Neue Forschungen zu den Etruskern: Beiträge der Tagung vom 07. bis 09. November 2008 am Archäologischen Institut der Universität Bonn 9781407307077, 9781407337074

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Vorwort
Einleitung
Fremde Einheimische? Kritische Betrachtung antiker Aussagen zum Ursprung italischer Bevölkerungsgruppen
Aufnahme und Modifikation etruskischer Sachgüter in den nordwestlichen Abruzzen*
Ein etruskisches Meisterwerk der pseudo-rotfigurigen Technik: Die Amphore München 3171 des Jahn-Malers
Untersuchungen zu Vorzeichnungen auf schwarzfigurig-etruskischer Keramik
Mehr Schein als Sein? Zinnfolienverzierte Keramik in frühhellenistischen Gräbern Etruriens
Glas – Zeichen einer neuen Zeit? Gläserne Vogelperlen des frühen Orientalizzante
Das ‚Breithaus‘ als Idealtypus etruskischer Wohnarchitektur des 7. und 6. Jhs. v. Chr.? Überlegungen zu Häusern in drei etruskischen Siedlungen
Zwischen Protektion und Kunst. Frühe Architekturterrakotten in Mittelitalien
Castellina del Marangone
Das Zentrum der Siedlung – eine diachrone Betrachtung des baulichen Bestandes
Der Dachschmuck von Bau III. Rekonstruktion und Versuch einer historischen Einordnung
Tempel, Terrasse und Altar. Untersuchungen zum etruskischen Temenos
Bankette in Nekropolen, Häusern und Heiligtümern Latiums vom 8.-5. Jh. v. Chr.: Daten aus dem Santuario Orientale von Gabii
Die matronalen Sitzstatuen vom sog. Fondo Patturelli –Zum Phänomen der Akkulturation in italischen Kulturen am Beispiel eines kam panischenHeiligtums
Götter, Priester, Hirten und Schamanen. Zur etruskisch-italischen Tracht der Infibulati
Die Nekropole Fornaci in Capua im 6. und 5. Jh. v. Chr. Neue Forschungen zu alten Grabungen
Die Entwicklung der Nekropole von Vetulonia während der orientalisierenden Epoche. Vorstellung eines Forschungsprojektes
Neue Betrachtungen zum Liber Linteus – Die Begriffe hil und sacni
Deckel etruskischer Aschenkisten mit Ehepaardarstellungen hellenistischer Zeit*
Meerpferde in der etruskischen Grabkunst
Zur Nachwirkung der etruskischen Sepulkralkunst
Zwischen Präsentation und Repräsentation – Faksimiles und Nachbauten etrus kischerGräber in Museen des 19. bis 21. Jahrhunderts
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Neue Forschungen zu den Etruskern: Beiträge der Tagung vom 07. bis 09. November 2008 am Archäologischen Institut der Universität Bonn
 9781407307077, 9781407337074

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BAR S2163 2010

Neue Forschungen zu den Etruskern

KIEBURG & RIEGER (Hrsg)

Beiträge der Tagung vom 07. bis 09. November 2008 am Archäologischen Institut der Universität Bonn Herausgegeben von

Anna Kieburg Annette Rieger

NEUE FORSCHUNGEN ZU DEN ETRUSKERN

B A R

BAR International Series 2163 2010

Neue Forschungen zu den Etruskern Beiträge der Tagung vom 07. bis 09. November 2008 am Archäologischen Institut der Universität Bonn Herausgegeben von

Anna Kieburg Annette Rieger

BAR International Series 2163 2010

Published in 2016 by BAR Publishing, Oxford BAR International Series 2163 Neue Forschungen zu den Etruskern © The editors and contributors severally and the Publisher 2010 The authors' moral rights under the 1988 UK Copyright, Designs and Patents Act are hereby expressly asserted. All rights reserved. No part of this work may be copied, reproduced, stored, sold, distributed, scanned, saved in any form of digital format or transmitted in any form digitally, without the written permission of the Publisher.

ISBN 9781407307077 paperback ISBN 9781407337074 e-format DOI https://doi.org/10.30861/9781407307077 A catalogue record for this book is available from the British Library BAR Publishing is the trading name of British Archaeological Reports (Oxford) Ltd. British Archaeological Reports was first incorporated in 1974 to publish the BAR Series, International and British. In 1992 Hadrian Books Ltd became part of the BAR group. This volume was originally published by Archaeopress in conjunction with British Archaeological Reports (Oxford) Ltd / Hadrian Books Ltd, the Series principal publisher, in 2010. This present volume is published by BAR Publishing, 2016.

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Inhalt Vorwort Martin Bentz.......................................................................................................................................................iii Einleitung Anna Kieburg und Annette Rieger.......................................................................................................................v I. Kulturelle Kontakte Fremde Einheimische? Kritische Betrachtung antiker Aussagen zum Ursprung italischer Bevölkerungsgruppen Agnes Henning.......................................................................................................................................1 Aufnahme und Modifikation etruskischer Sachgüter in den nordwestlichen Abruzzen Joachim Weidig......................................................................................................................................9 II. Kunsthandwerk und Produktion Ein etruskisches Meisterwerk der pseudo-rotfigurigen Technik: Die Amphore München 3171 des Jahn-Malers Marta Scarrone....................................................................................................................................17 Untersuchungen zu Vorzeichnungen auf schwarzfigurigetruskischer Keramik Yasmin Olivier-Trottenberg..................................................................................................................23 Mehr Schein als Sein? Zinnfolienverzierte Keramik in frühhellenistischen Gräbern Etruriens Martin Miller........................................................................................................................................29 Glas – Zeichen einer neuen Zeit? Gläserne Vogelperlen des frühen Orientalizzante Leonie Carola Koch.............................................................................................................................33 III. Architektur und Siedlungsarchäologie Das ‚Breithaus‘ als Idealtypus etruskischer Wohnarchitektur des 7. und 6. Jhs. v. Chr.? Überlegungen zu Häusern in drei etruskischen Siedlungen Greta Günther.......................................................................................................................................41 Zwischen Protektion und Kunst. Frühe Architekturterrakotten in Mittelitalien Henry Tschörch....................................................................................................................................49 Castellina del Marangone Forschungen in einer etruskischen Küstensiedlung Martin Köder.................................................................................................................................55 Zentrum der Siedlung – eine diachrone Betrachtung des baulichen Bestandes Julian Spohn.................................................................................................................................61 Der Dachschmuck von Bau III. Rekonstruktion und Versuch einer historischen Einordnung Michael Lesky...............................................................................................................................67

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IV. Heiligtümer und Kultausübung Tempel, Terrasse und Altar. Untersuchungen zum etruskischen Temenos Jon Albers.............................................................................................................................................73 Bankette in Nekropolen, Häusern und Heiligtümern Latiums vom 8.-5. Jh. v. Chr.: Daten aus dem Santuario Orientale von Gabii Gabriel Zuchtriegel..............................................................................................................................83 Die matronalen Sitzstatuen vom sog. Fondo Patturelli – Zum Phänomen der Akkulturation in italischen Kulturen am Beispiel eines kampanischen Heiligtums Ulrike Haase........................................................................................................................................89 Götter, Priester, Hirten und Schamanen. Zur etruskisch-italischen Tracht der Infibulati Alexandra Stalinski..............................................................................................................................95 V. Nekropolen und Bestattungsriten Die Nekropole Fornaci in Capua im 6. und 5. Jh. v.Chr. Neue Forschungen zu alten Grabungen Ellen Thiermann.................................................................................................................................101 Die Entwicklung der Nekropole von Vetulonia während der orientalisierenden Epoche. Vorstellung eines Forschungsprojektes Camilla Colombi................................................................................................................................107 Neue Betrachtungen zum Liber Linteus – Die Begriffe hil und sacni Valentina Belfiore und Gilles van Heems...........................................................................................113 Deckel etruskischer Aschenkisten mit Ehepaardarstellungen hellenistischer Zeit Marina Sclafani..................................................................................................................................123 Meerpferde in der etruskischen Grabkunst Friederike Bubenheimer-Erhart.........................................................................................................131 VI. Das Nachleben etruskischer Kultur Zur Nachwirkung der etruskischen Sepulkralkunst Dirk Piekarski....................................................................................................................................139 Zwischen Präsentation und Repräsentation – Faksimiles und Nachbauten etruskischer Gräber in Museen des 19. bis 21. Jahrhunderts Sarah Scheffler....................................................................................................................................145 Autorenverzeichnis......................................................................................................................................................151

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Martin Bentz

Vorwort Die Erforschung der Etrusker bzw. des vorrömischen Italien war einmal eine Domäne der deutschsprachigen Archäologie – man denke nur an die großen Corpora wie das Corpus der etruskischen Spiegel oder das Corpus der etruskischen Urnen und andere mehr. Auch noch bis in jüngste Zeit erscheinen immer wieder wichtige und grundlegende Arbeiten etwa zu einzelnen Denkmälergattungen oder zur Ikonographie, gibt es wichtige Impulse von sprachwissenschaftlicher Seite zur Erforschung der etruskischen und anderer italischer Sprachen und wird die italische Eisenzeit von prähistorischer Seite intensiv erforscht. Nicht zuletzt waren es Museumskataloge und vor allem Ausstellungen, angefangen mit der legendären „Kunst und Leben der Etrusker“ von 1956 in Köln bis hin zu den beiden großen Berliner Ausstellungen und jüngst die Schauen in Hamburg, Tübingen und Bonn, die auch auf ein breites Echo in der Öffentlichkeit stießen. Trotz dieser zahlreichen Aktivitäten ist die etruskisch-italische Archäologie in der deutschen universitären Landschaft nicht fest verankert. Zuletzt wurde die einzige eigens hierfür geschaffene Professur in Tübingen nicht wieder entsprechend besetzt. Nur noch an wenigen Orten wird die etruskisch-italische Archäologie im Rahmen der Klassischen Archäologie intensiver gelehrt. Auch am Deutschen Archäologischen Institut gibt es keine Stelle, die den etruskisch-italischen Bereich hauptamtlich abdeckt. Daher ist es besonders erfreulich, dass die hier publizierte Tagung so viele Nachwuchswissenschaftlerinnen und –wissenschaftler vor allem aus den deutschsprachigen Ländern angezogen hat, die aus ihren aktuellen Forschungen zum vorrömischen Italien berichten. Zumeist handelt es sich um Qualifikationsarbeiten, aber auch um andere Projekte, die hier referiert werden. Beeindruckend ist dabei die große Vielfalt an Themen und Methoden, die von der Feldforschung bis hin zur Religionsgeschichte und Kunstgeschichte reichen. Eine wichtige Katalysatorfunktion scheint auch das Programm „Italische Kulturen vom 7. bis 3. Jh. v.Chr. in Süditalien und Sizilien“ am DAI in Rom gehabt zu haben, an dem mehrere der hier Vortragenden beteiligt waren. Es ist zu hoffen, dass die Initiative dieser Tagung und der daraus vorliegenden Publikation zu einer dauerhafteren Vernetzung und Stärkung der etruskisch-italischen Forschung in Deutschland führen wird.

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Anna Kieburg und Annette Rieger

Einleitung Im Rahmen der Ausstellung RASNA - Die Etrusker im Akademischen Kunstmuseum der Universität Bonn trafen sich im November 2008 junge Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler zur Tagung Neue Forschungen zu den Etruskern am Archäologischen Institut Bonn. Die Autorinnen und Autoren stellten ihre aktuellen Forschungen im Rahmen ihrer Magisterarbeiten, Dissertationen, Habilitationen und anderer wissenschaftlicher Projekte vor. Der ergebnisreiche Austausch dieser Tagung ist Gegenstand des vorliegenden Buches. Gliederung und Inhalt spiegeln das breite Spektrum der Fragestellungen wider, die derzeit Themen archäologischer Forschung sind. Die nun erstmals publizierten Ergebnisse geben einen Einblick in diese Forschungsarbeiten und lassen die Perspektive der noch ausstehenden Untersuchungen erkennen. Im Kapitel „Kulturelle Kontakte“ werden der kulturelle Austausch der Etrusker mit anderen italischen Völkern, ihre gegenseitigen Handelsbeziehungen sowie Thesen zur

Herkunft erläutert. Unter der Überschrift „Kunsthandwerk und Produktion“ werden die Untersuchungen zu verschiedenen Techniken der Keramikproduktion vorgestellt, aber auch andere Produkte wie Glasperlen einbezogen. Das Kapitel „Architektur und Siedlungsarchäologie“ wendet sich den verschiedenen Typen etruskischer Wohnhäuser und ihrem Bauschmuck zu, bevor anhand der Beiträge zu Casellina del Marangone exemplarisch die verschiedenen Phasen der Entwicklung und das Nachleben einer etruskischen Siedlung dargestellt werden. Neue Interpretationen zur Funktion etruskischer Heiligtumsarchitektur werden im Abschnitt „Heiligtümer und Kultausübung“ präsentiert. Des Weiteren zeigen aktuelle Bearbeitungen von Kleinfunden aus Heiligtümern neue Ergebnisse zur Kultausübung und geben einen vertieften Einblick in die religiösen Praktiken. Eng mit den religiösen Riten verbunden ist der Bereich „Nekropolen und Bestattungsriten“. In den Arbeiten über Capua und Vetulonia werden neue Resultate der etruskisch-

Abb. 1: »RASNA – Die Etrusker«, Hauptraum der Ausstellung im Akademischen Kunstmuseum, Bonn (Foto: J. Schubert)

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en Nekropolenforschung dargelegt. Durch die Bearbeitung einzelner Wortpartien der Zagreber Mumienbinden schon in der Antike zweitverwendete Leinenbinden mit Ritualanweisungen etruskischer Priester - werden neue Erkenntnisse über die dort beschriebenen Riten aufgezeigt. Ikonographische Zeugnisse etruskischer Bestattungen sind die so genannten Ehepaarsarkophage, deren Neubearbeitung aktualisierte Ergebnisse zur Typologie dieser speziellen Sarkophage und ihrem gesellschaftlichen Kontext aufzeigt. Aus Darstellungen von Meerpferden in Gräbern wird der Einfluss fremder Kulturen auf die etruskischen Bestattungsriten abgeleitet. Das „Nachleben etruskischer Kultur“ wird anhand der Sepulkralkunst in römischer Zeit und den neuzeitlichen Ausstellungskonzepten der etruskischen Grabmalereien verdeutlicht.

danKsagung

Dieses Buch beruht auf dem Engagement und der wissenschaftlichen Neugierde seiner Autorinnen und Autoren. Seine Realisierung verdankt es zum einen dem Entgegenkommen von Rajka Makjanic und David Davison, die die Publikation der Tagungsbeiträge in dieser Form ermöglicht haben. Für die finanzielle Unterstützung der Tagung danken wir der philosophischen Fakultät der Universität Bonn, JF Carthaus und dem Deutschen Archäologen-Verband e.V., dem wir ebenfalls sehr verbunden sind für einen Zuschuss zur Drucklegung. Martin Bentz (Universität Bonn), Bouke L. van der Meer (Universität Leiden) und Jon Albers (Universität Bonn) sind wir für die wissenschaftliche Beratung und die wertvollen Anregungen außerordentlich dankbar. Natasa Bamicha, Holger Kieburg, Jan M. Müller, Stephanie Müller, und Efthimis Rizos sei an dieser Stelle unser herzlicher Dank für die Hilfe beim Lektorat und ihre vielfältigen Hinweise und Ratschläge ausgesprochen. Nicht zuletzt möchten wir die Studentinnen und Studenten des Ausstellungsprojektes nennen. Sie haben die Tagungsteilnehmer mit Kaffee und Verpflegung versorgt und so die Diskussionsfreude aufrecht erhalten, die zu diesem Buch geführt hat. Alle genannten Personen haben maßgeblich zum Gelingen dieses Vorhabens beigetragen. Anna Kieburg und Annette Rieger Bonn, Juni 2010

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Agnes Henning

Fremde Einheimische? Kritische Betrachtung antiker Aussagen zum Ursprung italischer Bevölkerungsgruppen Summary

The references of ancient historiographers and geographers seem to report on the origins of the various Italic populations. They mostly refer to immigration from distant regions in mythical times or they describe a migration within the Italic peninsula in historical times. This contribution investigates the historical circumstances of ancient references to immigrations regarding four examples: the Etruscans, the Ligurians, the Venetians and the Lucanians. It becomes clear that these assessments are derived from political conditions in the times of the authors. Notably in Augustan times the Roman and proRoman authors project the political relationships between Rome and the Italians on their migration theses. Their positive or negative assessments of the origins of the Italic populations depend on whether their contact to the Romans was characterised by alliances or conflicts. The references of ancient sources, however, should not be regarded as historical facts. Italic migration cannot be archaeologically documented, and the archaeological material, which has been repeatedly employed to prove ancient literary statements, just as literary sources are used to support archaeological interpretation, should rather be approached as indicating cultural contact and exchange.

– aufzuzeigen, in welchem historischen Umfeld die antiken Berichte über die Wanderungsbewegungen der Italiker entstanden sind und ihren Aussagegehalt zu bestimmen1.

I. Etrusker

Unter den verschiedenen italischen Gruppen haben die Etrusker im Hinblick auf ihre Ethnogenese sicherlich die meiste Beachtung gefunden. Bereits in der antiken Literatur sind verschiedene Herkunftstheorien zu finden. Auch das archäologische Material hat viel Anlass zu Spekulationen über ihren Ursprung geliefert. Darüber hinaus enthalten zahlreiche linguistische Untersuchungen der etruskischen Sprache Überlegungen auf ihren möglichen Ursprung2. In jüngster Zeit bedient man sich sogar der DNA-Analyse, um Aufschluss über ihre Abstammung zu erlangen3. Aufgrund der reichen Überlieferung und der intensiven Erforschung stellen damit die Etrusker ein wichtiges Beispiel für die Beurteilung der Herkunftstheorien dar. Bereits in der Antike fiel die etruskische Kultur – deren Kerngebiet sich vom 8. bis zum 3. Jh. v. Chr. von Florenz bis Rom und darüber hinaus bis in die Poebene und nach Kampanien erstreckte4 – als andersartig auf. Dies musste eine Erklärung haben. Und so war es einigen antiken Autoren eine regelrechte Herausforderung, den Ursprung der Etrusker, die in den griechischen Quellen Tyrrhenoi oder Tyrsenoi genannt wurden, zu ergründen5. Für die meisten war eine Einwanderung die einzig logische Erklärung. Die weiteste Entfernung hatten die Etrusker laut Herodot zurückgelegt; er besaß Informationen, denen zufolge sie aus Lydien stammten6. Die Episode, die der antike Historiker beschreibt, ereignete sich in mythischer Vorzeit7. Wie auch bei seinen Gründungsgeschichten der Griechenstädte auf Sizilien und in Unteritalien im Rahmen der Kolonisation des 8. und 7. Jhs. v. Chr. erwähnt er einen adligen Anführer, den Oikisten. Außerdem betont Herodot, dass die Sitten der Lyder denen der Griechen sehr ähnlich gewesen sein sollen8. Damit schlägt der Geschichtsschreiber eine Brücke von den Etruskern zu den Griechen. Dies muss sicher im

Einleitung

Unser heutiges Wissen über die italischen Bevölkerungsgruppen reichern wir zu einem großen Teil aus antiken Schriftquellen an. Wir erfahren darin ihre Namen, in welchem Gebiet sie lebten, welche Charaktereigenschaften sie besaßen und wie sich ihr Verhältnis zu Griechen und Römern gestaltete. Viele antike Autoren haben sich darüber hinaus auch mit der Herkunft der einzelnen Völker auseinander gesetzt. Zumeist geben sie als Ursprung eine Einwanderung aus entfernten Regionen an. Anliegen dieses Beitrags ist es, anhand von vier Beispielen – den Etruskern, den Ligurern und Venetern sowie den Lukanern 1

Neue Forschungen zu den Etruskern weiten Kontext seiner Absicht gesehen werden, in seinem Werk die Gründung von Kolonien auf der italischen Halbinsel zu legitimieren. Die linguistische Forschung hat tatsächlich eine sprachliche Verwandtschaft des Etruskischen mit dem Lydischen oder zumindest mit einer anatolischen Sprache erkannt9. Demnach wird in der Forschung10 vielfach die Meinung vertreten, die Etrusker stammten ursprünglich aus Kleinasien11. Ob sich die linguistischen Untersuchungen jedoch tatsächlich im Sinne einer zeitlich begrenzten Einwanderung der späteren Etrusker auf die italische Halbinsel interpretieren lassen, ist noch immer Gegenstand der Diskussion12. Ein anderer antiker Herleitungsstrang verortet die Etrusker im griechischen Raum. Die beiden antiken Autoren Hellanikos13 und Antikleides14 überliefern, die Etrusker seien Angehörige der Pelasger – eines frühgriechischen Volks – gewesen. Thukydides berichtet ähnliches, nämlich, dass Athen und die Insel Lemnos früher von den Tyrrhenern, also den Etruskern, bewohnt gewesen seien, die ihrerseits wiederum von den Pelasgern abstammten15. Sowohl ein pelasgischer Ursprung, als auch eine Ansiedlung in Athen und auf Lemnos bezeugen das Anliegen der betreffenden Autoren, die Etrusker von den Griechen abzuleiten. In der Forschung wurde Lemnos als ein möglicher Siedlungsort der Etrusker viel diskutiert. Vor allem eine auf der Insel gefundene Grabstele aus dem 6. Jh. v. Chr. mit einer Inschrift, die dem Etruskischen ähnelt und dadurch erst entziffert werden konnte, ist Gegenstand der Kontroverse16. Heute geht man jedoch davon aus, dass Lemnos nicht der Ursprungsort der Etrusker gewesen sein kann17. Eine ganz gegensätzliche Herleitungsthese formulierten Livius18 und Plinius19: Ihnen zufolge stammten die Etrusker von den Raetiern ab. Daran knüpfen linguistische Untersuchungen an, die beobachtet haben, dass das Rätische mit dem Etruskischen verwandt sei, und beide Sprachen vermutlich auf eine Ursprache zurückzuführen seien20. Eine eindeutige archäologische Bestätigung für diese These gibt es jedoch nicht21. Als Dionysios von Halikarnassos in der zweiten Hälfte des 1. Jhs. v. Chr. sein Werk zur römischen Geschichte verfasste, waren ihm offenbar die verschiedenen Herleitungsstränge bekannt. Er kommt nach der Analyse der einzelnen Ursprungstheorien zu dem Schluss, dass das Volk der Etrusker in Italien entstanden und es somit ein autochthones Volk gewesen sei22. Die Annahme des Dionysios, dass die Etrusker ein ursprünglich italisches Volk waren, fand vor allem unter den italienischen Linguisten zahlreiche Anhänger. Sie sehen das Etruskische als eine Prä-Indoeuropäische Sprache, die sich bewahrt habe23. Dionysios war bei seiner Beurteilung der Etrusker jedoch von den politischen Umständen seiner Zeit geprägt. Denn der griechische Rhetoriker und Geschichtsschreiber lebte in augusteischer Zeit viele Jahre in Rom und vertrat bei seinen Schilderungen die Grundthese, dass die Römer eigentlich Griechen seien und ihre militärische Überlegenheit auf griechischen Tugenden gründeten24. Er bedient sich zahlreicher Legenden, um Rom als griechische Stadt darzustellen, vor allem im Kontrast zu den barbarischen

Italikern. So betont er die archaischen Züge der Etrusker, welche dem Leser damit als ein geradezu veraltetes Volk erscheinen mussten25. Die älteren Überlieferungen, die eine Einwanderung der Pelasger oder der Lyder annahmen und damit eine griechische oder Griechen nahe Herkunft der Etrusker implizierten, waren nicht im Sinne des antiken Autors26.

II. Veneter und Ligurer

In den Quellen der augusteischen Zeit ist die Beeinflussung durch die damaligen politischen und gesellschaftlichen Umstände bei der Herleitung der Italiker besonders deutlich zu spüren. Der nach langen Jahren des Bürgerkriegs nun endlich herrschende Frieden und das damit einhergehende Selbstverständnis der römischen Herrschaft beeinflussten auch die zeitgenössische Literatur27. Dies machen vor allem die Aussagen über die Veneter deutlich. Ihnen wurde bereits in der Antike ein großes Gebiet, der so genannte Venetorum angulus28, zugeschrieben, das im Wesentlichen mit der heutigen Region Venetien übereinstimmt29. Die archäologische Kultur der ausgehenden Bronze- und beginnenden Eisenzeit zeigt eindeutige Parallelen zu den mitteleuropäischen Bevölkerungen30. Dazu mag die Überlieferung bei Polybios passen, der noch im 2. Jh. v. Chr. von den Venetern berichtet, dass sie in ihrem äußeren Erscheinungsbild den Kelten gleichen31. In augusteischer Zeit lesen wir jedoch, dass die Veneter aus Kleinasien stammen sollen. Sowohl bei Vergil als auch bei Livius findet sich eine Episode, laut derer sie nach der Zerstörung Trojas unter der Führung des Antenor an den Nordküsten der Adria landeten und dort siedelten32. Die Parallele zur Geschichte des Aeneas und die damit verbundene gemeinsame Herleitung von den heldenhaften Trojanern zeugen von den guten Beziehungen zwischen Römern und Venetern. Diese basierten seit dem 3. Jh. v. Chr. auf Bündnissen zwischen den beiden Parteien im Kampf gegen norditalische Stämme, Kelten und Karthager33. Die große Wertschätzung der Veneter durch die beiden augusteischen Autoren mag vielleicht aber auch in ihrem Lokalpatriotismus begründet sein, denn Livius stammte aus Patavium in Venetien und Vergil aus dem nicht weit entfernten Mantua. Ganz anders stellt sich die Situation bei den Ligurern dar. Sie gelten in der Forschung als eine der ältesten und größten italischen Bevölkerungsgruppen, die entlang der heutigen ligurischen Küste und im Bereich der nördlich anschließenden Alpenregion lokalisiert werden. Über die genaue Ausdehnung ihres Gebietes bestand jedoch bereits in der Antike Unklarheit34. Die Überlieferung kannte kein einheitliches Volk der Ligurer, sondern benennt zahlreiche Einzelstämme mit verschiedenen Namen35. Das archäologische Material Liguriens zeigt, dass die Ligurer vielfältige kulturelle Einflüsse aufnahmen: im Westen von den Iberern, im Norden von den Kelten und im Südosten von den Etruskern36. Bei der Bestimmung der Herkunft der Ligurer waren sich die antiken Schriftsteller jedoch unsicher. Cato d. Ä. berichtet, dass ihr Ursprung unbekannt sei37. Diese Erwähnung ist keine neutrale historische Feststellung, sondern stellt

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A. Henning, Fremde Einheimische?

Abb.1: Lukanien bei Skylax (A. Henning)

Abb. 2: Lukanien bei Strabon (A. Henning)

ein abwertendes Urteil dar. Gerade im Vergleich zu den heldenhaften Urvätern der Veneter wird deutlich, wie wichtig eine Ursprungsepisode im antiken kulturellen Gedächtnis war, auch wenn sie nicht den historischen Fakten entsprach, sondern mythischen Charakter besaß. Mit der Feststellung, man würde ihre Herkunft nicht mehr kennen, spricht Cato den Ligurern eine historische Identität ab. Bestätigung findet diese Interpretation in der Äußerung Catos, in welcher er den Ligurern nachsagt, sie seien Betrüger38. Der Grund für diese Bewertung liegt in Catos Lebensgeschichte: Als tribunus militum kämpfte er am Ende des 3. Jhs. v. Chr. im zweiten Punischen Krieg in Norditalien gegen die Karthager und ihre Verbündeten, zu denen auch die Ligurer zählten. Das feindliche Heer verpflichtete bereits seit dem ersten Punischen Krieg ligurische Söldner39. Darüber hinaus hat Cato als Angehöriger des Senats die Unterwerfung der ligurischen Stämme im Verlauf des 2. Jhs. v. Chr. miterlebt40.

Abb. 3: Rekonstruktion der Ausdehnung Lukaniens aufgrund der Erwähnungen bei Strabon und Plinius (A. Henning)

hingegen in der ersten Hälfte des 1. Jhs. v. Chr. Lukanien in seinen Geographika wie folgt: Strab. 6, 1, 4: „Lukanien aber liegt zwischen der tyrrhenischen und der sizilischen Küste – jener vom Silaris bis Laos, dieser von Metapont bis Thurioi – und im Binnenland von den Samniten bis zu der Landenge zwischen Thurioi und Kerilloi in der Nähe von Laos (…).“

Im Gegensatz zu Skylax bennent die Strabon-Passage ausdrücklich das Hinterland zwischen tyrrhenischer und sizilischer, d. h. der ionischen Küste, als Lukanien (Abb. 2). Plinius erwähnte im 1. Jh. n. Chr. zusätzlich auch Potentia als zu Lukanien gehörig (Abb. 3)44. Sowohl bei Strabon als auch bei Plinius ist zu beachten, dass ihre Informationen den Zustand in römischer Zeit beschreiben45, der nicht mit den früheren Jahrhunderten übereinstimmen muss. Dennoch wird deutlich, dass es in der Antike offenbar kein einheitliches Wissen über die Ausdehnung Lukaniens gegeben hat. Da wir keine diesbezüglichen Zeugnisse der Lukaner selbst besitzen, sind wir darauf angewiesen, die Region aus den Quellen zu „rekonstruieren“. In der Forschung wird aus diesem Grund die Ausdehnung bei Strabon zusammen mit dem bei Plinius überlieferten Potentia als Lukanien angesehen (Abb. 3). Im archäologischen Material dieses Gebiets ist ab dem 4. Jh. v. Chr. ein erheblicher Anstieg zu verzeichnen. Dies hat zusammen mit dem bereits erwähnten Wandel in der Bezeichnung der süditalischen Bevölkerungen sowie ihrer Charakterisierungen in den Schriftquellen in einigen Untersuchungen dazu geführt, in den Lukanern einen Volksstamm zu sehen, der aus Mittelitalien nach Süditalien eingewandert sei46. Die angenommene Wanderung wird hauptsächlich durch mehrere Textpassagen bei Strabon rekonstruiert. Dabei betont er die Abstammung der Lukaner von den in Mittelitalien beheimateten Samniten:

III. Lukaner

Auch über die Bevölkerungsgruppen in Süditalien erhalten wir zahlreiche Informationen aus den antiken Schriftquellen. Bis in das 5. Jh. v. Chr. nannten die Griechen die Bewohner im Hinterland nördlich der ionischen Küste allgemein Oinotrer41. Ihre materielle Kultur präsentiert sich für eine weite Region relativ einheitlich. Für die Zeit ab dem 5. Jh. v. Chr. ändern sich in den antiken Texten jedoch die Namen der Indigenen in Süditalien42. Wir erfahren nun von verschiedenen Bevölkerungsgruppen mit unterschiedlichen Namen. Zu ihnen gehören auch die Lukaner. Es ist schwierig, das Gebiet der Lukaner exakt zu bestimmen. Zwar gibt es in den Schriftquellen Beschreibungen der antiken Region Lukanien, diese weichen jedoch in ihren Begrenzungen zum Teil stark voneinander ab. Skylax zählte im 4. Jh. v. Chr. zahlreiche Städte entlang der tyrrhenischen Küste im Gebiet des heutigen Kampanien und Kalabrien zu Lukanien (Abb. 1). Zu ihnen gehören Poseidonia, Elea, Laos, Thurioi, Hipponion und Rhegion43. Strabon beschrieb

Strab. 6, 1, 347: „Die Lukaner sind ihrer Abstammung (γένος) nach Samniten.“

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Neue Forschungen zu den Etruskern Jahr 82 v. Chr. von Sulla hingerichtet51. All dies muss Strabon in seiner Haltung beeinflusst haben; auch wenn er es nicht selbst miterlebt hatte, so war die Erinnerung an die Ereignisse innerhalb der römischen Aristokratie noch lebendig. Strabon ist demnach in seiner Beschreibung der Lukaner nicht frei von Vorurteilen. Dennoch haben seine Aussagen die Wissenschaft beeinflusst, und aufgrund dieser Quellen ist auch selbst in der jüngeren Forschung noch zu lesen, dass die Lukaner ein sehr kriegerisches Volk gewesen seien, welches auf seinem Zug nach Süden scheinbar barbarischen Horden gleich gewütet hätte52. In den archäologischen Hinterlassenschaften wurde gezielt nach Bestätigungen für die antiken Schilderungen gesucht. Die dabei aufgefundenen scheinbaren Beweise wurden sogar als Merkmale lukanischer Ethnizität gedeutet. Eine Fundgruppe stellen die so genannten samnitischen Gürtel dar. Sie erscheinen einerseits in den prächtigen Wandmalereien der lukanischen Gräber in Paestum; dort gehören sie in den Darstellungen zur Ausstattung des Kriegers53. Darüber hinaus haben sich in den Gräbern Mittel- und Süditaliens zahlreiche originale Gürtel in Bronze erhalten. Die Analyse der Fundplätze zeigt, dass diese Gürtel jedoch nicht allein auf Lukanien beschränkt waren, sondern ihre Verbreitung von der heutigen Toskana bis nach Umbrien reichte, wobei ein eindeutiger Schwerpunkt in Kampanien und Apulien zu beobachten ist54. Damit wird deutlich, dass der Bronzegürtel kein allein samnitisches Kennzeichen war, welches die Lukaner aufgrund ihrer vermeintlichen Abstammung von den Samniten und wegen ihres kriegerischen Charakters als Rüstungsgegenstand trugen. Vielmehr zählt der Gürtel in zahlreichen Gruppen der italischen Bevölkerung zu den Statussymbolen, die zu Lebzeiten getragen und schließlich mit ins Grab gegeben wurden55. Grundsätzlich gilt, dass Einwanderung nicht anhand von vermeintlich ethnospezifischen Artefakten bestimmt werden kann, sondern nur über Veränderungen in der gesamten Kultur56. Eine kritische Überprüfung des archäologischen Materials zeigt, dass sich eine Einwanderung oder bewusste Ansiedlung der Lukaner nicht nachweisen lässt57.

Strab. 6, 1, 2: „(…) die Samniten, ihr Stammvolk (Ð)ρχηγέτaι) (…)“

Auch Strabon beschreibt in seiner Abhandlung über Lukanien Vorgänge, die er selbst nicht erlebt hat und die er zeitlich nicht näher bestimmen kann. Der Geograph und Historiker der augusteischen Zeit war eigentlich Grieche, jedoch stand seine Familie seit mehreren Generationen politisch den Römern nahe. Er selbst lebte lange Zeit in Rom sowie in Ägypten und hatte darüber hinaus zahlreiche Orte der damals bekannten Welt besucht48. Dennoch stammen die meisten Informationen in seinen Geographika aus zweiter Hand. Wir wissen heute, dass manche seiner Angaben historisch und geographisch schlichtweg falsch sind49. Seine Überzeugung, dass die griechisch-römische Kultur die höchste aller Kulturen und die Römer Zivilisatoren waren, kommt an einer Stelle in seiner Beschreibung Lukaniens besonders deutlich zum Ausdruck: Strab. 6, 1, 2: „Heute dagegen ist es so, dass abgesehen von Taras, Rhegion und Neapolis alles barbarisch geworden und im Besitz teils der Lukaner und der Brettier, teils der Kampaner ist – d. h. sie sind dem Namen nach die Besitzer: In Wirklichkeit sind es die Römer. (…) Aber so völlig heruntergekommen sind sie selber (= die Lukaner) ebenso wie die Brettier und selbst die Samniten, ihr Stammvolk, dass es sogar schwer ist, ihre Siedlungen voneinander abzugrenzen. Der Grund ist, dass sich bei keinem dieser Völker mehr ein gemeinsamer Verband erhalten hat und dass die Bräuche in Sprache, Bewaffnung, Kleidung und dergleichen verloren gegangen sind; im übrigen fehlt den einzelnen Siedlungen für sich jeglicher Ruhm.“

Strabon beschreibt nicht nur die Kulturlosigkeit der Lukaner in römischer Zeit, sondern berichtet auch von historischen Ereignissen der vergangenen Jahrhunderte, durch welche das kriegerische und barbarische Wesen der Lukaner zum Ausdruck kommen soll. Strab. 6, 1, 2: „Als aber die Samniten zu großer Macht gekommen waren, die Choner und Oinotrer vertrieben und die Lukaner in dieser Region angesiedelt hatten (…) haben die Griechen und die Barbaren lange Zeit gegeneinander gekämpft.“

IV. Ergebnisse

Wie kommt es nun also dazu, dass von vielen Bevölkerungen der Italiker behauptet wird, sie stammten aus der Fremde? Die vorgestellten Beispiele haben deutlich gemacht, dass unsere heutigen Kenntnisse zum Ursprung der Italiker vor allem durch römische Quellen geprägt sind. Die aus der Sicht der Autoren fremden, zumeist auch barbarischen Kulturen mussten erklärt werden. Das schlüssigste Erklärungsmodell war das der Einwanderung, wobei zwischen überregionaler Wanderung und regionaler Wanderung zu unterscheiden ist. Oft zeigen die Quellen die Tendenz, überregionale Wanderungen in mythische Vorzeit zu verlegen und regionale Wanderungen in die historische Zeit einzuordnen. Keiner der antiken Autoren hat diese Zeiten der Wanderungen selbst miterlebt. Vielmehr waren sie in ihren Schilderungen durch die zeitgenössischen politischen und historischen Verhältnisse beeinflusst und haben diese mehr oder weniger bewusst auf die Vergangenheit projiziert.

Strab. 6, 1, 3: „Sie haben in einem Krieg die Poseidoniater und ihre Verbündeten besiegt und ihre Städte in Besitz genommen.“

Mit dem kriegerischen Wesen und der Abstammung von den Samniten zeichnet Strabon in seinem Werk eine Schreckensvision der Römer nach. Sie sahen sich mit der zunehmenden politischen Einflussnahme der Samniten auf die italischen Bevölkerungen konfrontiert – ähnlich einem sich über die italische Halbinsel immer weiter ausbreitenden Teppich50. Die Angst der Römer vor den Samniten wird deutlich, wenn man sich die Geschehnisse des frühen 1. Jhs. v. Chr. in Erinnerung ruft: Damals traten die Samniten zusammen mit den sabellischen Stämmen in den Bundesgenossenkrieg ein und standen im Bürgerkrieg auf der Seite des Marius. Zu Tausenden wurden sie nach der vernichtenden Niederlage am Collinischen Tor im 4

A. Henning, Fremde Einheimische? Die verschiedenen Fremdeinflüsse in den archäologischen Hinterlassenschaften sind zumeist durch intensiven Austausch und Kontakte mit anderen Gebieten zu erklären. Migration im großen Ausmaß können wir bislang für keine italische Bevölkerungsgruppe wirklich nachweisen. Dennoch wird es Bewegungen einzelner Bevölkerungsteile und damit einen im begrenzten Umfang ethnischen Austausch gegeben haben. Vorstellbar sind außerdem Handwerker und Künstler, die von einem Auftraggeber zum nächsten wanderten. Auch der Austausch zwischen Aristokraten in Form von Gastgeschenken oder Heirat kann kulturelle Ideen transportieren58. Küstenstädte, wie beispielsweise Paestum, waren sicher kulturelle und ökonomische Anziehungspunkte für zahlreiche Menschen aus dem Hinterland. Ein weiteres Ergebnis dieses Beitrags ist es, dass die italischen Bevölkerungsgruppen nicht als statische Einheiten betrachtet werden dürfen, die einmal eingewandert sind und sich fortan in einer festgesetzten Region lokalisieren ließen. Ihre Gesellschaften waren stark den jeweiligen historischen Bedingungen unterworfen, wie beispielsweise der griechischen Kolonisation, der römischen Expansion oder den Bürgerkriegen. Bei der zukünftigen Beschäftigung mit den Italikern müssen diese Prozesse stärker berücksichtig und jeweils getrennt voneinander betrachtet werden.

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Anmerkungen

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Das Thema dieses Beitrags ist Teil meines Habilitationsprojektes über die Siedlungsstrukturen in Lukanien. Ich danke den Organisatoren der Tagung für die Möglichkeit, diesen Abschnitt vorstellen und veröffentlichen zu können. Siehe dazu zuletzt van der Meer 2004. Vernesi 2004; Pellecchia 2007. Die DNA-Analysen beruhen jedoch ausschließlich auf Proben gegenwärtiger Bewohner der Region und nicht auf fossilem Material. Vgl. Wittke 2007, 74-76. Siehe ausführlich zur territorialen Entwicklung Pallottino 1965, 77-88; Torelli 1986, 15-76. Siehe die Zusammenstellung bei Camporeale 1998, 168-169. Hdt. 1, 94. Herodot bettet die Erzählung in seinen Lyder-Logos um Kroisos ein und nennt als Zeitpunkt die Regierung von Atys, Sohn des Manes, der sich chronologisch nicht fassen lässt. Hdt. 1, 94. Siehe bereits Brandenstein 1937. Zuletzt Steinbauer 1999, 366-389; van der Meer 2004, 53-56. Vor allem in der italienischen Forschung wird dieser Ansatz jedoch abgelehnt. Siehe auch Beekes 2003. Siehe dazu De Simone 1998; Steinbauer 1999, 389; Briquel 2007. Überliefert bei Dion. Hal. ant. 1, 28, 3. Hellanikos war ein Zeitgenosse des Herodot. Überliefert bei Strab. 5, 2, 4. Antikleides lebte um 300 v. Chr. Thuk. 4, 109. Brandenstein 1937; De Simone 1996; van der Meer 2004. van der Meer 2004, 55; Haynes 2005, 20-21. Liv. 5, 33, 11. Plin. nat. 3, 133. Rix 1998. Als Hinweis auf einen kulturellen Bruch zwischen dem 12. und 10. Jh. v. Chr. wird der Wechsel von der Körper- zur Brandbestattung im Gebiet des späteren Etrurien diskutiert. Siehe dazu van der Meer 2004, 54. Vgl. dagegen jedoch allgemein zur Interpretierbarkeit von Wechseln in der Bestattungsform Prien 2005, 305. Dion. Hal. ant. 1, 25-30. Trombetti 1928; Devoto 1951; Pallottino 1965, 33. 222; Devoto 1974; Briquel 2000, 43. Dagegen Steinbauer 1999, 360-361 und van der Meer 2004, 52. Fornaro 1997. Dion. Hal. ant. 1, 30. Briquel 2000, 50-51.

Vgl. Fuhrmann 1988. Liv. 5, 33, 10. Veronese 2002, 4-5. Chieco Bianchi 1988, 3-98. Pol. 2, 17, 5. Verg. Aen. 1, 242-249; Liv. 1, 1, 1-4. Vgl. Pol. 2, 18, 3; 2, 23, 2. De Marinis 1988, 248. Plin. nat. 3, 5, 47; Colonna 2004, 12 Abb. 3. De Marinis 1988, 159-259; De Marinis – Spadea 2004. Überliefert bei Plin. nat. 3, 124. Von ihm abhängig ist vermutlich auch die Erwähnung bei Dion. Hal. ant. 1, 10. Cato orig. 2, 2: „Ligures autem omnes fallaces sunt (…)“, siehe Textausgabe Chassignet 1986, 21, überliefert bei Serv. Aen. 11, 700. Pol. 1, 17, 4; 7, 9, 5 (Vertrag zwischen Hannibal und Philipp von Makedonien). Die Unterwerfung der ligurischen Stämme ist bei Livius überliefert. Siehe die Zusammenstellung bei Angeli Bertinelli 1999, 188. Hdt. 1, 167; Strab. 5, 1, 1; Dion. Hal. ant. 1, 13, 2; 2 ,1, 2. Vgl. D’Agostino 1989. Skyl. 12. Siehe die Diskussion dieser Passage bei Horsnaes 2002, 122. Plin. nat. 3, 11, 98. Einige seiner Ortsangaben lassen sich heute nicht mehr zuordnen. Strabon stützt sich im Verlauf seiner Beschreibungen Süditaliens zwar immer wieder auf Antiochos von Syrakus als ältere Quellen (5. Jh. v. Chr.), die Passage der Ausdehnung Lukaniens ist hier jedoch deutlich durch δέ (…) μέν von dessen Aussagen abgesetzt. Salmon 1967, 37-38; ebenso Mele 1996, 67 und Russo 2001, 15. Alle Strabon-Zitate in diesem Beitrag stammen aus Radt 2003. Radt 2001, 1021-1022. Radt 2001, 1023. Musti 1994, 197. Plut. Sulla 29-31. Dies hat kritisch Pontrandolfo 1996, 171 formuliert. Cipriani 1996; Pontrandolfo – Rouveret 1996; Cipriani u. a. 2007. Vgl. Romito 1995, 18-19 Taf. 1. Die Dichte der Funde in Kampanien und Apulien ist sicher auch von der guten Forschungs- und Erhaltungslage der dortigen Gräber abhängig. Horsnaes 2002, 83-85. Prien 2005, 47, 305, 323; ebenso Brather 2000, 165. Henning 2009. Prien 2005, 10.

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Joachim Weidig

Aufnahme und Modifikation etruskischer Sachgüter in den nordwestlichen Abruzzen* Summary

Wenn in diesem Beitrag der Frage nachgegangen wird, welchen Einfluss etruskische Realien auf die mitteladriatische Bevölkerung ausübten, so ist zu beachten, dass unsere Informationen bislang ausschließlich aus Grabfunden gewonnen werden können. Im aquilanischen Raum sind kaum Siedlungen, Heiligtümer oder Votivdepots aus archaischer Zeit erforscht. Eine eventuell durch etruskische Importe geförderte Veränderung der Lebensweise kann demnach mit allen geltenden Einschränkungen nur durch den Filter der Bestattungsbräuche rekonstruiert werden. Hinzu kommt das Problem, dass sich mit fortschreitender Erforschung bislang als etruskische Importe interpretierte Gegenstände in den unzureichend untersuchten Gebieten Zentral- und Ostitaliens als lokale Produkte erweisen könnten und somit eher Zeugnisse des Zeitgeschmacks wären1.

In recent years, numerous iron bipartite sole fittings of indigenous production have been found in the Abruzzo region, particularly in archaic warrior burials of the necropolis of Bazzano (L’Aquila). As Etruscan archetypes have had only little influence on local production, these sole fittings give reason to discuss the methods of integration of foreign products into a certain material culture and the enhancements through which these objects are established as typical local products. This paper presents typological differences between Etruscan and Italic bipartite sandals, identifiable by their different distribution centres, as a result of varied usage. Capena type bronze belt plaques as well as pottery give further hints on these processes. Both the Capena type belt plaques which are more frequently found in the necropolis of Bazzano and Fossa than in Capena itself, and those pottery types which played a specific role in burial rites, show traces of selective absorption and local enhancements. Thus it is obvious that the method of integration is more a process of “cultural acquirement” than of acculturation.

Etruskische Importe

Eindeutig etruskische Importe sind erst in neuerer Zeit aus den großen rezent ausgegrabenen Nekropolen der nordwestlichen Abruzzen, vor allem aus der Conca L’Aquilana, bekannt geworden. Neben den Funden aus dem nunmehr vollständig publizierten Gräberfeld von Fossa2, spielen jene aus den Bestattungen von Bazzano3 eine wichtige Rolle. Es sind vor allem Gefäße und Utensilien aus Bronze, etrusko-korinthische Keramik sowie Bucchero, die als Importe in Erscheinung treten. Während es sich bei den bronzenen Gegenständen, wie bei der „ionischen“ Bronzeschale aus Grab 8 Finesa und dem Infundibulum aus Grab 15664, um singuläre Erscheinungen handelt, die in besonders hervorgehobenen Kriegergräbern gefunden wurden, kommt etruskische Keramik häufiger vor. Zwei etrusko-korinthische Skyphoi stammen aus einem Kinder- und aus einem Männergrab; in einem Kindergrab fand sich auch ein später etrusko-korinthischer Aryballos. Aus Bucchero sind vier Kantharoi des weit verbreiteten Typs Rasmussen 3e5 sowie einige Kotylai, Skyphoi6, Kelche mit kurzem Fuß und zwei Oinochoen. Mit Ausnahme der kleinen Schöpfgefäße (attingitoi), die eine besondere Bedeutung innerhalb des

Einleitung

Akkulturation ist ein Phänomen, das häufig bei benachbarten vorgeschichtlichen Völkern zu beobachten ist. Aufgrund der verschiedenen Interpretationsmöglichkeiten archäologischer Befunde wird der Begriff in der Forschung allerdings sehr unterschiedlich gebraucht, manchmal auch nur metaphorisch, um Ähnlichkeiten im Material zu erklären. Der Prozess ist aber komplexer und kann oft nicht allein über archäologische Hinterlassenschaften erschlossen werden. Vor allem, wenn nur eine selektive Aufnahme von fremden Sachgütern erfolgte, wird deutlich, dass sich Akkulturation nicht zwingend ergibt, sondern an gesellschaftliche Voraussetzungen innerhalb der unterschiedlichen Gruppen geknüpft ist.

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Neue Forschungen zu den Etruskern

Grabritus besaßen7, sind nur vereinzelt Imitationen der etruskischen Vorbilder nachgewiesen8. Somit übten die meisten Keramikimporte keine nachhaltige Wirkung auf die lokale Produktion aus und demonstrieren lediglich den Wirkungsbereich einheimischer Eliten, die diese Gegenstände durch Tausch, Handel oder als Geschenke erwarben. Interessanterweise handelt es sich dabei aber oft um keine echten Beigaben, sondern um Keramik, die erst nach Verschluss der eigentlichen Bestattung im weiteren Verlauf der Totenzeremonie in die Grabgrube geworfen wurde. Besonders in Kindergräbern und in einigen besonders hervorgehobenen Kriegergräbern sind daher oft nur Henkel, Boden- oder Randfragmente vorhanden, die sich nicht zu einem kompletten Gefäß ergänzen lassen. Ohne diesen besonderen Bestattungsritus wäre die Anzahl der importierten (etruskischen, sabinischen sowie falisco-capenatischen) Keramik in Bazzano stark limitiert – ein deutlicher Hinweis auf die durch Grabbräuche eingeschränkte Nachweismöglichkeit des tatsächlichen materiellen Formenspektrums innerhalb einer archäologischen Gruppe, die nur über die archäologischen Hinterlassenschaften aus Bestattungen definiert werden kann. Abgesehen von den Importen sind es oftmals nur einzelne Elemente, aus denen der ursprüngliche etruskische Einfluss hervorgeht, der zudem nicht immer direkt, sondern oft in mehreren Etappen auf die lokale Produktion einwirkte. Dieser Vorgang ist an mehreren Materialgruppen der mitteladriatischen Kultur ablesbar, von denen exemplarisch Gürtelbleche vom sog. Typ Capena und calzari (Sandalen) vorgestellt werden sollen, die in den archaischen Gräbern von Bazzano häufig vorkommen.

Falisco-Capenate und den nördlichen Abruzzen lag. Tatsächlich finden sich auch in den Nekropolen von Colle del Forno und Poggio Sommavilla Gürtelbleche des Typs. Die neuen Entdeckungen in den Abruzzen haben allerdings die Fundstatistik auf den Kopf gestellt. So sind nun aus 32 Fundorten über 200 Gürtelbleche bekannt, von denen die meisten im Gebiet der Conca L’Aquilana und um Campovalano zum Vorschein kamen11. Die Nekropole von Capena ist jedoch nach wie vor nicht vollständig publiziert und ausgewertet, so dass dort noch mit weiteren Gräbern zu rechnen ist. Zweifellos geht aber die Gürtelmode in Bazzano auf einheimische Wurzeln zurück, so dass eine lokale Produktion der Gürtelbleche vom Typ Capena mehr als denkbar ist. Der etruskische Einfluss ist dagegen über die neue Art, wie der Gürtel verschlossen wurde, auszumachen. So wurden Haken-Ösenverschlüsse erstmals in Etrurien an den von F. W. von Hase untersuchten Zwei- und Dreihakenschließen des 7.–6. Jhs. v. Chr. verwendet12. Auf lokale Werkstätten im mitteladriatischen Gebiet weist nicht nur die Fundmenge der Gürtelbleche hin, sondern auch einige der sich auf ihnen in Durchbrucharbeit ausgeführten Verzierungen. Das in den italischen Kulturen weit verbreitete Motiv des sog. animale fantastico findet sich in einer stark stilisierten Version auf den Gürtelblechen der Var. Bazzano und der Var. Campovalano13. Aus Capena ist dagegen bislang kein Blech mit einem solchen Motiv publiziert worden, dort erscheint anstelle des animale fantastico ein stark stilisierter Vogel. Die stilisierte Version des animale fantastico ist mit jener auf den abruzzesischen Panzerscheiben (kardiophylakes) verwandt, auf denen das Phantasiewesen in weniger verfremdeter Form oft wiedergegeben wird. Zusätzlich ist aber auch an eine weitere Einflussnahme, diesmal wieder aus Etrurien zu denken, die in der Gestaltung des animale fantastico auf einigen Gürtelblechen zum Ausdruck kommt. So sind etruskische Zwei- und Dreihakenschließen mit Durchbruchverzierung bekannt, welche ein weitaus weniger stilisiertes Tier – wahrscheinlich einen Hirsch – zeigen, wie es in stilisierter Form auf Gürtelblechen aus Campovalano erscheint14. Die mitteladriatischen Gürtelbleche vom Typ Capena sind somit eine Mischung aus früheisenzeitlichen Vorformen, capenatischen Gürteln mit großen Schmucknieten und etruskischen Zwei- und Dreihakenschließen.

Gürtelbleche

Bis um die Mitte des 6. Jhs. v. Chr. war es im mitteladriatischen Gebiet, vor allem aber im aquilanischen und teramanischen Raum üblich, besonderen, oft gesellschaftlich höherstehenden Frauen einen Gürtel beizugeben, der ausgerollt vom Kopf bis zum Becken reichend über die Verstorbene gelegt wurde. Auf dem Gürtel aus organischem Material waren zwei Bleche aus Bronze oder Eisen angebracht, mit denen er verschlossen werden konnte, z.T. aber auch weitere Bleche als Schmuckapplikationen. Diese Art der Gürtelbeigabe ist bereits in den früheisenzeitlichen Bestattungen von Fossa und Scurcola Marsicana belegt9. Der frühe Gürtelblechtyp unterscheidet sich zwar von den späteren Formen, besitzt aber bereits einen Bügelverschluss. Die späteren Gürtelbleche, welche ab der Mitte des 7. Jhs. v. Chr. vorkommen, werden nach der grundlegenden Arbeit von G. Colonna als Typ Capena bezeichnet10. Charakteristisch sind neun, zwölf oder sechzehn große Nieten auf dem rechteckigen Blech, auf dem entweder ein Bügel- oder ein Haken-Ösen-Verschluss angebracht ist. Nach den Untersuchungen von G. Colonna soll der Gürtelblechtyp mit großen Schmucknieten im capenatischen Gebiet entwickelt worden und von dort in die Abruzzen gelangt sein. Das wäre nur durch Vermittlung der Sabiner möglich, deren Gebiet zwischen dem Agro

Calzari - Sandalen

Zwischen dem Ende des 7. und dem Beginn des 4. Jhs. v. Chr. wurden in Etrurien besondere Sandalen (calzari) hergestellt, die so berühmt waren, dass sie im Athen des 5. Jhs. v. Chr. als Luxusgut galten und Phidias sogar eine Athena-Statue damit versehen haben soll15. Wie die Untersuchungen von E. Touloupa nahelegen, könnte es sich bei den in Griechenland gefundenen Exemplaren tatsächlich um die aus den Schriftquellen bekannten tyrrhenica sandalia handeln, auch wenn eine griechische Produktion bzw. Imitation der Prunksandalen durchaus denkbar ist16. Eine umfassende Aufarbeitung der etruskischen Sandalen steht trotz der wegweisenden Arbeiten von E. Touloupa und M. Cristofani nach wie vor aus17. Charakteristisch für die etruskischen Sandalen ist eine zwei-

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J. Weidig, Aufnahme und Modifikation etruskischer Sachgüter in den nordwestlichen Abruzzen

teilige, bis zu 6 cm hohe Holzsohle, deren Laufsohle aus halbrunden und langovalen Bronze- oder Eisenblechen besteht, welche von unten mit Nägeln an der Holzsohle befestigt wurden, so dass man auf den Nagelköpfen lief (Abb. 1 a-d). An einige Exemplaren ist auch die komplette Laufsohle mit einem Bronzeblech verkleidet (Abb. 1 a). Viele Sandalen besitzen zudem umlaufende Rahmenbeschlagbänder aus Bronzeblech, die an den Seiten mit kleinen Nägelchen befestigt sind (Abb. 1 a. c). Eine Besonderheit sind die noch gut sichtbaren Scharnierbeschläge, die den vorderen mit dem hinteren Sohlenabschnitt verbanden (Abb. 1 a-c). Wie allerdings der Schuhschaft, d. h. der obere Teil der Sandale mit den Riemen ausgesehen hat, entzieht sich bislang unserer Kenntnis18. Auch in den archaischen abruzzesischen Gräbern kommen Schuhe mit einer zweiteiligen Sohle vor, die aber von der etruskischen Form teilweise stark abweichen.

Fossa unmittelbar auf etruskische Vorbilder zurückgehen, zeigt nicht nur das Vorkommen der einfachen etruskischen Form in einigen Kriegergräbern, sondern beweisen auch die Sandalen aus dem besonders reich ausgestatteten Kriegergrab 447, bei denen es sich um eine Mischform handelt, d. h. eine Laufsohle wie an den etruskischen Exemplaren und dreieckige Seitenbeschläge wie an der aquilanischen Form. Eine andere Sandalenform liegt in Caporciano, Capestrano und Loreto Aprutino vor: Die zweiteilige Sohle ähnelt der etruskischen Form, ist jedoch mit großen eisernen bügelartigen Verstärkungen versehen, die an Kufen eines Schlittschuhs erinnern (Abb. 2 b)20.

Abb. 1: Etruskische Sandalenform: a. Orvieto, necropoli di Cannicella, tomba 3. - b. Trevignano Romano. - c. Montalto di Castro, loc. Pian dei Gangani, tomba 1. - d. Bazzano, tomba 415. (Unterschiedlicher Maßstab. 1.a: Touloupa 1973, Abb. αβ; 1.b: Arte e civiltà degli Etruschi. Ausstellungskatalog Turin (Turin 1967) 48 Kat. Nr. 71-72; 1.c: M. A. Rizzo, Le anfore da trasporto e il commercio etrusco arcaico. I. Complessi tombali dall’Etruria meridionale (Roma 1990) 125 f. Nr.17. 24 Abb. 254; 1.d: Zeichnung: J. Weidig)

Abb. 2: Mitteladriatische (abruzzesische) Sandalenformen: a. aquilanische Form, Bazzano, tomba 406, Blick von oben und von der Seite. - b. Form mit Bügel, Caporciano, loc. Cinturelli, tomba 23. - c. steigeisenartige Form, Bazzano, tomba 793, Blick von vorne. - d. steigeisenartige Form, Nocciano, tomba 10. (Unterschiedlicher Maßstab. 2.a: Zeichnung: J. Weidig; 2.b: E. Cella, I semata in pietra della necropoli di Capestrano, in: Clementi 2007, 127 Abb. 6; 2.c: Zeichnung: J. Weidig; 2.d: L. Franchi Dell’Orto (Hrsg.), Die Picener. Ein Volk Europas. Ausstellungskatalog Frankfurt (Rom 1999) 257 Kat. Nr. 475.

So besteht die ab dem 2.Viertel des 6. Jhs. v. Chr. nachweisbare aquilanische Form aus einer dünnen Holzsohle mit metallenen Seitenbeschlägen, d. h. aus mehreren kurzen, oft dreieckigen Elementen, die seitlich auf die Holzsohle genagelt wurden (Abb. 2 a). An den mittleren Nägeln mit zumeist kreuzförmig gestalteten Köpfen waren wahrscheinlich die Lederriemen befestigt. Nach den Befunden dürfte es sich dabei um eine Kreuzriemenverbindung gehandelt haben, wie sie auch deutlich an den Sandalen des „Kriegers von Capestrano“ dargestellt ist19. Anders als bei der etruskischen Form, welche der Gestalt des Fußes angepaßt ist, sind die Sandalen der aquilanischen Form von oben gesehen rechteckig und klobig. Dass die lokal hergestellten Sandalen von Bazzano und

Aus den nordöstlichen Abruzzen, den angrenzenden südlichen Marken und in einem Fall aus Bazzano ist eine weitere, wiederum völlig anders gestaltete Sandalenform bekannt, bei der pro Schuh je zwei Eisenelemente steigeisenartig im vorderen und hinteren Abschnitt befestigt sind (Abb. 2 c-d). Besonders die beiden letztgenannten Formen lassen vermuten, dass in der apenninischen Bergwelt Sandalen nicht nur Repräsentationscharakter, sondern durchaus weitere Funktionen, wie Bergsteigehilfen – ähnlich den Steigeisen des Alpenraums – besaßen21. Die verbreitete Annahme, es handle sich bei den Sandalen 11

Neue Forschungen zu den Etruskern

ausschließlich um einen Bestandteil der Frauentracht, ist auf den Fund von einem Paar bronzener etruskischer Prunksandalen im reichen Frauengrab 119 von Campovalano zurückzuführen22. Demgegenüber stand allerdings schon die 1915 von I. Dall’Osso vorgebrachte Interpretation der calzari als Bestandteil der Kriegerausrüstung aufgrund ihrer Lage auf den Wagenkästen in einigen reichen Männergräbern von Belmonte Piceno23. Nach der neuen Bestandsaufnahme kommen zweiteilige Sandalen in Etrurien und auch im Picenum in Bestattungen beider Geschlechter vor. Nur in Bazzano und im übrigen mitteladriatischen Gebiet scheinen sie dagegen vorwiegend von Kriegern getragen worden zu sein. Die Verbreitung der unterschiedlichen Sandalenformen zeigt eine deutliche Konzentration der etruskischen Form in Etrurien, wobei einige Fundorte bereits im Picenum, in Campanien und auch in den Abruzzen liegen (Abb. 3). Die aquilanische Form ist dagegen nur auf die Conca l’Aquilana und auf wenige Funde in Campovalano beschränkt, während die Formen mit Bügelverstärkung und steigeisenartigen Elementen sehr selten vorliegen. Am Beispiel der Sandalen wird deutlich, wie eine zuvor fremde Materialgruppe in das lokale Formenspektrum aufgenommen und den Bedürfnissen entsprechend weiterentwickelt wurde. Mit einem einfachen Akkulturationsmodell ist dieser Vorgang nicht zu beschreiben, da hier keine kul-

turelle „Anpassung“, sondern eine selektive Aufnahme einiger Elemente (die metallene Sohle am Schuhwerk) und Weiterentwicklung (eigene Formen von Sohlen und wahrscheinlich andere Verwendung) vorliegt, die in das bestehende soziale Gefüge ohne Probleme integriert werden konnte. In diesem Fall eignet sich besser der Begriff der „kulturellen Aneignung“24, wie er in der neueren ethnologischen Forschung verwendet wird. Darunter versteht man die materielle Umgestaltung erworbener Güter, die durch die Einbettung in die einheimische Kultur im Laufe der Zeit als typisch lokal empfunden werden. Wenn ein gesellschaftlicher Konsens über die lokale Bedeutung des angeeigneten Gegenstandes besteht, kann es zur Traditionalisierung kommen. Dieser Prozess ist nicht nur auf besonders herausragende oder kostbare Importgüter beschränkt, sondern ist auch bei relativ einfachen Objekten zu beobachten25.

Filtergefäss – Vaso da filtro

Abschließend sei auf einen der interessantesten Belege für den direkten Einfluss etruskischen Lebensstils auf die soziale Oberschicht von Bazzano verwiesen, der schon an anderer Stelle besprochen wurde26. Zu Füßen des Kriegers aus Grab 890, der im ersten Viertel des 5. Jhs. v. Chr. bestattet worden ist, lagen die Fragmente eines Gefäßes aus lokalem Bucchero. Dieses besitzt wie eine kleine Amphore

Abb. 3: Verbreitung der Sandalen etruskischer und mitteladriatischer Form (große Symbole: mehr als zwei Gräber mit Sandalen, weiße Symbole: unsichere Formbestimmung): 1. Bazzano. - 2. Fossa. - 3. Caporciano. - 4. Capestrano. - 5. Campovalano. - 6. Loreto Aprutino. - 7. Nocciano. - 8. Borgorose. - 9. Poggio Sommavilla. - 10. Falerii Veteres. - 11. Corchiano. - 12. Capena. - 13. Belmonte Piceno. - 14. Recanati. - 15. Sirolo. - 16. Numana. - 17. Montedinove. - 18. San Martino in Gattara. - 19. Bisenzio. - 20. Castro. - 21. Cerveteri. - 22. Poggio Buco. - 23. Tarquinia. - 24. Trevignano Romano. - 25. Vulci. - 26. Orvieto. - 27. Montalto di Castro. - 28. Marzabotto. - 29. Palestrina / Praeneste. - 30. Frosinone. - 31. Cales. - 32. Olympia. - 33. Argos. - 34. Kerkyra. - 35. Apollonia. - 36. Eretria (Zeichnung: J. Weidig).

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J. Weidig, Aufnahme und Modifikation etruskischer Sachgüter in den nordwestlichen Abruzzen

zwei Henkel, die vom Bauch bis zum Rand reichen (Abb. 4). Von oben sieht es wie eine gespiegelte Oinochoe aus, d. h. mit zwei kleeblattförmigen Ausgüssen. Das Innere des Gefäßes wird in Halshöhe durch eine runde Tonplatte geteilt, welche ein zentrales Loch aufweist, das mit dem Tonstöpsel geschlossen werden konnte, welcher in der Nähe des Gefäßes gefunden wurde. Das entscheidende Merkmal der außergewöhnlichen Gefäßform sind je drei kleine Löcher, die sich in der Tonplatte zu beiden Ausgussseiten befinden, womit die Funktion als sog. vaso da filtro gesichert ist. Die wenigen bislang bekannten etruskischen Exemplare weichen in ihrer Form allerdings stark vom Gefäß aus Bazzano ab. Als verbindende Elemente bleiben die Löcher zu beiden Ausgussseiten sowie der Tonstöpsel. Dem Exemplar aus Bazzano am nächsten stehen die beiden vasi da filtro aus Orvieto und aus der Collezione Castellani in der Villa Giulia. Ganz offensichtlich handelt es sich bei dem Gefäß aus Bazzano um eine einheimische Umsetzung dieser seltenen etruskischen Form27. Die Funktion des vaso da filtro war dem Krieger aus Grab 890 anscheinend nicht nur vertraut, sondern so wichtig, dass er selbst nach dem Tod darauf nicht verzichten wollte.

Schöpfolpen (attingitoi) und die Knickwandschüsseln (ciotole carenate), traten in ein „Wechselspiel“ von Imitationen und neuen hybriden Schöpfungen, bei denen der Prototyp manchmal nicht mehr zu erkennen ist. Aber auch Modeströmungen, die ihren Ursprung in Etrurien hatten, erreichten über verschiedene Wege die Bevölkerung von Bazzano. Dazu gehören die Gürtel der Frauen, die zwar auf eine lange lokale Tradition zurückblicken, aber mit den Blechen capenatischer Form erstmals ab der zweiten Hälfte des 7. Jhs. v. Chr. neue Verschlussmöglichkeiten erhalten, sowie die um das zweite Viertel des 6. Jhs. v. Chr. aufkommende Sandalenmode, die eindeutig auf die etruskischen calzari zurückzuführen ist, wie die zweigeteilte Sohle beweist. Der zentralitalische Raum ist bislang noch nicht ausreichend erforscht, so dass über den Hintergrund der aufgezeigten Beziehungen zur etruskischen Kultur nur spekuliert werden kann. Sowohl ein direkter als auch ein indirekter Austausch käme in Betracht, der über die verschiedenen Stämme bzw. über die elitären Schichten erfolgt sein kann. Die archäologischen Gruppen Zentralitaliens wurden in der Forschung lange Zeit als Block wahrgenommen, es wurde sogar, ausgehend von einigen Gemeinsamkeiten im Fundmaterial, der Begriff der koinè geprägt29. Aber selbst dort, wo man vielleicht davon sprechen könnte, nämlich in der metallurgischen Produktion, sind im Detail doch starke lokale Ausprägungen zu erkennen. Das betrifft z.B. die unterschiedlichen Typen von Antennengriffdolchen und Lanzen aber auch Fibeln sowie die Gürtelmode30. Interessanterweise ist der picenische Einfluss im l’aquilanischen Raum geringer als zu erwarten wäre31. Die (materielle und geistige) Welt der archaischen Bevölkerung von Bazzano wurde daher wahrscheinlich vor allem durch ihre sabinischen Nachbarn, durch Umbrier und Equier, aber eben im gewissen Maße auch durch die Etrusker mitbestimmt.

Anmerkungen

Abb. 4: Vaso da filtro, Bazzano, tomba 890 (Benelli - Weidig 2006, Abb. 4).



Schlussbetrachtung

Die etruskische Welt war den Bergvölkern der Abruzzen durchaus bekannt, aber es fand nur eine selektive Aufnahme von Sachgütern statt. Die Beigabe von importierten Gefäßen erfolgte zum größten Teil episodisch und übte zunächst einen nur sehr geringen Impuls auf die einheimische Produktion aus. Weder sind lokale Umsetzungen der etrusko-korinthischen Skyphoi noch der Oinochoen aus Bucchero bekannt. Aber dennoch kam es zu vereinzelten Versuchen, bestimmte Formen zu imitieren. Der unmittelbare Einfluss des etruskischen Handwerks auf die lokale Keramikproduktion wird in der Rezeption der Buccheroherstellung deutlich, die spätestens ab dem 6. Jh. v. Chr. einen eigenen Bucchero hervorbrachte mit dem einheimische Formen wie die kleinen aquilanischen Amphoren angefertigt wurden28. Einige wenige Keramikformen, die für den Bestattungsritus von besonderer Bedeutung waren, z. B. die kleinen

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Herzlichen Dank für Hinweise und Förderung an A. Naso (Innsbruck), M. Egg (Mainz), H. Baitinger (Frankfurt), A. MüllerKarpe (Marburg), E. Teleaga (Bukarest), E. Benelli (Rom), V. D‘Ercole (Chieti), S. Behm-Blancke (Jena), L. Cutilli (Penne), N. Lucentini (Ascoli Piceno). Ebenso sei den Organisatoren der Tagung A. Kieburg und A. Rieger für die freundliche Einladung gedankt. So scheinen die von A. Naso (Naso 2006, 365 f. 377-380) zusammengestellten Kantharoi aus sehr dünnem Bronzeblech z. T. auf eine picenische Produktion zurückzugehen. Zwei derartige Kantharoi stammen auch aus Bazzano (Naso 2006, 378 Nr. 9-10; Weidig 2007b, 57 Abb. 1 Nr. 8). Cosentino - D‘Ercole - Mieli 2001; Benelli 2004a; Benelli 2004b; Benelli 2005; Benelli 2008. Mit mehr als 1650 Bestattungen gilt Bazzano neben der Nachbarnekropole Fossa sowie den Gräberfeldern von Campovalano und Alfedena als einer der wichtigsten Fundorte in den Abruzzen. Deren eisenzeitliche Phasen (8.–5. Jh. v. Chr.) sind Gegenstand der Dissertation des Verf. an der Philipps-Universität Marburg (A. Müller-Karpe). Die Arbeit wird durch das RGZM Mainz mit einem Doktorandenstipendium gefördert (M. Egg). Vorberichte bei: Benelli – Weidig 2006; D‘Ercole – Martellone 2007, 22-25; Weidig 2007a; Weidig 2007b; V. d‘Ercole – A. Martellone, Rituali funerari vestini dell‘età del ferro, in: Tagliamonte 2008, 143-161. Der beste Vergleich zum Infundibulum (Typ 4 nach Naso 2006, 392-397 Nr. 70) stammt aus Bisenzio, Grab 80. Zu Bazzano, Grab 1566: D‘Ercole - Martellone 2007, 25 Abb. 8. Der Kantharostyp Rasmussen 3e ist die vom letzten Viertel des 7. - Mitte des 6. Jhs. v. Chr. am weitesten verbreitete Gefäßform aus etruskischem Bucchero. Eine Übersicht der wichtigsten Fundorte

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des Typs in Etrurien und aller in Sammlungen bzw. Museen befindlichen Exemplare gibt P. Perkins (Etruscan Bucchero in the British Museum [London 2007] 45 f. Kat. Nr. 162), der zudem eine Unterteilung des Typs in eine schmalere und in eine breitere Form vorschlägt, während F. W. von Hase (Der Etruskische Bucchero aus Karthago. Ein Beitrag zu den frühen Handelsbeziehungen im westlichen Mittelmeergebiet [7.–6. Jahrhundert v. Chr.], JbRGZM 36/1, 1989, 327-410 bes. Abb. 27 und Fundliste 19) sämtliche Exportfunde des Typs im Mittelmeerraum kartiert, wobei die Funde aus Sizilien bei R. M. Albanese Procelli, Gli Etruschi in Sicilia, in: G. Camporeale (Hrsg.), Gli Etruschi fuori d‘Etruria (Verona 2001) 297 kurz erwähnt werden. Kylix Rasmussen cup Typ 1c aus Grab 821 (Weidig 2007a, 102 Nr. 11 Taf. 12 Nr. 11). Für Fossa konnte Benelli (Benelli 2008, 95 f.) nachweisen, dass nur in einigen Gräbergruppen die Tasse durch ein attingitoio als Schöpfgefäß in einem Vorratsgefäß (Olla bzw. Dolium) ersetzt wurde. In Bazzano scheinen die Schöpfkännchen dagegen eine größere Rolle als Libationsgefäße in Kindergräbern gespielt zu haben, auch wenn durchaus Bestattungen mit Vorratsgefäßen und attingitoi vorkommen. z. B. die Kotyle aus Impasto aus Grab 1113 (Weidig 2007a, 107 Nr. 13 Taf. 14 Nr. 13). Fossa, tomba 198 (Cosentino – D‘Ercole – Mieli 2001, 116-118 Abb. 41 Nr. 5 Taf. 40 Nr. 5). G. Colonna, Placche arcaiche di cinturone di produzione capenate, ArchCl 10, 1958, 69-80; von Hase 1971; G. Colonna, Su una classe di dischi-corazza centro-italici, in: Aspetti e problemi dell‘Etruria interna. Atti dell‘VIII Convegno nazionale di Studi Etruschi e Italici, Orvieto 1972 (Florenz 1974) 193-205. Weidig 2005 mit Bibl.; vgl. auch die neuen chronologischen Ansätze von Benelli 2005, 441 Anm. 61. von Hase 1971. Weidig 2005, 476 f. 485 f. Abb. 2 und Abb. 3 Nr. 5-8. Vgl. von Hase 1971, Abb. 19-21 mit Campovalano, Grab 415 (Weidig 2005, Abb. 3. 9). Griechische Quellen bei J. Heurgon, Die Etrusker 4(Stuttgart 1993) 255 f.; F. Jurgeit, Die etruskischen und italischen Bronzen sowie Gegenstände aus Eisen, Blei und Leder im Badischen Landesmuseum Karlsruhe (Pisa 1999) Kat. Nr. 1158; Bonfante 2003, 130 Anm. 3-4. Touloupa 1973 hält die in Olympia, Argos, Eretria und auf Korfu gefundenen Sandalen für etruskisch. Allgemein zum griechischen Schuhwerk K. Dohan Morrow, Greek Footwear and the Dating of Sculpture (Madison, Wisconsin 1985); zu etruskischen Schuhen Bonfante 2003, 59-66. bes. 130-131 Anm. 2-8. Touloupa 1973; M. Cristofani, Reconstruction d‘un mobilier funeraire archaique de Cerveteri, MonPiot 63, 1980, 1-30 bes. 6 mit Anm. 9 (erste Fundliste der etruskischen Sandalen aufbauend auf die Zusammenstellung von Touloupa). Eine ausführliche Fundliste mit umfangreicher Bibliographie wird der Verf. innerhalb der Publikation des Gräberfeldes von Bazzano vorlegen. Eindeutige Darstellungen von zweiteiligen Sandalen scheint es in der etruskischen Kunst nicht zu geben. Die Riemen könnten aber an den älteren Exemplaren ähnlich befestigt gewesen sein wie an den Sandalen der Frauenstatuette aus Vulci, Polledrara, Tomba di Isis, um 570 v.Chr. (Bonfante 2003, 188 f. Abb. 99). Die jüngeren Exemplare könnten dagegen mit einer seitlichen Kreuzverbindung versehen worden sein, wie sie an den Sandalen in den Wandmalereien von Tarquinia dargestellt ist, so z. B. in der Tomba della Nave, ca. Mitte 5. Jh. v. Chr. (die deutlichste Abb. bei S. Steingräber, Tarquinia. La più grande pinacoteca del mondo preromano, in: M. Torelli – A. M. Moretti Sgubini [Hrsg.], Etruschi. Le antiche metropoli del Lazio [Rom 2008] 100 obere Abb.). Die besten Abb. der Sandalen am Krieger von Capestrano bei V. Cianfarani, Culture adriatiche d‘Italia. Antichità tra Piceno e Sannio prima dei Romani (Rom 1970) Taf. P und Taf. Q. Ob die Sohle einoder zweiteilig sein sollte, kann natürlich aus der Skulptur nicht erschlossen werden. Die neue Restaurierung der Sandalen aus Capestrano, Grab 3 ergab eine Sohle mit Bügel. So ist die alte Rekonstruktionszeichnung, welche von G. Moretti (Il guerriero Italico e la necropoli di Capestrano, BPI 1936-1937, 101 Abb. 4) publiziert und immer wieder abgebildet wurde, überholt, da es sich bei den stachelartigen ramponi um die nach innen stehenden Nägel handelt. Zu den ramponi im Alpenraum vgl. F. Marzatico, I ramponi nel quadro dei rapporti fra l’area Atesina e i territori orientali, in: Studi di protostoria in onore di Renato Peroni (Florenz 2006) 202-207.

