgetragen, die gewerkschaftlichen Ziele einer gerechteren Einkommens- und Vermögensverteilung sowie eines optimalen wirtschaftlichen Wachstums „durch Einsatz unternehmensspezifischer Mittel“615 zu verfolgen und so zu beweisen, „daß eine an gemeinwirtschaftlichen Zielen orientierte Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung zwischen privatkapitalistischer Marktwirtschaft und sozialistischer Zentralverwaltungswirtschaft möglich ist.“616 Als zentrales Instrument zur Erreichung dieser Ziele stand dabei – ganz im Sinne Hesselbachs – der Einfluß der Unternehmen auf den marktwirtschaftlichen Wettbewerb im Vordergrund. Diesen sollten sie dadurch fördern, daß sie auf Märkten tätig wurden, „die durch vorhandene oder zu erwartende Wettbewerbsbeschränkungen gekennzeichnet“ waren und dort eine Angebotspolitik praktizierten, die „die übrigen Marktbeteiligten (...) zu einem am Verbrauchernutzen orientierten Verhalten“ zwang. Zudem wurden sie dazu angehalten, die Versorgung mit jenen Gütern zu sichern, „für die bei den Arbeitnehmern im Sinne sozial- und gesellschaftspolitischer Ziele ein besonderer Bedarf besteht und die nicht oder nicht ausreichend oder nur unter sozial unzumutbaren Bedingungen von den erwerbswirtschaftlichen Unternehmen angeboten werden“.617 Diese Festlegung auf die Funktion der Wettbewerbsregulierung traf sich auf wundersame Weise mit Vietors Expansionsbestrebungen. Schließlich ließ sie sich nur von Unternehmen erfüllen, die über eine starke Marktposition verfügten. Der Vorstandsvorsitzende zögerte deshalb keine Sekunde, den gewerkschaftlichen Auftrag aus dem Jahr 1972 als Rechtfertigung für seine Wachstumsziele heranzuziehen. „Wenn wir uns für eines entschuldigen müssen,“ so ließ er 1973 in einer gewerkschaftsinternen Diskussion verlauten, „dann ist es dies, daß die NEUE HEIMAT nicht noch größer ist als sie es ist, und daß die NEUE HEIMAT noch nicht alle Aufgaben, die ihr [die Gewerkschaften] uns gestellt habt, mit dem heutigen Instrumentarium zu erfüllen vermag.“618 Die programmatische Stellungnahme des DGB begünstigte also den ohnehin sehr selbstbewußten öffentlichen Auftritt der Unternehmensgruppe. Auch ein weiterer Aspekt, der allerdings weniger programmatischer als vielmehr persönlicher Natur war, wies in die gleiche Richtung: Das war Vietors ausgeprägter Hang zur Selbstdarstellung. Schon den fünfzigsten Geburtstag des Vorstandsvorsitzenden im Mai 1972 hatte die Unternehmensgruppe mit einem großen Empfang gefeiert, bei dem der Jubilar unter anderem mit dem Bundesverdienstkreuz ausgezeichnet worden war.619 Zur Eröffnung des Loew‘s Plaza-Hotels im Dezember desselben Jahres steigerte sich die NH noch einmal deutlich: Sie lud etwa 400 prominente Gäste und Journalisten zu einer prachtvollen Silvesterfeier, 615 Ziele und Funktionen der gemeinwirtschaftlichen Unternehmen, in: Leminsky/Otto 1974, S. 277–280, hier S. 277. 616 Ebd., S. 278. 617 Ebd., S. 279. 618 Protokoll BA, 5.9.1973, DGBA-BV, Sekretariat Martin Heiß, 5/DGCS 94, S. 5. 619 Vgl. Albert Vietor, o. O. [Hamburg], o. D. [1972], passim sowie Schulz 1987, S. 5 f.

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auf der nicht nur eine Menge teuren Champagners, sondern auch noch die KesslerZwillinge, der mit Vietor eng befreundete Peter Frankenfeld sowie ein großes Feuerwerk für Unterhaltung sorgten.620 Der ostentative Luxus dieser Veranstaltung bot der Presse eine Steilvorlage für kritische Berichte über die Unternehmensgruppe. Mitte Januar 1973 wartete der STERN mit einem Artikel auf, der nicht nur genüßlich die Details der verschwenderischen Party präsentierte, sondern die mit ihr verbundene Hoteleröffnung als Aufhänger nutzte, um die „unmäßige Bauwut“621 der NH zu kritisieren. Während die Unternehmensgruppe Luxushotels errichte und für „Onkel Albert“ – gemeint war Albert Vietor – ein internationales Reich schaffe, in dem „die Sonne nicht untergeht“,622 gärten, so wußte der Journalist Werner Norhaub zu berichten, in ihren Großsiedlungen die sozialen Probleme, die vor allem durch die nachlässige Instandhaltungspraxis der NH angeheizt würden. Daß hierin ein Widerspruch zu den sozialpolitischen Zielsetzungen der Gewerkschaften zu bestehen schien, sprach Norhaub zwar nicht offen aus; aber es war mit Händen zu greifen, daß dies seine Auffassung war.623 Eine ganze Reihe weiterer Blätter nahm sich des Themas nun an und hieb in die selbe Kerbe. Immer wieder ging es dabei um die rauschende Silvesterparty, um die Auslands- und Hotelprojekte der Unternehmensgruppe und um die luxuriösen Eigentumswohnungen, die die Bewobau in Hamburg errichtete. Sogar die ARD machte sich die Vorwürfe zu eigen und präsentierte sie im Juni 1974 einer breiten Öffentlichkeit.624 Allerdings gelang es der Unternehmensgruppe zunächst recht gut, sich gegen diese Vorwürfe zur Wehr zu setzen, denn der überwiegende Teil der Kritik bezog sich auf Aktivitäten, die der Vorstand problemlos als Randbereiche der Tätigkeit der NH darstellen konnte. Auf einer Pressekonferenz im Juli 1973 erklärte Vietor in diesem Sinne, daß die besonders stark in der Kritik stehende Betätigung im Auslandswohnungsbau und im Bau von Eigentumswohnungen der Luxusklasse nur einen geringen Teil der Geschäfte der Unternehmensgruppe ausmache, auf die man ebenso gut verzichten könne – und er versprach, daß die Bewobau ihre umstrittenen Geschäfte zukünftig unterlassen werde.625 Gleichzeitig hob er die 1972 neu formulierte sozialpolitische Aufgabenstellung der NH hervor und strich besonders das überragende Gewicht des sozialen Wohnungsbaus in der Tätigkeit der Unternehmensgruppe heraus.626 Tatsächlich war das nicht von der Hand zu weisen, denn 1973 waren nach wie vor etwa 81% der von der Unternehmensgruppe

620 Vgl. Werner Norhaub, In Onkel Alberts Reich geht die Sonne nicht unter, STERN 26.1973,3, S. 78–81, hier S. 79. 621 Ebd. 622 Ebd., S. 80. 623 Die FAZ gab sich weniger zurückhaltend: Ob die NH ihrem gewerkschaftlichen Auftrag, „‚beispielhaft‘ zu sein, voll nachkommt“, schrieb sie einige Wochen später, werde „immer häufiger bezweifelt“, FAZ, 30.6.1973. 624 Vgl. Scheiner/Schmidt 1974, S. 51. 625 Vgl. Pressekonferenz NH/NHS, Rede von Albert Vietor, 17.7.1973, DGBA-BV, Abt. Finanzen, 24/479, S. 6 f. 626 Vgl. ebd., S. 2 u. S. 5. Vgl. auch Protokoll BA 6.6.1973, DGBA-BV, Abt. Vorsitzender, 5/DGAI 445, S. 7.

6.3 Die Delegitimation der NH

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errichteten Einheiten Mietwohnungen.627 Auch taktisch war der Hinweis auf die große Bedeutung dieser Sparte ein geschickter Winkelzug. Denn selbst die vielen kritischen Berichte über die NH waren nicht umhin gekommen, die großen Leistungen hervorzuheben, die die Unternehmensgruppe auf diesem Gebiet erbracht hatte.628 Wenn Vietor also öffentlich erklärte, die Betätigung im Mietwohnungsbau sei ein klares Indiz dafür, daß die Unternehmensgruppe ihren sozialen Anspruch nicht nur vor sich hertrage, sondern ihn auch tatsächlich erfülle, so entbehrte dies nicht einer gewissen Plausibilität. Da zudem auch das Management in den meisten Veröffentlichungen als vorbildlich dargestellt wurde, hielten sich die Kritik und die positiven Einschätzungen vorläufig noch die Waage.629 Weder die Debatte über die „Verfilzung“ noch die gewerblichen Aktivitäten der NH konnten unter diesen Umständen ihre Legitimationsgrundlage ernsthaft in Frage stellen. Allerdings enthielt die Verteidigungsstrategie der Unternehmensgruppe und insbesondere das starke Gewicht, das der Vorstand auf den Wohnungsbau als Ausweis ihres sozialen Anspruchs legte, auch Gefahren. Denn angesichts des Umbruchs, in dem sich der Wohnungsmarkt befand, geriet diese Argumentationslinie schon nach kurzer Zeit an mehreren Fronten unter Druck. So hatte Vietor mit seiner starken Betonung der sozialen Bedeutung des Mietwohnungsbaus den Grundstein dafür gelegt, daß sich die Unternehmensgruppe seit Mitte der siebziger Jahre kritische Fragen hinsichtlich ihres verstärkten Engagements im Eigenheimbau gefallen lassen mußte. Dies war allerdings, wie bereits dargelegt, beinahe ausschließlich eine gewerkschaftsinterne Debatte.630 Bei der Bevölkerung waren Eigentumsmaßnahmen dagegen sehr populär, und so verwundert es nicht, daß sich die zunehmende Konzentration auf diese hinsichtlich des Bildes der NH in der veröffentlichten Meinung eher positiv als negativ auswirkte.631 Ein ähnliches Argument gilt auch für die Diskussion über den von der Unternehmensgruppe seit 1977 verfolgten Verkauf von Gebrauchtwohnungen. Zwar gab es hier neben dem Widerstand der Gewerkschaftsbasis auch Bedenken von Seiten der Berliner SPD sowie einiger Mieterinitiativen. Sie äußerten die Vermutung, daß es sich bei den Verkaufsaktionen um „Spekulationsgeschäfte mit Sozialwohnungen“632 handele. Aber auch hier half der NH die Tatsache, daß die Eigentumsbildung in den Medien und bei privaten Bauherren hoch im Kurs stand, dabei, ihrem Vorgehen einen gemeinnützigen Anstrich zu geben. Mit der Zusicherung, die Verkaufserlöse als Eigenkapital in den sozialen Mietwohnungsbau zu investieren, konnte sie zusätzlich punkten.633 Ganz anders verhielt es sich allerdings im Hinblick auf die Vermietungspolitik. Auch auf diese bezog sich ja der von Vietor vertretene soziale Anspruch; und gerade in diesem Bereich hatte sich in der öffentlichen Meinung „die stärkste mei-

627 628 629 630 631 632 633

Vgl. Anhang, Tabelle 1. Vgl. z. B. FAZ, 30.6.1973. Vgl. ebd. sowie Scheiner/Schmidt 1974, S. 53. Vgl. Kap. 6.1.1.3 dieser Arbeit. Vgl. DIE ZEIT, 16.3.1979. Ebd. Zur Berliner SPD vgl. Frankfurter Rundschau, 2.8.1980. Vgl. DIE ZEIT, 16.3.1979.

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nungsbildende Wirkung dieses Sozialanspruchs (...) niedergeschlagen.“634 Das galt in erster Linie für die Frage der Mietpreisbildung, denn verständlicherweise erwartete die überwiegende Mehrheit der Mieter von einer öffentlich geförderten Wohnung in erster Linie, daß sie günstiger war als eine Wohnung aus dem frei finanzierten Wohnungsbau. Genau dies war aber bei den seit 1974 gebauten Mietwohnungen nicht mehr der Fall: Die Kosten für ihre Errichtung waren so stark angestiegen, daß die gesetzlich erlaubten Kostenmieten zum Teil über den Marktmieten lagen. Hinzu kamen noch die steigenden Betriebskosten und die Mietpreissprünge aufgrund der degressiven Förderung. Diese Probleme betrafen nicht nur die NH; sie waren vielmehr das Ergebnis der staatlichen Förderungspolitik. Die Unternehmensgruppe versuchte deshalb in ihrer Öffentlichkeitsarbeit, die diesbezüglichen Vorwürfe mit dem Verweis auf die „höhere Gewalt“ des Staates abzuwehren. „Es gibt“, so erläuterte Vietor diese Strategie, „relativ wenig Angriffe, die auf einem Fehlverhalten von uns beruhen. In den meisten Fällen sind wir der falsche Adressat, ist eigentlich die staatliche Wohnungspolitik gemeint.“635 Dieser Schuß ging allerdings nach hinten los. Denn was die Unternehmensgruppe so angreifbar machte, war nicht allein das Faktum steigender Mieten, sondern vor allem die Tatsache, daß sie „jahrelang (...) eine Öffentlichkeitsarbeit praktiziert [hatte], die die soziale Verpflichtung global als Wesensmerkmal aller Aktivitäten der NH herausgestellt“636 und sich damit gegenüber anderen Unternehmen abgegrenzt hatte. In gewisser Hinsicht war diese Art der Selbstdarstellung konsequent, denn schließlich waren die Gemeinnützigen ursprünglich angetreten, um die Defekte der Wohnungspolitik mit unternehmerischen Mitteln zu beheben. Wenn dies nun angesichts der veränderten Marktbedingungen seit Mitte der siebziger Jahre nicht mehr möglich war,637 lag allerdings die Frage, ob die Wohnungsgemeinnützigkeit nicht ein Muster ohne Wert sei, durchaus nahe. Genau dies wurde der NH in dem Moment, in dem sie versuchte, sich hinter der Wohnungspolitik zu verstecken, vorgehalten. 1980 schrieb die Frankfurter Rundschau in diesem Sinne, daß zu fragen sei, worin „die Eigenverantwortlichkeit eines gemeinwirtschaftlichen Vorstellungen verpflichteten Unternehmens besteht, das soviel besser sein will als andere.“638 Und das war noch harmlos formuliert: Andere Zeitungen gingen gleich davon aus, daß „Privatfirmen ‚die bedarfsorientierte Wohnungsversorgung unter Einbeziehung unterer Einkommensgruppen‘ (so definiert der Brockhaus ‚Gemeinnützigkeit‘ im Wohnungsbau) heute oft billiger und besser organisieren“639 könnten als die NH. Sie verwiesen damit implizit darauf, daß der öffentliche Maßstab der Gemeinnützigkeit ein anderer war als die bloße Legaldefinition,

634 Überlegungen zum Selbstverständnis der NEUEN HEIMAT, StA HH, 622–2 Cordua 190, S. 2 (Hervorhebungen im Original unterstrichen). 635 Protokoll BA, 5.9.1973, DGBA-BV, Sekretariat Martin Heiß, 5/DGCS 94, S. 23 (Hervorhebung im Original). 636 Überlegungen zum Selbstverständnis der NEUEN HEIMAT, StA HH, 622–2 Cordua 190, S. 2 (Hervorhebungen im Original unterstrichen). 637 So die Diagnose in ebd., S. 11. 638 Frankfurter Rundschau, 2.8.1980. 639 DIE ZEIT, 4.2.1977.

6.3 Die Delegitimation der NH

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die das WGG anbot, und diesem öffentlichen Maßstab konnte die NH in ihren Augen in der zweiten Hälfte der siebziger Jahre nicht mehr gerecht werden. Zusätzliche Nahrung erhielt dieses Argument auch dadurch, daß Vietors Prämisse, nach der nur wenige Angriffe auf die NH auf einem Fehlverhalten der Unternehmensgruppe beruhten, schlechterdings falsch war. Es ist bereits ausführlich die Rede davon gewesen, daß die Organisationsstruktur der NH der wachsenden Bedeutung der Hausbewirtschaftung und des Kontaktes zwischen Mietern und Vermietern nicht gerecht zu werden vermochte. Dieses Problem wurde seit Mitte der siebziger Jahre noch dadurch überhöht, daß die Unternehmensgruppe angesichts ihrer sich zuspitzenden wirtschaftlichen Lage versuchte, bei der Baudurchführung an allen Ecken und Enden zu sparen.640 Ebenso wie die Folgen der rückläufigen Instandhaltungsausgaben ließ sich dies medial gut mit dem sozialen Anspruch der NH kontrastieren. So vergaß denn auch kaum einer der zahlreichen Zeitungsartikel über die Unternehmensgruppe in der zweiten Hälfte der siebziger Jahre „Mängel in der Bauausführung, (...) fehlende oder nicht abschließbare Eingangstüren, defekte Gemeinschaftsantennen, auslaufende Heizungen, falsch angeschlossene Steckdosen und Regenwasser in den Wohnräumen“641 zu beanstanden. Den Höhepunkt dieser Form der Kritik bildete eine Veröffentlichung des STERN aus dem Jahr 1980. Unter der Überschrift: „Angeklagt: Die Neue Heimat“ bündelte das Magazin eine Reihe von Vorwürfen, die sich in erster Linie um die schlechte Qualität des Mietwohnungsbaus und der Instandhaltung der Unternehmensgruppe drehten. Das war inhaltlich nicht neu; neu war die Art und Weise, wie der STERN diese Geschichte inszeniert hatte: Die Fotografen des Magazins hatten ihrem hervorragenden Ruf alle Ehre gemacht und den Artikel mit einer Reihe von Bildern versehen, die für enormes Aufsehen sorgten. Am einprägsamsten war ein Foto, das unter der Überschrift „Schöne Grüße von der Nassen Heimat“ zwei Rentner zeigte, die in ihrem Schlafzimmer auf dem Bett saßen – unter einer an der Decke befestigten Regenrinne. Die Bildunterschrift lautete: „671,86 Mark zahlen Hermann und Irene Otte für ihre 86-Quadratmeter-Wohnung in Hamburg-Mümmelmannsberg. Seit Herbst letzten Jahres tropfte Wasser durch das Dach direkt ins Bett. Als der beinamputierte Otte bei der ‚Neuen Heimat‘ protestierte, wurde ihm eine Regenrinne an die Decke im Schlafzimmer montiert. Jetzt tropft das Wasser in eine Plastikschüssel“.642 Diese unwürdige Behandlung eines Sozialmieters war zweifellos ein Einzelfall; aber so etwas durfte einem gewerkschaftseigenen Unternehmen einfach nicht passieren, und folglich richtete auch dieser Einzelfall für das Bild der Unternehmensgruppe in der Öffentlichkeit gewaltigen Schaden an.643 Noch weitaus gravierendere Folgen hatte in dieser Hinsicht allerdings der miserable Umgang der NH mit dem Problem der explodierenden Kostenmieten und Betriebskosten. An diesem Punkt entzündete sich eine Reihe von heftigen Auseinandersetzungen mit Mieterinitiativen, die in der zweiten Hälfte der siebziger Jahre 640 Vgl. Kap. 6.1.1.4 dieser Arbeit. 641 Schifferer 1988, S. 37. 642 Sepp Ebelseder, Angeklagt: Die Neue Heimat, STERN 33.1980,11, S. 18–25 u. S. 296–297, hier S. 19. Vgl. auch Fuhrich 1983, S. 161 sowie zur Entstehung und unternehmensinternen Wirkung des Artikels Mehnert 1997, S. 156 ff. 643 Vgl. ebd.

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regelmäßig vor den Gerichten der Bundesrepublik verhandelt wurden. Besonders der Prozeß, den die NH gegen eine Mieterinitiative in Bochum führte, stand dabei im Mittelpunkt der Presseberichterstattung. Der Hintergrund war, daß die NH Nordrhein-Westfalen bei einigen Wohnungen am Bochumer unicenter die Mieten im Mai 1976 auf einen Schlag um 18% erhöhen wollte. Sie hatte bei der Schlußabrechnung für dieses „integrierte Stadtteilzentrum“ festgestellt, daß die bei der Errichtung der Wohnungen angefallenen Kosten deutlich höher waren, als sie ursprünglich gegenüber dem Land Nordrhein-Westfalen als Subventionsgeber angegeben hatte.644 Schon das sorgte in der Presse für Aufregung, weil dahinter Methode vermutet wurde: „Nachschläge bei den Finanzierungskosten“, so schrieb die ZEIT im April 1977, „sind fast branchenüblich geworden. Wohnungsbaugesellschaften wie die Neue Heimat konkurrieren mit allzu knappen Kalkulationen um Zuschlag und Subventionen. Haben sie den Auftrag erst in der Tasche, können sie Kostensteigerungen gelassener hinnehmen als private Bauherren“645 – und zwar deshalb, so lautete die Begründung, weil sie aufgrund der Regularien der Kostenmiete sämtliche Kosten in die Mietberechnung einfließen lassen könnten, ohne dabei um die mittels Subventionen hergestellte Vermietbarkeit bangen zu müssen. Auf die Spitze getrieben wurden die Auseinandersetzungen über diese Frage aber erst deshalb, weil die Unternehmensgruppe ihren Mietern eine Mietänderungserklärung zusandte, die diesen völlig unverständlich war. Sie gründeten daraufhin eine Mieterinitiative, traten in einen Mietstreik – und wurden prompt von der NH auf die Zahlung der ausstehenden Mietbeträge verklagt. Das Echo hierauf war verheerend: Die ZEIT schimpfte, daß „Deutschlands größtem Vermieter (...) auch kleine Fälle willkommen [seien], wenn es darum geht, aufmüpfige Mieter mit rechtlichen Mitteln zur Räson zu bringen.“646 Erfolgreich war die Unternehmensgruppe mit dieser Linie allerdings nicht, denn die von ihr verschickten Mietänderungserklärungen waren so undurchsichtig, daß selbst der zuständige Sachbearbeiter der NH sie vor Gericht nicht erklären konnte (übrigens ein deutlicher Hinweis darauf, daß das Unternehmen nicht aus bösem Willen handelte, sondern mit der Verwaltung seiner Wohnungen schlicht überfordert war). Ihre Klage wurde abgewiesen.647 Doch damit nicht genug: Weil einige Bestandteile der Kostenberechnung nicht nur unverständlich, sondern offensichtlich falsch waren, wollte die Mieterinitiative beim Regierungspräsidenten in Düsseldorf den Antrag stellen, der NH die Gemeinnützigkeit abzuerkennen.648 Sie stützte ihre Überlegungen dabei auf § 19 des WGG, der sinngemäß besagte, daß ein Entzug der Gemeinnützigkeit dann möglich wäre, wenn „Tatsachen vorliegen, welche die Annahme rechtfertigen, daß ein dem satzungsgemäßen Zwecke oder den guten Sitten entsprechender Geschäftsbetrieb nicht stattfindet“.649 Diese Initiative verlief zwar im Sande, aber sie war dennoch bezeichnend für den Stand der öffentlichen Diskussion über die 644 645 646 647 648 649

Vgl. DIE ZEIT, 1.4.1977. Ebd. Ebd. Vgl. DIE ZEIT, 12.10.1979. Vgl. DIE ZEIT, 3.6.1977. Ebd. Vgl. auch Gesetz über die Gemeinnützigkeit im Wohnungswesen vom 29.2.1940, § 19, RGBl. I, S. 438–442, hier S. 440.

6.3 Die Delegitimation der NH

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Unternehmensgruppe in der zweiten Hälfte der siebziger Jahre. Denn was nun zur Debatte stand, waren nicht vereinzelte Fehlleistungen eines Großkonzerns, sondern der Verdacht, „daß der Konzern viel von Gemeinnützigkeit spricht, den Eigennutz dabei aber nicht aus den Augen verliert“650 – oder schlimmer noch: der Verdacht, daß die NH sich ihrer Gemeinnützigkeit als Deckmäntelchen bediente, um ihre kapitalistischen Ziele zu verfolgen, und gerade deshalb als eine besonders perfide Institution anzusehen sei.651 Die Grundlage für diese Kritik bildeten, wie gezeigt, die enger werdenden Verteilungsspielräume und die mangelnden organisatorischen Voraussetzungen der NH. Aber diese Schwierigkeiten erreichten ihre volle Negativwirkung erst vor dem Hintergrund der seit Ende der sechziger Jahre zu verzeichnenden verstärkten Betonung von Idealen wie Selbstständigkeit und Mitbestimmung. Der Hausjurist der NH Nordrhein-Westfalen brachte die Bedeutung des Themas auf den Punkt und wies gleichzeitig darauf hin, daß dieser Wertewandel aufs Engste mit der Entstehung neuer sozialer Gruppen einherging. „Früher“, so erklärte er 1980 gegenüber dem STERN, „habe die ‚Neue Heimat‘ Wohnungen für Arbeiter gebaut. ‚Die haben von ihrem [Mieter-]Recht nur selten Gebrauch gemacht, mit denen sind wir außergerichtlich fertig geworden.‘ Die neuen Mieter – Lehrer, Studenten, couragierte Hausfrauen, Beamte – fürchten sich vor dem Bauriesen nicht.“652 Zweifelsohne hatte dieser Umstand an der Zunahme der Proteste und Gerichtsverhandlungen gegen die NH in der zweiten Hälfte der siebziger Jahre einen gewichtigen Anteil. Seine Bedeutung ging über die Problematik des Umgangs mit den eigenen Mietern allerdings weit hinaus. Denn mit dem sozialen und kulturellen Wandel, der hier zutage trat, ging auch die Entstehung neuer Vorstellungen vom „guten Leben“ einher, die sich vielleicht am besten unter dem Stichwort der „Lebensqualität“ subsumieren lassen und die automatisch auch andere Vorstellungen davon mit sich brachten, was unter gemeinnütziger und gemeinwohlorientierter Unternehmenspolitik zu verstehen sei.653 Im Umgang mit diesen Vorstellungen erwies sich die NH als unfähig, weil sich ihre Führungsriege aus der Orientierung an quantitativen Maßstäben nicht lösen konnte. Es war dieser Umstand, der die Auseinandersetzungen um das Unternehmen in der zweiten Hälfte der siebziger Jahre noch zusätzlich anheizte, das Argument der Verkehrung des gemeinnützigen Anspruchs im öffentlichen Bewußtsein verankerte und dazu führte, daß Anfang der achtziger Jahre „nur wenige Wirtschaftsunternehmen in der Bundesrepublik (...) ein so schlechtes Image“654 hatten wie die NH.

650 Frankfurter Rundschau, 2.8.1980. 651 Vgl. Scheiner/Schmidt 1974, S. 182. 652 Sepp Ebelseder, Angeklagt: Die Neue Heimat, STERN 33.1980,11, S. 18–25 u. S. 296–297, hier S. 23. 653 Vgl. mit Bezug auf den Wohnungsbau Flagge 1999, S. 860 ff. 654 So eine Äußerung des Pressesprechers John Siegfried Mehnert aus dem Jahr 1980, zit. nach Sepp Ebelseder, Angeklagt: Die Neue Heimat, STERN 33.1980,11, S. 18–25 u. S. 296–297, hier S. 296.

