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German Pages 475 [474] Year 2014
Akten des 14. Österreichischen Archäologentages
VERÖFFENTLICHUNGEN DES INSTITUTS FÜR ARCHÄOLOGIE DER KARL-FRANZENS-UNIVERSITÄT GRAZ BAND 11
Phoibos Verlag, Wien 2014
Akten des 14. Österreichischen Archäologentages am Institut für Archäologie der Universität Graz vom 19. bis 21. April 2012
Herausgegeben von
Elisabeth Trinkl
Wien 2014
Gedruckt mit Unterstützung durch: Land Steiermark. Abteilung Wissenschaft und Gesundheit
Bibliografische Information Der Deutschen Bibliothek Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.ddb.de abrufbar. Bibliographic information published by Die Deutsche Bibliothek Die Deutsche Bibliothek lists this publication in the Deutsche Nationalbibliografie; detailed bibliographic data is available in the Internet at http://dnb.ddb.de. Einband: Gipsmuseum des Instituts für Archäologie, Karl-Franzens-Universität Graz; © Institut für Archäologie, Karl-Franzens-Universität Graz. Photo: J. Kraschitzer Redaktion: Hanne Maier Copyright # 2014, Phoibos Verlag, Wien. All rights reserved www.phoibos.at; offi[email protected] Printed in the EU ISBN 978 - 3- 85161-114 - 4 E-Book-Ausgabe (PDF): ISBN 978 - 3 - 85161-117-5 DOI http://dx.doi.org/10.7337/3851611175
Inhaltsverzeichnis Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9 Cristina-Georgeta Alexandrescu – Gerald Grabherr – Christian Gugl – Barbara Kainrath Vom mittelkaiserzeitlichen Legionslager zur byzantinischen Grenzfestung: Die rumänischösterreichischen Forschungen 2011 in Troesmis (Dobrudscha, RO) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11 TomÆš Alušk – Anežka B. SosnovÆ Möglichkeiten einer 3D-Rekonstruktion der Architektur und der Fundorte im minoischen Kreta . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21 Martin Auer Das „Atriumhaus“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 33 Maria Aurenhammer – Georg A. Plattner Der Eroten-/Satyrfries vom Theater in Ephesos . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 47 Claudia-Maria Behling Der sog. Rundmühle auf der Spur – Zug um Zug zur Neudeutung römischer Radmuster . . . . 63 Fritz Blakolmer Das orientalische Bildmotiv der Gottheit auf dem Tier in der Ikonographie des minoischen Kreta . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 71 Andrea CsaplÆros – Tina Neuhauser – Ott Sosztarits Die Rolle des Isis-Heiligtums in Savaria . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 77 Nina Dornig Eine archäologische Landschaft zur Römerzeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 83 Josef Eitler Eine weitere Kirche des 6. Jahrhunderts am Gipfel des Hemmabergs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 93 Claudia Ertl – Daniel Modl Die Habsburger zwischen Antikenschwärmerei und Archäologie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 99 Nicole Fuchshuber – Franz Humer – Andreas Konecny – Mikulaš Fenik Ein Nekropolenbefund an der südlichen Peripherie von Carnuntum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 115 Robert Frhacker – Anne-Kathrin Klatz Die Anwendung moderner Methoden der Konservierung und Restaurierung am Beispiel archäologischer Funde aus dem Laßnitztal . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 123 Monika Hinterhçller-Klein Perspektivische Darstellungsmodi in der Landschaftsmalerei des Vierten Stils und die Rekonstruktion des Freskenprogramms im Isistempel von Pompeji . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 131 Denise Katzjger Spätantikes Wohnen auf Elephantine . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 145 Doris Knauseder Überlegungen zu den kräftig profilierten Fibeln . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 153 Johanna Kçck Römische Zwischengoldgläser . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 167 Andreas Konecny Die Wasserversorgung der Zivilstadt Carnuntum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 177
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Julia Kopf Im Westen viel Neues … . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 185 Gabrielle Kremer Zur Wiederverwendung von Steindenkmälern in Carnuntum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 199 Susanne Lamm Zwischenland – Zur Grenze zwischen Noricum und Pannonien abseits des Wienerwaldes . . . 209 Felix Lang – Raimund Kastler – Thomas Wilfing – Wolfgang Wohlmayr Die römischen Ziegelbrennöfen von Neumarkt-Pfongau I, Salzburg . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 221 Claudia Lang-Auinger Römische Tempelanlagen in griechischen Städten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 229 Hannes Lehar Dem Ignis Languidus auf der Spur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 239 Johann Leidenfrost Das Holzfass vom Magdalensberg und seine Rekonstruktion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 247 Stephan Leitner Die Römer im Oberen Vinschgau . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 253 Patrick Marko Κἀπὶ Κυρβάντεσι χορεύσατε. Ein soziologischer Versuch zu veränderten Bewusstseinszuständen in der Antike . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 265 Daniel Modl Zum Stand der Experimentellen Archäologie in der Steiermark . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 275 Tina Neuhauser – Marina Ugarković – Matthias Rode – Oliver Sass – Johannes Stangl, Hellenistic Fortification of Epetion (East Adriatic). Preliminary Observations on the 2012 Geophysical and Archaeological Probes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 289 Karl Oberhofer – FØlix Teichner Im Schatten der Colonia Emerita Augusta . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 297 Toshihiro Osada Ist der Parthenonfries sinnbildlicher Ausdruck des athenischen Imperialismus ? . . . . . . . . . . . . 305 Lisa Peloschek Funktionell oder rituell ? Technologische Charakterisierung spätklassisch-hellenistischer Keramik aus der Nekropole von Aphendrika (Zypern) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 313 RenØ Ployer Untersuchungen zur Besiedlung des südlichen Hausruckviertels (Oberösterreich) während der römischen Kaiserzeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 321 Sven Schipporeit Triumphal- und Siegesdenkmäler außerhalb von Rom . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 329 Gnther Schçrner Häuser und Hauskulte im römischen Nordafrika . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 339 Yvonne Seidel Ex oriente ? – Zur Entstehung und Entwicklung von Beleuchtungsgeräteständern . . . . . . . . . . 351 Stephanie Sitz Firmalampen des EVCARPVS. Produktion und Verbreitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 359 Eva Steigberger – Barbara Tober Die Fallstudie des Heiligtums des Iuppiter Heliopolitanus in Carnuntum . . . . . . . . . . . . . . . . . 367 Karl Strobel Noreia – Atlantis der Berge ? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 379 6
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Magdalena Sttz Den Gürtel um die Hüfte geschlungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 389 Attila Botond Szilasi Wohlsdorf: The Bronze Age Settlement and the Wells . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 399 Ingrid Tamerl „Baccus fecit“ – Überlegungen zum Fassbinderhandwerk in der römischen Antike . . . . . . . . . 411 Susanne Tiefengraber St. Jakob am Mitterberg – Romanische Kirchenruine und frühe mittelalterliche Burgstelle . . 421 Barbara Tober Die Wandmalereien von Immurium-Moosham . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 431 Jçrg Weilhartner Zur Darstellung von Mensch und Tier auf Linear B-Tafeln und Siegelbildern der ägäischen Bronzezeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 443 Gudrun Wlach Arnold Schober – Leben und Werk . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 455 Programm des Archäologentages . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 469
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Vorwort Der 14. Österreichische Archäologentag fand von 19. bis 21. April 2012 turnusmäßig an der Universität Graz statt und wurde, wie schon regelmäßig in der jüngeren Vergangenheit, in zwei parallelen Sektionen abgehalten. Dabei widmete sich nach wenigen einleitenden Vorträgen vor dem Plenum die eine Sektion vor allem den provinzialrömischen Forschungen und der prähistorischen und mittelalterlichen Archäologie in Österreich, die andere der Klassischen Archäologie und hier vor allem den österreichischen Forschungen im mediterranen Raum, wobei Portugal, Italien mit Sizilien, Kroatien, Griechenland, Rumänien, die Türkei, Zypern und Ägypten mit dem übrigen nordafrikanischen Raum apostrophiert werden konnten. Thematisch reichten die insgesamt ca. 90 Beiträge (angemeldet waren 84 Referate und 8 Poster), von denen nun mehr als die Hälfte auch gedruckt vorliegt, vom hethitisch-galatischen Tavium bis Lusitanien, vom urgeschichtlichen Alpen-Donau-Raum bis zu ägyptisch-etruskischgriechischen Kulturbeziehungen. Sie vermittelten ein höchst lebendiges und sehr aktuelles Bild der Vielfalt archäologischer Forschung in Österreich. Eine besondere Bereicherung stellte der Festvortrag von Hüseyin Alanyalı und Feristah Alanyalı-Soykal (beide Anadolu Üniversitesi Eskişehir) zu den von ihnen geleiteten und seit 2011 unter Beteiligung der Universität Graz durchgeführten Ausgrabungen in Side in Pamphylien dar. Einen weiteren Höhepunkt bildete die erstmalige Verleihung des Erna-Diez-Preises, benannt nach der langjährigen Grazer Ordinaria für Klassische Archäologie (ao. Prof seit 1953, o.Prof. 1970–1983) und gestiftet von ihrer Nichte Ella Etzold-Diez, durch die „Historische Landeskommission für Steiermark“ an Georg Tiefengraber, Ortwin Hesch und Heinrich Kranzelbinder. Das Zustandekommen der Tagung wurde durch Sponsorengelder ermöglicht; ich danke den folgenden Geldgebern: Stadt Graz, Land Steiermark, Forschungsservice der Universität Graz. Für die hervorragende und reibungslose Organisation danke ich allen wissenschaftlichen MitarbeiterInnen und StudienassistentInnen des Instituts für Archäologie der Karl-Franzens-Universität, besonders aber Ute Lohner-Urban als Hauptverantwortliche für die Tagungsabwicklung und Elisabeth Trinkl für die Aufnahme der Kurzversionen in das Forum Archaeologiae (Ausgabe 63; http://farch.net/) und nunmehr die Betreuung der Drucklegung der Tagungsakten. Für ihre Mitarbeit dabei sei auch Hanne Maier herzlich gedankt. Meinen besonderen Dank darf ich dem Bundesministerium für Wissenschaft und Forschung (BMWF) abstatten, das aus Mitteln des „Rates für Archäologische Forschung“ den Großteil der Druckkosten dieses Bandes getragen und damit eine großzügige Ausstattung mit Illustrationen ermöglicht hat. Einen weiteren namhaften Beitrag hat das Land Steiermark, Abt. für Wissenschaft und Gesundheit, geleistet wofür herzlich gedankt sei. Ebenso gedankt sei dem Phoibos Verlag für sein finanzielles Entgegenkommen und die gewohnt umsichtige und kompetente Drucklegung, wie er dies auch schon bei den früheren Bänden der „Veröffentlichungen des Institutes für Archäologie der Karl-Franzens-Universität Graz“ regelmäßig gezeigt hat. Univ.-Prof. Dr. Peter Scherrer (Leiter des Institutes für Archäologie der Karl-Franzens-Universität Graz)
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Vom mittelkaiserzeitlichen Legionslager zur byzantinischen Grenzfestung: Die rumänisch-österreichischen Forschungen 2011 in Troesmis (Dobrudscha, RO) Cristina-Georgeta Alexandrescu – Gerald Grabherr – Christian Gugl – Barbara Kainrath Das im Nordwesten der Dobrudscha gelegene Troesmis nahm eine strategische Schlüsselposition am unteren römischen Donaulimes ein. Die römisch-byzantinische Siedlung lag am rechten Steilufer der Donau, etwa 15 km südlich der heutigen Stadt Măcin, dem antiken Arrubium, und 4 km nördlich des Dorfes Turcoaia (Bez. Tulcea), unweit einer im 19. Jh. bestehenden Lokalität namens Igliţa, die mittlerweile nicht mehr existiert. Das weitläufige Ruinengelände, das durch zwei heute noch gut sichtbare Befestigungsanlagen, der sogenannten Ost- und der Westbefestigung, beherrscht wird, erstreckt sich von der Donau ausgehend nach Osten bis zu den Ausläufern des Măcin-Gebirges (Abb. 1–2). Im Folgenden sollen die ersten Ergebnisse eines seit 2011 laufenden Projektes in Troesmis präsentiert werden, das gemeinsam von der Rumänischen und der Österreichischen Akademie der Wissenschaften initiiert wurde. Ferner eingebunden sind das Archäologische Institut der Universität Innsbruck, das die geophysikalischen Messungen durchführt, sowie das Institutul de Cercetări Eco-Muzeale in Tulcea.
Historisch-archäologischer Abriss zur Geschichte von Troesmis Unser Wissen über Troesmis beruht in erster Linie auf der historischen und epigraphischen Überlieferung1. Laut Ovid (ep. 4, 9, 78–79) gab es Anfang des 1. Jh.s eine (römische ?) Siedlung, die wohl um 15 n. Chr., von den auf der nördlichen Donauseite lebenden Geten bedroht wurde. Ab dem frühen 2. Jh. ist in Troesmis die legio V Macedonica stationiert2, zeitgleich mit der Dislokation der legio XI Claudia in Durostorum. Aus den über 100 aus Troesmis vorliegenden Inschriften lässt sich zudem die Existenz der canabae legionis sowie das weitere Bestehen einer Zivilsiedlung belegen3. Allerdings sind weder die Lage des Legionslagers noch die Lokalisierung und Ausdehnung der canabae und des epigraphisch bezeugten vicus auf den umliegenden Feldern geklärt. Etwa 10–15 Jahre nach dem Abzug der Legion, die im Zusammenhang mit dem Partherkrieg des Lucius Verus bzw. der danach einsetzenden Kriege im Karpatenbecken unter Mark Aurel erfolgte, wurde Troesmis der Munizipalstatus verliehen, in einer Zeit gekennzeichnet von den Folgen der militärischen Tätigkeiten und des Krieges gegen die Kostoboken4. Es bleibt fraglich, 1 Eine gute Zusammenstellung der Schriftquellen bietet Doruţiu-Boilă 1972, 136 Anm. 3. 2 Abgesehen von zahlreichen Inschriften ist diese Legion auch bei Ptolemaios (3, 10, 5) für Troesmis überliefert. Die epigraphischen Nachweise für die 5. Legion in Troesmis setzen in hadrianischer Zeit ein: Doruţiu-Boilă 1972, 136; ISM V 137. 140. 141. Vorher war die Legion in derselben Provinz, in Oescus, stationiert: Kabakcieva 1996. 3 Grundlegend hierzu Vulpe 1953; Mihăilescu – Bârliba 2012: Folgende Funktionsträger sind für die canabae gesichert: magistri canabenium (ISM V 154.156) sowie quinquennalis canabensium (ISM V 155. 158. – Von der
gleichzeitig existierenden Zivilsiedlung sind bisher der ordo Troesmensium (ISM V 143) sowie ein decurio belegt (ISM V 158). 4 Nach Doruţiu-Boilă 1978, 247; sind die canabae epigraphisch noch um 170 überliefert (ISM V 145), während das municipium Troesmense epigraphisch ab der Zeit der gemeinsamen Herrschaft von Septimius Severus, Geta und Caracalla (208–211) in Erscheinung tritt (ISM V 150). Mittlerweile ist die Verleihung des Munizipalstatus in die Jahre zwischen 177 und 180 n. Chr. durch sensationelle epigraphische Neufunde gesichert (Eck 2014).
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Vom mittelkaiserzeitlichen Legionslager zur byzantinischen Grenzfestung
ob in den folgenden Jahrzehnten in Troesmis eine Vexillation der in Novae stationierten legio I Italica verblieb, wie es gelegentlich in der Forschung angenommen wird. Die Präsenz von Soldaten dieser Legion in Troesmis nach dem Abzug der legio V Macedonica, wie auch die der Ala I Pannoniorum in vortrajanischer Zeit, beruht vor allem auf Ziegelstempelfunden (z. B. ISM V 214), deren Aussagekraft für den Nachweis der dauerhaften Stationierung von Einheiten überbewertet erscheint5. In der Spätantike ist Troesmis als Sitz der legio II Herculia belegt6. Das Itinerarium Antonini (225, 2) nennt hingegen die legio I Iovia als Garnison. Die Nennung von zwei spätantiken Einheiten für Troesmis verleitete dazu, die beiden sichtbaren Befestigungsanlagen mit der schriftlichen Überlieferung vorschnell in Verbindung zu setzen und beide als spätantike Garnisonsorte zu interpretieren7. In die spätantik-frühbyzantinische Zeit ist eine Erwähnung von Troesmis in Zusammenhang mit Baumaßnahmen unter Iustinian zu setzen8. Die Münzreihe bricht mit Prägungen des Kaisers Mauricius Tiberius (582–602) ab, die anscheinend in der Westfestung gefunden wurden9. Inwieweit die Landnahme der Slawen um 600 zu einem Ende der antiken Siedlungsstrukturen in Troesmis führte, ist archäologisch noch nicht geklärt. Kleinfunde, Keramik- und Münzfunde des 10.–13. Jh.s belegen eine erneute Siedlungstätigkeit, die mit der letztmaligen Erwähnung von Troesmis in den Schriftquellen durch Kaiser Konstantin VII. (Porphyrogennetos) (913–959) korrespondieren dürfte10.
Forschungsstand Die Ruinenstätte ist schon seit 1862 – noch zu Zeiten, als das gesamte Gebiet zwischen Donau und dem Schwarzen Meer dem Osmanischen Reich angehörte – anhand von zahlreichen Inschriftenfunden11, mit dem antiken Ort Trosmis/Troesmis gleichgesetzt worden, der auf der Tabula Peutingeriana (segm. VII) und anderen antiken Itinerarien verzeichnet ist. Lange Zeit wurden die Ruinen als Steinbruch genutzt, bevor ab der Mitte des 19. Jh.s mehrere wissenschaftlich motivierte Untersuchungen erfolgten, die allerdings in erster Linie die Erfassung der als Spolien verbauten Steindenkmäler des 2. und 3. Jh.s, insbesondere die Inschriften, zum Ziel hatten, ohne jedoch deren Fundkontext ausreichend zu dokumentieren (Abb. 1). Im Sommer 1865 haben die Franzosen Ambroise Baudry und Gustave Boissière, im Auftrag des Kaisers Napoleon III., die Ostbefestigung näher untersucht, indem sie hier vor allem den Verlauf der Umwehrung mit mehreren spätantiken Fächer- und Hufeisentürmen und dem Haupttor sowie größere Bereiche der Innenbebauung freigelegt und dokumentiert haben, darunter die spätantike principia des Lagers sowie drei Saalbauten mit Apsidenabschluss (frühchristliche Kirchen ?). Zwei Jahre später hat Ernest Desjardins einen Plan der etwa 700 m von der Ostbefestigung entfernten Westbefestigung12 erstellt, der allerdings weder publiziert noch erhalten ist. Von archäologischer Seite kann man davon ausgehen, dass die Errichtung der sogenannten Ostbefestigung aufgrund bautypologischer Überlegungen und fortifikationstechnischer Kriterien in das 4. Jh. zu setzen ist. Von der Westfestung sind im Wesentlichen nur Teile der Umfassungsmauer mit vorspringenden Türmen oder Bastionen bekannt. Sie stand allem Anschein nach nur in byzantinischer Zeit in Benutzung.
5 Doruţiu-Boilă 1972, 143. 6 Not. Dign. Or. 39, 29. 31. 7 Doruţiu-Boilă 1972, 135. 137–138 (mit Literatur); Zahariade 1988, 182–183. 8 Prokop. de Aedif. 4, 11, 33. 9 E. Oberländer-Târnoveanu in: Simion u. a. 1980, 248. 274.
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10 Konstantin Porphyrogennetos, De Them. 47, 17. 1 1 Ausführliche Zusammenstellung der Literatur: Doruţiu-Boilă 1972. 12 Der Westbefestigung hat sich 1939 auch der Rumäne E. Coliu gewidmet. Leider starb er im selben Jahr und seine Dokumentation ist verloren gegangen.
Cristina-Georgeta Alexandrescu – Gerald Grabherr – Christian Gugl – Barbara Kainrath
Nach 1877, als das Gebiet wieder Rumänien angegliedert wurde, unternahmen Grigore George Tocilescu und sein Vermessungsingenieur Pamfil Polonic weitere Untersuchungen und Geländebegehungen in und um Troesmis. Polonic sind die ersten, wenn auch skizzenhaften Pläne der Befestigungen und der Umgebung zu verdanken, sowie wichtige Angaben zur römischen Wasserleitung13. Erst 1977 fanden anlässlich von Bauvorhaben einige Notgrabungen im Bereich des Plateaus zwischen den beiden Befestigungen statt. Dabei ist auch ein als römische Thermen gedeutetes Gebäude entdeckt worden14. Bei diesen Notgrabungen kamen auch zahlreiche, wahrscheinlich mittelalterliche Körperbestattungen zutage, die schlaglichtartig die byzantinische Siedlungsphase in den Vordergrund treten ließen. Seit dem Beginn des 21. Jh.s wird die Gegend von Metallsondengängern aufgesucht, die ihre Tätigkeiten unkontrolliert ausführen. Unter den außergewöhnlichen, auf diese Weise zum Vorschein gekommenen Funden sind zwei Bronzetafelfragmente der lex municipalis, der Stadtrechtsurkunde von Troesmis, zu nennen, die wichtige Hinweise zur Konstituierung des Munizipiums am Ende der Regierungszeit von Marcus Aurelius bringen15. In den 1970 er-Jahren sind im Rahmen von größer angelegten luftbildarchäologischen Untersuchungen von Alexandru Simion Ștefan einige Schwarz-Weiß- Luftbilder von Troesmis ausgewertet worden (Abb. 1)16, die insbesondere an der Siedlungsperipherie sowie auf dem Siedlungsplateau neue topographische Erkenntnisse lieferten. Dies betraf vor allem das Wegenetz und die Gräberfelder. Leider blieben sowohl das Vorhaben von Ştefan als auch die Grabungen in den 1970 er Jahren ohne Fortsetzung, sodass man konstatieren muss, dass unser Wissen um die Siedlungstopographie von Troesmis noch immer äußerst bescheiden ist.
Troesmis-Projekt Vorrangiges Ziel war zunächst die Lokalisierung des Legionslagers. In der Forschung wird die Meinung vertreten, dass sich das mittelkaiserzeitliche Legionslager abseits der beiden jetzt noch sichtbaren Befestigungsanlagen befand. Die West- und die Ostbefestigung sollen in der Spätantike gleichzeitig bestanden haben. Während die Ostbefestigung primär zu militärischen Zwecken gedient hätte, postulierte man für die Westbefestigung das kirchliche Zentrum des spätantiken Troesmis. Auf dem dazwischen liegenden Plateau soll sich eine zugehörige, große Siedlung erstreckt haben, die durch die Wall-Graben-Anlage III begrenzt gewesen wäre (Abb. 1)17. Bei unseren Untersuchungen gingen wir davon aus, dass das Lager der legio V Macedonica analog zu anderen früh- und mittelkaiserzeitlichen Legionslagern, wie an den benachbarten Legionsstandorten Durostorum (legio XI Claudia) und Novae (legio I Italica), ein Terrain von ca. 18–24 ha umfasst haben sollte. Eine derart große Fläche bietet nur das Siedlungsplateau zwischen der später errichteten Ost- und der Westbefestigung18. Aufgrund zahlreicher Parallelen wird man die canabae im unmittelbaren Vorfeld des Lagers anzunehmen haben, während sich der vicus, analog zum Modell der Doppelsiedlungen an Legionsstandorten, zumindest während der frühen Kaiserzeit in der Regel deutlich abseits davon entwickelte19. Aus dem aufgelassenen Lager könnte sich nach dem Abzug der Legion das Munizipium entwickelt haben. Das postulierte Gründungsmuster entspräche somit in seinen Grundzügen den 13 Ștefan 1971, Abb. 6–8. 14 A. Opaiţ in: Simion u. a. 1980, 203. 1 5 Eck 2014. 16 Ștefan 1971; Ștefan 1974. 17 Doruţiu-Boilă 1972, 133–144; Ștefan 1974, 98–99. 18 Ivanov 1996, 163–166; siehe auch das nur teilweise untersuchte Lager der 5. Legion in Potaissa, in Dakien, gebaut nach der Dislokation aus Troesmis: Bărbulescu, 1987. – Hinzu kommt die Beobachtung von Ioana Bogdan
Cătăniciu (Bogdan-Cătăniciu 1984, 45–49, bes. 48), die selbstständig Geländebegehungen anlässlich der Notgrabungen in den 1970 er-Jahren durchführte, und die von Konzentrationen von frührömischem Material im Bereich zwischen Graben II und III, bzw. von byzantinischem Fundmaterial im Bereich des Westfestung berichtet. 19 Doruţiu-Boilă 1972, 140; Mócsy 1953, 179–200; Vittinghoff 1968, 132–142, bes. 137; Sommer 2004, 312– 321; Gugl 2013, 173–192.
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Vom mittelkaiserzeitlichen Legionslager zur byzantinischen Grenzfestung
siedlungsgenetischen Prozessen an denjenigen Plätzen, die nach dem Abzug der Legion zu einer colonia erhoben wurden (z. B. Oescus in trajanischer Zeit20).
Kampagne 2011 Beim aktuellen Forschungsstand war es unerlässlich, zunächst solide Grundlagen für weitere siedlungsarchäologische Arbeiten in und um Troesmis zu schaffen. Dies umfasste zunächst eine Dokumentation des Bestandes an archäologischen Plänen und eine topographische Gesamtaufnahme. Das Anlegen eines Basisvermessungsnetzes über das gesamte Ruinengelände erfolgte mithilfe eines RTK-GPS-Systems, von dem ausgehend die im Herbst 2011 erfolgte Geländeaufnahme und die Einmessung der noch sichtbaren Ruinen mittels Tachymeter und der TachyCAD-Dokumentationssoftware durchgeführt wurden. Im Vorfeld war bereits mit der Sichtung des Archivmaterials und der Auswertung der vorhandenen Ortho- und Satellitenfotos begonnen worden. Die daraus gewonnenen Informationen wurden kartiert und durch Geländebegehungen überprüft. Die im Feld erhobenen Daten waren mit den alten Plänen abzugleichen, die ihrerseits eingescannt, georeferenziert und in ein Geographisches Informationssystem überführt wurden. Abgesehen von den beiden Festungen und den noch sichtbaren Mauerresten konnten in den Randbereichen im Luftbild zahlreiche Wegtrassen und Grabhügel beobachtet und dann im Gelände überprüft werden. Viele dieser Tumuli sind im Laufe des letzten Jahrhunderts durch die landwirtschaftliche Nutzung und durch Bautätigkeit in Mitleidenschaft gezogen oder sogar vollkommen zerstört worden. Deren Zeitstellung lässt sich ohne eingehende Untersuchung nicht feststellen. Angesichts vergleichbarer Befunde im ca. 30 km entfernten Noviodunum (Isaccea) nahe des Donaudeltas21, kann man davon ausgehen, dass diese Tumuli nicht unbedingt prähistorisch, sondern vor allem in das 2. und 3. Jh. n. Chr. zu datieren sind. Seit Ende 2010 wird im Rahmen des rumänischen ArheoMedia-Projektes22 auch das noch vorhandene Archivmaterial zu den Grabungen und Beschreibungen zu Troesmis aus dem 19. und 20. Jh. erfasst, untersucht und ausgewertet. Schwerpunkte bilden in diesem Fall die Dokumentation der französischen Missionen z. Zt. von Napoleon III., das epigraphische Material und die Steindenkmäler (mit und ohne Inschrift) mit Herkunft Troesmis und Umgebung. Dabei handelt es sich vor allem um Grabdenkmäler, aber auch um Ehreninschriften, Weihealtäre, Weihreliefs, Architekturornamentik usw. In beiden Befestigungsanlagen waren zahlreiche Inschriften des 2. und 3. Jh.s als Spolien verbaut worden. Sie bieten wichtige Aufschlüsse zu den Verwaltungs- und Siedlungsstrukturen des mittelkaiserzeitlichen Troesmis, darunter auch Indizien für den Sitz des concilium provinciae, des Provinziallandtags der Provinz Moesia inferior23. Es handelt sich meist um Kalksteindenkmäler und weniger um Fragmente von Marmorreliefs, die in der Spätantike als Bausteine wiederverwendet wurden24. Seit 1861 sind zahlreiche Kalk- und Sandsteinblöcke aus den beiden Befestigungen in Troesmis zu modernen Bauvorhaben am anderen Donauufer herangezogen worden, beispielsweise für die griechische Kirche in Brăila. Dieser Abtransport des Steinmaterials führte dazu, dass heute von den antiken und byzantinischen Befestigungsmauern meist nur noch der Mauerkern erhalten ist. 20 Kabakčieva 1996. 2 1 Ştefan 1974, Abb. 2; G. Simion, Ensemble funéraire de la nécropole tumulaire de Noviodunum (Isaccea), Dacia NS 38–39, 1994–1995, 121–149. 22 NCSRHE Project TE 113 (2010–2013) in the frame of PN II (2007–2013) Human Resources „ArheoMedia: formation, transmission and transformation of images and texts in Greco-Roman era with special regard to the use of polychromy in the Carpathian-Danubian-Pontic
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area“: www.arheomedia.ro (dir. dr. C.-G. Alexandrescu). 23 Es sind zwei sacerdotes provinciae überliefert – ISM V 151 (Datierung: 218–222 n. Chr.) und 194 (Datierung: 2. Jh.). 24 Diese Arbeitsweise ist für die Periode gängig und wurde zuletzt treffend als „Quaderbeschaffung“ bezeichnet – G. Kremer, Zur Wiederverwendung von Steindenkmälern in Carnuntum, Forum Archaeologiae 63/VI/2012 (http://farch.net).
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Gleichzeitig wurde eine geologisch-archäometrische Untersuchung der verwendeten Gesteine in die Wege geleitet, die 2011 durch rund 70 von im Gelände aufgenommenen Proben erweitert wurde. Troesmis liegt in einer Region, die geologisch vor allem durch hochwertige Granitvorkommen charakterisiert ist. Abgesehen von Gesteinsproben sind auch Mörtelproben untersucht worden, die die unterschiedlichen Bindemittel in der West- und Ostbefestigung dokumentieren. Für Inschriften und Skulpturen sind die im Raum Babadag anstehenden Kalk- und Sandsteine verwendet worden, während für die spätantike Mauerschale der Ostbefestigung, besonders für die Türme, Blöcke als Sonderanfertigung aus der Süddobrudscha auf der Donau verschifft wurden. Anhand der Inschriften kann man feststellen, dass die Bevölkerung des römischen Troesmis eine bunte Mischung aus Orientalen, Italikern, Griechen und Ortsansässigen war25, die sich qualitätsvolle Denkmäler leisten konnten, die ihnen von handwerklich versierten Steinmetzen vor allem aus den lokalen Gesteinsorten der Dobrudscha angefertigt wurden. Von weither importierter Stein stellt eher die Ausnahme dar.
Wasserversorgung Die Dokumentation des Verlaufs der Wasserleitung bildete einen weiteren Schwerpunkt. Ein Teil der römischen Wasserleitung war bereits 1882 von Polonic als sog. „Trajans-Wall“ dokumentiert worden26. Er führte von den höher gelegenen Positionen im Osten zuletzt sehr geradlinig auf Troesmis zu (Abb. 1). Der „Trajans-Wall“ ist nichts anderes als die Hauptwasserleitung von Troesmis, die als teilweise obertägig ausgeführte Frischwasserleitung bis weit in das 20. Jh. hinein noch sichtbar war. Auch auf der 1971 erfolgten Luftbildauswertung zeichnete sich der Aquädukt – neben den Wegtrassen und zahlreichen anderen Strukturen – sehr gut im Bewuchs ab. Bei unseren Untersuchungen konnten wir glücklicherweise auf Ortskundige zurückgreifen, die von Keramik-Wasserleitungsrohren zu berichten wussten, die gelegentlich an den Abhängen des Măcin-Gebirges noch zu sehen sind. Dabei handelt es sich um einfache, in die Erde verlegte Leitungen, die durch die Hangerosion zum Vorschein kommen. Eine Kartierung dieser Beobachtungen im Felde und ein Abgleich mit in Luft- und Satellitenbildern erkennbaren Bewuchsmerkmalen erlaubt eine erste Rekonstruktion der Trasse dieser Wasserleitung (Abb. 2), wenngleich die wasserbautechnische Ausführung an einigen Schlüsselpunkten noch offen bleiben muss. Zwischen den Quellgebieten an der Westseite des Măcin-Gebirges und dem Stadtgebiet befand sich eine Senke und zwei hügelartige Erhebungen, die man bei der Trassenführung berücksichtigte, indem man die Wasserleitung offenbar, weitgehend entlang der Isohöhenlinien verlaufend, daran herumführte.
Geomagnetische Prospektionen Eine der Kernfragen der Siedlungstopographie von Troesmis ist die Lokalisierung des Legionslagers und der inschriftlich genannten Lagervorstadt sowie einer weiteren Zivilsiedlung. Mithilfe geophysikalischer Messungen sollte diesen Fragen nachgegangen werden. Die geomagnetischen Untersuchungen wurden Ende Oktober 2011 auf einer Fläche von insgesamt 7,5 ha von einem Team der Universität Innsbruck dankenswerter Weise durchgeführt27. Im Geomagnetik-Bild erkennt man sehr gut einen Graben, der an der Südseite von zwei linearen Anomalien begleitet wird. Die Unterbrechungen in der Bildmitte liegen in einem Bereich, 25 siehe ISM V aber auch Curcă – Zugravu 2005, 313–329; Mihăilescu-Bârliba – Piftor 2005, 331–337; Mihăilescu-Bârliba 2009, 385–388; Mihăilescu-Bârliba 2012. 26 Ștefan 1971, Abb. 6.
27 Im Einsatz war ein 5 -Kanal-Magnetometer der Firma SENSYS mit einem Datalogger DLM 98/5 und einem GFK-Träger mit Radsatz.
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wo man aufgrund der Fernerkundungsdaten die Einbindung der Wasserleitung bzw. der Fernstraße erwarten würde. Hier ist eine Toranlage anzunehmen (Abb. 3, 1). Im Norden finden sich ebenfalls zwei lineare Anomalien, die den beiden anderen an der Südseite des Grabens entsprechen, jedoch im rechten Winkel dazu angeordnet sind (Abb. 3, 2). Wir interpretieren diese Anomalien als einen Mauerring der an der Innenseite von einem Kanal begleitet wird. An Innenstrukturen hebt sich ein massives Gebäude im Westen ab (Abb. 3, 3). Ein interessantes Detail zeigten die Messungen im Osten der Fläche, wo der mutmaßliche Kanal ebenfalls im rechten Winkel umknickt (Abb. 3, 4). Einen vergleichbaren Verlauf des Kanals entlang der via sagularis findet man in früh- und mittelkaiserzeitlichen Legionslagern, wie zum Beispiel in Neuss und Carnuntum28. In den Eckbereichen knickt dieser Abwasserkanal rechtwinkelig um, im Gegensatz zur Lagerbefestigung, die, wie bei kaiserzeitlichen Militäranlagen üblich, abgerundete Ecklösungen aufweist. Nach unserer Ansicht zeichnet sich in den Messdaten von 2011 somit das östliche Drittel des Lagers der legio V Macedonica ab.
Ausblick Die bisherigen, vielversprechenden Ergebnisse bilden eine gute Grundlage für die 2012 und 2013 geplante Fortsetzung des Projekts. Einerseits sollen weitere geomagnetische Messungen im Bereich des Legionslagers, aber auch der Lagervorstadt erfolgen. Ergänzend dazu wird ein Oberflächensurvey durchgeführt werden, der grundlegende Aussagen zur großflächigen Verteilung der Oberflächenartefakte erlauben wird und Anhaltspunkte zur Lokalisierung der großflächigen Siedlungsareale in der vorrömischen (?), römischen und byzantinischen Zeit liefern soll. Trotz der Tatsache, dass Troesmis ein militärisches, administratives, wirtschaftliches und sakrales Zentrum römischer Präsenz an der unteren Donau darstellte, stand die Siedlung bisher zu Unrecht allzu sehr abseits des wissenschaftlichen Interesses. Die 2011 aufgenommenen siedlungsarchäologischen Untersuchungen werden mit dazu beitragen, grundlegende Fragen zu Troesmis, wie der Lokalisierung des Legionslagers und des Munizipiums und der Ausdehnung der Siedlung, zu klären. Abbildungsnachweis Abb. 1: © 2012 Alexandrescu/Gugl. – Kartenhintergrund: Ştefan 1971, Abb. 9, 11 Abb. 2: © 2012 Alexandrescu/Gugl. – Digitales Geländemodell: Shuttle Radar Topography Mission (SRTM) Abb. 3: © 2012 Alexandrescu/Grabherr/Gugl/Kainrath. – Satellitenfoto: Terra Server (2006 - 01- 30)
28 Koenen u. a. 1904, Taf. 3 (Nr. a); Groller 1901, Taf. 5, 2; Groller 1902, Taf. 6; Groller 1908, Taf. 2.
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Cristina-Georgeta Alexandrescu – Gerald Grabherr – Christian Gugl – Barbara Kainrath
Abb. 1: Troesmis 2011 – Übersicht
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Abb. 2: Troesmis 2011 – SRTM-Bild mit Angabe der vermuteten Wasserversorgung
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Abb. 3: Troesmis 2011 – Geomagnetische Prospektionen
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Möglichkeiten einer 3D-Rekonstruktion der Architektur und der Fundorte im minoischen Kreta Tomáš Alušík – Anežka B. Sosnová Die Erstellung und Präsentation der 3D-Rekonstruktionen von Bauten oder ganzer Fundorte wird immer häufiger1. Im Falle der Archäologie im minoischen Kreta ist sie jedoch immer noch nicht sehr verbreitet. Die Autoren dieses Aufsatzes vertreten die Meinung, dass eine ideale 3DRekonstruktion der erhaltenen Architektur der minoischen Bauten oder der Fundorte den Bestandteil jeder architektonischen Studie und Publikationen bilden sollte, weil der Bekanntheitsgrad der prähistorischen Architektur sowohl bei der Fach- als auch Laienöffentlichkeit deutlich kleiner ist als jener der späteren griechisch-römischen Antike. Der Grund dafür ist nicht nur der deutlich bessere Erhaltungszustand ganzer heiliger Bezirke und (fast) ganzer Städte, sondern auch die spätere Rezeption der klassischen antiken Architektur in der Renaissance und in späteren Stilen, z. B. dem Historismus. Die Präsentation einer 3D-Rekonstruktion der prähistorischen griechischen bzw. direkt minoischen Bauten und Fundorte trägt somit zu einer größeren Präsenz dieser frühen Kapitel der Geschichte von Architektur bei; gleichzeitig aber kann sie sowohl deren Reichtum (ausgedrückt durch eine ganze Skala von Bauten und durch ein unterschiedliches Maß ihrer Monumentalität und ihres Ausführungniveaus) als auch auf das Verhältnis zwischen der Natur und dem von Menschen bewohnten Milieu, das durch die Architektur ausgedrückt und von ihr gestaltet wird zeigen. Die Erstellung von 3D-Rekonstruktionen hat jedoch für die Archäologen auch viele andere Vorteile. Der Prozess der Erstellung der idealen 3D-Rekonstruktionen, bei denen alle bestehenden genauen Architektur- und Raumdaten und weitere Quellen genutzt werden, zwingt uns nämlich zum Nachdenken über viele praktische architektonische Probleme und Details, die die Archäologen meistens beiseitelassen oder sich nicht bemühen, diese zu erklären: z. B. die Platzierung von Türen, Platzierung, Form und Anzahl von Fenstern, das Problem der höheren Stockwerke, ihres Charakters und ihrer Zugänglichkeit, das Problem der Kombination von verschiedenen Baumaterialien und der abschließenden Bearbeitung (der Oberfläche) von Gebäuden usw. Es zwingt uns also viel mehr, in den konkreten Bau zahlreiche Details zu studieren, und zwar aus verschiedenen Gesichtspunkten und häufig bei einer interdisziplinären Zusammenarbeit. Dieses Studium und seine Ergebnisse ermöglichen dann, sowohl einige Aspekte der minoischen Architektur als auch diese Baukunst als Ganzes zu verstehen – und zwar einschließlich der Beziehung, wie die Landschaft als natürlicher Lebensraum des Menschen von ihm gestaltet und verstanden wird. Die Autoren vertreten deshalb die Ansicht, dass – falls zu einem Fundort mit einer erhaltenen Architektur die Ergebnisse publiziert wurden – es zum Standard gehören sollte, eine ideale 3D-Rekonstruktion herzustellen, obwohl manchmal objektive archäologische Gründe (schlechter Erhaltungszustand und wenige archäologische, ikonographische und/oder schriftliche Quellen, die zu einer glaubwürdigen oder zumindest wahrscheinlichen Rekonstruktion eines Bauwerkes oder eines Fundortes notwendig sind) verhindern dieses Ziel.
1 In den letzten Jahren entstanden viele Web-Seiten, die sich mit den 3D-Visualisierungen beschäftigen, siehe z. B.: Digitale Archäologie – ; Visualisation in Archaeology –
; CyArk – ; Rome Reborn – .
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Möglichkeiten einer 3D-Rekonstruktion der Architektur und der Fundorte im minoischen Kreta
Die Geschichte und die Quellen für die 3D-Rekonstruktionen, der Rekonstruktionsprozess Was die minoische Archäologie betrifft, wurden 3D-Rekonstruktionen in den letzten 30 Jahren in einer ganzen Reihe von Fällen benutzt, in verschiedene Ausprägungen. Am häufigsten handelte es sich um ideale Rekonstruktionen der minoischen Paläste und Villen, die den Touristen und der Laienöffentlichkeit präsentiert wurden (Bücher und Ansichtskarten mit diesen Abbildungen werden in den offiziellen Museumshops verkauft.). Was die benutzte Technik betrifft, handelt es sich um kolorierte Zeichnungen, ggf. Tempera-Gemälde. Ideale 3D-Rekonstruktionen erschienen in den Fachartikeln und -monographien in größerer Anzahl erst in den letzten Jahren. Im Jahre 1991 wurden in der Publikation „Archanes“ von I. und E. Sakellarakis mehrere architektonische Rekonstruktionen – immer noch im Stile der Tempera-Gemälde – von verschiedenen Bauarten (der Palast, die Gräber, das Heiligtum) gezeigt2. In den 90 er Jahren benutzte K. Nowicki in seinen Werken eine allgemeine Rekonstruktion der spätminoischen Fundorte Karfi3 und Monastiraki Katalimata4. Im Jahre 1999 benutzten D. Preziosi und L. Hitchcock einige architektonische Visualisierungen in ihrem Buch „Aegean Art and Architecture“5. In den beiden letztgenannten Fällen handelt es sich um eine einfache Zeichnung im „line art“-Stil mit Feder und Tinte; im zweiten Falle eher mit technischem als künstlerischem Charakters. Im Juni 1998 wurde auf den Web-Seiten des Instituts für Klassische Archäologie der Friedrich-Alexander Universität ErlangenNürnberg ideale 3D-Rekonstruktion eines Terrakotta-Modells eines Hauses aus Archanes präsentiert (MM III, im Museum von Herakleion aufbewahrt)6, die mit einer speziellen architektonischen Software gebildet wurde7. In diesem Falle handelt es sich – soweit es den Autoren bekannt ist – um das erste Beispiel der Verwendung eines solchen Programms in der minoischen Archäologie. In den letzten Jahren beginnt man, die 3D-Visualisierungen zu präsentieren, die die letzten Versionen der architektonischen Software, ggf. der Software für die 3D-Modellierung benutzen; oft werden sie auch in ein Photo dieses Fundortes eingefügt8. Die Autoren bemühen sich, in diesem Beitrag die Reihenfolge der Erstellung der idealen und möglichst treuen Rekonstruktionen der erhaltenen Bauten oder von ganzen archäologischen Fundorten unter Verwendung verschiedener Techniken: eine Handzeichnung, einer Modellierung mit spezieller Software. Die angeführten Ergebnisse haben eine allgemeinere Gültigkeit; angesichts unserer Erfahrungen und Spezialisierungen werden wir demnach meistens auf die minoische Architektur verweisen und als „case study“ werden wir den MM/LM-Fundort Livari Cheromylia (der sich an der Südküste auf Ostkreta befindet) benutzen. Bevor wir auf die einzelnen Arten einer 3D-Rekonstruktion eingehen, stellen wir genauer den Fundort und die Quellen vor, deren wir uns beim Rekonstruktionsprozess bedient haben. Livari Cheromylia ist ein kleiner Fundort mit ruralem Charakter, der im Rahmen der „Archäologischen Geländeprospektion Südostkreta“ unter der Leitung von Dr. Norbert Schlager vom Institut für Klassische Archäologie der Universität Wien entdeckt wurde (an der Dokumentationskampagne im Jahre 2008 nahm auch der Mitverfasser dieses Beitrages teil)9. Auf einer Fläche von ca. 80–90660 m am Hang zum Libyschen Meer in der Bucht Livari haben sich Reste von vier Bauten (Gebäude I, II, IV und V) und einigen weiteren Mauern (Struktur VI und VII) erhalten; sind alle aus massiven rohen Steinblöcken in der Technik der sog. kyklopischen Mauern
2 Sakellarakis – Sapouna-Sakellarakis 1991, 30–31. 36–39. 69. 71. 152–153 Abb. 15. 19–20. 42. 45. 131. 3 Nowicki 1987, 220, Abb. 5; Nowicki 2000, 162, Abb. 93. 4 Nowicki 2000, 93, Abb. 41. 5 Preziosi – Hitchcock 1999, 45. 50. 57. 80. 104. 111. 175 Abb. 17. 22. 30. 45. 62. 69. 88. 113.
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6 siehe z. B. Lebessi 1976, 12–43; Sakellarakis – Sapouna-Sakellarikis 1991, 61 Abb. 36. 7 8 siehe z. B. Vavouranakis 2012. 9 Schlager 2001, 202–207; Alusik 2010, 281–292.
Tomáš Alušík – Anežka B. Sosnová
oder „oncolithic masonry“ (wie vor kurzer Zeit vorgeschlagen wurde)10 gebaut. Diese architektonischen Reste sind zumeist bis in die Höhe von max. zwei Steinlagen erhalten. Angesichts des allgemein schlechten Erhaltungszustandes der meisten minoischen Bauten und Fundorte ist der Rekonstruktionsprozess von jedem Bau sehr schwierig. Deshalb müssen wir uns in großem Masse auf architektonische Parallelen und ikonographische und ethnographische Quellen verlassen, die wir hier nur in Kürze vorstellen. Die Grundkonzeption und die Benutzung von Quellen und deren Interpretation (diskutiert mit Architekten [Dipl.-Ing.arch. Michal Chalupka, Dipl.-Ing.arch. Veronika Hajkova, Dipl.-Ing.arch. Jarmila Kopecna] und mit Spezialisten auf 3D-Modellierung [David Kopernicky, Pavel Hlinovsky]) wurden nämlich im vorigen Jahr in einem anderen Vortrag ausgeführt11. Die Darstellungen der minoischen Architektur einschliesslich der wichtigsten Quellen für die modernen architektonischen Rekonstruktionen (z. B. sog. Town Mosaic aus Knossos [MM IIB–III?]12 oder das erwähnte Hausmodell aus Archanes [MM III]) wurden schon von anderen Forschern diskutiert13. Die architektonischen Parallelen – v. a. die Bauten des „guard houses“-Typus14, die rurale Architektur15 und die gut erhaltenen Bauten im minoischen Stil im Fundort Akrotiri auf der Insel Thera16 – kann man in den Ausgrabungs- oder Übersichtspublikationen17 über die minoische Architektur (einschließlich der benutzten Materialien und Bautechniken) finden. Erwähnenswert ist hier nur die Tatsache, dass aufgrund des Studiums von diesen Quellen das zweite Stockwerk in zwei Varianten rekonstruiert werden kann: „geschlossene/gemauerte“ Variante, bei der oberhalb des Erdgeschosses gewöhnlich ein gemauertes Stockwerk mit einem zugänglichen Flachdach liegt; und „offene“ Variante, bei der das zweite Stockwerk die Form einer mit einem einfachen Dach geschützten Veranda hat. Beim Rekonstruktionsprozess gingen wir von allen erwähnten Quellen aus, für die architektonischen Details (v. a. die Platzierung von Fenstern und Türen und die Frage des Zuganges zu den höheren Stockwerken) wurden Architekten konsultiert. Eine Illustratorin (A. S.) und ein Spezialist auf 3D-Modellierungen bekamen für ihre Arbeit insgesamt drei Arten von Unterlagen: ein Set von Fotos der minoischen ruralen Fundorte (selbstverständlich einschließlich des oben erwähnten Fundortes Livari Cheromylia), Grundrisse von ausgewählten Fundorten oder Bauten – beides sollte zum Verständnis des charakteristischen architektonischen Stils und des Naturraumes des Fundortes und der kretischen Natur einschließlich der spezifischen Topographie dienen. Für die künstlerische Inspiration (den Stil der Rekonstruktion), wenn wir uns eine Vorstellung vom ursprünglichen Aussehen der minoischen Bauten machen wollten, dienten die schon vorhandenen Zeichnungen und Computerrekonstruktionen der minoischen Bauten (einschließlich der schon vorhandenen). Diese Art der Unterlagenvorbereitung für ihre Illustratoren benutzen, nebenbei erwähnt, auch einige renommierte Verlage, z. B. Osprey Publishing aus Oxford, Herausgeber einer Serie von Büchern über die Militärgeschichte (einschließlich z. B. der Befestigungen) vom Altertum bis in die Gegenwart. Der Autor muss für jede Illustrations-Rekonstruktion von Soldaten, Kriegsmitteln oder von Fundorten eine Serie von geeigneten Bildunterlagen mit einem kurzen Kommentar vorbereiten.
10 Beckmann in Druck. 1 1 Alusik u. a. 2011. International Archives of Photogrammetry, Remote Sensing and Spatial Information Sciences, Volume XXXVIII-5/W16, (März 2012). 12 siehe z. B. Evans 1921, 301–14 Abb. 223–224. 226. 228–230. 13 siehe z. B. Nörling 1995.
14 siehe z. B. Tzedakis u. a. 1989, 43–75; Chryssoulaki 1999, 75–84; Alusik 2007, Kap. II.3. 1 5 siehe z. B. Schlager 2006, 365–378. 16 siehe z. B. Marinatos 1968; Marinatos 1969; Marinatos 1970; Marinatos 1971; Marinatos 1972; Marinatos 1974; Marinatos 1976. 17 Shaw 2009; McEnroe 2010.
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Möglichkeiten einer 3D-Rekonstruktion der Architektur und der Fundorte im minoischen Kreta
Die zeichnerischen Rekonstruktionen Zwei Grundarten von 3D-Rekonstruktionen in der Archäologie – einschließlich der unseren – sind eine Zeichnung und eine Computerrekonstruktion. Eines der Ziele dieses Beitrages ist auch ein Vergleich der einzelnen Rekonstruktionstechniken, wobei ihre Vorteile und Nachteile betont werden. Zuerst werden die zeichnerischen Techniken untersucht. Die Handzeichnung hat in der Archäologie eine unverzichtbare Stellung, weil sie oft viel mehr Detail festhalten kann als eine Photographie18. Im Falle der architektonischen Zeichnungen und Visualisierungen handelt es sich um eine ziemlich einfache und schnelle Art, die beabsichtigten und erzielten Ergebnisse zu präsentieren. Bei unserer Rekonstruktion haben wir drei schwarz-weiße und eine farbige Technik benutzt. Die klassische Federzeichnung wird am häufigsten für Pläne und Schnitte durch archäologische Situationen benutzt. Das Ergebnis ähnelt der technischen Zeichnung, die per Hand skizziert oder mit einer technischen Software erstellt wurde. Als eine der wichtigen Quellen für unsere Inspiration diente die Rekonstruktion des spätminoischen, in Chania entdeckten Hauses, die als Tintenfederzeichnung ausgeführt und von E. Hallager publiziert wurde19. Häufiger haben wir jedoch die Zeichnung mit dem schwarzen Bleistift und dem Kohlestift benutzt (Abb. 2–3). Der Kohlenstift ist selbstverständlich ein gröberes Medium, unserer Ansicht nach schafft er es jedoch am besten, die Grobheit und die Rustikalität der rekonstruierten Architektur und auch die charakteristische kretische Landschaft mit den hervorstehenden Felsen zu erfassen. Er ist jedoch – im Unterschied zum Bleistift, der für die Möglichkeit, Minen von unterschiedlicher Härte zu benutzen, variabler ist – für Details nicht geeignet. Wir haben uns erlaubt, in unserer mit Bleistift durchgeführten Zeichnung auch einige Figuren (und Tiere) bei ihren wahrscheinlichen alltäglichen Tätigkeiten darzustellen. Das Ergebnis (das mit dem Bleistift gezeichnete Bild) wirkt selbstverständlich insgesamt ruhiger, die Figuren konnten detaillierter dargestellt werden, was zu einem realistischen Eindruck führt; unserer Ansicht nach ist jedoch eine Kohlezeichnung für eine Rekonstruktion der gewöhnlichen Architektur (d. h. bei der es sich nicht um Paläste oder sogenannte Villen handelt) besser geeignet. Der Kohlestift kann die charakteristischen Züge der einfachen oder ruralen Architektur besser festhalten: große, nicht bearbeitete Steinblöcke mit kleinen Steinen in den Spalten, grob behauene Balken, Rohr- und Palmblätterdächer, einfacher Wandputz aus Ton, Kombination von mehreren Baumaterialien einschliesslich der ungebrannten Ziegeln usw.; also jene „Gewöhnlichkeit“ oder Volkstümlichkeit mit einem bestimmten Maß an Unvollkommenheit. Aus den Farbtechniken haben die Autoren nur die Zeichnung mit dem Buntstift mit einem hochwertigen Pigment benutzt (Abb. 3). Die Kombination von verschiedenen Farben und Farbtönen, von unterschiedlichen Zeichnungsstilen (verschiedene Stärke der Linien und der ausgemalten Flächen) ermöglicht es, einen hohen Grad an Genauigkeit und Realistik zu erreichen. Außer der Architektur selbst kann auch die Umgebung des Baus oder des Fundortes festgehalten werden, ggf. auch weitere Details wie die Figuren (einschließlich ihrer Bekleidung) oder das charakteristische Mobiliar. Wir erwähnen hier ein weiteres Beispiel einer in der Technik einer Farbzeichnung durchgeführten 3D-Rekonstruktion, die für uns eine wichtige Inspirationsquelle darstellte: es handelt sich um die Visualisierung des MM-LM sog. guard house(s) in Karoumes (an der kretischen Ostküste) auf der heute nicht mehr existierenden Web-Seite, die vom Team des „Minoan Roads Research Programme(s)“ unter Leitung von S. Chryssoulaki und L. Vokotopoulos erstellt wurde. Das mit der farbigen Tempera oder mit Wasserfarben gemalte Bild ist unserer Ansicht nach zu „künstlerisch“ und eher für allgemeine Rekonstruktionen von größeren Fundorten oder von Szenen geeignet, wo die Architektur nur den Hintergrund darstellt und nicht der Kern der Re18 siehe z. B. Adkins – Adkins 1989.
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19 Hallager 1990, 281–292.
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konstruktion ist (d. h. nimmt nur an den Gesamtausdruck und an der Realistik der Szene teil). Sie kann deshalb in den größeren Überblicksdarstellungen und v. a. bei einer Präsentation des archäologischen Kulturerbes für die Öffentlichkeit (z. B. an Informationstafeln in Museen oder direkt in den archäologischen Fundorten) verwendet werden. Bei einer Erstellung einer idealen 3D-Rekonstruktionen der freigelegten oder dokumentierten Architekturüberreste ist unserer Ansicht nach besser – falls das Ergebnis in Farbe sein soll – es mit einem farbigen Buntstift zu arbeiten, weil er billiger, schneller und realistischer (erfasst viel größere Details) als ein Farbgemälde ist.
Die Computerrekonstruktionen Was die Computerrekonstruktionen betrifft, gibt es zwei Software-Arten. Die erste ist eine Software für die Computerzeichnung und -modellierung, meistens der CAD-Typ. Die zweite Art sind dann Programme für die Modellierung einer beliebigen Sache oder Oberfläche, die z. B. in der Filmindustrie verwendet werden. Beide Software-Arten fordern selbstverständlich eine andere Einstellung und eine andere Arbeitsweise beim Prozess der Erstellung von 3D-Rekonstruktionen der antiken Architektur. Die architektonische Software des CAD-Typus wird v. a. bei der Erstellung und Erarbeitung von Plänen und Schnitten durch die archäologischen Situationen im 2D im Format *.dwg benutzt. Das 3D-Modul ist nur ein Aufbau dieses Grundprogramms und hat deshalb einige Einschränkungen. Die häufigsten Programme dieses Typus in der Archäologie sind AutoCAD und ArchiCAD. Das AutoCAD-Programm ist den Worten der Architekten und einer Reihe von Archäologen zufolge ein sehr geeignetes Mittel für die Arbeit im 2D-Format, z. B. bei der erwähnten Erstellung von Übersichtsplänen eines Fundortes, wo der so erstellte Plan aus mehreren per Hand gezeichneten Zeichnungen zusammengefügt wird. Die Möglichkeit jedoch, es in das 3D-Format, soll jedoch sehr beschränkt sein und die somit erstellte Visualisierung wirkt sehr technisch – als Rekonstruktion – und es fehlt ihr der realistische Eindruck. Ein großer Nachteil ist die beschränkte Möglichkeit, die Baumasse zu gestalten und zu verändern, und eine nur begrenzte Menge von Texturen (das Aussehen der Bauoberfläche), also der Details. Die mit dieser Software erstellten 3D-Rekonstruktionen sind deshalb v. a. in dem Falle geeignet, wenn man sich eine Vorstellung über die Masse (Größe, Anzahl der Stockwerke usw.) des rekonstruierten Bauwerkes oder Fundortes machen will. Für realistischere und detailliertere Visualisierungen ist es besser, eine andere Software zu benutzen. Bei dem ArchiCAD-Programm ist das 3D-Modul breiter und ermöglicht mehrere Operationen, einschließlich der Möglichkeit, eine eigene Textur aufzunehmen und zu benutzen und die Bauoberfläche der Beleuchtungsintensität anzupassen. Die somit erstellten Rekonstruktionen sind detaillierter und realistischer (obwohl die Darstellung und das Maß der Realität/Illusion der Bauoberfläche der antiken Architektur in Kombination von mehreren Baumaterialien ihre Grenzen haben). Bei jedem dieser beiden Programme stellen sich den Autoren einige Probleme: es handelt sich v. a. um das Problem mit dem Maßstab und mit der Perspektive, das mit der Darstellung der Mehrheit der 3D-Rekonstruktionen der minoischen Bauten zusammenhängt. Falls der Ausgangsgrundriss nicht digital im *.dwg-Format zur Verfügung steht, ist es notwendig, den kopierten Grundriss in das gewöhnliche Bildformat (z. B. *.jpg) zu übertragen und ihn auf dem Bildschirm in der CAD-Software als Hintergrund zu speichern, der die Richtlinie bietet und auf dem virtuell das 3D-Modell erstellt wird. Es ist leider so, dass in früherer Zeit erstellte Grundrisse im *.dwgFormat nicht selbstverständlich vorhanden sind. Von Grundrissen aus jüngerer Zeit gibt es sie nur dann, falls das Forschungsteam diese Software benutzt hat; diese Digitaldaten stehen selbstverständlich nur mit Erlaubnis der Forschungsleitung zur Verfügung. Ein sehr großer Vorteil dieser Software ist die Möglichkeit, die somit erstellte Visualisierung in eine reale Photographie 25
Möglichkeiten einer 3D-Rekonstruktion der Architektur und der Fundorte im minoischen Kreta
einzubauen. Hier begegnen wir jedoch dem Problem einer unterschiedlichen Perspektive und eines unterschiedlichen Maßstabes – der Bau wird oft aus einem anderen Winkel gesehen als die Landschaft, in die er eingebettet ist. Auch der Maßstab des jeweiligen Bauwerkes entspricht nicht immer, weil die beabsichtigte Bauhöhe und die dargestellte Vegetation und Terrainkonturen unproportioniert sind. Die mit dieser Software erstellten Visualisierungen des von uns diskutierten Fundortes sind leider immer noch nicht fertig. Eine spezialisierte Software für die 3D-Modellierung ist viel komplizierter, sie ermöglicht jedoch, sehr interessante Ergebnisse zu erreichen und ein ganz anderes Maß an Realität. Die Autoren kennen die 3D-Architekturmodelle, erstellt in Programmen Google Sketchup (der auch sehr populär bei den Architekten ist), 3D Studio Max und Cinema 4D. Unsere hier präsentierten Rekonstruktionen wurden durch das letztgenannte Programm (Cinema 4D, Release 11) erstellt (Abb. 4–6). Mit dieser Software kann man jedes Objekt, jede Form und Oberfläche modellieren. Schon seine Standardmöglichkeiten, das Material und die Oberfläche darzustellen, sind weitreichend; es ermöglicht darüber hinaus, sowohl unterschiedliche Texturen als auch Bildteile aus realen Photographien zu integrieren, sodass das Ergebnis und v. a. das gesamte dreidimensionale illusionistische Geflecht auf einem höheren Niveau als bei der architektonischen Software liegen. Auf unseren Visualisierungen sind zwar kleine Details nicht mit großer Genauigkeit bearbeitet, trotzdem erreicht unser Ergebnis ein hohes Maß an Realität und hat einen sehr hohen Aussagewert. Bei der Platzierung der erstellten 3D-Rekonstruktion in eine reale Photographie begegnen wir selbstverständlich auch hier den ähnlichen Problemen mit dem Maßstab und mit der Perspektive wie im Falle der architektonischen Software. Das beste, den Autoren bekannte Beispiel einer photorealistischen 3D-Rekonstruktion in der minoischen Archäologie sind die Visualisierungen der minoischen Begräbnisstätten und Heiligtümer in den ostkretischen Fundorten Gournia, Mochlos (Begräbnisstätte) und Petsophas (sog. Höhenheiligtum), erstellt von G. Vavouranakis und zwei Spezialisten aufgrund von Terraindaten und von architektonischen und statischen Berechnungen, die dann in reale Photographien integriert wurden. Sie wurden (außer in der Fachliteratur) auch im Web Aegeus – Society for Aegean Prehistory vorgestellt20.
Die Ergebnisse und der Abschluss Die so beschriebene Entstehung einer idealen 3D-Rekonstruktion des Fundortes Livari Cheromylia und die Diskussion über die einzelnen Techniken und zu ihrer Erstellung notwendigen Mittel stellt einen Komplex unserer Erfahrungen mit dieser Problematik dar, es kann auch als Anleitung und Aufforderung zur häufigeren Benutzung und zur größeren Verbreitung von 3D-Rekonstruktionen verstanden werden. An dieser Stelle soll jedoch wiederholt werden, dass die von uns vorgestellte Visualisierung des erwähnten Fundortes ein ideales Ergebnis der Kombination von Erhaltungszustand, von der Kenntnis der minoischen ruralen Architektur, vom Aussagewert der ikonographischen Quellen und von architektonischen Parallelen darstellt. Angesichts des insgesamt schlechten Erhaltungszustandes der Architektur am Ort haben wir manchmal rein subjektiv entschieden, allerdings Empfehlungen unserer Architekten in Betracht ziehend. Angesichts der Tatsache, dass es sich um unseren ersten Versuch einer realistischen 3D-Rekonstruktion handelt, kann es vorkommen, dass in den Zeichnungen und Computervisualisierungen einige Ungenauigkeiten technischer Art vorkommen, deren wir uns selbstverständlich bewusst sind. Bei der Erstellung der hier präsentierten Rekonstruktionen ging uns v. a. darum, unser Arbeitsverfahren (mit den auf den Quellen und Parallelen basierten Ausgangshypothesen) zu überprüfen und den Stil der Zeichnungen und der Computervisualisierungen zu vereinheitlichen.
20 Vavouranakis 2012.
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Was die einzelnen Rekonstruktionsarten und künstlerische Techniken betrifft, haben selbstverständlich alle ihre Vorteile und Nachteile. Aufgrund der gemachten Erfahrungen kommen die Autoren zu folgendem Schluss: Von den zeichnerischen Schwarz-Weiß-Techniken ist die klassische Federzeichnung die schnellste, weil sie es schafft, das beabsichtigte Ergebnis einfach, mit wenigen Linien zu erreichen und die Dreidimensionalität des rekonstruierten Bauwerkes festzuhalten. Der Kohlenstift und der schwarze Bleistift können als Aufbau der Federzeichnung verstanden werden, weil sie es ermöglichen, die unterschiedliche Linienstärke und -intensität und auch fortgeschrittene Kunstelemente (z. B. die Schattierung) häufiger zu benutzen und zu kombinieren. Gerade der Kohlenstift kann unserer Ansicht nach sehr treu den Stil der einfachen Stadtoder Ruralarchitektur und die Benutzung unterschiedlicher Materialien festhalten. Der schwarze Bleistift ist auf der anderen Seite genauer und kann sehr gut jedes Detail darstellen – einschließlich der „Ausstattung“ der Bauwerke mit Mobiliar und Szenen mit realistischen Figuren; insgesamt ist er den schwarz-weißen Techniken die beste wohl Angesichts der Tatsache, dass diese schwarz-weiße zeichnerische Techniken verhältnismäßig schnell und billig sind, sollten sie unserer Ansicht nach, den Minimalstandard bei der Erstellung von 3D-Rekonstruktionen von beliebig erhaltener minoischer Architektur und bei deren Publikation darstellen. Die farbige Visualisierung ist selbstverständlich viel realistischer. Mit der Kombination von unterschiedlichen Farben und Techniken kann man viele beabsichtigten Effekte und (fast) alle ursprüngliche Farbtöne erreichen. Oben haben wir schon erwähnt, dass die meisten Vorteile von allen per Hand gemachten zeichnerischen Techniken unserer Ansicht nach gerade die Zeichnung mit einem Buntstift hat (er ist schnell, billig, sehr realistisch und glaubwürdig). Der größte Vorteil der Computerrekonstruktionen ist die Tatsache, dass sie es ermöglichen, mit vielen „originalen“, z. B. aus Photographien der rekonstruierten Bauwerken gewonnenen Komponenten (Oberfläche oder einzelne Bauelemente) zu arbeiten, womit man ein noch höheres Maß an Realitätsnähe als bei einer Zeichnung erreichen kann. Die architektonische Software (des CAD-Typus), bei dem das 3D-Modul immer noch einen Aufbau des 2D-Basismilieus darstellt, hat einige Beschränkungen, was die Auswahl von Oberflächen und die Modellierung und Darstellung der Baumasse betrifft – was natürlich auch die Glaubwürdigkeit der Rekonstruktion beeinflusst. Die spezialisierte Software für die 3D-Modellierung arbeitet auf eine andere Weise und ermöglicht, jede Form einer Baumasse (einschließlich ihrer Oberfläche) zu modellieren. Ein architektonischer Spezialist kann selbstverständlich alle Möglichkeiten dieser Software benutzen und die erstellte Visualisierung in allen Details so bearbeiten, dass die Illusion von der Realitätstreue sehr hoch ist. Falls ein erfolgreiches Ergebnis in eine Originalphotographie integriert wird, kann das höchste Maß an Glaubwürdigkeit erreicht werden – die modellierte Rekonstruktion kann dann mit dem Hintergrund auf natürliche Weise „verschmelzen“. Bei der Integrierung einer 3DComputerrekonstruktion eines Bauwerkes oder eines Fundortes in eine Photographie mit dem tatsächlichen Ort muss jedoch die entsprechende Perspektive und v. a. der Maßstab berücksichtigt werden. Empfehlenswert ist es, auch kleinere Details (z. B. die Terrainoberfläche und die Vegetation) zu bearbeiten, damit die Bauwerke nicht auf der Vegetation stehen, sondern damit sie von ihr umgeben werden usw. Die architektonische Software ist allgemein erreichbarer und die meisten Architekten können heute auch mit seinen 3D-Modulen arbeiten. Die Software für die 3DModellierung erreicht noch viel bessere Ergebnisse, aber die Arbeit mit ihr ist kompliziert und langwierig; arbeiten mit dieser Software können nach unseren Erfahrungen nur Spezialisten (nicht die Architekten). Die Erstellung der Computerrekonstruktionen mit Hilfe der architektonischen Software ist viel schneller und einfacher (v. a. falls nur die Blicke an die Außenseiten genügen). Was die praktische Benutzung der verschiedenen Rekonstruktionstechniken bei der Erstellung von 3D-Visualisierungen betrifft, ist die Zeichnung schneller und gegenüber der Software hat sie den Vorteil, dass sie einfach, schnell und deutlich die Struktur, den Schnitt und die Details darstellen kann. Die Software ihrerseits erreicht jedoch ein höheres Maß an Realitätsnähe 27
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und ist für die Übersichtsdarstellungen (z. B. die in eine Photographie integriert sind) geeigneter. Die Skala der Rekonstruktionstechniken ist also breit und die Glaubwürdigkeit der Ergebnisse so gut, dass die Autoren die Ansicht vertreten, dass im Falle einer Publikation von Fundorten mit erhaltener Architektur, möglichst rasch die Erstellung von idealen architektonischen 3D-Rekonstruktionen zu Standard erhoben werden sollte. Abbildungsnachweis Abb. 1: Zeichnung mit dem Buntstift von A. B. Sosnová Abb. 2: Zeichnung mit dem schwarzen Bleistift von A. B. Sosnová Abb. 3: Zeichnung mit dem Kohlenstift von A. B. Sosnová Abb. 4: Erstellt in Cinema 4D Software von D. Kopernicky Abb. 5–6: Erstellt in Cinema 4D Software und in die reale Photographie integriert von D. Kopernicky Bibliographie Adkins – Adkins 1989 Alusik 2007 Alusik 2010
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Tomáš Alušík – Anežka B. Sosnová Sakellarakis – Sapouna-Sakellarikis 1991 J. A. Sakellarakis – E. Sapouna-Sakellarakis, Archanes (Athen 1991) Schlager 2001 N. Schlager und Mitarbeiter, Pleistozäne, Neolithische. Bronzezeitliche und Rezente Befunde und Ruinen im Fernen Osten Kretas. Dokumentation 2000, ÖJh 70, 2001, 202–207 Schlager 2006 N. Schlager, „Cyclopean“ or „Megalithic“ Buildings in East Crete: Distribution, Form, Date, and Function, in: E. Tampakaki – A. Kaloutsakis (Hrsg.), Akten des 9. Kreta-Kongresses, Elounda 2001, Bd. A3 (Herakleion 2006) 365–378 Tzedakis u. a. 1989 Y. Tzedakis – S. Chryssoulaki – S. Voutsaki – Y. Venieri, Les Routes Minoennes: Rapport Préliminaire – Défense de la Circulation ou Circulation de la Défense ? BCH 113, 1989, 43–75 Vavouranakis 2012 G. Vavouranakis, Topography, Architecture and Socio-historical Structure in East Crete, during the Bronze Age, (Februar 2012)
Abb. 1: Zeichnerische Rekonstruktion des Fundortes Livari Cheromylia (Ostkreta) – Ansicht nach Südost
Abb. 2: Zeichnerische Rekonstruktion des Fundortes Livari Cheromylia (Ostkreta) – Ansicht nach Nord
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Möglichkeiten einer 3D-Rekonstruktion der Architektur und der Fundorte im minoischen Kreta
Abb. 3: Zeichnerische Rekonstruktion des Fundortes Livari Cheromylia (Ostkreta), die Gebäuden II und I (im Hintergrund) – Ansicht von Nordwest
Abb. 4: Computerrekonstruktion des Fundortes Livari Cheromylia (Ostkreta) – Ansicht von Ost
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Tomáš Alušík – Anežka B. Sosnová
Abb. 5: Computerrekonstruktion des Fundortes Livari Cheromylia (Ostkreta) – Ansicht von Südost.
Abb. 6: Computerrekonstruktion des Fundortes Livari Cheromylia (Ostkreta), Gebäude I – Ansicht von Südost
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Das „Atriumhaus“ Zu den Ursprüngen eines Bautyps Martin Auer „Jeder, auch der Nichtarchäologe kennt das römische Atriumhaus“1. Mit diesem Satz beginnt M. Bentz seinen 2006 in der Zeitschrift „Akademie Aktuell“ gedruckten Beitrag zum Ursprung des Atriumhauses. Der Begriff Atriumhaus ist auch tatsächlich weit verbreitet und wird im heutigen Alltag für die unterschiedlichsten Bauformen weitgehend synonym mit dem Wort „Hof haus“ verwendet2. In der Archäologie wird in der Regel zwischen Hof- und Atriumhaus unterschieden. Eine genaue Definition dessen, was als Atriumhaus bezeichnet werden soll und kann, liegt aber bislang nicht vor. So kommen auch E. Rathmayr und M. Papaioannou jüngst im selben Tagungsband zu ganz unterschiedlichen Ergebnissen bezüglich des Vorkommens des Atriumhauses im Osten des römischen Reiches: „Das Atrium(haus) erfuhr im Osten keine bzw. keine spürbare Rezeption …“3 „… the atrium house, which I believe was introduced during the Late Republic … in the Agean world“4. Beide Aussagen sind im Gesamtkontext der Tagungsbeiträge absolut nachvollziehbar. Rathmayr definiert das Atriumhaus vorwiegend aus architektonischer Perspektive und stellt als wesentlichen Unterschied zum Peristylhaus die axiale Raumanordnung von Eingang, Atrium und Tablinum sowie die Gestaltung des Atrium als „großen Zentralraum mit einem mittigen in den Boden vertieften Becken“5 heraus. Im Gegensatz dazu ist eine strenge architektonische Form für das „Atrium house“ bei Papaioannou nicht von zentraler Bedeutung. Hier erfolgt die Definition des Begriffs über die Funktion und den Ausdruck römischer Identität. Diese soll sich in der Verwendung eines als Atrium angesprochenen Raumes, der über das Vorhandensein von tetrastylen (Pseudo)-Impluvia definiert wird, widerspiegeln6.
Fragestellung Sowohl architektonische als auch funktionale Interpretation gehen letztlich auf die Beschreibung des römischen Hauses bei Vitruv7 zurück. Dieser beschreibt zuerst die Gestaltungsmöglichkeiten der Atrien und in Anschluss daran die Proportionen und Lage der umliegenden Räume. Folgt man seinen Anweisungen, gelangt man zum „idealtypischen“ Atriumhaus, wie es in der Literatur vielfach abgebildet wird. Dass die Symmetrie und Raumanordnung nicht immer in allen Details den Vorgaben entsprechen kann, sondern je nach bereits vorhandener Bebauung angepasst werden müssen, war bereits Vitruv klar, wenn dieser schreibt „bei diesen Arten von Gebäuden müssen alle Regeln der Symmetrie angewendet werden, die ohne Behinderung durch die Örtlichkeit angewendet werden können“8. Definiert man das Atriumhaus also über Vitruv, was allein durch die gebräuchliche Verwendung der von J. Overbeck9 und G. Patroni10 gezeichneten „Idealgrundrisse“ (Abb. 1) übliche Praxis ist, so spielt die Raumanordnung und Symmetrie eine wesentliche Rolle. Eine Idee von der sozialen Funktion eines Atriums vermittelt Vitruv ebenfalls, wenn er schreibt: „Allgemein zugängliche Räume aber sind die, in die auch uneingeladene Leute aus dem
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Bentz 2006. Weidinger 2007. Rathmayr 2010. Papaioannou 2010. Rathmayr 2010.
6 7 8 9 10
Papaioannou 2010. Vitr. 6, 3–5. Vitr. 6, 3, 11. Overbeck 1875. Patroni 1941.
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Das „Atriumhaus“
Volk mit Fug und Recht kommen können, d. h. Vorhallen, Höfe, Peristyle und solche Räume, die in derselben Weise benutzt werden können. Daher sind für Leute, die ein durchschnittliches Einkommen besitzen, prächtige Vorhallen, Empfangssäle, Atrien nicht notwendig, weil diese Leute andern durch ihren Besuch ihre Aufwartung machen, nicht aber selbst besucht werden“11. Die Funktion des Atriums als Empfangsraum ist nicht allein bei Vitruv zu finden, sondern kann etwa auch bei Plinius d. Jüngeren12, Juvenal13 sowie Martial14 nachgelesen werden. Gerade die Erwähnungen bei Martial und Juvenal sind trotz satirischer Überzeichnung von großer Bedeutung, da ganz klar auf den repräsentativen Charakter und die Nutzung der Atria zur Selbstdarstellung angespielt wird. Plinius d. Jüngere hingegen erwähnt das Atrium in der Beschreibung seiner „tuskanischen“ Villa mit dem Vermerk, dass dieses nach „Sitte der Alten“ angelegt sei. Daraus geht hervor, dass Vitruv im 1. Jh. v. Chr. noch eine sehr enge Auffassung der Funktion eines Atriums vertrat, die sich noch bis in das beginnende 2. Jh. n. Chr. verfolgen lässt, wenngleich die Anmerkung „ex more veterum“ bei Plinius als Hinweis darauf verstanden werden kann, dass der Bautyp im beginnenden 2. Jh. n. Chr. nicht mehr sehr gebräuchlich war. Die schriftlichen Quellen erlauben es also, das Atrium als Bauelement näher zu bestimmen. Es handelt sich demnach um einen zur Gänze überdachten oder mit Dachöffnung versehenen Raum, der im Falle des Vorhandenseins einer Dachöffnung ein Impluvium aufweist. Die Öffnung im Dach ist dabei aus praktischen Gründen nicht größer als das Impluvium selbst. Die architektonische Beschreibung Vitruvs lässt es nicht zu, einen offenen Hof als Atrium zu bezeichnen15. Der Begriff „Atriumhaus“ findet in den antiken Schriftquellen keine Verwendung, sondern ist eine Schöpfung der archäologischen Forschung. Durch die unterschiedlichen Kriterien, die für Definitionen des „Atriumhauses“ angewandt werden, ist der Begriff nicht klar umschrieben. Die wesentlichen architektonischen Elemente werden jedoch gebräuchlicherweise über Vitruv definiert. Da dieser die Wichtigkeit der symmetrischen Raumanordnung hervorhebt, sollen in weiterer Folge die axiale Anlage von Fauces, Atrium und Tablinum sowie das Vorhandensein der im rechten Winkel dazu liegenden Achse der Alae an einigen Bauten überprüft werden. Ein weiteres Element, das in Bezug auf die bei Vitruv angesprochene Wirkung der Architektur eine Rolle spielt, sind die korridorartigen Fauces, die sich zum wesentlich breiteren Atrium hin öffnen. Die Wirkung dieser Raumanordnung auf den Eintretenden, der durch einen relativ schmalen Korridor kommend, die volle Wirkung des repräsentativen Empfangsraum erst erfährt, wenn er in das Atrium eintritt, ist in Bezug auf die soziale Funktion des Atriumhauses von Bedeutung. Die Frage, die sich in der Folge stellt, ist jene nach dem Ursprung und den ersten Vertretern dieses Bautyps, die in den letzten Jahren wieder stärker in den Fokus der Forschung gerückt ist. Zum einen haben die Entdeckungen A. Carandinis16 in Rom und deren Diskussion für neue Impulse gesorgt, zum anderen führten die neuen Untersuchungen zu frühen Atriumhäusern in Marzabotto durch M. Bentz und Ch. Reusser17 zur Abhaltung einer Tagung zum Thema etruskisch-italischer und römisch-republikanischer Häuser18.
Die ältesten „Atriumhäuser“? Die ältesten Baureste, die eine Deutung und Bezeichnung als „Atriumhaus“ erfahren haben, sind die von Carandini in Rom freigelegten Mauerreste. Aufgrund der äußerst schlechten Erhaltung ist der Grundriss dieser Gebäude jedoch nicht eindeutig verifizierbar, weshalb deren Deutung als
11 12 13 14 15 2009
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Vitr. 6, 5, 1. Plin. Epist. 5, 5, 6. Juv. 8, 15–20. Mart. 1, 70; 3, 38 und 9, 100. Ähnlich auch Balil Illana 1959. Anders Prayon – hier wird eine andere Definition des Atriums vo-
rausgesetzt. Ablehnend zu einer Trennung der Begriffe „offener Hof“ und „Atrium“ Wallace-Hadrill 2007. 16 Carandini – Carafa 2000; Carandini 2004. 17 Erste Ergebnisse publiziert in: Bentz – Reusser 2008. 18 Bentz – Reusser 2010 a.
Martin Auer
„Atriumhäuser“ mehrfach kritisiert wurde19. Als das früheste verifizierbare Atrium gilt oftmals die Casa d’Impluvium von Roselle20 (Abb. 2). Hier kann zweifellos ein mit einer Zisterne verbundenes Impluvium erkannt werden. Ob die Dachkonstruktion im Sinne eines Compluviums zu rekonstruieren ist, bleibt der Interpretation der vorhandenen Pfostensetzungen vorbehalten. Jedenfalls entspricht die Raumanordnung in keinem Fall dem, was nach Vitruv als Atriumhaus bezeichnet werden könnte. Als Hinweis auf die Entstehung des Bautyps auf etruskischem Gebiet gilt des Weiteren der Befund von Regae21 (Abb. 3). Hier sind durchaus Elemente des Atriumhauses zu erkennen (Fauces, eventuell auch Atrium), allerdings ist der Erhaltungszustand für eine eindeutige Identifizierung auch hier zu gering. Besser erhaltene Befunde finden sich dagegen in Marzabotto, das in der Folge als Ausgangspunkt für die Diskussion der Frage nach einem etruskischen Ursprung des Atriumhaueses dienen soll. Hier sind insbesondere bei den Grabungen G. A. Mansuellis in der Insula IV,1 einige Wohnbauten freigelegt worden, die einer näheren Betrachtung bedürfen. Die gesamte Insula (145635 m) wurde von Mansuelli ergraben und publiziert22. Es konnten acht Häuser freigelegt werden, die sich jeweils über die gesamte Breite der Insula ausdehnen (Abb. 4). Haus 1 (Länge 17,2 m) wird im Süden durch einen langen Kanal begrenzt, der parallel zur Straße verläuft und rechtwinklig in das Gebäude führt. Eine Unterteilung in verschiedene Phasen war durch starke, durch den Pflug verursachte Störungen nicht mehr möglich. Haus 2 (Länge 18,2 m) ist besser erhalten als Haus 1 und besitzt einen langen Eingangskorridor, unter dem ein mit Steinplatten gedeckter Kanal verläuft. Dieser mündet in eine rechteckige Umfassung von 8,6611 m Größe. Nördlich dieser Einfassung liegt, in der Mittelachse des Gebäudenordteils ein Brunnen. Haus 3 ist ein schmales Gebäude (max. 9 m) mit eigenem Brunnen im nördlichen Teil, weshalb es sich hier wohl um ein eigenständiges Haus handelt. Haus 4 (Länge 26,1 m) weist keine deutliche Begrenzung zu Haus 3 und 5 auf. Der Kanal endet in der Mitte des Gebäudes, östlich davon befindet sich ein großer Raum mit Schotterpflasterung. Nachdem hier ein Korridor fehlt, ist der Zugang zum Haus unklar. Haus 5 (Länge 21 m) besitzt einen Korridor (14,762,6 m), der bei einem Knick des Kanals endet. Der Innenraum des Gebäudes entzieht sich einer näheren Beurteilung, da die unregelmäßige Ausgestaltung ein deutlicher Hinweis auf Mehrphasigkeit ist und eine Trennung der einzelnen Bauabschnitte nicht vorgenommen werden konnte. Haus 6 (Länge 23 m) ist sehr weitläufig und besitzt einen Eingangskorridor (2 bis 2,5618 m). Am Ende des Kanals liegt ein großer, mit Schotter und Kies gepflasterter Raum, in dessen Mitte sich ein Brunnen befindet. Wie in Haus 2 werden an den Zentralraum anschließend drei Räume rekonstruiert, wovon der mittlere zu diesem hin offen ist. Allerdings lässt der schlechte Erhaltungszustand von Haus 6 kaum sichere Aussagen zur Grundrissgestaltung zu. Haus 7 und Haus 8 sind fast gänzlich von modernem Ackerbau zerstört. Nur wenige Mauerreste konnten gesichert werden, womit auch der Abschluss der Insula nicht gänzlich geklärt ist. Es zeigt sich, dass nicht alle Häuser der Insula identisch sind, womit hier kein Standardhaus wiederholt wird. Der Eingangskorridor, immer in Verbindung mit einem Kanal, kommt viermal vor, der zentrale, mit Schotterpflasterung versehene Raum fünfmal, dabei einmal ohne Brunnen, die Verbindung von Zentralplatz und Korridor konnte viermal beobachtet werden. Bei Haus 2 lässt sich eine kreuzförmige Konstruktion von offenen Räumen um den zentralen Raum herum erkennen, auch bei den Häusern 5 und 6 ist dies anzunehmen. Über dem zentralen Platz muss sich eine Öffnung befinden, da die Gebäude zu den anderen Bauten hin keine Fenster besitzen können und so eine Beleuchtung und Belüftung der hinteren Gebäudeteile nur über einen 19 Moormann 2008. 20 Zuletzt Donati – Cappuccini 2010.
2 1 Colonna 1986.
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Das „Atriumhaus“
nach oben offenen Zentralraum erreicht werden kann. Dieser kann als Zentralbereich des Wohngebäudes angesehen werden und ist nach Mansuelli als „echtes Atrium in einer sehr archaischen Rezeption“ anzusehen. Eine Überdachung kann sich Mansuelli durchaus in Form eines echten „tuskanischen Atriums“ mit Compluvium vorstellen. Damit wäre auch der offene Raum hinter dem Zentralraum in Haus IV, 1, 2 als Tablinum anzusprechen. Die Datierung der Häuser fällt in die Mitte des 5. Jh.s v. Chr. Die Häuser 4, 5 und 6 enthielten in den an der Straße liegenden Räumen viele Eisenschlacken, Teile von Zangen, Schmelztiegel und in Haus 6 auch Bronzefragmente. Die handwerkliche Tätigkeit könnte auch die teils komplexen Kanalsysteme erklären. Nachuntersuchungen fanden vor allem in Haus 2 statt23, dessen letzte Bauphase der 2. Hälfte des 5. Jh.s v. Chr. archäologisch abgesichert werden konnte (Abb. 4, 2). Der Zentralraum wurde dabei zuletzt als offener Innenhof angesprochen. Die Kombination von Eingangskorridor und Zentralraum sowie die durch diese erschließbaren Räume lassen Ähnlichkeiten zu den Bauelementen eines Atriumhauses erkennen. Die Grundelemente Eingangskorridor und Zentralraum sind in etruskischen Häusern des Öfteren feststellbar. Dies lässt sich etwa in Marzabotto an den Gebäuden der Insula V, 2 beobachten. Die Untersuchungen von A. Tripponi24 brachten mehrere aufeinander folgende Räume sowie einen zentral gelegenen Durchgangskorridor ans Licht. In Zusammenhang mit den älteren Ergebnissen E. Brizios (Abb. 5) ergibt sich ein großes Gebäude mit zentralem, mit Schotterpflasterung versehenen Platz und einem Zugangskorridor. Auffällig ist hier die Ausdehnung des Gebäudes auf die gesamte Breite der Insula, sowie eine klare Axialität der Raumanlagen. Die zur Straße hin orientierten Gebäude werden von Tripponi als Werkstätten oder Verkaufsräume angesprochen, während die Funktion des zentralen Innenhofs nicht greifbar ist. Die Größe des Baus veranlasst Tripponi dazu, von einem öffentlichen Bau25 oder einem einstöckigen Wohnhaus für mehrere Familien zu sprechen. Ebenso mit Korridor und Hof ausgestattet sind die Gebäude der Insula V, 3. Die Erforschung der nördlichen Gebäude erfolgte 1971 bis 1976 und ist ausführlich publiziert26. Die von beiden Seiten zugänglichen Gebäude der Insula zeigen eine Aufteilung derselben in getrennte Wohnbereiche (Abb. 6). Zone I weist einen kreuzförmigen Innenhof mit darum herum angeordneten Räumen auf, Zone II zeigt eine kleinräumigere Aufteilung die auch einen gepflasterten Bereich beinhaltet. Ein zweiter kreuzförmiger Kernbereich zeigt sich in Zone V, wobei sich hier auf dem zentralen Platz auch ein Brunnen findet. Im Gegensatz zu Insula IV, 1 und V, 2 sind Hof und Zugangskorridor hier nicht axial angelegt. Die Gebäude können aufgrund des Fundmaterials aus den Fundamentbereichen an das Ende des 6. Jh.s v. Chr. datiert werden. Alle bislang bekannten Wohnbauten Marzabottos besitzen Fundamente aus Flusskieseln bzw. Bachsteinen, die in der Umgebung leicht zu beschaffen waren. Das aufgehende Mauerwerk bestand aus Flechtwerk oder aus ungebrannten Lehmziegeln27. Die mit ungebrannten Lehmziegeln erreichbaren Mauerhöhen dürften nach R. A. Staccioli28 bei zwei bis drei Metern liegen. Die Dächer sind nach Ausweis der reichlichen Ziegelfunde bei den Gebäuden mit Steinfundamenten mit Dachziegeln gedeckt. Größere Steinplatten kommen vor allem bei der Abdeckung von Kanälen und deren Seitenwänden zum Einsatz, während Pflasterungen in den Innenräumen der Gebäude – wenn vorhanden – aus Flusskieseln, Bachsteinen oder Schotter bestehen. In der Regel sind nur die zentralen, wahrscheinlich offenen Plätze der Häuser gepflastert, alle anderen Räume weisen einen gehärteten („gestampften“) Lehmboden auf. Eine Frage, die sich in Zusammenhang mit der Interpretation des Befundes stellt, ist jene nach der Landaufteilung im Zuge der Stadtgründung. Daraus werden oftmals Rückschlüsse auf 22 Mansuelli 1963. 23 Bentz – Reusser 2010 b. 24 Tripponi 1971. Die Bezeichnung als Insula 1 resultiert aus der zu diesem Zeitpunkt noch nicht mitgezählten östlich anschließenden Insula. 25 So auch Colonna 1986.
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26 Pairault-Massa 1978. 27 Der Umfang der Verwendung von Lehmziegeln wird bei Bentz – Reusser 2008, 83, in Frage gestellt. Ausführlich zur Mauertechnik der Häuser von Marzabotto: Staccioli 1967. 28 Staccioli 1967.
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Gesellschaftsstrukturen gezogen29. Für Marzabotto wurde zuletzt eine Einteilung in quadratische, gleich große Lose angenommen30, wobei die Bebauung der letzten Siedlungsphasen diesem Schema sicher nicht mehr folgt. Mansuelli31 nimmt für die ursprüngliche Einteilung der Stadt ein offeneres System an, bei dem hinsichtlich der Größe der Wohnbauten eine individuelle Planung ermöglicht worden sein soll. Demnach wurden vorerst nur Straßen und Kanäle angelegt, die Bebauung der Insulae selbst wurde den Bewohnern überlassen, wobei Mansuelli eine Horizontalstratigraphie von Süden nach Norden erkennt32. Die ursprüngliche Aufteilung der Insulae in Bauparzellen kann nach heutigem Forschungs- bzw. Publikationsstand nicht eindeutig nachvollzogen werden. Das von Bentz und Reusser vorgebrachte Argument der Planung einer Insula (IV, 1) mit Parzellen doppelter Größe für die Unterbringung einer städtischen Elite im Sinne späterer römischer Anlagen33 bleibt ohne die Vorlage einer entsprechenden Beweisführung34. Mehr Beachtung verdient die Erkenntnis, dass die Fundamentierung der Insulabegrenzungen großteils seit der Stadtplanung vorhanden war 35. Angesichts dieser Fundamentierungen, die sich deutlich auch in jenen Bereichen zeigen, wo keine steinerne Insula-Innenbebauung festgestellt werden konnte36, stellt sich die Frage nach von Beginn an mitgeplanten Anschlüssen eventuell vorhandener Insulaparzellen an das öffentliche Kanalsystem. Die Klärung dieser Frage ist allerdings nur direkt am Baubefund möglich, da es möglich sein müsste, den Unterschied zwischen ursprünglich geplanten und später durch die bereits vorhandenen Insula-Begrenzungsmauern gelegte Kanäle festzumachen. Es lässt sich also festhalten, dass hinsichtlich einer bestimmten Loseinteilung der orthogonalen Neuanlage der Stadt noch keine sicheren, vor allem aber keine ausführlich publizierten Ergebnisse vorliegen. Trotzdem wurden diesbezügliche Überlegungen zur Interpretation der Häuser in Insula IV, 1 als Häuser der Führungsschicht verwendet37. Dies hat auch Auswirkungen auf die Interpretation der Gesellschaftsstruktur, da nun angenommen wird, die Häuser der Insula IV, 1 hätten eine ähnliche Funktion wie vitruvianische Atriumhäuser in römischer Zeit erfüllt, nämlich die des Empfangs von Klientel, Bediensteten und Geschäftspartnern in einem repräsentativen Rahmen durch den Patronus38. Inwieweit die soziale Struktur des 5. Jh.s v. Chr. die Stellung eines Patronus mit entsprechendem Klientel kennt, muss offen bleiben. Hinweise auf eine soziale Differenzierung finden sich zwar auch in den Nekropolen Marzabottos39, allerdings sind direkte Rückschlüsse von der Ausdifferenzierung der Gräber auf die Wohnbauten nur mit Vorsicht zu ziehen. Ob man es nun in Marzabotto mit Wohnhäusern, die die Funktion eines vitruvianischen Atriumhauses erfüllen können zu tun hat, ist zunächst aufgrund der nicht in ihren Einzelheiten fassbaren etruskischen Sozialstruktur40 des 5. Jh.s v. Chr. nicht zu entscheiden. Die Hausformen der Insula IV, 1 sind aber durchaus ungewöhnlich und lassen gewisse Analogien zum Typus des „Atriumhauses“ erkennen. Um zu einer Beurteilung der Stellung dieser Grundrisse in der Entwick-
29 Etwa bei den griechischen Gründungen wie Olynth, wo eine gleichförmige Einteilung des Stadtgebietes in Lose erfolgt, was unter dem Begriff „demokratisches Wohnen“ hinsichtlich der Sozialstruktur interpretiert wird; Hoepfner – Schwandner 1986. 30 Lippolis 2005, Abb. 5, anders Bentz – Reusser 2008, Abb. 18, wo für die Insula IV, 1 eine von Beginn an großzügigere Planung vermutet wird. 3 1 Mansuelli 1963. 32 Durch die Entdeckung der Vorgängerbauten im Bereich der Insula IV, 1 wird diese These in Frage gestellt. Siehe Bentz – Reusser 2008, 81–87. 33 Bentz – Reusser 2008, 45–47. Anders Camporeale 1986. 34 Bentz – Reusser 2008. Zuletzt wiederholt in Bentz
– Reusser 2010 b mit Hinweis auf noch unpublizierte geophysikalische Messungen, die eine ursprüngliche Insulaeinteilung nachvollziehbar machen sollen. 35 De Maria u. a. 1972. 36 Saronio 1965. 37 Bentz – Reusser 2008; Bentz – Reusser 2010 b. 38 Bentz – Reusser 2008, 86. 39 In Form von unterschiedlichen Grabformen und unterschiedlich reich ausgestatteten Gräbern, dazu zuletzt Bentz – Reusser 2008, 67–77. 40 Belegt ist auch für den etruskischen Bereich der Terminus „Freigelassener“ (Capdeville 2002), was auf ein gesellschaftliches Abhängigkeitssystem im Sinne einer Patronus-Struktur hinweisen könnte.
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Das „Atriumhaus“
lungsgeschichte des Atriumhauses zu gelangen, müssen diese in die Entwicklung des etruskischen Wohnbaus eingebettet werden.
Etruskischer Wohnbau Der Ursprung der etruskischen Wohnarchitektur liegt in den vom 8. bis ins 6. Jh. v. Chr. in Verwendung stehenden ovalen bis runden Hütten, die sich sowohl im archäologischen Befund, als auch in Form von Graburnen erhalten haben41. Daneben treten aber auch erste Rechteckbauten auf, deren Interpretation als Wohnbau jedoch nicht gesichert ist 42. Eine differenziertere Bauweise, die sicher mit Wohnvierteln zu verbinden ist, zeigt sich im 7. Jh. v. Chr. am Beispiel von San Giovenale und Acquarossa43. In San Giovenale können zudem verschiedene Wohnbereiche festgestellt werden, in denen sich unterschiedlich große Häuser befinden, was auf soziale Unterschiede hinweisen kann. Die Häuser von San Giovenale zeigen eine Entwicklung von mehreren hintereinander liegenden Räumen – eine Innengliederung die bereits bei den längsovalen Hüttenbauten anzunehmen ist – hin zu nebeneinander angeordneten Räumen. Dabei ist interessant, dass sich der Zugang zu den rechtwinkligen Gebäuden immer an der Langseite befindet, was auch dazu führen kann, dass jeder Raum einen eigenen Zugang erhält. Schließlich wird diesen Räumen eine Vorhalle bzw. ein Breitraum vorgelagert. Mit dem beginnenden 6. Jh. v. Chr. sind Häuser mit Breitraum und zwei bis drei dahinter liegenden Räumen wohl weit verbreitet44. Im archäologischen Befund zeigen sich diese Bauten meist aber nicht derart eindeutig wie in der zeitgleichen Grabarchitektur45. Es ist im 6. Jh. v. Chr. schließlich auch eine Tendenz zur orthogonalen Organisation des Raumes zu spüren46. Dies zeigt sich etwa in den Nekropolen von Cerveteri und Orvieto, die um 550 v. Chr. nach einem rechtwinkligen Raster angelegt werden47. Dabei bleibt anzunehmen, dass die orthogonale Organisation zuerst bei Städten angewandt wurde, bevor die Nekropolen derartig ausgestaltet wurden. Allerdings fehlen Siedlungsbefunde, die dies für die Zeit vor der Mitte des 6. Jh.s v. Chr. eindeutig bestätigen könnten. Ansätze zu Orthogonalität in der Stadtplanung finden sich im 6. Jh. v. Chr. jedoch zum einen in Lago d‘Accesa48 und auf der achaischen Akropolis von Veii49, zum anderen auch in den sogenannten archaischen Palastanlagen50 wie in Poggio Civitate und Acquarossa. Die Siedlung von Marzabotto steht gemeinsam mit anderen Befunde am Ende einer das ganze 6. Jh. v. Chr. andauernden Entwicklung der Raumordnung. Es wäre anzunehmen, dass diese Entwicklungslinie auch anhand der Wohnbauten nachvollzogen werden kann. Betrachtet man allein den Innenhof und die darum gruppierten Räume könnte man eine Beeinflussung der Wohnarchitektur des 5. Jh.s v. Chr. durch die sogenannten Paläste des 6. Jh.s v. Chr. vermuten. Damit könnte man in den Hof häusern Marzabottos den Wohnbereich einer sozialen Elite vermuten, die im Zentralbereich des Hauses eine an die Palastbauten angelehnte Architektur verwendet51. Für die von Mansuelli erforschten Häuser der Insula IV, 1 scheint eine derartige Interpretation nicht schlüssig. Möchte man in Marzabotto eine Hofarchitektur vermuten, die eine ältere Tradition der Palastanlagen fortsetzt oder nachahmt, so kämen dafür am ehesten die Bauten in Regio V, 2 in Frage, die auch bereits als öffentliche Anlagen angesprochen wurden (s. o.). Hof häuser ähnlicher Ausprägung finden sich in Marzabotto
4 1 Sowohl Grab- als auch Wohnarchitektur zusammengestellt bei Prayon 1975, 116–125. 42 Prayon 1975, 125–128; Östenberg 1975. 43 Nylander 1986. 44 Donati 2000. 45 Prayon 1975, 151–160. 46 Zur Stadtplanung auch Steingräber 2001. 47 Klakowicz 1972. 48 Camporeale 1997. 49 Andersen 1997.
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50 Die Deutung dieser Anlagen mit großem Innenhof und daran angebauten Räumen ist bislang gänzlich unklar – vorgeschlagen wurden Aristokratensitz, Verwaltungszentrum, Religiöses Zentrum und Marktgebäude – zuletzt ausführlich dazu De Grummond 1997. 5 1 Ähnlich Patroni 1941, der die Hof häuser Marzabottos indirekt etwa auf die Palastanlagen Kretas zurückführt, allerdings in den Hofanlagen Marzabottos die gemeinsamen Höfe mehrerer mehrstöckig angeordneter Wohneinheiten sieht.
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auch in der Insula 2 der Regio IV und der Insula 3 der Regio V, allerdings sind diese wesentlich kleiner als die Bauten der Insula IV, 1, datieren aber nach Ausweis des Fundmaterials an den Fundamenten bereits an den Beginn des 5. Jh.s v. Chr. Sucht man nach ähnlichen Bauten in der etruskischen Architektur ist vor allem der Befund des 525 v. Chr. gegründeten Regae, der Hafenstadt von Vulci52 zu nennen (Abb. 3). Auch hier ist der zentrale, mit Schotter gepflasterte Platz über einen Gang zugänglich. Auffallend ist hier, dass es in Regae keinen zum Zentralraum hin offenen Raum gibt, der in Marzabotto sowohl in Insula IV, 1 als auch in Insula V, 3 vorkommt und im Sinne des vitruvianischen Atriumhauses als Tablinum interpretiert wurde53. Diese Form des zum Hof hin offenen Raumes konnte für das 5. Jh. v. Chr. bislang noch in keinem Hof haus außerhalb Marzabottos festgestellt werden. Allerdings gibt es Hinweise auf derartige Entwicklungen bei sogenannten Breithäusern, wo bei drei hinter dem quergelagerten Breitraum liegenden Räumen der mittlere zum Breitraum hin offen sein kann, wie es in der Tomba della Ripa rezipiert wird. Ähnliche Befunde von zum Zentralhof hin offenen Räumen finden sich sonst nur in der Palastanlage von Poggio Civitate54. Diese speziellen Eigenschaften der Häuser Marzabottos – Zugangskorridor, Tablinum-artiger Raum und kreuzförmiger Hof – sind in dieser Ausprägung in anderen Siedlungen der etruskischen Welt des 5. Jh.s v. Chr. bislang nicht bekannt. Dagegen ist die Ausbildung des Hof hauses in Etrurien auch abseits der sogenannten Palastanlagen weit verbreitet. So zeigt ein Haus einer ländlichen Ansiedlung in der Nähe von Vetulonia55 am Ende des 6. Jh.s v. Chr. (Abb. 7) eine deutliche Hofanlage mit darum angeordneten Räumen. Da das Gebäude bereits in der ersten Hälfte des 5. Jh.s v. Chr. aufgegeben wird, sind auch keine späteren Umbauten erfolgt. Ein ähnliches Gebäude ist mit der Villa dell Auditorium in Rom zu nennen56 (Abb. 8). Die erste Phase des ausgehenden 6. Jh.s v. Chr. weist einen Hof mit darum angeordneten Räumen auf, ein weitreichender Umbau im beginnenden 5. Jh. v. Chr. bringt in diesem Fall auch die Anlage eines korridorartigen Zuganges mit sich, wobei in Raum A2 das Tablinum vermutet wird, das nicht zum Zentralplatz hin offen zu sein scheint. Weitere Umbauten am Ende des 4. Jh.s v. Chr. (Phase 3) und in der Mitte des 3. Jh.s v. Chr. (Phase 4) führen schließlich zur Ausbildung eines Atriumhauses mit angefügter pars rustica. Neben der nur in geringen Resten erhaltenen Anlage am Palatin in Rom57, nimmt in der Diskussion um die Entwicklung des Atriumhauses auch der Befund von Roselle58 einen wichtigen Platz ein. Die wenigen Reste des archaischen Hauses des ausgehenden 6. Jh.s v. Chr. mit Nutzungszeit im 5. Jh. v. Chr. werden vom Ausgräber als Haus mit Impluvium rekonstruiert. Der eindeutige Befund eines Impluviums hat in diesem Fall zu einer Rekonstruktion im Sinne eines echten Atriums geführt. Das Impluvium weist eine Verbindung zu einer Zisterne in Form eines Kanals auf. Für die Sammlung des Wassers dürfte bei dieser Anlage, ebenso wie bei den Häusern Marzabottos der offene Innenhof eine wesentliche Rolle gespielt haben. Die Kiesel- oder Schotterpflasterung des Platzes regt dazu an, hier die Sammlung von Regenwasser zu vermuten, was eine Neigung der Dächer nach innen bedingt. Darauf weisen auch die Ziegelfunde aus Marzabotto hin. Das Wasser sammelt sich im zentralen Becken, indem die Schotterung des Zentralplatzes ihren tiefsten Punkt beim Becken findet, also ein dorthin abfallendes Bodenniveau aufweist59. Ein Haus mit ähnlicher Hofanlage, die ebenso zur Sammlung von Regenwasser genutzt werden konnte, wurde zuletzt aus Gonfienti (Prato) publiziert60. Dieser, an die Wende vom 6. Jh. v. Chr. zum 5. Jh. v. 52 Colonna 1986. 53 Mansuelli 1963. 54 Zur Entwicklung des Atriums aus dem Breitraumhaus Prayon 1975, 156–160. 55 Paribeni 2009. 56 Carandini u. a. 1997. 57 Cristofani 1990; Andersen 1997. 58 Donati 1994. 59 Bei einer Überdachung im Sinne eines echten Impluviums macht die Schotterpflasterung eigentlich wenig
Sinn, zumal auch das Tablinum, als wichtigster Raum des Gebäudes nur einen Lehmboden aufweist. Nimmt man für die Schotterung aber die Funktion der Ableitung des Wassers an, so erklärt sich diese am besten. Die Schotterpflasterung als Argument für offene Räume findet sich in einem Nebensatz erwähnt bereits bei Brizio 1889, 317, Absatz 1; Argumente für offene „Atrien“ auch bei den ersten pompejanischen Atriumhäusern bei Wallace-Hadrill 1997. 60 Dazu Cifani 2008.
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Das „Atriumhaus“
Chr. zu datierende Bau weist einen großen Innenhof mit einem Wassersammelbecken auf und lässt sich mit den großen Anlagen im südlichen Stadtteil Marzabottos (Insula V, 2) vergleichen. Zusammenfassend lässt sich der Grabungsbefund an den Wohnhäusern Marzabottos im Vergleich mit anderen etruskischen Wohnbauten des 6. und 5. Jh.s v. Chr. zwanglos als Variante eines weit verbreiteten etruskischen Hof hauses erklären. Die Innengestaltung ist im Detail für jedes Gebäude unterschiedlich und unterlag in keinem Fall einer Normierung. Die im Falle Marzabottos orthogonale Stadtanlage und die von Beginn an vorhandene Unterteilung des Gebietes in Insulae machte eine Anpassung des Hof hauses an diese Gegebenheiten notwendig. So wurden Anlagen geschaffen, die der zweiten Phase der Villa dell’Auditorium recht ähnlich sind, durch ihre Einbindung in eine Insulaverbauung allerdings einen Zugangskorridor benötigten, womit die pars rustica, die in Marzabotto anhand der Metallwerkstätten deutlich belegt ist, durchschritten werden musste, um in den zentralen Wohnbereich zu gelangen. In diesem Sinne lässt sich eine Planung großer, repräsentativer Häuser im Sinne des vitruvianischen Atriumhauses in Marzabotto wohl nicht belegen. Die hier angelegten Häuser besitzen einen Werkstätten- und einen Wohnbereich, so wie dies für andere, teils in ländlichem Umfeld liegende etruskische Wohnhäuser ebenso bekannt ist. Der zentrale Innenhof dient in diesem Zusammenhang in erster Linie als Lichthof und ermöglicht die Sammlung und Ableitung von Wasser und ist somit in den ersten Bauphasen in keinem Fall ein Empfangsraum im Sinne Vitruvs. Erst mit zunehmendem Reichtum der Bewohner eines Hauses konnte sich, wie es am besten anhand der Villa dell’Auditorium illustrierbar ist, die Gestaltung desselben ändern. Diese etwas monumentalere Ausgestaltung, die als Vorläufer des späteren Atriumhauses angesehen werden kann, tritt in Marzabotto nur in Haus 2 der Insula IV, 1 deutlich auf. Einhergehend mit der Ausgestaltung des Zentralhofes als kreuzförmigen Hof mit Alae ist auch eine verstärkte Axialität des Baus. Dabei zeigt sich im Vergleich mit der Villa dell’Auditorium die Bedeutung des orthogonalen Insulasystems für die Verlagerung des Eingangs an die Schmalseite der Gebäude, woraus sich die Axialität der Anlagen erst entwickeln konnte. Dieser Schritt musste bereits gegen Ende des 5. Jh.s v. Chr. vollzogen gewesen sein. Das zum Hof hin offene Tablinum liegt nun in einer Achse mit dem Zugangskorridor, wie auch der Eingang eines „echten Atriumhauses“ dem Tablinum gegenüberliegen muss. Somit können axiale Ausrichtung und Aufwertung des Mittelhofs tatsächlich als erste Schritte in Richtung eines vitruvianischen Atriumhauses gewertet werden. Die idealtypische Rekonstruktion des Atriumhauses nach den Angaben Vitruvs und der archäologische Befund Marzabottos legen es nahe, eine deutliche Trennung zwischen Hof- und Atriumhaus vorzunehmen. Während in Marzabotto lediglich Hof häuser nachzuweisen sind, die bedingt durch die Orthogonalität der Stadtanlage eine axiale Anordnung entwickeln, können nur überdachte Räume als vitruvianische Atrien gedeutet werden. Die Entwicklung des Atriumhauses erfolgt nach dem oben Dargestellten in mehreren Schritten, wobei die orthogonale Stadtplanung eine bedeutende Rolle spielt. Erst in diesem Zusammenhang entwickeln sich die Raumabfolgen, die später als charakteristisch für Atriumhäuser angesehen werden. Die orthogonale Ordnung des Siedlungsraumes ist auf etruskischem Gebiet bereits im 6. Jh. v. Chr. deutlich fassbar. Neuere Forschungsergebnisse zeigen insbesondere, dass die archäologisch kaum im Detail erforschten etruskischen Kolonien nördlich des eigentlichen Kerngebietes in der Regel orthogonal angelegt wurden61 und somit beste Voraussetzungen für eine Weiterentwicklung des in Marzabotto in der zweiten Hälfte des 5. Jh.s v. Chr. auftretenden „Prä-Atriumhauses“ besitzen. Dies scheint auch die antike Ethymologie des Wortes „Atrium“ von Varro62, wonach sich dieses vom Ortsnamen „Atria“ ableitet, zu bestätigen63.
61 So etwa zuletzt Reusser u. a. 2011. 62 Varro ling. 5, 161. 63 Im Gegensatz zu Servius Aen. 1, 726, wo „Atrium“
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von „ater“ (schwarz) abgeleitet wird und auf die Verwendung als Herdraum zurückgeführt wird.
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Die Entwicklung des axialen Hof hauses hin zum Atriumhaus ist im Einzelnen aufgrund fehlender eindeutiger Befunde des 4. Jh.s v. Chr. schwer nachvollziehbar. Jedenfalls ist für das 3. Jh. v. Chr., zeitgleich mit der Villa dell’Auditorium in Rom, ein Vorhandensein von Atriumhäusern in Fregellae64 belegt. Da für die Atriumhäuser in Pompeji nicht geklärt ist, ob die Bauphasen des 4. Jh.s v. Chr. offene oder gedeckte Zentralräume besaßen 65, sind auch hier „echte Atriumhäuser“ vorerst in das 3. Jh. v. Chr. zu datieren. Die axiale Anordnung von Eingangskorridor, gedecktem Atrium mit Impluvium und Tablinum kann schließlich im Pompeji des 2. Jh.s v. Chr. in einem Großteil der Häuser beobachtet werden66. Dagegen sind Alae in diesen Wohnbauten nicht immer anzutreffen, was zum Teil sicher auch auf spätere Umbauten zurückzuführen ist67. Eine architektonische Definition des Begriffs „Atriumhaus“ scheint somit durchaus sinnvoll. Ein Gebäude das Fauces, Atrium und Tablinum in axialer Anordnung aufweist, kann demnach als Atriumhaus bezeichnet werden. Alae können vorhanden sein und würden eine Bezeichnung als „vitruvianisches Atriumhaus“ rechtfertigen. Fehlt eines dieser Elemente bei gleichzeitigem Vorhandensein eines Atriums sollte, um eine Differenzierung der Begrifflichkeiten zu wahren von einem „Haus mit Atrium“ gesprochen werden. Wird das Atrium von einem offenen Hof ersetzt, kann eine Bezeichnung als „axiales Hof haus“ als architektonisches Mittel zwischen Hof haus und Atriumhaus angewandt werden. Sowohl die anfangs zitierten Aussagen von Rathmayr und Papaioannou als auch die Bezeichnung etruskischer Wohnbauten als Atriumhäuser zeigen, dass eine Diskussion der Nomenklatur nötig sein wird, wenn ein Vergleich römischer Wohnbauten und ihrer Vorgänger über verschiedene Zeiten und weite räumliche Distanzen hinweg angestrebt wird. Die sozialhistorische Interpretation, die eine Bezeichnung als Atriumhaus mit sich bringt, ist mit den Bauten, die nach der hier vorgeschlagenen Nomenklatur als Atriumhaus anzusehen sind, eng verbunden. Trotzdem kann ein „Haus mit Atrium“ durchaus denselben Zwecken der Selbstrepräsentation genügen wie ein „Atriumhaus“. Gerade die Häuser am Forum von Cosa68, aber auch ein in der römischen Provinz errichtetes Haus mit Atrium und Peristyl wie jenes in Aguntum69 können zur Repräsentation des Hausherrn dienen. Dagegen ist eine Bezeichnung als Hof haus weniger vorbelastet und es wird durch diesen Begriff keine automatische Verbindung zu einem bestimmten Sozialsystem suggeriert. Abbildungsnachweis Abb. 1: Patroni 1941, Abb. 341 Abb. 2: Donati 1994, Abb. 2 & Abb. 38 Abb. 3: Pallotino et.al. 1986, Tav. XVIII Abb. 4: Zusammenstellung auf Grundlage Abb. 5: Zusammenstellung auf Grundlage Abb. 6: Zusammenstellung auf Grundlage Abb. 7: Paribeni 2009, Abb. 2 Abb. 8: Zusammenstellung auf Grundlage Bibliographie Andersen 1997
Balil Illana 1959
von Mansuelli 1963, Abb. 2–6 von Brizio 1889, Tavola V und Tripponi 1971, Pianta n. 1 von Pairault-Massa 1978, Planzeichnungen von Carandini et al. 1997, Abb. 7–10
H. D. Andersen, The Archaeological Evidence for the Origin and Development of the Etruscan City in the 7 th to 6 th Centuries BC. Danish Studies in Classical Archaeology, in: H. Damgaard Andersen, H. W. Horsnæs, S. Houby-Nielsen, A. Rathje (Hrsg.), Urbanization in the Mediterranean in the 9 th to 6 th centuries BC, ActaHyp 7 (Kopenhagen 1997) 343–382 A. Balil Illana, El origen de la casa de atrio, Zephyrus 10, 1959, 143–157
64 Battaglini – Diosono 2010. 65 Wallace-Hadrill 1997. 66 Tamm 1973 stellt diese Elemente in 250 von 300 analysierten Häusern fest.
67 Tamm 1973 kann zwei Alae bei 99 und jeweils nur eine Ala bei 102 Häusern feststellen. 68 Brown 1993. 69 Tschurtschenthaler 2005.