22 O. Zanco, Sandali di bronzo sbalzato nella necropoli di Campovalano di Campli (Teramo), StEtr 55, 1987-1988, 75-90. 23 I. Dall‘Osso, Guida illustrata del Museo Nazionale di Ancona (Ancona 1915) 73: „Queste specie di sandali probabilmente servivano al guerriero per appoggiarvi i piedi e mantenersi saldo sul piano del carro, alquanto inclinato all‘indietro nelle corse precipitose...”. 24 H. P. Hahn, Materielle Kultur. Eine Einführung (Berlin 2005) 101107. 25 H. P. Hahn, a.O. (Anm. 24) 99-107. Als Beispiel einfacher Objekte lassen sich die kleinen attingitoi aus Bazzano und Fossa anführen, die in einigen Gruppen die Tasse als Beigabe vor allem in den Vorratsgefäßen ersetzen. 26 Benelli – Weidig 2006 mit Nachweisen. Zum kretischen Ursprung der Form der vasi da filtro vgl. G. Biondi, Un vaso da filtro da Arkades e i contatti tra Creta e il Centro Italia Tirrenico, in: N. Xr. Stampolidis – A. Giannikoyri (Hrsg.), To Aigaio stin proimi epochi toy sidiroy (Athen 2004) 85-91. 27 Auch in Alfedena sind mehrere vasi da filtro bekannt, die die dort üblichen lokalen Formen der kleinen Amphoren aufnehmen (L. Mariani, Aufidena, MonAnt 10, 1901, Taf. 11 Nr. 1). 28 Benelli 2004b; Benelli – Weidig 2006. 29 L. Bonomi Ponzi, La koiné centroitalica in età preromana, in: Identità e civiltà dei Sabini. Atti del XVIII Convegno di Studi Etruschi ed Italici, Rieti - Magliano Sabina 1993 (Florenz 1996) 393-413. 30 Zusammenfassend Benelli – Weidig 2006; G. Tagliamonte, Introduzione, in: Tagliamonte 2008, 5-9; J. Weidig, I pugnali a stami. Considerazioni su aspetti tecnici, tipologici, cronologici e distribuzione in area abruzzese, in: Tagliamonte 2008, 105-141. 31 Vgl. die Zusammenstellung der wenigen picenischen Importfunde bzw. die auf picenischen Einfluss zurückgehenden Objekte wie z.B. die Elfenbeindiskusanhänger in Weidig 2007b.

Literatur: Benelli 2004a E. Benelli, I contesti tombali, in: V. d’Ercole – E. Benelli, La necropoli di Fossa II. I corredi orientalizzanti e arcaici (Pescara 2004) 11-218. Benelli 2004b E. Benelli, Il bucchero nell’Italia centrale appenninica e adriatica. Alcune osservazioni, in: A. Naso (Hrsg.), Appunti sul bucchero. Atti delle giornate di studio (Florenz 2004) 275-277. Benelli 2005 E. Benelli, La Sabina interna. Amiternum e la conca aquilana, in: E. Benelli – F. Delpino – P. Santoro, Orvieto e i Sabini, AnnFaina 12, 2005, 440-447. Benelli 2008 E. Benelli, Prime osservazioni sulla fase orientalizzante e arcaica della necropoli di Fossa. Aspetti rituali e strategie di utilizzo, in: Tagliamonte 2008, 87-104. Benelli – Weidig 2006 E. Benelli – J. Weidig, Elementi per una definizione degli aspetti culturali della conca aquilana in età arcaica. Considerazioni sulle anforette del tipo aquilano, Orizzonti7, 2006, 11-22.

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J. Weidig, Aufnahme und Modifikation etruskischer Sachgüter in den nordwestlichen Abruzzen

Bonfante 2003 L. Bonfante, Etruscan Dress. Updated Edition (Baltimore 2003). Clementi 2007 A. Clementi (Hrsg.), I campi aperti di Peltuinum. Dove tramonta il sole… Saggi sulla terra di Prata d’Ansidonia dalla protostoria all’età moderna (L’Aquila 2007). Cosentino – D’Ercole – Mieli 2001 S. Cosentino – V. D’Ercole – G. Mieli, La necropoli di Fossa I. Le testimonianze più antiche (Pescara 2001). D’Ercole – Martellone 2007 V. d’Ercole – A. Martellone, Pretuzi, Vestini, Equi e Marsi: nuovi elementi di conoscenza, in: A. M. Dolciotti – C. Scardazza (Hrsg.), L’ombelico d’Italia. Popolazioni preromane dell’Italia Centrale. Atti del convegno 17 maggio 2005, Roma, Complesso Monumentale di S. Michele a Ripa (Rom 2007) 17-44. von Hase 1971 F.-W. von Hase, Gürtelschließen des 7. und 6. Jahrhunderts v. Chr. in Mittelitalien, JdI 86, 1971, 1-59. Naso 2006 A. Naso, Anathemata etruschi nel Mediterraneo Orientale, in: M. Della Fina (Hrsg.), Gli Etruschi e il Mediterraneo. Commerci e politica, AnnFaina 13, 2006, 351-416. Tagliamonte 2008 G. Tagliamonte (Hrsg.), Ricerche di archeologia medioadriatico. I. Le necropoli: contesti e materiali. Atti dell’incontro di studio, Cavallino-Lecce, 27-28 maggio 2005 (Galatina 2008). Touloupa 1973 E. Touloupa, Krepides attikai, ADelt 28, 1973, 116-137. Weidig 2005 J. Weidig, Der Drache der Vestiner. Zu den Motiven der durchbrochenen Bronzegürtelbleche vom « Typ Capena », AKorrBl 35, 2005, 473-492. Weidig 2007a J. Weidig, Gli alpinisti protostorici del Gran Sasso. Considerazioni su due gruppi di oggetti nelle tombe di Bazzano, Fossa e Caporciano. I “bastoni da sci” e i ganci ad omega, in: Clementi 2007, 69-108. Weidig 2007b J. Weidig, Elementi piceni nelle tombe arcaiche di Bazzano (AQ), in: M. Gušin – P. Ettel – M. Buora (Hrsg.), Piceni ed Europa. Atti del convegno, Piran, 14-17 settembre 2006. Archeologia di Frontiera 6 (Udine 2007) 55-65.

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Marta Scarrone

Ein etruskisches Meisterwerk der pseudo-rotfigurigen Technik: Die Amphore München 3171 des Jahn-Malers Summary

Vasen in Werken des 19. Jhs. vorgestellt: Overbeck nimmt sie 1853 in seine „Bildwerke zum Troischen Heldenkreis” auf5; sie erscheint auch 1885 in den „Denkmälern des klassischen Altertums” von Baumeister6 und 1889 im „Atlas zum Homer” von Engelmann7. Obwohl Giglioli sie als Erster als ein wichtiges Exemplar etruskischer Kunst betrachtet8 und sie später in den kurzen Beiträgen von Shefton und Szilágyi in den sechziger Jahren9 und kürzlich von Bruni10 der etruskischen Werkstatt des Jahn-Malers zugeschrieben wird, fehlt sie in den üblichen modernen Handbüchern etruskischer Kunst. Noch heute wird die Amphore, wie ihre Präsenz in den Ausstellungen „Mythos Troja” in München 200611 und „Homer – Dichtung und Kunst” in Basel 200812 zeigt, im griechischem Kontext betrachtet. Die Bauchamphore mittlerer Grösse (54 cm), die höchstwahrscheinlich aus der Nekropole von Vulci stammt, zeigt in einem umlaufenden Fries zwei verschiedene Darstellungen.

This article presents an interesting piece of Etruscan overpainted pottery, a genre which has not yet received due attention. The vase is Amphora 3171 of the Staatliche Antikensammlungen in Munich, attributed to the so-called Jahn-Painter (Praxias Group) who worked in Vulci in the first half of the fifth century B.C. It features erudite representations from the Greek epos, one of which is hard to interpret. Side A is adorned by a rare scene of epinaumachia. Side B depicts, depending on the interpretation one adopts, the presbeia (embassy) of Ulysses, Aiax and Phoenix to Achilles, or the ransom of Hector’s corpse. After providing a brief research history of the vase, I discuss the interpretations proposed so far. By examining the iconography and the single stock poses of the figures, as well as comparing them with Greek literary sources and Attic/Etruscan imagery, I reach new conclusions about how the painter has constructed the scenes and how he related to Greek culture.

Einleitung

Seite A: Epinaumachia

Ein wichtiger Vertreter der etruskischen pseudo-rotfigurigen Keramik des 5. Jhs. v. Chr. ist der sogenannte JahnMaler1. Dem Maler, der nach Otto Jahn benannt ist, wird ein nicht sehr großes Corpus von Vasen zugeschrieben. Stil und Herkunft der Vasen zu Folge war er vermutlich zwischen 480-460 v. Chr in der Werkstatt der Praxias-Gruppe von Vulci tätig. In diesem Beitrag soll eine seiner bedeutendsten Vasen vorgestellt werden, die Amphore München 31712 (Abb. 1–3). Gleich nachdem die Vase in den Jahren 1838–1840 aus der Sammlung Candelori aus Vulci in die Sammlung Ludwigs I. nach München gekommen war, wurde sie wegen der gebildeten Darstellungen von Martin von Wagner, dem Kunstagenten des Königs, selbst oder von seinen Restauratoren gezeichnet3. Im Jahr 1847 zeichnete auch Gerhard die Amphore, die er ein „auserlesenes griechisches Vasenbild” nannte (Abb. 4–5)4 . Dank der Zeichnung von Gerhard wurde die Amphora bekannt und neben griechischen

Auf einer Seite führt der Maler den Höhepunkt der verbissenen Kämpfe zwischen Griechen und Trojanern vor Augen (Abb. 1 und 4): Gerade gewinnen die Trojaner die Oberhand über die Griechen, indem sie ihre Schiffe in Brand setzen, genau wie es die Ilias (15, 716 –731 und 16, 102–107) erzählt: „Hektor ließ den ergriffenen Bord nicht los, mit den Händen Fest umspannend den Knauf, und rief zu den Troern hinüber: Feuer her! Und erhebet nun alle zusammen den Schlachtruf. Jetzt gewährt uns Zeus einen Tag, der alle vergütet, dass wir die Schiffe gewinnen , die … kamen und Leiden uns brachten… Also sprach er… Ajas konnte nicht länger mehr stehen… Sondern er wich ein wenig zurück.. Dort nun stand er und spähte und trieb mit der Lanze die Troer Immer fort von den Schiffen...”

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Neue Forschungen zu den Etruskern „Konnte Ajas länger nicht stehen, bedrängt von Geschossen … und müde ward ihm die linke Schulter, stets vom beweglichen Schilde belastet...” (Übers. H. Rupé)

Abb. 3: Amphore München 3171 des Jahn-Malers, Seite B: Hektor-Lösung oder Presbeia zu Achill? Detail (Foto: M. Scarrone).

Dem Wohlklang der Rezitation des homerischen Epos ist die Konkretheit der Bilder entgegengesetzt. Der Maler erzählt den Kampf in einer dynamischen und erregten Atmosphäre und stellt die Figuren in stets verschiedenen Haltungen dar. Einige Figuren laufen: die Trojaner (Abb. 4 Nr. 7. 6. 4. 3), zwischen ihnen vielleicht auch Hektor selbst (Nr. 3), ferner der angreifende Krieger (Nr. 6) und der Krieger mit der Fackel in der Hand (Nr. 4), der gerade die Schiffe anzündet. Der Bogenschütze (Nr. 7) schießt einen Pfeil ab; zwischen den Griechen (Nr. 5. 2. 1) ist der erste Gefallene mit Blick nach oben, Schwert und Schild (Nr. 5) noch imstande zu kämpfen, der zweite (Nr. 2) dagegen resigniert mit dem Blick nach unten in der Niederlage; Aiax (Nr. 1) bleibt der einzige stehende Grieche. Trotz der Bewegtheit des Kampfes bemerkt man eine Symmetrie: Die beiden Gefallenen befinden sich unter den Henkeln, und ihre schräge Haltung wird durch die gleiche Position des Aiax betont. Die Spannung wächst im Zweikampf zwischen Hektor und Aiax und erreicht ihren Höhepunkt genau bei den achäischen Schiffen.

Abb. 1: Amphore München 3171 des Jahn- Malers, Seite A: Epinaumachia (Foto: M. Scarrone).

Die Ikonographie der Seite A (Abb. 1 und 4) ist klar: Es handelt sich um die erste bekannte Darstellung des Kampfes und des Brandes bei den Schiffen (Epinaumachia), wie sie in der Ilias erzählt wird. Das Sujet wurde laut Pausanias (5, 19, 2) auf einem Gemälde von Kalliphon aus archaischer Zeit im Tempel der Artemis in Ephesos dargestellt und kommt dann auf hellenistischen und römischen Monumenten vor13. Der gelehrte etruskische Maler, der, soweit wir wissen, kein attisches Vorbild hatte, entlehnt die Komposition seiner Epinaumachia attischen Amazonomachie-Darstellungen: Die griechischen ikonographischen Schemata des angreifenden Kriegers, des gefallenen Kriegers und des Bogenschützen, der einen Pfeil abschießt, sind tatsächlich typisch für diese Szene14. Geschickt fügt der Maler eigene Innovationen in das Schema ein: Die beiden gefallenen Krieger wurden variiert; die Szene schließt mit Aiax in einem Schema, das sehr verbreitet in der attischen Keramik ist.

Abb. 2: Amphore München 3171 des Jahn-Malers, Seite B: Hektor-Lösung oder Presbeia zu Achill? (Foto: M. Scarrone)

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M. Scarrone, Ein etruskisches Meisterwerk der pseudo-rotfigurigen Technik

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Abb. 4: Amphore München 3171 des Jahn-Malers, Seite A: Epinaumachia (Umzeichnung aus Gerhard 1847, Taf. 197).

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Abb. 5: Amphore München 3171 des Jahn-Malers, Seite B: Hektor-Lösung oder Presbeia zu Achill? (Umzeichnung aus Gerhard 1847, Taf.197).

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Seite B: Hektor-Lösung Achill?

oder

Presbeia

dern auch, weil der Körper Hektors fehlt. Zwar befindet sich dieser nach Homer nicht in dem Zelt, in dem Priamos Achill bittet; dennoch würde er ein wichtiges Element für das Verständnis der bildlichen Szene darstellen. Dagegen findet die Szene des Jahn-Malers enge Ählichkeiten mit der attischen Ikonographie der Presbeia: Diese stellt genau drei Männer (Phönix, Aiax und Odysseus) um einen sitzenden, ganz eingehüllten Achill dar, manchmal auch so, dass einer der Krieger hinter Achill, zwei vor ihm stehen22. Entscheidend würde der Vergleich mit der Presbeia-Darstellung im Medaillon der Kylix des Ödipus-Malers23 scheinen, wo Achill in der unüblichen Richtung nach rechts dargestellt ist und auf einem Diphros sitzt, der dem auf unserer Vase exakt gleicht. Die als Presbeia gedeutete Darstellung würde sich schließlich sehr gut mit der Seite A ergänzen, wo die Griechen ohne ihren stärksten Held gerade die Schlacht bei den Schiffen verlieren24. Die zuletzt genannte Deutungshypothese ist durch gute Argumente gestützt, sie ist aber dennoch nicht ganz befriedigend: Hätte der Maler tatsächlich die Presbeia dargestellt, wäre die Anwesenheit des Hermes, durch Kerykeion, Petasos, Chlamys und die Geste der erhobenen Hand charakterisiert, unverständlich; besonders wegen der Geste, die ein für Gottheiten typisches Zeichen von Hilfe oder Mahnung ist25, könnte Hermes in unserer Szene Achill mahnend an den Befehl des Zeus, den Körper zurückzugeben, erinnern. Keine Erklärung hätte auch der Greis in Proskynesis, einer Haltung, die nach dem griechischen Brauch nur zu einem Orientalen wie Priamos passt.

zu

Auf der zweiten Seite (Abb. 2–3 und 5) ist der griechische Held Achill der Kern der Szene, auf den alle den Blick richten: Die Spannung steigt, wie auf der anderen Seite, nach links, indem der Maler in der Komposition der Szene die Köpfe bald in schräger, bald horizontaler Richtung aufreiht. Die Deutung der Szene auf Seite B (Abb. 2–3 und 5) ist umstritten: Man sieht hier teils die Hektor-Lösung dargestellt und zwar entweder nach dem homerischen Epos oder nach der Tragödie „Die Phrygier” des Aischylos, teils die Presbeia (Gesandschaft) zu Achill. Ia) Gerhard, Döhle und Bruni15 betrachten die Vase mit dem Homer in der Hand, genauer Il. 24, 468–479, wo Hermes (Abb. 5 Nr. 5) Priamos (Nr. 3), den er vor das Zelt des Achill (Nr. 2) geführt hatte, gerade verlässt. „...(Priamos ließ den Idaios im Hofe zurück) … der Greis aber ging voran zu dem Zelte, Wo Achilleus verweilte; … … weit von ihm saßen die Freunde; nur zwei der Gefährten, Alkimos (Nr. 1)… und Automedon (Nr. 6), waren Eifrig tätig um ihn. Er hatte mit Essen und Trinken Eben geendet, und vor ihm stand gedeckt noch die Tafel. Heimlich war Priamos eingetreten, und nahe Kam er, umschlang dem Peliden die Knie und küsste die schlim[men Mordgefährlichen Hände, die all seine Söhne getötet.” (Übers. H. Rupé)

Die Figur Nr. 4, die bei Homer keine Entsprechung findet, könnte Phönix sein: Obwohl er in dieser homerischen Episode nicht anwesend ist, ist er fast wie ein Vater so eng mit Achill verbunden16, dass seine Anwesenheit wohl gerechtfertigt sein könnte. Ib) Robert, Sechan, Bulas und Kossatz-Deissmann17 bemerken, dass die Szene nicht der normalen attischen Ikonographie folgt, und weisen vor allem darauf hin, dass Achill nicht auf der Kline im Moment des Mahles liegt, sondern ganz eingehüllt auf einem Diphros sitzt. Sie denken daher, dass es sich um die früheste Darstellung der Hektor-Lösung nach der Tragödie „Die Phryger” von Aischylos18 handelt, die um 490 v. Chr. datiert wird. „Die Phryger” war die dritte Tragödie aus der nur sehr fragmentarisch bekannten Trilogie „Achilleis”, die die Ilias dramatisierte, und brachte gerade einen sitzenden, ganz eingehüllten Achill auf die Bühne. Am Ende wurde Hektors Leichnam abgewogen und gegen Geld ausgelöst. Der Darstellung des Jahn-Malers würden Kossatz-Deissmann zu Folge trotz bedeutsamer Unterschiede19 die unteritalischen Vasen folgen, wo der Verweis auf die Tragödie mit dem Motiv der Waage ganz explizit wird. II) Ein stärkerer Fokus auf die Ikonographie der Darstellung statt auf die literarische Quelle kann zu einer anderen Deutung führen. Giuliani und Knauss meinen, die Szene sei nicht als Hektor-Lösung, sondern vielmehr als Presbeia von Odysseus, Aiax und Phönix zu Achill zu deuten20. Die Szene des Jahn-Malers weicht gänzlich von der attischen Ikonographie der Hektor-Lösung ab21, und nicht nur wegen der Darstellung Achills – wie schon erwähnt –, son-

Abschliessende Überlegungen

Die Prämissen der Deutung, die hier vorgeschlagen wird, bestehen zum einen darin, dass es nicht vernünftig ist, eine perfekte Entsprechung zwischen einer literarischen und einer bildlichen Fassung zu verlangen, weil die Bild-Sprache eigene Regeln hat, die nicht notwendigerweise mit denen der Dichtung übereinstimmen; und zum anderen darin, dass der Maler sich in etruskischem Kontext bewegt und von verschiedenen, nicht nur einem kulturellen Impuls beeinflusst werden kann. Der Jahn-Maler könnte andere Ziele als seine attischen Kollegen haben: Er will vielleicht eigentlich die Szene der Hektor-Lösung darstellen, hat aber anders als der attische Maler kein Interesse daran, die brutale Bosheit des Achill wiederzugeben, der alleine in aller Seelenruhe über dem massakrierten Leichnam des Feindes schlemmt26. Stattdessen richtet der Jahn-Maler die Aufmerksamkeit auf einen „persönlichen” Aspekt: Auf die Trauer Achills über den Tod seines Freundes Patroklos und die Bitte des alten Vaters Priamos, der wegen des Todes des Sohnes verzweifelt ist27. Daher entscheidet sich der Maler für die Darstellung der Proskynesis, die zuvor sehr selten vorkommt28, und benutzt das Schema des eingehüllten Achills: ein Schema, das nicht aus der Ikonographie der Hektor-Lösung, sondern der der Presbeia stammt. Üblicherweise wird es als Darstellung des Grolls Achills gedeutet, der der Bitte seiner Freunde nicht nachgibt29; doch kann es auch und sogar hauptsächlich als Darstellung von Achills Trauer verstan-

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M. Scarrone, Ein etruskisches Meisterwerk der pseudo-rotfigurigen Technik

Anmerkungen

den werden. Das Schema erscheint nämlich auch, wenn der wegen Patroklos’ Tod betrübte Achill die neue Waffe von Thetis bekommt30, und wenn er wegen der Entführung der Briseis in Trauer ist31. Die Bildformel, die grundsätzlich eine in sich selbst geschlossene Figur ist, scheint schon in der griechischen Dichtung als Anspielung auf Klage und Trauer über den Tod existiert zu haben32. Das griechische Theater kodifiziert diese Figur als Gestalt der Stille, d. h. Bewegungsunfähigkeit (ganz eingehüllt, auch die Hände) oder Überlegung (Blick nach unten)33, und in der Trilogie des Aischylos charakterisiert es den Helden Achill. Die attischen Maler, die sich im kulturellen Raum der Stadt bewegen, könnten von diesen Faktoren inspiriert werden, um das Schema zu kreieren. Der Jahn-Maler wendet also meiner Deutung nach das Schema an, das in der attischen Malerei vor allem in der Presbeia vorkommt, um einen betrübten Achill darzustellen. Übrigens scheint die Haltung, die Achill hier einnimmt, in Etrurien hauptsächlich in diesem Sinne verstanden worden zu sein: Beispielsweise sind der Greis bei der Anfahrt des Amphiaraos auf pontischen Amphoren34, die Heroen gegen Theben, Amphiaraos, Parthenopaios und Polyneikes, beim Kriegsrat35 sowie Odysseus (Utuse) bei dem Achill-Krieger-Abschied36 und sogar Achill selbst37 auf Gemmen der ersten Hälfte des 5. Jhs. v. Chr. alle im Sitzen, mit dem Blick nach unten und eingehüllt dargestellt; ihre Haltung scheint auf den Tod oder auf die Meditation über ein ungnädiges Schicksal anzuspielen. Der betrübte Achill wird ferner auf der Amphore des JahnMalers nicht von rhetorischen Gesten des hypokrinesthai umkreist, wie in den attischen Szenen der Presbeia, wo Odysseus den intensiven Blick, den er auf Achill richtet, mit der Hand unterstreicht38, sondern vielmehr von Gesten des Trosts (siehe Abb. 5, Nr. 1: den mutmaßlichen Alkimos, der die Hand auf den Kopf legt), von Zärtlichkeit (siehe Abb. 5, Nr. 4: den vermuteten Phönix) und von Bitten (siehe Abb. 5, Nr. 3: Priamos). Für die Deutung der Seite B der Amphore als Hektor-Lösung ist es schließlich bemerkenswert, dass die späteren hellenistischen und römischen Monumente eine sehr ähnliche Ikonographie für dieses Sujet zeigen. Sie scheinen sowohl die Tragödie des Aischylos39 als auch die Ilias40 als Quelle zu haben und teilen trotz einiger Unterschiede, die in der späteren Ikonographie den nackten und starken Helden Achill hervorheben, mit der Amphore des Jahn-Malers die Darstellung des auf einem Diphros sitzenden Achill und des Priamos in Proskynesis. Die Amphore München 3171 bietet eine neuartige Kombination von ohnehin schon seltenen Ikonographien, die auf Krieg (Seite A) und auf Trauer (Seite B) anspielen. Das figürliche Programm der Amphora könnte in einem GrabKontext auf einen jungen, frühzeitig verstorbenen Krieger hinweisen. Der Maler und sein Auftraggeber aus Vulci erscheinen um 480 v. Chr. als große Vertreter eines hellenisierten, ganz und gar nicht „banalisierenden” Etruriens, das sich im griechischen Bild und Lied bestens auskennt.

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Die etruskische pseudo-rotfigurige Keramik des 5. Jhs. v. Chr. bildet das Thema meiner Doktorarbeit, die an der Universität Bonn unter der Leitung von M. Bentz und M. Harari mit der Förderung der Gerda-Henkel-Stiftung durchgeführt wird. Den Jahn-Maler habe ich in meiner „tesi di laurea” bei M. Harari an der Università Pavia studiert. Die Ergebnisse werden in Form des Aufsatzes „Il Pittore di Jahn”, StEtr (im Druck) publiziert. Dazu auch Anm. 1. Ich danke B. Kaeser der Staatlichen Antikensammlung München für die Erlaubnis, meine Fotos der Amphora zu publizieren. Die Zeichnung wurde aber erst in Wünsche 2006, 215 Abb. 31, 3 und 242 Abb. 36, 8 publiziert. Zu Martin von Wagner und zu den Vasenzeichnungen aus seinem Nachlass: Wehgartner 2007. Gerhard 1847, 99–101 Taf. 197. Overbeck 1853, 422–423 Nr. 49 und 470 Nr. 137 Abb. 17, 6. 20, 2. Baumeister 1885, 723 f. Abb. 783. Engelmann 1889, 6 Nr. 68 Taf. 12, 68. Giglioli 1935 Taf. 249. Shefton 1967, 534 Anm. 25, 2; Szilágyi 1973, 103 f. Bruni 2006, 69–71. Wünsche 2006, 205 Abb. 29, 5; 214–215 Abb. 31, 1–3; 242 Abb. 368; 439 Nr. 72. Latacz u. a. 2008, 369–370. Vgl. LIMC IV (1988) 487–488 s. v. Hektor (O. Touchefeu). Vgl. http://www.beazley.ox.ac.uk/xdb/ASP/dataSearch.asp (Vase Number 205305. 200068. 275091). Gerhard 1847, 99–101; Döhle 1967, 136–139; Bruni 2006, 69–71. Vgl. Hom. Il. 9, 485–495. Robert 1881, 142; Séchan 1926, 117–118; Bulas 1929, 65 f.; Kossatz-Deissmann 1978, 23–32; Kossatz-Deissmann 1981, 151. Zu dieser Tragödie Mette 1963, 118–121. 226; Döhle 1967, 93–95. Auf den unteritalischen Vasen wird Achill z. T. nackt auf einer Kline abgebildet. L. Giuliani in einer mündlichen Mitteilung; F. Knauss in: Wünsche 2006, 205 Abb. 29,5; 241. Dieser Deutung gemäß wird die Amphore von E. van der Meijden in: Latacz u. a. 2008, 369–370 vorgestellt. Vgl. Kossatz-Deissmann 1981, 148–151. Vgl. Kossatz-Deissmann 1981, 108–110 Nr. 439–454. Zu den attischen Presbeia-Szenen Knittlmayer 1997, 22–31 und jetzt auch Langridge-Noti 2009. Kossatz-Deissmann 1981, 109 Nr. 444. Dazu siehe einen interessanten italischen schwarzfigurigen Kolonettenkrater aus der ersten Hälfte des 5. Jhs. v. Chr. aus Cavallino (Kossatz-Deissmann 1981, 111 Nr. 456; Ciancio 1995, 75. 77 Abb. 14): Hier wird die Presbeia des Odysseus zu Achill genau bei den Schiffen dargestellt, die wie auf der Seite A der Amphore des JahnMalers durch ein einzelnes Heck angedeutet sind. Neumann 1965, 24–26. Dazu Giuliani 2003, 168–186. Im Epos übrigens ist Achill noch betrübt, als Priamos zu seinem Zelt kommt. Siehe Neumann 1965, 67 Anm. 250. Siehe vor allem Neumann 1965, 141–145. Vgl. Kossatz-Deissmann 1981, 122–124. Vgl. LIMC III (1986) 158 Nr. 1 s. v. Briseis (A. Kossatz-Deissmann). Vgl. Hom. h. an Demeter, 181–202; Hom. Il. 24, 162–163. Dazu Giuliani 2003, 239. Rizzini 1998, 91–95. 97–105. LIMC I (1981) 695 Nr. 17–18 s. v. Amphiaraos (I. Krauskopf). LIMC I (1981) 697 Nr. 29 s. v. Amphiaraos (I. Krauskopf). LIMC I (1981) 209 Nr. 157–162 bes. 160 s. v. Achle (G. Camporeale). LIMC I (1981) 209 Nr. 150–151 s. v. Achle (G. Camporeale). Rizzini 1998, 17. Siehe z. B. Kossatz-Deissmann 1981, 152 Nr. 674; 154 Nr. 688 (mit dem Motiv der Waage). Siehe z. B. Kossatz-Deissmann 1981, 152–153 Nr. 675–676. 679, die neben dem bittenden Priamos auch seinen Maultierkarren und Hermes zeigen, genau wie in der Ilias erzählt.

Neue Forschungen zu den Etruskern

LITERATUR

Mette 1963 H. J. Mette, Der verlorene Aischylos (Berlin 1963).

Baumeister 1885 A. Baumeister, Denkmäler des klassischen Altertums zur Erläuterung des Lebens der Griechen und Römer I (München 1885).

Neumann 1965 G. Neumann, Gesten und Gebärden in der griechischen Kunst (Berlin 1965). Overbeck 1853 J. Overbeck, Gallerie heroischer Bildwerke der alten Kunst I. Die Bildwerke zum thebischen und troischen Heldenkreis (Braunschweig 1853) = J. Overbeck, Die Bildwerke zum thebischen und troischen Heldenkreis (Stuttgart 1857).

Bruni 2006 S. Bruni, Una Ilioupersis etrusca, in: Iconografia 2006. Gli eroi di Omero. Atti del Convegno Internazionale, Taormina 20–22 ottobre 2006 (Rom 2007) 61–81. Bulas 1929 K. Bulas, Les illustrations antiques de l’Iliade (Lyon 1929).

Rizzini 1998 I. Rizzini, L’occhio parlante. Per una semiotica dello sguardo nel mondo antico (Venedig 1998).

Ciancio 1995 A. Ciancio, Un gruppo di vasi apuli a figure nere del V sec. a. C., BdA 93–94, 1995, 71–86.

Robert 1881 C. Robert, Bild und Lied (Berlin 1881). Séchan 1926 L. Séchan, Étude sur la tragédie grecque dans ses rapports avec la céramique (Paris 1926).

Döhle 1967 B. Döhle, Die „Achilleis” des Aischylos in ihrer Auswirkung auf die attische Vasenmalerei, Klio 49, 1967, 63– 149. Engelmann 1889 R. Engelmann, Bilder-Atlas zum Homer (Leipzig 1889).

Shefton 1967 B. B. Shefton, Attisches Meisterwerk und etruskische Kopie, WissZRostock 16, 1967, 529–537.

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Szilágyi 1973 J. G. Szilágyi, Zur Praxias-Gruppe, APol 14, 1973, 97– 114.

Giglioli 1935 G. Q. Giglioli, L’arte etrusca (Mailand 1935). Giuliani 2003 L. Giuliani, Bild und Mythos (München 2003).

Wehgartner 2007 I. Wehgartner, Vasenzeichnungen aus dem Nachlass Martin von Wagners, in: S. Kummer – U. Sinn, Johann Martin von Wagner. Künstler, Sammler und Mäzen. Ausstellungskatalog Würzburg (Würzburg 2007).

Knittlmayer 1997 B. Knittlmayer, Die attische Aristokratie und ihre Helden (Heidelberg 1997).

Wünsche 2006 R. Wünsche (Hrsg.), Mythos Troja. Ausstellungskatalog München (München 2006).

Kossatz-Deissmann 1978 A. Kossatz-Deissmann, Dramen des Aischylos auf westgriechischen Vasen (Mainz am Rhein 1978). Kossatz-Deissmann 1981 LIMC I (1981) s. v. Achilleus (A. Kossatz-Deissmann). Langridge-Noti 2009 E. Langridge-Noti, Sourcing Stories: The Embassy to Achilles on Attic Pottery, in: J. H. Oakley – O. Palagia, Athenian Potters and Painters (Oxford 2009) 125–133. Latacz u. a. 2008 J. Latacz – T. Greub – P. Blome – A. Wieczorek, Homer – Der Mythos von Troja in Dichtung und Kunst. Ausstellungskatalog Basel (München 2008).

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Yasmin Olivier-Trottenberg

Untersuchungen zu Vorzeichnungen auf schwarzfigurig-etruskischer Keramik

Summary

During the process of examining black-figure Etruscan vases for the CVA of the Antikensammlung Munich, the vases were also checked for preliminary sketches. Subsequent finds are of interest regarding the work-method of painters, the attribution of vases to painters and connections between workshops. Whilst the Micali painter vases have many preliminary sketches, they are rare on vases of the Pontic workshop, e.g. the segmentation of vases of the Paris painter and few details of the Amphiaraos and Tityos painters. Therefore the provenance of the Micali painter from the Pontic workshop seems to be unlikely. The examination of many vases from all periods of the work of the Micali painter has produced interesting results: preliminary sketches are seen on almost all the vases of his early work, whereas on later ones sketches occur only with new details. This is observed on his earliest figures and ornaments on Kyathoi, a new shape in his work. The same applies for Palmette-netting ornaments and other new motifs on amphorae. Thus the examination of preliminary sketches helps to understand the development of the work of the Micali painter.

wurden zwar inzwischen ergänzt4, aber da sich auch in München noch unpublizierte Stücke befinden, kann der genannte Prozentsatz in etwa gehalten werden. Bei den Vorzeichnungen auf etruskisch-schwarzfigurigen Vasen handelt es sich eigentlich um Vorritzungen. Der Maler ritzte eine Vorzeichnung in die Tonoberfläche, bevor er den Firnis auftrug und zuletzt die Ritzlinien der Detailund Binnenzeichnung anbrachte. Dementsprechend befinden sich die Vorritzungslinien unter dem Firnisauftrag und sind bei seitlichem Lichteinfall am besten zu sehen, wenn sie nicht von den Ritzlinien überdeckt werden. Spivey teilt das Werk des Micali-Malers in verschiedene Schaffensphasen auf. Es handelt sich dabei natürlich nicht um abrupte Wechsel, sondern um fließende Übergänge. Da die Vorritzungen diese Einteilung ergänzen, bestätigen oder korrigieren können, wird die Phaseneinteilung in dieser Abhandlung mit in die Betrachtungen einbezogen. Aus der Frühphase des Malers befinden sich drei Stücke in München, auf denen alle Details der Darstellungen vorgeritzt sind: Auf dem Stamnos SH 9085 (Abb. 1) sind die menschlichen Figuren, die Vögel und auch die Pflanzen vollständig vorgeritzt. Von dieser Vase wurden Zeichnungen der Vorritzungen angefertigt, um diese im CVA zu dokumentieren. Zunächst wurden Zeichnungen der Silhouette und der Vorritzungen im PC übereinander gelegt. Dabei zeigen Details wie die versetzten Beine oder die unter dem angehobenen Flügel durchgezeichnete Rückenlinie des Vogels wie der Maler arbeitete. Er umriss zunächst den ganzen Körper auch an den Stellen, die später beispielsweise durch den erhobenen Flügel verdeckt werden. Probeweise wurde auch eine Zeichnung der Ritzlinien angefertigt und ebenfalls darüber gelegt. So wird deutlich, wo die Vorzeichnungen von der Ausführung in Firnis abweichen und dass einige Vorritzungen den späteren Ritzlinien vorangehen, andere dem Maler nur als Arbeitslinien/ Hilfslinien dienen.

Bereits bei früheren Arbeiten zu schwarzfigurig-etruskischer Keramik, speziell über Stücke des Micali-Malers, fielen sorgfältige und gut sichtbare Vorzeichnungen auf 1. In der Literatur ist zu diesem Thema wenig zu finden2, und auf den Abbildungen, beispielsweise in Museumskatalogen und CVA-Bänden, sind Vorzeichnungen in der Regel nicht zu erkennen. Bei der Arbeit für den CVA-Band München3 konnte eine große Anzahl schwarzfigurig-etruskischer Vasen der Antikensammlung München nach Vorzeichnungen untersucht werden. Speziell die Stücke, die dem Micali-Maler zugeschrieben werden, ergeben ein repräsentatives Bild der Arbeiten dieses Vasenmalers. Nach der Monografie von Spivey befinden sich in München gut 20 % der diesem Maler zugeschriebenen Vasen, die fast alle der von Spivey definierten Schaffensphasen repräsentieren. Spiveys Listen 23

Neue Forschungen zu den Etruskern

Augen die gewünschte Form geben konnte. Auch bei den laufenden oder tanzenden Jünglingen im Bauchfries sind alle Körperkonturen teils mehrfach vorgeritzt, sowohl unter dem Firnisauftrag als auch unter den roten Haaren. Ein Jüngling war vielleicht ursprünglich sogar bekleidet geplant, wie ein vorgeritzter Ärmelansatz vermuten lässt. Vorritzungen befinden sich auch auf der Hydria SH 8948. Die vorgeritzten Körperformen der Satyrn im Schulterbild zeigen, dass der Maler den Körper wie eine 8 komponierte. Der dicke Bauch und das Gesäß erscheinen in der Vorritzung sogar noch prägnanter als im späteren Firnisauftrag. Die durchgeritzten Linien unter den Oberarmen oder zur Positionierung des linken Beines verdeutlichen auch hier wieder, wie der Maler arbeitete. Die Körperkonturen der Jünglinge im Bauchbild waren schon von der Vorritzung an anders angelegt. Vorgeritzt waren nicht etwa nur die ungefähren Formen, sondern auch Details wie die Nase oder das Stirnhaar. Die drei Haubenfiguren auf dem Halsbild waren, soweit auf dem leider einzig erhaltenen Fragment dieses Bereichs zu sehen, ebenfalls komplett vorgeritzt. Bei ihnen ist unklar, ob es sich um Männer oder Frauen handelt, da sie keine primären Geschlechtsmerkmale haben. Eine gleichzeitige Hydria desselben Malers in Heidelberg9 zeigt vergleichbare Wesen, bekleidet und unbekleidet; Vorritzungen sind auch hier erkennbar. Trotz der gewellten Haare werden sie als männliche Figuren gedeutet. Allerdings wird eingeräumt, dass man sich bei der Geschlechtszuordnung zunächst unsicher war, dann aber trotz der Hauben, gewellten Haare und scheibenförmigen Ohrringe für eine Deutung als männliche Wesen entschieden hat. Diese Deutung soll nicht grundsätzlich bestritten werden, und natürlich existieren Darstellungen von Männern mit Hauben, aber es sollten einige Punkte bedacht werden: Weißes Inkarnat findet sich erst viel später im Werk des Malers; alle Jünglinge und Satyrn dieser frühen Schaffensphase sind unbekleidet; aus den Frühphasen des Malers sind so gut wie keine Frauen bekannt10; und im Gesamtwerk dieses Malers ist kein einziger Mann mit Haube oder Ohrringen belegt, jedoch viele Frauen, bei denen die Zeichnung der Hauben vergleichbar ist, wie z. B. auf Gefäßen in Paris11 und Florenz12. Um zu den Vorritzungen zurückzukehren: Es ist festzuhalten, dass in der Frühphase des Micali-Malers alles detailliert vorgeritzt ist. Der Phase „early II“ werden zwei Münchner Vasen zugeschrieben, auf denen allerdings so gut wie keine Vorritzungen zu finden sind13. Vielleicht ist dies damit zu erklären, dass der Maler Gefäßformen und Motive verwendete, die er zuvor bereits erprobt hatte, so dass er nun auf Vorritzungen verzichten konnte. Dies gilt sowohl für die genannte Amphora als auch für die Oinochoe SH 92614. Bei Sieveking – Hackl ist vermerkt, dass sich nur am Wurfholz abweichende Vorritzungen befinden. Aufgrund des fragmentarischen Erhaltungszustandes kann nur festgestellt werden, dass sich auf den heute noch vorhandenen Fragmenten keine Vorritzungen befinden, und vermutet werden, dass der Maler dieses ungewöhnliche Utensil sicherheitshalber vorritzte.

Abb. 1: Detail des Stamnos München SH 908 (Foto: Y. OlivierTrottenberg).

Abb. 2: Detail der Oinochoe München SH 925 (Foto: Y. OlivierTrottenberg).

Auch auf der Oinochoe SH 9256 sind alle Objekte vollständig, teils sogar mehrfach vorgeritzt: die Jünglinge im Bauchfries sowie Augen und Löwen im Schulterfries7. Dies scheint dem Maler besonders schwer gefallen zu sein, was vielleicht am Schulterknick des Gefäßes liegt. Denn speziell bei den Augen hat er vielfach vorgeritzt, es sind 4-5 verschiedene Vorritzungslinien zu sehen (Abb. 2). Er benötigte offensichtlich mehrere Versuche, bis er den

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Y. Olivier-Trottenberg, Untersuchungen zu Vorzeichnungen auf schwarzfigurig-etruskischer Keramik

Aufgrund seiner bisherigen Erfahrungen verzichtete der Micali-Maler wohl auf Vorritzungen, solange er Bekanntes verarbeitete. Gegen Ende seiner frühen Schaffensphasen beginnt er dann, neue Gefäßformen in sein Repertoire aufzunehmen. Dies zeigt sich bei dem Fuß eines Kyathos in Erlangen15, der in die ausgehende Frühphase zu datieren ist. Pflanzen und Jünglinge sind deutlich vorgeritzt, obwohl sie von Anfang an im Repertoire des Malers zu belegen sind. Die ungewohnte, stark gerundete Gefäßform scheint die Vorritzungen erfordert zu haben. Auf dem Fragment eines weiteren Kyathos in München16 ist ebenfalls alles vorgeritzt, und zwar nicht nur das Flügelpferd, sondern auch der Mäanderfries am Rand (Abb. 3). Ornamentale Friese erscheinen erst in der Mittelphase des Malers, in den Frühphasen zieht er es vor, Hälse und Basen seiner Gefäße schwarz zu firnissen. Dementsprechend verlangt nun nicht nur die neue, stark gerundete Form nach Vorritzungen, sondern auch der Randfries. Der Maler ritzt daher jeden Mäanderhaken vor, um eine gelungene Komposition und Platzaufteilung zu gewährleisten.

Vase, nicht nur wegen der Vorritzungen20, in eine frühere Schaffensphase des Malers eingeordnet werden. Sowohl die Wasservögel als auch die Hirsche finden sehr gute Vergleiche in der Frühphase des Malers, und der rote Farbauftrag direkt auf den Tongrund ist für diese ebenfalls charakteristisch. Anders verhält es sich dagegen mit dem Stamnos SH 91021. Aufgrund der üppigen Fellstruktur der dargestellten Widder und der Ornamente ist Spiveys Einordnung in die Mittelphase zutreffend. Vorritzungen finden sich an den Widdern, an dem Hakenfries und sogar an den Palmetten. Bereits bei den schon betrachteten Kyathoi waren die Vorritzungen an den ornamentalen Friesen aufgefallen. Derartige Zierfriese verwendete der Maler zuvor nicht und sicherte sich daher durch Vorritzungen ab. Dasselbe gilt für die Palmetten. Der Maler verzichtete in seinen Frühphasen weitgehend auf solchen Schmuck, also musste er auch hier noch vorritzen. Die meisten seiner Stamnoi hatten bisher entweder einen durchgehenden Fries wie bei SH 908 oder Metopenfelder, eine neuartige Komposition mit Zierfries darüber und Palmetten über den Henkeln musste daher sorgfältig vorgeritzt werden.22. In der Phase „middle II“ des Micali-Malers finden sich auf den meisten Stücken keine Vorritzungen mehr. In der Regel stellt er bekannte Objekte dar und firnisst die Hälse der Amphoren, Hydrien und Oinochoen schwarz. Nur wenige Stücke zeigen Lotos-Palmetten-Friese am Hals wie die Amphora SH 85223 (Abb. 4). Hier finden sich sowohl bei dem Palmettengeflecht im Bildfeld als auch am Hals Vorritzungen. Die Mehrzahl der Gefäßhälse war, wie bereits oben bemerkt, schwarz gefirnisst, weshalb der Maler eine solch ungewohnte Komposition vorritzen musste. Er ritzte hier nicht mehr jedes Detail und auch nicht alle Register vor, sondern nur noch ein Konzept, um den Platz für das Halsbilde gut aufzuteilen. So wollte er wohl vermeiden, am Ende nur noch Platz für eine halbe Palmette zu haben. Die hängenden Objekte im unteren Fries ritzte er nicht vor, sie haben auch keine durchgehende Verbindungslinie mehr wie oben. Der Maler setzt sie einfach parallel zu den oberen, um so einen gleichmäßigen Fries aus stehenden und hängenden Palmetten und Lotosblüten zu bekommen.

Abb. 3: Detail eines Kyathos in München (Foto: Y. OlivierTrottenberg).

Der Kyathos SH 95617, den Spivey der frühen Mittelphase des Malers zuwies, bestätigt diese Beobachtungen. Sieveking – Hackl erwähnten die Vorritzungen, und für den erhaltenen Gefäßkörper kann dies bestätigt werden. Nicht nur die laufenden Satyrn, sondern auch der Randfries aus stehenden Dreiecken sind genau vorgeritzt. Viele weitere Münchner Stücke dieser Phase haben keinerlei Vorritzungen. Es handelt sich dabei um Amphoren, Hydrien und Stamnoi, alles Gefäßformen, die von Beginn an im Repertoire des Malers vorhanden sind18. Aus dieser Reihe fallen lediglich zwei Vasen: Auf der Amphora SH 84219 ist alles vorgeritzt: die Körper der Hirsche, die Geweihe und sogar die Pflanzen. Auch bei den Wasservögeln im Schulterbild findet sich wieder die aus der Frühphase bekannte, durchgezogene Rückenlinie. An der Gefäßform oder den dargestellten Objekten kann es diesmal nicht liegen. Möglicherweise muss diese

Abb. 4: Detail der Amphora München SH 852 (Foto: Y. OlivierTrottenberg).

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Neue Forschungen zu den Etruskern

Auch das Henkelinnenbild des fragmentierten Kyathos SH 956a24 weist Vorritzungen auf. Die Körperformen der Frau wie auch die Gewandbordüren und der Bildrand sind teils mehrfach vorgeritzt. Wie schon bei anderen Figuren wird deutlich, dass Körperformen wie das Gesäß viel deutlicher vorgeritzt sind, als sie später im Firnisauftrag zum Ausdruck kommen. Das Vorhandensein der Vorritzungen ist durch die Sorgfalt und Kleinteiligkeit der Zeichnung gut zu erklären. Zusammenfassend lässt sich zum Micali-Maler feststellen: Auf einigen der ihm zugeschriebenen Vasen sind deutliche Vorritzungen zu sehen. Die Untersuchung der Münchner Stücke zeigt, dass die Vasenbilder, die seiner frühesten Schaffensphase zugeordnet worden sind, ausnahmslos und so gut wie vollständig vorgeritzt wurden. In seinen späteren Entwicklungsphasen wendet er nur noch dann Vorritzungen an, wenn er etwas Neues darstellen möchte: sei es eine neue Gefäßform oder neue Objekte. Dies haben die Beobachtungen an den Kyathoi, den Ornamentfriesen und Palmettengeflechten belegt. Der Micali-Maler ist natürlich nicht der einzige etruskische Vasenmaler, der seine Vasenbilder vorritzt. Aber bei keinem anderen Maler konnten so viele Stücke untersucht und auch bei keinem anderen so viele und so umfassende Vorritzungen gefunden werden. Auf den Vasen, die der pontischen Werkstatt zugeschrieben werden, existieren vereinzelt Vorritzungen beim ParisMaler, meist aber zur Friesaufteilung und nicht an einzelnen Figuren oder Ornamenten25. Auch beim Amphiaraos- und beim Tityos-Maler gibt es z. T. Vorritzungen, allerdings nur an wenigen Details, die den Malern schwierig erschienen26. Ein Hervorgehen des Micali-Malers aus der pontischen Werkstatt erscheint daher unwahrscheinlich.

Maler geübt: Die Friesaufteilung ist zwischen Bauch- und Schulterbild gut sichtbar vorgeritzt und später nicht durch eine Firnislinie überdeckt worden. Die liegenden Palmetten hatte sich der Maler offenbar etwas anders vorgestellt und vergessen, einige vorgeritzte Details später mit Firnis auszufüllen. Und auch in den Schulterbildern kam es zu gravierenden Planänderungen, die Lage und die Anzahl der dort stehenden Palmetten wurde offenbar mehrfach geändert.

Anmerkungen 1 2

3 4 5 6 7

8 9 10

11 12 13 14 15 16 17 18 19

Abb. 5: Detail der Amphora München SH 821 (Foto: Y. OlivierTrottenberg).

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Interessanterweise gibt es auch in der spätschwarzfigurigen Zeit in Etrurien Maler, die detailliert vorritzen, obwohl sie im Silhouettenstil ohne Ritzlinien malen. Dies genauer zu untersuchen, könnte Aufschlüsse über Malerhände, Werkstattgruppen u. ä. geben. Ein Stück mit besonders schönen und üppigen Vorritzungen soll zum Schluss noch erwähnt werden: die kleine Amphora SH 82127 (Abb. 5) mit Palmettenverzierung. Hier hat ein

21 22 23 24

26

Olivier 2000/2001, 53 ff.; Olivier 2005. Schon Sieveking – Hackl 1912 fielen bei der Bearbeitung der älteren nicht attischen Vasen in München die Vorzeichnungen auf, die sie sowohl im Text erwähnten als auch in einigen Zeichnungen illustrierten. Vgl. auch Bentz 2009. Die etruskisch-schwarzfigurige Keramik der Antikensammlung München wird derzeit für das CVA bearbeitet und im Band CVA München (19) publiziert. Francoise Gaultier, CVA Louvre (26) 33 ff.; Bruni 2006, 97-116. München, Antikenslg., Stamnos SH 908: Sieveking – Hackl 1912, 126 Abb. 144 Taf. 34; Spivey 1987, Nr. 11. München, Antikenslg., Oinochoe SH 925: Sieveking – Hackl 1912, 133 f. Abb. 165 Taf. 34; Spivey 1987, Nr. 13. Zu dieser Vase gibt es zwei fast identische Vergleichsstücke (Sotheby´s Catalogue of Palaeolithic, Egyptian, British Bronze Age, Western Asiatic, Greek, Etruscan and Roman Antiquities, Ancient Glass and Jewellery, Date of Sale Monday 4th May 1970, Nr. 106-107). Eine der Oinochoen befindet sich heute in Manchester (J. N. W. Prag, JHS 108, 1988, 293 Taf. 7a.) und besitzt deutliche Vorritzungen (Für diese Informationen und die Zusendung von Fotos danke ich Phyllis Stoddart und Brian Sitch vom Manchester Museum.). Die andere Oinochoe soll sich im Fogg Museum of Art befinden (Dies geht aus einer Anmerkung von Spivey hervor: Spivey 1987, 9 Nr. 14.). Es wäre interessant zu untersuchen, ob die Vorritzungen dieser Stücke Auskunft über die Reihenfolge ihrer Entstehung geben können. München, Antikenslg., Hydria SH 894: Sieveking – Hackl 1912, 120 f. Abb. 134-138; Spivey 1987, 8 Nr. 9. Heidelberg, Hydria E 27: CVA Heidelberg (2) 21 Taf. 57, 1; 58, 1-3; Spivey 1987, 8 Nr. 8. Eine Abbildung zeigt bekleidete Frauen tanzend im Halsbild einer Hydria - leider mit offenem Haar: Hydria im Vatikan 17656: C. Albizzati, Vasi antichi dipinti del Vaticano III (1926) Nr. 239 Taf. 24; Spivey 1987, 8 Nr. 10. Amphora Louvre S 4155: CVA Louvre (26) Taf. 18. 19. Amphora Florenz, Slg. Poggiali Nr. 167: A. Chierici, Ceramica etrusca della collezione Poggiali di Firenze (Rom 1988) Nr. 120 Taf. 72. 73. München, Antikenslg., Amphora SH 843: Sieveking – Hackl 1912, 107 Taf. 34; Spivey 1987, Nr. 31. München, Antikenslg., Oinochoe SH 926: Sieveking – Hackl 1912, 134 f. Abb. 166. 167 Taf. 34; Spivey 1987, Nr. 40. Antikenslg. Erlangen, Kyathos I 829: Olivier 2000/2001, 53ff. Abb. 1. 2. Taf. 4, 1-3; CVA Erlangen (2) Taf. München, Antikenslg, Kyathos ohne Inv.-Nr. München, Antikenslg., Kyathos I 8339/SH 956: Sieveking – Hackl 1912, 142 Taf. 42; Spivey 1987, Nr. 95. Bei der Hydria in Budapest T 765 dokumentiert Szilággyi Vorzeichnungen: CVA Budapest Abb. 3-4 Taf. 17. München, Antikenslg., Amphora SH 842: Sieveking – Hackl 1912, 106 f. Abb. 116-118; Spivey 1987, Nr. 49. Die Verwendung von roter Farbe ist ein Kennzeichen der Phasen „early I“ und „early II“ des Micali-Malers. In der Phase „middle I“ werden Geweihe oder lange Haare in der Regel nicht mehr in rot gemalt, vgl. Spivey 1987, 11f. München, Antikenslg., Stamnos SH 910: Sieveking – Hackl 1912, 127 Abb. 146; Spivey 1987, Nr. 83 Abb. 93. Zu den wenigen Fragmenten dieser Vase in München scheint noch ein Fragment in Rom zu passen: Rom, Villa Giulia Fragment Nr. 25142: Spivey 1985, Abb. 14, 1; Spivey 1987, Nr. 101. München, Antikenslg., Amphora I 7952/SH 852: Sieveking – Hackl 1912, 109f. Abb. 120; Spivey 1987, Nr. 106. München, Antikenslg., Fragment SH 956a: Sieveking – Hackl 1912, 142 Abb. 179; Spivey 1987, Nr. 145.

Y. Olivier-Trottenberg, Untersuchungen zu Vorzeichnungen auf schwarzfigurig-etruskischer Keramik

25 Eine deutliche Vorzeichnung der Friesaufteilung ist beispielsweise bei der namengebenden Amphora SH 837 zwischen dem Tierfries und dem ornamentalen Fries in der Antikensammlung München zu sehen: Hannestad 1974, Nr. 1; Wünsche 2006, 108 f. 435 Nr. 36 Abb. 12, 2. 26 Der Amphiaraos-Maler zeichnete Details des Greifen auf der Münchner Schale SH 530 vor: Hannestad 1974, Nr. 14; Vierneisel – Käser 1990, 57 f. Abb. 6; der Tityos-Maler die Köpfe der Hydra auf der Münchner Amphora SH 836: Hannestad 1974, Nr. 20; Wünsche 2003, 94 f. 403 Nr. 48 Abb. 11, 5. 27 München, Antikenslg., Amphora SH 821: Sieveking – Hackl 1912, 91 Taf. 38.

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Spivey 1988a

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Neue Forschungen zu den Etruskern

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Martin Miller

Mehr Schein als Sein? Zinnfolienverzierte Keramik in frühhellenistischen Gräbern Etruriens Summary

At the end of the 4th and during the 3rd century B.C. silversimulating tinplated vases were offered in Etruscan graves. The plate was probably attached on the pots by yolk, giving a silver gloss which was further intensified by the shape and by appliqués. Workshops of this craft can be identified at Volsinii (Orvieto/Bolsena), Falerii Veteres (Civita Castellana) and Volterra. Silver-simulating ceramics of the same period have been found in Macedonia and Apulia whereas in Etruria are missing the models made of precious metals. Graves with tinplated ceramics in Etruria probably belong to the rich upper class so that more than one vessel are often found in the same grave. For this reason, ceramics of this kind should not be seen as an attempt by the poor to emulate higher social status, but as a cheap form of luxury and prestige display of the upper-class.

Laura Maria Michetti aus dem Jahre 2003, „Le ceramiche argentate e a rilievo in Etruria nella prima età ellenistica“5. Auf die Technik dieser Keramikgattung soll hier nur kurz eingegangen werden, da insbesondere durch praktische Versuche und chemische Analysen der letzten Jahre fast alle offenen Fragen geklärt werden konnten6.

Im Jahre 1871 stellte Adolf Kluegmann in einem langen Aufsatz in den Annali dell´Instituto erstmals eine Gruppe von Tongefäßen vor, deren oft reliefgeschmückte Außenseiten mit einem grauen, meist abgeriebenen und pulvrigen Belag überzogen waren. Er nannte diese Keramikgattung „Ceramica Inargentata“, da er die grauen Reste für korrodiertes Silber hielt (Abb. 1)1. Aufgrund ihres hauptsächlichen Fundortes Orvieto und Bolsena bürgerte sich in der Folge auch der Begriff „Ceramica Volsiniese“ oder „Bolsena-Group“ ein2. Erst vor etwa 20 Jahren wurden in der Ny Carlsberg Glyptotek in Kopenhagen die ersten chemischen Analysen dieses grauen Überzugs durchgeführt und es stellte sich heraus, dass es sich nicht etwa um Silber, sondern um die meist stark korrodierten Reste von reinem Zinn handelte3. Alle bisher durchgeführten Analysen, wie zum Beispiel im Martin von Wagner Museum der Universität Würzburg und der Berliner Antikensammlung, haben diesen Befund bestätigt4. Trotzdem heißt die wohl bisher umfangreichste Untersuchung dieser Keramikgattung, die Dissertation von

Abb. 1: Kelchkrater auf gesondert gearbeitetem Sockel, Staatliche Museen zu Berlin, Antikensammlung F 3896 (= Miller 1996, 18 Abb. 16, Foto Johannes Laurentius).

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Neue Forschungen zu den Etruskern

Das verwendete Zinn wurde in dünne Folien ausgewalzt und mittels eines organischen Klebstoffes – offenbar eignet sich hierfür am besten Eigelb – auf der Oberfläche aufgeklebt7. Feine Linien auf der Oberfläche zeigen die Grenzen der Folien (Abb. 2).

Hälfte des 3. Jhs. v. Chr. (Abb. 3)11. Nur eine Untersuchung der reliefverzierten Keramik in ganz Italien in spätklassischer und hellenistischer Zeit in größerem Zusammenhang könnte hier zu einem abschließenden Ergebnis führen. Die zum Teil gesondert gearbeiteten Reliefappliken mit ihren sehr harten Rändern zeigen eine enge Verwandtschaft zu Metallgefäßen – zumeist aus Bronze (Abb. 4). Verbindungen zu Metallgefäßen aus Gräbern Apuliens, insbesondere in Tarent, wurden schon immer gesehen. So verglich Pierre Wuilleumier 1930 die Silbergefäße eines Schatzfundes aus Tarent in der Sammlung Rothschild mit Exemplaren der zinnfolienverzierten Keramik Etruriens12. Und Adolf Kluegmann hielt diese Keramik gar für Importe aus der Magna Graecia. Es handelt sich also bei der verzinnten Keramik Etruriens eindeutig um Imitationen von Silbergefäßen.

Abb. 2: Volutenamphora, Staatliche Museen zu Berlin, Antikensammlung F 3897 (= Miller 1996, 15 Abb. 12, Foto Johannes Laurentius).

Auch im Rasterelektronenmikroskop sind die Übergänge und Überlappungen deutlich erkennbar8. Andere Vorschläge, wie das Aufdampfen oder das Eintauchen in flüssiges Zinn erwiesen sich im Versuch als nicht praktikabel, beziehungsweise die Resultate sehen anders aus als die Oberfläche der antiken Gefäße. So bildet das Zinn beim Eintauchen Blasen, die so bei keinem antiken Gefäß beobachtet werden konnten. Das Ergebnis ist immer eine silbrig glänzende Metalloberfläche. Der Vorschlag von Schweizer Kollegen, dass der Zinnüberzug bei einer bestimmten Temperatur goldfarben anlaufe, konnte in neuerlichen Praxisversuchen nicht wiederholt werden9. Der zeitliche Rahmen für die Datierung der Gefäße liegt zwischen dem ausgehenden 4. und dem Ende des 3. Jhs. v. Chr. Es konnten drei Werkstätten, beziehungsweise Produktionszentren, in Orvieto – Bolsena, Volterra und Falerii unterschieden werden. Laura Maria Michetti möchte das Ende der Produktion schon vor der Mitte des 3. Jhs. v. Chr. ansetzen, jedoch scheinen mir die Werkstätten von Orvieto und Umgebung nach 264 v. Chr., dem Jahr der römischen Eroberung und Umsiedlung von Volsinii Veteres, dann in Bolsena weitergearbeitet zu haben. Die meisten bestimmbaren Fundplätze liegen nämlich näher bei Bolsena10. Insbesondere eine Gruppe von Gefäßen mit einem mit Hilfe eines Rollstempels aufgebrachten Amazonomachiefries – zumeist Volutenamphoren – gehören eher in die zweite

Abb. 3: Volutenamphora mit Amazonomachiefries, Staatliche Museen zu Berlin, Antikensammlung V.I. 3213 (= Miller 1996, 24 Abb. 28, Foto Rosa Mai).

Interessanterweise gibt es etwa gleichzeitig auch in makedonischen Gräbern, insbesondere in den Nekropolen von Pydna, Keramik mit Zinnfolienverzierung13. Allerdings wird der Metallcharakter ausschließlich durch den glänzenden Zinnüberzug, nicht aber durch spezielle Effekte wie Appliken oder besonders geformte Gefäße erreicht. Zum Teil wurden die Folien sogar auf schwarz gefirnissten oder bemalten Gefäßen angebracht. Nur die Technik des Metallüberzuges ist also vergleichbar.

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M. Miller, Mehr Schein als Sein? Zinnfolienverzierte Keramik in frühhellenistischen Gräbern Etruriens

Sowohl in Etrurien als auch in Makedonien wurden verzinnte Gefäße ausschließlich in Gräbern gefunden. Zahlreiche Beispiele aus Etrurien können wegen Löchern im Boden auch gar nicht wirklich genutzt werden. Es stellt sich nun die Frage, wem diese silberimitierenden Vasen ins Grab gegeben wurden. Metallimitationen gelten gemeinhin als preiswerte Alternativen zu teuren Grabbeigaben in Edelmetall. Auch wenn reines Zinn in der Antike etwa gleich teuer wie Silber war14, benötigt man zur Herstellung des nur 20 Mikrometer starken Zinnüberzugs weniger Material als für ein ganz aus Metall gefertigtes Gefäß. Ein verzinntes Keramikgefäß war also auf jeden Fall billiger als ein Objekt ganz aus Zinn oder aus Silber. War also die Verzinnung der Versuch, eine hohe gesellschaftliche Stellung vorzutäuschen, die in Wirklichkeit nicht gegeben war? Zur Klärung dieser Frage müssen also die Grabkontexte angeschaut werden, in denen verzinnte Gefäße gefunden wurden. Doch anders als in den Nekropolen von Pydna oder anderen Zentren in Makedonien befinden sich die meisten der etruskischen Exemplare als Einzelstücke in den großen europäischen Museen. Auch wenn vielleicht ursprünglich einmal ein kompletter Grabinhalt angekauft worden ist, ist es manchmal schwierig, diesen als Ganzen in den Museumsmagazinen wiederzufinden. Allzu oft interessierten in der Forschung bis in jüngste Zeit nicht der Kontext, sondern die Einzelstücke. Auch der Katalog von Laura Maria Michetti ist nach Gefäßformen sortiert und reißt damit Kontexte auseinander. Das Resultat ist, dass Stücke ein und desselben Grabfundes leicht unterschiedlich datiert werden.

Grabkontexte mit mehreren verzinnten Gefäßen überliefert. Die 21 Stücke der Sammlung Castellani in der Villa Giulia wurden angeblich in nur zwei Gräbern irgendwo zwischen Orvieto und Bolsena gefunden16. Die 739 bekannten verzinnten Gefäße stammen also wahrscheinlich aus gar nicht so vielen Gräbern. Häufig sind sie mit Bronzegefäßen oder Bronzegeräten vergesellschaftet. In den von Zoi Kotitsa bearbeiteten Gräbern aus der Region von Pydna wurden in etwa 60% der Gräber mit verzinnter Keramik auch vergoldete Keramik oder Metallgefäße aus Bronze und Silber gefunden. Nur in 40% der Gräber waren die zinnfolienverzierten Gefäße das Wertvollste des Inventars. Allerdings wurde überhaupt nur in etwas mehr als 2% aller Gräber solche Keramik gefunden. Verzinnte Keramik stellt hier also eine preisgünstige Ergänzung eh schon reicher Grabinventare dar und ist deshalb einer eher begüterten Schicht vorbehalten17. Leider kann bisher noch keine solche Statistik für die etruskischen Gräber der frühhellenistischen Zeit vorgelegt werden. Eines ist jedoch sicher: in Etrurien fehlen, anders als in der Magna Graecia oder in Makedonien, fast gänzlich die Vorbilder für diese metallimitierenden Gefäße, das heißt Gefäße aus den Edelmetallen Silber oder Gold18. Dieses weitgehende Fehlen von Edelmetall ist sicher nicht auf die intensive Arbeit der Grabräuber in Etrurien zurückzuführen, sondern hatte ökonomische oder aber soziale Gründe. Gräber mit Bronzegefäßen oder Bronzegeräten sowie mit zinnfolienverzierter Keramik gehören somit zu den reichsten Gräbern. Unter der Voraussetzung, dass in den Gräbern mit den reichsten Grabinventaren auch die reichsten Personen bestattet sind und dass Etrurien im 4. und 3. Jh. v. Chr. nicht unbedingt eine allgemeine Verarmung der Bevölkerung erfuhr, muss man davon ausgehen, dass die Sitte der Beigabe von metallimitierenden Keramikgefäßen an Stelle von Gefäßen aus Edelmetall soziale Gründe hat. Die verzinnten Gefäße in den Gräbern eines Teiles der etruskischen Oberschicht besitzen also den Stellenwert, den in Süditalien und Makedonien Prunkgefäße aus Gold oder Silber haben. Mit den zinnfolienverzierten Keramikgefäßen wurde deshalb ganz offensichtlich tatsächlich vorhandener Luxus und ein hohes Sozialprestige in kostengünstiger Form vorgeführt. Der Schein entspricht also durchaus dem irdischen Sein der reichen Bestatteten.

Anmerkungen 1 2 3 4

Kluegmann 1871. EVP 284; De Chiara 1960. Moltesen 1988. Miller 1996, 15–17; Cottier-Angeli u. a. 1997; Adusumalli 1998, 165–166; Barbieri 2003. 5 Michetti 2003. 6 Miller 1996, 15–17; Kotitsa – Schüssler 2002; Michetti 2003; Michetti 2005. 7 Eine Erklärung dafür, dass Zinnfolien und keine Silberfolien auf den Gefäßen angebracht wurden, könnte die Verwendung von Eigelb als Klebstoff geben: Silberfolien würden anlaufen. Den Hinweis verdanke ich Federica Wiel-Marin (Bochum). 8 Miller 1996, 15–16 Abb. 12–14; Kotitsa – Schüssler 2002, 71 Abb. 6. 9 Cottier-Angeli u. a. 1997; Kotitsa – Schüssler 2002, 75. 10 Jolivet 2006. 11 Miller 1996, 25–27 mit Anm. 117. 12 Wuilleumier 1930, 81–115. 13 Kotitsa – Schüssler 2002, 65–84; Kotitsa 2003. In vielen Museen und Sammlungen finden sich auch verzinnte Gefäße aus Apulien.

Abb. 4: Kelchkrater auf gesondert gearbeitetem Sockel, Staatliche Museen zu Berlin, Antikensammlung F 3896 (= Miller 1996, 18 Abb. 17, Foto Johannes Laurentius).

Erst vor etwas mehr als zehn Jahren konnte der 1876 angekaufte Grabfund aus Orvieto in der Berliner Antikensammlung als Ganzes präsentiert werden, nachdem die im Zweiten Weltkrieg verloren geglaubten Stücke wieder identifiziert und zugeordnet wurden15. Zu diesem Grabfund gehören vier Bronzegefäße, ein Bronzethymiaterion und ein damals leider nicht angekaufter Bronzespiegel, dann eine Transportamphora mit einer Inschrift sowie vier zinnfolienverzierte Gefäße. Das Grab lässt sich in die erste Hälfte des 3. Jhs. v. Chr. datieren. Auch in anderen Fällen sind 31

Neue Forschungen zu den Etruskern

14

15 16 17 18

Kluegmann 1871 A. Kluegmann, Vasi fittili inargentati, AdI 43, 1871, 5–27.

Eine Untersuchung zum Vorkommen dieser Keramik in der Magna Graecia steht noch aus: Kotitsa 1998, 146–151 Nr. 104–107. Zinn kostete im 1. Jh. n. Chr. 80 Denare pro Pfund: Plinius nat. 34, 161. Zum Vergleich der Silberpreis: 84 Denare pro Pfund: Plinius nat. 34, 132; Detlefsen 1900; RE V 1 (1903) 210 s. v. Denarius (Hultsch). Miller 1996. Mingazzini 1971, 259–282 Nr. 833–852. Kotitsa 2003, 70–73. Eine absolute Ausnahme bilden die Silbergefäße eines Frauengrabes aus Bolsena, das an den Anfang des 3. Jhs. v. Chr. datiert werden kann. Alle Gefäße gelten als Importe aus der Magna Graecia und sind von ihrer Form und Verzierung her nicht mit den etruskischen verzinnten Gefäßen vergleichbar: Fontaine 1995; De Puma 2008. – Auch eine silberne, teilweise vergoldete Schale in der Art der megarischen Becher aus Civita Castellana (2. Jh. v. Chr.) ist ein Import aus Makedonien oder Kleinasien: Cristofani Martelli 1983, 247 Nr. 289.

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Leonie Carola Koch

Glas – Zeichen einer neuen Zeit? Gläserne Vogelperlen des frühen Orientalizzante

Otto-Herman Frey zum 80. Geburtstag

Summary

It is well known that during the Orientalizzante-period Etruria and Italy in general are influenced in different ways by the „Orient“, i.e. various regions in the Aegean and the Eastern Mediterranean. In a recent study it was demonstrated, that since the last quarter of the 8th century BC workshops for glassbowfibulae were existing in Emilia-Romagna and Etruria. With the beginning of the 8th century more glass objects of a greater variety of forms and colours were dedicated into the graves and the occurrence of new glass-types can be observed. Which of these facts is to be ascribed to „oriental“ contact ist still not studied. In this paper the beads of bird-shape (second half 8th BC) are examined. Without an autopsy and without well-published parallels including colour-photographs it is not possible to decide which objects were imported or were manufactured in Italy. It is shown that the conception of bird-shaped beads in Etruria was already known in the second half of the 9th (Tarquinia) and in the first half of the 8th century (Veio) – hundred years before they were made in glass. Irrespective of whether the bird-beads in the „new“ material were imported or not, it seems sure that they would not have received such a widespread acceptance without this background of an indigenous tradition.

wurde und den Bügel von Fibeln zierte. Diese Bügelperlen sind anschließend in der Etruria Padana relativ dicht, in Etrurien dagegen nur verstreut belegt4. Für die Mitte des 7. Jhs. v. Chr. ist die Produktion der sog. Stachelfläschchen in Etrurien nachgewiesen5, zu deren Herstellung eine Technik aufgegriffen wurde, die bereits für die vielfarbigen gläsernen Kerngefäße Ägyptens und Mesopotamiens des 2. Jt. v. Chr. maßgeblich war6. Schließlich sei auf die über 30 000 Fayenceperlen in der Tomba di Iside in Vulci des späten Orientalizzante verwiesen, die als ein Perlenkragen ägyptischer Art identifiziert werden konnten7 und somit andauernde Kontakte mit dem „Orient“ belegen.