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6. Krise vor dem Fall

6.3.1.3 Die Auseinandersetzungen über die Sanierungspolitik Mit besonderer Deutlichkeit ließ sich diese Entwicklung an einem Thema ablesen, das neben der Frage der „Verfilzung“ und der Frage des Umgangs mit den Mietern einen dritten Schwerpunkt der öffentlichen Debatten über die Unternehmensgruppe bildete. Das waren die Auseinandersetzungen über die Hausbesetzungen und die damit verbundenen Diskussionen über Sinn und Zweck der von der NH verfolgten Sanierungs- und Modernisierungsmaßnahmen. Ihren Ausgangspunkt hatten diese Debatten in dem seit Ende der sechziger Jahre zu beobachtenden Anwachsen der Studentenzahlen. Das relativ plötzliche, massierte Auftreten dieser neuen sozialen Gruppe stellte die Wohnungsmärkte in den Ballungsräumen vor große Probleme.655 Gemeinsam mit der rapide wachsenden Zahl von Einwanderern konzentrierte sich ihre Wohnungsnachfrage auf die zentrumsnahen Altbauviertel, in deren unsanierten Bauten Wohnraum preiswert zu haben war – eben jene Viertel, die von den meisten Stadtvätern zu diesem Zeitpunkt allenfalls als abrißwürdig erachtet wurden. Damit waren Konflikte vorprogrammiert, vor allem „dort, wo massive Abriß- und Entmietungskampagnen auf kompakte jugendliche Populationen trafen.“656 Dieses Konfliktpotential gewann noch an Brisanz dadurch, daß die Studenten den Funktionalismus, der die herrschende Stadterneuerungspolitik prägte, nicht zu teilen vermochten. Denn gerade die schlecht erhaltenen Altbauten und die darin eingerichteten Provisorien waren zu Beginn der siebziger Jahre „der Traum und das Symbol jugendlicher Autonomie schlechthin geworden.“657 Hinzu kam noch die politische Überhöhung des Problems durch die Sponti-Bewegung, die in deren Hochburgen im Herbst 1970 erstmals zur Anwendung einer bis dahin in Deutschland unbekannten Aktionsform führte: zur Besetzung leerstehender Häuser. Den Anfang machten Studenten und Sozialarbeiter im Frankfurter Westend, die ein gemeinsames Wohnprojekt mit Gastarbeitern und kinderreichen Familien etablieren wollten, für das sie nirgendwo geeigneten Wohnraum hatten finden können.658 Aber schon nach kurzer Zeit geriet diese Aktion in das Fahrwasser linker Gruppen, die die Besetzungen nicht dazu nutzen wollten, „um auf einen sozialen Ausrutscher dieses Gesellschaftssystems hinzuweisen“, sondern „um damit zu zeigen, daß es der Aufhebung der kapitalistischen Besitzverhältnisse und dieses Rechtsstaates bedarf, um die Interessen der Bevölkerung, ihr Recht auf vernünftigen Wohnraum gegen die Interessen des Kapitals durchzusetzen!“ 659 Diese Entwicklung führte zu jener Konfrontation mit den Behörden, die schließlich als „Frank-

655 Vgl. dazu die Ausführungen zur „neuen Wohnungsnot“ in Kap. 6.1.1.2 dieser Arbeit. 656 Gerd Koenen, Das Rote Jahrzehnt. Unsere kleine deutsche Kulturrevolution 1967–1977, Frankfurt a. M. 2002, S. 341. 657 Ebd. 658 Vgl. Roland Roth, Leben scheuert am Beton. Streiflichter aus der Geschichte der Hausbesetzungen in der BRD, in: Volkhard Brandes/Bernhard Schön (Hg.), Wer sind die Instandbesetzer? Selbstzeugnisse, Dokumente, Analysen. Ein Lesebuch, Bensheim 1981, S. 37–61, hier S. 47. Vgl. auch Görtemaker 1999, S. 643. 659 Flugblatt eines Frankfurter Wohnungskollektivs, April 1973, zit. nach Roth 1981, S. 50.

6.3 Die Delegitimation der NH

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furter Häuserkampf“ in die Geschichte der Bundesrepublik einging und die ihren Höhepunkt 1973/74 in einer Reihe gewaltsamer Räumungen fand.660 In ganz ähnlichen Bahnen entwickelten sich die Hausbesetzungen in Hamburg. Auch hier war die erste, im Oktober 1970 erfolgte Hausbesetzung auf die akute Wohnungsnot von Studenten und Arbeitern zurückzuführen gewesen; aber auch hier entwickelte sich innerhalb kurzer Zeit das Ziel der Entwicklung neuer politischer Aktionsformen zum dominanten Motiv der Hausbesetzerbewegung, etwa bei der im Dezember 1970 erfolgten Okkupation einiger Häuser, die mittelbar auch ein Projekt der NH berührte: Sie richtete sich gegen den drohenden Abriß des Karolinenviertels, das dem von der NHS geplanten Kongreßzentrum weichen sollten. Allerdings entschied sich die Stadt schließlich doch für den Standort „Planten un Blomen“, und so konnte die NH dieses Mal noch aus der Perspektive des unbeteiligten Beobachters zur Kenntnis nehmen, daß der Hamburger Senat den Besetzern noch deutlich weniger Sympathien entgegenbrachte, als das in Frankfurt der Fall gewesen war: Die betroffenen Häuser wurden nicht erst nach drei bis vier Jahren, sondern innerhalb weniger Tage polizeilich geräumt, immerhin aber hinterher nicht abgerissen, sondern renoviert und – wenn auch nur befristet – weitervermietet.661 Weniger glimpflich verlief allerdings die bis zur Besetzung der Hafenstraße spektakulärste Aktion der Hamburger Hausbesetzerbewegung, die im April 1973 erfolgte Besetzung des Hauses Ekhofstraße 39. Hier, nur einen Steinwurf von der NH-Zentrale in der Lübecker Straße entfernt, war die Unternehmensgruppe nun mittendrin statt nur dabei. In den Jahren 1970/71 hatte die Bewobau in der Umgebung der Ekhofstraße 111 Wohnungen aufgekauft, die sie abreißen und durch 450 hochwertige Eigentumswohnungen ersetzen wollte. Die dort ansässigen, überwiegend sozial schwächeren Schichten entstammenden Mieter wehrten sich nach Kräften gegen dieses Vorhaben, weil sie aus der Innenstadt verdrängt und in Sozialwohnungen am Stadtrand umgesiedelt werden sollten. Auf diesen fahrenden Zug sprang die Hausbesetzerbewegung dann auf – begleitet von einer intensiven Kampagne, in der sie die NH der Immobilienspekulation und der Vernichtung von günstigem Wohnraum bezichtigte.662 Vietor, der von seinem Büro aus die rote Fahne über den besetzten Häusern wehen sehen konnte, war über diese Vorwürfe empört.663 Er erkannte darin den „Versuch, den allgemeinen Ruf der NH, gemeinnützig und dem Gemeinwohl verbunden zu sein, anzukratzen“ und betrachtete das als Teil eines weitergehenden Plans zum Umsturz der bestehenden politischen Ordnung. „Diese Politik“, so führte er aus, „wird gegen uns und nicht gegen die kapitalistischen Unternehmen deshalb geführt, weil wir für revolutionäre Gruppen – und das ist auch die Erfahrung der dreißiger Jahre – als Reformer und nach deren Diktion als Systemstabili-

660 Vgl. ebd., S. 49 f. 661 Vgl. Grüttner 1976, S. 169 f. 662 Vgl. ebd., S. 171 ff. und Referat Vietor zu Stabilitätsprogramm und Selbstverständnis NH, 28.5.1973, Mitarbeiterbrief Nr. 2, Juni 1973, DGBA-BV, Abt. Finanzen, 24/479, S. 9. 663 Vgl. Schulz 1987, S. 26.

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sierer die größeren Feinde sind.“664 Er empfahl eine robuste Gegenreaktion: „Aus dem guten Meinungsbild in der Öffentlichkeit“, so schrieb er in einer Mitarbeiterzeitung, „können wir folgern, daß alle Empfehlungen, sich wegen einiger Hausbesetzer ins Mauseloch zurückzuziehen und möglichst nicht mehr stattzufinden, völlig falsch sind. Die NEUE HEIMAT hat etwas geleistet, sie ist leistungsfähig und sie findet dafür Anerkennung und Sympathie.“665 Aber da täuschte sich Vietor. Sicher: Die Hausbesetzer in der Öffentlichkeit zu diskreditieren, war ein Leichtes, denn auch diese Besetzung entwickelte sich schnell von einem Mittel der Wohnraumbeschaffung zu einem Versuch, durch militante Aktionen den repressiven Charakter des „Systems“ offensichtlich zu machen.666 Das stieß in der breiteren Öffentlichkeit nur sehr vereinzelt auf Sympathien, und als das Haus fünf Wochen nach der Besetzung von der Polizei gewaltsam geräumt wurde, weinten den Hausbesetzern selbst jene Zeitungen, die ihnen ursprünglich positiv gegenüber gestanden hatten, keine Träne nach.667 Dennoch: Durch die Taktik, einfach nur auf der Leistungsfähigkeit der NH zu beharren, erwies Vietor der Unternehmensgruppe einen Bärendienst. Diese Vorgehensweise übersah, daß die Kritik der Hausbesetzer eine Veränderung in der öffentlichen Erwartungshaltung signalisierte, die weit über die politischen Experimente einer kleinen Gruppe von Spontis hinauswies. Was die Besetzer erstmals in aufsehenerregender Form formuliert hatten, waren Zweifel an der Sinnhaftigkeit eines Modells von Sozialpolitik, das sich ausschließlich an dem Aspekt der materiellen Versorgung orientierte. Und diese Zweifel waren nicht so ohne weiteres aus der Welt zu schaffen, im Gegenteil: Sie breiteten sich im Laufe der siebziger Jahre immer weiter aus. Das zeigte sich an mehreren Punkten, so zum Beispiel daran, daß die Aktion in der Ekhofstraße in den ersten Tagen von den Anwohnern mit großem Beifall bedacht worden war, der erst versiegte, als die politischen Absichten der Besetzer in den Vordergrund rückten; es zeigte sich an der gleichzeitigen Debatte über die Aussetzung der Flächensanierungen;668 und es zeigte sich daran, daß auch die von der NH in der zweiten Hälfte der siebziger Jahre verfolgte Politik der behutsameren Modernisierungen in der öffentlichen Meinungen zusehends skeptischer beurteilt wurde, besonders seit sich gegen Ende der siebziger Jahre mit der „neuen Wohnungsnot“ der Eindruck einstellte, daß mit ihr der ohnehin knappe Wohnraum künstlich verknappt und verteuert werde. Mit besonderer Deutlichkeit trat dies in den heftigen Auseinandersetzungen um die Modernisierungspolitik des Berliner Senats zutage, die zu Beginn der achtziger Jahre die Bundesrepublik in Atem hielten. Schon 1963 hatte die Stadt ein groß angelegtes Stadterneuerungsprogramm beschlossen, das ein Jahr nach der 664 Referat Vietor zu Stabilitätsprogramm und Selbstverständnis NH, 28.5.1973, Mitarbeiterbrief Nr. 2, Juni 1973, DGBA-BV, Abt. Finanzen, 24/479, S. 9. 665 Ebd. 666 Vgl. Grüttner 1976, S. 173 f. Diese Zielsetzung äußerte sich auch in der Zusammensetzung der Gruppe: Mit von der Partie war u. a. Stefan Wisniewski, der 1977 an der Entführung und Ermordung von Hanns-Martin Schleyer beteiligt war. Vgl. Stefan Wisniewski, Wir waren so unheimlich konsequent... Ein Gespräch zur Geschichte der RAF, Berlin 1997, S. 17. 667 Vgl. Grüttner 1976, S. 175 u. S. 177 f. 668 Vgl. ebd., S. 177 sowie Kap. 6.1.1.1 dieser Arbeit.

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Verabschiedung des Städtebauförderungsgesetzes in die Festsetzung von 23 Sanierungsgebieten mündete. Zu diesem Zeitpunkt war auch die NH Berlin in die Sanierungen mit einbezogen worden – als Träger von vier der vorgesehenen Maßnahmen.669 Ihre Pläne zielten dabei in Übereinstimmung mit den Zielen des Senats zunächst auf die Durchführung von Flächensanierungen ab. Nachdem auf diesem Wege unter Beteiligung der Unternehmensgruppe bis Mitte der siebziger Jahre bereits hunderte von Altbauten abgerissen worden waren, wandte sich die Stadt im Zuge der allgemeinen Abkehr von dieser Vorgehensweise einer neuen Sanierungsstrategie zu, die vor allem auf der Modernisierung von Altbauten beruhte.670 Auch dies war allerdings mit großen sozialen Problemen behaftet, denn die Modernisierungen resultierten in aller Regel in Mietsprüngen von um die 100% – und das in einer Situation, in der gerade der Wohnraum für Studenten, Alleinerziehende und Ausländer, die typischerweise die modernisierungsbedürftigen Häuser bewohnten, knapper und knapper wurde.671 Nicht nur in Berlin, sondern auch andernorts standen Wohnungswirtschaft und Wohnungspolitik deshalb unter Druck; in Frankfurt etwa mußte sich die NH von einer Mieterinitiative vorwerfen lassen, „über ‚Modernisierungsmaßnahmen‘ eine rigorose Mieterhöhung durchsetzen“672 zu wollen. Aber in Berlin kam noch ein weiteres Problem hinzu: die Tatsache, daß die Regularien der Modernisierungsförderung des Senats zusammen mit den durch die Berlin-Förderung des Bundes ermöglichten Sonderabschreibungen für Modernisierungsobjekte effektiv auf eine Prämierung von Leerständen hinausliefen.673 Das Ergebnis dieser Politik war, daß in der Stadt Ende 1980 offiziellen Angaben zufolge 7.000, nach inoffiziellen Schätzungen sogar 20.000 Wohnungen unbewohnt waren, während gleichzeitig etwa 80.000 Berliner als wohnungssuchend registriert waren.674 Schon 1979 hatte sich deshalb eine Bürgerinitiativen gebildet, die mit dem Mittel der „Instandbesetzung“ „gegen die sinnlose Zerstörung billigen Wohnraums anzukämpfen“ und „die Vermietung der vielen leeren Wohnungen zu erreichen“675 versuchte. Andere Gruppen folgten ihrem Beispiel und besetzten im Laufe des Jahres 1980 sowie erneut zwischen Februar und Mai 1981 eine Reihe von leerstehenden Häusern.676

669 Vgl. JB 1973/74, S. 87 sowie zusammenfassend zur Sanierungstätigkeit der NH in Berlin Referat VV, Anlage zum Protokoll AR NHH/NHS, 4.12.1981, StA HH, 622–2 Cordua 40, S. 15 ff. 670 Vgl. Bodenschatz 1988, S. 145 f. und Harlander 1999, S. 336 f. 671 Vgl. Bericht des Vorstandes. Vorlage zu TOP 1 AR NHH/NHS, 13.11.1980, Anlage zum Thema Bestandsverwaltung, StA HH, 622–2 Cordua 33, S. 5. 672 Schreiben einer Mieterinitiative an Heinz Oskar Vetter, 7.7.1980, zit. nach ebd., S. 4. 673 Vgl. Werner Lindner, Jugendprotest seit den fünfziger Jahren. Dissens und kultureller Eigensinn (Studien zur Jugendforschung Bd. 17), Opladen 1996, S. 331 sowie Luc Jochimsen, „Die Ausnahme ist die Regel“. Die Geschichte des Hauses Schillerstr. 32 in Berlin – und ihr Nutzen für die allgemeine Wohnungspolitik, in: Stefan Aust/Sabine Rosenbladt (Hg.), Hausbesetzer. Wofür sie kämpfen, wie sie leben und wie sie leben wollen, Hamburg 1981, S. 234–253, hier S. 242 ff. 674 Vgl. Sabine Rosenbladt, Die „Legalos“ von Kreuzberg, in: ebd., S. 28–51, hier S. 34. 675 Erklärung der Bürgerinitiative SO 36, zit. nach Lindner 1996, S. 332. 676 Vgl. zusammenfassend Görtemaker 1999, S. 643 f.

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6. Krise vor dem Fall

Von dieser zuletzt genannten Welle war auch die NH betroffen. Sechs der in diesem Zeitraum besetzten Häuser befanden sich in ihrem Besitz.677 Die Unternehmensgruppe zeigte sich gegenüber den Besetzern zunächst kompromißbereit. Sie bot ihnen Ersatzquartiere sowie für den Fall eines Auszugs eine Rücknahme der von ihr gestellten Strafanträge an.678 Zu einer Aussetzung der geplanten Modernisierungsmaßnahmen war sie allerdings nicht bereit. Das lag zweifellos in erster Linie daran, daß sie durch einen solchen Schritt ihre Investitionen gefährdet hätte. Aber hinzu kam auch, daß diese Vorgehensweise an die Grundsätze dessen gerührt hätte, was sie als ihren gewerkschaftlichen Auftrag verstand. Insbesondere anhand der völlig entgegengesetzten Beurteilung der in Frage stehenden Altbauten läßt sich dies gut nachvollziehen. Die Hausbesetzer sahen in ihnen das Sinnbild dessen, was ihnen von der modernen Gesellschaft vermeintlich vorenthalten wurde: einer postmateriellen Wärme, die sich vor allem aus den sozialen Beziehungen in den besetzten Häusern speiste. Damit einher ging auch eine Romantisierung des früher in diesen Häusern angeblich existenten „Kiezes“: Damals, so zitierten sie den Erlebnisbericht einer ehemaligen Bewohnerin, hätten „die Leute hier noch zusammengehalten, jeder kannte jeden, man hat gegenseitig auf die Kinder aufgepaßt, man hat sich Geld gepumpt, für die Alten haben die jungen Leute eingekauft, wir haben uns immer geholfen.“679 Ganz anders fiel hingegen die Beurteilung der NH aus: Sie betrachtete die selben Gebäude als „Wohnhäuser, an denen Zille auch heute noch seine wahre Freude hätte, ohne Bad, oft mit unbeheiztem Etagenklo“.680 Diese Einschätzung verwies – gerade in ihrer Bezugnahme auf Zille – unmittelbar auf den Topos von der Ausbeutung der Arbeiterklasse. Sie machte deutlich, daß die Unternehmensgruppe auch weiterhin Fragen des materiellen Standards, die sich aus kollektiven Erfahrungen des 19. Jahrhunderts speisten, in den Mittelpunkt ihrer Vorstellungen eines guten Lebens und folglich in den Mittelpunkt ihrer Vorstellungen von „Gemeinwohl“ und „Gemeinnützigkeit“ stellte.681 Den kulturellen Konflikt, der hiermit verbunden war, offenbarten auch die Gespräche, die im Zuge der Auseinandersetzungen um die Besetzungen zwischen Berliner Gewerkschaftern und Besetzern stattfanden. Sie „ergaben, daß die gewerkschaftliche Forderung nach dem Bau von mehr Studentenheimen (...) gar keinen Anklang fand: Nein, es geht uns darum, selbst und miteinander etwas zu erkämpfen (...), und sei es eben durch die Instandsetzung eines Hauses.“682 Daß die Hausbesetzer die Verhandlungsangebote der NH allesamt ablehnten, war aus dieser Perspektive konsequent: Schließlich hatten sie in die besetzten Häuser „viel 677 678 679 680

Vgl. Fuhrich 1983, S. 185. Vgl. Frankfurter Rundschau, 23.9.1981 sowie Handelsblatt, 24.9.1981. Zit. nach Fuhrich 1983, S. 186. Altbausanierung in Berlin – Neue Wohnungen in alten Häusern, Neue Heimat Presseinformation Nr. 3, Oktober 1981, S. 1. 681 Vgl. dazu neben den genannten Belegen auch Vietors Äußerungen in: Referat VV, Anlage zum Protokoll AR NHH/NHS, 4.12.1981, StA HH, 622–2 Cordua 40, S. 15. Zur Beurteilung der Auffassung der NH durch die Hausbesetzer vgl. Detlef Hartmann, Überlegungen zur Planungsstrategie der Neuen Heimat, in: Rainer Nitsche (Hg.), Häuserkämpfe 1872, 1920, 1945, 1982, Berlin 1981 [sic], S. 224–230, hier v. a. S. 225 ff. 682 Fuhrich 1983, S. 194.

6.3 Die Delegitimation der NH

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Arbeit, Geld, Zeit und Liebe“ gesteckt und „eine Verbindung zu unseren Nachbarn entwickelt“.683 Dieser immaterielle Zusammenhang konnte in ihren Augen auch durch die technisch perfekteste Wohnung nicht ersetzt werden. Aus der Perspektive der NH mußte diese Ablehnung, die immerhin einer materiell schlechteren Wohnsituation den Vorzug gab, dagegen unverständlich erscheinen. Besetzer und Sanierer sprachen zwei verschiedene Sprachen. Dieser Gegensatz war auf dem Verhandlungsweg nicht aufzulösen. Natürlich saß die NH hier am längeren Hebel. Schließlich handelte sie im Auftrag des Landes, während die Besetzer sich moralisch im Recht wähnen mochten, tatsächlich aber geltendes Recht gebrochen hatten. Als sich das Scheitern der Verhandlungslösung abzeichnete, sah sich die NH zudem mit dem Problem konfrontiert, daß eine weitere Verzögerung der Baubeginne Regreßforderungen von Bauunternehmen und Banken, mit denen sie Verträge abgeschlossen hatte, nach sich gezogen hätte.684 Deshalb willigte sie nach Rücksprache mit dem DGB in eine polizeiliche Räumung ein. Mit dieser Aktion, bei der am 22. September 1981 die sechs Häuser der NH sowie zwei weitere Gebäude gewaltsam frei gemacht wurden, stieg die Unternehmensgruppe zu einem der zentralen Haßobjekte der Hausbesetzerszene auf. Nicht genug damit, daß sie ihre Häuser räumen ließ; sie machte dabei auch noch, so die Perspektive der Besetzer, gemeinsame Sache mit dem seit kurzem im Amt befindlichen CDU-Senat, dessen Innensenator Lummer weit über linke Gruppierungen hinaus als Law-and-order-Mann galt – und das alles im Interesse einer mittlerweile selbst vom Regierenden Bürgermeister Richard von Weizsäcker als verfehlt betrachteten Sanierungspolitik.685 Für die Besetzer war das als Reformprojekt gestartete gewerkschaftseigene Wohnungsunternehmen damit von seinen einstigen Gegenspielern, den Bauspekulanten, nicht mehr zu unterscheiden. „Unter dem Titel des gewerkschaftseigenen Gemeinnützigen Wohnungsbauunternehmens“, so urteilten sie, „werden ursprünglich einmal gemeinte Zwecke in ihr gerades Gegenteil verkehrt.“686 Anders als das acht Jahre zuvor in Hamburg der Fall gewesen war, blieben die Hausbesetzer mit dieser Auffassung aber Anfang der achtziger Jahre nicht alleine. Zwar waren sich die Gewerkschaftsspitzen, die etablierten Parteien und auch die überregionalen Tageszeitungen in ihrer Verurteilung der Rechtsbrüche der Hausbesetzer einig, und die Haltung der NH im Zusammenhang mit der Räumung der besetzten Häuser stieß bei ihnen auf keinerlei nennenswerte Kritik.687 Aber während führende Vertreter der Unternehmensgruppe und insbesondere Albert Vietor auch weiterhin von der sozialpolitischen Überlegenheit ihrer Sanierungsstrategie überzeugt waren, hatte sich die öffentliche Meinung in diesem Punkt längst gegen NH gewandt. Das war schon zwei Jahre vor den Räumungen in Berlin deutlich zu erkennen gewesen – an dem Echo, das Vietor im Februar 1979 mit einer Stellungnahme auf der Bilanzpressekonferenz der NH ausgelöst hatte. Bei dieser Gelegen683 Ebd., S. 185. 684 Vgl. Altbausanierung in Berlin – Neue Wohnungen in alten Häusern, Neue Heimat Presseinformationen Nr. 3, Oktober 1981, S. 3. 685 Vgl. Lindner 1996, S. 339. Zur Räumung selbst vgl. ebd., S. 342 ff. 686 Fuhrich 1983, S. 196. 687 Vgl. z. B. Frankfurter Rundschau, 23.9.1981 sowie Handelsblatt, 24.9.1981.

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6. Krise vor dem Fall

heit hatte er sich in drastischen Worten zur Entwicklung des Wohnungsbaus in den folgenden Jahren geäußert und war dabei auch auf die Notwendigkeit weiterer Sanierungsmaßnahmen zu sprechen gekommen. In der Bundesrepublik, so hatte er ausgeführt, seien drei bis vier Millionen Wohnungen unbewohnbar; daß Familien in solchen Bruchbuden leben müßten, sei unerträglich, und die Benutzung solcher Slums müsse durch Benutzungsverbote unterbunden werden.688 Von einem Journalisten befragt, ob er damit den Kahlschlag kompletter Stadtviertel verlange, antwortete Vietor: „Ja, notfalls auch das.“689 Diese Worte lösten in der Öffentlichkeit einen Sturm der Entrüstung aus. Vietors Absichten erschienen allzu durchsichtig: Angesichts einer rückläufigen Wohnungsbaukonjunktur wolle er, so unterstellte ihm die FAZ, die eigene Wohnungsbautätigkeit durch den Abriß alter Häuser sichern.690 Noch bedeutsamer als dieser Vorwurf, der sich vielleicht noch als die Kritik eines traditionell gewerkschaftsskeptischen Blattes hätte abtun lassen, war aber, daß der Kommentar die Gemeinwohlorientierung der NH in Abrede stellte, ja sie angesichts von Vietors Äußerungen sogar in ihr Gegenteil verkehrt sah – und sich darin mit der Kritik der Hausbesetzerbewegung traf. Der Zustand vieler Altbauquartiere sei, so die FAZ, „zum großen Teil auf den gleichen Trend zurückzuführen, den die ‚Neue Heimat‘, ihrer Gemeinnützigkeit zum Trotz, mit vorangetrieben hat: den Trend zur Bauspekulation, die jedes Fetzchen Land, jeden Quadratmeter Wohnraum errafft. Ob Hausbesitzer, Immobilienhändler oder Wohnungsverwertungsgesellschaften ältere Wohnungen systematisch vergammeln lassen, um die Grundstücke teuer zu verkaufen, oder ob die Neue Heimat Wohnsilos auftürmt, in denen Menschen eher Füllmaterial als Bewohner sind, – die Grundgesinnung ist eine sehr ähnliche.“691 Das war ein sehr harter Vorwurf. Schließlich berief sich die NH auf eine Tradition, die ihren Ursprung gerade in der Bekämpfung der Bauspekulation und des ungezügelten Kapitalismus sah. Um so bemerkenswerter war es, daß diese Sichtweise in einer Reihe von Leserbriefen und Artikeln anderer Zeitungen auf Zustimmung stieß.692 Das ging so weit, daß Vietor sich schließlich gezwungen sah, seine Forderung nach dem „Kahlschlag“ ganzer Stadtviertel mit Bedauern zurückzuziehen.693 Es waren eben mittlerweile nicht mehr nur die Hausbesetzer, die Zweifel an dem von der NH praktizierten Modell von Sozialpolitik hegten, sondern auch weite Kreise der interessierten Öffentlichkeit. Sie hatten in der Zwischenzeit offenkundig Vorstellungen vom „Gemeinwohl“ und von den wünschenswerten Zielen gewerkschaftlicher Sozialpolitik entwickelt, die sich von denen der NH fundamental unterschieden. Die Tatsache, daß das öffentliche Ansehen der Unternehmensgruppe zu Beginn der achtziger Jahre auf einem Tiefpunkt angelangt und die Glaubwürdigkeit der Gewerkschaften als Unternehmer schon vor den Enthüllungen des Jahres 1982 nahezu vollständig diskreditiert war, lag also nicht nur darin begründet, daß sich 688 689 690 691 692 693

Vgl. FAZ, 22.2.1979. Zit. nach Mehnert 1997, S. 135. Vgl. FAZ, 3.3.1979. Ebd. Vgl. auch FAZ, 23.2.1979. Vgl. FAZ, 17.3.1979; FAZ, 23.3.1979 sowie DIE ZEIT, 16.3.1979. Vgl. ebd. sowie FAZ, 11.7.1979.

6.3 Die Delegitimation der NH

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die NH in den siebziger Jahren – wie in der Debatte um die „Verfilzung“ – verstärkt der Kritik traditioneller Gewerkschaftsskeptiker erwehren mußte; sie lag nicht nur darin begründet, daß sie ihre eigenen sozialpolitischen Versprechungen angesichts enger werdender Verteilungsspielräume nicht mehr einlösen konnte; sondern sie lag auch darin begründet, daß sie mit Nachdruck an sozialpolitischen Zielen festhielt, die von einer breiten Öffentlichkeit nicht mehr als erstrebenswert betrachtet wurden. 6.3.2 „Wohin gehört eigentlich unser ganzes Unternehmen?“ 6.3.2.1 Die NH in der gewerkschaftsinternen Debatte Diese Tatsache wäre für die NH wohl nur von untergeordneter Bedeutung gewesen, wenn ihre Ziele innerhalb der Gewerkschaften und innerhalb ihrer Mitarbeiterschaft unumstritten gewesen wären. Schließlich war es den gewerkschaftseigenen Unternehmen in den sechziger Jahren recht gut gelungen, sich unter dem Motto „Viel Feind – viel Ehr“ gegenüber der Kritik von außen abzuschotten und die Reihen hinter sich zu schließen.694 Die zunehmend kritische Berichterstattung über die NH konnten daher ihre Sprengkraft nur vor dem Hintergrund der Tatsache entfalten, daß sich seit Beginn der siebziger Jahre auch innerhalb der Gewerkschaften und innerhalb der Unternehmensgruppe immer stärkere Zweifel bezüglich der Frage abzeichneten, welchem Zweck die Unterhaltung gemeinwirtschaftlicher Unternehmen diente. Bedenken von Seiten der Gewerkschaftsbasis waren allerdings zu diesem Zeitpunkt keine ganz neue Erscheinung mehr. Im Gegenteil: Sie hatten Mitte der sechziger Jahre maßgeblich zur erstmaligen Etablierung des am Wettbewerb orientierten Ideals der Gemeinwirtschaft beigetragen, und auch das Gemeinwirtschaftspapier aus dem Jahr 1972 war im wesentlichen als Reaktion auf innergewerkschaftlichen Druck zustande gekommen.695 Was seit etwa diesem Zeitpunkt die neue Qualität dieser Debatten ausmachte, war die Tatsache, daß sie sich nicht mehr auf die gewerkschaftseigenen Unternehmen insgesamt bezogen, sondern sich zunehmend auf die NH konzentrierten. Das lag vor allen Dingen an der verschärften Kritik der Medien an der Unternehmensgruppe. Sie ließ die Kollegen an der Basis nicht unbeeindruckt. Besonders die innergewerkschaftlichen Auswirkungen der Silvesterfeier des Jahres 1972 waren verheerend, und Vietors GolfspielerManier war kaum dazu angetan, die Gemüter zu beruhigen.696 Als zusätzlich die Berichte über die Auslandstätigkeit und die Vorgänge in der Ekhofstraße für negative Schlagzeilen sorgten, setzte der DGB-Bundesausschuß für seine Sitzung im September 1973 in Freiburg eine ausführliche Beratung an – nicht über die gesamte Gruppe der gemeinwirtschaftlichen Unternehmen, wie dies bis dahin stets der Fall gewesen war, sondern über die NH. Das Problem der Gewerkschaftsunterneh694 Vgl. Kap. 4.3.2 dieser Arbeit. 695 Vgl. ebd. sowie Kap. 6.1.2.1 dieser Arbeit. 696 Vgl. Scheiner/Schmidt 1974, S. 50 f.