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Das „Atriumhaus“ Battaglini – Diosono 2010 G. Battaglini – F. Diosono, Le domus di Fregellae: case aristocratiche di ambito coloniale, in: M. Bentz – Ch. Reusser (Hrsg.), Etruskisch-italische und römisch-republikanische Häuser, Studien zur Antiken Stadt 9 (Wiesbaden 2010) 217–231 Bentz 2006 M. Bentz, Marzabotto. Auf der Suche nach dem Ursprung des Atriumhauses, Akademie Aktuell, Zeitschrift der bayerischen Akademie der Wissenschaften 3, 2006, 25–27 Bentz – Reusser 2008 M. Bentz – Ch. Reusser, Marzabotto – Planstadt der Etrusker (Mainz 2008) 81–87 Bentz – Reusser 2010 a M. Bentz – Ch. Reusser (Hrsg.), Etruskisch-italische und römisch-republikanische Häuser, Studien zur Antiken Stadt 9 (Wiesbaden 2010) Bentz – Reusser 2010 b M. Bentz – Ch. Reusser, Das Haus der Hippokampen in Marzabotto (IV, 1, 2), in: M. Bentz – Ch. Reusser (Hrsg.), Etruskisch-italische und römisch-republikanische Häuser, Studien zur Antiken Stadt 9 (Wiesbaden 2010) 106–116 Brizio 1889 E. Brizio, Relazione sugli scavi eseguiti a Marzabotto presso Bologna, MonAnt 1, 1889, 249–426 Brown 1993 F. E. Brown (Hrsg.), Cosa III: the buildings of the forum; colony, municipium and cillage, MemAmAc 37, 1993 Camporeale 1986 G. Camporeale, Vita Privata, in: M. Pallotino – M. Torelli – M. Christofani – G. Camporeale – G. Colonna – F. Roncalli – G. A. Mansuelli – M. Bonghi Jovino – C. De Simone (Hrsg.), Rasenna. Storia e civiltà degli Etruschi (Mailand 1986) 241–310 Camporeale 1997 G. Camporeale, L’Abitato Etrusco dell’Accesa. Il Quartiere B (Roma 1997) Capdevillle 2002 G. Capdeville, Social Mobility in Etruria, EtrSt 9, 2002, 176–190 Carandini u. a. 1997 A. Carandini – G. Ricci – M. T. D’Alessio – C. De Davide – N. Terranto, La Villa dell’Auditorium dall’Età Arcaica all’Età Imperiale, RM 104, 1997, 117– 148 Carandini – Carafa 2000 A. Carandini – A. Carafa, Palatium e Sacra via, 1. Prima delle mura, l’età delle mura e l’età delle case arcaice, BA 31–34, 1995 (Rom 2000) Carandini 2004 A. Carandini, Palatino, Velia e Sacra via: paesaggi urbani attraverso il tempo (Rom 2004) Cifani 2008 G. Cifani, Archittetura Romana Arcaica, Biblioteca Archeologica 40 (Rom 2008) 264–278 Colonna 1986 G. Colonna, Urbanistica e Archittetura, in: M. Pallotino – M. Torelli – M. Christofani – G. Camporeale – G. Colonna – F. Roncalli – G. A. Mansuelli – M. Bonghi Jovino – C. De Simone (Hrsg.), Rasenna. Storia e civiltà degli Etruschi (Mailand 1986) 371–532 Cristofani 1990 M. Cristofani, La Grande Roma dei Tarquini (Rom 1990) 79–99 De Grummond 1997 N. De Grummond, Poggio Civitate: A Turning Point, EtrSt 4, 1997, 23–40 De Maria u. a. 1972 S. De Maria – G. Sassatelli – D. Vitali, Scavo nella Regione III, Isolate 2, Settore Nord, NSc 38, 1972, 75–130 Donati 1994 L. Donati, La casa dell’impluvium. Architettura Etrusca a Roselle (Rom 1994) Donati 2000 L. Donati, Architettura civile, sacra e domestica, in: M. Torelli (Hrsg.), Gli Eruschi (Venedig 2000) 313–334 Donati – Cappuccini 2010 L. Donati – L. Cappuccini, Roselle, Poggio Civitella, Santa Teresa di Gavorrano: realtá abitative a confronto, in: M. Bentz – Ch. Reusser (Hrsg.), Etruskischitalische und römisch-republikanische Häuser, Studien zur Antiken Stadt 9 (Wiesbaden 2010) 157–172 Hoepfner – Schwandner 1986 W. Hoepfner – E. L. Schwandner, Haus und Stadt im klassischen Griechenland (München 1986) Klakowicz 1972 B. Klakowicz, Le Necropoli anulare di Orvieto I. Crocefisso del Tufo. Le Conce (Rom 1972) Lippolis 2005 E. Lippolis, Nuovi dati sull’Acropoli e sulla forma urbana di Marzabotto, in: G. Sassatelli – E. Govi, Culti, Forma Urbana e Artigianato a Marzabotto. Nuove Prospettive di Ricerca. Atti del Convegno di Studi, Bologna, S. Giovanni in Monte, 3.–4. giugno 2003 (Bologna 2005) 139–165
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Martin Auer Mansuelli 1963 Moorman 2001 Nylander u. a. 1986 Overbeck 1875 Östenberg 1975 Pairault-Massa 1978 Pallotino u. a. 1986
Papaioannou 2010
Paribeni 2009 Patroni 1941 Prayon 1975 Prayon 2009
Rathmayr 2010
Reusser u. a. 2011
Saronio 1965 Staccioli 1967 Steingräber 2001
Tamm 1973 Tschurtschenthaler 2005
Tripponi 1971 Wallace-Hadrill 1997
Wallace-Hadrill 2007
Weidinger 2007 Wiseman 2008
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Das „Atriumhaus“
Abb. 1: Idealplan eines Atriumhauses nach Patroni
Abb. 2: Befund und Rekonstruktion der Casa d’Impluvium in Roselle
Abb. 3: Grundrissplan eines Hauses mit Zugangskorridor in Regae
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Martin Auer
Abb. 5: Gebäude im Süden der Insula V, 2 in Marzabotto, genordet
Abb. 4: Insula IV, 1 in Marzabotto mit Nummerierung der Häuser, genordet
Abb. 6: Gebäude im Norden der Insula V, 3 in Marzabotto, genordet
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Das „Atriumhaus“
Abb. 7: Grundrissplan der „Fattoria“ von Pian d’Alma
Abb. 8: Bauphasen der Villa dell’Auditorium
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Der Eroten-/Satyrfries vom Theater in Ephesos Maria Aurenhammer – Georg A. Plattner Während der ersten Grabungsjahre österreichischer Archäologen in Ephesos – seit 1895 – konzentrierten sich die Arbeiten vornehmlich auf wenige Monumente, wie das Hafengymnasium und das antike Theater; Ruinen, die teilweise immer über der Erde sichtbar gewesen sind und lange bekannt waren. Im Theater von Ephesos hatte bereits John Turtle Wood in den 60 er Jahren des 19. Jahrhunderts gearbeitet und einzelne Funde nach London ins British Museum gebracht1. Das Interesse der Ausgräber des Theaters, Rudolf Heberdey und Wilhelm Wilberg, galt insbesondere zwei Schwerpunkten (1897–1900): der Architektur des Theaters, vornehmlich jener der Bühne und der scaenae frons, und der Skulpturenausstattung2. Aus dem Schutt in Orchestra und Cavea und jenem westlich des Theaters wurden Architekturteile und Skulpturenfragmente geborgen und gesichtet3. Dank des Erlasses (Irade) des Sultans Abdul Hamid II. konnte ein Teil der Funde aus den Grabungen als Geschenk an Kaiser Franz Joseph I. nach Wien gebracht werden. Sie sind heute in der Antikensammlung des Kunsthistorischen Museums verwahrt4. Während man bewusst nur eine sehr kleine Auswahl von Architekturblöcken für den Abtransport nach Wien vorbereitete, die als Ausschnitt die ordnungsbildenden Teile des mittleren Geschosses der Bühnenwand repräsentieren5, wurde offenbar bei den Skulpturen die Anstrengung unternommen, möglichst lückenlos alle Fragmente nach Wien zu bringen, um dort gleichsam unter ‘Laborbedingungen’ die in kleinste Teile zerbrochenen Rundplastiken und insbesondere Friesplatten wiederzugewinnen. Unter diesen Fragmenten waren auch mehrere Hunderte, die schon von den Ausgräbern als Fries mit der Darstellung jagender Eroten erkannt und der Bühnenfassade zugeordnet worden waren6. Der Fries besteht aus dünnen Platten thasischen Dolomits7 mit einer Höhe von 88–90 cm; die Breite der Platten variiert von 36 cm bis etwa 2 m. Die Figuren stehen vor einem Reliefgrund, der fast immer mit dem Zahneisen gearbeitet ist, auf einer schmalen, vorkragenden Standleiste. Keine der Platten ist vollständig erhalten, die Muster der Frakturen sind, der Maserung des Steines folgend, teilweise überraschend rechtwinkelig (Abb. 1). Bereits in den ersten Jahren nach der Auffindung wurden große Anstrengungen unternommen, die Fragmente wieder zusammenzusetzen. Unzählige auch kleinste Fragmente wurden zugeordnet und geklebt; größere Fehlstellen mit Vierkant-Eisen-Stäben überbrückt8. Bohrungen in 1 Wood 1877, 76; Smith 1900, 185–188. 2 Die von Emil Reisch im Vorwort zu Heberdey u. a. 1912 angekündigten separaten Bände zur Skulpturenausstattung des Theaters konnten in den folgenden Jahren nicht mehr realisiert werden; die Skulpturen werden von M. Aurenhammer vorgelegt werden, vgl. zunächst: Aurenhammer in Druckvorbereitung. 3 Wood hatte auf der Suche nach Skulpturen und Inschriftenfunden das Material im Theater offenbar „durchwühlt, wobei er die Blöcke von Nord nach Süd durcheinander wälzte.“, vgl. Heberdey u. a. 1912, 2. 4 Oberleitner u. a. 1978, 36. 58 f. 61–65; WohlersScharf 1995, 87 f. 277 f. 5 Oberleitner u. a. 1978, 65 Nr. 51–57; vgl. Plattner
in Vorbereitung. 6 G. Niemann in Heberdey u. a. 1912, 93 f. 7 Bisher konnte nur ein Fragment der sehr homogenen Reliefplatten beprobt werden; für die Analyse danken wir Walter Prochaska, Montanuniversität Leoben: es handelt sich um den für Skulptur in Ephesos häufig verwendeten thasischen Dolomit, aus dem etwa auch ein Großteil der Platten des ‘Partherdenkmals’ hergestellt wurde, vgl. Oberleitner 2009, 389–391. 8 Die Eisenstangen sind mit Mörtel in den Originalen fixiert; die korrodierten Oberflächen dieser Montagen stellen teilweise bereits eine Bedrohung für die Reliefs dar und müssen entfernt werden.
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Der Eroten-/Satyrfries vom Theater in Ephesos
einigen Fragmenten wurden offenbar als Vorbereitung für weitere Armierungen gesetzt, die dann nicht angebracht worden sind. Von jenen Fragmenten, die bereits von Wood nach London geschickt worden waren, wurden Gipsabgüsse angefertigt, an die wiederum Fragmente in Wien direkt angepasst werden konnten (vgl. Abb. 15–16). Bereits in den ersten Ephesos-Ausstellungen in Wien, die ab 1901 im ‘Theseus-Tempel’ im Wiener Volksgarten gezeigt wurden, waren drei rekonstruierte Platten des Frieses zu sehen9. Fritz Eichler hat sich als Direktor der Antikensammlung in der Nachkriegszeit intensiv mit dem Fries des Theaters beschäftigt. Seine Beobachtungen hat er in einem Artikel festgehalten10, die dort erwähnten Skizzen und Aufzeichnungen sind allerdings weder im Museum noch im Österreichischen Archäologischen Institut, dessen Direktor Eichler später war, vorhanden. Seit der Eröffnung des Ephesos Museums in der Neuen Burg am Wiener Heldenplatz 1978 werden dort vier Platten des Frieses gezeigt11. 2009 wurde in Kooperation zwischen dem Kunsthistorischen Museum und dem Österreichischen Archäologischen Institut ein Projekt zur Aufarbeitung des Frieses begonnen. Die Finanzierung dieser Arbeiten erfolgt durch die beiden genannten Institute selbst. Mehrere Hundert Fragmente ephesischer Skulpturen wurden gesichtet. Eine Zuweisung zum Fries des Theaters konnte aufgrund des Materials, der Bearbeitung, der Ikonographie und der Machart der Darstellungen erfolgen. Fast 200 Fragmente wurden inventarisiert12, vermessen und beschrieben und vom Fotoatelier des Museums fotografiert. Bemerkenswert ist, dass es auch unter mehrwöchiger Mithilfe des Restaurators des ÖAI, Karl Herold, nicht gelungen ist, über die Wiederherstellung alter Anpassungen hinaus auch neue zu entdecken, dies belegt die überaus sorgsame Arbeit der Wissenschaftler zu Beginn des vergangenen Jahrhunderts. Die dargestellten Szenen scheiden die Platten des Frieses in zwei thematische und kompositorische Gruppen. Der Großteil der Fragmente zeigt Szenen der Jagd (Abb. 1–12). Eroten sind dabei, wilden Tieren nachzustellen, diese zu erlegen oder zu fangen, abzutransportieren oder auch bereits domestizierte Tiere zu führen. Die Szenen sind durch Landschaftsangaben und vereinzelt Architekturen gegliedert (Abb. 4–5. 14). Eine zweite Gruppe von Reliefplatten zeigt Satyrn, die als Einzelfigur auf einem Pantherfell lagern und damit etwa doppelt so groß wie die Eroten sind (Abb. 15–16). Von diesen sehr statischen, als alleinstehend aufzufassenden Bildern gibt es mindestens je vier, die nach links und vier die nach rechts gelagert sind. Während die Maße, die technischen Beobachtungen und die Machart der beiden Reliefgruppen übereinstimmen, erschweren die unterschiedliche Größe der Figuren und deren unterschiedliche Motivik die Vorstellung, wie diese beiden Gruppen in einer Frieszone anzuordnen sein könnten (s. dazu unten). Die Erotenjagd ist ein beliebtes Dekorationssujet an kleinasiatischen kaiserzeitlichen Theatern und an anderen Monumenten13. Eroten werden seit dem 4. Jh. v. Chr. vermehrt in den Kreis des Dionysos eingebunden; ihre Darstellungen eignen sich daher auch vordergründig als Theaterdekoration14. Erotenthemen in der Architektur treten zum ersten Mal in kleinformatigen hellenistischen Friesen auf, die im Theater von Pergamon, aber auch an anderen Stellen der Stadt gefunden wurden. Hier handelt es sich um Eroten beim Wagenrennen oder um Eroten mit Meerwesen15. Sie gehören zu kleinformatigen Architekturen, deren Kontext sich nicht immer eruieren 9 Inv.-Nr. I 819. I 820. I 821, vgl. Schneider 1901, 13–15 Nr. 21–22; Schneider 1902, 16–18 Nr. 20–22. 10 Eichler 1956–58. 1 1 Oberleitner u. a. 1978, 62 f. Nr. 42–45. 12 Eine große Zahl von wohl dem Fries zuweisbaren, aber nicht auswertbaren Fragmenten wurde summarisch erfasst und statistisch ausgewertet. 13 Schwingenstein 1977, 45 f.; Lindner 1994, 103; vgl.
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hier weiter unten zu den einzelnen Monumenten. 14 Vgl. Schauenburg 1976, 32 f.; zu Erotendarstellungen in Theatern: Schwingenstein 1977, 45–48; Lindner 1994, 104. 1 5 Winter 1908, 294–297 Nr. 384 Taf. 39; 299–301 Nr. 386 f. Taf. 39; Lindner 1994, 103; Grüßinger 2011, 90.
Maria Aurenhammer – Georg A. Plattner
lässt. In kaiserzeitlichen Theatern kann die Wahl des Jagdmotivs auch als Anspielung auf die Abhaltung von venationes gesehen werden (s. unten). Der ephesische Erotenfries breitet sich auf einer niedrigen Sockelleiste vor dem glatten Hintergrund aus. Die Szenen sind großzügig bemessen, viel freier Raum ist um die Figuren wie aus den Abbildungen 1 und 9 hervorgeht. Diese sind plastisch gearbeitet, an einigen Stellen ragen Körperteile weit aus dem Reliefgrund bzw. über die Sockelleiste hinaus. Bei den ephesischen Eroten handelt es sich nicht um Putti in der Art von Kleinkindern, sondern um athletische Knaben. Die Jagd auf wilde Tiere erfolgt durch Gruppen von Eroten mit Hilfe von schlanken Jagdhunden (Abb. 2–4). Als Waffen werden Speere (ursprünglich aus Metall eingesetzt) und Steine verwendet, auch Schlingen sind ausgelegt. Zwei Szenen zeigen die Löwenjagd: zwei Eroten verfolgen einen sich nach rechts bewegenden Löwen (Abb. 3), zwei weitere jagen mit Hilfe von Hunden einen aus einer Höhle brechenden Löwen (Abb. 4). Die Jagd spielt sich in felsigem Terrain ab (siehe den felsigen Rand der Höhle, Abb. 4), das durch verschiedene Bäume bereichert ist (Abb. 5. 9). Bäume werden seit spätarchaischer Zeit zur Charakterisierung der freien Natur und als gliedernde bzw. trennende Elemente in Jagdszenen dargestellt, auch felsiges Terrain tritt zu dieser Zeit zum ersten Mal auf 16. Reich ist das Spektrum an bejagten Tieren: neben den Löwen treten Wildschweine, Hirsch und Reh, Steinbock und Hase auf (Abb. 6–7. 10–12). Ein außergewöhnliches Motiv ist die auf ihrem Hinterteil sitzende Löwin, deren Pfote in einer Schlinge gefangen ist (Abb. 8). Der Detailreichtum zeigt sich auch an der Variationsbreite der Frisuren der Erotenköpfe: vertreten sind Lockenfrisuren, zum Hinterkopf hinauf gebundene Strähnen (Abb. 3) und die Melonenfrisur (Abb. 4). An dieser Melonenfrisur haben sich wie auch an anderen Stellen des Frieses noch deutliche Farbspuren erhalten17. Motivisch und figurentypologisch gesehen schöpften die Bildhauer vor allem aus dem Bildrepertoire, das für mythische und historische Jagd-, aber auch Kampfdarstellungen seit der Klassik in Verwendung war. Dies sei hier durch drei Beispiele belegt. Das Motiv des aus einer Höhle brechenden Tieres mit dem in Rückenansicht dargestellten Speerwerfer rechts von dem Tier und der Halbfigur des waffenschleudernden Jägers über dem Tier (Abb. 4) kennen wir von der Hauptgruppe der stadtrömischen Meleagersarkophage 18. Das Motiv der Höhle mit der Halbfigur darüber tritt bereits auf etruskischen Alabasterurnen mit der Darstellung der kalydonischen Eberjagd auf 19. Die Kombination von Tier, Jäger in Rückenansicht und waffenschwingendem Jäger hinter dem Tier findet sich bereits auf Darstellungen der kalydonischen Eberjagd des 4. Jhs. v. Chr., wie z. B. in der entsprechenden Szene am Heroon von Gjölbaschi-Trysa20. In vielfigurigen, in mehreren Registern angeordneten Szenen, werden die einzelnen Figuren unterschiedlich positioniert, wie auf einer etwa zeitgleichen Pelike aus Bengasi in St. Petersburg (um 370 v. Chr.)21: auch hier erscheint der waffenschwingende Jäger direkt hinter dem Tier, während der Jäger in Rückenansicht im oberen Register auftritt. Vor der betreffenden Szene auf dem ephesischen Fries, also vor dem Löwen, ist ein angreifender Jäger zu ergänzen, hier bieten sich mehrere Exemplare eines beliebten Figurentypus an, die sich unter den Fragmenten des Frieses erhalten haben: ein gleichzeitig zurückweichender sowie mit der Waffe ausholender Jäger in Vorderansicht mit durchgestrecktem, vorgestellten linken 16 Fornasier 2001, 56 f. Abb. 25; 63 f.; Barringer 2001, 18 f. 20 Abb. 4; 152 Abb. 84 (zur Pelike aus Bengasi, dazu hier weiter unten); felsiges Terrain: Fornasier 2001, 56 f. 320 unter EV- 20 zu einer schwarzfigurigen Oinochoe in Paris. 17 Die Analyse der Farbreste soll im Naturwissenschaftlichen Labor des Kunsthistorischen Museums erfolgen. 18 Vgl. Koch 1975, 8–10 zur Motivgeschichte; 11 f. zu den Vorbildern.
19 Koch 1975, 11; LIMC VI (1992) 420 Nr. 53 mit Abb. s. v. Meleagros (I. Krauskopf ): 2. Hälfte des 2. Jh.s v. Chr. 20 Die Figur hinter dem Eber ist hier eine Ganzfigur, die die Keule mit beiden Armen packt, die Höhle fehlt; vgl. Koch 1975, 72; Oberleitner 1994, 32 f. Abb. 58. 60. 62; Fornasier 2001, 236 Abb. 91; 238; Barringer 2001, 194. 196 f. Abb. 109; 199. 2 1 Fornasier 2001, 80–82 Abb. 40; 293 EA-17.
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Der Eroten-/Satyrfries vom Theater in Ephesos
Bein und abgewinkeltem rechten Bein (Abb. 9). Dieser Figurentypus lässt sich bis in hochklassische Zeit zurückverfolgen22. Auf der Schale des Kodrosmalers in Berlin (440 v. Chr.) tritt dieser Figurentypus gleich zweimal in Jagdszenen auf: in der Eberjagd ist der ausholende Speerwerfer direkt mit dem Tier konfrontiert, während die Erlegung des Hirsches von dem Speerwerfer links und dem bereits bekannten Jäger in Rückenansicht gerahmt wird23. Dieser Figurentypus tritt dann auch auf den attischen Meleagersarkophagen der Gruppe I auf 24. Auch der Figurentypus des mit der Waffe ausholenden Jägers, der seinen Oberkörper zurückdreht und den rechten Arm um den Kopf schlingt, gehört zu diesem für Jagddarstellungen gängigen Repertoire. Im ephesischen Fries ist diese ein Wildschwein jagende Figur nur fragmentarisch erhalten. Der charakteristische Verlauf des rechten Arms ist nur an der Bruchstelle zu erkennen (Abb. 10). Ein spätklassisches Vergleichsbeispiel für diesen Figurentypus ist z. B. die Darstellung auf der Amphora des Lykurgmalers (360/340 v. Chr.), in der die betreffende Figur die Hauptfigur ist25. Auch die zu Fuß gegen den Löwen kämpfende Figur Alexanders des Großen auf der Reliefbasis aus Messene, die zumeist mit dem Weihgeschenk des Krateros in Delphi verbunden wird, ist nach diesem Schema abgebildet 26. Zur Jagd gehört der Abtransport der Beute, ein Motiv, das bereits in der schwarzfigurigen Vasenmalerei auftritt und das sich durch die Jahrhunderte bis zu den Löwenjagdsarkophagen und den spätkaiserzeitlichen/spätantiken Mosaiken findet27. Zu diesem Motiv gibt es vielfältige Variationen auf dem kleinen Sockelfries des sog. Klagefrauensarkophags, einem der Sarkophage aus der Nekropole von Sidon28. Am ephesischen Fries ist dieses Motiv in zwei Szenen aufgeteilt. Zwei sich nach rechts bewegende Eroten schultern einen toten Hirsch, wobei der Vordermann unter der Last des Tieres einknickt (Abb. 11). Von rechts trägt ein Eros eine Hindin heran29, die er auf einen zweirädrigen, von Pferden gezogenen Karren legen wird, auf dem bereits Beute gestapelt ist (Abb. 12). Dieser zweirädrige Karren (plaustrum) ist ein antiquarisches Detail. Er wurde vor allem in der Landwirtschaft benutzt, diente aber auch dem Transport der Jagdbeute, wie Seneca berichtet30. Das Wagenmotiv taucht dann später wieder in den Ochsenkarren auf den stadtrömischen Jagdsarkophagen, aber auch auf spätantiken Mosaiken wie der „Großen Jagd“ von Piazza Armerina auf 31. Neben Jagd und Abtransport der Beute sind im ephesischen Fries auch ruhigere Szenen vertreten: ein bereits domestiziertes Tier aus der Familie der Feliden wird von einem Eros an der Leine geführt; Eroten sitzen bzw. stehen in einer Felsenszenerie32. Zwei Erotenfragmente mit Kantharos und Rhyton weisen auf einen dionysischen Komos hin (Abb. 13). Zu dieser Thematik gehört wohl auch die sakrale Landschaft einer Felsenszenerie mit Tempelchen und brennendem Altar (wobei sich von dem Tempelchen nur der Stufenunterbau und eine Säulenbasis erhalten haben, Abb. 14), sowie ein kleines Fragment mit den Beinen einer Statuette einer männlichen Gottheit in ponderiertem Standmotiv und dem Stamm eines Baumes dahinter. Der ephesische Fries
22 Fornasier 2001, 89 f. Abb. 46. 23 Fornasier 2001, 72 f. Abb. 33; 125 f. Abb. 69; 314 ES- 40. 24 Es handelt sich um die zweite Figur von links neben Atalante; Koch 1975, 66 f. 72–75 zur Figurentypologie und zu den Vorbildern der attischen Sarkophage. 25 Fornasier 2001, 83 f. Abb. 42; 293 EA-18. 26 Vgl. Fornasier 2001, 227 f. Abb. 89; Seyer 2007, 148. 27 Vgl. z. B. Schnapp 1989, 75–78 Abb. 104–106; Barringer 2001, 80–83 Abb. 44. 46 für die frühen Vasenbilder. 28 Fleischer 1984, 30–35 Taf. 16 f. 29 Zur Entwicklung des Motivs des einen Gegenstand/
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ein Tier schleppenden Eroten vgl. Matz 1958, 65–67. 30 Sen. Phaedr. 76 f.; vgl. RE XX 2 (1950) 2551– 2556 s. v. plaustrum (G. Herzog-Hauser); das plaustrum ist meistens mit Scheibenrädern ausgestattet, hier jedoch mit Speichenrädern. 3 1 Andreae 1980, 79, Beispiele auf Taf. 50–51; zur „Großen Jagd“ vgl. Muth 1999, 198. 204 Abb. 9–10 und Faltplan Abb. 14. 32 Fragment mit Tier an der Leine: Inv.-Nr. I 1908; die Szene im felsigen Terrain befindet sich auf einem der Fragmente, die J. T. Wood an das British Museum, London, sandte: Reg.-Nr. 1868.6–20.24; vgl. Smith 1900, 188 Nr. 1251.
Maria Aurenhammer – Georg A. Plattner
verband also, ähnlich wie der Fries vom Bühnengebäude in Milet, die Jagdszenen mit einem kultischen Hintergrund33. Stilistische Vergleiche zum ephesischen Erotenfries lassen sich unter den zahlreichen Erotendarstellungen des Venus Genetrix-Tempels vom Caesarforum in Rom finden, der in trajanischer Zeit umgebaut wurde; auch die Architekturdekoration weist in flavisch-trajanische Zeit 34. Die Fasti Ostiensi berichten von der Einweihung des Tempels 113 n. Chr., doch weist die Existenz von hadrianischen Ziegelstempeln auf eine Fortsetzung der Arbeiten nach diesem Datum hin35. Erotenmotive treten an verschiedensten Stellen des Tempels auf 36. Mit den ephesischen Eroten (Abb. 1) sind am besten die Platten mit den stiertötenden Eroten vergleichbar, die in die Außenmauer der Cella eingelassen waren37. Die Körpertypen, die Anbringung vor dem leeren Hintergrund sowie der ganze klassizistische Habitus der Figuren lassen sich gut vergleichen. Die römischen Eroten sind allerdings flacher gearbeitet als die plastischen ephesischen Eroten. Auch die Kopftypen mit dem charakteristischen Augenschnitt sind einander ähnlich. Die Köpfe der römischen Eroten sind generell stärker gebohrt als die ephesischen. Ein stilistischer Vergleich mit Plastik aus Ephesos selbst ist zunächst nicht so leicht zu finden. Es lässt sich aber ein Detailvergleich mit den Skulpturen anstellen, die im sog. Domitiansbrunnen aufgestellt waren, der 92/93 n. Chr. unter Domitian an der Nordwestecke der Oberen Agora errichtet wurde und auf den Platz hin orientiert war38. Es handelt sich um zwei Flußgötter (von denen nur einer fast zur Gänze erhalten ist), und den Kopf einer Zeusstatue, der zu einer thronenden Statue im Typus des Jupiter Capitolinus gehörte39. Diese Skulpturengruppe hat V. M. Strocka in den 1980 er Jahren zusammen gestellt, sie stilistisch mit dem kolossalen Tituskopf verbunden – der zur Kultgruppe im ephesischen Tempel der flavischen Sebastoi gehörte – und als Schöpfung aphrodisischer Werkstätten angesprochen40. Charakteristisch an den Köpfen dieser Gruppe – und auch an manchen der Erotenköpfe des Frieses – sind die dicklichen, stark eingerollten, mehrfach gekerbten Lockenbüschel, deren Lockenaugen am Zeuskopf stärker, an den Erotenköpfen weniger auffällig gebohrt sind. Diese Datierungshinweise würden also eine Entstehung des Frieses in spätflavischer bis trajanischer Zeit nahelegen. Die geringen Reste einer Bauinschrift am Architrav des ersten Stockwerks der scaenae frons des Theaters wurden zumeist auf Domitian ergänzt, womit die scaenae frons in das Jahr 85/86 n. Chr. datiert wäre41. Die Architekturdekoration aller drei Stockwerke weist in flavische Zeit42. Weitere Eckpunkte der Chronologie des Theaters in der früheren Kaiserzeit sind die Fertigstellung des Nordflügels des Theaters 92 n. Chr. und der Abschluss der Baumaßnahmen am Südflügel zwischen 102 und 112 n. Chr. 43. Der Fries war jedenfalls bis in die Spätantike sichtbar, das 33 Anspielung auf lokale Gottheiten und Heiligtümer in Milet: Altenhöfer – Bol 1989, 28. 36 Nr. 2. 37 Nr. 6. 44 f. Nr. 25 und 29 Taf. 2. 4 f.; Bol 2011, 148 f. 151 f. Nr. VII.2.2, VII.2.6, VII.2.25, VII.2.29 Taf. 69–71.75 f.; Lindner 1994, 104–108 generell zur Interpretation der Theaterfriese und zur Multifunktionalität kaiserzeitlicher Theater. 34 Amici 1991, 75–136; Milella 2007, 100 f. 108–117 Abb. 107. 113 f. 117–140; Pinna Caboni 2008, 57; Maisto – Vitti 2009, 31–80. 35 Bianchi 2008, 55; Bianchi 2009, 36–41; Bianchi 2010, 379–391. 36 Zu den Erotenfriesen und -platten vgl. Floriani 1948, 61–118; Ulrich 1984, 211–253; Milella 2007, 108–117; Pinna Caboni a. O. (Anm. 35) 58 f.; Milella 2010. 37 Floriani 1948, 67–74. 82–88; Milella 2007, 108– 110. 112 Abb. 121 f. 125 f.; Milella 2010, 456 f. Abb. 1–2.
38 Dorl-Klingenschmid 2001, 100 Abb. 60; 189 f. Nr. 27 Abb. 116; Plattner – Schmidt-Colinet 2005, 246–249 Abb. 8–9. 39 Strocka 1989, 77–92 Taf. 39–41. 40 Zur Verbindung mit dem Titusporträt: Strocka 1989, 85–87 Taf. 42 Abb. 14. 4 1 IvE 2034; Burrell 2004, 62–66 mit Belegen für eine erste Neokorie unter Nero S. 60 f. 42 Öztürk 2010, 338–341; bisher wurde das oberste Geschoß auch wegen teilweise falsch zugewiesener Bauteile mit einer severischen Inschrift in Zusammenhang gebracht, nun wird es zurecht als flavisch und damit gleichzeitig mit den beiden unteren Geschossen bewertet. 43 Nordflügel (Bauinschrift): IvE 2035; Südflügel (Bauinschrift und zwei Inschriften für T. Flavius Montanus): IvE 2037. 2061. 2062; Heberdey u. a. 1912, 160 f. Nr. 35. 37; 174–176 Nr. 61–62; vgl. zu diesen Bauabschlüssen zuletzt Styhler-Aydın in Druckvorbereitung.
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Der Eroten-/Satyrfries vom Theater in Ephesos
zeigt die Beobachtung, dass sogar an den Erotenfiguren des in großer Höhe angebrachten Frieses die in dieser Epoche als unziemlich empfundenen Genitalien abgearbeitet wurden44. Auffallend sind die Plastizität und die hohe Qualität des ephesischen Frieses im Vergleich mit den anderen kleinasiatischen Friesen der gleichen Thematik wie etwa dem späthellenistischfrühkaiserzeitlichen Fries von der Akropolis von Metropolis45, dem unfertig gebliebenen Fries vom Heroon II in Milet – der zeitlich dem ephesischen Fries am nächsten kommt46, dem Fries von der Außenseite des Bühnengebäudes in Milet47, dem Fries vom Theater in Aizanoi, der zur Aufstockung der scaenae frons im späteren 2. Jh. gehörte48 und den Erotenblöcken, die in die Stadtmauer von Aphrodisias verbaut sind49. Dazu kommen die Friesblöcke mit Erotenjagd und Tierkampf, die über den Proskenion-Türen des früh- bis mittelseverischen Theaters in Perge angeordnet waren50 und die kleinen Jagdszenen an den Soffitten der severischen Architrave des Theaters von Hierapolis51. Weiters fällt die Tatsache auf, dass die ephesischen Eroten, soweit ersichtlich, keine direkten Anspielungen auf die Kampftechnik der bestiarii und damit auf die venationes zeigen, sondern ganz dem klassischen Figurenrepertoire verpflichtet sind. Anspielungen auf die Kampftechnik der bestiarii finden sich mehrfach an den anderen Friesen in Form des horizontal auf das Tier gestoßenen Speers, so z. B. an den Friesen von Metropolis und vom Bühnengebäude in Milet52. Figuren des Frieses vom milesischen Bühnengebäude bzw. vom Proskenion in Perge sind sogar mit einem Schild nach Art der Gladiatoren ausgerüstet53. Ein Reliefblock in Aphrodisias greift allerdings auch einen der klassischen Figurentypen auf: den zurückweichenden Angreifer. Ein ähnlicher Figurentypus tritt zweimal auf dem Fries des Bühnengebäudes in Milet auf 54. Venationes sind für Ephesos zum ersten Mal in trajanischer Zeit laut einer Inschrift vom südlichen Analemma des Theaters überliefert, welche T. Flavius Montanus als Stifter der Baumaßnahmen am Südflügel und Vollender des Theaters nennt. Er hatte zur Feier des Anlasses Gladiatorenkämpfe und venationes abgehalten55. Im Gegensatz zum Erotenfries waren die Satyrplatten jeweils mit der Einzelfigur eines in einer Weinlaube auf einem Pantherfell entspannt nach rechts oder links gelagerten Satyrn ausgefüllt, der seine Füße übereinander schlägt. Der Torso der Figur ist leicht zurück gelehnt, im aufgestützen Arm hält der Satyr ein pedum (Abb. 15–16). Hinter der Figur ragt ein Baumstamm empor. Das in die Großplastik übersetzte Motiv des gelagerten bzw. schlafenden Satyrn wurzelt in der hellenistischen Kunst56. In der Kaiserzeit wurde das Motiv in freiplastischer Form gerne für Brunnenfiguren verwendet. In der Position der Figuren auf den Satyrplatten sind Statuen im 44 Vgl. zu diesem Phänomen in Ephesos: Auinger – Rathmayr 2007, 248–250. 252–256. 45 Aybek 2009, 121 f. Nr. 246–248 Taf. 62. 46 Weber 2004, 26 f. 28–31. 77–79 Taf. 16 Textabb. 56–57, zur Datierung des Gebäudes S. 96–100 (Ende des 1. Viertels des 2. Jh.s n. Chr.); Köster 2004, 86–88. 96 f. (Ende 1./Anfang 2. Jh. n. Chr.); R. Bol – B. F. Weber, in: Bol 2011, 74–79 Taf. 31. 47 Altenhöfer – Bol 1989, 17–47 (Mitte des 2. Jh.s n. Chr.); Datierung ins 3. Jh. n. Chr.: Köster a. O. (Anm. 47) 87 f.; Bol 2011, 148–152 Taf. 69–76. 48 Rohn 2008, 127–133 ; Rohn 2010, 119 Abb. 121 f; der Jagdfries war am Sockel des 2. Oberschosses angebracht; zu den Datierungskriterien der Aufstockung der beiden Obergeschosse vgl. Rohn 2008, 203 f. und Rohn 2010, 126 (zwischen 160 und 180 n. Chr. bzw. später). 49 Conti 1970, 32 Taf. 18, Abb. 1 f. 50 Atik 2000, 317 f. Abb. 4; Öztürk 2009, 27 f. Abb.
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20. 134 f. Nr. 36–42 Taf. 3, Abb. 4 f. 5 1 De Bernardi Ferrero 2007, 71 Abb. 155; Pensabene 2007, 267 f. Abb. 51. 52 Metropolis: Aybek 2009, 121 f. Nr. 246 f. Taf. 62; Milet: Altenhöfer – Bol 1989, 29. 38–45 Nr. 8. 12. 13. 18. 19. 23 Taf. 2–4 (R. Bol); Bol 2011, 148 f. Nr. VII.2. 8, VII.2.12, VII.2.13, VII.2.18, VII.2.19, VII.2.23 Taf. 71 f.74 f. 53 Milet: Altenhöfer – Bol 1989, 29. 41 Nr. 17 Taf. 3 (R. Bol); Bol 2011, 149. 151 Nr. VII.2.17 Taf. 73; Perge: Öztürk 2009, Taf. 3, Abb. 4 f. 54 Aphrodisias: Conti 1970, Taf. 18, 1; Milet (die Figuren sind nach dem Bogenschuß bzw. Speerwurf dargestellt): Altenhöfer – Bol 1989, 41 Nr. 16. 43 Nr. 23 Taf. 3 f.; Bol 2011, 149 Nr. VII.2.16, VII.2.23 Taf. 73.75. 55 IvE 2061. 2062; Heberdey u. a. 1912, 174–176 Nr. 61–62. 56 Vgl. z. B. zum Barberinischen Satyr Mandel 2007, 147–149.
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Vatikan und in der Sammlung Milles zu vergleichen57. An anderen Figuren sind Kopf und Torso nach Art des Sterbenden Galliers oder der Figuren des kleinen attalischen Weihgeschenks nach vorne gekippt bzw. stärker gesenkt 58. Dies ist auch bei dem ephesischen, freiplastischen gelagerten Satyrn vom Nymphaeum Traiani der Fall59. Im Gegensatz zu der verschliffenen Muskulatur dieses Satyrn sind Knochenbau und Muskulatur an den „älteren“ Satyrn der Friesplatten kräftig herausgearbeitet, darin erinnern sie an die Tritonen des 78/79 n. Chr. errichteten Nymphäums des C. Laecanius Bassus60. Satyrn und Silene sind natürlich ein geeignetes Thema für die Theaterdekoration; freiplastisch treten sie zuerst an hellenistischen Theatern auf, ab der frühen Kaiserzeit auch in Friesen61. In der Dekoration des Pulpitum sind auch die auf Weinschläuchen gelagerten Satyrn und Silene beliebt62. In der vorläufig abschließenden Publikation des Theaters in den „Forschungen in Ephesos“ 1912 hat G. Niemann, der beim Erscheinen des Bandes bereits verstorben war, nur peripher zur Anbringung des Erotenfrieses Stellung genommen und verweist auf die zu erwartende Publikation der Skulpturen63. In seinen Skizzen hat er drei Varianten vorgeschlagen: In einer ersten sind die Platten in der Wand über den Türen des Untergeschosses unter dem Architrav angebracht64, in einer zweiten in den zurückspringenden Nischen des mittleren Geschosses unter einer kassettierten Tonne65. In einer dritten Variante wurde der Fries in einer rekonstruierten Sockelzone des mittleren Geschosses angeordnet. Der letzten Variante steht Niemann besonders kritisch gegenüber, da nach seinem Empfinden dadurch der Sockel zu weit ausladen würde und gegenüber dem niedrigen Postament darüber und den Ordnungen der Ädikulen im Mittelgeschoß plump wirke66. Dem widerspricht H. Hörmann in seiner Rekonstruktion der Bühnenfassade und konstatiert, dass nur eine Anordnung im Sockel des mittleren Geschosses sinnvoll sei67. A. Öztürk hat die Neubearbeitung der ephesischen scaenae frons übernommen und ist dabei dem Vorschlag Hörmanns gefolgt68. In vorläufigen Berichten und Zeichnungen ist der Fries wieder im mittleren der drei Geschosse angeordnet (Abb. 17). In Öztürks Rekonstruktion springt die Sockelzone dieses Geschosses in acht Verkröpfungen vor, um die darüber angeordneten Ädikulen zu tragen. Die Fragmente des Frieses lassen wie erwähnt bisher auf eine Mindestzahl von acht Platten mit gelagerten Satyrn schließen. Es ist verlockend, diese Figuren, von denen je vier nach links und vier nach rechts orientiert sind, mit diesen acht Vorsprüngen zu assoziieren. Die Satyrn wären so buchstäblich aus der Szenenabfolge herausgehoben, während an den schmalen, nach hinten verkröpfenden Wangen und den Sockelbereichen in der Ebene der Rückwand die Szenen der Erotenjagd unterzubringen wären. Die Friesplatten selbst weisen kaum technische Anschlüsse auf, die einen Hinweis auf die Position und Anbringung geben könnten. Bei den Friesteilen handelt es sich um nur wenige Zentimeter dicke Platten, die daher nicht in einem Mauerverband versetzt gewesen sein können, sondern der eigentlich tragenden Architektur vorgeblendet waren (Abb. 18). Die Sockelzone ist mit einem Fußprofil zu rekonstruieren, über dem die Werksteine der eigentlich tragenden Wand aufgeschichtet wurden. Vor diese wurden die Platten auf das Fußprofil aufgesetzt. Bekrönt wurden Werksteine der Mauer und Friesplatten von einem Kopfprofil, das zweifellos über die Reliefplatten kragte, auf diesen aber nicht aufgelegen haben kann. Die schmalen Platten hätten einem et57 Vatikan: Amelung 1903, 49 f. Nr. 36 Taf. 5; Sammlung Milles: Andrén 1965, 101 f. Nr. 19 Taf. 23. 58 Vgl. zwei Statuen im Museo Nuovo: Mustilli 1939, 64 Nr. 4 Taf. 41, 168; 165 Nr. 14 Taf. 106, 403. 59 Quatember 2011, 71 Kat. 7 Taf. 120, 1–2. 60 Vgl. Aurenhammer 1990, 108 Nr. 88–91 Taf. 62– 64; zur Ausstattung des Nymphäums: Rathmayr 2011, 130–149. 61 Schwingenstein 1977, 35–42; Fuchs 1987, 132 f.
135; Lindner 1994, 104. 62 Schwingenstein 1977, 37; Fuchs 1987, 77 f. A V 1.2; 89 A V 1.2; 142 Taf. 29, 1.2; 33, 3.4. 63 G. Niemann in Heberdey u. a. 1912, 93 f. 64 Heberdey u. a. 1912, Taf. 7. 65 Heberdey u. a. 1912, Taf. 8. 66 G. Niemann in Heberdey u. a. 1912, 94 Abb. 191. 67 Hörmann 1923/24, 294. 320–322. 68 Öztürk 2006; Öztürk 2010.
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Der Eroten-/Satyrfries vom Theater in Ephesos
waigen Druck durch das Gewicht der Kopfprofile nicht standhalten können; auch sind die Oberlager der Reliefplatten zwar sorgfältig gearbeitet, keineswegs aber so exakt zugerichtet, dass ein Werkstein hätte plan auf liegen können. In der Konstruktion vergleichbar sind die Platten des schon erwähnten Erotenfrieses des Theaters von Milet69. Die Reliefplatten in Milet wurden aus Spolien hergestellt: Die etwa 25– 40 cm dicken Platten sind dabei zweifellos tragfähiger als die ephesischen Platten. In der Rekonstruktion von Altenhöfer war der Fries als Attikazone der Halle an der Außenseite des Bühnengebäudes aufgestellt und hatte so kein Gewicht zu tragen70. Im Gegensatz dazu ist der Erotenjagdfries von der Akropolis in Metropolis, der außerhalb seines primären Bauzusammenhangs gefunden worden ist, ein konstruktiver Friesblock, dessen wenig tiefes Relief die sichtbare Vorderseite des massiven Bauteils dekoriert71. Fast alle Rückseiten der Friesplatten weisen als einzige Bearbeitungsspuren die Rillen einer Säge auf, meist verlaufen diese horizontal (Abb. 19). Am unteren Rand der Platte blieb der für gesägte Platten charakteristische Bruchsteg stehen, jene wenigen Zentimeter, die nicht mehr gesägt werden konnten sondern gebrochen werden mussten 72. Nur wenige Rückseiten waren hingegen grob gespitzt. Diese Zurichtung der Rückseiten lässt nicht erkennen, ob die Platten mittels Mörtel an der Rückwand gehalten worden sind. Wahrscheinlich wurden lediglich Metallhaken an den oberen Kanten der Platten gesetzt, die ein Herauskippen der Friesblöcke verhindert haben. Nur in zwei Reliefplatten sind Klammerbettungen eingearbeitet (Abb. 2. 5. 18). In beiden erhaltenen Fällen liegen diese auf der Vorderseite der Platten am linken Rand. Wahrscheinlich sind diese Stoßfugen jeweils an eine Verkröpfung der Sockelzone angestoßen. Die Klammern hätten damit in Verlängerung der Platte in das Mauerwerk eingegriffen. An der schmalsten erhaltenen Platte mit der Darstellung eines Baumes (Abb. 5) ist dies gut ablesbar: mit nur 36 cm Breite wird diese Platte eine der seitlichen Wangenflächen der verkröpften Sockelzone bedeckt haben. Das belegt auch das schräg abgearbeitete linke obere Eck der Platte, das wohl auf das Kopfprofil des hier umknickenden Sockels Rücksicht nehmen musste. Die beiden Klammerbettungen sind auf derselben Seite. Das lässt vermuten, dass diese Platte an einer vom Betrachter aus linken Seite einer vorkragenden Ädikula angebracht gewesen ist; die abgeschrägte Ecke kommt damit hinten an der Rückwand des Sockels zu liegen, die Klammern greifen dort in das Mauerwerk der Bühnenwand ein. Die Klammerbettungen selbst können dabei nicht durch die nach links anschließende Platte des Frieses verdeckt gewesen sein, da sie zu weit in das Bildfeld hineinragen. Die Tatsache, dass die Reliefplatten der eigentlich tragenden Architektur nur vorgeblendet sind, bestätigt, was für die Herstellung eines solchen Frieses ohnedies anzunehmen ist: Derart hochqualitative Reliefs wurden in einer Werkstatt gearbeitet und erst fertig am Bau versetzt. Zum anderen ist diese Beobachtung auch chronologisch relevant. Die Reliefplatten müssen aufgrund der technischen Zurichtung nicht gleichzeitig wie die Architektur der Bühnenwand hergestellt und versetzt worden sein. Eine Zeitstellung in spätflavisch-traianischer Zeit, wie oben angedacht, ist damit jedenfalls möglich, die Einweihung der Bühnenwand 85/86 n. Chr. (s. oben) ist nicht zwingend auch ein terminus ante/ad quem für die Reliefs. Es wäre denkbar, dass gerade dieser hochqualitative Fries erst nach der Fertigstellung der scaenae frons selbst angebracht worden ist, wie ja auch andere Abschnitte des Theaters, wie schon erwähnt, erst in den 90 er Jahren und zu Beginn des 2. Jh.s n. Chr. fertig gestellt worden sind. Den Autoren bleibt im Rahmen des Projekts insbesondere noch die Aufgabe, Überlegungen zur Komposition des Erotenfrieses anzustellen, soweit das angesichts des fragmentarischen 69 Altenhöfer – Bol 1989, 17–47; Bol 2011, 148–152. 70 Altenhöfer – Bol 1989, 19 Abb. 1. S. 27 Abb. 1. 7 1 Aybek u. a. 2009; 72; Aybek 2009, 121 f. Nr. 246– 248 Taf. 62.
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72 Zur Technik des Zersägens von Steinblöcken mit Metallsägen vgl. Seigne 2000; Mangartz 2010, bes. 1–5. 21 f. 26 f.
Maria Aurenhammer – Georg A. Plattner
Zustands möglich ist. Es kann jedenfalls festgehalten werden, dass der Fries zum Qualitätsvollsten gehört, was sich an Plastik in Ephesos gefunden hat. Die Reliefs können in dieser Hinsicht in eine Reihe mit den Porträts oder den Skulpturenausstattungen der Gymnasien wie dem Vediusgymnasium73 gestellt werden. Abbildungsnachweis Abb. 17: nach Öztürk 2010, 334 Abb. 5 alle übrigen Abb. © Kunsthistorisches Museum, Wien Bibliographie Altenhöfer – Bol 1989
E. Altenhöfer – R. Bol, Der Eroten-Jagdfries des Theaters von Milet, IstMitt 39, 1989, 17–47 Amelung 1903 W. Amelung, Die Skulpturen des vatikanischen Museums I (Berlin 1903) Amici 1991 C. M. Amici, Il foro di Cesare (Florenz 1991) Andreae 1980 B. Andreae, Die römischen Jagdsarkophage, ASR I 2 (Berlin 1980) Andrén 1965 A. Andrén, Greek and Roman Marbles in the Carl Milles Collection, OpRom 5, 1965, 75–117 Atik 2000 N. Atik, Die Bauornamentik der Bühnenfassade des Theaters von Perge, AA 2000, 317 f. Auinger 2011 J. Auinger, Kaisersaal versus „Kaisersaal“. Zur Funktion der „Kaisersäle“ in den ephesischen Thermen, in: F. D’Andria – I. Romeo (Hrsg.), Roman Sculpture in Asia Minor. JRA Suppl. 80 (Portsmouth, Rhode Island 2011) 117–129 Auinger – Rathmayr 2007 J. Auinger – E. Rathmayr, Zur spätantiken Statuenausstattung der Thermen und Nymphäen in Ephesos, in: F. A. Bauer – Ch. Witschel (Hrsg.), Statuen in der Spätantike (Wiesbaden 2007) 237–269 Aurenhammer 1990 M. Aurenhammer, Die Skulpturen von Ephesos. FiE X 1 (Wien 1990) Aurenhammer in Druckvorbereitung M. Aurenhammer, Skulpturen aus Marmor und Bronze, Inventar aus Marmor: Funde 1993–2009, in: F. Krinzinger – P. Ruggendorfer (Hrsg.), Das Theater von Ephesos. Archäologischer Befund, Funde und Chronologie. FiE (in Druckvorbereitung) Aybek 2009 S. Aybek, Metropolis İonia I. Heykel (Istanbul 2009) Aybek u. a. 2009 S. Aybek – A. E. Meriç – A. K. Özbek, Metropolis. A Mother Goddess City in Ionia (Istanbul 2009) Barringer 2001 J. M. Barringer, The Hunt in Ancient Greece (Baltimore 2001) Bianchi 2008 E. Bianchi, Il foro di Cesare tra Domiziano e l’età tardoantica, in: G. Gentili (Hrsg.), Giulio Cesare. L’uomo, le imprese, il mito (Mailand 2008) 55–56 Bianchi 2009 E. Bianchi, Il foro di Cesare tra Domiziano e l’età tardoantica, Forma Urbis 14, 2009, 36–41 Bianchi 2010 E. Bianchi, L’opus latericium nel Foro di Cesare. Nuovi dati e osservazioni per le fasi costruttive del II e IV secolo d.C., ScAnt 16, 2010, 379–391 Bol 2011 R. Bol, Funde aus Milet 2. Marmorskulpturen der römischen Kaiserzeit aus Milet. Milet V 2 (Berlin 2011) Burrell 2004 B. Burrell, Neokoroi. Greek Cities and Roman Emperors, Cincinnati Classical Studies 9 (Leiden 2004) 62–66 Conti 1970 G. Conti, Decorazione architettonica della „Piazza d’Oro“ a Villa Adriana (Rom 1970) de Bernardi Ferrero 2007 D. de Bernardi Ferrero, Il teatro di Hierapolis, in: D. de Bernardi Ferrero – G. Ciotta – P. Pensabene (Hrsg.), Il teatro di Hierapolis di Frigia (Genua 2007) 17–228 Dorl-Klingenschmid 2001 C. Dorl-Klingenschmid, Prunkbrunnen in kleinasiatischen Städten, Studien zur antiken Stadt 7 (München 2001) Eichler 1956–58 F. Eichler, Eine neue Amazone und andere Skulpturen aus dem Theater von Ephesos, ÖJh 43, 1956–58, 7–18
73 Vgl. zuletzt Auinger 2011.
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Der Eroten-/Satyrfries vom Theater in Ephesos Fleischer 1984 Floriani 1948 Fuchs 1987 Fornasier 2001 Grüßinger 2011
Heberdey u. a. 1912 Hörmann 1923/24 IvE Koch 1975 Köster 2004 Lindner 1994 Maisto – Vitti 2009 Mandel 2007
Mangartz 2010 Matz 1958 Milella 2007 Milella 2010 Mustilli 1939 Muth 1999
Oberleitner 1994 Oberleitner 2009 Oberleitner u. a. 1978 Öztürk 2006 Öztürk 2009 Öztürk 2010
Pensabene 2007
Pinna Caboni 2008
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Der Eroten-/Satyrfries vom Theater in Ephesos
Abb. 1: Ephesos, Erotenfries: Jagende Eroten (Inv.-Nr. I 1906)
Abb. 3: Eroten auf der Löwenjagd (Inv.-Nr. I 820)
Abb. 4: Eroten auf der Löwenjagd (Inv.-Nr. I 821)
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Abb. 2: Jagdhund (Inv.-Nr. I 1916)
Maria Aurenhammer – Georg A. Plattner
Abb. 6: Kopf eines Steinbocks (Inv.Nr. I 1929)
Abb. 7: Fliehender Hase (Inv.-Nr. I 2076)
Abb. 5: Baum (Inv.-Nr. I 1960)
Abb. 8: Löwin, gefangen in einer Schlinge (Inv.-Nr. I 1923)
Abb. 9: Jagender Eros (Inv.-Nr. I 1907)
Abb. 10: Eros erlegt ein Wildschwein (Inv.-Nr. I 1905)
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Der Eroten-/Satyrfries vom Theater in Ephesos
Abb. 11: Abtransport eines erlegten Hirsches (Inv.-Nr. I 1538)
Abb. 12: Abtransport von Jagdbeute auf einem Wagen (Inv.-Nr. I 819)
Abb. 13: Eros trinkt aus einem Kantharos (Inv.-Nr. I 1913)
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Abb. 14: Stufen eines Tempels und Brandaltar (Inv.Nr. I 1912)
Maria Aurenhammer – Georg A. Plattner
Abb. 15: Gelagerter Satyr (Inv.-Nr. I 2088, mit Gipsabguss der Fragmente London Inv.-Nr. 1249 und 1252.2)
Abb. 16: Gelagerter Satyr (Inv.-Nr. I 2090, mit Gipsabguss des Fragments London Inv.-Nr. 1248)
Abb. 17: Ephesos, Theater: Schematische Rekonstruktion der scaenae frons nach A. Öztürk, in Grau die vermutete Position des Frieses im mittleren Geschoß
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Der Eroten-/Satyrfries vom Theater in Ephesos
Abb. 18: Friesplatte: Zurichtung der Platte und Klammerbettung (Inv.-Nr. I 1916)
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Abb. 19: Rückseite der Platte Inv.-Nr. I 1939: horizontale Sägespuren und Bruchsteg am unteren Rand der Platte
Der sog. Rundmühle auf der Spur – Zug um Zug zur Neudeutung römischer Radmuster Claudia-Maria Behling Thema dieses Beitrages sind radförmige Ritzungen, deren Auftreten an verschiedenen Stätten des Römischen Reiches zu beobachten ist1. Zumeist bestehen sie aus einem Kreis, welcher durch vier Diagonalen in acht spitzwinkelige Felder unterteilt ist. Gemäß der langläufigen Meinung werden diese Räder als sogenannte „Rundmühle“ interpretiert, bei der es sich um eine runde Variante des Mühlespiels handeln soll. Den Anstoß zu dieser Bezeichnung gab Carl Blümlein, der als erster derartige Zeichen mit Bemerkungen Ovids verband2. Die ovidischen Stellen berichten3, dass, nachdem man drei Steine auf das Brett gelegt hat, man diese zu einer Reihe verbinden solle, um das Spiel zu gewinnen. Zahlreiche Wissenschaftler nahmen Blümleins These auf, sodass die „Rundmühle“ zum anerkannten römischen Kinderspiel mutierte. Darüber hinaus festigten Besucherführungen in archäologischen Parks, populärwissenschaftliche Literatur und Repliken in Museumsshops die Auffassung, Blümleins Interpretation wäre korrekt4. Im praktischen Versuch zeigt sich jedoch, dass die Kreismuster für die Bespielung mit dem Mühlespiel ungeeignet sind. Die „Mühle“ ist ausschließlich mittels Besetzung des Kreismittelpunktes zu erreichen, sodass der beginnende Spieler (Spieler 1) seinen ersten Stein zwangsläufig exakt dort platzieren wird5. Der Gegner (Spieler 2) kann demnach lediglich reagieren und versuchen Ersteren einzukesseln, um zu gewinnen (Abb. 1). Beim Besetzen der Felder muss Spieler 1 darauf achten, dass er den dritten Stein nicht direkt neben seinen legt. Der dritte Stein muss also unbedingt von zwei gegnerischen Steinen eingeschlossen sein, da es sonst umgehend zu einer Blockade kommt. Dennoch wird Spieler 2 seine Steine so bewegen, dass er die beiden Steine am Außenkreis einschließt (Abb. 2). Nun muss Spieler 1 das Mittelfeld aufgeben und auf eines der beiden freien Felder ziehen, die nebeneinander liegen. Darauf hin zieht zwar Spieler 2 seinen Stein in die Mitte, jedoch ergibt sich daraus wieder die gleiche Sachlage. Nach wenigen Partien hat jeder die Spieltaktik durchschaut, sodass immer wieder die gleiche Pattsituation entsteht. Der eigentliche Unterhaltungswert des Spieles wäre dementsprechend gering. Diese Tatsache wurde mit der Unterstellung gerechtfertigt, es würde sich um ein Kinderspiel handeln6. Doch auch für Kinder ist der Spaß endenwollend. Es ist daher anzunehmen, dass Ovids Spielbeschreibungen in Wirklichkeit die normale „Mühle“ meinen, welche aus einem quadratischen Feld besteht. Dort ist der Spaßfaktor durch die Möglichkeit einer „Mühlenbildung“ an den jeweiligen Quadratseiten 1 Dieser Artikel stellt eine erweiterte Version eines Vortrages dar, der 2011 auf dem XIV th Board Game Studies Colloquium in Brügge vor ludophilem Publikum präsentiert wurde; vgl. Behling in Druck. Der Beitrag dieses Bandes zielt darauf ab, die archäologische Fachwelt zu erreichen. 2 Blümlein 1918, 101 f. Abb. 320 a–d. 3 Parva sit ut ternis instructa tabella lapillis, in qua vicisse est continuasse suos; Ov. trist. 2, 481 f. (Hall 1995, 81); parva tabella capit ternos utrimque lapillos, in qua vicisse est continuasse suos; Ov. ars 3, 365 f. (Ramírez de Verger 2003, 241). 4 Z. B. Murray 1952, 18 f. mit Anm. 3 und Abb. 7 B; Murray 1962, 614; Rieche 1984, 21; Rieche 1986, 46. 88; Salza Prina Ricotti 1995, 99 f. Abb. 74 b. 75; Fittà 1998, 162 Abb. 266; 164–166 Abb. 269–274; „Rundmühlen“
persönlich gesehen in den Souvenirshops der archäologischen Parks in Xanten (Deutschland), Wien und Carnuntum (Österreich); vgl. auch (18.07.2012). 5 Setzte der Beginnende seinen Stein nicht in die Mitte, würde er in die Rolle des im Folgenden als Spieler 2 Bezeichneten schlüpfen. Ferner ist meine frühere Annahme, man könne den Spieler nicht zwingen, seinen Stein aus der Mitte zu ziehen (Behling 2012 und Behling in Druck) zu korrigieren. 6 Zur Untermauerung wird oftmals als Vergleich das Spielebuch König Alfons X. vorgebracht, wo Kinder beim Mühlespiel zu sehen sind, vgl. Schädler – Calvo 2009, 295 f.
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Der sog. Rundmühle auf der Spur – Zug um Zug zur Neudeutung römischer Radmuster
und deren Verbindungen gegeben. Demnach ist Blümleins Identifikation als falsch anzusehen. Daraus ergibt sich jedoch die Frage, worum es sich denn dann bei diesen Ritzungen handle. Zur Verbreitung dieser Objekte ist zu sagen, dass noch keine vollständige Fundaufnahme existiert. Den Grundstein zur Erfassung von Ritzungen verschiedenster Form legten Robert Bell und Charlotte Roueché indem sie die „British Museum Working Typology“ erschufen, welche Zahlen und Buchstaben kombiniert 7. Diese ermöglicht die Erwähnung derartiger Zeichen in Grabungs- und Fundberichten ohne großen Aufwand und ohne den kostenintensiven Druck von Zeichnungen oder Fotografien. Lediglich durch die Nennung einer Buchstaben-Zahlen-Kombination ist dem Leser sofort klar, um welche Form es sich handelt. Ferner erarbeitet Ulrich Schädler in Verbindung mit dem Österreichischen Archäologischen Institut eine Kartierung von Spielbrettfunden im antiken Ephesos, welche mittels GPS-Daten exakt in das antike Straßennetz gesetzt werden8. Somit wird erstmalig ein gesamter Überblick dieser Muster eines Ortes vorliegen. Problematisch bleibt jedoch die Datierung dieser Objekte. Selbst bei ungestörten Komplexen, bei denen nachträgliches Einritzen durch Besucher auszuschließen ist, können Sekundärverwendungen und Translozierung zu Verfälschung der Ergebnisse führen. Nur die sukzessive Publikation ungestörter Komplexe in Kooperation mit der Bauforschung der Grabungskomplexe kann helfen, Zweifel an der Authentizität auszuräumen. Während eines Forschungsaufenthaltes an der Westküste Kleinasiens konnte ich einige dieser Ritzungen persönlich begutachten. Neben Aphrodisias waren der Apollontempel von Didyma und das antike Ephesos für das Studium der Kreismuster besonders ertragreich. Vor dem aphrodisischen Tetrapylon ist ein kleiner Bereich der antiken Hofpflasterung für die Besucher offengehalten und vom überwuchernden Gras befreit. Die Steinplatten sind übersäht von Kuhlenformationen, Gitter-, Quadrat- und Kreismustern. Manche davon sind unzweifelhaft als quadratische kleine Mühle und als ludus duodecim scriptorum zu identifizieren. Ähnliche Situationen sind im dortigen Theater, im Stadion und beim Sebasteion zu beobachten9. Eine konzentrierte Präsenz von rechteckigen, quadrat- und kreisförmigen Ritzungen ist auf dem Podium des Apollontempels von Didyma zu verzeichnen10. Analoge Beobachtungen treffen auf die ephesische Kuretenstraße sowie insbesondere auf die spätantike Arkadiane (Abb. 3) zu11. Abseits der gängigen Interpretation der Radmuster als „Rundmühle“ schlägt Roueché vor, diese Zeichen als „place marks“ zu verstehen, die bei Versammlungen Verwendung fanden12. Olaf Höckmann bezeichnet die Ritzungen am Apollontempel von Didyma als informelle Orakel und nicht als Spiele, obwohl er sich der zweifellosen Ansprache mancher als Spiele durchaus bewusst ist13. Die ansässige Bevölkerung vermutet in den Rädern christliche Zeichen, verkauft Schmuck und Magnete und malt sie vor die Eingänge ihrer Shops (Abb. 4–5). Sie versteht das achtspeichige Rad fälschlicherweise als Christogramm und kombiniert es mit dem Fisch (IXΘYΣ), welcher als Akronym für Iησούς Χριστός Θεού Υιός Σοτήρ als christliches Symbol gilt. Die Annahme einer symbolischen Wirkung der hier thematisierten Kreismuster ist nicht von der Hand zu weisen. Denn im Gegensatz zu den oftmals ungenau ausgeführten Gittermustern, Mühlen und ludus duodecim scriptorum-Spielen ist allen Kreismustern ihre korrekte Ausführung gemein. Sie wurden keinesfalls zufällig, in Eile irgendwo unmotiviert eingeritzt, sondern der Außenkreis ist immer korrekt mit einem Zirkel gezogen, was auf bewusste Anbringung schließen
7 Roueché 1993, 249–252; Bell – Roueché 2007. 8 Ich bedanke mich bei Ulrich Schädler (Schweizer Spielemuseum, La Tour-de-Peilz) für diese Information und zahlreiche Diskussionsanregungen. 9 Roueché 2007, 100–105; Chaniotis 2008, 201 Abb. 1; Behling in Druck, Abb. 1. 10 Höckmann 1996, bes. 252 Abb. 1 Taf. 44, 1–6; 45, 1–3; 46, 1–4; Bell 2007, 98 Nr. 1–3 C.4. S.3. R.2; Behling
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in Druck, Abb. 2. 1 1 Vgl. Höckmann 1996, 255 f. Taf. 45, 4; 47, 1–3; Roueché 1999, 167 f. Kat. 14. 16 Taf. 6, 3; Bell 2007, 98 Nr. 1–3 C.4. CCC.1. CCC.2. S.3. SSS.1. R.1. R.3. R.5; Behling in Druck, Abb. 3. 4. 12 Roueché 1999, 164; Roueché 2007, 100; vgl. auch Chaniotis 2008, 204. 207. 13 Höckmann 1996.
Claudia-Maria Behling
lässt. Sie weisen lediglich unterschiedliche Größen sowie Variantenreichtum in Bezug auf die Unterteilung sowie etwaige Dekorationen und Inschriften auf. Zusammenfassend ist zu bemerken, dass zwar die bisherigen Interpretationen in Frage gestellt wurden, eine Neuinterpretation der „Rundmühle“ aber noch aussteht. Es zeigte sich jedoch, dass sich ein Gutteil in nächster Umgebung zu ludus duodecim scriptorum- und Mühle-Spielen befindet. Dementsprechend soll auch die Recherche nach einer Spielinterpretation fortgesetzt werden. Auf der Suche nach Vergleichsbeispielen wird man innerhalb der äußerst aufschlussreichen Spieleserie von Jacques Stella (17. Jh.) fündig, in welcher Kinder bei der Ausübung verschiedener Spiele zu sehen sind14. Drei Knaben stehen vor einem am Boden aufgemalten Quadrat (Abb. 6), das durch Binnenlinien in acht Teile separiert wird. Einer der Knaben ist in Wurfstellung gegangen und hält ein Steinchen in der Hand. Das Ziel des Spieles wird durch den die Illustration begleitenden Reim deutlich: Beim „franc du quareau“, in der englischen Edition „avoid-the-square“ genannt, sollten die geworfenen Steine keine der aufgezeichneten Linien berühren. Könnte es sich hierbei um eine quadratische Variante der Radmuster handeln ? Um dieser Frage nachzugehen sind zwei Werke des 16. Jahrhunderts äußerst hilfreich. In François Rabelais Roman über den Riesen Gargantua gibt sich dieser einem Zeitvertreib namens „franc du quarreau“ hin, welchen Johann Fischart in seiner „Geschichtsklitterung“ als „des freien Karrens“ ins Deutsche überträgt15. In den Kommentaren zu den beiden Werken wird der Spielverlauf deutlich gemacht, bei dem ein Kreis, zuweilen auch ein Viereck, auf den Boden gemalt und durch Diagonalen unterteilt wird. Anschließend schnippt man ein Geldstück oder auch eine Nuss in dessen Richtung, weshalb das Spiel im Elsass des 19. Jahrhunderts unter dem Namen „Pfennjeles“ oder auch „Nusswerfen“ bekannt war. In der Variante namens „Geldspickerles“ versucht man durch einen weiteren, gezielten Wurf bereits zum Erliegen gekommene Geldstücke wieder hinauszudrängen und diese so in seinen Besitz zu bekommen16. Charles Esmangart und Éloi Johanneau weisen ausdrücklich darauf hin, dass „franc du quarreau“ aufgrund seiner Form leicht mit dem Mühlespiel verwechselt werden kann, wie es offenbar auch Jacob Le Duchat erging17. Im Gegensatz zur Mühle werden die Linien aber nicht bespielt, sondern man versucht Berührungen durch das Wurfobjekt zu vermeiden. In Henry René d’Allemagnes Spielebuch ist von zahlreichen Kugelspielen die Rede, welche mit Stichen illustriert sind, auf denen manche Kinder vor einer Kreisform knien und versuchen, Kugeln hineinzuschießen18. Die nachantiken Quellen sprechen somit von einem Spiel, für welches sich die radförmigen Ritzungen durchaus eignen würden. Die grundsätzliche Beliebtheit von Wurfspielen unter römischen Kindern bezeugen das sog. nuces castellatae- und das Delta-Spiel19. Letzteres verglich Rolf Hurschmann mit dem griechischen ὢμιλλα20. Dieses erwähnen Pollux, Hesychios, Platon, Eupolis und das Lexikon Suida als Kinderspiel, bei dem man Walnüsse oder ähnliches in einen auf den Boden gemalten Kreis warf 21. Als Sieger ging jener hervor, dessen Steine innerhalb des Kreises verblieben. Bereits 1927 bezeichnete Hans Lamer Kreise mit Speichen vorsichtig als Variante des griechischen Spiels ὢμιλλα22. Aufgrund der häufig zu beobachtenden Langlebigkeit 14 Appelbaum 1969, Nr. 17. 1 5 Esmangart – Johanneau 1823, 406; in der deutschen Übersetzung als „Blebbers“ betitelt bei Weigand 1911, 74; – vgl. bei Fischart auch „Pfenning aus dem krais topfstechen, oder nuß werfen“: Alsleben 1891, 261. 266 Anm. 1; Schnabel 1969 a, 248. 253 Anm. 76; Schnabel 1969 b, 526 Anm. 76. 16 Esmangart – Johanneau 1823, 409 Anm. 56; Rausch 1908 a, 64. 125; Rausch 1908 b, 12 f. 73. 17 Le Duchat 1711, 141 Anm. 29; Esmangart – Johanneau 1823, 409 Anm. 56. 18 D’Allemagne o. J., 228 Abb.; 231 Abb. 19 Vgl. Ps. Ov. Nux 75 f. 81–84 (Rupprecht 1982, 4–
7); Marquardt 1886, 840; Becq de Fouquières 1873, 121 f.; Rieche 1984, 11; Rieche 1986, 88; Hurschmann 1998, 1005; Girisch 2007, 82–90; Behling in Druck. 20 Hurschmann 1998, 1005; zum griechischen Spiel vgl. Grasberger 1864, 65. 158; Vergleich bereits bei Marquardt 1886, 840 Anm. 4, und als das italienische Spiel „della campana“ identifiziert. 2 1 Poll. 9, 102 (Bethe 1931, 176); Hes. s. v. ὢμιλλα (Schmidt – Duft 1867, 1583); Pl. Ly. 206 d (Greene 1938, 457); Eupol. 288 (Kock 1880, 336); Suid. s. v. ὢμιλλαν (Bekker 1854, 1048); vgl. auch die Erklärung bei Liddell – Scott 1996, 2033 s. v. ὢμιλλαν. 22 Lamer 1927, 2005; vgl. auch eine Figurengruppe im
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Der sog. Rundmühle auf der Spur – Zug um Zug zur Neudeutung römischer Radmuster
und starken Verbreitung von Spielen ist meines Erachtens Lamers Theorie vollkommen zutreffend. Bei den Radmustern handelt es sich um Spielbretter, die für ὢμιλλα gedacht waren, welches bis vor kurzer Zeit noch ein übliches Kinderspiel namens „franc du qua(r)reau“, „Nussenwerfen“ und „Pfennjeles“ war. Gleichzeitig ist nicht auszuschließen, dass die Kreismuster zusätzlich mit einer apotropäischen Wirkung verknüpft waren, wie sie für Mühleritzungen des 13. bis 16. Jahrhunderts in den nördlichen Kalkalpen nachgewiesen wurde23. Eine Doppelnutzung ist durchaus denkbar, ruft man sich beispielsweise Astragale in Erinnerung, die sowohl bei Orakel als auch als Würfel beim Glücksspiel Anwendung fanden24. Unabhängig davon sollte die „Rundmühle“ jeden Wissenschaftler gemahnen, seine Quellen gründlich zu prüfen, bevor er ein Objekt mit einer vermeintlich endgültigen Interpretation verbindet. Endgültige Sicherheit, ob die hier vorgebrachte These zur Verwendung der Radmuster korrekt ist, wird wohl niemals bestehen. Anhand von früheren und späteren Belegen konnte jedoch erstmals ein profunder Vorschlag erbracht werden. Abbildungsnachweis Abb. 1–2: eigene Grafik Abb. 3–5: eigene Aufnahme 2010 Abb. 6: nach Appelbaum 1969, Nr. 17 Bibliographie Alsleben 1891
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66
1996 a; Berger 1996 b; eine eingeritzte Mühle auf einem Sarkophag: Schmidt – Fiedler 1990. 24 Vgl. Rieche 1984, 15; Ineichen 1996, 16. 62–65; Schädler 1996; auch heute noch von Kindern zur Wahrsagerei benutzt, siehe: Baran 1978, 434.
Claudia-Maria Behling Berger 1996 b
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Der sog. Rundmühle auf der Spur – Zug um Zug zur Neudeutung römischer Radmuster
Roueché 2007
Rupprecht 1982 Salza Prina Ricotti 1995 Schädler 1996 Schädler – Calvo 2009 Schmidt – Duft 1867 Schmidt – Fiedler 1990 Schnabel 1969 a
Schnabel 1969 b
Weigand 1911
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Claudia-Maria Behling
Abb. 1: Die einzige Möglichkeit, um den Gegner aus der Mitte zu locken und zu gewinnen (Einkesselungstaktik)
Abb. 2: Verhindern der Einkesselungstaktik durch Produzieren einer nach fünf Zügen sich permanent wiederholenden Pattsituation.
Abb. 3: Rad- und Gittermuster auf der Arkadiane, Ephesos
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Der sog. Rundmühle auf der Spur – Zug um Zug zur Neudeutung römischer Radmuster
Abb. 5: Straßenpflaster vor den Souvenirshops in Ephesos
Abb. 4: Magnet mit Fisch und Radmuster, gekauft bei einem Souvenirshop in Ephesos
Abb. 6: Kinder spielen „franc du quareau“, Mühle und Drachensteigen, Stich von J. Stella (17. Jh.)
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Das orientalische Bildmotiv der Gottheit auf dem Tier in der Ikonographie des minoischen Kreta* Fritz Blakolmer Das Motiv der Gottheit auf dem Rücken eines vierbeinigen Tieres oder Mischwesens sitzend oder stehend besitzt in der nahöstlichen Ikonographie eine lange Tradition und bildet eine in nahezu der gesamten Alten Welt weit verbreitete, langlebige und facettenreiche Bildformel zur Wiedergabe dominanter, überhöhter Figuren1. In der bronzezeitlichen Ägäis wurde der Motivtopos der Gottheit auf einem Podesttier jedoch nur sehr selten aufgegriffen. Er setzte sich im minoischmykenischen Bildrepertoire offensichtlich niemals durch, sondern blieb stets ein Fremdkörper und ist daher für uns verhältnismäßig klar als solcher erkennbar. Vor allem in Siegelbildern aus dem neupalastzeitlichen Kreta lassen sich Imitationen, Adaptionen, individuelle Varianten wie auch missverstandene Versionen der orientalischen Motivtypen der Gottheit auf einem Tier feststellen. Als Attributtier wurde etwa der ‚minoische Drache‘ als hybrides Wesen aus der orientalischen Bildkunst in die Ikonographie Kretas übernommen, der in Anlehnung an den sog. ‚babylonischen Drachen‘ oder Schlangen-Greif (Abb. 1) entstand 2. Auch in der minoischen Bildkunst können auf seinem Rücken Figuren reiten, die wir sicherlich als Gottheiten ansprechen dürfen. So reitet etwa auf Siegelabdrücken aus Agia Triada (Abb. 2) eine Frauenfigur mit erhobenen Händen und im minoischen Volantrock seitwärts auf dem langgestreckten Rücken des ‚minoischen Drachen‘3, wohingegen der Schlangen-Greif in seiner mesopotamischen Ursprungsregion meist als Träger männlicher Gottheiten fungiert4. Abdrücke auf neopalatialen Tonplomben aus Kato Zakros zeigen eine ungewöhnlich kleinformatige Frauenfigur auf dem hinteren Rücken eines Stieres mit gesenktem Kopf 5 (Abb. 3). Stiere in vergleichbarer Pose in altpalastzeitlichen Siegelbildern werden in der Forschung meist als grasende Rinder verstanden6, doch zog unlängst L. V. Watrous in Verbindung mit einem ähnlichen Bildmotiv aus Phaistos7 überzeugend den Vergleich mit dem Motiv des städtezerstörenden Bullen mit aggressiv gesenktem Kopf auf der ägyptischen Narmer-Palette8. Somit werden wir auf den Siegelabdrücken aus Kato Zakros in orientalisierender Bildvorstellung eine Göttin als Beherrscherin von und unterstützt durch den wilden, städtezerstörenden Bullen, den sie als Podesttier benutzt, verstehen dürfen. Dieses geradezu naiv kompilierte Bildmotiv verbindet mehrere ‚Orientalismen‘ miteinander, erweist sich letztendlich aber weder als minoisch noch als orientalisch und bleibt ein Einzelfall, der in dieser Form keinerlei Fortsetzung oder weitere Verbreitung in der minoischen Ikonographie fand. Als weiteres Beispiel präsentieren Siegelabdrücke aus Knossos eine Gottheit vor einem sitzenden Affen mit Papyrus9 (Abb. 4), ein kretisches Siegelbild, dessen orientalisierender Charak-
* Für die Durchsicht des Manuskriptes danke ich Hubert D. Szemethy. Zu einer umfangreicheren Version der hier präsentierten Überlegungen s. Blakolmer in Druck. 1 Malten 1928, bes. 98–115; Güterbock 1983, bes. 204–211; Winter 1983, 282 f. 450–455; Haas 1994, 530– 538 Abb. 72–75; Teeter 2002, 335–360; Schroer 2008, 42 f. 63 f. 2 Levi 1945, 270–280; Levi 1961, 49–58; Gill 1963, 1–12; Poursat 1976, 461–474; Crowley 1989, 54–57. 425; Palaiologou 1995, 195–199; Aruz 2008, 172 Abb. 337–
338; Phillips 2008, 211–213. 3 CMS II 6 Nr. 33. 4 Dazu Levi 1945, 279 f. 5 CMS II 7 Nr. 29. 6 Vgl. etwa Krzyszkowska 2010, 171 Abb. 17.1 c. 7 CMS II 5 Nr. 268. 8 Watrous 1998, 22; Watrous u. a. 2004, 272 f. Abb. 9.7. Vgl. Schroer – Keel 2005, 222 Nr. 122; S. 232–239 Nr. 132 f. 9 CMS II 8 Nr. 262.
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Das orientalische Bildmotiv der Gottheit auf dem Tier in der Ikonographie des minoischen Kreta
ter trotz stark divergierender Einordnungen in der Forschung außer Streit steht10. Für unsere Fragestellung nach der Gottheit auf einem Tier ist der noch in Resten erhaltene, gelagerte Felide im unteren Bereich des Siegelrundes insofern von Interesse, als er eine Ergänzung der Gottheit im Zentrum als auf seinem Rücken stehend oder sitzend wahrscheinlich macht, womit das Siegelbild im Grundschema etwa der Darstellung auf einem levantinischen Reliefblock aus Malatya sehr nahe kommt11 (Abb. 5). Bemerkenswert an diesem singulären Bildmotiv aus Knossos ist nicht nur die Komplexität seiner orientalisierenden Motivik sondern auch die Imitation des Darstellungsstils der tektonischen Schraffur, die gute Entsprechungen auf Zylindersiegeln des syro-palästinischen Raumes besitzt12. Mehrere Siegelbilder des minoischen Kreta zeigen eine wahrscheinlich göttliche Männerfigur in Begleitung eines Löwen13 (Abb. 6) und lehnen sich motivisch unzweifelhaft an orientalische Vorbilder an, wie die Ausstattung mit Tiara, hethitischem kleinformatigem Turmschild und anderen orientalischen Insignien nahelegt14. Anders als in der nahöstlichen Ikonographie wurde die übernatürliche Beherrschung des Raubtiers jedoch nicht durch das Darauf-Stehen ausgedrückt, sondern durch neben der Gottheit schreitende Begleittiere. Dies lässt vermuten, dass wir in den sehr individuellen und keineswegs standardisierten minoischen Beispielen des Motivs eines ‚Master of Lion‘ eine Art ‚ent-orientalisierte‘, in der göttlichen Dominanz abgeschwächte kretische Variante des fremden Bildmotivs des auf einem Raubtier stehenden Gottes vor uns haben. Die minoische Abneigung gegen Podesttiere äußert sich auch darin, dass selbst bei der Übernahme des nahöstlichen Göttermotivs des ‚Potnios Theron‘, der Tiere am Hinterbein emporhält und auf einem Attributtier stehend dargestellt ist (Abb. 7), in der Ägäis stets auf das Podesttier verzichtet wurde15 (Abb. 8). Diese und weitere Darstellungen von Gottheiten auf Tieren bilden punktuelle, improvisiert wirkende Belege für dieses Motiv in der bronzezeitlichen Ägäis, zeugen jedoch nicht von einer standardisiert angewandten Darstellungskonvention zur Kennzeichnung von Götterfiguren. Nahezu alle ägäischen Beispiele einer Gottheit auf einem Tier stammen aus der kretischen Neupalastzeit. Als Herkunftsregionen für die künstlerischen Anregungen lassen sich insbesondere das hethitische Kleinasien und die Levante fixieren; einzelne Beispiele könnten auch auf die mesopotamische sowie die ägyptische Bildkunst zurückgehen. Als Bildvorlagen dürften den minoischen Siegelschneidern Importstücke aus dem Orient, wie Zylindersiegel, Skarabäen, Statuetten und andere Objekte der Kleinkunst, gedient haben. Anders als im Nahen Osten beziehen sich die entsprechenden minoischen Motive fast durchwegs auf Gottheiten weiblichen Geschlechts16, und in keinem einzigen Fall lässt sich auf eine überhöhte Herrschergestalt schließen. Minoer waren Meister im Imitieren durch Improvisieren17, und der distanzierte Fremdcharakter wurde in der Regel beibehalten. Diese improvisierte, individuell orientalisierende Ikonographie macht es unwahrscheinlich, dass wir es hierbei mit konsistenten Gottheiten mit klar fixiertem theologischem Profil zu tun haben, die zu einem integralen Bestandteil des kretisch-minoischen Pantheon geworden wären18.
10 Younger 1979, 261 Anm. 13; Weingarten 1994, 155 mit Anm. 24; Aruz 2008, 173 Abb. 344–345; Phillips 2008, II, 84 Nr. 142. 1 1 Riemschneider 1955, 85 Taf. 44 oben. 12 Vgl. Schroer 2008, 74 f. Nr. 266–267; S. 78–83 Nr. 271–273, 275–278; S. 122–136 Nr. 328–332, 335, 337–350. 13 CMS I Nr. 223; II 3 Nr. 24, 27, 52, 329; II 6 Nr. 36; II 7 Nr. 27; II 8 Nr. 236, 237, 248; V Suppl. 1 A Nr. 173; V Suppl. 1B Nr. 58, 77; IX Nr. 114; X Nr. 135; XII Nr. 207. 14 Nilsson 1968, 354–356 Abb. 163–165; Marinatos
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2010, 168–171; Dubcová 2012, 31 f.; Blakolmer – Dubcová in Druck. 1 5 Müller 2000, 181–194; Barclay 2001, 373–386; Crowley 2010, 75–91, bes. Abb. 1, 21, 22 und 24. Zu altsyrischen Vorbildern dieses Motivs auf einem ‘Podesttier’ s. Cornelius 2004, 56 Taf. 44–45; Schroer 2008, 196 Nr. 425. 16 Dazu auch Barclay 2001, 378 f. 17 Vgl. bes. Warren 1997, 209–223; Warren 2005, 221–227; Panagiotopoulos 2004, bes. 39–44; Phillips 2006, 297–299; Phillips 2008, bes. 229 f. 18 Dazu auch Dubcová 2012, 33 f.
Fritz Blakolmer
Die in der Forschung oft betonten Ähnlichkeiten des ikonographischen Vokabulars in den Kulturregionen des östlichen Mittelmeerraumes während des 2. Jahrtausends v. Chr. sollten daher differenzierter betrachtet werden19 und auch das zuletzt von N. Marinatos umfangreich dargelegte Modell einer ‚ostmediterranen Koine‘ in den religiösen Vorstellungen greift wohl zu kurz20. Trotz oberflächlicher Ähnlichkeiten in Symbolik, ikonographischer Motivik und allgemeiner Bildsprache bestanden zumindest bei der bildlichen Definition von Gottheiten elementare Unterschiede zwischen dem minoischen Kreta und dem übrigen ostmediterranen Raum21, die eine Projektion nahöstlicher Symbolwerte auf entsprechende Motive in der Frühägäis gefährlich und fragwürdig erscheinen lassen. Im minoischen Kreta und in weiterer Folge in der gesamten bronzezeitlichen Ägäis blieben manche grundlegende Konzepte des orientalischen Göttermotivs stets distanzierte ‚exotische Fremdkörper‘ und fanden nur in marginalem Ausmaß tatsächlich Eingang in die Ikonographie.
Abbildungsnachweis Abb. 1: nach W. Orthmann, Der Alte Orient, PKG 14 (Berlin 1975) Abb. 137 a, Ausschnitt Abb. 2: nach CMS II 6 Nr. 33 Abb. 3: nach CMS II 7 Nr. 29 Abb. 4: nach CMS II 8 Nr. 262 Abb. 5: nach M. Riemschneider, Die Welt der Hethiter 2(Stuttgart 1955) Taf. 44 oben Abb. 6: nach CMS II 8 Nr. 237 Abb. 7: nach S. Schroer, Die Ikonographie Palästinas/Israels und der Alte Orient. Eine Religionsgeschichte in Bildern II. Die Mittelbronzezeit (Freiburg 2008) 197 Nr. 425 (Ausschnitt) Abb. 8: nach CMS V Suppl. 2 Nr. 113 Bibliographie Aruz 2008
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Marinatos 2010; s. ferner MacGillivray 2000, 150–153; Aruz 2008, 228. 2 1 Vgl. dazu auch Blakolmer – Dubcová in Druck.
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Das orientalische Bildmotiv der Gottheit auf dem Tier in der Ikonographie des minoischen Kreta Dubcová 2012
Evans 1928 Evans 1930 Evans 1935 Gill 1963 Güterbock 1983
Haas 1994 Krzyszkowska 2010
Levi 1945 Levi 1961 MacGillivray 2000
Malten 1928 Marinatos 2007
Marinatos 2009
Marinatos 2010 Müller 2000
Nilsson 1968 Otto 1987
Otto 2000
Palaiologou 1995
Panagiotopoulos 2004
Phillips 2006
Phillips 2008
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Warren 2005
Watrous 1998
Watrous u. a. 2004 Weingarten 1994 Winter 1983
Younger 1979
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Das orientalische Bildmotiv der Gottheit auf dem Tier in der Ikonographie des minoischen Kreta
Abb. 2: Siegelbild aus Agia Triada
Abb. 1: Zylindersiegel aus Kiš, Ashmolean Museum, Oxford
Abb. 3: Siegelbild aus Kato Zakros
Abb. 4: Siegelbild aus Knossos
Abb. 6: Siegelabdruck aus Knossos
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Abb. 5: Reliefblock aus Malatya
Abb. 7: Altsyrisches Zylindersiegel, Louvre, Paris
Abb. 8: Siegel aus Elateia
Die Rolle des Isis-Heiligtums in Savaria Andrea Csapláros – Tina Neuhauser – Ottó Sosztarits Das Isis-Heiligtum in Savaria (Abb. 1), in der ehemaligen römischen Provinz Pannonien, eines der größten Heiligtümer im Römischen Reich, spielte eine sehr wichtige Rolle im religiösen, staatlichen und privaten Leben. Ab dem Ende des 1. Jh.s n. Chr. wurde dieses Heiligtum südlich der Stadt1, an der Bernsteinstraße, an der sog. orientalischen Tempelstraße laut T. Szentléleky2, gebaut. Im 2. Jh. n. Chr. erreichte es seine größte bauliche Ausdehnung und bekam seine prachtvollste Ausstattung. Der gesamte Komplex nahm ein Gebiet von einer römischen Insula ein. Dieser Ausbau erfolgte sicher nicht nur über private Spender und städtische Unterstützung, sondern der römische Staat spielte dabei auch eine wichtige Rolle. In den mittelalterlichen Schriftquellen wird das Isis-Heiligtum in Savaria nicht erwähnt. Die archäologischen Forschungen begannen erst in der Mitte des 20. Jh.s. Es gab natürlich Hinweise, wie z. B. Erwähnungen von monumentalen Steinen, Funde etc., die das Interesse der Reisenden und Forscher bereits früh geweckt haben. Trotzdem war den Forschern in der zweiten Hälfte des 19. Jh.s nicht bewusst, als die wissenschaftlichen Forschungen im Bereich von Savaria begannen, dass es sich um einen so bedeutenden Isis-Tempelbezirk handelt. Daher war es mehr oder weniger eine archäologische Sensation, als im Jahre 1955 ein monumentales Gebäude, welches als Isis-Heiligtum interpretiert werden konnte, in Szombathely entdeckt wurde 3. Die Ausgrabungen im Bereich des Iseums, der Bernsteinstraße und östlich davon dauern, mit kleineren Unterbrechungen, bis heute an. Die Stadt Szombathely beantragte ein EU-Projekt für die Rekonstruktion der historischen Denkmäler der Stadt4. Dieses Projekt hat mehrere Unterprojekte und eines davon ist die Neurekonstruktion des Iseums gewesen. T. Mezős fertigte dazu die Rekonstruktionspläne für den Neubau an. Das Museum besitzt heute eine Ausstellungsfläche von 1000 m², in der die Empfangshalle, die Zellenreihe und der komplette Isis-Tempel mit dem Innenhof und dem Altar im modernen Stil für die BesucherInnen zugänglich gemacht wurde5. Im Jahre 1960 wurde bereits die erste nennenswerte Theorie von T. Szentléleky bezüglich der Erbauung des Tempels aufgestellt. Er war der erste Erforscher des Heiligtums und datierte die Erbauung des Iseums aufgrund topografischer Daten6 und des im Jahre 1867 aufgefundenen Steindenkmals7, das erstmals von V. Lipp publiziert wurde. In der Inschrift erscheinen der Name Romanus (vielleicht auch Rubrius Euporio bzw. Memmius Emerius[?]) in der Namensliste (Album), der von Lipp als religiöser Vorsteher der Isis-Gemeinde interpretiert wird, sowie weitere 83 Personen, in fünf Kurien eingeteilt, als Gemeindegründer. Die Inschrift wird in das Jahr 188 n. Chr. datiert (laut Fusciano et Silano II cos) und dieses Jahr somit auch als Gründungszeitpunkt des Heiligtums angenommen. Ein weiteres sehr wichtiges epigraphisches Denkmal stellt der Altar dar8, der von Tiberius Barbius Ti. f. Valens (pontifex und ehemaliger duumvir von Savaria) zu Ehren der Göttin Isis gestiftet wurde. Ti. Barbius Valens bekleidete ein hohes Amt. Er widmete den Altar nicht als Privatperson, da seine von ihm bekleideten Ämter auf dem Stein angeführt werden. Diese Tatsache 1 Szentléleky 1960, 9. – Nach dem heutigen Forschungsstand sind seine Angaben nicht mehr gültig vgl. Mladoniczki – Sosztarits 2009, 344–348. 2 Über die Tempelstraße in Bezug auf die Bernsteinstraße, T. Szentléleky Savaria Museum Régészeti Adettár (Savaria Mueum, Akten des archäologischen Archives) 368; vgl. Mladoniczki – Sosztarits 2009, 348.
3 Szentléleky 1957. 4 Rekonstruktion der Fassade: Mezős 2005, 111; vgl. Mráv 2002, 153. 5 Balázs u. a. 2013, 22. 6 Sosztarits 2010. 7 CIL III 4150 = RIU 22; vgl. Tóth 1992, 118–121. 8 Tóth 1992, 92–93.
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Die Rolle des Isis-Heiligtums in Savaria
und die Formel Isidi Augustae Sacrum (Abb. 2–3) weisen eindeutig darauf hin, dass der Altar nur in einem bereits existierenden Heiligtum aufgestellt werden konnte und somit der Kult in Savaria längst praktiziert wurde. Dieser Altar stellt nach heutigem Stand der Forschung das früheste epigraphische Denkmal des Isis-Kultes in Savaria dar. Bezüglich der Datierung des Altars gehen die Meinungen der Forscher auseinander; in den Aufzeichnungen von Szentléleky wird die Inschrift an das Ende des 1. Jh.s n. Chr. gestellt. Ebenso hält E. Tóth eine spätere Datierung als Ende des 1. Jh.s n. Chr. für unwahrscheinlich. Á. Szabó legte zuerst eine Datierung in der zweiten Hälfte des 2. Jh.s n. Chr. nahe9, schlägt aber nach seinen neuesten Erkenntnissen nun eine frühere Datierung in die erste Hälfte des 2. Jh.s n. Chr. vor. Nicht nur ist die Datierung sehr wichtig, sondern auch die Interpretation. Bereits Szentléleky brachte diesen Altar mit einem frühen Heiligtum in Verbindung – heute wissen wir, dass er mit seinen Vermutungen richtig lag. Die Fragen bezüglich der Erbauungszeit eines möglichen früheren Heiligtums bzw. die topografische Übereinstimmung des genannten Heiligtums aus Stein, das Szentléleky an das Ende des 2. Jh.s n. Chr. datiert, bzw. die Lokalisierung eines Heiligtums an einer anderen Stelle in der Stadt – oder deutlich weiter weg vom jetzigen Fundort – können bis heute nicht genau beantwortet werden. Die Annahmen von Szentléleky können nur anhand indirekter Angaben erschlossen werden. Er glaubte, dass das Gebiet des Iseums einst Sumpfgebiet war und man daher eine Bautätigkeit oder die Existenz eines Kultgebäudes in dieser frühen Phase, d. h. im 1. und 2. Jh. n. Chr., ausschließen kann. Die Errichtung des Tempels hatte er anhand der oben bereits erwähnten Theorien in das Jahr 188 n. Chr. datiert, den Umbau in die erste Hälfte des 3. Jh.s n. Chr. Aufgrund der stratigrafischen und topografischen Beweise der neuesten Forschungen kann inzwischen als gesichert gelten, dass die Umgebung des Iseums zum ältesten und dicht bewohnten Stadtgebiet von Savaria gehörte. Bestätigt wird diese Annahme durch die entscheidende Rolle der Bernsteinstraße im frühen Stadtleben und in der Siedlungsstruktur von Savaria. Die Existenz eines Kultplatzes im Bereich des später entstandenen Gebäudekomplexes während des 1. Jh.s n. Chr. lässt sich nur indirekt erschließen. Als wichtigste Beweise gelten bis heute die Wandmalereifragmente (Abb. 4) mit den Sistrum-Darstellungen10. Die Wandmalereien mit der Darstellung eines Sistrum, das als wichtigstes Attribut der Göttin Isis gilt, gehörten unmissverständlich zu einem Gebäude, das zum Isis-Kult gezählt werden kann. Die Wandmalereifragmente stammen aus einem aus Holz und Lehmziegeln erbauten Gebäude, welches in den ersten Jahrzehnten des 2. Jh.s n. Chr. abgerissen wurde. Im Zuge der Planierungsarbeiten nach dem Abriss des eben erwähnten Komplexes, gelangten diese Stücke unter die Erde. Ein weiteres wichtiges Argument liefern die in der letzten Zeit durchgeführten Forschungen in Bezug auf den sog. Barbius-Altar11. Sie weisen auf eine primäre Fundstelle im Bereich des Iseums oder in seiner engeren Umgebung hin. Dieses Gebiet war bis zur Auffindung des Altars im mittleren Drittel des 19. Jh.s unbebaut. Es ist unwahrscheinlich anzunehmen, dass das Objekt in der Neuzeit sekundär hingebracht wurde, d. h. man geht davon aus, dass es sich hier um die primäre Fundstelle des Altars handelt. Somit ist der Altar ein Beweis für ein frühes, bereits am Ende des 1. Jh.s n. Chr. existierendes Isis-Heiligtum, dessen Bereich teilweise mit dem später aus Stein erbauten Tempelbereich identisch war. Die oben erwähnte Theorie wird weiters auch von einem kleinen Steinfragment unterstützt, welches in einer später verfüllten Fundamentgrube eines Balkens, der zu einem Fachwerkgebäude gehörte, gefunden wurde. Während der archäologischen Untersuchungen wurde klar, dass sich nicht nur das frühe Heiligtum im Bereich des später aus Stein gebauten Kultgebäudes befand, sondern dass in einem Teil dieses Bereiches auch handwerkliche Tätigkeiten ausgeübt wurden. Die Werkstätten kann 9 Szabó 2006, 46–47. 10 Sosztarits 2003, 51; Sosztarits 2008, 132 bzw. 206. No. 149; Hódi 2012, 67–68 Abb. 10–12; Balázs u. a.
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2013, 32–33. 1 1 RIU 14 = CIL III 4256.
Andrea Csapláros – Tina Neuhauser – Ottó Sosztarits
man auf keinen Fall zu den Nebenräumen des Iseums zählen. Ein Teil der hier einst ausgeübten Tätigkeiten kann dem Textilhandwerk zugeordnet werden, neben Weben und Spinnen wurde nachweislich auch das Färben von Textilien als Lohnarbeit in der Insula, in der sich auch das frühe Iseum befand, durchgeführt. Die Funde des anderen Gewerbezweiges, die während der Ausgrabungen im Bereich des Heiligtums zum Vorschein kamen, deuten auf ein Metallhandwerk, vor allem auf Bronzeverarbeitung hin. Neben den hier ergrabenen Schmelzöfen wurden Schmelztiegel, Gussformen, halbfertige Objekte und Fehlgüsse, bzw. Rohmaterial, Schlacke und andere Werkstattabfälle (Abb. 5) gefunden. Die Werkstätten wurden nach der Mitte des 2. Jh.s n. Chr. nicht mehr benutzt; die Schmelzöfen wurden abgerissen und planiert. Die mit dem Werkstattabfall verfüllten Gruben werden von den Schichten des großen, aus Stein gebauten Iseums überlagert. Ab dieser Zeit befinden sich in diesem Areal ausschließlich nur mehr das Isis-Heiligtum und seine Nebengebäude (Sakristei, Priesterwohnungen, Schlafsäle für Pilger, Küche und Speisesaal etc.)12. Die meisten Befunde von Werkstätten kamen vor allem im Bereich der späteren Vorhalle bzw. südlich davon zum Vorschein. Damit wird bestätigt, dass der heilige Bezirk des Iseums am Ende des 1. Jh.s n. Chr. und im ersten Drittel des 2. Jh.s n. Chr. noch nicht bis zur Bernsteinstraße reichte. Kult und gewerbliche Tätigkeiten finden bis etwa zum mittleren Drittel des 2. Jh.s n. Chr. gleichzeitig statt. Dann wurde das Grundstück des frühen Isis-Heiligtums unter Einbindung der benachbarten Gebäude, die bis zu diesem Zeitpunkt für gewerbliche Tätigkeiten genutzt worden waren, vergrößert. Sie kamen entweder durch Kauf oder durch Spende in den Besitz der religiösen-kultischen Gemeinschaft der Tempelanlage. Die Zerstörung brachte Szentléleky eindeutig mit dem Erdbeben in Savaria vom 7. September 456 n. Chr. in Zusammenhang13. Auch die beiden umgestürzten Säulen des Heiligtums im Hofbereich erklärte er mit diesem Erdbeben. Weiteres sind die Funde über den umgefallenen Säulen – Grab Nr. 5 wird von ihm als langobardisch interpretiert – für ihn ein terminus ante quem des Zerfalls. Die Grabungen im Jahr 2001 ergaben jedoch, dass die Gräber im Bereich des Iseums sicher nicht in die Völkerwanderungszeit zu datieren sind, sondern gehören der spätrömischen Epoche von Savaria an und sind in die Mitte bzw. in die zweite Hälfte des 4. Jh.s n. Chr. zu datieren. Alles in allem konnte die Datierung des Zerfalls des Tempels mit Hilfe von zwei besonderen archäologischen Befundgruppen und deren Fundkomplexen festgestellt werden. Erstens spielt der Brunnen des Heiligtums dabei eine wichtige Rolle, zweitens sind die Funde eines an die nordwestliche Ecke des Gebäudekomplexes anschließenden Raumes, dessen Funktion bis heute nicht näher geklärt werden konnte, für die Datierung sehr wichtig. Während der archäologischen Untersuchungen konnten zahlreiche Brunnen innerhalb des Iseums ausgegraben werden. Einer der Brunnen gehört mit Sicherheit chronologisch und thematisch zum Bereich des Heiligtums14; er wurde im Herbst 2002 am östlichen Ende des südlichen, oberen Hofes des Tempels entdeckt. In diesem Bereich eines Heiligtums sind Brunnen wie z. B. auch in Pompei etc. keine Seltenheit. Drei voneinander sehr gut trennbare Fundgruppen kamen aus diesem Brunnen zum Vorschein. Die untersten Schichten bestätigten die Bauzeit des Brunnens, Anfang des 2. Jh.s n. Chr., darauf die bis zur späten Römerzeit nachweislichen Schichten. Und darüber befand sich eine sehr merkwürdige, aber nichtsdestoweniger einzigartige und besondere Fundgruppe, die mit der Verfüllung des Brunnens gleichgesetzt werden kann. Die Grube war verfüllt mit Schuttmaterial. Hier wurden die anthropologischen Überreste von 17 Personen, mehrere Gegenstände, die man als Beigaben aus dem 4. Jh. n. Chr. interpretieren kann, Marmorrelieffragmente, die von der Hauptfassade des Podiumstempels stammen und weitere Gebäudefragmente entdeckt. Die menschlichen Knochen und die anscheinend dazugehörigen Funde sind Reste vereinzelter Gräber, 12 Balázs u. a. 2013, 26–28. 13 Szentléleky 1960, 28.
14 Balázs 2012.
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Die Rolle des Isis-Heiligtums in Savaria
die im Iseum und in seiner Umgebung nach den 350 er Jahren angelegt wurden. Ein Teil dieser Bestattungen wurde nach ein paar Jahrzehnten exhumiert und mit den bereits abgerissenen Bauteilen des teilweise noch aufrecht stehenden Iseums in den Brunnen geworfen. Nach dem Ende der Benützung des Heiligtums und dem darauffolgenden schnellen und planmäßigen Abbau des Gebäudes kann man Bestattungen im Bereich des Iseums ab der Mitte des 4. Jh.s n. Chr. nachweisen15. Die oben erwähnte Datierung wird außer von den bereits erwähnten Funden aus dem Brunnen auch durch andere Fundstücke aus der nordwestlichen Ecke des Heiligtums unterstützt. Bei den Renovierungsarbeiten des Raumes, der an die westliche Abschlussmauer des Heiligtums anschließt, wurde Baumaterial des Isis-Heiligtums, welches bereits vom begonnen Abriss des Iseums stammte, verwendet. Die auf dem renovierten Terrazzoboden liegenden Münzen datieren diesen Umbau in die Zeit der konstantinischen Dynastie. Nach dem Zerfall des Gebäudes wurden Gräber ins planierte Schuttmaterial eingetieft; in diesen Gräbern befanden sich Bronzemünzen von Kaisern der valentinianischen Epoche. Aufgrund dieser archäologischen Befunde liegt es nahe, dass die Kulthandlungen im Iseum kurz nach der konstantinischen Wende auf hörten. Gleichzeitig oder kurz danach wurde mit dem systematischen Abriss der Tempelanlage begonnen. Manche Gebäudeteile des heiligen Bezirkes wurden einstweilen noch verschont, aber schon bald wurden auch diese zerstört und das Areal einige Jahrzehnte als Gräberfeld genutzt. Die letzte Phase der Zerstörung des Iseums kann mit dem Bau des Horreums im letzten Drittel des 4. Jh.s n. Chr. südlich des ehemaligen Iseums in Zusammenhang gebracht werden. Der Zeitpunkt des Abrisses und der Baus eines Getreidedepots mit einem Teil des Abbruchmaterials fällt mit dem von Ammianus Marcellinus beschriebenen Aufenthalt des Kaiser Valentinianus und dessen Begleiter im Jahre 375 n. Chr. in Savaria zusammen. Das Horreum war einer der letzten großen, archäologisch verifizierbaren, öffentlichen Bauten in Savaria. Ein Vergleich mit anderen Isis-Heiligtümern des Römischen Reiches wäre hilfreich und interessant für die weitere Erforschung des Iseums in Savaria. Die Architektur, die Fresken und weitere Funde des Isis-Heiligtums in Savaria sprechen für eine Verbindung und Einflüsse aus Italien. Es wäre daher interessant, das Heiligtum mit dem Iseum von Pompei zu vergleichen und außerdem die Restaurierungsarbeiten oder Rekonstruktionen der Neuzeit, die an den genannten IsisHeiligtümern stattgefunden haben, architektonisch zu untersuchen und gegenüberzustellen. So wurde z. B. das Iseum in Savaria sehr modern rekonstruiert. Der Vergleich der verschiedenen Rekonstruktionsversuche und Restaurierungsarbeiten in ausgewählten Isis-Heiligtümern wäre daher auch ein wichtiger zu behandelnder Punkt. Eine weitere Vergleichsmöglichkeit wäre eventuell auch das Iseum in Sabratha. Das Isis-Heiligtum in Sabratha, ein sehr gut erhaltenes Heiligtum, könnte man aufgrund der bautechnischen Elemente als Vergleich zum Iseum in Savaria und in Pompei sehr gut heranziehen. Als weitere Fragestellung könnte die Verbreitung des Isis-Kultes aus dem Orient über Italien nach Pannonien sein, sowie welche ideologische Hintergründe, welche Träger und welche finanziellen Mittel diese Verbreitung des Isis-Kultes ermöglicht haben. Abbildungsnachweis Abb. 1–5: © Iseum Savariense Bibliographie Balázs 2012 Balázs u. a. 2013 Hódi 2012 Mezős 2005
P. Balázs, A savariai Iseum kútja, Ókor 11.4, 2012, 69–75 P. Balázs – A. Csapláros – O. Sosztarits (Hrsg.), Isis-Tempel in Szombathely. Sistrum B. Nr. 1 (Szombathely 2013) A. Hódi, Apuleius Savariensis II, Ókor 11.4, 2012, 63–68 T. Mezős, Recent facts regarding the theoretical reconstruction of the Iseum in Szombathely, in: Aegyptus et Pannonia 2, Acta Simposii anno 2002 (Budapest 2005) 111–123
1 5 Balázs u. a. 2013, 44–47.
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Andrea Csapláros – Tina Neuhauser – Ottó Sosztarits Mladoniczki – Sosztarits 2009 R. Mladoniczki – O. Sosztarits, Die Strecke der Bernsteinstraße in Savaria, in: Ex officina … Studia in hohorem Dénes Gabler. Festschrift zum 70. Geburtstag von Dénes Gabler. (Győr 2009) 325–357 Mráv 2002 Zs. Mráv, A Ring Decorated with the Bust of Sarapis in the Collection of the Hungarian National Museum, in: Aegyptus et Pannonia 1. Acta Symposii anno 2000 (Budapest 2002) 147–162 RIU L. Bavkóczi – A. Mócsy (Hrsg.), Die römischen Inschriften Ungarns, 1. Savaria, Scarbantia und die Limes-Strecke Ad Flexum – Arrabona (Budapest 1972) Sosztarits 2003 O. Sosztarits, A savariai Iseum újraindított kutatásáról, Ókor 2.4, 2003, 51–54 Sosztarits 2008 O. Sosztarits, The Isis Sanctuary and the Relics of Egyptian Cults in Savaria I, in: F. Tiradritti (Hrsg.), Egyptian Renaissance (Budapest 2008) 128–133 Sosztarits 2010 O. Sosztarits, Evidenzen der Chronologie vom Iseum in Savaria, in: Aegyptus et Pannonia 4 (Budapest 2010) 145–154 Szabó 2006 A. Szabó, Pannoniciani Sacerdotes (Pécs 2006) Szentléleky 1957 T. Szentléleky, Előzetes jelentés a savariai Isis-szentély 1956. Èvi ásatásairól, Archaeológiai Értesítő 84, 1957, 78–79 Szentléleky 1960 T. Szentléleky, A szombathelyi Isis-szentély. Műemlékeink (Budapest 1960) Tóth 1992 E. Tóth, Savaria. Egy római colonia kialakulása a Borostyánkő út mentén, in: Kiss Gábor, Lapok Szombathely történetéből. 1–100. szám. PANNICVLVS Régiségtani Egylet (Szombathely 1992)
Abb. 1: Aussehen des Iseums heute nach der modernen Rekonstruktion von T. Mezős
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Die Rolle des Isis-Heiligtums in Savaria
Abb. 2: Rekonstruktion der Hauptinschrift von G. Alföldy
Abb. 3: Rekonstruktion der Hauptinschrift von Z. Mráv
Abb. 5: Abfälle, Gussformen und halbfertige Fibeln der ehemaligen Werkstätte im Bereich des Iseums
Abb. 4: Wandmalereien des frühen Iseums, die Göttin Isis mit Sistrum
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Eine archäologische Landschaft zur Römerzeit Das Jauntal Nina Dornig Das Jauntal, ein Teil des kärntner Drautals, erstreckt sich von der Vellach-Mündung bei Goritschach (östlich von Klagenfurt) weiter nach Osten bis zum Ort Schwabegg (westlich von Lavamünd) und bildet einen großen Teil des politischen Bezirks Völkermarkt. Auf Grund der geografischen Gegebenheiten, im Norden und Westen die Drau und im Süden die Karawanken und ihre Ausläufer, war das Jauntal bereits in der Antike ein klar abgegrenzter Kulturraum. Der Name des Gebiets geht zurück auf die römische Straßenstation Iuenna im Bereich der heutigen Ortschaft Globasnitz. Diese Siedlung ist namentlich ausschließlich auf der Tabula Peutingeriana belegt, welche angibt, dass Iuenna an der Straße, welche die norischen Städte Virunum und Celeia miteinander verband, lag. In der römischen Kaiserzeit gehörte Iuenna zum Verwaltungsgebiet von Virunum. Der Name der Ansiedlung geht auf eine vorrömische Gottheit zurück, deren Heiligtum auf dem 843 m hohen Hemmaberg anzusiedeln ist. Es handelt sich dabei um eine regional bedeutende keltische Stammesgottheit namens Iouenat bzw. Iovenat, welche auch in römischer Zeit noch einen hohen Stellenwert hatte. Dies zeigt sich vor allem in der Ableitung des Namens Iuenna vom Namen dieser Gottheit für die römerzeitliche Siedlung am Fuße des Hemmaberges. Inschriftlich belegt ist Iouenat nur einmal – auf einem am Hemmaberg zeitweise sekundär in einem Haus verbauten Votivaltar der römischen Kaiserzeit. Dieser wurde wohl der Gottheit im Heiligtum gestiftet. Durch die Ausgrabungen auf dem Plateau des Hemmabergs konnte festgestellt werden, dass das Heiligtum spätestens im 6. Jahrhundert zerstört worden ist, da in der auf die Zerstörung folgende Planierschicht Gräber des 6. Jahrhunderts eingetieft sind1. Bislang konnte noch nicht geklärt werden, ob es sich bei Iouenat um eine männliche oder um eine weibliche Gottheit handelt. Der erwähnte Kalksteinaltar mit einer Breite von 24 cm, einer Höhe von 36 cm und einer ungefähren Tiefe von 17 cm heute befindet sich in der Kirche auf dem Hemmaberg in einer kleinen Nische an der Nordwand der Baus, zuvor war er in der Gradischnig-Hube eingemauert. Die Witterung hat dem Stein stark zugesetzt, die erste Zeile ist noch gut lesbar, die übrige Inschrift ist aber kaum mehr zu erkennen. Die Inschrift lautet: Iouenat / Aug(usto) / Attia Ing [e] / nua v(otum) s(olvit) – Dem Iouenat Augustus hat Attia Ingenua das Gelübde eingelöst 2. In der zweiten Hälfte des 5. Jahrhunderts wurde die Siedlung Iuenna aufgelassen und die Bewohner zogen sich auf den geschützten Hemmaberg zurück3. Der Name der einstigen Siedlung lebte aber weiter: Er wird tradiert durch die seit dem Mittelalter (10. Jahrhundert) bestehende Bezeichnung Junotal und folglich Jauntal für die gesamte Region. Aus Iuenna entwickelte sich auch die Bezeichnung Ivnberch, die erstmals urkundlich 1106 belegt ist und schließlich die 1681 bezeugte Bezeichnung Jaunberg für den Hemmaberg. Auch der Name des Ortes Jaunstein (Podjuna – unter Iuenna) ist ein spätes Zeugnis der antiken Ansiedlung4. Eine solche Namenskontinuität ist in Noricum gehäuft südlich der Drau zu finden. Weitere Beispiele dafür sind Celeia (Celje, Cilli)5 und Meclaria (Maglern)6 – beide Ortsnamen reichen
1 Glaser 2011, 61–62. 2 Leitner 2007, 147; Glaser 1982, 42; Leber 1972, 124 (Nr. 233); Piccottini 1970, 281–282. 296–298; Singer 1938, 30; Egger 1916, 70–75; CIL III 14366 3 , Illpron 135. 3 Glaser 1982, 19.
4 Glaser 1982, 12–13; Kranzmayer 1958, s. v. Jaun bis Jauntal; Kranzmayer 1956, 26. 28. 31. 61; Egger 1916, 70. 73. 5 Vgl. Lazar 2002, 72. 6 Egger 1916, 93–104; vgl. Dolenz – Luik 2003.
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Eine archäologische Landschaft zur Römerzeit
wie Iuenna in vorrömische Zeit zurück. Auch der Name der an der Drau gelegen Stadt Poetovio (Ptuj, Pettau)7 hat ähnliche Wurzeln. Als Beispiel für einen Regionsnamen, der auf die Bezeichnung einer römischen Stadt zurück geht, kann das Friaul angeführt werden. Um 50 v. Chr. wurde die Stadt Forum Julii, das heutige Cividale, unter Julius Cäsar gegründet. Durch Lautverschiebung wurde aus Forum Julii das heutige Friaul8. Die älteste Nachricht zu altertumskundlichen Aktivitäten im Jauntal stammt vom Ende des 15. Jahrhunderts. Zwei Mönche aus Neapel bereisten Innerösterreich und nahmen antike Denkmäler auf. Durch sie ist auch eine Grabinschrift vom Fuße des Petzen Berges, ein Bergmassiv der Karawanken südlich der Stadt Bleiburg überliefert. Der genannte Fundort darf wohl auf Iuenna bezogen werden9. Eine erste Lokalisierung von Iuenna sowie einen zusammenfassenden Bericht lieferte 1838 M. F. von Jabornegg-Altenfels. In den folgenden Jahren findet Iuenna noch einige Male kurze Erwähnung in der Literatur; K. Hauser10 berichtet zum Beispiel von alten Mauerresten aus diesem Gebiet. Zahlreiche Altnachrichten von Funden können heute allerdings nicht mehr verifiziert werden. Einen bedeutenden Impuls in der Erforschung der Region setzte der Notar H. Winkler, der von 1906 bis zum Beginn des 1. Weltkriegs sowie in der Zwischenkriegszeit archäologische Ausgrabungen durchführte11. Grabungen fanden sowohl am Hemmaberg als auch westlich und östlich von Globasnitz statt. Auf dem Hemmaberg stellte Winkler zwei frühchristliche Kirchen fest, in Globasnitz legte er zur Ansiedlung Iuenna gehörige Wohnbauten und Gräber frei, in St. Stefan erforschte er Reste einer Badeanlage. Seine Ergebnisse wurden nie ausführlich von ihm publiziert, nur den reichen Münzschatzfund von Globasnitz aus dem Jahr 1946 veröffentlichte er selbst12. Als 1961 in Globasnitz Reste eines Tempels zu Tage kamen, rückte das Jauntal wieder vermehrt in das Blickfeld der Archäologen13. Seit dem Jahr 1978 werden in der Region unter der Leitung von F. Glaser regelmäßig Ausgrabungen durchgeführt14. Zusätzlich erbrachten die im Zuge des Koralmbahn-Trassenbaus erfolgten Voruntersuchungen im Bereich von Srejach 200915 und bei Kühnsdorf 2010 und 201116 weitere für das Jauntal wichtige römische Funde und Befunde. Bei genauerer Betrachtung der Verteilung der Funde und Befunde in der Region ist erkennbar, dass das Jauntal in römischer Zeit relativ dicht besiedelt war. Auffällig ist aber, wenn durch die Verteilung der zufällig getätigten Funde die Ergebnisse nicht verfälscht werden, dass damals wie heute das ausgedehnte Waldgebiet der Dobrowa nicht besiedelt war. Eine besondere Funddichte ergibt sich hingegen in der Gegend von Globasnitz – im Umkreis von Iuenna. Die Ausdehnung der römischen Siedlung wird im Ortsgebiet von Globasnitz und westlich davon angenommen17. Für die Lage der Siedlung spielte nicht nur die wichtige Straßenverbindung zwischen den römischen Städten Virunum und Celeia eine bedeutende Rolle, auch der Karawankenübergang (Luschasattel) südlich von Globasnitz war maßgeblich. Im Folgenden soll das Hauptaugenmerk auf den bisher im Jauntal gefundenen römischen Fibeln liegen. In Peratschitzen wurde 1959 ein römerzeitliches Brandgrab freigelegt. Neben Keramikgefäßen, einem Bronzearmreifen und einem Eisenmesser fanden sich zwei Bronzefibeln. Es handelt sich dabei um ein Paar kräftig profilierter Fibeln, deren Nadelhalter in Durchbruchstechnik verziert ist. Die Stücke unterscheiden sich durch ihre Größe18 und ihren Erhaltungszustand. Das Grab wird von H. Dolenz in die erste Hälfte des 1. Jahrhunderts datiert19. 7 Eichner u. a. 1994, 138–140. 8 Kranzmayer 1956, 22. 9 Glaser 1982, 7. 10 Hauser 1887 a, 138; Hauser 1887 b, 182–183. 1 1 Glaser 1982, 7–8. 12 Winkler 1950. 13 Piccottini 1970, 284–299; vgl. Glaser 1982, 8; Dolenz 1974, 89.
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14 Vgl. Forschungsgeschichte bei Glaser 1982, 7–8. 1 5 Siehe Barlovits u. a. 2011; Barlovits u. a. 2009. 16 Pohl 2011, 422. 17 Glaser 1982, 16. 18 Ein Exemplar ist 13,3 cm lang, die andere Fibel weist nur eine Länge von 12,5 cm auf. 19 Dolenz 1960, 625–630.
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Einen Einzelfund stellt eine sogenannte Einknotenfibel mit Stützplatte und gestrecktem Fuß20 dar, welche vom Fisteracker bei Iuenna stammt. Die Fibel besitzt eine eingliedrige Spiralkonstruktion, die durch die rechteckige Stützplatte geschützt wird. Der Bügel ist kräftig, rechtwinklig gebogen und weist einen halbrunden Querschnitt auf. Auf den einfachen Bügelknopf folgt ein sich verjüngender, gestreckter Fuß. Der Nadelhalter ist in Durchbruchstechnik mit gleichförmigen Kreisen verziert21. Ch. Gugel schlägt für diesen Fibeltyp eine Datierung in die flavische- bis trajanische Zeit vor22. Vom selben Acker stammt ein verbogenes Bügelfragment einer Bronzefibel (Abb. 1). Der Bügel verjüngt sich leicht zum Fuß hin. Der zum größten Teil abgebrochene Nadelhalter war in Durchbruchstechnik verziert. Eine genauere Einordnung der Fibel ist nicht möglich. Ein weiterer Zufallsfund vom Fisteracker ist eine kräftig profilierte Fibel mit eingliedriger Spiralkonstruktion und breiter Sehnenkappe (Abb. 2). Der s-förmig geschwungene Bügel weist einen einfach profilierten Bügelknopf auf, der beinahe von der Ausschweifung des Fibelkopfes berührt wird. Ein Teil des Fußes, des Nadelhalters und der Nadel sind abgebrochen. Der Nadelhalter weist mindestens ein Loch auf. Ein vergleichbares Stück aus Augst wird in domitianische Zeit datiert23. In der Katastralgemeinde Eberndorf wurden beim Aushub einer Grube zu einem römerzeitlichen Brandgrab gehörende Funde beobachtet. Unter ihnen befand sich auch eine norisch-pannonische Flügelfibel. Fibeln wie diese werden im Allgemeinen in die Zeit von ca. 100 bis zum dritten Viertel des 2. Jahrhunderts datiert. Die weiteren Funde aus diesem Grab erlauben eine Datierung der Grablege etwa an das Ende des 1. Jahrhunderts24. 1913 hat H. Winkler in der Katastralgemeinde St. Stefan (Parz. 927) römische Gräber freigelegt, von denen zwei wohl als kleine Grabhäuschen interpretiert werden können25. In Grab I fanden sich Glasflaschen, Glasbecher, Öllampen, Gürtelbeschläge, ein Spiegelgriff, einheimische Töpfe, eine Dreifußschale, ein Terra Sigillata-Schale und zwei Paare bronzener Fibeln (Abb. 3–4). Bei einer der zwei Flügelfibeln mit eingliedriger Spiralkonstruktion fehlen der Fuß mit dem Nadelhalter, Teile der Flügel, die Hälfte der Spirale sowie die Nadel (Abb. 3). Die Unterkante des Bügels ist mit einer Reihe von punktförmigen Vertiefungen zwischen zwei Linien verziert. Die Spiralkappe ist von einem Wellenmuster geziert. Die fragmentiert vorhandenen Flügel werden von Doppellinien in drei Dreiecke geteilt, die jeweils durch einen eingenieteten Knopf oder drei runde Punzen verziert werden. Die beiden Flügelfibeln unterscheiden sich durch den Erhaltungszustand und durch die Verzierung der Spiralkappe. Von der besser erhaltenen zweiten Flügelfibel (Abb. 4) fehlen der Fuß mit dem Nadelhalter, sowie Teile der Spirale und der Nadel. Den Fuß und die Flügel schmückt dieselbe Verzierung, die zuvor beschrieben wurde, die Spiralkappe weist hingegen ein Strichmuster auf. Datiert werden solche Fibeln in die Zeit von der Mitte des 1. Jahrhunderts bis zur Mitte des 2. Jahrhunderts. Bei dem zweiten Fibelpaar aus diesem Grab (Abb. 5–6) handelt es sich um zwei kräftig profilierte Fibeln vom Typ Jobst 4 B bzw. Almgren 68. Die beiden vollständig erhaltenen Exemplare sind identisch. Sie besitzen eine eingliedrige Spiralkonstruktion mit drahtförmigen Sehnenhaken, einen s-förmig geschwungenen Bügel mit zweifach profiliertem Bügelknopf und einen rundplastischen Fußknopf mit einem kleinen, aufragenden Enddorn. Fibeln dieses Typs sind in Norcium und Panonnien weit verbreitet, sie werden in die claudisch-neronische bis flavische Zeit datiert. Die restlichen Funde aus dem Grab bestätigen eine Datierung in diese Zeit.
20 Vgl. Gugl 1995, 29–31. 2 1 Zeichnung der Fibel bei Glaser 1982, 29, Abb. 8, publiziert. 22 Vgl. Gugl 1995, 30. 23 Riha 1979, 94 (2.9.3) – ein vergleichbares Stück
wurde bei Globasnitz (Gräberfeld Ost) im Jahr 2001 gefunden (siehe unten). 24 Glaser 1984, 40–44. 25 Glaser 1982, 30.