Frühe Kontakte

Bereits vor dem letzten Viertel des 8. Jhs. v. Chr. sind orientalisierende Einflüsse in Form von Importen in Italien bzw. in Etrurien zu finden. Zu nennen sind das Frauengrab in Vetulonia, Poggio alla Guardia VII mit einer phönizischen bzw. assyrischen Bronzeschale, das in das 3. Viertel des 8. Jhs. v. Chr. datiert wird8, oder die Fayenceamulette der ersten Hälfte des 8. Jhs. v. Chr. wie etwa ein Skarabäus eines Frauengrabes in Veji9. A. Nijboer plädierte kürzlich dafür, eine „Proto-Orientalizing-Phase“ in die früheisenzeitliche Chronologie einzufügen, die auf diese frühen Kontakte verweist10. Bereits für die Spätbronzezeit sind in dem für seine Glasverarbeitung bekannten Handwerkszentrum Frattesina (Emilia) exotische Materialien nachgewiesen wie Straußeneier und Elfenbein11. Es bleibt offen, ob die Unterbrechung der Fundüberlieferung der frühesten Eisenzeit allein auf veränderte bzw. abgebrochene überregionale Beziehungen zurückzuführen ist oder auf das Niederlegungsverhalten der villanovazeitlichen Bevölkerung; ob das Phänomen „orientalisierende Einflüsse“ also nur durch mangelnde archäologische Nachweisbarkeit scheinbar aussetzt12.

Glas im Orientalizzante

Kennzeichnend für das Orientalizzante sind importierte Gefäße „östlicher“ Herkunft1, deren Nachahmung oder Dinge, die aus importierten Materialien hergestellt wurden, aber auch die Anwendung neuer Techniken2. In dieser Phase lassen sich auch für das Material Glas sowohl Importe, neue Formen als auch neue Techniken aufzeigen: mit dem letzten Viertel des 8. Jhs. v. Chr. ist in Bologna, Este und Veji eine relativ große Perlenform nachweisbar, die aus „Fritte“3 oder in einer besonderen Technik über einen Quarzkern gefertigt 33

Neue Forschungen zu den Etruskern

Neben der unzulänglichen Nachweisbarkeit von überregionalen Beziehungen während der frühesten Eisenzeit besteht das Problem der geringen Kenntnis über die konkreten Kontaktsituationen zwischen Fremden und Einheimischen. Es bleibt umstritten und letztlich hypothetisch, ob und welche fremden Erzsucher, Händler, Kolonisten oder Handwerker in Etrurien vom 9. bis 7. Jh. v. Chr. anwesend waren und welche Eindrücke sie bei den Bewohnern hinterlassen haben. Und ob die Anregungen nicht vielmehr aufgrund der Präsenz seefahrender Etrusker im östlichen Mittelmeerraum übermittelt wurden, wird selten diskutiert13. Auf unterschiedlich gerichtete, evtl. zeitlich aufeinanderfolgende Phänomene hat Boardman in Zusammenhang mit Siegeln der Lyre-Player-Gruppe, Fayence-Skarabäen und auch Vogelperlen im Vergleich zu Pithekoussai geschlossen14.

Frühes Glas

Die gleichen Phänomene sind bei Glasobjekten zu beobachten: offenbar fremde Formen und neue Glassorten lassen sich in Italien respektive Etrurien aufzeigen, ohne dass Genaueres über ihre Vermittlung bekannt wäre. Hier ist wieder auf das Grab in Vetulonia, Poggio alla Guardia zu verweisen: Es enthielt neben der importierten Schale schwarz-gelbe Glasperlen von lang-zylindrischer Form, kugelige Perlen mit gelben konzentrischen Ringen und blau-weiße spindelförmige Perlen15. Die Perlen sind jeweils durch Fadenauflagen opaker Glassorten verziert, die im Falle der länglichen Perlen verzogen wurden. Es handelt sich hierbei um Formen, die in Vetulonia auch im Folgenden auftreten und als phönizische oder orientalische Importe angesehen werden16; dies bleibt m. E. zu untersuchen. Ganz anderen Charakters sind die kugeligen Perlen aus einer durchsichtigen, ungefärbten Glassorte. Sie treten in Veji, Quattro Fontanili spätestens in der ersten Hälfte des 8. Jhs. v. Chr. mit der Phase II A auf und werden im Verlauf desselben Jahrhunderts häufiger17. In einer Stückzahl von mehreren 1000 sind diese Perlen von Rhodos überliefert, das bei der Betrachtung von gläsernen Materialien in Etrurien immer wieder mit Vergleichsfunden ins Blickfeld rückt. Die Votivdepots von dort datieren jedoch in das 7. Jh. v. Chr.18. M. Spaer geht davon aus, dass mit den farblosen „Kristallperlen“ mindestens ab dem 8. Jh. v. Chr. im Mittelmeerraum zu rechnen ist und verweist auf frühe Funde im Vorderen Orient19 – dazu gehört eine Nadel mit farbloser Glasperle aus dem Nordiran, die um 1000 v. Chr. datiert wird20. Es ist durchaus denkbar, dass die farblosen Glasperlen nach Italien importiert oder auch das entsprechende Rohglas eingeführt wurde, bevor eine lokale Herstellung begann. Nähere Aussagen lassen sich erst nach Form- und chemischen Analysen machen. Im Glas ist demnach dieselbe Problematik der Kontakte und Einflüsse festzustellen: Der Fundausfall der ersten Phase der Früheisenzeit macht eine Beurteilung schwierig, wobei einige wenige Befunde, die mit dem 8. Jh. v. Chr. zunehmen, Schlüsse auf ägäische oder levantinische Kontakte zulassen. Während des Orientalizzante zeigt sich dann massiv Neues, das sich am besten durch Fremdkontakte und entsprechendes Niederlegungsverhalten erklären lässt.

Abb.1: Vogelperlen in Italien: 1. Le Roveri, Emilia. 2. Casteldebole, Emilia. 3.–4. Veji, Latium. 5. Tarquinia, Toskana. 6. Este, Veneto. 7. Narce, Latium. 8. Cassino, Latium. 9. Pontecagnano, Kampanien. 10. Capua, Kampanien. 11. Capua. 12. Bernstein; Veji, Quattro Fontanili II 9-10. 13. Bronze; Tarquinia, Villa Bruschi Falgari 64 (Zusammenstellung nach Koch in Vorb.).

Vogelperlen

Zu den weit gestreuten, aber seltenen Perlenformen der zweiten Hälfte des 8. Jhs. v. Chr. zählen die Vogelperlen (Abb. 1, 1-11). Sie treten von Süditalien bis zum Veneto auf und sind aus Etrurien gut bekannt21. Vogelperlen finden in der Literatur relativ große Aufmerksamkeit – wohl aufgrund ihrer figürlichen Form – und werden gemeinhin als orientalische bzw. ostägäische Importe angesehen. Sie bestehen, so weit zu beurteilen, aus einem transluziden, grünlich, blau oder violett gefärbten Glas22. Einige Beispiele sind mit einem andersfarbigen, aufgelegten Glasfaden verziert, wobei es sich um opake Glassorten in Weiß und Gelb handelt. Die Form der Vogelperlen erfordert in der Herstellung einen eigenen Arbeitsschritt, wenn das um einen Stab gewundene heiße Glas mit Hilfe einer Pinzette zu Kopf und Schwanzfedern ausgezogen wird. Die Vogelperlen Italiens treten nur sehr selten und kaum mehrfach innerhalb eines Gräberfeldes auf. In Einzelfällen ist mehr als ein Stück aus einem Grab überliefert, so zwei Vogelperlen in Bologna, Le Roveri 3023, ebenfalls zwei aus Vetulonia, Poggio alla Guardia 1924 oder fünf im Grab Capua 20025. Vogelperlen scheinen nur Frauen und Kindern beigegeben worden zu sein, was als Hinweis auf eine Funktion als Amulett gewertet werden könnte. Auch andere figürliche Schmuckformen, die importierten Fayencefigürchen ägyptischen Stils, treten allein in weiblichen oder Kinderbestattungen auf26. Über die Trageweise kann nur wenig gesagt werden. In der Regel sind in den Gräbern

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L. C. Koch, Glas – Zeichen einer neuen Zeit? Gläserne Vogelperlen des frühen Orientalizzante

zusätzlich andere Perlen oder Anhängerschmuck zu finden. In einem Grab aus Cassino (Frosinone, Latium) lag eine Vogelperle mit weiteren Perlen unterhalb des Schädels, sie wurde wohl zusammen mit diesen als Kette um den Hals getragen (Abb. 2). Bei einer einfachen Auffädelung würden die Vogelperlen jedoch kopfüber hängen. Im Falle des Brandgrabes von Casteldebole (Emilia) fand sich eine Vogelperle zusammen mit Perlen und Anhängern bei einer Gruppe von Gefäßen (Abb. 3). Da sie nicht mit dem Trachtschmuck in der Urne lag, könnte sie als Beigabe, als „Totengeschenk“ interpretiert werden. Im Grab Bologna, Roveri 30 kamen die Vogelperlen offenbar in der Urne, aber unverbrannt zum Vorschein27. Eine allgemein gültige Verwendung im Grab lässt sich also nicht aufzeigen.

Die Verbreitungskarte, die das Vorkommen vom NordwestIran über Nord-Syrien und Rhodos bis nach Italien zeigt, geht auf Museumsnotizen Th. E. Haevernicks zurück, die O.-H. Frey zum ersten Mal umsetzte28. Bemerkenswert ist, dass aus Phönizien bisher kein einziger Beleg bekannt ist (Abb. 5). Diese Karte wird häufig herangezogen, um die vorderorientalischen Einflüsse des Orientalizzante auf Etrurien zu illustrieren29. Tatsächlich entspricht das Fragment einer gläsernen Vogelperle aus Ras Shamra/Ugarit (Syrien), soweit der Umzeichnung entnehmbar, den italischen (Abb. 4, 4). Ob damit der Ursprungsort gefunden ist oder ob es sich nicht vielmehr um ein westliches Importstück handelt, bleibt zu klären. Welcher Art die übrigen kartierten vorderorientalischen Perlen sind, müsste überprüft werden. Besonders ähnlich in Ausführung und Verzierung sind die Vogelperlen von Rhodos (Abb. 4, 7), denen sich bereits F.-W. von Bissing ausführlich widmete. Er sprach sich schließlich gegen eine Herstellung auf Rhodos aus, nahm aber an, dass die rhodischen und italischen Vogelperlen aus derselben Quelle stammten30. Auch die Stücke von Euböa, Eretria sind mit jenen aus Italien direkt vergleichbar31.

Abb. 2: Lage der Vogelperle in dem Frauengrab Cassino 6 unterhalb des Schädels (Carettoni 1958-1959, Abb. 7).

Abb. 4: Vogelperlen. 1–2. Mykene. 3. Wahrscheinlich mykenisch. 4. Ugarit, Syrien. 5. Ägypten. 6. Tel el Amarna, Ägypten. 7. Rhodos. 8. Zusammenstellung von Vogelperlen aus Babylon, Alalakh, Nuzi und Tchoga Zanbil aus Quarzkeramik. 9. Uruk. 10. Niniveh (Zusammenstellung nach Koch in Vorb.).

Vogelperlen sind noch aus anderen Gebieten und Zeiten überliefert: aus Niniveh des späten 3. Jt. v. Chr. (Abb. 4, 10), einige mykenische und ägyptische aus Glas (Abb. 4, 1–3. 5–6) sowie aus Fayence aus Azië (Syrien)32 des 2. Jt. v. Chr. Ihnen allen ist die Silhouetten-Form eines „sitzenden“ Vogels und – bis auf die Beispiele aus Niniveh – die horizontale Durchlochung gemein. Frappant ist die Übereinstimmung der doppelten Vogelperlen aus Ägypten mit den italischen, die jeweils heiß an einem Perlenstab gefertigt sind und zur Verzierung einen hellen Glasfaden tragen (Abb. 4, 5–6)33. Doch schon von Bissing lehnte eine Entstehung der italisch-rhodischen Vogelperlen aus den

Abb. 3: Lage der Vogelperle in der weiblichen Brandbestattung von Casteldebole Grab 21 (Forte – von Eles 1994, Taf. 11).

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Neue Forschungen zu den Etruskern

Abb. 5: Verbreitungskarte der Vogelperlen (nach Snodgrass 1994, Abb. 1, 1, ergänzt nach Martelli 1991 und Huber 1998).

ägyptischen wegen des zu großen zeitlichen Abstandes ab34. Es soll auf zwei weitere Vogelperlen Etruriens aus anderem Material aufmerksam gemacht werden: Eine Bernstein„Ente“ aus Veji des zweiten Drittels des 8. Jhs.35 und ein Stück aus Bronze aus der Brandbestattung eines etwa 6jährigen Mädchens in Tarquinia der zweiten Hälfte des 9. Jhs.36 (Abb. 1, 12–13). Dieses Grab ist im Übrigen einer der wenigen Befunde, der Glasperlen unterschiedlicher Ausführung aus dem 9. Jh. v. Chr. überliefert hat. In der Urne, aber unverbrannt, kam neben Perlen aus Glas, Knochen und Bernstein die bronzene Vogelperle zutage, die auf dieselbe Weise aufgefädelt werden konnte wie die zuvor beschriebenen Stücke. Es ist festzuhalten, dass die Idee der Vogelperlen und mit diesen der wahrscheinlich zu verbindende amuletthafte bzw. magische Charakter in Etrurien bereits in der ersten Villanovaphase bekannt war. Wurden die gläsernen Vogelperlen importiert, kann angenommen werden, dass sie aufgrund des vertrauten Konzepts bereitwillige Aufnahme in Italien gefunden haben. Die Vogelperlen Italiens sind wie erwähnt aus einem transluziden, gefärbten Glas hergestellt. Diese Glassorte ist im 8. Jh. v. Chr. in Mittelitalien gut belegt37. Ob es sich um die gleiche Sorte Rohglas handelt, können nur chemische Analysen klären. Die Formung aus dem heißen Glas bedarf zwar eines spezifischen Werkzeuges, ist aber nicht als besonders schwierig einzuschätzen. Da archäologisch keine eisenzeitlichen Glaswerkstätten in Italien nachgewiesen sind, kann nur indirekt auf die Glasverarbeitung in Italien geschlossen werden. Diese ist mit dem letzten Viertel des 8. Jhs. v. Chr. durch die Glasbügelfibeln als entwickelt und

verschiedene Techniken beherrschend sicher belegt38. In Bologna und dem Ager Faliscus werden Vogelperlen mit einer sekundären Vermittlung aus den Regionen erklärt, für die ein direkter Fremdkontakt angenommen wird39. Gerade Bologna und das faliskische Gebiet zeigen jedoch eine eigenständige, sich vom tyrrhenischen Etrurien absetzende Tradition in der Glasverarbeitung, wie die Untersuchung der Glasbügelfibeln ergab40. Diese „Randgebiete“ scheinen mir in ihrer Eigenständigkeit unterschätzt und die Herstellung der Vogelperlen auch in verschiedenen Regionen Italiens nicht ausgeschlossen.

Schlussbetrachtung

Geht man davon aus, dass die auf italischem Boden gefundenen gläsernen Vogelperlen auch in Italien gefertigt wurden, so ist eine bekannte Form – nach ägäischem oder orientalischem Vorbild – in einem neuen Material umgesetzt worden. Dabei kommen Techniken zur Anwendung, die in der Glasverarbeitung Italiens schon lange bekannt sind, und mit den transluziden, gefärbten Gläsern ein Material, das der Zeit entspricht. In den gläsernen Vogelperlen ist also eine Innovation des Orientalizzante zu erkennen bzw. mit den direkt davor verstärkt zu identifizierenden orientalischen Strömungen41, die aber nur vor dem Hintergrund der bereits lange zuvor bestehenden Traditionen und Kenntnisse entstehen konnte. Eine verbindliche Aussage zur Herkunft der Stücke kann nur nach Untersuchung der einzelnen Objekte selbst gemacht werden, die neben Dokumentation von Form, Farbe, Größe auch Herstellungs- und Verzierungstechnik sowie chemische Analysen umfassen müsste.

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L. C. Koch, Glas – Zeichen einer neuen Zeit? Gläserne Vogelperlen des frühen Orientalizzante

Anmerkungen 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12

13 14 15 16 17 18 19 20 21 22

23 24 25 26 27 28 29 30 31 32 33 34 35 36 37 38 39 40 41

Literatur

Rathje 1979. Vor allem Bronzegefäße spielen als übergreifende Formen eine große Rolle: z.B. Sciacca 2005; Nijboer 2008. Granulation und filigrane Verarbeitung von Edelmetallen: Martelli 1983, 36; Formigli 2003. Im knapp bemessenen Rahmen ist es nicht möglich, näher auf Materialien und Techniken der Glasverarbeitung einzugehen; zu „Fritte“ siehe Moorey 1985, 135; Koch 2009. Koch 2009; Koch in Vorb. Haevernick 1961; Martelli 1994. Schlick-Nolte 2005, 359. Bubenheimer-Erhart 2004. Maggiani 1973; Rafanelli – Cygielman 2005, 10 Abb. 14. von Hase 1995, 266; Schweizer 2006, bes. 146 Abb. 6. Grab QF I 17 Phase Veji IIA (nach Guidi 1993 entsprechend ca. 800/790-760 v. Chr.); NSc 1976, 180 f. Abb. 25–27. Nijboer 2008, bes. 450; ähnlich bereits Maggiani 1973, 87. Bietti Sestieri 1984; Towle u. a. 2001. O.-H. Frey formulierte bereits einen ähnlichen Gedanken: “... daß nicht ursächlich der schon so lange währende Handel einschneidende Änderungen in der ganzen Lebenshaltung hervorbrachte, wie sie das “Orientalisieren” darstellt. Es war nicht das fremde Gut, das die Empfänger bestach, sondern es waren die grundlegenden gewaltsamen Wandlungen innerhalb des westlichen Mittelmeerbeckens im 8. bis zum frühen 7. Jh., die in Etrurien im wesentlichen zu dem Umschwung in der geistigen Orientierung führten. (...) Und es ist in der Hauptsache nur das so deutlich greifbare Handelsgut, wie wir es in den Gräbern antreffen, an dem wir diese so weit reichenden Veränderungen während der Epoche festmachen können.” Frey 2000, 17. Ridgway 1994; Rathje 1997; Naso 2000. Boardman 1994, bes. 98 und Anm. 19. Maggiani 1973, 86 f. Abb. 3 Taf. 26. Maggiani 1973, 87. Koch in Vorb. Die frühesten Gräber der Phase I C – II A enthalten nur einen einzigen chronologisch relevanten Typvertreter und sind daher weniger deutlich einzuordnen. Triantafyllidis 2002, 25. Spaer 2001, 62; 2002, 58. Katalog Bochum 2008, Nr. 32. Auflistung: Frey 1980, 71 mit Anm. 11; Martelli 1988, Anm. 68; Koch in Vorb. Für Literaturhinweise bedanke ich mich bei A. Naso (Innsbruck). Farbabbildungen: Meconcelli Notarianni – Ferrari 1998, 20; 43 Nr. 75-76 (Bologna); Rafanelli – Cygielman 2005, Abb. 16 (Vetulonia). Johannowsky (1983, 108 Nr. 13 Taf. 14, 11) beschreibt die Vogelperlen aus Capua, Fornaci 248 als „weiß“, vier im Museum ausgestellte Stücke sind jedoch hell- bzw. grünlich-blau. Ich danke C. Colombi (Basel) herzlich für Literaturhinweise und die Übermittlung von Kopien und J. Weidig (Mainz) für eigene Fotografien. Meconcelli Notarianni – Ferrari 1998, 20; 43 Nr. 75–76. Falchi 1891, 68. 73 f. Taf. 5; Rafanelli – Cygielman 2005, Nr. 121. Johannowsky 1994, bes. 98 Abb. 3. Schweizer 2006, 132 f. 212–220. Tivoli – Vitali 1979, 68 Nr. 8 Abb. 42. Frey 1980, 71 mit Anm. 11. Martelli 1991, Abb. 2; Snodgrass 1994, Abb. 1, 1; von Hase 1995, Abb. 25; Huber 1998, Abb. 17. von Bissing 1942, 133–144. Huber 1998, Abb. 17; die weiße Farbe ist eine Patina. van Loon – Meijer – Rossmeisl 1988, Abb. 29. Farbabbildung: Spaer 2001, Taf. 10, 147. von Bissing 1942, 133. 135. Quattro Fontanili Grab II 9–10; Guidi, NSc 1965, Abb. 104. Grab Villa Bruschi Falgari 64; Trucco u. a. 2005. Farbabbildungen der Perlen aus Sasso di Furbara: Brusadin Laplace u. a. 1992, Abb. 26. Auflistung der verschiedenen Perlensorten in Veji, Quattro Fontanili: Koch in Vorb. Koch 2009. Martelli 1991, 1052; Drago 1981, 69. Koch in Vorb. Frey 1982, 32 f.

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39

Greta Günther

Das ‚Breithaus‘ als Idealtypus etruskischer Wohnarchitektur des 7. und 6. Jhs. v. Chr.? Überlegungen zu Häusern in drei etruskischen Siedlungen

Summary

jeweiligen Grabungsbefund gegenüberzustellen und eventuell neu zu beurteilen. Dies führte zu einem Bild der etruskischen Wohnarchitektur, das sich von der bisherigen Darstellung in der gängigen Literatur unterscheidet. Die bekanntesten und im Zusammenhang mit frühetruskischer Hausarchitektur stets erwähnten Gebäude sind Häuser aus der etruskischen Kleinstadt Acquarossa, die in der Zeit von 1966 bis 1978 vom Schwedischen Institut in Rom ausgegraben wurden2. Die Ergebnisse der Ausgrabungen wurden bereits 1975 von dem Leiter der Ausgrabungen, Carl Eric Östenberg, veröffentlicht3. Diese Publikation stellt bis heute die Grundlage der Forschung zu frühetruskischen Wohngebäuden dar. Die darin dargestellten rekonstruierten Grundrisse der Gebäude von Acquarossa sind in der Folgezeit vielfach zitiert worden und bildeten den Kern der Diskussion um die Typologie frühetruskischer Hausarchitektur4. Besonders die rekonstruierten Grundrisse zweier Häuser standen häufig im Mittelpunkt des Interesses, da sie deutliche Ähnlichkeiten zur etruskischen Grabarchitektur aufweisen. Es handelt sich um Haus A der Zone B und das Haus der Zone D. Für beide Häuser rekonstruierte Östenberg zwei oder drei hintere Wohnräume mit quer davor gelagertem Korridor, über die die hinteren Räume zu betreten waren5. Hierin sah er eine deutliche Parallele zur Gliederung etruskischer Gräber in Cerveteri, die ebenfalls in drei rückwärtige Räume und einen davor liegenden Korridor aufgeteilt sind6. Bereits Alvar Vidén, ein weiterer Mitarbeiter des Schwedischen Instituts in Rom, der sich ebenfalls mit diesen Häusern beschäftigt hat, konnte zeigen, dass die von Östenberg rekonstruierten Grundrisse als unwahrscheinlich anzunehmen sind. Er stellte 1986 für Haus A der Zone B und Zone D neue Rekonstruktionen vor7. Vidén ging hier aufgrund der erhaltenen Baustrukturen davon aus, dass es sich bei Haus A um ein Gebäude mit zwei Räumen mit einem Zugang von der Langseite handelte. Er rekonstruierte zwar ebenfalls eine Vorbaukonstruktion, jedoch nicht in der Art eines Korridors wie Östenberg dies angenommen hatte.

Etruscan domestic architecture of the 7th to 6th centuries BC has been the subject of special studies since the Swedish excavations of the 1960s and ‘70s, which produced evidence about small Etruscan villages of the Archaic period. The thesis, which has prevailed in scholarship ever since, has been that houses must have been similar to contemporary graves, such as those from the necropolises of Cerveteri. The twenty-four buildings from the Etruscan settlements of San Giovenale, Accesa and Acquarossa, which I examined in my thesis (Magisterarbeit), do not seem to fit in such a picture of Etruscan domestic architecture. Instead, after collecting the material, comparing the results and studying the available excavation reports, an image has emerged of a type of rectangular house, which I call ‚Breithaus‘ (‚broad house‘): one or more entrances are often on one of the long sides of the building, so that in some cases every room could be entered separately. Even though this is a preliminary observation which might apply only for these three settlements, it is hard to find parallels to these houses in the rest of the contemporary Mediterranean world. It therefore seems that the Etruscans, also in this field, produced something unique and ‚truly Etruscan‘.

Einleitung

Im Folgenden werde ich Teilergebnisse meiner Magisterarbeit mit dem Titel »Entwicklung und Typologie etruskischer Wohn- und Hausarchitektur des 7.–5. Jhs. v. Chr. Untersuchungen zu Häusern in San Giovenale, AccesaMassa Marittima, Acquarossa und Marzabotto«1 präsentieren. Das Zusammentragen der Ausgrabungsergebnisse und das Sichten der Forschungsliteratur zu den einzelnen Gebäuden stellte die Grundlage für die weiteren Untersuchungen dar. Ein zweiter zentraler Punkt bestand darin, die Rekonstruktionen der Grundrisse erneut dem

41

Neue Forschungen zu den Etruskern

Auch das Haus der Zone D bestand in der Rekonstruktion von Vidén aus nur zwei Räumen und hatte keine vorgelagerten Strukturen8. Die späteren Untersuchungen zu den Ziegelfunden bestätigten diese neuen Rekonstruktionen9. Warum die revidierten Grundrisse niemals Eingang in die Darstellungen frühetruskischer Hausarchitektur gefunden haben, ist unklar. Ein möglicher Grund könnte darin liegen, dass die monumentalen Gebäude der Zone F von Acquarossa stets im Mittelpunkt des Interesses gestanden haben, so dass die Forschungen zu den ›normalen‹ Gebäuden vernachlässigt worden sind. Im Folgenden werde ich einen Überblick über die Grundform der Häuser von San Giovenale, Accesa und Acquarossa geben, die sich meiner Meinung nach nicht an der von Östenberg und anderen angesprochenen Typologien der Grabarchitektur orientiert. Stattdessen scheint es einen vorherrschenden Bautyp gegeben zu haben, den ich als ›Breithaus‹ bezeichne10, da sich der Zugang oder die Zugänge meist auf der Langseite des Gebäudes befunden haben, welche somit die Front- und Hauptansichtsseite des Gebäudes darstellte11. Anschließend wird der Typ des ›Breithauses‹ zu Häusern anderer antiker Kulturen des Mittelmeerraumes in Beziehung gesetzt, um daraus eventuelle Rückschlüsse auf etruskische archaische Wohnarchitektur zu ziehen12.

Haus II auf der Akropolis von San Giovenale nicht unähnlich. Dies ist z. B. bei Komplex III und VII in Quartier B der Fall und bei den Komplexen I und VIII des Quartier A19. Acquarossa Neben den bereits angesprochenen Häusern von Acquarossa sind in verschiedenen Grabungszonen des Ortes weitere Hausfundamente gefunden worden, die ins 6. Jh. v. Chr. datiert werden, so z. B. in den Zonen N und L20. Die Grundrisse weisen meist zwei, manchmal drei Räume auf und sind stets von langrechteckiger Form (Abb. 1, 7–14). Dort wo die Eingänge rekonstruiert werden konnten, befinden sie sich auf der Langseite der Gebäude. Auch hier konnten bei einigen Gebäuden Vorrichtungen für Vordächer oder ähnliche Vorbauten ausgemacht werden21. In einer weiteren Grabungszone in Acquarossa, der Zone F, sind die Reste eines monumentalen Gebäudekomplexes freigelegt worden, dessen Funktion bisher noch nicht bestimmt werden konnte22. Was die Grundrisstypologie der Gebäude betrifft, geht aus den erhaltenen Fundamentmauern hervor, dass es sich bei den Häusern der Zone F ebenfalls um Variationen des Breithaustyps handelt: Die hinteren Räume wurden von der Langseite des Gebäudes aus betreten, vor den Räumen befand sich wahrscheinlich eine portikusartige Vorhalle23.

Die etruskischen Häuser

Zusammenfassung: Das Breithaus Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass ein großer Anteil der erhaltenen Häuser von San Giovenale, Accesa und Acquarossa von langrechteckiger Form und in zwei oder mehr Räume aufgeteilt sind. Bei fast allen Häusern sind ein oder mehrere Eingänge auf der Langseite des Gebäudes anzunehmen, weshalb sie hier als ›Breithaus‹ angesprochen wurden. Bei einigen Häusern ist in Erwägung gezogen worden, eine Portikus oder ähnliche Vorbaukonstruktion zu rekonstruieren24. Die Größe der Häuser variiert stark, wobei insbesondere die Gebäude in Accesa die Bauten der anderen Orte an Größe deutlich übertreffen (vgl. Abb. 1 und 2 sowie Tab. 1). Auch innerhalb der einzelnen Orte selbst gibt es Größenunterschiede, diese sind jedoch weniger gravierend.

San Giovenale Auf den Hügeln von San Giovenale wurden Fundamentmauern aus Tuffstein gefunden, die in die zweite Hälfte des 7. Jhs. v. Chr. datiert werden13. In der Zone F auf der Akropolis und der nördlichen Zone auf dem Borgo konnten insgesamt mindestens neun Häuser ausgemacht werden, von sieben dieser Gebäude konnte ein größtenteils gesicherter Grundriss erstellt werden (Abb. 1)14. Alle sieben Häuser haben eine langrechteckige Form mit zwei oder drei Räumen. Die Eingänge werden jeweils auf der Langseite der Gebäude angenommen, wobei im Fall von Haus D auf dem Borgo kein Eingang rekonstruiert werden konnte und bei Haus I auf der Akropolis mit großer Wahrscheinlichkeit ein Eingang auf der Langseite und einer auf der Kurzseite anzunehmen ist (Abb. 1, 6 und 1, 1)15. Haus II auf der Akropolis war vermutlich über eine Art Portikus zu betreten. Es wird angenommen, dass jeder Raum einen separaten Eingang besaß (Abb. 1, 2)16.

Vergleiche

Der folgende Abschnitt stellt den oben beschriebenen etruskischen Häusern einige Beispiele von Gebäuden aus anderen Gegenden des antiken Mittelmeerraumes gegenüber25. Diese werden besonders hinsichtlich ihres Grundrisses und möglicher Parallelen zu den hier als Breithäuser bezeichneten etruskischen Gebäuden untersucht.

Accesa In den drei Siedlungszonen A, B und C, die beim Lago dell‘Accesa bei Massa Marittima ausgegraben wurden sind insgesamt die Reste von etwa 30 Häusern aus der ersten Hälfte des 6. Jhs. v. Chr. zutage getreten17. Neben einigen nicht rekonstruierbaren und mehreren einräumigen Gebäuden konnten dabei auch insgesamt zehn Häuser mit drei oder mehr Räumen freigelegt werden: Diese Häuser haben einen langrechteckigen Grundriss und waren aller Wahrscheinlichkeit nach von der Langseite aus zu betreten (Abb. 2)18. In einigen Fällen wird vor den Räumen ein Vordach oder eine ähnliche Schutzkonstruktion rekonstruiert, über die die hinteren Räume zugänglich waren, dem

Etrurien und Latium Häuser des 6. Jhs. v. Chr., die eine ähnliche Form aufweisen sind auch aus anderen etruskischen Siedlungen und aus Orten in Latium bekannt. Neben den bereits angesprochenen monumentalen Gebäuden der Zone F in Acquarossa selbst sind für Etrurien z. B. Gebäude in Veji26 und ein etruskisches Gebäude bei Podere Tartuchino im

42

G. Günther, Das ‚Breithaus‘ als Idealtypus etruskischer Wohnarchitektur des 7. und 6. Jhs. v. Chr.?

Abb. 1: Grundrissrekonstruktionen von Häusern in San Giovenale (7. Jh. v. Chr.) und Acquarossa (6. Jh. v. Chr.) (nach: Vidén 1986, Abb. 26).

Abb. 2: Steinpläne von Häusern in Accesa - Massa Marittima (6. Jh. v. Chr.) (nach: Camporeale - Giuntoli 2000, Abb. 10. 12. 13. 18. 19. 21. 31. 34. 39. 67).

43

Neue Forschungen zu den Etruskern

Einflussgebiet von Vulci, das wahrscheinlich landwirtschaftlichen Zwecken diente, zu nennen27. Die drei Gebäude in Veji sowie das Haus von Podere Tartuchino weisen alle einen rechteckigen Grundriss auf, die Eingänge befanden sich sehr wahrscheinlich auf der Langseite der Gebäude und waren durch Portiken geschützt28. Auch in der etruskischen Grabarchitektur lassen sich Beispiele finden, die den beschriebenen Aufbau der Hausarchitektur widerspiegeln, wie z. B. Gräber in der Nähe von Tuscania: Hier ist insbesondere ein Grab in Pian di Mola zu nennen, das äußerlich wie ein Haus gestaltet ist. Es weist eine langrechteckige Form mit einer wirklichen sowie zwei Scheintüren auf der zur Straße gelegenen Langseite des Gebäudes auf, vor der sich vier Säulen einer Portikus erhalten haben29. Langrechteckige Gebäude, bei denen der Eingang auf der Langseite angenommen wird, sind auch aus Ficana in der Nähe von Rom bekannt. In den Zonen 5a und 5b wurden die Steinfundamente von jeweils einem Haus freigelegt, die um 600 v. Chr. datiert werden30. Das Gebäude der Zone 5a Ort San Giovenale

Accesa-Massa Marittima

Acquarossa

besaß mindestens zwei Räume, zwischen denen es offenbar keine Verbindungstür gab31. Eine Öffnung in der Südmauer des westlichsten Raumes wird als Eingang angenommen32. Das Haus der Zone 5b weist mindestens drei Räume auf. Die Eingänge befanden sich wahrscheinlich auf der südwestlichen Langseite des Gebäudes und auch hier gab es zwischen den Räumen vermutlich keine Verbindungen33. Weiterhin wurden in der latinischen Siedlung Satricum Gebäudereste freigelegt, die ähnliche Merkmale aufweisen wie die Häuser Etruriens. Der Komplex A liegt nahe des Tempels der Mater Matuta, wird mit einem quadratischen Grundriss und zwei darin enthaltenen Flügelbauten rekonstruiert und datiert in die erste Hälfte des 6. Jhs. v. Chr.34. Auf der Westseite des Gesamtkomplexes haben sich Strukturen erhalten, die als langrechteckiges Gebäude mit vorgelagerter Portikus interpretiert werden35. Ein weiterer Komplex in Satricum aus derselben Zeit36, Gebäude B, hatte wahrscheinlich einen ähnlichen Grundriss wie Komplex A mit zwei Flügelbauten und einem dazwischen

Haus

m² gesamt

gesichert

Vorbau

Eingang

Datierung

Zone F, Haus I

70,8

ja

nein

K

1. H. 7. Jh.

Zone F, Haus II

47,97

ja

ja

L

2. H. 7. Jh.

Zone F, Haus III

95,625

ja

evt.

L

2. H. 7. Jh.

Borgo, Haus A

?

nein

nein

L

2. H. 7. Jh.

Borgo, Haus B

22,54

nein

nein

L

2. H. 7. Jh.

Borgo, Haus C

36

ja

evt.

L

2. H. 7. Jh.

Borgo, Haus D

82,32

nein

nein

?

2. H. 7. Jh.

Quartier B, Komp. I

136,95

ja

nein

L

1. H. 6. Jh.

Quartier B, Komp. II

31

ja

nein

?

1. H. 6. Jh.

Quartier B, Komp. III

60,155

ja

nein

L

1. H. 6. Jh.

Quartier B, Komp. IV

24,2

ja

nein

?

1. H. 6. Jh.

Quartier B, Komp. V

26,64

ja

evt.

?

1. H. 6. Jh.

Quartier B, Komp. VII

81,31

ja

evt.

L

1. H. 6. Jh.

Quartier A, Komp. I

168

ja

evt.

L

1. H. 6. Jh.

Quartier A, Komp. II

25,2

ja

nein

K

1. H. 6. Jh.

Quartier A, Komp. III

124,2

ja

evt.

L

1. H. 6. Jh.

Quartier A, Komp. IV

150

ja

nein

L

1. H. 6. Jh.

Quartier A, Komp. VII

102

ja

nein

L

1. H. 6. Jh.

Quartier A, Komp. VIII

266

ja

evt.

L

1. H. 6. Jh.

Quartier A, Komp. X

194,75

nein

evt.

L

1. H. 6. Jh.

Quartier C, Komp. VI

117,04

nein

evt.

L

1. H. 6. Jh.

Zone D

56,1

nein

nein

L

1. H. 6. Jh.

Zone L, Casa A

32

ja

nein

L

1. H. 6. Jh.

Zone L, Casa B

51

ja

nein

L

1. H. 6. Jh.

Zone L, Casa C

?

nein

?

?

1. H. 6. Jh.

Zone B, Casa B

96

ja

evt.

L

1. H. 6. Jh.

Zone B, Casa A

90

nein

ja

L

1. H. 6. Jh.

Zone B, Casa C

72

nein

evt.

?

1. H. 6. Jh.

Zone N, Casa A

57,5

ja

evt.

?

1. H. 6. Jh.

Zone N, Casa B

71,5

nein

evt.

?

1. H. 6. Jh.

Zone N, Casa D

71,5

nein

evt.

?

1. H. 6. Jh.

Tab. 1: Vergleich der Häusergrößen in San Giovenale, Accesa-Massa Marittima und Acquarossa

44

G. Günther, Das ‚Breithaus‘ als Idealtypus etruskischer Wohnarchitektur des 7. und 6. Jhs. v. Chr.?

liegenden Hof37. Auch wenn die Funktion der Gebäude sehr wahrscheinlich eine andere gewesen ist als jene der ›gewöhnlichen Wohnhäuser‹ der etruskischen Orte, zeigen sie dennoch typologische Ähnlichkeiten zu den etruskischen Häusern: Insbesondere die langrechteckige Form und die Eingänge auf der Langseite des Gebäudes lassen sich auch hier wieder finden.

Eingänge werden jeweils auf der Langseite des Gebäudes rekonstruiert, sodass jeder Raum einen eigenen Zugang hatte48. In einem Fall (Haus 33, 30) werden Fundamente vor dem größten Raum als Reste eines Vordaches gedeutet. Alle Häuser waren über einen durch Mauern eingefassten Hof zugänglich49. Ähnlich erscheinen einzelne Gebäude in den sizilischen Städten Gela und Naxos: Drei nebeneinander liegende Räume wurden über Eingänge auf den Langseiten betreten, vor denen ein schmaler Vorbau lag. Dieser war wiederum über einen eingefassten Hof zugänglich50. Die meisten für das 8.-6. Jh. v. Chr. im griechischen Kulturraum bekannten Gebäude sind jedoch entweder sog. Einraum-Oikoi, wie in Zagora oder Alt-Smyrna51 oder mehrräumige rechteckige und quadratische Häuser, die in einem engen Straßennetz direkt neben anderen Gebäuden liegen, wie in Limenas auf Thasos oder Vroulia auf Rhodos52. Die bekannten freistehenden langrechteckigen Gebäude sind bis auf wenige Beispiele grundsätzlich von der Kurzseite aus zugänglich, weshalb sie als Langhaustyp (darunter Apsis-, Oval- oder Antenhäuser) bezeichnet werden53.

Unteritalien In den indigenen Orten Unteritaliens finden sich vereinzelt ebenfalls breithaus-ähnliche Bauten. Bis auf Serra di Vaglio in der Basilicata weisen die Siedlungen jedoch meist nur ein derartiges Gebäude auf. Unter diesen Siedlungen befindet sich zum Beispiel Monte Sannace in Apulien. Hier wurde ein Gebäude mit rechteckigem Grundriss aus dem 6. Jh. v. Chr. freigelegt38. Der Innenraum ist in einen größeren rechteckigen und einen kleineren quadratischen Raum unterteilt, die beide von dem auf der Ostseite gelegenen Hof aus zugänglich waren39. Nicht weit von Monte Sannace in Kalabrien befindet sich der Ort Cavallino, in dem ebenfalls archaische Gebäude zutage traten. Zwei nahe beieinander stehende Bauten sind von besonderem Interesse: Das Gebäude C1 hat einen langrechteckigen Grundriss, dessen Inneres in drei Räume unterteilt ist. Die Eingänge zu den Räumen werden auf der südlichen Langseite angenommen, vor der sich ein großer gepflasterter Hofbereich befand40. Ganz in der Nähe des Gebäudes wurden die Fundamente eines weiteren, deutlich kleineren Hauses gefunden: Das Gebäude C2 besteht aus zwei verschieden großen Räumen und weist auf der westlichen Langseite Strukturen auf, die als Reste einer durch Holzsäulen gestützten Portikus gedeutet werden41. In Lavello in Apulien hat sich ein Gebäude aus der zweiten Hälfte des 6. Jhs. v. Chr. mit zwei rechteckigen Haupträumen, denen ein weiterer schmaler Raum vorgelagert ist, erhalten. Dieser wird als Portikus aufgefasst, über die der Hauptraum zu betreten war42. Zuletzt sei noch das bereits erwähnte Serra di Vaglio in der Basilicata genannt. Hier wurden Fundamente von Häusern des 6. und 5. Jhs. v. Chr. freigelegt. Die Gebäude haben langrechteckige Grundrisse und sind im Inneren in wenige Räume unterteilt, so dass diese meist ebenfalls einen rechteckigen Grundriss erhalten. Die Eingänge werden auf den Langseiten lokalisiert, vor denen zum Teil ein durch Mauern eingefasster und gepflasterter Hof liegt43.

Schlussbetrachtung

Im Gegensatz zu der bisher gängigen Charakterisierung von frühetruskischer Hausarchitektur kann meines Erachtens das ›Breithaus‹ als weit verbreiteter, das heißt in Variationen immer wieder auftretender Bautypus angesehen werden. Dies bezieht sich sowohl auf das etruskische Kernland als auch auf das benachbarte Einflussgebiet der Etrusker, wie beispielsweise Latium. Das ›Breithaus‹, das einen oder mehrere Eingänge auf der langen Seite des Gebäudes und zum Teil eine vorgelagerte Portikus oder ähnliche Vorbaukonstruktion aufweist, tritt meiner Meinung nach außerhalb von Etrurien in der Form nicht auf, und wenn, dann nie in einer solchen Häufung als ‚gewöhnliches‘ Wohnhaus, wie wir es zum Beispiel in AccesaMassa Marittima gesehen haben. Zugespitzt formuliert kann das ›etruskische Wohnhaus‹ des 7. und 6. Jhs. v. Chr. als eine im Mittelmeerraum einmalig auftretende Erscheinung angesehen werden. Die Etrusker haben offenbar – wie in anderen (Lebens-)Bereichen – auch in der Wohnarchitektur die äußeren Einflüsse und Impulse in einer Form umgesetzt, die die individuellen Bedürfnisse ihrer kulturellen Gemeinschaft widerspiegelt54. Worin diese Bedürfnisse bestanden haben und unter welchen Bedingungen das ›Breithaus‹ entstanden ist, bleibt zu klären und wäre ein interessanter Inhalt zukünftiger Forschungen. Dass Faktoren wie die Beziehung der Gebäude zu ihrer Umwelt55 sowie die Raumnutzung und -funktion mit Sicherheit eine Schlüsselrolle bei der Entwicklung der Hausarchitektur gespielt haben, dürfte jedoch feststehen. Auf der Grundlage archäologischer Forschungen bedeutet dies dementsprechend, dass die Art und Weise der Hausgestaltung Aufschluss geben kann, wie die Lebensgewohnheiten und der Alltag der Bewohner ausgesehen haben mag56. Die hier dargestellte überblicksartige Untersuchung ausgewählter etruskischer Wohnhäuser kann jedoch nicht mehr als den Anstoß für eine weitergehende Auseinandersetzung mit diesem Thema geben.

Griechenland, Magna Graecia, Sizilien Auch in den griechischen Siedlungen archaischer Zeit lassen sich nur hin und wieder Häuser mit einer vergleichbaren äußeren Form nachweisen, so zum Beispiel in Megara Hybleia, Gela und Naxos auf Sizilien. Ein Haus in Megara Hybleia stammt aus dem 7. Jh. v. Chr. und wird als PastasHaus angesprochen44. Es befindet sich in der Nähe der Agora und hat zwei Räume und einen schmalen quer gelagerten Eingangsraum45. Die Fundamente von weiteren Gebäuden aus der ersten Hälfte des 7. Jhs. v. Chr. wurden in verschiedenen Insulae rund um die Agora von Megara Hybleia freigelegt46. Einige der Grundrisse sind von langer rechteckiger Form mit nebeneinander liegenden Räumen47. Die

45

Neue Forschungen zu den Etruskern

Ziel einer solchen Auseinandersetzung könnte sein, die Zusammenhänge zwischen Haus- und Lebensformen in der etruskischen Kultur genauer in den Blick zu nehmen.

von San Giovenale und Haus A in Zone B von Acquarossa sind solche Vorbauten mit großer Wahrscheinlichkeit anzunehmen. Auch für die Häuser von Accesa ist jedoch die Rekonstruktion mit Vordach m. E. durchaus plausibel. 25 Hierbei handelt es sich um eine eingeschränkte Auswahl, die meiner Meinung nach jedoch das Ergebnis der Untersuchung nicht verändert (siehe ausführlicher in Günther 2008). Der orientalische Kulturraum wird nicht behandelt, da sich nach einer ersten allgemeinen Betrachtung der in Frage kommenden Architektur keine offensichtlichen Parallelen feststellen ließen. Eine gründlichere Untersuchung in dieser Richtung ist allerdings wünschenswert, jedoch hier nicht zu leisten. 26 Vgl. Ward Perkins 1959, 58–61. 62–65 mit Abb. 5. 9; Threipland 1963, 46 sowie Stefani 1945, Abb. 2. Leider kommentiert der Autor die Abbildung nicht. F. Prayon spricht den hier gezeigten Bau an, geht jedoch nicht weiter darauf ein. Vgl. Prayon 1975, 139. 27 Perkins – Attolini 1992. 28 Vgl. Ward Perkins 1959, 59. 62–65; für das Gebäude in Podere Tartuchino gilt dies nur für die erste Phase. Siehe Perkins – Attolini 1992, 76. 111 m. Abb. 5. 20. Für die zweite Bauphase vgl. Perkins – Attolini 1992, 77. 110. 116 m. Abb. 6. 22. 29 Vgl. Sgubini Moretti 1989, Abb. 2. 4. 7. Taf. 2 b. 30 Pavolini – Rathje 1980, 78. 80 mit Abb. 7. Zur Datierung von Zone 5b siehe bes. Pavolini 1981, 262 mit Abb. 2. 31 Pavolini – Rathje 1980, 76. 32 Pavolini – Rathje 1980. Eine zunächst angenommene, vorgelagerte Portikus erwies sich nach genaueren Untersuchungen als nicht existent. Vgl. 38; Pavolini – Rathje 1980, 76 sowie Pavolini 1981, 258 Anm. 4. 33 Pavolini 1981, 258. 34 Maaskant-Kleibrink 1992, 16. 130. 35����������������������������������������������������������������� Vgl. Maaskant-Kleibrink 1992, Abb. ���������������������������� 47 und 48. Die Funktion dieses Komplexes ist unklar. Als Vergleiche wurden ähnlich große und repräsentative Gebäude in anderen Orten herangezogen (z. B. Zone F von Acquarossa). Vgl. z. B. Wikander – Wikander 1990, 202 f. B. Heldring schließt einen Zusammenhang mit dem Heiligtum nicht aus. Heldring 1998, 26. 36 Maaskant-Kleibrink 1992, 16. 37 Maaskant-Kleibrink 1992, 131 Abb. 47 und 48 Auch hier ist eine Nutzung mit Bezug auf das Heiligtum möglich, siehe Heldring 1998, 26. 38 Ciancio 1996, 358 mit Abb. 1. 39 Ciancio 1996, 358. 40 D‘Andria 1996, 413 f. mit Abb. 6. 41 D‘Andria 1996, 414. Aufgrund seiner Größe wurde das Gebäude C1 gemeinsam mit Gebäude C2 als öffentliches Gebäude mit repräsentativen Funktionen interpretiert. Vgl. D‘Andria 1996, 415. 42 Auch diesem Gebäude werden öffentliche Funktionen zugeschrieben, es kann jedoch nicht ausgeschlossen werden, dass es sich um ein Wohnhaus handelt. Vgl. Bottini u. a. 1990, 237 m. Abb. 2; Tocco 1975, 286 f. 43 Siehe z. B. Greco 1996, 272 mit Abb. 2. 44 Krause 1977, 167. 169; Vallet u. a. 1976, 275. 45 Vallet u. a. 1976, 60 mit Abb. 39. Es handelt sich um das Haus 23, 5, das möglicherweise öffentliche Funktionen hatte. Vgl. Krause 1977, 169 Anm. 28. 46 Vallet u. a. 1976, 271–298. 47 Gemeint sind die Gebäude 23, 10; 33, 30–33 und 40, 7 (Vallet u. a. 1976, Abb. 39. 42. 47. 50). 48 Vallet u. a. 1976, 277. 286. 293. 49 In dieser Hinsicht lassen sie sich möglicherweise als eine frühe Form von Hofhäusern charakterisieren und haben damit lediglich die parataktische Raumordnung mit den freistehenden etruskischen Häusern gemein. 50 de Miro 1996, 22 f. mit Abb. 5 a. 7. Diese sog. Pastas-Häuser sind nicht typologisch, jedoch strukturell parallelisierbar: Die Aufteilung von Außen – Übergangsbereich – Innen lässt sich auch bei den etruskischen Gebäuden mit Vorbaukonstruktion vermuten. 51 Siehe z. B. Lang 1996, 87; Abb. 55. 97. 52 Vgl. Lang 1996, 193 f. mit Abb. 64. 65. 250–258 mit Abb. 116– 123. 53 Vgl. Drerup 1969, 10–20. 25–31; Lang 1996, 78. 87. 90. 54 Zum griechischen und/oder orientalischen Einfluss auf die etruskische Architektur siehe u. a. Aigner-Foresti – Siewert 2006, 145–157 oder Prayon 1996, 28. 31. 55 Gemeint sind z. B. die topographische Lage, klimatische Bedingungen, städtische vs. ländliche Siedlungsstrukturen und Ähnliches. 56 Als Schlagworte seien hier z. B. »meaningful architecture« (Locock 1994) oder »the use of space« (Kent 1990) angeführt.

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Günther 2008. Rystedt 1986, 31. Östenberg 1975. Vgl. z. B. jüngst Bentz – Reusser 2008, Abb. 35, 3. Vgl. Östenberg 1975, Abb. S. 73. 129. Vgl. Östenberg 1975, 12. 16 mit Abb. S. 111. Es handelt sich um Gräber des Typs D in Cerveteri. Vidén 1986, 52. Vidén 1986, 56. Wikander 1986, 71. 73. Wikander identifizierte einen Raum, den Östenberg als zum Haus zugehörig angenommen hatte, als einen offenen Hofbereich. Vgl. Wikander 1993, 89 sowie Wikander 1986, Abb. 36. Da weder stratigraphische Analysen noch solche der Funde zu den Häusern der Zone vorliegen, ist auch Vidéns Rekonstruktion leider schwer überprüfbar. Dieser vorwiegend von H. Drerup geprägte Begriff beschreibt ein Gebäude mit einem langrechteckigen Grundriss, das von der Langseite aus zugänglich ist. Drerup 1969, 21 f. Der Begriff wird hier ausschließlich als Beschreibung von Gebäuden mit diesen Merkmalen übernommen (langrechteckig, Zugang von der Langseite) und steht in keinem Zusammenhang mit den von Drerup angesprochenen Gebäudetypen. Bei den im Folgenden dargestellten Überlegungen handelt es sich um vorläufige Ergebnisse, die sich als Tendenzen aus den Untersuchungen zu den etruskischen Gebäuden ergeben haben. Es versteht sich, dass die Darstellungen lediglich hypothetischen Charakters sein können, insbesondere auch unter Berücksichtigung der z. T. wenig detaillierten Ausgrabungspublikationen. Für eine ausführlichere Besprechung sei auf die oben zitierte Magisterarbeit verwiesen. Bei den Kurzbeschreibungen der Gebäude wird aus Platzgründen auf Maße und Größenangaben verzichtet. Diese sind ggf. Tab. 1 bzw. den zitierten Literaturhinweisen zu entnehmen. So zuletzt Karlsson 2006, 155. Auch für diese Häuser sind bis jetzt noch keine stratigraphischen Analysen publiziert worden, so dass ich hier ausschließlich auf die Aussagen der jeweiligen Bearbeiter zurückgreifen kann. Karlsson 2006, 163. Dies gilt erst für die letzte Bauphase des Hauses seit ca. 550 v. Chr. Für die früheren Phasen wird der Eingang auf der westlichen Kurzseite vermutet. Vgl. Karlsson 2006, 155 mit Abb. 291. Karlsson 2006, 158. Bei der Rekonstruktion von Haus II in Abb. 1 handelt es sich um eine ältere Version, welche in Karlsson 2006 in oben genannter Weise uminterpretiert wurde (siehe Karlsson 2006, Abb. 290). Camporeale – Giuntoli 2000, 11. 13. Vgl. Camporeale 1985, 136. 144. 155. 157. 163; Camporeale u. a. 1997, 323; Camporeale – Bettini 1997a, 245; Camporeale – Bettini 1997c, 275. Camporeale 1985, 136. 157; Camporeale u. a. 1997, 323; Camporeale – Bettini 1997b, 266. Die vorläufige Datierung der Häuser, die der Ausgräber vorschlug, beläuft sich auf die Mitte des 7. Jhs. v. Chr. Vgl. Östenberg 1975, 34. Die datierbaren Funde und Dachziegel deuten allerdings auf eine spätere Datierung in die erste Hälfte des 6. Jhs. v. Chr. Vgl. Scheffer 1981, 71 sowie Wikander 1993, 158. Dies bezieht sich auf die letzte Periode der Häuser, bevor sie zerstört und unter den Erdmassen begraben wurden und schließt nicht aus, dass es Vorgängerbauten aus dem 7. Jh. v. Chr. gegeben hat. So z. B. bei Haus B der Zone L und evtl. bei Haus A der Zone N. Vgl. dazu Östenberg 1975, 34 und Vidén 1981, 63. In einer späteren Rekonstruktionszeichnung des Haus B in Zone L von Vidèn erscheinen anstatt eines länglichen Raumes ein kleiner, fast quadratischer Raum auf der westlichen Südseite und eine kurze Schutzmauer im Osten. Vidén 1986, Abb. 26, 13. Es wird nicht kommentiert, warum diese Änderungen an der Rekonstruktion Östenbergs vorgenommen wurden. Vgl. dazu z. B. Camporeale 2003, 221 u. a. Wikander – Wikander 1990, 189. 204 f. Wie bereits erwähnt, ist die Eingangssituation in den meisten Fällen nicht sicher nachweisbar, weshalb sich auch keine gesicherten Aussagen darüber treffen lassen, ob sich davor Portiken oder andere Vorbauten befunden haben. Lediglich für Haus II auf der Akropolis

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G. Günther, Das ‚Breithaus‘ als Idealtypus etruskischer Wohnarchitektur des 7. und 6. Jhs. v. Chr.?

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Henry Tschörch

Zwischen Protektion und Kunst. Frühe Architekturterrakotten in Mittelitalien Summary

Excavations since the last century and especially in recent years have uncovered a wide range of architectural terracottas in Central Italy. This terracotta movement appears to have been the same in all the regions of Central Italy, including Etruria and Latium, and it seems to have received its stimulus from the same source. Many questions regarding the origins and early influences of the movement between ca 650 BC and the last quarter of the sixth century BC, as well as other ones, concerning statements by ancient writers, have not been clearly answered. It is one of the main goals of this PhD project to find the best way of determining the origins of this movement. The source of these architectural terracottas is much discussed by scholars nowadays. Was it a foreign, Greek source of inspiration? Do we have to look at Asia Minor (Lydia/ Phrygia) in order to find its origins, or was it an independent local Central Italic idea? The thesis then compares early systems of tiled roofs in Central Italy and undertakes a content-related analysis of the figurative ornaments in relief and sculpture. That means that closely connected mythological/ancestral and social messages were contained in the decoration of an architectural ensemble, providing a mirror of Etruscan society.

und Latium figürlichen Tonskulpturen, aufgestellt entlang des Dachfirsts, teilt Mittelitalien allein mit Griechenland, Großgriechenland und dem westlichen Kleinasien, wo für das 7./6. Jh. v. Chr. gleichfalls erste Ziegeldächer nachgewiesen sind. Die Untersuchung beginnt mit der Frage nach dem Ursprung des Ziegeldaches in Mittelitalien und durch den überregionalen Vergleich auch mit der Frage nach dem Ursprung der ersten Ziegeldächer überhaupt.

Im Fokus des Dissertationsprojekts an der Martin-LutherUniversität Halle-Wittenberg, Betreuung durch Herrn Prof. Dr. Andreas Furtwängler, steht die Untersuchung der frühen Architekturterrakotten in Mittelitalien. Nach dem archäologischen Befund begann in Etrurien und Latium zwischen 650 und 630 v. Chr. der Wandel von strohgedeckten Hütten zu Häusern, deren Giebeldächer mit Tonplatten bedeckt waren. Die Einführung dieser wegweisenden Idee unter Verwendung sowohl von Dachziegeln wie tegulae, imbrices und Firstkalypteren als auch von Bauelementen mit reichhaltiger Dekoration, bestehend aus Akroteren, Friesen, Giebel- und Traufsimen, Verkleidungsplatten (Abb. 1), Antefixen (Abb. 2 und 3) und einzigartig in Etrurien

Abb. 1: Verkleidungsplatte (linke Hälfte), Relief mit Viergespann, aus Caere, 540-530 v. Chr., Staatliche Museen zu Berlin. Antikensammlung Inv. TC 6681.6(2) (Foto: C. Feitel).

Plinius spricht von drei Koroplasten – Eucheir, Diopus und Eugrammus – die im Gefolge von Demaratus, eines wohlhabenden Kaufmanns aus Korinth, nach Etrurien flohen, als Kypselos in Korinth die Macht ergriff1. Basierend auf einer These von C. K. Williams, ist die Ankunft von Demaratus und den drei legendären Koroplasten in Etrurien mit der Einführung der Idee des Ziegeldachs in Mittelitalien verbunden2. So sollen die drei griechischen Künstler den ersten „Prototyp“ eines Ziegeldaches in Etrurien um 650 v. 49

Neue Forschungen zu den Etruskern

Chr. geschaffen haben. Williams geht in seiner These davon aus, dass erstmals in Korinth Dächer mit Tonplatten bedeckt wurden und von Korinth aus sowohl die Idee als auch das dazu benötigte technische Know-how Verbreitung fanden. Nach dem archäologischen Befund werden die frühesten bisher bekannten Ziegeldächer in Etrurien (Poggio Civitate [Murlo], Acquarossa, San Giovenale) auf 650–630 v. Chr. datiert3. So verstanden, kann die These Williams’ chronologisch gut mit der Datierung des archäologischen Befunds zusammengeführt werden. Wie aber T. J. Cornell ausgeführt hat, ist Williams’ Datierung auf die Mitte des 7. Jh. v. Chr. keineswegs gesichert. Sie könnte auch auf 620 bzw. 610 v. Chr. fallen4. Dennoch hat eine Anzahl von Wissenschaftlern dieser (Basis-)Datierung zugestimmt, N. A. Winter, D. Ridgway und F. R. Ridgway geben sogar präzise das Jahr 657 v. Chr. für Demaratus’ Ankunft in Etrurien an5. Es ist weiterhin darauf verwiesen worden, dass Demaratus für römische Literaten primär als Ahnherr der Tarquinier und Vater des römischen Königs Tarquinius Priscus Bedeutung besaß6. Anders als Plinius erwähnen sowohl Dionysius von Halikarnassus als auch Livius und Polybius die drei oben genannten Koroplasten der Legende nicht. Tacitus spricht gar davon, dass Demaratus den Etruskern das Alphabet brachte – ein heute vollständig widerlegtes Statement7.

Sollten wir Demaratus demzufolge vermittels seiner Einbindung in die Königsgeschichte Roms eher als mythischen, „personifizierten Einfluss Korinths“ auf die Kultur der orientalisierenden Epoche Etruriens und Latiums betrachten, denn als historische Person? Plinius übrigens irrte auch in einer weiteren Aussage. Er spricht davon, dass der mythische König Kinyras von Zypern das Ziegeldach erfand8. Diese Behauptung, die eventuell auf der griechischen literarischen Tradition basiert, einzelnen mythischen Personen herausragende Erfindungen zuzuordnen, wird durch den archäologischen Befund nicht gestützt9. Neben der These einer Einführung des Ziegeldachs von Griechenland nach Etrurien steht die einer etwa gleichzeitigen Erfindung in Mittelitalien10. Dabei wird davon ausgegangen, dass die Etrusker durch ihre hervorragenden handwerklichen Fähigkeiten zu einer unabhängigen Erfindung des Ziegeldaches befähigt waren. Da sie scheinbar hauptsächlich frühe Grundformen architektonischer Terrakotten übernahmen, sich in der Dekoration (Design, Ornamente) aber lokale Traditionen lange bewahrten, sehen sich die Vertreter dieser These gestärkt11. Auch die Erfindung nur einzelner Bauteile in Etrurien kann nicht ausgeschlossen werden. So ist das Erscheinen einer voll entwickelten frühen Traufsima in Poggio Civitate (Murlo) interessant, gibt es doch nur wenige frühe griechische Traufsimen mit Antefixen, anthropomorph und/oder mit Katzenköpfen gestaltet, die aber alle später entstanden sind12. In diesem Fall besteht die Möglichkeit des Transfers eines Bauglieds von West nach Ost.

Abb. 3: Frauenkopfantefix, aus Caere, um 540 v. Chr., Staatliche Museen zu Berlin. Antikensammlung Inv. TC 6681.4(4) (Foto: Bildarchiv Preußischer Kulturbesitz).

Å. Åkerström hat die frühesten Dachterrakotten Kleinasiens auf kurz vor 550 v. Chr. datiert13. Diese Datierung ist seither nach oben korrigiert worden. F. Prayon spricht von tönernen Verkleidungsplatten, die in Sardes (Lydien) bereits um 600 v. Chr. auftreten und mit denen in Zentral-Phrygien spätestens um die Mitte des 6. Jh. v. Chr. zu rechnen sei14. F. Işık datiert wenig überzeugend einige Verkleidungsplatten aus Gordion und Pazarlı (Phrygien) in die erste Hälfte des 7. Jhs. v. Chr.15, M. R. Glendinning ordnet die ersten Ziegeldächer Gordions dem späten 7. oder frühen 6. Jh. v. Chr. zu16. Wie F. Prayon ausgeführt hat, kann eine genaue

Abb. 2: Juno-Sospita-Antefix, Latinisch, 500-480 v. Chr., Staatliche Museen zu Berlin. Antikensammlung Inv. TC 544 (Foto: Bildarchiv Preußischer Kulturbesitz).

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H. Tschörch, Zwischen Protektion und Kunst. Frühe Architekturterrakotten in Mittelitalien

stratigraphische Beobachtung die Frage der Datierung lösen17. Im Hinblick darauf ist einiges in Bewegung gekommen. So darf man auf die Ergebnisse der aktuellen amerikanischen Grabungen in Sardes und Gordion gespannt sein.

Matrizen für regional getrennte Bauten zu belegen? Was lässt sich über die politischen und/oder mythologischen Konzeptionen der Auftraggeber und die handwerkliche Umsetzung der Koroplasten sagen? Welche Rolle spielt dabei der Ahnenkult? Welche Themen finden in den figürlichen Bilderzyklen Verwendung, und sind „ideologische“ Anleihen nachweisbar? Wie werden soziale Ränge oder geschlechterspezifische Unterschiede in den Bilderzyklen dargestellt? Finden bestimmte Szenen etruskischer Bilderzyklen ein Nachwirken in Rom?

Die nicht eindeutig geklärte Frage der Datierung früher Ziegeldächer in Kleinasien scheint in der Vergangenheit eine wesentliche Ursache dafür gewesen zu sein, dass der Vergleich mit den architektonischen Terrakotten Etruriens, wenn überhaupt, bisher nur zögerlich vorgenommen worden ist. Und doch gibt es augenscheinlich Parallelen, so bei den Verkleidungsplatten, die einen kontinuierlichen Fries in einem System bilden, das dem griechischen Metopenfries unbekannt ist18. Andererseits sah E. Rystedt bei dem Vergleich von Akroteren aus beiden Regionen „neben einer gelegentlichen und allgemeinen Ähnlichkeit der Form“ keinen Beweis einer phrygisch-etruskischen Verbindung19.

Die inhaltliche Analyse der frühen figürlichen Baudekoration in Etrurien/Mittelitalien steht bislang aus. Zwar ist sehr wohl erkannt worden, welcher Stellenwert gerade den Bilderzyklen von Poggio Civitate, Acquarossa, Rom, Velletri, Veii, Tuscania, Cerveteri oder Poggio Buco zum Verstehen der etruskischen Kultur und Gesellschaft zukommt. So hat ihnen M. Torelli im Rahmen seiner Arbeit über den Ursprung des römischen Geschichtsbildes einen Abschnitt gewidmet24, und es gab besonders in den letzten Jahren einige Ansätze zur inhaltlichen Interpretation einzelner Reliefszenen und Figurengruppen25, aber der Forschungsgegenstand bedarf einer umfassenden Behandlung, wie dies vor einigen Jahren für die hellenistischen Bilderzyklen etruskisch-italischer Baudekorationen des 3. und 2. Jhs. v. Chr. geschehen ist26.

Die einzige Gesamtdarstellung zu den architektonischen Terrakotten Mittelitaliens erfolgte durch A. Andrén in den Jahren 1939/194020. Seit dieser Zeit sind zweifellos neue Erkenntnisse gewonnen worden, doch fehlt eine aktuelle Zusammenfassung des Forschungsstandes. Bei den frühen architektonischen Terrakotten sieht es seit kurzem viel günstiger aus. N. A. Winter hat ihren lang erwarteten Katalogband hierzu vor wenigen Monaten herausgebracht21, ein glücklicher Umstand auch für dieses Forschungsvorhaben. In Bezug auf die Ausgrabungen der letzten Zeit ist Tarquinia für das Vorhaben von besonderem Interesse, da die Fundamente eines Tempels (Building Beta) aus dem frühen 7. Jh. v. Chr. freigelegt werden konnten, dessen Bautyp an orientalische/phönizische Vorbilder erinnert22. Gleichzeitig wurde Tarquinia neben Caere und Veji als eines der vermuteten frühen Zentren der Koroplastik in Etrurien angesprochen23. Eine erste Zielsetzung des Promotionsvorhabens ist es, durch die Untersuchung der frühen architektonischen Terrakotten Mittelitaliens – hauptsächlich der funktionalen Bauglieder unter Einbeziehung der Hausurnen – und eines Vergleiches mit den etwa zeitgleichen Ziegeldächern in Griechenland, Großgriechenland bzw. dem westlichen Kleinasien den Ursprung, die Verbreitungswege und die ersten fundamentalen Entwicklungsschritte des Ziegeldachs in Mittelitalien zu bestimmen. Hierbei ist auch die Analyse der literarischen Quellen geplant. Als Hauptziel des Vorhabens wird dann die inhaltliche Untersuchung der (figürlichen) Bilderzyklen erfolgen. Sie umfasst schwerpunktmäßig die figürliche Plastik, die Reliefs und daneben, soweit es sich für das Vorhaben als sinnvoll und notwendig erweist, auch Beispiele der übrigen Bauelemente, die Verzierungen aufweisen. So soll gefragt werden, welche Erkenntnisse sich über die Wahl der Bautypen und der Bilderzyklen innerhalb eines architektonischen Gesamtensembles erlangen lassen. Welche Ornamente werden wo bevorzugt verwendet? Gibt es Parallelen zu anderen Kunstgattungen etwa in der Nutzung identischer Figuren und Ornamente? Welche Entwicklungslinien – lokale/regionale Einflüsse – sind nachweisbar? Wo ist z. B. die Verwendung identischer

Dabei ist eine zeitliche Begrenzung des Vorhabens von der Mitte des 7. Jhs. v. Chr. bis in das letzte Viertel des 6. Jhs. v. Chr. sinnvoll und durch den Materialumfang angemessen abgerundet, denn in die Zeit um 520 v. Chr. fällt, von Kampanien aus in Etrurien eingeführt, die Etablierung eines grundlegend neuen architektonischen Verkleidungssystems, der sog. Zweiten Phase27, die in der Platzierung von Bilderzyklen an Gebäuden große Veränderungen mit sich brachte. Gleichzeitig brachten gesellschaftliche Veränderungen in Etrurien, charakterisiert durch die Machtzunahme städtischer Eliten, auch eine veränderte inhaltliche Ausrichtung der figürlichen Baudekoration mit sich. So steht der hier zu behandelnde historische Abschnitt chronologisch zwischen der Etablierung einer politisch und religiös ausgerichteten Baupolitik lokaler principes in Mittelitalien, die Bezugspunkte zur Selbstdarstellung orientalischer Herrscher oder des Peisistratos von Athen im 6. Jh. v. Chr. erkennen lässt, und eventuell etruskisch inspirierten Traditionen Roms, versinnbildlicht etwa in den Machtdemonstrationen römischer Triumphzüge28. Gleichzeitig geben die Reliefszenen durch die erkennbar differenziert gehaltenen (Rang-)Positionen darin dargestellter Figuren einen lohnenden Einblick in die Sozialstruktur der frühen etruskischen Gesellschaft. Es schließt sich die Frage an: handelt es sich bei den Dargestellten in all den Versammlungen, Prozessionen, Komoi, Bankettszenen, Kriegeraufzügen, Pferderennen und Jagden um reale Personen oder aber um mythische Vorfahren und in bestimmtem Fällen um Gottheiten? Diesbezüglich ist neben der Betrachtung der großen archaischen Firststatuen von Poggio Civitate29 auch die Betrachtung der kanopischen

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Neue Forschungen zu den Etruskern

Köpfe mit anthropomorphen Zügen, etwa von der Traufsima des orientalisierenden (SO-)Gebäudes von Poggio Civitate, lohnenswert30. Es ist somit die Frage nach der Einbindung der Kunst in die politische und religiöse Konzeption, auf der ein Staatswesen basiert, der in diesem Vorhaben nachgegangen werden soll – die Kunst als ein Spiegel der etruskischen Gesellschaft in den Jahren zwischen ca. 650 v. Chr. und dem letzten Viertel des 6. Jh. v. Chr.

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Anmerkungen 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20 21 22 23 24 25 26 27 28 29 30

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Castellina del Marangone Summary

The ancient Etruscan settlement of “Castellina del Marangone” is located on a hill overlooking the mouth of the Marangone River, south of the modern city of Civitavecchia. In spite of later settlements on the site, it was possible for the University of Tübingen’s International Project to explore the centre of the Etruscan town, where buildings of varied size and structure were erected. Judging by their architectural details, two of these buildings (Buildings I and III) served a public function. While the buildings III and IV were erected in the sixth century B.C. in close proximity to each other, they were not occupied for the same length of time. Building III was abandoned in the fifth century B.C., while there is evidence that Building IV was still in use during Hellenistic times. In the first article, Martin Köder gives an extensive history of the settlement and discusses the project as well as previous excavations. In the second article, Julian Spohn describes the width and structure of the centre, focusing on archaeological investigations of the western plateau. In a third article, contributor Michael Lesky focuses on the architectural details of Building III. He hypothesizes on the social, political, and historical arrangements of the houses in the centre of the settlement and draws close parallels to those in other southern Etruscan settlements. With these contributions, the authors recount the history of the “Castellina del Marangone” settlement and its social and political relevance.

Martin Köder

Forschungen in einer etruskischen Küstensiedlung Im etruskischen Kernland zwischen Caere und Tarquinia liegt der Hügel La Castellina. Der bis zu 131 m. ü. NN. hohe Ausläufer der Tolfaberge befindet sich 3 km südlich der heutigen Stadt Civitavecchia, 2 km nördlich der antiken römischen Kolonie Castrum Novum und 1,5 km von der Küste des Tyrrhenischen Meeres entfernt. Nördlich des Hügels verläuft der Fluss Marangone. Die unmittelbare Nähe zum Meer und zu den erzreichen Tolfabergen im Hinterland macht das Plateau zu einem idealen Siedlungsplatz. Der Südwest-Nordost orientierte ovalförmige Hügel weist ein Siedlungsgebiet innerhalb der Umfassungsmauer von vier bis fünf Hektar Fläche auf (Abb. 1). Abgesehen von der Ruine einer neuzeitlichen Jagdhütte (Casetta dei cacciatori) ist der Hügel heute frei von moderner Bebauung.

Caere in archaischer Zeit gelten1. Die ersten archäologischen Untersuchungen im Bereich des Siedlungsplateaus unternahm Raniero Mengarelli im Jahr 1913. In den Jahren 1928 bis 1935 führte Salvatore Bastianelli weitere Forschungen durch und untersuchte die z. T. heute noch erhaltene Umfassungsmauer2, die auf einer Länge von ungefähr 700 m die gesamte Hügelkuppe umschloss. Bastianelli nahm Tore im Südwesten und im Südosten an, die durch eine Straße miteinander verbunden gewesen seien3. Weiter beobachtete er eine vom Meer kommende Zugangsstraße am Westhang4. An dieser serpentinenartig zur Hochfläche führenden Trasse konnte Bastianelli im Rahmen einer Grabungskampagne die Reste von Gebäuden verifizieren, die er als hellenistisches Wohnviertel ansprach5.

In der Forschung bekannt geworden ist das Gebiet durch die ausgedehnten etruskischen Nekropolen im Umfeld, die als die größten und bedeutendsten zwischen Tarquinia und

Im Jahr 1950 wurden auf der Hochfläche Grabungen unter Leitung des pensionierten Lehrers Giovanni Colasanti und des damaligen Museumsleiters Colagero Restivo durch55

Neue Forschungen zu den Etruskern

Abb. 1: Castellina del Marangone: Gesamtplan.