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6. Krise vor dem Fall

men wurde nun unter dem Eindruck der öffentlichen Kritik zu einem Problem Neue Heimat.697 Allerdings beschäftigten sich die in Freiburg anwesenden Gewerkschaftsfunktionäre nicht mit den Grundsätzen der Unternehmenspolitik ihrer Wohnungsbaugesellschaften, sondern fast ausschließlich mit Einzelfragen. Sie setzten z. B. durch, daß bestimmte umstrittene Bauprojekte nicht weiter verfolgt wurden und verlangten, die Zusammenarbeit der NH mit ihren Mietern weiter zu verbessern.698 Eine generelle Diskussion über Sinn und Zweck der Unternehmensgruppe kam auf dem DGB-Bundesausschuß dagegen nicht zustande. Denn in der von der Presse aufgeworfenen Frage, ob die Unternehmenspolitik der NH nicht im Widerspruch zu gewerkschaftlichen Zielsetzungen stehe, sah das Gremium in Übereinstimmung mit Vietor kein prinzipielles, sondern ein Vermittlungsproblem. Es war aus dieser Perspektive konsequent, vor allem eine Verbesserung der Öffentlichkeitsarbeit sowie eine Verstärkung der innergewerkschaftlichen Informationskampagne zu fordern.699 Die Unternehmensgruppe versuchte deshalb in den folgenden Monaten, eine Konzeption gegen die negative Publicity zu erarbeiten, darauf hinzuwirken, daß die Gewerkschaftspresse verstärkt über die NH berichtete und zu erreichen, daß die Unternehmenspolitik verstärkt auf gewerkschaftlichen Bildungsveranstaltungen thematisiert wurde.700 Großer Erfolg war dieser Aktion allerdings nicht beschieden, weil die NH seit 1974 – wie geschildert – aufgrund der veränderten Rahmenbedingungen und des enger werdenden Spielraums für eine eigenständige Unternehmenspolitik immer stärker unter den Druck der öffentlichen Meinung geriet. Schon zwei Jahre nach der Sitzung des DGB-Bundesausschusses tauchten deshalb wiederum innergewerkschaftliche Diskussionen auf, die deutlich werden ließen, daß der Rückhalt für die eigenen Unternehmen in den Reihen der Gewerkschaftsbasis auch weiterhin zu wünschen übrig ließ. So forderte die DPG 1975 auf dem 10. DGB-Bundeskongreß, daß „die Bedeutung dieser Unternehmen für die Mitglieder noch deutlicher gemacht werden [solle], um so eine aktive Unterstützung der Gewerkschaftsmitglieder zu finden“701 – was nichts anderes hieß, als daß dies bis dahin nicht der Fall gewesen war. Der DGB-Bundesvorstand schien allerdings nicht so recht zu wissen, wie er diesem Problem begegnen konnte. Jedenfalls ließ er die Aufforderung des Bun697 Vgl. Mehnert 1997, S. 21. Zur Vorgeschichte der Bundesausschußsitzung im September 1973 vgl. Protokoll BA 6.6.1973, DGBA-BV, Abt. Vorsitzender, 5/DGAI 445, S. 7 f. 698 Vgl. Aussprache im Bundesausschuß über die Unternehmenspolitik der Neue Heimat, Zusammenfassung der Beratungsergebnisse, 5.9.1973, DBGA-BV, Sekretariat Martin Heiß, 5/DGCS 94, S. 1 f. 699 Vgl. ebd. sowie Sitzung des Bundesausschusses des DGB, 5.9.1973 [Vortragsmanuskript Albert Vietor], DBGA-BV, Sekretariat Martin Heiß, 5/DGCS 94, S. 1. 700 Vgl. DGB-Bundesausschuß 5. September 1973 – Unternehmenspolitik der Neue Heimat, DGBA-BV, Abt. Vorsitzender, 5/DGAI 412, S. 9. Eines der Ergebnisse dieser Bemühungen ist: Unternehmensgruppe Neue Heimat (Hg.), Unternehmensgruppe NEUE HEIMAT: Entwicklung, Organisation, Aufgaben, Leistungen [Broschüre zur Tonbildschau], o. D. [1973], DGBA-BV, Abt. Finanzen, 24/479. 701 Antrag 7, betr.: Konzeption für die gemeinwirtschaftlichen Unternehmen, in: DGB-Bundesvorstand, Abt. Organisation 1975, Abschnitt „Anträge und Entschließungen“, S. 9.

6.3 Die Delegitimation der NH

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deskongresses zunächst einige Monate lang liegen. Erst als sich Anfang 1977 ein konkreter Anlaß bot, weil die NH mit ihrer Absicht, Mietwohnungen aus ihrem Bestand zu verkaufen, wiederum heftig in die innergewerkschaftliche Kritik geriet, blieb ihm nichts anderes übrig, als sich des leidigen Themas anzunehmen. Besonders diejenigen, die die interne Bildungsarbeit des DGB verantworteten, hatten darauf gedrängt – aus verständlichen Gründen, denn sie mußten einerseits die Hauptlast jener verstärkten gewerkschaftsinternen Aufklärung tragen, die der DGB-Bundesausschuß 1973 verordnet hatte, gehörten aber andererseits zu denjenigen, die der Politik der NH im allgemeinen und dem Vorhaben des Verkaufs von Sozialwohnungen im besonderen mit am kritischsten gegenüberstanden.702 Um ihre Gemüter zu besänftigen, lud der DGB-Bundesvorstand deshalb im Oktober 1977 zu einer Klausurtagung in Heidenrod-Springen im Taunus, auf der die Bildungsreferenten aus den Einzelgewerkschaften und den gewerkschaftlichen Bildungseinrichtungen mit den Vorständen der gemeinwirtschaftlichen Unternehmen zusammentrafen.703 Vetters Eröffnungsvortrag umriß das zentrale Problem, das hier gelöst werden sollte: Für viele Gewerkschafter, so Vetter, verschwömmen „die Konturen dessen, was die gewerkschaftliche Gemeinwirtschaft an Aufgaben zu bewältigen hat“ – und zwar sowohl für die einfachen Mitglieder als auch für die Funktionäre. Eine Klärung der „gemeinsamen Grundlagen von Gewerkschaftsbewegung und ihrer Gemeinwirtschaft“704 sei deshalb überfällig. Allerdings war auch hier wieder deutlich zu erkennen, daß nicht alle gemeinwirtschaftlichen Unternehmen gleichermaßen von diesem Problem betroffen waren. Denn die Existenz einer gewerkschaftseigenen Bank war, wie etwa Kurt Müller, der Leiter der zur Textilgewerkschaft gehörenden Waldeck-Schule, berichtete, den Mitgliedern durchaus nahezubringen. „Selbst wenn es keine Vorteile für Gewerkschaftsmitglieder gäbe,“, so erklärte er, „könnte man den Mitgliedern immer noch sagen, (...) daß wir die Bank als unser Finanzinstitut brauchen, damit wir beweglich, damit wir streikfähig, damit wir kampfstark sind. Das verstehen sie.“705 Bei den Unternehmen, die nicht primär Organisations-, sondern Versorgungsinteressen dienten, konnte dieses Argument allerdings nicht gelten, zumal dann nicht, wenn die sozialpolitische Dringlichkeit ihrer Versorgungsziele, wie im Falle der gewerkschaftseigenen Wohnungsbaugesellschaften, offenkundig nachgelassen hatte. „Da genügt es nicht“, berichtete Müller, „ihre Geschichte zu erzählen und auf ihre Verdienste zu verweisen, die sie einmal erbracht haben. Die Mitglieder sagen mir dann: ‚Na schön und gut, aber was soll das alles heute noch?‘“706 Jan Sierks, der Vorsitzende des DGB-Landesbezirks Nordmark, nahm diesen Gedanken auf und führte ihn fort: „Die Schwierigkeit, die sich für die Gemeinwirtschaft stellt,“ so seine Analyse, „ist, ob in Zeiten ohne Not die Zielsetzung der Gemeinwirtschaft und ihre Notwendigkeit einem breiteren Kreise als bisher vermittelt werden kann. Heinz Oskar Vetter und andere haben dargelegt, daß die Gemein702 703 704 705 706

Vgl. Vetter 1978, Vorwort sowie S. 54 ff. Vgl. zusammenfassend zu dieser Tagung ebd., passim sowie Mehnert 1997, S. 16 ff. Vetter 1978, S. 1. Ebd., S. 120. Ebd.

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6. Krise vor dem Fall

wirtschaft in Notzeiten entstanden ist. Eine Notzeit in diesem Sinne haben wir jedoch nicht.“ Die Erbringung gemeinwirtschaftlicher Leistungen war seiner Meinung nach also an Marktbedingungen geknüpft, die objektiv nicht mehr existierten. „Durch mehr Drucksachen“, so führte er angesichts dieses Befundes weiter aus, „begründen wir die Notwendigkeit der Gemeinwirtschaft nicht.“707 Damit distanzierte er sich deutlich von dem bisherigen gewerkschaftlichen Umgang mit den eigenen Unternehmen; es ging, so die implizite Botschaft seiner Stellungnahme, eben nicht, wie der DGB-Bundesausschuß das 1973 noch vermutet hatte, um die Verbesserung der gewerkschaftlichen Bildungsarbeit, sondern um das grundlegende Problem, daß die gemeinwirtschaftlichen Ansprüche der Unternehmen angesichts der veränderten Rahmenbedingungen unglaubwürdig waren – eine Analyse, die angesichts der Entwicklung des Wohnungsmarktes gerade für die NH als treffend gelten konnte. Im Grunde genommen gab es aus diesem Dilemma nur zwei Auswege. Den einen skizzierte Bernd Otto, Vorstandsmitglied von co op und vormaliger persönlicher Referent von Vetter: Er kritisierte die „bröckelige Argumentationsbasis“ des Gemeinwirtschaftspapieres von 1972 und forderte den „Verzicht auf irgendwelche ideologischen Ableitungen“. Seiner Ansicht nach hatten die gewerkschaftseigenen Unternehmen „nur dann eine echte Chance, wenn sie durch Leistung überzeugen“;708 alle Reformbestrebungen mit dem Mittel der vorhandenen Unternehmen würden bei den Mitgliedern nur zu Erwartungen führen, deren „umfassende Realisierung“ in Anbetracht der „ökonomischen Grenzen“,709 die den Unternehmen gezogen waren, nicht zu erreichen war. Das war nichts anderes als ein Aufruf dazu, die gesellschaftspolitischen Zielsetzungen der gewerkschaftseigenen Unternehmen aufzugeben und sie als normale Wirtschaftsbetriebe weiterzuführen. Die andere Alternative lief auf das gleiche Ergebnis hinaus, ging allerdings davon aus, daß es nicht Aufgabe der Gewerkschaften sein könne, gewöhnliche Unternehmen zu betreiben. Die Vertreter dieser Auffassung forderten daher, daß sich die Gewerkschaften von ihren Beteiligungen ganz trennen sollten. Das war eine Forderung, die vor allem von der Gewerkschaftsbasis kam. Durchsetzen konnte sie sich nicht; schon aus materiellen Gründen kam ein solcher Schritt kaum in Frage, und auf die Tagung im Taunus waren Vertreter dieser Ansicht gar nicht erst eingeladen worden. Gegeben hat es sie aber durchaus: Auf dem DGB-Bundeskongreß 1978 versuchten einige von ihnen, einen Antrag zu stellen, der sich für einen Verkauf der gemeinwirtschaftlichen Unternehmen aussprach. Dieser wurde allerdings bereits im Vorfeld des Kongresses abgeblockt und hatte somit keine Chance auf Verwirklichung.710 Daß es eine dritte Alternative, etwa die Formulierung einer überzeugenden neuen Reformagenda, im Rahmen der bestehenden Unternehmensstrukturen nicht mehr gab, wurde gerade dadurch deutlich, daß die Gewerkschaftsspitzen genau diesen dritten Weg zu gehen versuchten. Denn bei aller Kritik an der konkreten 707 708 709 710

Ebd., S. 142 (meine Hervorhebung). Ebd., S. 129. Ebd., S. 130. Vgl. Fuhrich 1983, S. 148.

6.3 Die Delegitimation der NH

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Politik der NH konnte sich die überwiegende Mehrheit der im Taunus versammelten Funktionäre nicht zu einer grundsätzlichen Abkehr von der Idee der gemeinwirtschaftlichen Unternehmen entschließen. Statt dessen forderten sie die Gewerkschaftsspitze auf, die Zielsetzungen von 1972 noch einmal zu präzisieren, um so der gewerkschaftsinternen Kritik an der NH besser begegnen zu können.711 Was bei dem Versuch, diese Empfehlung umzusetzen, herauskam – die Grundsätze zu „Auftrag und Aufgaben der gemeinwirtschaftlichen Unternehmen“, die im Dezember 1978 vom DGB-Bundesvorstand beschlossen wurden – wurde allerdings allseits als unbefriedigend empfunden. Denn einerseits bemühte sich das Papier, die veränderten Realitäten in Rechnung zu stellen. So verzichtete es auf den 1972 noch zentralen Begriff der „Strukturpolitik“, und vor allen Dingen beinhaltete es die Einsicht, daß die Erfüllung des gewerkschaftlichen Auftrags der Unternehmen von den wirtschaftlichen Rahmenbedingungen abhängig war.712 Doch andererseits beschränkten sich diese Anpassungen an unangenehme Realitäten auf Randbereiche des „gemeinwirtschaftlichen Glaubens“. Was seinen Kernbestand betraf, übernahm das Papier gerade diejenigen Aspekte, die am meisten zur Glaubwürdigkeitskrise der gewerkschaftseigenen Unternehmen beigetragen hatten – etwa die apodiktische, nicht weiter begründete Feststellung: „Die Unternehmenspolitik der gemeinwirtschaftlichen Unternehmen entspricht gewerkschaftlichen Vorstellungen“ und die Behauptung, die Unternehmen trügen „durch eine verbraucherorientierte Politik“713 unmittelbar zur Verbesserung der Lebenssituation der Arbeitnehmer und zu einer Stärkung der Gewerkschaftsbewegung bei. Damit wiederholte das Programmpapier lediglich das, was es angesichts der öffentlichen Auseinandersetzungen um die NH hätte erklären müssen. Hinzu kam noch, daß auch die auf Expansion gerichtete Strategie der gewerkschaftseigenen Unternehmen nochmals ausdrücklich ihre Billigung fand, weil die Gesellschaften, so die Begründung, „ihren Auftrag in der Regel auf Dauer nicht ohne Wachstum erfüllen können.“714 Das war das Echo auf Vietors Auffassung, die NH könne gar nicht groß genug sein – eine Sichtweise, die der Unternehmensgruppe in der Öffentlichkeit enormen Schaden zugefügt hatte, weil sie das Bild vom geldgierigen Großkonzern, das die Gegner der NH malten, beförderte. Genau diesen Eindruck bestätigte das Gemeinwirtschaftspapier von 1978 damit noch einmal. Dementsprechend bissig wurde es in der Öffentlichkeit kommentiert: Manfred Fuhrich schrieb, der Beschluß von 1978 habe „wohl im wesentlichen die Funktion, die schon sehr vagen Leitsätze von 1972 weiter zu verunklären und zu relativieren, um auf diese Weise Geschäft und Idee als problemlos miteinander vereinbar zu propagieren.“715

711 Vgl. Vetter 1978, S. 115 ff. 712 Vgl. Auftrag und Aufgaben gemeinwirtschaftlicher Unternehmen des Deutschen Gewerkschaftsbundes und seiner Gewerkschaften, in: Gerhard Leminsky/Bernd Otto (Hg.), Politik und Programmatik des Deutschen Gewerkschaftsbundes, Köln 21984, S. 498–502, hier S. 501 f. 713 Ebd., S. 499. 714 Ebd., S. 500. 715 Fuhrich 1983, S. 146.

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6. Krise vor dem Fall

Unabhängig von ihrer inhaltlichen Beurteilung mußten die Leitsätze aber auch in funktionaler Hinsicht als Fehlschlag verbucht werden. Denn die Gewerkschaftsvorsitzenden im Aufsichtsrat der Unternehmensgruppe unterstützten sie zwar nach Kräften, und auch auf der mittleren Ebene der Gewerkschaftsangestellten gab es solche, die nach wie vor an den gewerkschaftlichen Auftrag der NH glaubten. 716 Aber bei der eigentlichen Zielgruppe dieses Papiers, der Gewerkschaftsbasis, löste die Diskrepanz zwischen den Leitsätzen und dem Bild, das die ständige NegativBerichterstattung über die NH in der Öffentlichkeit vermittelte, nun endgültige Verwirrung über Sinn und Zweck der Gewerkschaftsunternehmen aus. Das strapazierte die gewerkschaftliche Solidarität so sehr, daß die NH in den Monaten vor dem Februar 1982 in zunehmendem Maße öffentlich geäußerten Widerspruch aus den Reihen gewerkschaftlicher Teilorganisationen hinnehmen mußte. Das Paradebeispiel hierfür waren die Debatten über die Berliner Hausbesetzungen. Sie führten „zu scharfen Polarisierungen innerhalb der Berliner Gewerkschaften“.717 Auf der einen Seite profilierten sich traditionelle Gewerkschafter, besonders in der IG BSE, als Unterstützer der Sanierungsstrategie der NH und als rabiate Gegner der Hausbesetzungen. Auf der anderen Seite gingen vor allem junge Gewerkschaftsmitglieder sowie Intellektuelle innerhalb der Gewerkschaften auf Konfrontationskurs. Die HBV, die IG Druck und Papier, die DGB-Jugend und die Frauenorganisation des DGB unterstützten öffentlich die Forderungen der Instandbesetzer und äußerten scharfe Kritik an der Unternehmensgruppe.718 Die Bezirksleitung der GEW in Neukölln übernahm zusammen mit einer ÖTV-Betriebsgruppe sogar die Patenschaft über ein besetztes Haus.719 Den Hintergrund bildeten auch hier divergierende Auffassungen über die Ziele, die ein gewerkschaftliches Wohnungsunternehmen unter den veränderten Marktbedingungen verfolgen sollte. Diese Divergenzen waren durch die Leitsätze von 1978 nicht beseitigt worden – im Gegenteil: Beide Seiten beriefen sich im Rahmen der Kontroverse über die Hausbesetzungen auf dieses Programmpapier. Die GEW etwa argumentierte, es könne angesichts der mit den Modernisierungsmaßnahmen einhergehenden Mietpreissteigerungen kaum davon die Rede sein, „daß die ‚Bedürfnisse von wirtschaftlich und sozial benachteiligten Arbeitnehmergruppen‘ hier besonders berücksichtigt würden, wie es in den den DGB-Leitlinien zu ‚Auftrag und Aufgaben gemeinwirtschaftlicher Unternehmen‘ heißt.“720 Der Vorstand der NH behauptete genau das Gegenteil: Seiner Auffassung nach konnte es nicht im Interesse sozial schwächerer Schichten sein, in unsanierten und unge716 Vgl. bspw. die Reaktion auf die Veröffentlichung des STERN von Günter Pehl, Angeklagt: Ein mieser Sensationsartikel des „stern“ über die NH, Die Quelle 31.1980, S. 209, in der sich der Autor nicht zu schade war, die beschämende Kritik des Magazins als „miese, auf Sensation bedachte Presseberichterstattung“ abzutun. 717 Fuhrich 1983, S. 190. 718 Gudrun Rogge/Angelika Sieckmann, Gewerkschaftsbeschlüsse und DGB-Politik. Zur Wohnungs- und Instandbesetzersituation in Berlin, in: GEW Berlin (Hg.), Das ist ‚unsere‘ Neue Heimat. Gewerkschaften und Wohnungspolitik, Berlin 1981, zit. nach Fuhrich 1983, S. 190. 719 Vgl. Offener Brief an den Landesbezirk des DGB Berlin, den DGB-Bundesvorstand und die Neue Heimat, November 1981, in: Fuhrich 1983, S. 35–48, hier S. 35. 720 Ebd., S. 36.

6.3 Die Delegitimation der NH

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sunden Bruchbuden zu hausen.721 Die Leitsätze hatten also das Problem, daß die sozialpolitische Strategie, die der Unternehmenspolitik der NH zugrunde lag, mittlerweile heftig umstritten war, nicht lösen können, sondern es im Gegenteil durch ihren Kompromißcharakter noch einmal verschärft. 6.3.2.2 Die Lähmung Selbst innerhalb der NH machte sich die auf diesem Wege generierte Unsicherheit über Sinn und Zweck der Unternehmensgruppe seit Ende der siebziger Jahre deutlich bemerkbar. Denn auch die Mitarbeiter bekamen die wachsende Diskrepanz zwischen den öffentlichen Anforderungen an das Unternehmen und dem schrillen Tonfall, in dem Vietor die sozialpolitische Überlegenheit der NH postulierte, zu spüren. Das galt besonders für die jüngeren Angestellten und damit vor allem für die NHS, deren rapider personeller Aufbau in den Jahren 1969 bis 1971 sich auf hochqualifizierte und zumeist unmittelbar von den Universitäten rekrutierte Architekten und Bauingenieure gestützt hatte. Sie waren zwar nur zum geringeren Teil aktiv an der Studentenbewegung beteiligt gewesen, gingen aber dennoch mit anderen Vorstellungen an den Städtebau heran als die bis dahin dominante „alte Garde“, deren Prägung in der Wohnungsnot der unmittelbaren Nachkriegszeit entstanden war.722 Insbesondere der Konzernbetriebsrat der NHS erwies dabei als Hebel für die Forderungen dieser neuen Generation. Das vergiftete Klima, das zwischen Betriebsrat und Vorstand in den siebziger Jahren herrschte und in der Presseberichterstattung häufig als Beleg für die kapitalistischen Intentionen Albert Vietors genannt wurde, hatte hier seine tieferen Ursachen. Tatsächlich teilten die Betriebsräte der NHS eine ganze Reihe von Argumenten der schärfsten Gegner der Unternehmensgruppe. So kritisierten sie, wie bereits erläutert, immer wieder das Auslandsgeschäft und sympathisierten zum Teil aktiv mit den Hausbesetzern.723 Am deutlichsten ließ sich der Grundsatzkonflikt, der hier im argen lag, aber an einer anderen Diskussion ablesen: Das war die Frage der Höhe der Vorstandsgehälter, die sich seit Mitte der siebziger Jahre zu einem Dauerbrenner entwickelte. Während vor allem Vietor wie selbstverständlich davon ausging, daß sich seine Bezahlung an den in der freien Wirtschaft üblichen Maßstäben orientieren müsse, vertraten die Betriebsräte die Auffassung, daß sich die Gemeinwirtschaftlichkeit des Unternehmens auch in einer Berücksichtigung der Umverteilungsziele der Gewerkschaften und somit in einem deutlich niedrigeren Niveau der Vorstandsgehälter ausdrücken müsse.724 Damit zogen sie zwar regel721 Vgl. Altbausanierung in Berlin – Neue Wohnungen in alten Häusern, Neue Heimat Presseinformation Nr. 3, Oktober 1981, S. 1 sowie Referat VV, Anlage zum Protokoll AR NHH/NHS, 4.12.1981, StA HH, 622–2 Cordua 40, S. 15. 722 Vgl. Interview mit Klaus-Otto Cordua, 24.3.2002. 723 Vgl. ebd. sowie Kap. 6.2.2.3 dieser Arbeit. 724 Vgl. Interview mit Klaus-Otto Cordua, 24.3.2002 sowie zusammenfassend zu dieser Debatte das Rundschreiben von Cordua an die Arbeitnehmervertreter in den Aufsichtsräten von NH und NHS, betr. Vorstandsgehälter, 28.6.1977, StA HH, 622–2 Cordua 77. Zur Höhe von Vietors Gehalt vgl. Kap. 6.4 dieser Arbeit.

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6. Krise vor dem Fall

mäßig den Kürzeren, weil Vetter und Lappas sich in dieser Frage eindeutig hinter den Vorstand stellten; aber mit ihrem Appell an die gewerkschaftliche Moral, der sich hinter der Forderung nach einer niedrigeren Entlohnung verbarg, trafen sie den Nerv der Gewerkschaftsbasis und auch die Erwartungen der Öffentlichkeit in der zweiten Hälfte der siebziger Jahre besser als der Vorstand.725 Gerade weil dies so war, ließen sich die Betriebsräte auch nicht mit einem Machtwort abspeisen. Der Konflikt schwelte die gesamte zweite Hälfte der siebziger Jahre hindurch. Im Kern waren diese Auseinandersetzungen über die Vorstandsgehälter mehr als nur ein gewöhnlicher Streitpunkt. Sie standen symbolisch dafür, daß auch innerhalb der NH die Auffassungen über Funktion und Aufgaben eines gewerkschaftseigenen Unternehmens weit auseinanderliefen. Dieser latente Konflikt über den Unternehmenszweck verunmöglichte Ende der siebziger Jahre die Formulierung einer konsistenten Strategie. Er erhöhte vielmehr die Unsicherheit über die Daseinsberechtigung des Unternehmens so sehr, daß schließlich weder das Management noch die Aufsichtsräte noch irgend jemand sonst wußte, wohin die Reise denn nun gehen sollte.726 Erschwerend hinzu kam, daß diese Verunsicherung auf den fruchtbaren Boden des scheinbar undurchdringlichen Dickichts der unternehmensinternen Bürokratie fiel. Besonders die regionale Struktur, die starke funktionale Untergliederung und die Vielzahl der Geschäftsführerposten waren hier als Hemmschuhe zu nennen. „Bei uns“, so beschrieb ein von McKinsey befragter Abteilungsleiter die daraus entstehende Situation in einer Regionalgesellschaft, „sind immer zwei Geschäftsführer und sechs Abteilungsleiter an jeder Entscheidung beteiligt.“ Auch führe die „strikte Gliederung nach Fachdisziplinen (...) zur Aufsplitterung von Zuständigkeiten und zu langen Entscheidungswegen“.727 „Größe und Fachzuständigkeit“, resümierte ein anderer Mitarbeiter, „sind ein Hemmnis geworden. Das Beherrschen der komplexen Abwicklung eines Vorganges ist verloren gegangen.“728 Oder, wie es ein dritter Kollege formulierte: „Wir verbrauchen alle Kraft nach innen“.729 Ein Ende 1980 verfaßtes Memorandum einer Reihe von leitenden Angestellten – unter ihnen Lisa Bültzing, die persönliche Referentin von Vietor – brachte deutlich zum Ausdruck, wie sehr diese Kombination aus übermäßiger Bürokratisierung und unsicherer Existenzberechtigung die NH lähmte. „Aufgabe und Ziel725 Zur Position Vetters vgl. als typisches Zeugnis sein Schreiben an Cordua und Peter Wlodasch, betr. anstehende Erhöhung der Vorstandsgehälter bei NH, 10.3.1981, StA HH, 622–2 Cordua 170. Zu den Erwartungen in der Öffentlichkeit und an der Gewerkschaftsbasis vgl. Kusch 1986, S. 26 sowie die in Kap. 6.4 dieser Arbeit geschilderten Reaktionen auf das Bekanntwerden von Vietors Einkünften. 726 Vgl. neben den im folgenden genannten Belegen auch die Frage, die ein leitender Angestellter 1979 in einer Vorlage für den Aufsichtsrat formuliert hatte. Sie lautete: „Wohin gehört eigentlich unser ganzes Unternehmen?“, Indikatoren für den Wohnungsbau, Unterlage Beirat NHH, 6.11.1979, StA HH, 622–2 Cordua 161, S. 6. 727 McKinsey & Company, Inc., Anpassung der Neuen Heimat an die Anforderungen der 80er Jahre. Dokumentation, März 1981, Parlamentsdokumentation der Hamburgischen Bürgerschaft, Akten PUA „Neue Heimat“, 06.7.13, S. 60. 728 Ebd. 729 Ebd. Vgl. auch Überlegungen zum Selbstverständnis der NEUEN HEIMAT, StA HH, 622–2 Cordua 190, S. 8.