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Grab II war nicht minder reich ausgestattet. Zwei im Grab gefundene Sesterze des Kaisers Domitian weisen auf eine ähnliche Zeitstellung wie beim zuvor erwähnten Grab. An Fibeln stammen aus diesem Grab wiederrum eine kräftig profilierte Fibel und eine Doppelknopffibel. Die kräftig profilierte Fibel (Abb. 7) hat eine eingliedrige Spiralkonstruktion, das Ende des Sehnenhakens ist flachgehämmert und bedeckt einen Teil der Spirale. Die lappenförmige Ausschweifung des Kopfes berührt fast den Bügel. Auf den einfach profilierten Bügelknopf folgt ein schlanker Fußteil, der in einem doppelt profilierten Fußknopf endet. Der Nadelhalter ist einfach durchlocht26. Bei der zweiten gefundenen Fibel handelt es sich um eine Doppelknopffibel (Abb. 7), von der die Spirale, die Nadel, der Nadelhalter und ein Teil des Fußes fehlen. Die zwei Bügelknöpfe sind von umlaufenden, eingekerbten Rippen eingefasst. Der Fuß ist rahmenförmig gestaltet27. Die Fibeln können auf Grund der übrigen Funde in die Zeit um 100 n. Chr. datiert werden. Ebenfalls in der Katastralgemeinde St. Stefan wurde eine kräftig profilierte Bügelfibel mit Stützplatte gefunden, welche dem Typ Jobst 4 D entspricht. Dieser beliebte Fibeltypus datiert vom Anfang des 2. Jahrhunderts bis an den Anfang des 3. Jahrhunderts28. 1846 wurden in Sielach in einem Wiesenrain Reste von Gräbern entdeckt, dabei fanden sich auch Fibeln, die in die zweite Hälfte des 2. Jahrhunderts datiert werden29. In Goritschach wurde 1931 im Bereich einer römerzeitlichen Villa eine kleine Bronzefibel gefunden, die an das Ende des 3. Jahrhunderts datiert wird30. Bei den Untersuchungen des ostgotischen Gräberfeldes 1999 bis 2001 östlich von Globasnitz stießen die Ausgräber in einem verfüllten Erdungsbandgraben eines Transformators auf eine Kniefibel. Sie wurde 1948 beim Ausheben der Künette übersehen und wieder eingefüllt. Es wird vermutet, dass sie aus einem römischen Grabbau stammt und als Grabbeigabe gedient hat. Sie wird in die Zeit von der Mitte des 2. Jahrhunderts bis in die erste Hälfte des 3. Jahrhunderts datiert31. Kniefibeln gelten als Leitform der zweiten Hälfte des 2. Jahrhunderts kommen aber zum Teil auch noch in der ersten Hälfte des 3. Jahrhunderts vor32. Aus Globasnitz stammen zwei eingliedrige Drahtfibel mit rechtwinkeligem Bügelknick, einer Spirale mit drei Windungen und unterer Sehne. Von einem Exemplar mit halbrundem Bügelquerschnitt ist der genaue Fundort nicht bekannt. Die hier gezeigte Fibel (Abb. 8) mit rechteckigem Bügelquerschnitt und einer Länge von 5,7 cm stammt vom Fisteracker33. Ein Teil der Nadel und des Nadelhalter sind abgebrochen. Fibeln mit Spirale mit drei Windungen und unterer Sehne sind laut H. Heymanns34 wohl eine lokale Besonderheit in Noricum mediterraneum, wohingegen im norischen Donauraum Drahtfibeln mit vier Windungen überwiegen35. Dieser Fibeltyp war vom 1. Jahrhundert bis an den Beginn des 3. Jahrhunderts in Verwendung36. Um einen Streufund vom Gräberfeld Ost bei Globasnitz aus dem Jahr 200237 handelt es sich bei einer kräftig profilierten Fibel (Abb. 9–10). Sie ist rund 4,2 cm lang und eingliedrig. Die Spirale besitzt acht Windungen, eine obere Sehne und einen Sehnenhaken. Der flache Kopf der Fibel geht nahezu gerade in die Stützplatte über. Der Bügel ist s-förmig gebogen und weist einen dreifach profilierten Bügelknopf auf, der rund um den Bügel herum führt. Der Fuß ist schlank und endet in einem kräftigen Fußknopf; der niedrige Nadelhalter ist zweifach gelocht. Fibeln dieses Typs kommen nur im 1. Jahrhundert n. Chr., vor allem in der claudisch-neronischen 26 Vgl. Riha 1979, Variante 2.9.3 und Jobst 1975, Typ 4D. 27 Vgl. Riha 1979, Variante 10 und Jobst 1975, Typ 7. 28 Glaser 1984 a, 39; Glaser 1984 b, 28; Jobst 1975, 34–35. 29 Franz – Neumann 1965, 57. 30 Franz – Neumann 1965, 34. 3 1 Glaser 2003, 437; Glaser 2001, 71. 73.
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32 Gugl 1995, 35. 33 Vgl. Jobst 1975, Typ 9 A, Riha 1979, Variante 1.6.1. 34 Heymanns 2002, 13. 35 Gugl 1995, 33. 36 Jobst 1975, 53. 37 Die Fibel wurde im Aushubmaterial der Grabung von 2001 gefunden.
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Zeit, vor38. Der Bügelkopf schwingt bei diesem Exemplar nicht an der Unterseite durch einen lappenförmigen Fortsatz zum Bügelknoten zurück – dieses Merkmal spricht laut E. Riha für eine spätere Zeitstellung (spätflavische bzw. nachflavische Zeit)39 – grob kann diese Fibel also in die Mitte des 1. Jahrhunderts n. Chr. datiert werden. Eine weitere kräftig profilierte, eingliedrige Fibel40 (Abb. 11) kann in das vierte Viertel des 1. Jahrhunderts datiert werden. Die Fibel besitzt eine Spirale mit acht Windungen, eine obere Sehne und eine Stützplatte. Der Bügel weist einen dreifach profilierten Knopf auf und endet in einem Fußknopf; der niedrige Nadelhalter ist zweifach gelocht. Obwohl sie mit einer Länge von 4,3 cm annähernd gleich groß ist wie das vorhergehende Exemplar, unterscheiden sie sich deutlich voneinander: Der Nadelhalter weist auf der Rückseite eine Wolfszahnverzierung auf. Der facettierte Kopf hat an der Unterseite einen lappenartigen Fortsatz, der in Richtung Bügelknopf ragt. Weiters ist der Sehnenhaken flachgehämmert und bildet eine Sehnenkappe41. Bei der zweigliedrigen kräftig profilierten Fibel entwickelte sich diese Sehnenkappe im 2. Jahrhundert; ein Vergleichsbeispiel aus Augst kann durch keramische Mitfunde in domitianische Zeit datiert werden42. Auch Vergleichsbeispiele aus dem vicus von Kalsdorf werden in das vierte Viertel des 1. Jahrhunderts datiert43. Der Großteil der bekannten Fibeln aus dem Jauntal stammt allerdings auf Grund der vermehrten Grabungstätigkeit in diesem Bereich vom Hemmaberg. S. Ladstätter hat in ihrer Dissertation zahlreiche Fibeln, die am Hemmaberg, vor allem in den Jahren 1992 bis 1994, gefunden wurden, bearbeitet. Das Spektrum reicht vom 1. bis ins beginnende 6. Jahrhundert. Laut Ladstätter wurden die am Hemmaberg gefundenen Fibeln längere Zeit weiterverwendet bzw. weiterverarbeitet. Viele der von ihr untersuchten Exemplare stammen aus Planierschichten, wovon wiederum zahlreiche im Bereich einer Schmiede gefunden wurden, sie sind dort wohl weiterverarbeitet worden. Damit begründet sie die Tatsache, dass so viele Fibeln stark fragmentiert auf uns gekommen sind44. Alle nun folgenden Fibeln wurden auf dem Hemmaberg gefunden. Eine norisch-pannonische Doppelknopffibel vom Typ Jobst 7 A45 (Abb. 12) wurde 2010 gefunden. Doppelknopffibeln gelten als Bestandteil der norisch-pannonischen Frauentracht, sie wurden paarweise an den Schultern getragen und fixierten das Kleid ihrer Trägerin46. Die Fibel weist eine eingliedrige Spiralkonstruktion mit acht Windungen, oberer Sehne und Sehnenhaken auf. Der Fuß ist rahmenförmig durchbrochen und endet in einem profilierten Fußknopf. Norisch-pannonische Doppelknopffibeln sind ab augusteischer Zeit bis zum Ende des 2. Jahrhunderts geläufig, die Eingliedrigkeit weist diese Fibel in das 1. Jahrhundert47. Ebenfalls vom Hemmaberg48 stammt ein Bruchstück einer weiteren Fibel (Abb. 13), die nicht genauer eingeordnet werden kann. Erhalten hat sich eine Spirale mit sieben Windungen, sowie die Sehne und die Nadel. Insgesamt ist das Stück ca. 4,2 cm lang. Eine Fibel mit einem dünnen, langgestreckten Fuß und einer asymmetrischen Kopfplatte, es handelt es sich hierbei um eine zweigliedrige kräftig profilierte Fibel (Abb. 14), wurde 1997 gefunden. Die Spirale der Fibel besaß wohl acht Windungen, der Stift ist nicht vorhanden. Der hülsenförmig erweiterte Sehnenhaken, welcher mit zwei Kerben geschmückt ist, ist bis zur Sehne aufgebogen und umschließt diese zum Teil. Der Bügelknopf ist einfach, der Fußknopf zweifach profiliert. Die Fibel ist rund 6,3 bis 6,4 cm lang, der Nadelhalter ist breit und nicht vom Bügel
38 Typ Jobst 4B und Almgren 68, vgl. Riha 1979, 73 (2.9.2). 39 Riha 1979 (2.9.2); Riha 1994, 69. 40 Globasnitz, Gräberfeld Ost 2001. 4 1 Vgl. Riha 1979, Variante 2.9.3. 42 Riha 1979, 74 (2.9.3). 43 Heymanns 2002, 22 (4.3. 8.3).
44 Ladstätter 2000,169–179; vgl. Schretter 1993. 45 Vgl. Riha 1979, Variante 3.3. 46 Garbsch 1985, 565–569; vgl. Jobst 1975, 45. 47 Heymanns 2002, 31. 48 Aus derselben Schicht (SE 13/2010) wie die vorher beschriebene Fibel.
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abgesetzt. Dieses Exemplar entspricht dem Typ Jobst 4 D (= Almgren 73), dieser war wie bereits erwähnt vom Anfang des 2. bis zum Ende des 3. Jahrhundert geläufig. Ein Bruchstück einer weiteren Fibel dieses Typs (Abb. 15) wurde 1988 am Hemmaberg im Bereich der Befestigungsmauer gefunden. Dieses zweigliedrige Exemplar ist eher größer, besitzt wiederum eine Spirale mit acht Windungen und oberer Sehne sowie einen flachgehämmerten Sehnenhaken. Die Fibel weist eine rechtwinklig gebogene Stützplatte auf. Der Bügelknopf ist scheibenartig, dreifach profiliert und unten flach. Eine Fibel, die 1996 gefunden wurde, entspricht ebenfalls diesem Typ (Jobst 4 D). Die zweigliedrige Fibel (Abb. 16) ist 5,8 cm lang und weist eine Spirale mit acht Windungen und einer oberen Sehne auf. Die Sehnenkappe verschmilzt nahezu mit der eher kleinen Stützplatte, der Bügelknopf ist dreifach profiliert und an der Unterseite, wie bei der Fibel zuvor, flach. Der Fuß ist relativ breit und endet in einem zweifach profilierten Fußknopf. Der Nadelhalter ist rechteckig und vom Bügel abgesetzt. Das Bruchstück einer kräftig profilierten Fibel (Abb. 17) aus dem Jahr 1980 lässt sich nicht näher einordnen. Sie besitzt einen dreifach profilierten Bügelknopf, der Fuß ist eher breit und endet in einem kräftigen Fußknopf. Eine deutliche Weiterentwicklung der Form ist bei einer kräftig profilierten Fibel49 (Abb. 18) des Typs Jobst 4 E vom Hemmaberg zu erkennen. Die Fibel ist 5,2 cm lang und besitzt eine Spirale mit acht Windungen. Die Form des Bügelknopfes ist stärker ausgeprägt als bei der Variante zuvor und weist, was nicht ungewöhnlich ist, eine Verdoppelung auf. Die schmale, langrechteckige Stützplatte entwickelt sich langsam zu einer großen, viereckigen Kopfplatte, die mit dem Sehnenhaken verschmilzt50. Häufig besitzt der Bügel, wie in diesem Fall, einen Grat und kann beidseitig mit einem Wellenband verziert sein. Der Nadelhalter ist nun eher schmal und hoch rechteckig, die Rückseite dieses Exemplars ist mit einer Wolfszahndekoration versehen. Vergleichsbeispiele aus Lauriacum werden in die 2. Hälfte des 2. Jahrhunderts datiert51. Ein weiteres Exemplar dieses Typus wurde 1985 am Hemmaberg in einer Schuttschicht gefunden. Diese zweigliedrige Fibel (Abb. 19) hat sich nur fragmentarisch erhalten; die Spirale, der Stift und die Nadel fehlen. Der Bügel der kräftig profilierten Fibel besitzt einen Grat und einen vierfach profilierten Bügelknopf der an der Unterseite flach ist. Wiederum ist die Rückseite des hochrechteckigen Nadelhalters mit Wolfszahndekor verziert. Die Stützplatte der 4,9 cm langen Fibel wurde zur Kopfplatte und bietet keinen Platz mehr für eine obere Sehne, weshalb sie eine untere Sehne aufweist. Am Hemmaberg wurden ebenfalls Bruchstücke von zwei Zwiebelknopffibeln (Abb. 20–21), die in die zweite Hälfte des 4. Jahrhunderts datieren, gefunden. Diese Fibeln gehören zu jenen provinzialrömischen Typen, die im ganzen römischen Imperium verbreitet waren. Auf Grund der relativ einheitlichen Ausführung wird vermutet, dass sie in großen Fabrikationszentren hergestellt wurden52. Beide Stücke entsprechen dem Typ Keller 4 C53 und werden in die Zeit von 350–380 n. Chr. datiert. Beim ersten Exemplar (Abb. 20), welches dem Typ Jobst 26 D oder F entspricht, fehlt der Fußteil. Der im Querschnitt sechseckige Querarm endet in ausgeprägten Zwiebelknöpfen mit gerillter Scheibe. Die Zwiebelknöpfe sind facettiert und gedrückt, also breiter als lang. Der Bügel ist im Querschnitt trapezförmig und an der Oberseite mit schräg gravierten Strichen und einer Reihe von Punkten verziert54. Vom zweiten Stück (Abb. 21), welches dem Typ Jobst 26 G entspricht, hat sich der Fuß erhalten, doch der Querarm mit einem Teil des Bügels ist abgebrochen. Wie bei dem vorhergehen-
49 Sie wurde 1994 am Hemmaberg gefunden. 50 Jobst 1975, 35. 5 1 Jobst 1975, 35–36 – dieses Exemplar entspricht exakt der Typenbeschreibung von Jobst – sie ist mit einer Länge von 5,2 cm nur etwas länger (in Lauriacum zwischen
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4 und 5 cm). Diese Fibelform ist gehäuft in Lauriacum anzutreffen. 52 Riha 1979, 171. 53 Keller 1971, Typ 4 C. 54 Vgl. Riha 1979, 172. 175–176.
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den Exemplar ist der Bügel im Querschnitt trapezförmig. Vor der Einmündung in den Fuß weist der Bügel einen Wulst auf und verjüngt sich danach um ein kleines Stück. Der Fuß ist entlang der Längsränder mit nierenförmigen und dreieckigen Vertiefungen versehen. Den Mittelsteg kennzeichnen zwei Linien, dazwischen ist nochmals eine Verzierung angebracht, die heute kaum mehr zu erkennen ist55. Die Fehlstelle im Mittelbereich des Fußes stammt wohl von der einst hier befestigten Nadelsicherung56. Es ist anzunehmen, dass auch bei den Grabungen bei Srejach und Kühnsdorf, bei denen römische Grabbauten, Teile einer villa rustica und ein Stück einer antiken Straße gefunden wurden, römische Fibeln zu Tage kamen, welche der Verfasserin allerdings nicht bekannt sind57. Abbildungsnachweis Abb. 1: Zeichnung N. Dornig Abb. 2: Zeichner unbekannt Abb. 3–7: Foto N. Dornig Abb. 8: Zeichner unbekannt Abb. 9–10: Foto N. Dornig Abb. 11–21: Zeichnung N. Dornig Bibliographie Almgren Barlovits u. a. 2009
Barlovits u. a. 2012 Dolenz – Luik 2003 Dolenz 1960 Dolenz 1974 Egger 1916 Eichner u. a. 1994
Franz – Neumann 1965 Garbsch 1985 Glaser 1982 Glaser 1984 a Glaser 1984 b Glaser 2001 Glaser 2003
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55 Vgl. Riha 1979, 172. 176. 56 Vgl. Jobst 1975, Kat. Nr. 289. 290.
57 Siehe Barlovits u. a. 2011; Barlovits u. a. 2009.
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Eine archäologische Landschaft zur Römerzeit Glaser 2011 Gugl 1995 Hauser 1887 a Hauser 1887 b Heymanns 2002 Jobst 1975 Keller 1971 Kranzmayer 1956
Kranzmayer 1958
Ladstätter 2000
Leber 1972 Leitner 2007 Lazar 2002
Piccottini 1970 Pohl 2011 Riha 1979 Riha 1994 Schretter 1993 Singer 1938 Winkler 1950
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Abb. 1: Bügelfragment einer Bronzefibel
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Abb. 2: Kräftig profilierte Fibel
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Abb. 3: Flügelfibel
Abb. 4: Flügelfibel
Abb. 6: Kräftig profilierte Fibel
Abb. 5: Kräftig profilierte Fibel
Abb. 7: Kräftig profilierte Fibel und Doppelknopffibel
Abb. 8: Eingliedrige Drahtfibel
Abb. 9: Kräftig profilierte Fibel
Abb. 10: Kräftig profilierte Fibel
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Eine archäologische Landschaft zur Römerzeit
Abb. 11: Kräftig profilierte Fibel
Abb. 12: Doppelknopffibel
Abb. 13: Bruchstück einer Bronzefibel
Abb. 14: Kräftig profilierte Fibel
Abb. 15: Kräftig profilierte Fibel
Abb. 16: Kräftig profilierte Fibel
Abb. 17: Bruchstück einer kräftig profilierten Fibel
Abb. 18: Kräftig profilierte Fibel
Abb. 20: Zwiebelknopffibel
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Abb. 19: Kräftig profilierte Fibel
Abb. 21: Zwiebelknopffibel
Eine weitere Kirche des 6. Jahrhunderts am Gipfel des Hemmabergs Josef Eitler Die erste am Hemmaberg gebaute Kirche aus der Zeit um 400 n. Chr. liegt am östlichen Rand des ebenen Gipfelplateaus1. Mit einer Größe von etwa 13,5612,35 m handelt es sich um ein der spätantiken Höhensiedlung entsprechend dimensioniertes Gotteshaus. Dem gegenüber sind die beiden Doppelkirchenanlagen des 6. Jahrhunderts, die Teil eines Pilgerheiligtums waren, deutlich größer bemessen 2. Auffällig ist dabei, dass die Sakralbauten, nicht am flachen Gelände des Gipfelplateaus, sondern am deutlich abfallenden Hang unter massiven Terrassierungen errichtet wurden (Abb. 1). Ein solcher Aufwand kann nur durch die Tatsache, dass die für Großbauten wesentlich besser geeignete ebene Fläche nicht zur Verfügung stand, erklärt werden. Als Ursache dafür ist ein älteres Heiligtum anzusehen, zumal ehemaliges Tempelland nach der Erhebung des Christentums zur Staatsreligion (380 n. Chr.) und dem Verbot des Heidentums (392 n. Chr.) unter Kaiser Theodosius3 der römischen Finanzverwaltung und nicht automatisch einer christlichen Gemeinde zufiel4. Für ein keltisch-römisches Heiligtum spricht auch ein kleiner am Hemmaberg gefundener, heute in der Kirche eingemauerter, Weihaltar, der die Gottheit Iovenat nennt5, die für die heutige Region des Jauntals namensgebend ist6. Zur Klärung der Fragestellung nach der tatsächlichen Nutzung des Gipfelplateaus wurde daher im Jahr 2009 mit archäologischen Grabungen nördlich und östlich der Kirche St. Hemma und Dorothea begonnen (Abb. 3) 7. Mit einem keltisch-römischen Heiligtum lassen sich dabei vermutlich folgende Befunde verbinden: Eine stark mit Holzkohle durchsetzte Planierung enthielt auffällig viele, sehr kleinteilig zerscherbte Fragmente diverser Keramikgefäße, die von der mittleren Bronzezeit bis ans Ende der La Tène Zeit zu datieren sind. In diese Schicht schnitt eine Mauer ein, bei der es sich um die Umfassung des Areals gehandelt haben dürfte. Aufgrund des Steinraubs war sie allerdings nur noch als eine mit unregelmäßigen Steinen verfüllte Ausrissgrube zu fassen. Eine Abfallgrube der römischen Kaiserzeit, in deren Verfüllung neben Tierknochen und Brandresten auch Bronzeblechfragmente gefunden wurden, und ein nur in einer einzigen Steinlage erhaltenes Fundament weisen dieselbe Orientierung auf. Ein weiteres Fundament ist in einer ca. 60 cm tief in den anstehenden Felsen geschlagenen Grube gelegt. Seine Länge beträgt 2,40 m. Eine Deutung ist aufgrund der geringen erhaltenen Reste schwierig, doch kann bei den Fundamenten vielleicht an zur Aufstellung von Weihegaben dienende Sockel gedacht werden8. Mit einer spätantiken Nutzung des Areals nördlich der ehemaligen Umfassung sind zwei Heizkanäle zu verbinden. Die erhaltenen Teile des nordwestlichen Kanals schnitten in den anstehenden Felsen ein. Dem gegenüber war der weiter östlich gelegene, nur noch als Negativform durch nach dem Steinraub zurückgelassene Fragmente der einstigen zur Abdeckung verwendeten Schieferplatten, sowie einer Konzentration aus Asche und Mörtelresten erkennbar. 1 Glaser 1991, 38–40. 45 f. 65–69. 2 Glaser 1991, 15–37. 44 f. 47–65. 74–86; Glaser 1992; Glaser 1993. 3 Dieses griff gegenüber älteren Verboten nun auch in den privaten Bereich ein: CTh 16, 10, 12; Leppin 2003, 175 f. 4 Demandt 1989, 416. 443. 450. 5 CIL III 14366/3.
6 Ausführlicher dazu N. Dornig in ihrem Beitrag S. 83–92. 7 Ausfühlicher zum Befund der Grabungsjahre 2009 und 2010: Eitler 2009/2010, 69–72. 8 Als Vergleiche lassen sich etwa die Tempelbezirke in Cambodunum, Manching, Thun-Allmendinge und im Altbachtal nennen. Matin-Kilcher – Schatzmann 2009; Weber 2000, 72–79; Schubert 1983; Gose 1972.
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Eine weitere Kirche des 6. Jahrhunderts am Gipfel des Hemmabergs
Unmittelbar unterhalb der höchsten Erhebung des Bergs waren Bodenreste in Form einer Rollierung erhalten. Die Funde von Fragmenten spätantiker Stängelgläser konstatieren einen terminus postquem, doch ist in Verbindung mit den anderen Befunden auch in diesem Fall noch von einer Errichtung in der Spätantike auszugehen. Im östlichen Teil der Grabungsfläche konnten zudem 29 Gräber freigelegt werde, bei denen explizit auf die Altersverteilung hinzuweisen ist, da nur 7 Individuen das Erwachsenenalter erreichten. Diesen stehen 21 meist sehr jung verstorbene Kinder gegenüber. Dieser Befund ist insofern bemerkenswert, als sich daraus ein realistisches Verhältnis der Kindersterblichkeit ablesen lässt, da sich die Bodenzusammensetzung mit einem hohen Anteil an Holzkohle als für die Erhaltung selbst der äußerst zarten Knochen von Neugeborenen besonders günstig erwies und deren Auf lösung durch Wurzelsäuren verhinderte. Gesamt betrachtet dürfte es sich um eine Familie oder Sippe gehandelt haben. Beifunde zu den Verstorbenen waren eine Seltenheit. Eine Ausnahme stellt allerdings die Bestattung eines etwa 35 -jährigen Manns (Grab 6) dar (Abb. 2). Zu den Trachtbestandteilen gehören eine eiserne Schnalle, eine weitere kleine Schließe und eine bronzene Ringfibel mit Tierkopfenden, die zwischen den Oberschenkeln lag und darauf hinweist, dass dem Toten sein Mantel zusammengefaltet auf die Beine gelegt wurde. Auf seiner linken Seite trug er einen Kurzsax9, der am Skelett knapp unterhalb des Beckens auf dem Femur zu liegen kam. Dieser hat eine Klingenlänge von 20 cm10 und erlaubt zusammen mit der Ringfibel eine Datierung ins 6. Jahrhundert nach Christus11, in die Zeit der fränkischen Herrschaft über Noricum, zumal der Sax unter den zuvor anwesenden Ostgoten weder verbreitet war noch das ostgotenzeitliche Gräberfeld im Tal Waffenbeigaben aufwies12. Bedeutend ist die Bestattung aber auch aus medizinhistorischer Sicht13: Der linke Fuß des Manns war oberhalb des Knöchels amputiert und dem Bein eine hölzerne Prothese angepasst. Diese bestand aus einem Eisenring, der kleine Holzdauben wie bei einem Becher fasste, und vermutlich eine als Wundauf lage dienende Polsterung zur Aufnahme von Wundsekreten beinhaltete. Vergleichbare frühmittelalterliche Prothesen sind bislang nur aus Bonaduz in Graubünden und Griesheim bei Darmstadt bekannt14. Die am Skelett vom Hemmaberg festgestellte Kalusbildung an den Knochenenden von Tibia und Fibula, die an dieser Stelle zusammengewachsen waren, belegt, dass der Mann den Eingriff zumindest 2 Jahre überlebte. Die Todesursache dürfte schlussendlich eine bei radiologischen Untersuchungen festgestellte eitrige Knochenmarksentzündung im linken Schienbein gewesen sein, wie sie auch heute noch häufig nach offenen Knochenbrüchen auftritt, mit Antibiotika aber gut behandelbar ist. Dieser Befund zeigt beispielhaft, dass im 6. Jahrhundert Amputationen bekannt waren und auch erfolgreich durchgeführt werden konnten. Mit Ausnahme von 3 Neugeborenen waren alle Skelette mit Blickrichtung nach Osten beigesetzt worden15. Dabei fällt allerdings auf, dass sie nicht exakt nach der Himmelsrichtung, sondern in etwa parallel zur heute bestehenden Kirche St. Hemma und Dorothea orientiert waren. Um diesen Umstand zu klären wurden in Folge auch Teile der Fundamente des gotischen Gotteshauses und seiner barocken Erweiterung freigelegt (Abb. 3). Dabei kam ein weiterer Mauerverlauf zum Vorschein, der die beiden kleinen älteren Fundamente und die westlich davon 9 Zum Kurzsax: Grünzweig 2009, 183 f.; Szameit 1997, 56 f. 59. 61 f. 10 Die Gesamtlänge beträgt 27 cm. 1 1 Eine sehr ähnliche Fibel aus dem Wallis wurde von E. Ettlinger nur allgemein als spätantik datiert. In Italien erscheint die Form der Ringfibel mit Tierkopfenden allerdings erst ab dem späten 6. Jahrhundert. Ettlinger 1973, 132 Taf. 15. 13; Riemer 2000, 123 f. 12 Über das ostgotenzeitliche Gräberfeld von Globas-
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nitz zuletzt: Eitler 2008. 13 Glaser 2009/2010, 61 f.; Eitler 2009/2010, 71 f. 14 Baumgartner 1982; Keil 1977/78. 1 5 Allgemeine zur Ausrichtung christlicher Gräber: Deichmann 1983, 90. Zur Ostorientierung im speziellen s. Gen. 2, 8, woraus die Kirchenväter auch die Gebetsrichtung erklären. Basilius von Caesaraea, Liber de Spiritu Sancto 27, 66 (PG 32, 189–192); Gregor von Nyssa, De oratione dominica 5 (PG 44, 1184).
Josef Eitler
gelegene Abfallgrube überbaut. Der gotische Sakralbau nimmt die Orientierung auf, ist aber nicht direkt auf das ältere Fundament gesetzt, sondern leicht nach Süden verschoben und durch eine dünne Planierschicht davon getrennt. Nach Westen ist er bis zur gotischen Westwand des bestehenden Sakralbaus, die etwa 35 cm nach Norden vorspringt, deutlich zu erkennen, darüber hinaus fanden sich neben dem barocken Mauerwerk allerdings keine Hinweise auf eine Fortsetzung. Im Osten geht das ältere Fundament in eine weite Apsis über, das dank des einspringenden gotischen Chors mit 5/8 Schluss deutlich zutage trat (Abb. 4). Der Mittelpunkt der 4,6 m tiefen Apsis liegt unmittelbar vor dem gotischen Hochaltar. Bei Ausbesserungen im Bodenbelag konnten an dieser Stelle zwei darunter liegende Konglomeratblöcke beobachtet werden. Diese waren bereits zu einem früheren Zeitpunkt freigelegt, allerdings nicht gehoben worden. Nach der Entfernung der modernen Grubenverfüllung zeigte sich im Profil, in dem auch vereinzelt menschliche Knochen zu erkennen waren, ein ähnlicher Schichtaufbau, wie in der Grabungsfläche außerhalb der Kirche. Aufgrund ihrer Lage sind die Blöcke selbst als Teil einer unter dem Boden gelegenen Reliquienkammer zu sehen16. Gesamt betrachtet ergibt sich aus dem ergrabenen Befund das Bild einer etwa 19,5 m langen und annähernd 10,5 m breiten Kirche, deren Altar, wie es in der Spätantike und im frühen Mittelalter noch üblich war, vor der Mitte der Apsis stand. Wenn dieser Kirchenbau und das gotische Gotteshaus auch denselben Platz einnehmen, so handelt es sich dennoch nicht um eine direkte Kulttradition, was auch die dünne zwischen den Bauten liegende Planierschicht betont. Maßgeblich für die Errichtung der gotischen Kirche an dieser Stelle war sicherlich die zentrale Position am Gipfel des Bergs, vielleicht in Verbindung mit einer beim Bau abgetragenen, aber noch als frühere Kirche zu erkennenden Ruine. Aus historischer Sicht ist der ältere Sakralbau als ein Gotteshaus der zweiten Hälfte des 6. Jahrhunderts zu deuten. Während der ostgotischen Herrschaft waren die römischen Gesetze respektiert und eingehalten worden, was auch dazu führte, dass die beiden Doppelkirchenanlagen am nach Süden abfallenden Hang gebaut wurden. Mit der Übergabe der vormaligen Provinz noricum mediterraneum an die Franken änderten sich im Jahr 536 allerdings die Voraussetzungen und die römische Tradition stand nicht mehr im Vordergrund17, woraus sich ein terminus postquem für den Kirchenbau ergibt. Insofern lassen sich die ebenfalls in diese Zeit zu datierenden Gräber unmittelbar mit dem Sakralbau verbinden. Ein Ende fand das Gotteshaus, wie auch die ganze Siedlung am Hemmaberg18, zu Beginn des 7. Jahrhunderts mit der Einwanderung der Slawen, die zu diesem Zeitpunkt noch nicht christianisiert waren. Abbildungsnachweis Abb. 1: Plan F. Glaser Abb. 2. 4: Aufnahme J. Eitler Abb. 3: Plan J. Eitler Bibliographie Baumgartner 1982 Deichmann 1983 Demandt 1989 Eitler 2008
R. Baumgartner, Fussprothese aus einem frühmittelalterlichen Grab aus Bonaduz, HelvA 13, 1982, 155–162 F. W. Deichmann, Einführung in die christliche Archäologie (Darmstadt 1983) A. Demandt, Die Spätantike. Römische Geschichte von Diocletian bis Justinian 284–565 n. Chr., HAW 3, 6 (München 1989) J. Eitler, Ausgrabungen im ostgotischen Gräberfeld von Globasnitz abgeschlossen, Rudolfinum 2008, 89–92
16 Zu spätantiken Reliquienkammern im Alpenraum vgl. Glaser 2003, 420–424. 17 H. Wolfram zufolge kann darin auch das Ende der
Spätantike in Österreich gesehen werden. Wolfram 2003, 65; Wolfram 2001, 315–324. 18 Ladstätter 2000, 205–207.
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Eine weitere Kirche des 6. Jahrhunderts am Gipfel des Hemmabergs J. Eitler, Neue Forschungen am Hemmaberg – überraschende Ergebnisse der Grabung am Gipfelplateau, Rudolfinum 2009/2010, 69–72 Ettlinger 1973 E. Ettlinger, Die römischen Fibeln in der Schweiz (Bern 1973) Glaser 1991 F. Glaser, Das frühchristliche Pilgerheiligtum auf dem Hemmaberg, Aus Forschung und Kunst 26 (Klagenfurt 1991) Glaser 1992 F. Glaser, Die Ausgrabung der vierten und Entdeckung der fünften Kirche auf dem Hemmaberg, Carinthia I 182, 1992, 19–45 Glaser 1993 F. Glaser, Eine weitere Doppelkirchenanlage auf dem Hemaberg und die Frage ihrer Deutung, Carinthia I 183, 1993, 165–186 Glaser 2003 F. Glaser, Der frühchristliche Kirchenbau in der nordöstlichen Region (Kärnten/Osttirol), in: H. R. Sennhauser (Hrsg.), Frühe Kirchen im östlichen Alpengebiet von der Spätantike bis in ottonische Zeit (München 2003) 413–437 Glaser 2009/2010 F. Glaser, Abteilung für Provinzialrömische Archäologie und Antike Numismatik mit der Außenstelle Römermuseum Teurnia, Ausgrabungen Hemmaberg Iuenna/Globasnitz, Rudolfinum 2009/2010, 59–73 Gose 1972 E. Gose, Der gallo-römische Tempelbezirk im Altbachtal zu Trier, Trierer Grabungen und Forschungen 7 (Mainz 1972) Grünzweig 2009 F. E. Grünzweig, Das Schwert bei den „Germanen“. Kulturgeschichtliche Studien zu seinem „Wesen“ vom Altertum bis ins Hochmittelalter, Philologica Germanica 20 (Wien 2009) Keil 1977/78 B. Keil, Eine Prothese aus einem fränkischen Grab von Griesheim, Kreis Darmstadt-Dieburg. Anthropologische und medizinhistorische Befunde, FuBerHessen 1977/78, 195–211 Ladstätter 2000 S. Ladstätter, Die materielle Kultur der Spätantike in den Ostalpen. Eine Fallstudie am Beispiel der westlichen Doppelkirchenanlage auf dem Hemmaberg, MPK 35 (Wien 2000) Leppin 2003 H. Leppin, Theodosius der Große (Darmstadt 2003) Matin-Kilcher – Schatzmann 2009 S. Matin-Kilcher – R. Schatzmann (Hrsg.), Das römische Heiligtum von Thun-Allmendingen, die Regio Lindensis und die Alpen, Schriften des Bernischen Historischen Museums 9 (Bern 2009) Riemer 2000 E. Riemer, Romanische Grabfunde des 5.–8. Jahrhunderts in Italien, Internationale Archäologie 57 (Leidorf 2000) Schubert 1983 F. Schubert, Neue Ergebnisse zum Bebauungsplan des Oppidums von Manching, BerRGK 1983, 5–19 Szameit 1997 E. Szameit, Frühmittelalterliche Waffen in Niederösterreich, in: H. J. Windl (Red.), Waffen und deren Wirkung in Ur- und Frühgeschichte, gegeneinander – nebeneinander – miteinander, Ausstellung im Niederösterreichischen Landesmuseum für Frühgeschichte im Schloß Traismauer vom 2. Mai bis 1. November 1997 (St. Pölten 1997) 47–68 Weber 2000 G. Weber, Cambodunum – Kempten. Erste Hauptstadt der römischen Provinz Raetien ? (Mainz 2000) Wolfram 2001 H. Wolfram, Die Goten. Von den Anfängen bis zur Mitte des sechsten Jahrhunderts. Entwurf einer historischen Ethnographie 4(München 2001) Wolfram 2003 H. Wolfram, Österreichische Geschichte 378–907. Grenzen und Räume. Geschichte Österreichs vor seiner Entstehung 2(Wien 2003) Eitler 2009/2010
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Josef Eitler
Abb. 1: Pilgerheiligtum am Hemmaberg
Abb. 2: Bestattung mit Kurzsax, Ringfibel und Resten einer Prothese nach Amputation des linken Fußes (Grab 6)
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Eine weitere Kirche des 6. Jahrhunderts am Gipfel des Hemmabergs
Abb. 3: Grabungsfläche nördlich der Kirche St. Hemma und Dorothea
Abb. 4: Neu entdeckte Apsisreste unter dem gotischen Chor der Kirche St. Hemma und Dorothea von Osten
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Die Habsburger zwischen Antikenschwärmerei und Archäologie Claudia Ertl – Daniel Modl In diesem Beitrag1 werden achtzehn Mitglieder aus dem Hause Habsburg vorgestellt, die sich zwischen 1740 und 1918 mit dem Altertum und dem Fach Archäologie auseinandersetzten, indem sie ihre Besitzungen mit Antiken schmückten, Archaeologica sammelten, Museumsbauten errichteten, auf Reisen Ruinenstätten besuchten, archäologische Unternehmungen förderten und auch aktiv Ausgrabungen durchführten oder diese in Tagebüchern und Reiseberichten festhielten2. Der zeitliche Rahmen dieser kleinen Studie umfasst dabei die knapp 180 Jahre zwischen der Regierungszeit Maria Theresias, in der die Archäologie als Wissenschaft durch Johann Joachim Winckelmann (1717–1768) begründet wurde und jener Kaiser Franz Josephs I., in der die institutionelle Festigung des Faches ihren Abschluss fand. Am Beginn steht der Gemahl Maria Theresias (1717–1780), Kaiser Franz I. Stephan (1708–1765), der nicht nur den Naturwissenschaften zugetan war, sondern sich auch sehr für die landesgeschichtliche Erforschung der Kronländer interessierte. So schickte er 1753 seinen Architekten Josef Anton Nagel (1717–1794) nach Osttirol, um bei Nußdorf-Debant Teile einer römischen Villenanlage freizulegen3. Die erhaltenen Grundmauern wurden von ihm vermessen und in einem Übersichtsplan festgehalten, der zwei Gebäude mit Hypokausten zeigt (Abb. 1). Maria Theresia brachte den von ihrem Mann finanzierten Grabungen zunächst nur wenig Interesse entgegen, so schrieb sie in einem Erlass vom 14. Juni 1760, man soll „nicht so viel auf die allzuweit entfernten grauen Altertümer als vielmehr auf die neuere Tyrolerische Landesgeschichte Bedacht nehmen“4. Zwei Jahrzehnte später scheint sie ihre Meinung jedoch geändert zu haben und unterstützte 1778 die Erbauung eines Schutzdaches über dem römischen Militärbad von Aquincum/Budapest5. Gerade gegen Ende ihrer Regierungszeit gewann die Beschäftigung mit der Antike für Maria Theresia an Bedeutung, um ihre eigene Herrschaft und die ihrer Familie zu legitimieren und historisch auf vergangene Großreiche zurückzuführen. Als Beispiel hierfür kann der 1777 errichtete Obelisk im Schlosspark von Schönbrunn genannt werden, der die Familiengeschichte des Hauses Habsburgs in einer erfundenen Hieroglyphenschrift erzählt, wie auch die in der Hauptachse des Parks gelegene, künstliche Ruinenanlage aus dem Jahr 1778 (Abb. 2)6. Die älteste Tochter des Kaiserpaares, Maria Anna (1738–1789), sollte sich in Klagenfurt zusammen mit ihrem Obersthofmeister Franz Joseph Graf von Enzenberg (1747–1821) um die Er-
1 Für Informationen und Abbildungsgenehmigungen danken wir: Dr. Wladimir Aichelburg (Wien), Dr. Isabella Benda-Weber (ÖAI, Wien), Dr. Alfred Bernhard-Walcher (KHM, Wien), Laëtitia Cavassa (CNRS/CJB, Neapel), Dr. Andrea Csapláros (Iseum Savariense, Savaria), Robert Fürhacker (Gutenberg a. d. Raabklamm), Dr. Franz Glaser (Landesmuseum Kärnten, Klagenfurt), Dr. Ortolf Harl (Wien), Fürstin Anita Hohenberg (Artstetten), Dr. Stephan Karl (Universität Graz), Robert Krempuš (Ljubljana), Dr. Heinrich Kusch (Universität Graz), Dr. Manuela Laubenberger (KHM, Wien), Dr. Brigitta Mader (Triest), Dr. Marko Mele (UMJ, Graz), Graf Franz Meran (Bad Aussee), Dr. Florian Müller (Universität Innsbruck), Dr. Claudia Nordhoff (Rom), Mag. Irmgard Pangerl (ÖStA-HHStA, Wien), OR Dr. Marianne Pollak (BDA, Wien), Mag.
Hans Reschreiter (NHM, Wien), Dr. Eleni Schindler-Kaudelka (Archäologischer Park Magdalensberg, Graz), Thomas Soder (Bad Aussee), Dr. Georg Striehl (Hohaus), Dr. Hubert Szemethy (Universität Wien), Dr. Gudrun Wlach (ÖAI, Wien), Dr. Angelika Zdriasky (Papyrusmuseum, Wien), Mag. Peter Zerlauth (Universitäts- und Landesbibliothek Tirol, Innsbruck) und Mag. Karoline ZhuberOkrog (KHM, Wien). 2 Vgl. Ertl 2009, 10–28. 3 Müller – Schaffenrath 2007, 29–31; Müller 2010, 179. 4 Niegl 1980, 68. 5 Pollak 2011, 235. 6 Hajós 1995, 163–170; Budka 2005.
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Die Habsburger zwischen Antikenschwärmerei und Archäologie
forschung des Zollfeldes verdient machen, indem sie zwischen 1784 und 1787 mit 10.000 Gulden aus ihrer Privatschatulle die ersten größeren Grabungen im Stadtgebiet des antiken Virunum finanzierte. Gefunden wurden „mehrere Münzen, Gefäße und Geräthe der Alten, und verschiedene Gelübde- und Leichensteine“7, sowie „verschiedene Gemäuer. Sie ruhten meistens auf Säulen; ihre Bestandtheile waren Kalk, Ziegel, und Steiner; die Ziegel lagen nicht flach übereinander. Sie waren rund ausgehöhlt, die Höhlungen der Rundung gegeneinander gekehret, und so nach der Länge und Quere gelegt, daß die Luft allenthalben ihre Durchzüge hatte. Die Wände waren mit Kalk angeworfen, und mit einer Lebhaftigkeit gemalet, die zu bewundern war. Man brach das Gemäuer stükweise heraus, begnügte sich mit Denkmalen, Fragmenten von Statuen, Gözen und Münzen, und verwarf nun die Grube, um eine neue nach eben den Maßregeln zu graben“8. Über den weiteren Verbleib der Ausgrabungsfunde9, wie auch über das von ihr persönlich freigelegte Kindergrab10, gibt es in der Literatur widersprüchliche und zum Teil fantasievolle Schilderungen11. Eine Ausnahme stellt ein Altar für Victoria dar (CIL III 4813), der anhand eines Zeitungsberichtes12 eindeutig den Grabungen Erzherzogin Maria Annas zugeordnet werden kann und sich heute in der Römersteinsammlung des Kärntner Landesmuseums in Klagenfurt befindet (Abb. 3). Zwischen 1768 und 1798 war Maria Annas Schwester, Maria Karolina (1752–1814), als Königin von Neapel-Sizilien mehrfach in Pompeji zu Besuch, um dort den Fortschritt der Grabungsarbeiten zu verfolgen13. Innerhalb von drei Jahrzehnten legte man dort das Haus des Chirurgen, die Villa des Diomedes und die Nekropole nahe dem Herculaner Tor sowie das Theater, Odeon und den Isistempel am Foro Triangulare vollständig frei14. Ein Christoph Heinrich Kniep (1755–1825) zugeschriebenes monochromes Aquarell, das zwischen 1787 und 1804 datiert wird, soll die Präsentation der gemachten Funde vor der königlichen Familie im Bild festhalten (Abb. 4)15. Wie stark Maria Karolina von den Antiken Kampaniens beeindruckt war, zeigt die Ausstattung ihrer Privatgemächer im Königsschloss von Caserta. Dort ließ sie 1782/84 den zweiten Saal ihrer Bibliothek im Stil rotfiguriger Vasenmalerei dekorieren und mit zahlreichen Nachbildungen der neapolitanischen Keramikmanufaktur Giustiniani schmücken (Abb. 5)16. Beeinflusst wurde sie dabei von der Sammlung unteritalischer Vasen des österreichischen Gesandten Graf Franz Anton Lamberg-Sprinzenstein (1740–1822), die mit über 500 Stück zur zweitgrößten der damaligen Zeit zählte. Über den Beichtvater Maria Karolinas, Anton Gürtler (1726–1791), gelangte im Jahr 1777 auch eine samnitische Terrakottastatue der Athena aus Roccaspromonte bei Campobasso in den Besitz des Grafen. Die Lamberg-Sprinzenstein-Sammlung wurde 1815 geschlossen für die Wiener Antikensammlung angekauft 17. Bereits im Jahr 1769 besuchte Joseph II. (1741–1790) mit seiner Schwester Maria Karolina Pompeji. Dort zeigte man ihm ein Haus in der Nähe des Foro Triangolare, das in einem Kellerraum ein Skelett barg und zu Ehren des hohen Besuchs aus Wien den Namen Casa dell’Imperatore Giuseppe II. (VIII 2, 39, 03) verliehen bekam, wobei die menschlichen Überreste als Schaugerippe für Pompeji-Touristen18 noch mehrere Jahrzehnte an dieser Stelle belassen wurden (Abb. 6). In einem anderen Raum des Gebäudes wurden schließlich auffallend viele Kleinfunde geborgen, worauf Joseph II. an den spontanen „Zufallsfunden“ Verdacht zu schöpfen begann und der Ausgrabungsleiter Francesco La Vega (1764–1815) zerknirscht zugeben musste, 7 1938. 8 9 1980, 10 11 12
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Wiener Zeitung 1784, Nr. 68 (25. August 1784), Vgl. auch Mayer 1856, 64. Linhart 1788, 282 f. Vgl. Pichler 1888, 11; Schlossar 1911, 136 f.; Niegl 76 f.; Rudan 1980, 225 f. Vgl. Hermann 1863, 137 f.; Engels 1965, 99. Zusammenfassend: Glaser 2009, 76–78. Wiener Zeitung 1784, Nr. 54 (7. Juli 1784), 1550 f.
13 PAH I, 1, 230. 288. 308; PAH I, 2, 76; Corti 1944, 200. 14 Ciarallo 2006. 1 5 Widersprüchlich: Porzio – Causa Picone 1983, 171; Fino 2006, 104. 16 Maggioni – Ebner 1999, 6. 17 Gschwantler 2009, 19. 132 f. 18 Vgl. Fino 2006, 87 f.; Dwyer 2010, 7–10.
Claudia Ertl – Daniel Modl
das Haus präpariert zu haben. Joseph II. quittierte dieses Vorgehen mit großer Missbilligung, wie auch die Tatsache, dass die ausgegrabenen Häuser einfach nur geplündert und sofort wieder zugeschüttet wurden19. Josephs jüngerer Bruder war, bevor er zum Römisch-Deutschen Kaiser Leopold II. (1747– 1792) wurde, Großherzog der Toskana. In Florenz trug er durch den gezielten Ankauf der Sammlung Galluzzi aus Volterra und Buccelli aus Montepulciano sowie der Rückführung der Medici Skulpturen aus Rom, darunter die Niobidengruppe und die Venus Medici, wesentlich zur Erweiterung der etruskischen Abteilung und der Sammlung antiker Skulpturen in den Florentiner Uffizien bei20. Nachdem gegen Ende des 18. Jahrhunderts zwei aufsehenerregende Goldschatzfunde aus Siebenbürgen nach Wien gelangten, ordnete der Sohn Leopolds II., Franz II./I. (1768–1835), im Jahr 1803/04 an, auch in Sarmizegetusa Regia Grabungen durchzuführen. Galten diese Aktivitäten ursprünglich der Suche nach Münzhortfunden, führten sie schließlich zur ausschnittsweisen Erforschung der ehemaligen Hauptstadt der Daker21. Franz II./I. förderte jedoch nicht nur Ausgrabungen, sondern stellte auch finanzielle Mittel für Konservierungsarbeiten zur Verfügung, wie 1816 im Fall des Amphitheaters von Pula/Pola in Istrien22. Auf seinen zahlreichen Inspektions- und Staatsreisen besuchte Franz II./I. auch etliche antike Stätten und wurde mehrfach Zeuge von „zufälligen“ Fundbergungen. Im dalmatinischen Salona/Sorin wohnte er 1818 der Auffindung eines römischen Sarkophags mit Herkules-Szenen bei23 und ein Jahr später war er in Pompeji bei Ausgrabungen in der Casa del Cinghiale (VIII 3, 8) unweit des Forums zugegen. Letztere Begebenheit hielt er in seinem Reisetagebuch fest, wo er nicht nur den Ablauf des Besuchs schilderte, sondern auch die dort gemachten Funde detailreich beschrieb und mit kleinen Skizzen versah (Abb. 7)24. Knapp zwei Wochen später wurde in der Gegenwart des Kaisers in Cuma, nordöstlich der Akropolis, eine unterirdische Grabkammer aus dem 2./1. Jh. v. Chr. geöffnet25 (Abb. 8), wobei er die Bergung der Funde durch seine Begleiter Anton Steinbüchel von Rheinwall (1790–1883) und Andrea de Jorio (1769–1851) wie folgt beschreibt: „Man machte es [das Grab] dadurch auf, daß einige der Schlußsteine des Gewölbs mit Krampen und einem Geißfuß gebrochen und geöffnet worden […]. Dann stiegen der Canonicus Joris, der mit Uns war, und Director Steinbüchel hinab, gaben die gefundenen Sachen herauf, die gleich gewaschen wurden, und die der Eigentümer Mir überließ.“26 Unter den Funden waren zahlreiche Alabaster-, Glas- und Keramikgefäße sowie vier Bronzespiegel und eiserne Strigiles, wobei sich heute aus dem Konvolut nur mehr ein Glasgefäß mit Goldfadenauf lage27 (Abb. 9) im Bestand des Kunsthistorischen Museums Wien eindeutig identifizieren lässt (KHM, ANSA XIa 3). Im heimatlichen Wien eröffnete Franz II./I. schließlich 1823 nach Vorschlag Steinbüchels mit dem von Pietro Nobile (1774–1854) erbauten Theseus-Tempel im Wiener Volksgarten das älteste provinzialrömische Museum Österreichs. Aufgrund der feuchten Umgebung musste jedoch die Ausstellung schon bald wieder geschlossen werden28. Mehr Glück mit seinem Museumsprojekt hatte der jüngere Bruder Franz II./I., Erzherzog Joseph Anton Johann (1776–1847), der als Palatin von Ungarn maßgeblich an der 1802 erfolgten Gründung des Ungarischen National19 PAH I, 1, 230 f.; Corti 1944, 202–206. 20 Vgl. Pesendorfer 1984, 45; Peham 1987, 160 f.; Camporeale 2008, 19–42. 2 1 Vgl. das derzeit am Institut für Alte Geschichte und Altertumskunde, Papyrologie und Epigraphik an der Universität Wien von Dr. Fritz Mitthof geleitete Forschungsprojekt: Von der Schatzsuche zur Archäologie: Die Wiederentdeckung der Hauptstadt des Dakerreiches Sarmizegetusa Regia in Siebenbürgen unter Franz II./I. (FWF Projektnr. P23975 -G21). 22 Vgl. Mader 2011, 11 f.; Pollak 2011, 232 f.
23 Vgl. Steinbüchel 1820, 8 f.; Heidecker 1969, 172– 176; Jeličić-Radonić – Pereža 2010, 167–203. 24 Vgl. PAH II, 4, 5–6; Kuster 2010, 242–245. 25 Botte u. a. 2011, 293 f. 26 Kuster 2010, 285 f. Vgl. auch Jorio 1824, 179 f. Taf. VI. 27 Vgl. Minutoli 1836, 16. Über die Glasschale und das im Jahr 2010 in Cuma wiederentdeckte Kammergrab „D25“ sind von Laëtitia Cavassa (CNRS/CJB, Neapel) und Kollegen zwei Publikationen in Vorbereitung. 28 Steinbüchel 1827; Heidecker 1969, 161–163.
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museums beteiligt war29. Dorthin wurden auch größtenteils jene Funde gebracht, die bei von ihm finanzierten Grabungen in verschiedenen Teilen Ungarns und Siebenbürgens entdeckt wurden, so zum Beispiel 1826 in Großwardein/Oradea (Rumänien) 30. Erzherzog Johann (1782–1859) machte sich dagegen um den Erhalt und Schutz der steirischen Altertümer verdient. Die von ihm initiierte Gründung des Joanneums im Jahr 1811 als Lehranstalt und Museum hat zweifellos geholfen, frühe heimische Bodenfunde zu bewahren, indem das Joanneum die Bevölkerung aufforderte, diese zu melden und einzusenden31. Dies betrifft auch, die im selben Jahr bei Ženjak (Slowenien) gefundenen Negauer Helme, die durch ein 1812 erlassenes neues Antikengesetz nach Wien in das Münz- und Antikenkabinett abgeliefert werden mussten32. Erst auf Vermittlung Erzherzog Johanns konnten fünf der Helme wieder nach Graz zurückgeholt werden 33. Auf der Rückreise von einem Truppenmanöver auf der Krim im Jahr 1837 nutzte Erzherzog Johann die Gelegenheit, in Griechenland zahlreiche antike Stätten im Umkreis Athens und der nordöstlichen Peloponnes zu besuchen. Über die Akropolis schrieb er in seinem Tagebuch: „Kein Tag vergeht, ohne daß etwas gefunden wird, hier ist nichts anderes zu tun, als Erde und Schutt bis auf den festen Felsboden aufzuräumen, die Funde zusammenzutragen, die Trümmer bei den Gebäuden, wohin sie gehörten, aufzustellen“34. Begleitet wurde Erzherzog Johann von seinem Kammermaler Thomas Ender (1793–1875), der neben den Bauten der Akropolis auch den Aphaiatempel auf Ägina oder das Löwentor von Mykene (Abb. 10) in mehreren Aquarellen festhielt35. Im Jahr 1856 wurde Erzherzog Johann schließlich Ehrenpräsident der Académie Royale d‘Archéologie de Belgique in Antwerpen36, worauf er im darauffolgenden Jahr – vielleicht motiviert durch sein neues Ehrenamt – im steirischen Stainz einen oder mehrere Grabhügel öffnen ließ, jedoch fehlen zum Grabungsort und den dabei gemachten Funden genauere Hinweise. 37 Besser unterrichtet sind wir über eine Schürfung nach Höhlenbärenknochen seines jüngeren Bruders Erzherzog Rainer (1783–1853) am 13. Oktober 1806 in der Drachenhöhle bei Mixnitz (Steiermark). Über diesen Besuch berichtet Andreas Engelhart (1795–1874) im Jahr 1828 folgendes: „[…] es wurde abermahl weiter fort gegangen bis in die tiefste Höhle […]. Hier auf diesem letzten Standpuncte […], wurde in der Geschwindigkeit gegraben, und mehrere unbekannte Beine und große Zähne, selbst eigenhändig von Sr. Kaiserl. Hoheit ausgegraben, die Selbe auch mitnahmen“38. Sein Sohn, Erzherzog Rainer der Jüngere (1827–1913), begann ab 1883 im großen Stil antike Papyri zu sammeln und wurde dabei vom Orientspezialisten Josef von Karabacek (1845– 1918) unterstützt. Besonderes Augenmerk widmete Erzherzog Rainer in der Folge, der sicheren Aufbewahrung und geschmackvollen Präsentation seiner Papyri und wünschte sich hierfür spezielle Schaukästen. Dieses Mobiliar ist teilweise heute noch im Papyrusmuseum in der Österreichischen Nationalbibliothek in Wien zu sehen, nachdem 1899 die ca. 100.000 Papyrusschriften umfassende „Sammlung Erzherzog Rainer“, als Geschenk an Kaiser Franz Joseph I. übergeben und diese in die k. k. Hofbibliothek eingliedert wurde39. Auch Erzherzog Rainers älterer Vetter, Großherzog Leopold II. von Toskana (1797–1870), ließ sich von der Ägyptomanie anstecken und war zusammen mit Karl X. von Frankreich (1757– 1836) maßgeblicher Förderer der 1828/29 durchgeführten französisch-toskanischen Ägyptenexpe29 30 1826), 1826), 31 32 33 34
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Raffler 2007, 262–289; Raffler 2012, 150–155. Der Bayersche Landbote Nr. 142 (28. November 642; Landauer Wochenblatt Nr. 49 (8. Dezember 1. Zusammenfassend: Raffler 2007, 183–188. Allgemein: Niegl 1976, 192 f. Vgl. Niegl 1980, 109 f.; Karl – Mele 2013, 37. Haan 1998, 239.
35 Koschatzky 1982, 86–108. Über Erzherzog Johanns Tagebuchaufzeichnungen zum Besuch der Athener Akropolis ist von Dr. Stephan Karl und Dr. Thuri Lorenz (Universität Graz) ein Beitrag in Vorbereitung. 36 Martiny 1992, 18. 37 MHVSt 9, 1859, 7. 38 Engelhart 1828, 81. 39 Loebenstein – Harrauer 1983, 5 f.
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dition von Jean-Francois Champollion (1790–1832) und Ippolito Rosellini (1800–1843). Mit den zahlreichen durch Grabungen oder Kauf erworbenen Fundstücken legte er den Grundstock der Ägyptensammlung in den Uffizien40. Daneben wurde unter Leopold II. auch die Antikensammlung durch exzeptionelle Stücke erweitert, wie z. B. durch den François-Krater41. Ein weiterer Vetter Rainers des Jüngeren war Erzherzog Friedrich (1821–1847). Dieser absolvierte eine Ausbildung zur See und besichtigte 1839 zwischen Flottenmanövern die antiken Stätten Mykene, Tyrins und Marathon42. In seinem Tagebuch hielt er die Eindrücke vom Grabhügel der Griechen in der Ebene von Marathon fest und beschrieb altertümliche „Kriegsrelikte“: „Wir fanden auf dem Tumulus einige schmale zugeschliffene, schwarze Steinstückchen, welche man meistens auf den alten Schlachtfeldern Griechenlands findet, und daher für Spitzen der persischen Pfeile hält“43. In seiner Funktion als Oberbefehlshaber der k. k. Kriegsmarine unternahm auch der jüngere Bruder Kaiser Franz Josephs I., Erzherzog Ferdinand Maximilian (1832–1867) zahlreiche Reisen in den Mittelmeerraum, die ihn 1855 nach Athen, Konstantinopel, Beirut und Alexandria bringen sollten. Die dort entstandenen fotografischen Aufnahmen antiker Monumente, wie jene der Säule des Pompeius in Alexandria (Abb. 11), zählen heute zu den frühesten bekannten „archäologischen“ Fotografien44. Zum Sommerfrische-Programm der kaiserlichen Familie in Bad Ischl gehörte auch der Besuch des früheisenzeitlichen Gräberfelds von Hallstatt (Oberösterreich). In den Jahren 1855 und 1856 verfolgte Maximilian mit Kaiser Franz Joseph I. und Kaiserin Elisabeth die Öffnung einiger Gräber, wobei Grab 507, das sogenannte „Kaisergrab“ die reichsten Beigaben des gesamten Gräberfeldes bergen sollte45. In Triest erfüllte sich Maximilian mit dem zwischen 1856 und 1870 erbauten Schloss Miramar seine Vorstellung eines Refugiums. Neben antikisierendem Interieur wurden auch Marmorund Bronzekopien berühmter Statuen im Schlosspark aufgestellt, darunter der Betende Knabe aus Berlin46. In einem Gebäude knapp außerhalb des Parks war auch seine ägyptische Sammlung untergebracht, die monografisch vom Steirer Simon Leo Reinisch (1832–1919)47 bearbeitet wurde und sich heute im Kunsthistorischen Museum in Wien befindet48. Im Jahr 1864 wurde Maximilian zum Kaiser von Mexiko ausgerufen. Als eine seiner ersten Handlungen initiierte er die Rückführung eines huaxtekischen Federmosaikschilds (quetzalcuexyo chimalli) aus Wien durch seinen Bruder Kaisers Franz Joseph I., das im Jahr 1865 in einem neuen, nach europäischen Vorbildern geschaffenen Nationalmuseum präsentiert werden sollte49. Er interessierte sich aber auch für die Ruinenstätten Mexikos, so bestieg er am 20. April 1865 die damals noch von dichtem Gestrüpp bewachsene Sonnenpyramide von Teotihuacán, wobei er sich über die mangelnde historische Bildung seiner Begleitung wie folgt beschwerte: „Ramírez war horribile dictu noch nie in Texcoco und Teotihuacan gewesen, und versteht, wie ich jetzt gesehen habe, von den Alterthümern gar nichts“50. Ferdinand Maximilians Schwägerin, Kaiserin Elisabeth (1837–1898), entschloss sich 1888 auf der Insel Korfu mit dem „Achilleion“ eine Villa zu Ehren ihres Lieblingsheros Achilleus zu errichten. Ihre schwärmerische Verehrung für den griechischen Helden fand dort u. a. Ausdruck in einer Marmorstatue des „Sterbenden Achilleus“ von Ernst Herter (1846–1917) auf der Gartenterrasse und in einem monumentalen Fresko von Franz Matsch (1861–1942), das im Treppenaufgang zum Peristyl die Schleifung Hektors durch Achilleus zeigt (Abb. 13). Im Peristyl waren zudem die Musen aus der Sammlung Borghese und Kopien der beiden bronzenen Athletensta40 41 42 43 44 45
Bresciani 1995, 10–40. Bruni 2011, 19–21. Dauber 1993, 69–72. Dauber 1993, 71 f. Aichelburg 1987, 59–73. Vgl. Modl 2006, 37; Kern 2008, 150.
46 47 48 49 50
Perotti 2002, 60. 80–82. Reinisch 1865. Vgl. Modl 2006, 38; Hölzl 2007, 12 f. Vgl. Modl 2006, 30. 38; Anders 2009, 31–35. Ratz – Tepexicuapan 2007, 88.
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tuen aus der Villa dei Papyri in Herculaneum aufgestellt 51. In der Villa selbst, die im pompejanischen Stil ausgestaltet worden war, wurden auch einige Antiken aufbewahrt, die vor Ort beim Bau der Villa gefunden wurden und 1899 aus dem privaten Nachlass der Kaiserin in die Antikensammlung des Kunsthistorischen Museums gelangten52. Von den Zwängen des Wiener Hofs befreit, reiste ihr Vetter Ludwig Salvator (1847–1915) mit seiner Dampacht Nixe über alle Weltmeere und hielt seine Eindrücke und Erlebnisse in mehreren Tagebüchern fest, die er später veröffentlichte53. Für den Mittelmeerraum sind ihm zahlreiche Beschreibungen antiker Stätten zu verdanken, aber vor allem die ersten Nachrichten von Megalithbauten auf den Baleareninseln Mallorca und Menorca54. Zudem stand er mit den führenden Archäologen seiner Zeit in Kontakt, wie z. B. Ferdinand von Hochstetter (1829– 1884) in Wien oder Wilhelm Dörpfeld (1843–1940) in Athen55. Am 22. Jänner 1910 ernannte Kaiser Franz Joseph I., Erzherzog Franz Ferdinand (1863– 1914; Abb. 12) aufgrund seiner denkmalpflegerischen Interessen zum Protektor der k. k. Zentralkommission für Erforschung und Erhaltung der Kunst- und historischen Denkmale, die bereits 1850 eingerichtet wurde und eine Vorläuferorganisation des heutigen Bundesdenkmalamtes darstellt56. Sein Fokus lag dabei vor allem auf kirchlichen Bau- und Kunstwerken, während er den prähistorischen und antiken Kulturresten geringeres Interesse entgegenbrachte57. Was er aber noch weniger zu schätzen wusste, war Geld für die „Ankäufe von Bildern zweifelhaftes Wertes, wie z. B. der Klimt’schen Bilder [auszugeben] statt mehr Mittel für die Erhaltung unserer alten Kunstdenkmäler zu widmen“58. Im Gegensatz zu Franz Ferdinand entsprang Kaiser Franz Josephs I. Wirken auf dem Gebiet der Archäologie keinem persönlichen Interesse, sondern ging auf seine Berater zurück und war letztendlich Ausdruck eines imperialen Machtanspruchs bzw. Repräsentationsgedankens. Um mit der rasanten archäologischen Erforschung der antiken Mittelmeerkulturen durch die führenden Nationen Europas am Ende des Jahrhunderts Schritt halten zu können, entsandte Wien ab 1875 Archäologen, die zunächst in Samothrake, dann 1881/82 in Gjölbaschi-Trysa, 1884/85 in Pamphylien und Pisidien und schließlich ab 1885 in Ephesos gruben59. Mit der Gründung des k. k. Österreichischen Archäologischen Instituts, der Kaiser Franz Joseph I. im Jahr 1897 zustimmte, war auch die institutionelle Basis für die Weiterführung dieser Forschungen gegeben60. Der damaligen politischen Lage und den guten Beziehungen zwischen Kaisers Franz Joseph I. und Sultan Abdul Hamid II. (1842–1918) war es auch zu verdanken, dass damals die wertvollsten Ausgrabungsfunde nach Wien gelangten. Diese konnten jedoch aufgrund von Platzmangel nur zum Teil im Wiener Kunsthistorischen Museum präsentiert werden, das 1891 in der Intention gegründet wurde mit den großen Museen in London, Paris oder Berlin in Konkurrenz zu treten61. Mit der Eröffnung des Museum Carnuntinum in Bad Deutsch-Altenburg (Niederösterreich) wiederum führte Kaisers Franz Joseph I. im Jahr 1904 ein nationales Prestigeprojekt zu seinem Ende (Abb. 14), das mit der Gründung des Vereins Carnuntum unter dem Patronat seines Sohnes Kronprinz Rudolf zwanzig Jahre zuvor begonnen hatte62. Einen besonderen Bezug zur Steiermark bildet schließlich die Schenkung, eines im Jahr 1877 in Flavia Solva geborgenen Mosaikfußbodens, im Zuge der Culturhistorischen Ausstellung 1883 in Graz von Kaiser Franz Joseph I. an die dortige Universität, der sich heute im Stiegenaufgang zum Institut für Archäologie befindet63.
5 1 Dierichs 2004, 82–100. 52 Lichtscheidl 2012, 19 f. 53 Vgl. Woerl 1899, 21 f.; Österreichisches Staatsarchiv 2002, 38. 54 Ludwig Salvator 1897. 55 Mader 2007, 264–267. 56 Brückler 2009, 15.
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57 58 59 60 61 62 63
Vgl. Mader 2011, 5–58. Mader 2000, 20. Oberleitner u. a. 1978, 32–41. Kandler – Wlach 1998, 13–17. Haupt 1991. Zintzen 1998, 160 f. Lorenz 1990, 223–226.
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Rückblickend waren die Motive für die private Beschäftigung einzelner Habsburger mit der Archäologie recht vielfältig und reichten vom persönlichen Interesse an der Vergangenheit, über die schwärmerische Verherrlichung der Ideale des Altertums, der Bewunderung des antiken Kunstschaffens und dem Nervenkitzel einer Fundbergung bis hin zur Legitimation der Herrschaft und dem Prestigeerwerb für das eigene Land. Verglichen mit den Hohenzollern und Wittelsbachern sowie den skandinavischen Königshäusern fehlt es jedoch bei den Habsburgern an einer Persönlichkeit, die von sich heraus auf staatlicher Ebene institutionelle Strukturen schuf, die die Archäologie und Denkmalpflege in der Monarchie nachhaltig gefördert hätten. Abbildungsnachweis Abb. 1: © Universitäts- und Landesbibliothek Tirol in Innsbruck Abb. 2, 5, 12: Foto D. Modl Abb. 3: © Landesmuseum Kärnten Abb. 4: Porzio – Causa Picone 1983, Abb. 85 Abb. 6: Saint-Non 1781, Abb. 89 Abb. 7: © Österreichisches Staatsarchiv, Haus-, Hof- und Staatsarchiv, Wien Abb. 8: Jorio 1824, Taf. VI Abb. 9: © Kunsthistorisches Museum, Wien. Abb. 10: © Privatbesitz, Sammlung Erzherzog Johann (Slg. EhJ Nr. 46 1102). Das Bild darf nur mit ausdrücklicher Genehmigung der Fam. Meran reproduziert werden. Abb. 11, 13: © Erzherzog Franz Ferdinand Museum, Schloss Artstetten, NÖ Abb. 14: © Sammlung R. Fürhacker Bibliographie Aichelburg 1987 Anders 2009 Botte u. a. 2011
Bresciani 1995
Brückler 2009
Bruni 2011 Budka 2005 Camporeale 2008
Ciarallo 2006 Corti 1944 Dauber 1993 Dierichs 2004 Dwyer 2010 Engelhart 1828 Engels 1965
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B. Mader, Ludwig Salvators Tabulae Ludovicianae. Vom Museum auf Papier zur Datenbank Mittelmeer, MAG CXXXVI/CXXXVII, 2007, 261–281 Mader 2011 B. Mader, Die österreichische Denkmalpflege in Pola 1816–1918, AnzWien 146, 1, 2011, 5–90 Maggione – Ebner 1999 L. Maggioni – A. Ebner (Hrsg.), Das Königsschloss von Caserta (Mailand 1999) Martiny 1992 V. G. Martiny, L’Académie Royale d’Archéologie de Belgique trois fois jubilaire 1842–1992, Revue Belge d’Archéologie et d’Histoire de l’Art = Belgisch Tijdschrift voor Oudheidkunde en Kunstgeschiedenis 61, 1992, 11–73 Mayer 1856 S. M. Mayer, Zu Kärntens Chronik. Ausgrabungen am Zollfelde, Carinthia I, 45/12, 1856, 64 Minutoli 1836 H. v. Minutoli, Über die Anfertigung und die Nutzanweisung der farbigen Gläser bei den Alten (Berlin 1836) Modl 2006 D. Modl, „… aus den Grabungen des Kaisers Max“ – mesoamerikanische Artefakte sowie Fotografien und Zeichnungen aus der Frühzeit der archäologischen Erforschung Mexikos im Antikenkabinett am Landesmuseum Joanneum, SchvSt 19, 2006, 29–67 Müller 2010 F. M. Müller, Anton Roschmanns Reisen nach Osttirol 1733, 1739 und 1746 und seine Beschreibungen der dabei beobachteten archäologischen Fundobjekte und Überreste, in: F. M. Müller – F. Schaffenrath, Anton Roschmann (1694– 1760). Aspekte zu Leben und Wirken des Tiroler Polyhistors (Innsbruck 2010) 171–195 Müller – Schaffenrath 2007 F. M. Müller – F. Schaffenrath, Anton Roschmanns lateinische Beschreibung der Ruinen von Aguntum. Reliquiae aedificii Romani ad oppidum Tyrolense Lienz detectae, vulgo das Zwergengebäu, Commentationes Aenipontanae XXXVI (= Tirolensia Latina 6) (Innsbruck 2007) Niegl 1976 M. Niegl, Die Entwicklung der generellen gesetzlichen Normen betreffend das Fundwesen und die archäologische Forschung in Österreich, RÖ 4, 1976, 189– 206 Niegl 1980 M. Niegl, Die archäologische Erforschung der Römerzeit in Österreich (Wien 1980) Oberleitner u. a. 1978 W. Oberleitner – K. Gschwantler – A. Bernhard-Walcher – A. Bammer, Funde aus Ephesos und Samothrake, Kunsthistorisches Museum Wien, Katalog der Antikensammlung II (Wien 1978) Österreichisches Staatsarchiv 2002 Österreichisches Staatsarchiv (Hrsg.), Erzherzog Ludwig Salvator. Ein Leben für die Wissenschaft 1847–1915 (Wien 2002) PAH G. Fiorelli, Pompeianarvm Antiqvitatvm Historia, 3 Bde. (Neapel 1860–64) Peham 1987 H. Peham, Leopold II. (Graz 1987) Perotti 2002 E. Perotti, Das Schloss Miramar in Triest (1856–1870). Erzherzog Maximilian von Habsburg als Bauherr und Auftraggeber (Wien 2002) Pesendorfer 1984 F. Pesendorfer, Ein Kampf um die Toskana. Großherzog Ferdinand III. 1790– 1824 (Wien 1984) Pichler 1888 F. Pichler, Virunum (Graz 1888) Pollak 2011 M. Pollak, Zur Theorienbildung der archäologischen Denkmalpflege in Österreich, ÖZKD LXV/3, 2011, 227–239 Porzio – Causa Picone 1983 A. Porzio – M. Causa Picone, Goethe e i suoi interlocutori (Neapel 1983) Raffler 2007 M. Raffler, Museum – Spiegel der Nation ? Zugänge zur Historischen Museologie am Beispiel der Genese von Landes- und Nationalmuseen in der Habsburgermonarchie (Wien 2007) Raffler 2012 M. Raffler, Palatin Joseph Anton Johann (1776–1847). Nihil est in rebus humanis praeclarius quam de re publica bene mereri, in: A. Ableitinger – M. Raffler (Hrsg.), „Johann und seine Brüder“. Neun Brüder und vier Schwestern. Habsburger zwischen Aufklärung und Romantik, Konservativismus, Liberalismus und Revolution, Veröffentlichungen der Historischen Landeskommission für Steiermark 42 (Graz 2012) 137–164 Ratz – Tepexicuapan 2007 K. Ratz – A. G. Tepexicuapan, Ein Kaiser unterwegs. Die Reisen Maximilians von Mexiko 1864–1867 nach Presseberichten und Privatbriefen (Wien 2007)
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Die Habsburger zwischen Antikenschwärmerei und Archäologie Reinisch 1865 Rudan 1980 Saint-Non 1781 Schlossar 1911 Steinbüchel 1820 Steinbüchel 1827 Woerl 1899 Zintzen 1998
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S. L. Reinisch, Die Ägyptischen Denkmäler in Miramar (Wien 1865) O. Rudan, Erzherzogin Maria Anna in Klagenfurt, Carinthia I, 170, 1980, 185–260 J. C.-R. Saint-Non, Voyage Pittoresque ou description des Royaumes de Naples et de Sicile, Vol. 1 (Paris 1781) A. Schlossar, Erzherzog Johanns wissenschaftliche Tätigkeit für Kärnten vor 100 Jahren, Carinthia I, 101, 1911, 92–136 A. Steinbüchel, Dalmatien. Eine Reiseskizze, Jahrbücher der Literatur 12, Anzeige-Blatt für Wissenschaft und Kunst 12, 1820, 1–30 A. Steinbüchel, Beschreibung des Theseums und dessen unterirdischer Halle in dem öffentlichen Garten nächst der k. k. Burg (Wien 1827) L. Woerl (Hrsg.), Erzherzog Ludwig Salvator aus dem Österreichischen Kaiserhause als Forscher des Mittelmeeres (Leipzig 1899) Ch. Zintzen, Von Pompeji nach Troja. Archäologie, Literatur und Öffentlichkeit im 19. Jahrhundert, Commentarii – Forschungen zur Literatur- und Kulturgeschichte 6 (Wien 1998)
Claudia Ertl – Daniel Modl
Abb. 1: Plan der Ausgrabungen von Josef Anton Nagel in Nußdorf-Debant (1753)
Abb. 2: Künstliche Ruinenanlage im Schlosspark von Schönbrunn, Wien
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Die Habsburger zwischen Antikenschwärmerei und Archäologie
Abb. 3: Altar für Victoria aus den Grabungen Maria Annas 1784 in Virunum
Abb. 4: Die königliche Familie zu Besuch bei den Ausgrabungen in Pompeji (monochromes Aquarell von Christoph Heinrich Kniep ?, 1787–1804 ?)
Abb. 5: Zweiter Saal der Bibliothek Maria Karolinas im Königsschloss von Caserta
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Claudia Ertl – Daniel Modl
Abb. 6: Pompeji-Touristen vor dem Schauskelett in der Casa dell’Imperatore Giuseppe II. (Radierung von Claude-Mathieu Fessard nach einer Zeichnung von Jean-Honoré Fragonard, 1781)
Abb. 8: Kammergrab in Cuma, geöffnet 1819 im Beisein von Kaiser Franz II./I. (Lithografie von Domenico Cuciniello, vor 1824)
Abb. 7: Tagebucheintrag von Kaiser Franz II./I. zu seinem Pompeji-Besuch am 13. Mai 1819
Abb. 9: Glasschale mit einer nur mehr schwach erkennbaren Darstellung eines Schiffs und einer Stadtmauer mit Turm aus dem Kammergrab in Cuma
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Die Habsburger zwischen Antikenschwärmerei und Archäologie
Abb. 10: Löwentor von Mykene (Aquarell von Thomas Ender, 1837)
Abb. 11: Pompeiussäule in Alexandria (anonyme Fotografie, 1855)
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Abb. 12: Erzherzog Franz Ferdinand zu Beginn eines Kuraufenthaltes in Ägypten am 9. Dezember 1895 in Kairo (Fotografie von J. Heymann, 1895)
Claudia Ertl – Daniel Modl
Abb. 13: „Triumphierender Achilleus“ im Treppenaufgang des Achilleions, Korfu (Fresko von Franz Matsch, 1892)
Abb. 14: Statue von Kaiser Franz Joseph I. vor dem Museum Carnuntinum in Bad Deutsch-Altenburg (Postkarte des Verlags Karl Ledermann, 1907)
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Ein Nekropolenbefund an der südlichen Peripherie von Carnuntum Nicole Fuchshuber – Franz Humer – Andreas Konecny – Mikulaš Fenik Im Zeitraum von Mai bis Juni 2011 fand auf einem Grundstück südlich der Umfahrungsstraße von Petronell-Carnuntum unter Leitung und Aufsicht der Verfasser eine Notgrabung statt, da der Grundbesitzer die Errichtung einer Maschinenhalle plant. Die Grabung wurde im Auftrag des Bundesdenkmalamtes vom Archäologischen Park Carnuntum durchgeführt1. In Vorbereitung der Grabungen wurde der durch rezenten Ackerbau umgelagerte Humus unter Aufsicht in einer Stärke von 0,25–0,30 m maschinell abgetragen. Angetroffene Befunde wurden von Hand weiter freigelegt und danach zeichnerisch und fotografisch dokumentiert. Die Vermessung des Befunds erfolgte durch die Vermessungsabteilung des Landes Niederösterreich. Im Verlauf der Arbeiten konnte ein etwa 75 m langer und 14 m breiter Abschnitt eines bereits durch die Prospektionen von Ch. Gugl bekannten Gräberfeldes entlang der Straße, die südlich des Lagervicus von Petronell in südwestlicher Richtung verläuft, freigelegt werden (Abb. 1). Es handelt sich hier um die von Aquileia kommende und am Ostrand der Alpen über Emona, Poetovio, Savaria und Scarbantia entlang führende Reichsstraße. „Ehe sie die porta principalis sinistra des Lagers erreicht, wird sie in einer Länge von mindestens 3 km auf beiden Seiten von Gräbern begleitet“2. Die bisher gefundenen Gräber und Grabbauten der sog. Carnuntiner Gräberstraße datieren von der 2. Hälfte des 1. Jh.s n. Chr. bis an die Wende vom 2. zum 3. Jh. n. Chr. Die 2011 ausgegrabene Nekropole liegt nördlich dieser vermuteten Straße, die jedoch im Zuge der Grabung nicht gefunden wurde. Es ist möglich, dass sich die Straße weiter südlich befindet oder dass sie in den letzten Jahrzehnten durch landwirtschaftliche Arbeiten undokumentiert abgetragen wurde. Der Befund weist 15 Grabbauten, 37 Gräber, einen Sarkophag, 5 freistehende Stelen und einige Gruben auf. Von 4 der freistehenden Stelen blieben nur die im Boden steckenden unbearbeiteten Unterteile erhalten. Stele 1 wurde kopfüber eingegraben freigelegt (Abb. 2). Sie wurde bereits in der Antike in Zweitverwendung eingebracht. Der Sandstein, aus dem sie bestand, war vermutlich bereits damals von so geringer Qualität, dass offensichtlich schon bald nach ihrer Aufstellung die reliefierte Oberfläche abzuplatzen begonnen hatte. Deshalb wurde der Stein kopfüber eingegraben, wohl, um seinen nicht beschädigten Unterteil erneut als Stele zu verwenden. In der Einsetzgrube blieb das Relief vor weiterer Erosion geschützt. Die erhaltenen und rekonstruierbaren Teile der Stele zeigen ein Relief mit Kantharos, Weinranken und Bordüre mit Efeuranke. Der einzige Sarkophag in dieser Nekropole war vollständig geplündert. Seine in situ vorgefundene Deckplatte hatte Übermaß und es ist anzunehmen, dass sie im Zuge einer Zweitnutzung angebracht wurde (Abb. 3). Sie war von Plünderern durchschlagen. In der Einschwemmung fanden sich mehrere Fragmente der ursprünglichen Deckplatte und einige Knochenreste. An der östlichen Schmalseite des Sarkophagkastens befindet sich ein Loch, das dem Abfluss von Flüssigkeiten diente (Abb. 4).
1 Finanziert wurden die Arbeiten durch eine Subvention des Bundesdenkmalamtes. Herrn Dr. Martin Krenn, Bodendenkmalpfleger für Niederösterreich, sei hier für
seine freundliche Unterstützung im Zuge der Grabungsarbeiten gedankt. 2 Kandler 1997, 69.
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Ein Nekropolenbefund an der südlichen Peripherie von Carnuntum
Bis auf den Sarkophag waren alle erhaltenen Gräber Brandbestattungen in seichten, länglichen, parallel zum vermuteten Straßenverlauf in Ost-West Richtung ausgerichteten Gruben. Die Wände dieser Gruben wiesen generell durch Hitzeeinwirkung verziegelte Bereiche auf und sind demnach als busta anzusprechen. In mehreren Fällen waren Reste einer Grabüberdachung aus tegulae und imbrices erhalten. Unter diesen Abdeckungen fanden sich in mehreren Gräbern neben Leichenbrand auch einige Beigaben. Diese reichen von einem oder mehreren keramischen Gefäßen, Öllampen, Metallobjekten oder Glasgefäße bis zu vereinzelten Münzen. 11 der freigelegten Grabbauten standen auf rechteckigem Grundriss mit Abmessungen zwischen 3,164,7 m und 5,865,5 m, 5 Grabbauten waren rund mit Durchmessern zwischen 3,5 und 4,0 m. In den meisten Grabbauten lag mittig oder etwas aus der Mitte verschoben ein Grab, in dem Leichenbrand mit Beigaben beigesetzt war. Bei mehreren Grabbauten war an der Südseite der Umfassungsmauer eine Stele eingesetzt (Abb. 1). Von diesen Stelen ist gleich wie bei den freistehenden Stelen nur die untere undekorierte Partie erhalten geblieben. Ansonsten wiesen die Bauten Ausnehmungen oder Fundamente auf, die zur Aufstellung einer Stele gedient hatten. Ein Grabbau, Bau 5, besaß gleich zwei derartige Fundamente. Bei den Grabbauten 1, 6 und 10 fehlen die jeweiligen Bestattungen. Es ist anzunehmen, dass diese durch landwirtschaftliche Arbeiten zerstört wurden. Dies zeigt der Befund bei Grabbau 6. An der Unterkante des vom Pflug zerstörten Erdreichs befanden sich mehrere Bronzebruchstücke, die wohl zu den Grabbeigaben gehört haben. Grabbau 1 (Abb. 5) ist der größte gefundene Grabbau dieser Nekropole. Er setzt sich aus einem großen rechteckigen Raum mit abgemauertem Vorraum zusammen. Darin befanden sich jedoch keine Reste einer Bestattung. Ebenso verhält es sich mit Grabbau 10, bei dem auch keine Reste einer Bestattung gefunden wurden. Die Grabbauten waren zum Teil bis zur antiken Lauffläche erhalten, teils bis unter diese abgetragen. Das aufgehende Mauerwerk war in allen Fällen verloren. Die Einfassungsmauern der Grabbauten waren verschieden tief fundamentiert. Einige waren 0,30 m seicht (Abb. 6) und bestanden in diesem Fall aus trocken in Schotterpackungen verlegten Bruchsteinen mit einer oftmals noch fassbaren Ausgleichsschicht aus Schotter. Hier ist davon auszugehen, dass das aufgehende Mauerwerk niedrig war und wohl aus Lehmziegeln bestanden hat. Andere Bauten besaßen bis zu 0,60 m tief fundamentierte Umfassungsmauern (Abb. 7). Deren Fundamente bestanden generell aus größeren Bruchsteinen in Schotterpackung. Darüber ließ sich in mehreren Fällen eine Ausgleichslage aus Bruchsteinen in Mörtelverband feststellen. Auf diesen soliden Fundamenten konnte sich ein höherer Aufbau erheben, der wohl in den meisten Fällen aus vermörteltem Bruchsteinmauerwerk bestanden hat. Wenn man die einzelnen Grabbauten genauer betrachtet, stellt einer aus mehreren Gründen einen Sonderfall dar. Es handelt sich hier um den Komplex von Grabbau 8 (Abb. 10). Er besteht aus zwei unterschiedlich großen, aneinander stoßenden Rechteckbauten. Der östliche Bau 8 a wies tief fundamentierte Umfassungsmauern auf, die einen soliden, unterirdischen Einbau einfassten. Dieser saß in einer rechteckigen, an zwei Seiten ausgemauerten bustum-Grube. Am Boden des bustums lagen zwei aneinander gefügte, verschieden große 0,30 m starke Sandsteinplatten, die mit einem opus caementitium-Gewölbe (Abb. 8) überspannt waren. Der Gewölbescheitel lag unter dem antiken Bodenniveau, und die gesamte Fläche des Grabbaus war auf antikem Laufniveau mit einer verdichteten Schotterung planiert. Durch ein Loch in der östlichen, größeren Sandsteinplatte führte ein tubulus in eine kleine, in den Boden des bustums gegrabene birnenförmige Grube (Abb. 9), in welcher sich die Bestattungsüberreste befanden. Leichenbrand ließ sich in der fetten, kohligen Asche allerdings keiner definieren.
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Nicole Fuchshuber – Franz Humer – Andreas Konecny – Mikulaš Fenik
Über den Fundamenten der Umfassung kann ein Monument rekonstruiert werden. In dem Abbruchschutt direkt neben Grabbau 8 a (Abb. 10) befanden sich einige Architekturfragmente, wie ein Fragment eines achteckigen Architravblocks (Abb. 11), ein dreieckiges Pilasterkapitell (Abb. 12), ein Bruchstück einer Nischenblendgliederung (Abb. 13), zwei Fragmente eines Säulenfußes mit attisch ionischem Rundstab, ein Bruchstück eines Blattzungenkapitells, mehrere kleinteilige Fragmente eine Sandsteinplatte und zahlreiche nicht eindeutig bestimmbare Architekturbruchstücke. Diese Fragmente erlauben den Versuch einer Rekonstruktion dieses Monuments über einer rechteckigen Steinplatte auf achteckigem Grundriss stehend. Es dürfte sich um einen zweigeschossigen Aufbau handeln, der mit Blendbögen, Pilastern und reich ornamentierten Gesimsen geschmückt war. Der westliche Bau 8 b wies unter einer Lage Bruchsteinen und 3 größeren Bruchsteinplatten zwei sandsteinerne ungeplünderte Ossuarien auf (Abb. 14). Die beiden Gräber sind parallel zur vermuteten Straße in Ost-West-Richtung orientiert. Das südlich gelegene Ossuarium (Grab Nr. 33) ist in zwei Teile gebrochen, das Nördliche (Grab Nr. 34) ist in einem Stück erhalten geblieben. In beiden Ossuarien befand sich Leichenbrand. Die Grabbeigaben des südlichen Ossuariums bestehen aus einer Firmalampe mit dem Stempel CDESSI3, einem kleinen Bronzering, einer Eisennadel, einem Schlüsselbart, einem Eisenblech, drei kleinen Glasbruchstücken, einem Armreif aus Bein, der in mehrere Fragmente zerbrochen ist, und einem Goldohrring, bei dem der Schmuckstein fehlt (Abb. 15). Die Beigaben aus Keramik des nördlichen Ossuariums (Grab 34) waren ein grautoniger Topf (Petznek, Typus 8.2)4, bei dem nur ein kleiner Teil des Randes fehlt, und zwei komplett erhaltene Firmalampen. Beide tragen den gleichen Stempel – FORTIS5 (Abb. 16). Weitere Grabbeigaben waren zwei kleine runde Silberplättchen, ein teilweise gebrochenes Silberröllchen, ein Goldring, ein Bernsteinring, zwei Fragmente eines Nagels, und mehrere Bruchstücke von mindestens zwei Glasbalsamaren. In dem grautonigen Topf befanden sich Bruchstücke eines theriomorphen Glasrhytons (Abb. 17). Ebenfalls eine Besonderheit zeigt Grabbau 12 (Abb. 18). An dessen Südseite befindet sich eine rechteckige Erweiterung der Umfassungsmauer. Über dieser könnte vielleicht eine Ädikula gestanden haben. Einen vergleichbaren Grundriss zeigt ein Grabbau aus Carnuntum, der in der Nähe der Rundkapelle von Petronell von Josef Dell ausgegraben wurde (Abb. 19)6. Dieser Bau weist eine rechteckige Erweiterung an der Innenseite der Nordmauer auf. Dell rekonstruiert diesen Grabbau als Antentempel mit zwei Säulenordnungen, eine korinthische und eine komposite. Die Seitenwände werden von Pilastern gegliedert. An der Frontseite rekonstruiert Dell einen „in den sog. syrischen Giebel eingebundenen Rundbogen mit reicher Profilierung“7. Für eine derartige Rekonstruktion von Grabbau 12 fehlt allerdings jegliche Evidenz. Insgesamt haben die teilweise geplünderten Gräber doch relativ umfangreiche Inventare besessen. Die Beigaben umfassen Keramik, Metallfunde, Gläser und 12 Münzen. Die Münzreihe reicht von Vespasian bis Antoninus Pius für Marcus Aurelius Caesar. Neben Prägungen der stadtrömischen Münze fand sich auch eine makedonische Prägung für Vespasian8 (Abb. 20) mit der griechischen Legende ΣΕΒΑΣΤΟ[Σ ΜΑΚΕΔΩΝ]ΩΝ rund um einen makedonischen Schild.
3 Diese Lampe datiert zwischen 100 und 250 n. Chr. 4 Petznek 1997, 214 f.; der Topf datiert zwischen 100 und 180 n. Chr. 5 Beide Lampen datieren zwischen 100 und 250 n. Chr.
6 Ertl 1996, 13–15, Taf. 3, 2 a. 7 Ertl 1996, 13. 8 Die Münze datiert zwischen 54 und 68 n.Chr. Die Bestimmung des Münzbefunds wird Ch. Gazdac, Cluj, verdankt.
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Ein Nekropolenbefund an der südlichen Peripherie von Carnuntum
Die Keramik datiert nach einer ersten Sichtung ins ausgehende 1. Jh. n. Chr. bis in die Severerzeit, mit einem Schwerpunkt vom mittleren 2. Jh. n. Chr. bis zur Severerzeit. Der derzeitige Auswertungsstand des Fundmaterials erlaubt keine engere chronologische Eingrenzung für die Auf lassung bzw. den Abbruch der Nekropole. Ausweislich mehrerer als Zerstörungshorizont anzusprechender Schuttfelder aus kleinteiligen Bruchsteinen auf der antiken Lauffläche in der Umgebung einiger Grabbauten ist die Nekropole noch in der Antike abgeräumt worden. Offensichtlich wurde das Steinmaterial aus den Grabbauten einer sekundären Verwendung zugeführt. Das diagnostizierbare Fundmaterial aus diesen Zerstörungshorizonten datiert nicht später als in die Severerzeit und indiziert damit, dass Auf lassung und Abtragung der Grabbauten wohl noch im frühen 3. Jh. erfolgt sind. Einziges Indiz für eine spätere oder weitere Nutzung der Nekropole ist der bereits angesprochene Befund des Sarkophages. Es bleibt die Frage, ob er ebenfalls im 2. Jh. verwendet wurde, oder später, vielleicht schon ins 3. Jh. datiert. Das Fundmaterial aus der Grabung wird derzeit in den Räumlichkeiten des Archäologischen Parks Carnuntum restauriert und ausgewertet. Es stellt sich die Frage, ob sich ein Zusammenhang zwischen der Auf lassung und Zerstörung der Nekropole um oder kurz nach 200 n. Chr. und der für dieselbe Zeit dokumentierten Neubelegung des Auxiliarkastells von Carnuntum herstellen lässt. Die dritte Bauperiode des Auxiliarkastells beginnt am Ende des 2. bzw. am Anfang des 3. Jh.s n. Chr. Vor Beginn dieser Periode war das Kastell eine Zeit lang nicht belegt 9. Das bis dahin fast komplett aus Holz gebaute Auxiliarkastell wurde mit Steinbauten erweitert bzw. umgebaut. Es besteht die Möglichkeit, dass das benötigte Baumaterial aus Stein unter anderem von der im letzten Jahr gefundenen Nekropole stammen könnte. Einziges Indiz für diese Theorie bleibt derzeit allerdings die zeitliche Koinzidenz. Für eine Überprüfung muss die abschließende Auswertung des Fundmaterials abgewartet werden. Abbildungsnachweis Alle Bilder: © Archäologischer Park Carnuntum Bibliographie Ertl 1996 Kandler 1997 Petznek 1997
9 Kandler 1997, 43.
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C. Ertl, Grabbauten in Carnuntum, CarnuntumJb 1996, 9–32 M. Kandler (Hrsg.), Das Auxiliarkastell Carnuntum 2. Forschungen seit 1989, SoSchrÖAI 30 (Wien 1997) B. Petznek, Römerzeitliche Gebrauchskeramik aus Carnuntum, CarnuntumJb 1997, 167–320
Nicole Fuchshuber – Franz Humer – Andreas Konecny – Mikulaš Fenik
Abb. 1: Gesamtplan der Nekropole (Planaufnahme: Konecny – Fuchshuber – Fenik)
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Ein Nekropolenbefund an der südlichen Peripherie von Carnuntum
Abb. 2: Stele 1 in situ, Ansicht von Norden
Abb. 3: Sarkophag Deckplatte, Ansicht von Südosten
Abb. 4: Sarkophag Kasten mit Abflussloch
Abb. 5: Grabbau 1, Ansicht von Norden
Abb. 6: Beispiel für ein seichtes Fundament, Grabbau 7
Abb. 7: Beispiel für ein tiefes Fundament, Grabbau 8
Abb. 8: Grabbau 8, opus caementitium Gewölbe, Ansicht von Osten
Abb. 9: Grabbau 8, birnenförmige Grube mit Bestattung
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Nicole Fuchshuber – Franz Humer – Andreas Konecny – Mikulaš Fenik
Abb. 11: Grabbau 8, achteckiger Architravblock aus dem Abbruchschutt
Abb. 10: Grabbau 8, Grundriss
Abb. 12: Dreieckiges Pilasterkapitell in Umzeichnung
Abb. 14: Grabbau 8 b, Ossuarien nach Abnahme der Sandsteinplatten Abb. 13: Nischenblendgliederung in Umzeichnung
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Ein Nekropolenbefund an der südlichen Peripherie von Carnuntum
Abb. 15: Grabbeigaben des südlichen Ossuariums (Grab 33)
Abb. 16: Beigaben aus Keramik des nördlichen Ossuariums (Grab 34)
Abb. 17: Theriomorphes Glasrhyton aus Grab 34
Abb. 18: Grabbau 12, Grundriss
Abb. 20: Makedonische Prägung für Vespasian mit griechischer Umschrift
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Abb. 19: Grabbau in der Nähe der Rundkapelle von Petronell; Auf- und Grundriss der Grabädikula im Gräberfeld südlich der Zivilstadt nach Dell – Rekonstruktionsvorschlag C. Ertl
Die Anwendung moderner Methoden der Konservierung und Restaurierung am Beispiel archäologischer Funde aus dem Laßnitztal Robert Fürhacker – Anne-Kathrin Klatz Die Vielfalt der archäologischen Befunde und Funde, welche im Rahmen der für den Bau der Koralmbahn im Laßnitztal durchgeführten Ausgrabungen1 geborgen wurden, bot die Möglichkeit moderne Methoden der Konservierung und Restaurierung anzuwenden und weiterzuentwickeln2.
Maßnahmen der präventiven Konservierung auf archäologischen Ausgrabungen Die präventive Konservierung hat grundsätzlich zum Ziel, durch vorbeugende Maßnahmen Beeinträchtigungen bzw. Beschädigungen an Kunst- und Kulturgut vorzubeugen und die Notwendigkeit von restauratorischen Maßnahmen möglichst zu vermeiden bzw. deren Umfang so gering wie möglich zu halten. Daher ist der sachgerechte Umgang mit Funden auf Ausgrabungen die Voraussetzung für eine effiziente und erfolgreiche Durchführung von Konservierungs- und Restaurierungsmaßnahmen mit einem für die archäologische Forschung optimalen Ergebnis. Um den Umfang von Restaurierungen an Funden möglichst gering zu halten, ist es im Rahmen der Ausgrabung notwendig, u. a. durch Einbindung restauratorischer Fachkräfte Vorkehrungen zu deren Schutz vor Beschädigungen zu treffen. Die weitgehende Beibehaltung der im Boden herrschenden klimatischen Bedingungen (insbesondere der Feuchtigkeit), sowie die mechanische Stabilisierung fragiler bzw. komplexer Funde und Befunde sind dabei besonders wichtig. Das kann beispielsweise durch die Übertragung zusammengehöriger Fragmentgruppen auf Tableaus oder durch Blockbergungen geschehen. Bei organischen Funden ist besonders der Zeitabschnitt von der Auffindung bis zur restauratorischen Bearbeitung überaus kritisch und ein Austrocknen der Funde ist jedenfalls zu vermeiden, was sich z. B. durch eine dichte Verpackung mit feuchten, zellstofffreien Mikrofasertüchern und Folien, sowie einer Lagerung unter restauratorischem Monitoring bewerkstelligen lässt.
Komplexe Keramikkonzentration Allgemein ermöglicht die Bearbeitung von Blockbergungen in der Restaurierungswerkstatt einen fundschonenden Abbau und eine detaillierte Dokumentation des Blockinhalts. Der Bereich eines blockgeborgenen Fundes stellt in der Grabungsdokumentation eine Leerstelle dar, sodass sich durch die Einbeziehung der während des Blockabbaus erstellten Dokumentation eine Vervollständigung der Grabungsdokumentation ergibt. Bei einer mehrlagigen, aus stark fragmentierten Gefäßen bestehenden Konzentration mittelbronzezeitlicher Keramik aus Wohlsdorf (Obj. 880)3 wurde eine Blockbergung in Form einer Kistenbergung durchgeführt (Abb. 1–2). Blockbergungen wurden in der Werkstatt in einer „Miniaturausgrabung“ abgebaut und die einzelnen Abhübe photographisch unter Einbeziehung der bei der Ausgrabung vergebenen Messpunkte dokumentiert. Freipräparierte Fundstücke bzw. zusammenhängende Fragmentgruppen wurden mit Unternummern und Nivellements versehen und digital in eine entzerrte Übersichtsaufnahme des jeweiligen Abhubs eingezeichnet. Die ursprüngliche Lage einzelner Fragmente von 1 Fuchs 2009; Fuchs 2011 a; Fuchs 2011b; Fuchs 2012.
2 Fürhacker – Klatz 2012. 3 Fürhacker – Klatz 2013.
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Die Anwendung moderner Methoden der Konservierung und Restaurierung
nachfolgend zusammengesetzten Gefäßen oder Gefäßteilen im Befund konnte somit rekonstruiert werden und dient als Grundlage für archäologische Interpretationen (Abb. 3–4).
Holzfunde aus einem Brunnen in Feuchtbodenerhaltung Ein spätbronzezeitlicher Brunnen mit einem dreilagigen, sehr gut erhaltenen hölzernen Brunnenkasten aus Wohlsdorf (Obj 764)4 wurde im Block geborgenen, wobei hierfür eine Baufirma beigezogen wurde. Die ca. 17,5 Tonnen schwere Blockbergung wurde in einer Halle von einem Team aus Archäologen und Restauratoren ausgegraben und dokumentiert5. So konnte der mehrphasige, zum Teil stark verschachtelte Brunnenkasten unter für die konservatorische Erstversorgung und die archäologischen Dokumentation optimierten Bedingungen abgebaut werden. Bei der Bergung speziell der Brunnenhölzer war es nötig, jedes einzelne Holz mit einer angepassten Bettung zu versehen, da sie ansonsten aufgrund des starken Zellabbaus durch das Eigengewicht zerbrochen wären. Die Hölzer wurden in Folge mit unter dosiertem Druck aufgesprühtem Wasser freigelegt und dokumentiert. Für die über 350 sehr unterschiedlich großen, vorwiegend aus diesem Brunnen stammenden Holzfundeinheiten aus Wohlsdorf wurde ein standardisiertes schriftliches, photographisches und zeichnerisches Dokumentationssystem entwickelt. Dieses hatte zum Ziel, die sehr fragilen Holzfunde noch vor Abschluss der Konservierung6 (Dauer voraussichtlich bis 2014) für die archäologische Auswertung zu erschließen. Es wurden unter anderem die Zurichtung (z. B. Brett oder Spaltling), sofern erhalten Arbeitsspuren, sowie die Holzart 7 der Funde erfasst. Die größeren Hölzer des aus drei Lagen bestehenden Brunnenkastens wurden weiters mit 3DOberflächenscans8 dreidimensional dokumentiert (Abb. 5–11).
Zerstörungsfreie Prospektionsmethoden in der Restaurierung von archäologischen Funden Eine schonende und effiziente Möglichkeit der Untersuchung von Einzelfunden, aber auch komplexer Blockbergungen (z. B. Grabbefunde), bieten radiologische Verfahren wie das Röntgen und die medizinische bzw. materialtechnische (industrielle) 3D-Röntgen-Computertomographie9. So können bereits vor Beginn der Restaurierungsmaßnahmen der innere Aufbau und der Erhaltungszustand eines Fundes bzw. einer Blockbergung untersucht und dokumentiert werden. Weiters ist es möglich, den voraussichtlichen Restaurierungsaufwand abzuschätzen. Grundsätzlich können en-bloc geborgene Befunde – zumindest teilweise – anhand der CTDaten archäologisch ausgewertet werden. Die partielle oder vollständige Ausgrabung eines solchen Befundes und somit dessen Zerstörung, ist voraussichtlich in naher Zukunft generell zu hinterfragen, und seine Quellenfunktion bliebe erhalten10. Wahrscheinlich können viele der zukünftigen Forschungsfragen nur an im Auffindungszustand erhaltenen Funden und Befunden abgeklärt werden und durch die rasant voranschreitende 4 Fuchs 2010. 5 R. Fürhacker und Dipl. Rest. A. K. Klatz (Fundfreilegung und -bergung, präventive und abschließende Konservierung, Restaurierung) in Zusammenarbeit mit Mag. G. Praher und Mag. K. Zotter (Ausgrabung und Vermessung, ARGIS), DI M. Moser (3D-Oberflächenscan, Univ. Innsbruck / Inst.f. Vermessung und Geoinformation), Dipl.-Inform. Dr.-Ing. S. Havemann (3D-Rekonstruktion mittels Photosequenzen, Institut für Computergraphik und Wissensvisualisierung). 6 Die Konservierung der Hölzer erfolgt mit fachlicher Beratung und Unterstützung durch die Restauratoren Axel
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Peiß (LVR-Landesmuseum Bonn) und Mag. Dipl. Rest. Stephan Brather (Brandenburgischen Landesamt für Denkmalpflege und Archäologisches Landesmuseum). 7 In Zusammenarbeit mit bzw. von Dr. M. Grabner (Universität für Bodenkultur Wien). 8 Mittels Faro 3D- Laserscanner in der Kulturfabrik Hainburg, Amt der NÖ Landesregierung Gruppe Baudirektion, Abteilung Hydrologie und Geoinformation, DI M. Pregesbauer, B. Stummer. 9 Hebert 1994; Fürhacker u. a. 2009; Kastner u. a. 2007. 10 Peek u. a.2009.
Robert Fürhacker – Anne-Kathrin Klatz
technische Entwicklung computertomographischer Verfahren bzw. der zugehörigen Anwendungssoftware werden sich neue Möglichkeiten der zerstörungsfreien Prospektion eröffnen.
Römerzeitlicher Eisendepotfund mit Schnellwaage Die Blockbergung (ca. 110640630 cm) eines römerzeitlichen Metalldepots aus Schönberg (Obj. 645)11, zeigt bereits auf den bei einer ersten Untersuchung angefertigten Röntgenaufnahmen12 stark korrodierte Teile einer, soweit erkennbar, vollständigen Schnellwaage mit Waagbalken, Haken, Kettengliedern und Bleigewicht sowie zwei Werkzeuge, eine Bartaxt und ein Laubmesser. Die computertomographische Untersuchung der teilweise freipräparierten Schnellwaage mittels hochauf lösender industrieller CT ermöglicht eine virtuelle Freilegung der Metallteile, indem die Sedimentbereiche des Blocks, welche eine geringere Dichte als das Metall aufweisen mittels Anwendungssoftware mathematisch „weggefiltert“ werden. Die am Bildschirm virtuell drehbare dreidimensionale Darstellung erlaubte eine umfassende Dokumentation der Zusammenhänge der einzelnen Teile der Schnellwaage. Mittels Verfahren des „Rapid Prototyping“ (z. B. 3D-Druck, Stereolithographie, 5 -Achs-CNC-Fräse, etc.) könnten mit den vorhandenen 3D-Daten die Bestandteile der Waage in unterschiedlichen Maßstäben ausgedruckt werden. Um den Zusammenhang der einzelnen Teile der Schnellwaage zu bewahren und aufgrund der sehr weit fortgeschrittenen Korrosion, wurden die Einzelteile von oben freipräpariert und im Block belassen. Dieser wurde einer kontrollierten Trocknung unterzogen und gefestigt. Eisenteile, welche noch einen Eisenkern aufweisen (Werkzeuge und Waagbalken) wurden entnommen, chemisch entsalzt und wieder in den Block eingesetzt (Abb. 12–15).
Latènezeitliche Brandbestattungen In Wohlsdorf fand sich eine Gruppe latènezeitlicher Brandgräber, die neben kalzinierten Knochen meist auch Metallbeigaben und in einigen Fällen keramische Beigaben enthalten. Die Gräber wurden in Blöcken geborgen und diese mittels medizinischer Computertomographie untersucht13. Die CT-Aufnahmen ermöglichen es, die Blöcke virtuell in beliebigen gelegten Ebenen zu schneiden und die Schnittebenen darzustellen. Die abgebildeten Dichtewerte lassen sich filtern, d. h. weniger dichte Bereiche werden ausgeblendet und es lassen sich Leichenbrand sowie Metallteile freistellen. Eine Interpretation des konservatorischen Zustands und eine erste archäologische Ansprache sind möglich. Kalzinierte Knochen und/oder Metallfunde können mit speziellen Filtern farblich hervorgehoben werden und lassen so ihre Form klarer erkennen. Die Schnittebenen können nach den Funden ausgerichtet werden, sodass beispielsweise ein senkrechter Längsschnitt durch eine Fibel gelegt werden kann, welcher deren technischen Aufbau zeigt und Maße genommen werden können (Abb. 16–19). Das ebenfalls aus einem der Brandgräber aus Wohlsdorf (Obj. 732) stammende Eisenschwert lässt in der Röntgenaufnahme14 verschiedene technologische und für die Datierung wichtige Details erkennen. Die Filterung der mittels materialtechnischer CT erstellten Aufnahmen erlaubt es, die über der Originaloberfläche liegenden Korrosionsauf lagen virtuell abzunehmen. 1 1 Fürhacker – Klatz 2010. 12 Die Röntgen- und CT-Untersuchungen an diesem Fund wurden am Österreichischen Gießerei-Institut in Leoben (ÖGI) von Daniel Habe durchgeführt. Röntgen: Messung am 17.12.2008, CT: Messung Nr. ÖGI_CT_04236 am 6.9.2010. 13 Die CT-Messung wurde am 4.2.2011 am Diagnos-
tikzentrum (DZ) Graz durchgeführt. 14 Die Röntgen- und CT-Untersuchungen wurden am Österreichischen Gießerei-Institut in Leoben (ÖGI) von Daniel Habe durchgeführt. Röntgen: Messung am 21. 8.2009, CT: Messungen Nr. ÖGI_CT_03186 und 03187 am 29.1.2010.
125
Die Anwendung moderner Methoden der Konservierung und Restaurierung
Details wie z. B. Spiralverzierungen im vorderen Scheidenmundbereich werden erkennbar. Wird das korrodierte Eisen ausgeblendet, welches eine geringere Dichte als metallisches Eisen aufweist, bleibt nur noch der Metallkern übrig, welcher sich zur Verdeutlichung farblich absetzen lässt (Abb. 20–26). Abkürzungen ARGIS: Archäologie Service GmbH (Dr. Gerald Fuchs) DZ Graz: Diagnostikzentrum Graz ÖGI: Österreichisches Gießereiinstitut Abbildungsnachweis Abb. 1. 2. 5. 7. 12: Aufnahme: ARGIS Abb. 3–4. 6. 8–10. 15–16. 20: Aufnahme: Fürhacker / Klatz Abb. 11: Aufnahmen und Grafik: Fürhacker / Klatz Abb. 13–14. 21. 22–23. 25–26: Aufnahme: ÖGI, Fürhacker / Klatz Abb. 17–19: Aufnahme: DZ Graz, Fürhacker / Klatz Abb. 24: Aufnahme: ÖGI Bibliographie Fuchs 2009
Fuchs 2010
Fuchs 2011 a
Fuchs 2011b
Fuchs 2012 Fürhacker u. a. 2009
Fürhacker – Klatz 2010 Fürhacker – Klatz 2012 Fürhacker – Klatz 2013 Hebert 1994 Kastner u. a. 2007
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G. Fuchs, Neues aus dem Laßnitztal, Weststeiermark. Archäologie im Abschnitt Weitendorf-Wettmannstätten der Koralmbahn, in: Tagungsbericht zum Fachgespräch „Archäologische Denkmalpflege in Österreich 1992–2008. Christa Farka zum Geburtstag“, FÖ 48, 2009, 290–302 G. Fuchs, Wohlsdorf – Bronzezeitliche Siedlung und Brunnen; R. Fürhacker – A. K. Klatz, Der mittelbronzezeitliche Brunnen aus Wohlsdorf; M. Grabner, Untersuchungen des Brunnenkastens aus Wohlsdorf, in: B. Hebert u. a., Ausgewählte Beiträge zum Fachgespräch „Nassholzkonservierung“ am 11. Mai 2010 in Graz, FÖ 49, 2010, 181–197 G. Fuchs, Mittel- bis spätbronzezeitliche Siedlungen auf der Trasse der Koralmbahn, Weststeiermark (Österreich). Ein Arbeitsbericht, in: C. Gutjahr – G. Tiefengraber (Hrsg.), Beiträge zur Mittel- und Spätbronzezeit sowie zur Urnenfelderzeit am Rande der Südostalpen. Akten des 1. Wildoner Fachgespräches vom 25. bis 26. Juni 2009 in Wildon / Steiermark (Österreich), Internationale Archäologie 15 (Rahden / Westf. 2011) = Hengist-Studien 2, 119–140 G. Fuchs (Hrsg.), Archäologie Koralmbahn 1: Weitendorf, Siedlungsfunde aus der Kupferzeit, Bronzezeit und Frühmittelalter, Universitätsforschungen zur prähistorischen Archäologie 198 (Bonn 2011) G. Fuchs, 6000 Jahre Siedlungsgeschichte und Landnutzung – ein Überblick, Forum Archaeologiae 63/VI/2012 (http://farch.net) R. Fürhacker – I. Pfeifer-Schäller – R. Wedenig, Neue Erkenntnisse zu zwei Bronzeobjekten aus dem hallstattzeitlichen Gräberfeld Führholz bei Mittertrixen durch den Einsatz der industriellen 3D-Röntgen-Computertomographie, Rudolfinum Jahrbuch des LMK, Bd. 109 (Klagenfurt 2009) 109–121 R. Fürhacker – A. K. Klatz, Restaurierungsbericht Schönberg Objekt 645 (1.11.2010, unpubliziert) R. Fürhacker – A. K. Klatz, Moderne Methoden der Konservierung und Restaurierung fragiler Funde und komplexer Befunde, Forum Archaeologiae 63/VI/ 2012 (http://farch.net) R. Fürhacker – A. K. Klatz, Restaurierungsbericht Wohlsdorf Objekt 880 (31.1.2013, unpubliziert) B. Hebert, Zur Computertomographie – Untersuchung archäologischer Funde, AÖ 5, 1, 1994, 36–38 J. Kastner – D. Salaberger – M. Grabner – M. Mehofer, Mikro-Röntgencomputertomografie: Eine zerstörungsfreie Methode für die Archäologie, AÖ 18, 1, 2007, 61–64
Robert Fürhacker – Anne-Kathrin Klatz Peek u. a. 2009
C. Peek – N. Ebinger-Rist – J. Stelzner, Zur Bearbeitung frühmittelalterlicher Grabfunde des Friedhofs von Lauchheim (Ostalbkr.) – Möglichkeiten und Grenzen digitaler Untersuchungsmethoden, AKorrBl 4, 2009, 559–578
Abb. 1: Wohlsdorf, Obj. 880, bronzezeitliche Keramikkonzentration in Fundlage
Abb. 2: Wohlsdorf, Obj. 880, Blockbergung des Zentralbereichs der Keramikkonzentration (Fund-Nr. Wo 2814), ca. 120685625 cm
Abb. 3: Wohlsdorf, Obj. 880, freipräparierter zweiter Abhub der Keramikkonzentration, entzerrte Aufnahme 846119 cm
Abb. 4: Wohlsdorf, Obj. 880, Abhub 2 mit den eingezeichneten zu entnehmenden Keramikfragmenten (Unternummer Wo 2814–131 bis -194) und Nivellements
Abb. 5: Wohlsdorf, Obj. 764, spätbronzezeitlicher Brunnen mit Holzerhaltung, Grabungssituation
Abb. 6: Wohlsdorf, Obj. 764, Herstellung der Blockbergung durch eine Baufirma
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Die Anwendung moderner Methoden der Konservierung und Restaurierung
Abb. 8: Wohlsdorf, Obj. 764, zweite freigelegte Holzlage des Brunnenkastens
Abb. 7: Wohlsdorf, Obj. 764, Blockbergung des spätbronzezeitlichen Brunnens bei der Übertragung auf den Sattelschlepper
Abb. 9: Wohlsdorf, Obj. 764, mit feuchten, zellstofffreien Mikrofasertüchern und mehrlagiger Stretchfolie verpacktes Holz des Brunnenkastens
Abb. 10: Wohlsdorf, Obj. 764, Holz der untersten Lage des Brunnenkastens nach der Freilegung
Abb. 12: Schönberg, Obj. 645, römerzeitliches Metalldepot im Befund
128
Abb. 11: Wohlsdorf, Obj. 764, Datenblatt des Dokumentationssystems
Robert Fürhacker – Anne-Kathrin Klatz
Abb. 13: Schönberg, Obj. 645, aus mehreren Einzelaufnahmen montierte Röntgenaufnahme des im Block geborgenen Metalldepots
Abb. 15: Schönberg, Obj. 645, Präparat der Schnellwaage mit Bartaxt und Laubmesser
Abb. 14: Schönberg, Obj. 645, virtuell mittels Computertomographie freigelegter Teilbereich der Schnellwaage – Ansicht von unten. Das Bleigewicht wurde dem Block für die CT-Messung entnommen, da es aufgrund seiner hohen Dichte die Messung gestört hätte
Abb. 16: Wohlsdorf, Obj. 454, teilfreigelegte latènezeitliche Brandbestattung mit Leichenbrand und Eisenbeigaben
Abb. 17: Wohlsdorf, Obj. 454, CT-Aufnahme der laténezeitlichen Brandbestattung mit Leichenbrand und Eisenbeigaben
Abb. 18: Wohlsdorf, Obj. 454, Detail der CT-Aufnahme mit durch die Fibel gelegtem Schnitt
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Die Anwendung moderner Methoden der Konservierung und Restaurierung
Abb. 20: Wohlsdorf, Obj. 732, Teile eines Eisenschwert aus einem latènezeitlichen Brandgrab im Auffindungszustand Abb. 19: Wohlsdorf, Obj. 454, Detail der CT-Aufnahme mit virtuell freigestellter Lanzenspitze, Fibel und Schwertkette
Abb. 21: Wohlsdorf, Obj. 732, Röntgenaufnahmen
Abb. 24: Wohlsdorf, Obj. 732, virtuell mittels Computertomographie freigelegtes Ortband
Abb. 22 und 23: Wohlsdorf, Obj. 732, Röntgenaufnahmen des Eisenschwerts: Details des Ortbands und des Scheidenmundbereichs
Abb. 26: Wohlsdorf, Obj. 732, virtuell freigelegter Metallkern aus metallischem Eisen des Eisenschwerts
130
Abb. 25: Wohlsdorf, Obj. 732, virtuell freigelegter Scheidenmundbereich mit ansatzweise erkennbaren Spiralverzierungen
Perspektivische Darstellungsmodi in der Landschaftsmalerei des Vierten Stils und die Rekonstruktion des Freskenprogramms im Isistempel von Pompeji Monika Hinterhöller-Klein Der vorliegende Artikel basiert auf Detailresultaten einer Dissertation, welche dem Thema perspektivischer Darstellungsmodi in der römischen Landschaftsmalerei des 1. Jh.s v. und n. Chr. gewidmet ist und sich in den Analyse-Methoden auf die theoretischen Systematisierungen der Darstellenden Geometrie bezieht. Um diesbezüglich einen Einblick in die Forschungsergebnisse zu bieten, sollen die Formen bildlicher Raumerfassung an einem bekannten Beispiel der römischkampanischen Wandmalerei zusammenfassend vorgestellt werden1. Denn der Isistempel von Pompeji besaß eines der wichtigsten Freskenensemble der Landschaftsmalerei im Vierten Stil, das beispielhaft verdeutlicht, welche perspektivischen Mittel in der Malerei des 1. Jh.s n. Chr. zur Verfügung standen und von den Wandmalern genutzt wurden. Da die Fresken schon bald nach ihrer Auffindung abgenommen wurden und als ausgeschnittene Einzelbilder ins Neapler Museum gelangten, ist die originale Anbringung der Freskenfragmente nach wie vor umstritten. Ausgehend von dieser Problematik – einem geläufigen Dilemma in der Forschung – soll verdeutlicht werden, wie die perspektivische Analyse einen Beitrag zur Rekonstruktion der Freskensituation und formalen Raumkonzeption leisten kann.
1. Der Isistempel in Pompeji und seine Freskendekoration Der Isistempel in Pompeji (VII 8, 28), dessen Grabungsgeschichte bis ins 18. Jh. zurückreicht 2, beherbergte eine Fülle verschiedener Landschaftsbilder, die für die räumlichen Darstellungsmodi im Vierten Stil signifikant sind. Infolge der starken Beschädigungen während des Erdbebens von 62 n. Chr. wurde der Isistempel in der Zeit des Viertens Stils umfassend saniert. Über diese Restaurationsmaßnahmen gab eine Inschrift über dem Hauptportal Auskunft, die von Numerius Popidius Ampliatius gestiftet wurde, der das Heiligtum im Namen seines sechsjährigen Sohnes aus eigenen Mitteln wiederherstellen ließ. Demnach gehören die erhaltenen Wanddekorationen der spätneronischen bis flavischen Zeit an3. Die abgenommenen Fresken, mittlerweile im Nationalmuseum von Neapel, entstammen ursprünglich der umlaufenden Portikus und dem Ekklesiasterion (Abb. 1). Dazu gehört eine Serie von Landschaftsgemälden mit sakral-idyllischen und nilotischen Szenen, sowie Villen- und Naumachiebildern. Während es sich in der Portikus um kleinformatige Fresken wie Pinakes und Vignetten handelt4, belegen die großformatigen Bilder im Ekklesiasterion eine Wiederaufnahme des 1 Es handelt sich hierbei um die Kurzfassung einer ausführlichen Untersuchung zu den Landschaftsfresken des Isistempels, welche in den Römischen Historischen Mitteilungen, Bd. 52 (2011), 15–150, unter dem Titel ‘Landschaft und Bildraum. Zur Entwicklung perspektivischer Darstellungsmodi in der Landschaftsmalerei des Vierten Stils am Beispiel der Freskendekoration im Isistempel von Pompeji’ erschienen ist. 2 Erste Erwähnung des Isistempels am 15. Dezember 1764. Zur wechselvollen Entdeckungsgeschichte vgl.: De Caro u. a. 1992, 3–7, 12–20, 23 f; De Caro 2006, 9–18.