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Castellina del Marangone M. Köder, Forschungen in einer etruskischen Küstensiedlung geführt, die sie aber nur sehr spärlich dokumentierten6. Wiederum berichtet Bastianelli von den Ergebnissen: Es wurden eine Straße, ein Kanal und Gebäudereste freigelegt7. Die meisten Funde aus diesen archäologischen Untersuchungen sind heute nicht mehr erhalten bzw. nicht auffindbar. Sie fielen den Bombenangriffen zum Opfer, die 1943 Civitavecchia und das Museum zerstörten. Odoardo Toti konnte 1964 bei seinen Ausgrabungen im östlichen Bereich von La Castellina Keramik aus dem 8. und 7. Jh. v. Chr., darunter auch griechisch-euböische Ware, und eine große Zahl von Eisenschlacken dokumentieren8. Weiterhin sind Oberflächen- bzw. Sammelfunde von bemerkenswerten figürlichen und ornamentalen Dachterrakotten hellenistischer Zeit bekannt9. Die Untersuchungen im Verlauf des 20. Jhs. belegen eine Besiedlung des Hügels von vorgeschichtlicher Zeit an. Die Funde sprechen für Metallverarbeitung vor Ort und für eine Einbindung der Siedlung in das internationale Handelsnetz in archaischer Zeit. Oberflächenfunden von Dachterrakotten des späten 3./2. Jh. v. Chr. lassen zudem auf einen spätetruskischen Kult schließen. Die Umfassungsmauer und eine Zisterne, beide heute zum Teil noch im Gelände sichtbar, legen eine Siedlungskontinuität bis in römische Zeit nahe.

ausgehende 4. Jh. bzw. zu Beginn des 3. Jhs. v. Chr. nahe13. Die Untersuchungen des belgischen Teams konnten die Datierung bestätigen. Mit Schnitt 54 am westlichen Abhang (Abb. 1: Areal C, Schnitt 54) legten sie eine Struktur frei, die auf eine Vorgängermauer schließen ließ. Diese fortifikatorische Anlage datiert anhand der Keramikfunde ins ausgehende 7. Jh. v. Chr. Der genaue Verlauf und Charakter dieser frühen Befestigung konnte bisher aber nicht hinreichend geklärt werden14. Auf der Hochfläche befindet sich in Areal E, nördlich des Siedlungszentrums, eine heute noch in Resten erhaltene Zisterne15, die in hellenistischer Zeit errichtet wurde und im Verlauf der frühen Kaiserzeit ihre Funktion einbüßte16. Besondere Aufmerksamkeit verdient eine in der Zisternenwandung verbaute Spolie aus Peperino. Es handelt sich um ein tuskanisches Kapitell, mit einem Durchmesser am Echinus von 61, 5 cm17. Das Kapitell ist mit einem monumentalen Gebäude in Verbindung zu bringen, in der Größenordnung von Tempel A in Pyrgi. Die Funde von archaischen Architekturterrakotten, die vor allem in den Versturz- und Oberflächenschichten auf der Hochfläche und am Westhang gefunden wurden18, beweisen die Existenz eines bedeutenden Kultbaus in spätarchaischer Zeit, wenn auch bis dato ein solcher im Gelände nicht lokalisiert werden konnte. Es ist zu vermuten, dass auch die behauenen Scagliaquader der Zisterne von diesem Bau und seinem Podest herrühren. Die Scagliaquader der Umfassungsmauer sind in ihrer Größe mit denen der Zisterne weitestgehend identisch. Bearbeitungsspuren machen deutlich, dass auch diese als Spolien genutzt wurden. Umfassungsmauer und Zisterne scheinen sich in ihrem Baumaterial an einem monumentalen Bau der Siedlung zu bedienen, der schon nicht mehr in Benutzung war bzw. eigens für den Schutz der Siedlung und für eine bevorstehende Belagerung abgetragen wurde19. Dafür spricht auch der Charakter der Umfassungsmauer, die schon aufgrund der unsauberen Fugen den Anschein einer zügig durchgeführten Unternehmung hat. Es ist nahe liegend, diese Bauaktivitäten mit dem Ausgreifen Roms auf Etrurien im ausgehenden 4. Jh. v. Chr. in Verbindung zu bringen.

Vor diesem Hintergrund wurde die im folgenden Castellina del Marangone genannte Siedlung von 1995 bis 2001 Gegenstand eines von der DFG geförderten Ausgrabungsprojektes der Eberhard-Karls-Universität Tübingen unter der Leitung von Friedhelm Prayon. In Zusammenarbeit mit einem französischen Team des CNRS Paris unter der Leitung von Jean Gran-Aymerich (von 1995 bis 1999), der Universität Louvain in Belgien unter der Leitung von Paul Fontaine (2001) und unter der Aufsicht der Antikenbehörde Soprintendenza Archeologica per l‘Etruria Meridionale (SAEM) wurden die archäologische Untersuchungen durchgeführt10. Ziele des Projektes lagen vor allem in der Erforschung des etruskischen Siedlungszentrums und der Auswirkungen der römischen Expansion auf die antike Siedlung. Im Jahr 1995 wurde zunächst ein Survey unternommen, der sich über den gesamten Hügel erstreckte. Die anschließenden bis 2002 jährlich stattfindenden Ausgrabungen beschränkten sich vornehmlich auf den südlichen Bereich. Ein besonderer Schwerpunkt lag in der Untersuchung der Hochfläche (Areal A und B). Vier antike Gebäude wurden in diesem Bereich erfasst. Den Bauten ist schon aufgrund ihres reichen Terrakottaschmucks ein öffentlicher oder sakraler Charakter zuzusprechen. Es liegt nahe, mit den Arealen A und B das Siedlungszentrum erfasst zu haben11. Der Survey und die Nachuntersuchungen an Resten der Umfassungsmauer legen nahe, dass die Anlage in geradlinigen, sich in stumpfen Winkeln treffenden Abschnitten an den topographischen Gegebenheiten der Hangkante angepasst verlief. Sie bestand aus Macignound Scquagliaquadern, die mörtellos in opus-quadratumTechnik gesetzt waren. Die unregelmäßigen Fugen wurden zum Teil mit Bruchsteinen aufgefüllt12. Die Mauertechnik und die Art der Mauerführung legen eine Datierung ins

Die Untersuchungen in den Arealen C, D, G und F (siehe Abb. 1) am südlichen und westlichen Hangbereich konnten weitere Siedlungsstrukturen freilegen. In Areal D wurde eine Struktur mit einer Länge von über 15 m nachgewiesen, die parallel zum Hang verläuft. Diese aus großen und mittelgroßen Macignosteinen gesetzte Mauer wurde stufenartig gegen den Hang gesetzt und ist als Terrassierungs- oder Hangstützmauer anzusprechen. Der Schwerpunkt des Fundmaterials in der Versturz- bzw. Oberflächenschicht weist in hellenistische Zeit. Darunter befanden sich auch Terrakottafragmente, die zu einem hellenistischen Rankenfries mit Frauenkopf gehören (Abb. 2)20, welche auf einen intakten Kultbau in dieser Zeit hinweisen21. Östlich der Mauerstrukturen ist vor allem die große Zahl an bronze-, früheisenzeitlicher und früharchaischer Keramik bemerkenswert, die aus relativ ungestörten

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Neue Forschungen zu den Etruskern

Schichten stammen. Lediglich zwei Pfostenlöcher in Areal C und D können als Befunde dieser frühen Zeit festgestellt werden, ein Indiz für eine vorarchaische Besiedlung am Westhang von „La Castellina“22.

In Areal F am Südwesthang der Hochfläche konnten mit Schnitt 39 erneut die Strukturen freigelegt werden, die bereits von Bastianelli als hellenistisches Wohnviertel erkannt wurden (Abb. 3)23. Der Komplex wurde durch zwei Nord-Süd-orientierte Straßen S1 und S2 gegliedert (Abb. 1, Areal F; Abb. 3), an die sich die Gebäudestrukturen anschlossen. Es handelt sich um diverse mehrräumige Gebäude, die weder in ihrer Gesamtheit erfasst bzw. im Grundriss rekonstruiert werden konnten. Dennoch zeigten die Nachuntersuchungen, dass das sog. hellenistische Wohnviertel Vorgängerstrukturen aus spätarchaischer Zeit nutzte. Eine Türschwelle, an die ein opus signinum-Boden angesetzt war, wurde auf eine bestehende Mauer aufgesetzt (Abb. 3, M5; Abb. 4). Mauer M5 ist durch Keramikfunde in die Spätarchaik zu datieren. Ob die Türschwelle und der Fußboden zu einer Umbaumaßnahme gehören oder gar zwei unterschiedliche Bauphasen widerspiegeln, konnte nicht geklärt werden. Im unteren Bereich der Unterfütterung des Bodens konnte eine Münze geborgen werden, die in die Jahre 234/1 v. Chr. datiert24, was einen terminus post quem für die Ausstattung des Raumes mit dem Fußboden darstellt. Im Verlauf des 3. Jhs. v. Chr. ist auch die Pflasterung der Straße S1 anzunehmen. Das Fundspektrum macht deutlich, dass im Verlauf der frühen Kaiserzeit die Gebäude in diesem Bereich aufgegeben wurden. Es sind erst wieder nachantike Aktivitäten fassbar, wie Planierungen und die Errichtung von Mauerzügen, die die antiken Gebäudestrukturen aber nicht berücksichtigten, sondern zerstörten. In den Arealen C und G konnten weitere Siedlungsstrukturen wie Kanäle und Gebäudereste nachgewiesen werden, die ins 5. Jh. v. Chr. datieren und in hellenistischer Zeit aus-

Abb. 2: Terrakottafragmente eines hellenistischen Rankenfrieses mit Frauenkopf (Inv. 00.40000 D 2/74.8 a/b) (Foto: CastellinaProjekt, Universität Tübingen).

Abb. 3: Areal F: Steinplan Schnitt 39.

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Castellina del Marangone M. Köder, Forschungen in einer etruskischen Küstensiedlung

Abb. 4: Areal F: Detail aus Schnitt 39: Türschwelle auf spätarchaischer Mauer M5, links: opus signinum (Foto: Castellina-Projekt, Universität Tübingen).

bzw. umgebaut wurden. Durch die Hangsituation und den Erhaltungszustand bedingt, konnten auch hier keine zusammenhängenden Komplexe erfasst werden. Das Fundspektrum und die Qualität der Einzelfunde in allen Arealen spricht aber dafür, dass die Siedlung Castellina del Marangone in der Archaik aufblühte. Verwiesen sei hier auf die Architekturterrakotten25, aber auch auf die große Anzahl qualitätvoller attischer Keramik. Zwei Beispiele seien genannt: das Halsfragment eines rotfigurigen Volutenkraters, auf dem der kämpfende Hephaistos dargestellt ist, und ein Schalenfragment des Euphronios aus dem ausgehenden 6. Jh. v. Chr mit der Darstellung eines bekränzten Symposiasten26.

im südwestlichen Bereich lassen dennoch den Schluss zu, dass bereits im ausgehenden 7. Jh. v. Chr. eine bedeutende Siedlung anzunehmen ist. Erste Bauten können aber erst für das 6. Jh. v. Chr. in Areal A und B nachgewiesen werden29. Die reichen Funde von Dachterrakotten zeugen von öffentlichen bzw. sakralen Bauten. Auch die Funde qualitativ hochwertiger attischer Keramik sprechen für eine bedeutende und florierende etruskische Siedlung. Mit der Errichtung der Umfassungsmauer und dem Bau der Zisterne in Areal E können intensive Baumaßnahmen Ende des 4. und im 3. Jh. v. Chr. nachgewiesen werden, die sich mit der römische Okkupation Etruriens erklären lassen. Die Gründung der römischen Kolonie Castrum Novum 264 v. Chr. in unmittelbarer Nähe scheint sich anfänglich aber nicht negativ auf Castellina del Marangone ausgewirkt zu haben. Die Häuser wurden kontinuierlich weiter genutzt und auch weiter ausgebaut, an einem Beispiel nachweisbar sogar mit einem hochwertigeren Boden ausgestattet. Im Verlauf des 2. Jhs. v. Chr. ist ein Rückgang in der Siedlungstätigkeit festzustellen. Es scheinen sich allmählich die Konsequenzen aus der römischen Präsenz und die damit verbundenen grundlegenden Veränderungen des Umlandes auch auf die Bewohner des Hügels ausgewirkt zu haben30. Der Bau der Via Aurelia und die zunehmende Zahl an römischen Villen im Umland führten zu wirtschaftlichen Veränderungen, die zur Aufgabe der Siedlung Castellina del Marangone im Verlauf der Kaiserzeit führte.

Die Untersuchungen des Castellina-Projektes belegen eine Siedlungskontinuität von der Bronzezeit bis in die römische Kaiserzeit. Die frühesten Funde stammen aus der ApenninFacies. Die Protovillanova- und die Villanovaphase konnten vor allem durch die Funde im Südwestbereich in Areal C und D bestätigt werden, wo eine vorgeschichtliche Siedlung auf „La Castellina“ anzunehmen ist27. Der Beginn der frühetruskischen Periode wird durch die Funde von euböischer Keramik und einheimischen Bucchero nachgewiesen. Bauten aus der frühetruskischen Phase waren nicht verifizierbar. Lediglich Reste von Brennöfen und Eisenschlacken weisen auf die Existenz von Werkstätten hin28. Der Nachweis einer ersten fortifikatorischen Anlage

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Neue Forschungen zu den Etruskern

Einzelne aus dem Bereich des Areal B stammende Architekturelemente31 und frühchristliche Bestattungen auf der Hochfläche lassen in spätantiker Zeit auf eine kleine Kapelle mit einem frühchristlichen Friedhof auf dem Plateau schließen32. Hierzu sind auch die Spolienfunde von Fragmenten römischer Altarsteine und eines Grabsteines zu zählen, die aus einer römischen Nekropole im Umfeld stammen dürften33. In den nachfolgenden Jahrhunderten verödete der Ort. Erst wieder im 14. Jh. n. Chr. ist ein mehrräumiges Gebäude auf dem Hochplateau in Areal B nachweisbar, das nach mehreren Umbauten im 17. Jh. wieder verlassen wurde. Im 18. Jh. wurden die Jagdhütte, die sog. Casetta dei Cacciatori errichtet, von der heute noch die Ruinen erhalten sind.

nur sehr vage möglich war. 24 Zur Münze: Inv. Nr. 99.39018 D 1, AE, ½ Litra, RRC 26/4, SNG Tübingen 271; Av.: Kopf der Roma mit phrygischem Helm r.; Rv.: Hund auf Standlinie r., l. Vorderbein erhoben, im Abschnitt ROMA; 1,26 g; Dm 12 mm, D 1,2 mm., Dat. 234/1 v. Chr., Rom. (Für die Münzbestimmung danke ich Claudia Spohn-Droshin, Universität Tübingen). 25 Siehe Prayon 2005, Abb. 3 und Taf. 1 b-d. 26 Dazu ausführlich: Wehgartner 2004. 27 Prayon – Gran-Aymerich 1999, 243-352. 28 Prayon – Gran-Aymerich 1999, 352. 29 Dazu ausführlich die Beiträge von Julian Spohn und Michael Lesky in diesem Band. 30 Eine Auswahl an Untersuchungen zur Romanisierung Etruriens und deren Auswirkungen: S. Dyson, Settlement Patterns in the Ager Cosanus, JFieldA 5, 1978, 251-268; F. Enei, Progetto Ager Caeretanus: Il litorale di Alsium (Ladispoli 2001); N. Terrenato, Tam firmum municipium: The Romanisation of Volaterrae and its Cultural Implications, JRS 88, 1998, 94-114; P. Hemphill, Archeological Investigations in Southern Etruria (Stockholm 2000). 31 Als Beispiele seien ein römisches Kompositkapitell aus dem 2./3. Jh. n. Chr. (siehe Janje – Lesky 2004, Abb. 10.) und ein spätantikes Blattkapitell (dazu Prayon – Gran-Aymerich 1999, Abb. 37) genannt. 32 Prayon – Gran-Aymerich 1999, 361-362. 33 Die Annahme einer römischen Nekropole auf der Hochfläche (Prayon – Gran-Aymerich 1999, 361-362) ist zwar möglich, doch ist es m. E. nahe liegender, dass diese Fragmente von Nekropolen aus dem nahen Castrum Novum oder einer nahe gelegenen Villa als Spolien für nachantike Bauten herangeschafft wurden.

Anmerkungen 1 2

Prayon - Gran-Aymerich 1999, 344 Abb. 1. Bastianelli 1936; Bastianelli 1937; Bastianelli 1939; Bastianelli 1941; Bastianelli 1988. 3 Bastianelli 1941, 284; Bastianelli 1936, 451. 4 Bastianelli 1981, 21. 5 Bastianelli 1941, 286 f.; Bastianelli 1981, 24; siehe im Gesamtplan (Abb. 1) Areal F “Grabung Bastianelli 1930/34”. 6 Ein zweiseitiger Bericht Restivos und ein zwölfseitiger handschriftlicher Bericht Colasantis existieren als Dokumentation der beiden Ausgräber. Die Berichte befinden sich heute im Archiv der Soprintendenza Archeologica per l’Etruria Meridionale (SAEM) (VG 130297-22/23 und VG 130297-26-37). 7 Siehe im Gesamtplan (Abb. 1): Areal A „Grabung Colasanti 1950“. 8���������������������������������������������������������������������� O. Toti – S. Marinella. Saggio di Scavo eseguito nell’abitato protostorico de ‚la Castellina’, NSc 21, 1967, 55-86. 9 M. D. Gentili, Nuovi dati sui luoghi di culto nei mont della Tolfa, in: A. Maffei – F. Nastasi (Hrsg.), Caere e il suo territorio da Agylla a Centumcellae (Rom 1990) 290-296. 10 Vorberichte und Artikel: J. Gran-Aymerich – F. Prayon, La Castellina (com. de Santa Marinella, prov. de Rome), MEFRA 108, 1996, 491-495; J. Gran-Aymerich – F. Prayon, La Castellina (com. de Santa Marinella, prov. de Rome), MEFRA 109, 1997, 486-495; J. Gran-Aymerich – F. Prayon, La Castellina (com. de Santa Marinella, prov. de Rome), MEFRA 110, 1998, 528-541; Gran-Aymerich – Prayon 1999; Prayon – Gran-Aymerich 1999; Gran-Aymerich – Prayon 2000; Janje – Lesky 2003; Prayon 2005; Prayon 2008; J. Spohn, Castellina del Marangone - Forschungen in etruskischer Küstensiedlung, in: AiD 2/2009, 2009, 70 f. 11 Dazu mehr in den folgenden Beiträgen von Julian Spohn und Michael Lesky. 12 Prayon 2008; Prayon 2005. 13 Dazu: M. Miller, Befestigungsanlagen in Italien vom 8. bis 3. Jahrhundert vor Christus (1994) 98; 318 ET 29 (Fiesole); 131 SL 10 (Artena). 14����������������������������������������������������������������� P. Fontaine, Le fortificazione etrusche. Nuove scoperte archeologiche (1997-2001), EtrSt 9, 2002/3, 78; P. Fontaine, Relazione preliminare sugli scavi eseguiti nell’estate 2001 alla cinta muraria di Castellina del Marangone, in: Dinamiche 2005, 672-673, Abb. 4 Taf. 2 c; Prayon 2005, 667 mit Abb. 4. 15 Die Zisterne wurde bereits von Bastianelli ausgehoben und von Belleli-Marchesini jüngst untersucht: B. Belleli-Marchesini, La cisterna sulla Castellina del Marangone, ArchCl 47, 1995, 245-260. 16 Funde von Terra-Sigillata-Fragmenten in der Verfüllung sprechen für eine Aufgabe der Zisterne in der frühen Kaiserzeit. 17 Dazu ausführlich: Prayon 2005; Prayon 2008, 283 Abb. B. 18 Prayon 2005, 667 f. und Abb. 3. 19 Prayon 2005. 20 Zur Verbreitung der Terrakottafragmente und weitere Abbildungen: Prayon 2005, 669 Abb. 3 (Tipo IV) und Taf. 1 c-d. 21 Aufgrund der Fundlage am Westhang ist davon auszugehen, dass sich der dazugehörige Bau hangaufwärts bzw. auf der Hochfläche befand. Eine Zuweisung zu Bau II oder Bau IV muss aber hypothetisch bleiben, ein Beweis blieb bisher aus. 22 Prayon 1999, 348. 23 Damit war es möglich, die Grabungen von Bastianelli im Gelände zu lokalisieren und seine publizierten Zeichnungen in den Gesamtplan einzuhängen, was bisher aufgrund seiner Abbildungen und Angaben

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Castellina del Marangone

Julian Spohn

Das Zentrum der Siedlung – eine diachrone Betrachtung des baulichen Bestandes traten6, auf eine herausgehobene Bedeutung des spätarchaischen Bauwerks hin7. Bemerkenswert ist der Befund eines etwa in der gleichen Zeit entstandenen Straßenzuges mit zentralem Abwasserkanal, der sich unmittelbar an die Eingangsseite von Bau I anschloss und auf den das Gebäude ausgerichtet war. Auch wenn sich der weitere Verlauf der Straße für das 6. Jh. v. Chr. aufgrund der Überlieferungsbedingungen nicht genau ermitteln lässt, macht die Ausrichtung der Trasse nach Südwesten wahrscheinlich, dass diese die beiden archaischen Bauareale A und B verknüpfte (vgl. M. Köder in diesem Band, Abb. 1)8.

Ihr heutiges, nur leicht strukturiertes morphologisches Erscheinungsbild verdankt die ovale, etwa 0,6 ha umfassende Hochebene der Castellina größtenteils umfangreichen nachantiken Planierungen1. Ursprünglich ist jedoch von einem deutlich stärker gegliederten Oberflächenrelief auszugehen. So ist das lokale Gestein (Macigno) stark zerklüftet und durch lang gezogene, Nordost-Südwest-orientierte Felsrippen mit benachbarten, teilweise tiefen Spalten sowie die Bildung kleinerer Plateaus geprägt2. Dieses dürfte sich erheblich auf die Lage und Orientierung der Bauten im antiken Siedlungszentrum ausgewirkt haben. Die archäologischen Forschungen konzentrierten sich im topographischen Zentrum der Castellina weitgehend auf den südlichen Bereich (M. Köder in diesem Band, Abb. 1), konnte dort doch ein bemerkenswerter kontinuierlicher Bestand an Gebäuden mit herausgehobener Bedeutung von der Archaik bis in die frühe Römische Kaiserzeit nachgewiesen werden3. Im Rahmen des hier vorliegenden Beitrags sollen primär die Ergebnisse der Tübinger Forschungen im Bereich der westlichen, dem Meer zugewandten Plateauhälfte (Areal B) referiert werden. Die durch das CNRS Paris untersuchten Gebäudestrukturen am Ostrand des Hochplateaus (Areal A) werden hier hingegen nur summarisch miteinbezogen, um die bauliche Entwicklung des Siedlungszentrums in einer Gesamtbetrachtung vorzustellen4. Auf dem Hochplateau der Castellina entstanden in kurzer zeitlicher Abfolge mehrere größere Gebäude (Bau I in Areal A sowie die Bauten III und IV in Areal B), die aufgrund ihrer Lage und der Einbindung in ein gemeinsames bauliches System vermutlich miteinander in einem engeren Zusammenhang standen. Als wahrscheinlich erstes Gebäude wurde im frühen 6. Jh. v. Chr. der mit Maßen von ca. 6 m x 5 m fast quadratische Bau I errichtet, von dem aufgrund der späteren Überbauung jedoch nur die äußeren Fundamentmauern überliefert sind (Abb. 1)5. Zugehörende Schichten, die Hinweise auf die Funktion des Gebäudes geben könnten, wurden nicht erfasst. Dennoch weisen zahlreiche Fragmente eines tönernen Relieffrieses vom Typus Acquarossa-Tuscania, die v. a. im direkten Umfeld zutage

Abb. 1: Castellina del Marangone, Areal A: Schematischer Plan der Gebäudegrundrisse (Bauten I und II).

Mit den Bauten III und IV entstanden in Areal B – und somit nur wenige Meter von Bau I entfernt – spätestens in der 2. Hälfte des 6. Jhs. v. Chr. zwei weitere größere Gebäude in unmittelbarer Nachbarschaft zueinander (Abb. 2). Beide Bauten sind durch die mittelalterliche Bebauung des Plateaus massiv überprägt und in zentralen Bereichen gestört. Für die Orientierung der beiden Häuser dürften zwei lang gezogene, in ihrer Ausrichtung leicht divergierende Felsrippen ausschlaggebend gewesen sein, die maßgeblich als Fundamentierung für die Langmauern der 61

Abb. 2: Castellina del Marangone, Areal B: Detailplan der erfassten Baustrukturen (detailliert dargestellt: antike Bebauung [Bauten III und IV]; schematisch wiedergegeben [hellgrau]: mittelalterliche Überbauung).

Abb. 3: Castellina del Marangone: Abfolge der antiken Bebauungsphasen in Areal B.

Neue Forschungen zu den Etruskern

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Castellina del Marangone J. Spohn, Das Zentrum der Siedlung – eine diachrone Betrachtung des baulichen Bestandes Häuser dienten9. Die erhaltenen Mauerstrukturen zeigen den westlich gelegenen Bau III als einen langrechteckigen, in mindestens zwei Räume unterteilten Bau, der dem Typus etruskischer Langhäuser entspricht10. Die Enden des etwa 4 m breiten und mindestens 15 m langen Gebäudes sind aufgrund der späteren Bodeneingriffe äußerst fragmentarisch überliefert. Daher muss offen bleiben, ob Bau III – dem heutigen Erscheinungsbild entsprechend – im Süden mit Anten endete oder ob sich hier ursprünglich weitere Raumstrukturen anschlossen11. Das nördliche Ende des Gebäudes hingegen ist besser bekannt. So konnten nördlich sowie nordöstlich einer Felsstufe, die in etwa parallel zu den Quermauern von Bau III verlief und die den Abschluss der Innenräume markierte12, Reste einer Steinpflasterung aus Macignoplatten erfasst werden. Die Steinplatten dieses hofartigen Bereiches, der in denselben Zeithorizont wie die benachbarten Gebäude zu datieren ist13, nehmen in ihrer Orientierung nicht nur auf Bau III, sondern auch auf den benachbarten Bau IV Bezug und bilden somit ein homogenes archaisches Bauensemble (Abb. 3, 1 und 3, 2). Die so erfolgte Rahmung der nördlichen Gebäudeseiten sowie die durch den Hof und den Straßenzug erfolgte Anbindung an Areal A lassen die Hauptzugangsseite zu den archaischen Bauten in Areal B im Norden vermuten. Unterstützung erhält diese These durch die Tatsache, dass auch der architektonische Schmuck von Bau III eine Hauptseite betont14. Eine Nutzungsschicht über dem Bodenniveau von Bau III, die Rückschlüsse auf die Funktion des Gebäudes zulassen würde, konnte nicht nachgewiesen werden. Direkt über dem archaischen Laufhorizont fand sich eine massive Lage verstürzter und in sich verkeilter Dachziegel, die als Zerstörungshorizont des Gebäudes interpretiert werden kann15. In dieser Ziegelschicht konnten Fragmente der bereits erwähnten bemalten Dachterrakotten erfasst werden, die aufgrund ihrer Fundlage eindeutig diesem Haus zuzuordnen sind und als einzige Funde direkte Hinweise auf dessen Funktion geben16.

Firstziegel, die im nördlichen Innenraum deponiert und durch den Ziegelversturz überdeckt waren20. Auch wenn die Deponierung der beiden Kalyptere bislang nicht schlüssig erklärt werden kann, scheint dieser Befund jedoch auf ein Offenstehen des Gebäudes vor dem schlussendlichen Verfall sowie auf eine mögliche sekundäre Nutzung als „Abstellraum“ hinzuweisen. Dass die Aufgabe von Bau III als Teil einer umfassenden baulichen Neustrukturierung auf dem Hügelplateau der Castellina zu sehen ist, zeigen ähnliche Entwicklungen in Areal A. Ebenfalls im 5. Jh. v. Chr. wurde Bau I aufgegeben sowie der begleitende Straßenzug durch Mauerzüge überbaut (Abb. 1)21. Von diesem Prozess, der massiv in den Baubestand auf der Hochfläche eingriff, scheint einzig Bau IV ausgenommen gewesen zu sein (Abb. 2 und 3). Mit seinen insgesamt fünf nachgewiesenen Räumen besitzt dieses Gebäude eine ähnliche Länge wie Bau III. Dennoch gibt das heutige Erscheinungsbild aufgrund umfassender Umbau- und Erweiterungsmaßnahmen in hellenistischer Zeit sowie einer fragmentarischen Erhaltung der Mauerstrukturen nur bedingt den archaischen Gebäudegrundriss wieder. Eindeutig dem frühetruskischen Kernbau sind die Raumstrukturen a und b sowie möglicherweise auch Raum c zuzuweisen (vgl. Abb. 3, 2)22. In letzerem Fall ergäbe sich für den archaischen Bau IV ein von Bau III deutlich abweichender Gebäudegrundriss. Reste einer südlich der Westwand erfassten Steinplattenlage (Abb. 3, 2 und 3, 3) legen nahe, dass Bau IV im Süden in einem offenen, hofartigen Raum endete23. Dagegen bleiben die Form und die Ausdehnung des archaischen Hauses in nördliche Richtung unklar. So ragt die westliche Langmauer des Hausgrundrisses über Raum b hinaus und wird durch die Steinpflasterung im Norden von Areal B umschlossen. Ob diese den Zugang zu einem weiteren, möglicherweise ebenfalls gepflasterten Innenraum bildete, konnte aufgrund des Überlieferungsstandes nicht geklärt werden. Jedoch belegt die an den beiden Schmalseiten des Gebäudes erhaltene Steinpflasterung sowohl einen Zugang an der nördlichen als auch an der südlichen Seite. Letzterer dürfte mit der Nutzung einer ebenfalls in das 6. Jh. v. Chr. datierenden Zisterne in Raum a in Verbindung gestanden haben, die in einer natürlichen, tief hinabreichenden Felsspalte östlich von Bau III angelegt wurde24. Sie diente hier als Fundament für die Westwand von Bau IV und muss daher zeitlich vor dem Gebäude entstanden sein (Abb. 3, 1). Bis in eine Tiefe von ca. 5, 50 m zeigte sich der Speicherbehälter als unverfüllt, vollständig aus unregelmäßig polygonal gebrochenen Macignosteinen ohne die Verwendung von Mörtel aufgemauert sowie an seiner Außenseite bis zur Oberkante mit einer abdichtenden Lehmpackung versehen25. Ob die im Schnitt flaschenförmige Zisterne26 in ihrem unteren Bereich möglicherweise in den Felsen eingetieft war, konnte nicht weiter untersucht werden27. Bemerkenswert ist, dass der Wasserspeicher – ebenso wie der umgebende Bau IV – über die gesamte Laufzeit der antiken Bebauung des Siedlungszentrums – von der Archaik bis in die frühe römische Kaiserzeit – in Benutzung war (Abb. 3, 2-4). Vermutlich zu Beginn des 3. Jhs. v. Chr. wurde Bau IV

Der Errichtungszeitpunkt von Bau III lässt sich nur unscharf fassen. Während die wenigen keramischen Funde aus der Fußbodenschicht den Bau des Gebäudes vor oder um die Mitte des 6. Jh. v. Chr. nahe legen, weist die Datierung des Dachschmucks dagegen erst in das 3. Viertel des Jahrhunderts17. Ob Bau III bereits früher errichtet und erst in einer späteren Phase mit dem nachgewiesenen architektonischen Dekor ausgestattet wurde oder ob von einem generellen späteren Baubeginn auszugehen ist, muss offen bleiben18. Klarer hingegen lässt sich die Aufgabe des Gebäudes im frühen 5. Jh. v. Chr. fassen19. Somit ergibt sich für dieses herausragende Bauwerk eine vergleichsweise kurze Existenz. Obwohl der Grund des Einsturzes des Giebeldaches von Bau III anhand des archäologischen Befundes nicht geklärt werden konnte, spricht doch einiges dafür, dieses Ereignis mit einer bewussten Aufgabe des Baus in Verbindung zu bringen. Hinweise darauf, dass das Gebäude noch einige Zeit aufrecht, aber seiner ursprünglichen Funktion beraubt stehen blieb, geben zwei zerscherbte, aber vollständig im Verbund erhaltene

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Neue Forschungen zu den Etruskern

Abb. 4: Castellina del Marangone: Schnitt durch den Mündungsbereich der archaischen Zisterne in Bau IV; Blick nach Süden.

mit der Errichtung von Raum d im Südosten und Raum e im Norden deutlich erweitert, wodurch sich der gesamte Gebäudegrundriss grundlegend veränderte (Abb. 3, 3)28. Davon betroffen war auch der Mündungsbereich der archaischen Zisterne, der zweimal relativ kurz hintereinander eine Umgestaltung erfuhr. Wahrscheinlich an das Ende des 4. Jh. v. Chr. ist ein nahezu quadratisches Mörtelbecken zu datieren, das über den Resten des archaischen Puteals angelegt wurde29. Schon kurze Zeit später wurde dieses Becken wieder außer Betrieb genommen und – im Zusammenhang mit einer generellen Anhebung des Bodenniveaus in Bau IV30 – durch eine ringförmige Mündung aus größeren bearbeiteten Scagliaböcken ersetzt (Abb. 4)31. Die Gründe der hellenistischen Erweiterungen und der Veränderung des Bodenniveaus bleiben wie die eigentliche Funktion des Gebäudes ungeklärt. Bemerkenswert ist jedoch, dass der Ausbau des archaischen Gebäudes in frühhellenistischer Zeit in etwa mit dem Neubau von Bau II am Ostrand des Plateaus einherging (Abb. 1)32. Es handelt sich hierbei um ein vergleichsweise kleines, fast quadratisches Breithaus, dessen Orientierung und Größe (ca. 4 m x 6 m) Ähnlichkeiten zu dem archaischen Vorgängerbau in Areal A besaß. Auffällig ist neben den weit vorspringenden Anten des Hausgrundrisses ein größerer, rechteckiger Hof. Auch für dieses Gebäude lässt sich die Funktion allein aus dem Baubefund nicht erschließen. Die Tatsache, dass Bau II über den Fundamenten von Bau I errichtet wurde, kann im Sinne einer intentionellen Anknüpfung verstanden werden33. Ob damit auch eine funktionelle Kontinuität beabsichtigt war, muss jedoch hypothetisch bleiben. Das Ende der hellenistischen Bebauung des Hochplateaus lässt sich durch umfangreichere Planierungen spätestens in der frühen Römischen Kaiserzeit fassen34. Spätestens in dieser Zeit müssen die Gebäude II und IV aufgegeben und ihre obertägig sichtbaren Teile abgetragen wor-

den sein (vgl. Abb. 3, 4). Auch die möglicherweise vormals noch sichtbaren Reste des ruinösen Bau III wurden durch die Planierungsschichten endgültig überdeckt. In den gleichen Zeithorizont dürfte auch das Nutzungsende der archaischen Zisterne im Süden von Bau IV und das Verschließen des Schöpfloches mit größeren, ineinander verkeilten Fragmenten zweier Dolia fallen35. Diese erneuten gravierenden Umstrukturierungen auf dem Hügelplateau der Castellina im frühen 1. Jh. n. Chr. erstaunen, da Bauaktivitäten in dieser Zeit weitgehend ausbleiben. Ob mögliche Baustrukturen der späteren Nutzung des Plateaus zum Opfer fielen oder jenseits der untersuchten Flächen liegen, konnte nicht geklärt werden. Spärliche Hinweise auf eine gewisse Siedlungsaktivität in dieser Zeit liefert der Fund dreier Kanalfragmente, die oberhalb der Planierungsschicht angelegt wurden und die antiken Gebäudestrukturen im Südwesten des Hügelplateaus überlagerten (Abb. 3,4)36. Funde von Altarfragmenten und ein als Spolie verbauter römischer Grabstein legen die zumindest teilweise Nutzung des Plateaus als Bestattungsplatz nahe37. Zusammenfassend lassen sich anhand der erhaltenen Gebäudestrukturen im Zentrum der etruskischen Siedlung zwei Bebauungsschwerpunkte herausstellen. Ab der Mitte des 6. Jhs. v. Chr. ist eine Monumentalisierung im Siedlungszentrum zu fassen, zu der neben mehreren größeren Bauten auch eine entsprechende Infrastruktur38 gehörte. Zwei dieser Gebäude (Bau I und III) konnten aufgrund ihres anzunehmenden bzw. bei letzterem gesichert nachgewiesenen architektonischen Schmuckes mit einer herausgehobenen, öffentlichen Funktion verbunden werden. In der ersten Hälfte des 5. Jhs. v. Chr. fiel der Großteil der archaischen Bebauung des Hochplateaus einschneidenden strukturellen Veränderungen im Siedlungszentrum zum 64

Castellina del Marangone J. Spohn, Das Zentrum der Siedlung – eine diachrone Betrachtung des baulichen Bestandes Opfer. Entsprechende Entwicklungen sind auch aus anderen etruskischen Siedlungen bekannt, in denen im gleichen Zeithorizont politisch-sakrale Einzelbauten aufgegeben wurden39. Ob diese Veränderungen auf der Castellina möglicherweise mit dem Bau eines Tempels in Zusammenhang standen, von dem jedoch ausschließlich Spolien überliefert sind40, muss offen bleiben. Dieser Kultbau, dessen genaue Lage nicht ermittelt werden konnte, dürfte die Bebauung der Hochfläche der Castellina im 5. und 4. Jh. v. Chr. dominiert haben. Weshalb das Bauwerk recht früh wieder aufgegeben und schlussendlich spätestens am Ende des 4. Jhs. v. Chr. abgerissen wurde41, ist nicht bekannt. Vor allem letzteres fällt jedoch mit einem erneuten baulichen Aufschwung in Castellina del Marangone zusammen, der verschiedene Teile der Siedlung umfasste. Neben dem Bau der hellenistischen Stadtbefestigung sowie der Errichtung mehrerer Wohnquartiere an den Abhängen der Castellina42 manifestiert sich dieser in der Neuerrichtung von Bau II sowie in der Erweiterung des archaischen Bau IV. Bemerkenswert ist, dass Bau IV als einziges Gebäude im Siedlungszentrum von der Archaik bis in die frühe römische Kaiserzeit Bestand hatte. Ob die Reste weiteren Architekturschmucks hellenistischer Zeitstellung, die auf dem Plateau und an den Abhängen der Castellina gefunden wurden und die auf ein weiteres reich dekoriertes Bauwerk von sakralem oder öffentlichem Charakter hinweisen43, möglicherweise dem nun erweiterten Bau IV zuzurechnen sind, muss offen bleiben. Die frühhellenistische Blütezeit der Siedlung Castellina del Marangone ist in jedem Fall bemerkenswert, fällt sie doch zeitlich in etwa mit der fortschreitenden römischen Okkupation der Region zusammen. Auch die Gründung der latinischen Kolonie Castrum Novum unweit der Castellina44 führte offensichtlich nicht zu gravierenden Veränderungen. Dennoch scheinen sich durch diese Prozesse langfristig gesehen wirtschaftliche und wohl auch demographische Konsequenzen für Castellina del Marangone ergeben zu haben, die letztlich zum Niedergang der Küstensiedlung und einer grundlegenden Umnutzung des Hochplateaus führte.

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Anmerkungen 1

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Insbesondere im Zuge der mittelalterlichen Überbauung dürften die Größe und das Aussehen des Siedlungsplateaus deutlich verändert worden sein. So wurden antike Baustrukturen am westlichen und südlichen Oberhang der Castellina im Zuge der späteren Planierungen zum Teil massiv verschüttet; vgl. Prayon – GranAymerich 1999, 345 ff. Auch die Fundsituation der zweifelsfrei ursprünglich zu antiken Gebäuden auf der Hochfläche gehörenden Fragmente tönernen Architekturdekors verdeutlicht die massiven Bodeneingriffe im Siedlungszentrum; vgl. Prayon 2005, 669 Abb. 3. Vgl. Prayon – Gran-Aymerich 1999, 345 ff. Dagegen scheint der nördliche Teil der Ebene in der Antike weitgehend frei von Bebauung gewesen zu sein; vgl. Abb. Köder 1 sowie beispielsweise Gran-Aymerich 2005, 659. Zur Skizzierung des Forschungsprojektes vgl. den Beitrag von M. Köder in diesem Band. Eine umfassende Publikation der französischen Grabungsergebnisse bei Gran-Aymerich – Dominguez (in Vorber.); vgl. vorerst Gran-Aymerich 2005, 661 mit Anm. 8. Prayon – Gran-Aymerich 1999, 352; Gran-Aymerich 2005, 659. Prayon 2005, 669 Abb. 3. Hierfür spricht auch das aus diesem Bereich geborgene Fundspektrum; vgl. Wehgartner 2004, 79 ff.; Gran-Aymerich 2005, 659. Zur möglichen Funktion von Bau I vgl. den Beitrag von M. Lesky in diesem Band.

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Vgl. auch Gran-Aymerich – Prayon 2000, 487 ff. So wurde die westliche Langmauer von Bau III gegen eine hierfür in Teilen abgearbeitete Felsrippe gesetzt und folgt dieser in ihrem Verlauf; vgl. Abb. 2 sowie Janje – Lesky 2003, 607. Vgl. Prayon – Gran-Aymerich 1999, 352 ff. Prayon – Gran-Aymerich 1999, 352 ff.; Janje –Lesky 2003, 607. Vermutlich diente diese Felsstufe als Basis für einen möglicherweise nicht-steinernen Wandaufbau. Für ein Ende des Gebäudes in dieser Richtung spricht auch die Tatsache, dass der antike Laufhorizont nördlich der Felsstufe deutlich über dem Fußbodenniveau der beiden nachgewiesenen Innenräume liegt; vgl. auch Prayon – GranAymerich 1999, 352. Diese Pflasterung kann durch Keramikfunde – hauptsächlich Impasto rosso und Bucchero nero – in die spätere Archaik datiert werden. Zum Dachschmuck von Bau III vgl. den Beitrag von M. Lesky in diesem Band. Aufgrund des fast vollständigen Fehlens weiterer Funde aus diesem Versturz kann es sich nicht um eine spätere Einfüllung, z. B. im Zuge einer Terrainerhöhung, handeln. Vgl. Prayon 2005, 669 Abb. 3. Ebenso wie für Bau I unterstreichen herausragende keramische Funde aus dem Bereich von Bau III dessen Bedeutung; vgl. Wehgartner 2006, 50 ff. Aus dem Laufhorizont stammen insbesondere Funde von Impasto rosso-, Bucchero nero- und korinthischer Keramik. Für die Datierung des architektonischen Schmuckes von Bau III vgl. den Beitrag von M. Lesky in diesem Band. Vgl. hierfür Abb. 3, 1 und 3, 2: Bei einer Errichtung von Bau III bereits in der ersten Jahrhunderthälfte hätte dieses Gebäude in der Anfangszeit wohl singulär im Südwesten des topographischen Zentrums gestanden, da Bau IV angesichts des Fundspektrums erst um die Mitte des 6. Jhs. v. Chr. zu datieren ist. Datierend ist ein in seiner Zeitstellung einheitliches Keramikspektrum aus einheimischer Ware und Importkeramik; vgl. beispielsweise Wehgartner 2006, 50 ff. Die Scherben von Schwarzfirnis-Ware (Vernice nera), die in der Vergangenheit als Indiz für ein Ende von Bau III im ausgehenden 4. bzw. im 3. Jh. v. Chr. gewertet wurden (Prayon – Gran-Aymerich 1999, 354), sind dagegen als Bestandteil einer späteren Störung oder Verfüllung anzusehen. Prayon – Gran-Aymerich 1999, 353 Abb. 18. Diese gehörten aufgrund ihrer Machart und Zeitstellung (um 530 v. Chr.) mit großer Wahrscheinlichkeit zum Dach von Bau III; mündl. Mitt. M. Lesky. Gran-Aymerich – Prayon 1999, 536; Prayon 2005, 670; GranAymerich 2008, 285 ff. Detailliert zu den Grabungsergebnissen in Areal A: Gran-Aymerich – Dominguez (in Vorber.). Hier konnte in Resten ein archaisches Fußbodenniveau beobachtet werden, die Befundlage ist jedoch durch die massive hellenistische Überbauung stark verunklärt. Auch hierzu lassen sich aufgrund der mittelalterlichen Überbauung kaum Aussagen machen. Für die archaische Zeit kann für Raum a nur eine Begrenzung im Westen und im Norden nachgewiesen werden (vgl. Abb. 3, 2). Nicht zu entscheiden war, ob die natürliche Spalte künstlich geweitet wurde, da ein derart steiler Geländeabfall auf dem Hochplateau der Castellina ansonsten nicht beobachtet werden konnte. Die Dicke der Lehmpackung konnte zwischen den Bauten III und IV auf eine Breite von ca. 0, 60 m bestimmt werden. Hinweise auf größere befestigte Flächen sowie Kanäle, mit denen das Niederschlagswasser aufgefangen und der Zisterne zugeführt wurde, konnten dagegen nicht erfasst werden. Die Zisterne wies bis in eine Tiefe von ca. 3, 60 m unterhalb der Mündungsoberkante einen unregelmäßigen, schmalkonischen Querschnitt und hier einen Durchmesser von ca. 1, 40 m auf. Erst in ihrem unteren Drittel weitete sie sich auf einen Durchmesser von bis zu ca. 3 m. Aus Sicherheitsgründen waren lediglich eine Vermessung des Innenraums des Wasserspeichers sowie eine Freilegung des Mündungsbereiches möglich. Vgl. auch Janje – Lesky 2003, 608. Zu den jüngsten Funden gehören Fragmente von Vernice nera-Keramik, die an den Übergang vom 4. zum 3. Jh. v. Chr. datiert. Es handelt sich um ein Becken mit einer Seitenlänge von 0, 600, 70 m und wulstförmigem Rand, das über der archaischen Zisternenmündung – bestehend aus einer Deckplatte aus Nenfro sowie einer weiteren aus Scaglia – angelegt wurde (vgl. Abb. 4). Siehe zum Aufbau von Zisternen auch Brinker 1990. Vgl. hierzu auch Prayon 2005, 670 mit Anm. 9. Da die Fundspektren der angrenzenden Erdschichten keine Unterschiede aufwiesen, ist von einem vergleichsweise kurzen Zeitraum zwischen beiden Umbaumaßnahmen auszugehen. Die unterschiedliche Form und Größe der verbauten Blöcke lässt auf deren

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sekundäre Verwendung schließen. Auf die lange Nutzungsdauer der Zisterne verweisen außerdem ein wohl als Überlauf der Zisterne genutzter Kanal aus sekundär verwendeten punischen Amphoren (3./2. Jh. v. Chr.) am Nordrand von Raum d in Bau IV (vgl. Abb. 2 und 3) sowie die Auskleidung der Zisternenwandung mit einem Innenverputz wohl in spätrepublikanischer Zeit; vgl. Prayon 2005, 670. Ein enger Vergleich zu dem in Bau IV erfassten Amphorenkanal ist aus Campanaio bekannt; vgl. De Angelis 2001, 181 f. mit Abb. 27. Gran-Aymerich 2008, 285; vgl. auch Prayon – Gran-Aymerich 1999, 358; Janje – Lesky 2003, 608. Vgl. auch Gran-Aymerich 2005, 659. Vgl. Janje – Lesky 2003, 608 f. So findet sich in den relevanten Schichten durchweg Terra sigillata-Keramik, die an das Ende des 1. Jhs. v. Chr. bzw. den Beginn des 1. Jhs. n. Chr. datiert. Für die beiden Gefäße sind bislang keine genauen Parallelen bekannt. Die formal am nächsten stehenden Vergleiche stammen aus der Verfüllung einer unterirdischen Kammer in Vigna Parrochiale in Cerveteri, die aufgrund des Fundspektrums jedoch nicht enger zwischen dem 3. Jh. v. Chr. und der spätrepublikanischen Zeit eingegrenzt werden kann; Cristofani u. a. 2003, 158 f. Nr. 1779; 164 f. Nr. 1817. Den Hinweis verdanke ich D. Steiner, Basel. Die überlieferten Kanalfragmente, die aufgrund ihrer Orientierung und ihres Höhenniveaus wahrscheinlich zusammen gehören, fanden sich im südlichen Innenraum von Bau III sowie als Spolie in der Nordmauer des Südflügels des mittelalterlichen Casale verbaut. Ein drittes Kanalfragment überlagerte im Bereich der archaischen Zisterne die Westwand von Bau IV, verlief aber oberhalb der verschlossenen Zisternenmündung, so dass keine Zusammengehörigkeit besteht. Prayon – Gran-Aymerich 1999, 360 ff. Hierzu zählt neben der Straße in Areal A die archaische Zisterne im Süden von Bau IV. Vgl. hierzu den Beitrag von M. Lesky in diesem Band. Vgl. den Beitrag von M. Köder in diesem Band. Prayon 2005, 670; Prayon 2008, 280 ff. Diese konnten am südlichen und westlichen Abhang der Castellina nachgewiesen werden (Areale G und F; vgl. den Beitrag von M. Köder in diesem Band). Vgl. ebenda sowie Prayon 2005, 669 ff. mit Abb. 3 (Tipo IV und V) und Taf. 1 c-d. Prayon 2005, 672.

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Castellina del Marangone

Michael Lesky

Der Dachschmuck von Bau III. Rekonstruktion und Versuch einer historischen Einordnung

Im Siedlungszentrum von Castellina del Marangone wurden die Fundamentmauern eines zweiräumigen Hauses (Bau III) mit lang gestrecktem, rechteckigem Grundriss und bemerkenswertem Terrakottaschmuck gefunden1. Zum Gebäude gehört eine Giebelsima, die an ihrer Schauseite mit einem Vogel in einem Mäanderband und an der Unterseite mit Rosetten zwischen zwei roten Linien bemalt ist (Abb. 1)2. Über Vergleiche lässt sich das ursprüngliche Aussehen der Bemalung mit abwechselnden Bildfeldern (Stern und Rosette) in einem Mäanderband rekonstruieren3. Die Simaplatten waren über einen Flansch miteinander verbunden. Technisch vergleichbare, aber unbemalte Ziegelfragmente lassen vermuten, dass der Bau an seiner Rückseite einen unverzierten Dachabschluss trug4. Zum Dachdekor gehört noch das unscheinbare Fragment eines Flachziegels mit Bemalungsresten in roter und schwarzer Farbe (Abb. 2)5. Über Parallelen ist das Stück als bemalter Traufziegel zu identifizieren, die erhaltenen Reste der Bemalung sind Bestandteile eines Lotus-PalmettenFrieses6. Bau III war demnach an den Längsseiten mit bemalten Traufziegeln und an seiner Front mit einer bemalten Giebelsima verziert.

gibt es aber auch weitere mit Funden aus Castellina del Marangone vergleichbare Stücke: ein Strigilisfragment aus Vigna Parrocchiale entspricht einem Fragment aus Castellina del Marangone (Abb. 3) in Größe, Form, Material und Farbe10. Und ein weiteres Teil des Daches existiert ebenfalls an beiden Orten. Aus der „cavità“ in Caere stammen mehrere Fragmente eines Frauenkopfantefixes11, die einem Oberflächenfund in Castellina del Marangone (Abb. 4) entsprechen12.

Abb. 1: Giebelsimafrgt. Castellina del Marangone Inv. 96.320PN D 1, 97.2021 D 10 (Foto: Castellina-Projekt, Universität Tübingen).

Abb. 2: Traufziegelfrgt. Castellina del Marangone Inv. 97.2021 D 14 (Zeichnung S. Englert).

Eine vergleichbare Dachdekoration ist auch im Stadtgebiet von Caere, in Vigna Parrochiale, nachzuweisen. Die Funde stammen aus der „residenza arcaica“ und der Verfüllung der nebenan liegenden „cavità“7. Es findet sich hier der Typ des Traufziegels8 und der Giebelsima9. Interessanterweise

Sowohl die Strigiles als auch die Frauenkopfantefixe entsprechen in der Zeitstellung und im Material der Giebelsima und dem Traufziegel. Aufgrund dieser Übereinstimmungen und den Fundorten im Inneren und in der Nähe von Bau III können die Stücke aus Castellina del Marangone mit 67

Neue Forschungen zu den Etruskern

dem spätarchaischen Dach dieses Gebäudes in Verbindung gebracht werden. Das ursprüngliche Aussehen des Dachschmuckes kann hypothetisch sogar noch weiter ergänzt werden, da die Strigilisfragmente sich über Parallelen mit den Traufziegeln zu einem seitlichen Dachabschluss mit Wasserspeiern in Form eines Panthers ergänzen lassen13. Es ergibt sich somit eine erweiterte Rekonstruktion der Dachseiten (Abb. 5).

von Caere. An diesem Platz entstand im 5. Jh. v. Chr. ein Tempel mit einem nebenan liegenden Versammlungsort14. Es scheint einleuchtend, dass auch die zu erschließenden Vorgängerbauten öffentliche bzw. sakrale Aufgaben besaßen. In unmittelbarer Nähe von Castellina del Marangone wurden im Küstenheiligtum von Punta della Vipera in einer Planierungsschicht des 4. Jhs. v. Chr. verschiedene archaische Architekturterrakotten entdeckt, darunter die Fragmente einer Strigilis, eines Traufziegels, einer Giebelsima sowie eines Frauenkopfantefixes15. Alle diese Fragmente sind direkt mit den Stücken in Castellina del Marangone und Caere vergleichbar und entsprechen sich in Stil, Material, Größe und Bemalung. Somit finden sich hier außer dem Wasserspeier wieder alle Teile des Daches von Bau III und unterstreichen die Zuweisung zu einem gemeinsamen Dachschmuck. Leider fehlen in Punta della Vipera die zu den Terrakotten gehörenden archaischen Mauerzüge16. Da die Grabung auf das Heiligtum beschränkt war, wurden und werden diese Terrakotten ganz selbstverständlich immer als Belege für eine archaische Bauphase des Heiligtums angesprochen17. Allerdings sind in unmittelbarer Nähe auch Siedlungsspuren nachweisbar. Die vom Meerwasser frei gespülten und nicht erforschten Mauerzüge sind heute mit bloßem Auge zu erkennen und gehören sicher nicht zu der später an diesem Platz zu lokalisierenden römischen Villa18. Neben der Möglichkeit der Zuweisung der Terrakotten zu einem nicht erhaltenen Tempel kann demnach auch nicht ausgeschlossen werden, dass der Architekturschmuck in Analogie zu den Fundorten in Caere und Castellina del Marangone zu einem Bau an zentraler Stelle der Siedlung im Umfeld des vielleicht noch nicht architektonisch gefassten Kultplatzes gehörte. Im ausgehenden 6./beginnenden 5. Jh. v. Chr. scheint es in Caere, Castellina del Marangone und Punta della Vipera demnach ein beinahe standardisiertes Dach (im Folgenden: Typ Castellina) mit denselben wiederkehrenden Elementen gegeben zu haben19. Die zu erschließenden Bauten mit der Dachdekoration des Typs Castellina zeigen auffallende historische Übereinstimmungen: Sie werden am Ende 6./Beginn 5. Jh. v. Chr. aufgegeben20 und standen an ganz zentraler Stelle der jeweiligen Siedlungen bzw. Städte. In Caere entstehen im 5. Jh. v. Chr. an der Stelle des Gebäudes neue sakrale und öffentliche Bauten. Und auch in Castellina del Marangone, der einzige Ort, an dem der Dachschmuck bisher einem bestimmten Gebäude zuzuweisen ist, scheint Bau III zu einem Zeitpunkt aufgegeben worden zu sein, an dem man aus dem Fund eines Säulenkapitells des beginnenden 5. Jhs. v. Chr. den Neubau eines Tempels erschließen kann21. Einzelne Elemente des Daches vom Typ Castellina fanden jedoch auch in anderen Orten Mittelitaliens Verwendung. So stammen etwa Fragmente der Traufziegel mit LotusPalmetten-Fries22 sowie einer ähnlichen Dachdekoration mit den Bildfeldern Vogel und Stern im Mäanderband23 von der Akropolis in Satricum. Wegen des schlechten Erhaltungszustandes ist allerdings fraglich, ob diese Dachdekoration mit dem Vogel tatsächlich als Giebelsima anzusprechen ist24. Immerhin macht ein Fragment mit

Abb. 3: Strigilisfrgt. Castellina del Marangone Inv. 99.36050 D 1 (Foto: Castellina-Projekt, Universität Tübingen).

Abb. 4: Frgt. eines Frauenkopfantefixes Castellina del Marangone Inv. 00.45018 D 28 (Foto: Castellina-Projekt, Universität Tübingen).

Auch die Baugeschichte ist in der Vigna Parrochiale aussagekräftig: Das Gebiet wurde von zahlreichen Umbauten geprägt, so finden sich Stücke in der Aufschüttung der „cavità“, im Fundamentgraben des Tempels und wieder verbaut in spätarchaischen Fußböden. Auch wenn die Zugehörigkeit zu einem bestimmten Gebäude nicht sicher zu bestimmen ist, lag das zu dem Dachschmuck gehörende Gebäude – vielleicht ein Teil des „complesso residenziale“ – hier in der Nähe an ganz wichtiger Stelle im Stadtzentrum

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Castellina del Marangone M. Lesky, Der Dachschmuck von Bau III. Rekonstruktion und Versuch einer historischen Einordnung

Abb. 5: Rekonstruktion „Dach-Typ Castellina“ (M. Lesky).

angeschrägter Seite eine ursprüngliche Anbringung am Giebel sehr wahrscheinlich25. Da das Bildfeld mit dem Vogel in seinen Dimensionen allerdings wesentlich kleiner ist als das zu rekonstruierende Bildfeld des Stückes in Castellina del Marangone26, kann man davon ausgehen, dass es sich hier um einen anderen Typ Giebelsima handelt oder aber eher um ein Detail aus einer größeren bemalten Verkleidungsplatte oder Dachbegrenzung27. Für letztere Annahme könnten auch noch weitere Indizien sprechen: Das vollständige Fehlen der Rosetten der Unterseite sowie die Tatsache, dass der Übergang vom Trauf zur Sima (der stabilste Teil der Giebelsima!) nie erhalten ist, deuten darauf hin, dass die Giebelsima des Dachtyps Castellina wohl nicht zum ursprünglichen Aussehen des Dekors in Satricum gehörte. Über den Stil und das Material wurden die Fragmente mit dem Vogel dem sog. ionischen Dach zugewiesen, zu dem auch ein Reiterfries und Antefixe gehören28. Dieses Ensemble soll Tempel 1 oder seinen Vorgängerbau geschmückt haben29. Leider wurden bei den Ausgrabungen am Ende des 19. Jhs. die Fundzusammenhänge nur unzureichend dokumentiert, und es existieren bis heute Unklarheiten. Interessanterweise scheinen in den wenigen Fundkomplexen, die sicher dem Tempel und seinen Vorgängerbauten zuzuweisen sind, immer nur Fragmente des Reiterfrieses und der Frauenkopfantefixe gefunden worden zu sein, nie jedoch Fragmente der Traufziegel oder des Dekors mit dem Vogel30. Da die zur Disposition stehenden Rekonstruktionsmöglichkeiten der Dachbegrenzung mit dem Vogel – Giebelsima und damit Dachabschluss

oder Detail aus einer größeren Verkleidungsplatte – eine Anbringung im Verbund mit dem plastischen Reiterfries und einem oberen Abschluss mit Strigilis unwahrscheinlich machen, bedarf zudem die Rekonstruktion des Giebelaufbaus durch P. Lulof einer Aktualisierung31. Es bleiben somit Zweifel, ob das so genannte ionische Dach wirklich nur ein Gebäude schmückte. Der Fund einer Architekturterrakotte in der sog. Stoa A belegt zudem, dass es im nahen Umfeld des Tempels noch weitere Bauten mit Terrakotten gegeben hat32. Es ist demnach nicht endgültig zu klären, ob das komplette ionische Dach zu einem sakralen Bau gehörte oder ob vielleicht Teile des Daches von einem in der Nähe liegenden Gebäude stammen, das dann, wie alle Bauten auf der Akropolis, am Beginn des 5. Jhs. v. Chr. zerstört worden wäre33. Ganz ähnliche chronologische Aussagen treffen auch auf die Baugeschichte der vierten Phase der römischen Regia zu, deren Dachschmuck im späten 6. Jh. v. Chr. auffallende Ähnlichkeiten zeigt34. Die erhaltenen Verkleidungsplatten mit Strigiles entsprechen denjenigen in Castellina del Marangone in Form und Farbigkeit35; die dieser Regiaphase zuweisbaren Frauenkopfantefixe entsprechen zusätzlich im Ton dem Exemplar aus Castellina del Marangone36. Erhalten ist hier der bisher hypothetisch dem Dach Typ Castellina zugewiesene Wasserspeier37. Durch die literarische Überlieferung lässt sich die Funktion der Regia etwas näher eingrenzen, hier waren sowohl sakrale als auch öffentliche Institutionen untergebracht38. Einige Elemente des Daches Typ Castellina kommen auch in eindeutig sakralen Bereichen vor, so gehört etwa 69

Neue Forschungen zu den Etruskern

Anmerkungen

zum Dachschmuck mit den Verkleidungsplatten des Typs „Veio - Roma - Velletri“ der seitliche Abschluss mit der Strigilis und dem Wasserspeier39. Zudem tauchen hier auf den Verkleidungsplatten am Giebel die Bildfelder Stern und Vogel im Mäanderband in plastischer Form auf40. Die Variationen des Daches vom Typ Castellina zeigen, dass diese Motive auch auf sakralen Bauwerken angebracht werden konnten41. Eine derartige Verwendung einzelner Elemente des Dachtyps Castellina könnte darauf hinweisen, dass den in den Bauten mit dem standardisierten Dach in Castellina del Marangone, Caere und Punta della Vipera residierenden Personen nicht ausschließlich administrative, sondern auch sakrale Aufgabenbereiche innerhalb des archaischen Gemeinwesens zuzuweisen sind. Darauf, dass diese Aufgaben eng mit der archaischen Aristokratie verbunden waren, weist das nahezu identische Datum der Zerstörung bzw. der Aufgabe dieser Gebäude hin. Denn gerade am Ende des 6. Jhs. v. Chr. lassen sich in einigen Siedlungen und Städten Südetruriens Veränderungen feststellen, die mit der Ablösung der alten Aristokratie in Verbindung gebracht werden können42. Literarisch belegt sind etwa in Rom die Vertreibung des Königs und der Einfall des Lars Porsenna43. Beide Ereignisse setzen – unabhängig von ihrer historischen Interpretation – Veränderungen im sozialen Machtgefüge voraus. Archäologisch belegt kommt es in Rom in dieser Zeit zur Zerstörung und zum Neubau wichtiger öffentlicher Bauten wie etwa der Regia, des Comitiums und des Heiligtums in S. Omobono44. Es liegt nahe, auch die Neustrukturierungen des Siedlungszentrums von Caere und Castellina del Marangone mit einer Veränderung der sozialen Strukturen zu verbinden45. Obsolet wurden nun die Aufgaben, die in den Bauten mit dem Dach vom Typ Castellina wahrgenommen worden waren. Neben diesen Gebäuden gab es in den Stadt- und Siedlungszentren weitere für das Gemeinwesen bedeutende Bauwerke, in Castellina del Marangone kann man aufgrund der Verbreitung der Architekturterrakotten noch mindestens einen wichtigen Bau des 6. Jhs. v. Chr. postulieren46. Der mit Bau III in einem architektonischen Ensemble verbundene Bau I war demnach mit Verkleidungsplatten des Typus Acquarossa-Tuscania geschmückt47. Suggestiv, aber rein hypothetisch, ist die Vorstellung, Bau I als Sitz eines lokalen Adeligen mit öffentlichen Aufgaben zu identifizieren. Dann wäre an diesem zentralen Platz der Amtssitz dieses Aristokraten mit einem zugeordneten, vielleicht sakralen Aufgabenträger in Bau III anzusiedeln. Auf dessen sakrale Aufgaben würden nicht nur die Nachfolgebauten hinweisen, sondern vielleicht auch das Motiv der Giebelsima, das auf Tempelfriesen wiederkehrt48. Mit den sozialen Veränderungen am Ende des 6./Beginn des 5. Jhs. v. Chr. eng verbunden ist die Neustrukturierung der sakralen und öffentlichen Aufgaben, die Gebäude der alten Aristokratie verloren ihre Bedeutung und wurden aufgegeben.

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Siehe M. Köder zur Siedlungsgeschichte und J. Spohn zur Stratigraphie der Bauten in Castellina del Marangone. Für Hinweise danke ich R. R. Knoop, A. Naso, F. Prayon, I. Wehgartner und N. A. Winter. Siehe Prayon – Gran-Aymerich 1999, 353 f. Abb. 14 (zwei aneinanderpassende Frgte. Inv. 96.320PN D 1, 97.2021 D 10). Die Frgte. stammen aus dem Versturz des spätarchaischen Daches von Bau III. Zwei weitere zu dieser Giebelsima gehörende Frgte. wurden in einer Auffüllungsschicht in Bau III (Inv. 99.36050 D 3) und zwischen Bau III und Bau I (Inv. 99.37108 D 1) gefunden. Vorderseite: Über einem durchlaufenden Fries mit roten Quadraten, in denen kleine rote Vierecke mit schwarzen Punkten eingeschlossen sind, befindet sich im roten Bildfeld ein Vogel nach links. Neben dem Bildfeld ist der Rest eines schwarzen Mäanderbandes zu erkennen. Unterseite: Rosette mit weißen, schwarzen und roten Blättern, in der Mitte ein roter Kreis. Die Umrisslinien sind in schwarzer Farbe angegeben. Zum ursprünglichen Aussehen vergleiche die Giebelsima in Kopenhagen, NY Carlsberg Glyptothek HIN 696-703 (MeddelGlypt 44, 1988, 54 Abb. 3). Allerdings sind hier die Bildfelder mit dem Stern und dem Vogel vertauscht, das Mäanderband verläuft unter dem Bildfeld mit dem Vogel und über dem Bildfeld mit dem Stern. Der Vogel ist auf die Giebelmitte hin orientiert. Vom Motiv her (abwechselnd Vogel und Stern, Unterseite mit Palmetten) ähnlich, aber in anderem Stil die Frgte. in I. Jucker (Hrsg.), Italy of the Etruscans (Jerusalem 1991) 253-254 Nr. 327. Ganz ähnliche Rosetten zwischen zwei roten Linien auch auf zwei unpublizierten Stücken in Berlin, Antikensammlung 2068 x und 2066 x (nach I. Wehgartner). Zur Gattung siehe auch N. A. Winter, Symbols of Wealth and Power: Architectural Terracotta Decoration in Etruria and Central Italy, 640-510 B.C. (i. Dr.). Die Gebäuderückseite lag wohl im Süden. Zur Eingangsituation an der Nordseite von Bau III vgl. den Beitrag von J. Spohn in diesem Band. Inv. 97.2021 D 14: Nahe am Scheitelpunkt eines roten Kreises ist eine weitere abgehende rote Linie zu erkennen, in der Kreismitte befindet sich ein schwarzer Punkt. Am rechten Rand ist der Rest eines weiteren roten Kreises erhalten. Das Frgt. wurde im Versturz des spätarchaischen Daches gefunden. Vergleichbare Traufziegel in Knoop 1987, 46-51. 233 Nr. 153-156 Abb. 1 Taf. 65 f. Siehe die abschließende Publikation in Cristofani 1992 und Cristofani u. a. 2003. Aus der „residenza arcaica“ (Cristofani u. a. 2003, 77 Nr. 599; 177 Nr. 1923 Taf. 3) und aus der Auffüllung der „cavità“ (Cristofani 1992, 40 f. Abb. 76-79). Mehrere Stücke aus der Auffüllung der „cavità“ (Cristofani 1992, 37 Nr. B 18.1-7 Abb. 63; 38 Abb. 64) (identische Gieblsima) und die Funde aus der „residenza arcaica“: ein Architekturelement aus einer Brunnenverfüllung mit einer vergleichbaren Rosette (Cristofani u. a. 2003, 236 Nr. 2819 Taf II) und ein in einem Fußboden wieder verwendetes Giebelsimafrgt. mit vermutlich identischem Muster (M. Cristofani, Nuovi dati per la storia urbana di Caere, BdA 35-36, 1986, 21 Nr. 24; Moretti Sgubini 2001, 126 f. Nr.II.A.2.6; Cristofani u. a. 2003, 132 f. Nr. 1512 Taf. 3). Caere: Frgt. einer Verkleidungsplatte mit Strigiles aus einem Fußboden vom Ende des 6. Jhs. v. Chr. (Cristofani u. a. 2003, 121 Nr. 1352 Taf. 4) und aus der „cavità“ (Cristofani 1992, 46 Abb. 92). Castellina del Marangone: Inv. Nr. 99. 36050 D 1 aus einer Auffüllung von Bau III. Verkleidungsplatte mit 1, 5 Strigiles. Cristofani 1992, 42 f. Typ I. 43 Abb. 84 f. Taf. 3; vgl. A. Andrèn, Architectural Terracottas from Etrusco-Italic Tempels (Leipzig 1939) 20 f. Nr. 1:4 a Taf. 6, 13. Inv. 00.45018 D 28 (Fund aus der Humusschicht): Erhalten ist der vordere obere Teil des Kopfes mit Schläfenansatz und schwach angedeutetem Ohr. Siehe die Rekonstruktionszeichnung der Dachbegrenzung aus Velletri in Andren a. O. (Anm. 11) 414 f. Nr. I:13 Taf. D 1-2. Hier ist der Lotus-Palmetten-Fries allerdings in weißer Farbe auf roten Grund angegeben. Zu den Umbaumaßnahmen am Ende des 6./Beginn des 5. Jhs. v. Chr. siehe etwa A. Maggiani in: Moretti Sgubini 2001, 121 f. sowie Cristofani u. a. 2003, 255. M. Torelli, Terza campagna di scavi a Punta della Vipera (S. Marinella), StEtr 35, 1967, 336 f. und S. Stopponi, Terrecotte architettoniche dal santuario di Punta della Vipera, in: Studi in onore di Filippo Magi (Perugia 1979) 249. 250 Abb. 1, 1-3 Taf. 1, 1-5.

Castellina del Marangone M. Lesky, Der Dachschmuck von Bau III. Rekonstruktion und Versuch einer historischen Einordnung 16 Torelli a. O. (Anm. 15) 336. G. Golonna (Hrsg.), Santuari d’Etruria (Mailand 1985) 149. 17 So etwa zuletzt auch R. Tomassucci, Il santuario etrusco di Punta della Vipera, in: Depositi votivi e culti dell‘Italia antica dell‘età arcaica a quella tardo-repubblicana. Atti del convegno di studi, Perugia, 1 - 4 giugno 2000 (Bari 2005) 241. 18 Zur römischen Villa Torelli a. O. (Anm. 15) 331. 336. 19 Dieser Dachschmuck gehört zweifellos zur Produktion der von P. Lulof, Una bottega-tettoia ionica a Caere, in: Dinamiche 2005, 209213 postulierten Caeretaner Werkstatt. 20 Nur in Punta della Vipera lassen sich wegen der fehlenden archaischen Bebauung über den Zeitpunkt der Aufgabe des zugehörigen Baus keine genauen Angaben machen. 21 Hierzu Prayon 2008, 280-282. 22 Knoop 1987, 233 Nr. 153-156 Abb. 1 Taf. 65 f. 23 Der obere Abschluss ist in Satricum nicht erhalten, scheint aber anders als bei den bisherigen Beispielen der Giebelsima gestaltet zu sein. Auch die Bemalung variiert, hier breitet der Vogel die Flügel aus und befindet sich in einem anders gestalteten Mäanderband (Knoop 1987, 63-66. 240 Nr. 177-179a; 240 Abb. 11 Taf. 77 f.). 24 So bereits Knoop 1987, 63. 25 Knoop 1987, 63 Abb. 37. Darauf scheinen auch weitere, noch nicht publizierte Funde hinzuweisen (Mitteilung R. Knoop). 26 Die Breite der Bildfelder mit dem Vogel in Caere und Castellina del Marangone variiert zwischen ca. 9, 5 und ca. 8 cm gegenüber den ca. 5 cm der Bildfeldbreite in Satricum. 27 Siehe etwa die Dachbegrenzung aus Caere in Andren a. O. (Anm. 11) 27 Nr. II:3 b Abb. 19; Knoop 1987, 64. 65 Abb. 39. Hier scheint die Größe des Bildfeldes im Wesentlichen derjenigen der Stücke aus Satricum zu entsprechen. Auch würde die Zugehörigkeit zu einer derartigen Dachbegrenzung die leichte Wölbung der Frgte. (Profilzeichnung in Knoop 1987, 63 Abb. 37) erklären. 28 Knoop 1987, 63. 29 Knoop 1987, 71. 208 - 212. 30 Die Traufziegel wurden bei neuen Grabungen in den Schichten unter den Tempeln gefunden, siehe Knoop 1987, 46. Für die Frgte. mit dem Vogel sind keine Fundorte überliefert (Knoop 1987, 63). 31 P. S. Lulof, Mythical Battles from Greece. The Iconology of Power in the Satrican Roof-Systems, MededRom 56, 1997, 86 Abb. 1; 87; P. S. Lulof, Una bottega-tettoia ionica a Caere, in: Dinamiche 2005, 210 Abb. 1. 32 Dieser Terrakottafries mit Wagen und zwei stehenden Personen ist allerdings in einheimischem Ton gefertigt. M. Maaskant-Kleibrink, Settlement Excavations at Borgo Le Ferriere II (Groningen 1992) 87 f. 203 Nr. 2051. 142 - 145; A. J. Beijer, Una lastra archittetonica figurata di terracotta dall’abitato arcaico a Borgo Le Ferriere („Satricum“), in: Deliciae fictiles 1 1993, 287-289. 33 Zu den Zerstörungen siehe M. Maaskant-Kleibrink a. O. (Anm. 32) 142-145. Allerdings fehlen in Satricum die Strigilis und das Frauenkopfantefix als Teil des Daches. 34 Zusammenfassend zu dieser Phase der Regia siehe J. Losehand, Häuser für die Herrscher Roms und Athens? (Hamburg 2007) 19 f. 42 und Cifani 2008, 130. 35 Allerdings scheint hier ein anderer Ton verwendet worden zu sein. S. B. Downey, Archaic Architectural Terracottas from the Regia, in: Deliciae fictiles 1 1993, 244. 36 Downey a. O. (Anm. 35) 245. 37 Downey a. O. (Anm. 35) 244. 245 Abb. 21. 38 Diskussion bei Losehand a. O. (Anm. 34) 47-84. 39 Zu den Verkleidungsplatten F. R. Fortunati, Il tempio delle Stimnate di Velletri: il rivestimento arcaico e considerazioni sul sistema decorativo, in: Deliciae fictiles 1 1993, 255 – 265. Allerdings taucht hier der Wasserspeier in Kombination mit anderen Frauenkopfantefixen auf (Downey a. O. [Anm. 35] 245). 40 Fortunati a. O. (Anm. 39) 260 f. Abb. 10 f. Das Motiv findet sich öfters in plastischen Friesen wieder, hierzu S. Ciaghi, Nella bottega di un coroplasto tarquiniese. Tecnica a stampo o a stampo e punzone?, in: P. S. Lulof (Hrsg.), Deliciae fictiles II. Proceedings of the Second International Conference on Archaic Architectural Terracottas from Italy held at the Netherlands Institute in Rome, 12-13 June 1996 (Amsterdam 1997) 13-22. 41 Allerdings finden sich gerade auf den Friesen des Typs „Veio - Roma - Velletri“ überwiegend „aristokratische“ Themen. Diskussion bei C. Bruun, Herakles and the Tyrants: an Archaic Frieze from Velletri, in: Deliciae fictiles 1 1993, 267-275. 42 Zu den sozialen Veränderungen zusammenfassend etwa M. Pallottino, Etruskologie. Geschichte und Kultur der Etrusker (Basel 1988) 161 und A. Maggiani, Le forme politiche repubblicane, in: M. Torelli (Hrsg.), Gli Etruschi (Venedig 2000) 227-229. Zu den

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baulichen Veränderungen in Caere A. Maggiani in: Moretti Sgubini 2001, 121 f. Auch die Zerstörung und Aufgabe zahlreicher kleiner Siedlungen im Inneren Etruriens gehört in diese Zeit, z. B. Acquarossa (C. E. Östenberg, Case etrusche di Acquarossa [Rom 1975] 35 f. 47 f.). Zum Sturz des Lucius Tarquinius Superbus J. Fündling in: DNP 12/1, 34 s. v. Tarquinius; zum Einfall des Lars Porsenna W. Eder in: DNP 10, 182 s. v. Porsenna. Hierzu F. Prayon, Zur Baupolitik im archaischen Rom, in: Bathron. Festschrift H. Drerup (Saarbrücken 1988) 335-338. F. Kolb, Rom. Die Geschichte der Stadt in der Antike ²(München 2002) 117 sieht die Zerstörungen als Folge der Eroberung Roms durch Lars Porsenna. Zum sozialen Hintergrund siehe Cifani 2008, 303. So für Caere bereits M. Torelli, I fregi figurati della regiae latine ed etrusche, Ostraka 1, 1992, 268 f. Siehe den Beitrag von J. Spohn in diesem Band und die Verbreitungskarte in Prayon 2005, 669 Abb. 3 (tipo II). Zu diesen Verkleidungsplatten Torelli a. O. (Anm. 45) 261-274; M. Strandberg Oloffson, Variation in Mould-made Reliefs. The Case of the Large „Tuscania“ Motifs in the Light of some Fragments from Acquarossa, in: Deliciae fictiles 1 1993, 193-200. Siehe oben die Diskussion zum Typ „Veio - Roma - Velletri“.