6.3 Die Delegitimation der NH

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richtung des Unternehmens“, hieß es dort, seien „undeutlich geworden“. Und: „Faktische (...) Widersprüche blockieren das Engagement von Mitarbeitern, Gesellschaftern, Gewerkschaftsmitgliedern sowie weiter Teile der Öffentlichkeit für die NH.“ Zur Frage der Kontrolle des Vorstandes durch den Aufsichtsrat vertraten die Angestellten die Auffassung, daß das Problem hauptsächlich darin liege, daß man „aus Mangel an realistischen Strategiezielen (...) gar nicht so genau [wisse], was eigentlich kontrolliert werden soll.“730 Und hinsichtlich der Aktualität und Relevanz der vom DGB verordneten politischen Ziele zeigten sie sich äußerst skeptisch: „Der gemeinwirtschaftliche Auftrag, wie er vom DGB 1978 formuliert worden ist,“ so ihr Urteil, „bleibt unter den gegenwärtigen und zu erwartenden wohnungswirtschaftlichen Rahmenbedingungen im ‚Außen‘-Verhältnis ein Auftrag, der ohne staatliche, finanzielle Abstützung keine Realisierungschance hat. Mit anderen Worten: Die ‚soziale‘ Profilierungsmöglichkeit gegenüber Konkurrenten ist im wesentlichen nicht gegeben.“731 Die Konsequenzen, die Bültzing und ihre Mitstreiter daraus zogen, erinnerten stark an das, was Bernd Otto schon drei Jahre zuvor in Heidenrod-Springen gefordert hatte. Für sie rückte „der Rentabilitäts- und Leistungsanspruch an die erste Rangstelle, der Sozialanspruch ist nachgeordnet. Das heißt im Grunde nichts anderes als ‚normales‘ Denken und Handeln. Besser als andere sind wir nur dann, wenn das unverfälschte Kosten-Leistungsverhältnis günstiger ist und die dadurch erzielten Erträge Aufgaben des sozialen Managements und Experimenten zugeführt werden.“732 Daraus ergab sich auch „die Empfehlung, sich bei der Darstellung eines (globalen) Sozialanspruchs in der Öffentlichkeit zurückzuhalten. (...) Es wäre wünschenswert, wenn die latente, schon über Jahre stattfindende und z. T. frustrierende ‚Sinndiskussion‘ bald mit einer glaubwürdigen Unternehmensphilosophie abgeschlossen wird. Eine wesentliche Ursache von Unproduktivität, nämlich die Beschäftigung mit sich selbst, würde dann entfallen. Das den zukünftigen Aufgaben angepaßte Selbstverständnis müßte von den Gesellschaftern in eine neue Auftragsformulierung umgesetzt werden.“733 Auch innerhalb der NH war es um 1980 herum also kein Geheimnis mehr, daß die Funktionsfähigkeit des gesellschaftspolitischen Anspruchs der Unternehmensgruppe von Bedingungen abhängig war, die nicht mehr existierten, weil es im Wohnungs- und Städtebaus zu diesem Zeitpunkt keine Defizite mehr gab, die mit dem spezifischen organisatorischen und kulturellen „Set“ der NH hätten bearbeitet werden können. Die zentralen Eigenarten dieses „Sets“ – die Größe, die Ausgestaltung der Arbeitsbeziehungen und die Wachstumsorientierung – gerieten vielmehr angesichts stagnierender Märkte und einer sich ausdifferenzierenden Nachfrage zum größten Hindernis einer erfolgreichen Unternehmensführung. Zu einer Aufgabe dieser Eigenarten waren allerdings weder der Vorstand noch die Anteilseigner bereit; schließlich handelte es sich bei ihnen um die Eckpfeiler des gewerkschaftspolitischen Anspruchs der NH. Um diesen aufrechterhalten zu 730 731 732 733

Ebd., S. 9 (Hervorhebung im Original unterstrichen). Ebd. (Hervorhebung im Original unterstrichen). Ebd., S. 15. Ebd.

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6. Krise vor dem Fall

können, versuchte die Unternehmensgruppe, sich mit einer Strategie der „Expansion zur Vermeidung des Untergangs“ gegen die säkularen Entwicklungstendenzen in ihrem wirtschaftlichen und politischen Umfeld zu stemmen. Dabei übernahm sie sich in spektakulärer Weise. Das galt zum einen in ökonomischer Hinsicht, weil die Risiken der Ausdehnung des Städtebaus und des Auslandsgeschäfts jedes kalkulierbare Maß überstiegen. Es galt zum anderen aber auch im Hinblick auf die Legitimationsbasis der NH, weil die mit der Expansionsstrategie verbundene Unternehmenspolitik angesichts veränderter wohnungswirtschaftlicher Rahmenbedingungen und angesichts einer veränderten Erwartungshaltung gegenüber gemeinwohlorientierten Unternehmen offensichtlich unglaubwürdig war. Nicht nur in wirtschaftlicher, sondern auch in unternehmenskultureller Perspektive war deshalb zu Beginn der achtziger Jahre die Notwendigkeit einer tiefen Zäsur in der Unternehmensgeschichte mit Händen zu greifen.

6.4 AUSBLICK: SKANDALE UND ABWICKLUNG (1982–1998) 6.4 AUSBLICK: SKANDALE UND ABWICKLUNG Aus eigener Kraft brachte die NH eine solche Zäsur allerdings nicht mehr zustande. Diese Arbeit übernahm der SPIEGEL. Am 8. Februar 1982 veröffentlichte er unter dem Titel „Die dunklen Geschäfte von Vietor und Genossen“ detaillierte Belege für die an anderer Stelle bereits ausführlich erläuterten Beteiligungen von Vorstandsmitgliedern an der tele-therm, der AVB und einer dritten Gesellschaft, der Fapaco Tankstellen KG – alles Firmen, die ihrerseits Dienstleistungen an die NH verkauften und so die Ausgaben der Unternehmensgruppe für Fernwärme, Heizöl und Antennenanlagen in die privaten Taschen von Vietor, Vormbrock, Iden und einigen anderen umleiteten.734 Schon eine Woche später legten die Journalisten noch einmal nach und berichteten, daß die Vorstandsmitglieder sich zusätzlich in großem Stile an sogenannten BGB-Gesellschaften beteiligt hatten. Diese BGB-Gesellschaften waren besonders in Berlin verbreitet und standen in engem Zusammenhang mit der dortigen Sanierungstätigkeit. Sie ermöglichten es privaten Anlegern, beim Kauf von Anteilen an frisch sanierten Häusern die Sonderabschreibungsmöglichkeiten aus dem Berlin-Förderungsgesetzes in Anspruch zu nehmen. Die Investoren erzielten auf diesem Wege so hohe Steuernachlässe, daß sie – eine entsprechende Steuerschuld vorausgesetzt – Wohnungseigentum fast zum Nulltarif bilden konnten.735 Die Beteiligung von Vorstandsmitgliedern der NH an solchen Geschäften war durchaus nicht illegal; die Sonderförderung für Berlin hatte im Gegensatz zu ande734 Vgl. Gut getarnt im Dickicht der Firmen, SPIEGEL 36.1982,6, S. 92–104, passim. Die Belege waren dem SPIEGEL vom ehemaligen Pressesprecher der Unternehmensgruppe, John Siegfried Mehnert, zugetragen worden. Mehnert war 1977 als Quereinsteiger zur NH gekommen, aber bereits 1980 – nach der Veröffentlichung des STERN über den rabiaten Umgang der Unternehmensgruppe mit ihren Mietern – wieder entlassen worden. Bei dieser Gelegenheit hatte er die betreffenden Dokumente aus den Büros der Vorstandsmitglieder entwendet. Vgl. Mehnert 1997, S. 34 u. S. 159. 735 Vgl. Vietor und die „sogenannten reichen Leute“, SPIEGEL 36.1982,7, S. 98–104, hier v. a. S. 98.

6.4 Ausblick: Skandale und Abwicklung

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ren Abschreibungsmöglichkeiten sogar die ausdrückliche Billigung des DGB gefunden, weil für die Gewerkschaften in diesem speziellen Fall der Solidaritätsbeweis für Berlin wichtiger war als die Kritik an der mit solchen Regelungen verbundenen Begünstigung der Bezieher hoher Einkommen.736 Aber erstens genügte alleine die Andeutung der mit diesen Gesellschaften erzielten Steuerersparnisse, um den in der ersten SPIEGEL-Veröffentlichung erhobenen Vorwurf der Habgier zu untermauern. Zweitens ließ die Tatsache, daß diese Steuerersparnisse ausgerechnet zur Unterstützung der umstrittenen Berliner Sanierungspolitik dienten, die beteiligten Vorstandsmitglieder ganz persönlich als Profiteure der Wohnungsnot erscheinen.737 Und drittens enthüllte der SPIEGEL auch noch, daß die BGB-Gesellschaften tief in den Subventionsbetrug, dessentwegen die Staatsanwaltschaft seit 1980 gegen die NH Berlin ermittelt hatte, verwickelt waren. Die Anleger (also auch die Vorstandsmitglieder der NHH) traf daran zwar keine Schuld; aber immerhin stiftete auch dieser Vorwurf „anhaltende Verwirrung darüber, ob diese Anlagen legitim oder illegitim waren“738 und trug so zu dem miserablen Eindruck, den die Unternehmensgruppe in diesen Februartagen vermittelte, bei. Und als wäre dies noch nicht genug, legte der SPIEGEL in einer dritten Titelgeschichte einige Wochen später auch noch die Beteiligung der Vorstandsmitglieder an der Terrafinanz – der Grundstücksgesellschaft, die zwanzig Jahre zuvor in MünchenNeuperlach im großen Stil Grundstücke aufgekauft und an die Unternehmensgruppe weiterverkauft hatte – dar.739 Dieser dritte Fall beinhaltete insofern die schwerwiegendsten Vorwürfe, als der wirtschaftliche Schaden, der der Unternehmensgruppe hierdurch entstanden war, bei weitem am höchsten zu veranschlagen war.740 Zu dem Sturm, der 1982 über die NH hereinbrach, trug er allerdings nichts fundamental Neues bei. Denn schon die erste Nachricht, daß sich ausgerechnet die Vorstandsmitglieder eines gewerkschaftseigenen Unternehmens solchermaßen schamlos bereichert hatten, schlug ein wie eine Bombe. Das lag zweifellos in erster Linie daran, daß die Veröffentlichungen des SPIEGEL gravierende Vorwürfe beinhalteten, von denen zurecht gesagt worden ist, daß sie „alle Ideale, die die Arbeiterbewegung jemals auf ihre Fahnen geschrieben hatten, gründlich desavouier[t]en“.741 Aber es war auch nicht zu übersehen, daß die Enthüllungen ein leichtes Opfer getroffen hatten: eine Unternehmensführung, die über keinerlei plausible Maßstäbe für die Beurteilung des eigenen Handelns mehr verfügte. Die Reaktion auf die Vorwürfe, die der Vorstand am 9. Februar als Pressemitteilung verbreitete, ließ dies erkennen. Vietor und Co. erklärten in ihr, die Vorwürfe des SPIEGEL seien „böswillig und insbesondere hinsichtlich der Ausdeutungen weitestgehend falsch“. Zwar habe es tat-

736 Vgl. Protokoll AR NHH/NHS, 13.2.1982, StA HH, 622–2 Cordua 42, S. 10 sowie AR-Sitzung 13.2.1982, handschr. Protokoll Corduas, StA HH, 622–2 Cordua 42, S. 14 f. 737 Vgl. Fuhrich 1984, S. 150 sowie Vietor und die „sogenannten reichen Leute“, SPIEGEL 36.1982,7, S. 98–104, hier S. 98. 738 Schifferer 1988, S. 47. 739 Vgl. Das Geld lag auf dem Acker, SPIEGEL 36.1982,20, S. 34–47. 740 Vgl. dazu die Ausführungen in Kap. 4.2.2.1 dieser Arbeit. 741 Wallenhorst 1993, S. 390.

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6. Krise vor dem Fall

sächlich stille Beteiligungen von Vorstandsmitgliedern gegeben; dies sei aber „weder ungesetzlich noch unehrenhaft“.742 Vor allem diese letzte Bemerkung war es, die signalisierte, daß der Vorstand sein Gespür für die Erwartungshaltung der Öffentlichkeit gegenüber einem gewerkschaftseigenen Unternehmen völlig verloren hatte. Und sollte es hieran noch Zweifel gegeben haben, so beseitigte Vietor sie spätestens am nächsten Tag in einem Interview mit der BILD-Zeitung. Scheinbar in der Absicht, sich durch Offenheit zu entlasten, legte er seine Vermögensverhältnisse dar: Er verdiene bei der NH 524.000 DM, besitze in Hamburg 24½ Wohnungen und sei in Berlin an weiteren 217 Wohnungen beteiligt. Insgesamt komme er so auf ein jährliches Einkommen von ca. 1,6 Mio. DM. Aufgrund der mit seinem Immobilienbesitz verbundenen Abschreibungsmöglichkeiten müsse er aber nur etwa 100.000 DM Steuern bezahlen. Vietor gab zu verstehen, daß er hierin nichts Anstößiges zu erkennen vermochte. „Ich sage ehrlich“, so ließ er die BILD-Zeitung wissen, „gäbe es einen Weg, die [100.000 DM] auch noch legal einzusparen – ich würde das versuchen.“743 Mit diesen Äußerungen „löste Albert Vietor einen regelrechten Sturm der Entrüstung aus. Jetzt ging es nur noch um die moralische Dimension solchen Tuns – gerade weil Albert Vietor sie offensichtlich überhaupt nicht mehr sah.“744 Die Stuttgarter Zeitung schrieb in diesem Sinne, das Verhalten des NHVorstands bedeute „eine Verhöhnung der beitragsehrlichen Gewerkschaftsmitglieder“, die jede „gewerkschaftliche Kritik an fragwürdigen Unternehmerpraktiken in der Privatwirtschaft unmöglich“745 mache. Hätte diese Entrüstung nur die veröffentlichte Meinung betroffen, wäre es für die NH vielleicht zu verschmerzen gewesen; schließlich hatte sie sich um deren Vorwürfe schon seit geraumer Zeit nicht mehr geschert. Schlimmer war, daß Vietor mit seinen Äußerungen auch seine letzten Alliierten in der Gewerkschaftsführung verprellte. Das hing allerdings weniger mit seinem „unmoralischen“ Verhältnis zur Steuerpflicht zusammen als vielmehr damit, daß er in dem Interview mit der BILD versuchte hatte, einen Teil der Schuld auf die Gewerkschaftsspitzen abzuwälzen. Der Aufsichtsrat, so behauptete er, habe von seinen Nebengeschäften gewußt und sogar ausdrücklich gewünscht, daß diese über Strohmänner abgewikkelt würden.746 Ersteres entsprach allerdings nur zu einem kleinen Teil der Wahrheit, zweiteres überhaupt nicht.747 Deshalb erreichte Vietor mit seinem Interview 742 Neue Heimat-Vorstand zu Spiegel-Vorwürfen, Neue Heimat Presseinformationen Nr. 2, 9.2.1982, S. 1. 743 BILD, 10.2.1982. 744 Wallenhorst 1993, S. 393. 745 Zit. nach SPIEGEL 36.1982,7, S. 108. 746 Vgl. BILD, 10.2.1982. 747 Vgl. dazu die Ausführungen in Kap. 4.2.2.1 zu den Aufsichtsratsbeschlüssen aus den Jahren 1954 und 1955, auf die sich Vietor zu seiner Rechtfertigung bezog. Die dort genannten Gründe, warum diese keine Genehmigung des Aufsichtsrats für eine Beteiligung von Vorstandsmitgliedern an der Terrafinanz darstellen, gelten analog auch für die Beteiligungen an tele-therm, Fapaco und AVB. Erwähnenswert ist allerdings, daß Vetter und Lappas über den Umfang des Immobilienbesitzes der Vorstandsmitglieder und auch über die Tatsache informiert waren, daß der Vorstand sich zur Rechtfertigung dieses Vermögens auf die genannten Beschlüsse bezog. Dies geht aus einem Briefwechsel zwischen Vietheer, Lappas und Vetter von 1973 her-

6.4 Ausblick: Skandale und Abwicklung

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das Gegenteil dessen, was er beabsichtigt hatte: Der Versuch, diejenigen in die Verantwortung zu nehmen, die in den Monaten zuvor seine letzte Stütze gewesen waren, beschleunigte nun den Fall des Vorstands. Am 13. Februar 1982 entließ der Aufsichtsrat Vietor, zwei Wochen später auch Iden und Vormbrock fristlos; Horst Städter und Rolf Dehnkamp wurden Ende März, Peter Dresel im Dezember 1982 beurlaubt, und nur der erst wenige Monate zuvor ins Amt gekommenen Erich Frister durfte bleiben.748 Zum neuen Vorsitzenden der Geschäftsführung bestellten die Aufsichtsräte den vormaligen Chef der BfG, Diether Hoffmann, und im Laufe des Jahres 1982 berief er noch zwei weitere neue Geschäftsführer.749 Mit dieser personellen Umgestaltung war der Skandal allerdings längst nicht ausgestanden. Zum einen klagten die entlassenen Geschäftsführer vor dem Hamburger Landgericht auf Weiterbeschäftigung. Iden und Vormbrock gewannen ihre Prozesse, weil der Aufsichtsrat sie vor ihrer Kündigung nicht angehört hatte. Sie einigten sich mit der NH auf eine Abfindung. Vietor hingegen verlor, weil er besonders mit seiner Beteiligung an der Terrafinanz eindeutig seine Pflichten verletzt hatte. Die NH erhob gegen ihn sogar Widerklage und forderte Schadensersatz in Höhe von 10 Mio. DM.750 Vietor entging einer Verurteilung wohl nur deshalb, weil er am 26. November 1984 in seiner Villa im Tessin einem Herzinfarkt erlag.751 Von den übrigen Beteiligten konnte allerdings keiner belangt werden, weil ihr Verhalten zwar durchaus unehrenhaft, aber tatsächlich nicht ungesetzlich gewesen war. Zum anderen aber bezogen sich die Enthüllungen des SPIEGEL nicht allein auf die genannten Vorstandsmitglieder, sondern ebenso auf eine Reihe von Gewerkschaftsführern. Besonders in seiner zweiten Veröffentlichung vom 15. Februar hatte das Magazin suggeriert, daß auch Heinz Oskar Vetter, Alfons Lappas und andere tief in den NH-Skandal verstrickt waren. Das betraf neben dem Vorwurf, sie hätten in ihrer Rolle als Aufsichtsräte versagt, vor allem die Enthüllung, daß auch sie von der NH an den Berliner BGB-Gesellschaften beteiligt worden waren. Diese Erkenntnis brachte die Stimmung an der Gewerkschaftsbasis zum Überkochen.752 „Die Verbitterung der Gewerkschaftsmitglieder richtet[e] sich [dabei] hauptsächlich auf das ‚Fehlverhalten‘ ihrer Spitzenfunktionäre. Im Vordergrund der Debatten (...) [stand] der Vorwurf der persönlichen Bereicherung und die Tatsache, daß Spitzenfunktionäre den DGB und die gemeinwirtschaftlichen Unter-

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vor, dem zu entnehmen ist, daß Vietheer schon zu diesem Zeitpunkt auf die Problematik dieser Aufsichtsratsbeschlüsse aufmerksam gemacht hat. Detailliertere Nachforschungen, die den Aufsichtsrat u. U. auch auf die 1982 diskutierten Beteiligungen hätten stoßen können, unterblieben aber, weil Lappas und Vetter sie abblockten. Vgl. Schreiben Vietheer an Lappas, betr. Vorstandsgehälter Neue Heimat, 15.8.1973, DGBA-BV, Abt. Vorsitzender, 5/DGAI 1908 sowie Schreiben Lappas an Vetter, betr. Vorstandsgehälter Neue Heimat, 30.8.1973, DGBABV, Abt. Vorsitzender, 5/DGAI 1908. Vgl. Kusch 1986, S. 22 sowie Protokoll AR NHH/NHS, 13.2.1982, StA HH, 622–2 Cordua 42, S. 4 f. Vgl. ebd. sowie GB NHH 1982, S. 6. Vgl. Kusch 1986, S. 27. Vgl. Schulz 1987, S. 6. Vgl. Da mußten längst die Staatsanwälte hin, SPIEGEL 36.1982,7, S. 91–98, hier S. 93.

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nehmen als Selbstbedienungsladen für den sozialen Aufstieg genutzt haben.“753 In dieses Schema schienen auch die Beteiligungen von Gewerkschaftsfunktionären an BGB-Gesellschaften gut zu passen. Alois Pfeiffer, der auf dem bevorstehenden DGB-Bundeskongreß im Mai 1982 zum neuen DGB-Vorsitzenden gewählt werden sollte, zog aufgrund der Vorwürfe des SPIEGEL sogar seine Kandidatur zurück, obwohl ihm selbst die BILD-Zeitung attestierte, daß man ihm aus seiner Beteiligung an einer BGB-Gesellschaft keinen Vorwurf machen könne.754 Die aufgepeitschte Stimmung innerhalb der Gewerkschaften führte allerdings nicht nur zu solchen Kurzschlußreaktionen, sondern auch dazu, daß die seit Jahren auf der Hand liegende Frage, ob das gewerkschaftliche Konzept der Gemeinwirtschaft überhaupt noch tragfähig war, in den Hintergrund trat und statt dessen einer reflexartigen Selbstbestätigung wich. Ausgerechnet Heinz Kluncker, der als einer der wenigen im Aufsichtsrat der NH schon früh durch kritische Bemerkungen zu dieser Frage aufgefallen war, gab auf dem DGB-Bundeskongreß die Tonlage vor: In einem mit breiter Mehrheit verabschiedeten Initiativantrag stellte er fest, daß die gemeinwirtschaftlichen Unternehmen „als Selbsthilfeunternehmen der Arbeitnehmer weiterhin unverzichtbar“ seien und forderte, daß „das Fehlverhalten einzelner (...) nicht dazu führen [dürfe], die Gemeinwirtschaft generell in Frage zu stellen.“755 Diese Sichtweise, die die Schwierigkeiten der gewerkschaftseigenen Unternehmen alleine auf die unmoralischen Aktivitäten des NH-Vorstands reduzierte, sollte die DGB-internen Debatten bis 1985/86 prägen. Sie ließ allerdings ein wesentliches Problem außer acht: die Tatsache nämlich, daß die Unternehmensgruppe schon seit Mitte der siebziger Jahre um ihr Überleben kämpfte und spätestens seit Ende 1979 unaufhörlich auf die Pleite zutrieb. Das hatte mit den Schäden aus der persönlichen Bereicherung des Vorstands, die sich gegenüber der Gesamtverschuldung der NH geradezu bescheiden ausnahmen, nichts zu tun, sondern lag in erster Linie in der verfehlten Unternehmenspolitik begründet.756 Falls die Beteiligten dies in der Aufregung um die Nebengeschäfte der Führungsriege vergessen hatten, so wurden sie spätestens durch die katastrophale Entwicklung in Mexiko und Brasilien im Februar und März 1982 wieder daran erinnert.757 Nicht zuletzt aufgrund der dortigen Abwertungen sah sich der neue Vorstand dazu veranlaßt, als eine seiner ersten Amtshandlungen eine Bestandsaufnahme in Auftrag zu geben, die den Aufsichtsräten im Juli 1982 vorge753 Fuhrich 1983, S. 200 f. Vgl. auch Kempter 2003, S. 468 f. 754 Vgl. Schifferer 1988, S. 66. 755 Initiativantrag 5, betr.: Konsequenzen aus den Vorgängen um die NEUE HEIMAT, in: DGBBundesvorstand, Abt. Organisation (Hg.), Protokoll 12. ordentlicher Bundeskongreß Berlin 16.–22.5.‘82, o. O. 1982, Abschnitt „Anträge“, S. 551–552, hier S. 551. 756 Die über zwanzig Jahre verteilten Schäden aus der persönlichen Bereicherung des Vorstands beliefen sich insgesamt nur auf einen Bruchteil der Beträge, die die NH in den folgenden Jahren verschlang. Eine Wirtschaftsprüfungsgesellschaft bezifferte sie 1983 auf ca. 105 Mio. DM. Je nach Berechnung der Schäden aus den Geschäften der Terrafinanz ist aber auch diese Summe u. U. deutlich zu hoch gegriffen. Vgl. Treuarbeit AG, Teil-Bericht Nr. 10 5720 3 über die bei der NHG durchgeführte Sonderprüfung, 21.3.1983, StA HH, 622–2 Cordua 110, S. 5 ff.; die weiteren in dieser Mappe befindlichen Teilberichte der Treuarbeit sowie zur Frage der Schäden aus der Tätigkeit der Terrafinanz Kap. 4.2.2.1 dieser Arbeit. 757 Vgl. Kap. 6.2.2.3 dieser Arbeit.

6.4 Ausblick: Skandale und Abwicklung

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legt wurde. Sie kam zu dem Schluß, daß die noch vom alten Vorstand bei der NHS vorgenommene Kapitalerhöhung nicht ausreichte, um das Unternehmen zu retten. Denn bei den Städtebaugesellschaften drohte zum Jahresende ein Defizit von weiteren 400 Mio. DM, das nur durch weitere Leistungen der Gewerkschaften abzudecken war.758 Hoffmann verlangte deshalb Anfang September 1982 von den Anteilseignern einen Zuschuß von 350 Mio. DM sowie eine Kapitalerhöhung um 50 Mio. DM. Nach „zum Teil dramatische[n] Diskussionen“,759 die besonders unter den Gewerkschaftsmitgliedern große Empörung hervorriefen, bekam er das Geld auch. Etwas über 60% flossen zur Verlustabdeckung ins Ausland, der Rest entfiel auf inländische Verluste. Im Gegenzug hatte Hoffmann den Gewerkschaften allerdings einschneidende Sanierungsmaßnahmen versprechen müssen, die ihren Niederschlag in einem Ende August vorgelegten „Strukturkonzept“ fanden. Es sah einen vollständigen Rückzug aus den Auslandsaktivitäten, eine Beendigung der Eigeninvestitionen, eine Veräußerung der verbliebenen Spezialgesellschaften sowie eine Verwertung der Grundstücke zur Verlustabdeckung vor. Hinzu kam eine Reduzierung des Inlandspersonals der NHS von 700 auf 500 Mitarbeiter, die sich zukünftig ausschließlich auf die Dienstleistungstätigkeit konzentrieren sollten.760 Tatsächlich war selbst dieses Konzept noch zu optimistisch, denn eine Veräußerung des Grundstücks- und des Immobilienbestandes der NHS war nur um den Preis massiver Wertberichtigungen zu haben. Diese erforderten 1983 eine weitere Kapitalspritze in Höhe von 450 Mio. DM. Erst danach gelang es den Städtebaugesellschaften, ihre Vermögenswerte in großem Stile zu veräußern. Zur Verlustabdeckung reichte das allerdings noch nicht aus: Da die NHS für 1984 mit einem weiteren Negativergebnis – diesmal in Höhe von 100 Mio. DM – rechnen mußte, blieb ihr nur eine Herabsetzung des Eigenkapitals von 230 Mio. DM auf 5 Mio. DM.761 Damit einher ging im November 1984 die Umwandlung der Gesellschaft in eine AG, die auch das Ende des Gleichordnungskonzerns bedeutete, ihre Umbenennung in GSP Gesellschaft für Städtebau und Planung und die Ausgliederung der bauwirtschaftlichen Dienstleistungen und des Auslandsgeschäfts in zwei neue Gesellschaft, die „Planbaucontract“ und die „Interpromotion“.762 Die „Planbaucontract“ und mit ihr der größte Teil der Arbeitsplätze der NHS wurde dann Ende 1985 an private Investoren verkauft. Die GSP und die Interpromotion verblieben hingegen bei BGAG. Sie wickelten bis 1990 den ausländischen Grundstücksbe758 Zur Entwicklung der Verluste bis Ende 1982 vgl. auch Aktiengesellschaft für Wirtschaftsprüfung Deutsche Baurevision Wirtschaftsprüfungsgesellschaft, Bericht über die Prüfung des Jahresabschlusses zum 31.12.1982 der NHS Hamburg 5290/82, StA HH, 622–2 Cordua, 115, S. 39. 759 Vgl. Rede von Dieter Hoffmann auf einer Bankensitzung, 6.12.1982, in: Kunz 2003, S. 562– 567, hier S. 563. 760 Vgl. Strukturkonzept Neue Heimat Städtebau, 26.8.1982, StA HH, 622–2 Cordua 240, v. a. S. 13 ff., S. 18, S. 25 ff., S. 33 ff. u. S. 46. 761 Vgl. Neue Heimat Hamburg (Hg.), Informationen von der Neuen Heimat, Hamburg 1985, S. 37. 762 Vgl. Jochen Eckertz, Die gemeinwirtschaftlichen Unternehmen der deutschen Gewerkschaften, in: Michael Kittner (Hg.), Gewerkschaftsjahrbuch 1986. Daten – Fakten – Analysen, Köln 1986, S. 605–631, hier S. 624.