Zur Baugeschichte vgl. u. a. Blanc – Eristov 2000, 227– 309; De Caro u. a. 1992, 7–12; De Caro 2006, 22–34; Schollmeyer 2008, 144; Tran Tam Tin 1964, 30 f. 3 Die späte Datierung der Wandmalereien ist durch die Inschrift CIL6846 belegt (Neapel MN 3765), die für die Wiedererrichtung des Isistempels einen terminus post quem mit 62 n. Chr. festsetzt. Vgl. Croisille 2010, 98; De Caro u. a. 1992, 7 f. 67; De Caro 2006, 21 f. 67; Ling – Ling 2005, 35; Tran Tam Tin 1964, 30–39. 4 Die Quadriportikus umschloss den eigentlichen Isistempel im Zentrum der Anlage und besaß ein paratakti-
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Perspektivische Darstellungsmodi in der Landschaftsmalerei des Vierten Stils
landschaftlichen Prospekts im späten Vierten Stil. Beim Ekklesiasterion handelt es sich um die große Versammlungshalle im rückwärtigen Teil des Isis-Heiligtums, die den Kultanhängern zur Zusammenkunft diente5. Im Osten öffnete sich die Halle mit einer Pfeilerstellung zur Portikus, die rückwärtige Westwand und die Schmalwände waren mit monumentalen Architekturdekorationen ausgestattet. Das architektonische Wandsystem erinnert mit seiner illusionistischen Wirkung an Architekturwände des mittleren Zweiten Stils, auf die es konzeptionell zurückgreift (Abb. 8)6. Das architektonische Dekorationssystem im Ekklesiasterion war mit mythologischen Bildern und großformatigen Landschaftspanoramen kombiniert. Auf beiden Schmalwänden war eine Begebenheit aus dem Io-Mythus dargestellt, auf der Nordwand die Szene mit Io, Argus und Merkur (Abb. 2). Aufgrund der Verbreitung des Io-Mythos in der römisch-pompejanischen Wandmalerei und der Wiederholung ähnlicher Figurenschemata mit der sitzenden Io am Felsen wurde vermutet, dass die Figurenkomposition auf ein spätklassisches Original des Nikias zurückgehen könnte, von dem Plinius d. Ä. (Nat. Hist. 35, 130–132) berichtet7. Im zweiten mythologischen Bild wird der Synkretismus mit Isis insofern deutlich, als Io auf einem Triton in Kanobos eintrifft, wo sie von der thronenden Isis samt ihren Priestern empfangen wird. Ins Zentrum der Wände gesetzt, wurden die Mythenbilder von großformatigen Sakral-Idyllen flankiert, deren ländliche Heiligtümer auf ägyptische Kulte hinweisen. Vermutlich sollten die Landschaftspanoramen den Eindruck von fensterartigen Ausblicken in eine sakrale Umgebung erwecken. In dem Bildensemble erscheinen Heiligtümer von Isis oder verwandten Göttern wie Neith, Osiris und Hathor, wobei die symbolischen Konnotationen von Regeneration, Fülle und Wachstum in engen Bezug zur Landschaft gesetzt werden8. Von den ursprünglich sechs Prospekten haben sich fünf im Nationalmuseum erhalten, wobei die ursprüngliche Anordnung der Bilder im Raumzusammenhang des Ekklesiasterions in der Forschung einige Probleme bereitete. Diesbezüglich mag die folgende Perspektive-Analyse einen Beitrag zur Erschließung der Originalanbringung leisten.
sches Dekorationssystem des Vierten Stils auf rotem Grund mit einer phantastischen Stangenarchitektur. Vgl. Avilia – Jacobelli 1989, 135–141; Croisille 1988, 124–130; Croisille 1998, 129–133; Croisille 2005, 214 f. 262; Croisille 2010, 46. 62 f. 65. 98–101; De Caro u. a. 1992, 24–32, 46–51; De Caro 2006, 45 f. 49. 52 f. 59 f. 62 f. 65; Elia 1941, 5–14; Mielsch 2001, 183. 185; Conticello, Andreae, Kunze 1989, 220; Peters 1963, 55. 154–156. 158. 160. 183; PPM Bd. VIII, 736–738. 746–756. 772–774. 778; Rostowzew 1911, 78–82; Schefold 1962, 154; Thagaard Loft 2003, 12. 25; Tran Tam Tin 1964, 36 f. 135–146. 5 Zum Ekklesiasterion und den dortigen Wanddekorationen vgl. u. a.: De Caro u. a. 1992, 34–37; Croisille 1988, 124; Croisille 2005, 215; Croisille 2010, 62 f. 101–106; Kotsidu 2008, 25; Peters 1963, 167; PPM Bd. VIII, 824–841; Tran Tam Tin 1964, 36 f. 138–143. 6 Diesbezüglich bietet die pompejanische Casa del Bracciale d’oro (Pompeji VI 17, Ins. Occ. 42, Triclinium 20, Nordwand) ein interessantes Vergleichsbeispiel, da sich hier verwandte Säulenmotive mit Volutendekor wiederfinden. Vgl. Jashemski 1993, 166 f. 348 f.; Moormann 1988, 224 f.; PPM Bd. VI, 44 f. 75–93. 7 Nikias, Sohn des Nikodemos aus Athen, schuf seine
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Bilder um die 112. Olympiade (332 v. Chr.) und war für die „diligentia“ (Sorgfalt) seiner Malweise berühmt. Mehrere Umsetzungen der Io-Argus-Thematik in der römischkampanischen Wandmalerei könnten vom Gemälde des Nikias und seiner Kompositionsweise inspiriert sein, da es in der frühen Kaiserzeit in Rom ausgestellt war. Vgl. Bragantini – Sampaolo 2010, 288 f.; Ling 1991, 129 f.; Mielsch, 141 f.; Neutsch 1940, 4–20; Peters 1963, 46; Schefold 1952, 65 f.; Scheibler 1994, 66 f; Wesenberg 1988, 348; Vollkommer – Vollkommer-Glökler 2001, 571–573. Zu den mythologischen Io-Gemälden des Ekklesiasterions vgl. u. a. De Caro, Cantilena, Sampaolo 1992, 34 f. 55–58; De Caro 2006, 29 f. 70. 72; Elia, 25–29; Hodske 2007, 227; Peters 1963, 146; Tran Tam Tin 1964, 138 f. 8 Während die Verbindung zum Isis-Kult in allen Szenen greifbar wird, ist der topographische Zusammenhang mit Ägypten kaum präsent. Dennoch nahm Elia eine Verortung der Landschaftsbilder in Oberägypten an. Vgl. Croisille 1988, 126. 129 f. 131–133; Croisille 2010, 62 f. 101 f. 138; Dall’Olio 1989, 518; Elia 1941, 30; Kotsidu 2008, 26; Tran Tam Tin 1964, 36 f.
Monika Hinterhöller-Klein
2. Sakral-idyllische Landschaftsprospekte aus dem Ekklesiasterion des Isistempels und ihre perspektivischen Darstellungsmodi a. Sakral-idyllischer Landschaftsprospekt mit Tholos und Sphinxumfriedung (Abb. 3), Neapel MN 1265 (1,87 m62,13 m) In diesem Landschaftsprospekt ist eine hügelige Szenerie dargestellt, die zum Hintergrund ansteigt, während sich im vorderen Bildteil ein Gewässer mit Landungssteg und Uferbebauung befindet. Dicht am Wasser erhebt sich ein heiliger Baum inmitten einer Umfriedung mit SphinxFiguren. Dahinter eine Sitzstatue mit Sistrum, im Mittelgrund eine Tholos, die sich vielleicht der Hathor zuweisen lässt9. Den Hintergrund bildet eine weitläufige Parkanlage mit Laubbäumen. In dieser Szene macht sich eine Raumerschließung bemerkbar, der es darauf ankommt, landschaftliche Ferne wiederzugeben. Obwohl der natürliche Horizont aufgrund des ansteigenden Geländes relativ weit oben erscheint, ist die erreichte Tiefenwirkung umso beachtenswerter, da der Versuch gemacht wird, eine räumliche Einheit zu schaffen. Auf dieser Stufe des Vierten Stils sind die Bilder imstande, die verschiedenen Tiefenschichten malerisch zu verbinden und ein kontinuierliches Raumgefüge zu kreieren. Allerdings geht diese Tiefenerweiterung mit einer disparaten Linearperspektive einher, der es nur partiell gelingt, die divergenten Faktoren zu kaschieren. Viele der ersichtlichen Tiefenlinien konvergieren zwar, die Konvergenzmuster sind aber kaum miteinander übereingestimmt. Eine Verlagerung der „Fluchtpunkte“ nach oben lässt sich an der Sphinx-Umfriedung und der Statuenbasis beobachten, setzt sich aber auch an der Tholos fort (F1–F3). Nimmt man die Tholos als verbindlichen Indikator des Ansichtswinkels ergibt sich eine Normalansicht und eine ungefähre Lage des konstruktiven Horizonts (KH) etwas unter der Bildmitte10. Ähnliche Unstimmigkeiten in der räumlichen Struktur machen sich auch am heiligen Baum der Sphinx-Umfriedung bemerkbar und weisen auf eine mangelhafte Berücksichtigung der logischen Raumzusammenhänge hin11. Gelungener fällt die Größenreduzierung der Architekturen im Hintergrund aus. Der Lichteinfall wird von rechts angenommen, die linken Gebäudepartien sind mit Eigenschatten versehen. Daneben gibt es eine großzügige Verwendung von Schlagschatten, die sich an den Architekturen und den Bäumen beobachten lassen. Allerdings sind die Schattenlänge so diskrepant, dass von einem gemeinsamen Einfallswinkel des Lichts nicht die Rede sein kann – man vergleiche etwa die Bäume im Kultbezirk, deren Schattenlängen trotz ähnlicher Baumhöhen stark voneinander abweichen. Der Zusammenhang zwischen einheitlichem Lichteinfall und gemeinsamer Schattenlänge bei gleich hohen Objekten wurde also nicht beachtet. b. Sakral-idyllischer Landschaftsprospekt mit Osiris-Sarkophag (Abb. 4), Neapel MN 8570 (1,11 m61,64 m); Sakral-idyllischer Landschaftsprospekt mit Tholos der Isis, Neapel MN 8558 (1,20 m61,26 m) Diese beiden fragmentarisch erhaltenen Landschaftsprospekte können an dieser Stelle nicht eingehender in ihrer Raumstruktur analysiert werden, sollen jedoch in Hinblick auf die Originalanbringung der Fresken im Raumkontext Berücksichtigung finden. Die mischperspektivischen
9 Zu MN 1265 vgl.: Croisille 2010, 103 f.; De Caro u. a. 1992, 35. 56 f.; De Caro 2006, 71; Elia 1941, 32, 351; Kotsidu 2008, 26; Peters 1963, 168 f.; PPM Bd. VIII, 840 f.; Tran Tam Tin 1964, 141 f. 10 „The horizon lies halfway up the picture.“ Peters 1963, 169. Im Hinblick auf „die“ Horizontlage des Bildes muss jedoch eine doppelte Präzisierung vorgenommen werden: 1. Der natürliche Horizont (NH) liegt eindeutig am oberen Bildrand und nicht in der Bildmitte. 2. Es ist nicht nur ein konstruktiver Horizont vorhanden, sondern infolge
der Mischperspektive eine Reihe von Konvergenzbereichen in unterschiedlicher Höhenlage. Die Tiefenlinien der Tholos laufen etwas unterhalb der Bildmitte zusammen (konstruktiver Horizont der Tholos im Teilungsverhältnis ca. 0,49). 1 1 Da sich der Baum inmitten der Sphinx-Umfriedung befindet, müsste er deutlich vor der Tholos aufragen. Dennoch wachsen die Äste des Baumes durch die Säulenstellung der Tholos hindurch und Teile davon werden sogar vom Rundbau verdeckt, befinden sich also dahinter !
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Perspektivische Darstellungsmodi in der Landschaftsmalerei des Vierten Stils
Tendenzen, die bereits im Landschaftsbild MN 1265 zu beobachten waren, setzen sich auch in beiden fragmentarischen Prospekten fort. Interessant ist die linearperspektivische Gestaltung der Landschaftsszene MN 8570, die trotz der Verwendung einer umgekehrten Perspektive einen relativ einheitlichen Raumeindruck erzeugt. c. Sakral-idyllischer Landschaftsprospekt mit Prostylos und porta sacra der Neith (Abb. 5), Neapel MN 8574 (1,70 m61,94 m) Dieser Prospekt zeigt eine Gebirgslandschaft mit abgeschiedenem Heiligtum, das aus einer hohen porta sacra mit heiligem Baum und einem Prostylos besteht. Schild und Speer, welche an dem Tormonument als Götterattribute aufgehängt sind, verweisen auf die ägyptische Kriegsgöttin Neith12. Die Mischperspektive ist hier gemildert, die divergenten Faktoren fallen optisch kaum ins Gewicht. Sowohl die porta sacra als auch der Prostylos erscheinen frontal zur Bildebene gestellt und geben eine Seitenansicht von links wieder, sind einander also diesbezüglich angeglichen. Dass die Übereinstimmung nicht ganz so weit reicht, macht die nähere Analyse deutlich: Sämtliche Orthogonalen an der porta sacra konvergieren zwar, laufen aber nicht exakt an einem Hauptpunkt zusammen. Der Konvergenzbereich befindet sich etwas unterhalb der Bildmitte, sodass hier eine rudimentäre Frontalperspektive mit Normalansicht vorliegt. Anders verhält es sich beim Prostylos, der ebenfalls in frontaler Raumlage mit bilparalleler Langseite präsentiert wird, wobei die einsehbaren Tiefenlinien nicht mit dem Konvergenzbereich der porta sacra übereinstimmen, sondern sich außerhalb des Bildrandes schneiden. Die Konvergenzzentren von porta sacra und Prostylos liegen also sowohl hinsichtlich der Seitenansicht als auch der Ansichtshöhe etwas auseinander. Konsequenter ist die Behandlung von Schatten- und Luftperspektive. Der Lichteinfall erfolgt von rechts, die Eigenschatten sind sorgfältig an allen Bildgegenständen verteilt und entsprechen einer Lichtrichtung, die der Projektionsrichtung entgegengesetzt ist. Interessant ist die Schlagschattengrenze am Podium des Prostylos, die es erlaubt, die Richtung der Lichtstrahlen und ihren Einfallswinkel zu bestimmen. d. Sakral-idyllischer Landschaftsprospekt mit porta sacra der Neith (Abb. 6), Neapel MN 8575 (1,72 m61,99 m) Zu sehen ist wieder eine zerklüftete Felslandschaft, die im Vordergrund aus einem Plateau besteht, das an ein Gewässer grenzt. Darauf befindet sich ein ländlicher Kultbezirk mit heiligem Baum, halbrunder Schola und hoher porta sacra, an der Speer und Schild auf die Göttin Neith als Inhaberin des Heiligtums hindeuten. Vom Felsplateau aus fischt ein Angler, ein Ibis schreitet davor. Im Hintergrund ist eine Ädikula ebenfalls mit Neith-Attributen ausgestattet13. Die ausgedehnte Tiefenwirkung kommt durch mehrere Faktoren zustande, einer davon ist die geschickte Handhabung der Größenreduzierung im Hintergrund. Die einzelnen Architekturen sind ansatzweise zentralperspektivisch gestaltet, besonders die porta sacra im Bildzentrum, die eine frontale Platzierung mit Seitenansicht von links aufweist. Sämtliche Orthogonalen schneiden sich in einem gemeinsamen Hauptpunkt, der knapp außerhalb des linken Bildrandes liegt und einer Normalansicht entspricht. Etwas weniger konsequent ist die Ädikula im Mittelgrund dargestellt. Obwohl sich die Seitenansichten beider Architekturen stark überschneiden, bleibt ungefähr eine gemeinsame Höhe des konstruktiven Horizonts knapp über der Bildmitte gewahrt, sodass trotz mischperspektivischer Tendenzen gewisse Zusammenhänge der Zentralperspektive in der Struktur des Gesamtraums Beachtung finden. Ein weiterer Faktor der zur Schaffung einer 12 Elia dachte an ein Monument des Isis-HathorKults, die Attribute an der porta sacra verweisen aber eher auf einen Synkretismus mit Neith. Zu MN 8574 vgl.: De Caro u. a. 1992, 58 f., De Caro 2006, 72; Elia 1941, 31 f.; Peters 1963, 168; PPM Bd. VIII, 826; Tran Tam Tin 1964,
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140 f. 13 Zu MN 8575 vgl. Croisille 2010, 103; De Caro u. a. 1992, 55; De Caro 2006, 70; Elia 1941, 31; Kotsidu 2008, 25 f.; Peters 1963, 167 f.; PPM Bd. VIII, 824; Tran Tam Tin 1964, 141.
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räumlichen Einheit beiträgt ist die Verteilung von Licht und Schatten. Der Lichteinfall erfolgt von rechts, die Eigenschatten werden an den linken Objektpartien angegeben. Interessant ist die Verwendung von Schlagschatten, etwa an der porta sacra und dem heiligen Baum, welche abermals eine Bestimmung von Lichtrichtung und Einfallswinkel erlaubt. Ebenso gelungen nimmt sich die Anwendung von Luft- und Farbperspektive aus. Die Architekturen und Felsszenerien im Mittel- und Hintergrund erscheinen nicht nur heller und kontrastärmer, sondern sind in ihrer Farbwertigkeit auch merklich zugunsten der Töne Grau und Blau verschoben, während im Vordergrund kräftiges Braun und Rosa dominieren.
3. Ein Vorschlag zur Positionierung der sakral-idyllischen Landschaftsbilder im ursprünglichen Dekorationssystem und Raumkontext des Ekklesiasterions Sowohl die sakral-idyllischen Prospekte als auch die mythologischen Gemälde waren ursprünglich in ein Dekorationssystem mit architektonischer Säulen-Pilastergliederung eingebunden. Die Einzelbilder wurden schon bald nach der Auffindung 1764 ausgeschnitten und gelangten nach Neapel, während die verbleibenden Architekturmalereien mittlerweile zerstört sind. Dass die ursprüngliche Gliederung dennoch erschlossen werden kann, ist den frühen Aquarellen zu verdanken, die zu Beginn des 19. Jh.s angefertigt wurden14. Diese geben das Wandsystem wieder und zeigen, dass die beiden Schmalwände der Nord- und Südwand korrespondierende Architekturdekorationen mit symmetrischer Anlage besaßen (Abb. 7). Während an den Schmalwänden die Säulen mit Volutendekor das auffälligste Architekturdetail sind, wurde die breitere Westwand von verzierten Bronzesäulen beherrscht und ist dem größeren Format entsprechend erweitert. Linearperspektivisch interessant ist die verwendete Axialperspektive, die aus horizontal gespiegelten Kavalierperspektiven um eine Protosagittale in der Zentralachse besteht (Abb. 8). Auf diese Weise wurde mithilfe einer Mischperspektive ein annähernd zentralperspektivischer Raumeindruck kreiert. Die Aquarelle des 19. Jh.s zeigen die Landschaftsbilder auch an ihrem vermeintlich originalen Anbringungsort und geben dabei folgende Anordnung wieder: An der Westwand nach dem Aquarell von G. Chiantarelli und D. Cataneo (Abb. 8): MN 1265 als linker Prospekt; ein verlorenes Mittelbild; MN 8570 als rechter Prospekt. An der Nordwand nach dem Aquarell von G. Morghen und G. Casanova (Abb. 7): MN 8575 als linker Prospekt; Io, Argus und Merkur als Mittelbild; MN 8574 als rechter Prospekt. An der Südwand nach dem Aquarell von Chiantarelli: Io und Isis in Kanobos als Mittelbild; zwei nicht erhaltene Prospekte an den Seiten. Zur Erschließung der Originalplatzierung sind die Aquarelle zwar eine wichtige Stütze, allerdings nicht immer verlässlich. Beispielsweise sind am Südwand-Aquarell zwei verlorene Landschaftsbilder zu sehen, von denen mindestens eines ein Phantasieprodukt des frühen 19. Jh. ist, da von den ursprünglich sechs Landschaftsprospekten fünf im Nationalmuseum erhalten sind, von denen aber nur vier den Aquarellen entsprechen15. Die Vertrauenswürdigkeit der Aquarelle ist aber auch im Hinblick auf die genaue Anordnung der Prospekte im Wandsystem fraglich. Dementsprechend disparat fiel die Zuweisung der erhaltenen Bildfelder zu den Wänden in der Forschung aus, sodass dieselben Landschaftsszenen sowohl der Südwand als auch der Nordwand zugewiesen wurden16. Überblickt man die bisherigen Zuordnungsvorschläge in der Forschungsliteratur zeigt sich, dass es sich nachwievor um ein strittiges Problem handelt, über das weder Ei14 Diese frühen Aquarellen wurden um 1810 von G. Casanova, G. Morghen, G. Chiantarelli und D. Cataneo angefertigt und geben die gesamten Wandsysteme der drei Ekklesiasterion-Wände wieder. Vgl. Croisille 2010, 105; De Caro u. a. 1992, 23. 34 f. 81 f. 85; De Caro 2006, 10 f.; PPM Bd. VIII, 823. 835. 839; Tran Tam Tin 1964, 138–143. 1 5 Der fragmentarische Landschaftsprospekt MN
8558 in Neapel mit der Tholos der Isis wurde in allen Aquarellen übergangen, gehört aufgrund seiner Motivik, des Formats und der Stilistik aber zweifellos zu den Ekklesiasterion-Prospekten. Vgl. Croisille 2010, 105; De Caro u. a. 1992, 35, 81 f.; PPM Bd. VIII 835. 16 Zur Problematik der umstrittenen Bildverteilung auf die Wände des Ekklesiasterions und den bisherigen Zuordnungen vgl. Croisille 2010, 102–105; De Caro u. a.
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Perspektivische Darstellungsmodi in der Landschaftsmalerei des Vierten Stils
nigkeit erzielt wurde noch eine schlüssige Argumentation vorliegt. Es soll deshalb eine neue Methodik vorgestellt werden, die eine zuverlässige Anordnung erlaubt. Dabei wird nicht wie bisher auf inhaltliche oder programmatische Aspekte Bezug genommen – etwa den Io oder Isis-Mythus anhand dessen dann eine Zusammenstellung der Fresken vorgenommen wird – sondern ausschließlich eine Orientierung an formalen Kriterien. Dabei sollen als richtungsweisende Indikatoren folgende Faktoren herangezogen werden: – Einen gesicherten Hinweis auf die Originalanbringung bieten die Abmessungen der Landschaftsbilder und die erhaltenen Reste des architektonischen Dekorationssystems, die bei einigen Fresken an den Rändern mit ausgeschnitten wurden. Gemeinsam mit den Aquarellen sind diese Spuren ein ausschlaggebendes Indiz für die Rekonstruktion der ursprünglichen Bildverteilung. – Vergleicht man die Aquarelle mit den erhaltenen Resten des Wandsystems, ergeben sich zwar einige Ungereimtheiten, solange aber die Aquarelle den erhaltenen Architekturdetails nicht widersprechen, sollte ihr Zeugniswert durchaus ernst genommen werden. – Ein interessanter Aspekt der Aquarelle, der in der Forschung bisher nicht beachtet wurde, ist die deutliche Angabe von Eigen- und Schlagschatten an den Architekturen des Wandsystems. Am Aquarell der Südwand weisen die Säulen Eigen- und Schlagschatten nach rechts auf, was mit einem Bildlicht von links übereinstimmt. Im Aquarell der Nordwand ist die Beleuchtung entgegengesetzt und erfolgt gemäß Schattendarstellung von rechts (Abb. 7). Eine spezifische Abwandlung erfährt die Schattengebung an der Westwand: Die bildinterne Lichtquelle wird hier zentral in der Wandebene angesiedelt, sodass mehr als eine Lichtrichtung zugrunde liegt. Dieser interessante Wechsel in der Beleuchtung hat seinen Grund in der Berücksichtigung des Raumlichts für das Bildlicht der Malereien. Vergleicht man den Grundriss des Ekklesiasterions mit der Schattenbehandlung, wird deutlich, dass für alle drei Wände eine bildinterne Lichtquelle angenommen wurde, die mit der bildexternen Beleuchtung übereinstimmt (Abb. 11). An der Westwand, die vom einfallenden Sonnenlicht mehr oder weniger frontal getroffen wurde, wählte man eine originelle Näherungslösung, indem das Bildlicht in die Wandmitte versetzt wurde und von dort lateral ausstrahlt. Folgt man dem Zeugnis der Aquarelle, waren die Architekturdekorationen also in penibler Korrespondenz von Raumlicht und Bildlicht konzipiert – eine Beobachtung, die für die ursprüngliche Verteilung der Landschaftsfresken von erheblicher Relevanz ist. – Denn es ist ein weit verbreitetes Phänomen römisch-kampanischer Wandmalerei, dass nicht nur Architekturmalereien, sondern auch Einzelbilder in Übereinstimmung von Raumlicht und Bildlicht angelegt wurden. Eine solche Korrespondenz lässt sich auch in der Landschaftsmalerei immer wieder beobachten17. Da in den Architekturdekorationen des Ekklesiasterions bereits anhand der Aquarelle eine Berücksichtigung des Raumlichts festgestellt wurde, liegt es nahe, auch für die einzelnen Landschaftsbilder eine solche Beachtung anzunehmen. Diese Hypothese vorausgesetzt, lässt sich ein tragfähiger Ausgangspunkt für die Zuordnung der ausgeschnittenen Fresken gewinnen: 1992, 35; Elia 1941, 30–36; Kotsidu 2008, 25 f.; PPM VIII 824–841; Peters 1963, 167–169; Tran Tam Tin 1964, 138–143. Die einzige Zuordnungsvariante, die mit der hier geäußerten Hypothese übereinstimmt, findet sich in PPM Bd. VIII 824–828. 835–841, dort allerdings nur unter Verweis auf eine frühe Grabungsnotiz von 1765, wonach sich das Fresko mit der porta sacra des Osiris (MN 8570) neben der Szene mit Io in Kanobos befunden haben soll. 17 Als Beispiel seien die Villenbilder im Tablinum der Casa di Marcus Lucretius Fronto aus dem späten Dritten Stil erwähnt, wo das Verhältnis von Realraum und Bildraum insofern berücksichtigt wird, als eine verbindliche
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Lichtquelle im angrenzenden Atrium angenommen wird. Dementsprechend sind die Schatten in den Villenbildern der Nordwand rechts angebracht, während die bildinterne Beleuchtung in den Villenbilder der Südwand von rechts erfolgt. Zu den Wandmalereien im Tablinum der Casa di M. Lucretius Fronto vgl.: Barbet 2009, 115; Bastet – de Vos 1979, 64–67; Croisille 2005, 73. 208; Croisille 2010, 45. 112; Ehrhardt 1987, 96–101; Kotsidu 2008, 53; La Rocca 2008, 45; Ling 1991, 60. 147; Mielsch 2001, 73– 75; Peters – Moormann 1993, 261–277. 223; Peters 1963, 114 f.; Thagaard Loft 2003, 13 f. 22 f.; Thomas 1995, 61– 63.
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a. Nordwand Folgt man dem Aquarell von Morghen und Casanova befanden sich an der Nordwand ursprünglich die Landschaftsszenen MN 8575 und MN 8574 zu Seiten des Mythenbildes mit Io und Argus. Obwohl in der Forschung meist eine Umgruppierung vorgenommen und beide Landschaftsszenen auf die Südwand versetzt wurden, lässt sich die Anordnung im Aquarell anhand der vorgestellten Methodik untermauern (Abb. 9). MN 8574 mit porta sacra und Prostylos der Neith (Abb. 5): Die betreffende Szene ist in der gesamten Breite mit Resten des Wandsystems erhalten. Sowohl die Abmessungen, als auch das Säulenfragment mit Volutenldekor sichern eine Zuordnung zu den Schmalwänden und zwar im rechten Wandabschnitt, da sich das Säulenfragment links anschließt. Dass sich der Prospekt wirklich auf der Nordwand befand, liegt aufgrund der Schattenbehandlung nahe. Denn die Perspektive-Analyse ergab, dass ein bildinterner Lichteinfall von rechts vorliegt. Legt man nun eine Anpassung von Bildlicht und Raumlicht zugrunde, dann kann sich der betreffende Prospekt nur auf der Nordwand befunden haben. MN 8575 mit porta sacra der Neith (Abb. 6): Dass sich diese Szene als Pendant im linken Wandabschnitt befand, wird nicht nur von der entsprechenden Anordnung im Aquarell gestützt, sondern ebenso durch die Abmessungen, das Säulenfragment und die ikonographischen Parallelen mit dem vorangehenden Prospekt. Denn beide Landschaftsszenen sind einander motivisch angeglichen, als jeweils zerklüftete Gebirgslandschaften mit einer porta sacra der Neith als Zentralmotiv erscheinen. Da sich die Voluten verzierte Säule in MN 8575 rechts anschließt, muss sich das Fresko im linken Wandabschnitt befunden haben. Ein wichtiger Faktor, der diese Zuweisung stützt, ist die Schattendarstellung: Wie im Gegenstück erfolgt der bildinterne Lichteinfall auch diesmal von rechts. Eine solche Bildbeleuchtung kann aber nur dann mit der natürlichen Lichtquelle im Ekklesiasterion übereingestimmt haben, wenn sich das Landschaftsfresko auf der Nordwand befand. Vervollständigen lässt sich die Nordwand durch die mythologische Szene mit Io, Argus und Mercur, wobei sich eine solche Anbringung ebenfalls durch die Schattenangaben bestätigen lässt. b. Südwand Auf die Rekonstruktion der südlichen Schmalwand kann an dieser Stelle nicht im Detail eingegangen werden. Mithilfe der aufgezeigten Methodik kommt man aber schlüssig zum Ergebnis, dass für das Aquarell von Chiantarelli mindestens eine Korrektur vorzunehmen ist, da einer der phantasievollen Landschaftsprospekte durch das Fresko MN 8570 mit der porta sacra des Osiris zu ersetzen ist (Abb. 4), was durch die Schattenangaben mit einem Lichteinfall von links naheliegt. Aufgrund der Volutensäule am rechten Bildrand kann sich MN 8570 demnach nur im linken Abschnitt des Wandsystems befunden haben, während das mythologische Bild mit Io in Kanobos mittig zuzuordnen ist. c. Westwand Dass die beiden verbleibenden Landschaftsprospekte an der Westwand zu vervollständigen sind, ergibt sich nicht nur durch ein indirektes Ausschlussverfahren, sondern lässt sich auch direkt begründen (Abb. 10). MN 1265 mit der Tholos und der Sphinxumfriedung (Abb. 3): Im Falle des linken Prospekts ist das Aquarell korrekt, was bereits durch das Format naheliegt – es handelt sich um das breiteste Bild der Serie. Eine Zuordnung zu den Schmalwänden fällt also aus. Darüber hinaus weist der Prospekt auch eine abweichende Architekturrahmung an den Seiten auf: Links eine kannelierte Säule, rechts eine Bronzesäule mit Ornamenten. Diese Rahmung entspricht nur den Architekturmalereien der Westwand. Da sich die Bronzesäule am rechten Bildrand befindet, lässt sich das Landschaftsbild im linken Wandabschnitt rekonstruieren. Eine solche Anbringung wird zusätz137
Perspektivische Darstellungsmodi in der Landschaftsmalerei des Vierten Stils
lich von den Schattenangaben gestützt: Anhand dieser lässt sich feststellen, dass ein bildinterner Lichteinfall von rechts vorliegt – und eine entsprechende Verteilung gilt auch für die Architekturen im linken Abschnitt der Südwand. Da sich die Zuweisung von MN 1265 zur Westwand bereits unabhängig von der Annahme einer korrespondieren Lichtführung und allein aufgrund des Dekorationssystems ergab, lässt sich hieraus eine starke Stütze für die These der Koppelung von Raumlicht und Bildlicht gewinnen. MN 8558 mit der Tholos der Isis: Dass die zweite und rechte Landschaftsszene im Aquarell von Chiantarelli und Cataneo (MN 8570) ursprünglich nicht zur Westwand sondern zur Südwand gehörte und von den Aquarellisten hierher versetzt wurde, ergibt sich aufgrund des Formats und den erhaltenen Säulenresten. Das Aquarell muss dementsprechend korrigiert und die Westwand durch das verbleibende Landschaftsbild MN 8558 ergänzt werden. Wie bereits am Beispiel der Nordwand gezeigt wurde, waren die dortigen Landschaftsbilder durch ähnliche Motive als formale Pendants konzipiert. Eine diesbezügliche Angleichung lässt sich auch an den Motiven der Westwand feststellen. Im Gegensatz zu den gebirgigen Felslandschaften der Schmalwände, zeigen sowohl MN 1265 als auch MN 8558 ein offenes Gelände mit je einer Tholos als sakrales Hauptmotiv. Ein weiteres Indiz, das für die Platzierung von MN 8558 im rechten Abschnitt der Westwand spricht, ist die Angabe von Licht und Schatten. Zunächst irritierend wirkt die Tatsache, dass der Lichteinfall hier nicht wie im „Gegenstück“ MN 1265 von rechts, sondern von links erfolgt. Doch obwohl die Beleuchtung dem Pendant entgegengesetzt ist, lässt sich diese Schattenangabe einwandfrei mit einer Anbringung im rechten Teil der Westwand vereinbaren. Dazu sei an die Architekturdekoration und ihre spezielle Schattengebung erinnert: Denn anders als an den Schmalwänden, wird an der Westwand keine einheitliche Lichtrichtung angenommen, sondern der linke Abschnitt der Westwand unterliegt einem Lichteinfall von rechts, der rechte Abschnitt einem Lichteinfall von links. Und genau diesem Beleuchtungsschema entspricht der Zuordnungsvorschlag (Abb. 10–11). Damit haben sich die Fresken des Ekklesiasterions in mehrfacher Hinsicht als beispielhaft für die Entwicklung der Landschaftsmalerei im fortgeschrittenen Vierten Stil erwiesen; sowohl im Hinblick auf vorhandene Traditionalismen, als auch in Bezug auf innovative Tendenzen. Die Errungenschaften antiker Perspektivetechnik lassen sich hier nachvollziehen und erlauben eine Grenzziehung zwischen der Mischperspektive des Vierten Stils und einer umfassenden Zentralperspektive. Die Entwicklung komplexer Mischformen, die mit konvergierenden Tiefenlinien, proportionaler Größenverminderung und einer empirischen Zusammenstellung von Seiten- und Aufsichten unter Verwendung eines natürlichen Horizonts arbeiten, sollte dabei nicht als mangelhafter Ersatz einer Zentralperspektive gewertet werden, sondern als eine auf Beobachtung basierende Darstellungsform, deren einfacher Regelkanon erstaunlich weit an den räumlichen Eindruck der Zentralperspektive heranreicht. Des Weiteren konnte auf Basis der Perspektive-Analyse gezeigt werden, dass die Behandlung von Licht und Schatten als wichtiger Indikator für die Situierung der Fresken an den Wänden dient, dass Bildraum und Realraum aufeinander bezogen und subtil miteinander verschränkt sind. Relevanz und Möglichkeiten einer perspektivischen Untersuchung ließen sich damit an einem bekannten Zeugnis pompejanischer Wandmalerei exemplifizieren. Abbildungsnachweis Abb. 1–6, 9–11: Aufnahmen und Rekonstruktionen Verf. Abb. 7: De Caro u. a. 1992, 35 Abb. 8: De Caro u. a. 1992, 34, Rekonstruktion Verf.
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Monika Hinterhöller-Klein Bibliographie Avilia 1989
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Abb. 1: Blick von der Süd-Westecke der Portikus auf die Pfeilerstellung des Ekklesiasterions
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Abb. 2: Mythenbild mit Io, Argus und Mercur, Ekklesiasterion, Mittelbild der Nordwand, Neapel MN 9649
Abb. 3: Sakral-idyllischer Landschaftsprospekt mit Tholos der Hathor, Ekklesiasterion, Westwand, Neapel MN 1265; Rekonstruktion der perspektivischen Darstellungsweise mit verlängerten Tiefenlinien und Schattenangaben
Abb. 4: Sakral-idyllischer Landschaftsprospekt mit porta sacra des Osiris, Ekklesiasterion, Südwand, Neapel MN 8570, Rekonstruktion der perspektivischen Darstellungsweise mit verlängerten Tiefenlinien und Schattenangaben
Abb. 5: Sakral-idyllischer Landschaftsprospekt mit porta sacra der Neith, Ekklesiasterion, Nordwand, Neapel MN 8574; Rekonstruktion der perspektivischen Darstellungsweise mit verlängerten Tiefenlinien und Schattenangaben
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Perspektivische Darstellungsmodi in der Landschaftsmalerei des Vierten Stils
Abb. 7: Dekorationssystem des Ekklesiasterions: Nordwand, Aquarell von Morghen und Casanova Abb. 6: Rekonstruktion der perspektivischen Darstellungsweise mit verlängerten Tiefenlinien und Schattenangaben (MN 8575)
Abb. 8: Dekorationssystem des Ekklesiasterions: Westwand, Aquarell von Chiantarelli und Cataneo, Rekonstruktion der perspektivischen Darstellungsweise mit verlängerten Tiefenlinien
Abb. 9: Rekonstruktion der Freskendekoration an der Nordwand des Ekklesiasterions mithilfe des NordwandAquarells und der ausgeschnittenen Originalfresken: Neapel MN 9649, 8574, 8575
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Abb. 10: Rekonstruktion der Freskendekoration an der Westwand des Ekklesiasterions mithilfe des WestwandAquarells und der ausgeschnittenen Originalfresken: Neapel MN 1265, 8558
Abb. 11: Rekonstruktion der Freskendekoration im Ekklesiasterion (Westwand, Nordwand, Südwand) mithilfe der Aquarell-Wiedergaben und der ausgeschnittenen Originalfresken: Neapel MN 9649, 9558, 1265, 8558 8570, 8574, 8575
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Spätantikes Wohnen auf Elephantine Lokale Keramikproduktion in Oberägypten Denise Katzjäger Die Siedlung auf der Nilinsel Elephantine in Oberägypten war neben der Stadt Syene (heute Aswan) am Ostufer eine der südlichsten Niederlassungen des römischen Imperiums. Durch ihre Funktion als Grenz- und Hafenstadt am ersten Katarakt wurde ihr von jeher große Bedeutung zugemessen1. Der Handel mit Nubien und der Abbau von Rosengranit verhalf Elephantine zum wirtschaftlichen Aufschwung. Die Produktion lokaler Feinkeramik, welche in ganz Ägypten und dem Mittelmeerraum Verbreitung fand, trug auch noch in der Spätantike zum Wohlstand der Region bei. Als bedeutende Kultstätten des Gottes Chnum war Elephantine schon zur Zeit der Pharaonen eines der wichtigsten religiösen Zentren Ägyptens. Ab der Spätantike kann vor allem rund um dieses ehemalige Tempelareal eine kontinuierliche Siedlungsaktivität bis in frühislamische Zeit nachgewiesen werden2. Die sukzessive Veränderung von Kultzentrum zu einfacher Wohnbebauung, Werkstätten und Kirchen bietet zahlreiche Ansatzpunkte zur Erforschung spätantiker Siedlungsstrukturen. Besonders gut erhaltenes Fundmaterial macht es außerdem möglich, einen Einblick in die Alltagskultur der Bewohner Elephantines zu gewinnen. Vier Gebäude, die sich im Areal um den Chnumtempel auf Elephantine befinden, und deren keramisches Fundmaterial bilden die Grundlage der vorliegenden Forschungsarbeit3. Der Baubefund der größtenteils mehrstöckigen Hauskomplexe wurde bereits vom Ausgräber F. Arnold4 im Jahr 2003 monographisch vorgelegt. Die darin vorgeschlagene zeitliche Einordnung der einzelnen Häuser beruht auf Münzfunden bzw. einer groben Durchsicht der Keramik5, die als Errichtungszeitraum das 5. Jh. n. Chr. als plausibel erscheinen und eine teilweise Nutzung bis in das 9. Jh. n. Chr. vermuten lassen. Die Bearbeitung des Fundmaterials soll nun eine funktionsspezifische Analyse der im Grundriss unterschiedlichen Gebäude ermöglichen. In einigen Fällen geben integrierte Werkstattbereiche Hinweise auf eine betriebliche Nutzung der den Wohngebäuden vorgelagerten Hofareale.
Keramik des Gebäudekomplexes K20 Der Komplex K20 fungierte als Wohnhaus und zumindest zeitweilig auch als metall- und steinverarbeitender Betrieb6. Das Gebäude selbst wurde frühestens in der zweiten Hälfte des 5. Jh.s n. Chr. erbaut und blieb mindestens bis in die erste Hälfte des 7. Jh.s n. Chr. bewohnt. In den angrenzenden Höfen im Norden und Westen, aus denen die Mehrheit der zu bearbeitenden Keramik stammt, konnten zahlreiche unterschiedliche Nutzungsphasen und Umbauten festgestellt und diese wiederum diversen Funktionen zugewiesen werden. Vor allem der Nordhof, der einerseits als Küche mit Ofen in der Nordostecke und zeitgleich als Stall im Westbereich genutzt wurde und andererseits als Steinabschlag- und Steinverarbeitungsplatz diente, wies große Mengen an spätantiker Keramik auf. Hervorzuheben ist auch der 2011 untersuchte Keller im südlichen Raum des Hauses K207. Der Keller besitzt in der Nordwestecke eine Treppe und wurde mit ei1 Kaiser u. a. 1974, 70; Jaritz 1987; Jaritz 1993. 2 Arnold 2003; Grossmann 1980. 3 Dissertation betreut von K. Sporn an der Paris Lodron-Universität Salzburg im Rahmen des FWF-Projektes „Antike Wohnkultur in Syene/Elephantine, Oberägypten“ (P23866) unter der Projektleitung von S. Ladstätter
(ÖAI), in Kooperation mit dem Schweizer Institut für Ägyptische Bauforschung und Altertumskunde, Kairo. 4 Arnold 2003. 5 Durchsicht der Keramik durch M. Rodziewicz. 6 Arnold 2003, 73–77. 98–102. 7 Grabungen des Schweizer Institutes für Ägyptische
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nem Steinboden versehen. Im Versturz, welcher wahrscheinlich zeitlich nicht vor Mitte des 7. Jh.s n. Chr. anzusetzen ist8, befanden sich viele, gut erhaltene Gefäßfragmente und einige Ganzgefäße. Die unterschiedlichen Funktionen von K20 und die damit verknüpften, relativ kurzen Nutzungszeiträume schaffen eine vielversprechende Ausgangslage für typochronologische Analysen der spätantiken Keramik auf Elephantine, die zusammen mit anderen Fundgattungen wie Glas, Textil und Metall ein breites Spektrum an Forschungsfragen zur kulturhistorischen Entwicklung dieses Ortes bietet. Das Fehlen einer detaillierten chronologischen Gliederung des spätantiken keramischen Materials und dessen funktionsspezifische Zuordnung machte eine neuerliche Einteilung und Definition von Warengruppen und Scherbentypen, sog. fabrics9, erforderlich. Die bereits abgeschlossene Aufnahme, die teilweise durchgeführte Auswertung und die darauf basierende statistische Erfassung des keramischen Materials von K20 geben einen ersten Einblick in das Verhältnis der Warengruppen zueinander sowie deren Fabrikate und Verzierungstechniken. Die Anzahl aller erfassten Fragmente des Gebäudes K20 beträgt mehr als 45000 Scherben. Zu verzeichnen ist ein auffallend hoher Anteil an Tafelgeschirr (34%), ein relativ geringer Teil an Amphoren (19%) und eine sehr geringe Menge an Küchenware (5%) (Abb. 1). Mehr als 80% der diagnostischen Scherben und mehr als 60% des gesamten keramischen Materials aus K20 wurden aus dem für die Region um Aswan typischen Pink clay10 produziert (Abb. 2). Lagerstätten des Pink clay werden am Westufer des Nils, in der Nähe der römischen Sandstein-Steinbrüche, angenommen. Obwohl bislang noch keine Töpferöfen gefunden wurden, konnten auf Elephantine einige ungebrannte Gefäße, Rohtonklumpen sowie ein Stempel sichergestellt werden11. Weiters lassen einige Straten im Südbereich der spätantiken Siedlung Ton verarbeitende Betriebe vermuten. Die Schichten bestehen aus feinem, rosafarbenem, mit Sand vermengtem Material und könnten Reste einer Töpferwerkstatt darstellen. Genau in diesem Bereich endet das Grabungsareal jedoch abrupt. Mittelalterliche Abbaumaßnahmen der Sebbachin, die den Schutt der antiken Stätte – insbesondere das zerkleinerte Nilschlammziegelmauerwerk und organisches Material – abbauten und als Dünger auf ihren Feldern verwendeten, machen weitere Untersuchungen in diesem Bereich unmöglich. Die große Anzahl an Gefäßen, die in Pink clay hergestellt wurde, ihre Verteilung auf alle Warengruppen und das Vorkommen des Tons in der unmittelbaren Umgebung legen jedoch den Verdacht einer lokalen Keramikproduktion auf Elephantine, deren Beginn sicher schon in der Kaiserzeit oder vielleicht noch früher anzusetzen ist, nahe. Die große Bedeutung dieser Töpferwerkstätte in der Spätantike zeigen die zahlreichen Exporte des in Pink clay produzierten Tafelgeschirrs, das einerseits in das Delta und weiter in den Mittelmeerraum12 wie etwa nach Zypern und Sizilien verhandelt wurde, andererseits auch im südlich angrenzenden Nubien13, dem heutigen Sudan, nachzuweisen ist. Auch in der Spezialliteratur wird die von J. W. Hayes als Egyptian Red Slip A14 bezeichnete Ware der Region Aswan zugeordnet15. Sie besitzt einen roten Überzug und das Formenspektrum weist erhebliche Ähnlichkeiten mit der in Tunesien produzierten African Red Slip Ware bzw. der Late Roman C Ware aus Kleinasien auf (Abb. 3)16. Diverse Stempeldekore beider Gruppen konnten im Fundmaterial nachgewiesen werden. Das gleiche Formenrepertoire konnte auch beim Tafelgeschirr mit weißem Überzug festgeBauforschung und Altertumskunde, Kairo unter der Leitung von C. von Pilgrim; durchgeführt von F. Arnold. 8 Erste Auskunft nach der Grabung durch F. Arnold. 9 Orton u. a. 1993, 132–151. 10 Rodziewicz 1992. Bisherige Forschungsergebnisse von L. Peloschek zur Archäometrie der hellenistischen Keramik in Syene zeigen ein fabric, welches durch seine rein äußerlichen Merkmale dem Pink clay zuzuordnen wäre, dessen Grundstoff durch archäometrische Analysen jedoch als Nilschlammton ausgewiesen werden konnte, siehe dazu Poster von L. Peloschek, Defining local ceramic production
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at hellenistic Syene, Upper Egypt, 39 th International Symposium on Archaeometry, 28 May – 1 June 2012, Leuven, Belgium. 1 1 Gempeler 1992, 56. 12 Bailey 1998, 8; Tomber – Williams 1996, 382–387; Hayes 1980, 531. 13 Adams 1986, 525–560. 14 Hayes 1972, 387–397. 1 5 Rodziewicz 1992, 106; Ballet u. a. 1991, 140–142; Ballet – Vichy 1992, 113–116; Sieler 2008. 16 Gempeler 1992, 41; Hayes 1972, 387 f.
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stellt werden, welches aber weit seltener zu verzeichnen ist als jenes mit rotem Überzug. Diese Ware scheint vor allem für den Export nach Nubien bestimmt gewesen zu sein17. Mit diesem im Süden des antiken Syene angrenzenden Gebiet, das sich in der Spätantike aus mehreren Königreichen zusammensetzte, bestanden seit jeher wichtige Handelsbeziehungen, die den Warenaustausch zwischen Ägypten und Afrika garantierten. Auch in der Formenvielfalt der oft als Aswan Fine Ware18 bezeichneten Gruppe, die sich durch ihre Bichromität auszeichnet, finden sich African Red Slip Ware imitierende Typen wieder. Über die Hälfte der Fragmente der Aswan Fine Ware kann jedoch Schalenformen zugeordnet werden (Abb. 4). Darunter befinden sich einige regional charakteristische Gefäßformen, deren Ursprung schon vor dem Beginn der römischen Kaiserzeit zu finden ist (Abb. 5). Ihre Langlebigkeit lässt neben mediterran-römischen Tischsitten auch starke, lokale Traditionen vermuten, die auf Elephantine über Jahrhunderte bewahrt wurden. Regionale Traditionen lassen sich auch in der für dieses Gebiet einzigartigen Bemalung der Gefäße fassen, deren Motive sich größtenteils auf ptolemäisch-hellenistische Dekorationsschemata zurückführen lassen (Abb. 6)19. Am Rand mancher Gefäße befinden sich ein oder zwei Einkerbungen, deren Zweck jedoch noch unklar ist (Abb. 7). Eine weitere Besonderheit bilden die weißen Schälchen, die 90% des Tafelgeschirrs mit weißem Überzug darstellen und in den frühen Schichten des Gebäudes K20 auffallend zahlreich auftreten (Abb. 8). Bemerkenswert ist ihr Fehlen in den späten Schichten, deren genaue zeitliche Einordnung noch offen bleiben muss, die aber vermutlich dem 7. Jh. n. Chr. zuzuweisen sein werden. Diese Schälchen wurden neben Pink clay vorwiegend auch in einem weiteren Scherbentyp hergestellt, dessen Tonlagerstätte ebenso in der Umgebung von Assuan zu vermuten ist. Mit lediglich 5% bildet die Küchenware einen relativ geringen Anteil am gesamten keramischen Material. Dies lässt die Verwendung von mehrheitlich metallenem Küchengeschirr erahnen bzw. auf zentrale Kochbereiche innerhalb der spätantiken Siedlung schließen20. Spätantike Metallverarbeitung direkt vor dem Hauskomplex K20 und die damit in Zusammenhang stehenden Gussformen sind Teil eines Forschungsprojektes des Römisch-Germanischen Zentralmuseums21. Ergebnisse dieser Untersuchungen werden neue Aspekte des Kochens in der Spätantike aufzeigen und eine Erweiterung des Formenspektrums des Kochgeschirrs hinsichtlich metallener Kochtopfformen oder Pfannen ermöglichen. Auffällig ist auch die hohe Anzahl von Kasserollen bzw. Kochtellern, die im Gegensatz zum kaiserzeitlichen Material nun vermehrt auftreten (Abb. 9). Sie wurden in der Spätantike häufig aus weichem Nilschlammton und nicht wie zu vermuten aus sandigem, quarzhaltigem Ton angefertigt. Mögliche Ursachen dafür sind in veränderten Kochgewohnheiten zu suchen, wie die Verwendung anderer Öfen oder die Zubereitung neuer Speisen. Die im gesamten keramischen Fundmaterial sehr selten vorkommenden Fragmente von Importgefäßen22, wie die African Red Slip Ware oder die mittelägyptische Egyptian Red Slip B Ware23, weisen auf einen eingeschränkten Import von Gefäßkeramik in der Spätantike hin. Die Dominanz der lokalen Waren und deren weite Verbreitung im Mittelmeerraum und Afrika zeigen die Stärke der Keramikindustrie Elephantines bzw. Syenes und unterstreichen die besondere Rolle der Keramikproduktion dieser Region in der Spätantike. Ebenso wie beim Tafelgeschirr ist im Fundmaterial von K20 im Gegensatz zur römischen Kaiserzeit ein starker Rückgang von Importamphoren zu bemerken. Maximal 13% der gefundenen Amphorenfragmente stammen nicht aus Ägypten. 62% wurden aus Nilschlamm bzw. Tonen, die mit Nilschlamm angereichert wur17 18 19 20 21 schen
Bailey 1998, 36 f. Bailey 1996, 55 f. Gempeler 1992, 28–31. Arthur 2007, 179–181. Dazu siehe Forschungsprojekt: Die frühbyzantiniWerkstätten auf Elephantine (Assuan, Ägypten),
(13.6.2012). 22 Aus einer Summe von über 45000 Scherben konnten lediglich 27 Fragmente importierten Gefäßen zugeordnet werden. 23 Hayes 1972, 397–399.
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den, gefertigt. Ein Beispiel hierfür ist die Late Roman Amphora 7 24, die vom Ende des 4. bis ins 7. Jh. n. Chr. in Ägypten produziert wurde (Abb. 10). Ein Viertel der Amphorenfragmente aus K20 wurde aus Pink clay hergestellt und wahrscheinlich schon seit der Kaiserzeit vor Ort produziert.
Zusammenfassung und Ausblick Durch die Aufarbeitung des keramischen Fundmaterials, gestützt durch den Baubefund, sollen die verschiedenen Aspekte der Alltagskultur aufgezeigt und auf die kulturelle Vielfalt dieser Region in der Spätantike aufmerksam gemacht werden. Dabei werden vor allem Speise- und Trinksitten, Handel, Religion und lokale Gebräuchen der Bewohner Elephantines in den Mittelpunkt gestellt werden. Die Erforschung der aufwendigen vegetabilen und figuralen Dekorelemente sowie der einfachen Verzierungen wie Flechtbänder oder Kleckse kann Hinweise auf die kulturelle Identität der Bewohner Elephantines geben. Nähere Untersuchungen spezieller, lokal produzierter Gefäßtypen sollen Aufschluss zu Funktion und Entwicklung der spätantiken Keramik geben. Genaue Analysen von Formen und Fabrikaten besonders der Küchenware sollen es ermöglichen, die verschiedenartigen kulturellen Einflüsse zu erfassen und die Entwicklung neuer Kochgebräuche aufzuzeigen. Durch die Auswertung aller Amphorenfragmente können Rückschlüsse auf Handelsbeziehungen sowie die Versorgung des Gebietes mit Wein, Öl und Garum in der Spätantike gezogen werden. Abbildungsnachweis Abb. 1–2: D. Katzjäger Abb. 3–4: Foto: N. Gail, Zeichnung: N. Kertész, Umzeichnung: D. Katzjäger (ÖAI) Abb. 5: Foto: N. Gail, Zeichnung: M. Weber, Umzeichnung: D. Katzjäger (ÖAI) Abb. 6–8. 10: Foto: N. Gail (ÖAI) Abb. 9: Foto: Zeichnung: N. Kertész, Umzeichnung: D. Katzjäger (ÖAI) Bibliographie Adams 1986 Arnold 2003 Arthur 2007
Bailey 1996 Bailey 1998 Ballet u. a. 1991 Ballet – Vichy 1992 Gempeler 1992
W. Y. Adams, Ceramic industries of medieval Nubia. UNESCO archaeological survey of Sudanese Nubia: memoirs 1–2 (Lexington 1986) F. Arnold, Die Nachnutzung des Chnumtempelbezirks. Wohnbebauung der Spätantike und des Frühmittelalters, Elephantine 30, AV 116 (Mainz 2003) P. Arthur, Form, function and technology in pottery production from Late Antiquity to the early Middle Ages, in: L. Lavan – E. Zanini – A. Sarantis (Hrsg.), Technology in Transition A. D. 300–650, Late antique archaeology 4 (Leiden 2007) 159–186 D. M. Bailey, The Pottery from the South Church at El-Ashmunein, CCE 4, 1996, 47–86 D. M. Bailey, Excavations at El-Ashmunein V. Pottery, lamps and glass of the Late Roman and early Arab periods (London 1998) P. Ballet – F. Mahmoud – M. Vichy – M. Picon, Artisanat de la céramique dans l’Égypte romaine tardive et byzantine. Prospections d’ateliers de potiers de Minia à Assouan, CCE 2, 1991, 129–143 P. Ballet – M. Vichy, Artisanat de la céramique dans l’Égypte hellénistique et romaine. Ateliers du Delta, d’Assouan et de Kharga, CCE 3, 1992, 109–119 R. D. Gempeler, Elephantine 10. Die Keramik römischer bis früharabischer Zeit, AV 43 (Mainz 1992)
24 Tomber – Williams 2000; Bailey 1998, 129; Peacock – Williams 1986.
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Denise Katzjäger Grossmann 1980
P. Grossmann, Kirche und spätantike Hausanlagen im Chnumtempelhof. Beschreibung und typologische Untersuchung, Elephantine 2, AV 25 (Mainz 1980) Hayes 1972 J. W. Hayes, Late Roman Pottery (London 1972) Hayes 1980 J. W. Hayes, A supplement to late Roman pottery (London 1980) Jaritz 1987 H. Jaritz, The Investigation of the Ancient Wall Extending from Aswan to Philae, MDAIK 43, 1987, 67–74 Jaritz 1993 H. Jaritz, The Investigation of the Ancient Wall Extending from Aswan to Philae. Second Preliminary Report, MDAIK 49, 1993, 107–132 Kaiser u. a. 1974 W. Kaiser – P. Grossmann – G. Haeny – H. Jaritz, Stadt und Tempel von Elephantine. Vierter Grabungsbericht, MDAIK 30, 1974, 65–90 Orton u. a. 1993 C. Orton – P. Tyers – A. Vince, Pottery in archaeology (Cambridge 1993) Peacock – Williams 1986 D. P. S. Peacock – D. F. Williams, Amphorae and the Roman economy: An introductory guide (London 1986) Rodziewicz 1992 M. Rodziewicz, Field notes from Elephantine on the early Aswan pink clay pottery, CCE 3, 1992, 103–107 Sieler 2008 M. Sieler, Egyptian Red Slip A and its production at the site of the Late Roman fort at Nag el-Hagar/Upper Egypt, ReiCretActa 40, 2006, 271–278 Tomber – Williams 1996 R. Tomber – D. Williams, An Egyptian Red Slip A sherd from London, Britannia 27, 1996, 382–387 Tomber – Williams 2000 R. Tomber – D. Williams, Egyptian amphorae in Britain and the western provinces, Britannia 31, 2000, 41–54
Abb. 1: Prozentuelle Verteilung der Warengruppen in K20
Abb. 3: Egyptian Red Slip A Abb. 4: Aswan Fine Ware
Abb. 2: Pink clay
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Abb. 5: Aswan Fine Ware
Abb. 6: Vegetabile Dekorelemente
Abb. 7: Einkerbungen
Abb. 8: Weiße Schälchen
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Abb. 9: Kasserolle (Küchenware)
Abb. 10: Late Roman Amphora 7
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Überlegungen zu den kräftig profilierten Fibeln Doris Knauseder Dieser Beitrag beschäftigt sich mit den bestehenden Typologien zu den kräftig profilierten Fibeln und der Formansprache dieser sehr variantenreichen und langlebigen Fibelgruppe.
Einleitung Die grundlegende Typologie zu den kräftig profilierten Fibeln geht auf den Schweden Oskar Almgren zurück. In seinem Werk „Studien über nordeuropäische Fibelformen der ersten nachchristlichen Jahrhunderte mit Berücksichtigung der provinzialrömischen und südrussischen Formen“1 definierte Almgren 248 Fibeltypen, die er in sieben Gruppen einteilt. Die kräftig profilierten Fibeln bilden die Gruppe IV und umfassen die Typen Almgren 67 bis 932. Gemeinsames Charakteristikum ist die Profilierung des Bügels. Innerhalb dieser Gruppe unterscheidet Almgren zwischen zwei Hauptserien – nämlich jener mit Stützplatte, Almgren 67–733, und jener ohne Stützplatte, Almgren 74–844. Eine weitere Gruppe bilden Almgren 88–93, die in der Form zwar den Fibeln der zweiten Hauptserie ähnlich sind, aber eine Sehnenkappe oder -hülse besitzen5. Almgren 85–86 stellen Trompetenfibeln ohne bzw. mit Stützplatte dar6. Almgren 87 steht in Verwandtschaft mit Almgren 827. Die weiteren Unterscheidungskriterien für die einzelnen Typen sind im Wesentlichen die Art der Verschlusskonstruktion, ob ein- oder zweigliedrig, die Gestaltung der Sehnenhalterung, die Form des Bügels und die Gestalt des Nadelhalters. Für die römischen Provinzen entlang des Rhein- und Donaulimes sind die eingliedrigen Typen Almgren 67, 68, 69, 73 und 77 sowie die zweigliedrigen Typen Almgren 70, 72, 80, 83 und 84 charakteristisch8.
Die Typologien Seit Oskar Almgren wurden und werden regelmäßig neue Fibelpublikationen vorgelegt, in denen auch neue Formen und Varianten von kräftig profilierten Fibeln vorgestellt werden. Dabei wird versucht diese einerseits in die bestehende Typologie von Almgren einzubinden oder die Typologie Almgrens durch nachgestellte Kleinbuchstaben, also A 67 a, A 67 b, A 67 c etc., feiner zu klassifizieren9; andererseits werden gänzlich neue Klassifikationssysteme geschaffen. Dies hat zur Folge, dass die konkrete Formansprache ohne eingehendem Studium der kräftig profilierten Fibel mit jeder neuen Fibelpublikation zunehmend schwieriger wird, zumal die Typologien oft nicht aufeinander abgestimmt sind. Zur Veranschaulichung dieser Problematik wurden sämtliche Typologien zu den kräftig profilierten Fibeln in einer Tabelle (Tab. 1) zusammengeführt. Bei der Auswahl der Typologien wurden vor allem jene Publikationen berücksichtigt, die zur Formansprache der kräftig profilierten Fibeln entscheidend beigetragen haben. Die Tabelle ließe sich natürlich problemlos erweitern. 1 2 3 4 5 6 7
Almgren 1923. Almgen 1923, 34–47. Almgen 1923, 35–39. Almgen 1923, 39–45. Almgen 1923, 45–47. Almgren 1923, 44. Almgren 1923, 44.
8 Die zweigliedrigen Formen Almgren 85–86 werden seit Jobst 1974, 42 trotz enger Verwandtschaft mit den kräftig profilierten Fibeln als eigenständiger Typ betrachtet und werden daher in diesem Beitrag nicht berücksichtigt; vgl. auch Ortisi 2002, 26. 9 Demetz 1999, 127.
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Überlegungen zu den kräftig profilierten Fibeln
In der Tabelle wurden folgende Publikationen aufgenommen: – Almgren 1923 (Forschungsgebiet: Nordeuropa) – Demetz 1999 (Forschungsgebiet: Alpenländer) – Ettlinger 1973 (Forschungsgebiet: Rätien) – Krämer 1957 (Forschungsgebiet: Rätien / Cambodunum-Kempten) – Riha 1975; 1994 (Forschungsgebiet: Rätien / Augusta Raurica-Kaiser Augst und Augst) – Ortisi 2002 (Forschungsgebiet: Rätien / Summutorium-Burghöfe) – Jobst 1975 (Forschungsgebiet: Noricum / Lauriacum-Enns) – Sedlmayer 1995 (Forschungsgebiet: Noricum / Ovilavis-Wels) – Gugl 1995 (Forschungsgebiet: Noricum / Virunum-Zollfeld bei Maria Saal) – Kropf – Nowak 2000 (Forschungsgebiet: Noricum / Flavia Solva-Wagna bei Leibnitz) – Grabherr 2001 (Forschungsgebiet: Noricum / kräftig profilierte Fibeln mit Spiralhülse im Territorium von Iuvavum-Salzburg); 2006 (Forschungsgebiet: Noricum / Michlhallberg) – Kovrig 1937 (Forschungsgebiet: Pannonien) – Patek 1942 (Forschungsgebiet: Pannonien) – Peškař 1972 (Forschungsgebiet: Germanien / Mähren) – Cocis 2004 (Forschungsgebiet: Dakien) Die Reihung der Typologien in der Tabelle erfolgt nach den Provinzen und dem Erscheinungsjahr der jeweiligen Publikationen. Zur leichteren Orientierung sind in der Spalte von Oskar Almgren neben den von ihm erfassten Typen (Schriftart: schwarz, fett) auch jene Fibelformen verzeichnet (Schriftart: grau, fett), die später erfasst wurden. Die Korrelation zwischen den einzelnen Typologien erwies sich zum Teil als schwierig. Oft fehlen konkrete Angaben zur Ausbildung der Fibelformen, etwa über die Art der Verschlusskonstruktion oder die Gestalt der Sehnenhalterung. Häufig ist auch nur eine Ansicht der Fibel abgebildet, wobei für eine Zuweisung beide entscheidend sind. In manchen Publikationen werden Fibeln unterschiedlichen Typs unter einem Typ zusammengeführt, etwa bei Ettlinger Typ 1510 oder bei Jobst Typ 4E11. Mit Vorsicht ist auch die Typologie bei Kropf und Nowak12 zu handhaben13. Hier werden Varianten angeführt, die im vorgelegten Material nicht enthalten sind. Verweise, auf welchem/n Fibelstück/en die Varianten basieren, werden oftmals nicht angeführt. Für die Fibelforschung sind vor allem jene Arbeiten von Interesse, in denen neue Varianten angeführt werden oder in denen versucht wurde, eine feinere Klassifizierung vorzunehmen. Dies sind vor allem die Arbeiten von St. Demetz für die frühe Form Almgren 6714, W. Krämer mit der Gruppe Cambodunum 315, S. Ortisi für die stützplattenlosen Almgren 8416, W. Jobst mit den Typen 4E und 4F17, Chr. Gugl für die Übergangsformen bzw. späteren Formen, die er unter Almgren 70/73 zusammenfasst und durch nachgestellte Buchstaben variiert18, G. Grabherr für die Gruppe Jobst 4E19 und die kräftig profilierten Fibeln mit Spiralhülse20, und schließlich die Arbeit von S. Cociş, der in seinem Werk zu den Fibeln aus Dakien eine neue und sehr differenzierte Typologie geschaffen hat, wobei seine Hauptkriterien für eine Klassifizierung vor allem Größe und Material sind21.
Verbreitung der kräftig profilierten Fibeln Mit der Tabelle zeigt sich eine weitere Schwierigkeit in der Erfassung der kräftig profilierten Fibeln, nämlich die weite Verbreitung. 10 11 12 13 14 15
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Ettlinger 1973, 66. Jobst 1975, 35 f. Kropf – Nowak 2000, 22–28. vgl. zuletzt Schmid 2010, 21 Anm. 130. Demetz 1999, 128–131. Krämer 1957, 76.
16 17 18 19 20 21
Ortisi 2002, 25. Jobst 1975, 35–37. Gugl 1995, 13–19 und Typentafel. Grabherr 2001, 30–32; 2005, 103. Grabherr 2001; 2005, 32. Cociş 2004, 45–70.
Doris Knauseder
Während die frühen Formen Almgren 67 und 68 im Ostalpinen Raum, sowie im freien Germanien entlang der Bernsteinstraße und den angrenzenden Flusstälern bis an die Ostsee und sogar in Südskandinavien festgestellt werden konnten22, zeichnet sich für die späteren Formen vor allem eine Verbreitung in den Provinzen entlang des Rhein- und Donaulimes bis an das Schwarze Meer ab. Die Ursachen für die weite Verbreitung sind verschiedener Natur. Grundsätzlich können Fibeln als wesentlicher Bestandteil der Kleidung als „bewusster oder unbewusster Ausdruck kultureller, sozialer oder religiöser Zugehörigkeit“23 verstanden werden. Daneben können Fibeln ebenso durch Migration oder auch Truppenverlegungen, wie es etwa Ortisi für das Vorkommen der rätischen Form Cambodunum 3 in Moesien und im Gebiet der späteren Provinz Dacia Inferior annimmt24, ihre Verbreitung gefunden haben. Ob Fibeln Gegenstand des überregionalen Handels darstellen ist schwer zu beurteilen, da größere Produktionszentren bis dato fehlen. Außerdem ist noch mit Fremdeinfluss zu rechnen, also mit der Übernahme bestimmter Fibelmoden.
Hinweise für lokale Fibelformen Als konkrete Hinweise für eine regionale Fibelform können Funde gesehen werden, die auf deren Produktion vor Ort verweisen, etwa Gussformen, Modelle und Halbfabrikate und im Weiteren deren Metallzusammensetzung, wofür jedoch eine überregionale Großzahlauswertung vorgenommen werden müsste25, die angewandten Herstellungsmethoden und nicht zuletzt natürlich eine auffallend hohe Fundkonzentration einer bestimmten Fibelform innerhalb eines Gebietes.
Produktionshinweise Die Hinweise für die Produktion von kräftig profilierten Fibeln sind eher selten, wie auch in der folgenden Aufzählung (ohne Anspruch auf Vollständigkeit) deutlich wird. Da anhand der Abbildungen nicht immer zu entscheiden ist, ob es sich bei den Objekten um Halbfabrikate, Fehlgüsse oder Modelle handelt, und dies auch nicht Thema dieses Beitrages ist, wird im Folgenden der Einfachheit halber für diese die Bezeichnung „Halbfabrikat“ verwendet. Noricum / Magdalensberg Insgesamt ein Halbfabrikat der Form Almgren 67 a26 und eine Gussform für dieselbe Form27, 15 Halbfabrikate der Übergangsform Almgren 67/6828, 23 Halbfabrikate der Form Almgren 67/ 6829 und 22 Gussformen für dieselbe Form30, sieben Halbfabrikate31 der Form Almgren 68 und schließlich das Fragment einer Gussform, das vielleicht für die Herstellung von kräftig profilierte Fibeln diente32. Noricum / Virunum–Zollfeld bei Maria Saal Insgesamt fünf Halbfabrikate der Form Almgren 68 33, fünf Halbfabrikate der eingliedrigen Form Almgren 70/7334, sieben Halbfabrikate der zweigliedrigen Form Almgren 70/7335 und drei Halbfabrikate der Form Jobst E36. 22 Kossack 1962; Demetz 1999, 132 f.; Mączyńska 2001. 23 Trachsel 2008, 158. 24 Ortisi 2002, 22. 25 Vgl. Presslinger – Eibner 2012, 208. 26 Sedlmayer 2009, 89, Taf. 22 Kat.-Nr. 453. 27 Sedlmayer 2009, 89, Taf. 31 Kat.Nr. G63. 28 Sedlmayer 2009, 89, Taf. 20 Kat.-Nr. 376–390. 29 Sedlmayer 2009, 89, Taf. 22 Kat.-Nr. 454–467, 469–477.
30 Sedlmayer 2009, 89, Taf. 31 Kat.-Nr. G46–62, G64–G68. 3 1 Sedlmayer 2009, 89, Taf. 23 Kat.-Nr. 478–484. 32 Sedlmayer 2009, 88, Taf. 31 Kat.-Nr. G79. 33 Gugl 1995, Taf. 3 Kat.-Nr. 23–27. 34 Gugl 1995, Taf. 7 Kat.-Nr. 65–68, 70. Kat.-Nr. 66 und 70 jeweils ein Modell. 35 Gugl 1995, Taf. 5 Kat.-Nr. 50, Taf. 6 Kat.-Nr. 51, 54, Taf. 7 Kat.-Nr. 96, 71, Taf. 8 Kat.-Nr. 72–73. 36 Gugl 1995, Taf. 8 Kat.-Nr. 74–76.
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Überlegungen zu den kräftig profilierten Fibeln
Noricum / Immurium-Moosham Ein Halbfabrikat einer eingliedrigen kräftig profilierten Fibel Almgren 7337. Noricum / Iuvavum-Salzburg Insgesamt ein Halbfabrikat der Form Almgren 6838, vier Halbfabrikate der eingliedrigen Form Almgren 70/7339, drei Halbfabrikate der zweigliedrigen Form Almgren 70/7340, ein Halbfabrikat der Form Jobst 4E41 und zwei Halbfabrikate der Form Jobst 4F42. Noricum / Salzburg-Loig Ein Halbfabrikat einer kräftig profilierten Fibel mit Spiralhülse43. Noricum / Salzburg-Glas Ein Bleimodell der zweigliedrigen Form Almgren 70/7344. Noricum / Salzburg-Maxglan Ein Halbfabrikat der eingliedrigen Form Almgren 70/7345. Noricum / Bedaium-Seebruck Ein Bleimodell der Form Almgren 68/6946 und ein Halbfabrikat der Form Almgren 70/7347. Noricum / Ovilavis-Wels Ein Halbfabrikat der Form Almgren 7048 und eine Gussform einer Fibel der Form Almgren 83– 8449. Noricum / Vindobona-Wien Ein Halbfabrikat der eingliedrigen Form Almgren 70/7350. Noricum / Flavia Solva bei Leibnitz Zwei Gussformen von Fibeln der eingliedrigen Form Almgren 70/7351 und ein Halbfabrikat der zweigliedrigen Form Almgren 70/7352. Noricum / Gleisdorf Drei Halbfabrikate von kräftig profilierten Fibeln53. Italien / Aquileia Halbfabrikat eines Fibelpaares der Form Jobst 4F54.
37 Fleischer 1966/67, Abb. 78. 38 Knauseder in Druckvorbereitung. 39 Kovacsovics 2001, 243 Abb. 10.3–4; Lang u. a. 2012, 97 Abb. 4–5, 98 Abb. 7; Knauseder. 40 Hampel 2010, Kat.-Nr. 11.1.13, 11.1.17, Knauseder in Druckvorbereitung. 4 1 Knauseder in Druckvorbereitung. 42 Lang u. a. 2012, 98 Abb. 6; Knauseder in Druckvorbereitung. 43 Knauseder in Druckvorbereitung. 44 Knauseder in Druckvorbereitung. 45 Knauseder in Druckvorbereitung.
156
46 Burmeister 1998, 115 Kat.-Nr. 112. 47 Burmeister 1998, 95 Kat.-Nr. 80. 48 Sedlmayer 1995, Taf. 6 Kat.-Nr. 49. 49 Sedlmayer 1995, 29, Taf. 8 Kat.-Nr. 71. 50 Schmid 2010, 66, Taf. 10 Kat.-Nr. 93. 5 1 Hudeczek 1988, 342 Abb. 3. 52 Kropf – Nowak 2000, Taf. 8 Kat.-Nr. 30. 53 Maier 1994, Kat.-Nr. 57–59 ohne Abbildung – vermutlich zwei eingliedrige und eine zweigliedrige Fibel der Form Almgren 70/73. 54 Buora 2004, Taf. I, Nr. 7.
Doris Knauseder
Pannonien / Siscia-Sisak Halbfabrikat eines Fibelpaares der Form Almgren 6855 und zehn Halbfabrikate der Form Okorág56. Pannonien / Brigetio-Komárom-Szöny Gussform einer Fibel der Form Almgren 83–8457. Dakien / Napoca-Cluj-Napoca Vier Halbfabrikate der zweigliedrigen Form Almgren 70/7358 und drei Halbfabrikate der Form Almgren 83–8459 und eine Gussform einer Fibel der Form Almgren 8460 sowie vier Halbfabrikate der Form Jobst 4F61. Zusammenfassend kann festgestellt werden, dass die bisher bekannten Hinweise für ein- und zweigliedrige kräftig profilierte Fibeln mit Stützplatte sich vor allem auf den norischen Raum konzentrieren. In Aquileia wurde das Halbfabrikat eines Fibelpaares der Form Jobst 4F gefunden. In Cluj-Napoca in Rumänien können mit je vier Halbfabrikaten die Produktion der zweigliedrigen Form Almgren 70/73 und Jobst 4F belegt werden. Fibeln vom Typ Okorág wurden in Siscia hergestellt. Auf die Herstellung von Fibeln der Form Almgren 83–84 verweisen Stücke aus Wels, Komárom-Szöny in Ungarn und Cluj-Napoca.
Überlegungen zur Typenansprache Ein grundlegendes Problem bei der Formansprache der kräftig profilierten Fibeln ist, dass die bestehenden Typologien im Wesentlichen auf der von Oskar Almgren basieren. Dabei wird versucht neue Formen und Varianten in die Typologie Almgrens einzubinden. Die Typologie Almgrens bietet jedoch schlichtweg nicht den Platz dafür. Dies betrifft vor allem jene Formen, die zwar irgendwie, aber schlussendlich doch nicht den von Oskar Almgren klar definierten Typen zuzuweisen sind. Dabei stellt sich generell die Frage, wie fein eine Typologie überhaupt sein muss ? Welche Informationen sollen aus dem vorliegenden Fundmaterial gewonnen werden ? Möchte man sich nur einen groben Überblick verschaffen oder vielleicht doch anhand des Materials versuchen lokale Formen und damit lokale Moden zu erfassen, die im Weiteren vielleicht auch chronologische Rückschlüsse erlauben ? Dies führt zur Frage: Ist es überhaupt möglich, anhand des Materials lokale Formen oder besser einzelne Werkstattkreise zu erfassen ? Mit unserem derzeitigen Wissenstand leider nur bedingt, denn dazu fehlen die Befunde und Funde, wie es auch die Aufzählung der bekannten Herstellungshinweise von kräftig profilierten Fibeln zeigt, und natürlich die gewünschte feinere Klassifizierung. Die Erfassung Modell-identischer Fibeln ist aber durchaus möglich. Hierfür muss man den Herstellungsprozess von Fibeln näher betrachten: Bei der Herstellung von kräftig profilierten Fibeln wurde vor allem das Verfahren des zweischaligen Gusses angewandt – bei Fibeln mit Spiralhülse wurde für die Ausbildung der Hülse zusätzlich eine dritte Form angesetzt, womit es sich um einen dreischaligen Guss oder einem Guss in mehrere Teilformen handelt; dies kann durch Funde von Gussformen, Halbfabrikaten und Fehlgüsse gut belegt werden. Beim zweischaligen Guss kam ein Modell zum Einsatz, welches die 55 Drescher 1973, 49 Nr. 7. 56 Koščević 2000, 144 Abb. 3 a Nr. 1–5, 145 Fig. 3 b Nr. 6–10. 57 Kovrig 1937, Taf. XXVII 1 a. 58 Cociş 2004, 56, Taf. XI Kat.-Nr. 152–153, 161,
162 (Halbfabrikat ?). 59 Cociş 2004, 65, Taf. XXXII Kat.-Nr. 461; 67, Taf. XXXVII Kat.-Nr. 572; Cociş u. a. Abb. 8. 60 Cociş 2004, 65, Taf. XXXI Kat.-Nr. 457. 61 Cociş 2004, 59, Taf. XXI Kat.-Nr. 307–310.
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Überlegungen zu den kräftig profilierten Fibeln
Rohform einer Fibel – bei eingliedrigen Modellen mit stabförmigem Fortsatz für die spätere Spiralkonstruktion, bei zweigliedrigen entsprechend ohne – darstellt. Dieses wurde jeweils zur Hälfte in eine Formhälfte gedrückt und wieder entnommen. Anschließend wurden die getrockneten Formhälften zusammengesetzt und mit einer Kupferlegierung ausgegossen. Nach dem Erkalten wurde der Rohling von der Form befreit und überbearbeitet. Bei diesem Arbeitsschritt wurde die Spirale gebildet, der Nadelhalter ausgeschmiedet und die Oberfläche gefeilt, poliert und verziert62. Interessant erscheint nun die Frage, in wie weit diese Modelle, Halbfabrikate und Fertigprodukte tatsächlich übereinstimmen. Die Zahl bekannter Modell-identischer Fibeln ist bisher noch gering. Vom Magdalensberg sind aber vier derartiger Stücke bekannt 63 (Abb. 1.1–3). Kat.-Nr. 457 wurde im Bereich NG31 in einer Werkstätte gefunden und kann in die spätaugusteische Zeit datiert werden. Kat.-Nr. 456 kam etwas östlich in OR/20 c zutage. Die beiden Stücke Kat.Nr. 454 und 455 wurden 1877 gefunden und können nicht näher lokalisiert werden64. Kat.-Nr. 454 stellt vermutlich ein Modell dar. Die weiteren Exemplare sind Halbfabrikate in unterschiedlichen Bearbeitungsphasen. Legt man die beiden Halbfabrikate Kat.-Nr. 456 und 457 über das Modell Kat.-Nr. 454 ist es beachtlich, wie groß die Deckung ist. Nun handelt es sich aber bei den Objekten um Stücke, die noch keine ausführliche Nachbearbeitung erfahren haben. Ebenfalls vom Magdalensberg, aus dem Bereich SH/9B, etwas südlich der oben genannten Werkstatt in NG31 stammen die beiden Stücke Kat.-Nr. 376 und 377 der Übergangsform Almgren 67/6865 (Abb. 2.1–2). Legt man die beiden Objekt übereinander sieht man, dass es nur minimale Abweichungen gibt: Diese sind im Bereich des Endknopfes, des Bügelknopfes und des Bügelansatzes zu sehen. Diese Abweichungen können bereits bei der Abformung des Modells, beim Ausgießen oder bei der Nachbearbeitung entstanden sein und nicht zuletzt durch den Zeichner des Stückes, wovon in diesem Fall nicht ausgegangen wird.
Kriterien für eine Typologie Was an den Beispielen vom Magdalensberg gut ersichtlich wird, ist, dass die Bügelform während des gesamten Procederes im Wesentlich unverändert bleibt. Hier liegt meines Erachtens auch der Ansatz für eine feinere Differenzierung. Fibeltypen wie die rätische Variante der kräftig profilierten Fibeln Cambonunum 3, die sich durch einen flach-ovalen Bügel auszeichnet, oder die pannonische Version mit dem Typ Okorág mit dem stark gewölbten Bügel, zeigen bereits, dass hier durchaus Unterschiede zu fassen sind. Demnach ist der Bügel als wesentliches Charakteristikum einer Fibelform (Model) zu betrachten. Jede weitere Nachbearbeitung eines Fibelstückes, etwa die Ausbildung der Sehnenhalterung, die Gestalt des Nadelhalters oder der Dekor, ist ein sekundärer Eingriff in die Gestalt einer Fibelform und kann als werkstatt- bzw. regionalspezifisch gesehen werden. Dass sogar die Art der Verschlusskonstruktion werkstatt- bzw. regionalspezifisch sein kann, konnte etwa Gerald Graberr am Internationalen Colloquium „Verwandte in der Fremde“, vom 27.–29. April 2011 an der Universität Innsbruck, mit dem Vortrag „Identität oder Technologie – Scharnierfibeln im zentralen Alpenraum“ zeigen.
Zum Schluss Und hier komme ich zurück zur Typologie Almgrens. Abgesehen davon, dass Oskar Almgren in seiner Arbeit die „provinzialrömischen Formen unter Berücksichtigung“ behandelt, führt er in sei62 siehe auch Sedlmayer 2009, 98 Abb. 65; Hudeczek 1988, 344 mit einer schematischen Rekonstruktion des Procederes.
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63 Sedlmayer 2009, Taf. 22 Kat.-Nr. 454–457. 64 Sedlmayer 2009, 88 f. Tab. 83. 65 Sedlmayer 2009, Taf. 20 Kat.-Nr. 376–377.
Doris Knauseder
nem Werk die gegen Ende des 19. Jh.s ihm bekannten Formen zusammen. Im Verhältnis zur Gesamtanzahl der angeführten Stücke stellen die kräftig profilierten Fibeln mit 26 Stück gerade mal 10,5% dar. Das eigentliche Gewicht in der Arbeit liegt dabei eindeutig bei den nordeuropäischen Fibelformen. Dass es sich bei der Gruppe IV nach Almgren nur um einen Ausschnitt dessen handelt, was letztendlich an Formen und Varianten existiert, zeigen die Fibelstücke, die auch heute noch regelmäßig bei Grabungen und Oberflächenbegehungen zutage kommen. Um in Zukunft effizienter mit der großen Gruppe der kräftig profilierten Fibeln arbeiten zu können, verlangt es eine grundlegend neue und differenziertere Typologie. Nur so wird es möglich sein, konkrete Rückschlüsse auf regionale Formen schließen und damit auch die Migrationen in der römischen Kaiserzeit besser verstehen zu können. Abbildungsnachweis Abb. 1: Zeichnungen entnommen aus Sedlmayer 2012, Taf. 20 Kat.-Nr. 454–457 Abb. 2: Zeichnungen entnommen aus Sedlmayer 2012, Taf. 22 Kat.-Nr. 376–377 Bibliographie Almgren 1923
Buora 2004
Burmeister 1998 Cocis 2004 Cocis u. a. 2012
Demetz 1999 Drescher 1973 Ettlinger 1973 Fleischer 1966/1967 Grabherr 2005
Grabherr 2001
Gugl 1995 Hampel 2010
Hudeczek 1988
Jobst 1975
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159
Überlegungen zu den kräftig profilierten Fibeln Koščević R. 2000
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160
Doris Knauseder
Abb. 1: Fibeln und Halbfabrikate von Modell-identischen Exemplaren vom Magdalensberg
161
Überlegungen zu den kräftig profilierten Fibeln Almgren 1923 Demetz 1999 Ettlinger 1973 Nordeuropa Alpenländer Schweiz A 67 A 67 A 67 a A 67 a1 A 67 a1 a A 67 a2 A 67 b A 67 b1 A 67 b2 A 67 c A 67 c1 Typ 13, 1 Taf. 18,1 A 67 c2 Typ 13, 2 “A 67/68” Taf. 18,2–3
A 68
“A 68”
Typ 13, 3 Taf. 18,4–7
Krämer 1957 Riha 1975, 1994 Ortisi 2002 Cambodunum Augst u. Kaiseraugst Burghöfe
Gruppe 1 Taf. 14, 1–2
Jobst 1975 Lauriacum
Sedlmayer 1995 Ovilavis
2.9.1 Nr. 231
Taf. 1.9
Gruppe 2 Taf. 14, 3–7
2.9.2 Nr. 232–241
4B Nr. 8–10
Taf. 2.10–3.16 Taf. 2.14–15
Typ 13, 5 Taf. 18.1
Taf. 2.17–19, 3.21 A 69
Typ 13, 4 Taf. 18,8
Gruppe 3 Taf. 14, 8–9
2.9.4 Nr. 244–260
Taf. 3.22 A 73
A 70
Typ 15
Typ 13,6 Taf. 18,18
Typ 4 Taf. 14, 10
2.9.3 Nr. 242–243
4D Nr. 25–35
Taf. 3.23–5.37
3.1.1 Nr. 271–274
4C Nr. 11–24
Taf. 5.38–6.54
3.1.2 Nr. 274 Taf. 6.55
“A 70”
“A 70/73”
Doris Knauseder Gugl 1995 Kropf / Nowak Grabherr 2001, 2006 Kovrig 1937 Virunum Flavia Solva* Michlhallberg Pannonien
Patek 1942 Pannonien
A 67 2 a1 Nr. 11–14
IV, 8
V 40
Peskar 1972 Cociş 2004 Germanien / Mähren Dakien
9:1
8 a1 a Nr. 62–64
9:2–3
IV, 10 (3 Löcher) IV, 9 (2 Löcher)
A 68 2 a2 Nr. 15–27
V 42, 44
9:4, 5, 7 9:8, 10:1–4,7
8 a1b2 a Nr. 69–73 8 a1b2 b Nr. 74–77
10:8, 6; 11: 2
8 a1 c1 Nr. 78–84
IV, 17 SF V 57–58 (ZG?) IV, 3, 4
8 a1 c2 Nr. 85–90 8 a8 a Nr. 197–200 11:3, 4 (A 70/73 f EG) A 70/73 a Nr. 28–30 A 70/73 b Nr. 31–32 A 70/73 e Nr. 38–42 A 70/73 e1 Nr. 38–40 A 70/73 e2 Nr. 41
2 a3 a 2 a3 b IV, 1,6
2 a4 a, 2 a4 b 2 b2 a, 2 b2 b
V 45–48
11:01:00
8 a8 b2 b Nr. 243–253
IV, 2, 5
2 b3 a
8 a2 b1 Nr. 100–138 8 a2 b2 Nr- 139–164
2 b3 b V 53
IV, 11 ?
12:5
8 a6 Nr. 194
IV, 18
8 a8 b1 a Nr. 201–204 8 a8 b1b Nr. 205 8 a8 b2 a Nr. 206–242 8 a5 Nr. 193 8 a7 Nr. 196 8 a12 Nr. 320–321
IV, 17 2 a6 A 70/73 c Nr. 33–34 A 70/73 d Nr. 35–37 A 70/73 f Nr. 43–52 A 70/73 g Nr. 53–54 A 70/73 g1 Nr. 53–54 A 70/73 g2 Nr. 53–54
8 a3 a Nr. 165–166 8 a3 b Nr. 167
2 b1 a, 2 b1b, 2 b1 c
XVI, 162
8 a2 a Nr. 91–99
2 b4
2 b5 a 2 b5 b Jobst 4E3 / A 70/73 h
Überlegungen zu den kräftig profilierten Fibeln Almgren 1923 Demetz 1999 Ettlinger 1973 Nordeuropa Alpenländer Schweiz
Krämer 1957 Riha 1975, 1994 Ortisi 2002 Cambodunum Augst u. Kaiseraugst Burghöfe
Jobst 1975 Lauriacum
Sedlmayer 1995 Ovilavis
4E Nr. 36–43 Taf. 7.56–57
“Jobst 4E”
A 80
Typ 15
Taf. 7.65
“KPF SH”
Typ 13, 7 Taf. 18,19
“Okorág”
3 Nr. 5–6
A 72 “A 72”
Typ 15 Taf. 5,7–8
A 84
3.1.2 Nr. 275–277
A 84 Var. A Nr. 122–125, 138 5C Nr. 50–52 A 84 Var. B Nr. 126–129
“A84”
“Jobst 10”
10B
A 83
5D Nr. 53
“A 83” A 77 “A 77”
5B Nr. 48–49
Typ 15 Taf. 5,9
2.9.5 Nr. 261–262
4F Nr. 44–46 Taf. 7.63–64
“Jobst 4F” Nr. 137 5A Nr. 47
164
Doris Knauseder Gugl 1995 Kropf / Nowak Grabherr 2001, 2006 Kovrig 1937 Virunum Flavia Solva* Michlhallberg Pannonien Jobst 4E Jobst 4E1 Nr. 56–60 2 b7 Jobst 4E2
Patek 1942 Pannonien
Peskar 1972 Cociş 2004 Germanien / Mähren Dakien
8 a15 a Nr. 337 8 a15 b Nr. 338–339 8 a15 c Nr. 340 8 a15 d Nr. 341–343
2 b9 KPF SH1 KPF SH2
V 41, 49
X, 1–9, XI, 1–10,12
12:08,90
IV, 16
V 50–51, VI 54–55
IV, 12.1 12:4, 6, 7
8 a4 a Nr. 168 8 a4 b1 Nr. 170–172 8 a4 b2 Nr. 173–188 8 a4 c Nr. 189 8 a4 d1 Nr. 190 8 a4 d2 Nr. 191–192 8 a9 Nr. 254–255 8 a10 Nr. 256–257 8 b2 a1 Nr. 373–399 8 b2 a2 Nr. 400–417 8 b2 b1 Nr. 418–488 8 b2 b2 Nr. 489–546 8 b2 c1 Nr. 547 8 b2 c2 Nr. 548–549
IV, 12.2 8 b3 a Nr. 550–553 8 b3 b Nr. 554 8 b3 c1 Nr. 555–582 8 b3 c2 Nr. 583–584 8 b3 d Nr. 585–586 8 b4 Nr. 587 V 56 (ZG?) SF 8 a13 a Nr. 322–325 8 a13 b Nr. 326–332 8 b1 a1 Nr. 344–349 8 b1 a2 Nr. 350–372 8 a14 a Nr. 333–335 8 a14 b Nr. 336
2 b8 a, 2 b8 b IV, 13 XIII 133–136 2 b8 c
Jobst 4F Nr. 55
2 a5 a, 2 a5 b (EG) 2 b6 a, 2 b6 b (ZG)
11:7
XVI, 161
IV, 14
12:1, 2, 3
8 b5 Nr. 588 8 b7 Nr. 590 8 a11 a1 Nr. 258–290 8 a11 a2 Nr. 291 8 a11b1 Nr. 292–318
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Überlegungen zu den kräftig profilierten Fibeln
Abb. 2: Zwei sehr ähnliche Fibeln der Übergangsform Almgren 67/68 vom Magdalensberg
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Römische Zwischengoldgläser Zu Problemen und Herausforderungen Johanna Köck Terminologie Die erste Herausforderung bei der Beschäftigung mit römischen Zwischengoldgläsern stellt bereits die Terminologie dar, denn eine einheitliche Ansprache für diese Objekte zu finden, bereitete lange Zeit Probleme1. Nur dadurch ist es auch zu erklären, dass das Phänomen der Unkenntnis einer kompletten Fundgattung immer noch anzutreffen ist. Ende des 20. Jahrhunderts wurde im deutschsprachigen Raum jedoch der Begriff „römisches Zwischengoldglas“ etabliert2, wodurch die Begriffsfindung erleichtert und durch eine einheitliche Ansprache Klarheit bezüglich der fraglichen Stücke geschaffen werden konnte. Doch darüber hinaus scheint es noch keinen allgemein gültigen terminus technicus zu geben.
Forschungsgeschichte Ein weiteres Problem betrifft die aktuelle Forschungssituation. Im Gegensatz zu heute, wo der Eindruck vermittelt wird, römische Zwischengoldgläser seien eher in Vergessenheit geraten, bedachten zahlreiche namhafte Forscher vom 18. Jahrhundert an bis in das frühe 20. Jahrhundert eben diese Fundgattung mit besonderem Augenmerk. Hervorzuheben sind hier unter anderen die Werke von F. Buonarotti3, C. Cavedoni4, die beiden großen Opera von R. Garrucci5 sowie auch die Studien von H. Vopel6. Einen Nachteil dieser Arbeiten stellt die Tatsache dar, dass sie teilweise dem heutigen wissenschaftlichen Standard nicht mehr genügen und darum nur mehr als Grundlage betrachtet werden können. Die wesentlichen Vorzüge der genannten Werke finden sich vor allem in der Aufnahme und Dokumentation der Stücke, damit also in den Zeichnungen der römischen Zwischengoldgläser, die immer noch als Referenz herangezogen werden, da sie als die ersten gesicherten bildlichen Daten gelten und heute noch zugänglich sind. Dies ist insofern von Bedeutung, weil sich im Laufe der Zeit die Spur zahlreicher Stücke verlor und sie heute als verschollen gelten müssen; mittels graphischer Darstellung sind sie aber, wenn auch nicht mehr als Objekt per se, so doch wenigstens in dieser Form greifbar und stehen somit indirekt für wissenschaftliche Forschungen zur Verfügung. Für einen Zeitraum von etwa 60 Jahren verfielen die Gläser nach der Bearbeitung durch Vopel 1899 in einen „dornröschenartigen Schlaf“ und wurden erst durch den umfassenden Katalog von C. R. Morey und G. Ferrari7 wieder zum Leben erweckt. Die herausragende Bedeutung ihrer Arbeiten kann mit folgendem Zitat untermauert werden: „concern for accurate detail, one of the marks of the true scholar, is clearly manifest in his description of the gold-glasses“8, wenn-
1 falt an 2 3 4
Für einen Überblick über die „babylonische“ VielBezeichnungen siehe Köck 2012. Pillinger 1984. Buonarotti 1716. Cavedoni 1859.
5 6 7 8
Garrucci 1864; Garrucci 1876. Vopel 1899. Morey – Ferrari 1959. Albareda 1959.
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Römische Zwischengoldgläser
gleich in der Einleitung aber bereits festgestellt wird, dass unglücklicherweise auch diesem Werk bedeutende Abschnitte fehlen, da Morey, während der Arbeiten verstarb9. Im Jahr 1969 und damit zehn Jahre nach Morey und Ferrari veröffentlichte F. Zanchi-Roppo ein weiteres Katalogwerk, das speziell jene in Italien aufbewahrten römischen Zwischengoldgläser vorstellt10. Auch wenn es sowohl aktueller als auch fokussierter erscheint, sollte es nur ergänzend als Referenzwerk herangezogen werden, da sich teilweise überaus allgemeine und nur oberflächliche Deutungen wie auch ungenaue Datierungsangaben finden. Nach Durchsicht der wichtigsten Werke, die in Bezug auf römische Zwischengoldgläser von wissenschaftlicher Relevanz sind, zeichnet sich damit folgende Situation ab; – abgesehen von den Werken Garruccis11 und Vopels12 existieren noch keine systematischen, umfassenden Bearbeitungen römischer Zwischengoldgläser; diese sind aber kaum mehr zeitgemäß, können den heutigen wissenschaftlichen Standards nicht mehr gerecht werden und müssten um Neufunde und Neuinterpretationen ergänzt und erweitert werden, – abgesehen von den Arbeiten R. Pillingers13, M. Laubenbergers14, B. Asamers15 und K. Rasmussens16 sind noch keine speziellen und thematisch fokussierten Arbeiten zu römischen Zwischengoldgläsern vorhanden, – und abgesehen von der Habilitationsschrift R. Pillingers mit dem Titel „Studien zu römischen Zwischengoldgläsern 1. Geschichte der Technik und das Problem der Authentizität“17 liegen noch keine umfassenden Publikationen zu weiteren Einzelaspekten in Bezug auf römische Zwischengoldgläser vor. Man trifft römische Zwischengoldgläser meist in diversen Ausstellungskatalogen18, hier allerdings mit allgemein gehaltenen Kurzbeschreibungen versehen, sowie in Artikeln 19 von unterschiedlicher Qualität, und nur teilweise mit einem kurzen Interpretationsteil, quasi mit einer „Bearbeitung light“, an. Ein erneut auffachendes wissenschaftliches Forschungsinteresse ist in London, im British Museum, zu beobachten. Dort arbeitete man an einem ambitionierten Projekt mit dem Titel »Gold glass in late antiquity: the British Museum collection«, das unter der Leitung von Daniel T. Howells durchgeführt wurde20. Da das angegebene Projektende mit 2010 bereits verstrichen ist, wird die aus den vorgenommenen Untersuchungen und Studien hervorgehende Publikation mit Spannung erwartet.
Provenienz Die Frage nach der Provenienz römischer Zwischengoldgläser ist einerseits zumeist eindeutig, wirft andererseits im gleichen Moment aber Probleme auf, da die Herkunft, wenn überhaupt angegeben, schlicht mit „in catacumbas“ oder mit „in cimitero“ 21 beschrieben wird. Dies ist der der Wissenschaft bekannte Fundort, der deshalb von Bedeutung ist, als er Rückschlüsse auf die Se-
9 Albareda 1959. 10 Zanchi-Roppo 1969. 1 1 Garrucci 1864; Garrucci 1876. 12 Vopel 1899. 13 Pillinger 1984. 14 Laubenberger 1989; Laubenberger 1994. 1 5 Asamer 1985. 16 Rasmussen 1997. 17 Pillinger 1984. 18 So beispielsweise: Harden u. a. 1988, Kat.-Nr. 152–161. 19 Angeführt seien hier u. a.: Engemann 1968/69, 7–
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25; Grig 2004 a, 203–230; Goffredo 2001/02, 221–232. 20 Nähere Informationen dazu unter (18. 6. 2012). 2 1 Zu in catacumbas siehe: Ladner 1941, 17. 29, wobei er aber zu bedenken gibt, dass sie „zum großen Teil schon von den Antiquaren des 16.–18. Jahrhunderts gefunden wurden, genauere Fundangaben fehlen leider in der weit überwiegenden Mehrzahl“; zu „in cimitero“ beispielsweise Garrucci 1876, 115 Taf. 171, 1: „trovato nel cimitero di Callisto l’anno 1715“.
Johanna Köck
kundärverwendung römischer Zwischengoldgläser zulässt und die Bearbeiter in ein sepulkrales Umfeld führt. Der Nachteil der Ortsangabe ist seine Ungenauigkeit, denn die sehr allgemeine Angabe, römische Zwischengoldgläser in den Katakomben entdeckt zu haben, lässt heute keine Rückschlüsse mehr zu, welche Exemplare wo aufgefunden wurden oder auch darüber, wie eine Häufung/ Verteilung der Objekte in den Katakomben, als Einzelobjekte, wie auch im Vergleich zueinander, aussah. Nur bei einem verschwindend geringen Anteil des zu bearbeitenden Fundmaterials war es möglich, eine genaue Herkunftsbestimmung vorzunehmen. Nur einige wenige Stücke befinden sich nach wie vor in situ, doch kann man daraus keine allgemein gültigen Regeln ableiten.
Römische Zwischengoldgläser mit dem Bild der Heiligen Agnes Bei jenen römischen Zwischengoldgläsern, die als frühchristlich anzusprechen sind, findet man zahlreiche Stücke mit figürlichen Darstellungen und Szenen. Bei den gezeigten Personen handelt es sich zumeist um Martyrer und Heilige, die aus speziellen Gründen in diesem Medium verewigt wurden; es stellt sich daher die Frage nach dem „Warum ?“. Am Beispiel römischer Zwischengoldgläser mit dem Bild der Heiligen Agnes soll versucht werden, dieser Frage auf den Grund zu gehen. Die Bedeutung der Heiligen Agnes als vorrangige weibliche Heilige in Rom22 kann unter anderem auch anhand römischer Zwischengoldgläser, die ihr Bild zeigen, demonstriert werden. Ausgehend von der Anzahl der derzeit bekannten Objekte, die der Heiligen Agnes zuzurechnen sind, stellen jene, die ihr Bild tragen, die zweitgrößte Gruppe innerhalb der Gruppe mit Martyrer- oder Heiligendarstellungen nach denen, die Petrus und Paulus zeigen, dar. Aufgrund dieser relativ großen Anzahl sind sie als ein weiterer Beleg zu werten, dass Agnes besondere Verehrung zukam, die ihre Vorrangstellung begründet.
Doch was weiß man über Agnes ? Über die historische Person, die als Heilige Agnes angesprochen wird, existieren keine wissenschaftlich gesicherten Informationen. Biographische Eckdaten, wie Geburts- oder Sterbejahr müssen als Annahmen angesehen werden. Ein mögliches Sterbedatum wird entweder mit „etwa 250 unter Decius23“ angegeben, oder fallweise auch in die Zeit der Großen Verfolgung zwischen 303 und 304 gesetzt24, doch fehlen, wie gesagt, gesicherte Aufzeichnungen. Als verehrungswürdige Person findet man Agnes zum ersten Mal in der, als Teil des Chronographen von 354 erhaltenen, depositio martyrum25 mit folgendem Eintrag „XII kal. Feb. Agnetis in Nomentana“ 26. Hierin wird ihr Festtag, damit also der Tag, an dem sie das Martyrium erlitt, mit dem 21. Jänner angegeben 27. Dieser wird von weiteren Quellen bestätigt, unter anderem vom martyrologium Hieronymianum mit dem Text „Roma XII kal. Februarias passio Agnetis virginis“ 28. Die Texte stimmen in der Angabe des Tages und des Namens überein, weitere Informationen sind selten zu finden, treten singulär auf und enthalten Inhalte unterschiedlichen Detailgrades. In der ersten angegeben Stelle erfährt man beispielsweise eine genauere Ortsbestimmung: mit in Nomentana wird der Platz, an dem sie das Martyrium erlitt, exakt bestimmt. Die zweite 22 Dazu beispielsweise Allard 1907, wo es heißt, „Sainte Agnès est une des plus célèbres martyres romaines“; Sauser 1964, 101; Schäfer 1950, 184–186. 23 Bautz 1990, 56. 24 Palmer 1989, 251. 25 Mommsen 1892, 71 f. An einer Neuedition des Chronographen von 354 arbeiten J. Divjak und W. Wisch-
meyer. Siehe dazu auch Divjak 2002; Wischmeyer 2002. 26 (2. 7. 2012). 27 Siehe dazu auch Allard 1907, 905; Bautz 1990, 56; Schäfer 1950, 184. 28 De Rossi – Duchesne 1894.
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Römische Zwischengoldgläser
Textstelle nennt Rom, denn es ist jene Stadt, in der sie ihre passio erlitt; ihr Leidensweg wird zum ersten Mal direkt angesprochen. Darüber hinaus erfährt Agnes als Person durch virginis eine nähere Charakterisierung und Definition als Jungfrau; jungfräulich also wurde sie hingerichtet. Mit dem Erstarken der Martyrerverehrung und des damit verbundenen Kultwesens kam es bald zur Legendenbildung, wie beispielsweise bei Ambrosius nachgelesen werden kann. Er schreibt über Agnes (in Auszügen): „Natalis est sanctae Agnes … Nomen virginis titulus est pudoris. … Appellabo martyrem, praedicabo virginem … Haec duodecim annorum martyrium fecisse traditur. … Nunc furentis mucroni militis totum offerre corpus … Habetis igitur in una hostia duplex martyrium, pudoris et religionis: et virgo permansit et martyrium obtinuitt“ 29. Im und ab dem vierten Jahrhundert wurde die Position von Agnes als bedeutende römische Martyrerin und Heilige gefestigt. Als archäologische Grundlage kann auch die frühchristliche Kleinkunst herangezogen werden, im speziellen und unter diesem Forschungsschwerpunkt bedeutend handelt es sich vor allem um römische Zwischengoldgläser, die ihre Bilder tragen 30.
Besprechung der Gläser Die derzeit bekannten römischen Zwischengoldgläser, die der Heiligen Agnes zugerechnet werden, können unterteilt werden, wobei vier Gruppen für eine genauere Untersuchung heranzuziehen sind31. Nach folgenden ikonografischen Kriterien wurde die Einteilung vorgenommen: – Gruppe 1: Agnes mit der doppelten Martyrerkrone – Gruppe 2: Agnes allein – Gruppe 3: Agnes mit einer Beifigur – Gruppe 4: Agnes mit zwei Beifiguren – Gruppe 5: Fragmentierte Agnesgläser
Gruppe 1 – Agnes mit der doppelten Martyrerkrone Zu dieser Gruppe ist zum jetzigen Zeitpunkt nur ein einziges römisches Zwischengoldglas (Abb. 1) zu rechnen32. Die Bedeutung dieses Exemplars liegt einerseits darin, dass es eine eigene Gruppe bildet, andererseits findet sie sich in Gestaltung der Darstellung, auf welche nun genauer eingegangen werden soll.
29 Ambr., de virginibus, übersetzt und eingeleitet von: P. Dückers, Ambrosius. Über die Jungfrauen, Fontes T. Christiani 81 (Turnhout 2009) 107–109, 112 f.; die deutsche Übersetzung lautet folgendermaßen: Es ist der Gedenktag der heiligen Agnes … der Name der Jungfrau ist eine Bekanntmachung der Keuschheit … ich werde die Märtyrerin nennen, ich werde die Jungfrau preisen … es wird berichtet, dass sie mit zwölf Jahren das Martyrium erlitten hat … nun bot sie den ganzen Körper dem Schwert des wütenden Soldaten dar … ihr habt also in dem einen Opfer ein zweifaches Martyrium: das der Keuschheit und das der Frömmigkeit. Jungfrau blieb sie und das Martyrium erlangte sie. 30 Grig 2004 b, 80.
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3 1 Bei der fünften Gruppe handelt es sich um stark fragmentierte Stücke, die wegen des Vorhandenseins von spärlich erhaltenen Namensbeischriften zwar der Heiligen Agnes zugeschrieben werden können, für genauere Untersuchungen aufgrund des Erhaltungszustand aber nicht mehr geeignet sind. 32 Garrucci 1876, Taf. 191, 1; Umzeichnung der Autorin. Der Fundort des Stückes in nicht bekannt, nähere Informationen zu dem Zwischengoldglas findet man beispielsweise in: Morey – Ferrari 1959, 20 f. 85 Taf. 14. Die Autorin greift bewusst auf die wesentlich ältere Zeichnung zurück, da sich der Erhaltungszustand dieses römischen Zwischengoldglases stark verschlechtert hat und wichtige Elemente heute nicht mehr erkennbar sind.
Johanna Köck
Agnes ist als Orans gezeigt, mit aufwändiger Haartracht, kostbar ausgeführter Kleidung und wertvollem Schmuck und Accessoires ausgestattet. Eine Namensbeischrift, halbkreisförmig zu beiden Seiten ihres Kopfes angebracht, liest sich AN GNES und identifiziert sie damit zweifelsfrei. Ihre Figur wird gerahmt von zwei Vögeln, die als Tauben anzusprechen sind, welche sich rechts und links von Agnes befinden. Sie werden von Tertullian als animal simplicitatis et innocentiae, als „Lebewesen von einfältiger und unschuldiger Art“33 beschrieben, weshalb sie aufgrund dieser Eigenschaften besonders prädestiniert erscheinen, Unschuld und Reinheit der Heiligen Agnes zu unterstreichen. Die Tiere stehen auf je einem Podest, ihre Körper zeigen von der Bildmitte weg, doch drehen sie der Heiligen die Köpfe zu. Von Bedeutung sind die einfachen Kränze, die sie in ihren Schnäbeln halten. Jene den Tauben beigegebenen Attribute, die beiden Kronen34, geben den Ausschlag für die vorgenommene Zuordnung des römischen Zwischengoldglases zu Gruppe 1, da sie der im Peristephanon 14 des Prudentius geschilderten duplex corona wortwörtlich entsprechen35. Die Kronen sind als Zeichen des Sieges zu verstehen, die einem Martyrer verliehen werden, wie man unter anderem bei Eusebius nachlesen kann36. Da der Martyrer durch seinen Lebenswandel, seine Taten und Todesumstände unmittelbar nach dem Ableben „in die himmlische Seligkeit einging“37, ist der Kranz als himmlische Belohnung, als „Kranz des Lebens im Tode“38 zu verstehen, wie man auch in der Offenbarung nachlesen kann, wo es heißt, „sei treu bis in den Tod; dann werde ich dir den Kranz des Lebens geben“39. Da Agnes sowohl ihrer Jungfräulichkeit als auch ihrer Glaubensüberzeugung wegen das doppelte Martyrium erlitt, wurde diese besondere Errungenschaft mit ihr im Bild szenisch umgesetzt, in dem man sie mit beiden Kronen zeigt. Es ist überraschend, dass nur ein einziges römisches Zwischengoldglas dieser Gruppe zuzurechnen ist, da das vorgestellte Bildmotiv mit größter Wahrscheinlichkeit auf zahlreichen Exemplaren gezeigt wurde. Doch sowohl die Fragilität des verwendeten Materials wie auch die kurze Lebensdauer römischer Zwischengoldgläser bei nicht sachgerechter Handhabung können als Erklärungsmodelle für diese Singularität dienen. Bei der folgenden Besprechung der weiteren Gruppen ist es für die Autorin ein Anliegen, vor allem die so genannten verlorenen Gläser zu präsentieren. Es handelt sich bei ihnen um römische Zwischengoldgläser, die zwar nach wie vor erwähnt werden, von welchen es aber seit ihrer Erstaufnahme keine aktuellen Bildvorlagen gibt, weshalb die Stücke per se leider als verschollen gelten müssen.
Gruppe 2 – Agnes allein Gruppe 2 beinhaltet derzeit sechs römische Zwischengoldgläser, die sich dadurch auszeichnen, dass Agnes allein dargestellt wird, auch Attribute wie Martyrerkronen fehlen; Abbildung 2 40 zeigt ein solches Glas. Die Figur einer reich gekleideten Orantin ist durch die Namensbeischrift AN NE. eindeutig als Heilige Agnes zu identifizieren. Sie wird zwischen zwei Bäumen gezeigt, andere Beigaben oder Füllelemente fehlen. Die Szene ist symmetrisch aufgebaut und füllt die vorhandene Bildfläche gut aus; die angegeben Bäume dienen als vegetabile Elemente, die anzeigen, dass sich diese Szene in der freien Natur abspielt. 33 Tert. bapt. 8. 34 Die termini Kranz und Krone können in dem hier zu behandelnden Zusammenhang synonym verwendet werden; siehe dazu Engemann 2006, 1006–1034. 35 Prud., perist. 14. 36 Eus. h. e. 5.
37 Engemann 2006, 1018. 38 Engemann 2006, 1024. 39 Offb. 2, 10: Sei treu bis in den Tod; dann werde ich dir den Kranz des Lebens geben. 40 Umzeichnung der Autorin, nach Garrucci 1876, Taf. 191, 4.
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Römische Zwischengoldgläser
In diesem Bildschema erinnert die Darstellungsweise an Szenen mit Susanna, die ebenso wie die Heilige Agnes im Orantengestus und zwischen Bäumen (im Wald) gezeigt wird41. Beide Frauen42 zeichnen sich durch dieselben Eigenschaften, Tugendhaftigkeit, Frömmigkeit, Keuschheit aus; sie sind es auch, die im Fall von Susanna zu ihrer Freilassung führen, sowie Agnes in den Stand einer Heiligen erheben.
Gruppe 3 – Agnes mit einer Beifigur In dieser Gruppe finden sich aktuell zwei römische Zwischengoldgläser. Durch vorhandene Beischriften ist es wiederum möglich, sowohl Agnes, als auch die zweite Figur, bei der es sich beide Male um Maria handelt, zu identifizieren. Abbildung 3 zeigt zwei Frauen, die durch AN N E und MA RA eindeutig angesprochen werden können. Das Bild ist einfach gearbeitet, die Dargestellten sind im Orantengestus in Szene gesetzt und sehen einander an. Als kleines Füllelement wurde über ihren Händen in der Bildmitte ein scheibenförmiges Element eingefügt43. Da die Exemplare von Gruppe 3 die gleiche Beifigur, nämlich Maria, zeigen, ist davon auszugehen, dass diese Kombination überaus beliebt war. Agnes gilt, durch ihr Leben und Leiden, als würdig, gemeinsam mit der Gottesmutter ins Bild genommen zu werden. Vor allem die Tugend der Keuschheit kann als Bindeglied verstanden werden, die es gestattet, beide Frauen miteinander in Szene zu setzen.
Gruppe 4 – Agnes mit zwei Beifiguren Ein römisches Zwischengoldglas dieser Gruppe, die derzeit insgesamt fünf Stücke umfasst, zeigt Agnes mit den Apostelfürsten Petrus und Paulus (Abb. 4)44. Das Exemplar zeichnet sich unter anderem auch dadurch aus, dass hier die Fundumstände durch Garrucci mit der Aussage „trovato nel cimitero di Ponziano l’anno 1682“ genauer bestimmt wurden45. Besonders ist auch, abgesehen von der eigentlichen Szene innerhalb eines etwa quadratischen Rahmens, der an sich eine Ausnahme darstellt, die Gestaltung außerhalb des Bildfeldes. An allen vier Seiten ist ein annähernd gleichförmiges Dekor zu erkennen. Es besteht aus vegetabilen Motiven, gebildet aus Efeublättern und Ranken, die von jeweils acht kleinen Punkten pro Seite begleitet werden. Im Bildfeld selbst sind drei Figuren abgebildet. Die zentrale Person ist als Orantin und im Vergleich mit den Beifiguren überlebensgroß in Szene gesetzt. Die Begleiter reichen ihr kaum bis zu den Schultern und gelten aufgrund von Kleidung und Haartracht als Männer; sie sind im Redegestus dargestellt. Namensbeischriften, lautend auf PET RVS PAVL VS und A N E, erleichtern die Ansprache und weisen die Dargestellten als Heilige Agnes zwischen den Aposteln Petrus und Paulus aus. Blattelemente zeigen eine Szene im Freien an, was durch zwei weitere Strukturen am unteren Bildrand, die als Steine oder niedrige Erderhebungen anzusprechen sind, bestätigt wird. Auffällig ist die bereits erwähnte Tatsache, dass die Apostel klein und untergeordnet abgebildet wurden. Es scheint, als könnten die für Rom wichtigsten männlichen Heiligen auf diesem be4 1 Dazu beispielsweise die Darstellung der Susanna in der Katakombe Santi Marcellino e Pietro. 42 Zu Susanna siehe Altes Testament, Dan, 13, 2–63. 43 Umzeichnung der Autorin, nach Garrucci 1876, Taf. 191, 2. 44 Umzeichnung der Autorin, nach Garrucci 1876, Taf. 190, 3.
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45 Garrucci 1876, 169; er bezieht sich bei dieser Angabe auf ältere Arbeiten, die er als Referenzwerke herangezogen hatte. Doch trotz der seltenen Angabe von Fundumständen kann ihr Wahrheitsgehalt nicht als absolut angesehen werden, da zwischen der Auffindung des römischen Zwischengoldglases und den Aufzeichnungen Garruccis ein Zeitraum von beinahe 200 Jahren liegt.
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wusst gewählten Weg der Zurückhaltung die Bedeutung ihres weiblichen Gegenparts verstärkt betonen. Der Umstand, dass innerhalb von Gruppe 4 drei römische Zwischengoldgläser nachweisbar sind, die eine derartige Konstellation der drei genannten Personen zeigen, spricht für eine große Beliebtheit des Motives. Die dargelegten, durchaus stark divergierenden Möglichkeiten, die Heilige Agnes im Medium der römischen Zwischengoldgläser ins Bild zu setzen, können als Indikatoren ihrer Bedeutung und Beliebtheit deutlich ausgemacht und gewertet werden. Die große Nachfrage an Stücken mit ihrer Darstellung konnte vorgestellt werden, hierauf mussten die Produzenten mit einer entsprechenden Formenvielfalt reagieren, um so den Bedürfnissen und Wünschen der Konsumenten nachzukommen. Die jeweiligen Aussagen, die in den Bilder vermittelt wurden, waren für den zeitgenössischen Betrachter klar verständlich, wurde er doch in jedem Bild, unabhängig davon, zu welcher Gruppe die Gläser heute gezählt werden, über die Tugenden und den frommen Lebenswandel der Heiligen Agnes informiert. Aus eben diesen Gründen wurde sie in die Gemeinschaft der Heiligen aufgenommen und gilt auch heute unter anderem noch als Schutzheilige von Jungfrauen, Verlobten und Kindern46. Abbildungsnachweis Abb. 1: Umzeichnung Abb. 2: Umzeichnung Abb. 3: Umzeichnung Abb. 4: Umzeichnung Bibliographie Albareda 1959
Allard 1907 Asamer 1985 Bautz 1990 Buonarotti 1716
Cavedoni 1859 Divjak 2002
Engemann 1968/69 Engemann 2006 Garrucci 1864 Garrucci 1876
Goffredo 2001/02 Grig 2004 a
der der der der
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Garrucci Garrucci Garrucci Garrucci
1876, Taf. 1876, Taf. 1876, Taf. 1876, Taf.