Literatur Bastianelli 1936 S. Bastianelli, I Castronovani, StEtr 10, 1936, 447-461. Bastianelli 1937 S. Bastianelli, Territorio dei Castronovani. Scoperte nella necropoli pre-romana, StEtr 11, 1937, 451-472. Bastianelli 1939 S. Bastianelli, Gli antichi avanzi esistenti nel territorio di Civitavecchia, StEtr 13, 1939, 385-402. Bastianelli 1940 S. Bastianelli, Monumenti etruschi nel Museo Comunale di Civitavecchia, StEtr 14, 1940, 359-366. Bastianelli 1941 S. Bastianelli, Territorio dei Castronovani. Richerche sul poggio della ‚Castellina’ e nuovi dati sulla necropoli preromana, StEtr 15, 1941, 283-294. Bastianelli 1942 S. Bastianelli, Il territorio tolfetano nell’antichità, StEtr 16, 1942, 229-260. Bastianelli 1981 S. Bastianelli, L’abitato etrusco sul poggio detto La Castellina. Castrum vetus e la sua necropoli, BInfCentumcellae 6, 1981, 3-101. Bastianelli 1988 S. Bastianelli, Appunti di Campagna (Rom 1988). Brinker 1990 W. Brinker, Wasserspeicherung in Zisternen. Ein Beitrag zur Wasserspeicherung früher Städte, MInstWasser 109, 1990.

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Neue Forschungen zu den Etruskern

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Jon Albers

Tempel, Terrasse und Altar. Untersuchungen zum etruskischen Temenos Summary

fern, als eben gerade die Podien einen Gegenpol zu den kanonisch gehaltenen Tempeln bilden, zeigen sie doch im profilierten Dekor und der differierenden Gestalt der Freitreppe einen gewissen Kontrast zu diesen. Im Zuge einer genaueren Untersuchung zu den etruskischen Formen der Podien fällt neben diesen Variationsspielräumen im Grundriss jedoch ein besonderes Phänomen auf. Bei wenigen Beispielen der Podien deutet sich vor der Front des Tempels eine Vorterrasse an, deren offenkundiger Sinn neben der rein terrassierenden Funktion einzig in der dortigen Positionierung des Altars gelegen haben muss. Da sich über derartige Komplexe keine Angaben bei Vitruv oder bei anderen Schriftstellern der antiken Literatur finden lassen, kann die Deutung dieser Sonderform nur über den Befund und den Vergleich mit anderen, ähnlich konzipierten, etruskisch oder etruskisch beeinflussten Anlagen erfolgen, um die kultische und architektonische Bedeutung dieser Konstruktion zu identifizieren.

Some temples of ancient Etruria are constructed with a small terrace in front of them which is connected to the podium and has stairs leading up to a temple, and sometimes stairs down to the ground. Such examples can be found in Cosa (Capitol), Tarquinia (Ara della Regina), Talamone and Pieve a Socana. The only reason for the existence of the “front-terraces” can be recognised in the huge altars, which are built on top of those structures. By interpreting those terraces as a connection between altar and temple, a comparison to other Etruscan temples with still detectable temenos-murals, such as Bolsena or Orvieto, was essential. This comparison leads to the identification of the terraces as a unique feature of the ancient Etruscan temenos.

Einleitung

«Nunc de tuscanicis dispositionibus, quemadmodum institui oporteat, dicam»1. Mit diesen Worten leitet der Architekturtheoretiker Vitruv von den Tempeltüren zu seiner klaren Beschreibung des grundsätzlichen Erscheinungsbildes tuskanischer Tempel über. Von diesem Templum Tuscanicum vermittelt der römische Schriftsteller einen streng kanonisch und gleichförmig wirkenden Aufbau dieses eigenständigen Typus der antiken Sakralarchitektur2. Und tatsächlich sind im etruskischen Kernland viele Heiligtümer nachgewiesen worden, bei denen sich diese Beschreibungen Vitruvs im Befund der Substruktionen widerspiegeln. Auffälliger sind für den heutigen Betrachter jedoch die Podien, also jene steinernen Unterbauten, auf denen die eigentlichen Tempel errichtet wurden und die in Verbindung mit der frontalen Freitreppe dem tuskanischen Typus erst seine richtungsbezogene und erhöhte Außenwirkung verliehen3. Auch die Podien finden sich in Vitruvs Architekturgeschichte; allerdings werden diese im Gegensatz zum Tempel nur geringfügig behandelt und allenfalls im Zuge anderer Darstellungen erwähnt, wie es beispielsweise im Zusammenhang mit der Beschreibung der Freitreppen (Vitr. Arch. 3. 4. 4) nachzuvollziehen ist. Dabei erstaunt diese weitestgehende Ignoranz doch inso-

Etruskische Tempel mit Vorterrasse

Unter den vielfältigen Vertretern etruskischer beziehungsweise in etruskischer Bautradition stehender Heiligtümer stellt der in das 3./2. Jh. v. Chr. datierte Capitol-Tempel der römischen Kolonie Ansedonia/Cosa ein besonders gut erhaltenes und imposantes Beispiel dar4. Neben den teilweise bis zu 6 m Höhe erhaltenen massiven Tempelwänden aus lokalem Sandstein5, die eine weitestgehend unproblematische Rekonstruktion des eigentlichen Gebäudes erlauben, zeigt allerdings das teilweise noch einprägsam profilierte Podium eine äußerst ungewöhnliche architektonische Komponente: Frontal schließt sich an die stirnseitige Freitreppe zum Sakralbau eine 13, 51 bis 14, 58 m tiefe Vorterrasse an, auf welche die Frontseite von Tempel und Podium geradezu heraufgesetzt wirkt. Diese terrassierte Plattform, die sich allein schon optisch durch die verwendeten weitestgehend polygonalen Bruchsteinmauern von den rechtwinkligen Quaderblöcken des eigentlichen Tempel-Podiums unterscheiden lässt, verfügt ihrerseits ebenfalls über eine in den eigenen Baukörper integrierte kleinere Treppe im Norden der Konstruktion (Abb. 1 a)6. Funktional ist diese dem 73

Neue Forschungen zu den Etruskern

1.a

1.b

Abb. 1: a. Der Capitol-Tempel von Cosa/Ansedonia, Rekonstruktion der 1. Bauphase (Umzeichnung nach: Brown 1980, Taf. 60); b. Die Ara della Regina in Tarquninia, 2. Bauphase (Umzeichnung nach: Colonna 1985, 73).

Tempel vorgelagerte Plattform vor allem als terrassierende Maßnahme am Hang, besonders aber als Bauträger des unmittelbar vor der Front des Tempels gelegenen Altars zu identifizieren7. Das Heiligtum markiert hier also einen Aufbau, der es von den meisten anderen Sakralbauten Etruriens klar unterscheidet. Zusammenfassend ist hier also festzustellen, dass beim Capitol-Tempel von Cosa vor der eigentlichen Freitreppe zum Gebäude eine Terrasse angelegt wurde, die scheinbar einer erhöhten Positionierung des Altars diente und über eine eigene Stufenanlage betretbar war. Dabei ist dieses kombinierte Ensemble von Tempel, Vorterrasse und Altar jedoch nicht einfach eine singulär auftauchende oder einzigartige Ausnahmeerscheinung in der Sakralarchitektur Etruriens. Vielmehr lassen sich noch weitere Heiligtümer identifizieren, die einen zumindest formal ähnlichen Aufbau vor dem Zugangsbereich zum Tempel besitzen. Ein mit dem Befund von Cosa vergleichbares Bild zeigt auch die mächtige Ara della Regina auf dem Stadtplateau von Tarquinia, der größte heute noch bekannte Sakralbau etruskischer Provenienz außerhalb Roms (Abb. 1 b). Bei dieser Anlage hatte man spätestens im 4. Jh. v. Chr. im Zuge eines vollständigen Neubauprogrammes ebenfalls eine kleine Terrasse vor der Front des eigentlichen Tempels errichtet8. Diese Vorterrasse war ihrerseits von einer mittig

gelegenen breiten Treppe erreichbar; von dieser aus führte eine nicht gestufte Rampe zum eigentlichen Sakralbau weiter, während zwei kleinere Aufgänge zu seitlichen Zwischenterrassen noch im Befund zu erkennen sind9. Im Falle der Ara della Regina können keine terrassierenden Maßnahmen Grund für die Konstruktion gewesen sein, liegt der Bau doch auf einem relativ flachen Areal der antiken Stadt. Eine architektonische Struktur ist dagegen auch auf dieser Vorterrasse erhalten geblieben, die ihre außerordentliche Wichtigkeit dadurch erkennen lässt, dass eine südliche Ecke aus der Langseite des neueren Tempel-Podiums dreieckförmig herausragt und die ansonsten sehr klare Symmetrie durchbricht (Abb. 1 b). Es handelt sich um eine zweigeteilte rechteckige Anlage aus sauber gefügten TuffsteinQuadern, deren Ausrichtung von jener des Tempels klar abweicht und deshalb von ihr zu unterscheiden ist. Diese Konstruktion aus rechtwinkligen Blöcken wird mittlerweile im Süden als mythisches Heroon und im Norden als ehemaliger Altar des Tempels interpretiert, ist also nicht nur architektonisch, sondern auch funktional unterschieden10. Auch im Fall der Ara della Regina von Tarquinia lässt sich dementsprechend eine Vorterrasse rekonstruieren, von der aus der eigentliche Zutritt zur höchsten Ebene des Tempels überhaupt erst möglich war und die offenkundig zwischen 74

J. Albers, Tempel, Terrasse und Altar. Untersuchungen zum etruskischen Temenos

2.a

2.b

Abb. 2: a. Der Tempel auf dem Talamonaccio in Talamone (Umzeichnung nach: Vacano 1982, 26 Abb. 24); b. Der Tempel von Pieve a Socana (Ergänzte Umzeichnung nach: Colonna 1985, 165).

Gebäude und Vorplatz als erhöhter Träger des Altars fungierte. Ein weiteres formal verwandtes Beispiel stellt der Tempel auf dem Talamonaccio bei Talamone dar (Abb. 2 a), welcher auf der Hügelkuppe deutlich extraurban platziert, in seiner hellenistischen Form äußerst lang gezogen wirkt11. Die Anlage besteht aus einem mindestens 2 m hohen Podium mit rückwärtig positioniertem, 19, 40 m langen und 12, 84 m breiten Tempel, dessen Säulen einst in antis standen12. Auch dieser Komplex besitzt eine eigene Vorterrasse unmittelbar unterhalb des Tempels, von deren Außenmauern noch mehrere Tuffsteinlagen an verschiedenen Enden der Anlage zeugen13. Unter konstruktionstechnischen Gesichtspunkten kann gerade aufgrund der Position des Heiligtums auf der Hügelkuppe dieser Plattform, wie in Cosa, vordergründig eine terrassierende Funktion zugesprochen werden. Eine weitere Bestimmung deutet jedoch auch hier der Befund an: In der Mittelachse des höher gelegenen Tempels, ziemlich genau im Zentrum der Terrasse, ist eine rechteckig gemauerte Struktur noch teilweise unzerstört geblieben. Aufgrund der charakteristischen Form des Baukörpers, seiner präzise gearbeiteten Steinschichten auf mehreren Niveaus und der mittigen Lage direkt vor dem Tempel, kann diese Quaderstruktur ausschließlich als Altar oder Unterbau eines solchen verstanden wer-

den14. Wenngleich sich eine relativ breite Treppe von der Terrasse zum Tempel rekonstruieren lässt, besteht hingegen Unklarheit über die ehemalige Zugangssituation zu dieser Vorterrasse, speziell ob sie überhaupt frontal oder eher von den Seiten her betretbar war15. Mit dem relativ unbekannten und abseits gelegenen sogenannten Heiligtum von Pieve a Socana lässt sich diese eigenwillige Gestalt ein viertes Mal aufzeigen, obwohl es sich bei dieser Anlage um das am geringsten aufgearbeitete Beispiel der hier vorgestellten Komplexe handelt. Während der heute teilrekonstruierte Altar in Sanduhrform eine der aufwändigsten Profilierungen des gesamten etruskischen Kernlandes zeigt, sind vom Tempel selbst nur noch minimale Spuren erhalten geblieben und ausgewertet worden16. Dennoch erlauben die heute seitwärts der Apsis einer mittelalterlichen Kirche sichtbaren Stufen die Identifikation des ehemaligen Tempels (Abb. 2 b) und die Feststellung seiner Orientierung auf den freistehenden Altar hin17. Der Sakralbau dürfte die ungefähren Ausmaße der auf ihn nachfolgenden Kirche besessen haben und entlang der 18, 40 m messenden Front auf annähernd voller Breite über eine Freitreppe zugänglich gewesen sein. Dass auch bei der Anlage in Socana eine Vorterrasse existierte, belegen die heute noch sichtbaren massiven Mauern um den Altarbezirk, die in Verlängerung der ehemaligen Podien75

Neue Forschungen zu den Etruskern

Langseiten angelegt und mit diesen verbunden waren18. Dabei spricht allein schon die Massivität dieser Mauern für eine Rekonstruktion als Terrasse, obwohl in Ermangelung von Grabungen in der näheren Umgebung das antike Siedlungsniveau nicht mehr erschlossen werden kann. Der Altar selbst dürfte ursprünglich ziemlich genau in der Mittelachse des Tempels und zentral auf der Vorterrasse positioniert gewesen sein, befand sich also auch in diesem Fall mittels einer Vorterrasse über die Umgebung herausgehoben. Neben der Positionierung des Altars ist auch in Socana kein weiterer Grund für die Konstruktion dieser vorgelagerten Plattform zu erkennen; eine terrassierende Funktion kann in Anbetracht der flachen Umgebung ausgeschlossen werden. Somit ergeben sich also nach derzeitiger Kenntnis der antiken Tempel Etruriens mindestens vier nachweisbare Beispiele von Heiligtümern mit Vorterrasse, bei denen jeweils ein Treppen-, beziehungsweise Rampenaufgang zum Tempel nachgewiesen werden konnte. Eine eigene Treppe auf die Terrasse ist hingegen nur bei den beiden Anlagen aus Cosa und Tarquinia eindeutig festzustellen. Wenngleich bei den Heiligtümern von Talamone und Cosa auch die Lage des Geländes eine terrassierende Funktion dieser Plattformen verlangt haben könnte, so ist doch als Gemeinsamkeit all dieser Komplexe der jeweils hier platzierte Altar festzuhalten, der das wesentliche Charakteristikum und den funktionalen Sinn dieser architektonischen Konstruktionen insofern definieren muss (Abb. 1-2). Dabei kann es sich bei

Abb. 3:

diesen Vertretern der etruskischen Sakralarchitektur weder um ein zeitliches Phänomen noch um eine lokal einmalige Architekturform gehandelt haben. Die Bauten sind zwischen das 5. und 3. Jh. v. Chr. zu datieren und befinden sich im gesamten etruskischen Kernland nördlich von Rom verteilt. Es stellt sich dementsprechend, neben der reinen Feststellung und Definition einer solchen spezifischen Podiumsvariante, die Frage nach der Verwandtschaft und der Herkunft, vor allem aber nach dem funktionalen Zweck solcher Anlagen.

Etruskische „heilige Bezirke“

Die unmittelbare Nähe von Tempel und Altar sowie deren Verbindung mittels einer Terrasse deutet bereits an, dass hier ein bewusstes Ensemble der Sakralarchitektur bestanden haben muss. Demnach bieten sich auch jene etruskischen Komplexe als Vergleich an, bei denen nicht nur Tempel oder Altäre aufgefunden wurden, sondern auch Hinweise auf einen größeren sakralen Raum erhalten geblieben sind. Terminologisch ist im Rahmen dieser Untersuchung dem griechischen Wort temenos der Vorzug vor dem lateinischen Begriff templum zu geben, da es sicher weniger um die rückwirkende Erschließung eines relativen heiligen Raumes handelt, als vielmehr um die ganz klare Umgrenzung eines Bezirkes, in dem explizit mehrere Funktionen eines antiken Heiligtums zusammengefasst

Das Heiligtum von Poggio Cassetta am Bolsena-See (Umzeichnung nach: Bloch 1950, 79 Abb. 13).

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J. Albers, Tempel, Terrasse und Altar. Untersuchungen zum etruskischen Temenos

Abb. 4:

Das sogenannte Gebäude β in Tarquinia (Umzeichnung nach: Bonghi Jovino 2001, 35 Abb. 33).

wurden und der insofern noch heute nachweisbar ist19. Sakralbezirke, die wenigstens in ihrem formalen Aufbau dem grundsätzlichen Charakter der griechischen temene entsprechen, konnten bisher in mehreren Heiligtümern Etruriens nachgewiesen werden. Im Fall des in das 3. Jh. v. Chr. datierten Heiligtums von Pozzarello in Bolsena wurde lediglich eine 37, 50 m x 43, 60 m große Platzanlage identifiziert, die von einer Mauer vollständig umgeben und somit nach außen hin abgegrenzt war. Zwar konnte innerhalb dieses Bezirks ein Altar in Sanduhrform nachgewiesen werden, Hinweise auf einen Tempel oder Schrein fehlen hingegen vollständig20. Insofern stellt der Komplex von Pozzarello ein eindeutiges Beispiel für die etruskische Praxis dar, Heiligtümer auch ohne einen zugehörigen Tempel zu gestalten und unterstreicht die Bedeutung derartiger Anlagen für die etruskische Religion. Jedoch sind heute auch einige andere Anlagen bekannt, in denen sowohl Tempel als auch Altäre in einem ummauerten und daher miteinander verbundenen Kontext festgestellt werden konnten. Unter diesen ist das Heiligtum von Pyrgi, bei dem die beiden monumentalen Tempel wenigstens von zwei Seiten mit einer teilweise kammerdurchsetzten Mauer umgeben waren, wohl der bekannteste solcher Komplexe21. Ebenso wie bei dem jüngst in Marzabotto freigelegten städtischen Sakralbau wurden bei diesen Beispielen die Tempel in den rückwärtigen Bereich der Umfassungen gesetzt, waren jedoch mit den eigentlichen Temenos-Mauern weder baulich verbunden noch in deren Architektur integriert22. Dabei deutet die Existenz der kleineren Räume und Kammern bei beiden Beispielen weitere Nutzungen und Funktionen

im direkten Umfeld der Tempel an; unter anderem dürften einige der Räume auch als Torhäuser zur Kontrolle des Zuganges in das Heiligtum gedient haben. Eine zwar ähnliche, aber dennoch andere Form zeigen hingegen zwei sogenannte „Schreine“ im Stadtgebiet von Tarquinia und nahe des Bolsena-Sees23. Sowohl das urban gelegene sogenannte Gebäude β in Tarquinia (Abb. 3), als auch der extraurbane Tempel von Poggio Casetta bei Bolsena (Abb. 4) besitzen den gleichen formalen Aufbau im Grundriss. In beiden Fällen steht im Zentrum der Anlage ein kleines überdachtes Hauptgebäude des Heiligtums, welches im Inneren durch zwei mittige Pfeiler oder Trennwände in Antenform zusätzlich gestützt, aber auch gleichzeitig in pars antica und pars postica gegliedert wurde24. Beide Bauten waren mit einer u-förmigen Mauer umgeben, die doppelseitig die Rückwand der Schreine verlängerte, dann rechtwinklig abknickte, parallel zu den Langseiten vor den eigentlichen Schreinen verlief und dann parallel zur Frontseite in Antenform aufeinander zu ausgerichtet war. Dabei blieb einzig vor dem Eingang in die Tempel und somit in deren mittiger Achse ein Durchgang in das Innere dieser Höfe ausgespart. In beiden Heiligtümern konnte jeweils ein Altar nachgewiesen werden, jeder im Inneren der überdachten Räume positioniert und für erdbezogene Opfer ausgelegt25. Lediglich der Bau aus Tarquinia bietet Hinweise auf einen zusätzlichen Raum innerhalb des heiligen Bezirks, der sich nahe dem frontalen Eingang befand und möglicherweise als Torraum zu interpretieren ist.

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Neue Forschungen zu den Etruskern

Unabhängig dieses kleineren Unterscheidungskriteriums der beiden Schreine ist doch der Aufbau beider Anlagen in geradezu auffälliger Form identisch. Mit der formalen Gestalt dieser Ummauerungen eines somit streng gefassten und u-förmig umgebenen sakralen Bereiches ist auch die Gestalt eines der bekanntesten Heiligtümer des etruskischen Kernlandes zu vergleichen. Beim Beispiel des sogenannten Belvedere-Komplexes von Orvieto konnten die leicht schräg versetzten Überreste einer Temenos-Mauer südwestlich vor dem Frontaufgang in den Tempel nachgewiesen werden (Abb. 5)26. Dabei ähnelt dieser scheinbar einstmals ebenfalls u-förmige Aufbau der Mauer den beiden kleineren Beispielen aus Tarquinia und vom Bolsena-See in geradezu auffälliger Art und Weise, wurde jedoch an einer völlig anderen Stelle konstruiert27. Der ummauerte Bezirk beginnt erst an der Frontseite des Tempels, verlängert gewissermaßen die Stirn des Podiums und umschließt insofern einen somit genau definierten Vorplatz des Heiligtums sowie die zentrale Freitreppe. Der eigentliche Tempel ist in diesem Fall jedoch nicht mehr vollständig integriert worden, sondern thront in der durch das Podium bedingten erhöhten Position am Ende des Ensembles, ist also seinerseits aus dieser Ummauerung vollständig herausgelöst. Ein weiterer Unterschied zu den beiden zuvor besprochenen Beispielen aus Tarquinia und Bolsena liegt in der Lage des Altars begründet, der beim Belvedere-Heiligtum nicht innerhalb des eigentlichen Tempels sondern vor der Front im Binnenraum des ummauerten Bezirks festgestellt werden konnte28. Demnach lassen sich diese Temenos-Mauern auch nicht auf eine Funktion als einfache Umfassung der Tempel reduzieren. Sie sind vielmehr als Umgrenzung der heiligen Bezirke zu definieren, die den Tempel zwar mit einschlossen, dessen funktionales und sakrales Kernelement jedoch die wichtigste Struktur des Heiligtums, nämlich der Altar selbst, gewesen ist. Dabei belegen die hier vorgestellten Beispiele dagegen tendenzielle Ähnlichkeiten und singuläre Übereinstimmungen, zeigen jedoch gleichzeitig, dass sich etruskische temene durch ihre differierende Gestalt auch unterscheiden lassen. Der etruskische „heilige Bezirk“ ist dementsprechend auch nicht immer gleichartig, sondern vielmehr in unterschiedlichen Formen überliefert. Die teilweise trotzdem immer wiederkehrenden Formen des Aufbaus deuten dabei jedoch gleichzeitig an, dass es verschiedene ähnlich gestaltete Gruppen gegeben haben muss, so dass die jeweiligen Differenzen also nicht dazu verleiten dürfen, bei jedem Beispiel etruskischer temene ein völlig zusammenhangsloses, individuelles Bild zu skizzieren. Vielmehr legt diese Betrachtung die Vermutung nahe, auch innerhalb Altitaliens in der Gestalt der „heiligen Bezirke“ bestimmte wiederkehrende Typen identifizieren zu können, die sich jeweils nach dem Prinzip einer Typologie ordnen lassen.

Abb. 5: Der sogenannte Belvedere-Tempel von Orvieto (Umzeichnung nach: Colonna 1985, 82).

Die Vorterrasse als etruskisches Temenos

Die hier vorgestellten Vertreter von Heiligtümern mit einer Vorterrasse ähneln im Grundriss und Aufbau der Gestalt von einem dem Tempel vorgelagerten „heiligen Bezirk“, dessen einziger heute noch erkennbarer Zweck die Positionierung des Altars war. Dabei scheinen die Vorterrassen nicht der visuellen Erhöhung der Opfertische für ein etwaiges Publikum außerhalb des zugehörigen Bezirks gedient zu haben, was eine derartige Konstruktion auf den ersten Blick implizieren könnte. Gegen eine solche Annahme sprechen die Beobachtungen zu mindestens zwei der vier hier vorgelegten Beispiele: Beim Capitol-Tempel von Cosa ist spätestens für die zweite große Bauphase des 1. Jhs. v. Chr. eine Ummauerung der Vorterrasse nachzuweisen, bei der die gesamte Anlage mit übermannshohen Mauern auf der Terrasse umgeben wurde und der Zugang mittels einer mächtigen Torwand mit kleinem Durchlass reguliert werden konnte29. Und auch beim Talamonaccio-Heiligtum von Talamone dürfte der Altar sowohl aufgrund der steil abfallenden Topographie vor der Front als auch angesichts der extraurbanen Lage des Komplexes weitab der zugehörigen Siedlung nicht von außerhalb sichtbar gewesen sein. Im Falle von Tarquinia und Socana erlaubt der Befund hingegen keine einwandfreie Beurteilung dieser Frage, wenngleich auch hier die erhaltenen Architekturen für eine ehemalige Ummauerung dieser Vorterrassen sprechen und eine derartige Konstruktion nicht unmöglich erscheinen lassen30. Das Areal auf diesen Terrassen kann also zumindest teilweise als umgrenzter und somit auch teilweise verborgener Bereich vor der Front der zugehörigen Tempel be78

J. Albers, Tempel, Terrasse und Altar. Untersuchungen zum etruskischen Temenos

griffen werden. Es ähnelt insofern auch einigen der anderen bekannten Beispiele von etruskischen temene, bei denen sich ebenfalls eine Umschließung mit Mauern und ein regulierter Zugang nachweisen lassen. Die bei den Tempeln mit Vorterrasse mit dieser Plattform verbundene Anhebung der Altäre scheint also weniger auf die Inszenierung für ein Publikum gezielt, als vielmehr eine verborgene Erhöhung der Altäre für die Götter selbst bezweckt zu haben. Dabei wurden diese Terrassen oder Vorplätze zumindest in Talamone und Cosa bereits von den jeweiligen Ausgräbern als Area Sacra skizziert31. Dass eine derartige Interpretation wohl zutrifft, ist nicht nur aus der bloßen Existenz der Altäre und der Verbindung mit dem Tempel heraus zu erschließen. Die Lage der Terrassen vor dem Tempel mit den Altären in deren jeweiligem Zentrum ähnelt dem formalen Bild der darüberhinaus hier skizzierten „heiligen Bezirke“ im Bereich etruskischer Sakralplätze. Besonders der direkte Vergleich mit dem Belvedere-Tempel von Orvieto und dessen umgrenztem Vorplatz verstärkt diesen Eindruck eines identischen Aufbaus der Anlagen und impliziert dementsprechend auch einen übereinstimmenden Zweck. Folglich lässt sich für die funktionale Einordnung der Vorterrassen eine entscheidende Aussage treffen: Es kann sich bei ihnen vordergründig nur um eine architektonisch ungewöhnlich gehaltene Sonderform des etruskischen temenos gehandelt haben. Tempel und heiliger Bezirk waren bei dieser Variante jedoch nicht nur wie bei den anderen Beispielen mit einer Mauer kombiniert worden. Vordergründig wurden die Altäre mit Hilfe dieser Architektur über die Menschen erhoben und somit verstärkt in die Nähe der Götter gestellt. Gleichzeitig spiegeln die Tempel mit Vorterrasse aber auch das Bild eines ausgesprochen eigenwillig gestalteten, architektonisch ausdifferenzierten „heiligen Bezirks“ wider. Denn mit Hilfe dieser Architektur, bei welcher mittels einer Terrasse der Tempel mit Temenos-Begrenzung und Altar architektonisch direkt verbunden wurde, erscheint der Gesamtkomplex frontal stark verlängert, deutlich größer dimensioniert und als eine in sich rechtwinklig geschlossene Struktur. Diese Feststellung zur Gestalt, die funktionale Eigenheit, die überregionale Verbreitung und das mehrfache Vorkommen solcher Anlagen im gesamten etruskischen Kernland führen insofern zu dem Schluß, diese Konstruktion nicht alleine als eine autonome Variante des Podiums zu begreifen, sondern vielmehr als einen eigenständigen Typus etruskischer temene zu definieren.

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Brown 1960, 81-84; Steingräber 1982, 111. Auffällig ist dabei insbesondere die Ausrichtung des u-förmigen Altars, der ursprünglich von der Orientierung des Tempels abwich und erst im Verlauf eines Umbaus im 1. Jh. v. Chr. an den Tempel angeglichen wurde. Grund für die ehemals andersartige Orientierung dürfte das Raster von Cosa Quadrata und des dort platzierten Altars gewesen sein, vgl. Brown 1960, 12-14. 83. 8 Romanelli 1948, 239. 243-247; Andrén 1959-1960, 31. 9 Zum Befund ausführlich Romanelli 1948, 238-263 sowie Bonghi Jovino 1997, 69-92. Eine Zusammenfassung mit der aktuell gültigen Rekonstruktion findet sich auch bei Colonna 1985, 70-73 (G. Colonna). 10 Bonghi Jovino 2001, 45-49. 11 Vacano 1969, 675-694; Vacano 1982, 27; Vacano 1985, 86 f. 12 Vacano 1982, 28 f. 13 Vacano deutete diese Terrasse auch als Versammlungsplatz: Vacano 1969, 689. 14 Während Vacano (Vacano 1969, 691 f.) ursprünglich noch davon ausgegangen war, dass die in mehreren Reihen aufeinander geschichteten Quader Teil eines Pflasters gewesen waren, ließ ihn gerade die saubere Bearbeitung der Blöcke in allen Niveau-Schichten an dieser Vermutung zweifeln, so dass er die Steinstruktur zuerst als heiligen Bereich (area sacra) bezeichnete und zuletzt auch eindeutig als Altar (ara) interpretierte: Vacano 1982, 26; Vacano 1985, 81. 87. 15 Die Schwierigkeit einer Rekonstruktion der Treppe betont bereits: Vacano 1969, 693. Er schlägt insgesamt elf Stufen mit einer jeweiligen Höhe von ungefähr einem Fuß vor. 16 Cristofani 1976,170; Colonna 1985, 164-167 (P. Zamarchi Grassi – P. Bocci Pacini); Edlund 1987, 78. Im Gegensatz zum Tempel war speziell der Altar und dessen Profilierung im Vergleich mit anderen etruskischen Altären Gegenstand von größeren Untersuchungen: Steingräber 1982, 108 f. 17 Colonna 1985, 165 (P. Zamarchi Grassi – P. Bocci Pacini). 18 Boitani u. a. 1973, 48; Colonna 1985, 165 (P. Zamarchi Grassi – P. Bocci Pacini). 19 Ausführlich widmet sich dieser Fragestellung Edlund, die auch die wesentlichen Unterscheidungskriterien für diese beiden Begriffe thematisiert: Edlund 1987, 37 f. 20 Acconcia 2000, 30 f. 125. 143-149. Ferner gibt es auch Hinweise auf einen steinernen Brunnenschacht. 21 Colonna 1996, 15-17. Besonders der Nachweis eines architektonisch gestalteten Zuganges zum Heiligtum, der sich im übrigen auf der Rückseite des Komplexes befindet, macht die einstmals vollständige Umfassung der Anlage durch Mauern und die damit verbundene regulierte Zugänglichkeit wahrscheinlich: Colonna u. a. 1970, 626-640 (G. Colonna). 22 Der städtische Tempel von Marzabotto, der nachweislich Tin(i)a geweiht war, gilt mittlerweile als Haupttempel der antiken Stadt: Sassatelli – Govi 2005, 13-26; Bentz – Reusser 2008, 54-56. 23 Zur Gruppe dieser Sakralbauten, die von Colonna als Schreine benannt wurden, vgl. zuletzt: Colonna 2006, 146-152. 24 Das Heiligtum von Poggio Casetta bestand aus einem 8 m tiefen und 6, 60 m breiten zentralen Schrein, der von einer u-förmigen Temenosmauer (13, 40 m x 17, 20 m) umgeben war. Obwohl die Kultstätte in das 3. Jh. v. Chr. datiert werden kann, belegen Funde eine kultische Nutzung des Gebietes bereits im 6./5. Jh. v. Chr.: Bloch 1950, 74-89. Das sogenannte Gebäude β in Tarquinia besitzt einen formal weitestgehend identischen Grundriss. Auch hier befindet sich ein zentraler Schrein (7. Jh. v. Chr.: 6, 50 m x 11, 00 m; 6. Jh. v. Chr.: 8, 50 m x 11, 00 m) mit einem in den Bau integrierten Opferaltar innerhalb eines mit u-förmigen Mauern umschlossenen Bezirks: Bonghi Jovino 1999, 93 f. 25 Während beim Tempel von Poggio Casetta ein runder Altarstein (Colonna 2006, 134) im Pronaos erhalten geblieben ist, besaß das Gebäude β aus Tarquinia einen mächtigen steinernen Opfertisch im hinteren Bereich. Besonders die erhaltene Rinne aus dem Gebäude heraus und in eine rückwärtige Sickergrube hinein belegt noch heute die ehemals hier vollzogenen blutigen Opfer: Bonghi Jovino 2001a, 25 f. 36 Abb. 35-36. 26 Colonna 1985, 81-83 (S. Stopponi). Deutlich erhalten ist die Südwand dieser Umfassung. Jedoch bietet der partielle Fund eines weiteren Steinblockes im Norden einen Hinweis darauf, dass die Mauer einst beidseitig des Tempelvorplatzes angelegt worden war. Vgl. Colonna 2006, 160. 27 Dementsprechend wurde die Temenos-Mauer von Orvieto, wenn auch in etwas idealisierter Form, beidseitig des Tempelvorplatzes rekonstruiert. Vgl. Boëthius – Ward Perkins 1970, 31 f. Abb. 12. 28 Colonna 2006, 160. 29 Dabei wurde diese neue Mauer (2, 80-2, 93 m hoch) bis auf das Niveau der eigentlichen Tempelterrasse konstruiert, was speziell

Anmerkungen 1 2 3

4

5 6

Vitr. Arch. 4. 6. 6: „Nunmehr werde ich über die Anordnungen beim tuskanischen Tempel, wie sie getroffen werden müssen, sprechen“. Eine eingehende Analyse und Auswertung der vitruvianischen Angaben bietet: Knell 1983, 91-101. Auch über die Richtungsbezogenheit antiker Tempel äußert sich Vitruv in einem kleinen Abschnitt seines Werkes umfassend, diskutiert in diesem Zusammenhang die Lage der Bauten und ihre Bedeutung für die Menschen: Vitr. Arch. 4. 5. Ausführlich dargestellt findet sich der Komplex im Grabungsbericht von Brown 1960, 49-110. 127-141. Zusammenfassende Beschreibungen und Einordnung der Anlage innerhalb der etruskischen Tempeltypen bieten Brown 1980, 51-56; Nielsen – Poulsen 1992, 130 Nr. 38. Brown 1960, 52. Die Konstruktion wird dementsprechend auch von Brown durchgängig als „Forecourt“ bezeichnet: Brown 1960, 75-80. 127-134.

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Neue Forschungen zu den Etruskern

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Bonghi Jovino 2001 M. Bonghi Jovino, Il santuario dell´Ara della Regina. Acquisizioni e problemi, in: A. M. Moretti Sgubini (Hrsg.), Tarquinia Etrusca. Una nuova storia. Ausstellungskatalog Tarquinia (Rom 2001) 45-49.

dem Vorplatz einen abgeschlossenen und kompakten Charakter verliehen haben dürfte: Brown 1960, 130 f. Zur Datierung Brown 1960, 137 f. Während die erhaltenen Bauglieder im Bereich des Altars von Tarquinia eine ehemals deutlich höhere Umgrenzung dieses Bereiches des Podiums – möglicherweise bis auf das Niveau des ehemaligen Tempels – annehmen lassen (vgl. Colonna 1985, 72 f. [G. Colonna]), zeigt auch die unsaubere Oberfläche der Terrassenmauern von Pieve in Socana, dass diese einst höher als heute sichtbar gestaltet war. Allerdings ist auch im Falle der Ara della Regina nicht gesichert, wie hoch der Altar einst war oder ob auf diesem älteren Unterbau einst ein weiterer kleinerer Altar gestanden hat. Brown 1960, 75; Vacano 1985, 87.

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Gabriel Zuchtriegel

Bankette in Nekropolen, Häusern und Heiligtümern Latiums vom 8.-5. Jh. v. Chr.: Daten aus dem Santuario Orientale von Gabii Summary

The emergence of banquets in early Latin sanctuaries of the Orientalizing period has often been ascribed to Greek influence. Some scholars have regarded the ideology of banqueting merely as something “transmitted” from the Eastern Mediterranean. In Latium, however, banquets existed already before the Orientalizing period, as finds from tombs and settlements prove. In studying the developement of Latin cult places, we should bear in mind the indigenous banquet tradition. The pottery from the “East Sanctuary” at Gabii is indicative of the close relationship between banquets within funeral, domestic and sacral contexts. This paper wants to argue that the formation of Latin cult places included the adaptation of pre-existing banqueting customs to the service of the gods. There is a rather gradual “orientalization” of traditional banqueting customs, starting from the 8th century BC and reaching its peak in the second half of the 7th century, but there is no point where one could draw the line between Early Iron Age and Orientalizing banqueting. As to the rites, influence from the Eastern Mediterranean seems to have consisted primarily in holding banquets not only in domestic and funeral contexts, but also in the emerging “village based sanctuaries.”

hen Bankettgeschirr-Weihungen (und vermutlich auch die entsprechenden Bankette) in Heiligtümern der Orientalisierenden Zeit in eine weiter zurückreichende, gewachsene Tradition von Banketten in Grab- und Wohnkontexten stellen lassen. Die Praxis des Banketts scheint gewissermaßen von diesen Kontexten auf die Heiligtümer „übertragen“ worden zu sein. Griechische und phönizische Einflüsse können dabei eine Rolle gespielt haben, doch soll einer Sichtweise entgegengetreten werden, die die Ideologie des Banketts primär oder ausschließlich als „Übertragung“ aus dem Orient auffasst3. Die hier vertretene These findet m. E. auch eine gewisse Bestätigung ex post darin, dass sich die Bankette in Heiligtümern bis ins 6. Jh. v. Chr. in enger Wechselwirkung mit Banketten im Grab- und Wohnkontext weiterentwickeln. Die Verwendung von Bankettgeschirr in nennenswerter Menge innerhalb von Sakralbezirken scheint in Latium ab dem Beginn der Orientalisierenden Zeit aufzukommen: Die Akropolis von Satricum, das Depot von Tivoli-Acquoria, das Depot von Santa Maria della Vittoria in Rom und das Santuario Orientale von Gabii sind dafür Beispiele4. Die wenigen uns bekannten Kultplätze der Spätbronzezeit und Frühen Eisenzeit zeichnen sich dagegen vor allem durch Miniaturweihungen oder Metallhorte aus5. Die Spuren einer früheisenzeitlichen latinischen Tradition des Banketts finden sich in anderen Kontexten, vor allem in den Nekropolen: In der überwiegenden Mehrzahl der dokumentierten früheisenzeitlichen Gräber wurden (neben anderen Dingen wie Trachtbestandteilen) Sets aus Krügen und Tassen deponiert, die die Partizipation der/des Toten an einem realen oder imaginären Bankett zum Ausdruck brachten6. Neben den Grabinventaren deuten auch ikonographische Analysen darauf hin, dass zumindest in Etrurien Trinkrituale im Umfeld von Begräbnissen auf konzeptionelle Wurzeln der Villanovazeit zurückgehen7. Der Gebrauch von Wein bei diesen Ritualen geht mindestens bis in das 9. Jh. v. Chr. zurück8. Über den Gebrauch

Zur Herausbildung der antiken Religion Latiums und Roms ist die communis opinio, dass zu einem prähistorischen Kern latinischer Praktiken und Vorstellungen ab dem 8. Jh. v. Chr. – in einer Zeit des ökonomischen und sozialen Umbruchs, des expandierenden Handels und wachsender Bevölkerungszahlen – neue, hauptsächlich der griechischen und etruskischen Kultur entstammende Verfahren, Gottheiten und Vorstellungen hinzukommen1. Das Folgende ist ein Versuch, das Zusammenwirken der einzelnen Faktoren dieses Prozesses für die Praxis des Banketts und seiner Adaption in gemeinschaftlichen „öffentlichen“ Heiligtümern („sacra publica“) näher zu bestimmen. Die These, die am Beispiel des Santuario Orientale in Gabii2 entwickelt werden soll, ist, dass sich die frü-

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Neue Forschungen zu den Etruskern

eines Myrrhe-Getränks („murrata potio“) erfahren wir im Zusammenhang mit den Zwölf Tafeln aus dem Lexikon des Festus9:

und dem „vaso tronco conico“ (Abb. 1 Nr. 7-8) sind Formen vorhanden, die an früheisenzeitliche Wohnkontexte erinnern mögen, allerdings in Gräbern genauso vorkommen können18.

„Dass die Menschen der alten Zeit einen mit Myrrhe versetzten Trank verwandten, dafür dient als Beweis, dass noch heute die Aedilen ihn bei Opferfeierlichkeiten den Göttern an das Pfühl reichen und dass durch die Zwölf Tafeln verboten wird, ihn einem Toten in den Mund zu gießen, wie Varro in Buch I seiner ‚Antiquitates’ sagt.“

Myrrhe dürfte allerdings kaum vor der Orientalisierenden Zeit in nennenswerten Mengen nach Italien gelangt sein. Es gibt auch Indizien für den Gebrauch von Milch bei früheisenzeitlichen Opferritualen10. Ob Milch oder milchhaltige Getränke auch bei frühen Banketten getrunken wurden, lässt sich aber nicht sagen. Die „Orientalisierung“ des Banketts, die seit dem späten 8. Jh. v. Chr. zu beobachten ist und bis um 580/70 v. Chr. bestimmend bleibt, vollzieht sich in den Grabinventaren nicht als Einschnitt, sondern in fließenden Übergängen und als Fortentwicklung jener älteren Traditionen. Im 8. Jh. v. Chr., parallel zu einer Ausdifferenzierung sozialer Hierarchien, treten zunächst vereinzelte östliche Importe und orientalisierende Gefäßformen auf, die dann immer häufiger werden bis zu den „tombe principesche“ des Orientalizzante Pieno (ca. 680–630 v. Chr.) und den an griechische Symposien gemahnenden Grabausstattungen des Orientalizzante Recente (630–580 v. Chr.)11. Dass zumindest im archaischen Rom eine Trinkzeremonie auch tatsächlich direkt am Grab stattfand, zeigt ein Passus aus den Zwölf-Tafel-Gesetzen: Er verbietet im Rahmen der im 6. und 5. Jh. v. Chr. angestrebten Beschränkung des Grabluxus die so genannte „circumpotatio“, was wörtlich „Drumherum-Trinken“ bedeutet, ähnlich wie das griechische „perideipnon“, das „Drumherum-Mahl“ (um das Grab)12. Die Bedeutung des Trinkens beim Begräbnis korrespondierte vermutlich mit Trinkgebräuchen innerhalb der Häuser. Entsprechendes Geschirr konnte z. B. in einer früheisenzeitlichen Hütte in Fidene nachgewiesen werden13. Aus archaischer Zeit gibt es Funde von Bankettservices aus Wohnkomplexen, wie z. B. in einem offenbar besonders repräsentativen Gebäude in Ficana14. Die „Paläste“ von Murlo und Acquarossa und die Überlieferung zur römischen „domus regia“ illustrieren die Bedeutung von Banketten in den Häusern der etruskischen und latinischen Führungsschicht, wie sie wohl mindestes seit dem 8. Jh. v. Chr. bestand15. Vor diesem Hintergrund ist also die Frage zu stellen, wie Bankette Teil des Heiligtums-Ritus wurden. Die Befunde aus dem Santuario Orientale von Gabii zeigen klar, wie eng die Verbindungen mit der funerären und häuslichen Bankett-Tradition Latiums waren. Wenn man die ältesten Funde aus dem archaischen Votivdepot 1, das direkt südlich des Tempels entdeckt wurde16, versuchsweise als zusammengehörendes Ensemble sehen will (Abb. 1), dann erhält man ein Set, wie es auch in zeitgleichen Gräbern des Orientalizzante Antico (ca. 730–680 v. Chr.) vorkommen kann (Abb. 4). Dabei sind allerdings Miniaturgefäße wie die hier vorhandene Miniaturtasse Nr. 1, die sich noch an Formen der Frühen Eisenzeit anlehnt, in Gräbern eher eine Besonderheit17. Mit den groben, handaufgebauten Bechern

Abb. 1: Funde des Orientalizzante Antico aus „Votivdepot 1“ im Santuario Orientale (Zeichnung G. Zuchtriegel).

Die weiteren Funde der Zeit bis um 630 v. Chr. aus dem Votivdepot umfassen eine zweite Gruppe von Gefäßen, die sich um das zweite Viertel des 7. Jhs. v. Chr. konzentriert: Eine Kanne, sechs Tassen; daneben sind als neue Formen drei Kelche und zwei Teller präsent (Abb. 2). Wieder erhält man den Eindruck eines Services, das in der Vermehrung der Trinkgefäße und im Hinzukommen von Tellern und Kelchen der Entwicklung in den zeitgleichen Gräbern des Orientalizzante Pieno entspricht (Abb. 5). Was allerdings in Votivdepot 1 fehlt, aber anderswo im Heiligtum nachgewiesen werden konnte, sind die für diese Phase typischen Ollen aus Impasto rosso (Abb. 3).

Abb. 2: Funde des Orientalizzante Pieno aus „Votivdepot 1“ im Santuario Orientale (Zeichnung G. Zuchtriegel).

Es sind demnach im Grunde dieselben zeremoniellen Repräsentationen des Banketts, die in Nekropolen und Heiligtümern vorkommen, nur dass sie in ersteren um den Toten und seine „gens“ konzentriert sind, in letzteren dagegen um die Götter der sich formierenden Städte. Im letzten Drittel des 7. Jhs. v. Chr. lässt sich eine deutliche, fast sprunghafte Zunahme der Keramik in Votivdepot 1 beobachten, wo nun erstmals und gleich auch in großer Menge regionale Imitationen griechischer Vasen aus Ceramica de-

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G. Zuchtriegel, Bankette in Nekropolen, Häusern und Heiligtümern Latiums vom 8.-5. Jh. v. Chr.

purata auftauchen, hauptsächlich Kylikes, Oinochoen und Salbgefäße. Während in der Zeit zuvor offenbar nur zu bestimmten Momenten Bankettkeramik konsekriert wurde, wird ab etwa 630 v. Chr. die Weihung von Bankettgeschirr zu einem prävalenten Element des Kultes – zumindest aus archäologischer Sicht. Zur gleichen Zeit, etwa ab der zweiten Hälfte des 7. Jhs. v. Chr., lässt sich in Latium ein Rückgang des Reichtums in den Grabausstattungen feststellen19. Es scheint also eine Art „Gewichtsverlagerung“ der Ressourcen auf den Heiligtumskontext zu geben.

des Banketts sich in beiden Bereichen zeitlich nicht allzu weit voneinander entfernt vollzieht.

Abb. 4: Keramikfunde aus Grab 534 (Periode IVA1), Nekropole von Osteria dell’Osa bei Gabii (nach: A. M. Bietti Sestieri, La necropoli laziale di Osteria dell’Osa [Rom 1992] Abb. 3c30 und 3c31).

Wenn wir der Interpretation der Quellen durch Annapaola Zaccaria Ruggiu folgen, spielen in den latinischen Wohnhäusern der Oberschicht luxuriöse Bankette noch bis zum Ende des 6. Jhs. v. Chr. eine zentrale Rolle21. Auf das „Privatleben“ der Oberschicht spielen ihrer Meinung nach auch die Friesplatten des Typs Velletri-Rom-Veji an, die neben Gelagen Hochzeitszüge und Reiter zeigen22.

Abb. 3: „Ollae“ aus Impasto rosso aus verschiedenen Schichten im Santuario Orientale (Zeichnung G. Zuchtriegel).

Um 580/570 enden in Latium anders als in Etrurien die Grabbeigaben, die zuvor regelmäßig Bankettservices einschlossen, praktisch komplett. Dieser Befund lässt sich vor dem Hintergrund der Zwölf Tafeln und ähnlicher Entwicklungen in Griechenland, z. B. den Grabluxusgesetzen Solons, als Teil einer Anti-Luxus-Politik interpretieren20. Im Santuario Orientale können wir auf der Grundlage statistischer Analysen einen deutlichen, fast totalen Rückgang der Bankettweihungen herkömmlicher oder „aristokratischer“ Art um die Mitte des 6. Jhs. v. Chr. konstatieren, als Kelche, Kylikes, Kantharoi, Kotylen, Oinochoen, Olpen u.ä. weitgehend aus dem Spektrum verschwinden. Übrig bleiben vor allem henkellose Schalen einfachster Form sowie kleine Krüge und Kännchen. Bankettgefäße traditioneller Prägung kommen jetzt im Votivdepot fast gar nicht mehr, im Heiligtum insgesamt nur noch vereinzelt vor. Wie Funde von Kochgeschirr in einer um 500 v. Chr. datierenden Schicht beweisen, bedeutete das aber nicht das Ende jeder Form von Kommensalität innerhalb des Heiligtums. Nur die aufwendige, „aristokratische“ und an griechischen Gelagen orientierte Ausstattung der Mähler veränderte sich hin zu einfacheren Formen.

Abb. 5: Grabinventar aus Lavinium, „Heroon des Äneas“ (nach: Civiltà del Lazio primitivo 1976, Taf. 80).

Was genau in anderen latinischen Heiligtümern in dieser Zeit passiert, ist wegen der Publikationslage nicht einfach zu sagen. Der Befund im Santuario Orientale zeigt jedenfalls, dass die Wechselwirkungen zwischen Grabund Heiligtumsbanketten soweit gehen, dass auch das Verschwinden einer bestimmten, „aristokratischen“ Form

Die Grenzen zwischen den verschiedenen Bereichen, in denen sich Bankette und Deponierungen von Bankettgeschirr manifestierten, waren wahrscheinlich generell weniger hermetisch, als es vielleicht aus der Perspektive einer archäologischen Forschung, die ihre Gegenstände in Siedlungs-, 85

Neue Forschungen zu den Etruskern

Heiligtums- und Grabbefunde zu unterteilen pflegt, scheinen könnte. Im frühen Latium könnte man, ähnlich wie auch in anderen eisenzeitlich-archaischen Gesellschaften, von so etwas wie einer „gemeinsamen Matrix“ (Massimo Osanna) sprechen, auf deren Bedeutungsverknüpfungen die spezifischen zeremoniellen Protokolle rekurrierten – gleich ob sie sich in Heiligtümern, Nekropolen oder Wohnhäusern abspielten23. Sichtbar wird das auf verschiedenen Ebenen: Auf der Ebene der religiösen Praxis ist vor allem das „Schenken“ (dare, dedicare, donare) von Bankettgeschirr, Waffen, Schmuck etc. hervorzuheben, das sowohl in der Kommunikation mit den Göttern als auch im Totenritus ein zentrales Element war – mit oft sehr ähnlichen praktischen Ausprägungen, wie die vorangegangenen Beobachtungen zeigen sollten. In besonders prägnanter Weise illustrieren zwei Befunde aus Lavinium bzw. Veji noch im 6. Jh. v. Chr. die „gemeinsame Matrix“ von Toten- und Götterkult: In einem Anfang der 90er Jahre in Lavinium entdeckten, besonders reich ausgestatteten Grab aus dem 2. Viertel des 6. Jhs. v. Chr. (einem der wenigen dieser Zeit in Latium, das überhaupt über Grabbeigaben verfügte) wurde neben einer tyrrhenischen Amphora und anderen Gefäßen eine große Bucchero-Amphora gefunden, die das etruskische Graffito trug: „mini m[ulu]vanice mamar.ce : a.puniie“ – „mich hat Mamarce Apunie gegeben“. Diese Inschrift ist in Text, Schreibweise und Typographie völlig identisch mit einem Graffito auf einer Olla aus Veji-Protonaccio, dort allerdings zusätzlich mit Nennung der Gottheit „Venala“. Mamarce Apunie hat also einmal einer Gottheit, einmal einem (sozial hochstehenden) Toten ein Bankettgefäß geweiht, beide Male mit identischer Dedikationsformel24. Die „Trennungslinien25“ zwischen Göttern und Toten waren auch auf theologischer Ebene nicht immer sehr scharf gezogen. Zwischen Jupiter Latiaris und dem verstorbenen Latinus26, zwischen Äneas und dem „Jupiter Indiges“ von Lavinium27, zwischen Juno und den „Junones“ der Ahninnen28 zu unterscheiden, führt oft in Widersprüche, bei deren Auflösung schon die antiken Historiker Schwierigkeiten hatten29. Auf terminologischer Ebene ist wieder auf die Zwölf-Tafel-Gesetze zu verweisen, die ganz allgemein von „sacra“ sprechen, wozu sowohl „öffentliche“ Heiligtümer („sacra publica“) als auch „private“ Kulte („sacra privata“) – möglicherweise sind hier auch Gräber gemeint – zählen30. Die „Manen“ (Totengeister) bezeichnen die Zwölf Tafeln als Götter („dii“) und fordern, dass die toten Menschen von den Hinterbliebenen „wie Götter“ verehrt werden sollen („divi“)31. Das schließlich eintretende Verschwinden des „aristokratischen“ Bankettluxus, das sich gleichermaßen im Santuario Orientale wie in den Nekropolen Latiums beobachten lässt, hatte vermutlich nicht nur mit ökonomischen Faktoren, sondern auch mit einer Veränderung der Selbstdarstellung der Eliten zu tun: Vielleicht deutet sich schon hier etwas von der Ideologie der „Bescheidenheit“ und „Strenge“ an, die später als typisch römisch gelten sollte32. Der beschriebene Diskurs um die Verbindungen und Abgrenzungen zwischen den um Familien und „gentes“ konzentrierten „sacra privata“ und den zum allgemeinen Wohl instituierten „sacra publica“ besaß offenbar aus

Sicht der latinischen Gesellschaften einen kontroversen, politischen Charakter; das zeigen nicht zuletzt die Zwölf Tafeln. Es ging darum, wie ausgiebig und in welchen Zusammenhängen und Situationen diejenigen, die über ausreichende Mittel verfügten, als Fest- oder Bestattungs gemeinschaften, „gentes“, „sodalitates“, Dedikanten usw. auftreten sollten oder durften33.

Anmerkungen 1

So schon Varro, Fragm. 38 Cardanus: „Nondum tamen aut simulacris aut templis res divina apup Romanos constabat (sc. regnante Numa). Frugi religio et pauperes ritus et nulla Capitolia (...) sed temporaria de caespite altaria et vasa adhuc Samia (...) nondum enim tunc ingenia Graecorum atque Tuscorum fingendis simulacris urbem inundaverant.“ („Noch [zu Numas Zeit] beruhte die Gottesverehrung bei den Römern nicht auf Tempeln und Götterbildern. Kärgliche Religion, ärmliche Riten und kein Kapitol, sondern nur Altäre aus Rasenstücken und Samische Vasen [...]. Denn noch hatten die griechischen und etruskischen Künstler Rom nicht überschwemmt, um Götterbilder zu verfertigen“). 2 Die Bearbeitung der früheisenzeitlichen und archaischen Funde aus dem Heiligtum ist Gegenstand eines Dissertationsprojektes, für dessen Unterstützung ich Stefano Musco, Massimo Osanna und Martin Bentz meinen Dank aussprechen möchte. 3����������������������������������������������������������������������� So z. B: Rathje 1991, 1165: „L’approccio antropologico mi ha portato a concludere che l’ideologia del banchetto è stata trasmessa dell’Oriente in Occidente ...”. 4 Vgl. als Überblick: Civiltà del Lazio primitivo 1976; Cristofani 1990; Bouma 1996, Bd. III; Carandini – Capelli 2000; Torelli, im Druck. 5 Vgl. Maaskant Kleibrink 2004; Lehoëreff 2007. 6 Zu den Grabinventaren: Civiltà del Lazio primitivo 1976; Bietti Sestieri 1992 mit weiterer Literatur. 7 Tuck 1994. 8 Bonghi Jovino 1997, 147; Delpino 1997. 9 s. v. „murrata potione“ (Lindsay 150. 152); Übersetzung Flach 2004, 151. Myrrhegetränk als Weinersatz für Frauen bei Gell. X 23. 10 Bouma 1996, Bd. III, 55 f. 11 Vgl. Torelli 1989; Bietti Sestieri 2000; Fulminante 2003. 12 Cic. leg. 2, 60; vgl. auch: Flach 2004, 151. Zum „perideipnon“ vgl. Burkert 1984, 193. 13 Bietti Sestieri 2000, 86-90. 14 Zaccaria Ruggiu 2003, 254-249. 15 Torelli 1989; Rathje 1994; Strandberg Olofsson 1996. – Die Lokalisierung der domus regia ist umstritten: Filippi 2004, mit älterer Literatur. 16 Zur Topographie des Heiligtums siehe den Beitrag zu Gabii in: Torelli, im Druck. 17 Vgl. Grab 99 (Periode IIIB, mit ähnlicher Miniaturvase) und Grab 194 in Osteria dell’Osa (Periode IVA1): Bietti Sestieri 1992, 820 f. Abb. 3c. 5-6 bzw. 847 f. Abb. 3c61. 18 Vgl. Grab B13 in der Nekropole von Quattro Fontanili bei Veji: Bedello 1975, Abb. 55. 19 Vgl. Fulminante 2003, XI f. und passim, mit älterer Literatur. 20 Colonna 1977; Colonna 1981. 21 Zaccaria Ruggiu 2003, passim, bes. 361-371. 22 Zaccaria Ruggiu 2003, 315-327. 23 Osanna 2001, 62 spricht für Daunien von einer „comune matrice funeraria del culto”. 24 Cristofani 1991, 112; Guaitoli 1995, 558. Vgl. auch Torelli 1981, 164 f. 25 Morris 1987, 189 f. 26 Schneider 2006, mit älterer Literatur. 27 Livius I, 2, 6; siehe hierzu auch Torelli, im Druck, zu „Inuus“ und „Indiges“. 28 Otto 1905. 29 Zum Beispiel sagt Livius über den toten Äneas (I, 2, 6): „Situs est, quemcumque eum dici ius fasque est super Numidicum flumen: Iovem Indigetem appellant.“ 30 Flach 2004, 47 f. 146. 31 Flach 2004, 146.

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G. Zuchtriegel, Bankette in Nekropolen, Häusern und Heiligtümern Latiums vom 8.-5. Jh. v. Chr.

centrale protostorica, in: G. Bartoloni (Hrsg.), Le necropoli arcaiche di Veio. Giornate di studio in onore di M. Pallottino (Rom 1997) 185-194.

32 Torelli 1997, 8 f.; Zaccaria Ruggiu 2003, 310. 33 Flach 2004, 47 f. (Subventionierung der „sacra publica“); Vorschriften zur Limitierung des Totenkultes finden sich in der zehnten Tafel.

Filippi 2004 D. Filippi, La domus Regia, Workshop di Archeologia Classica 1, 2004, 101-121.

Literatur Bedello 1975 M. Bedello, Veio, NSc 1975, 147-151.

Flach 2004 Das Zwölftafelgesetz. Herausgegeben, übersetzt und kommentiert von D. Flach in Zusammenarbeit mit A. Flach (Darmstadt 2004).

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Fulminante 2003 F. Fulminante, Le sepolture principesche nel Latium Vetus (Rom 2003).

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Neue Forschungen zu den Etruskern

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Ulrike Haase

Die matronalen Sitzstatuen vom sog. Fondo Patturelli – Zum Phänomen der Akkulturation in italischen Kulturen am Beispiel eines kampanischen Heiligtums Summary

The subject of this PhD project is a review of the statues of the seated Matrons from the site of Fondo Patturelli near Capua, where, in Antiquity, there was a sanctuary of an Italic goddess of birth and fertility. These 118 only roughly worked figurines follow the same stylistic concept: they absorbe motifs, iconographical models and styles from the Greek repertoire, and combine them with indigenous artistic tradition. Even though the transition from „Greek“ to „Italic“ style does not follow a strictly defined timeline or intensity, the pattern of the votive practice continued for over five centuries. The sanctuary, with cult evidence from over six centuries (6th c. - 1st c. B.C.), was located in an area subject to influences from the Etruscans, Samnites, Greeks and Romans. The contact with these societies necessarily ��������������������������� instigated cultural transfer processes which were intensified after the construction of the Via Appia in Roman times, which passed directly north of the sanctuary. Besides iconography-typology, chronology and interpretation, these sculptures will be approached as material evidence for acculturation processes. In the light of the entire excavated material from the site (roof and votive terracottas, Oscan inscriptions, architectural details from the altar podium and fragments of smaller altars) and the historico-political developement of ancient Capua, questions arise about the amount of external thinking models, types, forms and schemes, absorbed and respectively modiefied and adapted to local needs, and about what conclusions could be drawn about the cultural identity of the locals.

andere kampanische Orte stets in deren Schatten – ein Tatbestand, der nicht zuletzt den unwissenschaftlichen, zum Teil desaströsen Grabungen des 19. Jhs. geschuldet ist, durch die zahlreichen Befunde unwiederbringlich verloren gingen. So ist es keine Seltenheit, dass einem nur unzureichend dokumentierten Grabungsbefund eine gewaltige Materialfülle gegenübersteht. In eben dieses Bild fügt sich auch und in besonderem Maße der interessante Befund des Heiligtums vom sogenannten Fondo Patturelli ein. 1845 war der Grundstückseigner Carlo Patturelli auf seinem Besitz nur wenige Meter östlich des antiken Capua, heute Santa Maria Capua Vetere, zufällig auf die Reste eines antiken Geburts- und Fruchtbarkeitsheiligtums gestoßen (Abb. 1)1. Erdarbeiten hatten eine größere Ansammlung von Tuffsteinblöcken ans Licht gebracht, die sich schließlich als massives Podium mit monumentaler Freitreppe und kleinem Altar herausstellten (Abb. 2)2. Aus Angst vor Repressalien der Regierung ließ Patturelli seine Entdeckung jedoch nur wenige Tage später unfachmännisch zuschütten, nachdem er wenige Skizzen davon aufgenommen hatte. Einige Jahrzehnte später ließ eine zweite, ebenfalls im privaten Rahmen durchgeführte Freilegung des Areals die Zahl der Funde weiter anwachsen3. Das Material, das in unmittelbarem Umkreis des bei seiner Auffindung zum Teil noch intakten Podiums zutage kam, zerstreute sich durch Kunsthandel und Ankäufe in die Museen nach Capua, Santa Maria Capua Vetere, Rom, Neapel, Berlin, Kopenhagen, London und Paris4. Es umfasst: - Matronale Sitzstatuen aus Tuff - Dachterrakotten - Votivterrakotten - Oskische Inschriften (sog. Iovile) - Podiumsblöcke und dazugehörige Bauornamentik - Diverse Fragmente kleinerer Altäre

Das antike Kampanien bildet spätestens seit der wissenschaftlichen Erforschung Pompejis und Herkulaneums einen wichtigen Untersuchungsgegenstand der Klassischen Archäologie. Während man sich anfänglich jedoch im Wesentlichen auf die Vesuvregion konzentrierte, standen 89

Neue Forschungen zu den Etruskern

Abb. 1: Topographischer Plan von Santa Maria Capua Vetere und Umgebung (aus: Beloch 1890, Taf. 12).

Die Idee zu einer Auseinandersetzung mit dem Befund auf dem sogenannten Fondo Patturelli resultiert aus den Ergebnissen meiner Magisterarbeit, die durch die Berliner Antikensammlung ermöglicht wurde und sich mit den höchst interessanten, da singulären matronalen Sitzstatuen auseinandersetzt5. Die Gruppe dieser aus dem örtlich anstehenden Tuff gefertigten Skulpturen umfasst insgesamt 118 Exemplare. Ziel der Arbeit war die ikonographische, typologische, chronologische sowie interpretatorische Einordnung der sieben nach Berlin gelangten Statuen.

1. Entsprechend der oben kurz skizzierten Materialsituation soll die Studie zunächst einmal die dringend notwendige systematische Aufarbeitung und Dokumentation eines interessanten Fundkomplexes leisten, der zwar durch Einzelpublikationen in Teilen erschlossen ist, jedoch nie eine zusammenfassende kontextuelle Behandlung erfahren hat. Hierfür sollen die einzelnen Materialkomplexe der relevanten Museen erstmals zusammenfassend betrachtet werden. Die Aufarbeitung der gewaltigen Materialfülle lässt sich methodisch am sinnvollsten in Katalogform bewältigen. Dabei wird insbesondere für den ausgesprochen umfangreichen Bestand der Dachund Votivterrakotten eine an typologischen Kriterien orientierte Selektion vorzunehmen sein, während die matronalen Sitzstatuen als bedeutsamste Materialgruppe im Zentrum der Studie stehen und erstmals in ihrer Gesamtheit erfasst werden sollen7. Ziel ist die ikonographisch-typologische, chronologische und interpretatorische Aufarbeitung des Skulpturenkomplexes, der nicht nur hinsichtlich seines Umfangs einen interessanten und gleichzeitig ungewöhnlichen Untersuchungsgegenstand darstellt. 2. Aufgrund der topographischen Lage des Heiligtums im Einflussgebiet von Etruskern, Griechen, Samniten und Römern können die in den capuanischen Werkstätten produzierten Objekte im Kontext transkultureller Interaktion betrachtet und entsprechende Fragestellungen formuliert werden. Von besonderer Bedeutung ist hierbei, dass für den Kultbetrieb den Funden nach eine bemerkenswerte Dauer von über fünf Jahrhunderten (6. Jh. v. Chr. – 1. Jh. v. Chr.) postuliert werden kann. Dadurch ergibt sich die Möglich-

Abb. 2: Rekonstruktion des Altarpodiums (nach: Koch 1907, Abb. 9).

Die Relevanz zur Aufarbeitung des Fundkomplexes vom Fondo Patturelli im Rahmen eines Dissertationsprojektes ergab sich aus zwei Überlegungen heraus6:

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U. Haase, Die matronalen Sitzstatuen vom sog. Fondo Patturelli

Abb. 3: Matronale Sitzstatue. Capua, Museo Campano (aus: Adriani 1939, Taf. 4 Nr. 14).

Abb. 5: Matronale Sitzstatue. Capua, Museo Campano (aus: Adriani 1939, Taf. 13 Nr. 86).

sässigen) Bevölkerung, die das Heiligtum in erster Linie frequentierte, offensichtlich ein starkes Bedürfnis bestanden hat, fremde Einflüsse aufzunehmen und zu verarbeiten. Signifikant ist nun hierbei, dass die Objekte unterschiedliche Rezeptionsstufen aufweisen. Während die Iovile-Inschriften scheinbar ausschließlich für das Heiligtum produziert worden sind, lassen sich für die einzelnen Typen der Dach- und Votivterrakotten in der Regel Parallelen sowohl im etruskischen als auch im griechischen Raum finden. Auch sind Direktimporte nicht auszuschließen. Demgegenüber stehen Typen, die in den capuanischen Werkstätten „kreiert“ und möglicherweise exportiert worden sind. Einen besonderen Stellenwert nehmen schließlich die matronalen Sitzstatuen ein, die bereits im Rahmen meiner Magisterarbeit näher untersucht worden sind. Dabei hatte sich gezeigt, dass die in der Regel nur sehr roh bearbeiteten Statuen einem ganz bestimmten Gestaltungskonzept folgen, bei dem sowohl Motive und ikonographische Vorlagen als auch Stilformen aus dem griechischen Repertoire rezipiert und mit der einheimischen Kunsttradition in eigentümlicher Weise kombiniert werden. Diese Transposition „des Griechischen“ in das „Italische“ zeigt jedoch weder zeitlich noch in ihrer Intensität einen stringenten Verlauf. Signifikante Unterschiede werden insbesondere auf der stilistischen Ebene evident (Abb. 3–5).

Abb. 4: Matronale Sitzstatue. Capua, Museo Campano (aus: Adriani 1939, Taf. 16 Nr. 109).

keit, kulturelle Entwicklungs- und Formierungsprozesse an einem konkreten Ort über einen längeren Zeitraum hinweg zu analysieren. Eine erste Untersuchung des Materials nach ikonographischen und typologischen Gesichtspunkten zeigt, dass innerhalb der lokalen (d. h. in Capua und Umgebung an-

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Neue Forschungen zu den Etruskern

Im Rahmen einer typologischen Untersuchung der Matronen hatte sich gezeigt, dass die Sitzstatuen in der Tradition italischer Kourotrophos-Darstellungen stehen, jedoch aufgrund ikonographischer Eigentümlichkeiten wie dem z. T. bis ins Extreme gesteigerten breitbeinigen Thronen und der häufig hohen Kinderzahl in gewisser Weise einen lokalen Sonderfall darstellen. Von besonderer Bedeutung ist in diesem Zusammenhang, dass die matronalen Sitzstatuen mit etwa fünf Jahrhunderten eine außergewöhnlich lange Laufzeit aufweisen, wobei der Typus der Votive eine Kontinuität zeigt, die zumindest im statuarischen Bereich einmalig sein dürfte. Ausgehend von diesen Beobachtungen soll nun das Rezeptionsverhalten einer an einem bestimmten Ort präsenten Gemeinschaft, die sowohl ethnisch als auch sozial nicht homogen ist, als Manifestation eines Akkulturationsprozesses verstanden werden. Damit kann der in der Klassischen Archäologie mit zunehmendem Interesse geführte Diskurs zum Phänomen der Akkulturation um eine weitere Fallstudie bereichert werden. Die Untersuchung des Rezeptionsverhaltens der capuanischen Bevölkerung anhand der Objekte aus dem Heiligtum vom Fondo Patturelli soll drei Ebenen umfassen:

d. h. eine lokale Kunsttradition erfasst bzw. von fremden Einflüssen extrahiert werden kann und ob sich der Rezeptionsprozess in Capua gleichzeitig auch in der Umkehr nachweisen lässt. Nicht zuletzt leistet die in diesem Promotionsvorhaben angestrebte Auseinandersetzung mit dem Heiligtum vom Fondo Patturelli einen Beitrag zum Verständnis antiker Fruchtbarkeits- und Geburtskulte, die gerade im italischen Raum eine zentrale Rolle einnehmen.

Anmerkungen 1

2 3

4 5

Formale Ebene: Beziehung Rezipient – „Geberkultur“, d. h. welche externen Kulturen haben unter welchen politisch-historischen Bedingungen und in welchem Maße auf das Heiligtum eingewirkt? Im Rahmen einer Kulturbegegnung zu berücksichtigende Faktoren sind: - die Präsenz fremder Kulturen bzw. Kulturkreise vor Ort als direkte Möglichkeit der Einflussnahme. In diesem Zusammenhang ist eine detaillierte Auseinandersetzung mit der Siedlungsgeschichte Capuas erforderlich. - Handel als Möglichkeit zur Verbreitung von Typen (Handelsrouten. Wie wird verhandelt?) - die Werkstätten. Hierbei sind Aspekte wie das Verhältnis Auftraggeber – Steinmetz, die Herkunft der/s Steinmetze/ s und die nutzbaren Materialvorkommen zu berücksichtigen.

6 7

Die spärlichen Fundberichte: Ruggiero 1888 (offizieller Bericht von 1847); Raoul-Rochette 1853, 291 f. 359 f.; Minervini 1854, 120. 159 f. 189; Riccio 1855, 10. 12 f. Taf. 1; Garrucci 1860, 65. Zum Erwerb siehe Kästner 1990, 281. Zur Rekonstruktion siehe Koch 1907, 368–378. Zu den Grabungen Orazio Pasquales siehe von Wilamowitz 1873, 145–152; Girard 1876, 112–114; Mancini 1874–1877, 217–250; von Duhn 1876, 171–192; Fernique 1877, 110–127; von Duhn 1878, 13–32; Lenormant 1880, 114–121. Genannt seien an dieser Stelle die grundlegenden Publikationen: Koch 1907; Koch 1912; Adriani 1939; Heurgon 1942; Bonghi Jovino 1965–1994; Franchi De Bellis 1981; De Caro 1988. Die Idee zur Bearbeitung der Berliner Matronen entstand im Rahmen eines Praktikums, das ich im Februar 2005 in der Berliner Antikensammlung absolviert habe. Für die uneingeschränkte Unterstützung bei der Realisierung der Arbeit sei den Mitarbeitern an dieser Stelle herzlich gedankt. Besonderen Dank schulde ich Andreas Scholl für sein außerordentliches Engagement und die Betreuung der Arbeit, ferner Ursula Kästner sowie dem Photographen Johannes Laurentius. Die Promotion erfolgt an der Universität Köln bei Dietrich Boschung und wird von der a.r.t.e.s. Forschungsschule der Universität Köln gefördert. Die Architektur des Heiligtums wird derzeit von Carlo Rescigno (Seconda Università degli Studi di Napoli) aufgearbeitet. Für die Möglichkeit zur Aufnahme der Skulpturen im Museo Campano in Capua danke ich Anna Jablonski sowie den Mitarbeitern des Museums.

Literatur Adriani 1939 A. Adriani, Sculture in tufo. Cataloghi illustrati del Museo Campano (Neapel 1939).

Inhaltliche Ebene: Welcher Art sind diese Einflüsse, d. h.: In welchem Umfang sind externe Motive, Typen, Formen, Modelle und Schemata rezipiert bzw. modifiziert, d. h. den eigenen Vorstellungen und Bedürfnissen angepasst worden? Sind griechische Einflüsse insgesamt stärker aufgenommen worden als etruskische oder samnitische? Lassen sich hier bestimmte gattungsspezifische Wertigkeiten feststellen? Hier zeigt sich die Notwendigkeit, die Objekte vom Fondo Patturelli als geschlossenen Fundkomplex zu betrachten.

Beloch 1890 K. J. Beloch, Campanien. Geschichte und Topographie des antiken Neapel und seiner Umgebung 2(Breslau 1890). Bonghi Jovino 1965-1994 M. Bonghi Jovino u. a., Capua Preromana 1–6. Catalogo del Museo Provinciale Campano (Florenz 1965–1994). Fernique 1877 E. Fernique, Note sur les récentes aquisitions du Musée de Capoue, RA 1877, 110–127.