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6. Krise vor dem Fall

stand und die noch nicht abgeschlossenen Großbauprojekte der Kliniken in Aachen und Göttingen ab.763 Dann wurden sie liquidiert. Insgesamt hatten die Gesellschafter für die Abwicklung der NHS bis zu diesem Zeitpunkt inklusive der bereits 1981 vorgenommenen Kapitalerhöhung etwa 1,5 bis 1,6 Mrd. DM aufwenden müssen.764 Ein nicht näher bestimmbarer Teil dieser Zuschüsse konnte zwar durch Verkäufe von Vermögenswerten wieder ausgeglichen werden, aber insgesamt dürfte die NHS die Gewerkschaften und die BGAG bis 1985 dennoch über eine Mrd. DM gekostet haben.765 Ohne diese Gelder, die allesamt auf das Konto von Risiken gingen, die die NH vor 1982 eingegangen war, wäre ein Konkurs der Städtebaugesellschaften nicht zu vermeiden gewesen.766 Aus eigener Kraft waren sie also schon unter dem alten Vorstand nicht mehr überlebensfähig. Und das galt in der Folge auch für die NHG und somit für die gesamte Unternehmensgruppe. Denn zum einen hätte, wie bereits erwähnt, ein Konkurs der NHS auch die NHG mit in den Abgrund gerissen. 767 Zum anderen aber zeichnete sich seit der Bestandsaufnahme vom Juli 1982 ab, daß auch die NHG selbst ein Sanierungsfall war, dessen einziges unternehmenspolitisches Ziel für die nächsten Jahre in dem Versuch bestehen konnte, von der Vermögenssubstanz der Gruppe zu retten, was noch zu retten war. Genau dieses Ziel bildete in den folgenden Monaten die Leitlinie der Unternehmenspolitik des neuen Vorstandes. Das Strukturkonzept hatte in diesem Sinne betont, daß „das bisherige Unternehmensziel Expansion und somit Maximierung des Bauprogramms (...) aufzugeben“ sei und daß eine Sicherung der Beschäftigung nur „auf deutlich niedrigerem Niveau“768 erreicht werden könne. Doch die in diesem Konzept vorgesehenen Maßnahmen – der Abbau des Personalbestandes, der Grundstücksvorräte und der Leerstände, die Fortführung des Aufbaus des Controlling-Systems und der Verkauf weiterer Gebrauchtwohnungen – erwiesen sich zunächst als ungeeignet, um die wirtschaftliche Lage der Unternehmensgruppe zu verbessern.769 Denn die Wohnungsbaukonjunktur entwickelte sich weiterhin rückläufig und die Bereitschaft der Wirtschaftsprüfer, die Regelungen des WGG großzügig zugunsten der Unternehmensgruppe auszulegen, war durch den Skandal auf den Nullpunkt gefallen. Schon im Herbst 1982 ging der Vorstand deshalb davon aus, daß sich die Verluste der NHG für 1982 auf etwa 245 Mio. DM addieren würden. Für 1983 erwartete er ein weiteres Negativergebnis in dreistelliger Millionenhöhe. Intern wurde deshalb bereits Ende 1982 angekündigt, daß auch für den gemeinnützigen Konzernteil „nur eine unkonventionelle Lösung (z. B. Rückzug der Gewerkschaften 763 Vgl. Kaltenborn 1990, S. 14; Eckertz 1986, S. 624 sowie Lage bei NHS und NHG: BGAGVermerk, Januar 1986, in: Kunz 2003, S. 615–618, hier S. 615. 764 Vgl. ebd. 765 Vgl. Kaltenborn 1990, S. 14. 766 Vgl. Lage bei NHS und NHG: BGAG-Vermerk, Januar 1986, in: Kunz 2003, S. 615–618, hier S. 615. 767 Vgl. ebd. 768 Strukturkonzept Neue Heimat Gemeinnützig, 26.8.1982, StA HH, 622–2 Cordua 240, S. 3. 769 Vgl. Verband Norddeutscher Wohnungsunternehmen, Bericht über die Prüfung der NEUE HEIMAT Gemeinnützige Wohnungs- und Siedlungsgesellschaft mbH, Hamburg, Jahresabschluß 1982, 22.11.1983, StA HH, 622–2 Cordua, 115, Ziff. a114.

6.4 Ausblick: Skandale und Abwicklung

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aus der NHG, Heimfall der Gesellschaften an den Staat usw.)“770 übrig bleiben werde. Vorläufig ließ sich ein solch radikaler Schritt allerdings noch vermeiden, denn obwohl die Unternehmensgruppe 1982 und 1983 zur Verlustabdeckung Rücklagen in Höhe von 444 Mio. DM auflösen mußte, erwartete der Vorstand, daß sie Ende 1983 noch immer über haftende Mittel in Höhe von über einer halben Milliarde DM verfügen würde. Damit näherte sie sich allerdings, wie Hoffmann bei einer Zusammenkunft mit Vertretern der Gläubigerbanken erklärte, „eine[r] sehr kritische[n] niedrige[n] Grenze“.771. Der Vorstand vertrat deshalb seit Herbst 1982 die Auffassung, daß es notwendig sei, „konsequenter als bisher den Kurs der Konsolidierung zu verfolgen und diesem Ziel Vorrang vor allen anderen Zielen, zu denen sich die Gruppe verpflichtet fühlt, zu geben“,772 und setzte diese Zielsetzung im August 1983 in ein zweites Strukturkonzept um. Dieses zweite Strukturkonzept ging davon aus, daß die Verluste aus der Grundstücksbevorratung, der Bau- und Verkaufstätigkeit, den Dienstleistungen und der Zinsverrechnung aufgrund der schwachen Wohnungsbaukonjunktur und der Schwierigkeiten beim Abbau des Personals bis 1987 andauern würden. Es sagte voraus, daß bis zu diesem Datum stille Reserven in Höhe von 2,3 Mrd. DM mobilisiert werden müßten.773 Tatsächlich entpuppte sich diese Prognose in den folgenden Jahren als weitestgehend zutreffend; für den Zeitraum zwischen 1981 und 1985 beliefen sich die operativen Verluste der NHG auf etwa 2 Mrd. DM.774 Diese negativen Ergebnisse konnten nur durch „Substanzverwertung“, also durch den im großen Stile durchzuführenden Verkauf von Wohnanlagen ausgeglichen werden. Dieses Ziel bestimmte daher die Unternehmenspolitik zwischen Mitte 1984 und Anfang 1986. In diesem Zeitraum verkaufte die NH etwa 60.000 Wohnungen775 – allerdings nicht alle an private Investoren: Um den Markt nicht auf einen Schlag zu überschwemmen, hatte die BGAG, die seit Ende 1982 49,9% an der NHG hielt, im September 1984 mit der BG-Immobiliengesellschaft (BGI) eine Auffangorganisation gegründet. Sie übernahm etwa 21.000 dieser Wohnungen und verkaufte sie anschließend Schritt für Schritt weiter.776 Aber auch diese Politik der „Substanzverwertung“ war keine Dauerlösung für die angeschlagene Unternehmensgruppe. Erstens war die „Politik des Verlustausgleichs durch jährliche Gebrauchtwohnungsverkäufe (...) politisch, ökonomisch und sozial nicht auf längere Sicht durchführbar“,777 weil sie besonders für die Mieter mit großen Unsicherheiten verbunden war. Das schlug sich in großer Unruhe 770 BGAG-Vermerk vom 18. November 1982 (Gespräch in Hamburg am 16. November 1982 über Perspektiven der Neuen Heimat), in: Kunz 2003, S. 561–562, hier S. 562. 771 Rede von Dieter Hoffmann auf einer Bankensitzung, 6.12.1982, in: Kunz 2003, S. 562–567, hier S. 566. 772 Ebd. 773 Vgl. Strukturkonzept II zur Neuen Heimat Gemeinnützig vom August 1983 (Auszüge), in: Kunz 2003, S. 577–583, hier S. 583. 774 Vgl. Lage bei NHS und NHG: BGAG-Vermerk, Januar 1986, in: Kunz 2003, S. 615–618, hier S. 616. 775 Vgl. Mehnert 1997, S. 182. 776 Vgl. Kunz 2003, S. 106 ff. 777 Lage bei NHS und NHG: BGAG-Vermerk, Januar 1986, in: Kunz 2003, S. 615–618, hier S. 615.

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6. Krise vor dem Fall

und in einer Politisierung der Debatte um die NH, die in einer aktuellen Stunde am 25. September 1985 erstmals auch den Bundestag erreichte, nieder.778 Und zweitens genügten auch die Erlöse aus den bis dahin getätigten Verkäufen nicht, um die Verluste der NHG zu finanzieren. Die gemeinnützige Unternehmensgruppe mußte deshalb, wie schon Ende seit 1980, weiterhin neue Kredite aufnehmen, denen keine festen Einnahmequellen gegenüberstanden. Das war ein Teufelskreis, denn mit jedem neu aufgenommenen Kredit stieg auch die Zinsbelastung weiter an – und damit die Notwendigkeit, neue Kredite aufnehmen zu müssen. Die NHG befand sich also in einer Verlustspirale, aus der sie nicht mehr entkommen konnte. Bis 1985 summierten sich ihre Betriebsmittelkredite auf über fünf, die Gesamtverpflichtungen (inklusive dinglich gesicherter Hypotheken) sogar auf 17,1 Mrd. DM.779 Dem Vorstand der Unternehmensgruppe war klar, daß eine am Ende dieses Jahres anstehende Erneuerung dieser Kredite nur „unter Vorlage eines überzeugenden Gesamtkonzeptes“780 zu haben war, zumal die Banken bereits zwei Jahre zuvor die Kreditlinien der NH nur widerwillig verlängert hatten. Ein solches Gesamtkonzept war aber angesichts der nicht abzusehenden weiteren Verluste im Rahmen der bisherigen Sanierungsversuche nicht zu verwirklichen. Seit Anfang 1986 kippte deshalb die unternehmensinterne Debatte über die weitere Vorgehensweise in Richtung einer Auflösung der NH. Parallel hierzu geriet auch die innergewerkschaftliche Diskussion in Bewegung. Die anhaltenden Schwierigkeiten bei der Sanierung, die zunehmenden Proteste von Mietern und die Mai 1986 vorgestellten Ergebnisse des Hamburger NH-Untersuchungsausschusses, die detaillierte Belege für die zahlreichen Verstöße der Unternehmensgruppe gegen das WGG lieferten, hatten die breite Mehrheit der Mitglieder davon überzeugt, daß die NH für die Gewerkschaften auf absehbare Zeit eine Belastung darstellen würde, die zu ihrem gewerkschaftspolitischen Nutzen in keinerlei Verhältnis stand.781 Der DGB-Bundeskongreß beschloß deshalb im Mai 1986, sich mittelfristig aus dem gemeinnützigen Wohnungsbau zurückzuziehen. Eine grundsätzliche Abkehr von der Idee der gewerkschaftlichen Gemeinwirtschaft war das allerdings noch nicht; in erster Linie wollte sich der DGB die weiterhin hochdefizitäre NH vom Halse schaffen.782 Zunächst sollte dies in Form einer „Regionalisierung“ der NHG, also einer „Übertragung der einzelnen NH-Regionen auf die öffentlichen Hände bzw. Einrichtungen der Länder und Kommunen“783 vonstatten gehen. Das war allerdings nur unter Mitwirkung der Landesregierungen möglich. Diese waren zwar einerseits um das Wohl von hunderttausenden von NH-Mietern und auch um das Wohl 778 Vgl. Kusch 1986, S. 118 ff. 779 Vgl. Schulz 1987, S. 77. 780 Lage bei NHS und NHG: BGAG-Vermerk, Januar 1986, in: Kunz 2003, S. 615–618, hier S. 617. 781 Vgl. Schifferer 1988, S. 188 ff. und Antrag 308, betr.: Kein Geld für die Neue Heimat, in: DGB-Bundesvorstand, Abt. Organisation (Hg.), Protokoll 13. ordentlicher Bundeskongreß Hamburg 25.–30.5.‘86, o. O. 1986, Abschnitt „Anträge“, S. 574–575. 782 Vgl. Initiativantrag 4, betr.: Die Probleme der Neuen Heimat konsequent lösen, in: ebd., S. 727–729. 783 Lage bei NHS und NHG: BGAG-Vermerk, Januar 1986, in: Kunz 2003, S. 615–618, hier S. 617.

6.4 Ausblick: Skandale und Abwicklung

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der Banken, deren Kredite die Unternehmensgruppe im Falle eines Konkurses nicht mehr hätte bedienen können, besorgt. Andererseits waren sie von der Aussicht auf die Übernahme defizitärer Wohnungsbaugesellschaften aber nicht gerade begeistert, und so kam die Regionalisierungsstrategie nur langsam in die Gänge – so langsam, daß der DGB im September 1986 mit dem Verkauf an Schiesser die erste sich bietende Gelegenheit nutzen wollte, sich der NHG zu entledigen.784 Das Echo auf diese wenig durchdachte Aktion war verheerend: Die Posse um den „Bäcker mit der Mark“ geriet zu einem der bizarrsten Medienereignisse der achtziger Jahre.785 Zusätzlich angeheizt wurde es noch durch den Bonner NH-Untersuchungsausschuß, den die CDU im Juni 1986 mit Blick auf die bevorstehenden Bundestagswahlen eingesetzt hatte. Im Gefolge des Eine-Mark-Verkaufs erreichte das Spektakel um diesen Ausschuß seinen Höhepunkt – inklusive eines vor das Bundesverfassungsgericht getragenen Rechtsstreits über die Kompetenzen des Gremiums und der aufsehenerregenden Verhaftung des mittlerweile zum BGAGVorsitzenden aufgerückten Alfons Lappas am 19. Oktober 1986 (Lappas hatte drei Tage zuvor im Ausschuß die Aussage verweigert und wurde nun vom Rednerpult des IG-Metall-Kongresses weg in Beugehaft genommen).786 Als die Gläubigerbanken einen Monat später zudem die BGAG dazu zwangen, die Unternehmensgruppe von Schiesser zurückzukaufen, war der Ruf der Gewerkschaften als Unternehmer endgültig ruiniert. Niemand traute ihnen nun noch zu, „auch nur einen TanteEmma-Laden leiten zu können“.787 Erst jetzt zeichnete sich auch in der gewerkschaftsinternen Diskussion über die Frage nach der Zukunft des Konzepts der gemeinwirtschaftlichen Unternehmen ein Umschwung ab. In den Presseorganen des DGB häuften sich nun die Stimmen, die nicht nur die NH, sondern auch die gewerkschaftliche Gemeinwirtschaft insgesamt als überholt betrachteten.788 Gerd Elvers, der Leiter der Abteilung Wirtschaft beim DGB-Landesbezirk Bayern, faßte die Diskussion im Dezember 1986 prägnant zusammen und äußerte dabei eine Erkenntnis, die schon 1977 – auf der Tagung in Heidenrod-Springen – überfällig gewesen wäre. „Der frei-gemeinwirtschaftliche Teil in der Gemeinwirtschaftstheorie“, so urteilte er, „hat sich von selbst erledigt“.789 Neun Jahre früher formuliert, hätte diese Einsicht die Gewerkschaften wohl zu gravierenden Einschnitten gezwungen, aber sie damit auch vor vielen der in den achtziger Jahren durchlittenen Torturen bewahren können. Die NH allerdings wäre auch unter diesen Umständen nicht zu erhalten gewesen, zumindest nicht in ihrer alten Form als hochzentralisiertes, auf Massenproduktion ausgerichtetes Großunternehmen. Es war deshalb konsequent, daß, nach784 Vgl. Kunz 2003, S. 134 ff., S. 156 ff. u. S. 192 ff. 785 Vgl. ausführlich Schifferer 1988, S. 61 ff. u. S. 90 ff. Der SPIEGEL brachte die öffentliche Fassungslosigkeit angesichts des Verkaufs an Schiesser gut auf den Punkt: „Die Meldung klang, als hätten Jules Vernes, Erich von Däniken und Madame Buchela ihre gesammelte Phantasie in ein Projekt gesteckt“, „Herr, sie wissen nicht, was sie tun“, SPIEGEL 40.1986,39, S. 24–32, hier S. 24. 786 Vgl. Schifferer 1988, S. 73 ff. 787 Mehnert 1997, S. 191. Zum Rückkauf vgl. Kunz 2003, S. 201 f. 788 Vgl. dazu zusammenfassend Goldberg 1987, S. 153 ff. 789 Gerd Elvers, Vergangenheit und Zukunft der Gemeinwirtschaftsidee, GMH 36.1986, S. 755– 765, hier S. 763.

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6. Krise vor dem Fall

dem sich die politischen Wogen Anfang 1987 etwas geglättet hatten, Heinz Sippel als neuer Treuhänder und Hans Matthöfer als neuer Vorstandsvorsitzender der BGAG wieder auf das Regionalisierungskonzept zurückgriffen und nunmehr endgültig zur Zerschlagung der Unternehmensgruppe ansetzten.790 Unterstützt von einer wieder anziehenden Immobilienkonjunktur gelang ihnen diesmal eine erfolgreiche Umsetzung des Konzepts, das sogar auf den Verkauf an private Unternehmen ausgedehnt werden konnte. Mit dem noch einmal heftig umstrittenen Verkauf der NH Bayern an die Doblinger-Gruppe 1990 war die Abwicklung der Unternehmensgruppe de facto beendet. Sippel und Matthöfer war es mit ihrer Strategie tatsächlich gelungen, nicht nur den Konkurs zu vermeiden und die offenen Rechnungen zu bezahlen, sondern die Abwicklung zudem sozialverträglich zu gestalten, also die sozialen Besitzstände der Mieter und der Mitarbeiter der NH weitgehend zu wahren.791 Gemessen an der katastrophalen Lage der Unternehmensgruppe Mitte der achtziger Jahre machte dies „die Abwicklung der NH zu einer in der deutschen Wirtschafts- und Sozialgeschichte sicherlich einzigartigen, wenn nicht sogar ‚vorbildlichen‘ Abwicklung.“792 Gemessen an dem politischen Anspruch, den die Gewerkschaften mit ihrem Unternehmen verknüpften, kann die Beurteilung aber wohl kaum so positiv ausfallen. Aus dieser Perspektive war die Abwicklung nur das sichtbarste Zeichen dafür, daß die Unternehmensgruppe an den Herausforderungen, die eine veränderte Umwelt seit Mitte der siebziger Jahre an sie gestellt hatte, gescheitert war – und zwar nicht wegen der Bereicherungsversuche einzelner Vorstandsmitglieder oder wegen einzelner strategischer Fehlentscheidungen, sondern deshalb, weil ihr als gemeinwirtschaftlichem Unternehmen ein politischorganisatorisches Konzept zugrunde gelegen hatte, das unter den Rahmenbedingungen der siebziger und achtziger Jahre nicht mehr trug. 1990 hatte diese bittere Erkenntnis auch die DGB-Spitze erreicht. „Aus den hinter uns liegenden Vorgängen und Erfahrungen“, so erklärte Ernst Breit in diesem Jahr auf dem DGB-Bundeskongreß, „müssen wir heute nüchtern feststellen, daß sich die bisherige Form der gewerkschaftlichen Gemeinwirtschaft überlebt hat“.793 Die Auflösung der Muttergesellschaft NHH, die am 5. Juni 1998 einen Schlußpunkt unter die Geschichte der Unternehmensgruppe setzte, hatte angesichts dieses Befundes nur noch formale Bedeutung.794

790 791 792 793

Vgl. Kunz 2003, S. 279 ff. Vgl. ebd. sowie ebd., S. 363 ff. Kunz 2003, S. 402. Ernst Breit, zit. nach: DGB-Bundesvorstand, Abt. Organisation (Hg.), Protokoll 14. ordentlicher Bundeskongreß Hamburg 20.–26.5.‘90, o. O. 1990, S. 34. 794 Vgl. Kunz 2003, S. 375 (dort ist fälschlicherweise der 5.6.1997 als Auflösungsdatum angegeben) sowie Verschmelzung der HVB (Rechtsnachfolgerin der NH Hamburg bzw. der NH AG) auf die BGAG am 5. Juni 1998, in: ebd., S. 1031-1033.

7. SCHLUSSFOLGERUNG Es war das Ziel dieser Arbeit, am Beispiel der NEUEN HEIMAT die Frage zu untersuchen, unter welchen Bedingungen sich Unternehmen als Instrumente politischer Zielsetzungen eignen. In Anlehnung an die Transaktionskostentheorie wurde dabei zunächst die Tatsache herausgearbeitet, daß Wirtschaftsbetriebe, die eine solche Funktion wahrnehmen wollen, typischerweise verschiedene übergeordnete Ziele gleichzeitig verfolgen müssen. Gegenüber gewinnorientierten Unternehmen entstehen ihnen dadurch u. U. zusätzliche Transaktionskosten, weil sich aus diesen verschiedenen Zielen einander widerstrebende Anforderungen an die Unternehmensorganisation ergeben können. Im Falle der NH ließen sich drei solcher übergeordneter Ziele isolieren, die gleichzeitig die Untersuchungsdimensionen der Arbeit darstellten: erstens die Erhaltung der Rentabilität des Unternehmens; zweitens die Beeinflussung der Marktstruktur durch seine Produkte; und drittens die Sicherung seiner Legitimationsbasis im politischen Diskurs. Die hauptsächliche unternehmerische Leistung, die die NH erbringen mußte, bestand in der Vermittlung zwischen den divergierenden Anforderungen, die sich auf diesen verschiedenen Handlungsebenen ergaben. Die Arbeit hat vier Phasen der Unternehmensgeschichte identifiziert, in denen diese zentrale Herausforderung auf unterschiedliche Weise gelöst wurde. In der ersten Phase, die in etwa den Zeitraum zwischen 1950 und 1958 umfaßt, war der Wohnungsmarkt von einem enormen Nachfrageüberhang und einer weitgehenden staatlichen Regulierung geprägt. Unter diesen Bedingungen konnte die NH eine außergewöhnlich umfangreiche Neubautätigkeit entfalten. Die Vorbedingung hierfür bildete der Aufbau eines Großkonzerns, der nur aufgrund der organisatorischen Kontinuitäten zu den in der Weimarer Republik gegründeten gewerkschaftseigenen Wohnungsunternehmen möglich war. Hinzu kamen aber auch das unternehmerische Geschick und die klare sozialpolitische Vision des Geschäftsführers Heinrich Plett. Ohne seine Risikobereitschaft und seinen unbedingten Willen, „Wohnungen, Wohnungen und nochmals Wohnungen“ zu bauen, wären die Schwierigkeiten bei der Kapitalbeschaffung und der Konzernbildung kaum zu überwinden gewesen. Diese Zielsetzung war deshalb unter den Bedingungen der fünfziger Jahre für die NH keine Belastung, sondern im Gegenteil eine für ihren Erfolg zentrale handlungsstrukturierende Größe. Solange sie im politischen Diskurs unumstritten war, verschaffte sie dem größten Bauherren der Republik zudem eine breite Legitimationsbasis und half ihm dabei, Angriffe von Gewerkschaftsskeptikern abzuwehren. Insgesamt bot der flächendeckende Großkonzern in den fünfziger Jahren deshalb eine nahezu ideale Lösung für die Umsetzung gewerkschaftlicher Ziele auf dem Wohnungsmarkt. In der zweiten Phase der Unternehmensgeschichte, zwischen 1958 und 1965, geriet die in den Jahren zuvor gefundene Balance zwischen den verschiedenen Anforderungen an die Gesellschaft ins Wanken. Den äußeren Anstoß hierfür bildete die Tatsache, daß in diesem Zeitraum das Ende des Wiederaufbaus im engeren Sinne in das Blickfeld von Wohnungswirtschaft und Wohnungspolitik rückte. Für die NH bedeutete dies, daß die betriebswirtschaftliche Rentabilität ihres beste-

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7. Schlußfolgerung

henden politisch-organisatorischen Modells wegen des zu erwartenden Rückgangs der Neubautätigkeit gefährdet war. Die fortbestehende Dynamik der sozioökonomischen Modernisierung eröffnete aber bis Mitte der sechziger Jahre neue Absatzmöglichkeiten im Kommunal- und Städtebau, mit deren Hilfe sich dieses Problem überwinden ließ. Auf der Grundlage ihrer traditionellen, an der Vorstellung der „Bedarfsdeckung“ orientierten Legitimationsstrategie war die Ausnutzung dieser Marktchancen durch die NH allerdings kaum zu begründen. Um der wachsenden öffentlichen Kritik an ihrem Unternehmen begegnen zu können, stellten die Gewerkschaften seine politische Konzeption deshalb Mitte der sechziger Jahre eindeutig auf den Boden der marktwirtschaftlichen Ordnung und verpflichteten es auf den Gedanken der „Wettbewerbsregulierung“. In der Folgezeit gelang es der NH, diesen Anspruch insbesondere durch ihre in Serie gefertigten und deshalb preisgünstigen Kommunalbauten, zum Teil aber auch durch die in diesem Zeitraum erstellten Großsiedlungen glaubhaft zu untermauern. Produktstrategie, organisatorische Ausgestaltung und politische Legitimationsbasis ließen sich somit auch nach dem Abbau der drängendsten Wohnungsnot wieder in Einklang bringen. In der dritten Phase der Unternehmensgeschichte, also in den Jahren zwischen 1966/67 und 1973, erfuhr dieses Mitte der sechziger Jahre etablierte neue Unternehmensmodell eine Zuspitzung, die bei den Zeitgenossen den Eindruck erweckte, die NH habe erst jetzt ihre wirkliche Bestimmung gefunden, sich aber tatsächlich als der Anfang von ihrem unrühmlichen Ende entpuppte. Im Zuge der nach der Überwindung der Rezession um sich greifenden Modernisierungseuphorie entwickelte die Unternehmensgruppe ein neues Verständnis vom Wohnungs- und Städtebaus, das dessen grundlegende Bedeutung für wirtschaftliches Wachstum und den damit gleichgesetzten sozialen „Fortschritt“ betonte. In diesem Rahmen sah die NH ihre eigene Aufgabe darin, durch bauliche Maßnahmen im weitesten Sinne zur Optimierung der Wirtschaftsstruktur beizutragen. Mit der Gründung des Parallelkonzerns NHS 1969 und der Zentralisierung der Entscheidungsfindung durch die Umstrukturierung 1970/71 konnte der Vorstand der Unternehmensgruppe diese Vorgabe organisatorisch umsetzen. Die Vervielfältigung der staatlichen Aufgaben seit dem Antritt der Großen Koalition sicherte gleichzeitig in verschiedensten Bereichen vom Hochschulbau bis zur Stadterneuerung die Nachfrage nach den von der NH angebotenen Dienstleistungen. Auf der Grundlage dieser beiden Faktoren – organisatorische Expansion und stabile Nachfrage – konnte die Unternehmensgruppe in großem Stile Aktivitäten entfalten, die im Sinne ihrer auf Wachstumsförderung fixierten politischen Ideologie Maßstäbe setzten. Diese Unternehmenspolitik basierte allerdings auf Rahmenbedingungen, die mit dem „Ölschock“ 1973/74 hinfällig waren. Dabei war es aber nicht die Krise selbst, die dem politischen Konzept der Unternehmensgruppe den Boden entzog, sondern vielmehr die Tatsache, daß mit dem konjunkturellen Einbruch auch eine Reihe struktureller Veränderungen einhergingen. Das galt zum einen für die gesamtwirtschaftliche Entwicklung, für die die Jahre 1973/74 den Übergang von einer langen Phase dauerhafter Aufwärtsentwicklung zu einer Phase der Wachstumsschwäche markierten. Es galt zum anderen aber auch für die Märkte des Wohnungs- und Städtebaus, auf denen sich nach der Befriedigung eines jahrzehn-

7. Schlußfolgerung

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telangen außerordentlichen Nachholbedarfs Mitte der siebziger Jahre eine Normalisierung der Nachfragebedingungen abzeichnete. Diese Entwicklung stellte die zentralen Eckpunkte des „Modells NH“, die Größe und die Wachstumsorientierung, in Frage. Fortan bildeten diese nicht mehr, wie in den Jahren zuvor, den wichtigsten Vorteil der Unternehmensgruppe, sondern im Gegenteil das größte Hindernis einer wirtschaftlich wie politisch tragfähigen Strategiebildung. An unternehmens- und gewerkschaftsinternen Stimmen, die dies erkannt und frühzeitig einen entsprechenden Kurswechsel gefordert haben, hat es in den siebziger Jahren nicht gemangelt. Durchsetzen konnten sie sich allerdings nicht. Das lag daran, daß die organisatorischen Elemente, die von ihnen in Frage gestellt wurden – also vor allem der hohe Personalbestand und die geringe Eigenkapitalbasis –, unmittelbar mit dem politischen Selbstverständnis der Unternehmensgruppe korrespondierten. Sie aufzugeben, kam deshalb nicht in Frage. Statt dessen versuchte der Vorstand mit ausdrücklicher Billigung der Gewerkschaften, das politisch-organisatorische Modell der NH durch eine forcierte Expansion in den Städtebau und in das Auslandsgeschäft aufrechtzuerhalten. Diese Strategie verkehrte die Erfolge, die die Unternehmensgruppe in den vorangegangenen Jahrzehnten erzielt hatte, in ihr Gegenteil. Zum einen bildete sie die primäre Ursache des wirtschaftlichen Niedergangs der NH, weil sich die Risiken gerade in den Bereichen, die ihre Expansionsbewegung perpetuieren sollten, als untragbar hoch herausstellten; und zum anderen führte sie zur Diskreditierung der Unternehmensgruppe im politischen Diskurs, weil sie mit einer veränderten Erwartungshaltung gegenüber gemeinwohlorientierten Unternehmen kollidierte. Zu Beginn der achtziger Jahre stand die NH deshalb politisch wie ökonomisch vor dem Bankrott. In ihrer alten Form hätte sie die achtziger Jahre auch ohne die Veröffentlichungen des SPIEGEL vom Februar 1982 und die folgende Skandalgeschichte nicht überlebt. Welche Erkenntnisse ergeben sich aus diesen Befunden für die Frage nach den generellen Funktionsbedingungen der Unternehmensgruppe? Zwei Aspekte stechen bei einem Vergleich der vier Phasen der Unternehmenspolitik hervor. Erstens war die Fähigkeit der NH, die Produktion sozialpolitisch relevanter Dienstleistungen rentabel zu gestalten, in erster Linie eine Funktion des Zusammenspiels zwischen den Marktbedingungen und der Unternehmensgröße. In dem von einer konstant hohen und relativ homogenen Nachfrage gekennzeichneten Umfeld der fünfziger und sechziger Jahre konnte die NH aufgrund dieser organisatorischen Eigenschaft die „Prinzipien Kraft, Genauigkeit, Wirtschaftlichkeit, Systematik, Kontinuität, Geschwindigkeit und Wiederholung“1 einsetzen. Auf diese Weise erzielte sie hinsichtlich zentraler Aspekte des Wohnungsbaus, etwa der Kapitalbeschaffung oder der Grundstücksbevorratung, positive Skaleneffekte. Deshalb gelang es ihr, bei gleichem Aufwand an betriebswirtschaftlichen Ressourcen mehr Wohnungen produzieren, als es viele kleine Wohnungsunternehmen vermocht hätten.2 1 2

Henry Ford, Mass Production, Encyclopedia Britannica 1925, zit. nach Wolfgang König, Geschichte der Konsumgesellschaft (VSWG Beiheft 154), Stuttgart 2000, S. 48. Für ein ähnliches Argument vgl. Hoffmann 1987, S. 356.