191, 191, 191, 190,
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Johanna Köck
Abb. 1: Gruppe 1 – Agnes mit der doppelten Martyrerkrone
Abb. 2: Gruppe 2 – Agnes allein
Abb. 3: Gruppe 3 – Agnes mit einer Beifigur
Abb. 4: Gruppe 5 – Agnes mit zwei Beifiguren
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Die Wasserversorgung der Zivilstadt Carnuntum Altbekanntes und neue Evidenz Andreas Konecny Eines der vorrangigen Anliegen römischer Ingenieurskunst war die Versorgung städtischer Zentren mit Trink- und Brauchwasser. Die dazu notwendigen Kunstbauten zählen zu den spektakulärsten Hinterlassenschaften der römischen Antike. Große Fernleitungen, etwa gar mit Aquaeduktbrücken1, hat es in der Zivilstadt Carnuntum allerdings keine gegeben2. Doch haben die neuesten Grabungen des Landes Niederösterreich dem bisher bekannten Wissensstand zur Wasserversorgung der Zivilstadt wichtige Details hinzugefügt, die das Bild, das durch die verdienstvollen Arbeiten von Herma Stiglitz gezeichnet wird3, um einige bedeutende Facetten bereichern (Abb. 1). Die Landnahme in der Zivilstadt lässt sich für ihre südliche und südöstliche Peripherie im vorletzten Jahrzehnt des 1. Jh.s n. Chr. ansetzen. Unter Hadrian erhielt die Siedlung das Munizipalstatut verliehen4. Ein unregelmäßiger Straßenraster bildete das Grundgerüst, entlang dem die private und öffentliche Bebauung der Stadt entstand. Der Wasserbedarf der Bewohner von Carnuntum, der von Anfang an beträchtlich gewesen sein muss, wurde zuerst mittels Brunnen gedeckt. Zwei Beispiele konnten freigelegt werden: Im Bereich von „Insula VI“ ein wahrscheinlich öffentlich zugänglicher Brunnen (Abb. 2)5, im Bereich des späteren Hauses IV ein mit Holzfässern ausgekleideter Brunnen, der wohl privater Nutzung vorbehalten war (Abb. 3) 6. Doch wurden schon wenige Jahre nach Siedlungsgründung auch Wasserleitungen eingerichtet. Sie bestanden aus Holzrohren (Abb. 4), die in den bislang dokumentierten Fällen eng begrenzte, lokale Grundwasservorkommen erschlossen (Abb. 5)7. Aufgrund ihrer jeweils geringen Kapazität können diese Wasserleitungen nur der Versorgung von kleinen Teilbereichen der Siedlung gedient haben8. Die Kurzlebigkeit der verwendeten Holzrohre bedingte eine im Befund fassbare, mehrmalige Erneuerung der Leitungen. In den Jahren zwischen 125 und etwa 145/150 entstand die Stadtvierteltherme, die im Freilichtmuseum „Spaziergarten“ freigelegt und kürzlich rekonstruiert worden ist. Die Wasserversorgung der Einrichtung wurde durch einen großen, direkt am Bad geschlagenen Brunnen gewährleistet, dessen Dargebot durch eine Drainage augmentiert wurde, welche einen lokalen Grundwasserstrom anzapfte (Abb. 6. 7)9. Ein Abzweig aus dieser Drainage führte entlang der Therme nach Norden in den Vorhof ihres östlichen Nebengebäudes, das im Lichte der neuesten Evidenz wohl als mansio anzusprechen ist. Mehrere weitere Brunnen gleicher oder ähnlicher Zeitstellung auf privat genutzten Parzellen der Zivilstadt dienten als Hausbrunnen. Der Brunnen an der Therme versorgte das Bad bis in die Severerzeit mit Wasser. Erst dann wurde es an die Wasserleitung angeschlossen, die in der Weststraße verlief 10. Severerzeitlich datieren auch eine überwölbte Wasserleitung, die östlich von Haus IV unter der zeitgleichen Stadt1 Vgl. nur Hodge 2002 passim. 2 Doch vgl. die Evidenz zu den canabae legionis bei Gugl – Doneus 2011. 3 Stiglitz 1992; Stiglitz 2011. 4 Zur Gründungsgeschichte der Zivilstadt Carnuntum vgl. u. a. Baier 2008; Baier u. a. 2007, 186–191; Eder-Hinterleitner u. a. 2006, 285; Maschek 2011. 5 Maschek – Humer 2007, 687. 6 Maschek 2010, 30.
7 Humer – Konecny 2008, 573; Konecny 2011 a, 242 f.; Konecny 2012, 273; Maschek – Humer 2009 a; Fuchs u. a. 2010 b. 8 Parallelen zu derartigen Holzwasserleitungen: Sireix 2008, 65–69; Pauli-Gabi u. a. 2002, 166–168; Wilson 1996, 21 f., mit Bibliographie. 9 Zur Therme und zur Brunnenanlage vgl. Konecny 2011b; Pacher 2011 a; 2011b; Pacher – Konecny 2012. 10 Zu dieser Leitung Radbauer – Humer 2004.
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Die Wasserversorgung der Zivilstadt Carnuntum
mauer11 der Zivilstadt hindurch lief (Abb. 8), eine kleinere Leitung, die wenig westlich davon ebenfalls unter der Stadtmauer hindurch in Haus IVc hinein lief (Abb. 9) und eine dritte Leitung, die, wiederum unter der Stadtmauer hindurch, diesmal aus Holzrohren gefügt, in den ambitus zwischen den Häusern IVa und IVb führte (Abb. 10)12. Diese drei Leitungen bezogen ihr Wasser, das legen die lokale Topographie und die Ausgestaltung der Einbauten nahe, aus wenige Dutzend Meter weiter südlich gelegenen Zehrgebieten, die von einem lokalen, kleinräumigen Grundwasservorkommen gespeist werden. Zwei weitaus großzügiger dimensionierte Leitungen führten vom Westen und vom Osten in die Zivilstadt. Von Osten her strich ein in kurzen Abschnitten dokumentierter, überwölbter Leitungskanal13, der die Stadtmauer ausweislich der lokalen Topographie wohl am decumanus primus dexter unterfahren hat. Vom Westen her ist in der Flur „Gstettenbreiten“ seit längerem ein mannshoher Leitungsstollen lokalisiert14, der aufgrund seiner baulichen Gestaltung wohl als Sickergalerie anzusprechen ist. Diese schnitt einen infolge der lokalen Topographie zu erwartenden Grundwasserstrom an und leitete das Wasser nach der Zivilstadt ab15. Eine weitere Wasserleitung scheint von SW her, vorbei am Amphitheater und entlang der in seiner unmittelbaren Nähe lokalisierten Gladiatorenschule, in die Zivilstadt geführt zu haben16. Doch reichten die diese Wasserleitungen offensichtlich bei weitem nicht aus, den Wasserbedarf der Siedlung zu decken. Dementsprechend sorgten weiterhin auch Brunnen für die Wasserversorgung von Einzelbauten. Mehrere von ihnen, die ins 3. und ins frühe 4. Jh. datieren, konnten in den aktuellen Grabungen im „Spaziergarten“ freigelegt werden (Abb. 11. 12)17. Das Erdbeben, das in den Jahren um oder kurz nach 355 n. Chr. Carnuntum verwüstete, zog auch die unterirdischen Infrastruktureinbauten der Siedlung schwer in Mitleidenschaft18. Die Schäden waren so gravierend, dass die Abwasserkanäle großteils aufgelassen und abgetragen wurden. Die Wasserleitungen erlitten wohl allesamt ein vergleichbares Schicksal. Als Ersatz wurden in den Häusern der Zivilstadt Brunnen angelegt, die nun generell mit ausgemauerten Brunnenschächten versehen waren (Abb. 13. 14)19. Doch wurde auch zumindest eine neue Wasserleitung gebaut. Sie strich aus dem südöstlichen Vorfeld der Zivilstadt, wo sie ein lokales, oberflächennahes Grundwasservorkommen anzapfte, aus dem sich heute noch ein Fischteich, das „Johannisteichl,“ speist, nach Norden gegen den cardo maximus der Siedlung20. Die bauliche Ausführung des Freispiegelgerinnes erfolgte recht unsorgfältig, mit einem sehr unregelmäßig eingehaltenen Gefälle nach Norden. Als Baumaterial für die Leitung wurden zahlreiche Spolien verwendet, die ganz offensichtlich Grabbauten in der näheren Umgebung entnommen worden waren (Abb. 15. 16). Rechteckige Putzöffnungen ermöglichten eine Reinigung der Leitung (Abb. 17). Beim derzeitigen Forschungsstand muss unbekannt bleiben, ob zusätzlich zu dieser Leitung in der zweiten Hälfte des 4. Jh.s noch weitere Wasserleitungen neu errichtet wurden. Am Befund lässt sich nachvollziehen, wie sich die Einrichtungen zur Wasserversorgung der Carnuntiner Zivilstadt entwickelt haben. Am Ende des 1. Jh.s, zur Zeit der Landnahme in den bislang ergrabenen Teilbereichen der Siedlung, hing die Bevölkerung von privaten und öffentli1 1 Zu ihr Maschek – Humer 2009 b; Pacher 2009. 12 Zu den Leitungen Fuchs – Weißmann 2011; Maschek – Humer 2008, 570; Maschek – Humer 2009 a, 419 f. 13 Dazu Jobst 1995, 149–151; Konecny 2003, 240. 251 f. 14 Dazu Jobst 1983, 135; Stiglitz 1992; Stiglitz 2011. 1 5 Neueste geophysikalische Untersuchungen durch W. Neubauer scheinen die Existenz einer mehrfach aufgefächerten Sickergalerie im vermuteten Zehrgebiet der Leitung zu bestätigen (freundliche Mitteilung F. Humer). 16 Dazu derzeit , s. v. „ludus Overview EN“. Die lokale Topographie legt es nahe,
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den Ursprung dieser Leitung in der Nähe eines „Forellenteichel“ genannten Tümpels etwa 0,75 km südwestlich des Amphitheaters zu suchen. 17 Zu diesen Befunden u. a. Humer – Konecny 2010; Maschek – Humer 2008, 690. 18 Zu diesem Erdbeben vgl. Decker u. a. 2006; Humer – Konecny 2007, 697 f.; Humer – Maschek 2007; Kandler 1989; Kandler u. a. 2007; Maschek – Humer 2007, 689 f. 19 Baier – Humer 2007, 692 f.; Baier – Humer 2008, 568; Fuchs u. a. 2010; Humer – Konecny 2008, 574; Maschek – Humer 2007, 690. 20 Humer – Konecny 2009; Konecny 2012, 271 f.
Andreas Konecny
chen Brunnen ab, doch wurden bald auch die ersten Wasserleitungen aus Holz, allerdings mit nur geringer Förderleistung, eingerichtet. Großverbraucher wie die Therme waren auf eigene, elaborate Brunnen angewiesen, die mit zum Bauprogramm gehörten. Als in der Severerzeit groß dimensionierte Wasserleitungen von Westen, Süden und Osten in die Stadt hineingeführt wurden, konnten solche lokalen Brunnen aufgelassen werden. Doch blieb auch danach das Versorgungssystem kleinteilig strukturiert und offensichtlich teilweise privat organisiert, und Hausbrunnen augmentierten das Dargebot der Wasserleitungen. Fernleitungen aus weit abgelegenen Quellgebieten sind für die Zivilstadt Carnuntum bislang nicht dokumentiert. Die lokale Geologie, die zahlreiche, ergiebige Grundwasserhorizonte in der Nähe der Siedlung darbot, machte ihre Einrichtung unnötig. Dieses vieladrige und kleinteilig strukturierte System aus Leitungen und Brunnen versorgte die Stadt mit Wasser, bis das Erdbeben um oder kurz nach 355 auch diesen Teil der Carnuntiner Infrastruktur massiv in Mitleidenschaft zog. Die Wiederherstellungsmaßnahmen konnten das Zerstörte nicht zur Gänze ersetzen, obwohl in Notbaumaßnahmen versucht wurde, zumindest eine schwerpunktmäßige Wasserversorgung wieder herzustellen. Die Carnuntiner Bevölkerung war nun wieder vermehrt auf private Eigeninitiative angewiesen, die sich in der Einrichtung von Hausbrunnen manifestierte. Damit musste ein Auslangen gefunden werden, bis die Stadt wenige Jahrzehnte später aufgegeben wurde und verfiel. Abbildungsnachweis Abb. 1: Zeichnung Konecny, auf Grundlage W. Neubauer (ZAMG, Ludwig Boltzmann Institut für archäologische Prospektion und virtuelle Archäologie), D. Maschek und E. Schedivy Abb. 2. 3. 5. 8. 9. 10: Archäologischer Park Carnuntum, D. Maschek Abb. 4. 11. 12. 13. 14. 15. 16. 17: Archäologischer Park Carnuntum, A. Konecny Abb. 6. 7: Archäologischer Park Carnuntum, M. Pacher Bibliographie Baier 2008
Ch. Baier, Frühe Baubefunde im Areal von Haus II in der Zivilstadt Carnuntum, in: G. Grabherr – B. Kainrath (Hrsg.), Akten des 11. Österreichischen Archäologentags in Innsbruck 2006 (Innsbruck 2008) 27–36 Baier – Humer 2007 Ch. Baier – F. Humer, KG Petronell, MG Petronell-Carnuntum, VB Bruck an der Leitha (Grabungen in Haus III), FÖ 46, 2007, 691–694 Baier – Humer 2008 Ch. Baier – F. Humer, KG Petronell, MG Petronell-Carnuntum, VB Bruck an der Leitha (Grabungen in Haus III), FÖ 47, 2008, 566–569 Baier u. a. 2007 Ch. Baier – F. Humer – A, Konecny, Zivilstadt Carnuntum – Haus II. Die Grabungen im römischen Stadtviertel des Archäologischen Parks Carnuntum in den Jahren 2003 bis 2005, CarnuntumJb 2007, 177–230 Decker u. a. 2006 K. Decker – G. Gangl – M. Kandler, The earthquake of Carnuntum in the fourth century A.D. – archaeological results, seismologic scenario and seismotectonic implications for the Vienna Basin fault, Austria, Journal of Seismology 10, 2006, 479–495 Eder-Hinterleitner u. a. 2006 A. Eder-Hinterleitner – Chr. Ertel – P. Ferschin – M. Kandler – K. Löcker – P. Melichar – W. Neubauer – S. Seren, Das Forum des Municipium Aelium Karnuntum, in: F. Humer (Hrsg.), Legionsadler und Druidenstab. Vom Legionslager zur Donaumetropole, Katalog zur Ausstellung im Archäologischen Museum Carnuntum 2006–2007 (St. Pölten 2006) 280–295 Gugl – Doneus 2011 Ch. Gugl – M. Doneus, Zur Wasserversorgung der canabae legionis und des Legionslagers von Carnuntum, in: F. Humer – A. Konecny (Hrsg.), Römische Thermen – Forschung und Präsentation. Akten des Internationalen Kolloquiums veranstaltet vom Archäologischen Park Carnuntum und der Gesellschaft der Freunde Carnuntums, 17.–18. September 2009 in der Kulturfabrik Hainburg (Horn 2011) 107–120 Fuchs u. a. 2010 D. Fuchs – D. Maschek – B. Weissmann, KG Petronell, MG Petronell-Carnuntum, VB Bruck an der Leitha (Grabungen in Haus IV), FÖ 49, 2010, 300–304 Hodge 2002 A. T. Hodge, Roman Aqueducts and Water Supply 2(London 2002)
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Die Wasserversorgung der Zivilstadt Carnuntum Humer – Konecny 2007 Humer – Konecny Humer – Konecny Humer – Konecny Humer – Maschek Jobst 1983 Jobst 1995 Kandler 1989 Kandler u. a. 2007
Konecny 2003 Konecny 2011 a
Konecny 2011b
Konecny 2012
Maschek 2010
Maschek 2011
Maschek – Humer Maschek – Humer Maschek – Humer Maschek – Humer Pacher 2009
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F. Humer – A. Konecny, KG Petronell, MG Petronell-Carnuntum, VB Bruck an der Leitha (Grabungen im sog. Tiergarten), FuBerÖ 46, 2007, 696–698 2008 F. Humer – A. Konecny, KG Petronell, MG Petronell-Carnuntum, VB Bruck an der Leitha (Grabungen im sog. Tiergarten), FÖ 47, 2008, 572–574 2009 F. Humer – A. Konecny, MG Petronell-Carnuntum, VB Bruck an der Leitha (Grabungen am neuen Parkplatz), FÖ 48, 2009, 424–426 2010 F. Humer – A. Konecny, MG Petronell-Carnuntum, VB Bruck an der Leitha (Grabungen in sog. Haus V), FÖ 49, 2010, 304–307 2007 F. Humer – D. Maschek, Eine Erdbebenzerstörung des 4. Jahrhunderts n. Chr. im sogenannten Peristylhaus der Zivilstadt von Carnuntum, AÖ 18, 2, 2007, 45–55 W. Jobst, Provinzhauptstadt Carnuntum. Österreichs größte archäologische Landschaft (Wien 1983) W. Jobst, Archäologischer Park Carnuntum. Tätigkeitsbericht, CarnuntumJB 1995, 123–152 M. Kandler, Eine Erdbebenkatastophe in Carnuntum ?, ActaArchHung 41, 1989, 313–336 M. Kandler – K. Decker – G. Gangl, Archäologische Befunde von Erdbebenschäden im Raum von Carnuntum, in: G. H. Waldherr, A. Smolka (Hrsg.), Antike Erdbeben im alpinen und zirkumalpinen Raum, Geographica Historica 24, 2007, 116–132 A. Konecny, Archäologische Bauaufsicht in Petronell-Carnuntum 2000–2002, CarnuntumJB 2003, 237–286 A. Konecny, Holzbefunde aus der Zivilstadt von Carnuntum, in: P. Scherrer (Hrsg.), Lignum. Holz in der Antike. Akten des interdisziplinären Symposiums, Graz, 5.–7. November 2009 = Keryx 1 (Graz 2011) 241–258 A. Konecny, Die Thermenanlage im Freilichtmuseum „Spaziergarten“ in der Zivilstadt Carnuntum, in: F. Humer – A. Konecny (Hrsg.), Römische Thermen – Forschung und Präsentation. Akten des Internationalen Kolloquiums veranstaltet vom Archäologischen ParksCarnuntum und der Gesellschaft der Freunde Carnuntums, Hainburg, 17. –18.09.2009 (Horn 2011) 11–22 A. Konecny, Die südliche Peripherie von Carnuntum. Neue Evidenz aus den Grabungen 2001–2009. Akten des 13. Österreichischen Archäologentags. Klassische und Frühägäische Archäologie, Paris-Lodron Universität Salzburg 2010 (Wien 2012) 271–280 D. Maschek, Archäologie und Bauforschung im Bereich von Haus IV b–c in der Zivilstadt Carnuntum: Ergebnisse der Grabungskampagne 2009, AÖ 21,1, 2010, 29–31 D. Maschek, Die Therme des Zivilstadtviertels im Archäologischen Park Carnuntum in ihrem urbanistischen Kontext: Neue Befunde zur Parzellierung und Wasserversorgung des Wohnstadtviertels, in: Humer – A. Konecny (Hrsg.), Römische Thermen – Forschung und Präsentation. Akten des Internationalen Kolloquiums veranstaltet vom Archäologischen Park Carnuntum und der Gesellschaft der Freunde Carnuntums, 17.–18. September 2009 in der Kulturfabrik Hainburg (Horn 2011) 33–45 2007 D. Maschek – F. Humer, KG Petronell, MG Petronell-Carnuntum, VB Bruck an der Leitha (Grabungen im sog. Peristylhaus), FÖ 46, 2007, 687–691 2008 D. Maschek – F. Humer, KG Petronell, MG Petronell-Carnuntum, VB Bruck an der Leitha (Grabungen im sog. Haus IV), FÖ 47, 2008, 569–571 2009 a D. Maschek – F. Humer, KG Petronell, MG Petronell-Carnuntum, VB Bruck an der Leitha (Grabungen im sog. Haus IV), FÖ 48, 2009, 417–421 2009 b D. Maschek – F. Humer, KG Petronell, MG Petronell-Carnuntum, VB Bruck an der Leitha (Grabungen an der Stadtmauer südlich vom sog. Haus IV), FÖ 48, 2009, 421 f. M. Pacher, Die Stadtmauer von Carnuntum in ihrem östlichen Verlauf, CarnuntumJb 2009–2011, 173–178
Andreas Konecny Pacher 2011 a
M. Pacher, Eine Brunnenstube aus der Therme im Freilichtmuseum PetronellCarnuntum, in: P. Scherrer (Hrsg.), Lignum. Holz in der Antike. Akten des interdisziplinären Symposiums, Graz, 5.–7. November 2009 = Keryx 1 (Graz 2011) 259–270 Pacher 2011b M. Pacher, Eine Brunnenstube aus der Therme im Freilichtmuseum PetronellCarnuntum, in: Humer – A. Konecny (Hrsg.), Römische Thermen – Forschung und Präsentation. Akten des Internationalen Kolloquiums des Archäologischen Parks Carnuntum und der Freunde Carnuntums, 17.–18. September 2009 Hainburg (Horn 2011) 23–32 Pacher – Konecny 2012 M. Pacher – A. Konecny, Die Thermenanlage im so genannten Spaziergarten von Carnuntum, in: S. Traxler – R. Kastler (Hrsg.), Römische Bäder in Raetien, Noricum und Pannonien, Colloquium Lentia 2010 = Studien zur Kulturgeschichte von Oberösterreich 27 (Linz 2012) 129–146 Pauli-Gabi u. a. 2002 Th. Pauli-Gabi – Ch. Ebnöther – Peter Albertin – A. Zürcher, Beiträge zum römischen Oberwinterthur – Vitudurum 6, Ausgrabungen im Unteren Bühl. Die Baubefunde im Westquartier. Ein Beitrag zum kleinstädtischen Bauen und Leben im römischen Nordwesten, Monographien der Kantonsarchäologie Zürich 34/1 (Zürich 2002) Radbauer – Humer 2004 S. Radbauer – F. Humer, KG Petronell, MG Petronell-Carnuntum, VB Bruck an der Leitha (Grabungen in der Weststraße), FÖ 43, 2004, 902–906 Sireix 2008 Ch. Sireix (Hrsg.), La cité judiciaire, un quartier suburbain de Bordeaux antique, = Aquitania Supplement 15 (Bordeaux 2008) Stiglitz 1992 H. Stiglitz, Zur Wasserversorgung von Carnuntum, in: H. Swozilek – G. Grabner (Hrsg.), Archäologie in Gebirgen, Elmar Vonbank zum 70. Geburtstag, Schriften des Vorarlberger Landesmuseums A 5 (Bregenz 1992) 173 f. Stiglitz 2011 H. Stiglitz, Zur Wasserversorgung der Zivilstadt von Carnuntum, in: F. Humer – A. Konecny (Hrsg.), Römische Thermen – Forschung und Präsentation. Akten des Internationalen Kolloquiums veranstaltet vom Archäologischen Park Carnuntum und der Gesellschaft der Freunde Carnuntums, 17.–18. September 2009 in der Kulturfabrik Hainburg (Horn 2011) 101–106 Wilson 1996 R. J. A. Wilson, tot aquarum. Recent Studies on Aqueducts and Water Supply, JRA 9, 1996, 5–29
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Die Wasserversorgung der Zivilstadt Carnuntum
Abb. 1: Zivilstadt Carnuntum, idealisierter Plan mit Wasserleitungsführungen belegt (durchgezogen) und vermutet (strichliert)
Abb. 2: Insula VI, Kastenbrunnen, spätes 1. Jh.
Abb. 3: Haus IVb, Fassbrunnen, frühes 2. Jh.
Abb. 5: Beginn der Holzwasserleitung O von „Haus IVc“, frühes 2. Jh.
Abb. 4: Grabung „Tiergarten“, Holzwasserleitungen im Straßenhorizont I
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Abb. 6: Thermen, Brunnen im Südhof während der Freilegung. Steinwurf um die Brunnenkammer, rechts der Brunnenschacht aus Holzbohlen
Andreas Konecny
Abb. 7: Thermen, Drainage zur zusätzlichen Dotation des Brunnens
Abb. 8: Severerzeitliche Wasserleitung südöstlich von „Haus IV b–c“, Blick in den Leitungsstollen
Abb. 9: Wasserleitung ins „Haus IV b–c“, Querung der Stadtmauer
Abb. 10: Doppelte Holzrohrleitung aus dem frühen 3. Jh. in ihrem Führungskanal
Abb. 11: „Haus Va“, Brunnen aus der frühen Periode III
Abb. 12: „Haus Vb“, Hof an der Nordstraße, Brunnen aus Periode III
Abb. 13: Grabung „Tiergarten“, ausgemauerter Brunnenschacht im nacherdbebenzeitlichen Horizont
Abb. 14: „Haus V“, Ambitus, ausgemauerter Brunnenschacht im nacherdbebenzeitlichen Horizont
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Die Wasserversorgung der Zivilstadt Carnuntum
Abb. 15: Grabung „Parkplatz“, spätantike Wasserleitung, Blick entlang der teilweise freigelegten Leitung mit Gerinneabdeckung aus Spolien in situ
Abb. 17: Grabung „Parkplatz“, spätantike Wasserleitung, Putzöffnung
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Abb. 16: Wie Abb. 15, Gerinneabdeckung abgehoben
Im Westen viel Neues … Aktuelle Grabungen und Forschungen zum römerzeitlichen Bregenz Julia Kopf Der historisch-archäologische Forschungsstand zur römischen Siedlung Brigantium ist als sehr dürftig zu bezeichnen. Verhältnismäßig gut abgesichert erscheint dank neuerer Untersuchungen der Siedlungsbeginn1: die ältesten Formen der italischen Sigillata, die frühesten Fibeln und das Münzspektrum sprechen für eine erste römische Frequentierung um 15/10 v. Chr. Der Masse der italischen Sigillata und der Datierung der ältesten Brandgräber folgend, ergibt sich ein gesicherter Siedlungsbeginn im fortgeschrittenen 1. Jahrzehnt v. Chr. Der Charakter dieser frühesten Besiedlung war bisher umstritten, allerdings deuteten die recht zahlreichen frühkaiserzeitlichen Militaria eindeutig auf die Präsenz römischer Soldaten hin2. Zudem wurden ein Graben und mögliche Mannschaftsbaracken/Stallgebäude auf dem Ölrain als Reste eines römischen Erdlagers frühtiberischer bis frühclaudischer Zeitstellung interpretiert3. Allerdings ließ sich vor den Entdeckungen im Zuge der jüngsten Grabung (s. u.) nicht sicher entscheiden, „ob Brigantium als Militärlager bzw. -posten mit zugehörigem vicus oder als zivile Straßensiedlung mit einem militärischen Sicherungskontingent entstanden ist“4. Aufgrund der Verteilung der italischen Sigillata kann jedoch von einer beachtlichen Siedlungsausdehnung bereits in der 1. Hälfte des 1. Jh.s n. Chr. ausgegangen werden. Für die weitere Entwicklung der Siedlungstätigkeit liegen dann sehr wenige Anhaltspunkte vor, die eher allgemeiner Natur sind und oft nur aus dem Vergleich mit besser erforschten Siedlungen der näheren Umgebung resultieren5. In der frühen und mittleren Kaiserzeit lag der Schwerpunkt der Siedlungstätigkeit auf dem rund 50 ha großen Ölrain-Plateau, welches 34 m über dem heutigen Wasserspiegel des Bodensees liegt und zu diesem terrassenartig abfällt. Nördlich der Hauptstraße, dem Bodenseeufer zugewandt, entstanden öffentliche Gebäude und herrschaftliche Villen, während sich südlich davon die einfachen Wohnhäuser (hauptsächlich Streifenhäuser) sowie die Händler- und Handwerkerquartiere erstreckten (Abb. 1)6. Anfangs wurden Holz- und Fachwerkgebäude errichtet, später dann zunehmend Steingebäude bzw. Gebäude mit Sockelmauern, wobei als Zeitpunkt des Einsetzens des zivilen Steinbaus in Brigantium meist das mittlere 2. Jh. n. Chr. angegeben wird 7. Das Ende der Siedlung auf dem Ölrain ist im späten 3. Jh. n. Chr. anzusetzen und steht wohl in Zusammenhang mit den Germaneneinfällen dieser Zeit. Damals verlagerte sich die Siedlungstätigkeit auf den 1,2 ha großen, leicht zu befestigenden Moränenhügel der Oberstadt8. Eine archäologische Aufarbeitung der Baustrukturen und des Fundmaterials aus der römischen Siedlung Brigantium, des heutigen Bregenz, ist bisher nur sehr eklektisch erfolgt – zwar fanden seit Mitte des 19. Jh.s zahlreiche Ausgrabungen statt9, bei denen eine große Menge an Fundmaterial geborgen wurde, eine wissenschaftliche Auswertung haben bisher aber nur wenige ausgewählte Fundgruppen bzw. Fundkomplexe erfahren. Zu nennen wären hier die Vorlage von Teilen des Gräberfeldes, eine Diplomarbeit zu den Öllampen aus dem Gräberfeld, eine weitere
1 Konrad 1989; Schimmer 2005 a, 51–60. 2 Eine Auswahl von Militaria aus Bregenz findet sich bei Ubl 1999 und Schimmer 2005 b, 611 f. 620 Abb. 10; 621 Abb. 11. 3 Hild 1953. 4 Schimmer 2005 a, 60.
5 Für Kempten siehe etwa Weber 2000. 6 Ertel 1990. 7 Grabher 1994, 62 f. 8 Grabher 1994, 59; Kopf 2011 a. Zur spätantiken Siedlung siehe Konrad 1997, 180–189. 9 s. Truschnegg 2001, 191–319; Vonbank 1988/89.
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Im Westen viel Neues …
Diplomarbeit zu einer Privatsammlung sowie die Aufarbeitung der italischen Terra Sigillata10. Eine Publikation zu Grabungen im Siedlungsbereich von Brigantium mit Ausführungen zu den Befunden (Baustrukturen) und Vorlage von ausgewähltem Fundmaterial gibt es bislang nur für eine Ausgrabung der frühen 1980 er Jahre im Bereich der sogenannten Villa auf dem Steinbühel11. Mit dem römischen Bregenz beschäftigten sich aus archäologischer Sicht – neben zahlreichen kleineren Artikeln – zudem ein Ausstellungskatalog des Vorarlberger Landesmuseums und einige länderübergreifende Forschungen zum Alpenrheintal12.
Archäologische Altgrabungen auf dem Böckleareal Auf dem Gelände des späteren Unfallkrankenhauses Böckle wurden bereits in den Jahren 1880/ 1881 und 1894 von S. Jenny die Mauerzüge von drei nördlich der römischen Hauptstraße gelegenen Steingebäuden freigelegt (Abb. 2)13. Das nördlichste dieser Gebäude (Gebäude A) sprach Jenny aufgrund seines symmetrischen Grundrisses als öffentliches Bauwerk (Basilika) an, das mittlere (Gebäude B) als Wohnhaus mit Verkaufsladen und das südlichste (Gebäude C) als landwirtschaftliche Villa. Vor der Front der Gebäude A–C zur römischen Hauptstraße hin fanden sich noch Reste einer Portikus mit Säulen (I–XII, XXVI–XXXVI), wobei diese Säulenhallen vor den einzelnen Gebäuden unterschiedlich gestaltet waren und somit wohl nicht in einem Zug, sondern zusammen mit dem jeweiligen Gebäude errichtet wurden. Die Räume von Gebäude A gruppieren sich U-förmig um einen großen, nach Nordwesten hin offenen Hof (5), der von einem Säulenumgang (6) begrenzt wird. Zur Straßenseite hin liegen zwei durch einen Mittelkorridor (2) getrennte Raumtrakte mit Estrichfußböden (1, 3), die Jenny als „Hallen“ bezeichnet, welche zur Straßenportikus hin offen gewesen sein sollen. Die rückwärtigen länglichen Raumgruppen (7–8, E–H) könnten seiner Meinung nach als Versammlungs-, Gerichts- oder Arbeitszimmer genutzt worden sein. Auffällig ist, dass die nördliche Gebäudehälfte qualitätsvoller ausgestattet gewesen zu sein scheint als die südliche, fanden sich in ersterer doch Räume mit Hypokaustheizung (G, H) und Steinplattenboden (M). Gebäude B verläuft parallel zu Gebäude A und weist die gleiche Längsausdehnung wie jenes auf. Die Räume der vorderen Gebäudehälfte (12–17) spricht Jenny als Verkaufslokale und Magazinräume an, während er im mittleren Gebäudeteil (20–24) die privaten Wohnräume vermutet. Den hinteren Abschluss von Gebäude B bilden ein von Mauern mit farbigem Wandverputz eingefasster Innenhof mit Wasserbecken und ein vermeintlicher Kellerraum (19, 25–26). Dieser Gebäudeteil liegt niveaumäßig 1–2 m tiefer als der Rest des Gebäudes, was aus dem in diesem Bereich abfallenden Gelände resultiert. Gebäude C weist zwar eine in Flucht von Gebäude A und B liegende Hausfront auf, ist aber ansonsten eigentümlich schrägwinklig zu jenen verschoben. Der vordere Gebäudetrakt teilt sich in zwei gleich große Hälften mit sehr unterschiedlicher Raumaufteilung; für den südlichen Teil (32–35) nimmt Jenny Wohn- und Arbeitszwecke an, während er für den nördlichen Teil (27–31) landwirtschaftliche Funktionen (Stall oder Scheune) als plausibel erachtet. Den rückwärtigen Gebäudeabschluss bildet ein trapezförmiger, vermeintlich späterer Anbau mit einem Hofbereich und kleineren (Wohn-)Räumen (36–39) mit teilweise qualitätsvoller Ausstattung (Hypokaustheizung und Wandmalerei in 39).
10 Konrad 1988; Würtinger 1991; Konrad 1997; Wohllaib 2011; Schimmer 2005 a. 1 1 Ertel u. a. 2011. 12 Vonbank 1985; Overbeck 1973; Overbeck 1982; Zanier 2006, 75–87. 13 Jenny 1882; Jenny 1896. Die Ansprache als Steingebäude resultiert aus dem Vorhandensein aufgehenden
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Mauerwerks in Stein; ob dieses bis zum Dach reichte oder nur Sockelmauerwerk darstellte, konnte aufgrund der geringen Erhaltungshöhe auch bei den neuen Ausgrabungen nicht geklärt werden. Die mächtigen Fundamente der Außenmauern bei den Gebäuden A–C sprechen jedoch für eine massive Steinbauweise der tragenden Wände. Siehe dazu Bader 2011, 38.
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Als bedeutende Funde dieser Ausgrabungen des späten 19. Jh.s sind neben zahlreichen Bronzegegenständen ein Fragment einer Sonnenuhr aus Sandstein, Marmorfragmente der Architekturausstattung und eine kleine Terrakotta-Statuette einer Venus anzuführen (Abb. 3). Im Fundprotokoll sind darüber hinaus Münzen von augusteischer Zeit bis ins frühe 3. Jh. n. Chr. aufgelistet. Beim Bau des Böckle-Krankenhauses 1948–1951 (Josef-Huter-Straße 12) erfolgten baubegleitende archäologische Untersuchungen unter der Leitung von E. Vonbank, bei denen weniger die Dokumentation der (Bau-)Befunde als vielmehr die Bergung von Fundstücken im Vordergrund stand. Fotos der Baustelle zeigen aus dem Profil der Baugrube ragende römische Mörtelmauern und einen in die Straße eingebetteten Holzbretterboden auf einer Balkenlage neben einem Sandsteinpfeiler der nördlichen Straßenportikus (Abb. 4). Weitere Teile desselben Bretterbodens konnten bei der Ausgrabungskampagne 2010 dokumentiert werden (s. u.). Unter den zahlreichen beim Krankenhausbau gemachten Funden befinden sich laut Vonbank u. a. SigillataFragmente des 1.–3. Jh.s n. Chr., Münzen des 1.–2. Jh.s und eine Plastik eines Panthers „mit Wappenschild und Medusenhaupt“ (Abb. 5)14.
Grabungsergebnisse der Jahre 2009/2010 Nach Bekanntwerden eines Bauvorhabens der VOGEWOSI auf dem Gelände des abgerissenen Böckle-Krankenhauses erfolgten von September 2009 – Juli 2010 zwei Ausgrabungskampagnen auf den Grundparzellen 1037/9 und 1037/11 der Stadt Bregenz. Die archäologischen Arbeiten, finanziert vom Bauträger, den Grundeigentümern (Land Vorarlberg und Stadt Bregenz) sowie dem Bundesdenkmalamt, wurden von der Tiroler Grabungsfirma Talpa GnbR unter der Leitung von Mag. Maria Bader in enger Kooperation mit dem Bundesdenkmalamt durchgeführt15. Die Ausgrabungen auf dem insgesamt 5821 m² großen Gelände brachten sowohl südlich als auch nördlich der römerzeitlichen Hauptstraße mehrere stratigraphisch aufeinander folgende Besiedlungsphasen ans Tageslicht (Abb. 6). Südlich der Straße zeichnen sich vorläufig bis zu sechs Siedlungsphasen ab, wobei eine detaillierte Phasenansprache natürlich erst nach Bearbeitung der zugehörigen Fundkomplexe und Aufarbeitung der architektonischen Strukturen erfolgen kann. In der ersten Siedlungsphase lässt sich noch kein Straßenzug feststellen, vielmehr konnte im Osten des Grabungsgeländes ein breiter Nordwest-Südost orientierter Graben als älteste Struktur dokumentiert werden. Ob dieser Graben, der vom Fundmaterial her römisch einzustufen ist, in einen militärischen Zusammenhang (ev. der Okkupationszeit ?) gestellt werden kann, wird hoffentlich die Auswertung zeigen. Zwei Spitzgräben, die der vorläufigen Phase 2 zuzurechnen sind, stellen einen wissenschaftlich besonders wichtigen Befund dar (Abb. 7). In Verbindung mit einem von A. Hild in der 1. Hälfte des 20. Jh.s entdeckten Spitzgrabenrest in der Kaspar-Schoch-Straße – Ecke Willimargasse16 ist es nun möglich, das frühkaiserzeitliche Militärlager von Brigantium zu lokalisieren. Östlich der Krankenhaus-Baugrube konnten Gebäudereste ausgemacht werden, die wahrscheinlich als Innenbebauung des Militärlagers anzusprechen sind. Zudem sind mehrere Arbeitsgruben östlich der Verteidigungsgräben bzw. des zu postulierenden Walls als kastellzeitlich einzuordnen. Die Hauptdurchzugsstraße von Brigantium, welche Teil einer verkehrsgeographisch bedeutenden Nord-Süd- (Alpenrheintalstraße Mailand-Augsburg) und Ost-West-Verbindung (Richtung Arbon) war17, wurde in der vorläufigen Phase 2 angelegt und verlief mitten durch das Militärlager (Abb. 8).
14 Vonbank – Bruck 1959; Vonbank 1955, 128. 1 5 Bader 2011.
16 Hild 1948, 140–142 Abb. 34. 17 s. etwa Grabherr 1997.
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Nach der Räumung des Militärlagers (um die Mitte des 1. Jh.s n. Chr.) kam es zum Abriss der militärischen Bauten und zur Verfüllung der Spitzgräben. Auf dem Gelände des vormaligen Militärlagers und westlich davon wurden anschließend zivile Wohngebäude in Holz- bzw. Fachwerkbauweise errichtet. Diese zivile Besiedlung südlich der Hauptstraße ist einer ersten Einschätzung nach in die 2. Hälfte des 1. Jh. und das frühe 2. Jh. n. Chr. zu datieren. Später, als nördlich der Hauptstraße große Steingebäude (A–C) standen, scheint der Bereich südlich der Straße unbebaut gewesen zu sein. Dieser Aspekt ist wissenschaftlich besonders interessant, da die Blütezeit und damit verbunden die größte räumliche Ausdehnung der römerzeitlichen Siedlung Brigantium bislang in der mittleren Kaiserzeit, genauer gesagt ab der Mitte des 2. Jh.s n. Chr. angesetzt wurden18. Ein als außergewöhnlich zu bezeichnender Befund der Grabung ist eine gut erhaltene Holzbretterlage im Bereich der Straße (östlich der Krankenhaus-Baugrube). Die Holzkonstruktion, welche wohl als Teil des römerzeitlichen Straßenkörpers anzusprechen ist, setzt sich aus einem Rost aus vierkantigen Holzbalken und einer darauf mittels Holzdübeln und Eisennägeln fixierten Bretterlage zusammen (Abb. 9)19. Schon C. von Schwerzenbach und A. Hild konnten 1912 auf dem östlich der Josef-Huter-Straße liegenden, angrenzenden Grundstück einen Abschnitt dieser Holzkonstruktion dokumentieren20. Die geborgenen Hölzer werden an der Universität Innsbruck von K. Nicolussi (Institut für Geographie) naturwissenschaftlich analysiert um Kenntnisse über Holzart, Fällungsdatum und eventuelle Bearbeitungsspuren zu gewinnen. Bei den archäologischen Untersuchungen nördlich der römischen Hauptstraße konnten in den freigelegten Bereichen der Räume 3–8 des Gebäudes A nach Jenny, der Räume 11, 16, 23 und 25 des Gebäudes B sowie der Räume 27, 33 und 34 des Gebäudes C (Abb. 2) die Siedlungsschichten sowohl der Steinbauphase als auch stellenweise der darunterliegenden Holz- bzw. Fachwerkbauphasen untersucht werden (Abb. 11). Neben einer großen Menge an Funden, welche den Ablauf dieser Siedlungsphasen zeitlich definieren, ist besonders die Entdeckung zahlreicher von Jenny nicht erkannter bzw. freigelegter Raumtrennungen erwähnenswert (Abb. 6), erlaubt dies doch eine deutliche Modifizierung bzw. Ergänzung des von ihm 1896 publizierten Grundrissplans (Abb. 2)21. Nördlich der Steingebäude A und B konnte unter einer stellenweise mehrere Meter dicken mittelalterlichen und neuzeitlichen Geländeauffüllung ein Garten- bzw. Hofbereich der römischen Zeit mit fundreichen Kulturschichten und Einbauten festgestellt werden. Zu letzteren gehört neben einer wahrscheinlichen Grundstücksmauer mit „Schuppenanbauten“ und neben Feuerstellen ein 4,963,7 m großes gemauertes und mit Ziegelsplittmörtel verputztes Wasserbecken (Abb. 10), welches nach seiner Auf lassung mit Bauschutt und zahlreichen Keramikscherben verfüllt wurde.
Das Fundmaterial Da die Bearbeitung des umfangreichen Fundmaterials noch im Gange ist, kann darüber noch nicht viel ausgesagt werden. Es lassen sich jedoch einige Zahlen anführen, die Auskunft geben über die Quantität der aufgefundenen Siedlungsreste. Die Grabungen förderten rund 74000 Fundstücke ans Tageslicht. Darin sind rund 6400 Fragmente Terra Sigillata, etwa 35000 andere Keramikscherben, ca. 235 Münzen und etwa 65 Fibeln bzw. Fibelfragmente enthalten22. Einer ersten Einschätzung nach dominieren bei allen Fund18 Hild 1952, 32; Ertel – Kandler 1985, 139. 19 Zu diesem Befund siehe auch Kopf – Oberhofer 2013 a, 75–81. 20 Hild 1930, 137–140. 2 1 Die Innengliederung der Gebäude A–C erfolgte teils mit gemauerten Wänden, teils mit Holz- bzw. Fach-
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werkwänden (z. T. auf Steinfundamenten). 22 Die Zahlenangaben beruhen auf den bei der Grabung angefertigten Fundlisten. Aufgrund der Unsicherheit in der Bestimmung mancher Stücke können deshalb auch bei den Münzen und Fibeln momentan nur ungefähre Stückzahlangaben gemacht werden.
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gruppen die Waren bzw. Formen des 1. und frühen 2. Jh.s n. Chr. Das Fundgut des mittleren 2. Jh.s ist schon weniger stark vertreten, das späte 2. Jh. nur noch schwach fassbar. Besonders gut lässt sich dies bei der Terra Sigillata festmachen, von welcher der Großteil aus den südgallischen Werkstätten stammt. Diese exportierten von tiberischer Zeit bis in die Mitte des 2. Jh.s hinein Geschirr in die Rhein- und Donauprovinzen23. Dementsprechend sind etwa die Sigillataformen Drag. 15/17, Drag. 18, Drag. 24/25, Drag. 27, Drag. 33, Drag. 22/23, Drag. 35/36, Hof heim 12, Curle 11, Drag. 29, Drag. 30 und Drag. 37 zahlreich vertreten (Abb. 12). In den ältesten Schichten findet sich zudem regelhaft ein Anteil italischer Sigillata-Scherben, wobei deren Spektrum dem momentanen Auswertungsstand zufolge dem bisher aus Bregenz bekannten Formenschatz entspricht24. Von besonderem Interesse sind die Kleinfunde militärischen Charakters; zahlreiche Militaria wie nielloverzierte Gürtelbleche, Dolchscheiden- und Waffenfragmente sind neben den oben erwähnten Umwehrungsbefunden als Zeugnisse für die Präsenz römischer Soldaten im Grabungsgebiet zu werten (Abb. 13)25. Vom Spektrum und der Zeitstellung her (tiberisch-neronisch) entsprechen die bisher aufgenommenen Militaria den aus Bregenzer Altgrabungen bekannten Stücken26.
Bedeutung der neuen Ausgrabungen für die Erforschung Brigantiums Aufgrund des Umstands, dass die Bregenzer „Altgrabungen“ bis in die Zeit um die Jahrtausendwende nach heutigem wissenschaftlichem Standard schlecht dokumentiert sind, sprich die Funde nicht mehr den zugehörigen Schichten (und damit Bauphasen) zugewiesen werden können, lassen sich aus der Aufarbeitung dieser Altgrabungen für die Siedlungsentwicklung keine großen Erkenntnisse gewinnen. Anders verhält es sich mit den Grabungen der Jahre 2009/2010 auf dem Böckleareal, welche im Rahmen des an der Universität Innsbruck angesiedelten dreijährigen FWF-Forschungsprojekts „Vom Militärlager zur Zivilsiedlung – Die Genese der westlichen Peripherie von Brigantium“ aufgearbeitet werden27. Hierbei handelt es sich um die ersten nach moderner Methodik durchgeführten, d. h. stratigraphisch orientierten Ausgrabungen in Bregenz, wodurch für Fragen der Siedlungsentwicklung optimale Voraussetzungen vorliegen. Die Bearbeitung der Grabungsbefunde und des Fundmaterials wird für die Siedlungsentwicklung und -geschichte von Brigantium in der frühen und beginnenden mittleren Kaiserzeit grundlegende neue Erkenntnisse bringen und ist aufgrund der erläuterten Ausgangssituation als Grundlagenforschung von überregionaler Bedeutung zu bezeichnen. Die Aufarbeitung der jüngsten Grabung wird eine dringend notwendige Verbesserung des Forschungsstandes zu Brigantium bewirken, welcher bisher deutlich hinter demjenigen zu den nahe gelegenen römischen Siedlungen wie etwa Kempten, Chur, Oberwinterthur, Vindonissa und Augst hinterher hinkt28. Die aus der Durchführung des Projekts zu erwartenden Ergebnisse zur Siedlungsentwicklung und -chronologie von Brigantium sind dabei nicht nur für die lokale Archäologielandschaft Vorarlbergs von zentralem Interesse, sondern werden auch für Forschungen zur Römerzeit in den benachbarten schweizerischen und süddeutschen Gebieten wichtige Referenzbezüge darstellen.
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Mees 1995, 51. 103. Schimmer 2005 a. Kopf 2011b. Schimmer 2005 b, 611 f. 620 Abb. 10; 621 Abb.
11. 27 Projektleiter: Assoz.-Prof. Mag. Dr. Gerald Grabherr, Projektassistenten: Mag. Dr. Karl Oberhofer, Mag. Julia Kopf. Projektnummer: P 23777-G19. Im Rahmen dieses Forschungsprojekts fand 2012 noch eine archäologi-
sche Nachuntersuchung auf dem Böckleareal statt. Siehe dazu Kopf – Oberhofer 2013 b. 28 Kempten: u. a. Schimmer 2009; Sieler 2009. – Chur: u. a. Hochuli-Gysel u. a. 1986; Hochuli-Gysel u. a. 1991. – Oberwinterthur: Publikationsreihe Vitudurum – Beiträge zum römischen Oberwinterthur. – Vindonissa: u. a. Hagendorn 2003. – Augst: Publikationsreihe Forschungen in Augst.
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Wissenschaftliche Forschungsziele/Fragestellungen Auswertung der Baustrukturen und Straßenschichten Die Auswertung der Baubefunde in Form von Phasenplänen wird das Wissen um die Ausgestaltung dieses Bereichs von Brigantium beträchtlich erweitern, sind doch im bisherigen Plan der römischen Siedlung an dieser Stelle nur die Grundrisse der von Jenny ergrabenen Steingebäude verzeichnet. Besonders die nie zuvor archäologisch untersuchte bzw. dokumentierte Fläche des Grundstücks südlich der römischen Hauptstraße stellt eine erfreuliche Bereicherung des antiken Stadtbildes dar. Des weiteren wurde bei der Grabung auf dem Böckleareal ein Schnitt durch die bereits zuvor an vielen Stellen im Stadtgebiet angeschnittene, aber nie adäquat dokumentierte Hauptdurchzugsstraße angelegt, wodurch erstmals eine Auswertung der Straßenschichten und dank des Fundmaterials aus den zugehörigen Straßengräben auch eine fundierte, auf Realien basierende Datierung derselben vorgenommen werden kann29. Erstellung einer Siedlungschronologie für das Grabungsgebiet Mit dieser Grabung bietet sich erstmals die Möglichkeit, umfangreiches römisches Fundmaterial aus Bregenz stratigraphisch auszuwerten, d. h. den verschiedenen Bauphasen das zugehörige Fundmaterial zuzuweisen und sie damit absolutchronologisch zu datieren. Die beachtliche Stückzahl der für die Feinchronologie innerhalb der römischen Kaiserzeit wichtigen Fundgruppen (s. o.) lässt wissenschaftlich gut abgesicherte Ergebnisse für die Siedlungschronologie erwarten. Besonders aufschlussreich ist diesbezüglich die Auswertung von geschlossenen Fundkomplexen, wie etwa im konkreten Fall die Verfüllung des Wasserbeckens nördlich des Steingebäudes B. Klärung der Bauzeit der Steingebäude Eine spezielle Bedeutung für die Siedlungsentwicklung besitzen die zahlreichen Funde aus dem nördlich der römischen Hauptstraße flächig unter den Steingebäuden A–C einplanierten Hüttenlehm-Holzkohle-Brandschutt der Fachwerkbauten (Abb. 14). Diese Fundstücke datieren das Ende der Holz-/Fachwerkbebauung bzw. die Bauzeit der drei Steingebäude und sind damit für die immer wieder diskutierte Frage nach der Errichtungszeit der zivilen Steingebäude in Bregenz von immenser Forschungsbedeutung. Des Weiteren kann damit die in einigen Forschungsberichten zu Brigantium erwähnte, auf dem Ölrain ziemlich flächendeckend anzutreffende Brandschuttschicht des 1. Jh.s n. Chr. endlich zeitlich näher eingeordnet werden30. Dabei wird sich zeigen, ob der ebendort vermutete zeitliche Zusammenhang dieses „Zerstörungshorizonts“ mit den Unruhen des Vierkaiserjahres 68/69 n. Chr. berechtigt ist oder nicht. Zeitstellung und Bauweise des Militärlagers Ein siedlungsgeschichtlich äußerst interessanter Aspekt der Grabungen Böckleareal 2009/2010 ist die Auffindung von sowohl baulichen als auch materiellen Resten des frühkaiserzeitlichen Militärlagers von Brigantium. Mit dieser Entdeckung kann die lange diskutierte Frage, ob in Bregenz ein frühkaiserzeitliches Militärlager situiert war oder nicht, mit großer Sicherheit ad acta gelegt werden31. Die gesicherte Zuweisung von Bauresten an dieses Lager und die Datierung der Anlage sowie ihrer Auf lassung (u. a. anhand der Funde aus den Spitzgrabenverfüllungen) werden ein wichtiges Ergebnis der Grabungsaufarbeitung darstellen32 und eine Bereicherung unseres Wissens über die frühkaiserzeitliche Militärpolitik Roms in der Provinz Raetien mit sich bringen33. 29 Zur Hauptstraße von Brigantium siehe Kopf – Oberhofer 2013 b. 30 z. B. Hild 1930, 115; Hild 1952, 32; Grabher 1994, 59. 3 1 Zu dieser Forschungsdiskussion siehe etwa Zanier 2006, 82–86.
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32 Eine über den Projektrahmen hinaus gehende wissenschaftliche Auswertung des militärischen Fundmaterials und der baulichen Überreste des Militärlagers erfolgt zusammen mit der Vorlage sämtlicher frühkaiserzeitlicher Militaria aus Bregenzer Altgrabungen im Rahmen der Dissertation der Verfasserin. Diese Dissertation wurde von
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Ende der Besiedlung auf den untersuchten Parzellen Bereits während den Ausgrabungen 2009/2010 fiel auf, dass die mittlere Kaiserzeit im geborgenen Fundmaterial recht schlecht vertreten ist; dies trifft v. a. auf den Bereich südöstlich der römischen Hauptstraße zu. In Bezug auf das bisher aufgenommene datierende Fundmaterial konnte dieser Eindruck bestätigt werden – auch bei den stratigraphisch jüngsten Schichten dominieren bei der Terra Sigillata die südgallischen Formen und Fabrikate. Die Auswertung der Grabungsbefunde und der Vergleich des Fundmaterials mit dem Materialspektrum der früheren Grabungen auf dem Böckleareal (Grabungen Jenny und Vonbank) können hoffentlich Auskunft darüber geben, ob das fehlende spätmittelkaiserzeitliche Fundmaterial aus rezenten Störungen der Geländeoberfläche resultiert oder als Zeugnis eines Besiedlungsabbruchs auf dieser römischen Parzelle in der frühen mittleren Kaiserzeit gewertet werden kann34. Letzterer Aspekt ist besonders im Hinblick auf jüngere Forschungen zu Brigantium im 3. Jh. n. Chr. interessant, welche einen deutlichen Rückgang im Gesamtfundmaterial aus Brigantium ab der 2. Hälfte des 2. Jh.s aufzeigten35. Erstellung eines keramischen „Grundgerüsts“ für Brigantium Schließlich ist noch die Bedeutung der Aufarbeitung der jüngsten Grabungen für eventuelle zukünftige Aufarbeitungen von Bregenzer Altgrabungen zu betonen, besteht doch die berechtigte Hoffnung, anhand der Vergesellschaftung mit datierenden Fundgruppen (v. a. aus geschlossenen Fundkomplexen) ein dringend benötigtes chronologisches „Grundgerüst“ für das keramische Material (zumindest der frühen Kaiserzeit) aus dem Gebiet von Brigantium erstellen zu können, welches die zeitliche Einordnung von Fundmaterial anderer Grabungsplätze in Bregenz ermöglichen sollte. Die große Anzahl an geborgenen Keramikfragmenten bietet hierfür hervorragende Voraussetzungen. Naturwissenschaftliche Untersuchungen Neben der archäologischen Aufarbeitung der Baustrukturen und Kleinfunde, welche in erster Linie die Rekonstruktion und Chronologie der Baugeschichte des Areals zum Ziel hat, sollen auch archäozoologische, paläobotanische und archäometallurgische Untersuchungen sowie Herkunftsanalysen der Keramik durchgeführt werden, um wichtige ergänzende Informationen zur Lebensund Arbeitswelt der Einwohner Brigantiums zu erhalten. Abbildungsnachweis Abb. 1: Schimmer 2005 a, Planbeilage (ergänzt durch Verfasserin) Abb. 2: Jenny 1896, Faltplan Abb. 3: Jenny 1882, 16 Abb. 3; 18 Abb. 6 Abb. 4: Vorarlberg Museum, Bregenz Abb. 5. 12–13: Verfasserin Abb. 6–11. 14: Talpa GnbR
Februar bis November 2011 durch ein Doktoratsstipendium der Leopold-Franzens-Universität Innsbruck, Vizerektorat für Forschung, gefördert. 33 s. dazu etwa Schönberger 1985, 339–342. 355–358 und Mackensen 1987, 136–155. 34 Die Bearbeitung des Fundmaterials der Altgrabun-
gen auf dem Böckleareal erfolgt derzeit im Rahmen eines vom Tiroler Wissenschaftsfonds, dem Land Vorarlberg und dem Vorarlberg Museum finanzierten Forschungsprojekts (Projektleiterin: J. Kopf ). 35 Kopf 2008; Kopf 2011 a.
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Im Westen viel Neues … Bibliographie Bader 2011 Ertel 1990 Ertel – Kandler 1985 Ertel u. a. 2011
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Truschnegg 2001 Ubl 1999
Vonbank 1955 Vonbank – Bruck 1959 Vonbank 1985 Vonbank 1988/89 Weber 2000 Wohllaib 2011 Würtinger 1991 Zanier 2006
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Abb. 1: Stadtplan von Brigantium mit Markierung des Grabungsgebiets Böckleareal
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Im Westen viel Neues …
Abb. 2: Plan der Steingebäude A–C nach S. Jenny
Abb. 3: Fragment einer Sandstein-Sonnenuhr und Venus-Statuette, gefunden bei den Grabungen von S. Jenny
Abb. 5: Bronzefigur einer Raubkatze mit Schild mit Medusenhaupt, der Beschreibung nach beim Bau des Böckle-Krankenhauses gefunden
Abb. 4: Photos der baubegleitenden archäologischen Untersuchungen von E. Vonbank
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Julia Kopf
Abb. 6: Gesamtplan der wichtigsten Baubefunde der Grabungen Böckleareal 2009/2010
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Im Westen viel Neues …
Abb. 7: Schnitt durch den westlichen Spitzgraben
Abb. 8: Profil der römerzeitlichen Hauptdurchzugsstraße und des südlichen Straßengrabens.
Abb. 9: Holzkonstruktion im Straßenbereich
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Abb. 10: Wasserbecken im Gartenbereich von Gebäude B
Julia Kopf
Abb. 11: Die 2010 freigelegten Bereiche der Steingebäude A und B von Südwesten
Abb. 12: Relief-Sigillata der Grabungen Böckleareal 2009/2010 (ohne Maßstab)
Abb. 13: Militaria der Grabungen Böckleareal 2009/ 2010 – 1: Dolchscheidenfragmente, 2–4: Gürtelbleche, 5: Knopfschließe (ohne Maßstab)
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Im Westen viel Neues …
Abb. 14: Hüttenlehm-Holzkohleschicht unter einer Innenmauer von Gebäude A
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Zur Wiederverwendung von Steindenkmälern in Carnuntum Gabrielle Kremer Baustein ist ein kostbares Material – seine Gewinnung ist aufwändig, sein Transport teuer. Für die Errichtung fester Häuser brauchte man zu allen Zeiten geeignetes festes Baumaterial, und nicht nur in den schweren Zeiten der Spätantike und des Mittelalters versuchte man, den Aufwand seiner Beschaffung möglichst gering zu halten. Bei der Arbeit am Corpus Signorum Imperii Romani für Carnuntum1 ergab sich der Wunsch, die sehr zahlreichen und vielfältigen Spuren der Wiederverwendung an den Steindenkmälern in ihrer Aussage zu erfassen und zu verstehen, und sie möglichst einem Zeithorizont zuzuweisen. Ein weiterer Auslöser für diese Fragestellung sind mehrere neue Befunde der letzten Jahre, die den Bestand an wiederverwendeten Denkmälern aus Carnuntum wesentlich bereichern, deren wissenschaftliche Auswertung aber erst begonnen hat2. An dieser Stelle soll nun ein erster kurzer Überblick über die verschiedenen Formen der Wiederverwendung in Carnuntum gegeben werden. Eine mögliche Form der sekundären Verwendung kann man mit dem Ausdruck „sinnvolle Entsorgung“ umschreiben. Gemeint ist die Zertrümmerung und Wiederverwendung von Werksteinen in Fundamenten, Entsorgungsgruben oder sonstigen Steinpackungen, wie etwa der bereits besprochenen3 Grube 19 im Hof C des Heiligtums auf den Mühläckern4. Im Bruchsteinmaterial dieser Verfüllung sind zahlreiche profilierte und skulpierte Fragmente erkennbar. Es handelt sich um Teile von Bauornamentik, Kleinarchitektur und zerschlagene Skulpturen. Bezeichnenderweise sind es einzelne Bruchstücke, die untereinander keinen Zusammenhang aufweisen, die also offenbar zufällig vermischt und (mehrfach ?) sekundär verlagert wurden. Die Verfüllung der Grube 19 war während des großen Umbaus der Kultanlage in antoninisch-severischer Zeit (170/80–220/230) erfolgt. Die Fragmente selber stammen also von Denkmälern der vorhergehenden Phase, die bereits in der 1. Hälfte des 2. Jahrhunderts existierte. Die Steinpackung in dieser losen Form kann in weiterer Folge kaum mehr als Fundament gedient haben5. Die anhand der Grube 19 auf den Mühläckern geschilderte Art der Wiederverwendung setzt die systematische Niederlegung eines Gebäudes oder einer Anlage und einen Neuaufbau an derselben oder an direkt benachbarter Stelle voraus. Sie kommt wohl am ehesten in dicht bebauten Gebieten und im Zuge großflächiger Neuplanungen vor. Sie stellt gleichzeitig eine zweckmäßige Entsorgung von anfallendem Zerstörungs- und/oder Wiederverwertungsabfall dar. Große, sekundär zugerichtete Blöcke trifft man in antiken Bauwerken häufig in Fundamenten oder an anderen statisch stark beanspruchten Stellen an, etwa an Gebäudeecken. In diesem Fall sind Größe und Form der Werkstücke ausschlaggebend: Je größer und blockhafter das ursprüngliche Monument, desto besser ist es für diese Art der Wiederverwendung geeignet. Eindrucksvolle Beispiele für eine derartige Zweitverwendung finden sich am Heidentor von Carnuntum6. Ein Altar für Diana Augusta7 (Abb. 1) wurde 1850 an der Ostseite des SW-Pfei1 Projekt am Institut für Kulturgeschichte der Antike der Österreichischen Akademie der Wissenschaften, gefördert vom FWF (P 17542 -G2, Projektleitung Ch. Gugl) und der Kulturabteilung des Landes Niederösterreich. – Kremer 2012. 2 Konecny 2010 a; Konecny 2010 b; Humer – Konecny 2009; Konecny 2012. 3 Beitrag E. Steigberger – B. Tober, in diesem Band S. 369.
4 Siehe zuletzt Gassner u. a. 2010; Gassner u. a. 2011; Gassner – Steigberger 2011. 5 Für konkrete Angaben zum aktuellen Forschungsstand danke ich Verena Gassner und Eva Steigberger. 6 Jobst 2001, 187–220. 7 Sacken 1852, 700 f.; CIL III 4393 = 11086; Jobst 2001, 198–200 Nr. 2; Humer – Kremer 2011, 426 Nr. 1025; Kremer 2012, Nr. 246.
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Zur Wiederverwendung von Steindenkmälern in Carnuntum
lers des Heidentores gefunden und 1907 vom Bau entfernt. Man erkennt an den Bearbeitungsspuren, wie die vorkragenden Teile, nämlich Kopf- und Fußprofil, systematisch abgeschlagen wurden um einen perfekten Bauquader zu schaffen. Altarförmige Monumente eignen sich besonders gut für die Wiederverwendung als Bauquader. Im Heidentor waren insgesamt mindestens 14 Weihedenkmäler oder Teile davon verbaut8. Der Altar für Diana Augusta ist durch den Beinamen der beiden Legionen auf den Zeitraum 211–222 datiert und damit die späteste eingemauerte Inschrift in diesem Bauwerk. Das Heidentor entstand wahrscheinlich nach der Mitte des 4. Jahrhunderts. In diesem Fall dürften die Heiligtümer oder die sakralen Bereiche, in denen die Weihealtäre standen, schon länger nicht mehr in Betrieb gewesen sein. Sekundär verbaute Weihealtäre treten auch im Heiligtum für Iuppiter und den Kaiserkult auf dem Pfaffenberg9 auf. Unter ihnen befindet sich das bisher früheste bekannte und datierbare Weihedenkmal aus Carnuntum, gestiftet von einem Angehörigen der 15. Legion für die Göttin Victoria10. Das Altärchen dürfte spätestens um die Wende vom 1. zum 2. Jahrhundert aufgestellt worden sein, da der Soldat kein cognomen trägt und daher wahrscheinlich noch in vorclaudischer Zeit rekrutiert wurde. Zwei zu Bauquadern zurechtgehauene Teile dieses Weihesteins waren in den Tribünen des Amphitheaters auf dem Pfaffenberg verbaut. Die Errichtung der Anlage wird von den Ausgräbern in severische Zeit datiert11 – das wäre ein auffallend früher Befund für diese Art der punktuellen sekundären Verwendung. Vielleicht handelte es sich aber auch um eine Reparatur der späteren Zeit – hier muss man die Publikation des Befundes abwarten, denn Wiederverwendung kommt am Pfaffenberg auch in spätantikem Kontext vor, beispielsweise im sog. Wächterhaus am Nordrand des Tempelbezirks12. Ansonsten ist der Fundplatz Pfaffenberg dadurch gekennzeichnet, dass er eben keinem oder doch nur sehr beschränkt dem nachantiken Steinraub zum Opfer fiel. Dies erklärt den spezifischen Erhaltungszustand der Steindenkmäler, die zwar aus verschiedenen Gründen ebenfalls meist in kleinste Stücke zerschlagen oder zerbrochen sind (Abb. 2), die aber nach der Zerstörung – sofern sie der späteren Ausstattungsphase angehören – offenbar nicht mehr verlagert und kaum dezimiert wurden. Die Analyse und Interpretation des Zerstörungsbefundes auf dem Pfaffenberg stellt ein eigenes Forschungskapitel dar und kann zur weiteren Differenzierung der Wiederverwendungsarten in Carnuntum beitragen13. Eine weitere Form der Wiederverwertung ist das großflächige „recycling“ von Baumaterial, das wir aus Carnuntum von Altbefunden, aber auch aus spektakulären Neufunden der letzten Jahre kennen. So legten etwa die Grabungen Eduard Nowotnys am Anfang des letzten Jahrhunderts die Abdeckung eines Kanals in der westlichen Praetentura des Legionslagers frei, die aus zahlreichen wiederverwendeten Platten und Quadern bestand14 (Abb. 3). Dieser Fund lieferte eine ganze Reihe der prominentesten Grabstelen aus Carnuntum, darunter etwa die Stelen des C. Attius Exoratus15 oder des C. Caecilius Celer16, beides Soldaten der Legio XV Apollinaris. Bei der Plattenabdeckung handelt es sich um die Ausbesserung oder Wiederherstellung eines Kanals, die durch Münzfunde in valentinianische Zeit datiert wird. Hier war offenbar eine der Gräberstraßen von Carnuntum systematisch abgeräumt worden, weil sich die plattenförmigen Stelen 8 Darunter unter anderem ein Altar oder Postament für Diana und Apollo (CIL III 11086; Jobst 2001, 200 Nr. 3; Kremer 2012, Nr. 249), ein Altar oder Postament für Iuppiter Optimus Maximus (Jobst 2001, 203 f. Nr. 6; Kremer 2012, Nr. 288), und wohl auch ein Weihealtar für Silvanus (Jobst 2001, 200 f. Nr. 4; Kremer 2012, Nr. 403). 9 Zuletzt Bernát u. a. 2011. 10 Piso 2003, 17 Nr. 1; Humer – Kremer 2011, 214 Nr. 193. 1 1 So z. B. in: Jobst u. a. 2002, bes. 85. 12 Jobst 2006.
200
13 Vgl. Piso 2003; Kremer 2004. – Außer dem zunächst angenommenen „Christensturm“ und den Vorgängen der gezielten Wiederverwertung dürfte auch ein für die Mitte des 4. Jh.s angenommenes Erdbeben die Zertrümmerung von Monumenten bewirkt haben. Dazu siehe u. a. Kandler 1989; Decker u. a. 2007; Humer – Konecny 2007; Humer – Maschek 2007; Gugl 2007. 14 Nowotny 1914, bes. 75–110; Bormann 1914. 1 5 Bormann 1914, 316–321 Abb. 37–38; Mosser 2003, 228 Nr. 121. 16 Bormann 1914, 321–329 Abb. 39–40; Mosser 2003, 215 Nr. 99.
Gabrielle Kremer
besonders gut zur Kanalabdeckung eigneten. Aber auch Blöcke anderer Bauten wurden an dieser Stelle verwendet. Einen vergleichbaren Befund aus der Spätantike erbrachten im Jahr 2009 die Grabungen von Andreas Konecny unter dem jetzigen Parkplatz vor dem neuen Besucherzentrum in Petronell17 (Abb. 4). Dieser Kanal verläuft im Randbereich des Gräberfeldes südlich der Zivilstadt. Sowohl in der Kanalabdeckung, als auch im Gräberfeld selbst und in den Bauten unmittelbar nördlich des ergrabenen Abschnittes der Stadtmauer kamen zahlreiche wiederverwendete Steindenkmäler zum Vorschein. Für die Abdeckung des Kanals wurden ausschließlich Teile von Gräbern und Grabbauten verwendet, darunter Blöcke von offenkundig enorm großen Familiengrabanlagen. Die Grabinschrift der Mulvii nennt beispielsweise einen Händler (negotians) namens Mulvius mit dem Zusatz „domo Iudaeus“ 18. Unter den Neufunden befinden sich auch bemerkenswerte figürliche Darstellungen, wie z. B. drei Blöcke einer großformatigen mythologischen Szene von mindestens 1,70 m Höhe, oder die Teile einer Stele mit einer weiteren Inschrift eines Mannes aus Iudaea. Für diese Art von Wiederverwertung gibt es zahlreiche Befunde in der näheren und weiteren Umgebung von Carnuntum19. Sie kann nur nach der systematischen Abtragung ganzer Areale erfolgt sein. Dies ist in der Regel nur dann möglich, wenn große Teile der Siedlung verlassen sind. In Carnuntum entspricht das den Bedingungen ab der 2. Hälfte des 4. Jahrhunderts. Eine weitere Form der sekundären Verwendung ist die selektive Wiederverwertung einzelner – meist bedeutender – Objekte auf pietätvolle Art und Weise. Dafür sind in Carnuntum kaum Beispiele zu finden. Ein bekanntes Monument ist allerdings der Kaiserkonferenzaltar des Jahres 30820 – eine wahrscheinlich im sog. Mithräum III von Carnuntum21 aufgestellte Weihung der in Carnuntum tagenden Augusti und Caesares an Mithras, der hier als „fautor imperii sui“ bezeichnet wird. Man erkennt deutlich, dass das Schriftfeld nur roh geglättet ist und eine sekundäre Inschrift trägt, während das Monument selbst und die Seitenreliefs offenbar zu einem früheren Zeitpunkt geschaffen wurden. Das Motiv für die Wiederverwendung könnte Zeit- oder Geldmangel gewesen sein. Auch ein ideeller Wert war wohl noch vorhanden, so dass es sich wahrscheinlich um eine kontinuierliche Verwendung, um eine Art pietätvoller Neunutzung handelt. Auch bei dem großen Tauroktonierelief 22 aus dem sog. Mithräum III dürften sekundäre Veränderungen vorliegen, wie etwa ein gedrängter Schriftzusatz in der Stifterinschrift oder Abarbeitungen im Bereich des Mithraskopfes nahelegen. Es gelingt aber bislang nicht, die Veränderungen eindeutig zu interpretieren und mit historisch belegten Vorgängen um die Kaiserkonferenz des Jahres 308 in Verbindung zu bringen. Generell stellt nämlich der Auffindungszustand der Steindenkmäler in den Heiligtümern Carnuntums ein eigenes Forschungsproblem dar. In vielen Fällen ist es klar, dass der Befund den Zustand der Spätantike widerspiegelt und dass eine Veränderung und zum Teil auch mehrfache Transferierung der Kultdenkmäler stattgefunden haben muss. Dies gilt sowohl für die Mithräen23 als auch für die beiden Silvanus- 24 und die Nemesisheiligtümer25. Mit Ausnahme des sog.
17 Siehe oben Anm. 2. 18 Humer – Kremer 2011, 435 Nr. 1047. – An der wissenschaftlichen Auswertung dieser Funde arbeiten derzeit Franziska Beutler, Institut für Alte Geschichte, Altertumskunde, Papyrologie und Epigraphik der Universität Wien, und die Autorin. Beutler – Kremer in Druckvorbereitung. 19 Vgl. Zabehlicky 1985. 20 CIL III 4413, p. 2328 32 ; Krüger 1970, 18 Nr. 176 Taf. 15; Demandt 2007, 74 f. Abb. 1; Jobst 1992, 34 Nr. 11; Humer – Kremer 2011, 167 Nr. 34; Kremer 2012, Nr. 351.
2 1 Reichel u. a. 1895; Schön 1988, 25–42; Jobst 1996; Cencic – Jobst 2005; Kremer 2012, Kap. 5.2.2. 22 Reichel u. a. 1895, 175–180 Abb. B1. B2; Krüger 1970, 16 Nr. 167 Taf. 11; Humer – Kremer 2011, 176 Nr. 64; Kremer 2012, Nr. 189. 23 Schön 1988, 15–60; Gugl – Kremer 2011; Kremer 2012, Kap. 5.2.2. 24 Kandler 1986; Kremer in Druckvorbereitung. Vgl. Gassner 2003, bes. 136. – Stiglitz 2008. 25 Tragau 1997; Boulasikis 2010 a; Boulasikis 2010 b; Boulasikis – Weber-Hiden 2011, 304–306. 307–312 Nr. 450–471; Kremer 2012, Kap. 5.2.3.
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Zur Wiederverwendung von Steindenkmälern in Carnuntum
Silvanusheiligtums am Fischteich26 gehen alle diese Befunde aber auf Altgrabungen des 19. und frühen 20. Jahrhunderts zurück, so dass eine zuverlässige Interpretation heute kaum noch möglich ist. Leider stammen gerade aus diesen Bereichen die meisten und am besten erhaltenen Steindenkmäler. Schließlich bleibt noch die Spolienverwendung im eigentlichen Sinn zu nennen, das heißt, die überlegte und sichtbar gemachte Wiederverwendung von ornamentierten Werksteinen in einem neuen Bauzusammenhang und mit beabsichtigter Wirkung27. Für diese Art der Wiederverwendung kann ich keine antiken Beispiele aus Carnuntum nennen, denn bei dem Einbau des 4. Jahrhunderts im Südtor des Amphitheater II waren – unter anderem – die drei mittelkaiserzeitlichen Weihealtäre für Nemesis und Fortuna Karnuntina mit verdecktem Schriftbild an ursprünglich nicht einsehbarer Stelle verbaut28. Auch bei dem sechseckigen Einbau, der von Rudolf Egger noch als frühchristliches Taufbecken interpretiert wurde29, handelt es sich um die Verwertung von zugerichtetem Baumaterial und keineswegs um bewusste Zurschaustellung von Spolien. Spolienverwendung findet man erst wieder in der 1. Hälfte des 13. Jahrhunderts, in der mittelalterlichen Stadtmauer von Hainburg30 und am spätromanischen Langhaus der Marienkirche von Deutsch-Altenburg31. An beiden Bauwerken waren oder sind die Spolien zum Teil zwar sichtbar in die Außenmauern integriert, aber an sehr entlegenen Stellen, sodass die repräsentative Wirkung am Bau bei der Einmauerung wohl nicht im Vordergrund stand. Zu den bekanntesten Spolien aus der Stadtmauer gehört der sog. Hainburger Altar32, der nach Richard Pococke und Jeremias Milles im Jahr 1736 angeblich beim Durchbruch einer Ausfallspforte aufgefunden wurde33. Es handelt sich um ein Postament aus Gummerner Marmor, mit einer Weih- und Ehreninschrift für T. Flavius Probus und seinen Sohn aus dem Jahr 178 n. Chr. Es erregte schon bei der Auffindung großes Aufsehen und fand besonders früh Eingang in die Literatur34. Wirkliches Interesse an den antiken Steindenkmälern von Carnuntum kommt dann im späten Humanismus auf. Der Universalgelehrte Wolfgang Lazius (1514–1565)35 setzt sich als erster intensiv mit der Überlieferung zum römischen Carnuntum auseinander. In seinem Wiener Haus legt er ein Lapidarium an, in dem er unter anderem Steine aus Carnuntum einmauert. Darunter befand sich auch ein Weihealtärchen für Silvanus Domesticus36. Es fand über den Amateurarchäologen und Sammler Anton Widter37 schließlich 1847 Eingang in die Sammlung des Kunsthistorischen Museums, wo es sich heute noch befindet38. An seiner Opferfläche sind schöne Brandspuren erhalten, die einen runden Bereich im Inneren des focus aussparen. Man könnte daraus auf eine Opferpfanne schließen, also einen runden Behälter, in dem Opfergaben verbrannt wurden, sofern nicht Lazius oder Widter selbst hier bereits „experimentelle Archäologie“ betrieben haben. Der Großteil der Denkmäler im Besitz des Wolfgang Lazius ist allerdings heute verloren oder verschollen. Sie teilen ihr Schicksal mit der Sammlung des Hieronymus Beck von Leopoldsdorf (1525–1596), der zwischen 1572 und 1596 im Schloss ein Lapidarium angelegt hatte39. Der aus Carnuntum stammende Teil dieser Sammlung bleibt bis heute verloren. Andere
26 Stiglitz 2008. 27 Deichmann 1975; Poeschke 1996; Esch 2005. 28 Egger 1926; Kremer 2012, Nr. 267, 378, 385. 29 Dazu Pillinger 1997, 129 f. 30 Pils – Scholz 2002; Jobst 2005; Scholz 2011, 230– 250. 3 1 Kubitschek 1929, 72; Geng-Sesztak 2000, 185 f. 32 CIL III 4495, p. 1770. 2280 f. 232832 ; Krüger 1970, 22 f. Nr. 193 Taf. 24; Jobst 2005, 552 f. Abb. 13; Humer – Kremer 2011, 330 f. Nr. 537; Kremer 2012, Nr. 617. 33 Pococke 1745, 242; Kubitschek 1929, 72 f. 110 f.,
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zu den Handschriften Milles (f. 53) und Pococke (f. 193) von 1737. 34 De Jordan 1745, app. geogr. 100. 35 Niegl 1980, 34. 40–42; Svatek 2006. 36 Lazius 1551, 965; Lazius 1598, 1141; CIL III 4430 (mit weiteren handschriftlichen Quellen); Kremer 2012, Nr. 450. 37 Kandler 1999. 38 KHM, Inv. Nr. ANSA III 1223. – Noll 1986, 83 Nr. 350. 39 Kubitschek 1912; Ruzicka 1915; Niegl 1980, 42 f.
Gabrielle Kremer
Monumente erlitten ein zum Teil abenteuerliches Schicksal, indem sie erneut in den Boden gelangten, ein zweites Mal ausgegraben und ein drittes Mal eingemauert wurden 40. Nach der Zeit des Humanismus flacht das Interesse an den römischen Steinen wieder deutlich ab. In der barocken Schlossanlage von Petronell wurden zwar an verschiedenen Stellen Spolien eingemauert, doch achtete man nicht sehr auf den sorgsamen Umgang mit ihnen. So ist etwa die Bauinschrift eines Heiligtums für Silvanus und die Quadriviae41 heute noch am Eingangstor zur Schlossanlage eingemauert, aber die seitlichen Felder mit den Reliefdarstellungen sind nicht sichtbar. Auch im Schüttkasten sind die originalen Spolien immer noch unverändert sichtbar eingemauert, und büßen jedes Jahr etwas von ihrer originalen Oberfläche ein (Abb. 5). Im 19. Jahrhundert sollen sie angeblich als Zielscheiben für Schießübungen benutzt worden sein42. Bei den aktuellen Renovierungs- und Forschungsarbeiten am Petroneller Schloss43 wurden erneut Spolien gefunden, aber auch mehrere bereits bekannte Römersteine wiederentdeckt. Ein besonders interessantes Beispiel fand sich in den beiden Nischen oberhalb des Eingangs an der Ostfassade, in denen kleine Statuetten auf Sockeln aufgestellt waren. Bei der Entfernung dieser Sockel stellte man fest, dass es sich um zwei Teile eines 1891/1892 gefundenen Altars für Silvanus Domesticus44 aus dem Heiligtum für Silvanus und die Quadriviae in der Zivilstadt Carnuntum handelt, der im CIL aufgenommen und verschollen geglaubt war. Dass die Zurschaustellung von Spolien auch heute noch praktiziert wird, zeigt das sog. Schwarze Tor in Carnuntum. Im Eingangsbereich der Zufahrt zum Grabungsgelände der „Großen Therme“/sog. Palastruine wurde ein originaler Altar für Iuppiter Culminalis45 mit erhaltener polychromer Fassung vor noch nicht allzu langer Zeit eingemauert, – ein zwar recht dekorativer Zustand, der aber weder wissenschaftlich noch konservatorisch vertretbar ist. Abbildungsnachweis Abb. 1 a. b: Institut für Kulturgeschichte der Antike, ÖAW (Foto G. Kremer) Abb. 2. 5: G. Kremer Abb. 3: aus Nowotny 1914, Abb. 14 Abb. 4: Land Niederösterreich – Archäologischer Park Carnuntum, Bad Deutsch-Altenburg (Foto A. Konecny)
40 CIL III 4599 = lupa 14; CIL III 4594 und 11311 = lupa 96; CIL III 4574 = lupa 626; CIL III 4553 = lupa 13715. Im Kunsthistorischen Museum Wien befindet sich aus dieser Sammlung CIL III 4368 (KHM Inv. ANSA III 53). Zu den von verschiedenen Fundstellen des heutigen Ungarn nach Ebreichsdorf gelangten Denkmälern siehe Gabler 1991, bes. 205. 4 1 Marsigli 1726, II 93 Nr. 1 Taf. 34, 1; CIL III 4441, p. 1770; Kandler u. a. 2004, 49. 56; Kremer 2012, Nr. 711.
42 Niegl 1980, 86 f. – Besonders deutlich sind die Beschädigungen bei dem Weihestein für Fortuna CIL III 4397; lupa 5552; Kremer 2012, Nr. 262. 43 Petznek 2010, 307; Petznek 2012. 44 CIL III 11170 = 13448; Kandler 1986, 143. 156 f. Nr. 13 Abb. 16; Kremer 2012, Nr. 479. 45 Unpubliziert; lupa 7259 (mit falscher Lesung); Kremer 2012, Nr. 323. Ein Beitrag von M. Hainzmann ist in Vorbereitung.
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Zur Wiederverwendung von Steindenkmälern in Carnuntum Bibliographie Bernát u. a. 2011
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Zur Wiederverwendung von Steindenkmälern in Carnuntum Kubitschek 1912 Kubitschek 1929 lupa Lazius 1551 Lazius 1598 Marsigli 1726
Mosser 2003 Niegl 1980 Noll 1986 Nowotny 1914 Petznek 2010 Petznek 2012
Piso 2003
Poeschke 1996 Pillinger 1997 Pils – Scholz 2002 Pococke 1745 Reichel u. a. 1895 Ruzicka 1915 Sacken 1852
Schön 1988 Scholz 2011
Stiglitz 2008 Svatek 2006 Tragau 1997 Zabehlicky 1985
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Gabrielle Kremer
Abb: 1 a. b: Altar für Diana Augusta, gefunden in Wiederverwendung am Heidentor von Carnuntum (Vorderund Rückseite)
Abb. 2: Abgeschlagene Reliefköpfe von Weihemonumenten aus dem Tempelbezirk auf dem Pfaffenberg in der Ausstellung „Götterbilder – Menschenbilder“ (Archäologlisches Museum Carnuntinum 2011–2016)
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Zur Wiederverwendung von Steindenkmälern in Carnuntum
Abb. 3: Abdeckung eines Kanals in der westlichen Praetentura des Legionslagers von Carnuntum (Grabung Eduard Nowotny 1908–1911)
Abb. 4: Abdeckung eines Kanals südlich der Zivilstadt von Carnuntum (Grabung Andreas Konecny 2009)
Abb. 5: Schüttkasten im Bereich des Schlosses Petronell, mit zahlreichen eingemauerten Spolien
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Zwischenland – Zur Grenze zwischen Noricum und Pannonien abseits des Wienerwaldes Susanne Lamm Zu welcher Provinz gehört der Fundort, den ich bearbeite ? Das sollte in den meisten Fällen eine eindeutige Antwort ergeben, ist aber manchmal strittig. Ausgehend von einem konkreten Beispiel (die römische Siedlungsstelle von St. Martin/ Raab1, Bezirk Jennersdorf ) sollen folgende Fragen in diesem Artikel behandelt werden: Was wissen wir aus antiken Quellen über die geographischen Aspekte der Grenzziehung ? Wie beliebig können Grenzlinien vergangener Epochen verschoben werden, um in gegenwärtige Forschungsbelange zu passen ? Oder spielen hier andere Komponenten (wie aktuelle geographisch-politische Bedingungen) hinein ? Zu diesem Zweck möchte ich einerseits die antiken Quellen zu geographischen Gegebenheiten untersuchen, andererseits Kartenmaterial aus verschiedenen Jahrhunderten miteinander vergleichen.
Antike Quellen Geographika, Strabon (7 v. Chr.)2 Strabon behandelt das norische Gebiet nur im Zusammenhang mit seiner Beschreibung der Alpen (Geogr. 4, 6, 1–12 p. 202C–209C). Das Gebiet östlich (das spätere Pannonien) behandelt er nicht explizit, er erwähnt den Fluss Saos (Save), über den Waren zu den Pannoniern gelangten (4, 6, 10 p. 207C). Die Noriker bewohnen gemeinsam mit anderen Stämmen die „jenseitigen Alpenhänge“. Um Aquileia leben Teile der Karner und Noriker, wobei zu letzteren auch die Taurisker zu rechnen seien (4, 6, 9 p. 207C). Die via Polybios überlieferte Episode mit dem Goldfund im Gebiet dieses Stammes „auf der Höhe von Aquileia“ (4, 6, 12 p. 208C) dient Strabon dazu, um auf die zu seiner Zeit gängige Praxis der römischen Verwaltung der Goldförderstätten hinzuweisen. Eine anhand der Angaben bei Strabon erstellte Karte3 des Alpenraumes zeigt im östlichen Bereich große Ungenauigkeiten: die östlichste erwähnte Stadt ist Nauportus (Vrhnika/SLO), die Noriker werden zwischen Donau und Save angesiedelt. Naturalis historia, C. Plinius Secundus Maior (um 77 n. Chr.)4 Plinius schreibt in seinem 3. Buch der „Naturalis historia“ nur wenig über die Geographie Noricums (Nat. hist. 3, 146 bzw. 3, 27): A tergo Carnorum et Iapudum, qua se fert magnus Hister, Raetis iunguntur Norici. oppida eorum Virunum, Celeia, Teurnia, Aguntum, Iuvavum, omnia Claudia, Flavium Solvense. Noricis iunguntur lacus Pelso, deserta Boiorum; iam tamen colonia Divi Claudi Savaria et oppido Scarabantia Iulia habitantur.
1 Lamm 2005; Lamm 2006 in Anlehnung an Krüger 1974, 29: Zuweisung an Pannonia Superior, Territorium von Savaria. Anders: Sedlmayer – Tiefengraber 2006, Abb.1: Zuweisung an Noricum, Territorium von Flavia Solva.
2 [Zugriff 5.4.2012]. 3 Radt 2002, Karte 4. 4 [Zugriff 2.4.2012].
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Zwischenland – Zur Grenze zwischen Noricum und Pannonien abseits des Wienerwaldes
Hieran schließt sich der „Eicheln tragende“ Teil Pannoniens5 an (3, 147). Anschließend schreibt Plinius, dass Pannonien dort beginnt, wo die Alpen – Nordsüd und mitten durch Illyricum verlaufend – niedriger werden und „rechts und links in einem sanften Abhang auslaufen“6; der Teil nördlich dieser Linie ist Pannonien, das im Norden durch den Danuvius (Donau) begrenzt wird und wo die Kolonien Emona und Siscia liegen. Draus (Drau) und Saus (Save), beide als bekannt und schiffbar bezeichnet, münden – aus den Norischen bzw. den Karnischen Alpen kommend – in den Danuvius. Plinius’ Angaben zu Noricum beschränken sich auf die Namen der zu seiner Zeit bekannten Städte claudischer Gründung Virunum, Celeia, Teurnia, Aguntum, Iuvavum bzw. das unter Vespasian zum Municipium erhobene Solva. Die Aufzählung erfolgt dabei weder in alphabetischer noch in geographischer Reihenfolge, was im Zusammenhang mit den weiter unten (alphabetisch) angeführten Stammesnamen verwundert. Im Abschnitt über Pannonien findet sich als weitere Angabe, dass die Drau in den Norischen Alpen entspringt. An das norische Gebiet schließen sich nach Osten hin der Lacus Pelso und das ehemalige boische Siedlungsgebiet (deserta Boiorum) an, wo nun sowohl Savaria als auch Scarbantia liegen, d. h. die hier angeführten Örtlichkeiten liegen bereits außerhalb Noricums. Wie aber trennt Plinius Pannonien großräumig ab: Indem er die Alpen als Nordsüd-verlaufende Grenze betrachtet, und die nach Westen gewandten Ausläufer zu Dalmatien, die nach Osten gewandten Ausläufer zu Pannonien rechnet, d. h. Pannonien beginnt nicht im völligen Flachland, sondern schon im Hügelland. Zu dieser Höhenangabe passt auch die Beschreibung „glandifera“, da heutige Eichenarten wie Stieleiche7 (genannt bei Pl. nat. hist. 16, 8 und 16, 30), Traubeneiche8 und Flaumeiche9 in Regionen oberhalb von 1000 m Seehöhe noch wachsen. Geographike Hyphegesis, Claudius Ptolemaios (150 n. Chr.)10 Die Angaben zur Ostgrenze Noricums (2, 13, 1), bzw. Westgrenze Pannonia Superiors (2, 14, 1) differieren etwas, obwohl es sich um ein und dieselbe Grenze handelt: Die Ostgrenze Noricums bildet das Cetius-Gebirge (Kέτιον ὄρος; Cetius Mons) (angegebene Lage: 37° 30´/46° 50´ bis 37° 30´/45° 30´), die Westgrenze von Pannonia Superior bilden dasselbe Gebirge sowie im Süden Teile der Karawanken (Kαρουάγκα); bei letzteren könnte es sich auch um Teile der Julischen Alpen bzw. den Triglav11 handeln. Unter 2, 15, 2 (Beschreibung Pannonia Inferior) tauchen weitere Angaben zum Verlauf des Gebirges auf: Ein Fluss mit zwei Armen (Savarias im Norden, Dravus im Süden) kommt aus der Richtung des Gebirges, ein weiterer Fluss (Savus/Save) entspringt in demselben. Bei den Angaben zur 5. Karte der Region Europa12 finden sich keine weiteren Angaben zum Cetius-Gebirge. Die von Werner Lugs durchgeführten Berechnungen zur Lage der erwähnten norischen Orte13 zeigen deutlich, dass der Mons Cetius von der Höhe bei Vliobona/Vindobona bis auf die Höhe von Celeia reicht, was die Gleichsetzung des Gebirges nur mit dem Wienerwald ad absurdum führt (siehe unten). Es handelt sich dabei um einen langgestreckten Gebirgszug, der zwar im Wienerwald beginnt, aber dann über Fischbacher Alpe, Gleinalpe, Stubalpe und Koralpe bis zum Pohorje-Gebirge im heutigen Slowenien reicht14. In der neuesten Ausgabe von 200615 verläuft das Cetius-Gebirge nordsüdlich (wobei jeweils ein Berg Anfang und Ende der Kette markieren) und knickt gegen Ende nach Westen um 5 Zur Waldgegend siehe auch Graf 1936, 13. 6 Winkler 1988, 107. 7 [Zugriff 10.4.2012]. 8 [Zugriff 10.4.2012]. 9 [Zugriff 10.4.2012].
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10 [Zugriff 21.3.2012]; Stückelberger – Graßhoff 2006, 239–245. 1 1 Siehe auch Lugs 2005, 15. 12 Stückelberger – Graßhoff 2006, 790–793. 13 Lugs 2005, 10 (untere Abb.). 14 Siehe auch Lugs 2005, 11. 1 5 Stückelberger – Graßhoff 2006.
Susanne Lamm
(Karawanken), wobei Celeia innerhalb des gebirgigen Gebietes liegt. Auffallend ist, dass alle Flüsse, die zu Pannonia Superior gerechnet werden (Savarias, Dravus, Savus und Arabon), erst im Mons Cetius zu entspringen scheinen. Ptolemaios nennt also als große Grenze zwischen Noricum und Pannonien einen langgestreckten Gebirgszug, den Mons Cetius, der von der Donau in ungefährer Nordsüd-Richtung bis nach Celeia reicht. Die Lage der von ihm erwähnten Flüsse Savarias16, Dravus und Savus in Bezug zum Gebirge ist am ehesten dadurch zu erklären, dass diese Flüsse das Gebirge durchqueren, weniger, dass sie alle dort entspringen.
Kartenwerk mit antikem Hintergrund Tabula Peutingeriana17 Die auf ein spätrömisches Original zurückgehende und in einer Abschrift des 12. Jh.s erhaltene Karte zeigt das römische Straßennetz von den Britischen Inseln bis nach Indien und Zentralasien. Dabei spielen Provinzgrenzen (leider) keine Rolle. Orte in den Provinzen Noricum und Pannonia Superior finden sich auf den Segmenten IV, V und VI, wobei der Übergang auf Segment V zu finden ist. Als geographische Anhaltspunkte finden sich ein großer Fluss (Donau) am oberen Rand der Karte, ein Gebirgszug zwischen Vindobona und Carnunto, in welchem ein weiterer Fluss entspringt, ein kleinerer Gebirgszug zwischen Carnunto und Brigantio/Brigetio sowie der unterhalb fließende Savus, der im Gebirge rechts von Aquileia entspringt. Der im Gebirgszug entspringende Fluss auf Segment V muss die Drau sein, auch wenn die zu erwartende Mündung in die Donau bei Mursa nicht angegeben ist, sie vielmehr in die Save mündet und gemeinsam dann ins Mittelmeer fließt. Die Beschriftung NORICO markiert nur einen kleinen Bereich, beginnend oberhalb von Emona über Viruno/Virunum und Celeia bis rechts von Petauione/Poetovio. Eingebettet ist die Beschriftung in den Bereich zwischen Save und Drau. Auch der Schriftzug PANNONIA SVPERIOR ist zwischen diesen Flüssen eingequetscht. Auffällig ist der Abschnitt der Straße, der bei Advicesimum nicht über die Drau hinweg führt, sondern vor dem Fluss abbricht. Eine Durchsicht der gesamten Tabula Peutingeriana hat ergeben, dass es – auf den erhaltenen Teilen – insgesamt 6218 solcher Straßenabbrüche gibt, die meisten davon finden sich auf Segment VI (14) und Segment VII (10). Fünf der Abbrüche finden sich vor Flüssen, sechs finden sich im Küstenbereich und weitere sechs bei Gebirgen, die restlichen 45 Beispiele enden ohne erkennbaren Grund. Die beiden eingetragenen Gebirge lassen sich nicht eindeutig ansprechen; das Linke, in welchem die Drau entspringt, müssten die Norischen Alpen (Pl. nat. hist. 3, 147) sein, allerdings zeigen ja die Karten nach Ptolemaios, dass die Drau, ebenso wie die anderen zu Pannonia Superior zu rechnenden Flüsse mit ihrem Ursprung im Mons Cetius eingetragen sind. Der linke Gebirgszug könnte somit – mit Vorbehalt – als Mons Cetius angesprochen werden. Eine Kopie der Tabula Peutingeriana von einem unbekannten Autor aus Bratislava von 19 1751 zeigt die Provinzen eingefärbt. Hier beginnt Pannonien an der Donau bei Comagensium/ Comagena, die Grenze verläuft weiter Richtung Gebirgszug und bis Celeia, sowie von hier gerade nach links bis Longaticovi und schließt Emona und Nauporto für Pannonien ein. Das bedeutet, dass keine Rücksicht auf den Schriftzug NORICO genommen, sondern dass alles, was zwischen R und I liegt, bereits zu Pannonien gerechnet wurde. 16 Bei Stückelberger – Graßhoff 2006, 247 Anm. 289; findet sich die Mur als mögliche Übersetzung für Savarias, da die bei Ptol. 2, 15, 2 erwähnte Stadt Carrodunum mit Cardono/Gradina an der Drau gleichgesetzt wird und die Mur in der Nähe dieser Stadt in die Drau mündet. 17 [Zugriff 12.4.2012].
18 Segm. II: 26; Segm. III: 36; Segm. IV: 36; Segm. V: 26; Segm. VI: 146; Segm. VII: 106; Segm. VIII: 46; Segm. IX: 96; Segm. X: 76; Segm. XI: 76; Segm. XII: 16. 19 [Zugriff 13.4.2012].
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Zwischenland – Zur Grenze zwischen Noricum und Pannonien abseits des Wienerwaldes
Kartenwerke der Neuzeit Die in diesem Abschnitt präsentierten Karten stellen keinen Anspruch auf Vollständigkeit, sondern sollen vielmehr einen Überblick über die Kartengestaltung dieser Epoche liefern. Philipp Clüver, Austria Antiqva Cis Danvbiana Pannonica (1616)20 Die Karte stammt aus dem Werk Philipp Clüvers „Germaniae antiquae libri tres“, gedruckt 1616 in Leiden. Die Grenze zwischen Noricum und Pannonien ist eindeutig der Mons Cetius, der an der Donau bei Asturia/Asturis beginnt und von hier nach Süden verläuft, nach der Deserta Boiorum nach Westen umbiegt und dann wieder Richtung Süden verläuft. Celeia liegt dabei gegen Ende östlich bzw. nördlich des Gebirgszuges, Aemona südlich desselben; zudem verläuft das Gebirge nach Westen weiter aus dem Kartenbereich hinaus. Auf pannonischer Seite (Noricum ist auf einer eigenen Karte dargestellt) sind südlich der Donau die Orte Ad Vineas, Aquae, Cetium und Vindobona eingetragen, weiter im Süden finden sich Carrodunum, Mureola, Alicanium und Advicesimum entlang des Murus Fl. (Mur) sowie Poetovio am Dravus Fl. Die Mur entspringt zwar im norischen Gebiet, verläuft aber großteils auf pannonischem Boden, wo auch die meisten Seitenflüsse zufließen. Der Arrabo Fl. (Raab) entspringt in einer hügeligen Gegend (Oststeirisches Hügelland ?) und fließt dann weiter an Arrabo vorbei Richtung Nordosten. Auch der Sybaris Fl. (Perint ?), der Dicuncia Fl. (?) und der Vendo Fl. (?), sowie zwei nicht bezeichnete Flüsse entspringen östlich des Mons Cetius. Philipp Clüver, Vetvs Avstria Cisdanvbiana Norica (1616)21 Die Karte mit dem norischen Teil aus demselben Werk zeigt das pannonische Gebiet in Grenznähe ungenauer. Die auf norischer Seite eingetragenen grenznahen Orte sind dabei entlang der Donau Asturia und Cetia, etwas südlich Pirum tortum, dann Tartusana, Viscella, Sabatinca, Noreia, Auri Lavacra, Matucajum, Virunum, Iuenna, Vpellae und Celeia. Interessanterweise ist hier auf der pannonischen Seite ein weiterer Ort (Ragando) eingetragen, der auf der Karte Pannoniens fehlt. Innerhalb einer Gebirgskette liegt der Arlapis Lacus, dessen Zuordnung an ein heute bekanntes Gewässer unklar ist, der laut Lage aber in der heutigen Obersteiermark zu finden sein sollte. Christoph Weigel, Vindelicia, Rhetia et Noricvm (1720)22 Diese Karte wurde in Nürnberg gedruckt. Die Grenze beginnt südlich der Donau bei Ad Cetium Montem (westlich von Vindomana) und geht Richtung der Gebirgskette Cetius Mons, die ein Stück nach Südwesten reicht (mit Limes inter Noricum et Pannoniam bezeichnet). Das Gebirge bricht nördlich von Mureola ab, das, wohl an der Mur gelegen (nicht bezeichnet), die Grenzstadt zwischen den beiden Provinzen bildet, wobei die Stadtmarke auf pannonischer Seite liegt. Von hier verläuft die Grenzlinie weiter nach Südwesten, ohne sich an topographischen Gegebenheiten zu orientieren, überquert den Dravus Fl. und endet bei Celeia, wo sie den Savus Fl. erreicht. Auf dieser Karte ist zudem auf norischer Seite, zwischen Noreia, Teurnia, Virunum und Graviaci gelegen, Solva it Flavium Solvense eingetragen. Auf pannonischer Seite findet sich an der Mur vor der Draumündung der Ort Raditanum. Der Arabo Fl. entspringt auf pannonischer Seite, ein Stück westlich von Mureola. 20 [Zugriff 13.4.2012]. 2 1 [Zugriff 13.4.2012]. 22 [Zugriff 13.4.2012].
Susanne Lamm
Unbekannter Autor, Pannonia Illyricum et Quadorum Iazygumque Regiones (1751)23 Die von einem unbekannten Drucker angefertigte Karte wurde in Bratislava/Pressburg angefertigt. Das Hauptinteresse liegt dabei auf den nördlich und südlich von Pannonien gelegenen Gebieten, doch ist auch die Westgrenze erkennbar. Sie beginnt an der Donau westlich von Cetium und verläuft über das Gebirge Cetius M Richtung Süden. Nördlich des Murus Fl. (der auch die Beischrift s. Sabaria trägt) zweigt das Gebirge nach Westen ab, die Grenze verläuft aber weiter nach Südwesten über Muraeola (auf pannonischer Seite) bis Celeia und schließt noch Aemona und Nauportum für Pannonien ein. Der Arabo Fl. entspringt innerhalb des pannonischen Gebietes, Murus und Dravus kommen aus dem Norischen, haben ihren Hauptverlauf aber im Pannonischen. Adrien Hubert Brue, Carte de la Dacie ancienne, de la Pannonie, de l’Illyrie et de la Moesie (1826)24 Das Hauptaugenmerk dieser 1826 in Paris gedruckten Karte ist zwar der Balkan, Noricum ist aber am Rand verzeichnet. Die Grenzlinie beginnt an der Donau zwischen Comagena und Cetium und läuft dann als Gebirgszug Cetius M. nach Südwesten. Die Beschriftung reicht zwar nicht weit, aber es schließen sich weitere Gebirge an, die hier knapp östlich des Murius Fl. verlaufen. Anschließend bildet die Mur selbst die Grenze, bis zu einem Zusammenfluss mit einem Nebenfluss, an dem der Ort Viana (?) liegt, von hier führt eine gerade Linie nach Süden bis Mariana (?), von hier dann weiter nach Osten bis östlich von Poetovio und dann wieder nach Süden und Westen bis Celeia. Die grenznahen Orte auf norischer Seite sind, beginnend an der Donau, Comagena, Capedonum (im Mürztal), Muraepontum (am Zusammenfluss von Mur und Mürz), Viana (in der heutigen Weststeiermark), Flavium Solvense (in Ostkärnten), Otimacum und Poetovio an der Drau, und Regantone, Arivatis und Lotodi um Süden Richtung Celeia. Auf pannonischer Seite finden sich südlich von Cetium gelegen Gesodunum, Mutenum, Scarbantia, Heorta, Sabaria, Gessacus M., Rispia, Mureola, Mariana, Ramista, Populi, Belgites, Cliena und Herkuniates.
Karten und Beschreibungen mit archäologischem Bezug Albert Muchar, Geschichte des Herzogthums Steiermark 1 (1844)25 Im 1. Band seiner Geschichte des Herzogtums Steiermark behandelt Albert Muchar die Vorgeschichte und Römerzeit. Neben seinen Ausführungen zur Geographie und Geschichte enthält der Band auch ein Verzeichnis der zu seiner Zeit bekannten Römersteine sowie einen Abbildungsteil mit Zeichnungen einiger dieser Stücke. Als Beilage hat Muchar dem Buch eine Karte mit dem Titel „Stiria Romana – Die römische Steiermark“ beigegeben, auf der die Fundorte der Römersteine, identifizierte römische Orte und Straßenverbindungen und Stammesgebiete eingetragen sind; ebenso hat er eine Zuweisung an die Zugehörigkeit zu römischen Provinzen vorgenommen. Als Grenze zwischen Noricum und Pannonien sieht Muchar den Mons Cetius bzw. die Montes Cetii, die bei ihm am Kahlenberg26 bei Wien beginnen und weiter Richtung Südwesten ziehen und ab dem Semmering über die einzelnen Berge der Fischbacher Alpen, über die Mur, über die einzelnen Berge der Glein- und Stubalpe zur Koralpe reichen und von hier nach Süden zum Bachern-Gebirge (Pohorje) laufen. Muchar rechnete also sowohl die heutige West- als auch die Oststeiermark zu Pannonia Superior, da 1844 die Lage von Solva noch unbekannt war.
23 [Zugriff 13.4.2012]. 24 [Zu-
griff 13.4.2012]. 25 Muchar 1844. 26 Muchar 1844, 11.
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Zwischenland – Zur Grenze zwischen Noricum und Pannonien abseits des Wienerwaldes
Richard Knabl, Wo stand das „Flavium Solvense“ des C. Plinius ? (1848); Der Cetius als Grenze zwischen Noricum und Pannonien (1866)27 Richard Knabl legte seinen Beiträgen zwar keine Karten bei, dafür argumentierte er im ersten Fall eingehend, warum28 Solva im Gebiet des heutigen Wagna bei Leibnitz lag. Sein Hauptargument ist ein Inschriftstein vom Seggauberg (CIL III 5331), der bereits zum Teil bei Muchar29 verzeichnet ist und einen decurio namens Titus Attius Tutor aus Fl(avia) Solva nennt. Dieser Stein belege, dass die im Leibnitzer Feld seit langer Zeit vermutete römische Stadt nicht Mureola30, sondern das bei Plinius erwähnte Solva sei. Damit ergibt sich aber ein Problem, denn Plinius reiht Solva in die norischen Städte ein, während zur Zeit Knabls außer Frage stand, dass das Gebiet um Leibnitz zu Pannonien gehörte. Knabl war sich dieses Problems bewusst und argumentierte dahingehend, dass Plinius zwar Solva zu Noricum rechnete, „die alte Erdkunde zwar schon durch Erastothenes, Strabon und Marinos wissenschäftlich behandelt, gleichwohl erst durch Klaudios Ptolemaios einen höheren Aufschwung erhalten hat. Bis auf ihn waren die Begränzungen der einzelnen Provinzen völlig unbestimmt“ 31. Knabl nennt Solva dezidiert eine Grenzstadt an den Ausläufern der „ketischen Gebirge“32, d. h. die Gebiete östlich der Mur gehörten für ihn nach wie vor zu Pannonien. 1866 verfasste Knabl einen Artikel über diese ketischen Gebirge33. Der Gebirgszug verläuft auch bei ihm „vom Kahlenberge bis zur Save“ 34 und ist die Grenze zwischen den beiden Provinzen. Allerdings gibt er zu bedenken, dass dies zwar für die Zeit des Ptolemaios Gültigkeit hatte, „doch nicht für alle Zeiten des römischen Besitzstandes“ 35. Als Gründe führt er Velleius Paterculus (Carnuntum als norische Stadt im Jahr 6 n. Chr.; 2, 109, 5), Plinius (Flavia Solva ist im 1. Jh. n. Chr. eine norische Stadt, die aber zur Zeit des Ptolemaios wegen des Cetius-Gebirges zu Pannonien zu rechnen sei36) und die wechselnde Provinzzuweisung Poetovios (im 1./2. Jh. n. Chr. bei Pannonien, in spätantiker Zeit bei Noricum) an. Knabl schließt also aus den antiken Autoren, dass sich der Grenzverlauf zwischen Noricum und Pannonien in römischer Zeit geändert hat. Anhand der geographischen Gegebenheiten, den aufgefundenen Grabsteinen von Soldaten und weiteren literarischen Quellen kommt Knabl zu folgenden Schlüssen: Es ist unklar, ob die Ausläufer des ketischen Gebirgszuges, d. h. das west- und oststeirische Hügelland, in der Antike als zum selbigen gehörend angesehen wurden oder nicht37. Im 1. Jh. n. Chr. hatte Noricum seine größte Ausdehnung nach Osten hin (bis Carnuntum, Mittelsteiermark bis zum Plattensee, in der Untersteiermark bis Poetovio)38. Um die Mitte des 2. Jh.s n. Chr. (Ptolemaios) reichte Pannonia Superior „von Carnuntum […] bis über den Kahlenberg zur Enns; in Mittelsteiermark von der Gegend des Plattensees bis zur Mur, und in der Untersteiermark von Pettau bis auf den Kamm des Pacher- und Gonobitzerberges“39. Ab der Mitte des 3. Jh.s n. Chr. rückten sowohl Noricum als auch Panonnia Superior wegen der nach Osten vorgerückten Regio Decima Italiens weiter nach Osten vor40. Damit erklären sich für Knabl alle Widersprüche, die bei den antiken Autoren auftreten, denn „[s]ie alle schrieben zu ihrer Zeit, wo die Grenzverhältnisse gerade so und nicht anders beschaffen waren […]“ 41. 27 Knabl 1848; Knabl 1866. 28 Knabl 1848, 11–16. Bereits 1837 identifizierte K. Harb die Lage Solvas in seiner Handschrift „Leibnitz und dessen Umgebung unter den Römern“, siehe Karl – Wrolli 2011, 134. 29 Muchar 1844, 430, worauf Knabl 1848, 11, auch hinweist. 30 Knabl 1848, 2 verweist auf Ptolemaios als Quelle für diese Siedlung. Es dürfte sich aber dabei um eine seit längerer Zeit in der Literatur herumgeisternde Fehllesung von „Mursella“ für „Mureola“ handeln. 3 1 Knabl 1848, 17.
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32 Knabl 1848, 17 f. 33 Knabl 1866. 34 Knabl 1866, 74 f., hier findet sich auch eine genaue Auf listung aller Teile des Gebirgszuges. 35 Knabl 1866, 75. 36 Knabl 1866, 76. 37 Knabl 1866, 76 f. 38 Knabl 1866, 84. 39 Knabl 1866, 84. 40 Knabl 1866, 84. 4 1 Knabl 1866, 84 f.
Susanne Lamm
Theodor Mommsen, CIL III 2 (1873)42 Theodor Mommsen behandelt in seinen Ausführungen zu den Inschriften in Noricum im Zuge der Beschreibung der aus den einzelnen Regionen/Flusstälern stammenden Steine auch die Thematik der Grenzziehung. Er rechnet Solva aufgrund der Angabe bei Plinius zu Noricum43. Die Mur setzt er mit dem Fluss Savarias bei Ptolemaios gleich44. Das Murtal zwischen Leibnitz und Bruck rechnet er mit seinen Seitenflüssen Lassnitz und Kainach zum Territorium von Solva, das Nichtvorhandensein von römischen Siedlungsnamen führt er darauf zurück, dass dieses Gebiet in keiner antiken Straßenkarte aufscheint45. Das Murtal zwischen Bruck und Judenburg weist er keinem Territorium zu46. Das Raabtal mit seinen Nebenflüssen Feistriz, Safen, Lafnitz und Pinka ist für ihn ein Grenzbereich, der aufgrund der Inschriften entweder zu Solva oder zu Savaria zu rechnen sei47. Viktor Geramb, Grenze zwischen Österreich und Ungarn in ihrer historischen Entwicklung, 1. Teil (1907)48 Der spätere Begründer der steirischen Volkskunde, Viktor Geramb, hat seine Dissertation über die Grenzbeziehungen zwischen Noricum und Pannonien verfasst. Die von ihm angefertigten Karten im Anhang beruhen dabei sowohl auf Inschriftfunden als auch auf persönlicher Geländekunde („bei diesem Teil der Grenze, den ich zu wiederholten Malen und unter verschiedensten Gesichtspunkten aus beobachtend, abwanderte“ 49). Weiters vergleicht er die Grenzverläufe, die Muchar und Mommsen anbieten. Geramb unterscheidet drei verschiedene Grenzverläufe, die er zeitlich folgendermaßen definiert: Verlauf der Ostgrenze Noricums seit der Unterwerfung des Landes bis Vespasian (Taf. III, siehe Abb. 1), die norische Ostgrenze seit Vespasian (Taf. VII, siehe Abb. 2) und die Ostgrenze Noricums seit Constantin (Taf. X, siehe Abb. 3). Er lässt dabei die Ostgrenze der Frühzeit sehr weit nach Osten reichen (bis in die ungarische Tiefebene hinein), während die Grenze ab vespasianischer Zeit sehr ähnlich (mit wenigen Änderungen) der von Muchar verläuft. Ab constantinischer Zeit sieht er wieder eine Vorrückung nach Osten, allerdings ist er sich über ihren genauen Verlauf nicht sicher. Andreas Graf, Übersicht der antiken Geographie von Pannonien (1936)50 Interessant ist die Betrachtung der norisch-pannonischen Grenzlinie von ungarischer Seite aus. Andreas Graf widmet sich der Frage der Westgrenze Pannoniens, die auch er zu verschiedenen Zeiten als verschieden verlaufend definiert51. Mit Nachdruck52 verweist er darauf, dass die zu seiner Zeit (und auch noch später) gültige Meinung, die Angabe des Ptolemaios für das Gebirge Cetius beziehe sich nur auf die nördliche Position der Grenze, falsch ist, da auch das südliche Ende angegeben sei. Die von Graf beigelegte Karte der archäologischen Fundstätten in Pannonien ist in Bezug auf die Westgrenze etwas vage: die Bergkette Cetius Mons verläuft nördlich bzw. westlich der Mur im Bereich der Ober- und Mittelsteiermark, die westlichsten von ihm verzeichneten Fundpunkte sind Grafendorf, Hartberg, Radkersburg und Schlaining. Die Karte von Graf ist auch typisch für (heutige) Provinzkarten aus ungarischer Sicht: Da Pannonien bis nach Österreich hinein reichte, d. h. jenseits des ungarischen Staatsgebiets, wird 42 Mommsen 1873. 43 Mommsen 1873, 649. 44 Mommsen 1873, 656. 45 Mommsen 1873, 656. 46 Mommsen 1873, 661. 47 Mommsen 1873, 663. 48 Geramb 1907. In diesem Zusammenhang möchte ich mich bei Johannes Steiner (Wien) bedanken, der in
mühevoller Arbeit die 252 Seiten der in Kurrenthandschrift verfassten Dissertation transkribiert hat. Gerambs Dissertation wird zudem z. Z. von mir und Johannes Steiner für eine Publikation vorbereitet. 49 Geramb 1907, 194. 50 Graf 1936. 5 1 Graf 1936, 22. 52 Graf 1936, 23 f.
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die Westgrenze eher weniger beachtet. Diese Nichtbehandlung dessen, was außerhalb des eigenen Staatsgebietes liegt, ist auch daran ersichtlich, dass etwa Andreas Mócsy in seinem 1962 erschienen RE-Artikel zu Pannonien53 bei der Westgrenze nur auf die Ausführungen Erich Polascheks54 rückverweist. Ekkehard Weber, Die römerzeitlichen Inschriften der Steiermark (1969)55 Das Betrachtungsgebiet der 1969 von Ekkehard Weber herausgegebenen römischen Inschriften der Steiermark ist zwar auf die Steiermark begrenzt, zeigt aber zum Teil für den Grenzverlauf zwischen Noricum und Pannonien Relevantes. Auf der beigegebenen Karte finden sich die Territorien der Städte eingetragen, die laut Weber am heutigen steirischen Landesgebiet Anteil hatten: Ovilava, Iuvavum im Westen, Lauriacum, Cetium im Norden, Savaria im Osten und Virunum in Südwesten; den Hauptanteil hatte aber – bis weit in die Obersteiermark hinein – Solva. Im Osten stimmt dabei die heutige steirische Landesgrenze von ihrem südlichsten Zipfel an bis nördlich von Grafendorf mit der Provinzgrenze zu Pannonien hin überein, der hier anschließende Teil nach Norden gehört dann zu Savaria (d. h. das Gebiet um Friedberg), während weiter nördlich das Gebiet zwischen Wechsel und Rax (wieder die heutige Landesgrenze) die Grenze zu Pannonien bildet. Géza Alföldy, Noricum (1974)56 Géza Alföldy hat seinem viel zitierten Standardwerk zu Noricum eine Karte beigegeben. Die Grenze zu Pannonien verläuft bei ihm von der Donau (Bisamberg) über Gugging, den „Cetius Mons (Wienerwald)“57, weiter nach Südwesten, knickt dann auf Höhe des Semmerings nach Südosten um, um die oststeirischen Fundorte zwischen Friedberg und Bad Gleichenberg einzugrenzen, und verläuft schräg nach Südwesten, an Poetovio vorbei und endet kurz vor Neviodunum im Süden. In seinen schriftlichen Ausführungen bezieht sich Alföldy 58 auf Inschriften, um vor allem den Verlauf im Südosten zu klären (so zählt er etwa das auf der Tabula Peutingeriana genannt Ragando zu Noricum, während Ad Vicesimum, das für ihn östlich von Ratschendorf liegt, zu Pannonien gehört)59. Nördlich davon verlief die Grenze „probably […] along the river Lafnitz“ 60 über Semmering und Wienerwald. Alföldy ist mit seiner Übersichtskarte ein Kunstgriff gelungen: Er hat nur Gebirge über 2000 m bzw. 3000 m Seehöhe markiert, weshalb die Mittelgebirge, die auf älteren Karten den Verlauf des Cetius-Gebirges Richtung Süden bilden, nicht erkennbar sind. So ist es für ihn auch leicht, die oststeirischen Fundorte mit einer ihm passenden Linie abzugrenzen, da hier keine geographischen Bedingungen (Ausnahme: Flussläufe) zu sehen sind. Diese willkürliche Ostgrenze fällt vor allem deshalb auf, da er sich auf der Strecke zwischen der Donau und dem Semmering annähernd an den Gebirgsketten orientiert, ab dem steirischen Teil aber beliebig seine Grenze zieht. Diese Karte Alföldys dient seit ihrem Erscheinen als Grundlage vieler Karten, die sich mit Noricum beschäftigen. Thomas Fischer, Noricum (2002)61 Der Grenzverlauf der bei Thomas Fischer verwendeten Karte stimmt 1:1 mit dem bei Alföldy überein. Allerdings wurde bei Fischer eine färbige Reliefkarte als Grundkarte verwendet, weshalb die willkürliche Grenzziehung im Bereich der Oststeiermark sofort auffällt. 53 Mócsy 1962, 584. 54 Polaschek 1936, 980–987. 55 Weber 1969. 56 Alföldy 1974. 57 Alföldy 1974, 11. Alföldy bemerkt in Anm. 39, dass Ptolemaios damit das gesamte Gebirgsland Ostnori-
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cums („mountain-country of eastern Noricum“) meine. 58 Alföldy 1974, 57–61. 59 Alföldy 1974, 60. 60 Alföldy 1974, 60. 61 Fischer 2002.
Susanne Lamm
Verena Gassner – Sabine Jilek – Sabine Ladstätter, Am Rande des Reiches (2002)62 In dem 2002 erschienen Werk finden sich auch mehrere Karten zu den Provinzen auf heutigem österreichischem Staatsgebiet, allerdings sind sie nicht sehr detailiert. Im Text finden sich Hinweise auf die Gründe für die Grenzziehungen. Hier wird – wie schon bei Alföldy63 – vom vorrömischen regnum Noricum ausgegangen, um die römischen Provinzgrenzen zu bestimmen64. Die Karte65 der römischen Provinzen auf österreichischem Boden zeigt die Provinzen Raetien, Noricum und Pannonien sowie den Norden der Regio Decima. Es sind nur wenige Flüsse eingetragen, für den Osten Noricums heißt das Mur, Mürz, Raab, Drau, Save und Leitha. Die Grenzziehung zu Pannonien verläuft eher willkürlich: Weder wird auf geographische Gegebenheiten (Cetius-Gebirge) noch auf Fundorte Bezug genommen. Westlich von Comagena beginnt die Grenzlinie an der Donau, führt in direkter Linie nach Aquae im Südwesten und von hier in annähernd gerader Linie Richtung Südosten in das heutige Grenzgebiet zwischen Steiermark und Burgenland. Von hier folgt sie der steirischen Landesgrenze bis Radkersburg und verläuft dann in einer Kurve an Poetovio vorbei nach Süden. Dieselbe Grenzziehung wird auch bei der Karte mit den spätantiken Provinzen auf österreichischem Boden verwendet. Helga Sedlmayer – Georg Tiefengraber, Forschungen im südostnorischen Vicus am Saazkogel (2006)66 Hier findet sich eine Karte67 der südostnorischen vici: Als Grundlage diente die von Alföldy willkürlich erstellte, von Fischer übernommene Karte, die in diesem Falle weiter verändert wurde (Verschiebung der Grenzlinie nach Osten, damit St. Martin/Raab noch zu Noricum gehört).