Analytische Ebene: Welche Rezeptionsmechanismen lassen sich erschließen? Warum zeigen einige Objekte deutlich externe Einflüsse, während andere dagegen stärker der lokalen Tradition verhaftet bleiben? Welche Gedankenkonstrukte stehen dahinter? Lassen die Beobachtungen Rückschlüsse auf das kulturelle Identitätsverständnis der lokalen Bevölkerung zu? In diesem Zusammenhang wird zu klären sein, inwiefern überhaupt eine capuanische „Reinkultur“,

Franchi De Bellis 1981 A. Franchi De Bellis, Le iovile capuane (Florenz 1981). De Caro 1988 S. De Caro (Hrsg.), Matres Matutae dal Museo di Capua (Mailand 1988).

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U. Haase, Die matronalen Sitzstatuen vom sog. Fondo Patturelli

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von Duhn 1878 F. von Duhn, Osservazioni capuane, BdI 1878, 13–32.

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von Wilamowitz 1873 U. von Wilamowitz, Scavi nelle Curti vicino a S. Maria di Capua, BdI 1873, 145–152.

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Alexandra Stalinski

Götter, Priester, Hirten und Schamanen. Zur etruskisch-italischen Tracht der Infibulati Summary

From the very beginning of its discovery in 1994, „Tomb 315“ (last quarter of 5th century B.C.) of the „Gaudo Necropolis“, related to the Italic - namely Lucanian - period of Greek Poseidonia-Paestum, has been considered of particular interest due to its rather unusual parameters (marginal position within the cemetery, unique decoration of the tomb‘s cover plate, untypical grave goods). While the excavators focussed on the expressive face engraved on the cover plate, saying that its (satyr like?) features recalled dionysic salvation practices very common at that time, the author prefers concentrating on the unusual grave goods (just two pairs of coral decorated brooches) reaching, however, similar conclusions, i.e. that the dead, a male rather advanced in years, was probably an outstanding individual in his community, with somewhat religious functions. In fact, considering both material and literary sources, brooches or fibulae seem to be a leitmotif of ritual dressing in early ancient Italy, connecting Italic shepherd-shamans, like the one of „Tomb 315“, to Etruscan haruspices and archaic Roman flamines (sometimes referred to as infibulati) and also affecting the so-called „Cypriote Type“ (E. Richardson) of Etrusco-Italic Herakles, who is regarded as the bearer of secret divination knowledge by some PreRoman myth.

siedelnden Lukaner3), was jedoch angesichts des heutigen Forschungsstandes weniger als einmaliges, katastrophales Invasionsgeschehen gedeutet werden muss, sondern vielmehr als ein über mehrere Generationen währendes kulturelles, schließlich in sichtbaren politischen Veränderungen gipfelndes Phänomen – bedingt vor allem durch ein deutliches Wirtschaftsgefälle und ausgelöst durch Überbevölkerung4. Im Falle Poseidonias (wie vielleicht auch in Kyme) dürften zusätzlich militärische Gründe eine Rolle gespielt haben: so ist die auffällige Präsenz von lukanischen Kriegergruppen in den Nekropolen um die Stadt, bereits in der 2. Hälfte des 5. Jhs. v. Chr., vermutlich mit der Anwerbung von Söldnern im Kampf gegen das benachbarte Elea zu sehen. Sie stießen zu italischen Landgemeinschaften, die sich sogar noch einige Generationen früher, vermutlich schon seit dem ausgehenden 6. Jh. v. Chr., in kleineren Trabantensiedlungen nahe des griechischen Zentrums niedergelassen hatten5. Von unschätzbarem Wert für unsere Kenntnis dieser politisch-sozialen Umbruchphase in der Geschichte Poseidonias, aber auch für die folgenden mannigfachen kulturellen Beeinflussungen und Verflechtungen von Griechen und Lukanern, sind vor allem die Befunde der großen GaudoNekropole, die nördlich der Stadt an der Ausfallstraße zum Hera-Argiva-Heiligtum lag und vom ausgehenden 6. bis zum zweiten Viertel des 4. Jhs. v. Chr. in Gebrauch war. Ihre ca. 350 Ganzkörpergrablegen wurden teils direkt in den felsigen Untergrund geschlagen, hauptsächlich bestehen sie jedoch aus langrechteckigen Gruben, die – wie das „Grab des Tauchers“ – in einem zweiten Arbeitsschritt in Form eines Sarkophags oder einer winzigen Grabkammer nach allen Seiten hin mit Kalksteinplatten (Travertin) ausgekleidet und schließlich auch mit einer solchen verschlossen wurden. Unter italischem Einfluss, aber auf lokalen griechischen Traditionen fußend, sind sie ab dem Ende des 5. Jhs. v. Chr. mitunter auch verputzt und freskenverziert, allerdings nur zu etwa 10%6. Während einer der zahlreichen Grabungskampagnen entdeckte man hier im Frühjahr 1994 u. a. auch ein auf den

Poseidonia und das Grab des Schamanen

Poseidonia wurde im 7 Jh. v. Chr.1 als Unterkolonie des süditalischen achäischen Sybaris in der Nähe der Mündung des Seleflusses (Südwestkampanien) nahe des sehr viel älteren, zweifelsohne auch für die Einheimischen bedeutenden Hera-Argiva-Heiligtums gegründet. Der Aufstieg der Stadt verlief rapide, dank ihrer günstigen Verkehrslage und des fruchtbaren Umlandes (bes. Getreide)2. Analog zu anderen Städten Kampaniens (Capua, Neapolis, Kyme) fiel sie Ende des 5. Jhs. v. Chr. unter die Herrschaft kriegerischer Samnitenstämme (namentlich der im Umland 95

Neue Forschungen zu den Etruskern

ersten Blick eher bedeutungslos wirkendes und nahezu beigabenloses Grab, das in der Fachliteratur schlicht als „Tomba 315“ geführt wird, bisweilen aber auch den Spitznamen „Grab des Schamanen“ trägt. In Nord-SüdRichtung angelegt und mit den üblichen, freilich fast roh belassenen Platten aus lokalem Kalkstein verkleidet, barg es lediglich das Skelett eines Mannes in fortgeschrittenem Alter (ca. 50–60 Jahre), dessen Kopf auf einer Art Steinkissen ruhte, sowie zwei nahezu identische Eisenfibelpaare mit Korallenverzierung (Mus.Arch.Naz. Paestum, Inv. 122858-61; Abb. 1.) Sie erlauben, das Grab relativ sicher ins letzte Viertel des 5. Jhs. v. Chr. zu datieren und einer größeren Bestattungsgruppe innerhalb der Nekropole zuzuordnen, in Bezug auf die die „Tomba 315“ allerdings eine deutliche Marginalstellung einnimmt. Gänzlich entging den Ausgräbern zunächst, dass die dem Grabinnern zugewandte Seite der Deckplatte (Mus.Arch. Naz.Paestum, Inv. 134717; 2,22 m x 0,86 m) keineswegs schmucklos, sondern – wenn auch in sehr einfacher Weise – mit einer Ritzzeichnung, der Darstellung eines Kopfes, die direkt über dem des Toten lag, verziert war (Abb. 2), während der übrige Körper nur schemenhaft durch leichtes Abtragen eines länglichen Mittelstreifens angedeutet wurde7. Ein Detail, das übrigens erst beim Abtransport des Verschlussteins zufällig entdeckt wurde8.

im Flachrelief angegebenen Antlitzes – für die Forscherin ein deutlicher Hinweis auf Heils- und Mysterienlehren wie den Dionysoskult, die in der besagten Zeit im etruskischitalischen Raum nachweislich eine große Rolle spielte10.

Relikt

und

Funktion: die Fibel Trachtelement

als herausragen-

des männliches

Obschon es an typologischen Vergleichsstücken für die Gewandnadeln des Grabes 315 (Abb. 1) im samnitischen Raum des 5./4. Jhs. v. Chr. keineswegs mangelt, ist ihre Verwendung in dieser Zusammensetzung (zwei Fibelpaare, bestehend jeweils aus einem ca. 0,095 und 0,075 m langen Exemplar) in einem Männergrab völlig ungewöhnlich. Sie sind – nach Aussage der Nekropolen – im historisch kulturellen Umfeld des „Schamanen“ von Paestum ausschließliches Kennzeichen der Frauenbestattungen, während als geschlechtspezifische Beigabe in Männergräbern Messer, Waffen und bisweilen der typische samnitische Waffengürtel erscheinen. Gänzlich verwundert darüber hinaus die Abwesenheit jeglicher weiterer Grabbeigabe, wie sie – in Form von beim Gelage verwendetem Geschirr nach griechisch-attischem Vorbild – in dieser Zeit in kaum einer Grablege, ob männlich oder weiblich, fehlt11.

Abb. 1: Eisenfibelpaar aus dem Grab 315 der Gaudo-Nekropole, Paestum, Mus.Arch.Naz. (nach: G. Avagliano).

Grab 315 der Gaudo-Nekropole stellt gleich in mehrerer Hinsicht ein Unikum dar. Neben der bewussten Randlage des Grabes9 und der eigenartigen Verzierung der Deckplatte, die keineswegs unbeholfen, sondern vielmehr auf das Wesentliche beschränkt wirkt und durchaus den Eindruck individueller, ausdrucksstarker Gesichtszüge vermittelt, ist es vor allem die Beigabe eines in diesem Kulturkreis normalerweise ausschließlich weiblichen Trachtelements (s. u.), die die Bestattung jeglicher Norm entzieht und unweigerlich Fragen nach Bedeutung und Person des Grabinhabers aufkommen lässt. Bereits zum Zeitpunkt der Auffindung regte sich daher der Gedanke, es könne sich um die Ruhestätte eines herausragenden und zugleich ungewöhnlichen Individuums handeln, vielleicht eines Priesters/Schamanen, der in der Gemeinschaft offensichtlich besondere Verehrung genoss. Begründet wurde dieser Vorschlag von Marina Cipriani vor allem aufgrund der entfernt an einen Silenen erinnernden Gesichtszüge des

Abb. 2: Detail der Deckplatte des Grabes 315; Paestum, Mus. Arch.Naz. (nach: K. Otto).

Beides läßt den Schluss zu, dass man die Gewandnadeln – gemeinsam mit dem ausdrucksvollen Prosopon der Deckplatte (Abb. 2) – als tragendes Element der Charakterisierung des Toten und seiner Aufgaben innerhalb der Gesellschaft wahrnahm, dass ihnen mithin in den Augen der Zeitgenossen eine eindeutige ikonographische Aussage zuzuordnen war. Doch muss man dabei nicht unbedingt mit M. Cipriani an eine polarisierte sexuelle Vermischung, ja an ein Zwitterdasein in dionysischem Umfeld denken12, denn Fibeln wurden im antiken Alltagsleben ja keines96

A. Stalinski, Götter, Priester, Hirten und Schamanen. Zur etruskisch-italischen Tracht der Infibulati

wegs nur von Frauen angelegt. Vielmehr taucht die Fibel in der Ikonographie Altitaliens durchaus als männliches Trachtelement auf, und dazu noch in ganz spezifisch kultischem Rahmen13. Die verschiedenen Bereiche seien im Folgenden kurz angesprochen.

Die soeben beschriebene Tracht des Haruspex weist – wie Roncalli anhand mehrerer Vergleichsbeispiele aufgezeigt hat – eindeutige Parallelen zum einfachen Hirtengewand auf, dürfte sich aus diesem entwickelt und schließlich rituell verfestigt haben; gelegentlich sind die ikonographischen Überschneidungen sogar derart stark, dass eine zweifelsfreie Interpretation kaum möglich scheint16. Im Etrurien der hellenistischen Zeit, aus der die genannten Darstellungen mehrheitlich stammen, ist sie jedenfalls bereits weitgehend anachronistisch und lässt sich eigentlich nur als archaisches Relikt mit kultischen Funktionen deuten17. Ob es sich dabei, trotz der unleugbaren Analogien, allerdings unbedingt um einen außeritalisch-arkadischen Einfluss handelt, wie L. Bonfante18 mutmaßt, mag bezweifelt werden. Roncalli verweist in diesem Zusammenhang auf den „bilinguismo culturale“ (kulturelle Zweisprachigkeit), d. h. die Entwicklung ähnlicher Alltagskulturen unter analogen Lebensbedingungen, ohne dass ein direkter Kontakt zwischen beiden bestehen muss19. Im Übrigen wird dieselbe Hirtentracht von Hesiod20 auch für die böotische Landbevölkerung erwähnt, während es in der antiken Literatur mehrfach Hinweise auf dem der Peloponnes vergleichbare Lebensumstände der italischen Appeninbewohner gibt (siehe dazu nicht zuletzt auch die vermeintlich große Bedeutung der Arkader [Euander] für die Frühgeschichte Roms)21. Der lukanische Grabfund von Paestum könnte diese Diskussion ganz neu erhellen.

A. Hirten und Haruspices

Ausgehend von den Monographien Piero Guzzos und Larissa Bonfantes, ebenso wie von eigenen Studien, hat Francesco Roncalli vor fast 30 Jahren einen auch heute noch gültigen Aufsatz zur Tracht der etruskischen Haruspices vorgelegt, in dem er zu dem Schluss kommt, dass „die Gestalt des Hirten-Haruspex, sein Vorbild und seine Funktion, ein Erbe des Nomaden-Magier-Wahrsagers aus dem frühgeschichtlichen Hirtendasein in Mittelitalien ist“ und in dieser Hinsicht „eine der wichtigsten und ältesten ‚Anleihen‘ darstellt, welche die mittelitalische Religiösität der etruskischen Welt mitgegeben hat“14.

B. Die römischen Flamines (Infibulati)

Auch in Rom gibt es Hinweise auf die Fibel als kennzeichnendes kultisches Trachtelement. So nannte man den speziellen Schleier der Priester, besonders aber den der Vestalinnen suffibulum (sub fibula)22. Vor allem aber ist es das Gewand des uralten Priesterstandes der Flamines, das deutliche Parallelen zu den bereits genannten etruskischen Haruspex-Darstellungen aufweist23. Neben der traditionellen, aus dem Fell eines Opfertieres angefertigten Filzkappe (pileus)24, die ein mit Wolle befestigter Olivenzweig krönt (apex), sei dabei besonders an den dicken, von einer Bronzespange zusammengehaltenen Wollmantel (laena) erinnert, der den Flamines in den römischen Quellen wiederholt den eloquenten Beinamen infibulati25 eingetragen hat, wobei es sich allerdings ausschließlich um eine literarische Tradition handelt. Es steht außer Zweifel, dass wir es bei dieser Bekleidung ebenfalls mit einem altertümlichen Relikt zu tun haben (Paulus Diaconus spricht im 8. Jh. n. Chr. in Bezug auf Fibeln von usus antiquissimus26), für die die späte Haruspex-Ikonographie hellenistischer Zeit, die den klassischen Fellumhang ebenfalls durch einen dicken Mantel ersetzt, ein schlüssiges Bindeglied sein könnte27. Der Name laena selbst wird im Übrigen etymologisch meist auf etruskische Vermittlung zurückgeführt - laut Helbig handelte es sich vielleicht ursprünglich um einen knapperen Mantel als in der Spätzeit, der eine Gewandspange zwingend voraussetzte28.

Abb. 3: Haruspex-Statuette aus dem Tiber, Rom, Vatikanische Mus. (nach: Guzzo 1972, Taf. 28, 1).

Tatsächlich existiert in der etruskischen Kunst eine ganze Reihe von Bildwerken – neben Bronzestatuetten umfasst sie Spiegel, Skarabäen, Münzen, Ton- und Bronzegefäße, Urnen und Sarkophage und datiert aus der Zeit zwischen dem 5. und 2. Jh. v. Chr. – die trotz zeit- und landschaftsstilistischer Unterschiede eine auffällige Einheit hinsichtlich der einzelnen Trachtbestandteile des Haruspex aufweisen: dazu gehört, neben einer lang gezogenen, stets von einem Kinnriemen gehaltenen Fellkappe auch ein tebenna-artiger, meist über einem dünneren Chiton getragener Überwurf aus (demselben?) Tierfell (Pelz innenseitig), der in hellenistischen Darstellungen bisweilen durch einen Mantel aus dickem Stoff ersetzt wird (Abb. 3). Dieses Obergewand wird in allen Fällen von einer (in einem Fall mehreren) deutlich angegebenen Fibel bzw. Gewandspange zusammengehalten, die sich zentral in Brusthöhe befindet15.

C. Der etruskisch-italische Herakles

In der etruskischen Kunst werden keineswegs nur Haruspices und Hirten mit einem Fellkleid wiedergeben; es 97

Neue Forschungen zu den Etruskern

ist ein Attribut, das allgemein diejenigen kennzeichnet, die in engem Kontakt mit der ungezügelten Natur, der Wildnis stehen. Pelzumhänge tragen dementsprechend auch Jäger, Dionysos und sein Gefolge, Juno Sospita, vor allem aber Herakles29. Die Tracht des letzteren lässt sich in drei verschiedene Kategorien unterteilen, von denen uns hier besonders Typ B30 („cypriote type“ nach E. Richardson31) interessieren soll. Er gehört nicht nur zu den frühesten Darstellungsformen (ca. 540–450/40 v. Chr.) dieser in Altitalien außerordentlich wichtigen Götterfigur, sondern stellt auch die umfangreichste und dabei ikonographisch homogenste Gruppe dar, was den Verdacht eines gemeinsamen, Italikern wie Etruskern vertrauten Vorbildes nahe legt. Dabei könnte es sich um eine Kultstatue wie die des Hercules Fictilis des Vulca an der Ara Maxima gehandelt haben, dem laut der antiken Quellen zugleich ältesten Heiligtum des Gottes in Rom. Tatsächlich stammt aus diesem Bereich Roms auch die früheste uns bekannte Wiedergabe des Typus (Architekturterrakotte aus S. Omobono), welche engste Parallelen zu den etwa zeitgleichen (560–440 v. Chr.) synkretistischen Heraklesfiguren von der Insel Zypern aufweist.

Heraklesdarstellungen in der Taille hält, ist bei einem Großteil des Typus B durch eine auffällige Gewandspange ersetzt, die sich in dieser Form nur mit der Ikonographie des Haruspex vergleichen lässt. Es bleibt nicht auszuschliesßen, dass damit ein Anklang an das Hirten-Jägerdasein geschaffen werden sollte, dem Herakles in der etruskisch-italischen Welt sehr viel näher stand als sein griechisches Pendant33. Doch scheint dieser Interpretationsansatz nicht völlig zu überzeugen. Keinesfalls unerwähnt darf daher bleiben, dass es in der römischen Literatur vermehrt Hinweise dafür gibt, dass man Herakles und sein Gefolge im frühen Italien für Kulturträger hielt, auch und vor allem in religiöser Hinsicht34.

Schlussbetrachtungen

Die gegenseitige kulturelle Beeinflussung der Völker des vor- und frührömischen Italiens hat in der Forschung der letzten Jahre zunehmende Aufmerksamkeit erfahren, wobei Griechen und Etrusker bei weitem nicht mehr als ausschließlich gebende, Kelten und Italiker als allein empfangende Zivilisationen betrachtet werden. Dass wir es mit sehr viel komplexeren Prozessen zu tun haben, lehren gerade auch Befunde aus Grenzgebieten wie Kampanien, das nicht umsonst Ausgangspunkt der vorgestellten Betrachtungen ist. Zugleich erweitern sich durch zahlreiche Neufunde und Forschungsarbeiten stetig unsere Kenntnisse über Religiösität und Kulte der Italiker, welche längst nicht mehr allein auf den Engubinischen Tafeln fußen. Hinter ihnen wiederum stehen teils noch ungleich ältere, animistische Glaubensvorstellungen, die sich im Dunkel der Zeit und beginnender Ritualisierung verlieren. Die „Tomba 315“ der Gaudo-Nekropole von Paestum könnte eine weitere Facette zu dieser interessanten Diskussion beisteuern: ausgehend vom ungewöhnlichen Grabbefund soll in der Tat eine intensivere Betrachtung und Einordnung hinsichtlich Bedeutung, Verbreitung und möglicher Herkunft der Fibel in der etruskisch-italischen Ikonographie unternommen werden, die gleichzeitig der Frage nach syn- und diachronistischer, gegenseitiger Beeinflussung verschiedener ‚Glaubenssysteme‘ Altitaliens nachgeht. Schon jetzt scheint sich dabei ein interessanter Entwicklungsstrang abzuzeichnen, der von den Priester-Schamanen der italischen Hirten-Kriegerkultur über die Haruspices der stark ritualisierten Disciplina Etrusca bis hin zu den Flamines der römischen Kaiserzeit führt, welche letztlich auch den Nährboden für unsere eigene abendländische Kultur und Religion gebildet haben.

Abb. 4: Herakles-Bronzette im „cypriote type“, Schweiz, Privatbesitz (nach: Stalinski 2001, Abb. 105 Nr. B. 20).

Anmerkungen

Wie die unter griechisch-phönizischem Einfluss entstandenen Kalksteinfiguren Zyperns zeichnet sich auch der Typus B durch einen fast frackförmigen Löwenfellumhang (mit dem Kopf als hochgezogener Kapuze) aus, der in der Regel vorne über dem Bauch geschlossen ist und häufig über einem dünneren Unterkleid (Rock, Chiton?) getragen wird (Abb. 4)32. Doch in einem Detail weichen die etruskischen Figuren ganz entschieden vom ägäischen Vorbild ab: der Gürtel, der das Löwenfell der zypriotischen

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Laut Herodot (Hdt. 1, 167) vor 530 v. Chr. Greco u. a. 1995, 15-17. 22 f. 31. 124 f. 141. Vgl. Strab. 5, 4, 13; 6, 1, 3. Es sei in diesem Zusammenhang an ein analoges Phänomen, die Ankunft der Kelten in Etrurien, erinnert, wie sie die Befunde der Grabung vom Monte Bibele nahe Bologna eindringlich veranschaulicht haben. Strab. 6, 1, 1, 252; Cipriani u. a. 1996, 17 f. 119. 138 f. 159; Tagliamonte 2000, 202-207. Cipriani u. a. 1996, 139. 159-161; Avagliano 1993, 474-476. Desweiteren sind in diesem Zusammenhang die Nekropolen „Andriuolo“ und „Arcioni“ zu erwähnen (vgl. Greco u. a. 1995,

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Literatur

111-113; Cipriani u. a. 1996, 136 Abb. oben). Cipriani u. a. 1996, 145 Nr. 52. Auskunft von G. Avagliano, dem ich auch anderweitig zu Dank verpflichtet bin. Die Grablege befindet sich im äußersten Südwesten der Nekropole nahe einem gewachsenen Felsvorsprung (siehe Cipriani u. a. 1996, 136 Abb. oben - im Bild rechts außen). Cipriani u. a. 1996, 137 f. 245 f. Soprintendenza Molise 1980, 112. 117. 126-128; Cipriani u. a. 1996, 119 f. Cipriani u. a. 1996, 137. Vgl. dazu einleitend Guzzo 1972, 153-159. Roncalli 1981, 131. Erst jüngst ist der Autor, dem ich, ebenso wie L. B. van der Meer, für die freundliche Zurverfügungstellung des Manuskripts (Roncalli 2009) danke, erneut auf dieses Thema eingegangen. Dabei bestätigt er im Wesentlichen die bereits vor drei Jahrzehnten gemachten Interpretationsansätze, misst dem Pelzgewand des Haruspex jedoch heute noch größere kultische Bedeutung bei: es handele sich nicht ausschließlich um eine Anleihe an das einfache Hirtengewand, sondern auch um das rituelle Anlegen eines Opfertierfelles, das damit zum Sema des Gottes selbst wird und die Mittlerrolle des Haruspex noch deutlicher unterstreicht. Körte 1917, 7-9 Nr. 3; Guzzo 1972, 157-160; Bonfante 1975, 53 f.; Roncalli 1981, 124-130; Haase 1998, 170. Roncalli selbst interpretiert einen Ring aus Vulci, den er früher als Hirtendarstellung ansah (Roncalli 1981, 127 f. mit Abb. 4), heute als Haruspex (Roncalli 2009). Roncalli 1981, 125-131; etwas anderer Meinung Steuernagel 2005, 388 f. mit Anm. 21-23. Ich bin immer mehr der Überzeugung, dass die auffällige Größe der Fibel bei den genannten HaruspexDarstellungen (wie im Übrigen auch bei den weiter unten im Text angesprochenen Heraklesfiguren) nicht ausschließlich der Kenntlichmachung eines primären Trachtelements dient, sondern tatsächlich auch Bezug auf veraltete Gewandnadelformen wie den Typ „a sanguisuga“ oder „a navicella“ nehmen könnte. Bonfante 1975, 54; vgl. auch 75. Roncalli 1981, 130; vgl. auch Cic. div. 1, 93 f.; 2, 109; Bonfante 1975, 57. Hes. erg. 544-546; vgl. auch Steuernagel 2005, 388 Anm. 18. Vgl. dazu mit vielen weiterführenden Literaturhinweisen Stalinski 2001, 26-28. 126 f. 139. 248. Marbach 1931, 652; Guzzo 1972, 159 f. mit Anm. 1. Bonfante 1975, 129 Anm. 51-53; Samter 1958, 2484 f. Der pileus ist auch Trachtbestandteil der Pontifices und Salier, allerdings hier nicht ausschließlich. Helbig vermutet, dass sich hinter dieser Pelzkappe ein ehemals lustraler Ritus (Bekleidung mit dem Opfertierfell/capite velato) verberge: Samter 1958, 2487 f.; Schäfer 1980, 349-63; vgl. auch Roncalli 2009. Zur möglichen etruskischen Herkunft der Kopfbedeckung: Groß 1979, 852. Serv. Aen. 4, 262; Paul. Fest. 113, 15; 113 M. 117 M. Paul. Fest. a. O. (Anm. 25). Zu dieser Aussage passen auch die zahlreichen, teils einzigartigen Ritualvorschriften (z. B. Verwendung eines bronzenen Rasiermessers), die sich als Relikt hohen Alters erklären lassen (Samter 1958, 2488f.). Laut Schäfer 1980, 351 mit Anm. 36 ist die laena seit dem 4. Jh. v. Chr. als Tracht der Flamines belegt, zur selben Zeit (Steuernagel 2005, 386 f.) scheint es auch zu einer verstärkten Verschulung des etruskischen Prodigienwesens in Rom zu kommen. Serv. Aen. 4, 262; Samter 1958, 2487; Lange 1963, 419 f.; Schäfer 1980, 363; Goette 1990, 2 f. mit Anm. 12 f.; 7 f. mit Anm. 59 f. Servius (Aen. 7, 190) nennt die laena auch trabea, eine Mantelart die ebenfalls von einer Fibel gehalten wurde (Dion. Hal. ant. 2, 70, 2: hier gleichzeitig identifiziert mit tebenna). Dazu Stalinski 2001, 120-123 (mit weiterführender Bibliographie). Benennung nach Stalinski 2001, 107-117. 123-133. Richardson 1983, 340-342. Auch hier sei wiederum an einen, wenn auch etwas abweichenden Vergleich einer arkadischen Heraklesstatuette erinnert: siehe Stalinski 2001, 138 f. mit Anm. 366. Abb. 133. Stalinski 2001, 130 f.; siehe dazu auch die kriophorosähnliche Darstellung der Bronzette B. 11 (Stalinski 2001, 115. Abb. 98) sowie eines weiteren verwandten etruskischen Votivbronzetypus, A. 4 (Stalinski 2001, 106 f. 123 f. 136-42. Abb. 80). Stalinski 2001, 126 mit Anm. 329; 130 f. 246 f.; Sall. Cat. 6, 1; Liv. 1, 7, 8; Max.Vict. GLK 6, 194, 16 f.; Lyd. Mag. 1, 5 (Cato, Varr.).

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Ellen Thiermann

Die Nekropole Fornaci in Capua im 6. und 5. Jh. v. Chr. Neue Forschungen zu alten Grabungen Summary This article presents some of the results of a broader study into the archaic and early classical community of Capua through the analysis of burial practices. By that time, Capua was one of the major urban centres in Campania and was said by ancient authors to be founded or dominated by the Etruscans. Although debated in its details, the Etruscan colonisation of Campania, and especially Capua, in the archaic and early classical periods has become a paradigm. A reconsideration of the written sources and new, contextualised archaeological evidence from the Capuan necropoleis however allow rethinking the nature of this phenomenon within the framework of recent theories on ethnicity and the interpretation of burial data. The necropolis called Fornaci is the biggest that has been systematically excavated in Capua but has remained largely unpublished. The first complete study of the original documentation and the contents of the more than 250 tombs from the latest two phases (V, VI) of the Fornaci necropolis offer insights into burial customs and the Capuan community that practised them. It is argued that the idea of a reflection of presumed ethnic changes or historical events in single tombs or the necropolis has to be abandoned.

Eines der bedeutendsten urbanen Zentren des archaischen Kampanien war Capua, das in der antiken Schrifttradition als etruskische Gründung bzw. unter etruskischer Herrschaft stehend erwähnt wird1. Die sehr lückenhafte archäologische Dokumentation stellt bis heute eines der größten Hindernisse zur Beantwortung von Fragen zum Selbstverständnis und zu historischen Veränderungsprozessen der Gemeinschaft in dieser sog. etruskischen Periode Capuas dar. Einen Beitrag diese Lakunen zu füllen, versucht das hier vorgestellte Projekt zu leisten, in dessen Rahmen die Grabkontexte der Capuaner Nekropole Fornaci aus dem Zeitraum von ca. 570-400 v. Chr. aufgearbeitet wurden2. Diese erweiterte Befundbasis ermöglichte eine umfassende Analyse des lokalen Bestattungsbrauchs, anhand dessen sich Formen

der Selbstdarstellung sozialer Strukturen und kollektiver Identitäten der Gemeinschaft untersuchen ließen3. Umfangreiche Raubgrabungen in der zweiten Hälfte des 19. Jhs. haben aus den Nekropolen Capuas bedeutende Funde vor allem des 6. und 5. Jhs. v. Chr. zu Tage gefördert, deren Kontexte jedoch bis auf wenige Einzelbefunde verloren gegangen sind4. Das einzige großflächig und systematisch ausgegrabene Bestattungsareal Capuas ist die in den 1960er und 70er Jahren von der Soprintendenz freigelegte Nekropole Fornaci im Nordwesten der Stadt (Abb. 1)5, die von der frühen Eisenzeit bis zum Ende des 5. Jhs. v. Chr. kontinuierlich belegt war. Von den mehr als 1500 Gräbern ist bisher nur ca. ein Zehntel der Funde ohne eine graphische Dokumentation der einzelnen Gräber oder des Nekropolenareals veröffentlicht6. Im Mittelpunkt des vorliegenden Projektes standen die letzten beiden Phasen V (ca. 570-520 v. Chr.) und VI (ca. 520-400 v. Chr.) der Nekropole, denen ursprünglich rund 250 Gräber angehört haben müssen. Die Auswertung der Grabungsnotizen des Ausgräbers Werner Johannowsky, die ungefähr die Hälfte des Ausgrabungsareals dokumentieren7, und die Aufarbeitung der erhaltenen, größtenteils unveröffentlichten Grabinventare boten erstmals die Möglichkeit einer über die Materialpräsentation hinausgehenden Untersuchung der Nekropole in der genannten Periode. Der Umgang mit einem heutigen Anforderungen nicht mehr genügenden und fragmentarischen Datenset einerseits8 und dem Ziel einer kontextuellen Analyse andererseits erzwang in besonderem Maße methodologische Überlegungen: 1. Die grundsätzlich gegebene, willkürliche Ausschnitthaftigkeit der archäologischen Dokumentation und der begrenzte materiell erfassbare Teil praktizierter Bestattungsrituale muss im Falle der Nekropole Fornaci noch durch das Bewusstsein der Unzulänglichkeiten der Grabungsdokumentation erweitert werden und bei allen weiteren interpretativen Schritten präsent bleiben. Von einer Verallgemeinerung über den konkreten Kontext hinaus kann somit nicht a priori ausgegangen werden.

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Neue Forschungen zu den Etruskern

Abb. 1: Luftbild von S. Maria Capua Vetere mit Nekropolenarealen (weiß = Nekropolen, schwarz = topographische Angaben) (Karte: google earth, Bearbeitung: E. Thiermann).

2. Für die Nachvollziehbarkeit der Analyse ist eine Präsentation und kritische Auswertung der genutzten Quellen unumgänglich. So werden alle neu aufgearbeiteten und bereits publizierten Capuaner Grabbefunde und ihre Inhalte der Phasen V und VI (Nekropole Fornaci und außerhalb) in einem Katalog aufgeführt. Ein zweiter Katalogteil erfasst die Gräber der Nekropole Fornaci, die den Grabungsnotizen zufolge vermutlich derselben Periode zuzuordnen sind, aber deren Inhalt verloren gegangen ist. Schließlich wird eine Liste des Gesamtbestandes der Gräber der Nekropole Fornaci mit ihrer Lokalisierung und vorläufigen Datierung aufgestellt. 3. Die erfassten Grabbefunde sind als Überreste stark ritualisierter Vorgänge zu verstehen, die von der Gemeinschaft aktiv konstruiert werden und in hohem Maße symbol- und ideologiebehaftet sind; die Funde fungieren in erster Linie als Zeichenträger. Kann demnach die Welt der Toten nicht als direkte Widerspiegelung der Verhältnisse der Gemeinschaft der Lebenden verstanden werden, so doch als ein bedeutungsvolles Selbstzeugnis, das es zu deuten gilt9. In Anlehnung an das Konzept der microstoria10 wurde dabei die Analyse bewusst auf einen zeitlich und räumlich engen Kontext wie die Bestattungsrituale in Capua des 6. und 5. Jhs. v. Chr. begrenzt, die es eher ermöglicht der konkreten „Struktur der Phänomene“ auf den Grund zu gehen11.

Fünf Bedeutungsebenen werden in der Analyse der Bestattungsrituale unterschieden: die topografische Lage der Nekropolen Capuas, die innere Struktur (Nekropole Fornaci), Grabbau und Bestattungsritus, die Zusammensetzung der Beigaben und schließlich die Funde nach ihren jeweiligen Materialklassen. Es konnte herausgearbeitet werden, dass sich die am nordwestlichen Stadtrand gelegene Nekropole Fornaci in eine langfristige horizontale Stratigraphie der Capuaner Bestattungsplätze integriert. Diese Entwicklung verläuft grob vom Nordwesten der Siedlung nach Osten12. Ein Vergleich zwischen der Nekropole Fornaci und den wenigen bekannten Funden und Befunden aus den gleichzeitigen Nekropolen, z. B. der attischen Keramik, ergibt eine relative Bescheidenheit der Grabausstattungen der Nekropole Fornaci, die hypothetisch auf eine sozial differenzierte Nutzung verschiedener Bestattungsareale zurückzuführen sein könnte. Innerhalb der Nekropole Fornaci ist eine sehr komplexe, fleckenartige synchrone und diachrone Nutzung der verschiedenen Sektoren belegt. Die Anordnung der Gräber der Phasen V und VI folgt keinem homogenen Schema, sondern lässt sowohl Kontinuitäten zu früheren Gräbergruppen als auch die Erschließung neuer Areale erkennen. Deutlich zeichnet sich dagegen die Konzentration der Gräber dieser Periode in kleinen Nuklei ab, die bewusst aufeinander Bezug nehmen, sich

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E. Thiermann, Die Nekropole Fornaci in Capua im 6. und 5. Jh. v. Chr. dabei oft überschneiden und am plausibelsten als kleine Familiengruppen interpretiert werden. Die demographische Repräsentativität der Nekropole ist hoch, d. h. sowohl beide Geschlechter als auch alle Altersgruppen hatten offensichtlich Zugang zu einer formellen Bestattung13. Untereinander grenzen sich diese Gruppen wiederum durch eine unterschiedliche Verwendung von Grabbauten, Bestattungsriten und Beigabenausstattungen ab.

Abb. 2: S. Maria Capua Vetere, loc. Fornaci, Grabinventar der Phase V, Grab F767 (Foto: E. Thiermann).

Abb.3: S. Maria Capua Vetere, loc. Fornaci, Grabinventar der Phase VI, Grab F1128 (Foto: E. Thiermann).

Die normative Körperbestattung vorangegangener Phasen setzt sich auch in den letzten beiden Phasen der Nekropole fort, diversifiziert sich aber durch den Einsatz von Steinkisten, Dachziegeln oder mit Terrakotta-Appliken verzierten Holzsarkophagen. Die Brandbestattung wurde zwar bereits in der Eisenzeit praktiziert, verschwand dann aber und wurde in neuer Form um den Beginn des 6. Jhs. v. Chr. wieder eingeführt14. Die frühesten, noch seltenen Brandbestattungen treten in Gräbern auf, die sich durch ihre Ausstattung und ihren Grabbau absetzen, wie Urnengräber in Krateren oder sog. Würfelgräber, eine aus Kyme adaptierte Bestattungsform, bei denen der Krater oder ein Bronzebecken in einen Tuffsteinquader gesetzt sind. Es handelt sich hier um ein ganzes Set von Neuerungen aus Brandbestattung, der Verwendung von Stein im Grabbau und der Einführung der Würfelgräber, das nun früher als bisher angenommen an die Wende vom 7. zum 6. Jh. v. Chr. in der Nekropole Fornaci datiert werden kann. In

den folgenden Phasen V und vor allem VI verbreiten sich diese Innovationen. Es findet ein zunehmender Diversifizierungsprozess der Bestattungssitten statt, der in der ersten Hälfte des 5. Jhs. v. Chr. seinen Höhepunkt erreicht15. Die Beigabenausstattung der Gräber reduziert sich spätestens mit dem Beginn der fünften Phase auf ein standardisiertes Set aus Trink- und Schenk- (bzw. Vorrats-) gefäß und einer kleinen Olla, das individuell ergänzt oder multipliziert werden kann (Abb. 2. 3). Diese regelhafte Zusammensetzung, die sich bis zum Ende der Belegung der Nekropole nur durch die Verwendung verschiedener Keramikklassen und Gefäßformen wandelt, weist auf ein von der gesamten Gemeinschaft kontinuierlich praktiziertes Ritual. In Gräbern der Phase V beschränken sich Metallbeigaben auf einfache Eisenfibeln und wenigen Schmuck, Waffen auf vereinzelte Lanzenspitzen. Mit dem Beginn der spätarchaischen Phase um 520 v. Chr. bis ca. zur Mitte des 5. Jhs. v. Chr. blüht das lokale Kunsthandwerk, von dem ein Teil eigens für den funerären Gebrauch in Capua und Umgebung bestimmt ist und als Ausdruck einer spezifischen lokalen Identität verstanden werden kann, wie die kampanisch schwarzfigurigen Amphoren16, die Terrakotta-Appliken für Holzsarkophage17 oder die Urnen in Form bronzener dinoi mit Deckelaufsätzen18. Wird das aus der Analyse der Nekropole Fornaci hervorgehende Bild der Gemeinschaft mit den gängigen Modellen zur historischen Entwicklung Capuas, in die auch bisher bekannte Grabbefunde einbezogen wurden, konfrontiert, so ergeben sich Widersprüche. Übereinstimmend mit einer historisch überlieferten etruskischen Herrschaft und dem von Cato vertretenen Gründungsdatum Capuas von 471 v. Chr.19 wird um diesen Zeitpunkt eine Neugründung und daran geknüpft eine planmäßige Stadtanlage Capuas durch die Etrusker angenommen20. Die beiden herausragenden, aber isolierten Grabbefunde aus dieser Zeit, das Brygosgrab und das Grab der Brettspieler21, werden in dieser Perspektive der etruskischen Stadtgründerelite zugeschrieben22. Als problematisch in dieser Diskussion müssen die implizite ethnische Interpretation archäologischer Befunde sowie das Bestreben der Integration isolierter archäologischer Daten in den von historischen Quellen geschaffenen Rahmen gewertet werden. Weder die Daten aus der Nekropole Fornaci noch die spärlichen Siedlungsbefunde23 können die These einer Stadtneugründung in der ersten Hälfte des 5. Jhs. v. Chr. bestätigen. Im Gegenteil sprechen die festgestellten Innovationen im Bestattungsbrauch der Nekropole Fornaci für einen um die Wende vom 7. zum 6. Jh. v. Chr. stattfindenden Urbanisierungsprozess Capuas, der nicht notwendigerweise einer Fremdherrschaft bzw. -einflüssen zu verdanken sein muss24. Auch die beiden genannten Gräber können nicht als direkter Niederschlag einer ethnisch interpretierten Ereignisgeschichte gedeutet werden. Sie integrieren sich vielmehr in Repräsentatiosstrategien einer überregional vernetzten lokalen Elite, deren ethnische Zugehörigkeit, genau wie die der in der Nekropole Fornaci Bestatteten, zumindest im Grabritual nicht erkennbar ist.

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Neue Forschungen zu den Etruskern So ermöglichte die Aufarbeitung der Altgrabungen in der Nekropole Fornaci der letzten beiden Phasen neue Einsichten in die Bestattungssitten Capuas im Zeitraum von 570-400 v. Chr., in die in ihnen zum Ausdruck kommenden Sozialstrukturen und Identitätsformen sowie diachronen Wandlungsprozesse, die unter anderem Anlass zur Revision bestehender Geschichtsmodelle geben.

2002, 184). Das Grab der Brettspieler ist als bemaltes Kammergrab mit der namengebenden Szene zweier Brettspieler, das zudem eine Mehrfachbestattung enthielt, bisher ein Unikum in den Capuaner Nekropolen des 5. Jhs. v. Chr. (zur Entdeckung vgl. Helbig 1868, 221; Helbig 1972, 44-46. Malerei: zuletzt Benassai 2001, 29-32 Kat. C.6, 218-221. Funde zuletzt: Williams 1992). 22 Cerchiai 1995, 185-187; Cerchiai 1999, 172; Benassai 2001, 218221. 23 Zu den wenigen Siedlungsspuren gehört ein in Teilen freigelegtes Handwerksareal mit Keramiköfen gerade außerhalb der antiken nordöstlichen Stadtgrenze (Areal der “Alveo Marotta”), das um 480-470 v. Chr. verlassen wurde (vgl. Allegro 1984) und daher als Argument für eine Neugründung bzw -ordnung der gesamten Stadt herangezogen wurde (siehe Anm. 15). Die nachgewiesenen Reste der Stadtmauern stammen bislang vom Ende des 4. Jhs. v. Chr. mit möglichen Vorläufern im 5. Jh. v. Chr. (vgl. Johannowsky 1983, 9; Johannowsky 1989, 57-58). 24 In dieselbe Richtung weisen auch neueste Grabungen am nordöstlichen Rand der antiken Stadt, bei denen innerhalb der Stadtgrenzen (Areal “Siepone”) ein orthogonales Straßensystem mit steinfundierten Häusern aus dem ersten Viertel des 6. Jhs. v. Chr. freigelegt wurde. Vorbericht in: Sampaolo 2008.

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Vell. 1, 7, 2-4; Strab. 5, 4, 3; Polyb. 2, 17, 1; Liv. 4, 37, 1. In jüngster Zeit ist eine Wiederbelebung der Studien zum “etruskischen Kampanien” und speziell zu Capua zu verzeichnen, deren erste Ergebnisse u. a. auf dem XXVI Convegno di Studi Etruschi “Gli Etruschi e la Campana settentrionale” vom 11.- 15. November 2007 in Caserta, vorgestellt wurden. Die Untersuchung bildete den Kern meiner Dissertation an der Universität von Amsterdam (2009). Sie wurde im Rahmen des Projektes der Gerda Henkel Stiftung „Italische Kulturen in Süditalien und Sizilien vom 7. bis 3. Jahrhundert v. Chr.“ am Deutschen Archäologischen Institut Rom maßgeblich gefördert. Den genannten Institutionen sowie dem Koninklijk Nederlands Instituut te Rome gilt mein Dank für die gewährte organisatorische und finanzielle Unterstützung der Arbeit. Einige Grabinventare wurden von Wolfgang Helbig und Friedrich von Duhn bei Besuchen der Ausgrabungen für den Bullettino des Instituto di Corrispondenza Archeologica beschrieben: Vgl. die sog. Tomba Dutuit (siehe zuletzt Bellelli 2006 mit Bibliographie), das Grab der Brettspieler und das Brygosgrab (siehe Anm. 20). Das Ausgrabungsareal nimmt ein unregelmäßiges Viereck ein, das im Süden durch die Häuserreihe entlang der Via Appia begrenzt wird, im Nordwesten durch die Via dei Romani entlang der Bahngleise der Ferrovia Alifana und im Nordosten durch die Via dei Martiri cristiani vor dem Amphitheater, die wieder in die Via Appia mündet. Johannowsky 1983; Johannowsky 1989. Übersichtsskizzen von Sektoren der Nekropole, Skizzen einzelner Quadranten mit Gräbern, Auflistung des Inhaltes der einzelnen Grabkontexte. So sind nicht alle vorhandenen Grabinventare in den Grabungsnotizen dokumentiert, umgekehrt waren die Funde eines Teils der dokumentierten Gräber nicht mehr aufzufinden. In der Nummerierung und Beschreibung von Grabinventaren kommen Unstimmigkeiten vor. Die graphische Dokumentation besteht aus handgefertigten Skizzen. Vgl. u. a. d’Agostino 1985; Veit 2008. Die microstoria wurde in der italienischen Geschichtsforschung u. a. von Carlo Ginzburg als aktive, individuelle Strategie entwickelt und untersucht kleine Kontexte als Teile größerer historischer Prozesse. Vgl. z. B. C. Ginzburg, Microstoria. Due o tre cose che so di lei, QuadStorici 86, 1994, 511-539. D’Agostino 1985, 57-58. Ähnlich Graepler 1997, 156 und Brather 2004, 482. Vgl. zur Topographie der Capuaner Nekropolen, jedoch ohne Berücksichtigung der Grabungen des 19. Jhs. auch Allegro – Santaniello 2008, 13-32. Durch das Fehlen anthropologischer Untersuchungen sind keine differenzierteren Angaben zu Geschlecht und Alter als die gelegentlichen Anmerkungen in den Grabungsnotizen möglich. Johannowsky 1983, 15-16. Mit der Phase VI (ab ca. 520 v. Chr.) werden zunehmend bescheidene Brandgräber angelegt, die primäre Brandbestattung in Form von Bustumgräbern eingeführt und für den bestehenden Typ der Würfelgräber nunmehr verschiedene großformatige attische Vasenformen und bronzene dinoi eingesetzt. Siehe dazu Parise-Badoni 1968; Minoja (im Druck); Falcone-Ibelli 2007. Vgl. Gilotta 2006. Vgl. Benassai 1995. Vell. 1, 7, 2-4. Colonna 1991, 61-62; Cerchiai 1999, 171-172; D’Agostino 2001, 250; Bellelli 2006, 127. Beide Gräber befinden sich in Quattro Santi nördlich der Stadt und waren bereits bei ihrer Entdeckung teilweise ausgeraubt. Das Brygosgrab, ein Steinkistengrab mit einer Körperbestattung, enthielt ein Service aus sieben hochkarätigen attisch rotfigurigen Vasen, darunter eine Schale des Brygos-Malers (vgl. zur Entdeckung Helbig 1872, 39-44, zu den Funden zuletzt: Williams 1992; Reusser

Literatur: Allegro 1984 N. Allegro, Santa Maria Capua Vetere. 5) Insediamento arcaico e necropoli sannitica presso l‘ Alveo Marotta, StEtr 52, 1984, 514-7. Allegro – Santaniello 2008 N. Allegro – E. Santaniello, L‘abitato della prima fase di Capua: prime testimonianze (Pisa 2008). Bellelli 2006 V. Bellelli, La tomba „principesca“ dei Quattordici Ponti nel contesto di Capua arcaica (Rom 2006). Benassai 1995 R. Benassai, Sui dinoi bronzei campani, in: Studi sulla Campania preromana (Rom 1995) 157-206. Benassai 2001 R. Benassai, La pittura dei Campani e dei Sanniti (Rom 2001). Brather 2004 S. Brather, Ethnische Interpretationen in der frühgeschichtlichen Archäologie: Geschichte, Grundlagen und Alternativen (Berlin 2004). Cerchiai 1995 L. Cerchiai, I Campani (Mailand 1995). Cerchiai 1999 L. Cerchiai, Capua: il caso della tomba detta di Brygos, in: B. d’Agostino – L. Cerchiai, Il Mare, la morte, l’amore. Gli Etruschi, i Greci e l’immagine (Rom 1999) 171-176. Cristofani 1995 M. Cristofani, Tabula Capuana: un calendario festivo di età arcaica (Firenze 1995).

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E. Thiermann, Die Nekropole Fornaci in Capua im 6. und 5. Jh. v. Chr. d’Agostino 1985 B. d‘Agostino, Società dei vivi, communità dei morti: un rapporto difficile, DialA ts. 3, 1, 1985, 47-58. Falcone – Ibelli 2007 L. Falcone – V. Ibelli, La ceramica campana a figure nere. Tipologia, sistema decorativo, organizzazione delle botteghe (Pisa 2007).

Veit 2008 U. Veit, Zur Einführung, in: C. Kümmel – B. Schweizer – U. Veit (Hrsg.), Körperinszenierung – Objektsammlung – Monumentalisierung: Totenritual und Grabkult in frühen Gesellschaften (Münster 2008) 17-30.

Gilotta 2006 F. Gilotta, Zeitstil e meccanismi di trasmissione nella piccola plastica decorativa capuana, Orizzonti 7, 2006, 4980. Graepler 1997 D. Graepler, Tonfiguren im Grab. Fundkontexte hellenistischer Terrakotten aus der Nekropole von Tarent (München 1997). Helbig 1868 W. Helbig, Antichità del Sig. Castellani, BdI 1868, 214221. Helbig 1872 W. Helbig, Scavi di Capua, BdI 1872, 37-47. Johannowsky 1983 W. Johannowsky, Materiali di età arcaica dalla Campania (Neapel 1983). Johannowsky 1989 W. Johannowsky, Capua Antica (Neapel 1989). Minoja (im Druck) M. Minoja, Dioniso a Capua e i satiri zoppi. Soggetti dionisiaci sulla ceramica campana a figure nere, in: La presenza degli Etruschi in Magna Grecia. Atti del Symposium Cumanum, Cuma, giugno 2003 (im Druck). Parise Badoni 1968 F. Parise Badoni, Ceramica campana a figure nere (Florenz 1968). Reusser 2002 C. Reusser, Vasen für Etrurien: Verbreitung und Funktionen attischer Keramik im Etrurien des 6. und 5. Jahrhunderts vor Christus (Zürich 2002). Sampaolo 2008 V. Sampaolo, La perimetrazione di Capua e l‘abitato arcaico. Nota preliminare, in: La città murata in Etruria. Atti del XXV convegno di Studi etruschi ed italici, Chianciano Terme 30 Marzo - 3 aprile 2005 (Pisa 2008) 471-483. Williams 1992 D. Williams, The Brygos Tomb Reassembled and 19thcentury Commerce in Capuan Antiquities, AJA 96, 1992, 617-636.

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Camilla Colombi

Die Entwicklung der Nekropole von Vetulonia während der orientalisierenden Epoche. Vorstellung eines Forschungsprojektes Summary

The cemeteries of Vetulonia were dug up in the late 19th and early 20th century and have never been the subject of a summarising research since then. The research project is based upon the analysis of the original documentation and is meant to proof and reconstruct the grave goods of the individual burials and a topographical map of the necropolis. The orientalizing time is a period of big social changes in Etruria, culminating in the formation of the aristocratic society in the 7th century. The aim of analysing the development of the necropolis of Vetulonia is to study whether and how the social changes and their repercussions can be found in the field. For this purpose, the chronological and topographical development of the cemeteries as well as the burial objects will be researched. Especially the formation of tomb groups, the distribution of objects pertaining to status and gender specificities and the differences between graves of women and men shall be taken into consideration.

Einleitung

Die Stadt Vetulonia und ihre Hinterlassenschaften sind in der Etruskologie wohl bekannte Themen. Die Forschungen in der Siedlung und ihrer Nekropole zählen zu den frühesten groß angelegten Grabungen in Etrurien. Die große Vielzahl an Bestattungen aus der Villanova-Zeit sowie die reichen Zirkel- und Kammergräber der orientalisierenden Epoche fanden ein großes Echo unter den damaligen Archäologen, und ihre Funde bildeten einen wichtigen Teil des 1897 eröffneten Topographischen Museums Etruriens in Florenz1. Obwohl einzelne Gräber und Objektgattungen der Villanova-Zeit und der orientalisierenden Epoche wissenschaftlich eingehend behandelt wurden2, steht eine Gesamtstudie der orientalisierenden Nekropolen, die alle Gräber und ihre topographische Lage behandelt, noch aus3. Während für die Villanova-Zeit ein chronologisches Gerüst

und ein Forschungsprojekt schon vorliegen4, bleiben die Erforschung und die vergleichende Analyse der orientalisierenden Gräberfelder ein Desideratum5. Hauptziel des hier vorgestellten Projektes6 ist eine Studie der chronologisch-topographischen Entwicklung der Nekropole in orientalisierender Zeit und ihre Bedeutung im Hinblick auf gesellschaftlich-historischen Fragestellungen. Das Projekt entstand in Zusammenarbeit mit der Soprintendenza per i Beni Archeologici della Toscana7.

Erforschung und Geschichte

Die Siedlung von Vetulonia – in der heutigen Maremma gelegen – befindet sich auf einem Hügel in 344 m Höhe über dem Meeresspiegel. Die südlich der Siedlung gelegene Ebene war in der Antike eine Meeresbucht, die in römischer Zeit Lacus Prelius genannt wurde und der Stadt den Zugang zum Meer ermöglichte8. Die Lage des aus den antiken Quellen bekannten Vetulonia hat die Forscher schon im 19. Jahrhundert sehr beschäftigt, bis es im Jahre 1880 dem Arzt Isidoro Falchi gelang, das antike Vetulonia anhand einiger beschrifteten Münzen mit dem Hügel Colonna di Buriano, einem Ortsteil von Castiglione della Pescaia zu identifizieren9. Unter der Leitung von Falchi wurden zwischen 1884 und 1913 regelmäßige Grabungskampagnen durchgeführt, die archaische bis römische Hinterlassenschaften der antiken Stadt sowie eine ausgedehnte Nekropole der Villanova-Zeit und der orientalisierenden Epoche ans Licht brachten. Diese Kampagnen wurden bis 1902 systematisch veröffentlicht10. Möglicherweise infolge von persönlichen Auseinandersetzungen zwischen Falchi und dem Direktor des Florentiner Nationalmuseums L. A. Milani erschienen die Berichte der späteren Kampagnen nur unregelmässig11. Nach dem Tode Falchis im Jahre 1914 wurden vereinzelt Grabungskampagnen organisiert, die sich vermehrt auf die Erforschung der antiken Stadt konzentrierten12. Da über die Besiedlungsgeschichte vom 8. bis 6. Jh. v. Chr. nur sehr wenige Daten zur Verfügung stehen13, basieren die

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Neue Forschungen zu den Etruskern

Abb. 1: Karte von Vetulonia und Umgebung mit Angabe der Fundstellen der Villanova-Zeit und der orientalisierenden Epoche (Kartographie C.T.R. Mst. 1:10‘000, aufbewahrt beim Archivio Fotocartografico della Regione Toscana. Bearbeitung: C. Colombi).

Kenntnisse der Frühzeit Vetulonias auf der Erforschung der Nekropole (Abb. 1). Außer an der nordöstlichen Seite ist die Siedlung von steilen Hängen umgeben. Der Hauptteil der Bestattungen sammelt sich daher nordöstlich der Siedlung auf einer leicht absteigenden Kante entlang der sog. Gräberstrasse (Poggio alla Guardia, Poggio alle Birbe, Pietrera, Diavolino). Eine weitere ausgedehnte Gräberstätte befindet sich nordwestlich der Siedlung (Colle Baroncio, Dupiane)14. Aus der Villanova-Zeit sind zwei Bestattungsplätze bekannt: Poggio alla Guardia (mit Poggio al Bello, Poggio Belvedere und Poggio alle Birbe) nordöstlich der Stadt und Colle Baroncio (mit Dupiane) westlich (Abb. 1). Neben den üblichen Pozzetto-Gräbern entwickeln sich frühzeitig im 8. Jh. v. Chr. auf dem Poggio alla Guardia Markierungssysteme – die sog. circoli di pietre interrotte –, in denen sich mehrere Pozzetto-Gräber befanden15. Diese Steinkreise umschlossen vermutlich die Gräbergruppen einzelner Familien oder Clans, was auf eine frühzeitige Ausbildung gentilizischer Gruppen hindeuten kann. In der späten Phase der Villanova-Zeit und mit dem Übergang zur orientalisierenden Epoche kommen auch Fossagräber in den schon bestehenden Nekropolen vor16. Im 7. Jh. v. Chr. erweitert sich der Nekropolenbereich vom Poggio alla Guardia weiter nach Nordosten und reicht bis zur Ebene (Diavolino, Val di Campo; Abb. 1). Kleine Gräbergruppen sind vereinzelt auch auf den anderen Hügelhängen zu finden (Cerrecchio, Poggio Valli, Castelvecchio). Die Grablegen werden sehr oft von

Steinkreisen (circoli di pietre bianche) umgeben; belegt sind sowohl Brand- als auch Körperbestattungen. Der Kreis kann sowohl einzelne als auch mehrere Bestattungen enthalten17. In der letzten Phase des Orientalizzante tauchen vermehrt auch Kammergräber mit Tumulus auf. Die Grabhügel waren in der Landschaft sichtbar und wurden deshalb oft geplündert aufgefunden (Pietrera, Pozzo all’Abate, Poggio Pepe). Für die spätere Zeit lässt sich die Entwicklung der Nekropole nicht mehr klar nachvollziehen. Im 6. und 5. Jh. v. Chr. sind kleinere Tumuli bekannt (Val di Campo, Diavolino), ein Ädikula-Grab sowie eine neue Benutzungsphase der Dupiane-Nekropole. Im 4. Jh. v. Chr. werden zum Teil auch ältere Kammergräber wieder verwendet (Val di Campo, Fibula d’Oro, Belvedere)18. In den Berichten von Falchi werden vereinzelt Gräber mit «etrusko-kampanischen Vasen» oder mit Beigaben aus römischer Zeit erwähnt, die sich im Bereich um den Poggio alla Guardia und der via dei Sepolcri befanden, jedoch noch nicht genau lokalisiert wurden19.

Forschungsvorhaben

Im Rahmen des Forschungsprojektes sollen die Bestattungen aus dem frühen und mittleren Orientalizzante bearbeitet werden. Von den etwa 130 belegten Gräbern aus orientalisierender und archaischer Zeit bilden zurzeit 83 Bestattungen den Gegenstand der Arbeit. Es handelt sich um Gräber, deren Beigaben noch erhalten und identifizierbar sind (ca. 4000 Objekte und Fragmente)20. Bei den rest-

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C. Colombi, Die Entwicklung der Nekropole von Vetulonia lichen Bestattungen handelt es sich um Gräber des späten Orientalizzante und aus archaischer Zeit sowie um nicht näher definierte unerforschte Zirkel- und Kammergräber, die in den Berichten erwähnt werden oder in der archäologischen Karte von Doro Levi aufgelistet sind21. Der erste, grundlegende Schritt beinhaltet die Auswertung des Archivmaterials, das im historischen Archiv der Soprintendenza per i Beni Archeologici della Toscana in Florenz und im Archivio Centrale di Stato in Rom aufbewahrt ist. Mehrere originale Grabungstagebücher, der gesamte Briefwechsel, einige Pläne und Skizzen sowie andere Dokumente, wie die Buchhaltung (rendiconti delle spese) der einzelnen Kampagnen konnten dabei ausfindig gemacht werden. Die originale und die publizierte Dokumentation sollen primär zur Kontrolle und in einigen Fällen auch zur Rekonstruktion der erhaltenen Grabkomplexe dienen. In einzelnen Fällen gehören nicht alle Objekte, die heute den Gräbern zugeschrieben werden, tatsächlich zum Komplex. Auf der anderen Seite ist bei einigen Bestattungen Teil des Grabinventars verloren gegangen – oder gar nicht geborgen. Ziel der Untersuchung ist daher, die einzelnen Inventare so weit wie möglich zu rekonstruieren. Mit Hilfe des Archivmaterials wird ebenfalls die Rekonstruktion einer topographischen Karte der Nekropole angestrebt. Dabei soll unter Berücksichtigung aller Nachrichten zur Lage der Gräber und der erforschten Gebiete eine Ergänzung zu den bisher publizierten archäologischen Karten erstellt werden22. Den zweiten Schritt bildet die Untersuchung der Materialien aus den behandelten Gräbern, um eine Phaseneinteilung der Inventare zu erreichen. Diese bildet jedoch nicht das primäre Ziel der Untersuchung, die sich eher auf die Analyse der Zusammensetzung der Grabkomplexe und auf die topographische Entwicklung der Nekropole konzentrieren soll. Die Studie der Beigaben und der Grabkomplexe soll auf folgende Thematiken aufmerksam machen:

schen Gesellschaft orientalisierender Zeit führte, auf dem Feld zu finden?

Umfasst die Nekropole alle Gesellschaftsmitglieder23? Kann man besondere machtsymbolische oder geschlechtsspezifische Beigaben erkennen und wie sind diese in der Nekropole verteilt? Welches Interpretationspotenzial besitzt eine Nekropole, die nicht nach neuesten wissenschaftlichen Methoden erforscht wurde und in der viele Gräber teilweise oder vollständig ausgeraubt wurden24?

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Die topographischen und chronologischen Daten werden der Erforschung der horizontalen Stratigraphie dienen. Dabei wird die Untersuchung vor allem auf folgende Fragestellungen eingehen: Ist eine Gliederung der Gräber in Gruppen auszumachen, wie sie in anderen zeitgleichen Nekropolen festgestellt wurde25? Liegen bestimmte Anlässe der Wahl eines Bestattungsortes zu Grunde? Liefert die Entwicklung der Nekropole Hinweise für eine Rekonstruktion der sozialen Veränderungen in Vetulonia? Ist der soziale Wandel, der zur Ausbildung der gentilizi-

Schlussbemerkung

Ausgangspunkt der Nekropolenforschung ist die Feststellung einer komplexen Beziehung zwischen Gesellschaft der Lebenden und Gemeinschaft der Toten26. Das Ziel besteht darin, sich dieser Beziehung und deren Ursachen und Regeln soweit wie möglich anzunähern. Auf dieser Basis wird die Erforschung der Nekropole Vetulonias ansetzen und hoffentlich zur Klärung mancher Aspekte der historischen und sozialen Entwicklung der Siedlung beitragen. Sie wird aber auch viele neue Fragen aufwerfen und die vetulonienser Grabkomplexe für weitere Forschungen besser zugänglich machen.

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Zur Geschichte des Topographischen Museums Etruriens – eines Teils des Archäologischen Nationalmuseums von Florenz – siehe Romualdi 2000. Siehe insbesondere: EAA VII (1966) 1157-1161 s. v. Vetulonia (A. Talocchini); EAA V Suppl. 2 (1997) s. v. Vetulonia (M. Cygielman) mit Verzeichnis der älteren Literatur; Benedetti 1959; Benedetti 1960; Camporeale 1967; Camporeale 1969; Camporeale 1985, 70-74 Kat. 156-239; Cygielman 1987, 175-216; Cygielman 1994c; Cygielman – Pagnini 2006. Zuletzt Cygielman – Pagnini 2006, 11 Anm. 2. Cygielman 1994a. Eine neue Bewertung und Zuordnung der Objekte im Archäologischen Nationalmuseum von Florenz ist nicht zuletzt angesichts der Zerstörungen durch die Überschwemmung von Florenz im Jahre 1966 und die daraus erfolgten neuen Restaurierungen wünschenswert. Siehe auch Cygielman – Rafanelli 2004. Beim vorliegenden Projekt handelt es sich um das Dissertationsthema der Verfasserin, das unter dem Arbeitstitel “Die Nekropolen von Vetulonia. Untersuchungen zur gesellschaftlichen Struktur und deren Entwicklung im Laufe der orientalisierenden Epoche anhand der horizontalen Stratigraphie und der Gräberanalyse” im Herbstsemester 2007 an der Universität Basel unter der Leitung von M. A. Guggisberg angefangen wurde. Einen gebührenden Dank möchte ich Herrn Dr. M. Cygielman aussprechen, der mir die Behandlung dieses spannenden Aspektes der Geschichte Vetulonias anvertraut hat. Celuzza 2007, 50. Für die Debatte um die Lage der Stadt und zur Geschichte der Entdeckung siehe Falchi 1895; Cygielman 1989, 139-140; Cygielman 1994b; Delpino 1994. Zu Isidoro Falchi siehe Bruni 1994. Grabungsberichte in der Zeitschrift „Notizie degli Scavi“, Jahrgänge 1885, 1887, 1892, 1893, 1894, 1895, 1898, 1900, 1908, 1913. Siehe auch Falchi 1891. Siehe Delpino 1994 sowie den im Archiv der Soprintendenza in Florenz und im Archivio di Stato in Rom aufbewahrten Briefwechsel zwischen Falchi, Milani und dem Ministro della Pubblica Istruzione (Archivio SBAT Esercizio 1889-1892, pos. D/9; ACS A.A.B.B.A.A. 2° Vers. I Serie Busta 89 f. 1585, Busta 91 f. 1592/2; ACS A.A.B.B.A.A. 3° Vers. II parte Busta 26 f. 71/4). Pernier 1919; Levi 1926; Talocchini 1963; Camporeale u. a. 1966; Talocchini 1981; Cygielman u. a. 2006. Siehe auch die Berichte in der Rubrik „Scavi e scoperte“ in StEtr 30, 1962; 31, 1963; 35, 1967; 36, 1968; 38, 1970; 39, 1971; 40, 1972; 41, 1973; 48, 1980; 55, 1987/88; 58, 1992. Die beim heutigen Dorf ausgegrabenen Strukturen stammen frühestens aus dem ausgehenden 6. Jh. v. Chr. und mehrheitlich aus hellenistischer und römischer Zeit. Zu den Hinterlassenschaften der antiken Stadt siehe Cygielman 1989, 111-139. Karten der gesamten Nekropole: Levi 1931, Beilage; Cygielman 1989, Taf. 2; Cygielman 2000, Taf. 3 B. Falchi 1887, 513-519; Falchi 1891, 75-85; Cygielman 1994a; Cygielman 2000, 33-38. Fossagräber dieser Zeit sind aus dem Poggio alla Guardia (Kampagnen

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1897 und 1900), aus dem Poggio alle Birbe (Kampagne 1889) und aus der Sagrona (Kampagne 1887) bekannt. Siehe: Falchi 1891, 5657. 184-186; Falchi 1898, 104; Cygielman 1994a, 286, Abb. 23-25. Zu den als Ripostigli stranieri bekannten Körperbestattungen siehe Falchi 1891, 67-74; Naldi Vinattieri 1957. z. B. Tomba del Duce: Camporeale 1967, 161-164; Circoli delle Pellicce: Falchi 1891, 160-177. Talocchini 1981, 121-122; Cygielman 1989, 123 n. 8, 124 n. 87, 125 n. 90, 127 n. 22-23, 132 n. 55, 133-134 n. 63, 136 n. 79; Cygielman 2000, 62-81. Viele Gräber aus archaischer bis hellenistischer Zeit sind unpubliziert. Falchi 1887, 524-528; Falchi 1891, 60-67. 109; Falchi 1895, 303304; Falchi 1898, 101-102. Die Grabkomplexe aus Vetulonia sind zur Zeit in den Magazinen des Archäologischen Nationalmuseums von Florenz, im Museo d’Arte e Archeologia della Maremma in Grosseto und im Museo Civico Archeologico „Isidoro Falchi“ in Vetulonia aufbewahrt. Levi 1931. Cygielman 1989. Levi 1931, 14-15 stellte eine archäologische Karte auf der Basis von Katasterplänen aus dem beginnenden 20. Jahrhundert zusammen. Siehe zuletzt Cuozzo 2003, 223 über die »élites visibili, maggioranza invisibile«. Gemäß einer ersten Auswertung des Erhaltungszustandes der Gräber bei ihrer Auffindung, wurden fast 20% der Gräber geplündert aufgefunden, darunter mehrheitlich die späteren Grabhügel. Weitere ca. 20% wurden zum Teil ausgeraubt, d.h. eine der Gruben eines Zirkelgrabes war geplündert und die anderen intakt. Ca. 46% waren nicht geplündert worden. Etwa 14% mussten als nicht beurteilbar eingestuft werden, da sie eine Leichenausstattung enthalten haben, jedoch nicht klar erwähnt wird, ob sie intakt gefunden wurde oder nicht. Siehe zuletzt Cuozzo 2003, 194-196 und Kapitel 5 und 6. »Società dei vivi, comunità dei morti: un rapporto difficile« ist der Titel des wichtigen Beitrages von B. D’Agostino (D’Agostino 1985). Zu den Forschungsrichtungen in der Nekropolenforschung siehe: D’Agostino 1985; Cuozzo 2003, 15-35 und Fulminante 2003, 1-19 mit weiterführender Literatur.

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Valentina Belfiore und Gilles van Heems

Neue Betrachtungen zum Liber Linteus – Die Begriffe hil und sacni

SUMMARY Despite numerous positive results after a century of research, the interpretation of many aspects of the liber linteus remains open. Nonetheless, given the advances in our knowledge of Etruscan morphology and syntax, a method which can afford us to reach new acquisitions is the already practiced bilinguistic comparison between texts with similar content. The authors’ aim in this study is to illustrate how hermeneutical progress can be achieved through a comparative study of passages from the liber linteus and Etruscan funerary inscriptions. Thus, focus is set upon two recurrent words of the ritual calendar, hil and sacni, which also appear in shorter texts, especially in funerary context. The former deals with delimitation; from this root derive other words certainly belonging to funerary vocabulary. For the latter, a thorough examination of the occurrences allows linking it with the achievement of specific rituals.

EINLEITUNG Allen an der etruskischen Kultur Interessierten ist bekannt, dass die indirekten Quellen äußerst knapp sind, während uns die direkten Quellen noch vielfältige hermeneutische Schwierigkeiten bereiten. Unter den direkten Quellen findet sich jedoch ein für die Religionshistoriker außerordentlich reichhaltiges Dokument: der sogenannte Liber Linteus von Zagreb (im Folgenden LL). Er ist das einzige Überbleibsel der Ritualbücher, die die lateinische Überlieferung der Etrusca disciplina zugeschrieben hat. Es handelt sich um einen Ritenkalender, der neben einigen kleineren Riten vier Zeremonien größeren Umfanges enthält, die jeweils entweder einer einzelnen Gottheit oder auch einer Gruppe von Gottheiten gewidmet sind1. Die Lexik der Gebete und der Opfergaben wirft jedoch noch einige Deutungsfragen auf, was bei den seltenen langen Texten des Etruskischen nicht ungewöhnlich ist. Zum Glück werden die sich stellenden Probleme zum Teil durch die große Zahl von Grabinschriften ausgeglichen; viele von diesen sind sehr kurz, bringen aber einige Interpretationsschwierigkeiten mit sich.

Dieser Beitrag zeigt, wie ein Vergleich zwischen Liber Linteus und Grabinschriften dabei hilft, einige Abschnitte des Liber Linteus besser zu verstehen, und darüber hinaus zur Erforschung des relativ neuen Forschungsfelds der etruskischen Grabrituale beitragen kann. Exemplarisch sollen zwei sowohl in den Grabinschriften als auch im Liber Linteus auftauchende Begriffe untersucht werden: hil und sacni.

1. hil Die Wurzel hil- ist im LL gut bezeugt. In der verbalen Funktion findet man den Ausdruck hilare acil, vergleichbar mit lat. opus est + Verb2; als Substantive und Adjektive werden die Formen hilχvetra, hilarθuna und möglicherweise hilar gebraucht, obwohl die Interpretation der Funktion der letzteren nicht immer klar ist (Tab. 1). Außerhalb des LL ist die Wurzel noch in Grabinschriften und öffentlichen Inschriften belegt. Der älteste Hinweis auf das Wort findet sich auf einem Cippus aus Tragliatella (Anfang 6. Jh. v. Chr.)3 (Tab. 2.1). Andere Belege sind durch rezentere Inschriften (4.-2. Jh. v. Chr.) überliefert, und zwar aus Volsinii im Grab Golini 1., wo der Genitiv hils eine Magistratur qualifiziert (Tab. 2.2); auf einem Cippus der Sammlung Bucelli (Tab. 2.3); auf einer Aschenkiste aus Cinigiano, wo hilar zusammen mit dem Namen der Verstorbenen erscheint (Tab. 2.4); und auf Grenzcippi aus Fiesole zusammen mit dem Wort tular („Grenze“) (Tab. 2.5). Anhand der Aschenkiste aus Cinigiano sind in der Vergangenheit Hypothesen formuliert worden, die Bedeutung des Wortes sei „Urne“ 4 oder „Haus“5. In den Inschriften aus Fiesole wurde die Form hil als Abkürzung für hilar verstanden und die Übersetzung mit consecratus vorgeschlagen6. Daneben verstand man hilar im liber als Adjektivform im Sinne von privatus in der Gegenüberstellung zu rasna/publicus7. Schließlich hat man auch an die Bedeutung „heilig” gedacht; daher stammt die Deutung „Tempel“ oder auch „im Tempelgebiet“ für die Form hilarθuna8. Helmut Rix hat hilar und hilχve- als

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Neue Forschungen zu den Etruskern

Tab. 1 LL III

1

[- - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - -]xxθ 2 mulac . x[- - - - - - - - -hu]rsi. puruθn. epris 3hilare. a[

LL VI

..aniaχ. urχ. hilχvetra 3 hamφeś. leiveś. turi

LL VII

13

zelva. murśś. etnam. θacac. usli. neχse vacl. cepen. θaurχ. ce[p]ene. acil

14

acil. ame. etnam. cilθcveti. hilare. acil

15

LL XI

f5

θui. araś. mucum. aniaχeś. rasna. hilar

LL XII ..caperi. zamtic. svem. θumsa 13 matan. cluctraś. hilar

Tab. 2 1) ET Cr 8.2 a1 [-?-]śerus 2[- ?-] hirumina x[---] 3[- ?-] b[-?-]ni marunu[-?-] 2[-?-]i hil θelenθ[-?-] 3[-?-]ni ma avil[-?-] 2) ET Vs 1.180 arnθ: leinies: larθial: clan: velusum 2neftś[:] hilsc marnuχ: tesc: esari: ru[--] 3l[-?-] amce 3) ET Cl 8.5 ein. ser. vl. remzna. clanc 2au. latini. cesu

a1

b

tular hilar nesl cclaruχieś

4) ET AS 1.253 hilar. sexxx[- - - - -]fulni 5) ET Fs 8.2 tular śpu/ral/ hil purapum/ visl/ 2vχ papr ET Fs 8.3 tular śpur2al hil pura3pum vipsl 4vχ papr Substantive aufgefasst: Beide wären demnach zwei allomorphische Plurale9. Nach Cristofani bezeichnet hilar neben tular die Sakralität der Feldergrenzen10. Steinbauer, wie die meinsten Gelehrten, hat hil auf den faesulanischen Cippen als wahrscheinliche Abkürzung für hilar verstanden: hilar sei hier zusammen mit tular eine Bezeichnung der „Grenze“11. Van der Meer hat kürzlich die Möglichkeit erwähnt, hil- sei entweder als „Ende“ oder als „Eigentum“ zu deuten; die kollektivische Form hilχve-tra gäbe aber Sinn, wenn man an ein „set of goods“, eher als an ein „set of endings“, denke 12. Beide Autoren sind der Meinung, dass für hilarθuna die Deutung von Facchetti als dominicalis (adj. zu hilarθu: dominus) gilt13. Zuletzt hat G. Colonna14 das Wort hil auf dem Cippus aus Tragliatella mit neuen Argumenten analysiert, ohne aber das Wort hilarθuna des LL zu betrachten. Seine Deutung ist sehr ausführlich. Man kann sie am besten beurteilen und Neues hinzufügen, indem die Inschriften aus Fiesole erneut betrachtet werden.