610

7. Schlußfolgerung

Die NH war also in dem besagten Zeitraum vor allem deshalb ein ökonomisch wie politisch effektives Instrument, weil ihr die Marktbedingungen erlaubten, ein Produktionssystem zum Einsatz zu bringen, das sich in Anlehnung an regulationstheoretische Konzepte als „fordistisch“ bezeichnen ließe.3 Zweifellos ist die Verwendung dieses Begriffes im vorliegenden Fall mit einigen Schwierigkeiten behaftet, weil es sich bei der NH nicht um einen Industriebetrieb, sondern um ein Dienstleistungsunternehmen handelte. Eines der zentralen Merkmale fordistischer Produktionssysteme, der Einsatz von Maschinen, war für sie folglich nur von vergleichsweise begrenzter Bedeutung. Auch ist nicht zu übersehen, daß die Unternehmensgruppe dem fordistischen Idealbild der „Ein-Produkt-Strategie“,4 die beispielsweise bei Volkswagen lange Zeit praktiziert worden ist, allenfalls in den fünfziger Jahren entsprach, während sie sich mit der in den sechziger Jahren einsetzenden Ausweitung ihrer Produktpalette – Stichwort: Städtebau – wieder von ihr entfernte. Gerade der Vergleich mit dem Wolfsburger Automobilkonzern, der gemeinhin als die konsequenteste Verwirklichung eines fordistischen Produktionssystems in der Bundesrepublik gilt, zeigt allerdings auch deutlich, wie weitgehend die NH diesem Idealbild in einigen anderen Bereichen entsprach:5 Oberstes Ziel der Strategie beider Unternehmen war in den fünfziger und sechziger Jahren stets die quantitative Steigerung des Outputs; wie Volkswagen war auch die NH durch eine weitgehend tayloristische Arbeitsorganisation und eine Unternehmensstruktur geprägt, „in deren Zentrum hierarchisch und zentralistisch strukturierte funktionale Säulen standen“;6 die hochspezialisierten Produktionsanlagen, mit denen die Fließbänder bei VW bestückt waren, hatten ihre Parallele in den hochspezialisierten Tochtergesellschaften der NHS; und die Mischung aus straffer Unternehmensführung und großzügiger Entlohnung ließe sich durchaus mit dem für die Verhältnisse bei VW geprägten Begriff des „fordistischen Produktivitätspaktes“7 belegen. Auch in einem letzten, allerdings mit einer negativen Wendung verbundenen Punkt waren die NH und Volkswagen vergleichbar: Beide trugen mit ihrer eigenen Arbeit maßgeblich dazu bei, dem fordistischen Produktionssystem seine ökonomische Grundlage zu entziehen. Denn die Ausdifferenzierung der Nachfrage, die sowohl im Automobilbau als auch im Wohnungs- und Städtebau Mitte der siebziger Jahre zu beobachten war, war einerseits ein Ergebnis der hohen Produktionsziffern der Vorjahre; sie führte aber andererseits dazu, daß die Möglichkeiten 3

4

5 6 7

Zu dem hier zugrunde gelegten Begriff des „fordistischen Produktionssystems“ vgl. generell Robert Boyer/Jean P. Durant, After Fordism, Houndmills 1997. Zur Verortung der NH in diesem Kontext vgl. auch Walter Prigge, Wohn-Fords. Stichworte zum ideologischen Staatsapparat Sozialer Wohnungsbau, in: ders./Kaib 1988, S. 65–78, hier v. a. S. 70 ff. Thomas Haipeter, Vom Fordismus zum Postfordismus? Über den Wandel des Produktionssystems bei Volkswagen seit den siebziger Jahren, in: Rudolf Boch (Hg.), Geschichte und Zukunft der deutschen Automobilindustrie. Tagungen im Rahmen der „Chemnitzer Begegnungen“ 2000, Stuttgart 2001, S. 216–246, hier S. 224. Zu Volkswagen als idealtypischer Ausprägung des westdeutschen Fordismus vgl. Volker Wellhöner, „Wirtschaftswunder“ – Weltmarkt – westdeutscher Fordismus. Der Fall Volkswagen (Theorie und Geschichte der bürgerlichen Gesellschaft Bd. 12), Münster 1996, passim. Haipeter 2001, S. 224. Ebd.

7. Schlußfolgerung

611

zur Erzielung von Skaleneffekten und damit die Vorteile aus der inflexiblen Massenproduktion uniformer Güter beziehungsweise Dienstleistungen immer geringer wurden. Sowohl bei VW als auch bei der NH entfiel damit die wichtigste Voraussetzung für die ökonomische Umsetzbarkeit ihrer jeweiligen Strategie, und beide Unternehmen schlitterten deshalb 1974/75 in eine tiefe Krise. An dieser Stelle enden allerdings die Parallelen zwischen Volkswagen und der NEUEN HEIMAT. Denn während es dem Automobilkonzern in den folgenden Jahren langsam, aber sicher gelang, sein Produktionssystem an die nunmehr im Vorteil befindlichen Methoden der „flexible[n] Spezialisierung“8 anzupassen und so sein wirtschaftliches Überleben zu sichern, hielt die NH an ihrer überholten Organisationsstruktur fest – und das, obwohl der grundlegende Wandel der Marktbedingungen gerade in ihrem Kerngeschäft, dem Wohnungsbau, wohl noch deutlicher ausgeprägt war als in der Automobilbranche.9 Diese mangelnde Anpassungsfähigkeit hing, wie geschildert, unmittelbar mit den politischen Zielsetzungen der Unternehmensgruppe zusammen. Durch sie war die NH „zur Größe verurteilt“10 und deshalb in der Bandbreite ihrer Reaktionsmöglichkeiten massiv eingeschränkt. Dieser Befund ist in unternehmenstheoretischer Hinsicht von besonderem Interesse, denn er zeigt, daß Unternehmen mit politischer Zielsetzung in Zeiten grundlegender ökonomischer Umbrüche unter Umständen größere Anpassungsschwierigkeiten haben als gewinnorientierte Unternehmen, und zwar auch dann, wenn sie unter stabilen Rahmenbedingungen ebenso effizient sind wie diese. Hierin liegt möglicherweise die Erklärung für das scheinbare Paradoxon, daß in den siebziger und achtziger Jahre viele gemeinwirtschaftliche – insbesondere öffentliche – Unternehmen ihre Ziele aufgeben mußten (beispielsweise durch Privatisierung), andererseits aber in den achtziger und neunziger Jahren eine ganze Reihe neuer, nicht-gewinnorientierter und dabei durchaus erfolgreicher Betriebe entstanden ist.11 Solange diese Prozesse noch nicht genauer untersucht sind, ist das allerdings nur eine Vermutung. Zweifellos lagen die Schwierigkeiten gemeinwirtschaftlicher Unternehmen in den siebziger und achtziger Jahren nicht nur in den Problemen der Anpassung an veränderte wirtschaftliche Rahmenbedingungen begründet. Vielmehr gerieten sie auch im politischen Diskurs in die Defensive, und zwar aus Gründen, die mit der wirtschaftlichen Entwicklung allenfalls indirekt in Verbindung standen. Dies ergibt sich aus der zweiten Erkenntnis, die ein Vergleich der verschiedenen Phasen der Unternehmenspolitik der NH für die Frage nach ihren generellen Funktionsbedingungen bereithält. Sie besteht in der Tatsache, daß sich nicht nur ihr Produktionssystem, sondern auch ihre theoretische Daseinsberechtigung auf Bedingungen stützte, die Mitte der siebziger Jahre hinfällig waren. Dies scheint auf den ersten Blick nicht recht einzuleuchten, denn schließlich war es der NH in den fünfziger und sechziger Jahren immer wieder gelungen, sich an verän8

Michael J. Piore/Charles F. Sabel, Das Ende der Massenproduktion. Studie über die Requalifizierung der Arbeit und die Rückkehr der Ökonomie in die Gesellschaft, Berlin 1985, S. 286. 9 Zur Krise und den anschließenden Reformen bei Volkswagen vgl. Haipeter 2001, S. 225 ff. 10 Hoffmann 1987, S. 355. 11 Vgl. ähnlich Wengenroth 2000, S. 122 f. u. S. 125.

612

7. Schlußfolgerung

derte Diskurse anzupassen und so ihre Legitimationsbasis zu sichern. Doch so sehr sich die politischen Konzeptionen des gewerkschaftseigenen Wohnungsbaus in diesem Zeitraum auch verändert hatten, so waren sie in einem entscheidenden Punkt doch auf einen Nenner zu bringen: Sie gingen stets davon aus, daß die materielle Verbesserung der Lebenssituation breiter Bevölkerungsschichten die zentrale, ja sogar die einzig relevante Schlüsselgröße sozialer Reformbestrebungen sei. Diese Vorstellung war keine Erfindung der Bundesrepublik. Wie die vielfältigen Bezüge auf die Mietskasernen des Kaiserreichs, die von den zentralen Akteuren der NH immer wieder als negativer Bezugspunkt ihrer Arbeit herangezogen wurden, zeigen, ging sie vielmehr auf die kollektive Erfahrung materieller Not zurück, die im 19. Jahrhundert den Anstoß zur Bildung der organisierten Arbeiterbewegung gegeben hatte. Zweifellos ist sie aber nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs in einer nie zuvor erreichten Form in den Vordergrund der Politik der Gewerkschaften und der gewerkschaftseigenen Wohnungsunternehmen getreten. In den fünfziger und sechziger Jahren warf dies keinerlei Schwierigkeiten auf, im Gegenteil: Es trug maßgeblich zur politischen Akzeptanz der NH bei. Schließlich verstand sich die Bundesrepublik in diesem Zeitraum in erster Linie „als eine Gemeinschaft zur Förderung des wirtschaftlichen Wachstums und zur Mehrung des materiellen Wohlstands; andere Ziele, die ebenso unumstritten gewesen wären, fanden sich wenige.“12 In den siebziger Jahren geriet die Legitimierung des so verstandenen gewerkschaftseigenen Wohnungs- und Städtebaus allerdings zum Problem. Es wäre sicherlich falsch zu sagen, daß in der Bundesrepublik zu diesem Zeitpunkt der Postmaterialismus ausgebrochen sei. Doch zweifelsohne waren die akuten Notlagen, die noch in den späten sechziger Jahren den ideellen Bezugspunkt gewerkschaftlicher Sozialpolitik gebildet hatten, so weit zurückgedrängt worden, daß die Dringlichkeit von Fragen der materiellen Grundversorgung für die breiten Schichten der Bevölkerung spürbar nachließ. Gleichzeitig traten andere Probleme – etwa die Frage nach der Förderung von benachteiligten Randgruppen oder die Forderung nach politischer Partizipation – in den Vordergrund sozialreformerischer Diskurse. Mit den Sättigungserscheinungen, der Ausdifferenzierung der Nachfrage und der zunehmenden Bedeutung von Mieterbetreuung und Mietermitwirkung bildete der Wohnungsmarkt ein geradezu idealtyisches Beispiel für diesen Prozeß. Um in diesem Umfeld weiterhin Leistungen erbringen zu können, die in der veröffentlichten Meinung als sozialpolitisch dringlich anerkannt worden wären, hätte sich die NH gegenüber den fünfziger und sechziger Jahren nicht nur neu organisieren, sondern auch in anderer, weniger einseitig auf die Frage der materiellen Versorgung ausgerichteter Weise definieren müssen.13 Erst diese doppelte Problemstellung erklärt die außergewöhnlichen Schwierigkeiten, die die Unternehmensgruppe bei der Anpassung an die Bedingungen der siebziger und achtziger Jahre hatte; und nur die Tatsache, daß in den Jahrzehnten 12 Abelshauser 2004, S. 275. 13 Diese These wird auch durch die Renaissance der Genossenschaftsbewegung in den achtziger Jahren bestätigt. Vgl. hierzu generell Heinz Bierbaum/Marlo Riege, Die neue Genossenschaftsbewegung. Initiativen in der BRD und in Westeuropa, Hamburg 1985.

7. Schlußfolgerung

613

zuvor die ökonomische Realisierbarkeit und die sozialpolitische Plausibilität der Reformbestrebungen der NH zusammengetroffen waren, erklärt den außergewöhnlichen Erfolg, den die Unternehmensgruppe in diesem Zeitraum erzielt hatte. Das bedeutet allerdings nicht, daß das gleichzeitige Auftreten dieser beiden Faktoren für die Tätigkeit von Unternehmen mit politischer Zielsetzung grundsätzlich unabdingbar ist. Denn das Beispiel des gewerkschaftseigenen Wohnungsbaus lehrt auch, daß die ökonomische Realisierbarkeit einer Strategie für das Funktionieren dieser Betriebe oft weitaus bedeutsamer ist als die Fähigkeit, sie politisch zu rechtfertigen. Mit sozialpolitischer Plausibilität alleine ist ein Unternehmen, wie das Beispiel der gescheiterten Ansätze zu einer Konzernbildung Ende der zwanziger Jahre zeigt, nicht zu erhalten. Umgekehrt lassen sich aber bei einer positiven betriebswirtschaftlichen Entwicklung auch Unternehmensstrategien rechtfertigen, deren soziale Relevanz wenig offensichtlich ist. Das zeigt einmal das Beispiel der von der NH Ende der sechziger Jahre vertretenen strukturpolitischen Konzeption des Wohnungs- und Städtebaus, die nur noch eine sehr indirekte Verbindung zwischen der materiellen Lebenssituation der Arbeitnehmerschaft und der Politik des Unternehmens herstellte. Zum anderen ist es auch daran zu erkennen, daß es der NH Anfang der siebziger Jahre gelang, die schon zu diesem Zeitpunkt erkennbaren Zweifel an ihrer Unternehmenspolitik zu zerstreuen, indem sie sich noch stärker als zuvor auf Ziel der materiellen Verbesserung der Lebenschancen breiter Bevölkerungsschichten stützte. Diese Argumentationsstrategie war aber nur so lange erfolgreich, wie das wirtschaftliche Wachstum anhielt; als die Zielsetzung der NH ökonomisch nicht mehr umsetzbar war, fiel sie in sich zusammen. Dieser Befund ist nicht nur in unternehmenstheoretischer Perspektive bemerkenswert, sondern auch hinsichtlich des in der Einleitung zu dieser Arbeit skizzierten Problems der Vermittlung zwischen den ungleichzeitigen Veränderungsrhythmen von sozioökonomischer Modernisierung und gesellschaftspolitischer Liberalisierung. Er legt die Vermutung nahe, daß die ungeheure wirtschaftliche Dynamik, die die Geschichte der Bundesrepublik in den fünfziger und sechziger Jahren prägte, nicht nur Spannungen hervorbrachte, sondern gleichzeitig auch ein enormes Potential zur Reduzierung von Reibungsflächen zwischen divergierenden politischen Positionen und kulturellen Orientierungen in sich trug. Wenn dies zutrifft, dann hat sich mit dem Ende des Booms in den siebziger Jahren die grundsätzliche Konfiguration der deutschen Nachkriegsgeschichte nicht nur in wirtschaftsgeschichtlicher, sondern auch in gesellschaftsgeschichtlicher Hinsicht stärker verändert als in den Jahrzehnten zuvor oder danach. Es steht deshalb zu erwarten, daß diese Zäsur in der Geschichtsschreibung über die Bundesrepublik langfristig einen zentralen Stellenwert einnehmen wird. Vermutlich wird die Forschung bei ihrer näheren Untersuchung noch zahlreiche weitere krisenhafte Anpassungsprozesse zutage fördern, die vielleicht weniger spektakulär, dafür aber nicht weniger schmerzhaft verlaufen sind, als dies bei der NEUEN HEIMAT der Fall war.

8. ANHANG 8.1 ABKÜRZUNGEN AA Abt. AdB ADB ADGB AEV AfA-Bund AfS AfW AG ANV Ageka Argewo AR Argebau ARP ATH Auwog AVB BA BAK BBB Bewobau Begebau BfG BGAG BGB BGBl BGI BHW BT BV BzG CCH CDU CIAM CSU CTM DAF DAG Depfa DEWOG DGB DGBA DGB-BBZ DGB-LB DGHyp DP DPG ECA

Arbeitsausschuß (des Aufsichtsrates) Abteilung Angehörige des Baugewerbes Allgemeiner Deutscher Beamtenbund Allgemeiner Deutscher Gewerkschaftsbund Anteilseigner-Vertreter Allgemeiner freier Angestellten-Bund Archiv für Sozialgeschichte Amt für Wohnungswesen der hamburgischen Baubehörde Aktiengesellschaft Arbeitnehmervertreter Aktiengesellschaft für gemeinnützigen Kleinwohnungsbau Arbeitsgemeinschaft gewerkschaftseigener Wohnungsunternehmen Aufsichtsrat Arbeitsgemeinschaft der Bauminister von Bund und Ländern Aufsichtsratspräsidium Allgemeine Treuhandgesellschaft Augsburger Wohnungsfürsorge Antennenverwaltungs- und Betreuungsgesellschaft Bundesausschuß Bundesarchiv Koblenz Bundesbaublatt Betreuungs- und Wohnungsbaugesellschaft Beratungsgesellschaft für Gewerbebau Bank für Gemeinwirtschaft Beteiligungsgesellschaft der Gewerkschaften AG Bürgerliches Gesetzbuch Bundesgesetzblatt BG-Immobiliengesellschaft Beamtenheimstättenwerk Bundestag Bundesvorstand Beiträge zur Geschichte der Arbeiterbewegung Congress Centrum Hamburg Christlich-Demokratische Union Congrès International pour l‘Architecture Moderne Christlich-Soziale Union Confederación de Trabajadores de México Deutsche Arbeitsfront Deutsche Angestelltengewerkschaft Deutsche Pfandbriefanstalt Deutsche Wohnungsfürsorge AG für Beamte, Angestellte und Arbeiter Deutscher Gewerkschaftsbund DGB-Archiv Deutscher Gewerkschaftsbund (Britische Besatzungszone) DGB-Landesbezirk Deutschen Genossenschafts-Hypothekenbank Deutsche Partei Deutsche Postgewerkschaft Economic Cooperation Administration

616 EGB ERO EStG FAZ FDGB FDP FF FZH GAGFAH GB GBT GBV GdED GEG GEHAG GEW Gewag Gewoba Gewobag Gewog Gewos GF GGLF GGW GiA GIA GKB GMH GSP GVG GVV GWW HAA HBV HH IBFG ICC IfdW IFRA IG IGBE IG BSE IGM IHK IWK JB k. A. KG KPD LAG LMZ LSSP Müwog NGG

8. Anhang Eigentums- und Betreuungsgesellschaft Europäische Regionalorganisation des IBFG Einkommensteuergesetz Frankfurter Allgemeine Zeitung Freier Deutscher Gewerkschaftsbund Freie Demokratische Partei Französische Francs Archiv der Forschungsstelle für Zeitgeschichte Hamburg Gemeinnützige Aktiengesellschaft für Angestellten-Heimstätten Geschäftsbericht Gewerbebauträger GmbH Geschäftsführender Bundesvorstand Gewerkschaft der Eisenbahner Deutschlands Großeinkaufsgesellschaft der deutschen Konsumgenossenschaften Gemeinnützige Heimstätten-, Spar- und Bau-Aktiengesellschaft Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft Gemeinnützige Wohnungsbau-Aktiengesellschaft Gemeinnützige Wohnungsbaugesellschaft Gemeinnützige Wohnungsbaugesellschaft Gemeinnützige Wohnstättengesellschaft Gesellschaft für Wohnungs- und Siedlungswesen Geschäftsführer, Geschäftsführung Gewerkschaft Gartenbau, Land- und Forstwirtschaft Gesamtverband Gemeinnütziger Wohnungsunternehmen Gewerkschaftsinterne Aufklärung Gesellschaft für Industrieansiedlung Gemeinnützige Kleinwohnungsbaugesellschaft Groß-Hamburg Gewerkschaftliche Monatshefte Gesellschaft für Städtebau und Planung Grundstücks-, Finanz- und Verwaltungsgesellschaft Grundvermögens- und Verwaltungsgesellschaft Gemeinnütziges Wohnungswesen Hamburgisches Architekturarchiv Gewerkschaft Handel, Banken, Versicherungen (Hansestadt) Hamburg Internationaler Bund Freier Gewerkschaften Internationales Congress Centrum Informationen für den Wohnungswirtschaftler Société Immobilière Franco-Allemande Industriegewerkschaft Industriegewerkschaft Bergbau und Energie Industriegewerkschaft Bau, Steine, Erden Industriegewerkschaft Metall Industrie- und Handelskammer Internationale wissenschaftliche Korrespondenz zur Geschichte der Arbeiterbewegung Jahresbericht keine Angabe Kommanditgesellschaft Kommunistische Partei Deutschlands Lastenausgleich Landesmedienzentrum Lanka Sama Samaja Party Münchener Wohnungsfürsorge Nahrung, Genuß, Gaststätten

8.1 Abkürzungen NH NHF NHG NHH NHI NHIC NHK NHM NHS NH VVB NWDS OFD ÖTV PUA PUA BT PUA HH

Rewog RGBl SAGA SEB Siwobag SOCOFA SODEREC SPD StA TO TOP UBB u. d. T. UG VF VfZ VNW VP VsB VSWG VTG VV WE WGG WGGDV WSI WWI ZUG ZwA

617

Neue Heimat Neue Heimat Fertighaus Neue Heimat Gemeinnützig (inoffizielle Abkürzung zur Abgrenzung des gemeinnützigen Konzernteils von der NHS) Neue Heimat Hamburg Neue Heimat International Neue Heimat Interconsult Neue Heimat Kommunal Neue Heimat Monatshefte Neue Heimat Städtebau Neue Heimat Vermögensverwaltungs- und Betreuungsgesellschaft Nordwestdeutsche Siedlungsgesellschaft Oberfinanzdirektion Gewerkschaft öffentlicher Dienst, Transport und Verkehr Parlamentarischer Untersuchungsausschuß Deutscher Bundestag (Hg.), Beschlußempfehlung und Bericht des 3. Untersuchungsausschusses „NEUE HEIMAT“ nach Artikel 44 des Grundgesetzes, Drucksache 10/6779, Bonn 1987. Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg (Hg.), Bericht des Parlamentarischen Untersuchungsausschusses zur Überprüfung der Aufsichtstätigkeit der Behörden gegenüber der Geschäftstätigkeit der Unternehmensgruppe Neue Heimat (Neue Heimat Gemeinnützige Wohnungs- und Siedlungsgesellschaft mbH, Neue Heimat Städtebau GmbH, ihre direkten und indirekten Schwester-, Tochter- und Beteiligungsunternehmen) sowie der Geschäftsbeziehungen zwischen der Freien und Hansestadt Hamburg und der Unternehmensgruppe Neue Heimat, Drucksachen Band 26, 11/5900, Hamburg 1987. Reichswohnungsfürsorge AG für Arbeiter, Angestellte und Beamte Reichsgesetzblatt Gemeinnützige Siedlungs-Aktiengesellschaft Hamburg Skandinaviska Enskilda Banken Siedlungs- und Wohnungsbaugesellschaft Société de Construction Franco-Allemande Société d‘Etudes et des Réalisations pour les Equipments Collectifs Sozialdemokratische Partei Deutschlands Staatsarchiv Tagesordnung Tagesordnungspunkt Union Baubedarfs-Gesellschaft unter dem Titel Unternehmensgruppe Vorstandsmitglied für Finanzen Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte Verband norddeutscher Wohnungsunternehmen Vorstandsmitglied für Personal- und Sozialwesen Verband sozialer Baubetriebe Vierteljahrschrift für Sozial- und Wirtschaftsgeschichte Vermögensverwaltungs- und Treuhandgesellschaft Vorstandsvorsitzender Wohneinheit(en) Gesetz über die Gemeinnützigkeit im Wohnungswesen Verordnung zur Durchführung des WGG Wirtschafts- und Sozialwissenschaftliches Institut des DGB (seit 1972) Wirtschaftswissenschaftliches Institut des DGB (bis 1972) Zeitschrift für Unternehmensgeschichte Zwischenarchiv

618

8. Anhang

8.2 TABELLEN Tabelle 1: Wohnungsneubauten der gewerkschaftseigenen Wohnungsunternehmen 1945– 1982 Erläuterungen: siehe nächste Seite. Jahr

1

bis 8.5.1945

2

3

4

5

6

7

22.817

94,4

5,6

1945– 1949

2.996

80,0

20,0

1949

k. A.

146

k. A.

k. A.