Resümee Auffallend ist vor allem bei neueren Werken die geringe Rücksicht auf antike Quellen, Kartenmaterial wird von anderen AutorInnen unreflektiert übernommen. Zudem werden gegenwärtige geographische Grenzen immer wieder auf antike Grenzverläufe übertragen. So wird etwa die Westgrenze Pannoniens von ungarischen ForscherInnen häufig summarisch auf österreichischem Staatsgebiet angesiedelt, ein genauer Verlauf wird allerdings nicht diskutiert. Im Gegenzug wird die Ostgrenze Noricums von österreichischen ForscherInnen gerne nach Osten in Richtung Ungarn verschoben. Man sollte sich aber auch von der Vorstellung verabschieden, dass es während der fast 500jährigen Zugehörigkeit zum Imperium Romanum nur eine einzige gültige Grenzlinie zwischen Noricum und Pannonien gegeben hat. Es wäre somit wünschenswert, dass bei Überblickswerken (die ja einen längeren Zeitraum behandeln) auch diachrone Karten beigegeben werden, die auf geänderte Grenzziehungen Bezug nehmen. Abbildungsnachweis Abb. 1–3: V. v. Geramb, Grenze zwischen Österreich und Ungarn in ihrer historischen Entwicklung. 1. Teil (Dissertation Universität Graz, 1907), Taf. 3. 7. 10 Bibliographie Alföldy 1974 Fischer 2002 Gassner u. a. 2002
G. Alföldy, Noricum (London, Boston 1974) Th. Fischer, Noricum (Mainz 2002) V. Gassner – S. Jilek – S. Ladstätter, Am Rande des Reiches. Die Römer in Österreich (Wien 2002)
62 Gassner u. a. 2002. 63 Alföldy 1974, 41. 64 Gassner u. a. 2002, 80.
65 Gassner u. a. 2002, 79. 66 Sedlmayer – Tiefengraber 2006. 67 Sedlmayer – Tiefengraber 2006, Abb. 1.
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Zwischenland – Zur Grenze zwischen Noricum und Pannonien abseits des Wienerwaldes Geramb 1907
V. Geramb, Grenze zwischen Österreich und Ungarn in ihrer historischen Entwicklung. 1. Teil (Dissertation Universität Graz, 1907) Graf 1936 A pannonia ókori földrajzára vonatkozó kutatások áttekintö ößzefoglalása. Übersicht der antiken Geographie von Pannonien, Diss. Pann. I, 5 (Budapest 1936) Karl – Wrolli 2011 St. Karl – G. Wrolli, Der Alte Turm im Schloss Seggau zu Leibnitz. Historische Untersuchungen zum ältesten Bauteil der Burganlage Leibnitz in der Steiermark, Forschungen zur geschichtlichen Landeskunde der Steiermark 55 (Wien 2011) Knabl 1848 R. Knabl, Wo stand das „Flavium Solvense“ des C. Plinius ?, Eine historisch-kritische Untersuchung als Beitrag zur Berichtigung der alten Erdkunde, Schriften des historischen Vereines für Innerösterreich, Heft 1, Graz 1848, 1–108 Knabl 1866 R. Knabl, Der Cetius als Grenze zwischen Noricum und Pannonien, Mitteilungen des historischen Vereines für Steiermark 14, Graz 1866, 72–85 Krüger 1974 M. L. Krüger, CSIR Österreich I/5 Lamm 2005 S. Lamm, Das Fundmaterial der Ausgrabung des Institutes für Klassische Archäologie in St. Martin an der Raab 1997 (Diplomarbeit Graz 2005) Lamm 2006 S. Lamm, Das Fundmaterial der römischen Siedlungsstelle in St. Martin an der Raab, Burgenland, FÖ 45, 2006, 391–450 Lugs 2005 W. Lugs, Die Geographie des Ptolemäus für den norischen Raum, RÖ 28, 2005, 7–22 Mócsy 1962 RE Suppl. IX (1962) 516–776 s. v. Pannonia (A. Mócsy) Mommsen 1873 CIL III 2 (Berlin 1873) Muchar 1844 A. Muchar, Geschichte des Herzogthums Steiermark. Erster Theil (Graz 1844) Polaschek 1936 RE XVII (1936) 971–1048 s. v. Noricum (E. Polaschek) Radt 2002 Strabon Geographika. Band 1. Prolegomena. Buch I–IV: Text und Übersetzung, Hrsg. u. übers. v. St. Radt (Göttingen 2002) Sedlmayer – Tiefengraber 2006 H. Sedlmayer – G. Tiefengraber, Forschungen im südostnorischen Vicus am Saazkogel. Die Grabungen der Jahre 2002–2005, SoSchrÖAI 41 (Wien 2006) Stückelberger – Graßhoff 2006 A. Stückelberger – G. Graßhoff (Hrsg.), Claudius Ptolemaeus, Geographia. Handbuch der Geographie, Griechisch – Deutsch, Einleitung, Text und Übersetzung, Index (Basel 2006) Weber 1969 E. Weber, Die römerzeitlichen Inschriften der Steiermark, Veröffentlichungen der Historischen Landeskommission für Steiermark 35 (Graz 1969) Winkler 1988 C. Plinii Secundi, Naturalis historiae libri XXXVII. Libri III/IV = C. Plinius Secundus d. Ä., Naturkunde Lateinisch – Deutsch. Bücher III/IV. Geographie: Europa, Hrsg. u. übers. v. G. Winkler in Zusammenarbeit mit R. König (München 1988)
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Susanne Lamm
Abb. 1: Verlauf der Ostgrenze Noricums seit der Unterwerfung des Landes bis Vespasian
Abb. 2: die norische Ostgrenze seit Vespasian
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Abb. 3: die Ostgrenze Noricums seit Constantin
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Die römischen Ziegelbrennöfen von Neumarkt-Pfongau I, Salzburg Felix Lang – Raimund Kastler – Thomas Wilfing – Wolfgang Wohlmayr Die Fundstelle Neumarkt-Pfongau I ist seit längerem bekannt. Bei der Erschließung des Gewerbegebietes Pfongau wurde jedoch die pars urbana des römischen Gutshofes größtenteils undokumentiert zerstört. Im Zuge von anschließenden Rettungsgrabungen des Salzburg Museums wurden drei Wirtschaftsgebäude sowie ein Eck eines Bauwerkes festgestellt, bei dem es sich ursprünglich wohl um das Wohn- oder Badegebäude handelte1. Seit 2008 werden erneut alljährlich Grabungen in einer Kooperation der Landesarchäologie am Salzburg Museum, des Fachbereichs Altertumswissenschaften der Universität Salzburg und des Museum Fronfeste / Stadt Neumarkt in der pars rustica durchgeführt2. Neben den Fundamenten von zwei Gebäuden (E und F) sowie weiteren Strukturen (Gruben und Gräben) wurden bisher drei Brennöfen ergraben. Zwei 2010 vollständig ergrabene Öfen (1 und 2) schlossen dabei unmittelbar nördlich an Gebäude E an. Durch eine größere Anzahl an Ziegelfehlbränden, die in unmittelbarer Nähe der Anlagen sowie in den Verfüllungen der Arbeitsgrube von Ofen 1 und dem Heizraum von Ofen 2 gefunden wurden, kann man davon ausgehen, dass es sich um Ziegelbrennöfen handelte3. Der 2012 vollständig freigelegte dritte Ofen wurde vom jüngeren Gebäude F überlagert. Eines der Innenmauerfundamente schnitt dabei den Heizraum der Anlage (Abb. 1). Es handelte sich jeweils um stehende Brennöfen. Erhalten waren dabei die sich unter Bodenniveau befindenden Teile der Konstruktion: Heizraum, Schürkanal und Arbeitsgrube. Von den Brennräumen konnte nichts mehr festgestellt werden. Ebenso wenig fanden sich Teile der anzunehmenden Lochtennen, wobei auch Abdeckungen in Form aufgeschichteter Ziegel oder einer Kombination aus Lehm und Ziegeln möglich wären4.
Ofen 1 (Abb. 2) Ofen 1 wurde unmittelbar nördlich des Gebäudes E errichtet. Die Heizraumwandung wies einen Abstand von 60/70 cm zum Fundament auf. Die Anlage war Ost-West mit der Arbeitsgrube im Osten ausgerichtet. Es handelte sich um einen rechteckigen Ziegelbrennofen mit Schürkanal, sowie einem Heizraum mit Mittelkanal und Zungenmauern. Diese Konstruktionsform kam häufig vor5. Der Heizraum wies Innenmaße von ca. 2,161,8 m auf. Außenwand und Zungenmauern waren aus luftgetrockneten Lehmziegeln errichtet. Diese, in Details variierende Lehmbauweise war in Noricum und Raetien mehrfach vertreten6. Sie stellte eine einfache und kostengünstige Art der Ausführung dar7. Durch die Verziegelung beim ersten Brand oder durch Vorheizen wurde dabei die nötige Härte und Tragkraft erreicht8. Die Außenmauerziegel wiesen Maße von 0,3560,15 m auf. Im Befund waren noch zu bis vier Ziegellagen erhalten. Als Stützkonstruktion dienten je fünf axial gelegene seitliche Zungenmauern (ca. 25655 cm). Die nördlichen Zungenmauern waren in der untersten Lage noch in Teilen erhalten. Ein Stützelement der südli1 Feldinger 1988; Feldinger 1989. 2 Lang u. a. 2012. 3 Lang u. a. 2010. 4 Berger 1969, 13; Trimpert 2003, 152. 5 Berger 1969, 4–6. 15 f. Typ a; Henning 1977, 190 f. Variante A; Cuomo di Caprio 1979, 75 f.; Le Ny 1988,
14 f. 41 Typ IIe Abb. 22 b. Typ II b Abb. 5, 2; Trimpert 2003, 140. 238 f.; Federhofer 2007, 122 f. 6 Federhofer 2007, 129 Tab. 11. 7 Federhofer 2007, 125; vgl. Trimpert 2003, 143. 152. 8 Vgl. Berger 1969, 4; Federhofer 2007, 50.
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Die römischen Ziegelbrennöfen von Neumarkt-Pfongau I, Salzburg
chen Reihe war in der untersten Schar beinahe vollständig erhaltenen. Von den anderen vier waren nur die Standspuren zu erkennen. Zwischen den Zungenmauern waren Nebenzüge ausgespart, durch die die heiße Luft seitlich strömen konnte. Ein zentraler Heizkanal führte vom Schürkanal über die gesamte Länge der Kammer. Hauptkanal und Nebenzüge wiesen (annähernd) dasselbe horizontale Bodenniveau auf 9. Die Arbeitsgrube (Breite ca. 1,7 m) und der an der Öffnung 0,65 m breite Schürkanal waren in den anstehenden Boden eingetieft. Der Schürkanal diente, wie üblich, als Heizstelle, die somit außerhalb des Ofens lag10. Sohle und Wände des Kanals waren durch die Hitzeeinwirkung rot verziegelt. Die Verziegelung erstreckte sich auch auf einen kleinen Bereich der Arbeitsgrube. Arbeitsgrube und Schürkanal wiesen eine Länge von 3,0 m auf.
Ofen 2 (Abb. 2) Ofen 2 war Nord-Süd mit der Arbeitsgrube im Süden ausgerichtet. Es handelte sich um einen rechteckigen Ziegelbrennofen mit Schürkanal sowie einem Heizraum mit geteiltem Mittelkanal und Zungenmauern. Dies stellte eine Variante des Bautyps von Ofen 1 dar11. Der Heizraum war in einer Kombination von steinerner Außenmauer und einer Stützkonstruktion aus gebrannten Ziegeln errichtet. Dies fand sich in Noricum und Raetien nur noch bei dem Ziegelbrennofen von Sargans12 und, in anderer Konstruktion, in Wilhering-Schönering13. Ansonsten wurde Steinmaterial lediglich zur Ummantelung der Anlagen verwendet14. Die 0,5 m breite Heizraumwand war aus Gletschergeschiebe und Sandsteinen in Lehmbindung errichtet worden. Drei Steinreihen waren noch erhalten. Besonders die Sandsteine waren durch die Hitzeeinwirkung stark beeinträchtigt. Der Heizraum (ca. 1,861,9 m Innenfläche) wies noch umfangreiche Reste der Stützkonstruktion aus gebrannten Ziegeln auf. Der Hauptkanal war durch eine, Nord-Süd verlaufende Mauer von ca. 1,35 m Länge geteilt. Sie setzte nicht an der rückwärtigen Außenmauer an, sondern wies einen Abstand von ca. 0,15 m auf, wohl um eine bessere Luftzirkulation zu gewährleisten. Sie war noch bis zu neun Lagen aus im Verband versetzten quadratischen Ziegelplatten (1861863 cm) in Lehmbindung hoch erhalten. Im Süden waren die Ziegel in Folge der Hitzeeinwirkung der im Schürkanal befindlichen Heizstelle15 stark verbacken und verworfen. An der Ost- und Westwand des Heizraumes befanden sich 0,6 m breite und 0,17 m hohe Sockel. Auf diesen Sockelbänken standen je fünf Zungenmauern aus in Lehm gebundenen Ziegelplatten gleichen Formats (2061463 cm). Sie waren bis zu vier Lagen hoch erhalten. Derartige Bänke seitlich des Mittelkanals sind nicht allzu zahlreich 16. Der Schürkanal setzte mit deutlicher Baufuge an den Heizraum an. Die Breite der Schürkanalöffnung betrug ca. 60 cm. Die Seiten waren ebenfalls aus Steinen gemauert. Im Bereich der Einmündung fand sich die gemörtelte Einwölbung der Schürkanalöffnung in Sturzlage. Die Arbeitsgrube war lediglich in den anstehenden Boden eingetieft. Die Verfüllung ließ sich nur schwer bis gar nicht vom umgebenden Erdmaterial unterscheiden. Daher konnten weder die Ausmaße der Oberkante der Grube noch der Verlauf der Wandung festgestellt werden. Dies war lediglich im durch die Hitzeeinwirkung verziegelten Nahbereich der Schürkanalöffnung und an der Holzkohlespuren aufweisenden Grubensohle möglich.
9 Vgl. Berger 1969, 17–19 Variante 1; McWhirr 1979, 98 f. Typ 1; Trimpert 2003, 141. 10 Risy 1994, 22 f.; Federhofer 2007, 124 f. 1 1 Vgl. Cuomo di Caprio 1979, 75 f. Typ IIc Abb. 5, 2; McWhirr 1979, 99; Le Ny 1988, 41 Typ II f Abb. 22 b; Trimpert 2003, 140, 238 f.; Federhofer 2007, 122 f. 144 f. (Kat. Nr. 1). 148 f. (Kat. Nr. 4). 172–174 (Kat. Nr. 20). 176 f. (Kat. Nr. 22).
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12 Federhofer 2007, 176 f. (Kat. Nr. 22) Taf. 18. 13 Federhofer 2007, 180–183 (Kat. Nr. 25) Taf. 22. 14 Federhofer 2007, 126; vgl. Trimpert 2003, 143. 152. 1 5 Risy 1994, 22 f.; Federhofer 2007, 124 f. 16 Berger 1969, 17–19 Variante 2; McWhirr 1979, 98 f. Typ 2; Trimpert 2003, 141; Federhofer 2007, 177 f. (Kat. Nr. 23) Taf. 19.
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Überdachung von Ofen 1 und 2 Eine Überdachung der beiden Anlagen war sicher nötig, da starker Regen den Brennvorgang erheblich beeinträchtigen konnte. Zudem ist der anstehende Boden praktisch wasserundurchlässig. Somit würden Arbeitsgrube, Schürkanal und Heizraum bei Regen in kurzer Zeit überschwemmt werden. Es könnte sich um eine mobile/temporäre oder stationäre Einrichtung gehandelt haben17. Bei der 2001 durchgeführten geophysikalischen Prospektion wurden im Nordbereich von Gebäude E Strukturen festgestellt, die auf einen hölzernen Anbau hinweisen (Abb. 1). Dieser Befund konnte allerdings bei den Grabungen nicht bestätigt werden. Nur ein Nord-Süd verlaufender Graben, der in die Arbeitsgrube von Ofen 1 läuft, ist möglicherweise derart zu interpretieren. Die gleichzeitige Verfüllung des Grabens und der Arbeitsgrube deutet zumindest auf denselben Nutzungszeitraum hin. Da sich, wie oben erwähnt, auch die Verfüllung der Arbeitsgrube von Ofen 2 nicht vom umgebenden Erdmaterial abhob, ist nicht auszuschließen, dass die durch die Geophysik angezeigten Strukturen tatsächlich die Überreste einer Überdachung der beiden Öfen anzeigen18.
Die Funktion von Gebäude E Von Gebäude E war lediglich der Fundament- und Unterbodenbereich erhalten. Da aussagekräftige Funde fehlen, ist die Funktion des Baus schwer zu bestimmen. Die Nähe zu Ofen 1 ist jedenfalls aufgrund der Feuergefahr überraschend19. Eine Gleichzeitigkeit war zwar nicht eindeutig zu belegen, liegt aber aufgrund der Nähe und Ausrichtung des Ofens und des Grabens nahe, der Teil einer Überdachung gewesen sein könnte (siehe oben). Eine vergleichbare Situation wurde in Pizzica, Metapont, festgestellt. Dort wurden ein Ziegel- sowie ein kleiner Töpferofen gefunden. Der Ziegelbrennofen war dabei unmittelbar an ein Gebäude angeschlossen, bei dem es sich um eine Lager- oder Werkhalle für die Ziegelherstellung handeln dürfte20. Diese Funktion liegt auch bei Gebäude E nahe. Brenngut und Brennmaterial konnten dadurch vor der Witterung geschützt gelagert werden.
Der 2012 vollständig freigelegte Ofen (Abb. 3) Der Brennofen befand sich in einer Entfernung von ca. 28 m zu Ofen 2. Er wurde von einer der Innenfundamentmauern des Gebäudes F geschnitten. Die Anlage war Ost-West mit der Arbeitsgrube im Westen ausgerichtet. Es handelte sich wie bei Ofen 1 um einen rechteckigen Ziegelbrennofen mit Schürkanal, sowie einem Heizraum mit Mittelkanal und Zungenmauern. Der Heizraum wies Innenmaße von 2,262,25 m auf. Die Außenwand war aus luftgetrockneten Lehmziegeln sowie vereinzelt gebrannten Ziegeln (vor allem an der Schürkanalöffnung) aufgebaut. Als Stützkonstruktion dienten je vier axial gelegene seitliche Zungenmauern (ca. 70635 cm), von denen je drei zumindest in Teilen erhalten waren. Sie waren größtenteils aus tegulae-Lagen in Lehmbindung aufgebaut. Die tegulae wiesen dabei einheitliche Maße von ca. 44633 cm auf. Zusätzlich wurden luftgetrocknete Ziegel verwendet. Auch ein later wurde verbaut. In der Verfüllung des Heizraums fanden sich zudem einige Fragmente von imbrices und tubuli. Ein tubulus wies dabei Lehmverstrich auf. Dies legt nahe, dass auch diese Ziegel, wenn auch in geringerer Anzahl, Teile der Ofenkonstruktion waren. Die Arbeitsgrube (maximale Breite 1,85 m, durchschnittliche Breite 1,75 m) und der an der Öffnung 0,75 m breite Schürkanal waren in den anstehenden Boden eingetieft. Arbeitsgrube und Schürkanal wiesen eine Länge von ca. 3,1 m auf, Sohle und Wände des Schürkanals waren 17 Vgl. Trimpert 2003, 154; Federhofer 2007, 34 f. 18 Vgl. Kastler u. a. 2012.
19 Vgl. Stadter 2003, 269. 20 Carter 1979, 54–62; Carter 1983, 415–447.
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Die römischen Ziegelbrennöfen von Neumarkt-Pfongau I, Salzburg
durch die Hitzeeinwirkung rot verziegelt, teilweise verklinkert. Die Verziegelung reichte auch in die Arbeitsgrube hinein. Im Zentrum der Arbeitsgrube befand sich eine kleine, runde Grube (Dm. ca. 44 cm, Tiefe 23 cm), die mit ziemlicher Sicherheit Teil der Ofenkonstruktion war. Zumindest wurde sie vor der Verfüllung der Brennanlage ausgehoben. Die Funktion ist unklar. Vielleicht handelte es sich um einen Abfluss oder einen Teil einer anzunehmenden Überdachung, von der allerdings keine weiteren Spuren festgestellt werden konnten. Im ersten Fall konnte der Abfluss jedoch nur bei geringen Wassermengen funktional gewesen sein. Falls es sich um eine Pfostengrube handelte, würde die Konstruktion andererseits beim Heizen hinderlich sein.
Eigenbedarf oder Vertrieb ? Mit Innenflächen von zwischen 3,4 m² und 4,95 m² handelte es sich bei den Öfen um eher kleine Anlagen. Sie entsprachen aber den bislang bekannten Ziegelbrennöfen auf römischen Gutshöfen in Noricum und Raetien, die 10 m² nicht überschritten 21. Die einzige deutlich größere Ausnahme stellte der nur zum Teil ergrabene Brennofen von Wals-Loig dar22. Aufgrund fehlender Stempelung war nicht nachzuweisen, ob in Neumarkt-Pfongau I über den Eigenbedarf hinaus produziert wurde bzw. wie groß der Vertriebsradius war. Drei Brennöfen legen aber nahe, dass zumindest auch benachbarte Gutshöfe/Siedlungen versorgt wurden. Eine zeitliche Einordnung der Ziegelbrennöfen ist schwierig23, da datierende Funde fehlen. Somit kann nicht mit Sicherheit festgestellt werden, ob zwei/drei Öfen gleichzeitig in Betrieb waren. Wenn dies der Fall war, konnte einer der Öfen bestückt werden, während der andere auskühlte. Somit wäre eine mehr oder weniger kontinuierliche Produktion gewährleistet, was wiederum auf einen kommerziellen Betrieb verweisen würde24. Zudem könnte Gebäude E als Werkhalle für die Ziegelherstellung eine ganzjährige Produktion gewährleistet haben, während ohne entsprechenden Schutz vor der Witterung die Herstellung der Ziegel auf den Zeitraum April/Mai bis September/Oktober beschränkt gewesen sein dürfte25. Im Nahbereich des Hofareals befand sich ein Lehmlager, das bis in das 20. Jahrhundert genutzt wurde. Dies stellte einen wesentlichen Faktor für eine mögliche gewerbliche Nutzung dar, da große Rohstoffmengen benötigt wurden26. Zudem war durch die nahe gelegene römische Reichsstraße von Iuvavum, Salzburg nach Ovilavis, Wels ein rascher Vertrieb der Ziegel möglich. Der Verbreitungsradius über Land könnte ca. 5–10 km betragen haben27. Weitere Ziegelbrennöfen sind im nördlichen Salzburger Flachgau bislang nicht belegt28.
Zusammenfassung Bei den Grabungen im Wirtschaftsbereich des römischen Gutshofes von Neumarkt-Pfongau I wurden drei Ziegelbrennöfen festgestellt. Sie wiesen annähernd gleiche Heizraumgrößen auf, waren aber in ihrer Bauweise unterschiedlich. Ofen 1 wurde aus luftgetrockneten Lehmziegeln errichtet. Dies war auch das vorherrschende Baumaterial der Heizraumwandung des 2012 ergrabenen dritten Ofens, wobei zusätzlich auch gebrannte Ziegel verwendet wurden. Die Zungenmauern dieses Brennofens wurden hingegen in erster Linie aus tegulae in Lehmbindung aufge2 1 Federhofer 2007, 89 Tab. 6. 22 Federhofer 2007, 189 f. 23 Vgl. Trimpert 2003, 124. 24 Vgl. Peacock 1979, 8 f. 25 Vgl. Peacock 1979, 6; Darvill – McWhirr 1982, 138–143; Trimpert 2003, 154; Federhofer 2007, 57. 93 Anm. 476. 141. 26 Aubert 1994, 217; Federhofer 2007, 84. 141;
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Brandl 2003, 373 f. 27 Peacock 1979, 7; Peacock 1982, 10; Darvill – McWhirr 1984, 255 f.; Brodribb 1987, 139; Branigan 1988, 48; Brandl 2003, 372–376; Trimpert 2003, 133; Rothenhöfer 2005, 158; Graham 2006, 73–76; Federhofer 2007, 89–91. 141. 28 Vgl. Risy 1994, 176; Federhofer 2007, 138.
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baut. Der zweite Ziegelbrennofen wies eine Wandung aus Lesesteinen und Unterzüge aus gebrannten Ziegeln, jeweils in Lehmbindung, auf. Gebäude E, das unmittelbar an Ofen 1 anschloss, könnte als Werk-/Lagerhalle der Ziegelproduktion gedient haben. Hinweise auf eine anzunehmende Überdachung der Brennöfen ließen sich bei den Grabungen nicht eindeutig feststellen. Bei einer geophysikalischen Untersuchung wurden jedoch Strukturen erkannt, die wohl derartig zu interpretieren sind. In Gallien war eine bevorzugte Ausrichtung der Öfen entgegen der vorherrschenden Windrichtung festzustellen29. Diese Regelmäßigkeit konnte in Noricum und Raetien nicht beobachtet werden30. Dem entspricht auch die Ausrichtung der drei Öfen in Neumarkt-Pfongau I, die jeweils unterschiedliche Orientierungen aufwiesen. Die Anzahl der Öfen legt nahe, dass über den Eigenbedarf hinaus produziert wurde. Weitere Brennöfen sind in der Umgebung bislang nicht bekannt. Eine ergiebige Lehmlagerstätte befand sich im Nahbereich des Gutshofes. Zudem war durch die nahe Reichstraße von Iuvavum/ Salzburg nach Ovilavis/Wels eine günstige Verkehrsanbindung gegeben. Der tatsächliche Vertriebsradius ist dabei aufgrund fehlender Stempelung der Ziegel schwer zu bestimmen. Er könnte bis zu 10 km betragen haben. Abbildungsnachweis Abb. 1–3: © Landesarchäologie / Salzburg Museum Bibliographie Aubert 1994
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30 Federhofer 2007, 124 Anm. 669.
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Die römischen Ziegelbrennöfen von Neumarkt-Pfongau I, Salzburg Feldinger 1988 Feldinger 1989 Graham 2006 Henning 1977 Kastler u. a. 2012
Lang u. a. 2010
Lang u. a. 2012
Le Ny 1988
McWhirr 1979
Peacock 1979
Peacock 1982 Risy 1994 Rothenhöfer 2005
Stadter 2003
Trimpert 2003
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Felix Lang – Raimund Kastler – Thomas Wilfing – Wolfgang Wohlmayr
Abb. 1: Ziegelbrennöfen sowie Gebäude E und F des römischen Gutshofes von Neumarkt-Pfongau I
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Die römischen Ziegelbrennöfen von Neumarkt-Pfongau I, Salzburg
Abb. 2: Ofen 1 und 2, 3D-Scan Geometer Fally
Abb. 3: Der 2012 vollständig freigelegte Ofen, 3D-Scan Geometer Fally
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Römische Tempelanlagen in griechischen Städten Claudia Lang-Auinger Die archäologischen Studien haben sich bisher überwiegend dem Tempel selbst gewidmet als seinem umgebenden Temenos 1. Die Tempel wurden ausgegraben und meist gründlich erforscht, die heiligen Bezirke und ihre Einfriedungen blieben zumeist unbekannt oder wurden nur partiell freigelegt; das reicht erfahrungsgemäß aus, um den gesamten Verlauf der Einfriedung der Tempelanlage zu rekonstruieren. Die kaiserzeitlichen Tempelanlagen sind jedoch soweit bekannt, um anhand der archäologischen Evidenzen verschiedene Typen zu erkennen. Allein in der Größe unterscheiden sich die Temene sehr, sowohl absolut als auch in Relation zu dem Tempel, den sie umgeben. Im städtischen Zentrum sind die Ausmaße der gesamten Tempelanlage eher klein, je näher sie dem Stadtrand liegen umso größer. Eindrucksvolle Beispiele dafür sind die hadrianischen Tempelanlagen in Sagalassos (90660 m)2, das Serapeion in Pergamon (2666100 m)3 und das Olympieion in Ephesos (ca. 3506225 m)4, um sie aufsteigend nach ihrer Größe aufzuzählen. Es liegt hier nicht ein besonderes Phänomen vor, sondern eine Folge städtebaulicher Entwicklung. Zuerst aber gehen wir der Frage nach, wie ein Temenos zu definieren ist: Es ist ein dem Gott geweihter, aus dem allgemeinen Verkehr herausgeschnittener Platz; eine Definition, die sich auch mit dem klassisch griechischen Typus deckt. Engen wir den Begriff ein, wodurch ist ein kaiserzeitliches Temenos definiert ? Folgende Kriterien lassen sich nennen: – Der aus dem städtischen Verkehrsnetz herausgeschnittene Platz ist rechteckig (Ausnahmen bestätigen die Regel !) – Der Platz ist von Portikushallen eingefriedet – Der Tempel kann darin frei stehen oder Teil der Einfriedung sein – Kennzeichnend ist ein Achsbezug von Tempel und Einfriedung – Die Hallen öffnen sich ausschließlich nach innen – sie schließen den Platz von der profanen Außenwelt ab Festgeschrieben sind diese Charakteristika einer kaiserzeitlichen Tempelanlage nicht. Tempel, Begrenzungshallen, Eingänge und Altar stehen daher in keinem festen Bezug zueinander. Maßgeblich dafür waren wohl der Bauherr bzw. Stifter und dessen Architekt5, der den Entwurf letztlich den Gegebenheiten des Baugrundes unterordnen musste. Der verfügbare Bauplatz stellte den Architekten oft vor eine Herausforderung, geniale technische und gestalterische Innovationen zu entwickeln. Der wesentlichste Unterschied zu den hellenistischen Tempelanlagen ist die axiale Ausrichtung von Tempel und Einfriedung, sowie deren durchgehende Geschlossenheit. Die kaiserzeitlichen Tempelanlagen, die axialsymmetrisch angelegt sind, lassen den Haupteingang auf ebendieser Achse erwarten. Die Zusammenstellung des Materials kaiserzeitlicher Tempelanlagen in griechischen Städten beschränkt sich für dieses erst begonnene Forschungsprojekt auf die westliche Türkei. Hier zeigt sich, dass nicht alle Heiligtümer über Zugänge, die in der Symmetrieachse liegen, zu erreichen sind. Dieser Umstand lenkte daher zuerst einmal meine Aufmerksamkeit dem Eingang zu. Anzahl, Lage sowie das Aussehen sind nicht immer bekannt und in den Plänen daher nicht ablesbar. 1 Siehe zu dem Begriff Temenos: Hänlein-Schäfer 1985, 9 f. 2 In Sagalssos jedoch muss dieses Ausmaß durchschnittlicher Größe im Verhältnis zur übrigen städtischen
Verbauung gesehen werden; Talloen – Waelkens 2004. 3 Hoffmann 2005. 4 Karwiese 2004. 5 Hänlein-Schäfer 1985, 89–97.
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Römische Tempelanlagen in griechischen Städten
Selbst bei gut erhaltenen und erforschten Ruinen ist der Haupteingang nicht mit Sicherheit zu definieren, wie im Folgenden darzulegen sein wird. Das Bauareal für erst in der Kaiserzeit errichtete Tempelanlagen konnte ein tradierter oder ein neu geschaffener Platz sein, auch innerhalb der städtischen Verbauung; jedenfalls musste er bestimmten Ansprüchen gerecht werden. Die städtebauliche Gegebenheit war dabei ein wesentlicher Faktor. Es lassen sich die Tempelanlagen, in solche die einen Eingang in einem Achsbezug zum Tempel haben und solche die keinen achsbezogenen haben, unterscheiden. Bei kaiserzeitlichen Repräsentationsbauten doch ein bemerkenswerter Umstand, denn der Zugang in der Mittelachse bietet dem Eintretenden sofort den optimalen Überblick über Altar und Tempel – also den gesamten heiligen Festplatz. Durch den Zutritt von der Seite erschließt sich dem Besucher erst nach und nach das gesamte Heiligtum und die Front des Tempels. Als prominentester Vertreter mit Seiteneingang ist das Trajaneum in Pergamon zu nennen (Abb. 1). Das Trajaneum gibt nach seiner Teilanastylose und Teilrekonstruktion ein eindrucksvolles Beispiel ab6. Das Temenos steht auf einer eigens dafür errichteten Terrasse, die an drei Seiten von Säulenhallen eingefasst ist. Die vierte Seite, die Südwestflanke der Terrasse blieb offen und wurde von einer Schildmauer abgeschlossen und öffnete sich mit dieser Seite zur Stadt hin. Ein Eingang in der Tempelachse war daher nicht möglich. Nach der inneren Platzgestaltung wurde jedoch ein axialsymmetrisches Konzept realisiert, in dem der Eingang eine untergeordnete Rolle gespielt hat. Nach jüngsten Forschungsergebnissen wurde vermutlich über die Osthalle durch den sog. Ostkopfbau das Temenos betreten. In dieser Eingangsachse steht der Altar, dessen Bedeutung damit hervorgehoben wird. Wenn die Leseart der deutschen Forscher richtig ist, diente der Ostkopfbau als Propylon. Mit einer besonderen Ausgestaltung des Eingangs ist nach der Fundevidenz nicht zu rechnen. Etwa vergleichbar ist die Eingangssituation mit der des Domitianstempels in Ephesos (Abb. 2)7, der ebenfalls auf einer Terrasse steht: der Treppenaufgang von Norden, der wie ein Korridor durch die Nordhalle schneidet, liegt ebenso in der Achse des Altares wie der des Trajaneums. Die Zugänge zu diesen beiden Kaisertempeln waren in der Tempelachse nicht möglich, die Ausrichtung durch die Seitenlage war daher allein auf den Altar beschränkt. Einen ganz anderen Typus repräsentiert Stratonikeia (Abb. 3)8. Am Hang der Akropolis über dem bereits in hellenistischer Zeit angelegten Theater wurde eine Tempelanlage errichtet, die nach der Bauornamentik in augusteische Zeit datiert wird. Den Gegebenheiten des Geländes folgend bildet die dreiseitige Einfriedung ein Trapez, das mit dieser Form zu den eingangs erwähnten Ausnahmen zu zählen ist. Die vierte Seite wird vom Theater begrenzt und gibt somit den Blick auf den Tempel frei bzw. ist die Tempelterrasse zur Stadt hin geöffnet, eine mit dem Trajaneum in Pergamon vergleichbare Terrassenlage. Durch diese Situation ist ein axialsymmetrischer Eingang ebenfalls ausgeschlossen. Wie erfolgte der Zugang – über die Erschließungsgänge des Theaters oder seitliche Rampen ? Die cavea des Theaters diente sicherlich nicht als Monumentaltreppe zum Tempelhof wie das bei der frühkaiserzeitlichen Tempelanlage in Pessinus (Abb. 6) der Fall ist, wo sich schon die Form der cavea deutlich unterscheidet: die in Pessinus verläuft in der Mitte entsprechend einer Treppenanlage gerade und nur die seitlichen Flügel sind geschwungenen. Die Sitzreihen in der Mitte wurden für den bequemen Aufstieg in ihrer Tiefe halbiert. Der Stufenbau wird als kleines Kulttheater gedeutet9, das gleichzeitig als Treppe benützt wurde, die hier für einen axialsymmetrischen Eingang auf den Tempel genützt wurde und daher mit der Situation in Stratonikeia nicht vergleichbar ist. Nach den vorangegangenen Beispielen folgen nun jene Tempelanlagen, die als Regelfall zu betrachten sind, jene also mit axial angelegten Eingängen, die an den unterschiedlich gut erhaltenen Temene wie dem sogenannten Serapeion in Ephesos10, der Tempel in Aizanoi11, Pessinus12 6 7 8 9
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Nohlen 2011. Keil 1932; Scherrer 1997. Mert 2002. Großmann 2004, 169–173.
10 Scherrer 2005. 1 1 Naumann 1979; Jes u. a. 2010. 12 Devreker u. a. 2010.
Claudia Lang-Auinger
oder Antiochia13 in Pisidien abzulesen sind. Der apsidenförmige Ostabschluss des Temenos in Antiochia ist wiederum zu den eingangs erwähnten Ausnahmen zu zählen. Diese vier Tempel haben eine architektonische Ausgestaltung gemeinsam: ihre Toranlagen führen in der Tempelachse über einen Stufenbau in das Temenos. Die Bedeutung der Tempelanlage wird dadurch einmal mehr hervorgehoben und mit dem Emporsteigen über einen Stufenbau eine feierliche Note verliehen. Eine derartige Eingangsgestaltung, die in den Tempelhof führt, lässt sich nicht entlang eines belebten Verkehrswegs, einer Durchzugsstraße einrichten. Eine derartige architektonische Inszenierung benötigte ausreichend Platz, um die Wirkung zum Tragen zu bringen. Dem Hofplatz um den Tempel, dem heiligen Bezirk, ist wie die Beispiele zeigen, ein weiterer eingefriedeter Platz vorgelegt. Für den Tempel in Aizanoi hat schon D. Krencker 1933 (Abb. 4) und für das sogenannte Serapeion in Ephesos haben W. Wilberg und M. Theuer in den 1940 er und 1950 er Jahren (Abb. 5) nach vorhandenen Grabungsbefunden Rekonstruktionsskizzen angefertigt, die einen zweiten von Säulen gerahmten Platz, der vor dem Temenos liegt, zeigen. Beim Serapeion liegt der Haupteingang an einem von Portiken begleiteten, 14 m breiten Boulevard, der an seinen beiden Enden von Torbauten – dem Medusentor und dem Agora Westtor – begrenzt ist. Die sog. Weststraße ist ein Verkehrsraum, der durch seine Portikushallen an beiden Seiten aus dem üblichen Verkehrsgeschehen herausgenommen war. Das 3D-Modell von Pessinus konnte von Jürgen Süß14 im Rahmen einer Lehrveranstaltung der Universität Heidelberg anhand der geringen archäologischen Überreste modelliert werden und so eine eindrucksvolle Vorstellung vor Augen führen (Abb. 6). Bei der Tempelanlage von Antiochia ist der erste Hof bei der 3D Modellierung ausgelassen worden (Abb. 7 a und b Plan und 3D-Modell). Der Plan zeigt jedoch einen zweiten Hof, dessen Portiken genau in der Fortsetzung der Portiken des Temenos verlaufen. Die sowohl händisch als auch digital angefertigten Schaubilder sind im Detail vielleicht nicht richtig, geben jedoch eine Vorstellung von einer Staffelung von Höfen, die durch Treppen verbunden sind und so eine architektonische Steigerung bis zum Tempel hin bewirken. Eine Steigerung wörtlich genommen, da das Temenos auf einer höheren Terrasse liegt als der davor liegende Hof. Die auf Terrassen gestaffelten Plätze, die über Stufen verbunden sind, lassen eine Absicht vermuten, die über rein ästhetische und gestalterische Ansprüche hinausreicht. Welche Absicht ist es, die hinter diesem Konzept steckt ? Für Antiochia, das über der Stadt liegt, hat schön Jürgen Süß das Bestreben nach größtmöglicher Fernwirkung festgehalten15. Für die anderen Tempelanlagen ist über die Weihungen fürs erste keine Antwort zu finden, denn die Aufeinanderfolge von gesäumten Plätzen ist gleichermaßen sowohl bei den Tempeln, die den tradierten Göttern geweiht als auch jenen die für den Kaiserkult bestimmt waren, anzutreffen. Schon eher wird es mit den Festen in Verbindung zu bringen sein, die von den lokalen Behörden organisiert wurden. Aus dieser Sicht könnten auch ein programmatisches Ziel oder der Ausdruck von Ideologie ins Treffen geführt werden16. Diese architektonisch gerahmten Plätze, die zum Haupteingang in das Temenos führten dienten daher nicht allein einem gestalterischen Zweck, sondern erfüllten einen bestimmten sozialen Akt, der im Rahmen der Feste und auch darüber hinaus stattgefunden hat. Nach meinem aktuellen Stand ist es als Sammelplatz für die Menschen zu definieren, die dem Heiligtum zuströmten. Der Vorhof bot Raum für ein erstes Innehalten bevor zum geweihten Platz emporgestiegen wurde. Die kleine Gegenüberstellung zeigt Tempelanlagen mit architektonisch ausgestalteten Eingängen, die axial auf den Tempel ausgerichtet und so Teil eines Gesamtkonzeptes sind, in das eine weitere, der Frontseite des Temenos vorgelagerte und von Säulen eingefasste Platzanlage ein13 Mitchell – Waelkens 1998. 14 .
1 5 Süß 2003, 259 f. 16 Price 1984, 133.
231
Römische Tempelanlagen in griechischen Städten
bezogen wurde. Andere Beispiele weisen dem Eingang einen weniger prominenten Platz zu. Was liegt dem einen und dem anderen Konzept zugrunde ? Die innerstädtische Lage des Grundstückes ist dafür ein entscheidender Faktor. Der prominente, innerstädtische Tempelplatz verfügt jedoch nicht über alle Voraussetzungen, die einer architektonischen Inszenierung bedarf. Die weithin gute Sichtbarkeit übertraf offensichtlich die Bedeutung eines architektonisch hervorgehobenen Zugangs, wie das Trajaneum in Pergamon (Abb. 1), der Domitianstempel in Ephesos (Abb. 2) und der Tempel in Stratonikeia (Abb. 3) eindrucksvoll zeigen17. Eine Ausnahme bildet der Zeustempel in Aizanoi, wo ein ausreichend großes Areal verfügbar gemacht werden konnte 18. Die Zusammenstellung von Eran Lupu, Greek sacred law19, beginnt im ersten Teil des Bandes mit einem weiteren Aspekt zur Eingangssituation von Tempelanlagen: Ein große Anzahl von Bestimmungen nennt nämlich die Zugangsbedingungen in das Heiligtum. Aus verschiedenen städtischen Vorschriften erfahren wir über Einschränkungen, die den Zugang geregelt haben. Die Inschriftensammlung reicht von der klassischen Zeit bis in die römische Kaiserzeit. Trotz des weit gespannten zeitlichen Rahmens ist nicht mit wesentlichen Veränderungen der Reglements zu rechnen. Die überlieferten Inschriften nennen Modalitäten, die im Zusammenhang für die Teilnahme und Durchführung von Feiern und den damit verbundenen Umzügen stehen. Die Bestimmungen sind vielfältig und nicht überall gleich. Da sind zu nennen: – die Reinheit, die rituelle und die kathartische – Kleidungsvorschriften – welche Gegenstände (z. B. Waffen) nicht mitgebracht werden dürfen – Verbot für bestimmte Personen: Verräter, Fremde, Frauen, außer in bestimmten Funktionen, nicht Initiierte – Entsorgung von Abfällen – Schutz der geweihten Gerätschaften – Schlafen und campieren – Verbot von offenem Feuer – Schlägern von Holz – Hineinführen von Tieren Die letzten vier lassen eher an Temene im Sinn von extraurbanen heiligen Hainen denken als an interurbane Tempelanlagen. Beispiele belegen, dass durchaus auch mit parkähnlichen Ausgestaltungen von Temene gerechnet werden kann20. Des Weiteren ist auch mit solchen Bestimmungen zu rechnen, die als Allgemeingut im Bewusstsein waren und nicht einer extra Erwähnung bedurften. Die genannten Verbote sind besonders bei den Festen und den damit verbundenen Umzügen wirksam geworden. Der mir am wichtigsten scheinende Grund, weshalb freier Zugang in die Tempelbezirke nicht gestattet war und vermutlich aber Allgemeinwissen war, ist die Verwahrung von Tempelgütern – und Privatvermögen. Die Nutzung der einfriedenden Stoen ist auch im Sinne von Schatzhäusern zu verstehen. Die Säulenhallen boten auch die Möglichkeit, die kostbaren Opfergaben zur Schau zu stellen.
17 Eine vergleichbare Struktur haben die hellenistischen Terrassenheiligtümer mit ihren in Etagen gestaffelten Plätzen. Sie waren wohl wegweisend für die durch wenige Stufen gegliederten Anlagen, gewiss aber für jene auf Fernsicht konzipierten Heiligtümer, für die entsprechende Plätze ausgewählt und mittels kühnen Substruktionsanlagen Bauf lächen geschaffen wurden. Vgl. dazu
232
Süß 2003, 259 f. 18 Für die Errichtung des Tempels wurde ein innerstädtischer Siedlungshügel teilweise planiert: Rheidt 2010, 18. 19 Lupu 2005, 3–112. 20 Eingartner 2005, 75 f. Abb. 15.
Claudia Lang-Auinger
Nach dieser Aufzählung von Vorschriften und Verboten sowie der möglichen Ansammlung von Gütern sind die Zugänge auch unter diesen Gesichtspunkten zu sehen21. Daher stellt sich die Frage, ob die prunkvollen Propyläen und die weniger prunkvollen Seiteneingänge auch immer nach Belieben durchschritten werden konnten. Wie wurden diese Verbote sichtbar gemacht und wie wurden sie überwacht ? Aus der Überlieferung textgleicher Inschriften auf verschiedenen Stelen können wir schließen, dass sie an mehreren Stellen für die Eintretenden gut sichtbar bekannt gemacht wurden. Dafür sind mehrere Möglichkeiten überliefert22. Eine Anbringung an der Hallenwand oder einer Stele vor dem Heiligtum ist nach einem Gesetz über die Organisation der Kaisareia und Eurykleia aus dem Jahre 15 n. Chr. in Lakonien naheliegend, wo es in den Zeilen 40–41 heißt: Wenn sie die (die ephoroi) diese Gesetz aber nicht einmeißeln lassen oder die Stele nicht vor dem Tempel aufstellen oder keine Abschrift anfertigen lassen […]23. Und weiter ist in einem Dekret des Koinons der Tymnier aus dem 2.–1. Jh. v. Chr. zu lesen: […] soll der amtierende hierothytas dieses psephisma in der Halle an der gegenüberliegenden Mauer aufschreiben24. Also auf Stelen in mehrfacher Ausführung aufgestellt und auf Hallenwänden wurde das Regelwerk verlautbart. Die Bestimmungen hatten wohl auch für Besucher außerhalb der Festzeit ihre Gültigkeit. Für deren Einhaltung hatten unter anderem der Tempelwächter oder Tempelpfleger zu sorgen25. Daneben gab es noch weitere Maßnahmen nämlich gegen eine Überflutung von unerwünschten Weihungen im Heiligtum, aber auch solche zu deren Wiederverwendung. Daraus ist eine weitere Sorgfalt und Ordnung abzulesen, die das optische Erscheinungsbild des Temenos betrifft. Der zweite Hof, eigentlich erste, da er zuerst betreten wird, stand vermutlich verschiedenen Funktionen zur Verfügung als die eines bloßen Sammelplatzes zu erfüllen. Es war wohl der Platz, der für die profanen Dinge reserviert war und dadurch vom Temenos abgeschieden war. Jene die per Gesetzt zu den Feiern, die innerhalb des Temenos stattfanden, nicht zugelassen waren, könnten in diesem Hof verblieben sein 26. Für das kaiserzeitliche Temenos finden sich in der oben angeführten Verbotsliste Angaben zu jenen Personen, die bei den Festen aus aktuellen Gründen nicht zugelassen waren. Der Eingang in das Temenos, den geweihten Platz um den Tempel, hat mich in dieses Forschungsvorhaben geführt und den Blick auf die komplexe Fragestellung, die sich daran knüpft, gerichtet.
2 1 Kaja Harter-Uibopuu danke ich an dieser Stelle sehr herzlich für die Einsichtnahme in das Manuskript ihrer Habilitationsschrift „Verbote und Strafen – Studien zur Rechtspflege in den griechischen poleis unter römischer Herrschaft“ und der Möglichkeit unzähliger Nachfragen zu diesem Thema. 22 Lupu 2005, 14, bes. Anm. 55; Hänlein-Schäfer 1985, 9 f. 23 SEG 11,923. 24 Tymnos I. Rhodos. Per 201; SEG 16,633. 25 Nach Harter-Uibopuu erfolgte die Kontrolle bei den Festen auch durch städtische Amtsträger oder durch die Möglichkeit der Bevölkerung Missstände zur Anzeige
zu bringen. 26 Vielleicht liegt hier eine vergleichbare Funktion wie beim christlichen Atrium vor, wo z. B. Taufwerber oder jene im Stande schwerster Buße während der Eucharistiefeier im Kirchenraum nicht anwesend sein durften; sie sind „draußen“ im Atrium, dem Portikushof, der der Kirche angeschlossen war, geblieben. In diesem Fall ist der Kirchenraum mit dem Temenos vergleichbar, in dem das Opfer und der Kult stattgefunden haben. Vgl. dazu Schneider 1950 und Delvoye 1966. Nicht jede frühchristliche Kirche verfügte über ein Atrium sowie auch nicht jede Tempelanlage über einen vorgelagerten Hof.
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Römische Tempelanlagen in griechischen Städten Abbildungsnachweis Abb. 1: K. Nohlen, Städtebau als Ausdruck der Macht, in: Macht der Architektur der Macht, DiskAB 8 (Zabern 2004) Abb. 7 Abb. 2: M. Steskal, Das Prytaneion, FiE IX/4 (2010) Taf. 2 (Ausschnitt) Abb. 3: I. H. Mert, Der Theaterkomplex von Stratonikeia, in: Patris und Imperium: kulturelle und politische Identität in den Städten der römischen Provinzen Kleinasiens in der frühen Kaiserzeit. Kolloquium Köln, November 1998, BaBesch Suppl. 8 (Leuven 2002) Abb. 14 Abb. 4: R. Naumann, Der Zeustempel zu Aizanoi, DAA 12 (Berlin 1979) Taf. 3 Abb. 5: P. Scherrer, Das sogenannte Serapeion in Ephesos: ein Museion ?, in: A. Hoffmann (Hrsg.), Ägyptische Kulte und ihre Heiligtümer im Osten des Römischen Reiches, Byzas 1 (Istanbul 2005) Abb. 7 Abb. 6: 3D Modell J. Süß Abb. 7 a: M. Ortac, Zur Veränderung der kleinasiatischen Propyla in der frühen Kaiserzeit in Bauform und Bedeutung, in: Patris und Imperium: kulturelle und politische Identität in den Städten der römischen Provinzen Kleinasiens in der frühen Kaiserzeit. Kolloquium Köln, November 1998, BaBesch Suppl. 8 (Leuven 2002) Abb. 3 Abb. 7 b: 3D Modell J. Süß Bibliographie Devreker 2010
J. Devreker u. a., Archaeological excavations in Pessinus, Anatolia antiqua 18, 2010, 141–156 Delvoye 1966 C. Delvoye, RBK I s. v. Atrium (1966) 439 Eingartner 2005 J. Eingartner, Templa cum Porticibus, Ausstattung und Funktion italischer Tempelbezirke in Nordafrika und ihre Bedeutung für die römsiche Stadt der Kaiserzeit (Raheden/Westf. 2005) Großmann 2004 M. Großmann, Theatron und Kaiserkult (Dissertation Wien 2004) Hänlein-Schäfer 1985 H. Hänlein-Schäfer, Veneratio Augusti (Rom 1985) Hoffmann 2005 A. Hoffmann (Hrsg.), Ägyptische Kulte und ihre Heiligtümer im Osten des Römischen Reiches, Internationales Kolloquium 5./6. September 2003 in Bergama (Türkei), Byzas 1 (Istanbul 2005) 3–20 Jes u. a. 2010 K. Jes – R. Posamentir – M. Wörrle, Der Tempel des Zeus und seine Datierung, in: K. Rheidt, Aizanoi und Anatolien (Mainz 2010) 58–87 Karwiese 2004 S. Karwiese, The Church of Mary and the Temple of Hadrian Olympius, in: H. Koester (Hg.), Ephesos. Metropolis of Asia ²(Harvard 2004) 311–319 Keil 1932 J. Keil, XVI. Vorläufiger Bericht über die Ausgrabungen in Ephesos, ÖJh 27, 1932, Beibl. 5–72 Lupu 2005 E. Lupu, Greek Sacred Law. A collection of New Documents (Brill 2005) Mert 2002 I. H. Mert, Der Theater-Tempelkomplex von Stratonikeia, in: C. Berns (Hrsg.), Patris und Imperium: kulturelle und politische Identität in den Städten der römischen Provinzen Kleinasiens in der frühen Kaiserzeit. Kolloquium Köln, November 1998 (Leuven 2002) 187–203 Mitchell – Waelkens 1998 S. Mitchell – M. Waelkens, Pisidian Antioch: The Site and its Monuments (London 1998) Naumann 1979 R. Naumann, Der Zeustempel zu Aizanoi, DAA 12 (Berlin 1979) Nohlen 2011 K. Nohlen, Ein Tempel für den Kaiserkult. Das Trajaneum von Pergamon, in: R. Grüßinger – V. Kästner – A. Scholl (Hrsg.), Pergamon. Panorama der antiken Metropole, Kat. Ausstellung Berlin 2011, 159–166 Price 1984 R. F. Price, Rituals and Power (Cambridge 1984) Rheidt 2010 K. Rheidt, Aizanoi und Anatolien (Mainz 2010) Scherrer 1997 P. Scherrer, Anmerkungen zum städtischen und provinzialen Kaiserkult: Paradigma Ephesos – Entwicklungslinien von Augustus bis Hadrian, in: H. Thür (Hrsg.), „… Und verschönerte die Stadt …“ – KAI KOΣMHΣANTA THN ΠOLIN. Ein ephesischer Priester des Kaiserkultes in seinem Umfeld, SoSchrÖAI 27 (Wien 1997) 93–112 Scherrer 2005 P. Scherrer, Das sogenannte Serapeion in Ephesos: ein Museion ?, in: A. Hoffmann (Hrsg.), Ägyptische Kulte und ihre Heiligtümer im Osten des Römischen Reiches, Byzas 1 (Istanbul 2005) 109–138
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Claudia Lang-Auinger Schneider 1950 Süß 2003
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Abb. 1: Pergamon, Trajaneum
Abb. 2: Ephesos, Tempelanlage Domitians
Abb. 3: Stratonikeia, Tempelanlage
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Römische Tempelanlagen in griechischen Städten
Abb. 4: Aizanoi, Tempelanlage
Abb. 6: Pessinus, Tempelanlage
Abb. 5: Ephesos, sog. Serapeion
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Abb. 7 b: Antiochia, Tempelanlage
Claudia Lang-Auinger
Abb. 7 a: Antiochia, Tempelanlage
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Dem Ignis Languidus auf der Spur Kann man von einem römischen Dichter Heiztechnik lernen ?1 Hannes Lehar „[…], ubi languidus ignis inerrat aedibus et tenuem volvunt hypocausta vaporem“ 2 (wo ein schleichendes Feuer in das Gebäude hineinirrt und die Hypokausten sanften Rauch weiterwälzen).
Diese Stelle, in der Statius bei der Schilderung des Bads des Claudius Etruscus in einem Nebensatz nach ausführlicher Beschreibung der prächtigen Ausstattung auch die Hypokaustheizung erwähnt, taucht in neuzeitlichen Abhandlungen über Hypokaustheizungen immer wieder auf. Sie bezieht sich offenbar einerseits auf das Feuer im Praefurnium, andererseits auf das Verhalten der Rauchgase (Heizgase) im Hypokaust selbst. Sehr groß sind gesicherte Kenntnisse über beide Bereiche nicht. In den Kapiteln „Der Heizbetrieb“ und „Die Wärmeverteilung“ meines Buches „Die römische Hypokaustheizung – Berechnungen und Überlegungen zu Aufbau, Leistung und Funktion“ wurde versucht, diese Sachgebiete umfassend und physikalisch begründet darzustellen. Trotzdem bleibt vor allem im Bereich der tatsächlichen Strömungen im Hypokaust vieles ungeklärt. Auf Grund von Funden von Ascheanhäufungen und Rußablagerungen in ausgegrabenen Hypokausten wissen wir, dass der Strömungsverlauf oft nicht optimal gewesen sein kann3. Zur Erinnerung eine vereinfachte Beschreibung der Funktionsweise einer Hypokaustheizung (Abb. 1): Im Präefurnium (1) brennt ein Feuer. Die entstehenden heißen Rauchgase (Heizgase) strömen durch das Hypokaust (3) und geben ihre Wärme an die Suspensura (7. 8. 9) ab, werden dadurch auf ihrem Weg zu den Abzügen (10) abgekühlt und gelangen schließlich durch die Abzüge (10) ins Freie. Die so von unten erwärmte Suspensura (7. 8. 9) gibt Wärme an den darüber liegenden Raum ab. Abb. 2 zeigt den Grundriss eines vollflächigen Standardhypokausts. Die Strömungen werden vor allem durch die Anordnung der Rauchgasabzüge aus dem Hypokaust beeinflusst. Außerdem spielen das Heizverhalten und die Höhe der Abzüge, die Zusammensetzung und die Temperatur der Rauchgase, die ja gleichzeitig der Wärmeträger in diesem Heizsystem sind, eine Rolle. Passen diese Faktoren nicht gut zusammen, kommt es im oberen Bereich der Abzüge zur Kondensation der Rauchgase und damit zu Versottungserscheinungen. Die dabei entstehenden – schwefelige Säuren enthaltenden – Flüssigkeiten verursachen schwere Schäden am Bauwerk und der Heizanlage. Mehr oder weniger ist das bei allen rekonstruierten Hypokaustheizungen der Fall und ein großes Problem (Abb. 3 u. 4). Im Zug der Recherchen zu meinem oben erwähnten Buch kam auch ein Kontakt mit der Versuchsanstalt für Maschinenwesen am TGM – Technologisches Gewerbemuseum (größte HTL Österreichs) – in Wien zustande. Dort wurde gerade an einem Berechnungsverfahren für Rauchgasströmungen in speziellen Schornsteinkonstruktionen gearbeitet. Es gelang, mit Dipl. Ing. Peter Herzog einen Spezialisten für Strömungstechnik für die archäologische Fragestellung zu
1 Lehar 2012, 319–325. 2 Stat. silv. 1, 5, 58 f. 3 Durm 1905, 362; Fusch 1910, 20–21. 30. 45–58.
61. 190; Neuburger 1977, 267; Schiebold 2005, 259; Schiebold 2006, 93.
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Dem Ignis Languidus auf der Spur
interessieren. So kam es Anfang 2011 zu einer Zusammenarbeit, deren erstes Resultat, nach drei Monaten Arbeit und mehreren Testläufen mit jeweils rund 17 Tagen reiner Rechenzeit des Computers, die „Überlegungen zur CFD-Simulation der Rauchgasströmung in Hypokausten“4 sind. Ziel war, zu prüfen, ob ein Verhalten, wie von Statius geschildert, möglich ist und, wenn ja, unter welchen Randbedingungen. Zusätzlich erhofften wir uns eine Klärung der Frage, ob dadurch die Wärmeverteilung auf dem beheizten Fußboden beeinflusst werden kann. Ebenso bestand dabei die Möglichkeit, einen Teil jener Maßnahmen zu überprüfen, die ich zur Vermeidung von Versottungen bereits erarbeitet hatte. Es wurde ein Versuchsraum mit drei Abzügen angenommen. Dies entspricht nicht der gängigen Praxis bei Hypokaustheizungen, aber dadurch ließen sich die Strömungsvorgänge vor allem auf dem Bildschirm optisch gut darstellen (Abb. 5). Ein kurzer Exkurs in den Strömungsablauf und die Wärmeverteilung auf dem beheizten Fußboden bei einer Hypokaustheizung: Im Prinzip nehmen Gase den Weg des geringsten Widerstands und das ist meistens der kürzeste, so auch die heißen Rauchgase in einer Hypokaustheizung, wie drei Beispiele zeigen sollen (Abb. 6, 7, 8): Auf Grund der Tatsache, dass der Boden aus Opus Caementitium die Wärme nicht nur nach oben durchlässt, sondern auch der Seite nach leitet, und auf Basis von Messungen der Bodentemperaturen in beheizten Anlagen, kann man folgende (schematische) Wärmeverteilung im Bereich des Fußbodens für diese drei Fälle annehmen (Abb. 9, 10, 11): Man kann erkennen5, – dass jeweils nur ein Teilbereich des Bodens erwärmt wird, – sich dieser Teilbereich entlang der direkten Strömungen zu den Abzügen befindet, – dass mehr Abzüge eine Verteilung auf eine größerer Bodenfläche bewirken, – dass die Bodentemperatur analog zur Rauchgastemperatur mit zunehmender Entfernung vom Praefurnium abnimmt. Da die Darstellung des Themas im Original der Versuchsanstalt6 sehr komplex ist und unter den an diesem Thema Interessierten kaum Strömungstheoretiker vertreten sein werden, sollen hier die Quintessenz der Untersuchung und ihre Bezüge zum Gesamtsystem zusammengefasst werden, so wie sie sich nach der ausführlichen Besprechung der Resultate mit Dipl. Ing. Herzog darstellen. Basis der Untersuchung war – wie oben angeführt – ein fiktiver, voll hypokaustierter Raum mit einem Praefurnium und drei Abzügen (Abb. 5 u. 12). Die Abb. 13 und 14 zeigen die statische Druckverteilung an den Grenzen des Gasstroms während des Durchgangs durch die Heizanlage. Der Druck der Verbrennungsluft beim Eintritt in das Praefurnium ist relativ hoch (rot). Er fällt beim Eintritt in das Hypokaust, bleibt aber in dessen Bereich weitgehend konstant (braun). In den Abzügen fällt er dann rasch ab und wird in deren oberem Bereich leicht negativ (dunkelblau) – dadurch entsteht der zur Funktion der Heizung notwendige Zug. Die Höhe der Abzüge beträgt lediglich 2 m, sonst wäre das geschilderte Verhalten der Rauchgase wegen eines zu hohen Zugs nicht möglich. Auffallend ist, dass das Strömungsbild unter diesen Umständen von jenen in den Abbildungen 6–8 abweicht. Dort wurde (schematisch) ein möglichst direkter, kürzestmöglicher Weg der Rauchgase vom Praefurnium zu den Abzügen angenommen. In den meisten Fällen wird das auch so gewesen sein. Wenn aber Rahmenbedingungen, wie in Anlehnung an Statius angenommen, der Simulation zu Grunde gelegt werden, kommt es 4 Herzog 2011b, 1–8. 5 Lehar 2012, 114–123.
240
6 Lehar 2012, 349–356.
Hannes Lehar
zu einem anderen Verhalten: die Gase weichen vom kürzesten Weg ab und breiten sich aus (Abb. 14). Warum das so ist, sei an einem Beispiel erklärt. Nehmen wir ein Pop-Festival: Die Zuschauer drängen sich vor der Bühne (Praefurnium). Dann ist die Veranstaltung zu Ende und alle suchen den kürzesten Weg zu den Ausgängen (Abzügen). Es sind viele Personen, und der Menschenstrom kommt ins Stocken. Ein Teil der Zuschauer beschließt nun, aus dem Zug auszuscheren und ihn seitlich zu überholen, weil es dort schneller geht. Der Menschenstrom breitet sich aus, erst bei den Ausgängen wird es wieder eng. Genau das machen auch die Rauchgase. Auf dem direkten Weg zu den Abzügen gibt es Stau, er ist zwar immer noch der kürzeste Weg, aber nicht mehr der mit dem geringsten Widerstand, die Rauchgase weichen in den Bereich aus, wo sie einen geringeren Widerstand finden. Vorteil für die Heizung: die Wärmeverteilung wird besser und es gibt (vor allem im Bereich der Pfeiler) keine Verwirbelungen. Im Hypokaust funktioniert das nur bei geringen Geschwindigkeiten: „tenuem volvunt hypocausta vaporem“ (Abb. 15). Dieser langsame Durchgang der Rauchgase (Geschwindigkeit fast 0) bewirkt eine starke Abkühlung und damit steigt die Gefahr einer Versottung in den Abzügen7. Diese zu vermeiden, ist ziemlich sicher nur durch eine gleichmäßige, CO 2 -arme Feuerung möglich8, das heißt, wahrscheinlich nur bei einer kontinuierlichen Beheizung mit Holzkohle9: „ubi languidus ignis inerrat aedibus“. Für die Wärmeverteilung auf dem Fußboden ergibt sich dadurch ein positiver Effekt: gegenüber den Abb. 9–11 zeigt sich jetzt eine größere erwärmte Fußbodenfläche (Abb. 16–18). Wenn auch dieser Betriebszustand, wie oben erwähnt, sicher nur bei einem kleinen Teil der antiken Hypokaustheizungen erreicht wurde, kann man wohl annehmen, dass dessen Vorzüge den römischen Baumeistern bekannt waren (schließlich schildert sie in unserem Fall sogar ein Dichter und kein Techniker) und man im Allgemeinen versuchte, ihm in der Praxis zumindest möglichst nahe zu kommen. Das oben geschilderte erste, zweidimensionale Rechenmodell zeigt, dass eine Funktionsweise wie von Statius angedeutet, in einer Hypokaustheizung möglich ist. Um dieses Modell zu erhärten und zu verfeinern, wären Versuche mit Messungen der Strömungs– und Temperaturverhältnisse nötig. Außerdem muss man bedenken: nach rund 17 Tagen Laufzeit des Computers haben wir als Resultat eine Momentaufnahme des räumlichen Strömungsfeldes, wie es sich aus dem (instationären) Anfangszustand nach 100 Sekunden entwickeln dürfte. Es muss uns auch klar sein, dass wahrscheinlich nur in einer kleinen Zahl von Anlagen (wenn überhaupt) in der Antike dieser damals anscheinend angestrebte Zustand (vollkommen) erreicht wurde. Schon die große Zahl von Hypokausten mit Aschehaufen und Rußablagerungen in vielen Bereichen weist darauf hin, dass es nicht immer so ideal war10. Es ist weiters die Frage, ob dieses Strömungsverhalten nur im warmen Mittelmeerraum erzielbar war. Im kalten Norden wird eine hohe Heizleistung gefordert, die Temperaturen im Hypokaust müssen hoch sein, das Rauchgas muss daher heißer sein. Das bedeutet, dass es wärmer in die Abzüge kommt. Zusätzlich ist die Außentemperatur niederer, die Temperaturdifferenz zwischen Abgas und Außenluft steigt. Als Folge wird der Zug in den Abzügen stärker und dadurch steigt zwangsläufig die Geschwindigkeit der Gase im Hypokaust, und der oben dargestellte Verteileffekt fällt weg. Ähnliche Auswirkungen dürften starke Schwankungen der Außentemperatur haben, die ebenfalls das Zugverhalten in den Abzügen beeinflussen. Trotz dieser Unwägbarkeiten liefert die Simulation wertvolle Erkenntnisse. Ein Vergleich der momentan vorliegenden Resultate mit den Ausführungen der anderen Kapitel meines Buches erhärtet großteils die dort gemachten Aussagen und Vermutungen, zeigt aber darüber hinaus aus heutiger Sicht zusätzliche Aspekte: 7 Herzog 2011 a. 8 Lehar 2012, 160–163. 166 f.
9 Herzog 2011 a. 10 Fusch 1910, 21. 45–58; Neuburger 1977, 262.
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Dem Ignis Languidus auf der Spur
– Der Zug muss stark genug sein, dass genügend Verbrennungsluft ins Praefurnium einströmt, aber andererseits schwach genug, dass die Verteilung im Hypokaust optimal wird und schließlich wieder stark genug, dass die Abzüge ziehen. Dass bedeutet: – Der Querschnitt der Praefurnien muss groß genug sein, denn die zur Verbrennung notwendige, große Luftmenge sollte langsam einströmen (ca. 0,2 m/sec)11. – Die Strömungsgeschwindigkeit im Hypokaust muss fast 0 sein12. – In den Abzügen muss sie auf ca. 1,5 m/sec. ansteigen (aber nicht höher)13. – Deren optimale Höhe liegt daher bei 2 m14. – Der Zug muss gleichmäßig sein. Das bedeutet: – Das Feuer im Praefurnium sollte laufend mit kleinen Portionen des Heizmaterials beschickt werden. – Das erste Anheizen einer Anlage zu Beginn der Heizperiode wird mühsam sein. – Keine Verschlüsse (Türen) bei den Praefurnien. – Holzkohlenfeuerung, um den wegen der niederen Abgastemperaturen zur Vermeidung von Kondensation notwendigen geringen CO2 -Gehalt erreichen zu können. – Einfache Praefurnien werden wegen der am Feuer ungenützt vorbeiziehenden Falschluft15 und des damit schlechteren Wirkungsgrads ungünstig sein. – Die Rauchgas- und damit die Wärmeverteilung werden bei einer derartigen Betriebsweise verbessert, es wären möglicherweise weniger Abgasstränge zur Verteilung der Wärme im Hypokaust nötig. – Wegen der langsamen Strömung durch das Hypokaust wird die Temperatur zu den Abzügen hin stark sinken. Der Anfang einer Spur zum Ignis Languidus ist gefunden. Wichtig wäre es, den Weg mit Versuchen und Messungen weiterzugehen, um deren Ergebnisse in diese Simulationsrechnung einfließen zu lassen. Mit solchen genaueren Werten kann das Rechenmodell überprüft und – wenn nötig – verbessert werden. Die Ergebnisse könnten dadurch immer präziser werden und – zusätzlich zum Erkenntnisgewinn – hilfreich bei der Planung neuer Rekonstruktionen, oder der Verbesserung bereits bestehender Anlagen sein.
1 1 Herzog 2011 a. 12 Herzog 2011 a. 13 Herzog 2011 a.
242
14 Haselböck 2010, 1; Herzog 2011b, 2. 1 5 Lehar 2012, 38 Abb. 32.
Hannes Lehar Abbildungsnachweis Abb.1–4. 6–11. 16–18: © H. Lehar Abb. 5. 12–15: © tgm Wien, P. Herzog 2011 Bibliographie Durm 1905 Fusch 1910 Haselböck 2010
Herzog 2011 a Herzog 2011b Lehar 2012 Neuburger 1977 Schiebold 2005
Schiebold 2006
A. Durm, Die Baustile. Historische und technische Entwicklung. 2. Band: Die Baukunst der Etrusker. Die Baukunst der Römer (Stuttgart 1905) G. Fusch, Über Hypokausten – Heizungen und mittelalterliche Heizungsanlagen (Hannover 1910) R. Haselböck, Österreichischer Kachelofenverband, Versuchs- und Forschungsanstalt der Hafner Österreichs, Röm. Hypokausten – Berechnung der notwendigen Abzugshöhen, Gutachten (Wien 2010) Prof. Dipl. Ing. Peter Herzog, tgm – Staatliche Versuchsanstalt, Wien (persönliche Stellungnahme 2011) P. Herzog, Überlegungen zur CFD – Simulation der Rauchgasströmungen in Hypokausten – Zusammenfassung der Resultate, Gutachten (Wien 2011) H. Lehar, Die römische Hypokaustheizung – Berechnungen und Überlegungen zu Aufbau, Leistung und Funktion (Aachen 2012) A. Neuburger, Die Technik des Altertums (Leipzig 1977) H. Schiebold, Strömungsverlauf der Rauchgase in Hypokaustenanlagen für Heizung und Wassererwärmung, gi. Gesundheits-Ingenieur – Haustechnik – Bauphysik – Umwelttechnik 126 Heft 5 (München 2005) 254–259 H. Schiebold, Heizung und Wassererwärmung in römischen Thermen; in: C. Ohlig (Hrsg.), Schriften der Deutschen Wasserhistorischen Gesellschaft, Sonderband 3 (Siegburg 2006)
Abb. 1: Schnittbild durch eine Hypokaustheizung; Hauptbestandteile: 1 – Praefurnium; 2 – Feuerungskanal (auch Schürkanal); 3 – Hypokaust; 4 – Unterer Boden; 5 – Hypokaustpfeiler; 6 – Auf lageplatte (auch Auflagefläche, Kopfplatte, Trägerplatte); 7 – Suspensurplatten; 8 – Grober Estrich; 9 – Feiner Estrich; 10 – Rauchabzug (auch Abzug, Endabzug, Tubulusstrang) bei reiner Bodenbeheizung; 7, 8 und 9 werden unter dem Begriff „Suspensura“ zusammengefasst
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Dem Ignis Languidus auf der Spur
Abb. 3: AP Carnuntum, Kondensatflecke (Versottung) an der Ostseite des „Apsisraums“ der Villa Urbana
Abb. 2: vollflächiges Standardhypokaust (Grundriss); die gesamte Raumfläche wird beheizt
Abb. 4: AP Xanten, starke Versottung im Tepidarium der Herbergsthermen, an Hand der Flecken kann der Verlauf der Abzüge bis hinauf über das Deckengewölbe gut verfolgt werden Abb. 5: Schnitt und Grundriss des der Berechnung zu Grunde liegenden Hypokaustmodells; die in der römischen Praxis ungewöhnliche Anordnung der drei Abzüge wurde gewählt, weil der Strömungsverlauf so besser darstellbar ist; das Praefurnium ist als quadratischer Vorsprung an der unteren Schmalseite angedeutet, die drei Abzüge liegen jeweils in der Mitte der anderen Seiten.
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Hannes Lehar
Abb. 6: Vom Praefurnium (P) ziehen die Rauchgase geradewegs zum gegenüber liegenden Abzug (A)
Abb. 7: Vom Praefurnium ziehen die Rauchgase geradewegs zu den seitlich liegenden Abzügen
Abb. 8: Vom Praefurnium ziehen die Rauchgase geradewegs zu dem gegenüber dem Praefurnium bzw. den seitlich liegenden Abzügen
Abb.9: Die Rauchgase ziehen vom Praefurnium geradewegs zum gegenüber liegenden Abzug – Wärmeverteilung auf dem Fußboden
Abb. 10: Die Rauchgase ziehen vom Praefurnium geradewegs zu den seitlich liegenden Abzügen – Wärmeverteilung auf dem Fußboden
Abb. 11: Die Rauchgase ziehen vom Praefurnium geradewegs zu dem gegenüber dem Praefurnium bzw. seitlich liegenden Abzügen – Wärmeverteilung auf dem Fußboden
Abb. 12: 3D–Darstellung des Hypokaustmodells
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Dem Ignis Languidus auf der Spur
Abb. 13: Darstellung der oben geschilderten spezifischen Druckverteilung
Abb. 14: Dargestellt ist die spezifische statische Druckverteilung entlang der simulierten Strömungsfäden des Rauchgases, die beim Durchgang durch das Hypokaust weitgehend konstant bleibt und in den Abzügen bis in den Negativbereich (= Zug) abfällt.
Abb. 15: Die simulierten Strömungsfäden ziehen langsam (hellblau) durch das Praefurnium, werden im Hypokaust noch langsamer (dunkleres Blau) und beschleunigen durch die Abzüge (gelb, rot)
Abb. 16: Strömung und Wärmeverteilung (schematisch) unter den Bedingungen eines „Ignis Languidus“ bei einem vorhandenen Abzug
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Abb. 17: Strömung und Wärmeverteilung (schematisch) unter den Bedingungen eines „Ignis Languidus“ bei zwei vorhandenen Abzügen
Abb. 18: Strömung und Wärmeverteilung (schematisch) unter den Bedingungen eines „Ignis Languidus“ bei drei vorhandenen Abzügen
Das Holzfass vom Magdalensberg und seine Rekonstruktion Johann Leidenfrost Da ich mich für historische Handwerkstechniken interessiere und ich selbst Fassbinder in der vierten Generation bin, fasste ich den Entschluss, ein römisches Fass nachzubauen. Es sollte eine detailgetreue Rekonstruktion eines Fasses aus der Antike werden, und so führten mich meine Recherchen auf den Magdalensberg (Kärnten). Hier wurden in den 70 er Jahren des 20. Jh.s zwei römische Holzfässer gefunden, die zuletzt als Auskleidung von Brunnenschächten gedient haben. Als Projektpartner konnte Herr Dr. Heimo Dolenz (Leiter des Archäologischen Parks Magdalensberg) gewonnen werden. Ich danke ihm für die gute Zusammenarbeit und den angenehmen Aufenthalt am Magdalensberg. Viele offene Fragen, die sich während der Herstellung des Fasses immer wieder ergaben, konnten durch die Hilfe von Frau Mag. Ingrid Tamerl beantwortet werden. Ihr hohes Fachwissen über antike Holzfässer war mir dabei eine besonders große Hilfe, und ich danke für die vielen interessanten Gespräche, die wir zusammen führen konnten. Dabei entstand auch die Idee, die einzelnen Arbeitsschritte zu filmen und zu fotografieren. In mehrmonatiger Arbeit fertigte ich eine detailgetreue Nachbildung eines der beiden antiken Fässer mit möglichst wenigen Hilfsmitteln und mit einfachen Werkzeugen an. Es sollten aber noch mehrere Monate vergehen, bis der Film in der endgültigen Fassung vorlag und am 14. Österreichischen Archäologentag der Fachwelt präsentiert werden konnte. Frau Tamerl und ich konnten das Fass (Abb. 1) im April 2011 an Herrn Dr. Heimo Dolenz übergeben. Das Fass ist seither neben den antiken Exponaten im Archäologischen Park Magdalensberg ausgestellt. Bevor ich auf die Rekonstruktion und die sich daraus ergebenden Fragestellungen eingehe, möchte ich das antike Holzfass kurz vorstellen. Es wurde in den späten 1970 er Jahren in einem Brunnen am Magdalensberg (NG 41) gefunden und diente als Auskleidung eines Brunnenschachts, was eine häufige sekundäre Nutzung für ausrangierte Holzfässer darstellt und auch in Brunnenanlagen an anderen römischen Fundorten zu beobachten war. Für die Rekonstruktion fiel meine Wahl auf das besser erhaltene Exemplar (Abb. 2)1 aus der 2. Hälfte des 1. Jh.s v. Chr. Das Fass hat 23 Dauben, die aus Weichholz (Fichte) gefertigt waren. Am oberen und unteren Daubenende verläuft auf der Innenseite eine Nut (auch Kimme oder Gargel genannt) zur Aufnahme der Böden. Diese wurden beim Bau des Brunnens entfernt und sind deshalb nicht erhalten. Um eine gute Ausgangsbasis für die detailgetreue Rekonstruktion zu gewinnen, wurde das Fass vermessen, fotografiert und skizziert. Nach Ermittlung der Maße konnten die beiden Durchmesser und das Volumen des Fasses berechnet werden. Der kleinere Durchmesser betrug ca. 76 cm, der größere ca. 86 cm und die Daubenlänge ca. 145 cm. Das Fass hatte ein Fassungsvermögen von ca. 600 Litern. Die erhobenen Daten sind in folgender Liste zusammengestellt – Runde, zylindrische Form – Weichholz (Fichte) – Gerade Dauben (nicht bauchig) – Dauben etwas spitz zulaufend, das heißt, das Fass hatte ursprünglich konische Form 1 Piccottini 1986, 60, Abb. 43–48.
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Das Holzfass vom Magdalensberg und seine Rekonstruktion
– – – – – – –
Jahresringanordnung bei Dauben weitgehend stehend Asteinschlüsse auf einigen Dauben Ein Spundloch im unteren Bereich einer Daube mit Holzstopfen verschlossen Drei Reifen bzw. deren Reste, aus Haselholz Keine Reifenenden (sog. Reifenschlösser) erhalten, daher keinerlei Hinweise auf die Verbindungstechnik Innen und teilweise auch außen sichtbare Spuren von Holzbearbeitungshandwerkzeugen
Anschließend erfolgte die Auswahl der Werkzeuge für die Anfertigung des neuen Fasses. Die Werkzeuge, die heute noch beim Anfertigen eines Fasses Verwendung finden, sind Beil, Säge, Dechsel, Ziehmesser, Hobelmesser, Raspel, Bohrer, Zirkel, Messer, Spaltkeile, Hämmer und Schlegel. Die antiken Vorläufer dieser Instrumente wurden bereits von Frau Tamerl in ihrem Beitrag über das Fassbinderhandwerk vorgestellt2, und es ist erstaunlich, wie wenig sich ihr Erscheinungsbild seit der Antike verändert hat. Die Werkzeuge, die bei der Herstellung eines antiken Holzfasses zum Einsatz kamen, weisen demnach eine frappierende Ähnlichkeit mit jenen auf, die in meist kleineren Binderhandwerksbetrieben, zum Teil noch in der 2. Hälfte des 20. Jh.s, in Verwendung waren. Am Magdalensberg wurden einige römische Holzbearbeitungswerkzeuge gefunden, darunter auch einige Zugmesser3. Von ausgewählten Fundstücken fertigte ich Fotos und Zeichnungen an, um sie später nachbauen zu können (Abb. 3 a–c). Die so erzeugten Werkzeuge kamen bei der Nachbildung des Fasses vom Magdalensberg zum Einsatz. Eine besondere Herausforderung machten die Überlegungen in Bezug auf die antike Technik der Holzreifenherstellung und die Verbindung der Reifenenden (Reifenschlösser). Beim Fund vom Magdalensberg waren nur noch drei Reifen erhalten, die Reifenendverbindungen fehlten aber völlig. Bei einem errechneten Inhalt von ca. 600 Litern Flüssigkeit im Fass mussten die Dauben durch viele Reifen stark zusammengehalten werden. Das heißt auch, dass eine größere Anzahl von Reifen fest aufgetrieben wurde. Die Holzreifenherstellungstechniken, die ich noch von mehreren alten Bindermeistern erlernt habe, versprachen nur zum Teil eine befriedigende Lösung. Die Reifenendverbindungen in der Antike unterschieden sich offensichtlich von jenen, die im 20. Jh. noch gebräuchlich waren. Durch das Entgegenkommen von Herrn Herzig vom Dendrolabor in Thierhaupten (bei Augsburg) studierte und fotografierte ich bei meinen Besuchen antike Holzreifen. Diese bestehen meist aus Haselholz. Meine besondere Aufmerksamkeit war vor allem auf die dazugehörigen Reifenschlösser gerichtet, insbesondere auf die Kerbungen und Schnurwicklungen. Die bei den Reifenschlössern von Pförring, Regensburg-Burgweinting und Munningen verwendete Technik schien mir dann besonders zielführend, sodass ich sie bei der Rekonstruktion des Fasses vom Magdalensberg anwendete. Am Reifen schneidet man dabei an den Enden in regelmäßigen Abständen an den beiden gegenüberliegenden Seiten Kerben ein (Abb. 4 a), diese werden anschließend fest mit einer Schnur (Abb. 4 b) umwickelt und an der Innenseite verknotet (Abb. 4 c). Das Anbringen der Kerben und das Umwickeln mit einer Schnur ist eine Technik, die zwei Funktionen erfüllt: sie verleiht den Reifenenden (Schlössern) die nötige Zugfestigkeit und die Innenseite der Reifen liegt plan und fest auf dem Fasskörper auf. Vor dem Auftreiben der fertigen Reifen (Abb. 5) erfolgt das Zusammenstellen der sorgfältig zugerichteten Dauben, die zunächst von einem provisorischen Reifen gehalten werden. Zum Auftreiben benutzt der Fassbinder Schlägel und Knüpfel aus Holz. Das Fass war – wie bereits eingangs erwähnt – in einem Brunnen verbaut, deshalb waren die Böden entfernt worden. Somit muss die Frage, ob das Fass als Transport- oder als Lagerfass 2 Vgl. Tamerl 2010. 3 Vgl. Dolenz 1998, 381 Taf. 73, Nr. W290; 382 Taf. 74, Nr. W293. W291. W292. W294.
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Johann Leidenfrost
gedient hat, unbeantwortet bleiben. Viel spricht für die liegende Variante mit einer Auflagekonstruktion, denn in dieser Position befand sich das Spundloch an der höchsten Stelle. Im größeren Boden, der nicht erhalten ist, hat sich möglicherweise ein Loch für den Zapf hahn befunden, über den das Füllgut entnommen werden konnte. Es gibt aber keinen Hinweis darauf, was in den Fässern tatsächlich transportiert oder gelagert wurde. Seit ich die für die Rekonstruktion des Fasses vom Magdalensberg notwendigen Erkenntnisse in Bezug auf die antike Fassbindertechnik gewonnen habe, bin ich zum Schluss gekommen, dass die Herstellung eines Holzfasses vor über 2000 Jahren nicht wesentlich anders verlief als die Anfertigung eines Fasses in heutiger Zeit. Vieles wird heute zwar maschinell ausgeführt, aber die Voraussetzung für einen ordentlichen Fassbau ist noch immer eine gründliche Kenntnis der alten Techniken. Abbildungsnachweis Abb. 1, 2, 3 c, 4 a, 4 b, 4 c: Foto J. Leidenfrost, Eggenburg Abb. 3 a: Dolenz 1998, Taf. 73, W296 Abb. 3 b: Zeichnung J. Leidenfrost, Eggenburg Abb. 5: Foto M. Seiler, Eilenburg Bibliographie Dolenz 1998
Piccottini 1986
Tamerl 2010
H. Dolenz, Eisenfunde aus der Stadt auf dem Magdalensberg, Archäologische Forschungen zu den Grabungen auf dem Magdalensberg 13, Kärntner Museumsschriften 75 (Klagenfurt 1998) G. Piccottini, Die nordöstlichen Neugrund-Bauten, in: H. Vetters – G. Piccottini (Hrsg.), Die Ausgrabungen auf dem Magdalensberg 1975 bis 1979. Magdalensberg-Grabungsbericht 15 (Klagenfurt 1986) 11–115 Das Holzfass in der römischen Antike (Innsbruck 2010)
Abb. 1: Rekonstruktion des Holzfasses vom Magdalensberg
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Das Holzfass vom Magdalensberg und seine Rekonstruktion
Abb. 2: Das antike Fass vom Magdalensberg
Abb. 3 a: Zugmesser, Magdalensberg
Abb. 3 b: Skizze für die Rekonstruktion des Zugmessers
Abb. 3 c: Rekonstruktion des Zugmessers
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Johann Leidenfrost
Abb. 4 a: Holzreifen mit regelmäßigen Einkerbungen und provisorischer Fixierung
Abb. 4 b: Umwickeln der Einkerbungen mit Schnur
Abb. 4 c: Verknoten der Schnur auf der Innenseite
Abb. 5: Auftreiben der Reifen mit Knüpfel (rechts) und Schlegel (links)
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Die Römer im Oberen Vinschgau Ein Beitrag zur Siedlungstopografie einer alpinen Gebirgsregion Stephan Leitner Der Vinschgau umfasst im Wesentlichen den auf Südtirol entfallenden Teil der römischen Provinz Raetien, von der am Talende zu lokalisierenden Provinzgrenze zur Regio Decima bis hin zum Reschenpass, einem bereits in der Römerzeit aufgrund günstiger verkehrstopografischer Voraussetzungen stark frequentierten Alpenübergang. In diesem geografisch abgegrenzten Raum ist die provinzialrömische Forschung noch weit davon entfernt, konkrete Aussagen zur römischen Besiedelungsgeschichte treffen zu können. Die römische Präsenz im Tal war bisher hauptsächlich über ungenaue, nicht näher dokumentierte Fundmeldungen sowie über einzelne, aus dem Fundkontext herausgerissene Streufunde, erschließbar1. Trotz neuer Erkentnisse in den letzten Jahren2 fehlten bis vor kurzem konkrete Hinweise auf eine größere Siedlungstätigkeit. Dabei stellte der Vinschgau bereits im Zuge der unter Kaiser Augustus vorangetriebenen Expansion nach Norden eine wichtige transalpine Route dar, die nicht zuletzt durch den Ausbau der vorhandenen Wege zur via publica nach der Provinzkonstitution Raetiens unter Kaiser Claudius eine zusätzliche Aufwertung erfuhr. Jene zum reibungslosen Funktionieren einer solchen Fernstraße notwendigen infrastrukturellen Maßnahmen müssten archäologisch eigentlich gut nachweisbar sein. Vor allem die unverzichtbaren Straßen- und Raststationen entlang der Straßentrasse waren mit Sicherheit treibende Kraft im Romanisierungsprozess einer ansonsten durch extreme Trockenheit nur mit geringem agrarischem Potential ausgestatteten Gegend3. Durch regen Zuzug an Gewerbetreibenden entwickelten sich rasch größere Ballungszentren im Bereich des Talbodens. Beim Versuch der Lokalisierung entsprechender Niederlassungen im Vinschgau ist man allerdings allein auf archäologische Quellen angewiesen. Die wenigen überlieferten antiken Itinerare geben eine Situation der Straßenverhältnisse aus der Spätantike wieder. In dieser Zeit war die Brennerroute bereits die vorherrschende Nord-Südverbindung, sodass vorwiegend aus dem Eisacktal Straßen- und Zollstationen sowie Raststätten namentlich bekannt sind. Der unbefriedigende Forschungsstand, bedingt durch nur zu oft lückenhafte archäologische Indizien, spiegelt somit keineswegs die Bedeutung des Vinschgaus als wichtigen Korridor über die Alpen wieder. Mit der römerzeitlichen Siedlungsgenese und deren Auswirkungen auf politische, ökonomische und soziale Strukturen im Zentralalpenraum beschäftigt sich seit Februar 2011 ein vom Amt für Hochschulförderung, Universität und Forschung der autonomen Provinz Südtirol finanziertes Forschungsprojekt unter der Leitung von Assoz. Prof. Dr. G. Grabherr. Ausgangspunkt der Untersuchungen, die in Kooperation mit dem Amt für Bodendenkmäler Bozen durchgeführt werden, waren spektakuläre Neuentdeckungen in den Jahren 2008 und 2009, die zu einer Neubeurteilung der Situation Anlass geben. Im Oberen Vinschgau, genauer auf Malser Gemeindegebiet, wurden bei Kontrollen zur Einrichtung einer großflächig angelegten Beregnungsanlage auf engstem Raum drei bisher völlig unbekannte römerzeitliche Siedlungen angeschnitten. Hierzu zählen eine von den Ausgräbern als Straßenstation interpretierte Siedlung auf der Malser Haide knapp unterhalb des Haider Sees,
1 Zusammenfassend: Dal Ri 1995; Lunz 2006; Steiner – Harb 2010, 190–192. 2 Gamper 2006, 375–383; H. Nothdurfter, Staats-
straße 41, Schluderns-Glurns, in: Denkmalpflege in Südtirol 2003 (Bozen 2004) 241 f. 3 Loose 2007.
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Die Römer im Oberen Vinschgau
eine weitläufige Niederlassung hinter dem Dorf Laatsch am Eingang zum Tauferer Tal und Gebäudereste in Mals bei der Kirche des hl. Benedikt 4 (Abb. 1).
Grabungsbefund Paulihof/Mals Die Fundstelle beim Paulihof in Mals ist eine der wenigen noch unbebauten Flächen in der Nähe des Dorfzentrums von Mals. Im Jahr 2009 wurde die als Weidefläche genutzte Grundparzelle 141 ebenfalls mit einer Beregnungsanlage ausgestattet. Beim Aushub der Kanäle stieß man überraschend auf ein menschliches Skelett und wenig später auf gemörtelte Mauerreste und fundführende Kulturschichten. Eine erste Nachgrabung zur Klärung der Befundsituation durch das Amt für Bodendenkmäler Bozen erbrachte den Nachweis eines römerzeitlichen Gebäudes5. Die wenigen Kleinfunde wie etwa glatte Terra Sigillataformen des Typs Drag. 18/31 oder gut gebrannte Terra Nigra Knickwandschalen ließen sogar eine relativ frühe Zeitstellung des Siedlungsplatzes vermuten. Das derzeitige Forschungsprojekt bietet nun die einmalige Gelegenheit, die aus Zeit- und Kostengründen nur ausschnitthaft gebliebenen Untersuchungen wiederaufzunehmen und durch eine großflächig angelegte Grabung exemplarisch einen Einblick in die Siedlungsstruktur des Oberen Vinschgaus zu gewinnen. Die vier Monate andauernde erste Kampagne in den Sommermonaten des Jahres 2011 betraf vor allem die nordöstliche Hälfte der Parzelle, wo die Wahrscheinlichkeit für das Vorhandensein von weiteren baulichen Überresten am größten war. Bereits beim Ausbaggern der Kanäle für die Beregnungsanlage hatten sich in den Profilwänden deutliche Brand- und durch vergangenen Hüttenlehm orangerot verfärbte Kulturschichten abgezeichnet. Auf einer Fläche von ca. 500 m² konnte eine mehrphasige dichte Bebauung festgestellt werden, die von der Mitte des 1. Jh.s n. Chr bis an den Beginn des 5. Jh.s n. Chr. reichte (Abb. 2). Bald nach Auf lassung der Siedlung nutzte man diese im Frühmittelalter als Bestattungsplatz. Es konnten insgesamt vier Körpergräber entdeckt werden, die in regelmäßigen Abständen in einer West-Ost ausgerichteten linearen Anordnung in den römischen Ruinen eingetieft worden waren. Die Toten befanden sich in gestreckter Rückenlage und mit parallel an den Körper angelegter Armhaltung in einfachen Grabgruben, von denen lediglich Grab 3 eine Einfassung mit größeren Steinen aufwies (Abb. 3). Wegen der Beigabelosigkeit der Gräber soll eine Datierung der Grablegen über C-14 Analysen ermittelt werden. Diese Befunde bilden das Bindeglied zwischen der römischen Siedlung und der nahegelegenen, um die Mitte des 8. Jh.s n. Chr. errichteten Benediktkirche6, sodass von einer lückenlosen Siedlungskontinuität zumindest bis in karolingische Zeit ausgegangen werden kann. Das bisher älteste nachweisbare Gebäude (Raum E) befand sich in der Südwestecke der ergrabenen Fläche und war in reiner Holzbauweise errichtet worden. Von ihm blieben nach einem Brand nur mehr die Reste der verstürzten Dachkonstruktion in Form von sich rechtwinkelig kreuzenden verkohlten Holzbrettern sowie einige Pfostenlöcher erhalten, die sich im anstehenden ockerfarbenen Lehm recht deutlich abzeichneten (Abb. 4). Zahlreiche orangerote Flecken von vergangenem Hüttenlehm lassen Rückschlüsse auf die Wandkonstruktion in Form von Rutenflechtwerk zu. Detailliertere Anhaltspunkte zu Bauweise und Größe konnten aufgrund der Fragmentiertheit des Befundes nicht gewonnen werden. Immerhin deuten vier entlang des östlichen Raumabschlusses aufgereihte Steinplatten auf eine Schwellbalkenkonstruktion hin. In der ca. 10 cm starken Brandschicht entdeckte man zahlreiche Fragmente eines kammstrichverzierten, handaufgebauten Auerbergtopfes, der eine grobe Datierung des Raumes in das 1. Jh. n. Chr., vielleicht sogar noch in die erste Hälfte, ermöglicht. 4 Steiner – Harb 2010; Steiner 2010 a, 37–51. 5 Steiner – Harb 2010, 204–207; Steiner 2010 a, 37–
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39; Steiner 2010 b. 6 Nothdurfter 2002, 96–102.
Stephan Leitner
Nur wenige Meter weiter nordöstlich lag ein weiteres Gebäude (Raum B) mit einer ähnlich frühen Zeitstellung. In das leicht nach Süden abfallende Gelände war der langgestreckte, 12 Meter lange und 5 Meter breite Raum eines Wirtschaftsgebäudes eingetieft worden (Abb. 5). Die bergseitigen Grubenwände waren mit einer bis zu einem halben Meter erhaltenen einschaligen Trockenmauer verstärkt worden. Den südlichen Abschluss bildete hingegen eine Pfostenreihe sowie mehrere flach auf liegende Steinplatten. Dort befand sich wahrscheinlich auch der Zugangsbereich. In den Mauerecken waren zwei große, einen Durchmesser von ca. 50 cm aufweisende Pfostengruben integriert, die für einen weiteren Holzaufbau notwendig waren. Zwei gehäufte Konzentrationen von ca. 10 cm dicken, grob gemagerten und an der Außenseite intentionell geglätteten Lehmbrocken liefern einen Hinweis auf die Funktion des Raumes (Abb. 6). Eine Deutung als verstürzte Ofenkuppeln zweier Brotbacköfen scheint im Moment am wahrscheinlichsten. Dieses Gebäude weist ebenfalls deutliche Spuren eines Brandes auf. Der ursprünglich eingezogene Holzfußboden hat sich als drei Zentimeter starkes Holzkohlestratum erhalten, in dem nur noch geringe Reste der in Nord-Süd Richtung verlegten Bretter erkennbar waren. Dieser wurde im gesamten Innenraum von einem durch vergangenen Hüttenlehm orangerot gefärbten Stratum und dem eigentlichen Mauerversturz überlagert. Der Zeitpunkt der Brandkatastrophe von Raum B ist nur schwer auszumachen, da auf dem Bodenniveau nur wenige, für eine exakte Datierung brauchbare Funde lagen. Am aussagekräftigsten ist ein vollständig erhaltener, gestauchter bauchiger Laveztopf der Formengruppe III nach Holliger/Pfeifer, der aufgrund von guten Vergleichen zeitlich vom 2. Viertel des 1. Jh.s n. Chr. bis zur Mitte des 2. Jh.s n. Chr. anzusetzen ist 7. Zahlreiche Funde aus dem Mauerversturz präzisieren ein Ende dieses Wirtschaftsgebäudes im Laufe der ersten Hälfte des 2. Jh.s n. Chr. Kurz nach den offenbar durch lokale Schadensfeuer verursachten Zerstörungen erfolgte eine Reorganisation dieses Siedlungsbereiches, die mit einem Wechsel der Bautechnik von Holzzu Steingebäuden bzw. Holzgebäuden mit gemörtelten Fundamenten einherging. Die räumliche Anordnung der Vorgängerbauten blieb dabei unberücksichtigt. Die im Gelände sich abzeichnende, von Raum E gebildete seichte Mulde wurde im Gegenteil einplaniert und wenige Meter nach Norden versetzt, ein mit einem gemörtelten Steinfundament versehener Bau errichtet (Raum D). Er besitzt einen annähernd quadratischen Grundriss mit einer Seitenlänge von ca. 7 m (Abb. 7). Die Innenausstattung dieses Wohngebäudes war sehr bescheiden: auf einem Lehmfußboden befanden sich im Zentralbereich zwei einfache Herdstellen, die sich jeweils aus einem Unterbau aus kleinen Steinplatten und einer darüber aufgetragenen und an der Oberkante geglätteten Lehmschicht zusammensetzten. In der Südostecke fand man zahlreiche Bruchstücke von Terra Sigillatagefäßen, die zu zwei nahezu vollständig erhaltenen Bilderschüsseln der Form Drag. 37 zusammengesetzt werden konnten. Es handelt sich hierbei um Rheinzabener Produkte aus den Werkstätten des Januarius und des Commitialis V. Aufgrund der zeitlichen Überschneidung beider Produzenten um 180 n. Chr. 8 kann von einer Auf lassung des Gebäudes gegen Ende des 2. Jh.s n. Chr. ausgegangen werden. Raum D erfuhr eine spätantike Nachnutzung, von der sich neben einer nur abschnittsweise erhalten gebliebenen Einplanierung im Rauminneren wenige, entlang der ehemaligen Fundamentmauer verteilte Pfostenlöcher und eine größere Grube in der Südwestecke erhalten haben. Eine Münze des Valentinianus aus der Planierung weist in das späte 4. Jh. n. Chr. Dieses Gebäude mit gemörteltem Steinfundament stößt mit seiner westlichen Abschlussmauer an eine weitere, entlang der westlichen Grabungsgrenze verlaufenden Mörtelmauer, von der eine rechtwinkelig ansetzende Trockenmauer westwärts abzweigt. Eine Spezifizierung dieser Struktur ist momentan nicht möglich, da der Großteil des vermuteten Gebäudes in der noch nicht näher untersuchten westlichen Hälfte der Grundparzelle liegt. 7 Holliger – Pfeifer 1982, 1983, 45.
8 Zur Datierung: Zanier 1992, 123–130.
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Die Römer im Oberen Vinschgau
Von einer Interpretation des Fundplatzes soll hier noch bewusst Abstand genommen werden, da eine zweite Grabungskampagne im Jahr 2012 noch aussteht. Die Nähe des Fundplatzes zur Via Claudia Augusta, deren Verlauf zwar archäologisch nicht nachgewiesen ist, die aber aus topografischen Überlegungen heraus nicht weit entfernt vorbeiführen musste, lässt nur wenig Spielraum für Spekulationen. Ein enger Zusammenhang mit der Via Claudia Augusta und dem damit verbundenen Reiseverkehr erscheint am naheliegendsten. Eine Ansprache als Straßenstation scheidet allerdings aus, da die nur 5 km Luftlinie entfernte Siedlung auf der Malser Haide überzeugend als solche interpretiert wurde9. Vielleicht liegt mit dem Grabungsbefund eine Art Gasthaus mit mehreren Gebäuden vor. Die beiden postulierten Brotbacköfen, die bei gleichzeitigem Betrieb sicherlich mehr Backware als nur für den Eigenbedarf herstellen konnten, unterstreichen eine solche Annahme.
Das archäologische Fundmaterial Das bei der Grabung angefallene Kleinfundmaterial ist durch einen hohen Prozentsatz an Importware charakterisierte; ein Umstand, der auch an anderen Fundstellen entlang überregionaler Verkehrsadern zu beobachten10 und durch gute Handelskontakte leicht erklärbar ist. Dies lässt sich im vorliegenden Fall eindrücklich am Terra Sigillataspektrum demonstrieren, das für den hochalpinen Raum quantitativ überdurchschnittlich gut vertreten ist. Der Großteil der Gefäßfragmente stammt von Bilderschüsseln der Form Drag. 37 aus süd- und ostgallischen Werkstätten, wobei der Töpfer Cinnamus aus Lezoux durch einen Stempel namentlich vertreten ist. Auch aus den Manufakturen von Rheinzabern gelangten einige Stücke nach Mals, allen voran die beiden bereits erwähnten Gefäße des Commitialis V und des Januarius (Abb. 8). Dem steht nur ein verschwindend kleiner Prozentsatz an lokal hergestellten Keramikformen gegenüber. Neben nicht näher klassifizierbaren Fragmenten sind hier vor allem Auerbergtöpfe und die für Südtirol und das Trentino so typischen raetischen Henkeldellenbecher11 zu nennen. Der Großteil der Funde stammt aus den Versturzschichten von Raum B. Im Brandschutt des eingestürzten Gebäudes blieben diese, vor allem was die Fibeln betrifft, in einem bemerkenswert guten Zustand erhalten. Zu erwähnen sind frühe Gewandspangen aus der zweiten Hälfte des 1. Jh.s n. Chr., wie etwa ein Exemplar einer kräftig profilierten Fibel vom Typ Cambodunum 312 oder eine Scheibenfibel mit Pressblechauf lage und trapezförmigem Fuß (Riha Typ 7.10.2)13. In flavische Zeit weisen zudem schwarz oder rot engobierte Knickwandschalen, sowie eine nicht unerhebliche Anzahl an gemeißelten konischen Laveztöpfen mit horizontalen Grifflappen (Abb. 10). Weitere frühe Funde konnten in der Planierschicht über Raum E gefunden werden. Offensichtlich wurde der Brandschutt der zerstörten Gebäude wiederverwendet. Dies beweisen passgleiche Scherben einer Terra Sigillataimitation aus dem Mauerversturz von Raum B und eben jener Planierung. So verwundern eigentlich deutlich früher als das Einbringen der Auffüllung zu datierende Funde wie ein als Anhänger zweckentfremdetes As des Kaisers Caligula oder eine besonders aufwendige und ehemals mit Weißmetallüberzug versehene Scharnierfibel mit ungeteiltem Bügel und Fußknopfrudiment (Riha Typ 5.10)14 nicht. Aus der Spätantike stammen zahlreiche Lavezgefäße, die wahrscheinlich von den Abbaugebieten der Schweiz über das Münstertal in den Vinschgau gelangten. Es überwiegen große konische Topfformen mit getreppter oder kannelierter Außenwandung, die zeitlich bereits am Übergang zum Frühmittelalter stehen 15. Das Fundspektrum aus dieser letzten Siedlungsphase
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Steiner – Harb 2010, 203. Grabherr 2010, 245; Kainrath 2010, 227 f. Zusammenfassend Leitner 2004/05. Ortisi 2002.
13 Riha 1994, 158 f. 14 Riha 1994, 119–122. 1 5 Gairhos 2000, 121.
Stephan Leitner
wird komplettiert durch Fragmente zweier glasierter Reibschalen, aus Knochen gefertigte Objekte wie Spinnwirtel und Webschiff, zahlreiche Knochen sowie Hornspitzen mit Bearbeitungsspuren einer hauseigenen Werkstatt. Das Münzspektrum ist mit sechs Stück stark unterrepräsentiert und somit auch nur bedingt aussagekräftig. Den Beginn setzt ein As des Kaisers Caligula, das aber aufgrund einer Sekundärverwendung als Anhänger sicher erst um einiges später beim Paulihof verloren wurde. Alle weiteren Münzen sind spätantike Prägungen, angefangen von einem Denar des Kaisers Maximinus Thrax (Abb. 9) bis hin zu einem Centenionalis des Valentinian II.
Historische Auswertung Die Zeit der Okkupation unter den Stiefsöhnen des Augustus ist im Vinschgau archäologisch kaum fassbar. Einen indirekten Hinweis auf den Alpenfeldzug liefert lediglich das abrupte Ende der Raetersiedlung am Ganglegg oberhalb von Schluderns um 15 v. Chr, das den Ausgräbern zufolge aufgrund fehlender Zerstörungshorizonte mehr oder weniger friedlich von statten gegangen sein muss16. Die Frage, wie nach der Machtübernahme mit der einheimischen Landbevölkerung verfahren wurde, muss derzeit leider offen bleiben. Eisenzeitliche Niederlassungen mit einer Siedlungskontinuität über die römische Landnahme hinaus sind aus dem Arbeitsgebiet jedenfalls nicht bekannt. Die literarischen Quellen liefern einen kleinen Einblick in ein mögliches Schicksal der indigenen Bevölkerung. Cassius Dio berichtet, dass die wehrfähigen Männer als Strafmaßnahme zwangsrekrutiert und zu raetischen und vindelikischen Kohorten zusammengefasst wurden17. Eine systematische Wiederbesiedelung der eroberten Gebiete im Vinschgau setzte nach momentanem Forschungsstand erst in der zweiten Hälfte des 1. Jh.s n. Chr. ein. Sie erfolgte somit um einiges später als jene im bayerischen Alpenvorland, das schon bald nach der Eroberung mit militärischen Stützpunkten an strategisch bedeutenden Plätzen ausgestattet worden war. Eine militärische Sicherung des inneralpinen Raums ist nicht nachgewiesen und wurde offensichtlich aufgrund fehlenden Bedrohungspotentials nicht für notwendig befunden. Ausschlaggebend für die erneute Bevölkerung des Vinschgaus dürfte der Ausbau des Straßensystems unter Kaiser Claudius gewesen sein. Die Via Claudia Augusta entwickelte sich zur wichtigsten wirtschaftlichen Grundlage im Tal. Um das gesteigerte Verkehrsaufkommen bewältigen zu können, mussten Straßen- und Pferdewechselstationen oder Übernachtungsmöglichkeiten geschaffen werden, die im Laufe der Zeit durch regen Zuzug an Siedlern zu größereren Zentren mutierten. Dass schon sehr früh mit Kolonialisten aus dem italischen Mutterland zu rechnen ist, verdeutlichen zwei qualitätvolle, ins 1. Jh. n. Chr. zu datierende Steindenkmäler, die vermutlich in Mals oder der näheren Umgebung gefunden worden waren. Es handelt sich zum einen um das Gesichtsfragment einer knapp unterlebensgroßen weiblichen Marmorstatue, die eine stadtrömische Kopie des Typs Venus in den Gärten der Bildhauerschule des Praxiteles darstellt18. Zum anderen liegt ein Grabstein vor, den die Kinder Mucianus, Rufus und Chrysis ihrer verstorbenen Mutter Rufina, der Gattin des Chrysogonus gestiftet haben19. Beide Stücke sind aufgrund ungesicherter Fundumstände nur bedingt aussagekräftig. Sie dokumentieren aber eindrucksvoll die Anwesenheit römischer Siedler, die sich auch in der ländlichen Peripherie mit dem gewohnten Luxus umgaben. Dank der neu entdeckten Siedlungen können wir heute das bis dato nur theoretisch durchgespielte Szenario der Siedlungsgenese des Vinschgaus archäologisch belegen. Der frühe Siedlungsbeginn beim Paulihof ist durch die Fundvergesellschaftung von Raum E mit einem
16 Gamper 2006, 254. 17 Cassius Dio 54, 22, 5.
18 Innerkofler 1995; Ghedini – Pesavento 2002. 19 Außerhofer 1976, 452 f.
257
Die Römer im Oberen Vinschgau
Auerbergtopf gesichert und auch das vorliegende Fundmaterial der beiden weiteren neu entdeckten Siedlungsplätze beginnt bereits vereinzelt mit Münzprägungen des 1. Jh.s n. Chr. Es handelt sich dabei durchwegs um Neugründungen im Talbodenbereich. Die in den urgeschichtlichen Perioden bevorzugten Siedlungsplätze auf Hügelkuppen und Hangterrassen wurden offensichtlich aufgegeben und erst in den politisch unruhigen Zeiten der Spätantike wiederaufgesucht. Entscheidend war die Nähe zur Straße, um vom Reiseverkehr zu profitieren. Auf den ersten Blick überrascht die dichte Besiedelung des Malser Gemeindegebiets in der Römerzeit. Die drei Siedlungen liegen lediglich in einem Umkreis von fünf Kilometern Luftlinie. Die topografischen Gegebenheiten geben Hinweise auf ein mögliches Erklärungsmodell: Der spätglaziale Schwemmkegel der Malser Haide bildet die markanteste und am schwersten zu überwindende Talstufe des Vinschgaus. Es ist also naheliegend, dass gerade im Bereich einer solchen Steigung, die nur mit Vorspann bewältigt werden konnte, entsprechende Einrichtungen für einen reibungslosen Verkehrsfluss vorhanden waren. Dies wird am Beispiel der Fundstelle in den Marienberger Wiesen besonders evident. Die exponierte Lage am Endpunkt der Steigung sowie das Geländeprofil, das kaum Schutz vor dem berühmt berüchtigten Vinschger Wind bot, sind alles andere als günstige Siedlungsbedingungen20. Eine Pferdewechselstation nach überstandenem Anstieg würde hier allerdings durchaus Sinn machen. Eine vom Amt für Bodendenkmäler iniziierte geophysikalische Prospektion lässt tatsächlich den Verlauf der Straßentrasse der Via Claudia Augusta vermuten, an der sich zu beiden Seiten die Gebäude einer Straßensiedlung durch größere Anomalien im Messbild abzeichnen. Auch die Siedlung in Mals weist ein geografisches Naheverhältnis zur römischen Straße auf und wird deshalb in wichtigen Aufgaben auf dem Infrastruktursektor eingebunden gewesen sein. Inwiefern die mit 4 ha größte der neu entdeckten Niederlassungen am Eingang zum Tauferer Tal direkt mit der römischen Staatsstraße in Verbindung zu bringen ist, lässt sich momentan nicht klären. Vermutlich spielte bei der Wahl des Siedlungsplatzes eine dort abzweigende Passstraße eine Rolle, die über das Münstertal und den Ofenpass in heutiges Schweizer Gebiet führte. So entwickelte sich hier am Kreuzungspunkt zweier wichtiger Handelsrouten vielleicht ein wichtiger Warenumschlagplatz für die ansässige Bevölkerung. Der exakte Straßenverlauf der Via Claudia Augusta konnte im gesamten Vinschgau bisher archäologisch nicht nachgewiesen werden. Selbst jener in der Altstraßenforschung als einziger Fixpunkt angesehene Brückenkopf bei Algund im Bereich der Talstufe von Meran nach Partschins am Eingang zum Vinschgau musste letzthin aufgrund neuester Grabungsergebnisse in das Mittelalter vordatiert werden21. Im Arbeitsgebiet bilden die neu entdeckten Fundstellen den einzigen Anhaltspunkt für die Lokalisierung der Straßentrasse. Zusammen mit zwei großformatigen, auf den Grundparzellen 1046 und 1624 der Katastralgemeinde Mals bei Baggerarbeiten gefundenen und mit Spurrillen versehenen Steinblöcken22, kann von einer nahezu geradlinigen Streckenführung entlang der Südwestkante des Schuttkegels vom Haider See bis zur Fundstelle beim Paulihof ausgegangen werden (Abb. 1). Eine Korrelation der durch die Grabung ermittelten Bauphasen mit historischen Ereignissen kann nur mit Vorbehalt getroffen werden. Die ergrabene Fläche ist schlicht und einfach zu klein, um konkrete Aussagen treffen zu können. Einen markanten Einschnitt im Siedlungsbild bildete ein flächendeckend festgestellter Wechsel der Mauertechnik, der auch mit Neugründungen von Gebäuden einherging. Die aufgehenden Hauswände wurden zwar weiterhin in Holz errichtet, es änderte sich aber der Unterbau, der zunächst in Form von einfachen Trockenmauern gebildet worden war und im Laufe des 20 Nicht ohne Grund befindet sich in unmittelbarer Nähe ein Windpark zur Stromerzeugung. 2 1 Marzoli 2009, 183 f.
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22 Die ermittelte Spurweite von 107 Zentimetern entspricht dem für die Via Claudia Augusta gängigem Maß.
Stephan Leitner
2. Jh.s n. Chr. durch gemörtelte Fundamente ersetzt wurde. Der genaue Zeitpunkt dieser Neuorganisation kann aufgrund fehlender eng datierbarer Kleinfunde nicht ermittelt werden. Tendenziell dürfte die zweite Hälfte des 2. Jh.s n. Chr. dafür in Frage kommen. Lokale Schadensfeuer sind vermutlich als Ursache für diese umfangreiche Bautätigkeit heranzuziehen. Im 3. Jh. n. Chr. ist eine deutliche Verödung des Siedlungsplatzes beim Paulihof festzustellen. Bis auf einen nahezu prägefrischen Denar des Soldatenkaisers Maximinus Thrax (Abb. 9) fehlen konkrete Hinweise auf bauliche Strukturen. Dieses, in Raetien häufig zu beobachtende Phänomen, wird großteils auf die wiederholten Angriffe germanischer Kriegsverbände zurückgeführt, die für instabile Verhältnisse speziell innerhalb der Landbevölkerung sorgten. Ganze Dörfer wurden verlassen und die Bevölkerung zog sich auf befestigte Höhen zurück. In dieses Bild passt ein römisches Gebäude, das im späten 3. Jh. n. Chr. aus diesen genannten Gründen auf der Westterrasse der eisenzeitlichen Siedlung am Ganglegg errichtet worden war23. Der Vinschgau, der ein leicht zu überwindender Korridor über die Alpen nach Oberitalien war, dürfte im Zuge der Vorstöße nach Süden häufig frequentiert worden sein24. Erst im späten 4. Jh. n. Chr. ist eine bescheidene Wiedernutzung von Raum D gesichert. Diese Erkenntnis aus der archäologischen Grabung beim Paulihof belegt eindeutig ein Weiterbestehen der dörflichen Strukturen im Bereich des Talbodens bis in das 5. Jh. n. Chr. hinein. Auch die Siedlung bei St. Cosmas und Damian hinter Laatsch erlebte ihre Blütezeit in der Spätantike, worauf zahlreiche Fragmente von glasierten Reibschalen sowie das bisher einzige vorliegende Fragment einer afrikanischen Sigillata aus dem Arbeitsgebiet hinweisen. Der Rückzug auf Hügelkuppen in der unruhigen Zeit der Spätantike ist auch im Vinschgau zu beobachten. Bisher liegen allerdings nur spärliche Streufunde vor, die kaum mit baulichen Überresten kombiniert sind25. Die ergrabenen Befunde deuten eher auf Einzelgehöfte hin. Größere Rückzugssiedlungen mit Wehrmauer, wie sie etwa im Burggrafenamt oder im Südtiroler Unterland mehrfach belegt sind, sind nicht bekannt. Abbildungsnachweis Abb. 1: Datenquelle Autonome Provinz Bozen/Südtirol – Amt für raumbezogene und statische Informatik. Bearbeitet vom Verfasser Abb. 2–10: Verfasser Bibliographie Außerhofer 1976
M. Außerhofer, Die römischen Grabsteine in Südtirol, Der Schlern 50, 1976, 452–460 Dal Ri1995 L. Dal Ri, Die römische Zeit im Vinschgau, in: P. Bassetti Carlini – L. Dal Ri – U. Tecchiati (Hrsg.), Archäologie und Kunstgeschichte in KastellbellTschars und Umgebung (Kastellbell-Tschars 1995) 119–122 Gairhos 2000 S. Gairhos, Archäologische Untersuchungen zur spätrömischen Zeit in Curia/ Chur GR, JbSchwUrgesch. 83, 2000, 95–147 Gamper 2006 P. Gamper, Die latenezeitliche Besiedelung am Ganglegg in Südtirol. Neue Forschungen zur Fritzens-Sanzeno Kultur, Internationale Archäologie 91 (Rahden/ Westf. 2006) Ghedini – Pesavento 2002 F. Ghedini – St. Pesavento Mattioli, Una testa di Venere da Malles in Val Venosta, in: L. Dal Ri – S. di Stefano (Hrsg.), Archäologie der Römerzeit in Südtirol. Beiträge und Forschungen, Forschungen zur Denkmalpflege in Südtirol 1 (Bozen 2002) 150–157 Grabherr 2010 G. Grabherr, Die römische Siedlung in Biberwier in ihrem Kontext mit der Via Claudia Augusta, in: G. Grabherr – B. Kainrath (Hrsg.), conquiescamus ! Longum iter fecimus. Römische Raststationen und Straßeninfrastruktur im Ostalpen23 Gamper 2006, 383. 24 Schmidts 1998. 25 Burgruine Lichtenberg: Steiner 2010 a, 36–37; Tart-
scher Bichl: Lunz 2006, 36–37; Scheibenbichl/Taufers im Münstertal, Annenberg, St. Stephan/Schlinig, St. Georg/ Kortsch: Steiner – Harb 2010, 213.
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Die Römer im Oberen Vinschgau
Holliger – Pfeifer 1982 Innerkofler 1995 Kainrath 2010
Leitner 2004/05 Loose 2007
Lunz 2006 Marzoli 2009 Nothdurfter 2002 Ortisi 2002 Riha 1994 Schmidts 1998 Steiner 2010 a
Steiner 2010 b Steiner – Harb 2010
Zanier 1992
260
raum. Akten des Kolloquiums zur Forschungslage zu römischen Straßenstationen, Innsbruck 4. und 5. Juni 2009. Ikarus 9 (Innsbruck 2010) 242–274 Ch. Holliger – H. R. Pfeifer, Lavez aus Vindonissa, JberProVindon 1982, 1983, 45. V. Innerkofler, Die römische Steinplastik in und aus Südtirol (Diplomarbeit Innsbruck 1995) 44–54 B. Kainrath, Zur Interpretation einer römischen Fundstelle an der Via Claudia Augusta im Gurgltal, in: G. Grabherr – B. Kainrath (Hrsg.), conquiescamus ! Longum iter fecimus. Römische Raststationen und Straßeninfrastruktur im Ostalpenraum. Akten des Kolloquiums zur Forschungslage zu römischen Straßenstationen, Innsbruck 4. und 5. Juni 2009. Ikarus 9 (Innsbruck 2010) 216–239 S. Leitner, Der raetische Henkeldellenbecher. Ein Beitrag zur alpinen Kulturgeschichte der römischen Kaiserzeit, BerBayDenkmPfl 45/46, 2004/05, 173–194 R. Loose, ex necessitate aque ad aquandam culturam. Ein Rückblick auf die historische Bewässerungswirtschaft im alten Tirol, insbesondere im Vintschgau, in: G. Mühlberger – M. Blaas (Hrsg.), Grafschaft Tirol – Terra Venusta. Studien zur Geschichte Tirols, insbesondere des Vinschgaus, Schlern-Schriften 337 (Innsbruck 2007) 41–62 R. Lunz, Archäologische Streifzüge durch Südtirol 2 (Bozen 2006) 31–38 C. Marzoli, Brückenkopf, in: Denkmalpflege Jahresberichte 2007 (Bozen 2009) 183 f. H. Nothdurfter, St. Benedikt in Mals (Mals 2002) S. Ortisi, Die früh- und mittelkaiserzeitlichen Fibeln, in: Römische Kleinfunde aus Burghöfe 2 (Rahden/Westfalen 2002) 22–24 E. Riha, Die römischen Fibeln aus Augst und Kaiseraugst. Die Neufunde seit 1975, Forschungen in Augst 18 (Augst 1994) T. Schmidts, Germanische Einfälle in die Provinz Raetien zwischen 278 und 288?, BayVgBl 63, 1998, 167–185 H. Steiner, Neue archäologische Entdeckungen im Oberen Vinschgau: Römerzeit und Frühmittelalter, in: H. R. Sennhauser (Hrsg.), Pfalz – Kloster – Klosterpfalz St. Johann in Müstair. Historische und archäologische Fragen. Tagung 20.–22. September 2009 in Müstair. Acta Müstair, Kloster St. Johann 2 (Zürich 2010) 29–52 H. Steiner, Paulihof, in: Denkmalpflege in Südtirol 2009 (Bozen 2010) 180– 182 H. Steiner – I. Harb, Römische Straßenstation an der Via Claudia Augusta auf der Malser Haide (Vinschgau). Vorbericht, in: G. Grabherr – B. Kainrath (Hrsg.), conquiescamus ! Longum iter fecimus. Römische Raststationen und Straßeninfrastruktur im Ostalpenraum. Akten des Kolloquiums zur Forschungslage zu römischen Straßenstationen, Innsbruck 4. und 5. Juni 2009, Ikarus 9 (Innsbruck 2010) 190–213 W. Zanier, Das römische Kastell Ellingen, Limesforschungen 23 (Mainz 1992) 123–130.