DIE INSCHRIFTEN AUS FIESOLE Die Texte aus Fiesole definieren die Grenze der Stadt, die aller Wahrscheinlichkeit nach durch die Form vipšl belegt ist15. Wie es bei der Festlegung der fines publici und bei dieser Art von Inschriften üblich ist, werden hier auch die Namen der Magistraten genannt, unter denen die Grenzen festgelegt worden sind16. Zu klären bleibt nur noch der Sinn von hil purapum. Laut Colonna erlauben die Zeugnisse aus

Fiesole, hil purapum als Hendiadyoin zu verstehen: d.h. hil als ähnlich zu cilθ (die Akropolis, im LL) und purapum als ähnlich zu meθlum (die Stadt, im LL und anderen Texten) zu betrachten, indem man die „obere” und die „untere Stadt” gegenüberstellt; die letztere Form sei später zu „Stadt“ oder urbs im allgemeinen Sinn geworden17. Anhand des Vergleichs des Genitivs hils-c der Inschrift aus Volsinii (Tab. 2.2, hilsc marnuχ), der trotz schlechter Lesbarkeit des Wortes in Zusammenhang mit einem Magistraturtitel stehen muss, mit der Form hil des Cippus aus Tragliatella, kann man erschließen, dass das Wort in den Inschriften aus Fiesole keine Abkürzung für hilar darstellt18.

hil- IN DEN GRABINSCHRIFTEN Die Grabinschriften (Tab. 2.3 und 2.4) scheinen jedoch nicht hil, sondern die durch -ar erweiterte Form hilar zu verwenden. Obwohl hilar auf dem Cippus Bucelli zusammen mit tular („Grenze“, wie auf den Cippen aus Fiesole) belegt ist, muss man das Wort im Zusammenhang mit dem Begräbnis interpretieren. Der Genitiv neš-l ist in der Tat normalerweise als „Verstorbene“ verstanden19; Die Cippi sind auch sehr oft Merkmal eines Grabes20. In die gleiche Richtung scheint auch der Träger der Inschrift aus Cinigiano zu deuten, wo hilar allem Anschein nach die Aschenurne selbst bezeichnen könnte. Zu der Inschrift Tab. 2.3 hat Colonna die Übersetzung “ummauerte Grenze der Verstorbenen” vorgeschlagen, in der

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V. Belfiore und G. van Heems, Neue Betrachtungen zum Liber Linteus – Die Begriffe hil und sacni

hilar das Adjektiv zu tular darstelle. Die Inschrift Tab. 2.4 hat er als „Einfriedung“ (auch im Sinne von „Haus”) gedeutet, gefolgt vom Namen des Verstorbenen. Am Beispiel dieser Belege ist die Form hil des Cippus aus Tragliatella (Tab. 2.1) von Colonna wiederum als „Einfriedung“ bzw. „abgegrenzter heiliger Raum“ oder „sacellum“ aufgefasst worden.

ZUR DEUTUNG VON hil UND DESSEN DERIVATE In den Vorschriften des LL würde das Wort hil laut der Erklärung von Colonna die folgenden Bedeutungen besitzen: - die Begrenzung eines Raums (hilare acil, „genauso ist auf den cilθcva-Akropolen eine Grenze nötig“, Kol. 3. und 7.); - ein finis publicus (zu rasna hilar, Kol. 11.)21. - das Ende der Handlung (hilar = terminatus est, Kol. 12.).

Zu hilχvetra der 6. Kolumne hat sich Colonna nicht geäußert. Es scheint sich um eine Vorschrift zu handeln, nach der irgendetwas links und rechts von den Grenzen geweiht werden soll24. Trifft diese Deutung das Richtige, so ist der Gewinn erheblich. Die Belege der 3., 6. und 7. Kolumne (hilare acil – hilχvetra hamφeś leiveś turi) könnten also vielmehr eine Feldereinteilung bedeuten, die bislang nur aus der indirekten Überlieferung bekannt war25. Trotz der noch offenen Fragen hat sich sehr wahrscheinlich für die Begrenzung der heiligen Orte endlich auch ein direkter epigraphischer Hinweis in einem etruskischen Text gefunden. DAS WORT hilarθuna Unter den Belegen sind jedoch bislang noch nicht die Texte mit hilarθuna betrachtet worden, die auch dieselbe Wurzel zeigen und leider nur im LL vorkommen: LL XII (..) 2aisna. iχ. nac. reuśce. aiseraś. śeuś 3θunχulem. muθ. hilarθune. etertic 4caθre. χim. enaχ. unχva. meθlumθ. puts 5muθ. hilarθuna. tecum. etrinθi. muθ 6nac. θuca. unχva. hetum. hilarθuna. θenθ 7hursic. caplθu. ceχam. enac. eisna. hinθu 8hetum. hilarθuna. etertic. cara caqra 9etnam. aisna. iχ. matam////

Die Ausdrücke muθ hilarθuna und hetum hilarθuna kommen häufig in der 12. Kol. vor (Z. 3, 5, 5-6); hilarθuna ist von Olzscha analog zu etertic caθra als Trankopfer betrachtet worden; etertic caθra bezeichnet laut Olzscha ebenfalls eine Opfergabe26. Das Wort steht auch im Zusammenhang mit hetum, und muθ. hetum kann Verb oder Substantiv sein. Der einzige eindeutige Vergleich kommt aus der 11. Kolumne: LL XI 4tur hetum vinum... „biete an und *gib Wein“ oder „biete an *Getränk und Wein“

Abb . 1: LL, 7. Kolumne (aus: Roncalli 1985).

Der LL gibt zwar die Formen hilar und hilare (acil) wieder, also die durch -ar erweiterte Wurzel hil, aber auch die Form hilχvetra, die von *hilχva- abgeleitet ist. Die zwei Suffixe -ar und -χva lassen sich nicht identifizieren: Eines markiert den Plural von belebten, das andere den von unbelebten Substantiven22. Das Morphem -ar bezeichnet ebenfalls keine einfache Adjektivisierung (dafür wird normalerweise -na verwendet), sondern es stellt wie schon erwähnt ein Ableitungssuffix dar, das andere Substantiva bildet, in denen der ursprüngliche Sinn modifiziert wird. Also können hil und hilχva einerseits „Grenze (vom Materialaspekt her betrachtet) bzw. Einfriedung” bedeuten; hilar kann demzufolge im übertragenem Sinne als „als Einfriedung/Grenze verwendet” interpretiert werden. Interessant ist dazu die Bemerkung, dass in der 7. Kol. des LL dem Ausdruck cilθcveti hilare acil unmittelbar eine Handlung vorausgegangen ist, die einige Urnen betrifft (zelva murśś); ihr folgt der Satz cepen θaurχ ce[p]ene acil, den man ungefähr mit „jede chthonische Handlung (θaurχ) vervollständigen“ übersetzt hat23.

Hier besitzt der Ausdruck, je nach Auffassung der grammatikalischen Funktion, die Bedeutung „anbieten” (o. ä.) oder „Getränk”. In der 12. Kolumne bezeichnet also hetum hilarθuna in etwa die Handlung des „Bringens“ bzw. „Anbietens“ einer Sache mit dem Namen hilarθuna oder des Getränks (hetum) hilarθuna selbst. Im übertragenen Sinne gedacht, kann man sich eine Verbindung mit der Bedeutung „Grenzen, Ende“ ungefähr mit dem Hinweis auf „den Komplex der Trank- und Opfergaben, bestimmt für die begrenzten Orte (auch Gräber, Nekropolen)“ oder einfach „mit dem Ende – dem Tod – verbunden“27, vorstellen. Die Idee, dass hilarθuna eine Bedeutung im Kontext von Begräbnissen hat, wird durch die Verbindung mit der Wendung etertic caθra noch verstärkt. Das Wort etera ist in zahlreichen Grabinschriften bezeugt, besonders auf Aschenurnen aus Perugia28, und scheint eher in Zusammenhang mit dem Begräbnis zu stehen, als den Verstorbenen irgendwie zu bezeichnen, wie lange vermutet worden ist29. Deshalb kann grob gesagt die Bedeutung „Begräbnis“ bzw. „dem Grab zugehörig” für eter : etera vermutet werden30. Obwohl das Wort hilarθuna nur im LL belegt ist, scheint es mit anderen Wörtern zusammenzuhängen, die in meh-

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Neue Forschungen zu den Etruskern

reren Fällen auf eine chthonische Bedeutung hindeuten. Dass die etruskischen Zeremonien und Handlungen für die Toten gewöhnlich in den Nekropolen stattfanden, ist keine Neuheit: Es ist nun auch durch zahlreiche in den etruskischen Nekropolen gefundene Cippi und Altare bewiesen31.

des politisch-institutionellen Wortschatzes zu stehen. Diese Belege erlauben also einen ersten semantischen Annährungsversuch und sind mit drei Formen im liber belegt (Tab. 3). Wichtig ist zu bemerken, dass das Wort in allen Belegen von sacnica des LL (außer einem) mit dem Substantiv cilθ eng verbunden ist. cilθ hat man schon als die etruskische Bezeichnung der befestigten Akropolis („arx“) identifiziert41. Weniger eng ist sacni mit anderen Wörtern des politisch-institutionellen Wortschatzes verbunden: *spura = civitas und meθlum = urbs. Ein nicht einfach zu lösendes Problem ist die Entscheidung, ob die Redewendung **sacnica cilθ zwei unterschiedliche Syntagmen oder ein einziges darstellt, da sacni ein adjektivisches Beiwort von cilθ oder eine Apposition zu demselben sein kann: śacnicla. / cilθl. śpural. meθlumeśc. enaś c{.l}a. θesan „von der-Sache-sacni, der Burg, der Gemeinschaft, und von irgendeiner42 Stadt…“ oder „der Burg, dieser sacni, der Gemeinschaft und irgendeiner Stadt…“

Abb. 2: LL, 12. Kolumne (aus: Roncalli 1985).

2. sacni sacni kann mit Recht als eine lexikalische Sicherheit im Etruskischen gelten: Bereits vor mehr als einem Jahrhundert wurde vorgeschlagen, dieses Wort mit der Wurzel *sak- zu vergleichen32, die vielfach in den italischen Sprachen belegt ist (lat. sacer, sanctus, sancīre; osk. sakoro, sakrim…)33. Die große Anzahl der Belege dieses Lexems, das sowohl in Grabinschriften als auch im LL und anderen Texten religiösen Inhalts erscheint, erklärt, warum sacni die Aufmerksamkeit vieler Wissenschaftler erregt hat. Diese haben versucht, den Sinn zu bestimmen, indem sie vom Zusammenhang mit lat. sacer ausgegangen sind: Die Deutungen bewegen sich zwischen den Extremen von lat. sacer und lat. pius34. Es soll hier der entscheidende Beitrag von H. Rix erwähnt werden, der zum großen Teil die Morphologie der von sacni abgeleiteten Formen erklärt hat, indem er die artikulierten Formen sacni-ca mit „Bruderschaft“ und sacni-σa mit „Mitglied einer Bruderschaft“ übersetzt hat35. In jüngeren Zeiten ist K. Wylin ersterem gefolgt; er hat vorgeschlagen, in dieser Form die technische Bestimmung des „Priesters“ (im Etruskischen) zu sehen36. Unser Ziel ist es, deutlich zu machen, in welchem Verhältnis es gestattet ist, den verfänglichen, aber schwierigen „technischen“ Sinn zu betrachten, welchen genaueren Sinn das Wort haben kann, und in welchem Rahmen dieses Wort uns helfen kann, etwaige andere Rituale zu rekonstruieren.

DIE BELEGE IM LIBER LINTEUS Das Wort sacni erscheint im LL nur artikuliert, das heißt zusammen mit dem enklitischen Pronomen -σa, das die Person bezeichnet, -ca und -ta (Demonstrativpronomen, die – so wie es scheint – Sachen bezeichnen). Es besteht ein doppeltes Interesse an diesen Belegen: 1) sie ermöglichen die Morphologie dieser Formen zu erklären und infolgedessen die Wortarten, denen sie angehören, zu bestimmen. 2) sacni scheint in engem Zusammenhang mit Wörtern

Die Belege mit Postpositionen lassen aber verstehen, dass sacnica nicht als Kopf des Syntagmas fungiert, sondern cilθ qualifiziert: śacnicśtreś. cilθś. śpureśtreś. enaś „von der Burg dieser-sacni, von einer Gemeinschaft“ śacnicleri. cilθl. śpureri meθlumeric / enaś „für die Burg diese-sacni, die Gemeinschaft, die Stadt eines“43

Das ist durch die Postpositionen -treś und -ri bewiesen, die nur in einem Teil des Syntagmas ausgedrückt sind44. Auf Grund der Belege des LL, können wir zwei Punkte festhalten, ehe wir die anderen Belege von sacni betrachten: a) vom morphologischen Gesichtspunkt her gibt sacni Anlass zum Gebrauch in artikulierter Form; zwei sind die lexikalische Klassen, zu denen die enklitischen Pronomen hinzugefügt werden: Die Eigenschaftswörter und die Substantiva im adnominalen Genitiv (syntaktisch entsprechend dem Adjektiv). sacni gehört deutlich zur AdjektivKlasse: Man bedenke, dass es durch die Endung -(n)i markiert ist, die häufig bei der Bildung der etruskischen Adjektive auftritt (lavtni, muni, *teisni…). b) vom syntaktischen Gesichtspunkt her können wir festhalten, dass dieses Adjektiv Anlass zur Qualifizierung von cilθ gibt – ein Wort, dessen Bedeutung gleichzeitig politisch und religiös ist –, und dass die erwähnten Stellen des LL nicht jede Burg bezeichnen, sondern lediglich diejenigen, die sacni sind.

DIE BELEGE AUS DEM GRABEREICH Außerhalb des LL sind die Belege von sacni zahlreich und lassen uns den Sinn des Wortes bestimmen; alle kommen aus rezenten Inschriften (4.-2. Jht. v. Chr.) und sind zum Großteil südetruskisch (Tab. 4). Wir werden uns bei einer Gruppe südlicher Inschriften aufhalten: einer Widmungsinschrift auf einer attischen

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V. Belfiore und G. van Heems, Neue Betrachtungen zum Liber Linteus – Die Begriffe hil und sacni

Tab. 3 - sacniσa nur an einer Stelle: ET LL VIII.10 vacl. ar. flereri. sacniσ́a (…) „Die Zeremonie37 (Akkusativobj.) der-sacni (Subj.) tue für das Opfer“. - sacnita, auch nur an einer Stelle: ET LL VII.6 hia. ciz. trinθaśa. śacnitn „hia (?) dreimal anrufend die-Sache-sacni (Akkusativobj.)“ - schließlich sacnica, das am meisten belegte Wort im LL, sowohl im Akkusativobjekt (sacni-cn)38, als auch im Genitiv (sacni-cla)39, im Ablativ oder Lokativ-Instrumental mit Postpositionen (sacni-cs-treś, sacni-cle-ri)40. ET LL XII.11 an śacnicn. cilθ. ceχa. σ́al / cus. ET LL V.22-23 śacnicla. / cilθl. śpural. meθlumeśc. enaś c{.l}a. θesan ET LL VI.7-8 etnam. velθinal. etnam. aisunal. θunχerś / iχ. śacnicla. ET LL VIII.14 (u. passim) śacnicśtreś. cilθś. śpureśtreś. enaś ET LL V.6 (u. passim) śacnicleri. cilθl. śpureri meθlumeric / enaś Tab. 4 - sacni: ET Ta 5.3 ET Vs 4.13

t. dell’Orco I Altar (Bolsena)45

- sacniσa: ET Cr 5.2 ET Ta 1.47 ET Ta 1.159 ET Ta 5.5 ET AT 1.193

Claudii-Grab t. 4467 Anina-Grab t. degli Scudi Kammergrab (San Giuliano) ET Vs 1.248 Sarkophag ET Vc 1.8 Cippus (Cavalupo) ET Vc 1.17 Cippus47 ET AT 1.109 Aleθna-Grab Maggiani 2009, Aschenurne aus 218 Volterra

- *sacnita: ET AS 4.5

Stele

Tab. 5 - sacniu: ET Cr 2.79 ET Vc 1.4 ET Vc 1.10 ET Vc 1.30 ET Vc 1.46

att. schwarzf. Amphora Cippus (Camposcala) Cippus (Cavalupo) Cippus (François-Grab) t. dei Due Ingressi49

([X mur]inas) sacni : θui : ceseθce tinia : tinscvil / s : asil : sacni

(…) / apac. atic / saniσ̀va θu/i. cesu / (…)46 (ramθa : ạp̣rịṇθaị) an / sacniσa : θui : ---eθrce (an[inas X]…) / saniσa θui puṭs (larθ : vel/χas…) sacniσa : θui / [ecl]θ : σuθiθ : acazrce elnei : ramθa clθ σuθiθ / sacniσa θui puts teta / avles velus θansinas / ati θuta a seies : ha / sacniσa [ra]ṃθa : papni : ạṛṃnes : apu[-?- / pui]a : hatrencu : sacniσ[a] ravn/θu sei/tiθi // ativu / sacni/σa atur/σ ạ[---.] aleθnạṣ. σeθreσa. neσs. sacn[-10/14-]48 ] petru. ls. cavinal. mut --- r. LXXIII. sacniσa

?] / nuvlaiuś [-?-] / nanuś [-?-] / lut : σ́an[-?-]/iś arsva [-?-] / śacnitle [-?-]/niai : aine[-?-]ri cị vi : cia[-?-]/na : alster[-?-] / σ́anti vin(u)m [-?-]θna es[

uneia saniu eca. σuθi. larθal. tarsalus. sacniu eca σuθi tarχas levial ḥatṛ[en]c̣u sacniv ]sac̣niu. marce : tetnies : veru : sacniu

Tab. 6 - sacni(σa) + θui + V-ce: ET Ta 5.3 ([X mur]inas) sacni : θui: ceseθce ET Ta 1.47 (ramqa : ạp̣rịṇθaị) an / sacniσa : θui : ---eθrce ET Ta 5.5 (larθ : vel/χas…) sacniσa : θui / [ecl]θ : σuθiθ : acazrce

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Neue Forschungen zu den Etruskern

schwarzfigurigen Amphora vom Ende des 6. Jh. v. Chr., wahrscheinlich aus Cerveteri, und vier rezenten Grabinschriften aus Vulci (darunter drei auf Cippen), die die Form sacniu belegen (Tab. 5). Wir haben es hier mit einer Verbalform zu tun, einem Perfectum, das man mit den Verbaladjektiven auf *-to der indogermanischen Sprachen vergleichen kann50: So wird die Wendung ‚eca σuθi + gen.51 + sacniu‘ der vulcentanischen Cippi verständlich, indem man „dieses Grab (ist) dem X geweiht (worden)“ übersetzt. In gleicher Weise bedeutet die Inschrift auf der schwarzfigurigen Amphora, dass der Gegenstand „der Uni geweiht (worden ist)“ (indem man uneia als den archaischen Genitiv des Götternamens Uni versteht52). Dank der Grab- und Weihinschriften lassen sich folgende Schlüsse ziehen: Das Adjektiv sacni, allein oder durch das Pronomen -σa artikuliert, kann sowohl einen Mann als auch eine Frau bezeichnen. Außerdem kann sacni das Unbelebte bezeichnen: Auf dem Altar von Bolsena wird der Altar (der wahrscheinlich im Etruskischen asil genannt wurde) eindeutig als sacni bezeichnet, das wir schwer anders als „heilig“ auffassen können53. Auch im LL bezeichnet sacni (diesmal durch das Demonstrativpronomen -ca artikuliert) einen Ort der Stadt, der gleichzeitig eine heilige, politische und Schutzfunktion hat, wie der cilθ (im Gegensatz zu spura und meθlum, die zusammen mit dem ersten vorkommen, aber nie als *sacnica qualifiziert sind). Das Spektrum der Bedeutungen dieses Adjektivs deckt das Belebte wie auch das Unbelebte ab. Schließlich kann sacni eine bestimmte Ritualhandlung darstellen (sacniu), deren Objekt sowohl das Grab als auch die Opfergabe für eine Gottheit sein kann.

Die Deutung des Liber Linteus bleibt noch zum grossen Teil offen. Trotzdem können die Vergleiche mit anderen etruskischen Texten mit der Unterstützung der indirekten Überlieferung dabei helfen, mehr Informationen zu gewinnen. Das Beispiel von hil zeigt, dass der Ritus des LL auch die Begrenzung von Orten (confinatio) u. a. betreffen kann, wenn dies mit hilare acil in der 7. Kolumne gemeint ist (wahrscheinlich die Begrenzung von Nekropolen, wenn man dort eine Grabzeremonie durchführt – vgl. cepen θaurχ). Auch Gaben oder Zeremonien im Allgemeinen, die für die Toten bestimmt sind (wenn so hilarθuna zu deuten ist) könnten gemeint sein. Obwohl das Wort sacni seit langem als zu dem semantischen Feld „heilig“ gehörend gehalten wird, bleibt sein treffender Sinn noch unklar. Dieser Begriff ist aber ein Adjektiv, das in den etruskischen Texten (Liber Linteus, Grab- und Weihinschriften) sowohl Personen als auch Gegenstände bezeichnet. Durch eine aufmerksam Untersuchung von allen epigraphischen Belegen dieses Begriffes, die im Wesentlichen seinen Sinn („heilig ~ fromm“) bestätigt, schlagen wir vor, den Gebrauch dieses Adjektivs in bestimmten Grabinschriften als Indiz dafür zu interpretieren, dass der Verstorbener bestimmte Ritualhandungen (vielleicht für die Grabeinweihung) erfüllt hat.

sacni ALS INDIZ DER VOLLENDUNG EINER RITUALHANDLUNG?

ANMERKUNGEN

Aus den Ausführungen kann gefolgert werden, dass der überlieferte Sinn „geweiht/heilig“ (bei Sachen) und „heilig, fromm“ (bei Personen)54 sich allen belegten Stellen des Wortes anpasst. Wir würden uns nun aber fragen, ob man diesen allgemeinen Sinn überschreiten und sacni einen technischen Sinn geben kann – geht man von „der seine eigenen heiligen Pflichten erfüllt hat“ aus. Gerade die große Zahl der Grabinschriften, bei denen das Wort erscheint, legt diesen Weg nahe. Es geht im Speziellen um die Inschriften auf vulcentanischen Cippi und allgemein um die Inschriften aus Südetrurien, besonders aus Tarquinia, wo sacniσa im selben Zusammenhang wie das Adverb θui „hier“ vorkommt. Wir haben außerdem den Ausdruck sacniσa θui puts55, der aber immer noch große Interpretationsprobleme bereitet56. Hier muss man aber die Wiederholung der formellen Struktur ‚sacni(σa) + θui + V-ce‘ unterstreichen, wie in den Inschriften der Tab. 6. Sie beweisen, dass der oder die Verstorbene gewisse Ritualhandlungen „hier“ im Grab ausgeführt hat, und dass er oder sie dadurch sacni geworden ist oder sich als solche/r gezeigt hat. Es scheint mir ein wichtiges Indiz zu sein, dass sacni in den Grabinschriften den Verstorbenen „technischerweise“ bezeichnet. So erklärt sich auch, dass das Wort allein, weder mit θui noch mit einem Verb, vor-

kommt: sacni(σa) wäre so der elliptische Ausdruck der Verbalformel. Leider ist es für uns unmöglich, die Natur dieser Handlungen weiter zu bestimmen; es scheint aber wahrscheinlich, dass diese Formel sich auf die Einweihung eines Grabes bezieht, was in Vulci durch den passivischen Ausdruck ‚eca σuθi… sacniu‘ bezeichnet ist.

SCHLUSSBETRACHTUNG

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Zum Text vgl. Van der Meer 2007 und V. Belfiore, Il liber linteus di Zagabria. Della testualità e del contenuto (i. Dr.). Olzscha 1961. Zur neuen Lesung vgl. Colonna 2007. Goldmann 1929, 51-52; Goldmann 1930, 253-267. Hier wurde das Wort auch als Flüssigkeitsmaß oder Becken gedeutet. Torp 1903, 19; Trombetti 1928, 117. Cortsen 1935a, 168; Steinbauer 1999, 427 ist auch dieser Meinung. Vetter ad Cortsen 1935, s.v. hilar, hilare, hilarθuna (-θune). Cortsen 1943, 329. Die zwei unterschiedlichen Endungen -ar und -χva würden dieselbe Funktion haben, vgl. Rix 1984, § 27. M. Cristofani, Dizionario della civiltà etrusca (Florenz 1999) 158. Steinbauer 1999, 427. Van der Meer 2007, 76. G. M. Facchetti, L’appellativo etrusco etera, StEtr 65-68 [225235]. 233; Steinbauer 1999, 427. Van der Meer 2007, 154 erwähnt auch die Interpretation von Benelli 2003, 95 von hilarθuna als Begrenzung eines Ortes. Colonna 2007. Vgl. Lambrechts 1970, 65, wo der Autor visl und vipsl mit visulis verglichen hat, und Pallottino 1937, 351-356, der eine Form *vi(p)s(u)lis wiedergegeben hat. Lambrechts 1970, 65. Colonna 2007, 103. Ungefähr würden also die zwei Inschriften bedeuten „Confine pubblico. hil purapum (= obere und untere Stadt) von Fiesole“. So Pfiffig 1969, 272; Steinbauer 1999, 427, wie schon oben erwähnt. Das Wort ist nicht auf den fiesolanischen Bereich eingeschränkt (Colonna 2007, 102-103). Nešl ist normalerweise in Grabinschriften in Ausdrücken wie eca śuθi nesl + Anthroponym zu finden. Aus diesem Grund haben viele an die Bedeutung „Verstorbene“ gedacht (vgl. Wylin 2000, 283).

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Mazzarino hat die Inschrift Nr. 3b als finis territorii mortuorum divisi gedeutet, hil- bezeichne hier einen Ort oder den “bestimmten Teil eines Ortes”; vgl. Lambrechts 1970, 71. Nach Colonna 2007, 103 “Einfriedung/dem populus gehörende Grenze ”. Agostiniani 1993, 34; Agostiniani 1995. Man vergleiche die Form θaura/θaure in den Grabinschriften, wo das Wort gewöhnlich als Identifizierung des Grabes verstanden wird, Adiego 2007. Vgl. dazu den Kommentar zur 6. Kol.: V. Belfiore, Il liber linteus di Zagabria. Della testualità e del contenuto (i. Dr.). Dass die Formen auf -χva immer als Kollektive funktionieren – oder erkennbare sind – ist fraglich. Man muss bedenken, dass eine Mehrzahl von unbelebten Sachen entweder durch das Wort im Singular oder durch -χva bezeichnet wird, d.h. entweder ist der Begriff “Plural” nie ausgedrückt oder nur als Kollektivität gedacht, was nicht immer sein kann. Archäologische Beweise in diesem Sinn fehlen nicht, vgl. die etruskische Cippi gromatici (aus Marzabotto usw.). Die Existenz eines etruskischen Templums (= rituale Einteilung des Raums) ist durch die Bronzeleber aus Piacenza bewiesen (Mart. Cap. Nupt. Merc. Phil.); Die Normen zur Einrichtung eines Templums sind aber direkt nur aus den Iguvinischen Tafeln überliefert worden; vgl. G. Devoto, Le tavole di Gubbio (Florenz 1948) 16-17 20; S. Sisani, Tuta ikuvina: sviluppo e ideologia della forma urbana a Gubbi (Rom 2001). Dennoch ist das Verfahren von Plin. nat. hist. 2, 143 den Etruskern zugeschrieben. Die etruskische Plastik zeigt auch Landmänner mit Pflug, die eine Furche (sulcus) ziehen (carrello di Bisenzio; gruppo di Arezzo). Schriftlich zeugt nochmal die griechische und lateinische Überlieferung davon, dass der sulcus primigenius und das pomerium zur Gründung Roms vorkommen (u. a. Dion. Hal. 1, 88, 1-3); laut den Autoren hatten sie aber einen etruskischen Ursprung (Plut. Rom. 11 ,1 – 12, 2). Olzscha 1952-53, 287. Die Adjektivbildung sowohl von hilarθuna als auch von caθra und ihre wiederholte Verbindung lassen in der Tat vermuten, dass die zwei Wörter ähnliche Bedeutungen hatten. Vgl. G. Forni, ‘limes’: nozioni e nomenclature, in: M. Sordi (Hrsg.), Il confine nel mondo classico (Mailand 1987) 272 ff. zum Sinne des Wortes limes (metaphorisch als medio de limite vitae, recto descendunt limite Parcae belegt); A. Van Gennep, Les rites de passage (Nourry, Paris 1909): Der Übergang von einem Ort zum anderen (präliminar, liminar, postliminar, ebenda 27) ist durch die Öffnung der Türen hervorgehoben (ebenda 276); dieses Leitmotiv erscheint in vielen architektonischen Werken, in der etruskischen Malerei und Grabskulptur (z.B. auch auf der Aschenurne aus Cinigiano). Der Übergang kann auch zwischen unterschiedlichen Zuständen erfolgen: vom Leben zum Tode und umgekehrt vom Tode zum Leben (ebenda 279). Als Übergang werden auch die Grabzeremonien verstanden (ebenda 209). Zu etera vgl. Benelli 2003. Zu finden sind die Inschriften mit etera ausnahmslos in Perugia; unterschiedlicher ist die Verteilung der Inschriften mit dem Ausdruck lautn eteri (aus Perugia, Clusium, Ager Saenensis, Arretium). Zu den vorhergehenden Studien, vgl. Benelli 2003. lautn eteri würde also “in dem Familiengrab (?)” heißen. Der Sinn von caθra ist immer noch sub iudice. Das Wort besitzt in der Tat keinen eindeutigen Vergleich. Es ist jedoch wahrscheinlich, an eine Ableitung von caθa zu denken, die sowohl als Cognomen als auch als Theonym in rezenten Inschriften belegt ist. In diesem Kontext ist zusammen mit caθa auch paχa zu finden. Die Verbindung würde als Hinweis auf Apollon und Bacchus gedeutet, vgl. J.-M. Pailler, Fuluns e Catha: significato di un’associazione divina nella tarda età etrusca, in: Atti Firenze 1985 [1989], 3. Band, 1205-1211. Zu dem Vergleich mit dem archaischem cavuθa als Unterweltgottheit (in etwa Proserpina) vgl. Colonna 1993. Steingräber 1997. Torp 1902, 32-33, besonders: „Dass sacni mit latein. sacer verwandt ist, auch das nehme ich mit Deecke an. Vielleicht ist das Wort einer italischen Sprache entlehnt. sacni, P. 402 (t. dell’Orco), und suqi sacniu sind meines Erachtens gleichwertige Ausdrücke. Beides bedeutet „ein geweihtes Grab“ (…)“. Wir haben jedoch nicht herausgefunden, an welcher Stelle seines Werks W. Deecke diesen Vorschlag gemacht hat. Da die indogermanische Etymologie dieser Wurzel nicht sicher ist, ist die Richtung der Entlehnung (von einer italischen Sprache her zum Etruskischen oder umgekehrt) auch nicht gesichert. Der traditionelle Vergleich mit heth. šaklai- „Sitte, Ritus“ ist nicht überzeugend. Zu diesem Problem vgl. Ernout-Meillet 1931, s.v. sanciō. Siehe auch für einen sehr rezenten Beitrag Maggiani 2009.

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Rix 1991, 682, der für sacnica von einer „associazione culturale comparabile ai frater Atiieřiur delle Tavole di Gubbio“ spricht. Wylin 2000, 282 ff. Ähnlich Van der Meer, der vorschlägt, das Wort sacni-ca als „priest- or brotherhood“ (Van der Meer 2007, 49-51 und 62, wo er ET LL II, 4-5, wiedergibt) zu übersetzen. Für diese Bedeutung siehe Cristofani 1995, 63; Wylin 200, 86 f. mit Literatur. ET LL XII.11. ET LL V.22 und VI.8. ET LL II.n4, II.7, V.6, V.13, VII.18, IX.5, IX.12 und IX.21. Wegen dieses Wortes und der folgenden bleibt die Untersuchung von G. Colonna (Colonna 1988 = Colonna 2005, III, SS. 1872 ff., für die Ausdrücke, die wir hier in Augenschein nehmen) grundlegend. ena ist ein Indefinitpronomen, das in affirmativen Sätzen einen generalisierenden Wert hat und in verneinten Sätzen einem NullQuantität-Pronomen (= „nichts“) entsprechen muss (wie es bei der Inschrift der Tomba dell’Iscrizione in der Nähe von Chiusi zu sein scheint: ein θui ara enan „man mache hier nichts!“); dieser Text wird in Benelli 1998, 213 ff. herausgegeben und kommentiert. ena ist also ganz und gar vergleichbar mit dem lat. Pronomen quisquam. Wegen dieser Stellen des Liber Linteus scheint es mir schwierig, die Interpretation des Syntagmas śacnicleri cilθl als „für das Kollegium von den Priestern der Zitadelle“ anzunehmen, wie von Rix 1991 und Van der Meer 2007 vorschlagen: Der syntagmatische Zusammenhalt wird, meiner Meinung nach, durch den Parallelismus mit dem Ausdruck śacnicśtreś cilθś śpureśtreś enaś bewiesen, in dem das Substantiv cilθś in Kasuskongruenz mit śacnicś- steht, das für mich der Begleiter von cilθś sein muss. Der Einwand von Van der Meer, dass die Stellung des Adjektivs normalerweise nach dem Substantiv ist und dass also śacnicleri substantiviert sein soll, ist meiner Meinung nach nicht ausreichend, um unsere Analyse zu widerlegen. Nämlich zusätzlich zu den Schwierigkeiten, die diese sogenannte „Regel“ bereitet, die unsicher ist, und den vielen Topikalizationsphänomenen, die eingreifen und die unmarkierte Wortstellung (Agostiniani 1992, 59) verändern können, werde ich hinzufügen, dass das Adjektiv sacni in diesem speziellen Gebrauch, der sich im Liber wiederholt, immer artikuliert wird. Nun ist die Artikulation ein zwingendes Syntaxphänomen, das wahrscheinlich die unmarkierte Wortstellung, die wir erwarten könnten, verändern kann. Also unter diesen Bedingungen erlaubt das Voranstellen von sacnica, diesen Begriff als ein Adjektiv zu interpretieren. Zum Kongruenzproblem, das die etruskischen Nominalgruppen mit Postposition stellen, verweisen wir auf eine Arbeit im Druck: Van Heems 2007; nicht in diesem Beitrag erwähnt wird das Kasusproblem, das der Gen. cilθl in dem Syntagma śacnicleri cilθl stellt. Bothros-Altar während der Il Poggetto-Ausgrabungen (Bolsena, 1882) gefunden; andere Weihinschriften (für Selvans) wurden bei diesen Ausgrabungen gefunden (vgl. Morandi 1990, 59 ff.). Man kann sani-σ̀va „die-sacni“ für den Plural von sacni-σa halten (zu den Pluralformationen dieses Pronomes siehe Adiego 2001, 4 ff.); wir haben nämlich andere Belege der Schreibung *sani statt der erwarteten (und mehrheitlichen) Schreibung: vgl. die Inschrift der t. degli Scudi oder die Widmungsinschrift auf einer schwarzfigurigen Amphora, wahrscheinlich aus Cerveteri (siehe unten). Es handelt sich um ein häufiges Assimilationsphänomen des Gutturals vor Nasal, das sehr gut in Südetrurien belegt ist (z.B. nana, anavence, vielleicht larna statt nacna, *acnan-, larcna; vgl. ET, s.v.); es ist wahrscheinlich, dass die Schreibung mit -n- statt -cn- einen nasalen Guttural (/ŋ/) beschreibt. Nach den Entdeckungsumständen sollte dieser Cippus zu dem François-Grab gehören. Dagegen Tamburini 1987, 144 A. 49. Die Rekonstruktion sacn[iσa] (oder abgeleitete Form) scheint sicher gemäß dem, was die ersten Herausgeber berichten: siehe Wylin 2000, 279 A. 723. Die Inschrift steht auf dem Sarkophag des Verstorbenen. Die Gleichheit sacniu = „sacratus/consecratus“ ist ein alter Vorschlag (vgl. schon Torp 1902, 6). Heute aber fügt sich diese Form vollkommen in den morphosemantischen Rahmen ein, von K. Wylin vorgeschlagen (vgl. Wylin 2000, 132-147). Es handelt sich um den so genannten „Weihgenitiv“: das Etruskische drückt durch den Genitiv die semantische Rolle Rezipient (Rez.) aus – der in den klassischen indogermanischen Sprachen gewöhnlich durch den Dativ ausgedrückt wird. Daher soll man diese Formel von denjenigen, die den Besitzgenitiv (wie ‚eca σuθi + Gen.‘: „Dieses Grab gehört dem X “) verwenden, genau unterscheiden. Zu der Formenlehre des Genitivs in der archaischen Zeit vgl. Agostiniani 1992, 53-54. Man kann für ein wichtiges „bilinguistisches“ Indiz, obwohl es m.

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E. bis jetzt unberücksichtigt blieb, eine lateinische Inschrift halten, die aus der Area del Pozzarello (Bolsena) stammt, wo zur römischen Zeit ein Silvanus-Heiligtum stand (vgl. Morandi 1990, 8789). Dieser beschriebene Cippus trägt den Text Silvano / san(cto) / s(acrum), dessen Formel als die „Latinisierung“ der etruskischen Formel ‚Gen + sacniu‘ erklärt werden könnte. Man sollte aber deutlich machen, dass der Wandel der Bedeutung von „heilig“ bis „fromm“ nicht klar ist und einer weiteren Erklärung bedarf. Vielleicht können wir annehmen, dass das Wort sacni eine doppelte Wertigkeit bzw. eine aktive und eine passive hat (sacni = „jener, der heilige Sache macht / was heilig ist“)? Vgl. ET Ta 1.159 und AT 1.193. Die Übersetzung der Wortform puts mit lat. „positus“, die H. Rix vorgeschlagen hat (Rix 1991, 681-683), ist nicht sehr treffend (zu den Problemen, die dieses Wort aufwirft, siehe Wylin 2000, 220221); seine Bedeutung soll sub iudice bleiben.

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Marina Sclafani

Deckel etruskischer Aschenkisten mit Ehepaardarstellungen hellenistischer Zeit*

Summary

This contribution will focus on terracotta cinerary urns produced in northern middle Etruria in the Hellenistic period, depicting married couples on the lid and mythological scenes or scenes from the underworld on the casket. These urns differ from standard urns with the figure of the deceased on the lid produced during the same period in Chiusi, Perugia and Volterra, in the following ways: 1) they were sometimes found in family tombs; 2) they display a very high quality of craftsmanship or a special attention to the commissioners’ tastes and requirements; 3) the iconography of the couple’s embrace differs substantially: instead of stroking each other or engaging in libation/sacrifice, they either engage in the sexual act, hug or kiss. These iconographic depictions are the result of specific requests by commissioners, rather than variations on the theme of marital love, and, if examined in relation to relief decorations, they constitute a valuable source for studying the taste and requirements in self-representation of the Etruscan elite in the Hellenistic period.

Einleitung

Gegenstand dieses Beitrags ist ein spezieller und nur wenig verbreiteter Typ etruskisch-hellenistischer Aschenurnen, der auf dem Deckel ein auf einer Kline gelagertes Ehepaar zeigt. Das Ehepaar wird in unterschiedlicher Weise dargestellt: im Liebesakt, sich umarmend oder sich küssend oder einfach nebeneinander liegend. Diese Art der Deckelgestaltung ist gegenüber dem anderen Typus, der nur eine Figur abbildet, sehr selten. Solche Deckel wurden ausschließlich in großen Familiengräbern gefunden1 und haben oftmals monumentale Ausmaße, so dass es sich um Grabmäler einer Elite handeln dürfte. Damit bilden sie eine wertvolle Quelle für den Geschmack und die Repräsentationsbedürfnisse der etruskischen Oberschicht in hellenistischer Zeit. Diese bisomen Urnen gehören zu hellenistischen Terrakottaurnen aus Chiusi und Perugia, mit denen ich mich im Rahmen meiner Dissertation beschäftigt habe2.

Dabei handelt es sich um in ihrer Zeit sehr bekannte und weit verbreitete Objekte3, die hauptsächlich in Chiusi, meist unter der Verwendung einer Matrize, gefertigt wurden. Die Urnen bestehen stets aus einer quaderförmigen Kiste und einem von der Kiste separat gearbeiteten Deckel. Auf dem Deckel ist in der Regel nur eine männliche oder eine weibliche Figur dargestellt. Auf den Kisten sind griechische Mythen abgebildet (z. B. der Kampf zwischen Eteokles und Polyneikes4), lokale Mythen (z. B. Olta und Porsenna5), Szenen unsicherer Deutung (Heros mit dem Pflug6) und Themen mit einer auf den Tod bezogenen, symbolischen Bedeutung (z. B. die Reise des Toten in die Unterwelt, Skylla, Gorgoneia oder eine Kline). An der Darstellung des Verstorbenen auf dem Deckel lassen sich chronologisch bedingte Veränderungen verfolgen: Die ältesten Beispiele aus der Mitte des 3. Jhs. v. Chr. zeigen einen auf einer Kline gelagerten Mann mit entblößter Brust und einer Patera in seiner rechten Hand. Ab dem zweiten Viertel des 2. Jhs. v. Chr. ist der Verstorbene mit einer Tunika bekleidet, über der er zusätzlich einen Mantel trägt, der teilweise auch über den Kopf gezogen wird. Die Frauen sind hingegen immer bekleidet und haben manchmal den Kopf in ein Tuch gehüllt. Anstatt einer Patera halten sie einen Fächer. Sind die Figuren bis dahin stets gelagert dargestellt, ist der Verstorbene ab der zweiten Hälfte des 2. Jhs. v. Chr. fast immer flach auf der Kline liegend und vollkommen in einen Mantel gehüllt abgebildet. Nur selten hält er noch Gegenstände in den Händen. Der Gelagerte mit entblößter Brust und Patera erinnert an die Welt des Gelages7. Ist er hingegen mit einer Tunika und einem Mantel bekleidet und bedeckt er seinen Kopf, scheint es sich eher um die Darstellung eines Opfernden zu handeln8. Der später auftretende flach ausgestreckte und vollkommen in einen Mantel gehüllte Mann hat mit dem Bankett nun nichts mehr zu tun9. Er scheint vielmehr bereit für seine Reise ins Jenseits. Auch im Verlauf des 2. und 1. Jhs. v. Chr. nimmt das Thema des Gelages auf den Urnen immer mehr ab. Nach A. Maggiani10 ist diese Veränderung mit dem senatus consultum de Bacchanalibus in Zusammenhang zu bringen,

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Neue Forschungen zu den Etruskern

wodurch der römische Senat im Jahr 186 v. Chr. versuchte, die Verbreitung der dionysischen Mysterien in Rom und Etrurien zu unterbinden. Die Darstellungsform des halbnackten und Wein trinkenden Mannes beim Gelage könnte in der Folge verboten oder zumindest als unpassend empfunden worden sein, weil sie das ewige Gelage evozierte, welches den in die dionysischen Mysterien Eingeweihten versprochen wurde11. Auf den Urnendeckeln mit einem Ehepaar können die männlichen Gelagerten auch mit unbekleidetem Oberkörper, mit der Tunika oder mit verhülltem Haupt dargestellt werden. Dies hat hier jedoch eine andere Bedeutung, da neben ihm eine Frau liegt, die ihrerseits ebenfalls nackt oder bekleidet dargestellt sein kann.

Typologie

Ein außergewöhnliches Stück ist die aus Alabaster bestehende und in Chiusi gefertigte Urne aus der Sammlung Casuccini (Appendix Nr. 24, Abb. 1)12. Die Urne wird in die Mitte des 4. Jhs. v. Chr. datiert. Auf der Kistenvorderseite ist der Zweikampf zwischen Eteokles und Polyneikes dargestellt. Ein aus dem Untergrund auftauchender Vanth dringt in die Szene ein. Auf dem Deckel befindet sich das Ehepaar.

der durch die Heirat erreicht wurde, und repräsentiert in symbolischer Weise den Ritus des Übergangs ins Jenseits. Das Zurückgehen erotischer Darstellungen könnte ebenfalls mit dem von Maggiani bereits angesprochenen senatus consultum zusammenhängen. An dieser Stelle sollen an einigen Urnen mit verheirateten Paaren auf den Deckeln exemplarisch verschiedene Möglichkeiten der Darstellung aufgezeigt werden, die diese besonderen Monumente hinsichtlich der Typologie bieten. Daraus ergeben sich unterschiedliche Interpretationen14. Darüber hinaus wird der Versuch einer Rekonstruktion von einem Deckel einer Urne aus Terrakotta der PalazzoneNekropole gemacht (Appendix Nr. 13, Abb. 3-5). Aus Perugia und seinem Territorium stammen mit 13 Stücken die meisten Exemplare. Sehr bekannt ist die Urne aus Todi, die es Maggiani erlaubte, die Werkstatt des Oinomaosmeisters zu identifizieren (200-180 v. Chr., Appendix Nr. 1). Der einen Krater in den Händen haltende Mann umarmt seine Frau, die ihre Augen auf ihn gerichtet hat. Aus demselben Grabkontext kommen die zwei Urnen in Klinenform des tite petruni Grabes (Appendix Nr. 2-3) und die zwei Urnen des cai carcu Grabes (Appendix Nr. 4-5).

Abb. 1: Deckel mit gelagertem Paar. Mitte 4. Jhs. v. Chr. Aus Chiusi. Alabaster. Palermo, Museo Archeologico Regionale “A. Salinas”. Sammlung Casuccini (nach: Colonna 1993, Taf. 1 a).

Dieses ist mit einem einzigen Mantel bedeckt, der jedoch mehr die nackten Stellen der Körper betont. Der Mann hat seine Hand auf die Brust der sich ihm zuwendenden Frau gelegt. Unter demselben Mantel zu liegen thematisiert in der antiken Bildsprache grundsätzlich eine sexuelle Beziehung13, in diesem Fall wohl die Besitznahme der Frau durch den Mann, was gleichbedeutend ist mit dem Akt der Eheschließung. Die Kline kann sowohl als Ehebett als auch als Bett eines Symposions verstanden werden. Die Urne ist ein Unikum. Keine andere Urne und kein anderer Sarkophag führen in derart expliziter Form den sexuellen Aspekt des Ehelebens vor Augen. Die derart dargestellte Erotik – ein wichtiges Element in den archaischen Gelagedarstellungen sowohl bei heteroals auch bei homosexuellen Paaren – verschwindet nach dem 4. Jh. v. Chr. vollkommen aus der Funeralkunst. Das Ehepaar auf den späteren Urnendeckeln führt vielmehr den gesellschaftlichen Rang des Paares im Leben vor Augen,

Abb. 2: Aschenurne aus der Nekropole ‘Casaglia’, Grab 1 (nach: Cenciaioli 2004, 17-18, 5).

Möglicherweise trennten in Perugia die Urnen mit Ehepaardarstellungen im Innern der Gräber verschiedene Generationen. Die Urnen der tite petruni zeigen die Ehepartner auf gleiche Weise: Der Mann umarmt sei-

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M. Sclafani, Deckel etruskischer Aschenkisten mit Ehepaardarstellungen hellenistischer Zeit

ne Frau. Diese ist die gewöhnlichste Art und Weise der Repräsentation auf bisomen Urnen. Hierbei wird der Besitzanspruch des Mannes gegenüber seiner Frau sowie die mit ihr verbundene ökonomische und gesellschaftliche Stellung thematisiert, die durch die Verbindung erreicht wurde. Die Inschrift bezieht sich auf beide Eheleute, was durch das Wort tusurthir klar hervorgeht. Auf dem Deckel des Stücks aus der Casaglia-Nekropole (Mitte des 1. Jhs. v. Chr., Appendix Nr. 6, Abb. 2) küsst sich das Paar, und die Frau umarmt ihren Mann. Auf der Kistenvorderseite sieht man eine dextrarum iunctio. Die Urne gehört – wie wiederum aus der Inschrift zu entnehmen ist – der Frau, und der Akzent der Darstellung liegt auf der Herzlichkeit. Diese Darstellungsweise ist wenig verbreitet15 und ist wahrscheinlich dem besonderen Bedürfnis der Auftraggeberin geschuldet. Besonders interessant ist ein kontextloses Stück einheimischer Herstellung aus Terrakotta (Appendix Nr. 9). Die Kiste mit kleinen Füßen in Terrakotta nimmt den lokalen sonst in Travertin hergestellten Typus auf. Auf dem Deckel umarmen sich die mit schlecht proportionierten Formen versehenen Partner und schauen sich an. Hierbei wird demnach vor allem die gegenseitige Zuneigung unterstrichen. Auf einem Terrakottadeckel aus dem cai carcu Grab (Appendix Nr. 5) berühren sich die Ehepartner dagegen nicht. Das Bild ist auf die Patera ausgerichtet. Der Mann opfert und die Frau nimmt an dem Ritual teil. In der Darstellung auf dieser jüngeren Urne (170-160 v. Chr.) ist folglich weniger die gegenseitige Zuneigung des Paares, als mehr das gemeinsame Opfer betont.

Jhs. v. Chr. (Appendix Nr. 22). Das Ende der Gruppe bildet die Urne Casuccini (Appendix Nr. 24, Abb. 1) aus der Mitte des 4. Jhs. v. Chr. Aus Volterra und Umgebung  sind die Aschenurne aus dem Grab der calisna sepu (3./4. Viertel des 3. Jhs. v. Chr., Appendix Nr. 15) und ein Terrakottadeckel des 2. Jhs. v. Chr. (Appendix Nr. 19) vor allem für die realistische Darstellungsform sehr bekannt. Die bisome Urne, obwohl «solidamente ancorata alla tradizione perugina e rara altrove […] a Volterra e territorio come a Chiusi e più diffusa in aree a vocazione rurale», hat ihren Ursprung im südlichen Etrurien18 und dort in der ikonischen Tradition Chiusis und nicht in der anikonischen Perugias. An die genannten Beispiele ist ein weiterer Deckel anzufügen, den ich auf der Grundlage von vier aneinander passenden Fragmenten rekonstruieren konnte. Die Stücke befinden sich im Museo Archeologico Nazionale von Perugia (Appendix Nr. 13, Abb. 3).

Abb. 3: Vier Fragmente aus der Nekropole ‘Palazzone’. Perugia. Museo Archeologico Nazionale (nach: Sclafani, in Druck, Taf. 46).

Abb. 4: Tafel nach Conestabile 1856, Taf. 6-22 Nr. 1).

Dieser Urnentypus ist, wie erwähnt, aus verschieden Orten des nördlichen Zentraletruriens bekannt: Funde stammen meist aus Perugia, aber eine besondere Stellung unter der Fundorten nimmt Chiusi ein. Hier wurden die ältesten Deckel mit Paardarstellungen gefunden. Sie werden zwischen dem Ende des 6. Jhs. v. Chr. und der Mitte des 4. Jhs. v. Chr. datiert: der Deckel des Asciano16 um 520–510 v. Chr., die Urne des Bottarone17 an das beginnende 4. Jh. v. Chr. und der Deckel aus Bettolle in die zweite Hälfte des 4.

Die Fragmente stammen aus der Nekropole Palazzone, einer der wichtigsten Nekropolen Perugias, bekannt für das Hypogaeum der Volumnier. Sie sind im Inventarbuch zu diesem Hypogaeum im Jahre 1928 als Teil eines Giebelreliefs bzw. als Vorderseite einer Aschenurne registriert19. Auf der Basis einer eingehenden Analyse der Fragmente war es jedoch möglich, ihre Zugehörigkeit zu einem monumentalen Urnendeckel mit einer Ehepaardarstellung nachzuweisen. Zu sehen ist das äußere Ende einer kline amphikephalos auf der der untere Teil einer mit einem Gewand versehenen

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Neue Forschungen zu den Etruskern

Figur zu erkennen ist. Zu dieser kann aber nur einer der beiden Füße gehören. Der andere Fuß muss notwendigerweise zu einer anderen Figur gehören, von der sonst keine Reste erhalten sind. Darüber hinaus erkennt man einen großen Fächer, der auf der Kline liegt. Das aus den vier Fragmenten zusammengesetzte Stück entspricht in seinen Maßen einem weiteren bereits 1856 auf einer Tafel der Monumenti di Perugia etrusca e romana von Conestabile della Staffa publizierten Fragment mit einer weiblichen Figur (Abb. 4)20. Alle Stücke gemeinsam ergeben etwa zwei Drittel der Gesamtlänge des Deckels und messen ca. 60 cm. Auf der Grundlage vergleichbarer Darstellungen habe ich das Stück dann hypothetisch ergänzt (Abb. 5). Unklar ist das genaue Aussehen der männlichen Figur. So ist nicht zu entscheiden, ob der Mann eine Tunika trug oder einen freien Oberkörper aufwies; ob der Mantel auch die Schultern bedeckte oder heruntergerutscht war und wie er genau die Patera gehalten hat. Eines ist jedoch sicher: Um die Gesamtmaße des Deckels zu erhalten, fehlt neben der männlichen Figur auch das Ende der Kline, das mit weiteren ca. 30 cm zu veranschlagen ist. Insgesamt war der Deckel folglich ca. 90 cm lang. Damit handelt es sich um die größte uns bekannte Terrakottaurne, nur vergleichbar mit dem Deckel der Urne des arnth velimnas aus dem Volumnier Hypogaeum. Da alle bisher bekannten monumentalen Urnen aus Chiusi stammen, ist davon auszugehen, dass auch die hier in der Rekonstruktion vorgestellte Terrakottaurne mit Ehepaardarstellung von Palazzone in einer Werkstatt in Chiusi gefertigt wurde. Über die dazugehörige Kiste der Urne lassen sich natürlich keine sicheren Aussagen treffen. Es ist aber darauf hinzuweisen, dass die bisher bekannten Deckel mit klinai amphikephale aus Chiusi immer in Verbindung mit Kisten Verwendung fanden, auf deren Vorderseiten Beine modelliert waren21.

Abb. 5: Rekonstruktionsversuch (Zeichnung M. Sclafani).

Unser Stück dürfte nicht später als in das letzte Viertel des 3. Jhs. oder maximal an den Beginn des 2. Jhs. v. Chr. zu datieren sein. So ist darauf hinzuweisen, dass die Urnen in ihrer monumentalen Form zu Beginn des 2. Jhs. v. Chr. aufhören und immer kleiner werden. Ferner ist die künstlerische Qualität des Stückes hervorzuheben, die Vergleiche am Anfang des 3. Jhs. v. Chr. hat. Im Verlauf des 2. Jhs.

v. Chr. nimmt die Qualität der Urnen zunehmend ab. Sie werden nun durchgehend mit der Matrize als Massenware hergestellt. Abschließend ist zu sagen, dass es für die bisomen Urnen nicht möglich gewesen ist, eine parallele Entwicklungslinie aufzuzeigen, wie es für die Deckel mit einzelnen männlichen Figuren möglich war, da es sich um eine besondere Monumentform handelt, die nur auf Nachfrage hergestellt wurde und daher per se eine Ausnahme von der Norm darstellt. Die typologischen Variationen dieser Monumente sind daher dem besonderen, eigenen Wunsch der Auftraggeber geschuldet. Dieser Typ von Aschenkisten kann als das Symbol einer konservativen Elite interpretiert werden, die sich über Landbesitz definiert und die Ehe als ein besonders wichtiges Statussymbol ansah.

Appendix

Die aufgeführten Urnen wurden nach Herkunft und Material unterschieden, mit Priorität auf denjenigen, die aus einem bekannten Kontext stammen. Die Reihenfolge beachtet, soweit es möglich war, die Chronologie der Stücke. Aus Perugia: 1. Rom, Musei Vaticani. Aschenurne aus Todi des “Maestro di Enomao”. Alabaster. Lit.: Maggiani 1989, 995-1000 Taf. 1-4; Nielsen 1992, 128 Nr. 26; Sannibale 1994, 30-34 Nr. 2; Maggiani 2007c, 178. 2. Perugia, S. Giovanni, Antiquarium des Palazzone. Aschenurne aus der Nekropole, tite petruni Grab. Travertin. Lit.: Nielsen, 1992 129, Nr. 31; Feruglio 2004, 19-20 Nr. 6; Nielsen 2009, 175 Nr. 2. Die Urne gehört dem Gründerehepaar des Grabes. Die Inschrift bezieht sich auf beide Eheleute, was durch das Wort tuśurthi zu sehen ist. 3. Perugia, S. Giovanni, Antiquarium des Palazzone. Aschenurne aus der Nekropole, tite petruni Grab. Travertin. Lit.: Nielsen 1992, 129 Nr. 32; Feruglio 2004, 20-22 Nr. 7; Nielsen 2009, 175 Nr. 3. Die Inschrift bezieht sich auf beide Eheleute, was durch das Wort tusurthir zu sehen ist. 4. Perugia, S. Giovanni, Antiquarium des Palazzone. Aschenurne aus der Nekropole ‘Ponticello di Campo’, cai carcu Grab. Travertin. Lit.: Feruglio 1977, 112-113 Abb. 75; Nielsen 1992, 129 Nr. 33; Feruglio 2004, 22-24 Nr. 8; Nielsen 2009, 175 Nr. 4. Die Inschrift bezieht sich auf den Mann. 5. Perugia, S. Giovanni, Antiquarium des Palazzone. Deckel aus der Nekropole ‘Ponticello di Campo’, cai carcu Grab. Terracotta. Lit.: Feruglio 1977, 112 f. ohne Abb.; M. Sclafani, im Druck, PePal 5, bes. Kap. 3, 8; 6. 6. Perugia, Museo Archeologico Nazionale dell’Umbria. Aschenurne aus der Nekropole ‘Casaglia’, Grab 1. Travertin (Abb. 2). Lit.: Nielsen 1992, 129 Nr. 36; L. Cenciaioli, in: Cenciaioli 2004, 11 f. Nr. 5; 17-19; Nielsen 2009, 175 Nr. 9. Die Inschrift bezieht sich auf die Frau. 7. Perugia, private Sammlung. Deckel aus S. Proto. Travertin. Lit.: Dareggi 1969, 481, 39 Taf. 125 b; Nielsen 1992, 129 Nr. 34; Nielsen 2009, 175 Nr. 5. 8. Perugia, private Sammlung. Deckel aus der Nekropole

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M. Sclafani, Deckel etruskischer Aschenkisten mit Ehepaardarstellungen hellenistischer Zeit

‘Palazzone’, afle Grab. Travertin. Lit.: Matteini Chiari 1976; Nielsen 2009, 175 Nr. 13. Die Inschrift bezieht sich auf das Ehepaar. 9. Perugia, Museo Archeologico Nazionale dell’Umbria. Aschenurne. Terracotta. Lit.: Cipollone 2004, 52 Nr. 172; Nielsen 2009, 175 Nr. 8, Abb. 11, 6; Sclafani, im Druck, Pe 32, bes. Kap. 3, 8; 6 Taf. 17, 24. 10. Perugia, Museo Archeologico Nazionale dell’Umbria. Aschenurne aus Perugia. Terracotta. Lit.: Rastrelli 1985, 103 f. Nr. 96 mit ausführlicher Lit.; Nielsen 2009, 175, Nr. 7 Abb. 11.5; Sclafani, im Druck, Pe 22, bes. Kap. 3, 8; 6 Taf. 16. 11. Berlin, Antikensammlung. Aschenurne aus Perugia. Travertin. Lit.: Heres 1988, 322 f. D. 5.21 - D 5.22; Nielsen 1992, 128 Nr. 28; Nielsen 2009, 175 Nr. 1. Die Inschrift bezieht sich auf den Mann. 12. Aschenurne aus der Nekropole ‘Palazzone’, Vigesimoquarto ipogeo, famiglia Ofelia. Lit.: Conestabile 1856, 113-121, bes. 115, 216, 121: «la donna, posta al di sopra dell’uomo, ne accarezza la barba, e si dispone ad imprimere un bacio nel sembiante del consorte». 13. Perugia, Museo Archeologico Nazionale dell’Umbria. Deckel, Fragmente. Aus der Nekropole ‘Palazzone’. Terracotta (Abb. 3-5). Lit.: Nielsen 1992, 128-129 Nr. 30 Abb. 25; Nielsen 2009, 175 Nr. 6; Sclafani, im Druck, Pe 17, bes. Kap. 5, 4 Taf. 46. Aus dem Territorium von Arezzo: 14. Verschollen. Deckel aus Figline, papsina Grab. Alabaster. Lit.: Maggiani 2007a, 157 f. Aus Volterra und Territorium: 15. Firenze, Museo Archeologico Nazionale. Aschenurne aus Monteriggioni, calisna sepu Grab. Alabaster. Lit.: Martelli 1975, 168 f. Nr. 246; Nielsen 1985, 66; Nielsen 1992, 128 Nr. 18. Die Inschrift bezieht sich auf den Mann. 16. Firenze, Museo Archeologico Nazionale. Aschenurne aus Barberino Val d’Elsa, ‘S. Martino ai Colli’. Kalkstein. Lit.: Talocchini 1975, 202 Nr. 293; Nielsen 1985, 66; Nielsen 1992, 128 Nr. 21. 17. Casole d’Elsa, Museo Archeologico e della Collegiata. Aschenurne aus der Necropole ‘Orli’, Grab IV. Tuff. Lit.: Nielsen 1985, 66; Nielsen 1992, 128 Nr. 19; Cianferoni 1996, 39-44 Abb. 14. 18. S. Gimignano, Museo Etrusco. Aschenurne aus Bucciano. Travertin. Lit.: Nielsen 1985, 66; Merli 1991, 43 f; Nielsen 1992, 128, Nr. 20. 19. Volterra, Museo Guarnacci. Deckel ‘degli sposi’. Terracotta. Lit.: Cateni 1985, 99; Nielsen 1985, 66; Nielsen 1992, 129 Nr. 35; Colonna 1991b, 110 Taf. 38b. 20. Volterra, Museo Guarnacci. Aschenurne MG 601. Sandstein. Herkunftsort unbekannt. Lit.: Nielsen 1992, 128 Nr.16. 21. Volterra, Museo Guarnacci Nr. 290. Aschenurne. Alabaster. Lit.: Massa – Pairault 1978, 223-224 Abb. 6 mit ausführlicher Lit; Nielsen 1992, 128 Nr. 23.

aus Bettolle, podere Belvedere, heimni Grab. Sandstein (Aschenurne) und pietra fetida (Deckel). Lit.: Maggiani 1986, 172-174 Abb. 1-2 Taf. 50-51; Nielsen 1992, 128 Nr. 13; Maggiani 2007a, 159 Taf. 34 a. Die Inschrift bezieht sich auf das Ehepaar. 23. Derzeitiger Aufbewahrungssort unbekannt. Aschenurne aus Bettolle, Poggio Belvedere. Pietra serena. Lit.: Maggiani 2007a, 159. Die Inschrift bezieht sich auf die Frau. 24. Palermo. Museo Archeologico Regionale “A. Salinas”, Sammlung Casuccini. Aschenurne aus Chiusi. Alabaster (Abb. 1). Lit.: Nielsen 1992, 128 Nr. 14; Colonna 1993, 340 Taf. 1a. 2a-b; Maggiani 1993, 159-163 Taf. 7; de Angelis 2007, 98 Nr.16. 25. Berlin, Antikensammlung. Aschenurne aus Chiusi. Alabaster. Lit.: Conze 1891, Nr. 1287-1288; Massa – Pairault 1978; Nielsen 1992, 128 Nr. 27. 26. Asciano. Aschenurne aus Tomba II degli hepni. Travertin. Lit.: Mangani 1983, 62 f. 215; Nielsen 1992, 128 Nr. 25; Massa – Pairault 1978, 223-24 Abb. 6; Mangani 1983, 62 f. 215. 27. Asciano. Aschenurne aus Tomba II degli hepni. Terracotta. Lit.: Mangani 1983, 56. 192; Nielsen 1992, 128 Nr. 24; Sclafani, im Druck, Asc 1, Kap. 3,8 Taf. 16. 28. Asciano. Aschenurne aus Tomba degli sesctna/sescatnai. Kalkstein. Lit.: CIE 250-258, bes. CIE 252. Die Inschrift bezieht sich auf das Ehepaar. 29. Camulliano. Aschenurne aus Tomba dei secu. Lit.: CIE 317-338, bes. CIE 318. Die Inschrift bezieht sich auf die Frau. 30. S. Quirico. Aschenurne aus Tomba degli aneini. Lit.: CIE 205-212, bes. CIE 208. Die Inschrift bezieht sich auf den Mann.

Anmerkungen ∗

1

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7 8

Aus Chiusi und Territorium: 22. Derzeitiger Aufbewahrungssort unbekannt. Aschenurne

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Ganz herzlich danke ich Johannes Lipps und Christiane Nowak für die Übersetzung meines Textes, Marjatta Nielsen für ein konstruktives Gespräch und A. Furiesi (Volterra, Museo Guarnacci) für die Informationen über die Urne MG 601. Ferner gilt ein besonderer Dank den Organisatoren der Etrusker-Tagung, für diese schöne Möglichkeit mit anderen Forschern in Kontakt zu treten. Die Urnen mit gelagertem Ehepaar, von denen auch der Kontext bekannt ist, wurden in den Gräbern der Aristokratenfamilien gefunden. z. B. im tite petruni Grab, im cai carcu Grab, im hepni Grab und im papsina Grab. Zur Literatur siehe den Appendix am Ende des Beitrags. Sclafani, im Druck. Literatur: Thimme 1954; Thimme 1957; Martelli - Cristofani 1977; Maggiani 1985a; Maggiani 1985b; Rastrelli 1985; Sannibale 1994; Briguet 2002; de Angelis 2007; Rastrelli 2007; Sclafani 2007. Brunn – Körte II, 1, 32-38; Krauskopf 1974; Krauskopf 1988; de Angelis 1999, 54 Anm 8. Brunn – Körte III, 16-24; Defosse 1972, 478-499; Massa Pairault 1985b; Szilágyi 1994; Colonna 2000. Brunn-Körte III, 5-16, Taf. 4-7. Zu der Bedeutung der Szene: Cristofani 1978, 210; Massa Pairault 1985a, 229-231; Massa Pairault 1985b, 82; Szilágyi 1986; Massa Pairault 1992; Domenici 2001. Zu den gelagerten Figuren vgl. Maggiani – Paolucci 2005. Trankspende und Opfer sind zwei eng miteinander verknüpfte Handlungen. Das lateinische „libare“ = λειβω = „Schluck für Schluck gießen“ hat eine doppelte Bedeutung, die einerseits die Gabe (den Wein, die Flüssigkeit) an die Gottheit bezeichnet, bei der die Flüssigkeit auf einen Altar oder anderswohin gegossen wird, andererseits bedeutet es aber auch „kosten“, „probieren“. Die Libation gilt als eigenständiges Opfer ‚unblutiger’ Art, das alle Opferhandlungen begleiten kann (Legrand 1904).

Neue Forschungen zu den Etruskern

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21

Zur Tunika, zur Ideologie des Gelages und zur Doppeldeutigkeit des liegenden Mannes vgl. Colonna 1993, 339. Maggiani 1985b, 36; Maggiani 1995, 76, 84; Maggiani 2007a, 152. Zu den dionysischen Mysterien in Etrurien vgl. Colonna 1991a; Krauskopf 2006; Briguet 2006. Zur Sammlung Bonci Casuccini vgl.: Barbagli-Iozzo 2007 mit ausfürlicher Lit.. Zum Thema vgl. Arrigoni 1983; Lentano 1996. An dieser Stelle sei auf den Appendix des Artikels verwiesen, in dem alle Urnen mit verheirateten Paaren auf den Deckeln aufgezählt werden. Von einigen Urnen ist nur der Deckel erhalten (Appendix: Nr. 5. 7. 13. 19). Vgl. Appendix Nr. 6. 12. Maggiani 1993, 150, Taf. 1 b. 2; Maggiani 2007b, 331 f. Maggiani 1993, 160-162, Taf. 9 a-b. Vgl. die Sarkophage des tetnie Grabes in Vulci. Zum Thema: Maggiani 1986, 174; Maggiani 1993, 159. In den Beigaben des Volumi Grab liest man: «n. 172: frammento decorativo in terracotta (forse parte di un frontone o di un prospetto di urna) con resti della parte inferiore di una figura e una foglia nella destra. Misura: m. 0, 30 x 0,35, x 0, 13». Conestabile 1856, 184, Taf. 6-22 Nr. 1. Dieses Fragment, welches sich im Museum of Fine Arts befindet, wurde als unpubliziert von M. Nielsen veröffentlicht (Nielsen 1992, 116, Nr. 30, 122, Abb. 25, 128-129, Nr. 29, Abb. 30). Als dieser Text bereits in Druck war, ist ein neuer Beitrag von M. Nielsen erscheinen: Nielsen 2009. Vgl. insbesondere zwei Beispiele monumentaler Urnen aus Chiusi, eine in der Sammlung Casuccini in Palermo (Rastrelli 2007, 111 Nr. 28 mit ausführlicher Lit.; Sclafani, im Druck, Pa 166, Kap. 5. 3 Taf. 45-46), die andere in der Villa Giulia in Rom (Proietti 1980, 172 f. Nr. 225; Sclafani im Druck, Rm VG 5, Kap. 5.3 Taf. 44.).

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129

Neue Forschungen zu den Etruskern

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130

Friederike Bubenheimer-Erhart

Meerpferde in der etruskischen Grabkunst

Summary

The hippocampus, a monster, half horse and half fish or snake, is a popular motif in Etruscan visual arts. From the seventh century B.C. on, it appears on monuments and artefacts of all sorts, in wall-paintings, sculptures, reliefs, pottery and products of the minor arts and crafts. Since most of the representations are found on funerary monuments and artefacts, it is assumed that the hippocampus is connected with Etruscan ideas of the underworld. The iconography is generally believed to have been modelled upon Greek images, and its function and meaning has always been interpreted in the light of Greek concepts of the underworld. However, the real origins of this motif are unclear. Like many other monsters, which crowded Greek and Etruscan art from the Orientalizing period on, their roots are most probably found somewhere in the Eastern Mediterranean. In this article the earliest representations of this motif and its transfer into Greek and Etruscan visual arts are discussed. Furthermore, the function and meaning of the hippocampus in Etruria will be considered, in the light of comparisons to the function and meaning of kindred monsters in several other civilizations of the ancient Mediterranean world.

I. Einleitung

Meerpferde sind Mischwesen aus Kopf und Vorderteil eines Pferdes und dem Hinterleib eines Fisches oder einer Schlange. Sie begegnen in der etruskischen Kunst häufig. Entsprechende Darstellungen setzen in der Orientalisierenden Periode ein und dauern bis zur Auflösung einer eigenständigen etruskischen Produktion an. Innerhalb dieses mehrere Jahrhunderte umspannenden Zeitraumes finden Meerpferde sich in allen möglichen Gattungen, in Wandmalerei, Relief und Rundplastik ebenso wie in der Keramik, Toreutik und Glyptik. Die Mehrheit der Darstellungen stammt aus Gräbern oder ist sogar fester Bestandteil von solchen. Jedenfalls wurden Meerpferde oft in Grabmalereien, auf den sogenannten Treppensteinen aus Tarquinia und Grabstelen aus Felsina, in Grabskulpturen, auf Urnen und Sarkophagen wiedergegeben. Daraus wur-

de auf eine besondere Bedeutung dieser Mischwesen im Rahmen etruskischer Jenseitsvorstellungen geschlossen. Die Denkmäler wurden von Monika Boosen zusammengestellt1. Sie zeigen Meerpferde, deren unterschiedliche Körperteile harmonisch miteinander verschmolzen sind. Meistens sind diese Mischwesen durch einen grazilen Pferdekopf mit geschwungenem Hals und langer Mähne sowie einen Pferdekörper mit ausgreifenden Vorderbeinen gekennzeichnet; daran schließt ein geschwungener Fischoder Schlangenleib an, der in einer Schwanzflosse endet. Hinzu kommen mehrere, meist kleinere Flossen an Rücken und Bauch. Es gibt Einzeldarstellungen, die ledige oder berittene Meerpferde wiedergeben. Diese können in Tierfriesen auftreten, anderen Mischwesen oder Tieren gegenüberstehen oder in szenischen Zusammenhängen erscheinen. Öfter werden jedoch Paare von Meerpferden in paralleler oder antithetischer Anordnung wiedergegeben. Besonders häufig begegnen antithetische Paare von Meerpferden, welche ein Mittelmotiv flankieren. Die Darstellungen verändern sich im Laufe der Zeit: Ältere Bilder zeigen den Pferdekörper mit raumgreifenden, galoppierenden Vorderbeinen, der den Fischleib in rascher Bewegung hinter sich herträgt. Der Fischleib ist entweder mit empor gereckter, waagerecht verlaufender oder nach unten weisender Schwanzflosse dargestellt. Der gesamte Körper, vor allem aber der Teil des Fisches, ist mit Binnenzeichnung versehen, welche die Stromlinienform unterstreicht, aber selten Schuppen markiert. Die Betonung liegt bei diesen älteren Bildern auf dem Pferd. Anders verhält es sich mit jüngeren Darstellungen, die im 4. Jh. v. Chr. einsetzen. In ihnen sind die Vorderbeine des Pferdes parallel nebeneinander gesetzt, mitunter auch weggelassen oder durch Flossen ersetzt, während der Fischleib sich mehrfach krümmt oder einrollt. Das ganze Mischwesen gleicht nun mehr einem Fisch. Die Veränderung im Erscheinungsbild dürfte mit einer sich wandelnden Auffassung von Meerpferden in der Vorstellungswelt der Etrusker einhergehen.

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Neue Forschungen zu den Etruskern

Das äußere Erscheinungsbild und die dahinter stehende Vorstellung von Meerpferden sollen im Folgenden genauer betrachtet werden. Zunächst sind die Ursprünge des Motivs, die außerhalb Etruriens verortet werden, zu ergründen. Allgemein wird davon ausgegangen, dass dieses Motiv wie viele andere aus der griechischen Kunst übernommen wurde. Dass womöglich auch andere als griechische Vorbilder anregend auf die etruskischen Darstellungen gewirkt haben könnten, wurde bislang nicht erwogen, soll hier aber insbesondere erörtert werden.