1950

3.226

440

88,5

11,5

1951

5.458

2.066

84,0

16,0

1952

9.536

1.556

93,6

6,4

1953

8.365

2.231

220

91,4

8,6

1954

12.768

8.906

6

87,7

12,3

1955

10.440

8.593

537

75,9

24,1

1956

15.500

14.220

1.054

88,6

11,4

1957

14.613

13.259

1.133

87,8

12,2

1958

13.823

12.891

420

81,4

18,6

1959

18.347

17.922

649

78,0

22,0

1960

19.623

19.623

81,4

18,6

1961

19.098

14.643

1.088 1.019

3.436

82,0

18,0

1962

16.798

13.593

1.094

2.479

85,2

14,8

1963

13.914

9.458

2.803

1.653

88,1

11,9

1964

18.970

12.245

4.476

2.249

88,1

11,9

1965

19.045

10.728

4.971

3.346

82,4

17,6

1966

18.881

12.362

3.826

2.693

85,7

14,3

1967

21.616

13.610

5.175

2.831

86,9

13,1

1968

17.479

12.014

3.900

1.565

91,0

9,0

1969

17.343

12.632

3.336

1.375

92,1

7,9

1970

12.096

8.286

2.529

1.281

89,4

10,6

1971

15.158

7.562

5.010

2.586

82,9

17,1

1972

21.917

11.389

6.784

3.744

82,9

17,1

1973

21.750

9.836

7.818

4.096

81,2

18,8

1974

16.768

7.631

5.957

3.180

81,0

19,0

619

8.2 Tabellen

Jahr

1

2

3

4

5

6

7

1975

15.465

6.639

6.473

2.353

84,8

15,2

1976

16.657

8.071

5.997

2.589

84,5

15,5

1977

17.688

9.820

4.201

3.667

79,3

20,7

1978

10.557

2.002

4.471

3.852

63,5

36,5

1979

9.282

2.618

3.181

3.483

62,5

37,5

1980

8.376

2.649

2.291

3.436

41,0

59,0

1981

8.972

k. A.

k. A.

k. A.

k. A.

k. A.

1982

7.827

k. A.

k. A.

k. A.

k. A.

k. A.

Spalte 1: Wohnungsneubauten der gewerkschaftseigenen Wohnungsunternehmen insgesamt Spalte 2: Wohnungsneubauten von Unternehmen der Unternehmensgruppe insgesamt1 Spalte 3: Eigene Mietwohnungsbauten von Unternehmen der Unternehmensgruppe Spalte 4: Mietwohnungsbauten in Betreuung Dritter durch Unternehmen der Unternehmensgruppe Spalte 5: Fertigstellungen Eigenheime und Eigentumswohnungen durch Unternehmen der Unternehmensgruppe Spalte 6: Anteil Mietwohnungsbauten an den Fertigstellungen in Prozent (bis 1960 von Spalte 1, ab 1960 von Spalte 2). Spalte 7: Anteil Eigenheime und Eigentumswohnungen an den Fertigstellungen in Prozent (bis 1960 von Spalte 1, ab 1960 von Spalte 2). Quellen: Daten über die Entwicklung der Unternehmensgruppe in der Zeit von 1948 bis 1962, IGM ZwA 2/17 265; Geschäftsberichte NHH, diverse Jahrgänge; Jahresberichte, diverse Jahrgänge.

1

Bis 1962 inklusive Garagen und gewerbliche Objekte. Die Vergleichszahlen für 1963 und 1964 lauten 15.910 bzw. 21.530. Danach nur noch sporadische Angaben.

620

8. Anhang

Tabelle 2: Marktanteile der Unternehmensgruppe NEUE HEIMAT (Wohnungsneubau) Fertigstellungen der Unternehmensgruppe in Prozent der Gesamtfertigstellungen (Wohnungsneubau) des jeweiligen Jahres.

Jahr

1

2

Jahr

1

2

1949

0,1

0,3

1966

3,1

11,4

1950

0,1

0,3

1967

3,7

13,7

1951

0,5

1,1

1968

3,2

12,7

1952

0,3

0,8

1969

3,3

12,4

1953

0,4

1,0

1970

2,4

10,9

1954

1,6

4,1

1971

2,4

11,7

1955

1,5

4,5

1972

3,0

14,7

1956

2,4

6,9

1973

2,6

13,5

1957

2,4

6,9

1974

2,5

12,2

1958

2,5

7,4

1975

2,9

15,4

1959

3,0

9,4

1976

3,3

21,2

1960

3,4

11,3

1977

3,9

22,8

1961

3,4

11,5

1978

2,1

21,2

1962

2,9

10,4

1979

1,9

18,7

1963

2,4

8,3

1980

1,9

18,4

1964

3,0

10,3

1981

2,0

17,6

1965

3,2

10,6

1982

1,7

14,8

1: Anteil an den Gesamtfertigstellungen (alle Bauherren) 2: Anteil an den Fertigstellungen der gemeinnützigen Wohnungsunternehmen Quellen: Tabelle 1; Statistik der Unternehmensgruppe Neue Heimat, Fertiggestellte Wohnungen 1962 bis 1972, 15.8.1973, DGBA-BV, Abt. Vorsitzender, 24/479; Geschäftsberichte NHH, diverse Jahrgänge; Jahresberichte, diverse Jahrgänge; Stöcker 1976, S. 269; Krummacher 1978, S. 603.

621

8.2 Tabellen

Tabelle 3: Bewirtschafteter Wohnungsbestand der Unternehmensgruppe NEUE HEIMAT 1945–1982 Jeweils zum Jahresende. Erläuterungen: siehe nächste Seite. Eigener und im Auftrag Dritter bewirtschafteter Bestand 1

2

3

Eigener Bestand ohne Fremdverwaltungen 1

2

3

7.819

7.606

213

8.5.1945

ca. 3.700

2.171

21.6.1948

ca. 3.900

2.369

1949

ca. 4.000

2.511

1950

5.066

3.759

1951

7.112

5.805

1952

8.840

8.627

1953

10.907

10.656

251

9.863

9.623

240

1954

33.176

k. A.

k. A.

32.148

k. A.

k. A.

1955

51.140

50.044

1.096

49.636

48.571

1.065

1956

64.505

62.825

1.680

63.174

61.526

1.648

1957

79.057

76.612

2.445

77.990

75.629

2.361

213

1958

90.954

89.429

1.525

89.429

k. A.

k.A

1959

107.640

103.884

3.756

106.151

102.407

3.744

1960

139.820

134.380

5.440

134.970

129.586

5.384

1961

157.113

149.989

7.124

150.922

143.906

7.016

1962

167.969

158.981

8.988

163.278

154.491

8.787

1963

181.204

170.334

10.870

173.745

163.246

10.499

1964

201.930

189.002

12.928

191.195

179.015

12.180

1965

222.715

206.093

16.622

206.250

191.026

15.224

1966

241.609

221.298

20.311

220.716

202.293

18.423

1967

262.763

238.941

23.822

235.196

214.530

20.666

1968

289.002

260.730

28.272

248.708

225.458

23.250

1969

297.781

264.017

33.764

262.332

234.896

27.436

1970

316.114

271.029

45.085

278.679

241.002

37.677

1971

331.689

284.393

47.296

279.972

243.292

36.680

1972

361.985

308.080

53.905

296.052

255.929

40.123

1973

391.271

332.715

58.556

305.560

264.519

41.041

1974

415.240

347.470

67.770

319.022

274.350

44.672

622

8. Anhang

Eigener und im Auftrag Dritter bewirtschafteter Bestand

Eigener Bestand ohne Fremdverwaltungen

1

2

3

1

2

3

1975

456.281

379.185

77.096

358.462

304.585

53.877

1976

466.442

387.044

79.398

369.780

310.743

59.037

1977

500.145

414.624

85.521

378.940

319.607

59.333

1978

505.887

415.624

90.263

382.793

320.164

62.629

1979

509.500

418.362

91.138

381.921

321.817

60.104

1980

508.795

418.822

89.973

383.238

323.289

59.949

1981

505.871

415.289

90.582

382.800

323.183

59.617

1982

499.516

407.490

92.026

387.416

324.068

63.348

1: Verwaltungsbestände insgesamt (bis 1954: nur NHH) 2: Wohnungen 3: Garagen und gewerbliche Objekte Quellen: Daten über die Entwicklung der Unternehmensgruppe in der Zeit von 1948 bis 1962, IGM ZwA 2/17 265; Geschäftsberichte NHH, diverse Jahrgänge; Jahresberichte, diverse Jahrgänge.

623

8.2 Tabellen Tabelle 4: Mietwohnungsbestände und Wohnungsgrößen der Unternehmensgruppe Jahr

1

2

3

4

5

1956

62.825

91,3

8,7

49,4

50,4

50,2

51,0

41,8

1957

79.057

91,8

8,2

50,7

51,5

41,7

1958

89.429

1959

92.143

91,2

8,8

51,8

52,6

43,5

91,8

8,2

52,9

53,8

43,2

1960

115.731

93,5

6,5

54,1

54,81

43,5

1961

129.356

94,0

6,0

54,3

54,99

42,9

1962

139.583

94,4

5,6

54,5

55,18

43,5

1963

148.874

94,5

5,5

54,8

55,51

43,3

1964

160.350

94,6

5,4

55,3

56,0

43,2

1965

174.936

94,6

5,4

55,8

56,5

43,6

1966

187.029

94,9

5,1

56,5

57,1

44,1

1967

200.720

94,4

5,6

56,9

57,5

45,6

1968

212.510

93,9

6,1

57,3

58,2

43,3

1969

227.117

94,0

6,0

57,9

58,4

49,7

1970

235.327

93,7

6,3

58,5

59,0

51,2

1971

239.715

93,7

6,3

58,7

59,2

51,3

1972

250.062

93,4

6,6

59,2

59,6

52,9

1973

259.542

92,2

7,8

59,6

59,9

55,7

1974

268.026

90,5

9,5

59,9

60,1

57,8

1975

293.198

89,5

10,5

59,6

59,8

58,3

1976

303.246

88,6

11,4

60,9

61,0

60,5

1977

313.806

89,4

10,6

60,9

61,0

60

1978

315.311

88,7

11,3

60,1

60,0

60,7

1979

313.940

88,8

11,2

60,3

60,2

60,8

1980

316.698

89,6

10,4

60,9

60,9

61,2

1981

316.380

k. A.

k. A.

60,4

k. A.

k. A.

1982

317.520

k. A.

k. A.

60,3

k. A.

k. A.

1955

6

Spalte 1: Eigener Mietwohnungsbestand der Unternehmensgruppe, absolut Spalte 2: Anteil öffentlich geförderter Mietwohnungen und Altbauten an Spalte 1 in Prozent Spalte 3: Anteil frei finanzierter Mietwohnungsbauten an Spalte 1 in Prozent Spalte 4: Durchschnittliche Wohnungsgröße des gesamten Bestandes, qm Spalte 5: Durchschn. Wohnungsgröße öffentlich geförderter Mietwohnungen im Bestand, qm Spalte 6: Durchschn. Wohnungsgröße frei finanzierter Mietwohnungsbauten im Bestand, qm Quellen: Geschäftsberichte NHH, diverse Jahrgänge; Jahresberichte, diverse Jahrgänge.

624

8. Anhang

Tabelle 5: Mietpreise DM, am Jahresende. pro qm

pro Wohnung

1

2

3

1

2

1955

1,08

1,03

1956

1,12

1,06

1,35

1957

1,20

1,15

1958

1,21

1,16

1959

1,26

1960 1961

53,45

51,91

56,27

54,06

56,27

1,46

60,82

59,23

60,82

1,90

62,65

61,02

82,67

1,20

1,96

66,23

64,56

84,84

1,31

1,26

1,96

70,34

69,28

85,50

1,42

1,38

2,11

76,71

75,81

90,74

1962

1,49

1,44

2,27

80,51

79,43

98,88

1963

1,56

1,51

2,30

84,84

83,99

99,40

1964

1,69

1,65

2,44

93,01

92,30

105,37

1965

1,80

1,76

2,57

100,04

99,36

112,05

1966

1,99

1,95

2,72

111,67

111,23

119,86

1967

2,13

2,09

2,82

120,80

120,36

128,27

1968

2,39

2,34

3,11

137,13

136,29

149,98

1969

2,57

2,52

3,39

148,55

147,27

168,54

1970

2,59

2,52

3,59

157,40

155,59

184,16

1971

2,90

2,84

3,84

170,30

168,51

196,75

1972

3,28

3,21

4,27

194,19

191,94

225,89

1973

3,55

3,46

4,59

210,85

207,08

255,55

1974

3,75

3,66

4,66

224,71

220,02

269,62

1975

4,26

4,16

5,10

253,28

248,11

297,43

1976

4,43

4,32

5,31

270,43

263,85

321,31

1977

4,65

4,55

5,49

279,35

273,46

328,88

1978

4,76

4,64

5,71

286,01

278,23

347,05

1979

5,13

5,02

6,01

309,26

302,37

363,88

1980

5,31

5,19

6,35

323,47

315,98

388,26

1981

k. A.

k. A.

k. A.

k. A.

k. A.

k. A.

1982

k. A.

k. A.

k. A.

k. A.

k. A.

k. A.

1: Durchschnitt des gesamten Wohnungsbestandes 2: Durchschnitt der öffentlich geförderten Mietwohnungen und Altbauten im Bestand 3: Durchschnitt der frei finanzierten Mietwohnungsbauten im Bestand Quellen: Geschäftsberichte NHH, diverse Jahrgänge; Jahresberichte, diverse Jahrgänge.

3

625

8.2 Tabellen

Tabelle 6: Konsolidierte Bilanzsumme der Unternehmensgruppe NEUE HEIMAT 1948–1982 in Mio. DM

Gesamt 1948

10,9

1949

14,8

1950

31,5

1951

57,6

1952

90,0

1953

284,8

1954

640,7

NHG

NHS

1955

983,0

1956

1.374,7

1957

1.720,3

1958

2.188,0

1959

2.544,5

1960

3.070,1

1961

3.446,6

1962

3.904,5

1963

4.500,0

1964

5.200,0

1965

5.865,0

1966

6.669,4

1967

7.400,0

1968

7.875,9

1969

8.505,7

k. A.

k. A.

1970

9.916,2

9.291,5

624,8

1971

10.865,2

10.000,0

865,2

1972

12.694,2

11.527,5

1.166,7

1973

13.998,0

12.719,1

1.279,0

1974

15.416,4

13.924,7

1.491,6

1975

16.482,1

14.855,1

1.627,0

1976

17.698,2

15.828,8

1.869,4

626

8. Anhang

Gesamt

NHG

NHS

1977

18.460,5

16.435,5

2.025,0

1978

18.637,7

16.823,4

1.814,3

1979

19.754,5

18.385,3

1.369,1

1980

20.537,4

19.310,9

1.226,5

1981

21.445,7

19.979,0

1.466,7

1982

22.304,3

20.466,3

1.838,0

Quellen: Daten über die Entwicklung der Unternehmensgruppe in der Zeit von 1948 bis 1962, IGM ZwA 2/17 265; Konzernabschluß NHG 1966, IGM ZwA 2/17 445a; Konzernabschluß NHG 1968, IGM ZwA 448; Konzernabschluß NHG 1969, IGM ZwA 2/17 448a; Konzernabschlüsse NHG und NHS 1970, IGM ZwA 2/17 449; Geschäftsberichte NHG und NHS, diverse Jahrgänge. Für die Jahre 1963, 1964, 1967 und 1971 (NHG) liegen keine genauen Angaben vor. Die Daten in der Tabelle wurden aus der graphischen Darstellung in JB 1970/71, S. 147, abgelesen. Vgl. auch Niedenhoff 1984, S. 102.

Umsätze der Unternehmensgruppe NEUE HEIMAT 1962–1982

M. Weitere Erläuterungen: siehe nächste Seite.

NHG

Gesamt (NHG + NHS) 1

2

3

834

533

301

950

627

323

1.214

856

358

1.322

931

391

1.469

1.049

420

1.620

1.167

453

1.687

1.144

543

2.015

1.359

2.548

NHS Gesamt

NHS Inland

1

2

3

1

2

3

656

1.674

1.057

617

341

302

39

1.805

742

1.917

1.221

696

631

584

47

3438

2.609

829

2.441

1.677

764

997

932

65

4.240

3.287

953

3.060

2.191

869

1.180

1.096

NHS Ausland

1

2

3

1

2

84

1.008

924

84

172

172

4946

3.831

1.115

3.329

2.316

1.013

1.617

1.515

102

1.253

1.150

102

365

365

5.002

3.760

1.242

3.242

2.099

1.143

1.760

1.662

98

1370

1.272

98

390

390

5.168

3.662

1.506

3.256

1.862

1.394

1.912

1.800

112

1.454

1.341

113

458

458

5.369

3.676

1.693

3.594

2.032

1.562

1.775

1.644

131

1.404

1.273

131

371

371

3

NHG

Gesamt (NHG + NHS)

NHS Gesamt

NHS Inland

NHS Ausland

1

2

3

1

2

3

1

2

3

1

2

3

1

2

5.281

3.424

1.857

3.750

2.019

1.731

1.531

1.405

126

1.282

1.156

126

248

248

5.194

3.166

2.028

3.795

1.913

1.882

1.399

1.253

146

1.255

1.109

146

144

144

5.557

3.398

2.159

4.095

2.089

2.006

1.462

1.309

153

1.300

1.147

153

162

162

6.156

3.854

2.302

4.805

2.669

2.136

1.351

1.185

166

1.129

988

141

221

196

25

6.414

3.899

2.515

4.871

2.550

2.321

1.543

1.349

194

1.188

1.028

160

355

321

34

3.282 (3.688)

k. A.

k. A.

2.995 (3.233)

k. A.

k. A.

287 (455)

k. A.

k. A.

k. A.

k. A.

k. A.

k. A.

k. A.

k. A

3

mtumsätze msätze altungsumsätze

: Statistik der Unternehmensgruppe Neue Heimat, zwei verschiedene Blätter, beide 14.8.1973, DGBA-BV, Abt. Vorsitzender, 24/479; Stati ernehmensgruppe Neue Heimat, 27.1.1975, StA HH, 622–2 Cordua 17; Statistik der Unternehmensgruppe Neue Heimat, 27.1.1976, StA H Cordua 20; Geschäftsberichte NHH, diverse Jahrgänge; Jahresberichte, diverse Jahrgänge.

t 1982 wurde ein geänderter Umsatzbegriff verwendet. Die Angaben in den Klammern sind entsprechend umgerechnete Vergleichszahlen für 1

629

8.2 Tabellen Tabelle 8: Personalbestand der Unternehmensgruppe NEUE HEIMAT 1948–1982 Zahl der Mitarbeiter am Jahresende. Weitere Erläuterungen: siehe nächste Seite. gesamt

3

Jahr

1

21.6. 1948

ca. 30

1949

41

1950

k. A.

1951

150

1952

167

1953

203

1954

290

1955

932

1956 1957

NHG 1

NHS

2

3

2

827

105

1.105

949

156

1.315

1.099

216

1958

1.683

1.470

213

1959

1.943

1.745

198

1960

2.347

2.082

265

1961

2.400

2.279

121

1962

2.695

2.585

110

1963

2.908

2.575

333

1964

2.822

2.483

339

1965

2.976

2.606

370

1966

3.113

2.757

356

1967

3.260

2.890

356

1968

3.657

3.255

402

1969

4.036

3.759

277

1970

4.615

4.194

421

k. A.

3253

1971

4.908

4.519

389

3.977

931

1972

5.450

5.038

412

4.315

3.912

403

1973

5.781

5.411

370

4.563

4.209

1974

5.630

5.042

588

4.416

3.849

ohne Mitarbeiter der NHS-Regionalgesellschaften.

3

1

2

3

1.135

1.126

9

354

1.218

1.202

16

567

1.214

1.193

21

630

8. Anhang

gesamt

NHG

NHS

Jahr

1

2

3

1

2

3

1

2

3

1975

5.406

4.859

547

4.269

3.736

533

1.137

1.123

14

1976

5.209

4.634

575

4.180

3.629

551

1.029

1.005

24

1977

5.176

4.658

518

4.215

3.732

483

961

926

35

1978

5.253

4.747

506

4.384

3.913

471

869

834

35

1979

5.605

5.087

518

4.857

4.353

504

748

734

14

1980

5.721

5.128

593

4.982

4.402

580

739

726

13

1981

5.545

4.951

594

4.845

4.261

584

700

690

10

1982

5.348

4.793

555

4.631

4.082

549

717

711

6

1: insgesamt (bis 1954: nur NHG) 2: nur hauptamtlich 3: ehren- und nebenamtlich Quellen: Geschäftsberichte NHH, diverse Jahrgänge; Jahresberichte, diverse Jahrgänge; Unternehmensgruppe Neue Heimat (Hg.), Personal- und Sozialbericht 1980, o. O., o. J. [1980]. Tabelle 9: Personalkosten der Unternehmensgruppe NEUE HEIMAT 1971–1982 Mio. DM. gesamt

NHG

NHS

1971

117,5

89,1

28,4

1972

145,4

107,6

37,8

1973

178,8

131,6

47,2

1974

201

147

54

1975

211

155

56

1976

221

162

59

1977

228

173

55

1978

248,9

193,1

55,8

1979

328

266

62

1980

341,2

283,9

57,3

1981

k. A.

k. A.

k. A.

1982

k. A.

k. A.

k. A.

Quellen: Jahresberichte, diverse Jahrgänge.

8.3 Quellen- und Literaturverzeichnis

631

8.3 QUELLEN- UND LITERATURVERZEICHNIS 8.3.1 Archivalische Quellen Archiv des Deutschen Gewerkschaftsbundes im Archiv der sozialen Demokratie, Bonn Akten des Gewerkschaftsrates der vereinten Zonen Akten des DGB-Bundesvorstandes Abteilung Vorsitzender Abteilung Finanzen Abteilung Wirtschaftspolitik Abteilung Organisation Sekretariat Martin Heiß Akten des DGB-Landesbezirks Baden-Württemberg

Archiv der IG Metall im Archiv der sozialen Demokratie, Bonn Zwischenarchiv

Staatsarchiv Hamburg Bestand 622–2: Nachlaß Klaus-Otto Cordua Bestand 621–2: Nachlaß Paul Seitz Bestand 353–4: Amt für Wohnungswesen

Archiv der Forschungsstelle für Zeitgeschichte, Hamburg Bestand Neue Heimat

Parlaments-Dokumentation der Hamburger Bürgerschaft Akten des Parlamentarischen Untersuchungsausschusses Neue Heimat

Medienarchiv Film im Landesmedienzentrum Hamburg Filmbestand Neue Heimat

Hamburgisches Architektur-Archiv Bestand NH-Bildarchiv (inklusive Broschüren)

Bundesarchiv Koblenz Bestand B 102: Bundesministerium für Wirtschaft Bestand B 134: Bundesministerium für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau Bestand B 226: Argebau

Parlamentsarchiv des Deutschen Bundestages, Bonn Bestand Parlamentarischer Untersuchungsausschuß Neue Heimat

Wirtschaftsarchiv der Universität Köln Bestand L 1: Geschäftsberichte Unternehmensgruppe Neue Heimat

8.3.2 Interviews Klaus-Otto Cordua, 24.3.2002, Quickborn. Rolf Dehnkamp, 18.8.2003, Bremen. Dr. Harro Iden, 19.8.2003, Hamburg. Karl Ravens, 17.10.2003, Hannover. Wolfgang Vormbrock, 12.9.2003, Hamburg.

632

8. Anhang

8.3.3 Periodika Artikel aus den in diesem Abschnitt genannten Periodika – auch solche, die mit Namen gekennzeichnet sind – sind nicht in den Abschnitt „Gedruckte Quellen und Literatur“ aufgenommen worden. Sie werden jeweils vollständig in den Fußnoten nachgewiesen.

8.3.3.1 Geschäfts- und Jahresberichte von Unternehmen der Unternehmensgruppe NEUE HEIMAT Die Jahreszahlen beziehen sich auf das Berichtsjahr, nicht auf das Erscheinungsjahr. Wo nicht anders angegeben, ist der Sitz der Gesellschaft gleichzeitig auch der Erscheinungsort.

Geschäfts- und Jahresberichte der Muttergesellschaften (vollständig ausgewertet): Neue Heimat Hamburg, Geschäftsbericht, 1948/51–1983. Neue Heimat Städtebau, Hamburg, Geschäftsbericht, 1969–1982 [1969 u. d. T.: Bericht]. Unternehmensgruppe Neue Heimat, Hamburg, Jahresbericht, 1969/70–1980/81; 1983–1984 [1969/70–1972/73 u. d. T.: Bericht].

Geschäfts- und Jahresberichte der Regional- und Tochtergesellschaften (punktuell hinzugezogen): Ageka Gesellschaft für Gemeinnützigen Kleinwohnungsbau, Hamburg, Geschäftsbericht, 1951– 1971 [1966–1970 u. d. T.: Bericht]. Auwog, Geschäftsbericht, Augsburg 1954. Gesellschaft für Landsiedlung Kiel, Geschäftsbericht, 1970–1971 [1970 u. d. T.: Bericht]. Gewag Karlsruhe, Geschäftsbericht, 1955–1979. Gewoba Bremen, Geschäftsbericht, 1954–1966. Gewobag Frankfurt, Geschäftsbericht, 1959–1966. Gewobag Kassel, Geschäftsbericht, 1955–1964. Gewog 1910, Hamburg, Geschäftsbericht, 1952/53–1968. Gewog München, Geschäftsbericht, 1955–1980 [1970–1980 u. d. T.: Bericht der Geschäftsführung]. Gewog Stuttgart/Gewag Karlsruhe, Geschäftsberichte, 1959–1965. Müwog, Geschäftsbericht, München 1954. Neue Heimat Baden-Württemberg, Geschäftsbericht, Stuttgart 1966–1979. Neue Heimat Bayern, Geschäftsbericht, München 1955–1982 [1970–1980 u. d. T.: Bericht]. Neue Heimat Berlin, Geschäftsbericht, 1966–1980. Neue Heimat Bremen, Geschäftsbericht, 1967–1981 [1970 u. d. T.: Bericht]. Neue Heimat Dortmund, Geschäftsbericht, 1967–1968. Neue Heimat Düsseldorf, Geschäftsbericht, 1959/60–1964. Neue Heimat Essen, Geschäftsbericht, 1968–1981. Neue Heimat Hannover, Geschäftsbericht, 1953–1974 [1970 u. d. T.: Bericht]. Neue Heimat Hessen, Geschäftsbericht, Frankfurt a. M. 1959–1981. Neue Heimat Kassel, Geschäftsbericht, 1968–1972. Neue Heimat Köln, Geschäftsbericht, 1970–1981 [1970–1972 u. d. T.: Bericht]. Neue Heimat Lübeck, Bericht, 1967–1969. Neue Heimat Münster, Geschäftsbericht, 1955–1969. Neue Heimat Niedersachsen, Geschäftsbericht, Hannover 1975–1981. Neue Heimat Nord, Geschäftsbericht, Hamburg 1966–1982 [1966–1970 u. d. T.: Bericht]. Neue Heimat Nordhessen, Geschäftsbericht, Kassel 1972–1981.

8.3 Quellen- und Literaturverzeichnis

633

Neue Heimat Nordrhein-Westfalen, Geschäftsbericht, Düsseldorf 1965–1982 [1972/73–1973/74 u. d. T.: Bericht]. Neue Heimat Nordsee, Geschäftsbericht, Bremerhaven 1971–1982. Neue Heimat Regionalgruppe Baden-Württemberg, Geschäftsbericht, Stuttgart 1980–1982. Neue Heimat Regionalgruppe Bremen/Niedersachsen, Geschäftsberichte, Bremen 1982. Neue Heimat Remscheid, Geschäftsbericht, 1970–1981. Neue Heimat Rheinland-Pfalz, Geschäftsbericht, Mainz 1967–1969; 1981. Neue Heimat Schleswig-Holstein, Geschäftsbericht, Hamburg 1954–1981 [1966–1970 u. d. T.: Bericht]. Neue Heimat Schwaben, Geschäftsbericht, Augsburg 1967–1969; 1972–1980. Neue Heimat Städtebau Baden-Württemberg, Geschäftsbericht, Stuttgart 1970–1974. Neue Heimat Städtebau Südwest, Geschäftsbericht, Frankfurt a. M. 1970–1974. Neue Heimat Südwest, Geschäftsbericht, 1967–1982 [1972/73 u. d. Hg.: Neue Heimat Regionalgruppe Südwest]. Neue Heimat Weser-Ems, Geschäftsbericht, 1957–1974 [1970 u. d. T.: Bericht] Neue Heimat Westfalen, Geschäftsbericht, Dortmund 1971–1981. Neues Heim Berlin, Geschäftsbericht, 1958–1966 [1966 u. d. T.: Bericht]. Neues Heim Hamburg, Geschäftsbericht, 1951–1965. Neues Heim Lübeck, Geschäftsbericht, 1957–1965. Neues Heim Mainz, Geschäftsbericht, 1953/54–1966. Neues Heim Remscheid, Geschäftsbericht, 1967–1968. Neues Heim Schwaben, Geschäftsbericht, Augsburg 1955–1967. Regionalgruppe Nordwest der Unternehmensgruppe Neue Heimat, Jahresbericht, 1970/71– 1975/76 [1970/71 u. d. T.: Bericht; 1973/74–1975/76 u. d. Hg.: Region Nordwest der Unternehmensgruppe Neue Heimat]. Regionalgruppe Süd in der Unternehmensgruppe Neue Heimat, Jahresbericht, 1970–1971/72.