Stephan Leitner
Abb. 1: Orthofoto des Arbeitsgebietes mit den 2009 entdeckten Fundstellen und dem vermuteten Trassenverlauf der Via Claudia Augusta
Abb. 2: Steingerechter Plan der Grabungsfläche von 2011
Die Römer im Oberen Vinschgau
Abb. 3: Grab 3 mit Steineinfassung (frühmittelalterlich)
Abb. 4: Teilansicht von Raum E mit den dunklen Verfärbungen der Holzkonstruktion und den mit Steinen verfüllten Pfostenlöchern
Abb. 5: Luftbildaufnahme von Raum B nach Freilegen des Holzfußbodens und der verstürzten Ofenkuppeln
Abb. 6: Detailansicht des Ofenbefundes 2 (links) sowie einer Auswahl an relativ gut erhaltenen Fragmenten der Ofenkuppel (rechts)
262
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Abb. 7: Luftbildaufnahme von Raum D
Abb. 8: Terra Sigillata Schalen der Form 37 aus den Rheinzabener Werkstätten des Commitialis V und des Januarius
Abb. 9: Denar des Soldatenkaisers Maximinus Thrax
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Die Römer im Oberen Vinschgau
Abb. 10: Zusammenstellung der wichtigsten Kleinfunde aus Raum B: 1 kräftig prof. Fibel vom Typ Cambodunum 3. – Scheibenfibel vom Typ Riha 7.10.2. – 3 Terra Sigillataschälchen vom Typ 27 (südgallisch) mit Töpferstempel. 4 Fragm. Reliefsigillata Drag. 37 (Bannassac ?). 5 glatte Sigillata Drag. 18. 6 oxid. gebrannte Knickwandschale. – 7 Laveztopf der Formengruppe III nach Holliger/Pfeifer. – 8 konischer Laveztopf mit Rillenbündeln. – 9 gemeißelter Laveztopf mit horizontalen Grifflappen. 1–2 Maßstab 1:2; 3–8 Maßstab 1:3; 9 Maßstab 1:4.
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Κἀπὶ Κυρβάντεσι χορεύσατε Ein soziologischer Versuch zu veränderten Bewusstseinszuständen in der Antike Patrick Marko 1. Einleitung „Ihr werdet mit den Korybanten tanzen“, prophezeit Plutarch seinen Lesern, sollten sie vom ἐνθουσιασμῷ βακχείῳ befallen werden1. Im vorliegenden Artikel soll versucht werden, diesen veränderten Bewusstseinszustand rasender Kultist(Inn)en etwas genauer zu definieren. S. Moraw hat vor einiger Zeit in ihrer Arbeit zur Mänade in der attischen Vasenmalerei2 ausführlich den auf den Abbildungen sichtbar werdenden gesellschaftspolitischen Hintergrund von Mänadendarstellungen herausgearbeitet. Im vorliegenden Beitrag soll das Phänomen des Mänadismus – der kultisch motivierten Trance im antiken Griechenland – nun aus einem anderen Blickwinkel, dem aus der Textebene, beleuchtet werden. Die primäre Fragestellung lautet: Wie genau manifestierten sich in antiken Kulten veränderte Bewusstseinszustände, die den Mythen über rasende Mänaden zugrunde lagen ? Da sich die Altertumswissenschaft dem Phänomen nur „aus zweiter Hand“, gefiltert durch die Berichte bzw. Abbildungen antiker Künstler, nähern kann, ist es naturgemäß nicht möglich zu ergründen, wie authentisch die Beschreibungen dieser Phänomene sind, ob die mänadischen thiasoi tatsächlich existierten, oder vielmehr der mythengenerierenden Phantasie von – vor allem männlichen – Symposiasten entsprangen. Fokus soll vielmehr die Bedeutung dieser kultischen, oder mythischen, Vorgänge in der Betrachtung der antiken Kulturen sein, dem Ausbruch aus allen gesellschaftlichen Normen und den bewusstseinsverändernden Einflüssen von Musik, Gruppenzwang und Drogen, die dafür verantwortlich gemacht werden. Aus der Sicht ethnologischer Fragestellungen, aus denen dieser Themenkomplex hier beleuchtet werden soll, ist der Realitätsgehalt der Überlieferungen nicht primär auf dem Prüfstand, es geht vielmehr um die Frage, wie plausibel die Geschichten den antiken Rezipienten und Weiter-Erzählern erschienen, nach den Parametern eines kulturellen Gedächtnisses, das unmittelbaren göttlichen Einfluss auf das menschliche Bewusstsein als möglich oder gar gegeben annahm. Mit anderen Worten, es kann hier nicht die Frage beantwortet werden, ob im Gehirn einer tanzenden Mänade tatsächlich physiologische Veränderungen auftraten, sehr wohl aber, ob diejenigen Autoren, die den Tanz beschreiben, eine solche für plausibel hielten, und vor allem, welche Techniken dafür verantwortlich gemacht wurden, Ekstase- oder Trancezustände hervorzurufen.
2. Methodologie 2.1 Einleitung Die vorliegende Annäherung an das Thema geschieht aus für die Archäologie ungewöhnlichen Winkeln – in Form einer grundsätzlich philologischen Beantwortung einer anthropologischen Frage unter Einsatz von Methoden der Corpuslinguistik und der empirischen Sozialwissenschaft3. Konkret soll versucht werden, die eingangs formulierte Frage durch Analyse eines Corpus von Zeugnissen antiker Autoren mit sozialwissenschaftlichen Methoden zu beantworten. 1 Plut. am. 16. 2 Moraw 1998. 3 Mein Dank für neue Ideen und guten Rat aus anderen Perspektiven geht an dieser Stelle an Sebastian See-
bauer vom Wegener Zentrum für Klima und Globalen Wandel und Bernd Brabec de Mori vom Zentrum für systematische Musikwissenschaft, beide Universität Graz.
265
Κἀπὶ Κυρβάντεσι χορεύσατε
Die Zusammenstellung der verwendeten antiken Texte geschah durch eine Volltextsuche nach den wichtigsten Begriffen, die im Zusammenhang mit dem Phänomen „veränderte Bewusstseinszustände“ stehen, in der Perseus-Datenbank antiker Literatur4. Diese ergab einen Corpus von Texten, der darauf hin auf Beschreibungen von veränderten Bewusstseinszuständen untersucht wurde (die Liste der in der Analyse verwendeten Texte s. Tab. 1). Ach. Tat. Iul.: or., in Gal. Ail. Nat. Longus Aischyl.: Ag., Ed., Eum. Lukian.: sacr., salt., dial. deor., Hes., hist. conscr., Anth. Gr. Tim. Apollod. Parth. Aret. SD Paus. Aristoph.: Lys., Nub., Ran., Thesm. Philostr. Ap. Aristot. pol. Philostr. imag. Arr.: an., Ind. Plat.: Ion, Krit., leg., Phaidr., Phil., rep., Tim. Chariton Plut.: am., corp. aff., Kleom., Crass., de Alex. Diod. fort., de def. or., de E, de garr., Per., qu. Epict. conv., qu.Gr., qu.R.; Rom. Eur.: Bacch., Cycl., Hel., Herc., Hipp., Ion, Pol. Iph. T., Or., Phoen., Tro. Soph. Ant. Eus. HE Strab. Tabelle 1: Liste der verwendeten Texte
Die so zusammengestellte Sammlung von Textstellen wurde dann weiter wie Interviews aus einer sozialwissenschaftlichen Umfrage behandelt und mit dem in der Sozialforschung verwendeten Analyseprogramm MaxQDA der Firma VERBI Software, Consult, Research GmbH. 5 bearbeitet. Hierbei wurden die Texte verschlagwortet, und anhand des speziell zusammengestellten Schlagwortbaumes (vgl. Tabelle 2) auf Erwähnungen von veränderten Bewusstseinszuständen im religiösen Kontext einerseits, sowie Musik, Tanz und anderen Aspekten untersucht, die mit Trance oder Besessenheit in Verbindung gebracht werden. Gott/Göttin/heilig Ares Demeter Gaia Hera Kybele/Meter/Rhea Marsyas Orpheus Poseidon Semele Verdrehte Augen Lorbeer Fackeln Schlaf/Traum/Entspannung Altered State Katecho Theiazo Ekstasis Aeolia Arcadia
202 10 6 1 12 21 1 9 3 14 3 5 7 36 53 19 13 8 1 1
4 .
266
Aphrodite/Eros Artemis Bakchos/Dionysos Hekate Hermes Attis Musen Pan Sarapis Zeus Hitze Aufregung Wein
18 8 176 2 7 9 30 13 1 59 2 4 56
Apollo Athena Erinnyen Helios Iakchos Galli Nymphen Pluto Satyrn
36 11 3 8 4 2 20 3 8
Efeu Weihrauch/Drogen Thyrsos
35 2 34
Theoforetes Korybantes Mania/mainomai Enthousiasmos/entheos Ägypten Argos
3 16 145 67 5 5
Epipnoia Prophetie/Orakel BakchArabia Asia
8 89 148 2 5
Patrick Marko Athen Delos Dorien Eleusis India Kreta Media Peloponnes Phrygia Strymon Thrakia Mousiké Bombykes Krotala Lyra Salpinx Tanz Stille Wildnis Berg Nacht Öffentlich Teleté Tabelle 2: Schlagworte
4 3 7 1 23 2 0 1 21 2 4 60 1 5 6 1 107 3 20 55 26 4 30
Bactria Delphi Dyme Icaria Kithairon Leucadia Naxos Persia Sikyon Syria
1 25 1 1 20 1 1 1 1 2
Boeotia Dodona Elea Berg Ida Knidos Lydia Nysa Phoenicia Skythia Theben
1 1 1 4 1 14 12 2 2 36
Aulos Keras Kymbala Rhoptra Syrinx Haar/Kopf schütteln
44 5 9 2 4 18
Barbiton Kithara Lotos (Flöte) Rhombus Tympanon Singen/Schreien
1 12 1 1 19 66
Insel Meer Tag Mysteria
2 5 9 25
Quelle Höhle Geheim Orgia
17 9 15 31
2.2 Begriffsdefinitionen 2.2.1 Ethnologische Termini Am Beginn der Untersuchung muss zunächst eine möglichst genaue Definition der verwendeten Begriffe stehen. Diese Arbeit versucht Phänomene veränderter Bewusstseinszustände in der klassischen Antike genauer zu definieren, die diese beschreibende Terminologie ist allerdings weder in der Anthropologie noch in der Gehirnforschung eindeutig. Dies zeigte etwa schon G. Rouget in seiner Monographie „La musique et la transe“6, in der er einen Überblick über die Verwendung der primär relevanten Begriffe „Ekstase“ und „Trance“ in früheren Publikationen gibt7. Da sich auch in deutschsprachiger Literatur meines Wissens keine einheitliche Bedeutungsabgrenzung dieser Begriffe gegeneinander finden lässt8, folgt dieser Artikel der Terminologie von 5 Vgl. . Gearbeitet wurde mit MaxQDA2007. Genauer zur Methode und verwendete Parameter der Auswertung mit MaxQDA vgl. Marko – Seebauer 2013. 6 Rouget 2008. Da die jüngste Ausgabe nicht verfügbar war wurde für die vorliegende Arbeit die englische Übersetzung des Buches verwendet: Rouget 1985. 7 Rouget 1985, 3–10. 8 vgl. etwa „Ekstase: Erlebnisform mit rauschartiger Bewusstseinsveränderung u. dem Gefühl, die Grenzen des Ich zu überschreiten, verbunden mit gestörter Selbst- u. Fremdwahrnehmung u. eingeschränkter Selbstkontrolle inf. gesteigerter Affekte;“ (Psychiatrie, Klinische Psychologie, Psychotherapie [Berlin o. D.] s. v. Ekstase, [21.10.2012]) sowie „Trance: Zustand mit veränderter Bewusstseinslage u. eingeschränkter od. selektiv ausgerichteter Empfänglichkeit für Umweltreize; Formen: 1. dissoziativer Trancezustand (engl. trance disorder); Form der dissoziativen Störungen, bei der ein zeitweiliger Verlust der persönl.
Identität u. der vollständigen Umgebungswahrnehmung auftritt, häufig in Komb. mit stereotypen Verhaltensweisen u. Bewegungsmustern; Besessenheitszustand: impliziert Ersetzung der eigenen durch neue Identität, die für die Zeit der T. Kontrolle übernimmt; nachfolgend meist Amnesie;“ (ebda. s. v. Trance, [21.10.2012]). Noch undifferenzierter z. B.: „Ekstase: meist religiös motivierter Trancezustand, verbunden mit dem Gefühl der Verzückung und Unwirklichkeit; rauschhafter Zustand, in dem die Kontrolle über das Bewußtsein entzogen ist.“ (SAV Lexikon der Psychologie [Heidelberg u. a. 2002] s. v. Ekstase) sowie „Trance: schlafähnlicher Zustand mit deutlich eingeschränkter Ansprechbarkeit, Vorherrschen von ungesteuerter Motorik und Mangel an willkürlichen Bewegungen. Trance kann z. B. durch Hypnose, Drogen, Musik oder Autosuggestion hervorgerufen werden. Religiös motivierte Trancezustände werden auch als Ekstase bezeichnet.“ (ebda. s. v. Trance).
267
Κἀπὶ Κυρβάντεσι χορεύσατε
Rouget, der auch in der englischen Ausgabe seines Werkes bei der französischen Begriffsabgrenzung bleibt, da zusätzlich zu der Schwierigkeit, dass die beiden Termini in der Fachliteratur meist ohne genauere Differenzierung mehr oder weniger synonym verwendet werden, das Problem unterschiedlicher Assoziationen in verschiedenen Sprachfamilien tritt. Das französische Wort „transe“ bezeichnet alltagssprachlich, was auf Englisch mit „ecstasy“ bezeichnet wird, und umgekehrt, französisch „extase“ müsste also mit englisch „trance“ übersetzt werden9. In seiner Definition grenzt Rouget also die Phänomene voneinander wie folgt ab: „Ekstase“ wird hervorgerufen durch Bewegungslosigkeit, Stille, Abwesenheit von Menschen und Sinneseindrücken und ist gekennzeichnet durch das Auftreten von Halluzinationen und danach einer präzisen Erinnerung an das Geschehen. Im Gegensatz dazu steht „Trance“, hervorgerufen durch starke Bewegung, Geräusche bis hin zur sensorischen Überstimulation, in Gruppen, ohne Halluzinationen oder „Visionen“, aber mit Erinnerungslücken nach dem Erlebnis10. Die hier zu bearbeitenden veränderten Bewusstseinszustände in antiken Kulten sollen demnach als Trancezustände bezeichnet werden. Rouget unterteilt diesen Zustand der Trance weiter in verschiedene Unterklassen, etwa „shamanic trance“ und „possession trance“, die er folgendermaßen unterscheidet: „The difference between the shamanic and possession trance thus seems to rest in three factors: the former is a journey made by a man to visit the spirits, the latter is a visit by a spirit (or divinity) to the world of men; in the former the trance subject gains control over the spirit embodied within him, in the latter the reverse is true; and lastly, the former is a voluntary trance whereas the latter is an involuntary one“11. Die Abgrenzung der einzelnen Phänomene ist nicht immer klar zu treffen, insbesondere angesichts des weltweiten Reichtums an Kulturen, in deren Gebräuchen veränderte Bewusstseinszustände eine Rolle spielen, eine detaillierte Diskussion der einzelnen Faktoren würde wiederum den Rahmen dieses Beitrags sprengen, insofern soll hier wiederum etwas vereinfachend Rouget12 gefolgt werden und die der griechischen Welt typischen veränderten Bewusstseinszustände als Besessenheitstrance („possession trance“) bezeichnet werden. 2.2.2 Antike Terminologie Auf der Basis dieser Terminologie soll nun untersucht werden, welche Aspekte dieses Bedeutungsfeldes antike Autoren mit den relevanten Begriffen der altgriechischen Sprache (Tab. 313) verbanden. βακχεύω Βάκχη ἔκστασις ἔνθεος ἐνθουσιάζω ἐνθουσιασμός θυιάς μαινάς μάινομαι
das Bacchosfest feiern, wie Bacchanten toben; Raserei einf lößen Bacchantin, Verzückte, Rasende das Außersichgeraten, Verzückung in welchem Gott ist, gotterfüllt, (gott)begeistert gottbegeistert, außer sich sein Verzückung, Begeisterung von Dionysischer Raserei ergriffenes weibliches Wesen, Bakchantin die Rasende, bes. Bakchantin; begeisternd In Wahnsinn, Raserei versetzt werden, rasend werden, wüten, toben; verzückt, in bakchischer Begeisterung sein μανία Raserei, Wut, Wahnsinn; Verzückung, Begeisterung ὄργια geheimer, religiöser Gebrauch, heilige Handlung, Geheimdienst, bes. der Demeter u. des Bacchos, der Kybele, der Kabiren σπαραγμός Zerren, Reißen, Zerreißen; Krampf, Zucken Tabelle 3: Griechische Begriffe 9 vgl. Rouget 1985, 3–4. Vergleichbar ist die Situation m. W. in anderen romanischen resp. germanischen Sprachen, etwa deutsch und italienisch. 10 Rouget 1985, 11.
268
1 1 Rouget 1985, 23. 12 Rouget 1985, 187. 13 Übersetzungen (tw. gekürzt) nach Gemoll 1965.
Patrick Marko
Der Begriff μανία zunächst, den Rouget mit Trance gleichsetzt14, zeigt primär die rein medizinische Bedeutung von „geistige Umnachtung“, ohne kultischen Hintergrund15. Er wird beispielsweise von Demosthenes häufig eingesetzt um die Vorschläge politischer Gegner zu denunzieren, kommt aber in den homerischen Epen nicht ein einziges Mal vor16. Auch die etymologisch verwandten Mänaden werden nicht notwendigerweise mit μανία in Zusammenhang gebracht. Ähnlich verhält es sich mit dem Begriff ἐνθουσιασμός: Dieser bezeichnet einen außergewöhnlichen Geisteszustand in ähnlichem Sinne wie μανία, aber mit gegenteiligen Assoziationen, im Sinne von herausragender soldatischer Kampfwut oder inspirierter politischer Entscheidungskraft. Das Wort selbst bezeichnet in wörtlicher Übersetzung die Anwesenheit eines Geistes oder Gottes im ἐνθουσιαστής, könnte also als Besessenheit, oder angesichts der positiven Assoziationen besser als Beseeltheit übersetzt werden. Dennoch kommt es wie gesagt nicht primär im Kontext von kultischer Trance vor. Plato fällt hier etwas aus der üblichen Reihe, er verwendet für seine Beschreibung der vier Arten von beseelten Zuständen, die apollinische, dionysische, musische, und aphrodisische Trance, den Begriff μανία17. Ἔκστασις andererseits, das nach seiner Etymologie mit dem Zustand der shamanic trance gleichzusetzen wäre, also dem Zustand einer Person, deren Seele auf einer Reise zu anderen Bewusstseinsebenen den Körper verlassen hat, wird in der Antike fast ausschließlich in einem sehr speziellen Kontext verwendet: in christlichen Texten, wie etwa dem Neuen Testament18, oder der historia ecclesiastica des Eusebius. Eine Ausnahme dazu ist interessanterweise Plutarch, der das Wort relativ häufig verwendet19. Ein weiteres Wort, das Rouget im Zusammenhang mit Trancezuständen in der Antike erwähnt, ist κατέχω20. Auch in diesem Fall muss etwas genauer differenziert werden; κατέχω wird in antiken Texten überwiegend in einer rein militärischen Bedeutung gebraucht, im Sinne von erobern oder beherrschen einer Stadt oder eines Landstrichs 21. Die für die vorliegende Arbeit relevante Konnotation von „besitzen/beherrschen“, also „Besessenheit“, ist nur selten intendiert, dann aber meist in Form der Phrase „κατεχομένος ἔκ του θεῶν“22, oder genauer etwa „ἐκ Μουσῶν“23. Sogar der Wortstamm βακχ- verweist nicht notwendigerweise auf einen kultischen Kontext. Die Wortfamilie scheint öfter im Zusammenhang mit symposiastischen Szenen auf, wo auf die Gegenwart von Bakchos Dionysos in Gestalt des freudenbringenden Weines zwar angespielt wird, dies führt aber in diesen Texten nie zu Bewusstseinszuständen, die über das Maß einer „weltlichen“ Betrunkenheit hinausgehen. Zusammenfassend kann gesagt werden, dass das Altgriechische keinen spezifischen Begriff für einen Trancezustand kennt, der durch religiöse bzw. kultische Rituale hervorgerufen wird. Anders ausgedrückt, das Weltbild der griechischen Kultur kennt anscheinend keinen Geisteszustand, der ausschließlich durch den Einfluss einer Gottheit hervorgerufen wird, oder von Menschen zur Kontaktaufnahme mit einer Gottheit erreicht werden muss. Dies scheint ein nicht unbedingt vorhersehbares Ergebnis dieser Nachforschungen zu sein, da ja orgiastische Riten etwa für Dionysos 14 Rouget 1985, 188. Diese eindeutige Entsprechung kann in der vorliegenden Untersuchung nicht ganz nachvollzogen werden, sie bezieht sich vor allem auf die Verwendung des Begriffs durch Platon, die aber m. E. teilweise von der Bedeutung, wie sie aus anderen Texten erschlossen werden kann, etwas abweicht. 1 5 z. B. Aret., SD 1,5: „δοκέει τε δέ μοι μανίης τε ἔμμεναι ἀρχὴ καὶ μέρος ἡ μελαγχολίη . τοῖσι μὲν γὰρ μαινομένοισι ἄλλοτε μὲν ἐς ὀργὴν …“. 16 Vgl. auch Ath. 11,12, wo Chrysippos spöttelt, dass alle Arten von Vorlieben als μανία verunglimpft werden, wie etwa Gynaikomania, Ortygomania etc. 17 Plat., Phaidr. 244A; cf. auch Plut. am. 16.
18 Lk 5,26; Mk 5,431; 16,8; Apg 3, 10; 10,101; 11,5; 22,17. 19 Vgl. auch Rouget 1985, 7: „One might have expected Plato to use it [den Begriff ἔκστασις] in the context of μανία, but he never does. In fact the word did not figure in his vocabulary at all.“ 20 Rouget 1985, 190. 2 1 Vielfach etwa in Arr., an.; Cass. Dio; Dion. Hal. 22 z. B. Eur. Bacch. 1124: „ἐκ Βακχίου κατείχετ᾽ […]“; Parth. 4, 1: „ἔκ του θεῶν κατεχομένην“. 23 z. B. Lukian, hist. conscr. 8; cf. auch Plut. am. 16: „ἐξ Ἀπόλλωνος ἐπιπνοίας καὶ κατοχῆς“.
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oder Kybele einerseits, sowie verschiedene Mysterienkulte, denen bewusstseinsverändernde Riten nachgesagt wurden und werden, andererseits in der griechischen Welt weit verbreitet waren. An dieser Stelle sei auch angemerkt, dass es in den Quellen keinerlei Hinweise auf Vorgänge in Mysterienkulten gibt, Erwähnungen dieser sind grundsätzlich immer beschränkt auf die Bemerkung, dass die kultischen Vorgänge geheim bleiben müssen24. Dies ist hier noch einmal hervorzuheben, auch um anzusprechen, dass ich hier streng zwischen den besprochenen Kultpraktiken und „Mysterienkulten“ im engeren Sinne unterscheide, welche oft in die Nähe dieser Praktiken gerückt werden. In meiner Untersuchung konnte ich wie gesagt mangels expliziter Hinweise keinerlei diesbezügliche Verbindung nachweisen.
3. Auswertung der bearbeiteten Texte 3.1 Beziehungen zwischen Göttern und Trance Die identifizierten Quellen gestatteten den Versuch, antike kultische Erfahrungen von veränderten Bewusstseinzuständen genauer zu beleuchten. Die in den Kanon aufgenommenen Texte schildern diese Phänomene primär in Verbindung mit dem Kult von Dionysos, Bakchos, Iakchos etc. 25 (Diag. 1) Letzterer ist natürlich besonders damit in Verbindung zu bringen, da er nicht nur selbst der Gott der Ausschweifung schlechthin ist, sondern darum als Personifikation und gewissermaßen als Schutzherr von derartigen Praktiken in die Kulte anderer Götter aufgenommen wurde26. Dazu sei hier eine Bemerkung von Plutarch erwähnt, nach der in Delphi eigentlich ein und der selbe Gott unter zwei Namen verehrt werde, sowohl als pythischer Apoll mit getragenen Zeremonien, als auch als Dionysos mit wilden Riten27. Neben generischen Begriffen (der Gott, das heilige …)28 sind auch Zeus und Semele in der Statistik vertreten, sie kommen in den Texten v. a. in ihrer Eigenschaft als Eltern des Dionysos vor, sowie Hera, die ebenso in Zusammenhang mit dem Mythos des Dionysos häufig erwähnt wird. Hier dominieren die Begriffe βάκχ- gemeinsam mit μανία/μάινομαι. Im Kontext mit Nymphen und Musen andererseits wird μανία deutlich häufiger erwähnt als βάκχ-, bei Satyrn ist die Situation umgekehrt, was auf einen subtilen Unterschied in der Wahrnehmung der Geschlechtszugehörigkeit dieser Formen der Raserei hindeutet. Musen werden häufiger als andere Gottheiten auch mit ἐνθουσιασμός verbunden; Kybele erwartungsgemäß mit den Κορύβαντες. In einer anderen Anordnung der gleichen Daten (Diag. 1b) fallen andere Details ins Auge, etwa die Tatsache, dass κατέχω im Sinne von Besessenheit praktisch ausschließlich in den Sphären des Dionysos und der Musen auftritt, bei μανία und βάκχ- ist am häufigsten Dionysos vertreten, bei ἐνθουσιασμός liegen die Musen noch vor Dionysos. Meter/Kybele wird mit μανία und βάκχ- etwa gleich häufig in Verbindung gebracht wie Hera, Semele, Nymphen, Satyrn oder Musen, mit den Κορύβαντες wie Musen und Satyrn, andere Gestalten weniger häufig (bzw. liegt Dionysos gleichauf mit Kybele, angesichts seiner generellen Dominanz in den Texten wird er hier vergleichsweise selten genannt). 24 Vgl. etwa Mylonas 1961, 224–225 mit Quellen. 25 Die hier verwendete Gleichsetzung des Dionysos mit Iakchos und anderen Schutzgöttern bakchischer Vorgänge (ebenso wie die implizierte Genese von Kultvorschriften und Riten) ist selbstverständlich stark vereinfachend, eine detailliertere Differenzierung würde den Rahmen dieses Artikels bei weitem sprengen. Zum Iakchos-Aspekt vgl. etwa Kerenyi 1994, 60–63, vgl. aber auch Mylonas 1961, 238. 276–285, der streng zwischen Iakchos und Dionysos unterscheidet. Weitere Literatur etwa in LIMC V.1 (1990) 612 s. v. Iakchos (E. Simon). Eine genauere Auswertung des Textcorpus im Hinblick auf unterschiedliche Assoziationen zu den diversen Gottesna-
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men wäre eine weitere Anwendungsmöglichkeit der vorgestellten Untersuchungsmethode (s. u.). 26 Vgl. Mylonas 1961, 318: Definition von Iakchos. 27 Vgl. Plut., de E 9. 28 Die Verwendung der hier subsumierten Worte könnten meist aus dem Textkontext spezifischen Gottheiten zugeschrieben werden, dies wurde aber zur Vermeidung von Überinterpretationen vermieden. Anzumerken ist jedenfalls, dass die Begriffe ὁ θεός/ἡ θεά in den untersuchten Texten nicht in der spezifischen Bedeutung des eleusinischen Kultes in Verbindung mit Hades/Persephone vorkommen.
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3.2 Verbindungen zwischen Musik und Trance Eine wichtige Detailfrage der vorliegenden Untersuchung betrifft die Verwendung von μουσική, d. h. Gesang, Tanz und einzelner Musikinstrumente, um veränderte Bewusstseinszustände hervorzurufen. Die Ergebnisse der Abfrage nach einer Verbindung dieser mit Begriffen aus dem Bedeutungsfeld „Trance“ zeigt Diagramm 2. Diagramm 2 a visualisiert die absoluten Häufigkeiten einer Verbindung zwischen veränderten Bewusstseinszuständen und den diversen Methoden, sie hervorzurufen. Als wichtigster Faktor zeigt sich der Tanz, besonders unter Berücksichtigung des Aspektes „Kopf (oder Haare) schütteln“, der als eine spezielle Form der rhythmischen Bewegung „Tanz“ betrachtet werden kann. Auch Gesang wird häufig erwähnt, ebenso das Wort μουσική selbst, das ja Musik und Tanz einschließt. Neben diesen musikalischen Bedingungen werden auch weitere (mögliche) Einflussfaktoren erwähnt, vor allem Wein, Efeu und thyrsoi, im Gegensatz dazu kommen Drogen nicht im Zusammenhang mit Trancezuständen vor. Schlaf und Entspannung scheinen allerdings sehr wohl auf, ein Umstand, der in Diagramm 2 b erklärbar wird: In dieser Darstellung der relativen Begriffshäufigkeiten wird deutlich, dass Schlaf die höchste Korrelationsrate mit Prophetie aufweist. Diese Form der bewusstseinsverändernden göttlichen Präsenz ist im Gegensatz zur klassischen, hier vor allem behandelten Form bacchischer Riten durchaus vereinbar mit Schlaf und Traumbildern. Mανία andererseits zeigt nur geringe Verbindungen zu Schlaf, diese scheint primär mit Tanz, Gesang und Aulosmusik verbunden worden zu sein. Ein weiterer bemerkenswerter Aspekt dieser Graphik ist die Relation von μανία und βακχeinerseits, sowie ἐνθουσιασμός anderseits: Während ἐνθουσιασμός in absoluten Zahlen weniger häufig verwendet wurde als die beiden anderen Begriffe, tritt jener gerade dort öfter auf, wo diese seltener erscheinen, speziell in Verbindung mit μουσική und der Kithara. Im Gegensatz dazu wurden Kymbala und Tympana anscheinend mit βακχεύω und Κορύβαντες verbunden. 3.3 Trance im Kontext Neben diesem musikalischen Kontext können noch weitere Umstände visualisiert werden, die mit Trancezuständen in Verbindung gebracht werden können. Die Zusammenstellung in Diagramm 3 zeigt einige klare Tendenzen auf, zunächst die Tatsache, dass Assoziationen mit dem Begriff „geheim“ klar überwiegen vor „öffentlichen“ Vorgängen. Orgiastische Riten werden im Kontext mit Nacht doppelt so häufig erwähnt wie mit Erwähnungen des Tages, aber auch tagsüber waren diese wohl möglich, wie über 50 entsprechende Einträge hervorheben. Am eindeutigsten erforderlich für eine erfolgreiche mänadische Raserei scheint aber, dass diese abseits der städtischen Zivilisation, in der unberührten Wildnis stattfinden musste, besonders Berge und (Gebirgs)quellen werden häufig erwähnt.
4. Schlussbemerkung Nach Abschluss der Verschlagwortung des Textcorpus kann mit der beschriebenen computergestützten Auswertungsmethode jede beliebige semantische Beziehung untersucht werden. Die vorgestellten Statistiken unterstreichen die impliziten Assoziationen im griechischen Sprachgebrauch von veränderten Bewusstseinszuständen mit Göttern, vor allem Dionysos, einerseits, aber auch Musik und Tanz, sowie Wildnis. Ein weiteres Beispiel für eine lohnende Richtung derartiger Nachforschungen wäre etwa das Aufzeigen einer gedanklichen Verbindung zwischen der kultischen Trance in verschiedenen Ausformungen, ihren „Schutzgöttern“ und gewissen Gebieten der griechischen Welt, wie etwa „Phrygien“, sowohl als Bezeichnung eines tatsächlich vorhandenen, abgrenzbaren geographischen Raums, als auch als eine Chiffre für einen Sehnsuchtsort oder eine Anderswelt außerhalb des Alltags, wie es über die Assoziation mit Kybele und ähnlichen Gottheiten im griechisch-römischen Bewusstsein präsent gewesen zu sein scheint. Diesen und weiteren
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Nuancen griechischer „Terminologie der Trance“ genauer auf den Grund zu gehen, wäre zweifellos ein lohnendes Unterfangen. Bibliographie Gemoll 1965 Kerenyi 1994 Marko – Seebauer 2013 Moraw 1998
Mylonas 1961 Rouget 1985 Rouget 2008
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W. Gemoll, Griechisch-deutsches Schul- und Handwörterbuch 9(Wien 1965) K. Kerenyi, Dionysos. Urbild des unzerstörbaren Lebens (Stuttgart 1994) P. Marko – S. Seebauer, A Content Analysis Perspective on Altered States of Conciousness in Classical Antiquity, Rosetta 14, 2013, 20–37 S. Moraw, Die Mänade in der attischen Vasenmalerei des 6. und 5. Jahrhunderts v. Chr. Rezeptionsästhetische Analyse eines antiken Weiblichkeitsentwurfs (Mainz 1998) G. E. Mylonas, Eleusis and the Eleusinian Mysteries (Princeton 1961) G. Rouget, Music and Trance. A Theory of the Relations between Music and Possession (London 1985) G. Rouget, La musique et la transe: Equisse d’une théorie générale des relations de la musique et de la possession 3(Paris 2008)
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Abb. 1 a: Verbindungen zwischen Göttern und Trance
Abb. 1b: Verbindungen zwischen Göttern und Trance
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Abb. 2 a: Verbindungen zwischen Musik und Trance, Absolutwerte
Abb. 3: Kontexte von Trance
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Abb. 2 b: Verbindungen zwischen Musik und Trance, Relativwerte
Zum Stand der Experimentellen Archäologie in der Steiermark Daniel Modl Dieser Beitrag1 versucht einen kurzen Überblick über alle publizierten archäologischen Experimente und verwandten Aktivitäten zu geben, die in den letzten Jahrzehnten in der Steiermark durch diverse Institutionen, Vereine, Gruppen und Einzelpersonen durchgeführt wurden oder nachweislich auf einem steirischen Fund/Befund basierten.
Begriffsdefinition und -abgrenzung Bei einem archäologischen Experiment (Abb. 1) handelt es sich um einen Versuch, der auf Basis archäologischer, historischer oder ethnologischer Quellen erfolgt und dem als Ausgangslage eine genau definierte Fragestellung z. B. zur Herstellung oder zur Funktion zugrunde liegt. Im Zuge des Experiments wird versucht alle messbaren Daten und alle wirkenden Größen zu dokumentieren um dadurch die spätere Nachvollziehbarkeit der Ergebnisse und die etwaige Wiederholung des Versuchs zu ermöglichen. Die durch das Experiment interdisziplinär gewonnen Resultate können schließlich Theorien bestätigen, wie auch infrage stellen, haben aber letztendlich keinen Beweischarakter2. Aus dieser Definition wird deutlich, dass viele in Museen oder bei Veranstaltungen als „experimentalarchäologisch“ bezeichnete Aktivitäten, wie z. B. die Bearbeitung von Feuerstein oder die Eisenverhüttung vor Publikum eigentlich nichts mit einem archäologischen Experiment zu tun haben. Sie sind vielmehr der Archäotechnik zuzuordnen, die historische Herstellungstechniken und Arbeitsweisen untersucht und einem breiten Publikum vermitteln will3. Für den nun folgenden forschungsgeschichtlichen Abriss weniger von Bedeutung sind die Begriffe Reenactment und Living History, die ebenfalls nicht mit experimentellen Arbeiten verwechselt werden dürfen und entweder konkrete historische, meist militärische Ereignisse oder einen fiktiven Lebensalltag nachzustellen versuchen4.
Pionierforschung Bereits in den 70 er- und 80 er-Jahren des 19. Jahrhunderts wurden in der Steiermark erste Schritte unternommen, archäologisch-kulturhistorische Fragestellungen durch praktische Versuche zu klären. In diesem Zusammenhang muss der spätere steirische Landeshauptmann Ladislaus Gundaker Graf Wurmbrand (1838–1901) genannt werden, der im Jahr 1877 in Hüttenberg an der kärntnerisch-steirischen Grenze ein Experiment zur Eisenverhüttung durchführte. Dabei gelang 1 Für Informationen und Abbildungsgenehmigungen danke ich: Dr. Michael Brandl (ÖAW, Wien), Dr. Roger Doonan (Sheffield University), Dr. Clemens Eibner (Universität Heidelberg); Robert Fürhacker (Gutenberg a.d. Raabklamm), Dr. Anton Kern (NHM, Wien), Dr. Susanne Klemm (ÖAW, Wien), Mag. Katharina Krenn (UMJ, Schloss Trautenfels), Dr. Manfred Lehner (Universität Graz), HR Dr. Bernhard Hebert (BDA, Wien), Dr. Marko Mele (UMJ, Graz), Wolfgang Otte (UMJ, Schloss Trautenfels), Dipl.-Ing. Dr. Hubert Preßlinger (voestalpine Stahl GmbH, Linz), Mag. Hans Reschreiter (NHM, Wien), Wolfgang Scheiblechner (Palfau), Dr. Bernhard Schrettle
(ASIST, Graz), Dr. Gerhard Sperl (Montanuniversität Leoben) und Dr. Ulla Steinklauber (Universität Graz) sowie den Grazer Studenten Levente Horvath, Angelika Kupfer, Cornelia Lenz, Robert Pritz, Maria Brigitta Scheer und Lydia Valant. 2 Grundlegend: Ascher 1961; Coles 1976; Malina 1983; Andraschko – Schmidt 1991; Richter 1991; Schmidt 1993; Fansa 1996; Reynolds 1999. Bibliografie: Vorlauf 2011. 3 Zuletzt: Schmidt – Wunderli 2008. 4 Zuletzt: Willmy 2010.
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es ihm im Verlauf von 26 Stunden in einem Grubenofen, nach einem unvollständigen Befund vom Hüttenberg, zwölf Pfund brauchbares Schmiedeeisen aus lokalen Erzen zu erzeugen5. Zwei Jahre zuvor machte er von sich reden, als er auf der 48. Versammlung Deutscher Naturforscher und Ärzte 1875 in Graz einen Steinbohrapparat erfolgreich vorführte6, den er bereits einige Jahre zuvor auf der Basis der Vorarbeiten des Schweizer Pfahlbauforschers Ferdinand Keller (1800– 1881) und völkerkundlicher Vergleiche konstruiert hatte (Abb. 2)7. Eine andere Fragestellung, die Wurmbrand zeitgleich verfolgte, war jene, der Härte von Bronze. Zu Lebzeiten Wurmbrands gab es nämlich noch widersprüchliche Ansichten, wie im Altertum die Verzierungen auf Bronzeobjekten ohne Verwendung eines stählernen Werkzeugs hergestellt werden konnten. Um diesen Sachverhalt zu klären, ließ sich Wurmbrand beim Waffentechniker Franz Freiherr von Uchatius (1811–1881) in Wien Kopien bronzezeitlicher Waffen – einer Lanze und eines Schwertes – aus Gussstahlbronze anfertigen, die in der Folge mit Schleifsteinen und Bronzemeißeln effektiv nachbearbeitet werden konnten8. Beide Waffen sind später von der Anthropologischen Gesellschaft in Wien, bei der Wurmbrand Gründungs- und Ausschussmitglied war, der Prähistorischen Sammlung des k.k. Naturhistorischen Hofmuseums, dem heutigen Naturhistorischen Museum in Wien geschenkt worden (Abb. 3). Dort wurden sie jedoch als Imitationen einige Jahrzehnte später wieder aus der Sammlung ausgeschieden (ex PA/ NHM, Inv.-Nrn. 1991 u. 1992).
Architekturrekonstruktionen Zur gleichen Zeit als Wurmbrand seine Versuche durchführte, errichtete der Kammerherr Niels Frederik Bernhard Sehested (1813–1882) im dänischen Broholm bereits die erste bekannte urgeschichtliche Architekturrekonstruktion unter experimentellen Bedingungen9. In der Steiermark sollte aber noch ein halbes Jahrhundert vergehen, bis die Bauern von St. Margarethen nach den Ausgrabungsplänen des damaligen Landesarchäologen Walter Schmid im Jahr 1930/31 mit dem sogenannten „Königshaus“ von Noreia (Abb. 4), das erste urgeschichtliche Architekturmodell der Steiermark erbauen sollten. Das Gebäude ist heute noch zu besichtigen, musste aber im Laufe der Zeit verschiedene Funktionen, wie Museum, Schafstall und Abstellraum erfüllen10. Ab den 1980 er-Jahren sollten dem Königshaus in der Steiermark weitere Architekturmodelle und -ensembles folgen, die ebenfalls nicht unter experimentalarchäologischen Bedingungen errichtet wurden, da sie entweder keinem konkreten Befund zugrunde lagen oder großteils mithilfe moderner Werkzeuge erbaut wurden. Zu nennen sind hier das „Keltenhaus“ in Ligist (1987; Abb. 5)11 oder das „Keltendorf“ am Kulm bei Weiz (1986 bzw. 1999/2000)12. Neben Gebäuden begann man mit der Zeit aber auch andere bauliche Strukturen aus der Urgeschichte und Römerzeit als Freilichtanlagen zu errichten13, wie z. B. ein kleines Teilstück eines „murrus gallicus“ am Ringkogel bei Hartberg (2001)14, einen „keltischen Wehrturm“ am Königsberg bei Heimschuh (2004) oder die teilweisen in situ Konservierungen bzw. Rekonstruktionen norisch-panno5 Wurmbrand 1877, 152. Vgl. auch Sperl 1981, 96 f.; Windl 2001, 4. 6 Frischauf u. a. 1875, 288. Vgl. auch Wurmbrand 1875, 121–125; Wurmbrand 1887, 96–102. 7 Vgl. Walter 2010. 8 Wurmbrand 1877, 153; Much 1882, 53 f. Vgl. auch Burton 1884, 53. 9 Ahrens 1990, 12 f. 10 Vgl. Ahrens 1990, 56 f. 191; Schmid 1973, 10–12 Abb. 8–10; Haas-Trummer 2007, 30 f. 102–104. 1 1 Ahrens 1990, 98–100. 187. 12 Ahrens 1990, 94. 189. 13 In diesem Zusammenhang soll auch auf wiederer-
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richtete, mittelalterliche und neuzeitliche Industrieanlagen verwiesen werden, wie z. B. ein spätmittelalterlicher Kalkbrennofen am Taxberg bei Mühldorf nahe Feldbach oder ein Schwefelofen in der Walchen bei Öblarn. Seit mehreren Jahren ist auch eine Teilrekonstruktion der römischen Villa von Retznei im Gespräch, doch führten die Bemühungen von Dr. Bernhard Schrettle (ASIST, Graz) bislang nur zur ersten Koordinationsgesprächen mit Land und Gemeinde. Im Rahmen ihrer im Abschluss befindlichen Diplomarbeit „Die Archäologie in der Steiermark. Präsentation – Vermittlung – Finanzierung“ versucht Angelika Kupfer alle derartigen Rekonstruktionen zusammenzufassen. 14 Bichl – Reisinger 2004, 48.
Daniel Modl
nischer Hügelgräber u. a. in Neudorf bei Semriach (1962/63)15, am Autobahnrastplatz der A2 bei St. Johann in der Haide (1985)16 und in Lebing bei Vorau (2009)17. Zur Steirischen Landesausstellung „Die Römer“ im Jahr 2004 betraute die Gemeinde Großklein das Vienna Institute for Archaeological Science (VIAS) in Wien mit der Errichtung eines archäologischen Freilichtmuseums. Nach archäologischen Befunden vom Burgstallkogel und anderen eisenzeitlichen Fundstellen wurde hier durch Wolfgang Lobisser und Kollegen unter experimentalarchäologischen Bedingungen ein Gehöft aus der Hallstattzeit, bestehend aus Wohnhaus, Webhaus, Hochspeicher und Brotbackhütte erbaut (Abb. 6). Dabei wurde mit rekonstruierten Lappenbeilen, Dechseln, Ziehmessern, Löffelbohrern, Stemmbeiteln und einfachen Sägen aus Roheisen gearbeitet18. Den zentralen Kern der Anlage bildet ein großes Wohngebäude, ein Schwellenbau auf Unterlagsteinen, dessen Wände in einer kombinierten Block- und Ständerbautechnik ausgeführt wurden. Neben einer Herdstelle wurden im Inneren auch Nachbildungen von einfachem Mobiliar aufgestellt. Heute wird die Anlage regelmäßig für öffentliche Veranstaltungen und Workshops genutzt.
Archäotechnik und öffentliche Veranstaltungen Die Publikumswirksamkeit und der didaktische Wert der Experimentellen Archäologie wurde in der Steiermark erst Ende der 1970 er Jahre erkannt, als man im Rahmen öffentlicher Veranstaltungen begann archäotechnische Demonstrationen durchzuführen, wie beispielsweise zwischen 1979 und 1981 in Vordernberg als Gerhard Sperl und Clemens Eibner vom damaligen „Arbeitskreis Vordernberg“ zum jährlichen Laurentifest einen Rennofen und Kohlemeiler betrieben (Abb. 7). Weitere Eisenverhüttungsversuche von Sperl fanden in den 1980 er-Jahren in Trofaiach und Vordernberg wiederholt vor Publikum und für das Fernsehen statt19. Für ein vom Bergbau geprägtes Land, wie die Steiermark ist es nicht verwunderlich, das auch in der Folge Schmelzversuche bei öffentlichen Veranstaltungen vermehrt durchgeführt wurden. Zu nennen sind hier die Schlossfeste in Trautenfels 1995/96 und 2001, als Clemens Eibner die bronzezeitliche Kupfergewinnung von der Aufbereitung zur Verhüttung (Abb. 8) 20 und Wolfgang Scheiblechner den mittelalterlichen Rennofenprozess zur Eisenerzeugung21 einem interessierten Publikum vorstellten. Ebenfalls in unregelmäßigen Abständen, nämlich in den Jahren 2008 und 2011, fanden in Weitendorf für Mitglieder des Hengist-Vereins und Einheimische durch den Arbeitskreis für „Experimentelle Archäologie“ der Österreichischen Gesellschaft für Ur- und Frühgeschichte (ÖGUF) Eisen- und Bronzeschmelzversuche statt22. Die größte Breitenwirkung dürfte vermutlich eine Rennofenvorführung durch Wolfgang Scheiblechner auf der ScienceWeek Austria 2002 in der Grazer Innenstadt erzielt haben (Abb. 9), als in der ersten Junihälfte 2002 österreichweit Bildungseinrichtungen, Vereine und Unternehmen ihre wissenschaftlichen Forschungsergebnisse präsentierten23. Regional erfolgreich waren auch die vom Tourismusverband Hartberg und dem Universalmuseum Joanneum im August 2003 veranstalteten Projekttage „Rund um den Kalk“, bei der ein vom Geologen Karl Stingl errichteter traditioneller Kalkbrennofen betrieben wurde24. Das römische Handwerk stand dagegen im Mittelpunkt zahlreicher Museums- und Römerfeste, die in den 1990 er- und 2000 er-Jahren Tausende von Besuchern in die südsteirischen Gemeinden Leibnitz, Seggauberg und Wagna lockten. Diese anfänglich von Restauratoren des Joanneums mitbetreuten Veranstaltungen erfuhren im Laufe der Jahre eine starke Popularisie1 5 Modrijan 1969, 30. 16 JJb N.F. 13, 1983, 96; JJb N.F. 15, 1985, 119; Hinker 2002, 3 Abb. 1. 2. 17 FÖ 48, 2009, 40 Abb. 22. 36. 18 Lobisser 2007 a; Lobisser 2007 b. 19 Sperl 1980, 160 Abb. 2; Sperl 1988, 199–225 Tab. 3.13.
20 21 22 23 24
Preßlinger – Eibner 1996. Klemm u. a. 2002. Nau 2008. Klemm 2008, 12. JJb N.F. 33, 2003, 89.
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Zum Stand der Experimentellen Archäologie in der Steiermark
rung und Kommerzialisierung und waren zum Schluss vor allem durch die Vorführungen in- und ausländischer Reenactmentgruppen und diverser Laiendarsteller aus dem Kreis des „Archäologischen Vereins Flavia Solva“ und des „Museumsverbandes Südsteiermark“ geprägt25. Daneben gab es in der Steiermark zahlreiche Veranstaltungen mit workshopartigen Charakter, die aus archäotechnischen Vorführungen bestanden an denen die TeilnehmerInnen auch aktiv mitwirken konnten. Als Beispiele seien hier, die jährlich stattfindenden experimentalarchäologischen Veranstaltungen von Clemens Eibner und Josef Hasitschka im Nationalpark Gesäuse 26 oder der vom Universalmuseum Joanneum zwischen 2002 bis 2004 mitbetreute Projektunterricht „Eisen aus dem Sulmtal – Keltische Schmiedekunst“ der Hauptschule Leibnitz in Heimschuh erwähnt27. Waren die genannten Veranstaltungen für kleine Teilnehmergruppen ausgelegt, dann bildet der vom Verfasser und Michael Brandl betreute Workshopteil im Rahmen des „ConsErVENT 2005“ am Bundesdenkmalamt in Graz eine Ausnahme. Hier wurden vom 7. bis 9. Oktober 2005 mehreren Hundert BesuchernInnen nach einer kurzen didaktischen Einführung die Möglichkeit geboten sich in der Feuersteinbearbeitung und Kupferschmuckherstellung zu versuchen (Abb. 10)28. Öffentliche Veranstaltungen sind stets eine große Herausforderung für die Vermittelten und ExperimentatorenInnen. Dabei spielt es keine Rolle, ob es sich um ein großes Publikum mit ständig wechselnden ZuschauernInnen handelt oder um kleine Personengruppen, die aktiv am Versuch mitwirken. Problematisch wird es, wenn die Vorführung als archäologisches Experiment ausgeführt werden soll, da die interessierten TeilnehmerInnen meist durch Fragen die Aufmerksamkeit des Experimentators/Experimentatorin auf sich ziehen und die geregelte Dokumentation des Versuchsablaufs behindern. Dementsprechend allgemein gehalten sind zumeist auch die publizierten Berichte zu derartigen Veranstaltungen.
Museumspädagogik, Ausstellungsgestaltung und Filmdokumentation Wie sah das Neandertaler-Feuerzeug aus und wie funktioniert Steinzeit-Graffiti? Mögliche Antworten auf diese und weitere Fragen versucht seit 2009 das Archäologiemuseum in Schloss Eggenberg in Graz (Universalmuseum Joanneum) zu geben. Anhand verschiedener Themengebiete, wie z. B. der Erzeugung von Feuer, der künstlerischen Verwendung von Erdfarben, der Herstellung von Serpentinbeilen oder dem Punzieren von Kupferblechen, tauchen in der Workshopreihe „Museum experimentell“ oder in den „Sommerwochen“ regelmäßig MuseumsbesucherInnen in die Vergangenheit ab und bekommen die Gelegenheit alte Techniken, Werkzeuge und Rohstoffe näher kennenzulernen (Abb. 11)29. In steirischen Museen erschöpft sich der Einsatz der experimentellen Archäologie und Archäotechnik natürlich nicht nur in solchen museumspädagogischen Veranstaltungen, sondern findet vor allem im Ausstellungswesen seinen Fixplatz. Als Beispiel sei hier die Sonderausstellung „Das Antlitz des Königs“, über den letzten Hallstattfürsten von Kleinklein, im Jahr 2004 in Schloss Eggenberg genannt, für die von der Universalkünstlerin Eva Grollegger und dem Restaurator Robert Fürhacker vier Keramikgefäße rekonstruiert wurden. Als schönstes Gefäß dieses Satzes darf dabei ein großes Kragenhalsgefäß mit Senkrechtkannelierung gelten, an dem sich die Ausführenden bemühten möglichst nahe an die Form und Farbgebung des Originals heranzukommen (Abb. 12)30. 25 Zu den Anfängen siehe: JJb N.F. 20, 1990, 85 f.; JJb N.F. 21, 1991, 222 f. 26 Hasitschka 2012. 27 JJb N.F. 32, 2002, 84–85; JJb N.F. 33, 2003, 87– 89; JJb N.F. 34, 2004, 155–157. 28 FÖ 44, 2005, 91. 29 Vgl. JJb N.F. 40, 2010, 201; JJb N.F. 41, 2011, 57.
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30 Unerwähnt soll in diesem Zusammenhang auch nicht der Rekonstruktionsversuch der Bronzemaske und der beiden Hände vom Kröllkogel und ihre Montage auf einer hölzernen Büste sein, die von Eva Grollegger und dem Goldschmied Hubert Ranftl hergestellt wurden und ebenfalls in der Sonderausstellung zu sehen waren (Abbildung bei: Kramer 2007, 193 Abb. 10).
Daniel Modl
Nicht minder qualitätvoll waren die Rekonstruktionen hallstattzeitlicher Gefäße, die die Landesberufsschule Graz 5 mit fachlicher Unterstützung von Diether Kramer, Heinz Lackinger und Robert Fürhacker im Rahmen des Projekts „Urban Culture and Ceramics through Centuries“ nach ursprünglichen Arbeitstechniken anfertigten und die später ebenfalls in die genannte Ausstellung integriert wurden 31. Aufwendig war auch die Herstellung von Metallrepliken aus dem steirischen Depotfund Brandgraben für ein Diorama in der Ausstellung „schätze.gräber.opferplätze“, die 2008 im oberösterreichischen Traunkirchen stattfand. Trotz Zeitdruck bemühte sich hier der Verfasser mit urgeschichtlichen Materialien und Techniken zu arbeiten, so wurden alle Metallrepliken in Ton- und Sandsteinformen gegossen (Abb. 13)32. Neben diesen materiellen Rekonstruktionen bilden in den letzten Jahren verstärkt Kurzfilme die Möglichkeit in Ausstellungen Herstellungsprozesse in ihrer Gesamtheit und Komplexität darzustellen. So geschehen in den beiden Sonderausstellungen des Joanneums, „Das Antlitz des Königs“ (2004) und „Zeitenanfang – Die altsteinzeitlichen Funde aus der Repolusthöhle“ (2011/ 12), wo man die Herstellung kleiner Henkelschälchen mit weißer Inkrustierung bzw. die Anfertigung des Wolfszahnanhängers aus der Repolusthöhle nachverfolgen konnte (Abb. 14). Auch in Fernsehdokumentationen werden experimentelle Arbeiten aufgrund ihrer hohen Schauwerte gern gezeigt, wie z. B. in der 1984 gedrehten Spieldokumentation „Auf Erz gebaut“ (Regie: Willi Hengstler) in der ein Eisenschmelzofen in Vordernberg nach Anleitung von Gerhard Sperl errichtet und betrieben wurde oder in der 1992 ausgestrahlten Universum-Folge „Der Zeuge aus dem Gletscher“ (Regie: Ebba Koller), in der Hannes Herdits und Gerhard Sperl in Leoben die Herstellung des Kupferflachbeils des „Ötzi“ nachstellten33.
Universitäre Ausbildung Die Vermittlung historischer Arbeitstechniken ist natürlich nicht nur im musealen Rahmen, sondern auch auf universitärer Ebene ein wichtiges Anliegen. Während in Wien Lehrveranstaltungen zur Experimentellen Archäologie seit 1982 regelmäßig angeboten werden und nach Schätzungen auch von 80–90% aller Studierenden in Anspruch genommen worden sind34, steht die Experimentelle Archäologie am Grazer Institut nur sporadisch am Lehrplan35. Im Laufe der Jahre haben jedoch zahlreiche Grazer Kolleginnen und Kollegen auf Vermittlung der Mitglieder des Arbeitskreises Experimentelle Archäologie der ÖGUF im Freilichtgelände des Urgeschichtlichen Museums im niederösterreichischen Asparn/Zaya oder zuletzt in der Alten Mühle im burgenländischen Rechnitz die Möglichkeit bekommen in die Experimentelle Archäologie hineinzuschnuppern. Dass Interesse in Graz an der Methode besteht, zeigen die vielen selbstständigen Arbeiten einiger StudentenInnen36, die sich mit der Bein-, Keramik-, Pergamentund Textilverarbeitung beschäftigen. Hervorzuheben ist beispielsweise der Rekonstruktionsversuch eines dreilagigen Beinkamms aus dem spätantiken Gräberfeld am Frauenberg bei Leibnitz durch Robert Pritz (Abb. 15).
3 1 JJb N.F. 36, 2006, 307 f.; Kramer 2006, 9. Siehe auch: 32 Modl 2008. 33 Barfield u. a. 1992, 87 f. 34 Krenn-Leeb u. a. 2011, 20. 35 In den Sommersemestern 2010, 2011 und 2013
hielt Mag. Hannes Herdits (Landesmuseum Burgenland, Eisenstadt) am Institut für Archäologie Übungen zur Experimentellen Archäologie und Technikgeschichte ab, die im Sommersemester 2014 ihre Fortsetzung finden sollen. 36 Namentlich erwähnt seien hier: Cornelia Lenz, Robert Pritz, Maria Brigitta Scheer und Lydia Valant.
279
Zum Stand der Experimentellen Archäologie in der Steiermark
Archäologische Experimente Nur wenige in und außerhalb der Steiermark durchgeführte Versuche erfüllen aufgrund ihrer Fragestellung, umfassenden Dokumentation, gewissenhaften Durchführung und ausführlichen Publikation, tatsächlich die Norm eines archäologischen Experiments. Sie entstanden meist im Rahmen der interdisziplinären Aufarbeitung von Grabungen, aber auch im Zusammenhang mit der restauratorischen Behandlung von Museumsobjekten oder universitärer Abschlussarbeiten. Inhaltlich decken die einzelnen Experimente mit der urgeschichtlichen Nahrungszubereitung, der bronzezeitlichen Kupfermetallurgie, der hallstattzeitlichen Schmuckherstellung, dem römischen Bestattungswesen und der frühmittelalterlichen Schmiedetechnologie unterschiedliche Themen und Zeitstufen ab. Ihre Ziele betrafen die Interpretation unklarer Grabungsbefunde, die Erforschung alter Handwerkstechniken und Herstellungsabläufe sowie die Rekonstruktion technischer Anlagen. Auf Basis der 1992 von Susanne Klemm begonnen archäologischen Untersuchungen auf dem bronzezeitlichen Kupferschmelzplatz S1 in der Eisenerzer Ramsau und den dort entdeckten Röstbetten, führte der Brite Roger Doonan in den Folgejahren diverse Aufbereitungsversuche im englischen Sheffield durch. Dabei handelte es sich um zwei Serien von Röstversuchen mit mechanisch zerkleinertem und händisch angereichertem Kupferkies aus der Eisenerzer Region, die jedoch im dazugehörigen Bericht durch keinerlei Fotografien belegt sind37. Ebenfalls außerhalb der Steiermark, nämlich im Freigelände des Urgeschichtemuseums von Asparn/Zaya erfolgte im Jahr 1995 durch Ulla Steinklauber und Helmut Windl die Rekonstruktion eines römischen Töpferofens, der im Jahr 1990 in Hörbing bei Deutschlandsberg entdeckt wurde (Abb. 16). Nach etwas mehr als zwei Wochen fanden zwei Probebrände mit rekonstruierter spätantiker Gefäßkeramik statt. Das Ergebnis war jedoch durchwachsen, da keine reduzierende Atmosphäre im Ofeninneren erreicht werden konnte38. Erfolgreicher verlief die im Jahr 2000 durch StudentenInnen des Instituts für Archäologie der Karl-Franzens-Universität Graz erfolgte Errichtung und archäologische Untersuchung eines römischen Grubenbustums mit Grabhügel im Garten des Bundesdenkmalamtes in Graz. Auf einem ein Meter hohen Scheiterhaufen wurde damals eine mit ausgelösten Schweineknochen ausgestopfte Strohpuppe zusammen mit zahlreichen Beigaben aus Keramik, Glas, Bronze und Bein innerhalb von 46 Minuten verbrannt (Abb. 17). Anschließend wurde die Grabgrube verfüllt und ein Erdhügel aufgeschüttet, worauf eine archäologische Grabung mit dem notwendigen Dokumentationsaufwand simuliert wurde39. Im Jahr darauf begann der Kunstschmied Wolfgang Scheiblechner mit der maßstabgerechten und detailgetreuen Rekonstruktion einer frühkarolingerzeitlichen Spatha vom Typus Mannheim aus dem Gräberfeld von Hohenberg in der Obersteiermark. Die Arbeiten verteilten sich über mehrere Jahre und umfassten Experimente zur Eisenerzverhüttung und die eigentlichen Schmiedearbeiten. Zur Herstellung der Schwertklinge mussten z. B. zwei unterschiedliche Stahlqualitäten mit dem Klingenkern aus weichem Renneisen durch Feuerschweißung mühevoll verbunden werden, während bei der Tauschierung von Knauf und Parier mit Messingdraht dagegen große Genauigkeit gefragt war (Abb. 18)40. In verschiedenen archäologischen Kontexten finden sich rundliche Quarz- und Quarzitgeschiebe, die eine intensive Rotfärbung, eine craquelierte Oberfläche und charakteristische Bruchmuster aufweisen. Sie werden häufig als „Hitzesteine“ für Kochzwecke interpretiert. Um diese Fundgruppe besser ansprechen zu können, wurden im Jahr 2003 von Michael Brandl in Graz Ex-
37 Doonan 1994; Doonan u. a. 1994. 38 Steinklauber – Windl 1998.
280
39 Siami – Kern 2001. 40 Scheiblechner 2005.
Daniel Modl
perimente zum Bruchverhalten von hitzebeeinflussten Quarzgesteinen, die mit Wasser in Kontakt kamen, durchgeführt, an denen regelhafte Bruchmuster beobachtet werden konnten41. Nachdem 2006 das Universalmuseum Joanneum einen Großteil der Grabbeigaben aus dem hallstattzeitlichen Fürstengrab Pommerkogel in Kleinklein dem Römisch-Germanischen Zentralmuseum in Mainz (RGZM) zur Restaurierung übergeben hatte, begann sich die dortige Restauratorin Jasmin Munir mit der Herstellungstechnik eines Hohlarmringes mit Rippenzier aus dem Fundkomplex zu beschäftigen. Ihre Versuche zeigten, dass zum knickfreien Biegen eines geraden Rohres aus Bronzeblech, dem Ausgangsstück jedes Hohlrings, ein stabiles Kernmaterial und eine feste Ummantelung notwendig waren. Das Kernmaterial wurde zudem für die Einarbeitung der plastischen Rippenzier genutzt, welche von außen erfolgte42. Im Rahmen einer im Jahr 2011 in Graz abgeschlossenen Diplomarbeit43 hat schließlich der Verfasser versucht anhand archäologischer Experimente gewisse Fragestellungen im Bereich der urgeschichtlichen Kupfergewinnung und -verarbeitung in der Steiermark zu erforschen. Im Zentrum des Interesses lagen Versuche zur Feuersetztechnik, zur mechanischen Zerkleinerung, nassmechanischen Aufbereitung, Röstung und Verhüttung von sulfidischem Kupferkies sowie zum Gebrauch von Gebläsen, zur Köhlerei und schließlich zur Bronzeguss- bzw. Schmiedetechnik (Abb. 19). Aus 36 Einzelexperimenten konnte so schließlich für die Steiermark ein anschauliches Gesamtbild der einzelnen bergbaulichen bzw. metallurgischen Produktionsschritte und Arbeitsprozesse von der Gewinnung des Ausgangsprodukts, dem Kupfererz, bis hin zum fertigen Endprodukt, in Form einer gegossenen Bronzenadel, vorgelegt werden. Zwei Detailuntersuchungen daraus, zum Bau einer ostalpinen Doppelofenanlage 44 und zur Herstellung und Zerkleinerung plankonvexer Gusskuchen45 sind daraus bereits publiziert worden. Als Experimentiergelände und Baugrund für die diversen technischen Anlagen diente von 2001–2006 ein Privatgrundstück im Norden von Graz, das vom Verfasser und Michael Brandl auch für schulische und studentische Veranstaltungen genutzt wurde.
Fazit Archäologische Experimente und Rekonstruktionen stellen heutzutage ein ideales Medium dar, um archäologische Inhalte einer breiten Öffentlichkeit attraktiv zu vermitteln. Davon zeugen die angeführten Beispiele, jedoch wird auch deutlich mit welchen strukturellen Problemen diese nur von wenigen betriebene Forschungsmethode in der Steiermark zu kämpfen hat. Es sind dies die fehlende Verankerung an eine wissenschaftliche Institution, die mangelnde Einbindung in interdisziplinäre Forschungsprojekte und die spärliche Rezeption, der oft knapp oder versteckt publizierten Arbeiten. Der Verfasser hofft mit diesem Überblick auf einige „experimentalarchäologische“ Aktivitäten der Vergangenheit und mögliche Tätigkeitsfelder für die Zukunft aufmerksam gemacht zu haben.
4 1 Die Forschungsergebnisse sind bislang unpubliziert, wurden von Dr. Michael Brandl (ÖAW, Wien) aber 2010 auf dem ÖGUF-Symposium in Wien im Rahmen eines Vortrags („Experimente zu Bruchmustern an Hitzesteinen“) vorgestellt. Vgl. Exzerptbroschüre – Internationales ÖGUF-Symposium Wien 2010, Experimentelle Archäolo-
gie: Theorie – Praxis – Wissenschaft – Vermittlung, 27. bis 30. Oktober 2010, Naturhistorisches Museum Wien, 19. 42 Munir 2010. 43 Modl 2011. 44 Modl 2004. 45 Modl 2010.
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Zum Stand der Experimentellen Archäologie in der Steiermark Abbildungsnachweis Abb. 1: Grafik D. Modl Abb. 2: Wurmbrand 1875, Abb. S. 123 Abb. 3: © PA/NHM, Wien Abb. 4: © BDA, Graz; Foto M. Oberer Abb. 5. 10. 13. 19: Foto D. Modl Abb. 6: © UMJ, Graz; Foto M. Mele Abb. 7: © Arbeitskreis Vordernberg; Foto G. Sperl Abb. 8: © UMJ, Trautenfels; Foto V. Hänsel Abb. 9: © Archaeology & Communication, Wien/Eisenerz; Foto S. Klemm Abb. 11–12: © UMJ, Graz; Foto D. Modl Abb. 14: © UMJ, Graz; Video R. Mele Abb. 15: Foto R. Pritz Abb. 16: Foto U. Steinklauber Abb. 17: © BDA, Graz; St. Karl Abb. 18: Foto W. Scheiblechner Bibliographie Ahrens 1990
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Abb. 1: Der Ablauf eines archäologischen Experiments
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Daniel Modl
Abb. 2: Steinbohrapparat von Ladislaus Gundaker Graf Wurmbrand (1875)
Abb. 3: Inventarbucheintrag zu den beiden von Franz Freiherr von Uchatius hergestellten Bronzekopien (1887)
Abb. 4: Das „Königshaus“ von Noreia (2008)
Abb. 5: Das „Keltenhaus“ in Ligist (2001)
Abb. 6: Das hallstattzeitliche Gehöft am Burgstallkogel bei Großklein (2010)
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Zum Stand der Experimentellen Archäologie in der Steiermark
Abb. 7: Rennofenversuch zum Laurentifest in Vordernberg (1979)
Abb. 9: Rennofenversuch zur ScienceWeek in Graz (2002)
Abb. 10: Herstellung von Feuersteinklingen im Rahmen der Veranstaltung „ConsErVENT“ am Bundesdenkmalamt in Graz (2005)
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Abb. 8: Kupferschmelzversuch zum Schlossfest in Trautenfels (1995)
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Abb. 11: Kupferblechbearbeitung in der „Sommerwoche“ am Joanneum in Graz (2010)
Abb. 12: Gefäßrekonstruktion für die Ausstellung „Das Antlitz des Königs“ am Joanneum in Graz (2006)
Abb. 13: Sandsteingussform für die Herstellung der Metallrepliken für die Ausstellung „schätze.gräber.opferplätze“ in Traunkirchen (2008)
Abb. 14: Screenshot aus dem Video „Von der Hornsteinknolle aus dem Reiner Becken zum Wolfszahnanhänger aus der Repolusthöhle“ für die Ausstellung „Zeitenanfang – Die altsteinzeitlichen Funde aus der Repolusthöhle“ am Joanneum (2011/12)
Abb. 15: Replik eines Beinkamms vom Frauenberg (2010)
Abb. 16: Rekonstruktion des römischen Töpferofens von Hörbing in Asparn/Zaya (1995)
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Zum Stand der Experimentellen Archäologie in der Steiermark
Abb. 17: Kremationsexperiment am Bundesdenkmalamt in Graz (2000)
Abb. 18: Nachschmiedung der Spatha von Hohenberg (2001)
Abb. 19: Kupferverhüttungsversuche in Graz (2006)
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Hellenistic Fortification of Epetion (East Adriatic) Preliminary Observations on the 2012 Geophysical and Archaeological Probes 1 Tina Neuhauser – Marina Ugarković – Matthias Rode – Oliver Sass – Johannes Stangl The ancient settlement of Epetion (Fig. 1), today called Stobreč, is located about 5 km to the South-East of the modern city of Split, in Central Dalmatia (Croatia). The establishment of this small, yet urban settlement is customarily considered in connection with the colonial activity and territorial expansion of the most prominent ancient Greek colony in Dalmatia, Issa, on the island of Vis. Polybius describes how in 158 BC Issa sent several missions to Rome in order to complain about the local tribe of the Delmats who ravened their land and cities they were allied with, Tragurion and Epetion. 2 Based primarily on this ancient source, most scholars considered these localities Issean sub-colonies on the Dalmatian coast. 3 However, some authors interpret the significant lack of Hellenistic material remains as an indication that Epetion was, in fact, never an Issean, but rather a local settlement. 4 For any ancient Greek city, after the foundation, its priorities included establishing its chora, its political and economic territory, as well as an area of influence. 5 In the case of Issa, that was founded in the first half of the 4 th century BC, the expansion of its agrarian and political territory focused on the neighboring islands (Biševo, Korčula) and middle Dalmatian mainland (Trogir, Stobreč, Solin). 6 Epetion was probably, if not a typical sub-colony, then a local settlement in alliance with Issa sharing its laws and rights along with the mutual space of interest. Considering the natural links to neighboring regions and the geographic position of Epetion, it is indeed possible, if not probable, that it played a role in transmitting Issean agricultural and other products, as well as cultural traits, further into the mainland and along the coast. Given the extreme lack of research that has on Epetion been done in the past, along with the modern devastations, it is currently not possible to confirm archaeologically all these pertinent research questions concerning this locality. The locality of Epetion is situated on a geographically favorable position, on an approximately 4.5 ha large, elongated peninsula, surrounded by the Adriatic Sea. On the opposite side of the peninsula the mouth of river Žrnovnica ends in the bay of Epetion and behind the river are the massive mountains of Mosor (Fig. 2). In close proximity of Epetion a proportion of fertile land was available, splitsko and žrnovačko polje, most probably used for agriculture also in antiquity. Therefore the advantages of Epetion included a good, protective harbor, that could accommodate ships engaged in seaborne contacts, adjacency of fertile land and natural good communications into the hinterland. The other Issean sub-colony or local settlement in alliance with Issa on the mainlad, Tragurion, today Trogir, that was situated approximately 30 km distance up the coast in the opposite, North, direction, exhibits similar characteristics. Between Tragurion and Epetion was Salona, later to become the capital of the Roman Province Dalmatia, where it seems, Isseans also had a community. 7
1 Neuhauser – Ugarković 2013, 159–168; Ugarković – Neuhauser 2013, 55–59. 2 Pol. 32, 9, 1. 3 Gabričević 1966; Cambi 1974, 3; Kirigin 1996, 63; Čargo 2010, 8.
4 5 6 7
Maršić 1997. Domínguez 2010, 28. Kirigin 1996, 63–66. Kirigin 1996, 66; Kirigin 2010 a.
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Hellenistic Fortification of Epetion (East Adriatic)
The urban development of Epetion started probably in the 3 rd century BC. Polybius offers us only a terminus post quem for the association of this settlement with Issa. If there was an earlier outpost, it was probably settled with local Bullinoi, who populated that area during the Iron age. 8 However, as yet, no material evidence of such settlement has been recovered. The exploration of Epetion could offer an insight into the relationship of Issa with local population of middle Dalmatian mainland, inferring on their response to small scaled Greek colonization in Dalmatia, and the reciprocity of economic and cultural traits. After the Hellenistic period, Epetion continued its existence as Epetium, a minor settlement, possibly as prefectures of Salonitanian agerus. 9 The continuity of living lasted certainly through the whole period of antiquity till the end of the Late Roman times, but as time passed the urban character of Epetion faded until it was finally lost with the appearance of Avars and Slavs in the 7 th century AD. 10 Modern Stobreč still kept its rural character. Today, since the 1970 s, the whole peninsula has been proclaimed as a cultural monument of Republic of Croatia, while the whole bay area became protected in the 2000’s, followed by the discovery of cultural layer from the antiquity, with material from Hellenistic period till the Late Roman times. 11 The little knowledge we have about the urban features of Epetion, exemplifies some hybrid features. 12 It was encircled by the fortification walls, whose fragments were in the past reported and documented on North, North-East, South, South-West and West side (Fig. 3). 13 Some authors suggest that the fortification followed the modern street layout that, like a ring, encompassed Epetion. 14 The natural layout of the settlement was partially protective on its own, especially on the South side which is dominated by steep cliffs ending in the Adriatic. Today, the only fragments of the fortification are visible on the North/North-East side of the peninsula (Fig. 4). Some modern dry stone walls that separate the parcels in Stobreč, especially on the South-East side, used the Hellenistic fortification as their foundation thus helped preserving the original position of it, while some stones from the Hellenistic fortification were found in second use within the dry stone walls. 15 Next to the mentioned remains of the fortification walls on the North-East side, according to A. Faber, the main sea gate was situated. 16 It was suggested that the position of an agora could have been behind this gate, inside the city. 17 However, such assumptions have not been confirmed by any evidence. The main gate of the settlement was probably on the West side, today below the modern road which leads to the local church of Sv. Lovre. This was the only way to approach Epetion from the mainland, so perhaps, this area had the strongest fortification. The elongated inner space of the settlement resulted in more numerous vertical (North/ South) then horizontal (East/West) communications. 18 B. Gabričević suggested that the Hellenistic cult center could have been at the highest point on the peninsula where the cult continuity can be confirmed from the Roman times up to 17 th century. 19 The necropolis was probably, and naturally, positioned outside the city walls, in this case on the West side. West from the walls of Epetion, on the locality called Drage, while moderns buildings were erected, the graves from the Roman period were discovered. The graves from the Hellenistic, or earlier, times, have, so far, not been unearthened. However, it is highly probable that the few vases, that are kept in the Archaeological Museum of Split, and come from Stobreč, used to furnish some, in the vicinity, Late Hellenistic graves. 20 These vases, partially published,
8 9 10 11 12 13 14 15
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Ps. Scyl. 22; Ps. Scymn. 404. Suić 2003, 63. Cambi 1974, 3. Radić Rossi 2003, unpublished. Cambi 2002, 29. Faber 1983, 31. Kirigin 2010, 142. These parts of the Hellenistic fortifications are not
anymore visible today because they are below the terrain level. 16 Faber 1983, 25–26. 17 Faber 1983, 17. 18 Cambi 2002, 30. 19 Gabričević 1966, 156; Cambi 1974, 8; Faber 1983, 2. 20 Kirigin 2010, 143 cat. 183.
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– together with the ceramic material recovered during the investigations of the fortification in the 70 s – and the remains of the fortification are indeed the only current archaeological evidence for the Hellenistic Epetion. 21 The available publication of the mentioned ceramic sherds allows us to fit them broadly in the time period from the 3 rd to 1st century BC. In 2012 the Croatian Archeological Institute and the Institut für Archäologie der KarlFranzens-Universität Graz started an archaeological and interdisciplinary cooperation project concerning ancient Stobreč, and several specific research questions whose study focused on enfolding the details about the topography and history of the settlement, including the area of the bay. The natural starting point were the fragments of the Hellenistic walls, preserved and today visible on the North side. In February 2012, in collaboration with the Institute for Geography und Regional Science Graz (IGR), a non-destructive method (GPR), was used to investigate the area inside and outside of the remains of the Northern fortification walls. 22 The Institute for Geography und Regional Science Graz (IGR) used for the subsurface investigations their Ground-penetrating radar (GPR) equipment, manufactured by MALÅ geosystems. The GPR-device consists of three separate components, a control- (CUII), a transmitter- and a receiver-unit, connected by fiber optic cables. The equipment is designed to be moved manually (step by step) and is thus, not perfectly suited for archaeological investigations where usually a cart with a trigger wheel is used. The expected archaeological excavation depth in Stobreč was less then 10 m. Due to this comparetively shallow target depth, unshielded 200 MHZ antennas were used, which are those with the highest frequency available at the time of the measurements (higher frequency = better resolution at low depths). After first test measurements it was clear that the penetration depth at the Stobreč site would not exceed 2–4 m. It can be assumed that this strong attenuation is the result of the coastal sediments which are characterised by fine grains and a high salt content. To capture the underground propagation velocity of the GPR-pulses, a common midpoint measurement (CMP) was carried out. The CMP measurement on the soil-covered part of the investigation site showed a propagation velocity of 0.09 m/ns. The GPR-profiles in Fig. 5 can be interpreted as follows: The delineated hyperbolas are reflections of point-shaped subsurface bodies or linear elements which are crossed by the GPR profile. This could be e. g. single rocks, pathways (cables, pipelines), or ancient walls. More or less dominant problems are the overhead reflections of objets at the surface like surrounding buildings, cars etc. These objects cause wide stretched hyperbolas, which are marked by an “A”. Prominent underground reflections are highlighted with an arrow. In some unclear cases the arrows are connected with a question mark (?). In the GPR-profiles S1, S2, S3 and S4 one can find a clear surface parallel reflection at a depth of 0.9–1.0 m. It is highly probable that this is the reflection of the groundwater table. This would perfectly match the additionally determined sea level nearby. Furthermore, two strong reflections (marked with 1. and 2.) can be detected in the profiles S1 and S2 of Fig. 5 and in all other cross-profiles. That implies that there must be a lengthwise subsurface structure, which is situated parallel to the street. Reflection “1.” should be regarded with caution because this strong reflection could also be some pipeline or cable. As a conclusion of the GPR measurements in Stobreč one can say that the results are interesting but need to be confirmed and expanded with further measurements. The 200 MHZ antennas do not yield the necessary subsurface resolution as it would be useful for archaeological purposes. For an accurate statement about the underground of the investigation site, it is manda2 1 Faber 1983; During the excavation along the Hellenistic fortification both Hellenistic and Prehistoric (Iron Age) ceramic fragments were documented, but their strati-
graphic relation is not clear. Kirigin 2010, 142 f.; Kirigin 2010, 143 cat. 183. 22 E. g. Neuhauser – Ugarković 2013.
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Hellenistic Fortification of Epetion (East Adriatic)
tory to use shielded antennas with higher working frequencies (500–1000 MHZ), which are now available at the IGR in Graz. In September 201223 the first archaeological investigation of Stobreč has taken place, since the 70 s of the 20 th century. The excavation place adjoined to the today still visible, reconstructed remains of the fortification walls on the North-East side of the peninsula close to the so called main sea gate, which was documented by Faber. 24 The upper layer of reconstructed fortification remains is spreading along app. 25 m across the two parcels: 960 (1667/2), owned by the city of Split, and 64 (1667/3) belonging to a private owner (Fig. 4. 6). The primary focus in the first year was on the Hellenistic fortification, and proper and up to date documentation of it. It was not only in our interest to find out if the fortification is preserved below the reconstruction, but also to find out in which condition it is, and help facilitate towards its better preservation for the future. Another important aim was to try to get a possible building date, and to investigate if the so called main sea gate is, in fact, from the Hellenistic time period. In order to try to document the situation, and understand better some of these questions we have opened two trenches, on the city parcel, one outside the fortification, on the western part of the parcel, and the other one between clay-filled, double-faced ashlar masonry wall (Fig. 7). It was also planned to open trenches on the neighbor private parcel, 64 (1667/3), but the arrangement could not be achieved with the owner. Unfortunately not all questions may be answered after the first excavation year. The area where the excavation took place was overbuilt with modern layers, and a fragment of the upper reconstructed Hellenistic fortification was partly covered by a path of concrete, used for the easier passing to a former restaurant in the first floor of the building and supermarket on the ground floor behind the fortification, which we had to remove before the excavation started. During the excavation local inhabitants of Stobreč lost their “fear” of the archaeologists and gave us more and more useful information about the area and Stobreč itself. We did not expect to find ancient layers in front of the fortification, as according to Faber in the Hellenistic times the fortification was the border between the settlement and the bay/sea. 25 It is in fact also known that the sea extended almost up to the Hellenistic fortification itself until the late 30 s of the 20 th century, when this area was artificially backfilled. The stratigraphy of the layers, in front of the fortification, confirmed this. Layers were mixed up with pottery, coins and other findings from the Hellenistic time period, mostly findings of the ancient period, up till today. The same situation extends to the area between the clay-filled, double-faced ashlar masonry wall. Stratigraphic unit 7 in the trench in front of the fortification, on the North side can be defined as a layer for leveling the terrain, which was filled with tons of pottery of the ancient time period, which obviously were taken from another locality close by. Any conclusions on the date of building cannot be offered after the first year of the excavation, but the documentation of the current situation is certainly a first step in this direction. The exterior and interior facings of Epetion Hellenistic fortification were built from big stone blocks. The width of the Hellenistic fortification differs between 3.20 m to 3.40 m, which is the widest Hellenistic fortification in whole Croatia. Considering the position of Epetion, this is no surprise at all. It could be of interest to mention at this point that Issa, the presumed founder of Epetion, had fortification walls built in similair technique, however the biggest documented width in the polis of Issa is 2.4–2. 8 m. 26 The exterior facing of Epetion’s clay-filled, double-
23 Many thanks to the family Cokarić who was supporting our project with a lot of efforts and was hosting us during the excavation. 24 Faber 1983, 25 f. After the destruction during the construction work of the neighbouring building in the 50 s
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of the last century, the first stone row of the fortification was reconstructed by the Institute for Protection of Cultural Monuments from Split. 25 Faber 1983, 86. 26 Čargo 2010, 11; Kirigin 2010, 142.
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faced ashlar masonry wall is well preserved (Fig. 8. 9). Already after excavating approximately 1 m we got problems with the seawater, and even more problems with fresh spring water which was coming from the South side down the hill through a crack of the Hellenistic fortification. Despite of all efforts the foundation of the fortification could not be reached because of the mentioned reasons alligned with the short time schedule. We were, however, able to document the fortification in revealed part up to the 2 m in depth. The so called main Hellenistic sea gate could not be confirmed, since these remains are located on the neighbouring, private parcel. This, however, would have to be confirmed in the future research. At the end we would like to point out that the remains of the Hellenistic fortification on the mainland of Croatia is highly in danger because of the seawater, fresh spring water and the strong roots of the adjoining trees and should get protected to keep the cultural heritage. The research work needs to be continued, and the digital documentation of parts of accesible Hellenistic fortification walls, along with the assessament of the endangerment of this cultural heritage is hopefully a first step towards the more increased investigations on this important, and in some sense unique locality. Abbildungsnachweis Fig. 1: Made by T. Neuhauser Fig. 2: Archive of the Institut za Arheologiju, Zagreb Fig. 3: According to B. Kirigin 2010, modified by M. Ugarković Fig. 4. 7–8: Plan made by I. Vukšić and T. Neuhauser Fig. 5: Interpretation by M. Rode and J. Stangl Fig. 6. 9: Picture by T. Neuhauser Bibliography Cambi 1974
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Hellenistic Fortification of Epetion (East Adriatic)
Fig. 1: Map, showing position of ancient Epetion/um
Fig. 2: Aerial view of the modern settlement in the area of ancient Epetion/um
Fig. 3: Epetion, with position of the documented part of the Hellenistic fortification in 2012
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Tina Neuhauser – Marina Ugarković – Matthias Rode – Oliver Sass – Johannes Stangl
Fig. 4: Ground plan of the today visible and reconstructed hellenistic fortification of Epetion
Fig. 5: a) View of the investigation site in Stobreč, close to the coastline (in the background of the photo). The shown lines represent only a part of the measured profile raster (50 cm spacing between the single profiles). b) The two GPR cross- (S1 and S2) and two longitudinal profiles (S3 and S4). The dotted line marks the assumed groundwater reflection. All other interesting reflections are highlighted with arrows (including numbers or a “?”) and hyperbolas.
Fig. 6: Overview picture of the excavation place before work started
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Hellenistic Fortification of Epetion (East Adriatic)
Fig. 7: Trenches of the excavations in September 2012
Fig. 8: Excavated remains of the Hellenistic fortification in September 2012, exterior of the rubble-filled masonry wall fortification
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Fig. 9: Excavated remains of the Hellenistic fortification in September 2012, exterior of the rubble-filled masonry wall fortification
Im Schatten der Colonia Emerita Augusta Zum Stand der Forschungen in den Wohnquartieren des lusitanischen Mirobriga Karl Oberhofer – Félix Teichner Topografisches und historisch Bekanntes Unweit der portugiesischen Atlantikküste bei Sínes im Alentejo Litoral liegt der archäologische Park von Mirobriga in der Nähe der Kleinstadt Santiago do Cacém. Die Vorzüge einer gen Osten ins Landesinnere orientierten markanten Hügelkuppe eines Schiefermassivs waren bereits in den prähistorischen Epochen für die Anlage einer Siedlung genutzt worden1. Die verkehrsgeografisch günstige Lage des Platzes manifestierte sich spätestens mit dem Ausbau einer römerzeitlichen Überlandstraße, die die Gebiete um Olisipo (Lissabon) und Salacia (Alcácer do Sal) mit den südlusitanischen Städten an der Atlantikküste, Lacobriga (Lagos) und Ossonoba (Faro), verband2. Die in der römischen Kaiserzeit geomorphologisch noch ungleich stärker gegliederte Küstenzone südlich des Sado-Delta3 vereinte zudem nahe Mirobriga die Verkehrswege aus den Bergbaugebieten um Vipasca (Aljustrel) und Grandola 4 auf ihren Weg zum Atlantik. Letztlich geht auf Plinius (nat. 4, 116) das Wissen um die Bedeutung des keltisch geprägten Ortes Mirobriga zurück, der es als oppidum stipendiarium zwischen dem promunturium sacrum, dem heutigen Cabo de São Vicente, und dem Tagus (Tejo) neben Salacia (Alcácer do Sal) erwähnt. Und ebendieser belegt auch mit der Erwähnung der Mirobrigenses qui Celtici cognominantur (Plin. nat. 4, 118) das Bewusstsein um die keltiberischen Wurzeln der Bewohner der Stadt, die sicherlich erst nach den letztlich erfolglosen Aktivitäten des Sertorius in der 2. Hälfte des 1. Jh.s v. Chr. in einem ordnungsstiftenden Kontakt mit dem Römischen Reich kamen. Durchaus erwähnenswert in diesem Zusammenhang erscheint auch die Grabinschrift des C. Porcius Severus, der sich noch im fortgeschrittenen 2. Jh. selbstbewusst als Mirobrigen(sis) Celt (icus) bezeichnete5.
Forschungsgeschichtlich Relevantes Eine erste Erwähnung des römerzeitlichen Siedlungsplatzes aus altertumswissenschaftlichen Beweggründen geht auf den portugiesischen Humanisten André de Resende in seiner Publikation De Antiquitatibus Lusitaniae des Jahres 1593 zurück, der als Nestor antiquarischer und epigrafischer Studien in Portugal gilt. Die auf ihn zurückgehende Lokalisierung von „Merobrica“ fand u. a. Berücksichtigung in den Kartendarstellungen des französischen Gelehrten Nicolas Sanson im 17. Jh6. Die Forschungen wurden im 19. Jh. vor allem vom Bischof von Beja, D. Frei Manuel do Cenáculo fortgesetzt. Dieser ließ anfänglich einige Schürfungen durchführen und fand später Gefallen an der zeichnerischen Darstellung verschiedenster Artefakte7.
1 1999; 2 3 4
Zusammenfassend: Alarcão 1988, 173–175; Barata Barata 2009; Teichner 2006. Alarcão 1967. Barata 2001, 11. Domergue 1983; Domergue 1987, 495.
5 Encarnação 1984, 233 Nr. 152; vgl. Teichner 2006, 340. 6 Barata – Vale 2010, 12 Abb. 8. 7 Barata – Vale 2010, 16.
Im frühen 20. Jh. war es schließlich der aus dem benachbarten Santiago do Cacém stammende Dr. João Gualberto Cruz e Silva, der zwischen 1922 und 1948 zunächst Teile der Thermen, der „Akropolis“ sowie einen Straßenzug und zuletzt das Hippodrom zumindest in Teilen aufdeckte8. Zwischen 1959 und 1978 wurden unter dem Begründer der portugiesischen Feldarchäologie Dom Fernando de Almeida die Ausgrabungen auf dem Areal im großen Stil fortgesetzt. Er führte neben Ausgrabungen auch eine Konservierung mit einer Umsetzung öffentlichkeitswirksamer Rekonstruktionen in rascher zeitlicher Arbeitsabfolge durch und prägte das Erscheinungsbild des öffentlich zugänglichen Ruinengeländes nachhaltig. In den 80 er Jahren des letzten Jahrhunderts richtete eine von William Biers geleitete amerikanische Mission der Universitäten Missouri-Columbia und Arizona ihr Interesse auf die Reste des keltiberischen Oppidums im Bereich der späteren Forumsanlage9. Eine Neuerrichtung des Museumsbaus am Ende der 90 er Jahre des 20. Jh.s ließ die Grabungsaktivitäten neben Validierungsmaßnahmen im archäologischen Park für kurze Zeit wiederauf leben10.
Bekannte Baustrukturen Die aus den Grabungen der 1. Hälfte des 20. Jh.s stammenden naturgemäß unstratifizierten Keramikfunde lassen eine Frequentierung des Hügelplateaus seit dem 9. Jh. v. Chr. denkbar erscheinen11. Eine signifikante Häufung des Fundmaterials des 5./4. Jahrhunderts v. Chr. steht offensichtlich mit der Anlage eines eisenzeitlichen Oppidums in Verbindung, dessen flächenmäßige Ausdehnung sich vermutlich nur auf die Hügelkuppe beschränkte. Trotz wiederholter Ausgrabungen in diesem unter dem lokal gebräuchlichen Toponym „Castelo Velho“ bekannten Siedlungsbereich liegt bislang weder ein Plan der „Befestigung“ noch der zugehörigen „rechteckigen Hausbauten“ vor12. Eine als eisenzeitlicher Tempel gedeutete rechteckige Struktur wurde offenbar noch im Verlauf des 4. Jh.s v.Chr. an die Außenmauer des eisenzeitlichen Oppidums angesetzt. Im 1. Jh. v. Chr. kam es dann zum Neubau eines Kultbaus mit Cella und Pronaos, der seinerseits bis in die Mitte des 1. Jh.s n. Chr. in Benutzung geblieben sein soll13. Ältere Schätzungen über eine Ausdehnung der römischen Stadtanlage auf eine Fläche von rund 7 ha14 wurden durch die weitläufigen Surveys der amerikanischen Arbeitsgruppe zunächst zugunsten eines Wertes von nur 2,7 ha korrigiert15. Bezeichnenderweise beschränkten sich die bislang freigelegten Bauspuren jener Zeitepoche auf das administrative und kultische Zentrum der Stadt (Abb. 1). Dazu gehört das kaiserzeitliche Forum (ca. 22625 m) mit einem kleinen Antentempel. Dieser stieß unmittelbar an den abweichend orientierten Kultbau des 1. Jh.s v. Chr., der seinerseits im Südwesten von einem als Venustempel gedeuteten kaiserzeitlichen Baukörper mit apsidialem Abschluss begrenzt wurde. Der zentrale Tempel mit seinen lateralen Zugangstreppen wird mit dem Kaiserkult in Verbindung gebracht und wurde im Zuge der Anlage des Forums errichtet16. Seine Breite entspricht in etwa einem Drittel des Forumsplatzes selbst. Bis dato ungeklärt erscheinen zwei beidseitige Annexe, die als alae angesprochen wurden. Die Errichtung dieses Forums sowie der angrenzenden, gepflasterten Straßen wird ereignisgeschichtlich mit der flavischen Munizipalisierung in Verbindung gebracht und somit in die 8 Barata – Vale 2010, 20–23. 9 Biers 1988. 10 Barata 2001. 1 1 Tavares da Silva – Soares 1979. 12 Biers 1988, 24. 13 Neue noch unpublizierte Ausgrabungen der Autoren haben gezeigt, dass zunächst der Forumsplatz in früh-
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flavischer Zeit über älteren Rundbauten entstanden sein dürfte. 14 Alarcão 1988, 174. 1 5 Biers 1988, 139. – Vgl. Teichner 2006, 341 Abb. 3, 3. 16 Barata 2009, 215–219; vergleichend Hauschild 2002.
Karl Oberhofer – Félix Teichner
2. Hälfte des 1. Jh. datiert. Tatsächlich deutet eine stark verkürzte inschriftliche Nennung des M(unicipium) F(lavium) M(irobriga) auf die entsprechende Privilegierung der Stadt in Zuge des flavischen Städteausbaus hin17. Am tiefsten Punkt des Siedlungsareals liegt in einer engen Talsenke schließlich eine zweiteilige Badeanlage (Abb. 1). An einem östlichen Kernbau aus dem frühen 2. Jh. n. Chr. wurde noch in der 1. Hälfte des 2. Jh.s von Westen her eine ergänzende, zweite Badeanlage angefügt18. In dieser Senke wurden vermutlich spätestens bei der Errichtung der älteren sog. Ost-Thermen grundwasserführende Schichten des anstehenden Schiefergesteins angeschnitten, die den Wasserbedarf in einer mehr als ausreichenden Art und Weise sicherstellten, sodass keine weiteren Wasserzuleitungen errichtet werden mussten19. Rund 1 km südlich des Stadtgebietes liegt der einzige erhaltene antike Circusbau auf dem Boden des heutigen Portugal. Der mit 369675 m ungewöhnlich große Bau ist mit den Anlagen in den hispanischen Provinzhauptstädten Mérida und Tarragona durchaus vergleichbar20. Die Verwendung des Bauwerks als Hippodrom im klassischen Sinne wird durch die Beschreibung des Plinius zusätzlich untermauert, der die Pferdezucht in dem Landstrich südlich des Tagus lobt, wo „die Stuten durch den Westwind trächtig werden“ (Plin. nat. 4, 116). Nicht allein aufgrund der beschränkten Grabungsflächen, sondern vor allem infolge der unzureichenden Vorlage der chronologischen Schlüsselbefunde mit stratifiziertem Fundmaterial, lässt sich die geschichtliche und urbane Entwicklung des aus einer eisenzeitlichen Befestigung hervorgegangenen vermeintlichen Munizipiums bislang nur sehr lückenhaft nachvollziehen. Bislang wurden allein an der vom Forum nach Westen führenden Hauptstraße die Fassaden von möglichen Wohnbauten angeschnitten. Auch spricht der Ausgräber Dom Fernando de Almeida zumindest in einem Fall von einer domus bzw. einer „casa de peristilo“ (Abb. 1). Diese zunächst singuläre Entdeckung führte zur Interpretation als Wohngebäude eines durch den „Romanisierungsprozess Begünstigten“, der im lokalen Sozialgefüge gleich welcher Abstammung eine höhere Stellung eingenommen haben dürfte21. Auf dem bekannten Gesamtplan lassen sich jedenfalls keinerlei weitere zusammenhängende Baustrukturen größerer Wohngebäude vergleichbarer Struktur erkennen. Abschnittsweise scheinen die einfachen Mehrraumbauten der Eisenzeit eine Nutzung bis in römische Zeit erfahren zu haben. Zudem konnte unlängst am westlichen Stadtrand ein bescheidenes Gebäude mit kleinen Innenhof (patio) modern untersucht werden22. Die amerikanischen Ausgräber gingen von einer Auf lassung des älteren Osttraktes der städtischen Thermen schon gegen Ende des 3. Jh.s aus23. Letztes sicheres Zeugnis für eine Bautätigkeit im Bereich des Forums ist eine Weihung für den Kaiser Aurelianus24. Eine Lokalisierung der kaiserzeitlichen Nekropolen gelang bislang nicht. Auf eine Siedlungskontinuität bis ins frühe Mittelalter deutet allerdings, neben späten Terra Sigillata-Funden25, auch ein aus dem Stadtgebiet stammendes westgotisches Kapitell hin. Zwei beigabenlose Körpergräber in Schieferkisten, aus dem Bereich des Besucherzentrums, gehören ebenfalls in jene Spätphase. Die heute am Rande des bekannten antiken Stadtgebietes gelegene
17 Encarnação 1988, 218 Nr. 144; 230 Nr. 150; 239 Nr. 158; Galsterer 1971, 46 Anm. 72; Wiegels 1985, 81; Pintado 2004, 168. 18 Barata 2001, 35–37. 19 Schattner 1998, 187. Ein durch die inzwischen stattgefundene Konservierung stark überprägter Kanal führte wahrscheinlich zunächst Abwässer aus höher im Süden gelegenen Wohnquartieren ab und entwässerte zuletzt auch die Latrinen der sog. West-Thermen. Der Verlauf dieses Kanals lässt eine Ansprache als Zuleitung von Frischwasser
nicht plausibel erscheinen. 20 Barata 2001, 49–50; Teichner 2006, 346 f. 2 1 Zusammenfassend: Almeida 1964; Teichner 2006, 340. 22 Barata 1999, 51–67 – zum Fundmaterial: Quaresma 2003. 23 Biers 1988, 140 f. 24 Encarnação 1988, 139–142 Nr. 149; Alarcão 2008, 103–107. 25 Quaresma 2003, 74–80.
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Im Schatten der Colonia Emerita Augusta
Kapelle des São Bras datiert erst in das 16. Jh. und bezeugt keine entsprechende direkte Kontinuität.
Einige Bemerkungen zu den neuentdeckten Wohngebäuden Die bis dato bekannten römerzeitlichen Baustrukturen lassen ein regelhaftes Anlegen öffentlicher und privater Gebäude in einem urbanen Umfeld auf Basis einer Parzellierung bzw. innerstädtischer Limitation vermissen26. Ein Blick auf den lediglich schematisch vorliegenden Gesamtplan der ergrabenen Bauwerke in Mirobriga belegt ein keineswegs hippodamisch inspiriertes städtebauliches Konzept (Abb. 1). Das offensichtliche Fehlen einer römerzeitlichen Befestigungsanlage förderte neben dem geomorphologisch stark gegliederten Gelände um der dominanten Hügelkuppe, auf welcher in flavischer Zeit mit dem Ausbau des Forums begonnen worden war, das Entstehen eines offenen, unstrukturiert erscheinenden Stadtgebiets. Mit zum Teil beträchtlichen Steigungen erschloss ein Straßensystem, gepflastert mit großen Steinplatten, das Areal des ehemaligen oppidum sowie Teile der umliegenden flacheren Hügelkuppen und sorgte somit für eine leichte Erreichbarkeit der öffentlichen Bauten. Zumindest ein freigelegtes Wohngebäude unmittelbar östlich der von weitem sichtbaren Kapelle des São Bras unweit des städtischen Zentrums von Mirobriga lässt sich unschwer als Peristylhaus27 identifizieren und vermittelt einen hervorragenden Eindruck vom Platzbedarf derartiger Architektur in der römerzeitlichen Nachfolgesiedlung des keltiberischen oppidum. Die Bebauung geeigneter Flächen mit Wohngebäuden im Nahbereich des städtischen Zentrums wurde schon in der Vergangenheit in Erwägung gezogen 28. In mäßiger Hanganlage oberhalb der nördlich in einer Senke angelegten Thermenanlage hat bereits Dom Fernando de Almeida in den 1960 er-Jahren ein Wohngebäude teilweise freigelegt, dessen Bauschema dem eines Peristylhauses weitgehend zu entsprechen schien29. Die in den letzten Jahren durchgeführten Forschungen der Autoren schöpften zunächst die Möglichkeiten geophysikalischer Prospektionsmethoden aus30 und bestätigten dabei diese Vermutung31. Die abschnittsweise erhebliche Überdeckung der archäologisch greifbaren Reste des von de Almeida als „villa Periquito“ angesprochenen Haus 1 ließ eine Überprüfung der Prospektionsergebnisse so weit zu. Nach Abschluss der Grabungsaktivitäten 2009 vorbehaltlich der Ergebnisse der laufenden detaillierten Auswertung ließ sich ein Peristylhaus mit mindestens einer Ausbauphase nachweisen lässt, dessen finale Größe von ca. 450 m² auch andernorts auf der iberischen Halbinsel adäquate Vergleiche findet. Der durch die Altgrabungen zu erwartenden desolate Erhaltungszustand des Komplexes bestätigte sich im nahezu völligen Fehlen römerzeitlicher Fußböden und Lauf horizonte. Umso erfreulicher war daher der Nachweis erhalten gebliebener Oberflächen im Bereich des älteren Peristyls mit Brunneneinbau und damit einhergehend die Gewinnung stratifizierten Fundmaterials (Abb. 2), das die bekannten chronologischen Eckdaten Mirobrigas konsolidieren dürfte und auf feinchronologische Aussagen hoffen lässt. Zudem konnten weiter westlich, geradezu in Steinwurfweite zu den sog. West-Thermen, ca. 15 m über deren Niveau auf einer ausgedehnten Terrasse in einer herrschaftlichen Lage die Reste des ebenfalls an die 500 m² großen Hauses 4 in mehreren Kampagnen freigelegt werden.
26 Teichner 2006. 27 Alarcão 1988, 174; Barata 1999, 53 fig. 1; Barata 2009, 207 Abb. 6. 28 Nachdem de Almeida zunächst keine ihm adäquat erscheinende Zahl derartiger Wohnkomplexe feststellen konnte, charakterisierte er Mirobriga als „santuario cam-
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pestre romano“, vgl. Almeida 1988; Barata – Vale 2010, 24 Abb. 40. 29 Almeida 1964, 38–40 Abb. 13. 30 Teichner 2006, 343 Abb. 4, 4; Teichner – Winkelmann 2012, 58. 3 1 Almeida 1964, 30.
Karl Oberhofer – Félix Teichner
Auch hier ließen sich vom aufgehenden Mauerwerk lediglich bescheidene Reste dokumentieren, die auf eine mehrmalige Neuorganisation des gesamten Hausentwurfs hindeuten. In einer ersten Phase, die sich vorsichtig in das 1. Jh. n. Chr. datieren lässt, wurde ein Wohngebäude unbekannter Größe auf diesem Areal errichtet. In der Folge wurde dieses Gebiet mit einem gut ausgebauten Straßenzug erschlossen und das Haus 4 auf diesen hin orientiert, leicht versetzt, neu errichtet (Abb. 3). In dieser zweiten Phase erreichte das Gebäude seine endgültige Ausdehnung. Weitere Umbauten, greifbar durch die Phasen 3 und 4, zeugen von sich verändernden Bedürfnissen der Bewohner auch in den Zeiten des Niedergangs. Auf der gegenüberliegenden Straßenseite konnte mit dem Haus 3 ein deutlich kleineres Wohngebäude von lediglich 240 m² freigelegt werden. Der kompakte, nahezu quadratische Bau verfügt ebenfalls über ein Peristyl und einen größeren vermutlich Repräsentationszwecken dienenden Raum in der südöstlichen Ecke. Auch hier blieben vom aufgehenden Mauerwerk lediglich spärliche Reste erhalten, die keine größeren Umbaumaßnahmen mehr erkennen ließen. Ähnlich wie in Haus 1 wurde im offenen Bereich des Peristyls ein Brunnen angelegt, der lediglich über ein in zwei Lagen gemauertes Puteal verfügte und 8 m tief in das anstehende Schiefergestein getrieben wurde, um die Wasserversorgung des Gebäudes zu gewährleisten (Abb. 4). Diese drei summarisch vorgestellten Beispiele lassen auf eine wesentlich größere Verbreitung von mediterranen Peristylhäusern in Mirobriga schließen als bisher vermutet. Wenngleich ihr äußeres Erscheinungsbild den Pendants in den bedeutenderen urbanen Zentren auf der iberischen Halbinsel in etwa entsprochen haben dürfte, ließen sich einige Spezifika in der Bautechnik im Zuge der Grabungen wiederholt dokumentieren. Als bis dato plausibelste Erklärung für den schlechten Erhaltungszustand der Baustrukturen wird der „nachantike Steinraub“32 angeführt. Die jüngsten Grabungen lieferten jedoch eindeutige Hinweise darauf, dass eine Vielzahl der statisch relevanten Außenmauern der freigelegten Wohngebäude nicht gänzlich aus dem ortsfremden Kalkstein errichtet wurden, sondern über weite Abschnitte aus einem Stampflehmmauerwerk (Pisé bzw. em taipa) bestanden hatten. Dies zeigte sich häufig in äußerst homogen erscheinenden mächtigen Schichtpaketen im Profil (Abb. 5), die sich im Zuge von Erosionsprozessen an den massiven Fundamentmauern bildeten. Die noch erhaltenen Mauerzüge aus Kalkstein präsentierten noch häufig eine oberste Ausgleichslage aus Schieferplatten, die auf eine horizontale Auf lagefläche für die zur Errichtung notwendigen hölzernen Verschalungsbretter zurückzuführen ist. Beim Bau der Gebäude wurde stets ein sorgfältig ausgeführtes Fundament angelegt, welches abschnittsweise ca. zwei Meter hohe Substruktionen aus Kalksteinmauerwerk zu tragen hatte, um im stark reliefierten Gelände ein durchgehendes Laufniveau im Gebäudeinneren zu schaffen.
Ausblick Der Nachweis dieser privaten Wohnarchitektur, die auch im lusitanischen Mirobriga das Konzept „Peristylhaus“ aufgreift und teilweise adaptiert, vermag abseits der bis dato bekannten Strukturen keine neuen fundierten Aussagen über die Gesamtgröße des ehemaligen Stadtgebiets zu liefern. Zugleich wird aber ein neuer, offener, kaum gegliederter Siedlungsbereich im Südwesten erkennbar, der die systematische Erforschung ganzer Quartiere – und nicht allein öffentlicher Großbauten – ermöglicht. Eine Akzeptanz der römisch-mediterran geprägten Architektur mit einer Übernahme der nahezu kanonisch angewandten Raumabfolge bestehend aus einem Eingangsbereich, ähnlich dem vestibulum eines Atriumhauses, dem Peristyl als zentralem Erschließungselement umliegender Räumlichkeiten und einem tablinum und/oder triclinium zur Erfüllung repräsentativer Aufga-
32 Schattner 1998, 185 mit Verweis auf: Biers 1988, 140.
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Im Schatten der Colonia Emerita Augusta
ben33 durch die lokale Oberschicht wird durch die neu entdeckten Wohngebäude unterstrichen34. Dies steht im Gegensatz zu einem rudimentär ausgebildeten städtebaulichen Konzept, welches wie in anderen flavischen Municipien Hispaniens auch, eher einer bis in die keltischen Epochen zurückreichenden Ortskontinuität35, denn dem Erscheinungsbild einer römisch geprägten planmäßigen Erweiterung bzw. Neuanlage des Stadtgebiets Rechnung getragen hat. Trotz des zuweilen dürftigen Erhaltungszustandes zeichnet sich im Zuge der laufenden Auswertung relevanter Schlüsselbefunde eine Zäsur in den aus der frühen mittleren Kaiserzeit stammenden Wohnbauten in diesem municipalen Umfeld in der 2. Hälfte des 3. Jh.s ab. Inwieweit die Aus- und Umbauphasen in diesen Quartieren mit entsprechenden Veränderungen an öffentlichen Gebäuden einhergingen, soll die in Ausarbeitung befindliche monographische Vorlage der jüngsten Grabungsergebnisse der letzten Jahre klären. Abbildungsnachweis Abb. 1: © K. Oberhofer Abb. 2–5: © K. Oberhofer/F. Teichner Bibliographie Alarcão 1967 Alarcão 1988 Alarcão 2008 Almeida 1964 Almeida 1988 Barata 1999 Barata 2001 Barata 2009 Barata – Vale 2010 Biers 1988
Domergue 1983 Domergue 1987 Encarnação 1984 Galsterer 1971 Hauschild 2002 Meyer 1999
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33 Meyer 1999, 101–121, bes. 109; Teichner 2008, 458–464 Abb. 264. 483–485 Abb. 274. 34 Teichner 2006, 344; Schattner 1998, 187 bemän-
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gelt noch das Fehlen schlüssiger Belege einer Siedlungskontinuität.
Karl Oberhofer – Félix Teichner Quaresma 2003
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Abb. 1: Topografie des archäologischen Parks von Mirobriga mit der Lage der neuentdeckten Wohngebäude (schraffiert)
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Im Schatten der Colonia Emerita Augusta
Abb. 2: Das ältere Peristyl von Haus 1 mit Brunneneinbau
Abb. 3: Der Eingangsbereich von Haus 4 mit ehemals vorkragendem Pultdach und dessen Ziegeleindeckung in Versturzlage
Abb. 4: Die erhaltenen Reste des Peristyls von Haus 3 mit Brunneneinbau
Abb. 5: Der südwestliche Abschluss von Haus 3 mit Strebepfeiler und anlaufenden homogenen Schichtpaketen
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Ist der Parthenonfries sinnbildlicher Ausdruck des athenischen Imperialismus ?* Toshihiro Osada Über das Thema des Parthenonfrieses wurden bis heute verschiedene Interpretationen veröffentlicht. Eine sieht den Fries als Ausdruck eines Mythos1, eine andere nimmt ihn als generelle, symbolische Darstellung der zeitgenössischen athenischen Religion und Kultur an2. Die allgemein meist unterstützte These ist aber die Annahme, dass er die Darstellung der Prozession, die alle vier Jahre stattfand, sei, und den Großen Panathenäen gewidmet sein soll. Der Zug des grandiosen Großen Festes ging vom Stadttor bis zur Akropolis, wo der Parthenon stand. Die Darstellung des Frieses muss daher, wenn auch er ein mythisches Thema ausgedrückt hat, den Betrachter an den realen Festzug erinnert haben. So scheint man davon ausgehen zu können, dass der Betrachter seine Darstellung mit der realen Prozession der Großen Panathenäen verbunden hat. In diesem Beitrag wird der Parthenonfries im Zusammenhang mit dem delisch-athenischen Seebund diskutiert werden. Da alle tributzahlenden Städte des Seebundes alle vier Jahre im Zug am Panathenäenfest mitzuziehen hatten, hat das große Fest auch als Ausdruck der imperialistischen Macht Athens fungiert. Daher muss bei der Interpretation des Frieses eine entscheidende Frage gestellt werden: War der Parthenonfries sinnbildlicher Ausdruck des athenischen Imperialismus oder nicht ? Hat der Entwurf der Prozession am Fries auf die Herrschaft Athens durch den delisch-athenischen Seebund angespielt ? Über diese Fragen gibt es bis heute noch keine eindeutige Meinung. In den Publikationen wird sowohl eine Verneinung als auch eine Bejahung veröffentlicht. Aber das Meinungsbild zur Zeit hat eine Tendenz, die eine Überlegung dieser politischen Frage zu vermeiden versucht, vor allem deshalb, weil in der Ikonographie des Frieses kein klarer Beweis für die Darstellung des athenischen Imperialismus zu finden ist. Jedes Mitglied des Seebundes wurde eigentlich verpflichtet, beim Panathenäenfest eine Kuh und eine Panhoplie mitzubringen und den Zug zu begleiten. Im Fries sind vier Kühe an der Nordseite und zehn Kühe an der Südseite dargestellt, aber die diese Opfertiere führenden Männer wurden ohne Attribut dargestellt, sodass es kaum zu unterscheiden ist, ob sie die Abgesandten der Bündnispartner oder ob sie athenische Bürger waren (Abb. 1). Weder eine eindeutige Darstellung der Gesandten noch die Panhoplie ist im Relief zu finden. Es ist auch unsicher, ob in den Reitern des Parthenonfrieses, die z. B. langärmlige Chitone tragen (Abb. 2), die Vertreter der Tributbezirke dargestellt seien3. In diesem Beitrag werden die bisherigen Meinungen vorgestellt, und am Ende wird die Ansicht des Verfassers präsentiert, die der Frage hoffentlich eine neue Wertung gibt.
* Ich möchte C. Reinholdt und W. Wohlmayr der Universität Salzburg herzlich danken, die mein Studium in Österreich stets unterstützten. Für die Durchsicht meines deutschen Textes danke ich Herrn Dr. Ronald Metzing. Das Parthenon Projekt 2007–2009 und 2011–2014 wird von „Grant-in-Aid for Scientific Research, Japan Society for the Promotion of Science“ unterstützt. 1 Kardara 1961; Connelly 1996. 2 Pollitt 1993; vgl. auch Barringer 2008, 85–91; We-
senberg 1995; Hurwit 1999, 179–186; Hurwit 2004, 133–146; Wrede 2008; Fehr 2011; Ellinghaus 2011, 257–277. Die letzten Meinungen zu der Interpretation des Themas des Parthenonfrieses sind von Barringer 2008 zusammengefasst. 3 Wrede 1996; Wrede 2008, 10. 16 f. sieht sieben Reiter und einen Wagenlenker der Nordseite als die Darstellung der Bundesgenossen an. Vgl. auch Castriota 1992, 190.
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Ist der Parthenonfries sinnbildlicher Ausdruck des athenischen Imperialismus ?
Der Parthenonfries und der delisch-attische Seebund Der Bau des Parthenons begann im Jahre 447 v. Chr.; die Einweihung der Statue Athena Parthenos wurde im Jahre 438 v. Chr. beim Großen Panathenäenfest gefeiert. Der Fries scheint in diesen ca. zehn Jahren entstanden zu sein. Der ganze Westfries und ungefähr die Hälfte des Nordund Südfrieses stellen die Szene der Reiterparade dar4 (Abb. 2). Der restliche Nord- und Südfries bilden die Szene des Wagenrennens und des Festzugs ab5. Die Szene des Festzugs besteht aus z. B. den Musikanten, Hydriaphoren (Abb. 3) und den Opfertieren (Abb. 1). Die Ostseite stellt die Szene des Zuges von Mädchen, der Versammlung der Phylenheroen, und der Götter dar. Die Mittelgruppe des Ostfrieses scheint die Szene der Umkleidung der Statue der Göttin Athena zu zeigen. Der delisch-attische Seebund scheint im Jahre 478 v. Chr. als eine Verbindung gegen die Perser entstanden zu sein. Sein Mittelpunkt und seine Kassa saßen zunächst auf der Insel Delos; es war zunächst vielleicht ein Bündnis gleicher Partner, von denen der mächtigste die militärische Führungsgewalt gehabt hatte6. Am Bund beteilgten sich mehr als 150 Städte an der Westküste Kleinasiens, am Hellespontos, in der Propontis und auf den ägäischen Inseln. Bereits in der früheren Phase haben mehrere Städte die teilweise Auf lösung vom Bund versucht: in den frühen 460 er-Jahren v. Chr. versuchten das Naxos, und dann anschließend Thasos 465 v. Chr., aber beide wurden von Athen zurückerobert. Die Widerstände von Ägina und Euboia waren auch gescheitert. In diese zurückeroberten Städte wurde oft eine athenische Besatzung eingesetzt, an deren Spitze ein Besatzungskommandant – Phrurarch – stand7. Der Sitz der Bundeskassa wurde 454 v. Chr. von Delos auf die Akropolis in Athen verlegt. Dies geschah sieben Jahre früher als der Baubeginn des Parthenons. Die Herrschaft Athens schien dann gefestigter gewesen zu sein: zum Beispiel wurden die Bundesstädte verpflichtet am Großen Panathenäenund Großen Dionysienfest Athens teilzunehmen.
Bisherige Interpretationen Als Nächstes werden zwei Meinungen kurz vorgestellt, die behaupten, dass im Parthenonfries der Imperialismus angedeutet ist8. 1.) Das Apadana-Relief in Persepolis 1985 hat M. C. Root auf die Verwandtschaft zwischen der Komposition des Parthenonfrieses und der des Apadana-Reliefs in Persepolis hingewiesen. Der Bau der Apadana, eines Audienzsaales vom persischen König, erstreckte sich von 515 bis 513 v. Chr. 9, seine dreizonigen Relief an der Ost- und Nordseite zeigen Soldaten, Reiter, Wagen, sowie Züge der Abgesandten aus den abhängigen Ländern, die ihren Tribut zollen. Root hat angenommen, dass der Entwurf des Apadana-Reliefs, also der Ausdruck des persischen Imperialisums, die Dekoration des Parthenons direkt beeinflusst hat10. J. Borchhardt hat auch 1985 eine Annahme geäußert, dass das Apadanarelief als ein Modell dieser Bildkomposition fungiert habe11. Dem Verfasser scheinen aber diese Annahmen wenig wahrscheinlich: zum einen sind die zwei Monumente geographisch weit voneinander entfernt entstanden, zum anderen aber auch gehört, vor allem, das Bildthema des Parthenonfrieses, also eine Prozession, zur typischen Ikonographie der griechischen Kunst12. Die
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Osada 2011. Neils – Schulz 2012. Schuller 1984, 20; vgl. auch Schneider 2010, 267 f. Schuller 1984, 20. Vgl. auch den wichtigen Beitrag in dieser Frage Castriota 1992, 184–229; Osborne 1994.
9 Root 1985, 108. 10 Root 1985, 103–120; vgl. auch Lawrence 1951, 111–119. 1 1 Borchhardt 1985, 60–71; s. auch Mader 1996, 60; Schneider 2010, 273. 12 Höckmann 2003, 163.
Toshihiro Osada
Theorie des Einflusses von orientalischer Kunst scheint deshalb nicht sehr realistisch zu sein. Dazu scheinen die beiden Monumente, wie D. Castriota erwähnt hat, kein auffallendes gemeinsames Motiv zu haben13. 2.) Die Hydriaphoren 1995 hat andererseits B. Wesenberg eine Möglichkeit vorgeschlagen, die im Fries dargestellten Hydriaphoren seien als Zug von Tributträgern von Angehörigen des Seebundes anzusehen14 (Abb. 3). Beim Frühlingsfest der Großen Dionysien wurde jedes Mitglied des Seebundes verpflichtet, durch die Teilnahme an der Prozession Tribut zu zollen15. So nimmt Wesenberg an, dass der Teil des Frieses mit der Szene von Hydriaphoren die Prozession der Großen Dionysien dargestellt hat. Nach seiner Meinung hat das Friesrelief nicht nur die Großen Panathenäen, sondern mehrere Feste der Stadt dargestellt16. Als Indiz führt er eine Reliefstele an, auf der das Kleonymos-Dekret des Jahres 426 v. Chr. aufgezeichnet ist17 (Abb. 4). Auf diesem Kopfbild sind neben Geldsäcken auch zwei mit Tribut gefüllte Hydrien dargestellt. So können, nach ihm, die vier Hydriaphoren am Parthenonfries als Phorosträger der Großen Dionysien interpretiert werden18. Als Ganzes hat der Parthenonfries, seiner Meinung nach, das religiöse Leben Athens und ihre militärische Hegemonie als Prozession dargestellt. Wesenberg hat seine Theorie nur als eine Deutungsmöglichkeit der Hydriaphoren vorgeschlagen. Ohne Beweis lässt es sich aber schwer sagen, ob sie wirklich als die Phorosträger gemeint waren. Man muss sich fragen, warum die Gestalt der Hydriaphoren nur als allgemeine Bürger dargestellt wurde. Sie zeigen keine spezifischen Attribute als Gesandte. Aber dem Verfasser scheint trotzdem diese Meinung grundsätzlich zu favorisieren zu sein, dass sich im Fries eine Anspielung auf die militärische Vormachtstellung Athens finden lässt. Wie im Folgenden erwähnt wird, scheint die Frieskomposition den Betrachtern eine Botschaft des athenischen Imperialismus zu vermitteln. Der Fries scheint also diese Botschaft nicht klar dargestellt, sondern sie nur angedeutet zu haben.