II. Griechische Hippokampen

Die griechischen Meerpferde werden als Hippokampen bezeichnet. Dieser Begriff, der ungefähr “Pferderaupe” bedeutet, ist griechischen Schriftquellen entnommen. Ob er sich tatsächlich auf die in der griechischen Kunst schon viel früher belegten Mischwesen bezieht oder erst später auf diese übertragen wurde, ist ungewiss2. Was Gestalt, Funktion und Bedeutung dieser Meerpferde angeht, geben die ebenso späten wie spärlichen Schriftquellen keine Auskunft. Sie können nur anhand der Denkmäler erschlossen werden. Darstellungen von Hippokampen finden sich vor allem in der Kleinkunst, auf Gemmen und Fingerringen sowie bemalten Tongefäßen3. Im Unterschied zu Etrurien sind aus Griechenland so gut wie keine großformatigen Denkmäler mit Meerpferden bekannt. Ausnahmen bilden die von Strabon beschriebene Statue, die im Heiligen Hain des Poseidon in Helike stand und den Gott mit einem Dreizack und einem Hippokampen auf der Hand wiedergab, sowie die Gruppe des Skopas, die nach der Beschreibung des Plinius auf Hippokampen reitende Nereiden zeigte. Anders als in Etrurien gab es in Griechenland, wie es scheint, auch keine Grabdenkmäler mit Hippokampen. Die Mischwesen selbst hatten ein den etruskischen ähnliches Aussehen. Ein Pferdekopf und das Vorderteil eines Pferdes waren auch hier in eleganter Weise mit einem Fisch- oder Schlangenkörper verbunden. Im Unterschied zu den etruskischen Meerpferden weisen die griechischen oft Flügel auf. Sehr häufig sind sie beritten, wobei sie zuerst Poseidon oder Nereus, später vor allem die Nereiden tragen. Auch die griechischen Meerpferde wandeln sich im Laufe der Zeit. In älteren Darstellungen dominiert der Aspekt des Pferdes, wobei das Mischwesen in der Regel einzeln gezeigt wird, während die jüngeren Darstellungen, die wie in Etrurien im 4. Jh. v. Chr. einsetzen, vielleicht angeregt durch die Gruppe des Skopas, den Aspekt des Seewesens in den Vordergrund rücken. Die Hippokampen sind dann fast immer von Fischen und Delphinen umgeben. Das Aufkommen von Meerpferden in der etruskischen Kunst wird allgemein auf griechische Anregungen zurückgeführt4. Die vielfältigen Ausgestaltungen, die das Motiv in der etruskischen Kunst erfahren hat, werden als schöpferische Auseinandersetzungen mit dem griechischen Vorbild verstanden. Dabei fiel bereits Boosen auf, dass die Flügel der griechischen Hippokampen nur selten von den Etruskern übernommen wurden, obwohl geflügelte Mischwesen jedweder Art sich bei den Etruskern sonst

größter Beliebtheit erfreuten5. Die besondere Bedeutung, die etruskischen Meerpferden in sepulkralen Kontexten beigemessen wird, wird wiederum in enger Anlehnung an griechische Vorstellungen, wie sie aus den Epen bekannt sind, erklärt. So werden etruskische Meerpferde, zumal wenn sie als Reittiere erscheinen, als Begleiter des Verstorbenen auf dessen Reise zu den “Inseln der Seligen” interpretiert6. Den Etruskern werden somit Vorstellungen von einem Elysion nachgesagt, welche ihnen aus den griechischen Epen zwar bekannt gewesen sein mochten, für deren Übernahme in die eigenen Jenseitsvorstellungen es aber keine Hinweise gibt. Auch stimmt bedenklich, dass etruskische Meerpferde Vorstellungen von einem Elysion reflektieren sollen, während griechische Hippokampen, soweit es die erhaltenen Denkmäler zeigen, keinen Bezug zum sepulkralen Bereich oder zu griechischen Jenseitsvorstellungen aufweisen. Diese und weitere Beobachtungen, welche im Folgenden dargelegt werden, stehen dem bisherigen Verständnis von etruskischen Meerpferden, besonders denen der Grabkunst, entgegen. Die etruskischen Meerpferde kamen nicht, wie oft angenommen, im 6. Jh. v. Chr., sondern schon früher auf. Die ältesten Beispiele finden sich auf einem etrusko-korinthischen Stamnos des Pittore dei Cappi, der im letzten Drittel des 7. Jhs. v. Chr. entstanden ist7, und auf einer Amphora derselben Ware, welche ebenfalls dem 7. Jh. v. Chr. angehört8. Zu den ältesten griechischen Darstellungen zählen diejenigen auf einem korinthischen Krater, der sogar etwas jünger als die etrusko-korinthischen Beispiele ist9. Während es in der vorhandenen Überlieferung also keine griechischen Hippokampen gibt, die konkret als Vorbilder für die ältesten etruskischen Meerpferde in Frage kommen, liegen die Ursprünge der griechischen Hippokampen selbst im Dunkeln. Sie werden meistens in spätbronzezeitlichen Darstellungen Griechenlands vermutet10. Grund für diese Annahme bieten einige Siegel, die immer wieder als spätminoisch bezeichnet werden11, von Ingo Pini aber überzeugend in das 6. Jh. v. Chr. datiert wurden12. Während spätbronzezeitliche Darstellungen sich jedenfalls nicht dingfest machen lassen13, ist zu überlegen, ob die Hippokampen nicht wie viele andere griechische Mischwesen, die im 7. Jh. v. Chr. zahlreich in die griechischen Kunst eingingen, aus den Kulturen des östlichen Mittelmeerraumes übernommen wurden14.

III. Meerpferde in Mittelmeerraumes

den

Kulturen

des östlichen

Aus den früheisenzeitlichen Kulturen Anatoliens und Syriens sind Mischwesen aus Pferd und Fisch oder Schlange bislang nicht bekannt. Daraus kann jedoch nicht darauf geschlossen werden, dass es entsprechende Mischwesen in diesen Kulturen nicht gegeben habe. Möglicherweise handelt es sich hier um forschungsbedingte Lücken, die durch künftige Funde geschlossen werden. Gerade aus der assyrischen Kunst ist eine Fülle von Mischwesen überliefert, darunter auch recht ähnliche Schöpfungen15, welche sich mit jeder neuen Ausgrabung mehrt und die Hoffnung begründet, dass vielleicht auch einmal Darstellungen von

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F. Bubenheimer-Erhart, Meerpferde in der etruskischen Grabkunst

Meerpferden zutage kommen. Angesichts der Lücken aus diesen Gebieten verdienen die vorhandenen Beispiele entsprechender Mischwesen aus anderen Teilen des östlichen Mittelmeerraumes, aus Phönizien und Ägypten, umso mehr Beachtung.

war auch Baal in der Vorstellung dieser Zeit mit Sicherheit ein “Wolkenreiter”. Obwohl in Einzelheiten korrigiert, hat Dussauds Vorschlag nichts von seiner Anziehungskraft eingebüßt. Allein er stößt auf die Schwierigkeit, dass zwischen der Dichtung und den Münzbildern ein Abstand von rund tausend Jahren klafft. Dieser kann nun wenigstens um zwei Jahrhunderte verringert werden. Grund dafür bieten Skaraboide aus grünem Jaspis (Abb. 2), die von Antonio Reyes einer phönizisch geprägten Gruppe zyprischer Siegel zugeordnet wurden24. Während Dussauds These durch diese Skaraboide an Wahrscheinlichkeit gewinnt, darf andererseits nicht verschwiegen werden, dass die betreffende Gruppe von Siegeln auch griechische Stilelemente aufweist und für einen Ursprung des Bildmotivs in Phönizien noch keinen Beweis liefert25.

Abb. 1: Silbermünze mit Gott auf geflügeltem Meerpferd, Prägung von Tyros, 4. Jahrhundert v. Chr., Paris, Bibliothèque Nationale, Inv. Nr. unbekannt (aus: E. Acquaro in: S. Moscati, I Fenici [Hrsg.], Ausstellungskatalog Venedig. [Mailand 1988; Nachdruck 1992] 465 Abb. Mitte links).

Aus Phönizien sind Meerpferde durch eine Reihe von Münzbildern des 4. Jhs. v. Chr. bezeugt (Abb. 1). Mehrere Städte, vor allen Tyros, hatten das Motiv für ihre Prägungen gewählt16. Dargestellt werden stets einzelne Meerpferde, welche Flügel und einen Fischleib haben und mit oder ohne Reiter erscheinen. Diese Münzbilder wurden von René Dussaud mit literarischen Zeugnissen des 14. Jhs. v. Chr. verknüpft. Dussaud bezog sich auf eine Dichtung, die aus den Archiven von Ugarit überliefert ist17. Sie gehört zum Baal-Zyklus und handelt vom Kampf zwischen Baal, dem Gott der Erde und des Wetters, und Yamm, dem Gott des Meeres18. Aus dem geschilderten Kampf, in dessen Verlauf Yamm getötet wird, geht Baal als Sieger und künftiger Gebieter auch des Meeres hervor. Baal wird mit den Epitheta Aliyan, was soviel wie “sehr mächtig” bedeutet, und rkb ‘rpt, “Wolkenreiter” bezeichnet. In Aliyan, den er für einen eigenständigen Gott hielt19, und dem “Wolkenreiter” sah Dussaud die literarischen Vorläufer der späteren Münzbilder20. Als einer der ersten Bearbeiter der Texte von Ugarit war Dussaud mit vielerlei Schwierigkeiten konfrontiert. Diese sind, was Baal und die genannten Epitheta betrifft, heute ausgeräumt. Sieger des Kampfes ist Baal, der durch das Epitheton Aliyan als jugendlich und kraftvoll charakterisiert wird21. Ob der “Wolkenreiter” des 14. Jhs. v. Chr. mit Nicolas Wyatt eher ein “Wolkenfahrer” war, sei dahingestellt22. Durch die zunehmende Bedeutung des Reitens gegenüber dem Fahren, wie sie sich im frühen 1. Jt. v. Chr. in allen Kulturen des östlichen Mittelmeerraumes abzeichnete23,

Abb. 2: Siegel aus grünem Jaspis mit geflügeltem Meerpferd (Umzeichnung), aus Aghia Irini (Zypern), 6. Jahrhundert v. Chr., Nicosia, Cyprus Museum, Inv. Nr. A. I. 2657 (aus: A. T. Reyes, The Stamp-Seals of Ancient Cyprus [Oxford 2001] 77 Abb. 128).

Die bislang ältesten Darstellungen von Meerpferden stammen, wie John Taylor neuerdings nachgewiesen hat, aus Ägypten26. Schon aus dem fortgeschrittenen 10. oder frühen 9. Jh. v. Chr. sind bemalte Särge bekannt, die Mischwesen aus Pferd und Schlange zeigen (Abb. 3). Weitere Särge dieser Art gehören dem späten 8. oder der ersten Hälfte des 7. Jhs. v. Chr. an (Abb. 4). Diese Mischwesen haben weder Flossen, noch Flügel und tragen auch keinen Reiter. Sie sind durch einen Pferdekopf, der manchmal aufgezäumt ist und dann auf ein Reittier verweist, und einen sich windenden Schlangenleib gekennzeichnet. Die ägyptischen Mischwesen treten immer paarweise auf, entweder auf der Unterseite des Sarges im Bereich der Schultern des Bestatteten, wo sie in antithetischer Anordnung um ein Mittelmotiv herum gruppiert sind, oder auf der Oberseite des Sarges, wo sie in antithetischer Anordnung die Zwickel neben dem Blütenhalskragen füllen. Manchmal begegnen diese Mischwesen zusammen mit Szenen des Totengerichts. In einem Fall ergibt sich aus einer Beischrift, dass sie als “diejenigen, welche den Torwächter bringen” bezeichnet werden. Taylor, der die zum Teil noch unpublizierten Särge untersucht hat, geht davon aus, dass die Mischwesen aus Pferd und Schlange dem Verstorbenen beim Durchschreiten der Tore der Gerichtshalle, an einer entscheidenden Stelle

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Neue Forschungen zu den Etruskern

auf dem Weg ins Jenseits, behilflich sein sollten27. Alle diese Särge stammen aus Theben, manche werden einer einzigen Werkstatt zugeschrieben. Sie könnten daher eine lokale oberägyptische Tradition vertreten.

Abb. 3: Bemalter Sarg mit zwei Pferdeschlangen zu Seiten der Himmelsgöttin Nut, aus Theben, 22. Dynastie, Paris, Musée du Louvre, Inv. Nr. N 2585 (aus: J. Taylor in: T. Schneider – K. Szapkowska [Hrsg.], Egyptian Stories. A British Egyptological Tribute to Alan B. Lloyd on the Occasion of His Retirement [Münster 2007] 408 Abb. 1).

Aus der Zeit der 26. Dynastie, also genau jener Zeit, in der die ersten etruskischen und griechischen Meerpferde auftreten, sind aus Ägypten keine solchen Mischwesen bezeugt. Taylor schließt daraus auf ein vorläufiges Ende der vermuteten oberägyptischen Tradition28. Erst in der Ptolemäerzeit kommen steinerne Sarkophage auf, deren Dekor wieder Mischwesen aus Pferd und Schlange enthält. Diese werden nun aber anders dargestellt: Sie haben einen kleinen, einem Seepferdchen ähnelnden Kopf und einen langen, dünnen, vielfach gewundenen Schlangenleib. Auch sie treten paarweise in antithetischer Anordnung auf und sind um ein Mittelmotiv herum arrangiert. Entsprechende Sarkophage, die alle aus Saqqara stammen und eine lokale unterägyptische Tradition spiegeln mögen, wurden von László Kákosy zusammengestellt29. Auf manchen von ihnen ist den Darstellungen eine Beischrift mit dem Namen dieser Mischwesen, @AjSS oder IASS, hinzugefügt. Kákosy führt dieses Wort, das “Pferdeschlange” bedeutet, auf semitische Wurzeln zurück30. Die Beischriften geben aber nicht nur den Namen31, sondern auch die Funktion dieser Mischwesen an: Demnach sollten sie in der Nekropole für die Wiedervereinigung des Ba, einer Art Seele, mit dem Körper des Verstorbenen sorgen32. Zwischen den ägyptischen Mischwesen der Dritten Zwischenzeit und denen der Ptolemäerzeit, die in mehrfacher Hinsicht voneinander abweichen, lässt sich vorläufig keine Brücke schlagen. Die Tatsache, dass für die jüngeren Pferdeschlangen ein Lehnwort aus dem Semitischen verwendet wurde, könnte auf eine Übernahme des erneut aufkommenden Motivs aus der Levante sprechen. Die ägyptischen Pferdeschlangen der Ptolemäerzeit sollten zusammen mit den jüngeren Darstellungen von Meerpferden in anderen Gebieten des Mittelmeerraumes, die sich ja ebenfalls oft von den älteren aus denselben Gebieten unterscheiden, betrachtet werden. Von den älteren Darstellungen, die hier im Mittelpunkt stehen, sind sie vorerst zu trennen.

IV Schlussfolgerung

Abb. 4: Bemalter Sarg mit zwei antithetischen Pferdeschlagen zu Seiten eines Djedpfeilers, aus Theben, 25. Dynastie, Paris, Musée du Louvre, Inv. Nr. E 5534 (aus: L. Kákosy, Orientalia Lovaniensia Periodica 18, 1987, Taf. 1).

Mischwesen aus Pferd und Fisch oder Schlange waren im frühen 1. Jt. v. Chr. außer den Etruskern und Griechen auch mehreren Völkern des östlichen Mittelmeerraumes vertraut. Die Ursprünge des Motivs dürften irgendwo im östlichen Mittelmeerraum liegen33. Von dort aus erfolgte die Verbreitung des Motivs, das auf mehreren Wegen in die Ägäis und den westlichen Mittelmeerraum gelangte. Die verfügbaren Zeugnisse erwecken den Anschein, als ob die geflügelten und berittenen griechischen Hippokampen, die mehrheitlich als Einzeldarstellungen begegnen, den phönizischen am nächsten stünden. Bedeutsam erscheint der Umstand, dass die griechischen Hippokampen eine Beziehung zu Poseidon haben34. Poseidon war nicht nur Gott des Meeres, sondern auch und in früherer Zeit vor allem Gott des Landes, des Regens und der Binnengewässer sowie der Pferde. Hippios war seine häufigste und am weitesten verbreitete Epiklese35. Seine Zuständigkeiten kamen denen von Aliyan-Baal, dem “Wolkenreiter”, nahe. In der Zeit vor dem 4. Jh. v. Chr. hatte das Heiligtum von Helike herausragende Bedeutung für den Kult des Poseidon. Das Kultbild, das Poseidon mit Dreizack und ei-

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F. Bubenheimer-Erhart, Meerpferde in der etruskischen Grabkunst

nem Hippokampen auf der Hand wiedergab, ging bei dem Erdbeben des Jahres 372 v. Chr. mit der gesamten Stadt unter. Aufgrund der Strahlkraft, die das Heiligtum von Helike bis dahin in der gesamten griechischen Welt hatte, dürfte auch das Kultbild manches Echo in anderen Bildern des Gottes gefunden haben. Die Funktion von Poseidon und Aliyan-Baal, dem “Wolkenreiter”, als Herrscher über die Naturgewalten könnte erklären, weshalb Meerpferde, Trabanten dieser Götter, auf griechischen und phönizischen Grabdenkmälern vielleicht immer schon fehlten. Demgegenüber zeigen die etruskischen Meerpferde, und zwar gerade jene, welche auf Grabdenkmälern vorkommen, größere Affinitäten zu den ägyptischen Mischwesen der thebanischen Särge. Beide Male verbinden Pferd und Schlange sich zu einem Wesen, beide Male haben die Mischwesen keine Flügel. Wenn etruskische Meerpferde Flügel besitzen, wie es auf einige Grabskulpturen zutrifft36, sind diese klein und dienen, während sie ihrer eigentlichen Funktion entbehren, dekorativen Zwecken. Beide Male begegnen die Mischwesen paarweise, jeweils antithetisch um ein Mittelmotiv herum gruppiert. Diese Anordnung, in der ägyptischen Tradition verbindlich, ist in der etruskischen wohl nicht zufällig die bevorzugte, übrigens auch eine besonders langlebige, welche sich bis in die römische Sepulkralkunst hinein fortgesetzt hat37. Meerpferde, die in der etruskischen Grabkunst in verschiedener Weise begegnen, gehen offenbar großteils auf die ägyptischen Mischwesen der Dritten Zwischenzeit zurück. Diese waren wohl Helfer des Verstorbenen, welche ihm auf dem Weg ins Jenseits an einer äußerst prekären Stelle, nämlich beim Passieren der Gerichtshalle, zur Seite standen. Ob die Etrusker an ein Totengericht nach ägyptischem Muster glaubten und gleiche Vorstellungen wie die Ägypter mit ihren Meerpferden verbanden, lässt sich ohne Schriftquellen nicht entscheiden. Dass sie mit der Funktion und Bedeutung der ägyptischen Mischwesen grundsätzlich aber vertraut waren, darauf lässt die getreue, dem ägyptischen Sinn völlig gemäße Verwendung des Motivs in ihrer eigenen Bildkunst schließen. Die Übertragung von Motiven und in gewissem Maße auch der dahinter stehenden Vorstellungen ist niemals linear verlaufen. So sind die griechischen Hippokampen vermutlich mehreren Anregungen zu verdanken, ebenso wie die etruskischen auf mehrere Inspirationsquellen zurückgreifen. Kulturelle Kontakte, die solche vielfachen wie vielfältigen Übernahmen ermöglichten, waren im 7. und 6. Jh. v. Chr. hinreichend gegeben38. Die bildliche Überlieferung der etruskischen Meerpferde ist sehr facettenreich; sie umfasst weitaus mehr Varianten als diejenigen, welche sich tatsächliche auf griechische Vorbilder zurückführen lassen; auch erschöpft sie sich nicht, wenn man die Varianten, die auf ägyptische Vorbilder rekurrieren, hinzunimmt. Die vorangegangenen Beobachtungen zielen nicht darauf ab, anstelle griechischer nun generell ägyptische Vorbilder für die etruskischen Meerpferde zu postulieren. Vielmehr ist es das Anliegen der Verfasserin, neben den längst bekannten griechischen auch andere bildliche und gedankliche Quellen, aus denen die Etrusker im Bezug auf ihre vielen Meerpferde ebenfalls, wenn nicht sogar noch häufiger schöpften, in die

Betrachtung dieser Denkmäler einzubeziehen. Auf welche Quellen zurückgegriffen wurde, muss für jedes Bild einzeln entschieden werden.

Anmerkungen *

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Mein herzlicher Dank gilt den Organisatoren der Tagung Anna Kieburg und Annette Rieger (Bonn) für ihr Engagement und Entgegenkommen bei der Drucklegung sowie Elisa Priglinger (Wien) für die Durchsicht des Manuskripts und Edith Hütter (Wien) für die Herstellung der Abbildungsvorlagen. Dank gebührt auch dem österreichischen Fonds zur Förderung wissenschaftlicher Forschung, der die Arbeit an diesem Beitrag ermöglichte. Boosen 1986, 135‑182 Taf. 19‑24 Abb. 26‑34. Siehe Lamer 1913 und Sauer 1886‑1890. Dazu Icard-Gianolio 1997 mit älterer Lit. Boosen 1986, 167‑170. Boosen 1986, 170. Boosen 1986, 177‑182; Steiner 2003, 65‑70. 179‑185; ebenso Prayon 2006, 57‑73 bes. 60‑61. Kopenhagen, Ny Carlsberg Glyptothek, Inv.-Nr. H. I. N. 512. – Martelli 1987, 270‑271 Nr. 48 mit Abb. S. 101 und Szilágyi 1992, 46 Nr. 4 Taf. VIII a‑d. New York, Slg. L. Pomerance. – Martelli 1987, 270 und Szilágyi 1992, 54‑55 Nr. 7 Taf. 12 d. Warschau, Nationalmuseum, Inv. Nr. 142344. – Icard-Gianolio 1997, 1, 634 Nr. 2; 2, 391 Nr. 2. Icard-Gianolio 1997, 1, 636. So etwa Icard-Gianolio 1997, 1, 634 Nr. 1; 2, 391 Nr. 1. Pini 1976. Ihm folgt Zazoff 1983, 50 Anm. 153‑155. Mykenische Goldappliken, die einen in mehreren Windungen liegenden Schlangenkörper mit Pferdekopf zeigen, wurden als mögliche Vorläufer schon ausgeschieden. Vgl. Icard-Gianolio 1997, 1, 634. Das erwägt auch Zazoff 1983, 81 im Bezug auf die griechischen Gemmen. Siehe Green 1993‑1997. Hill 1910, 230 Nr. 23‑29 Taf. 29 Nr. 7; Acquaro 1988, 465 Abb. Mitte und Elayi – Elayi 1993, passim. Dussaud 1935a und Dussaud 1935b. Dietrich – Loretz 1997, 1118‑1134 und Wyatt 1998, 39‑69. Dussaud 1941, 101‑102. Dussaud 1935b, 199. Kapelrud 1952, bes. 47‑50 und Dijkstra 1999. Wyatt 1992, bes. 420‑422. Littauer – Crouwel 1979, 99‑143. Reyes 2001, 77 Nr. 104 Abb. 128 mit weiterer Lit. Reyes 2001, 78. Taylor 2007. Taylor 2007, 415‑416 Abb. 2‑3. Taylor 2007, 416. Kákosy 1987. Kákosy 1987, 11. Siehe auch Leitz 2002, 21, wo die Übersetzung “Seepferdchen” gegeben wird. Kákosy 1987, 6‑9. Interessant ist die Frage, ob der Mythos vom Kampf zwischen Baal und dem Meer, der seit der 18. Dynastie in Ägypten rezipiert wurde (dazu Collombert – Coulon 2000), Einfluss auf die Entstehung der ägyptischen Mischwesen hatte. Bereits auf einem Alabastron des frühen 6. Jhs. v. Chr. wird Poseidon auf einem Hippokampen reitend wiedergegeben (Simon 1994, 462 Nr. 153). Aus dem späten 5. Jh. v. Chr. stammen eine Münze (Simon 1994, 455 Nr. 72) und ein Karneol-Skarabäus (Simon 1994, 455 Nr. 72 a). Siehe auch Mylonopoulos 2003, 371. Wüst 1953, 499; Mylonopoulos 2003, 381‑382. 391‑400. Martelli 2005, 399 Abb. 10; 401 Abb. 16; 17 a‑b; 403 Abb. 22‑23. Wrede 1976. Erwähnenswert ist ein Relief aus Ägypten, das allerdings erst hellenistischer Zeit angehört (Fraser – Rumpf 1952): Es zeigt zwei antithetische Hippokampen, wie sie ägyptischer Tradition entsprechen, und eine Inschrift, die das Relief als Weihung an Poseidon Hippios ausweist.

Neue Forschungen zu den Etruskern

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F. Bubenheimer-Erhart, Meerpferde in der etruskischen Grabkunst

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Dirk Piekarski

Zur Nachwirkung der etruskischen Sepulkralkunst Summary

The numerous sarcophagi of the Roman imperial period are one of the most important monuments illustrating ancient myths. Nonetheless, too little is known about the origins of Roman sepulchral art, especially about the sources for its themes. In particular, the significance of Etruscan art is an essential factor which is still neglected. As the example of the myth of the Hero Meleagros may indicate, some of the themes illustrated on Roman sarcophagi have a long indigenous tradition going back to the beginnings of ItaloEtruscan art. It can be shown that the iconographic appearance of the subject on Roman sarcophagi is influenced in a decisive way, not only by Greek vases, reliefs, gems etc., but also by Etruscan bronze mirrors and urns. Especially depictions on Etruscan urns of the 2th c. BC gave the wording for typological sketches later imitated by Roman artists on sarcophagi. We therefore seem to have here one of the sources pointing the way to the evolution of Roman sepulchral art.

Innerhalb der römischen Kunst im Allgemeinen und ihrer Sepulkralkunst im Besonderen nehmen die Sarkophage bekanntermaßen die Position einer Leitgattung ein. Dabei ist schon direkt am Anfang ihrer Hauptproduktion, also im 2. Jh. n. Chr., eine enorme Vielfalt an Themen feststellbar. Dies gilt auch für die mythologischen Sarkophage, welche innerhalb ihrer Gattung die mit Abstand größte Gruppe bilden1. Der bezeichnete Umstand verblüfft umso mehr, als etliche Sujets in der Sepulkralkunst der Republik und der früheren Kaiserzeit nicht vorkommen. Denn sowohl auf den Grabaltären als auch auf den Marmorurnen spielen mythologische Darstellungen nur eine sehr untergeordnete Rolle: Obwohl beide Denkmälergruppen in der römischen Kunst bereits seit mindestens augusteischer Zeit belegt sind, weisen sie erst im 2. Jh. n. Chr. Mythenbilder auf, die jedoch insgesamt rar bleiben2. Zudem setzen genau zu dieser Zeit auch die Sarkophage mit mythologischen Themen ein, denen sie entsprechend nicht als Vorbilder gedient haben können3.

Bei der viel diskutierten Frage nach der Herkunft der auf den Sarkophagen verwendeten Motive und ihrer ikonographischen Vorlagen ist die Forschung teilweise in anderen Gattungen, vorzugsweise der dekorativen Kleinkunst4, fündig geworden oder hat Vorbilder in der hellenistischen Reliefkunst bzw. in der archäologisch kaum fassbaren Monumental-/Tafelmalerei postuliert5. Merkwürdigerweise ist bis heute die Sepulkralkunst Etruriens kaum in diese Betrachtung mit einbezogen worden, obwohl ihr Einfluss auf das römische Begräbniswesen allgemein bekannt ist. Auf diese Tatsache hat erst R. Amedick in einem neuen Beitrag in der wünschenswerten Deutlichkeit hingewiesen und zugleich mit einigen Beispielen die Dringlichkeit einer solchen und m. E. längst überfälligen Untersuchung belegt6. Die Kontinuität äußert sich sowohl in gemeinsamen Bestattungsbräuchen als auch in der Tatsache, dass die alten etruskischen Gräber in der Kaiserzeit weiterbenutzt wurden. Die Wiederverwendung dieser Gräber ermöglichte auch den Bildhauern der Sarkophage bzw. deren Auftraggebern den Zugang zu einer außerordentlich wichtigen Bildquelle, nämlich den mythenreichen etruskischen Sarkophagen und Urnen, deren Laufzeit sich vom 4. bis in das 1. Jh. v. Chr. erstreckt. Wie vor allem die Untersuchungen D. Steuernagels gezeigt haben, sind die meisten Mythendarstellungen auf etruskischen Sarkophagen und Urnen zwar indigen griechischen Ursprungs, werden jedoch z. T. in entscheidender Weise verändert, was im Extremfall zur Genese völlig neuer Bildmuster führen kann7. Auch auf den meisten kaiserzeitlichen Sarkophagen werden nicht etwa Begebenheiten aus der sagenhaften Frühgeschichte Roms geschildert, sondern ebenfalls griechische Mythen gezeigt8. Im Folgenden ist deswegen nach der Bedeutung etruskischer Darstellungen griechischer Mythen für die nachfolgende römische Sepulkralkunst zu fragen. Als ein Fallbeispiel soll der Meleager-Mythos dienen, weil er eine sehr lange, dichte Motivgeschichte besitzt und durch eine Vielzahl unterschiedlichster Medien be-

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Neue Forschungen zu den Etruskern

legt ist. Mit über 200 Stücken bilden die stadtrömischen Meleager-Sarkophage die mit Abstand umfangreichste Gruppe innerhalb der mythologischen Sarkophage der römischen Kaiserzeit; sie setzen in frühantoninischer Zeit ein und enden gegen 300 n. Chr.9 Auf attischen Sarkophagen bzw. deren lokalen Nachahmungen dagegen ist der Mythos nur ca. 25 Male, auf kleinasiatischen gar nur viermal belegt. Noch spärlicher stellt sich der Befund in anderen Denkmälergruppen der römischen Grabeskunst dar: Auf Grabaltären ist der Mythos überhaupt nicht, auf Marmorurnen nur drei- oder viermal bezeugt; diese wenigen Stücke stammen aus der mittel- und spätantoninischen Epoche. Als Vergleichsstücke mögen eine Urne, ehemals Villa Pacca, deren Aufbewahrungsort heute leider unbekannt ist10, und ein Sarkophag im Palazzo Doria (Abb. 1) herhalten11, beides stadtrömische Werke der antoninischen Zeit.

Abb. 1: Stadtrömischer Sarkophag. Rom, Palazzo Doria (aus: Koch 1975a, Taf. 10).

Dargestellt ist die kalydonische Eber-Jagd. Es ist sofort erkennbar, dass beiden Reliefs ein einheitliches Bildschema zugrunde liegt: Von links bekämpfen Meleager und Atalante den Eber gemeinsam, unterstützt von zwei Jagdhunden. Hinter dem Eber erhebt ein Jagdhelfer einen Stein zum Stoß oder Wurf auf den Eber. Nicht in den Kampf greifen die links neben Meleager stehenden Dioskuren sowie der bärtige Helfer rechts vom Eber ein. Im Gegensatz zum Sarkophag ist die Szene auf der Urne in ihrem Personenbestand deutlich reduziert, was nicht zuletzt dem begrenzten Bildraum geschuldet ist: Zwischen dem Jäger mit dem erhobenen Stein und dem Bärtigen am rechten Bildrand fehlen der zweite Jäger mit erhobenem Stein, der Gehilfe mit zwei Jagdspießen sowie der am Boden liegende Verwundete. Des Weiteren fehlen der zweite Dioskur zwischen dem erwähnten Dioskuren und Meleager sowie

alle weiteren Figuren in der linken Bildhälfte. Trotz der bezeichneten Unterschiede ist aber klar ersichtlich, dass die Darstellungen der Eber-Jagd Meleagers auf der Urne und auf dem Sarkophag auf einer gemeinsamen Vorlage basieren müssen. Es wirft sich nun die Frage nach deren Herkunft auf. Die Suche nach den motivgeschichtlichen Vorläufern führt bis in die Anfänge der bildlichen Darstellung des Meleager-Mythos zurück. Ein sehr ähnliches ikonographisches Muster kann bereits auf einer der frühesten erhaltenen Bearbeitungen dieses Themas, der berühmten François-Vase, nachgewiesen werden (Abb. 2)12. Den Kern der Szene nimmt auch hier der Eber ein, der von links von Meleager angegriffen wird; der Heros dringt in ähnlicher Weise, d. h. im Ausfallschritt und seinen Jagdspieß mit beiden Händen waagerecht nach vorne stoßend, auf das Tier ein, wobei er gleichfalls von Atalante unterstützt wird. Die François-Vase ist als Bildzeugnis umso wichtiger, da ihre Namensbeischriften eine zweifellose Verbindung des beschriebenen Grundschemas mit dem Meleager-Mythos erlauben, es sich also nicht etwa um irgendeine andere, ggf. auch nicht-mythologische Eber-Jagd handeln kann. Dieses Muster bleibt, mit Abweichungen, innerhalb der schwarzfigurigen Vasenmalerei für alle bis jetzt bekannten bildlichen Umsetzungen der kalydonischen Eber-Jagd verbindlich13. Diese Beobachtung ist von landschaftsübergreifender Gültigkeit; als ein weiteres Beispiel kann ein boiotischer Kantharos genannt werden, der ungefähr gleichzeitig mit der François-Vase entstanden ist14. Der Kantharos belegt außerdem, dass der Bestand an weiteren Personen nicht kanonisiert ist; selbst Atalante, die neben Meleager wichtigste Gestalt bei diesem Geschehen, erscheint nicht auf allen, sondern nur auf der Hälfte der insgesamt rund zwanzig schwarzfigurigen Vasen. Das, wie gesehen, bereits in der schwarzfigurigen Vasenmalerei entwickelte Bildschema hat in der rotfigurigen Vasenmalerei nur bedingt Widerhall gefunden; den zwanzig Belegstücken aus der schwarzfigurigen stehen nur vier aus der rotfigurigen Vasenmalerei gegenüber15, wenngleich solchen statistischen Auswertungen vielleicht keine übergroße Bedeutung beigemessen werden sollte. Schwerer wiegt jedoch der Umstand, dass die jeweils zwei attischen und apulischen Vasen erheblich von dem beschriebenen Bildschema abweichen: Auf dem Außenbild einer Schale des Kodros-Malers in Berlin wird der Eber zwar ebenfalls von links von einem Jäger mit Jagdspieß angegriffen, bei dem es sich aber nicht um Meleager handelt; der Heros ist vielmehr aufgrund der Inschrift in dem Mann unmittelbar

Abb. 2: Sog. François-Vase. Florenz, Museo Archeologico Nazionale Inv. 4209 (aus: P. E. Arias, A History of Greek Vase Painting [London 1962] Taf. 42).

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D. Piekarski, Zur Nachwirkung der etruskischen Sepulkralkunst

vor dem Eber zu erkennen, der mit einer Keule zum Schlag ausholt16. Eine ganz andere räumliche Konzeption äußert sich in der Szene auf einer Amphora des Lykurg-Malers, was freilich auch der fortgeschrittenen Stilstufe anzulasten ist17. Gleichwohl hat das Thema der kalydonischen Eber-Jagd in der rotfigurigen Vasenmalerei insgesamt keine herausragende Rolle gespielt; die meisten Vasen zeigen entweder Meleager, fallweise zusammen mit Atalante, nicht während, sondern vor bzw. nach der Jagd oder in der Unterwelt18. Als Beispiele hierfür können eine Hydria in Ruvo19 und ein Kelchkrater des Nekyia-Malers in New York20 genannt werden.

Gleichwohl wurde die Eber-Jagd auf den etruskischen Urnen nicht lediglich kopiert; im Gegensatz zu den schwarzfigurigen Vasen gehört nämlich jetzt auch Atalante zum unverzichtbaren Bestandteil der Szene. Meistens steht die Heroine rechts vom Eber, wie z. B. auch auf einer weiteren Urne25, und holt mit einer hoch erhobenen Doppelaxt zum Schlag aus. Ihre prominente Stellung sowie die spiegelbildliche Entsprechung zu Meleager machen sie nunmehr zu dessen gleichberechtigten Gefährtin. Die Aufwertung Atalantes mitsamt ihrem Figurentypus kann nicht unmittelbar aus älteren Darstellungen des Mythos abgeleitet werden und muss daher als eine innovative, indigen etruskische Bereicherung des Themas eingestuft werden.

Von größerer Popularität erfreut sich das Thema der kalydonischen Eber-Jagd nun wieder in der etruskischen Kunst. Von den bis jetzt bekannten Belegstücken handelt es sich (mit Ausnahme eines Bronzegriffspiegels) durchweg um Urnen, die meisten davon sind aus Alabaster und stammen aus dem 2. Jh. v. Chr.; einige sind hinsichtlich ihrer Deutung nicht absolut gesichert, sind jedoch zumindest teilweise abhängig von der Darstellungsweise des Meleager-Mythos21. Wie die Gegenüberstellung einer Urne in Florenz (Abb. 3)22 mit dem bereits bekannten boiotischen Kantharos23 zeigt, ist das auf den etruskischen Bildzeugnissen verwendete Schema nicht denkbar ohne den Einfluss der bereits von der schwarzfigurigen Vasenmalerei her bekannten Komposition. Als besonders bezeichnend sind hier solche nur scheinbar nebensächlichen Motivdetails einzustufen wie der von links den Eber angehende Hund und der Hund, der auf den Rücken des Ebers gesprungen ist, um ihn von oben zu attackieren.

In der römischen Republik und frühen Kaiserzeit ist die kalydonische Eber-Jagd aus dem Repertoire der bildlichen Kunst praktisch verschwunden. Erst durch die römischen Urnen und mehr noch durch die Sarkophage wird das Thema ab dem 2. Jh. n. Chr. wieder fassbar. Den einzigen Beleg aus der Wandmalerei liefert ein heute zerstörtes Wandgemälde im Nasonier-Grab, das nachträglich dort eingefügt wurde und ausschließlich durch einen seitenverkehrten und in seinen Einzelmotiven offensichtlich recht freien Stich der Barockzeit bekannt ist26. Bezeichnenderweise stammt dieser Beleg wiederum aus dem sepulkralen Bereich. In der Wandmalerei profaner Kontexte finden sich zwar einige Darstellungen Meleagers, häufig auch zusammen mit Atalante, doch zeigen sie den Helden, ähnlich wie schon in der rotfigurigen Vasenmalerei, nicht während der Jagd27. Das vielleicht prominenteste Beispiel ist das Wandgemälde, dem die Casa dei Meleagro ihren Namen verdankt28. Ebenso wird in der Mosaikkunst wie auch auf den weitaus spärlicheren Bildzeugnissen aus anderen Gattungen bevorzugt Meleager allein oder nur mit Atalante dargestellt. Die EberJagd hält dort erst im auslaufenden 3. Jh. n. Chr. Einzug, ausgerechnet zu eben jener Zeit also, als das Thema aus der Sarkophagkunst bereits wieder verschwindet; in kompositorischer Hinsicht sind diese sehr späten Bilder dann z. T. wiederum abhängig von den Sarkophagreliefs29. Es ist also festzuhalten, dass weder Werke der Wandmalerei, noch der Mosaikkunst und auch nicht der Kleinkunst die Ikonographie auf den Sarkophagen in irgendeiner Weise vorzubereiten scheinen. Dagegen sind denkbar enge Bezüge zwischen den Sarkophagen und den etruskischen Urnen auszumachen. Dieser Umstand betrifft – über die grundsätzliche Komposition hinaus – bestimmte, charakteristische Motive, die erst auf den Urnen eingeführt und nunmehr auch für die Sarkophagreliefs übernommen werden. Neu auf den Urnen ist z. B., dass der Eber sehr häufig nicht in Gesamtansicht, sondern nur etwa zur Hälfte dargestellt ist, da er soeben aus einem Wäldchen oder aus einer Höhle hervorstürmt. Dieses auch in der schwarzfigurigen Vasenmalerei unbekannte Motiv zeigen beispielsweise eine Urne in Volterra30 und ein Sarkophag in der Villa Doria Pamphilj31.

Abb. 3: Etruskische Urne. Florenz, Museo Archeologico Nazionale Inv. 5697 (aus: Woodford u. a. 1992, Nr. 49 Taf. 213).

Wie ist diese offensichtliche Rezeption nun zu erklären? Als aufschlussreich erweist sich ein Blick auf die Herkunft der Vasen: Immerhin rund die Hälfte von ihnen wurde in Etrurien gefunden (und zwar, soweit bekannt, in Grabzusammenhängen!) oder gehört zur sog. Tyrrhenischen Gruppe24. Natürlich soll damit nicht behauptet werden, dass die schwarzfigurigen Vasen selbst einst den Schöpfern der etruskischen Urnen als Anschauungsobjekte gedient haben müssen, wenngleich dies nicht völlig auszuschließen ist. Wichtiger ist aber festzuhalten, dass das Thema der kalydonischen Eber-Jagd auf etruskischem Boden seit der archaischen Zeit gut belegt ist und sich innerhalb der hiesigen Sepulkralkunst mit einem ikonographischen Grundmuster etabliert hat.

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Neue Forschungen zu den Etruskern

Abb. 4: Etruskische Urne. Volterra, Museo Guarnacci Inv. 318 (aus: Woodford u. a. 1992, Nr. 48 Taf. 213).

Ausgangsstück im Palazzo Doria (Abb. 1) sowie ein attischer Sarkophag im Athener Nationalmuseum34 und ein kleinasiatischer Sarkophag in Melfi35. Wie schon ein flüchtiger Blick lehrt, stehen die beiden letztgenannten Sarkophage in ikonographischer Hinsicht in keinerlei Verbindung zur stadtrömischen Hauptgruppe. Bei der Vorlage für die attischen Sarkophage hat man an eine Komposition der Hochklassik gedacht36. Auf den kleinasiatischen Sarkophagen hingegen, bei denen es sich übrigens durchweg um pamphylische Säulen-Sarkophage handelt, wird sogar nicht die Jagd selbst, sondern der Heros mit dem erlegten Eber, also ein Moment danach, wiedergegeben, wobei nicht einmal in allen Fällen eindeutig zu entscheiden ist, ob überhaupt Meleager gemeint ist37.

In anderen Fällen werden gewisse Motive, die erstmals auf den etruskischen Urnen vorkommen, auf die Sarkophage übertragen, dort jedoch umgebildet oder umgedeutet. Auf einer Volterraner Urne (Abb. 4) z. B. sehen wir an beiden Bildrändern zwei junge Männer im Ausfallschritt, die sich vom Kampfgeschehen in der Mitte abzuwenden scheinen32. Auf einem Sarkophag in Florenz (Abb. 5)33 hingegen zieht der rechte Krieger, anders als auf der Urne, kein Schwert aus seiner Scheide, sondern greift mit seiner Rechten an seinen wahrscheinlich verwundeten Oberschenkel. Aus dem linken, vorher anonymen Jagdhelfer ist aufgrund des Pilos nunmehr ein Dioskur geworden; seinen Speer hält er jetzt in seiner linken Armbeuge, während er mit der Rechten keine Waffe, sondern (s)ein Pferd am Zügel hält. Die axtschwingende Atalante ist, wie bereits bei dem Sarkophag im Palazzo Doria (Abb. 1) zu sehen war, durch die Seite an Seite mit Meleager kämpfende Heroine ersetzt worden. Ähnlich wie die etruskischen Urnen eine Reihe von Motiven, wie sie bereits aus der schwarzfigurigen Vasenmalerei bekannt sind, aufnehmen, verändern und bereichern, so besteht auch der Akt ihrer Rezeption in der römischen Sarkophagkunst keineswegs in einer bloßen Kopie. Vielmehr bilden auch dort die übernommenen Motive erst die Basis für den Entwurf neuer Ikonographien, die auf den Sarkophagreliefs nicht zuletzt schon durch eine Erweiterung des Figurenbestandes zum Ausdruck kommt.

Zusammenfassend ist festzustellen: Seit dem Beginn der Hauptproduktion kaiserzeitlicher Sarkophage im 2. Jh. n. Chr. ist die Darstellung der Jagd des Meleager auf den kalydonischen Eber ein außerordentlich beliebtes Thema der römischen Kunst (Abb. 1. 5). Obwohl der MeleagerMythos auf früheren römischen Bildträgern durchaus eine gewisse Rolle spielt, können aus der späten Republik und früheren Kaiserzeit keine Belege beigebracht werden, die sich als ikonographische Vorlagen für die JagdSzenen auf den Sarkophagen ansprechen ließen. Weder auf Zeugnissen der römischen Kleinkunst, die in anderen Fällen die Kompositionsschemata der Sarkophage vorwegnehmen, noch auf Bildern der Wandmalerei, Mosaikkunst oder anderer Gattungen ist das Thema formuliert worden. Hinsichtlich der verwendeten Bildmuster wird man, rückblickend betrachtet, erst in der etruskischen Kunst, namentlich auf Urnen und damit ebenfalls auf funerären Werken, fündig (Abb. 3. 4). Deren Darstellungsweise kann in ihren maßgeblichen Grundzügen bis hin zur schwarzfigurigen Vasenmalerei des frühen 6. Jhs. v. Chr. zurückverfolgt werden (Abb. 2). Bezeichnenderweise stammt eine ganze Reihe dieser Vasen aus Etrurien; es handelt sich um Importe, hauptsächlich aus Attika, bzw. Nachahmungen davon, und nicht weniger interessant ist der Umstand, dass wiederum ein Teil davon aus Grabkontexten stammt.

Zum Abschluss sei noch ein kurzer Blick auf die Darstellungen der kalydonischen Eber-Jagd auf kaiserzeitlichen Sarkophagen aus anderen Kunstlandschaften geworfen. Als Beispiele dienen unser stadtrömisches

Die bildliche Wiedergabe der kalydonischen Eber-Jagd in der römischen Sepulkralkunst steht demnach in einer alten, indigenen Tradition. Auch wenn Thema und Herkunft ursprünglich griechisch sind, hat sich der Mythos auf italischem Boden seit der archaischen Zeit fest etabliert, ja

Abb. 5: Stadtrömischer Sarkophag. Florenz, Galleria degli Uffizi Inv. 135 (aus: Koch 1975a, Taf. 25 a).

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D. Piekarski, Zur Nachwirkung der etruskischen Sepulkralkunst

er bleibt, bevor er gegen 300 n. Chr. auch in der dekorativen Kunst Einzug hält, ein nahezu exklusives Sujet der Sepulkralkunst38. Die etruskischen Urnen rezipieren ältere Bildmuster, verändern und bereichern sie aber durch die gezielte Hinzufügung eigener Motive, die ihrerseits auf die römischen Sarkophage übernommen und gleichfalls variiert und ergänzt werden. Dass sich die Bildhauer der Sarkophagwerkstätten augenscheinlich aus dem einheimisch vorgefundenen Motivrepertoire bedienten, wird außerdem durch die immensen Unterschiede zwischen stadtrömischen und auswärtigen Sarkophagen deutlich, da für letztere eigene motivgeschichtliche Stränge zu existieren scheinen, wie die Gegenprobe angedeutet haben mag. Wie ich insgesamt zu zeigen versucht habe, nimmt die etruskische Sepulkralkunst eine überaus wichtige und leider immer noch unterschätzte Mittlerfunktion bei der Tradierung griechischer Bildthemen in die römische Kunst und für die Genese der vielfältigen Bilderwelt auf römischen Sarkophagen ein.

Anmerkungen *

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Das Vortragthema soll einen kleinen Einblick in mein laufendes Habilitationsvorhaben Die Bildtradition griechischer Mythen auf kaiserzeitlichen Sarkophagen unter besonderer Berücksichtigung der etruskischen Urnen. Ein Beitrag zur Genese der römischen Sepulkralkunst (Philipps-Universität Marburg) bieten. Für die Gelegenheit, anlässlich der Bonner Tagung vortragen zu dürfen, danke ich den Veranstalterinnen A. Kieburg und A. Rieger. Zur Genese der mythologischen Sarkophage zuletzt: Junker 2005/06. Siehe Boschung 1987, 18; Sinn 1987, 80 f. (jeweils mit Beispielen). Eine Ausnahme bilden die Marmorurnen mit der Darstellung des Raubes der Persephone, die früher entstanden zu sein scheinen als die Sarkophage gleichen Themas: Sinn 1987, 80 mit Anm. 697 Nr. 518 Taf. 77 b; Nr. 521 Taf. 78 c. z. B. Froning 1980; Herdejürgen 1989. z. B. Andreae 1956. Amedick 2007. Steuernagel 1998. Auf die Gründe hierfür kann an dieser Stelle aus Platzgründen nicht weiter eingegangen werden. Zur Interpretation griechischer Mythen auf römischen Sarkophagen zuletzt: Zanker – Ewald 2004. Siehe Koch 1975a. Altmann 1905, 256 f. Abb. 200 (angeblich antoninisch); Sinn 1987, Nr. 634 Taf. 93 b (mit Re-produktion der Aufnahme bei Altmann). Koch 1975a, Nr. 8 Taf. 10–13. Woodford u. a. 1992, 416 Nr. 7 Taf. 208. Woodford u. a. 1992, 416 f. Nr. 6–25 Taf. 208–210. Woodford u. a. 1992, 417 Nr. 20 Taf. 210. Woodford u. a. 1992, 417 Nr. 24–27 Taf. 210. Woodford u. a. 1992, 417 Nr. 24 Taf. 210. Woodford u. a. 1992, 417 Nr. 26 Taf. 210. Woodford u. a. 1992, 418 f. Nr. 37–35 Taf. 211–212. Woodford u. a. 1992, 418 Nr. 38 Taf. 212. Woodford u. a. 1992, 419 Nr. 44 Taf. 212. Woodford u. a. 1992, 419–421 Nr. 46–61 Taf. 212–214. Woodford u. a. 1992, 419 Nr. 49 Taf. 213. Siehe oben Anm. 15. Woodford u. a. 1992, 416 f. Nr. 7. 8 (?). 11. 13–15. 17. 19. 21 (?). 22. 24 Taf. 208–210. Woodford u. a. 1992, 419 Nr. 51 Taf. 214. Woodford u. a. 1992, 425 Nr. 105; Koch 1975b, 537 f. Abb. 11. Woodford u. a. 1992, 424 Nr. 91–94 Taf. 216. PPM IV (1993) 662 f. Nr. 6. Woodford u. a. 1992, 424 f. Nr. 95–100. 106–109 Taf. 216–218. Woodford u. a. 1992, 419 Nr. 47 Taf. 212. Koch 1975a, Nr. 38 Taf. 32 c. Woodford u. a. 1992, 419 Nr. 48 Taf. 213. Koch 1975a, Nr. 21 Taf. 25 a; 29. Koch 1975a, Nr. 160 Taf. 128 a. Koch 1975a, Nr. 187 Taf. 140 a.

36 Koch 1975a, 72–77. 37 Koch 1975a, 78. 38 Auf die mutmaßlichen Gründe hierfür kann an dieser Stelle nicht weiter eingegangen werden. Zur Bedeutung der kalydonischen Eber-Jagd und anderen mythologischen sowie ferner „realistischen“ Jagden auf römischen Sarkophagen siehe Andreae 1980, 108.

Literatur Altmann 1905 W. Altmann, Die römischen Grabaltäre der Kaiserzeit (Berlin 1905). Amedick 2007 R. Amedick, Etruskische Sepulkralkunst und römische Sarkophage, in: G. Koch (Hrsg.), Akten des Symposiums des Sarkophag-Corpus 2001, Marburg, 2. – 7. Juli 2001 (Mainz 2007) 1–11. Andreae 1956 B. Andreae, Motivgeschichtliche Untersuchungen zu den römischen Schlachtsarkophagen (Berlin 1956). Andreae 1980 B. Andreae, Die römischen Jagdsarkophage, ASR 1, 2 (Berlin 1980). Boschung 1987 D. Boschung, Antike Grabaltäre aus den Nekropolen Roms, Acta Bernensia 10 (Bern 1987). Froning 1980 H. Froning, Die ikonographische Tradition der kaiserzeitlichen mythologischen Sarkophage, JdI 95, 1980, 322–341. Herdejürgen 1989 H. Herdejürgen, Beobachtungen an den Lünettenreliefs hadrianischer Girlandensarkophage, AntK 32, 1989, 17–26. Junker 2005/06 K. Junker, Römische mythologische Sarkophage. Zur Entstehung eines Denkmaltypus, RM 112, 2005/06, 163– 187. Koch 1975a G. Koch, Die mythologischen Sarkophage. Meleager, ASR 12, 6 (Berlin 1975). Koch 1975b G. Koch, Nachlese zu den Meleagersarkophagen, AA 1975, 530 –552. Sinn 1987 F. Sinn, Stadtrömische Marmorurnen, BeitrESkAr 8 (Mainz 1987). Steuernagel 1998 D. Steuernagel, Menschenopfer und Mord am Altar. Griechische Mythen in etruskischen Gräbern, Palilia 3 (Wiesbaden 1998).

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Neue Forschungen zu den Etruskern

Woodford u. a. 1992 LIMC VI (1992) 414–435 Taf. 208–224 s. v. Meleagros (S. Woodford – G. Daltrop – I. Krauskopf). Zanker – Ewald 2004 P. Zanker – B. C. Ewald, Mit Mythen leben. Die Bilderwelt der römischen Sarkophage (München 2004).

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Sarah Scheffler

Zwischen Präsentation und Repräsentation – Faksimiles und Nachbauten etruskischer Gräber in Museen des 19. bis 21. Jahrhunderts Summary

In the context of Etruscan tombs, representation mostly pertains to the self-expression of the bereaved, both through elaborate burial sites and intricate burial objects. More than 2000 years after their construction, the representative function of these tombs has been rediscovered through their use as pivotal elements in Etruscan museums and exhibitions. Considering presentation methods adopted since the early 19th century, a change of relevance of original objects and copies is clear – from status symbols of museums to symbols of the decay of the original tombs. This paper presents the development of Etruscan museums from the opening of the Museo Gregoriano Etrusco in 1837– the first specialised Etruscan museum – down to present day context-oriented exhibitions. Special emphasis is put on facsimiles and copies of Etruscan tomb paintings. Originally used to visualize Etruscan art and culture, these pieces are now objects of museum quality in their own right.

Einleitung

Repräsentation – fällt dieser Begriff im Zusammenhang mit etruskischen Gräbern, so steht dabei zumeist die Darstellung der Bestattenden durch aufwändige Grabanlagen und reiche Beigaben im Vordergrund. Doch mehr als 2000 Jahre nach ihrer Errichtung wurde ihnen erneut eine repräsentative Aufgabe zuteil – als zentrale Bestandteile etruskologischer Sammlungen und Ausstellungen. Betrachtet man die Ausstellungskonzepte, die seit der 1. Hälfte des 19. Jhs. gewählt wurden, so zeigt sich, dass sie außerdem zum Träger eines Bedeutungswandels von Originalen und Kopien etruskischer Kunst wurden: vom Statussymbol für das Museum hin zum Symbol für den Verfall der Originale vor Ort1. Seit der Gründung des Museo Gregoriano Etrusco am 2. Februar 1837 als erstem spezifisch etruskologischem

Museum standen Gräber im Mittelpunkt der nun entstehenden Ausstellungen2. Die Fülle an Objekten, die seit den 1820er und 30er Jahren in den Nekropolen Etruriens ans Tageslicht kamen, und vor allem die Grabwandmalereien begeisterten nicht nur die Fachwelt, sondern wurden auch zum „Aushängeschild“ der jeweiligen Sammlung. Während die in den Gräbern gefundenen Objekte häufig ihrem Kontext als Grabbeigabe entrissen und nach Materialgruppe und Gattung gegliedert ausgestellt wurden, fanden die Wandmalereien nicht nur in Form der aus den Gräbern entfernten Fresken ihren Weg in die Sammlungen. Bereits 1827 reisten einige Mitglieder der RömischHyperboräischen Gesellschaft nach Tarquinia, um die dort entdeckten Gräber zu dokumentieren. Sie schufen die Grundlage für jene Reproduktionen, die Carlo Ruspi seit 1826 zunächst im Auftrag des Berliner Archäologen Eduard Gerhard anfertigte und die von den Gebrüdern Campanari für ihre Ausstellung an der Pall Mall in London sowie für die Gestaltung des Museo Gregoriano Etrusco (Abb. 1), die Alte Pinakothek in München und zuletzt auch für das von Wilhelm Rosendahl ausgemalte Etruskische Cabinet in Berlin verwendet wurden3.

Faksimeles in Museen

Diese Faksimiles erfüllten in den Museen4 zweierlei Zweck: In den meisten Kunstsammlungen – allen voran jener in den Vatikanischen Museen und der 1840-1844 eröffneten Sammlung griechischer Keramik in der Alten Pinakothek in München – erhielten sie eine primär dekorative Funktion, wenn auch in durchaus gegensätzlicher Weise: Während die Werke Ruspis in Rom von den Renaissancegemälden der Räume geradezu erdrückt wurden, stimmte Franz Leopold Karl von Klenze die übrige Raumgestaltung in München auf die etruskischen Motive ab5. Andernorts sollten Faksimiles den Ursprungs- und Auffindungskontext der Objekte visualisieren: Eduard Gerhard entwickelte für das Etruskische Cabinet in

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Neue Forschungen zu den Etruskern

Abb. 1: Sala dei Vasi Italioti - Bis zur Neuordnung des Museo Gregoriano Etrusco in den 1920er Jahren unter Bartolomeo Nogara schmückten die Faksimiles Carlo Ruspis nach Epochen unterteilt die Wände der Vasensammlung. Museo Gregoriano Etrusco, Vatikan (aus: Colivicchi 2000, 512 Abb. 2).

Abb. 2: Sala delle Scolture etrusche mit Faksimiles im oberen Wandbereich; Sala dei Canopi chiusini; Sala dei Buccheri mit streifenförmiger Deckenbemalung und Sala dei Volsiniensi mit etruskischer Architektur entlehnter Türgestaltung, Ende 19./Anfang 20. Jh. Museo Topografico dell’Etruria, Florenz (nach: Milani 1898, 13; Milani 1912, 18 Abb. 10; 4 Abb. 4; 20 Abb. 11).

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S. Scheffler, Zwischen Präsentation und Repräsentation

Berlin die Idee, durch die Reproduktionen verschiedener Wandgemälde und Urnenmotive dem Museumsbesucher einen Eindruck von der Lebenswelt der Etrusker zu vermitteln6. Johann Martin von Wagner bezweckte neben der dekorativen Funktion der Münchner Gemälde auch die Kontextualisierung der vor ihrem Hintergrund ausgestellten griechischen Vasen, wenn man »diese Gemächer mit denselben Gemälden verzieren würde, womit jene Althetrurischen Begräbniskammern, aus welchen die Vasen größtentheils genommen wurden, ausgemalt waren«7. Bereits im Museo Gregoriano Etrusco, das seine Exponate bis 1920 nach Gattungen gegliedert ausstellte, öffnete sich am Ende des Rundgangs ein von Vincenzo Campanari eingerichteter Saal, der mit zwei den Eingang flankierenden Löwenfiguren aus Vulci eine Grabkammer imitieren und somit einen Eindruck von der Atmosphäre etruskischer Gräber vermitteln sollte8.

Präsentation etruskischer Objekte

Eine Vorreiterrolle hinsichtlich einer Präsentation, die den Kontext etruskischer Originale, dem sie in den Gräbern entnommen wurden, im Museum wieder herstellte, nahm das am 5. Mai 1897 eröffnete Museo Topografico dell’Etruria in Florenz ein9: Achille Gennarelli führte dort zum ersten Mal eine topographisch orientierte Raumaufteilung ein und wandte sich damit von der gattungs- und materialgruppenbezogenen Verteilung der Exponate ab10. Diese blieben dabei im Fundverband und konnten so nicht nur die Unterschiede zwischen den verschiedenen Regionen Etruriens aufzeigen, sondern wurden auch als Grabensembles kenntlich. Um dem Betrachter die Atmosphäre eines etruskischen Grabes zu veranschaulichen, wurde die Ausstellung um

Faksimiles bekannter Grabmalereien ergänzt11, und die Raumgestaltung in Anklang an die Architektur etruskischer Gräber gewählt (Abb. 2). Verschiedene Aufnahmen aus den Jahren 1898 bis 1931 zeigen, dass die Decken ähnlich etruskischen Grabkammern mit breiten hellen und dunklen Streifen bemalt und die Türstöcke zwischen den einzelnen Räumen in „etruskischer“ Form gestaltet waren. Selbst die Beschriftung der Türen wurde dem etruskischen Alphabet entlehnt12. Luigi Adriano Milani ließ zwischen 1900 und 1903 zudem den Garten des Museums umgestalten: Grabnachbauten sollten einen Überblick über die diversen Formen etruskischer Grabarchitektur bieten (Abb. 3). Einige – darunter die Tomba Inghirami aus Volterra und die Tomba Settecamini aus Orvieto – wurden außerdem mit den originalen Aschenkisten oder mit Reproduktionen der Grabmalereien ausgestattet. Vorbild für dieses „Freilichtmuseum“ waren neben dem etruskischen Tempel, der 1890/91 von Adolfo Cozza im Garten der Villa Giulia in Rom in Originalgröße rekonstruiert worden war, vor allem die Projekte der Gebrüder Campanari. Bereits 1837 verwendeten sie für eine große Verkaufsausstellung etruskischer Objekte an der Pall Mall in London elf Nachbauten bemalter Grabkammern aus Tarquinia, Tuscania, Bomarzo und Vulci13. Die Begeisterung der Besucher bewog das British Museum dazu, die Faksimiles im Folgejahr zu erwerben14. Nur zwei Jahre nach ihrem Erfolg in London legten die Gebrüder Campanari auf ihrem Anwesen in Toscanella (Tuscania) das „vielleicht ungewöhnlichste [Museum etruskischer Kultur] aller Zeiten“15 an. Cippi, Skulpturen und Vasen bildeten den Rahmen für ein nahe der Stadt ent-

Abb. 3: Plan von 1912 des archäologischen Gartens in Florenz. Zu sehen sind u.a. die Tomba Inghirami (F) und die Tomba di Casale Marittimo (H), 1912. Museo Nazionale Archeologico, Florenz (aus: Milani 1912).

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Neue Forschungen zu den Etruskern

decktes Würfelgrab, das im Garten des Anwesens wieder aufgebaut und mit den darin gefundenen Sarkophagen und Grabbeigaben eingerichtet wurde16. Die Arbeiten Carlo Ruspis hatten in der ersten Hälfte des 19. Jhs. den Grundstein für die Einbindung von Faksimiles in Museumssammlungen gelegt, hinsichtlich ihrer systematischen Anfertigung wurde jedoch gegen Ende desselben Jahrhunderts eine Idee geboren, die bis heute wegweisend bleiben sollte: Ein Besuch Tarquinias gemeinsam mit Wolfgang Helbig regte den Kopenhagener Mäzen Carl Jacobsen zu seinem Vorhaben an, mithilfe von Faksimiles alle bis dahin bekannten Grabwandgemälde, die schon damals stark vom Verfall und durch die Besucherströme in besonderem Maße bedroht waren, dokumentieren zu lassen. Zwischen 1895 und 1913 entwickelte ein Team italienischer Maler unter der Leitung von Alessandro Morani einen Kriterienkatalog, der die möglichst detailgetreue Wiedergabe der Malereien mit allen Fehlstellen, Restaurierungsversuchen und Beschädigungen durch Pflanzenwuchs, Salpeter oder Schimmel ermöglichen sollte. Die Intention der beiden Ideengeber unterschied sich dabei in wichtigen Punkten: Während Helbig vor allem an einer detailierten Dokumentation der Gräber und somit an deren Erhalt für die Nachwelt gelegen war, beschäftigten Jacobsen zunächst didaktische Gedanken. Die von ihm gestiftete Ny Carlsberg Glyptotek und das darin integrierte Helbig Museum mit frühitalischen und etruskischen Exponaten sollten durch die Faksimiles einzigartig und zu einem „Lieblingsstück“17 innerhalb der europäischen Museumslandschaft werden. Die (Re)präsentation seiner Sammlung durch die Kopien bekannter Grabwandgemälde und berühmter etruskischer Bronzen stand für ihn im Vordergrund. So verwundert es auch nicht, dass er zumindest die kleineren Faksimiles gern zu dreidimensionalen Nachbauten zusammengesetzt gesehen hätte18. Photographien zeigen die maßstabsgetreuen Ölgemälde jedoch nur als dekoratives Ausstellungselement, vor dessen Hintergrund Architekturterrakotten, Aschenkisten und Sarkophage etruskischer Herkunft oder gar römische Porträts gezeigt wurden (Abb. 4).

Abb. 4: Ausstellungssaal im Helbig Museum der Ny Carlsberg Glyptotek, Kopenhagen, vermutlich um 1913 (aus: Moltesen – Weber-Lehmann 1992, 6 Abb. 5).

Dennoch fand die Idee Jacobsens und Helbigs ihre Nachfolger: Zwischen 1987 und 1994 wurden unter der Leitung Cornelia Weber-Lehmanns gezielt Grabmalereien mit modernster Technik dokumentiert und reproduziert, wobei diese Faksimiles erstmals nicht mehr in Öl- oder Temperamalerei entstanden, sondern auf Freskotechnik basierten. Durch die Präsentation derartiger Reproduktionen in einem ortsnahen Museum könnte in Zukunft auf einen Besuch der originalen Gräber mit all seinen negativen Folgeerscheinungen für die empfindlichen Fresken verzichtet werden19 .

Abb. 5: Moderne Präsentation der Tomba Regolini Galassi, Museo Gregoriano Etrusco, Vatikan (Foto S. Scheffler).

Schlussbetrachtung

Dienten Faksimiles also im 19. und frühen 20. Jh. vor allem der Dekoration der Ausstellungssäle, der Hervorhebung der vor ihnen präsentierten Objekte und als „Aushängeschild“ der Sammlungen, erhalten sie heute auch einen denkmalpflegerischen Sinn – die Ausstellung der Kopie ersetzt den Besuch des Originals. Gleichzeitig runden sie, wo heute noch vorhanden, die verschiedenen modernen Präsentationskonzepte etruskischer Gräber ab. Die Kontextualisierung der Sammlungsexponate steht in den Museen heute an erster Stelle. Verschiedene Ansätze eignen sich dabei für die Darstellung unterschiedlicher Themenbereiche: Im Fall der etruskischen Gräber bietet sich vor allem eine Präsentation im Ursprungs- oder Auffindungskontext an. Während Ersterer das Grab im Moment der Bestattungszeremonie zeigt oder die Grabbeigaben hinsichtlich ihrer ursprünglichen Verwendung interpretiert, wird der Auffindungskontext verwendet, um den Zustand des Grabes bei seiner Entdeckung sowie archäologische Ausgrabungstechnik und Herangehensweise zu illustrieren20. Einen ganz eigenen Weg ist die etruskische Sammlung der Vatikanischen Museen im Zusammenhang mit der Ausstellung der Objekte aus der Tomba RegoliniGalassi gegangen (Abb. 5). Die schiere Größe der Grabanlage und die Anzahl an Objekten machte in den alten Räumen des Museums eine Präsentation im Ursprungsoder Auffindungskontext unmöglich. Stattdessen wählte man eine stark vergrößerte Querschnittszeichnung der Grabkammer, vor deren Hintergrund die Exponate in der Vitrine gezeigt werden. Auf diese Weise bleibt der Kontext der Stücke als Grabbeigaben erhalten, und das ursprüng-

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S. Scheffler, Zwischen Präsentation und Repräsentation

liche Aussehen der Grabkammer wird ebenso angedeutet wie ein Hinweis auf die Auffindung gegeben.Zunehmender Beliebtheit erfreut sich heute außerdem die Darstellung in historisierendem Kontext: Dabei werden Ausstellungssäle im Zustand ihrer früheren Einrichtung gezeigt. Häufig entsteht dabei ein Nebeneinander alter und moderner Medien, das dem Besucher nicht nur den heutigen Wissensstand über vergangene Kulturen nahebringt, sondern ihn auch Forschungs- und Museumsgeschichte erfahren lässt. So werden z. B. in den Kapitolinischen Museen traditionell eingerichtete Säle, in denen Grabfunde in Holzvitrinen ausgestellt sind, um moderne Texttafeln ergänzt, und nur einige Schritte weiter sind moderne Glasvitrinen mit großformatigen Schaubildern, ein eisenzeitliches Grab vom Forum Romanum im Auffindungskontext und interaktive Computerpräsentationen21 aufgestellt. Die Lebenswelt der Etrusker wird nicht nur in dieser Sammlung durch die hervorgehobene und oft zentrale Ausstellung etruskischer Grabensembles, wie von Gerhard gewünscht, für den Besucher erfahrbar.

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Anmerkungen 1

Der anlässlich der Bonner Tagung gehaltene Vortrag und der hier vorliegende Aufsatz beschäftigen sich mit einem Teilaspekt der Magisterarbeit der Verfasserin zu Präsentationsformen etruskischer Gräber in Museen des 19. bis 21. Jhs. Ziel der Arbeit, die 2006 im Rahmen der Tübinger Ausstellung „Die Etrusker – Jenseitsvorstellungen und Ahnenkult“ unter der Betreuung von Friedhelm Prayon und Bettina von Freytag gen. Löringhoff verfasst wurde, war es, die Präsentationsformen verschiedener Epochen vor dem Hintergrund der jeweiligen Zeitgeschichte zu analysieren und dabei herauszuarbeiten, inwiefern etruskische Museen und Sammlungen hierin den jeweiligen didaktischen „Moden“ folgten oder eigene Wege beschritten. Ein Schwerpunkt der Untersuchung lag auf der Visualisierung der Grabwandgemälde durch Faksimiles und die moderne Umsetzung kontextorientierter Ausstellung durch (interaktive) Computerpräsentationen. 2 Speier 1963, 469 f.; Buranelli 2000, 511–513. Gründungen herausragender Museen und Sammlungen etruskologischen Schwerpunkts: 1837: Museo Gregoriano Etrusco di Vaticano; 1839: „Freilichtmuseum“ der Campanari in Toscanella (Tuscania); 1844: Etruskisches Cabinet (integriert in das Königliche Museum, heute Altes Museum) in Berlin; 1863: etruskische Sammlung des Louvre in Paris; 1870: Museo Archeologico Nazionale in Florenz; 1881: Galleria della pittura etrusca (integriert in das Museo Civico) in Bologna; 1889: Museo Nazionale Etrusco di Villa Giulia in Rom; 1891: Helbig Museum (integriert in die Ny Carlsberg Glyptoteket) in Kopenhagen; 1897: Museo Topografico dell’Etruria (integriert in das Museo Archeologico Nazionale) in Florenz. 3 Blanck 2004, 162. 164–166; Weber-Lehmann, 1993, 416–419; Platz-Horster 1993, 362 f. 4 Faksimiles innerhalb der etruskischen Sammlungen beherbergten neben den genannten Museen auch das Etruskische Cabinet im Alten Museum Berlin und die Galleria Etrusca des Museo Civico Bologna. Eine umfangreiche Faksimile-Sammlung besteht am Museum of Fine Arts in Boston und kann im Internet besichtigt werden (http://www.mfa.org/collections/search_art.asp?coll_package=26091; Stand: 25.03.2009) – für den Hinweis auf diese Sammlung sei Frau Weber-Lehmann an dieser Stelle besonders gedankt. Das Museo di Etruscologia e Antichità der Universität Rom besitzt eine Sammlung von 51 Aquarellen etruskischer Grabwandgemälde, die 1905 von Elio D’Alessandris angefertigt wurden (Weber-Lehmann 1993, 426. 430). 5 Blanck 2004, 164. 6 Moltesen – Weber-Lehmann 1992, 13; Colonna 1993, 334; PlatzHorster 1993, 362f.; Zeittafel 1993, 488. 7 Kunze 1988, 402. 8 Speier 1963, 469 f., Buranelli 2000, 511–513. 9 Romualdi 2000, 515–521. 10 Bereits 1870 befürwortete Generalli geographische und topographische Kriterien für die Ausstellung archäologischer Exponate; Felice Barnabei übernahm dieses Konzept für die Villa Giulia in Rom und erregte so den Argwohn Luigi Adriano Milanis. Bis 1912 trugen die

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beiden Museen einen Kampf um die wichtigsten Grabungsorte mit den dort aufgefundenen Objekten und damit einhergehend um den Ruf des wichtigsten und zentralen Etruskermuseums in Italien aus (Romualdi 2000, 515; Moretti Sgubini 2000, 523). Zwischen 1912 und 1930 fertigte Guido Gatti für das Museum in Florenz Reproduktionen an (Weber-Lehmann 1993, 426. 430). Doch bereits vorher muss es dort Faksimiles gegeben haben, wie die Kritik Carl Jacobsens an diesen in einem Brief von 1899 beweist (Abdruck des Briefes bei Moltesen – Weber-Lehmann 1992, 92). Milani 1898; Milani 1912; Minto 1931. Die Idee einer Verkaufsausstellung für archäologische Objekte, die in kontextorientierten Nachbauten präsentiert werden, war 1837 nicht neu. Bereits 1821 hatte der aus Padua stammende Kunsthändler Belzoni in London eine Verkaufsausstellung mit ägyptischen Funden in einem Nachbau der Grabkammern Sethos I. veranstaltet (Weber-Lehmann 1993, 422). Ob die Faksimiles der Gebrüder Campanari, die als älteste Nachbauten etruskischer Gräber gelten müssen, heute noch existieren ist leider nicht bekannt. Haynes 1993, 313f.; Colonna 1993, 334f. Colonna 1993, 335. Colonna 1993, 334 f. Zitat nach einem Brief an Helbig vom 21. August 1895 (dieser und der weitere Briefwechsel abgedruckt bei Moltesen – WeberLehmann 1992, 89–96). Poulsen 1927, XIV, 153-222. 232; Moltesen – Weber-Lehmann 1992a, 3–5. 11. Blanck 2004, 167; Weber-Lehmann 2004, 126. Frau Dr. Cornelia Weber-Lehmann sei an dieser Stelle fuer ihre Informationen zum Projekt TARCHON - Pittura Etrusca herzlich gedankt. Weitere Informationen finden sich auf der Internetseite des Projektes www. tarchon.it [Stand: 1.5.2009]. Ein museumsdidaktisch gelungenes Beispiel für die Präsentation einer Grabkammer zum Zeitpunkt der Beisetzung stellt das Keltenmuseum von Hochdorf dar. Während eine Konstruktion aus Stahlrohren außerhalb des Museums Größe und Ausmaße des Grabhügels verdeutlicht, befindet sich an entsprechender Stelle im „Keller“ des Museums ein originalgroßer Nachbau der Grabkammer mit der rekonstruierten Ausstattung. Zugleich dienen die einzelnen Objekte aus dem Grab dazu, verschiedene Aspekte der keltischen Kultur zu erklären. Eine Präsentation des Auffindungskontexts findet sich in verschiedenen archäologischen Museen und wird nicht nur zur Visualisierung von gräberarchäologischen Befunden, sondern auch bei Siedlungsgrabungen und zahlreichen anderen Projekten angewendet. Die besondere Rolle, die dem Medium Computer durch die vielfältigen Darstellungsmöglichkeiten in der Vermittlung archäologischen Wissens über verschiedenste Facetten eines Fundkomplexes vom Ursprungszustand über die Auffindung bis zu Restaurierung und Interpretation zukommt, kann an dieser Stelle nicht in der notwendigen Ausführlichkeit dargelegt werden.

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Neue Forschungen zu den Etruskern

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