8.3.3.2 Weitere von der Unternehmensgruppe NEUE HEIMAT herausgegebene Periodika Informationen für den Wohnungswirtschaftler, 1955–1979. Informationen für den Techniker, 1958–1973. Monatliche Mitteilungen, 1951–1954. Neue Heimat Monatshefte, 1954–1982. Mitarbeiterbrief, 1978–1981. Neue Heimat Presseecho, 1981–1984. Neue Heimat Presseinformation. Informationsdienst der Unternehmensgruppe Neue Heimat, 1981– 1983.

8.3.3.3 Vom Deutschen Gewerkschaftsbund herausgegebene Periodika DGB-Informationsdienst, 1951–1956; 1960–1982. Die Quelle, 1950–1982. Geschäftsbericht des Bundesvorstandes des Deutschen Gewerkschaftsbundes, 1950/51–1986/89. Gewerkschaftliche Monatshefte, 1950–1986. Jahrbuch des Allgemeinen Deutschen Gewerkschafts-Bundes, 1922–1931.

8.3.3.4 Weitere Zeitschriften und Periodika Die wohnungswirtschaftliche Fach- sowie die allgemeine Tages- und Wochenpresse wurde mit Hilfe der von 1955 bis 1979 erschienenen „Informationen für den Wohnungswirtschaftler“ ausgewer-

634

8. Anhang

tet (vgl. die entsprechenden Anmerkungen in der Einleitung dieser Arbeit). Dabei wurden berücksichtigt: Der langfristige Kredit* Deutsches Allgemeines Sonntagsblatt DIE ZEIT+ FAZ+ Frankfurter Rundschau+ Gemeinnütziges Wohnungswesen*+ Hamburger Abendblatt* Handelsblatt SPIEGEL*+ STERN+ Welt der Arbeit+ Die mit * gekennzeichneten Zeitungen und Zeitschriften wurden zudem für die Jahre 1949–1955, die mit + gekennzeichneten für die Jahre 1979–1982 systematisch ausgewertet. Punktuell hinzugezogen wurden zudem: Bundesgesetzblatt Gesetzblatt der Freien Hansestadt Bremen Munzinger Internationales Biographisches Archiv Reichsgesetzblatt Statistisches Jahrbuch für die Bundesrepublik Deutschland

8.3.4 Websites Archiv der sozialen Demokratie, Gerhard Weisser, o. D., URL: (Stand: 23.6.2008). Hoffmann, Karl Heinz, Neue Heimat. Geschichte eines Gewerkschaftskonzerns, o. D., URL: (Stand: 23.6.2008). Hoffmann, Karl Heinz, Horst von Bassewitz, o. D., URL: (Stand: 23.6.2008).

8.3.5 Gedruckte Quellen und Literatur 157 Milliarden. Der Deutsche Städtetag errechnet den Investitionsbedarf der Gemeinden, Der Städtetag 15.1962, S. 229–230. Abelshauser, Werner, Wirtschaftsgeschichte der Bundesrepublik Deutschland 1945–1980, Frankfurt a. M. 1983. ders., Die Langen Fünfziger Jahre. Wirtschaft und Gesellschaft in der Bundesrepublik Deutschland 1949–1966 (Historisches Seminar Bd. 5), Düsseldorf 1987. ders., Deutsche Wirtschaftsgeschichte seit 1945, München 2004. Adamitz, Horst, Die fünfziger Jahre. Bremer Parlamentarier 1951–1959, Bremen 1978. Akademie Kontakte der Kontinente (Hg.), Albert Vietor, Bonn 1974. Albers, Gerd, Der Städtebau seit 1945, in: Juckel, Lothar (Hg.), Haus, Wohnung, Stadt. Beiträge zum Wohnungs- und Städtebau 1945–1985, Hamburg 1986, S. 25–40. Albert Vietor, o. O. [Hamburg], o. J. [1972]. Allgemeiner Deutscher Gewerkschaftsbund/Allgemeiner freier Angestelltenbund (Hg.), Richtlinien zu einem Gesetz über die gemeinwirtschaftliche Regelung des Wohnungswesens, Berlin 1921.

8.3 Quellen- und Literaturverzeichnis

635

Ambrosius, Gerold, Der Staat als Unternehmer. Öffentliche Wirtschaft und Kapitalismus seit dem 19. Jahrhundert, Göttingen 1984. ders., Staat und Wirtschaft im 20. Jahrhundert (Enzyklopädie deutscher Geschichte Bd. 7), München 1990. ders., Neue Institutionenökonomik und Kommunalisierung in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts. Ein wirtschaftshistorisches Fallbeispiel zur Illustration einiger theoretischer Argumente, Jahrbuch für Wirtschaftsgeschichte 1999/1, S. 35–53. ders., Intensives Wachstum (1958–1965), in: Pohl, Hans (Hg.), Geschichte der deutschen Kreditwirtschaft seit 1945, Frankfurt a. M. 1998, S. 149–202. Andersen, Arne, Der Traum vom guten Leben. Alltags- und Konsumgeschichte vom Wirtschaftswunder bis heute, Frankfurt a. M./New York 1997. Andritzky, Michael, Balance zwischen Heim und Welt. Wohnweisen und Lebensstile von 1945 bis heute, in: , Ingeborg (Hg.), Geschichte des Wohnens Band 5. 1945 bis heute. Aufbau, Neubau, Umbau, Stuttgart 1999, S. 615–686. Angster, Julia, Konsenskapitalismus und Sozialdemokratie. Die Westernisierung von SPD und DGB (Ordnungssysteme Bd. 13), München 2003. Arndt, Helmut (Hg.), Die Konzentration in der Wirtschaft (Schriften des Vereins für Socialpolitik N. F. Bd. 20,1–3), 3 Bde., Berlin 1960. Astor, Walther, Arbeiterwohnungsbau, in: Albrecht, Gerhard u. a. (Hg.), Handwörterbuch des Wohnungswesens, Jena 1930, S. 10–15. Bahrdt, Hans Paul, Die autogerechte Stadt. Ein Weg aus dem Verkehrs-Chaos, Ravensburg 1959. ders., Nachbarschaft oder Urbanität, Bauwelt 51/52.1960, S. 1467–1477. ders., Die moderne Großstadt. Soziologische Überlegungen zum Städtebau, Reinbek 1961. Baring, Arnulf, Machtwechsel. Die Ära Brandt-Scheel, Stuttgart 31982. Barnikel, Hans-Heinrich, Die Konzentrationspolitik nach 1945, in: Pohl, Hans/Wilhelm Treue (Hg.), Die Konzentration in der deutschen Wirtschaft seit dem 19. Jahrhundert. Referate und Diskussionsbeiträge der 2. öffentlichen Vortragsveranstaltung der Gesellschaft für Unternehmensgeschichte e. V. am 28. Juni 1977 in Köln (Zeitschrift für Unternehmensgeschichte Beiheft 11), Wiesbaden 1978, S. 54–73. Bayerischer Landtag (Hg.), Schlußbericht des Untersuchungsausschusses des Bayerischen Landtages zur Prüfung aller Vorgänge beim Bau der Trabantenstadt Neu-Perlach infolge der Einschaltung der nichtgemeinnützigen „Terrafinanz“ und der „Neuen Heimat“ durch die Landeshauptstadt München in der Amtszeit des ehemaligen Oberbürgermeisters Dr. Hans Jochen Vogel vom 15. Februar 1984, Drucksache 10/3015, München 1984. Beck, Ulrich, Risikogesellschaft. Auf dem Weg in eine andere Moderne, Frankfurt a. M. 1986. Becker, Ruth, Subventionen für den Wohnungssektor, in: Prigge, Walter/Wilfried Kaib (Hg.), Sozialer Wohnungsbau im internationalen Vergleich, Frankfurt a. M. 1988, S. 94–122. Bellinger, Dieter, Die Rolle der Hypothekenbanken in der Baufinanzierung seit 1945, in: Eichener, Volker/Horst van Emmerich/Dietmar Petzina (Hg.), Die unternehmerische Wohnungswirtschaft: Emanzipation einer Branche. Der Strukturwandel der deutschen Wohnungswirtschaft seit dem ausgehenden 19. Jahrhundert, Frankfurt a. M. 2000, S. 276–298. Berghahn, Volker, Unternehmer und Politik in der Bundesrepublik, Frankfurt a. M. 1985. Berghoff, Hartmut, Zwischen Kleinstadt und Weltmarkt. Hohner und die Harmonika 1857–1961. Unternehmensgeschichte als Gesellschaftsgeschichte, Paderborn u. a. 1997. ders., Transaktionskosten: Generalschlüssel zum Verständnis langfristiger Unternehmensentwicklung? Zum Verhältnis von Neuer Institutionenökonomie und moderner Unternehmensgeschichte, Jahrbuch für Wirtschaftsgeschichte 1999/2, S. 159–176. ders., Moderne Unternehmensgeschichte. Eine themen- und theorieorientierte Einführung, Paderborn 2004. Berlepsch-Valendàs, Hans-Eduard von, Die Gartenstadt München-Perlach, München 1910. Bernhardt, Christoph, Bauplatz Groß-Berlin. Wohnungsmärkte, Terraingewerbe und Kommunalpolitik im Städtewachstum der Hochindustrialisierung (1871–1918) (Veröffentlichungen der Historischen Kommission zu Berlin Bd. 93), Berlin/New York 1998. Beyme, Klaus v. (Hg.), Die großen Regierungserklärungen der deutschen Bundeskanzler von Adenauer bis Schmidt, München/Wien 1979.

636

8. Anhang

ders., Der Wiederaufbau. Architektur und Städtebaupolitik in beiden deutschen Staaten, München 1987. ders. u. a., Leitbilder des Wiederaufbaus in Deutschland, in: ders. u. a. (Hg.), Neue Städte aus Ruinen. Deutscher Städtebau der Nachkriegszeit, München 1992, S. 9–30. ders., Wohnen und Politik, in: Flagge, Ingeborg (Hg.), Geschichte des Wohnens Band 5. 1945 bis heute. Aufbau, Neubau, Umbau, Stuttgart 1999, S. 81–152. Beyn, Walter, Das technische Büro im Wohnungsunternehmen, in: Neue Heimat Hamburg (Hg.), Neue Heimat Hamburg. Ein Beispiel gewerkschaftlicher Wohnungspolitik, Hamburg 1952, S. 76–83. Bierbaum, Heinz/Marlo Riege, Die neue Genossenschaftsbewegung. Initiativen in der BRD und in Westeuropa, Hamburg 1985. Blumenroth, Ulrich, Hundert Jahre deutsche Wohnungspolitik. Aufgaben und Maßnahmen, in: Deutsche Bau- und Bodenbank Aktiengesellschaft 1923–1973. 50 Jahre im Dienste der Bauund Wohnungswirtschaft, Frankfurt a. M. 1973, S. 211–411. Bodenschatz, Harald, Die Berliner „Mietskaserne“ in der wohnungspolitischen Diskussion seit 1918, in: Schildt, Axel/Arnold Sywottek (Hg.), Massenwohnung und Eigenheim. Wohnungsbau und Wohnen in der Großstadt seit dem Ersten Weltkrieg (Campus Forschung Bd. 589), Frankfurt a. M./New York 1988, S. 127–149. Bodien, Ernst, Die Dewog-Organisation, Berlin 1951 (masch.). Boeddinghaus, Gerhard (Hg.), Gesellschaft durch Dichte. Kritische Initiativen zu einem neuen Leitbild für Planung und Städtebau 1963/1964 (Bauwelt-Fundamente Bd. 107), Braunschweig 1995. Böhme, Werner, Darstellung und Entwicklung des Subventionsverfahrens in der Wohnungswirtschaft. Kritik und Möglichkeiten der Umwandlung in ein einheitliches Subventionssystem, Diss. rer. pol. Münster 1960. Böttcher, Conrad (Hg.), § 7c-Handbuch. Ein Blattei-Handbuch zur systematischen Sammlung, sowie zur Erläuterung und Kritik der Vorschriften, Auslegungen und Lücken des § 7 c Einkommensteuergesetz, Stuttgart 1952. Borchardt, Knut, Realkredit- und Pfandbriefmarkt im Wandel von 100 Jahren, in: Rheinische Hypothekenbank (Hg.), 100 Jahre Rheinische Hypothekenbank, Frankfurt a. M. 1971, S. 105– 196. Borsdorf, Ulrich, Deutsche Gewerkschaftsführer – biographische Muster, in: ders. (Hg.), Gewerkschaftliche Politik: Reform aus Solidarität. Zum 60. Geburtstag von H.-O. Vetter, Köln 1977, S. 11–41. Borsdorf, Ulrich, Wirtschaftsdemokratie und Mitbestimmung. Historische Stufen der Annäherung an den Kapitalismus, WSI-Mitteilungen 39.1986, S. 264–278. Boyer, Robert/Jean P. Durant, After Fordism, Houndmills 1997. Brambosch, Wolfgang, Co op zwischen Genossenschaft und Gemeinwirtschaft. Eine Untersuchung des Einflusses ökonomischer Faktoren und gesellschaftspolitischer Konzeptionen auf die Entwicklung der deutschen Co op-Gruppe (Kooperations- und genossenschaftswissenschaftliche Beiträge Bd. 16), Münster 1985. Braune, Tassilo, Osdorfer Born, in: Architekten- und Ingenieurverein Hamburg e. V./Hamburgische Gesellschaft zur Beförderung der Künste und nützlichen Gewerbe (Hg.), Hamburg und seine Bauten 1969–1984, Hamburg 1984(a), S. 108–109. ders., Billwerder-Allermöhe, in: Architekten- und Ingenieurverein Hamburg e. V./Hamburgische Gesellschaft zur Beförderung der Künste und nützlichen Gewerbe (Hg.), Hamburg und seine Bauten 1969–1984, Hamburg 1984(b), S. 128–130. Brecht, Julius, Wohnungswirtschaft und Währungsreform, Baurundschau 38.1948, S. 321–326. ders., Währungsreform und Lastenausgleich in der Wohnungswirtschaft, Berlin/Buxtehude 1949. ders., Wohnungsgemeinnützigkeit, in: Wandersleb, Hermann (Hg.), Handwörterbuch des Städtebaus, Wohnungs- und Siedlungswesens Bd. 3, Stuttgart 1959, S. 1732–1743. ders., Konzentration in der Wohnungswirtschaft, in: Arndt, Helmut (Hg.), Die Konzentration in der Wirtschaft. Bd. 1: Stand der Konzentration (Schriften des Vereins für Socialpolitik N. F. Bd. 20,1), Berlin 1960, S. 425–457. ders./Erich Klabunde, Wohnungswirtschaft in unserer Zeit, Hamburg 1950.

8.3 Quellen- und Literaturverzeichnis

637

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8.3 Quellen- und Literaturverzeichnis

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662

8. Anhang

8.4 PERSONENREGISTER Das Register berücksichtigt alle im Haupttext genannten Personen. Namensnennungen in den Fußnoten wurden nur aufgenommen, sofern sie über reine Literaturbelege hinausgehen. Aalto, Alvar: 181 f. Abreß, Hubert: 357 Adenauer, Konrad: 158, 180 f. Agartz, Viktor: 73 Ambrosius, Gerold: 23 f. Angerer, Fred: 415 f. Apel, Otto: 288 f. Bahrdt, Hans Paul: 283, 306 f., 414 Bamberg, Georg: 254, 256, 382 Bandaranaike, Sirimavo: 250 Baumann, Günther: 216, 437 Bebert, Paul: 100, 113 Becker, Gilbert: 288 f. Beckert, Hans-Georg: 288 f. Berberich, Volker: 148 Berghoff, Hartmut: 33 f. Beyn, Walter: 103, 106 f., 167, 175, 258, 261, 282, 297 ff., 301, 350, 367, 382, 555 Biertz, Klaus-Jürgen: 376 Blase, Wilhelm: 312, 568 f. Blum, Gustav Adolf: 298 Böckler, Hans: 73 Boljahn, Richard: 125, 127, 170, 174, 178, 183, 311, 383, 567 ff. Borgner, Otto: 125 Borgward, Carl: 127 Branca, Alexander von: 415 f. Brandt, Willy: 344 f., 420, 436 Brecht, Bertold: 402 Brecht, Julius: 132, 225 Breit, Ernst: 502, 606 Brenner, Otto: 85, 150, 319 f., 323 ff., 335, 337, 386, 389 Brentano, Heinrich von: 212 Brillau, Alfred: 365 Brüning, Heinrich: 51 f. Buchela, Madame (eigentl. Margarethe Goussanthier): 605 Bucher, Ewald: 357, 402 Bültzing, Lisa: 594 f. Chruschtschow, Nikita Sergejewitsch: 217 Cordua, Klaus-Otto: 38, 507, 551 f, 560 f. Dahrendorf, Ralf: 350 Damm, Walter: 86, 129 f. Däniken, Erich von: 605 Dehnkamp, Rolf: 39, 215, 378, 517, 542, 544, 546, 599 Dehnkamp, Willy: 378

Dresel, Peter: 291 f., 555 f., 599 Dudek, Walter: 125, 142, 325 f. Eberhardt, Karl Maximilian: 497 Ebers, Wolfram: 86, 90, 100 Eichhorn, Peter: 21 Eichler, Bertin: 16 Eisenberger, Edmund: 525 Ellinger, August: 59 Elvers, Gerd: 605 Emmel, Peter: 151 Engelmann, Bernt: 331 Erhard, Ludwig: 342 f. Erler, Fritz: 214 Ernst, Werner: 242 Esfandiary Bakhtiari, Soraya: 329 Essen, Wolfgang: 116 ff., 239, 241 f. Everling, Henry: 322 Feder, Gottfried: 67 Fehl, Gerhard: 70 Fette, Christian: 260 Fischer, Helmut: 525 Fischer-Dieskau, Joachim: 271 Frankenfeld, Peter: 574 Franz, Manfred: 560 Freitag, Walter: 92 Friedl, Gerhard A.: 219, 330, 333 Frister, Erich: 555, 599 Fritsch, Theodor: 155 Fuhrich, Manfred: 591 Gefeller, Wilhelm: 92 Geigenberger, Ludwig: 255, 298 f., 301, 304, 378, 501 ff., 506 ff., 513 f., 535 Ginhold, Willi: 259 f., 378 Göderitz, Johannes: 156, 269, 283 Grimm, Rudolf: 139 Gropius, Walter: 290 Gühlk, Otto: 166 f. Gutschow, Konstanty: 161, 163 Haag, Ines: 146 Haase, Diether: 175 Hafemann, Günther: 170, 174, 179, 183 Haferkamp, Wilhelm: 353 Häring, Hugo: 155 Harlander, Tilman: 70 Hebebrand, Werner: 168, 172 f. Hesse, Jan-Otmar: 25, 27 Hesselbach, Walter: 322 ff., 326 f., 336, 339, 367, 497, 507, 538, 544, 564, 573 Hillebrecht, Rudolf: 161

8.4 Personenregister Hitler, Adolf: 168, 171 Hoff , Hans vom: 91 Hoffmann, Diether: 599, 601, 603 Hoffmann, Hubert: 156 Howard, Ebenezer: 154 f. Huber, Victor Aimé: 196 Hussein, Saddam: 552 Iden, Harro: 106, 201, 219, 260, 359, 378, 380, 436, 454, 520, 554, 559 f., 563 ff., 596, 599 Inglehart, Ronald: 350 Jacobs, Jane: 283 Jaenecke, Kurt: 457 Kaisen, Wilhelm: 248 Kaltenborn, Wilhelm: 63 Kampffmeyer, Hans: 133, 286 Karl, Albin: 91 f., 190, 209, 299 Kashoggi, Adnan: 559 Kaufmann, Karl: 161 Kennedy, John F.: 217 Kessler, Alice und Ellen: 574 Kesting, Marianne: 464 Kiesinger, Kurt Georg: 356 Klabunde, Erich: 100 f. Klüber, Herbert: 105 f., 129 Kluncker, Heinz: 564, 600 Knöss, Jakob: 147 f. Konwiarz, Hans: 347 Kopf, Hinrich: 76 Kraemer, Friedrich Wilhelm: 400 Kubel, Alfred: 382 Kummernuß, Adolph: 209 f. Lahmann, Helmut: 376 Lappas, Alfons: 385 f., 437, 441, 535 f., 564, 594, 598 f., 605 Lauritzen, Lauritz: 356 ff., 402 f., 405, 446, 460 Le Corbusier (eigentl. Charles-Edouard Jeanneret-Gris): 155 Leber, Georg: 118, 209, 234, 246 f., 259, 320, 323, 337, 356 Leipart, Theodor: 61 Lemmer, Gerd: 312 Leuteritz, Max: 94 Lindlar, Ludger: 116 Linsert, Ludwig: 333 Loderer, Eugen: 562 Lohmann, Willi: 568 f. Löwe, Rudi: 149, 151, 378 Lübke, Heinrich: 247 Lücke, Paul: 136, 200 ff., 210 ff., 218 f., 221 ff., 228, 230, 242 f., 264, 269, 315, 358, 396, 402 f. Lummer, Heinrich: 585 Man , Hendrik de: 157 f. Matthöfer, Hans: 606

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May, Ernst: 167 ff., 179 ff., 216, 307 Mehnert, John Siegfried: 77, 579, 596 Mestern, Hans-Adrian: 364 Meyer, Bernd: 569 Mitscherlich, Alexander: 283 f., 287, 306, 327, 414 ff. Mitterand, François: 565 Moeller, D.E.: 76 Müller, Kurt: 310, 345, 589 Müller-Armack, Alfred: 345 Müller-Link, Peter-Heinz: 310 Naphtali, Fritz: 59, 74 Nevermann, Paul: 125, 168, 188, 356 Nieberding, Anne: 27 Nolting-Hauff, Wilhelm: 176 ff. Norhaub, Werner: 574 Novy, Klaus: 63 Otte, Hermann und Irene: 577 Otto, Bernd: 590, 595 Parker, Barry: 154 Partzsch, Kurt: 312 Paul, Arnold: 334 Pehl, Günter: 592 Pempelfort, Gerd: 432 Pfeiffer, Alois: 479 f., 600 Pfeiffer, Reiner: 571 Pfeil, Elisabeth: 202 Pinther, Helmut: 393ff. Plett, Heinrich: 41, 76 ff., 85 f., 100 ff., 110 ff., 117 ff., 124 ff., 131 ff., 140 ff., 144 ff., 161ff., 166, 171 f., 174, 178, 186 ff., 191, 194, 201 f., 204 f., 210, 212, 216 f., 220, 226 ff., 231 ff., 252 f., 255 ff., 260 f., 274, 295, 297 ff., 301, 303 f., 317, 322, 356, 437, 507, 607 Plett, Norbert: 298 Plumpe, Werner: 26 Prinz, Michael: 63 Rademacher, Helmut: 370 ff. Radlof, Wilhelm: 94, 96, 100 f., 112 Rainer, Roland: 156 Ratzel, Ludwig: 276 Rau, Johannes: 571 Ravens, Karl: 358, 448, 474 Reichow, Hans Bernhard: 161 ff., 179 f., 183, 269 Richter, Fritz: 256 f., 279 Richter, Marcus: 21, 366 Richter, Willi: 85, 92, 150, 258 Riegels, Friedrich: 378, 541, 545, 548 Ritze, Herbert: 258, 298, 301, 378 Roosch, Heinz: 77, 105 f., 117, 178., 254, 256 f., 307, 347, 404 f. Rosenberg, Franz: 179 Rosenberg, Ludwig: 194, 319 f., 322 f., 326, 333 f., 353

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8. Anhang

Ruf, Franz: 108, 149, 164 f., 167 Salin, Edgar: 283 Säume, Max: 170, 174, 179, 183 Schäche, Wolfgang: 137 Scharnagl, Wilfried: 331 Scharoun, Hans: 155 Schiesser, Horst: 11, 14, 605 Schildt, Axel: 51 Schiller, Karl: 343 ff. Schleyer, Hanns-Martin: 331, 582 Schlimper, Friedrich: 254, 256 ff. Schmidt, Helmut: 479, 522 Schneider, Heinrich: 312 Schneider, Oscar: 357 Schnur, Ludwig: 312 Schönhoven, Klaus: 352 Schramm, Jost: 432 Schulz, Günther: 44, 213 Schulz, Hans-Jürgen: 507, 552 Schumacher, Fritz: 180 Schwagenscheidt, Walter: 286 f., 290 f. Schwarz, Salomon: 60 Schwedler, Rolf: 312 Seitz, Paul: 312 f., 378, 382, 410 ff., 420 Sierks, Jan: 589 Sippel, Heinz: 606 Sittmann, Tassilo: 286 f., 290 f. Späth, Lothar: 508 Spengelin, Friedrich: 418 Sperner, Rudolf: 386 Staak, Werner: 388 Stadler, Hans: 218 Steffen, Geschäftsführer: 141 Stenger, Carl: 391 Stenzel, Adalbert: 79, 82, 92 Stingl, Josef: 357 Storck, Louis: 357, 405 Strauß, Franz Josef: 343 Stühler, Kurt: 150, 259, 318, 325 f., 337, 437 f., 441 Tacke, Bernhard: 208 Tarnow, Fritz: 75 f., 79 f., 82, 85 Tarnow, Reinhold: 82, 85, 90, 92, 133 ff., 137, 146 ff., 153, 196 f., 203, 246 f., 257 f., 309

Taut, Bruno: 62 Terhorst, Matthias: 90 Teske, Joachim: 358, 365 ff. Tiedtke, Karl-Heinz: 391 Tippel, Klaus: 170 Triesch, Günter: 215 f., 218 f., 329 Unwin, Raymond: 154, 167 Vernes, Jules: 605 Vetter, Heinz Oskar: 382 ff., 390, 437 ff., 441, 508, 516, 539, 543 f., 547, 553, 561, 564, 572, 589 f., 594, 598 f. Vietheer, Heinz: 385 f., 390 f., 598 Vietor, Albert: 12, 14, 21, 104 ff., 108, 113, 120, 142, 150, 201 f., 217, 228, 240, 251 f., 255, 257 ff., 272 ff., 294, 286 ff., 301, 303, 307, 309, 311 ff., 322, 325 f., 333, 335 ff., 342, 346 ff., 353, 355 ff., 363 ff., 367, 372, 374, 378 ff., 382, 386, 390 ff., 402, 404 ff., 419, 436 f., 441, 445, 447, 452, 466, 479 f., 494, 497, 500 f., 504 ff., 513 f., 516, 520 ff., 526 f., 537 ff., 545, 548, 552 ff., 560 ff., 564, 569 f., 573 ff., 581 f., 585 ff., 591, 593 f., 596 ff. Vogel, Hans-Jochen: 300, 358 Vormbrock, Wolfgang: 378, 381, 482 f., 502, 506, 596, 599 Wagner, Georg: 51, 161, 194 Wagner, Martin: 58 ff., 64, 78 Wappler, Alfred: 104 Wehler, Hans-Ulrich: 34 Weidl, Seff: 174 Weinert, Rainer: 64, 79, 134 Weisser, Gerhard: 321, 323 f. Weizsäcker, Richard von: 585 Werner, Johann Wolfgang: 338 f., 353, 376, 479 f. Wiese, Leopold von: 322 Willmann, Klaus: 385, 395, 555 Wischermann, Clemens: 27 Wisniewski, Stefan: 582 Wölbern, Ernst: 297 f., 302, 302 Zille, Heinrich: 584 Zinn, Georg August: 311, 356

Bekannt ist der gewerkschaftseigene Woh­ nungsbaukonzern NEUE HEIMAT durch seinen spektakulären Zusammenbruch. Über diesen Skandal ist in Vergessenheit geraten, daß das Unternehmen in der Bun­ desrepublik eine zentrale Rolle spielte. In den fünfziger Jahren hatte die NH ent­ scheidenden Einfluß auf die Überwin­ dung der Wohnungsnot. Seit der Hinwen­ dung zum Städtebau in den sechziger Jahren prägte sie das Gesicht der Städte. Gleichzeitig entbrannte um den Konzern eine Debatte über die Rolle gemeinwirt­ schaftlicher Unternehmen in der sozialen

Marktwirtschaft. Die Krise der NH in den siebziger Jahren stand deshalb symbolisch für den Niedergang eines Regulierungs­ mechanismus, der lange Zeit von großer Bedeutung gewesen war. Das Buch zeichnet Aufstieg und Fall der NH nach, ordnet ihre Entwicklung in ak­ tuelle Debatten der Unternehmensge­ schichte ein und verknüpft sie mit der Ge­ sellschaftsgeschichte der Bonner Repu­ blik. Die Arbeit wurde 2007 mit dem FriedrichLütge-Preis ausgezeichnet.

www.steiner-verlag.de Franz Steiner Verlag

ISBN: 978-3-515-09245-6