Reliefweihungen auf der Akropolis Nach der Auffassung des Verfassers sollte der Parthenonfries mit den anderen Weihungen auf der Akropolis verglichen werden. Die Betrachtung des Zusammenwirkens der Friesdarstellung mit anderen Monumenten der Akropolis erzeugt erst einen umspannenden historischen Rahmen für eine interessante Interpretation. Bei den verschiedenen Bildtypen der griechischen Kunst treten besonders stark die Reliefweihungen in der Bildkomposition des Parthenonfrieses auf. Der Fries bildet als Ganzes eine Gegenüberstellung der Götter und der herankommenden Prozession der Adoranten ab. Auf dem Fries bringen nämlich die Sterblichen die Opfertiere und die rituellen Gegenstände zu den Gottheiten, die ihnen gegenübersitzen. Als Bildtyp gehört diese Formel offenbar zu der der Reliefweihungen19. 13 Castriota 1992, 188. Im Aufsatz von Root scheint der Hinweis auf die Verwandtschaft zwischen dem orientalischen und athenischen Ritual bedeutender. Root 1985, 118 nimmt an, dass die Feste der Großen Panathenäen und Großen Dionysien vom traditionellen Ritus im persischen Palast direkt beeinflusst wurden. Mehrere Forscher haben bereits darauf aufmerksam gemacht, dass beim athenischen Seebund die rein religiöse Beobachtung als Mittel der politischen Befolgung effektiv benutzt wurde. s. Root 1985 115; Castriota 1992, 184–229; Schuller 1984; Schneider 2010, 277.
14 Wesenberg 1995. 1 5 Vgl. Miller 1997, 241 f. 16 Nach ihm stellt die Mittelszene des Ostfrieses das Fest der Arrhephorie, die Szene mit der Übergabe des Peplos und mit den Apobaten das Fest der Großen Panathenäen, und die Szene mit den Hydriaphoren möglicherweise das Fest der Großen Dionysien dar. 17 IG I 3 68; Meiggs – Lewis 1969, 184 ff.; Meyer 1989, 265 Kat. A3. 18 Wesenberg 1995, 170–172. 19 Vgl. Klöckner 2010.
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Ist der Parthenonfries sinnbildlicher Ausdruck des athenischen Imperialismus ?
Die ersten Reliefweihungen an Athena scheinen am Ende des sechsten Jahrhunderts v. Chr. auf der Akropolis aufgetreten zu sein (Abb. 5)20. Sie stellen den Bildtyp des sogenannten Adorationsreliefs dar, sodass die Gottheit und die sterblichen Adoranten gegenübertretend darstellt sind. Die Abbildung 5 zeigt das sogenannte Schweineopferrelief aus den 490 er-Jahren v. Chr. Es ist bekannt als das erste Beispiel eines aus Marmor bestehenden Adorationsreliefs21. Eine Familie, ein Ehepaar mit zwei Knaben und einem Mädchen, tritt zur Göttin heran. Auf dem Relief Nr. 577 von der Akropolis aus der Zeit von 480 bis 470 v. Chr. sitzt ein Sterblicher vor der stehenden Athena. Das Bild stellt eine Szene dar, in der ein Handwerker der Göttin vermutlich ein Produkt seiner Profession als Weihung übergibt22. Solche Votivreliefs scheinen im vierten Jahrhundert v. Chr. besonders oft entstanden zu sein. Bei den Adorationsreliefs scheint eine direkte Beziehung von der Schutzgöttin zum Protégé zu bestehen. Der Stifter wollte diese spezielle Beziehung in einem Heiligtum als Votivrelief verewigen. Gemeint war dort nicht nur ein Ausdruck der Dankbarkeit an die Gottheit, sondern auch eine Bekanntmachung dieses Sonderrechtes vom Stifter an den allgemeinen Bürger23. Eine solche Interpretation der Reliefweihung scheint bei der Analyse des Parthenonfrieses auch sinnvoll zu sein.
Die Tributliste In der damaligen demokratischen Zeit Athens wurden offizielle Dokumente auf Stelen als Inschrift eingetragen, die dann auf der Akropolis gestiftet wurden. In den 450 er- und 440 er-Jahren ist ein Anstieg solcher Stelen zu verzeichnen. In dieser Gattung der Inschriftenstele haben die sogenannten Tributlisten im Zusammenhang mit der Interpretation des Frieses eine große Bedeutung (Abb. 6). Die erste Stele wurde 453 v. Chr., gerade vor dem Baubeginn des Parthenons, gestiftet. Auf den Tributlisten wurde Jahr für Jahr ein Sechzigstel des Tributs von den Mitgliedern des Seebundes aufgezeichnet, der der Athena Parthenos als Aparché geweiht wurde24. Außerordentlich war nicht nur der Inhalt der Inschrift, sondern auch seine Größe: die Höhe beträgt 3,58 m, die Länge 1,15 m, die Dicke 0,385 m. Diese Stele ist die größte, aus einer einzigen Marmor-Platte bestehenden Stele in Athen25. Auf der Tributliste wurde, wie gesagt, keine Summe des Tributs, sondern die Summe des gestifteten Sechzigstels des Tributs an die Göttin Athena aufgezeichnet. Die Stele zeigte deutlich den Zusammenhang mit dem Tribut. Sie drückte aber vordergründig die fromme Gläubigkeit als Weihgeschenk aus. Die Stele hat also als Sinnbild des rein religiösen Votivs fungiert. Dieses Konzept der Tributliste scheint dem des Parthenonfrieses strukturell ähnlich: der Ausdruck der grandiosen Prozession auf dem Relief galt nämlich auch als Sinnbild eines rein religiösen Votivs gegenüber der Göttin, obwohl die Prozession thematisch deutlich mit dem Seebund im Zusammenhang stand.
Schluss Der Verfasser ist der Meinung, dass die Darstellung des Parthenonfrieses dem Betrachter tatsächlich den Führungsanspruch Athens bewusst vor Augen geführt haben muss. J. Neils gilt als eine der Forscherinnen, die im Fries kein Element als Andeutung des athenischen Imperialismus findet. Sie hat 2004 den Einwand erhoben, dass für den Entwurf des Frieses im Falle einer beabsich20 Vikela 2005, 88. 2 1 AkrM 581. Vikela 2005, 93–95 Taf. 12. 2; Brouskari 1974, 52 f. Abb. 94; Neumann 1979, 34. 38. 70 f. Taf. 18 a; Neils 2001, 42 Abb. 33. 22 AkrM 577. Vikela 2005, 104 Taf. 14. 1; Neumann 1979, 39 Taf. 19; Hurwit 1999, 16 Abb. 13.
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23 Vgl. auch Klöckner 2010, 125; Neumann 1979, 37–39, 128. 24 Schuller 1984, 20. 25 Hurwit 1999, 139; Stroud 2006; Miles 2011, bes. 657.
Toshihiro Osada
tigten propagandistischen Wiedergabe athenischer Vormachtstellung eine Darstellung der dargebrachten Panhoplie in der Komposition durchaus gereicht hätte26, hatte doch bereits W. Schuller 1984 die einleuchtende Erklärung dafür vorgelegt, dass im Friesgeschehen ein rein innerathenisches Bild gezeichnet werden sollte, welches fremde und eher zweitrangige Elemente, wie etwa eine Panhoplie, durchaus vermeiden wollte27. Der Meinung von Schuller möchte sich auch der Verfasser anschließen. Der Entwurf des Frieses folgt der traditionellen Bildkomposition der Reliefweihungen und lässt Gottheit und Sterbliche einander gegenüberstehen. Da diese Komposition eigentlich im Bereich des privaten Adorationsreliefs benutzt worden war, kann so die enge Beziehung zwischen der Polis Athen und der Gottheit Athena besonders effektiv angedeutet werden. Der Parthenonfries als Tempeldekoration hat offiziell gezeigt, dass Athen als Protégé von den Göttern besonders beschützt wurde, und diese Botschaft konte jeder Betrachter aus der Bildkomposition leicht ablesen. Die in der religiösen Metapher angedeutete Darstellung der militärischen Herrschaft Athens konnte jeder Betrachter klar wahrnehmen28. Die beanspruchte Vormachtstellung Athens scheint ihre Ausdrucksformel in einer religiösen Darstellung auf dem Weihgeschenk des Parthenon gefunden zu haben. Abbildungsnachweis Abb. 1–2: Foto Professor Toru Kaneko Abb. 3: Foto Verfasser Abb. 4. 6: Foto Professor Akiko Moroo Abb. 5: Foto Socratis Mavromatis (# Acropolis Museum) Bibliographie Barringer 2008 Borchhardt 1985 Brouskari 1974 Castriota 1992 Connelly 1996 Ellinghaus 2011
Fehr 2011 Höckmann 2003
Hurwit 1999 Hurwit 2004 Kardara 1961 Klöckner 2010
Lawrence 1951
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26 Neils 2001, 182 f. 27 Schuller 1984, 25. 28 Nach Castriota 1992, 198 wurde hier bei diesem
Ausdruck des Imperialismus das Konzept der Amphiktyonie, des traditionellen religiösen Bündnisses, benutzt.
309
Ist der Parthenonfries sinnbildlicher Ausdruck des athenischen Imperialismus ? Mader 1996 Meiggs – Lewis 1969 Meyer 1989 Miles 2011 Miller 1997 Neils 2001 Neils – Schulz 2012 Neumann 1979 Osada 2011 Osborne 1994
Pollitt 1997
Root 1985 Schneider 2010
Schuller 1984
Stroud 2006 Vikela 2005 Wesenberg 1995 Wrede 1996 Wrede 2008
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Toshihiro Osada
Abb. 1: Parthenonfries Südseite XLI. London, The British Museum
Abb. 2: Parthenonfries Nordseite XLIV. London, The British Museum
311
Ist der Parthenonfries sinnbildlicher Ausdruck des athenischen Imperialismus ?
Abb. 4: Kopfbild der Stele mit dem Kleonymos-Dekret des Jahres 426 v. Chr. Athen, Epigraphisches Museum
Abb. 3: Parthenonfries Nordseite VI. Athen, Acropolis Museum
Abb. 5: Athens, Acropolis Museum 581
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Abb. 6: Tributliste 454/3 bis 440/39 v. Chr., Athen, Epigraphisches Museum
Funktionell oder rituell ? Technologische Charakterisierung spätklassisch-hellenistischer Keramik aus der Nekropole von Aphendrika (Zypern) Lisa Peloschek Einleitung Die Analyse technologischer Aspekte an archäologischen Keramikfunden hat sich bereits seit längerer Zeit besonders im anglo-amerikanischen Raum bewährt, um formtypologische Klassifikationen von Gefäßkeramik zu ergänzen. Insbesondere zwei wissenschaftliche Ansätze wurden hierfür gewählt: Einerseits archäometrische Methoden 1, allem voran Dünnschliffanalysen, anhand welcher es möglich ist, Verfahren in der Zubereitung von Tonen, Formgebungsmethoden und Brenntechniken zu rekonstruieren. Andererseits detaillierte Untersuchungen der Gefäßoberflächen und etwaiger Bruchstellen von Keramikkörpern auf makroskopischer Ebene2, die ebenfalls eine recht eingehende Einschätzung der Produktionsschritte im Sinne der chaîne opératoire 3 sowie deren Gebrauch erlauben. Wenngleich archäometrische Analysen wesentlich detailliertere Aussagen über die einzelnen Abläufe der chaîne opératoire versprechen als makroskopische Methoden, so bleibt zu berücksichtigen, dass die Herstellung von petrographischen Dünnschliffen ein invasives Verfahren ist. Konservatorische Gründe erlauben vielfach nicht, entsprechendes Probenmaterial von antiken Keramikgefäßen zu entfernen, vor allem, wenn die Artefakte einen guten Erhaltungszustand aufweisen. Hiervon betroffen sind auch ausgewählte, beinahe vollständig erhaltene Gefäße aus der Nekropole von Aphendrika auf Zypern, die folglich lediglich einer zerstörungsfreien Untersuchung ihrer Oberflächen unterzogen werden konnten. Die Keramikfunde wurden 1949 von E. Dray und J. du Plat Taylor publiziert4, wobei dabei eine generelle Bestandsaufnahme und Datierung der Objekte im Vordergrund stand. Hingegen wurde auf eine sozio-kulturelle Interpretation und die Rekonstruktion möglicher ritueller Bräuche in Verbindung mit Grabkulten verzichtet. Technologische Studien können dieser Thematik neue Perspektiven beisteuern und gleichzeitig das Potential solcher Untersuchungen für die Klärung kulturhistorischer Phänomene verdeutlichen.
Fundmaterial und archäologischer Kontext Die spätklassisch-hellenistische Nekropole von Aphendrika befindet sich in einem Küstenstreifen auf der Karpass-Halbinsel im Nordosten von Zypern. Die zeitgleiche Nekropole von Tsambres und die zugehörige Siedlung Karpasia (modern: Aghios Philon) liegen in unmittelbarer Nähe. Fundmaterial, das im Zuge der Ausgrabungen der Nekropole von Aphendrika geborgen wurde, ist heute auf mehrere Museen und universitäre Einrichtungen in Großbritannien verteilt. Die hier als Fallbeispiel gewählten keramischen Grabbeigaben werden in der Institutssammlung des Institute of Archaeology am University College London aufbewahrt5. Insgesamt zehn repräsentati1 Zusammenfassend Tite 1999. 2 s. zum Beispiel Balfet 1984; Courty – Roux 1995; Franken 1971; Rye 1981; van As 1984 oder van der Leeuw 1976.
3 Sillar – Tite 2000. 4 Fundbericht bei Dray – du Plat Taylor 1937–39. 5 Hierbei ist Dr. Rachael Sparks zu danken, die mir den Zugriff auf das Fundmaterial in London ermöglichte
313
Funktionell oder rituell ?
ve Gefäße aus den Felskammergräbern 31, 38, 41 und 47 gilt es detaillierter zu betrachten (Abb. 1). Dadurch kann ein breites Spektrum an Produktionsmerkmalen auf unterschiedlichen Gefäßtypen erfasst werden und Aussagen über deren einstmalige Funktion getroffen werden6. Während der Großteil der Gräber von Aphendrika ein reiches Fundspektrum beherbergte, waren die hier relevanten Grabkontexte mit relativ bescheidenem Grabinventar ausgestattet. Das Fundspektrum umfasst Vorratsgefäße wie Pithoi oder Amphoren, Schüsseln, Kannen und Kännchen sowie Lampen, die formtypologisch dem gängigen Repertoire von Keramik des 4. bis 1. Jahrhunderts v. Chr. entsprechen7.
Beschreibung der primären und sekundären Formgebungsverfahren Im Keramikensemble von Aphendrika finden sich auf sechs Gefäßen Anzeichen für eine Konstruktion auf der Töpferscheibe. Bekanntermaßen gibt ein spiralförmiges Muster auf der Innenseite des Gefäßbodens einen sicheren Hinweis auf diese primäre Formgebungsmethode. Dieses charakteristische Muster entsteht durch das Öffnen des Tonklumpens durch die Hand des Töpfers am Beginn der Produktion8 und ist an Lämpchen 31/1 (Abb. 2) und Kanne 47/4 bezeugt. Das nachfolgende Hochziehen des Tons, mittels dem die Gefäßwände geformt wurden, hinterlässt tiefe parallele Rillen auf der Innenseite des Gefäßkörpers. Evidenz dieser Rillen, die den Abdruck der gegen die tönerne Wand gepressten Finger des Töpfers darstellen, ist etwa auf Kanne 47/4 erhalten (Abb. 3). Während dieses Prozesses stabilisiert die zweite Hand des Töpfers die fragile Tonwand von außen, woraus ebenfalls sanfte Rillen an der Außenseite der Gefäße resultieren (zum Beispiel Schale 31/4). Das Entfernen der getöpferten Keramikobjekte von der noch rotierenden Töpferscheibe unter Zuhilfenahme eines Drahtes oder einer Schnur erzeugt ein charakteristisches Spiral- oder Muschelmuster9, wie es auf der Unterseite von Miniaturkännchen 38/10 (Abb. 4) erkennbar ist. Die Orientierung des Musters erlaubt eine Rekonstruktion der Richtung der Rotation, in diesem Fall im Uhrzeigersinn. Optional konnten in einem weiteren Produktionsschritt die fertig geformten Gefäße im lederharten Zustand kopfüber erneut auf die Töpferscheibe gesetzt werden. Überschüssiger Ton wurde vom Gefäßboden entfernt und ein Ringfuss kreiert10. Halbkreisförmige Spuren wie auf dem Boden von Kännchen 38/7 (Abb. 5) oder Schabspuren wie auf Kanne 38/5 (Abb. 6) verdeutlichen den Einsatz dieser Technik. Schwachstellen am Keramikkörper, die auf die Produktion der Gefäße zurückgehen, offenbaren sich teils erst im Zuge des Brennvorgangs. Der S-förmige Riss 11 auf dem Boden von Kanne 47/4 (Abb. 7) ist ein Zeichen für den physischen Stress, welchem das Gefäß während der Rotation auf der Töpferscheibe ausgesetzt war und dessen Folgen erst im Zuge des Trocknens des Gefäßes sichtbar wurden. Vier der Gefäße aus Aphendrika sind als handgemacht zu bezeichnen. Am eindeutigsten lässt sich dies anhand von Amphore 41/4 belegen, deren Innenseite durch tiefe, unregelmäßige Rillen gekennzeichnet ist (Abb. 8). Bereits aufgrund ihrer ursprünglich beträchtlichen Größe wäre sie prinzipiell für eine Formgebung auf der Töpferscheibe ungeeignet. In der Fachliteratur wird auch die Grobkörnigkeit von Amphoren für die Entscheidung verantwortlich gemacht, solche Gefäße von Hand zu fertigen, wenngleich Amphore 41/4 mit deutlich feineren Einschlüssen angereichert ist. Neben dem charakteristischen Rillenmuster auf der Innenseite der Amphore lesowie Stuart Laidlaw, der die Photos der Fundobjekte anfertigte. 6 Van As 1984, 139–140. 7 Ein Vergleich mit diachronen Grabkontexten aus Zypern, etwa Bamboula (Benson 1956), Eurychou-Phoenikas (Nicolaou 1984), Aghios Ermoyenis nahe Kourion (McFadden 1946) und Paphos-Vasiliko (Hadjisavvas
314
1980) verdeutlicht aber überdies, dass zum Repertoire spätklassisch-hellenistischer Grabbeigaben unter anderem auch Kochtöpfe sowie Trink- und Speisegeschirr zählen können. 8 Rye 1981, 75. 9 Van der Leeuw 1976, 139. 10 Courty – Roux 1995, 17–18. 1 1 Rye 1981, 75.
Lisa Peloschek
gen stark ausgeprägte vertikale Risse in der Bruchfläche eine Konstruktion aus gerollten Ringen („coil-building“) nahe. Dies würde sich mit Ryes Beobachtung decken, dass meist Gefäße mit spitz zulaufendem Fuß in dieser Technik hergestellt wurden12. Simple Formen, wie an Lämpchen 38/6 (Abb. 9) und 47/6 bezeugt, werden ebenfalls als handgemacht gewertet. In Bezug auf die beiden Lämpchen war wohl die einfachste Methode, einen Tonklumpen flachzudrücken und die Ränder hochzuziehen beziehungsweise diese dann zu falten, um die Schnauze zu kreieren. Evidenz für ein Abschaben von überschüssigem Ton findet sich auf Lämpchen 47/6, wo durch das Entfernen mittels eines Messers oder einer scharfen Klinge eine facettenähnliche Struktur (Abb. 10) auf dessen Fuß entstand. Sekundäre Formgebungstechniken, durch welche die primären Produktionsspuren entfernt werden sollten und die zudem dekorativen Zwecken dienten, finden sich sowohl an handgemachter als auch auf scheibengedrehter Keramik. Die Keramikkörper von Gefäßen wurden häufig im noch leicht feuchtem, weichem Zustand mit einem Stoff oder ähnlichem Material geglättet; dies ist durch feine parallele Schlieren auf der keramischen Oberfläche ersichtlich, was darüber hinaus darauf hinweist, dass sich die Gefäße während dieses Vorgangs auf einem drehbaren Apparat befanden. Hinweise darauf, dass Gefäße wie Kanne 47/4 nachträglich auf einem rotierenden Apparat geglättet wurden, geben vereinzelte tiefe horizontale Kratzer im Bereich deren Fußes13. Es scheint, als hätte sich während des Glättens ein grobkörniger Einschluss vom noch feuchten Tonkörper gelöst und wäre durch die Drehbewegung deplatziert worden. Lediglich handgemachten Gefäßen vorbehalten ist in Aphendrika das vertikale Trimmen beziehungsweise Abschaben mit einem Messer (Abb. 11). Durch diese Technik sollten Unebenheiten an der Oberfläche von Amphore 41/4 entfernt werden, die durch die primäre Konstruktion in Ringen gegeben waren. Das Wegschneiden beziehungsweise Abkratzen von lederhartem Tonmaterial resultierte in einer Oberflächengestaltung, die durch vertikale parallele Facetten geprägt ist.
Herstellungstechnik und Funktionalität Betrachtet man alle Funde und ihre Herstellungsart im archäologischen Kontext, so ist festzuhalten, dass gleiche Gefäßtypen jedoch in unterschiedlicher Machart gefertigt, nebeneinander existieren. Dies kann zum Teil auch auf verschiedene kulturelle Einflüsse zurückgeführt werden, etwa bei Lämpchen 47/6 mit scheibenförmigem Boden, das Parallelen in Palästina findet14. Gefäße, die formtypologisch und technologisch jenen der Nekropole von Aphendrika entsprechen, sind aus mehreren profanen Siedlungen in Zypern bekannt, wie Aghios Philon15. Dies legt prinzipiell nahe, dass die in den Gräbern geborgenen Gefäße vermutlich dazu dienten, Speisen und Flüssigkeiten aufzubewahren und nicht nur rein symbolische Bedeutung besaßen. Zumindest in Bezug auf Lämpchen 31/1 und 38/6 ist durch erhaltene Brandspuren an den Schnauzen nachweisbar, dass diese entweder vor der Weihung ins Grab oder in Verbindung mit der Bestattung tatsächlich verwendet wurden. Eine genauere Betrachtung der Brandspuren auf Lämpchen 31/1 zeigt, dass sich diese über den abgebrochen Schnauzenansatz erstrecken (Abb. 12). Dies lässt auf eine Wiederverwendung des teilweise zerbrochenen Beleuchtungskörpers im Grabkontext schließen. Abgesehen von den Lampen weist keine andere geborgene Keramikgattung Gebrauchsspuren auf, was sich mit den Beobachtungen an Keramik in den zeitgleichen Nekropolen von Ambeli tou Englezou und Evrychou auf Zypern deckt16. Spezifische Herstellungstechnik und physische Eigenschaften des Tonrohstoffes beeinflussten ebenfalls maßgeblich die Funktionalität antiker Keramik. In einer Studie von V. R. 12 Rye 1981, 68. Vergleiche auch Balfet 1984, 174. 13 Van der Leeuw 1976, 250. 14 Typologisch ähnliche Lämpchen hellenistischer Zeitstellung sind bei Sussman 2007, 90, beschrieben, sind
aber auch aus anderen Grabkontexten in Zypern wie der Nekropole von Salamis (Karageorghis 1967, 15) bezeugt. 1 5 Du Plat Taylor 1980. 16 Winther Jacobsen 2006, 391.
315
Funktionell oder rituell ?
Anderson-Stojanovic über tönerne Unguentarien 17 konnte etwa dargelegt werden, dass diese Behälter bei Verwendung als Grabbeigaben in geringerer Qualität gefertigt wurden als Exemplare, die aus Siedlungskontexten oder Heiligtümern stammen. Laut Anderson-Stojanovic würden raue, poröse und unbemalte Oberflächen von Unguentarien für eine symbolische Bedeutung der Keramik sprechen18, da diese Gefäße aufgrund der qualitativ minderwertigen Fabrikation nicht dafür geeignet waren, Flüssigkeiten wie Öle zu halten. Diese Attribute sind jedoch intentionell durch den Töpfer geschaffen worden, der für die Fabrikation jener Gefäße spezielle Tonrezepturen und Produktionstechniken wählte. Bis auf eine Lampe wurden alle hier diskutierten Grabbeigaben aus demselben Tonrohstoff hergestellt. Bei dem Fabrikat handelt es sich um die sog. grüne Ware nach der Definition von Dray und du Plat Taylor. Diese Feinkeramik zeichnet sich durch ihre leicht poröse Beschaffenheit und ein Brennen bei relativ gemäßigten Temperaturen aus. Aufgrund der Tatsache, dass eine der aus der grünen Ware gefertigten Lampen Brandspuren aufweist, liegt der Schluss nahe, dass dieses Fabrikat prinzipiell dazu geeignet war, Flüssigkeiten wie Öle zu halten. Der Einsatz von sekundären Formgebungstechniken an allen Keramikobjekten verdeutlicht überdies, dass zweifelsohne großer Wert darauf gelegt wurde, die Gefäße ästhetisch ansprechend zu gestalten. Zudem trug das Polieren mancher Gefäßoberflächen dazu bei, die Oberfläche der Gefäße kompakter zu machen, etwaige Poren zu schließen und somit einem Ausdringen von Flüssigkeiten vorzubeugen. Doch beispielsweise Kännchen 38/7, dessen Körper durch zahlreiche willkürliche Risse geprägt ist (Abb. 13), oblag sicherlich keineswegs ein funktioneller Wert. Die Risse sind wohl auf Probleme während des Herstellungsprozesses zurückzuführen, am ehesten im Zuge des Brennvorganges. Der Versuch, eine weitere Ausbreitung der Risse zu verhindern, wurde dadurch erreicht, dass ein Loch in einen der Risse gebohrt wurde, um erstens die Oberflächenspannung zu verringern und zweitens die Entstehung weiterer Frakturen vorzubeugen. Ein völliges Zerbrechen des Fehlbrandes sollte dadurch verhindert und seine Funktionstüchtigkeit bestenfalls vorgetäuscht werden. Auch der Riss am Boden von Kanne 47/4 erlaubte kein Befüllen mit Flüssigkeit, war aber von außen nicht erkennbar und erfüllte somit ästhetische Kriterien. Detaillierte technologische Merkmale an den Gefäßen scheinen funktionell bedingt zu sein oder sollten dem gängigen Standard von zeitgleicher Keramik entsprechen. So bewirkte etwas das sorgfältige Verschmieren der einzelnen Tonringe von Amphore 41/4 eine bessere Stabilität des Gefäßes und folgte visuell in seiner Bearbeitung Pendants aus profanen Kontexten. Waren Vorratsgefäße oftmals mit organischem Material angereichert und bei hohen Temperaturen gebrannt worden um die Porosität der Gefäße zu erhöhen, weist Amphore 41/4 lediglich feine Magerungspartikel auf, um ein Kühlen ihres Inhaltes zu erzielen. Dies könnte unter Umständen als Indiz für eine spezifische, anderweitige Funktion des Gefäßes oder dessen bloßen rituellen Wert gewertet werden.
Interpretation und Schlusswort Funktionsanalytische Überlegungen lassen vermuten, dass der Großteil des Keramikgeschirrs der Gräber von Aphendrika generell für den tatsächlichen Gebrauch geeignet war, da gewählte Rohstoffe und Produktionstechniken ebenfalls aus Siedlungskontexten bezeugt sind. Eine Ausnahme bilden das Kännchen mit Brennfehler (38/7), Kanne 47/4 sowie eine möglicherweise aus kultischen Gründen zerbrochene Kanne (38/5), deren untere Hälfte des Gefäßkörpers eine scharfe horizontale Bruchkante aufweist und somit „gekappt“ erscheint. Variationen in der Gestaltung der Gefäße, wenngleich sie demselben Gefäßtyp angehören, sind wohl darauf zurückzuführen, dass die Keramik in unterschiedlichen tonverarbeitenden Werkstätten produziert wurde. Die gewählte Produktionsmethode ist vom Töpfer, seinem Können so17 Anderson-Stojanovic 1987.
316
18 Anderson-Stojanovic 1987, 114–115.
Lisa Peloschek
wie seinem traditionellem Hintergrund abhängig. Durch das Fabrikat (grüne Ware), welches im Nordosten von Zypern dominierend vorkommt, kann darüber hinaus die Aussage getroffen werden, dass die Gefäße von lokalen Töpfern gefertigt wurden. Diese Vielfalt an Produktionstechniken unter Verwendung eines Fabrikates beweist, dass der verwendete Ton gute physische Eigenschaften aufwies, um für die Herstellung von Miniaturgefäßen bis groß dimensionierten Amphoren geeignet zu sein. Die Grabbeigaben entstammen dem Repertoire von Keramik des Alltagslebens und weisen auch vielfach eine vergleichbare Qualität auf. Die übergreifende Interpretation des Grabbefundes weist darauf hin, dass die meisten der Gefäße wohl mit Speis und Trank für den Verstorbenen gefüllt sein konnten, während wenige Gefäße, die bereits defekt in das Grab geweiht wurden oder abweichende physische Eigenschaften aufweisen, lediglich symbolischen Wert besaßen. Funktionstüchtige und nicht funktionstüchtige Gefäße waren demnach beide Bestandteile des vollzogenen Rituals19. Unter Berücksichtigung aller diskutierten Aspekte bleibt festzuhalten, dass technologische Studien ein sehr großes Potential bergen und in Zukunft vermehrt zum Einsatz kommen sollten. Trotzdem konnte auch dargelegt werden, dass eine technologische Studie nur gemeinsam mit einer typologischen Studie wirkliche Aussagekraft besitzt, da diese Indizien beisteuert, die durch technologische Analysen alleine nicht rekonstruierbar sind. Mit dem vorliegenden Beitrag sollte das Verständnis für vielfach in der Forschung unberücksichtigt gebliebene technologische Aspekte an antiken Keramikartefakten geschärft werden. Abbildungsnachweis Alle Fotos: mit freundlicher Genehmigung von UCL Institute of Archaeology Bibliographie Anderson-Stojanovic 1987 V. R. Anderson-Stojanovic, The Chronology and Function of Ceramic Unguentaria, AJA 91, 1987, 105–122 van As 1984 A. van As, Reconstructing the Potter’s Craft, in: S. E. van der Leeuw – A. C. Pritchard (Hrsg.), The Many Dimensions of Pottery. Ceramics in Archaeology and Anthropology (Amsterdam 1984) 131–159 Balfet 1984 H. Balfet, Methods of Formation and the Shape of Pottery, in: S. van der Leeuw – A. C. Pritchard (Hrsg.), The Many Dimensions of Pottery. Ceramics in Archaeology and Anthropology (Amsterdam 1984) 173–201 Benson 1956 J. L. Benson, A Tomb of the Early Classical Period at Bamboula, AJA 60, 1956, 43–50 Courty – Roux 1995 Identification of Wheel-Throwing on the Basis of Ceramic Surface Features and Microfabrics, JASc 22, 1995, 17–50 Dray – du Plat Taylor 1937–39 E. Dray – J. du Plat Taylor, Tsambres and Aphendrika. Two Classical and Hellenistic Cemeteries in Cyprus, RDAC 1937–39, 24–123 Fossey 1984 J. M. Fossey, Ritual Aspects of Vases among Grave Goods at Hellenistic Asine, Argolis, in: H. A. G. Brijder (Hrsg.), Ancient Greek and Related Pottery. Proceedings of the International Vase Symposium in Amsterdam, 12–15 April 1984 (Amsterdam 1984) 289–291 Hadjisavvas 1980 S. Hadjisavvas, Paphos-“Vasiliko”. A Hellenistic Tomb, RDAC 1980, 253–259 Karageorghis 1967 V. Karageorghis, Salamis Vol. 3. Excavations in the Necropolis of Salamis I (Text and Plates) (Nicosia 1967) van der Leeuw 1976 S. E. van der Leeuw, Studies in the Technology of Ancient Pottery. Archaeological Theories and Artefact Research (Amsterdam 1976) McFadden 1946 G. H. McFadden, A Tomb of the Necropolis of Ayios Ermoyenis at Kourion, AJA 50, 449–489
19 Keramikspektrum und spezifische Merkmale von Keramik, die eindeutig mit Grabritualen assoziiert werden
können, sind anhand von Fallbeispielen bei Fossey 1984 und auch Rafn 1984 vorgestellt und diskutiert.
317
Funktionell oder rituell ? Nicolaou 1984 du Plat Taylor 1980 Rafn 1984
Rye 1981 Sillar – Tite 2000 Sussman 2007
Tite 1999
Winther Jacobsen 2006
I. Nicolaou, A Hellenistic and Roman Tomb at Eurychou-Phoenikas, RDAC 1984, 234–256 J. du Plat Taylor, Excavations at Ayios Philon, the Ancient Carpasia. Part I: The Classical to Roman Periods, RDAC 1980, 152–211 B. Rafn, The Ritual Use of Pottery in the Necropolis at Halieis, in: H. A. Brijder (Hrsg.), Ancient Greek and Related Pottery. Proceedings of the International Vase Symposium in Amsterdam, 12–15 April 1984 (Amsterdam 1984) 305–308 O. S. Rye, Pottery Technology. Principles and Reconstruction (Washington 1981) The Challenge of “Technological Choices” for Materials Science Approaches in Archaeology, JASc 42, 2000, 2–20 V. Sussman, Oil-lamps in the Holy Land: Saucer Lamps. From the Beginning to the Hellenistic Period. Collections of Israel Antiquities Authority BarIntSer 1598 (Oxford 2007) M. S. Tite, Pottery Production, Distribution, and Consumption: The Contribution of the Physical Sciences, Journal of Archaeological Method and Theory 6, 3, 1999, 181–233 K. Winther Jacobsen, Pots for the Dead. Pottery and Ritual in Cypriote Tombs of the Hellenistic and Roman Period, in: D. Malfitana – J. Poblome – J. Lund (Hrsg.), Old Pottery in a New Century. Innovating Perspectives on Roman Pottery Studies. Atti del Convegno Internazionale di Studi, Catania 22–24 Aprile 2004 (Catania 2006) 389–396
Abb. 1: Untersuchtes Keramikspektrum aus der Nekropole von Aphendrika mit Angabe des jeweiligen Grabkontextes (31, 38, 41 und 47) und Inventarnummer.
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Abb. 2: Spiralförmiges Muster auf der Innenseite von Lämpchen 31/1
Abb. 3: Mit tiefen parallelen Rillen versehene Innenseite von Kännchen 47/4
Abb. 4: Unterseite des Bodens von Miniaturkännchen 38/10 mit Spuren des Entfernens von der Töpferscheibe
Abb. 5: S-förmiges Muster am Boden von Kännchen 38/7 als Resultat des Abschabens von überschüssigem Ton
Abb. 6: Schabspuren am Ringfuß von Kanne 38/5
Abb. 7: Boden von Kännchen 47/4 mit S-förmiger Fraktur
319
Funktionell oder rituell ?
Abb. 9: Aufsicht auf Lämpchen 38/6
Abb. 8: Unregelmäßige Rillen an Amphore 41/4
Abb. 10: Regelmäßige, facettenartige Schabspuren am Fuß von Lämpchen 47/6
Abb. 11: Durch scharfkantige Facetten geprägte Oberfläche von Amphore 41/4
Abb. 12: Brandspuren am abgebrochenen Schnauzenansatz von Lämpchen 31/1
320 Abb. 13: Durch unzählige Risse definierter Keramikkörper von Kännchen 38/7 samt sekundär hinzugefügter kreisrunder Aussparung
Untersuchungen zur Besiedlung des südlichen Hausruckviertels (Oberösterreich) während der römischen Kaiserzeit René Ployer Gegenstand der Untersuchung ist das südliche Hausruckviertel, das in etwa dem heutigen Bezirk Vöcklabruck in Oberösterreich entspricht. Es umfasst im Süden den Attergau mit dem Attersee, Mondsee und Irrsee, wird von Westen nach Osten von den Flüssen Vöckla und Ager durchflossen und im Norden vom Kobernaußer- und dem Hausruckwald begrenzt. Die Fläche dieser durchaus abwechslungsreichen Landschaft macht über 1000 km² aus und mag in der Antike zum nordöstlichen Einflussbereich des Municipiums Iuvavum gehört haben 1. Während durch die Pfahlbauforschung seit dem 19. Jh. die Anzahl der bekannten neolithischen Siedlungen recht bemerkenswert ist2, weist der Forschungsstand zu Fundstellen der Römischen Kaiserzeit in diesem Gebiet ein großes Desiderat auf. Das heutige Bild zeigt Siedlungsstellen vor allem an den schon genannten Seen sowie entlang der Flüsse Vöckla und Ager. Aus dem Untersuchungsgebiet sind lediglich 39 heute noch lokalisierbare Fundplätze der römischen Kaiserzeit bekannt. Neun Stellen weisen auf ländliche Siedlungen hin, wobei nur drei villae rusticae eindeutig durch Teilgrundrisse des Hauptgebäudes oder der Nebengebäude archäologisch belegt sind. Es sind dies Weyregg am Attersee, Mondsee und Hausham bei Pfaffing. Das seit 1767 bekannte und aus mindestens drei Gebäuden bestehende Landgut von Weyregg am Attersee (Nr. 2)3 ist die bis dato am besten erforschte Villenanlage4. Es ist jedoch nur eine Vermutung, dass eine Π-förmige Porticusvilla vorliegt, da der südliche Teil der Anlage nicht untersucht ist. Auffallend ist die Ausstattung der Gebäude. Die meisten Räume waren beheizbar und mit Mosaikböden (bislang 16 Mosaike bekannt) sowie Wandmalereien versehen. Diese Ausstattung wird allgemein in das 3. Jh. n. Chr. gesetzt, während die Villa schon im 2. Jh. bestanden haben dürfte. Bekanntheit erlangte die Villa auch aufgrund ihrer zugehörigen und um 210 n. Chr. errichteten Hafenanlage. Dabei werden zwei 50 m voneinander entfernte, leicht schräg aufeinander zulaufende Molen durch eine dritte, annähernd parallel zum Ufer errichteten Mauer zu einem Hafenbecken von 1.390 m² Fläche verbunden. Dieser dritten Mole sind zusätzlich Wellenbrecher vorgelagert. Eine Verwendung als Fischereihafen war theoretisch möglich, die Breite der Einfahrt in einer der Molen reichte aber nur für sehr kleine Boote aus. Wie erst kürzlich R. Breitwieser und V. Jansa schlüssig ausgeführt haben, dürfte es sich bei der Anlage viel wahrscheinlicher um ein Fischbecken gehandelt haben, vielleicht mit einer Anlegemöglichkeit für Fischereiboote kombiniert5. Während die Molenöffnung als Frischwasserzufuhr fungierte, dienten die davor gitterförmig angeordneten dünnen Holzbohlen als Sperre oder Reuse. Die Villa von Mondsee (Nr. 31) liegt im Zentrum des Ortes Mondsee auf dem Gelände des ehemaligen Klosters6. Es handelt es sich um die langgestreckte, offene Form der Porticusvilla mit Eckrisaliten, doch ist aufgrund der partiellen Untersuchungsmöglichkeiten die Rekonstruktion der Anlage mit Vorbehalt zu betrachten. Zwischen den Risaliten des Haupthauses könnte ein vorkragender Mittelbau vorliegen. Bemerkenswert ist der rückwärtig angebaute Peristylhof. Die zeitliche Einordnung und die verschiedenen Phasen sind nicht eindeutig geklärt. Am besten 1 Kovacsovics 2002, 166. 2 Pollak 2007, 10 Abb. 13. 3 Im Folgenden geben die bei den Fundstellen in Klammern angeführten Nummern den jeweiligen Fund-
platz auf der Karte in Abb. 1 an. 4 Zusammenfassend bei: Traxler 2004, 94–110. 5 Breitwieser – Jansa 2012, 12 f. 6 Zusammenfassend bei: Traxler 2004, 73–79.
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Untersuchungen zur Besiedlung des südlichen Hausruckviertels
nachvollziehbar ist die Situation im Bereich des sog. Blumenhofs. Hier konnten bei einem kleinen Nebengebäude zwei Holzbau- und eine Steinbauphase nachgewiesen werden7. Der Schwerpunkt des Fundguts liegt im 1. und 2. Jh. n. Chr. Der Gutshof wurde wahrscheinlich bereits zur Zeit der Markomanneneinfälle aufgegeben. Aufgrund der starken sekundären Verbrennung der Keramik wird von einem Schadfeuer ausgegangen. Anschließend kam es zur teilweisen Wiederherstellung und Adaptierung des Hauptgebäudes. Die im Klosterareal mehrfach belegten Grabsteine und Inschriften dürften in unmittelbarem Zusammenhang mit der Villenanlage stehen. Eine Grabinschrift nennt einen […]s Spectatus, Veteran der 10. Kohorte der Prätorianergarde, und seine Gattin Titia Exorata, die das Grabmal errichten ließ8. Die von E. Weber in das frühe 2. Jh. n. Chr. datierte Inschrift gibt uns möglicherweise einen Hinweis auf den ersten Besitzer der Villa von Mondsee9. Eine weitere Grabinschrift nennt wahrscheinlich einen weiteren Besitzer: Lucius Cotinius Martialis, Gemeinderat und Bürgermeister der Bürger von Iuvavum, sowie seine Gattin Peccia Latina10. Auf dem Haushamer Feld (Nr. 34) nördlich von Vöcklamarkt waren schon im Jahr 1933 beim Pflügen die Reste eines Gebäudes entdeckt worden, das einen Ziegelfußboden aufwies11. Kleinfunde römischer Zeitstellung, darunter auch eine Münze des Marc Aurel, führten zur Annahme eines römischen Gutshofs, der jedoch nicht weiter erforscht wurde. In den letzten Jahren ist die Fundstelle wieder stärker in das Interesse gerückt, da beim Pflügen vermehrt Steine an die Oberfläche gebracht wurden und sich dabei auch römische Funde zeigten. Dazu zählen Keramikbruchstücke lokal hergestellter grober Ware sowie Fragmente von Terra Sigillata. An Metallfunden sind zahlreiche großteils fragmentierte Fibeln zu nennen, unter denen kräftig profilierte Fibeln und Kniefibeln dominieren. Sie gelten im Ostalpen- und Donauraum als Leitformen des 1. Jh.s bis zum mittleren 3. Jh. n. Chr. Das vorhandene Münzspektrum von 14 Stück beginnt mit Antoninus Pius (Prägedatum 140–161) und endet mit Gordian III (Prägedatum 241–244); der Schwerpunkt liegt jedoch in severischer Zeit12. Erst im Jahr 2011 konnte im Zuge von Grabungen des Instituts für Klassische Archäologie der Universität Wien sowie durch geophysikalische Prospektionen durch die Firma Posselt & Zickgraf auf dem Haushamer Feld eindeutig ein Gutshof nachgewiesen werden13. Die Messungen ergaben den Grundriss eines NW-SO orientierten rechteckigen Gebäudes mit den Maßen von ca. 40630 m. An der W-, N- und O-Seite sind Räume U-förmig um einen großen Hof angeordnet. Die Breite der Räume beträgt ca. 8 m, von der Inneneinteilung lässt sich derzeit noch wenig erkennen. Soweit sich dies den vorliegenden Ergebnissen nach bestimmen lässt, entspricht das prospektierte Gebäude einem Typus, der in Nordwest-Noricum häufig vorkommt. Eine diesbezügliche Zusammenstellung wurde von R. Kastler und St. Traxler vorgenommen14. Nächstgelegenes, gutes Beispiel für diesen von ihnen als „Risalitvilla mit langrechteckiger Form und vorgezogenen Risaliten“ bzw. als „Risalitvilla mit Innenhof“ bezeichneten Gebäudetypus ist das Haupthaus in Engelhof bei Gmunden, das sowohl in Grundriss als auch Größe gut dem Haushamer Beispiel entspricht15. Auch das angeführte Fundspektrum vom späten 1. Jh. bis in das erste Viertel des 3. Jh.s n. Chr. ist mit dem bekannten Fundrahmen in Hausham vergleichbar.
7 Karwiese 1990, 59. 8 Illpron 991; Lupa 5895: [- - -]s Spectatus veter [anus] / [ex prae]torio c(o)hor(tis) X ob(itus) a[nnor(um) - - -] / [- - -] ex testamento f[- - -] / [coniux e]ius Titia Exora [ta - - -] / [- - - - - -]. 9 Weber 1972, 16. 10 CIL III 5625; Illpron 992; Lupa 4516: L(ucius) Cotinius / L(ucii) f(ilius) Martialis / dec(urio) Iuvave (nsium) II (vir) i(ure) d(icundo) / sib(i) et Pecciae Lat/ inae uxori v(ivus) f(ecit).
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1 1 Berlinger 1920/33. 12 Für die Bestimmung der Münzen sei Martin Ziegert vom Institut für Numismatik und Geldgeschichte der Universität Wien herzlich gedankt. 13 Gassner – Ployer 2011; Gassner – Ployer 2012; Gassner – Ployer in Druck; Ployer in Druck. 14 Traxler – Kastler 2010, 234–239 Abb. 4. 5. 1 5 Traxler 2004, 46–58; Traxler – Kastler 2010, 235 Abb. 4, 1.
René Ployer
Als weitere Beispiele können die Anlagen von Liefering und Glas, alle im Umland von Iuvavum, angeführt werden 16. Nur zum Teil überliefert sind zwei Gebäude in Waging und Überackern anzuschließen17. Diese Beispiele können durch weitere, vom Bauschema her ähnlich gestaltete Gebäude ergänzt werden (z. B. Emmerting, Pfongau II, Kay, Unterkitzing, Erlstätt)18. Zu Recht sprechen Kastler und Traxler von einem Typ, der zwar verschiedene Variationsmöglichkeiten aufweisen kann, dem heutigen Forschungsstand nach aber eine für das Umland von Iuvavum häufige und vermutlich hier ausgebildete Form darstellt. Die Anlage von Hausham untermauert jedenfalls diesen Ansatz. Die Lagestelle einer weiteren Ansiedlung ist aus Rabenschwand bei Oberhofen am Irrsee überliefert (Nr. 30)19. Der Historiograph B. Pillwein berichtet im dritten Teil seines 1830 erschienenen Werkes „Geschichte, Geographie und Statistik des Erzherzogthums Österreich ob der Enns und des Herzogthums Salzburg“, dass „unter einem schon seit vielen Jahren bebauten Getreid-Felde des Simonbauers 1825 am linken Ufer des Baches unter Rabenschwand Ruinen von einem sehr alten Gebäude entdeckt wurden“20. Beim Bau des heute noch bestehenden Hauses Rabenschwand Nr. 65 wurden im Jahre 1906 am Fuße des Irrsberges, zwischen dem Mühlbach und der Bahnstrecke, römische Baureste angeschnitten. Lange war jedoch unklar, ob die von Pillwein beschriebenen Baureste mit jenen beim Haus Rabenschwand Nr. 65 ident sind, oder ob es sich um zwei verschiedene Fundstellen handelt. Auf einem im Jahr 2012 im Archiv des Salzburg Museums wieder aufgefundenen Grabungsplans aus Rabenschwand ist die Grabung von 1825 zwischen dem Mühlbach und dem Eisenbahndamm lokalisiert21. Damit ist belegt, dass die Berichte aus 1830 und von 1906 auf ein und dieselbe Fundstelle Bezug nehmen. Leider werden die schwer nachvollziehbaren Beschreibungen Pillweins durch den Plan auch nicht deutlicher. Es ist nicht klar, ob alle auf dem Plan gezeigten Strukturen tatsächlich ergraben wurden, oder ob es sich bloß um eine Rekonstruktion des Gebäudegrundrisses handelt. Möglicherweise mag es sich bei den von Pillwein beschriebenen Sargöffnungen um Apsiden und hypokaustierte Räume einer villa rustica gehandelt haben. Eine Stellung in römische Zeit scheint aber durch die überlieferten Funde gesichert zu sein. Südlich des Bahnhofes Breitenschützing ist ein weiterer Baukomplex festgestellt worden (Nr. 26)22. Innerhalb einer trapezförmigen Umfassungsmauer23 liegt eine größere Anzahl von Gebäuden, deren Zweckbestimmung weitgehend offen ist. Zu Beginn der Untersuchungen in den 1950 er Jahren war man der Annahme, bei der Fundstelle handle es sich um die in der Tabula Peutingeriana genannte Straßenstation Tergolape, doch wurde die Anlage im Laufe der Grabungen als villa rustica angesprochen. Aufgrund der mangelhaften Dokumentation und des heutigen Zustandes ist der Baubefund nicht wirklich interpretierbar. Erschwerend hinzu kommt der Umstand, dass der Platz vor der Anlage eines bajuwarischen Gräberfeldes von Schutt gesäubert und das Material in einer Senke abgelagert wurde24. Antike Baureste sind auch aus Schwanenstadt (Nr. 25) bekannt, das an der heutigen Bundesstraße B1 liegt, die auf die antike Straße Ovilavis – Iuvavum zurückgeht25. Für diese Baureste wird ebenfalls die nicht sicher lokalisierte Straßenstation Tergolape in Erwägung gezogen. 26 Weitere Siedlungsreste finden sich in Arnbruck27 (Nr. 17) und Timelkam28 (Nr. 9), wo Mauerfunda16 Traxler – Kastler 2010, 236 Abb. 4, 4. 5. 17 Traxler – Kastler 2010, 235 f. Abb. 4, 2. 3. 18 Traxler – Kastler 2010, 236. 239 Abb. 5. 19 Traxler 2004, 151–153. 20 Pillwein 1830, 315. 2 1 Für diesen Hinweis und die Erlaubnis zur Veröffentlichung (s. Ployer in Druck) sei Raimund Kastler herzlich gedankt. 22 Jandaurek 1954; Trathnigg 1955.
23 S-Mauer 184 m lang, W- und O-Mauer auf etwa 100 m Länge festgestellt, N-Mauer nicht ergraben. 24 Kloiber 1964, 185–187. 25 Noll 1958, 73 f. 77. 93–95. 26 Noll 1958, 73 f. 77; Pollak 2007, 11; Winkler 1981, 452 nimmt das antike Tergolape in Vöcklabruck an. Siehe auch Kovacsovics 2002, 168. 27 Traxler 2004, 118. 28 Traxler 2004, 166.
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Untersuchungen zur Besiedlung des südlichen Hausruckviertels
mente und Estrichreste vorliegen. Ein vicus ist im heutigen Bezirk Vöcklabruck nicht nachgewiesen. Möglicherweise befand sich in Vöcklabruck (Nr. 4) selbst eine größere Ansiedlung, worauf mehrere, über eine größere Fläche verstreute Siedlungsreste und Einzelfunde Anhaltspunkte geben29. Sieben Bestattungsplätze30, die nur durch Zufallsfunde erschlossen sind, geben ebenso Hinweise auf weitere, bisher nicht lokalisierte Siedlungen wie eine Reihe von meist in sekundärer Lage aufgefundenen Grabplatten. So wurde in Mösendorf der Grabstein eines Sumelius gefunden, der von der Begräbnisstätte eines Gutshofes stammen dürfte31. Ein zweites, vermutlich monumentales Grabdenkmal kennen wir aus Mörasing westlich von Vöcklamarkt32. Es handelt sich um eine ca. 1,8060,75 m große Grabinschrift, die eine Erbonia Optata ihrem Mann Lucius Terentius Restitutus und ihrem Sohn Terentius Quietus gesetzt hat. Auch dieser Grabbau kann als Hinweis auf eine weitere ländliche Ansiedlung genommen werden. Vor allem im 19. Jh. kam es bei Entdeckungen von Altertümern immer wieder zu einer Fehlinterpretation der archäologischen Hinterlassenschaften. Die kritische Analyse und neue Bewertung der Objekte führt heute zu neuen Deutungen und Datierungen. Es sind dies vorwiegend Steinbauten, die als römerzeitlich angesprochen wurden, dem neuen Forschungsstand nach jedoch als mittelalterlich gelten müssen33. Als Beispiel sei der in den 1860 er Jahren entdeckte massive quadratische Steinbau am westlichen Ortsrand von Mösendorf genannt, der als römische Straßenstation, monumentaler Grabbau, Tempelbezirk bis hin zu einem Militärbau gedeutet wurde34. Das an der nach Salzburg führenden Landstraße, im Grundriss 17617 m große quadratische Gebäude war von einer 36629,4 m großen rechteckigen Umfassungsmauer mit Graben umgeben. Wie M. Pollak schlüssig zeigen konnte, handelt es sich bei der im Franziszeischen Kataster gut erkennbaren quadratischen Struktur, die sich nur wenig harmonisch in das ältere Streifenflurgefüge einfügt, wohl um eine spätmittelalterliche Niederungsburg mit Wehrmauer und Umfassungsgraben, bei deren Errichtung römisches Baumaterial sekundär verwendet wurde35. Die Lagestelle des Gebäudes an der Westgrenze des Landgerichts Kammer und eine historisch belegte Mautstelle desselben Landgerichts in Mösendorf machen einen Zusammenhang mit spätmittelalterlich-frühneuzeitlicher Verwaltungstätigkeit an einer der wichtigsten Binnenverbindungen Oberösterreichs mehr als wahrscheinlich. Gerne als „römisch“ angesprochen wurden einige mittelalterliche Türme, wie etwa der so genannte und um 1870 abgetragene „G’scheibte Turm“ nordwestlich oberhalb des Mondsees in St. Lorenz. Lange Zeit wurde der Turm als Wachturm oder Rundtempel interpretiert36. P. Scherrer und Pollak plädieren für eine mittelalterliche Datierung, worauf vor allem der Hocheinstieg mit einem Schlussstein schließen lässt37. Die in der Verfüllung des Turmes gefundenen angeblich römischen Dachziegelreste könnten aber auf eine bisher nicht bekannte ländliche Siedlung in unmittelbarer Nähe hinweisen. Gleichfalls unsicher sind die Rekonstruktionen römischer Verkehrswege, deren einwandfreie Datierung nur über archäologisches Fundmaterial möglich ist. Bei den Meilensteinen von Mösendorf 38 und Timelkam-Wildstuben39 sind die ursprünglichen Standorte zwar in unmittelba-
29 Noll 1958, 81 f. 30 Lenzing (Nr. 16): Winkler 1981, 457. – Litzlberg (Nr. 20): CIL III 5624; Noll 1958, 74; Traxler 2004, 139 f.; Petrovitsch 2006, 70 f. – Kammer (Nr. 21): Jandaurek 1961, 30; Dickinger 2002, 58. –Schwanenstadt (Nr. 23–25): Noll 1958, 73; Winkler 1981, 462; Gruber 2004. – Mitterberg (Nr. 27): Noll 1958, 67; Winkler 1981, 460. 3 1 CIL III, 05604 und 11783; Illpron 990; Lupa 4968: Sumeli[- a]edili / Cobrun[- - -] / muf(oder e)[- - -.
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32 CIL III, 05605; Illpron 1009; Lupa 4522: L(ucio) Terentio Restituto [an(norum) - - -] / et Terentio Quie[to an(norum) - - -] / Erbonia Optata co[niugi] / piissimo et filio faciun[dum cur(avit)]. 33 Pollak 2007, 12. 34 Noll 1958, 82 f.; Scherrer 1992, 26 f. 35 Pollak 2007, 12. 36 Lindenthaler 1900, 13 f.; Scherrer 1992, 26. 37 Pollak 2007, 12 f.; Scherrer 1992, 26. 38 CIL III, 05746; Illpron 989; Lupa 13249: [Imp
René Ployer
rer Nähe zu vermuten, aber nicht eindeutig bekannt. Der als einziger in situ aufgefundene Stein von Gampern-Weiterschwang40 weist – wie das Fragment aus Timelkam-Wildstuben – keine Beschriftung auf. Diese drei Meilensteine können als Hinweis herangezogen werden, dass die antike Straße von Ovilavis/Wels nach Iuvavum/Salzburg zwischen Vöcklabruck und Frankenmarkt nicht entlang der heutigen B1, sondern etwas weiter südlich verlief 41. Westlich der Ortschaft Oberstraß, am Nordfuß des Buchenwaldes und knapp südlich der Bundesstraße 1 ist auf rund 1 km Länge ein gut ausgeprägter Altstraßenzug zu verfolgen (Nr. 35)42. An den gut erhaltenen Stellen handelt es sich um einen niedrigen, im Querschnitt trapezförmigen Damm (H. 0,5 m, Br. der Krone ca. 3 m), der an der Hangseite durch einen tiefen Entnahme- bzw. Straßengraben begleitet wird. Die Trasse ist bereits im Franziszeischen Kataster nicht mehr enthalten; die Grabensohle bildet die Grenze zwischen zwei Parzellen, sodass die Trasse schon damals längst abgekommen gewesen sein muss. Aufgrund des Aufbaues handelt es sich vermutlich um die römische Straße Salzburg – Wels. Als kurzes Teilstück der römischen Salzstraße vom Traunsee in Richtung der Verbindung Ovilavis – Iuvavum kann ein Altstraßenzug in Tiefenweg (Nr. 14) gesehen werden, aus dessen Bereich eine Hipposandale stammt43. Viele andere bekannte Altstraßen gehen aber wohl erst auf das Mittelalter zurück, wie etwa die „Alte Poststraße“, die von einem Ager-Übergang bei Schöndorf die Dürre Ager entlang über St. Georgen nach Mondsee führte. Wie Pollak ausführt, dürfte sie wegen ihrer auffallenden Verbindung mit frühmittelalterlichen Befestigungsanlagen, ihrem Beginn bei der frühmittelalterlichen Kirche Maria Schöndorf und dem Ende in Mondsee im 8. oder 9. Jh. entstanden sein. 44 Der gegenwärtige Forschungsstand zeigt ein eher dürftiges Bild von der Siedlungslandschaft im südlichen Hausruckviertel in römischer Zeit. Während die Fundleere im Bereich des hügeligen Kobernaußer- und Hausruckwaldes im Norden weniger verwundert, ist die dünne Besiedlung im heutigen Attergau wohl auf ein Forschungsdefizit zurückzuführen. Diesem Desiderat wäre womöglich mit gezielten großflächigen Surveys beizukommen. Abbildungsnachweis Abb. 1: Kartengrundlage © BEV 2012, vervielfältigt mit Genehmigung des Bundesamtes für Eich- und Vermessungswesen (BEV) in Wien, T 2012/85629 Bibliographie Berlinger 1920/33 Breitwieser – Jansa 2012
Dickinger 2002 Gassner – Ployer 2011
J. Berlinger, Hausham, Gde. Pfaffing, BH. Vöcklabruck, FÖ 1, 1920/33, 243. 259 R. Breitwieser – V. Jansa, Der „römische Hafen“ von Weyregg. Ein Arbeitsbericht, in: F. Lang – St. Traxler – W. Wohlmayr (Hrsg.), Stadt, Land, Fluss/ Weg. Aspekte zur römischen Wirtschaft im nördlichen Noricum. Workshop Salzburg, 19.–20. November 2010, Archaeo Plus 3 (Salzburg 2012) 9–14 H. Dickinger, Geschichte von Schörfling am Attersee² (Schörfling am Attersee 2002) V. Gassner – R. Ployer, Archäologische Untersuchungen auf dem Haushamerfeld in Pfaffing, AÖ 22, 2, 2011, 13 f.
(erator) Caes(ar) L(ucius) Septimius] Seve/[rus Pius Pertinax] Aug(ustus) Arab(icus) / [Part]h(icus) max(imus) pontif(ex) max(imus) / [trib(unicia) po]t(estate)] VIIII imp (erator) XII co(n)s(ul) II [p(ater) p(atriae)] / proco(n)s(ul) et / [Imp(erator)] Caes(ar) M(arcus) Aurell(ius) Antoni/nus Pius Aug(ustus) trib(unicia) pot(estate) IIII / proco(n)s(ul) et P(ubl)ius [[Sep[timius]]] / [[[Geta nob(ilissimus) Caes (ar)]]] miliaria vetus/tate conlapsa restitue/runt curante M (arco) Iuve/ntio Suro Proculo / leg(ato) pr(o) pr(aetore) /
ab Iuva(v)o m(ilia) XXXI; vgl. auch Noll 1958, 93–95; Winkler 1981, 452 f. 465 f. 39 Winkler 1981, 464. 40 Winkler 1985, 82 Nr. 136. 4 1 Pollak 2007, 15. 42 Pollak 2007, 15. 43 Reitinger 1984, 150 f. Abb. 2. 44 Pollak 2007, 15.
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Untersuchungen zur Besiedlung des südlichen Hausruckviertels Gassner – Ployer 2012
V. Gassner – R. Ployer, Archäologische Untersuchungen auf dem Haushamerfeld in Pfaffing. KG und OG Pfaffing, VB Vöcklabruck, FÖ 50, 2011, 347–349 Gassner – Ployer in Druck V. Gassner – R. Ployer, Ein ländlicher Siedlungsplatz auf dem Haushamer Feld (Vöcklamarkt) im nordwestlichen Noricum, in: Dörfliche Siedlungen der römischen Kaiserzeit im mittleren Donauraum. Tagung 6.–8. Dezember 2010 in Györ anlässlich des 65. Geburtstages von Eszter Szőnyi (in Druck) Gruber 2004 H. Gruber, KG und SG Schwanenstadt, VB Vöcklabruck, in: Die Abteilung für Bodendenkmale des Bundesdenkmalamtes. Jahresbericht 2004, FÖ 43, 2004, 53 Hell 1968 M. Hell, Der römische Gutshof von Salzburg-Liefering, MGSLk 108, 1968, 341–366 Jandaurek 1954 H. Jandaurek, Ein römisches Bauwerk bei Breitenschützing, OÖHBl 8, 1954, 81–83 Jandaurek 1961 H. Jandaurek, Römische Brandgräber in Schörfling am Attersee, PAR 11, 1961, 30 Karwiese 1990 St. Karwiese, Marktgemeinde Mondsee – ehem. Benediktiner-Kloster („Schloß“) 1988 bis 1990, ÖJh 60, 1990, Beibl. 59–64 Kastler u. a. 2009 R. Kastler – N. Buthmann – B. Zickgraf – A. Krammer, Die Fundstelle Pfongau II und die römischen Villae rusticae im Territorium von Iuvavum/Salzburg – Beobachtungen zu ländlichen Bau- und Siedlungsformen anhand geophysikalischer Prospektionen, in: Tagungsbericht zum Symposium „Die archäologische Erforschung römischer Villen im Ostalpenraum“ in Södingberg 2008, FÖ 48, 2009, 85–107 Kastler u. a. 2010 R. Kastler – F. Lang – St. Moser – W. Wohlmayr, KG Neumarkt Land, SG Neumarkt am Wallersee, PB Salzburg-Umgebung, FÖ 49, 2010, 376–377 Kloiber 1964 Ä. Kloiber, Die Ausgrabungen 1963 in drei baierischen Gräberfeldern des 6. und 7. Jhs. Ein vorläufiger Bericht, JbOÖMV 109, 1964, 185–190 Kovacsovics 2002 W. Kovacsovics, Iuvavum, in: M. Šašel Kos – P. Scherrer (Hrsg.), Die autonomen Städte in Noricum und Pannonien. Noricum, Situla 40 (Ljubljana 2002) 165–201 Lang u. a. 2009 F. Lang – R. Kastler – St. Moser – T. Wilfing – W. Wohlmayr, Die Villa rustica von Pfongau I, Neumarkt am Wallersee. Ein Forschungsprojekt zu einer römischen Wirtschaftseinheit in ihrem regionalen Kontext, in: Tagungsbericht zum Symposium „Die archäologische Erforschung römischer Villen im Ostalpenraum“ in Södingberg 2008, FÖ 48, 2009, 116–120 Lindenthaler 1900 M. Lindenthaler, Geschichte des Bezirkes Vöcklabruck (Vöcklabruck 1900) Noll 1958 R. Noll, Römische Siedlungen und Straßen im Limesgebiet zwischen Inn und Enns (Oberösterreich), RLÖ 21 (Wien 1958) Petrovitsch 2006 H. Petrovitsch, Legio II Italica, FiL 13 (Linz 2006) Pillwein 1830 B. Pillwein, Geschichte, Geographie und Statistik des Erzherzogthums Oesterreich ob der Enns und des Herzogthums Salzburg, Dritter Theil: Der Hausruckkreis (Linz 1830) Ployer in Druck R. Ployer, Das Haushamerfeld bei Pfaffing – eine ländliche Siedlungsstelle am NO-Rand des Territoriums von Iuvavum, in: Colloquium Iuvavum 2012, Das Territorium von Iuvavum. Bestandsaufnahme und Forschungsstrategien, 15.–17. März 2012, Salzburg Museum (veranstaltet von R. Kastler – F. Lang – St. Traxler), Salzburg (in Druck) Pollak 2007 M. Pollak, Der Attergau als archäologische Fundlandschaft, in: P. Trebsche – M. Pollak – H. Gruber, Eisenzeitliche Hügelgräber im Attergau, FÖ Mat. A, Sh. 5 (Wien 2007) 10–22 Reitinger 1984 J. Reitinger, Die archäologischen Grabungen in der Kirche von Aurachkirchen, JbOÖMV 129/1, 1984, 147–170 Scherrer 1992 P. Scherrer, Grabbau – Wohnbau – Turmburg – Praetorium. Angeblich römerzeitliche Sakralbauten und behauptete heidnisch-christliche Kultkontinuitäten in Noricum, BerMatÖAI 4 (Wien 1992) Trathnigg 1955 G. Trathnigg, Die Probegrabung in Breitenschützing, OÖHBl 9, 1955, 159– 170
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René Ployer Traxler 2004 Traxler – Kastler 2010 Weber 1972 Winkler 1981 Winkler 1985
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Abb. 1: Römerzeitliche Fundstellen im Bezirk Vöcklabruck. n Siedlungsreste, s Grabfund, l Einzelfund, Straßenabschnitt, y Hafen/Fischbecken
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Triumphal- und Siegesdenkmäler außerhalb von Rom Sven Schipporeit Wie kein anderes Ritual ist der Triumph mit dem politischen Schicksal der Stadt Rom und dem Aufstieg der Römischen Republik zur antiken Großmacht untrennbar verknüpft. Fast in jedem Jahr ihres rund 500 -jährigen Bestehens erlaubte die Republik ein bis zwei Feldherrn, die Erträge ihrer Plünderungs- und Eroberungszüge durch Italien, den Mittelmeerraum und angrenzende Gebiete in einer prächtigen Prozession vom Marsfeld durch das Stadtzentrum zum Heiligtum des Iuppiter Optimus Maximus auf dem Kapitol der staunenden Öffentlichkeit vorzuführen; aber nicht jedem der siegreich heimgekehrten Magistrate gewährte die Republik einen Triumph. Ein hohes Beuteaufkommen allein reichte hierfür nicht aus. Nach Einschätzung ihrer Standeskollegen im Senat mußten sie vielmehr imperium und auspicium besitzen, also über ein ausreichendes Maß militärischer, administrativer wie religiöser Amtsgewalt verfügen, im Feldzug felicitas, also eine glückliche Hand, bewiesen haben, und zudem einen ductus durchgeführt, also das Heer nach Hause gebracht haben1. Gerade diese vier Punkte strichen die Feldherren in ihren Anträgen und Rechenschaftsberichten denn auch hervor. War der Triumph schließlich genehmigt, kam die Zeit für den Triumphator, die Beute publikumswirksam in Rom zu präsentieren. Im triumphalen Festzug bezeugten die vorgeführten „Menschen, Tiere, Sensationen“ für Teilnehmer und Zuschauer greifbar nah und offensichtlich den Erfolg des Feldzuges in den fernen Ländern. Im Zuge mitgeführte Tafeln visualisierten den Römern all diese exotischen Orte zusätzlich in Schrift und Bild2. Die überlebenden Gefangenen wurden versklavt, die Tiere geopfert, die erbeuteten Objekte öffentlich plaziert. Wichtigster Ort für ihre Aufstellung war und blieb die Area Capitolina um den Tempel des Iuppiter3. Im Heiligtum des Stadtbeschützers ließ wohl auch C. Flaminius nach seinem gallischen Triumph im Jahre 223 v. Chr. ein aus den goldenen Torques der Kelten gewonnenes tropaeum für Iuppiter errichten4. Diese seit dem 5. Jh. v. Chr. in Griechenland geläufige Sitte, Helm, Panzer, Beinschienen, Schild und Waffen geschlagener Feinde auf einem Baumstamm zu einem Tropaion zu drapieren, das einem gerüsteten Soldaten ähnelt, wurde anscheinend erst gegen Ende des 3. Jh.s v. Chr. in Rom mit dem tropaeum eingeführt5. Republikanische Triumphatoren weihten aber auch in andere Heiligtümer in Rom, wie M. Fulvius Flaccus nach seinem Triumph im Jahre 264 über das etruskische Volsinii: Im Doppelheiligtum der Fortuna und der Mater Matuta unter der Kirche S. Omobono fanden sich vor beiden Tempeln zwei quadratische Basen, auf deren Fronten die einzeiligen Weihinschriften des Feldherren umlaufend eingeschrieben sind. Auf ihren Deckplatten tragen sie Einlassungen für kleinformatige Statuen, die vermutlich aus der volsinischen Beute stammten. Zu derselben Stiftung gehört wohl auch ein im Hofzentrum gefundener Rundsockel, der gleichartige Statuettenbettungen aufweist6. 1 s. Krasser u. a. 2008; La Rocca u. a. 2008; Beard 2007; Itgenshorst 2005; Flaig 2003 a; Flaig 2003 b; Östenberg 2003; Coarelli 1988, 363–437; Künzl 1988 mit Lit. 2 s. La Rocca u. a. 2008; Schmuhl 2008, 62–64. 200–207. 277–283; Hölkeskamp 2004, 147–151; Hölscher 2001; Holliday 1997; Künzl 1988, 9–44. 65–108. 114–118; Hölscher 1978. Bes. Beard 2007 und Östenberg 2003 betonen diesen Punkt. 3 s. Schmuhl 2008, bes. 15–72; Reusser 1993, bes. 32–51; Künzl 1988, 82 f. 90. 109–118; zum Tempel Arata 2010; auch Hölkeskamp 2004, 144–147.
4 Flor. epit. 1, 20, 4; s. Schmuhl 2008, 88; Itgenshorst 2005, Kat.-Nr. 153. 5 s. ausführlich Schmuhl 2008, bes. 15–46; Stroszeck 2004. 6 s. Itgenshorst 2005, Kat.-Nr. 126, zum Triumph; Schmuhl 2008, 82–84; Coarelli 1988, 213–216; Hölscher 1978, 320–322, zu den Weihungen (CIL VI 8, 3 Nr. 40895. 40896); s. Pisani Sartorio 1995; Coarelli 1988, 205–363. 434–459, zum Heiligtum.
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338 v. Chr. besiegte C. Maenius die Seemacht Antium, und von der sichergestellten Flotte der latinischen Hafenstadt stiftete er nach seinem Triumph Schiffsschnäbel für die neue Rednerbühne des Comitium am Forum Romanum. Die an ihrer Außenwand montierten, namengebenden Rostra wurden somit integraler Bestandteil des politischen Raumes der Stadt7. Zudem errichteten die Triumphatoren aus den Erträgen der Kriegsbeute in den kommenden Jahrhunderten viele Tempel, die zusammen mit Widmungsinschriften und öffentlich ausgestellten Statuen, Gemälden, Karten und Tatenberichten aus den Feldzügen über den vergänglichen Moment des Sieges und Triumphes den Ruhm ihrer Erbauer im kollektiven Gedächtnis der Republik dauerhaft verankern sollten8. All diese Denkmäler standen in Rom. Sie richteten sich in erster Linie an die Senatoren und die Bürger Roms, diesen und sich selbst die Sieghaftigkeit Roms und seiner Führungskräfte versichernd. Wie schaut es aber mit republikanischen Siegesdenkmälern außerhalb von Rom aus, vor allem in den Orten und Ländern, deren Niederwerfung, Eroberung und Zerstörung erst römischen Feldherren die Heimkehr im Triumph ermöglichten ? Wo und von wem wurden sie errichtet ? Welche Adressaten wollten die Auftraggeber ansprechen, und mit welchen schriftlichen wie bildlichen Mitteln wollten sie ihre Intentionen verdeutlicht haben ? Während die Forschung seit geraumer Zeit die stadtrömischen Monumente im Rahmen der politischen, religiösen und visuellen Entwicklung des urbanen Raumes aus unterschiedlichen Blickwinkeln intensiv beleuchtet und auch die Auswirkungen der großen Beutezüge insbesondere in Griechenland auf die kulturelle Entwicklung Roms und ihrer Führungsschicht diskutiert, gibt es nur wenige ausführliche Studien zu den externen Siegesdenkmälern republikanischer Zeit und ihrer Rolle für die Inszenierung von Sieg und Triumph durch die senatorischen Politiker und Feldherren9. Ein erster Überblick soll hier grundsätzliche Charakterzüge dieser Denkmälergruppe zeigen. 293 v. Chr. triumphierte L. Papirius Cursor über die Samniten. Aus der reichen Beute sandte er sowohl den Kolonien als auch den Bundesgenossen viele Waffen, mit denen sie laut Livius ihre Fora und Heiligtümer schmücken sollten10. Auch M. Claudius Marcellus, dessen erfolgreicher Feldzug gegen die gallischen Insubrer 222 mit einem Triumph bedacht wurde, gab großzügig an Syrakus und die Verbündeten ab. Wenige Jahre später war aus dem sizilischen Alliierten ein von Marcellus besiegter Feind geworden. Nachdem er 211 über Syrakus triumphierend im Sondertriumph zum Mons Albanus außerhalb Roms und in einer Ovatio zum Kapitol in Rom gezogen war, weihte Marcellus aus der reichen Beute Gemälde und Statuen auch nach Lindos in das Athena-Heiligtum und nach Samothrake in das Kabiren-Heiligtum. An einem dieser beiden Orte wurde anscheinend auch eine Ehrenstatue des römischen Feldherrn aufgestellt, deren Inschrift seine Laufbahn und Verdienste pries11. Wenig später dedizierte T. Quinctius Flamininus, der 194 v. Chr. über Makedonien und König Philipp triumphierte, noch vor seiner Heimreise aus Griechenland im Apollon-Heiligtum von Delphi silberne Schilde, die vermutlich aus der makedonischen Beute stammten. Auf einen eigenen Schild und einen goldenen Kranz ließ er zudem in griechischen Versen verfasste Weihinschriften setzen, die von Plutarch zitiert werden 12. 7 s. Itgenshorst 2005, Kat.-Nr. 69, zum Triumph; s. Liv. 8, 14, 12; Plin. nat. 34, 20; Flor. epit. 1, 5, 10, zu den Rostra, auch Schmuhl 2008, 74–77; s. Amici 2005; Hölkeskamp 2004, 158–163 zum Comitium. 8 s. Schmuhl 2008, bes. 15–72; Ziolkowski 1992 und Einträge im LTUR; auch Itgenshorst 2005, 99–111; Hölkeskamp 2004, 137–165; Hölscher 2001; Coarelli 1997, 179–503. 9 s. zu Rom etwa Krasser u. a. 2008; La Rocca u. a. 2008; Hölkeskamp 2004; Flaig 2003 a; Flaig 2003 b; Hölscher 2001; Künzl 1988, 109–118; Hölscher 1984; Hölscher 1978; auch Schipporeit 2010; Schipporeit 2008. 10 Liv. 10, 46, 8; s. Schmuhl 2008, 79–81; Itgenshorst
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2005, Kat.-Nr. 96. 1 1 Zum ersten Triumph s. Plut. Marcellus 8; Itgenshorst 2005, Kat.-Nr. 155; zum Sondertriumph in monte Albano und zur Ovatio s. Plut. Marcellus 22, 1–4; Itgenshorst 2005, Kat.-Nr. 158. 159; zu den Weihungen nach Lindos und Samothrake s. Plut. Marcellus 30, 4–5; ferner Schmuhl 2008, 88 f.; Künzl 1988, 100 f. 109–118. 12 s. Itgenshorst 2005, Kat.-Nr. 173, zum Triumph und zu den Weihungen in Delphi (Plut. Flamininus 12, 6–7); s. Schmuhl 2008, 93 f.; Waurick 1975, 14 Nr. 5, zu den Beuteweihungen des Bruders L. Quinctius Flamininus aus Leukas. Dieser triumphierte allerdings nicht.
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Ihre lateinischen Dedikationen hielten die zeitgenössischen Triumphatoren anscheinend weitaus konziser. M. Fulvius Nobilior, der im Jahre 187 über Kephallenia und die Aetolier triumphierend in Rom einzog, ließ die erbeuteten Statuen auch außerhalb der Stadt aufstellen: Auf einer Statuenbasis in Tusculum, der Heimat der Fulvii, konstatiert er knapp, dass er als Consul die Beute aus Aetolien geraubt habe13. Eine Statuenbasis im etrurischen Luna vermerkt gleichfalls lapidar die Beute aus dem von Consul M. Acilius, Sohn des Caius, eroberten Skarpea. Unklar ist in diesem Fall, ob M. Acilius Glabrio selbst, der 190 v. Chr. über die Aetolier und König Antiochos triumphierte, oder sein gleichnamiger Sohn die Statue gestiftet hatte; dieser hielt in Rom durch die Vollendung des vom Vater gelobten Pietas-Tempels und die Aufstellung von zugehörigen Denkmälern die Erinnerung an diesen Triumph wach14. Die beiden zentralen Verben dieser und vieler anderer Inschriften treten in den Formen cepit oder cepet für das Erbeuten und dedit oder dedet für das Weihen auf 15. Die Formulierung cepet begegnet auch auf dem prominenteren Siegesdenkmal des L. Aemilius Paullus, der 168 v. Chr. in der Schlacht bei Pydna Makedonien bezwungen hatte (Abb. 1). Im Apollon-Heiligtum von Delphi widmete er ein Pfeilerdenkmal des makedonischen Königs Perseus auf seine Person um: Auf vier Seiten stellt ein neuer Relieffries eine Schlacht zwischen Makedonen und obsiegenden Römern dar und am Sockel konstatiert die zweizeilige Inschrift den Besitzerwechsel mit den schlichten Worten: L(ucius) Aimilius L(uci) f(ilius) inperator de rege Perse | Macedonibusque cepet. Bemerkenswert ist das Selbstbewusstsein des nur wenig später im November 167 in Rom über Makedonien und König Perseus triumphierenden Feldherrn, das ihm nicht nur die Wahl der lateinischen Sprache in einem rein griechischen Umfeld, sondern auch den Verzicht einer Weiheformel an den Gott Apollon erlaubte16. Auch P. Cornelius Scipio Africanus Aemilianus, der 146 v. Chr. den endgültigen Triumph über Karthago feierte, und Lucius Mummius, der im folgenden Jahr über Achaia und Korinth triumphierte, deponierten Teile ihrer Beute an verschiedensten Orten in Griechenland und Italien17. In der Forschung bisher unberücksichtigt geblieben sind die triumphalen Monumente, die C. Sempronius Tuditanus nach seiner Befriedung der istrischen Stämme im Sommer 129 v. Chr., namentlich der Iapoden, nicht nur in Rom, sondern auch in Aquileia und Umgebung aufstellen ließ18. 1788 wurde in dem Dorf Monastero, im Nordosten der latinischen Koloniestadt Aquileia, der linke Quaderblock einer Inschriftenbasis gefunden (Abb. 2). Weiter im Norden kam 1906 beim Abbruch der alten Brücke über den Aussa-Fluß westlich der Kleinstadt Cervignano der rechte Eckquaderblock einer Inschriftenbasis zu Tage (Abb. 3), dessen Zugehörigkeit zu dem nicht anbindenden ersten Block Anton von Premerstein 1907 im zehnten Band der Österreichischen Jahreshefte nachweisen konnte19. Nach über hundertjähriger intensiver philologisch-historischer Diskussion dieses mutmaßlichen Elogiums, das wohl im alten saturnischen Versmaß verfasst wurde, ist allerdings nur soviel klar, dass Tuditanus über seinen erfolgreichen Feldzug gegen die Taurisker und andere Völkerschaften berichtet (Z. 1–4), den er mit einem Triumph (Z. 5) in Rom 13 CIL I2 616: M(arcus) Fulvius M(arci) f(ilius) | Ser (vii) n(epos) co(n)s(ul) | Aetolia cepit. s. Schmuhl 2008, 97– 99 (auch zur gleichartigen Statuenweihung CIL I 2 615+p. 833 in Rom, die nur die ambrakische Herkunft der Beute nennt); Itgenshorst 2005, Kat.-Nr. 180; Waurick 1975, 14 Nr. 7. 8. 14 s. Schmuhl 2008, 95 f.; Itgenshorst 2005, Kat.-Nr. 176; Waurick 1975, 14 Nr. 6; zum Tempel der Pietas Ciancio Rossetto 1999 mit Lit. 1 5 s. ausführlich Waurick 1975, bes. 13–23 mit Belegen. 16 CIL I 2 622+p. 725. 739; s. Schmuhl 2008, 99– 104 mit Lit.; Waurick 1975, 14 Nr. 9; zum Triumph s. Itgenshorst 2005, Kat.-Nr. 200.
17 s. Schmuhl 2008, 108 f.; Itgenshorst 2005, Kat.-Nr. 210, zum afrikanischen Triumph des Aemilianus. – s. Schmuhl 2008, 105–107; Itgenshorst 2005, Kat.-Nr. 211, zum Triumph des Mummius; Waurick 1975, bes. 23–39 Abb. 2. 3, zur lokalen Verteilung seiner Beute aus dem Korinth-Feldzug in Griechenland und Italien. 18 s. Itgenshorst 2005, Kat.-Nr. 215, zu seinem Triumph. 19 s. v. Premerstein 1907; zu CIL V 8270 auch Kruschwitz 2002, 148–158 Nr. 19; Brusin 1991, 15–17 Nr. 28, mit Abb.; Bandelli 1989; Morgan 1973; Birt 1920; Reisch 1908; und im Netz in der nutzbringenden Datenbank „Ubi erat Lupa“ Nr. 11543 von Friederike und Ortolf Harl, denen ich für Hinweise und Diskussion danke.
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Triumphal- und Siegesdenkmäler außerhalb von Rom
abschloss. Er gab oder weihte etwas dem Gott des an der Grenze zu Istrien mündenden Flusses Timavus (Z. 5), er stellte ältere Bedingungen wieder her oder gewann sie zurück und er übergab oder setzte anderes, vielleicht Magistrate, wieder ein (Z. 6)20. Inhalt, Aufbau und Länge der Inschrift lassen darauf schließen, dass es sich nicht um eine der üblichen Beuteweihungen republikanischer Feldherren handelt, sondern um ein ambitioniertes Denkmal für das Forum oder ein bedeutendes Heiligtum der Kolonie. Auch in den Kultbezirk des Timavus an der Flussmündung in die Adria stiftete er wenigstens eine Statuen- oder Weihebasis21. In demselben Jahrzehnt sollten weitere Innovationen folgen. Nachdem Proconsul Cn. Domitius Ahenobarbus und Consul Q. Fabius Maximus im Jahre 121 mit ihren jeweiligen Legionen gemeinsam die unter dem arvernischen König Betuitus vereinten gallischen Stämme der Allobroger und Arverner am Zusammenfluss von Rhone und Isère entscheidend geschlagen hatten, errichteten beide auf dem Schlachtfeld Türme aus Stein, an denen sie Tropaia aus den Feindeswaffen befestigten, wie Florus schreibt, oder Tropaia aus Marmor, wie Strabon bemerkt. Florus zufolge war diese Praxis bisher für römische Feldherren unüblich gewesen, da Rom zuvor nie den Besiegten seinen Sieg vorgeführte hätte22. Auch mit der Erbauung der beiden Siegestempel für Mars und Hercules Victor im Feindesland setzte der im folgenden Jahr über die Allobroger und König Betuitus triumphierende Fabius vermutlich einen Präzedenzfall, wie auch mit der Errichtung eines Triumphbogens am Forum Romanum23. Von Domitius, der im Anschluss im Siegeszug in die Stadt einzog, sind bis auf einen Meilenstein keine weiteren Monumente oder Stiftungen überliefert24. Die neue römische Sitte, Tropaia nicht mehr nur in Rom, sondern auch am Schlachtfeld aufzustellen, fand wenige, aber prominente Nachahmer: 86 v. Chr. errichtete L. Cornelius Sulla nach seinem Sieg bei Chaironeia über Mithridates auf dem Schlachtfeld zwei tropaea, eines in der Ebene am Molosbach und ein zweites auf dem Berg Thourion. Von letzterem fanden sich 1989 Reste des Säulenschaftes und der Basis, die in der griechischen Inschrift die beiden verbündeten Chaironeier Homolichos und Anaxidamos für ihre Tapferkeit ehrt, wie es auch Plutarch überliefert. Zudem ließ er in Theben Spiele veranstalten; den Triumph über König Mithridates beging Sulla in Rom 5 Jahre später25. Cn. Pompeius Magnus hingegen wählte wie so oft auch bei den Siegesmonumenten die Steigerungsform. 71 v. Chr. besiegte er endlich Sertorius und Hispanien. Auf dem Rückweg nach Rom, der in seinem zweiten Triumph gipfelt, ließ er auf den östlichen Ausläufern der Pyrenäen an der Provinzgrenze zu Gallien tropaea errichten, die in den antiken Quellen großen Nachhall fanden26. Die Identifizierung dieser Siegesmale mit den seit 1984 freigelegten Resten eines zweiteiligen Monumentes oberhalb des französischen Ortes Le Perthus am Col de Panissars auf der heutigen Grenzlinie zu Spanien wird anscheinend weitgehend akzeptiert (Abb. 4). Zwei 15630 m lange, parallel in Fels gesetzte und mit Quadermauerwerk gefasste Basen säumen auf Passhöhe die antike Via Domitia in 5 m Abstand. Mehr hat sich kaum erhalten, auch nicht von der Inschrift, die laut Plinius alle 876 von Pompeius unterworfenen Oppida Hispaniens aufführ20 s. zur Inschrift die Literaturhinweise in Anm. 19 und 21. 2 1 Die bei Duino gefundene Basis des Tuditanus: CIL I2 2503; Sticotti 1951, 317; zum Heiligtum und Kult des Timavus s. Steuernagel 2004, 124 f. 158; Wojciechowski 2001, 58–75. 165–167; Fontana 1997, 27–51. 136–153. 178 f.; zu Aquileia in republikanischer Zeit s. zuletzt Lackner 2008, bes. 30–37. 335. 336; Steuernagel 2004, 119– 126. 22 Flor. epit. 1, 37, 6; Strab. 4, 1, 11; vgl. Diskussion und Lit. bei Schmuhl 2008, 37 f. 110. 23 s. Itgenshorst 2005, Kat.-Nr. 221; zu den Tempeln s. Strab. 4, 1, 11; zum Fabierbogen vgl. Schipporeit 2008,
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106–108; Schmuhl 2008, 110–113; Itgenshorst 2005, 130–132; CIL VI 8, 3, 36681 (= 39175) + p. 4811; Chioffi 1995. 24 s. Itgenshorst 2005, Kat.-Nr. 222. 25 Plut. Sulla 19, 5, 5–9; Plut. mor. 318 d; auch Paus. 9, 40, 7; s. Camp 1992; ferner Schmuhl 2008, 119–122; Itgenshorst 2005, Kat.-Nr. 243. 26 s. Itgenshorst 2005, Kat.-Nr. 253, zum hispanischen Triumph; s. Castellvi u. a. 2008, 29–35 und hier Anm. 28 zu den Testimonien. – Zu weiteren Siegesmonumenten des dreifachen Triumphators s. Schmuhl 2008, 129–133; Itgenshorst 2005, Kat.-Nr. 246. 258.
Sven Schipporeit
te27. Pompeius wählte eine markante sichtbare Lage für sein Siegesmal, das sich aber kaum zu einem turmhohen Torbau mit langgedeckter Passage rekonstruieren lässt, wie es die Ausgräber mit Verweis auf Mausoleumsbauten in der 2008 erschienenen Grabungspublikation eindrücklich suggerieren. Typologische Parallelen wie archäologische Befunde fehlen und alle antiken Autoren sprechen durchgehend im Plural von tropaea bzw. Tropaia oder Anathemata, sodass hier eher zwei riesige Basen oder Podien für eine Vielzahl von Beutewaffen, Statuen, eine raumgreifende Inschrift und ein kolossales Bildnis des Pompeius anzunehmen sind28. Ungewiss ist das Aussehen der Siegeszeichen, die L. Licinius Lucullus 68/67 v. Chr. nach der Überwindung des Tigranes nahe der armenischen Grenze zu Parthien aufstellte29, wie auch des Tropaion, das C. Iulius Caesar 47 nach der erfolgreichen Schlacht gegen Pharnakes bei Zela dem älteren Tropaion des Mithridates vis-à-vis stellte. Den pontischen Triumph feierte Caesar im Rahmen seines Vierfachtriumphes im Jahre 4630. Einen Tumulus in Form eines tropaeum ließ N. Claudius Drusus im Jahre 11 v. Chr. nach einem Sieg über die Markomannen direkt im Feindesgebiet aufrichten, wie Florus berichtet. Nach diesem mit einer Ovatio abgeschlossenen Feldzug zog Drusus wieder nach Germanien und hinterließ ein Tropaion unbekannter Gestalt am Ufer der Elbe, von wo er 9 v. Chr. unverrichteter Dinge umkehren musste31. Monumental sind die beiden Triumphal- und Siegesdenkmäler, die von und für Augustus aufgestellt wurden. An der Stelle seines für die Entscheidungsschlacht gegen Marcus Antonius bei Actium eingerichteten Feldlagers ließ Augustus oberhalb der von ihm gegründeten Stadt Nikopolis einen portikusgesäumten Altarhof mit vorgelagerter Terrasse erbauen, dessen vordere Stützmauer die Rostra der erbeuteten Kriegsschiffe der feindlichen Flotte trug32. Auch hier verkündet die über den Schiffsschnäbeln eingelassene lateinische Weihinschrift an Mars und Neptun dem griechisch-römischen Publikum in großen Lettern unmissverständlich die neuen Machtverhältnisse: Imperator Caesar habe in seiner fünften Amtszeit als Consul für die Republik Friede und Ordnung wiederhergestellt. Somit lässt sich das Monument zwischen 29 und 27 v. Chr. datieren33. Der Reliefschmuck des zentralen Altares zeigt im oberen Register den actischen oder ägyptischen Triumphzug des Augustus im August des Jahres 29. Zum unteren Reliefregister gehörten wohl die vielgestaltigen Tropaia-Haufen34. Bis zur Errichtung des tropaeum Traiani in Dakien durch Kaiser Traian bildete aber das tropaeum Alpium in La Turbie über der französischen Mittelmeerküste den vorläufigen Höhe- und Endpunkt römischer Siegesmale. Auf weite Fernsicht von Land und Meer konzipiert besteht das beeindruckende, teilrekonstruierte Mal aus einer quaderverkleideten Basis von 38 m Seitenlänge, einem 4 m hohen Podest für einen dorischen Rundtempel, dessen getrepptes Dach wohl eine kolossale Statue des Princeps mit flankierenden Barbaren trug. Metopen mit Waffenreliefs und Reliefplatten mit Tropaia schmückten das etwa 50 m hohe tropaeum35. Eine sehr große Inschrift verkündet, dass Senat und Volk von Rom dieses Siegesmal Augustus dedizierten, der alle Alpen27 Zum Befund s. Castellvi u. a. 2008; zur Inschrift s. Plin. nat. 3, 18; 7, 96. 28 Gegen Castellvi u. a. 2008, bes. 29–35. 142–169, nimmt auch Schmuhl 2008, 128 f. zwei Basen an: Strab. 4, 1, 3; Sall. hist. 3, 5, 89; Plin. nat. 3, 18; 7, 96; Serv. Aen. 11, 6 verwenden die Begriffe tropaea bzw. Tropaia, Strab. 3, 4, 1. 7. 9 die Bezeichnung Anathemata. 29 Plut. Lucullus 36, 7; s. Schmuhl 2008, 133–135; Itgenshorst 2005, Kat.-Nr. 256. Lucullus durfte erst im Jahre 63 seinen pontisch-armenischen Triumph feiern. 30 Cass. Dio 42, 48, 2, zur Aufstellung dieses tropaeum. s. Schmuhl 2008, 136 f.; Itgenshorst 2005, Kat.Nr. 264. 3 1 Flor. epit. 2, 30, 23; Cass. Dio 54, 3, 5 zur Ovatio; 55, 1, 3 zum Tropaion an der Elbe; s. zum Germanenfeldzug und zu den Siegesmalen Lehmann 2011, bes. 24–45;
Schmuhl 2008, 183; Bringmann – Schäfer 2002, 100 f. 292–299; Lebek 1991, bes. 74 f. 32 Suet. Aug. 18, 2; Cass. Dio 51, 1, 3 und andere beschreiben das Monument, s. Schmuhl 2008, 154 mit Anm. 899. 900; s. zum Befund La Rocca 2009; Schmuhl 2008, 154–159; Zachos 2003; Bringmann – Schäfer 2002, 182–185; Schäfer 1993; Murray – Petsas 1989 mit Lit. 33 AE 1992, 1534; s. Schmuhl 2008, 156; Itgenshorst 2005, Kat.-Nr. 288; Zachos 2003, 76; Bringmann – Schäfer 2002, 183 (mit Übersetzung); Schäfer 1993. 34 La Rocca 2009, bes. 317; Zachos 2009; Schäfer 2008, bes. 149 f. und die in Anm. 32 genannte Lit. – Zum dreifachen Triumph des Augustus s. Krasser u. a. 2008; Itgenshorst 2005, Kat.-Nr. 287–289. 35 s. Schmuhl 2008, 174–177 mit weiterer Lit.; Formigé 1949.
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Triumphal- und Siegesdenkmäler außerhalb von Rom
völker unter römische Herrschaft gezwungen hätte. Von diesen werden dann namentlich 46 genannt. Unerwähnt bleibt dabei, dass Drusus und Tiberius die Alpen 15 v. Chr. eroberten und nicht Augustus. Die fragmentierte Inschrift und ihre vollständige Abschrift durch Plinius erwähnen, dass Augustus über den 14. imperatorischen Titel und über die 17. tribunizische Gewalt zum Zeitpunkt der Einweihung verfügte, die in das Jahr 7/6 v. Chr. datiert werden kann36. Wie die Tropaia des Tuditanus, Pompeius, Lucullus oder Drusus wurde dieses tropaeum an oder nahe der Grenze zur besiegten Region platziert. Drusus und andere Feldherren konnten sich aber auch entscheiden, ihre Siegeszeichen direkt im Feindesland oder am Schlachtfeld selbst zu hinterlassen37. Diese ältere griechische Tradition übernahmen erstmals im späten 2. Jh. v. Chr. Domitius und Fabius in Gallien, während bis dahin römische Feldherren aus der Kriegsbeute in heimatliche, verbündete, italische und griechische Heiligtümer weihten. Einen durchgehenden Trend zur Monumentalisierung initiierten die beiden Triumphatoren nicht: Form, Größe und auch Programmatik der Siegesdenkmäler variieren abhängig von den Intentionen der jeweiligen Auftraggeber. Es gibt aber Gemeinsamkeiten, die über die Wahl des Latein als Sprache der Sieger und die damit einhergehende grundlegende Botschaft an die Besiegten hinausgehen: Es geht den Feldherren zuallererst um ihre eigenen Siege und Errungenschaften. Alle Inschriften sind in der auf den Feldherren und Stifter rückweisenden 3. Person Singular verfasst, aber vom Heer oder der Flotte, vom römischen Volk, vom Senat oder gar der Republik ist keine Rede. Das ist nur ein Symptom für das Fehlen eines Gemeinsinnes in der spätrepublikanischen Oberschicht für die gesamte Res Publica, die letztlich auch zu ihrem blutigen Untergang führt. Anders die Bauinschrift am tropaeum Alpium: Es sind Senat und Volk von Rom, die das Siegesmal errichten. Auch hier kündigt sich das neue Staatsverständnis des Principates an, das auch für die eroberten Gebiete jenseits ihrer Ausplünderung tragfähige Strukturen und Perspektiven bringt38. Das Triumphritual bleibt aber wie in der Republik an die Stadt Rom gebunden. Bezeichnend für diese elementare Bindung des Triumphrituales ist, dass aus republikanischer Zeit einzig und allein das Monument des Augustus in Nikopolis und das Monument des Tuditanus in Aquileia den Triumph außerhalb von Rom direkt in Wort und Bild thematisieren. Abbildungsnachweis Abb. 1: Photo aus Waurick 1975, Taf. 4, 1 Abb. 2. 3: Photos aus v. Premerstein 1907, 268 Abb. 87; 269 Abb. 88–89 Abb. 4: Plan auf der Basis von Castellvi u. a. 2008, 209 Abb. ohne Nr. Abb. 5: Plan aus Castellvi u. a. 2008, Abb. 137 Abb. 6: Zeichnung aus Formigé 1949, Abb. 18 Abb. 7: Photo aus Formigé 1949, Abb. 47 Bibliographie Amici 2005 Arata 2010 Bandelli 1989 Beard 2007 Birt 1920
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36 CIL V 7817 = Plin. nat. 3, 136–137; s. auch Lehmann 2011, bes. 34; Schmuhl 2008, 174; Bringmann – Schäfer 2002, 99 f. 289–291; Formigé 1949, 51–61, zu Inschrift und Alpenfeldzug. 37 s. zur Aufstellungspraxis auch Schmuhl 2008, bes. 15–46. 247–253; Stroszeck 2004.
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38 s. Bringmann – Schäfer 2002 sowie Zanker 1990; Hölscher 1984, die auf die abnehmende Lesbarkeit und Verständlichkeit der politischen Monumente im spätrepublikanischen Rom verweisen, die erst wieder im augusteischen Principat wieder merklich zunimmt.
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Triumphal- und Siegesdenkmäler außerhalb von Rom Morgan 1973 Murray – Petsas 1989 Östenberg 2003 Pisani Sartorio 1995 v. Premerstein 1907 Reisch 1908 Reusser 1993 Schäfer 1993 Schäfer 2008
Schipporeit 2008
Schipporeit 2010
Schmuhl 2008
Steuernagel 2004
Sticotti 1951 Stroszeck 2004
Waurick 1975 Wojciechowski 2001 Zachos 2009
Zachos 2003 Zanker 1990 Ziolkowski 1992
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Sven Schipporeit
Abb. 1: Delphi, Sockel eines Siegesdenkmals mit Beuteinschrift von L. Aemilius Paullus
Abb. 2: Aquileia, Inschriftblock a) des Triumphalmonumentes von C. Sempronius Tuditanus. Frontseite
Abb. 3: Aquileia, Inschriftblock b) des Triumphalmonumentes von C. Sempronius Tuditanus. Front- und Nebenseite
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Triumphal- und Siegesdenkmäler außerhalb von Rom
Abb. 5: Col de Panissars, tropaea des Cn. Pompeius Magnus. Axonometrie des Geländes mit teilrekonstruiertem Maueraufbau der Podien Abb. 4: Col de Panissars, tropaea des Cn. Pompeius Magnus mit mittelalterlicher Überbauung. Antiker Befund im Steinplan grau hervorgehoben
Abb. 6: La Turbie, tropaeum Alpium für Augustus. Rekonstruierte Nordostansicht (1909)
Abb. 7: La Turbie, tropaeum Alpium für Augustus. Stifterinschrift mit Tatenbericht
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Häuser und Hauskulte im römischen Nordafrika Zur Lokalisierung von Religion* Günther Schörner Ausgangsbetrachtungen Häuser und Aktivitäten im Haus sind in den letzten Jahren ein prominentes Forschungsthema in vielen Geisteswissenschaften, wobei häufig erforscht wurde, in welchem Verhältnis Architektur und Verhalten im Haus in wechselseitiger Beziehung zu sehen sind 1. Ähnliche Forschungen gibt es auch für das Imperium Romanum, jedoch mit einer signifikanten Einschränkung: Unser Bild von römischen Häusern, römischem Wohnen und den Aktivitäten der Bewohner im Haus ist im Wesentlichen von zwei Faktoren geprägt, nämlich Schriftquellen, die vor allem die spätrepublikanische und frühkaiserzeitliche Situation in Rom widerspiegeln, und den archäologischen Hinterlassenschaften von Pompeji und Herculaneum2. Dass diese literarischen und materiellen Zeugnisse nicht gleichermaßen auf die Lebenswirklichkeit zu anderen Zeiten und in anderen Bereichen des Imperium Romanum zutreffen müssen, versteht sich von selbst. Bereits was mit dem Begriff ‚römisch‘ gemeint ist, bedürfte einer genaueren Definition oder zumindest weiterer Erläuterungen. Für Hausarchitektur gibt es zumindest in Ansätzen regional differenzierte Untersuchungen, die freilich wenig synthetisch sind3. Auf dem Gebiet der Hauskulte ist die Forschungslage noch wesentlich einseitiger: Zwar gibt es Untersuchungen zu einzelnen Fundgruppen wie zum Beispiel Bronzestatuetten4; in zusammenfassenden Werken beschränkt man sich jedoch fast immer auf die Schilderung der Situation in Rom und vor allem Pompeji, so dass der italische Tatbestand stillschweigend auf andere Teile des Imperium Romanum übertragen wird5. Man ist also beim Punkt ‚Hauskulte‘ weit von einer ausgewogenen und regionale Unterschiede berücksichtigenden Betrachtung des Römischen Reiches entfernt6. Im folgenden Beitrag soll anhand des Beispiels Nordafrika ein Schritt in Richtung dieser dringend erforderlichen Differenzierung gemacht werden.
Volubilis als Fallbeispiel Als Ausgangspunkt wurde vor allem aus zwei Gründen Volubilis in der Provinz Mauretania Tingitana im heutigen Marokko gewählt. 1.) In der Stadt sind mehrere Wohnbezirke ergraben und ausreichend publiziert, so dass eine ausreichende Materialbasis vorliegt. * Ich danke den Veranstaltern des 14. Österreichischen Archäologentags für die Gelegenheit, in Graz sprechen zu dürfen. Die vorgetragenen provisorischen Überlegungen sind im Kontext der DFG-Forschergruppe ‚Religiöse Individualisierung im historischen Kontext‘ entstanden. Für wichtige Anregungen, Kritik und weiterführende Hinweise danke ich vor allem: A. Bendlin (Toronto), C. Lang-Auinger (Wien), M. Meyer (Wien), A. Pülz (Wien), U. Quatember (Wien), J. Rüpke (Erfurt) und E. Trinkl (Graz). 1 Als Auswahl mit deutlich archäologischem Schwerpunkt: Kent 1993; Blanton 1994; Allison 1999; Birdwell-
Pheasant – Lawrence-Zuniga 1999; Cieraad 1999; Jamieson 2002; Beattie 2003; Ault – Nevett 2005; Friedman 2006; Whittle – Griffiths 2012. Zur Literatur für den römischen Bereich s. die folgenden Anmerkungen. 2 Allgemeine Literatur: Clarke 1991; Ellis 2000; Allison 2001; Allison 2004; Nevett 2010. 3 Beispiele: Alston 1997; Hales 2003; George 2004. 4 Kaufmann-Heinimann 1998; Kaufmann-Heinimann 2002. 5 Jüngst Bodel 2008; Stowers 2008. 6 Wichtige Ausnahme: Quatember 1999; Quatember 2003.
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Häuser und Hauskulte im römischen Nordafrika
2.) Die Stadt ist innerhalb des Imperium eine der am weitesten von Italien entfernten Städte, so dass die Annahme einer Übertragung stadtrömischer oder mittelitalischer Praktiken besonders fraglich ist. Die Stadt ist eine vorrömische Gründung auf fruchtbarem Boden und an alten Handelswegen7. Die Siedlung war punisch beeinflusst und hauptsächlich von Berbern, wie konventionellerweise die indigenen Bevölkerungsgruppen genannt werden, bewohnt 8. Volubilis war ein wichtiges Zentrum im Klientelreich Jubas II. 9, seit Caligula dann samt dem Umland Bestandteil des Römischen Reichs. Blütezeit war wie für die meisten Städte Nordafrikas das 2. und das frühere 3. Jh. n. Chr., als Volubilis ein eindrucksvolles monumentales Zentrum mit so typisch römischen Bauten wie Forum, Basilica und Capitolium besaß10. Unter römischer Herrschaft erfuhr die Stadt eine deutliche Erweiterung durch Wohnhäuser11. Das aufwändigste dieser neuen Viertel ist das so genannte Quartier Nord-Est, das seit flavischer Zeit errichtet wurde12. In zwei Gebäuden dieses Stadtteils wurden fixe Strukturen des Hauskultes gefunden, nämlich in der Maison de Flavius Germanus und der Maison des Fauves: Im Haus des Flavius Germanus13, einer luxuriösen Wohnanlage mit zweigeteiltem Eingang, geräumigen Vestibül, säulengeschmücktem Peristyl und großem Saal befindet sich in der Südostecke eben dieses Säulenhofes ein Altar14, der laut Inschrift von Titus Flavius Germanus gestiftet wurde (Abb. 1)15. Auch in der ‚Maison des Fauves‘16, dessen architektonische Ausgestaltung mit Vestibül, Hof und großer Halle vergleichbar ist, kann ein Altar lokalisiert werden, der sich ebenfalls in der Südostecke des Peristyls befindet (Abb. 2)17. Dieser trotz der geringen Beispielzahl für sich genommen relativ klare Befund – Hauskult im Säulenhof – zieht vor allem zwei Fragen nach sich: 1.) Zeichnet sich hier ein lokales oder gar regionales Muster ab ? Und 2.) Wie lässt sich der Befund mit der bekannten römisch-pompejanischen Situation vergleichen ?
Ein Vergleich: Hauskultanlagen in der Provinz Africa proconsularis Um die erste Frage nach dem Muster zu beantworten, ist ein Vergleich zur Lokalisierung von Hauskultanlagen in regionalem Kontext unabdingbar. Besonders reiche römische Wohnarchitektur ist aus der Provinz Africa proconsularis bekannt18. Betrachtet man die dortigen opulenten Stadthäuser, so lassen sich häufiger Einrichtungen des römischen Hauskultes nachweisen oder zumindest plausibel machen19. Kriterien für ihre Identifikation sind dabei vor allem die architektonische Ausgestaltung, d. h. Altäre, hervorgehobene Nischen für die Aufstellung von Statuetten, Podien etc. 20, weil Kleinfunde und deren genauer Fundort nicht konsequent genug dokumentiert wurden und Mosaiken und sonstige Dekoration mit mythischen Themen allein mir nicht ausreichend erscheint21. 7 Zur Geschichte der Stadt allgemein: Riße 2001; Hales 2003, 196–204; Ritter 2003 (mit weiterer Lit.). 8 Zum Begriff der Berber: Brett – Fentress 1996. 9 Zum vorrömischen Volubilis vor allem Jodin 1987; vgl. aber Ritter 2003, 530 f. 10 Zu öffentlichen Bauten Riße 2001, 34–51. 1 1 Zu nennen sind vor allem das Südviertel und das Viertel um den Caracallabogen: Riße 2001, 58–66; zum Nordostviertel s. die folgenden Anm. 12 Zum Quartier Nord-Est grundlegend: Etienne 1960; vgl. auch Riße 2001, 67–82. 13 Etienne 1960, 34–39 Taf. 5. 14 Sandstein, H 0,80 m. Der Altar wurde in situ auf einer Standplatte aus Kalkstein gefunden (Etienne 1960, 35 f. Taf. 47, 2).
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1 5 AE 1949, 51; Etienne 1960, 35 f.: [- - - Genio ?]/ [do]mus/T(itus) Flavius/Germanus/v(otum) s(olvit) l (ibens) a(nimo). 16 Etienne 1960, 44–46 Taf. 7. 17 Etienne 1960, 45. 18 Zusammenfassend: Thébert 1989; Bullo – Ghedini 2003 a. 19 Allgemein zu Kulträumen in römischen Häusern des heutigen Tunesien, das heißt im größten Teil der Africa proconsularis: Bassani 2003, 153–179. 20 Zu den Kriterien auch: Bassani 2003, 157–171. 2 1 Dies ist meines Erachtens ein wesentlicher Kritikpunkt an den Ausführungen von M. Bassani, so dass ihre Auf listung (Bassani 2003, 180) deutlich reduziert werden muss; vgl. ähnlich Ritter 2003, 532.
Günther Schörner
Mehrere Hauskultanlagen sind festzustellen: Ein Beispiel ist in Karthago im Haus der Voliere belegt, wo sich in einem Raum am Peristyl ein Altar befindet22. Im Haus des Neptuntriumphes in Acholla liegt die Kulteinrichtung ebenfalls in einem Raum direkt am Hof 23. In Utica im Haus der Kaskade wurde in einer auf den Hof sich öffnenden Exedra eine reich gestaltete Nische als Stätte des Hauskultes interpretiert24. Eine aufwändig gestaltete Kultnische in der Sollertiana Domus in Thysdrus öffnet sich ebenfalls zum Säulenhof 25, während im Haus des Pfaus im selben Ort eine ähnliche Struktur in vergleichbarer Lage an der Südwand aufgefunden wurde26. Abweichend, nämlich abseits des zentralen Säulenhofes, ist die Lokalisierung im Haus der weißen Mosaiken, wo ein Altar in der Privatbasilica in der Apsis steht 27. Ebenfalls nicht im Peristyl, aber in direkter Nachbarschaft weiterer Höfe findet sich ein Altar im Gebäude der Asklepeia in Althiburos28. Weitere Beispiele konnten für Acholla, Thugga, Hadrumetum, Thysdrus und Utica wahrscheinlich gemacht werden29. Betrachtet man nun das gesamte Bild, so wird auf jeden Fall deutlich, dass sich die Stätten für den Hauskult im römischen Nordafrika direkt im oder am Säulenhof konzentrieren, während andere Standorte relativ selten belegt sind (Abb. 3). Es läßt sich also ein Muster erkennen, in das sich auch die beiden Beispiele aus Volubilis einfügen lassen.
Zur Kontrastierung: Hauskultanlagen in Pompeji Aufschlussreich ist der Vergleich mit der räumlichen Verteilung von Kultstrukturen in pompejanischen Häusern30. Als Exempel für die Lokalisierung wird dabei die Situation in regio VI herangezogen, die besonders gut aufgearbeitet ist (Abb. 4)31. Als erstes fällt natürlich die größere Anzahl entsprechender Anlagen auf. Ebenso bemerkenswert ist jedoch die viel differenziertere Aufteilung. Grundsätzlich bedeutet das, dass in Pompeji keine so massive Präsenz in einem bestimmten Bereich des Hauses vorliegt. Deutlich zu erkennen ist auch der relativ große Anteil an Kultstätten, die in Küchen bzw. Serviceräumen lokalisiert werden können, während in Nordafrika in vergleichbaren Nebentrakten keine fixen Kulteinrichtungen gefunden wurden32. Ein spezifischerer Vergleich ist jedoch kaum möglich, da pompejanische und afrikanische Häuser unterschiedlich aufgebaut sind. Insbesondere ist die Wertigkeit der großen Säulenhöfe mit Gartenanlagen, die konventionellerweise Peristyle genannt werden, unterschiedlich, da bei den italischen Beispielen ein erster Hof, das Atrium, den Peristylen vorgeschaltet ist, während in Afrika dieser Raumtyp eben nicht vorkommt.
Der Aufbau reicher Stadthäuser im römischen Africa Es ist deshalb notwendig, einen genaueren Blick auf die räumlichen und funktionalen Grundbestandteile afrikanischer Häuser zu werfen, die beispielhaft für Volubilis aufgezeigt werden sollen, 22 Ben Osman 1983, 147–150; Bullo – Ghedini 2003 b, 125–127 (mit der älteren Lit.). 23 Gozlan 1971/72; Gozlan 1992; Picard 1994; Bonetto 2003, 281–297. 24 Lézine 1956; Bullo – Ghedini 2003 b, 351–354. 25 Foucher 1961, 15–25; Pugliara 2003, 317–319. 26 Foucher 1961, 3–14; Pugliara 2003, 313–316. 27 Pugliara 2003, 306–308. 28 Ennaïffer 1976; Bullo – Ghedini 2003 b, 21–26. 29 Vgl. die Auf listung und die Pläne bei Bassani 2003, 180–187; vgl. aber hier Anm. 21. 30 Zu Hauskultanlagen sind als Basis grundsätzlich die Kataloge bei Boyce 1937; Orr 1978; Orr 1980; Fröhlich 1991; Giacobello 2008 heranzuziehen; die Bezeichnung
der einzelnen Bestandteile bzw. Räume erfolgt nach Allison 2001, vor allem 185–188; vgl. auch Allison 2004, 63 f. 3 1 S. hierzu Schörner 2011 (mit weiterer Lit.); zur Begründung: ebenda 136. Eine weiter differenzierte Aufstellung: 137 Abb. 1. 32 Zu Servicetrakten in nordafrikanischen Häusern: Bonini – Rinaldi 2003; zu Küchenanlagen in Pompeji allgemein: Salza Prina Ricotti 1980; Kastenmaier 2007. Allgemein ist natürlich zu berücksichtigen, dass Lararien, die nur durch Wandbemalung gekennzeichnet waren, in Nordafrika aufgrund des deutlich schlechteren Erhaltungszustandes nicht zu erkennen wären, doch fehlen auch Kultstätten, die architektonisch markiert sind (und deswegen identifizierbar wären).
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Häuser und Hauskulte im römischen Nordafrika
sich aber genauso an Häusern der Africa proconsularis finden33. Grundsätzlich können die Häuser räumlich und funktional in verschiedene Bereiche geteilt werden: Als erstes ist der Eingangsbereich zu nennen, der aus einer Pforte und einer Halle besteht, die meist als Vestibül bezeichnet wird34. Als zentrales Element folgt der Säulenhof 35. Der Hauptteil des Hauses ist um dieses große Peristyl angeordnet, das als Freifläche dient und Zufuhr von Licht und Luft gewährleistet. Zudem ist es die wichtigste Verkehrszone des Hauses. Peristyle sind in der Regel auch durch ihre Ausstattung, z. B. Brunnen, besonders hervorgehobene Areale. Der wichtigste Raum am Peristyl ist besonders groß und reich ausgestattet und wird häufig mit dem griechisch-lateinischen Terminus oecus bezeichnet. Er diente wohl besonders Repräsentationszwecken. Daneben gibt es Exedren, Räume, die als Triclinia genutzt werden, aber auch kleinere Räume, die in üblicher Terminologie als cubicula bezeichnet werden36. Diese Grundstruktur kann noch durch weitere Räume ergänzt werden, falls die durch die bisherigen Bestandteile definierte Hausfläche nicht ausreicht. Sie sind häufig durch einen Korridor angeschlossen. Bei den größten Häusern gibt es schließlich noch sekundäre Höfe, so genannte atriola.
Griechischer Einfluss oder punische Traditionen in der römischen Hausarchitektur Vor allem in der älteren Forschung wurde in Volubilis griechischer Einfluss für die Besonderheiten und Abweichungen von römischen Häusern in Anspruch genommen, nicht zuletzt ausgedrückt durch die Bezeichnung Peristyl37. Konkrete unmittelbare Beziehungen zur griechischen Welt gibt es freilich nicht. Eine weitaus plausiblere Option ist eine Angliederung an den punischen Kulturkreis, was an Wahrscheinlichkeit gewinnt, wenn man in Rechnung stellt, dass eine ähnliche Gliederung bei den meisten Grundrissen aufwändiger römischer Häuser in Nordafrika nachzuweisen ist, so dass der Aufbau der Häuser in Volubilis nicht als lokal bedingt bezeichnet, sondern von einem größeren regionalen afrikanischen Muster ausgegangen werden kann38. Zur Überprüfung ist deshalb ein Blick auf punische Hausarchitektur zu werfen39. Punische Häuser in Africa sind vor allem aus Karthago selbst bekannt, nämlich aus dem Magon-Viertel und von der Byrsa40, sowie von der Stadt Kerkouan auf Cap Bon41. Häuser mit Säulenhof können grundsätzlich in Kerkouan, aber auch sonst im punischen Kulturkreis nachgewiesen werden, so dass die Vermittlung dieses ursprünglich griechischen Bauelements durch Karthago nach Volubilis die wahrscheinlichste Lösung darstellt. Diese Hypothese erfährt durch eine weitere Beobachtung eine Bestätigung: Die Verbindung der drei Elemente Eingangshalle, Hof und Hauptraum beim römerzeitlichen Haus kann auf mehrfacher Form erfolgen. Während bei pompejanischen Häusern eine axiale Reihung bevorzugt wird, ist in Volubilis ein mehrfach gebrochener Zugang besonders beliebt, der als BajonettZugang bezeichnet wird42. Gerade diese Anordnung lässt sich besonders häufig auch in der punischen Hausarchitektur nachweisen43. Freilich gibt es auch deutliche Unterschiede zwischen punischen und römisch-afrikanischen Häusern. Grundsätzlich scheinen die punischen Häuser kleinteiliger und bescheidener ausgestattet gewesen zu sein, doch können hier natürlich der zeitliche Abstand und der eventuell andere soziale Status der jeweiligen Auftraggeber bzw. Besitzer eine Rolle spielen. 33 Zu Bestandteilen römischer Häuser in Afrika: Thébert 1989, 335–361; Daniels 1995, 82–87; Ghedini 2003. 34 Noto 2003. 35 Novello 2003 a. 36 Novello 2003 b. Allgemein zu cubicula: Riggsby 1997. 37 Etienne 1960, 121; Jodin 1966. Allgemein: Rebuffat 1969; Rebuffat 1974.
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38 Vgl. hierzu bereits Daniels 1995, vor allem 89–92. 39 Zusammenfassend zu punischer Hausarchitektur: Schäfer 2004, 216–220; vgl. auch die Typologie bei Helas 2009. 40 Lancel 1979; Lancel 1982; Rakob 1991. 4 1 Fantar 1987. 42 Daniels 1995, 83–87; Ghedini 2003, 322–324. 43 Daniels 1995, 90–92.
Günther Schörner
Lokalisierung von Hauskulten in punischen Häusern Lassen sich viele der Unterschiede zwischen afrikanisch-römischen und römisch-italischen Häusern durch Rückbezug jener Gebäude auf punische Traditionen erklären, so ist natürlich jetzt die Frage zu stellen, ob die Unterschiede bei der Lokalisierung von Strukturen für den Hauskult sich ebenfalls auf punische Tradition zurückführen lassen. Grundsätzlich bestehen im Bereich des punischen Hauskults noch größere Forschungslücken als zum römischen, da Hauskulte und ihre Lokalisierung für den punischen Bereich noch nicht umfassend untersucht wurden44. Man kann sich deshalb nur auf eine relativ begrenzte materielle Basis stützen, zumal wenn aus methodischen Gründen der Schwerpunkt auf den relativ zeitnahen Befunden in Kerkouan und in Karthago liegen soll und nicht auf den wesentlich früheren Siedlungen auf Sardinien. Dass es freilich in karthagischer Zeit Hauskulte gab, ist zweifelsfrei belegt. So wurde in Kerkouan in der Maison à autel im Hof ein Altar und zwei Bänke gefunden, die eindeutig auf rituelle Handlungen schließen lassen45. Am selben Ort wurden in zwei weiteren Häusern anscheinend kleine Räume, so genannte Hauskapellen, angelegt, die aufgrund der Funde sicher auch rituell genutzt wurden 46. Neben Kulteinrichtungen im Hof oder in Räumen, die sich direkt zum Hof öffnen, gibt es auch solche, die erst über einen Gang oder weitere Räume erreicht werden können wie in der Maison du prêtre47. Für Karthago sind ebenso in Häusern Kulteinrichtungen bezeugt. Neben Hauskapellen, so in einem Haus an der rue Astarte48, wird aufgrund der Fundlage eine Nische im Haus 4 der Insula C auf der Byrsa, dem Stadthügel Karthagos, für rituelle Aktivitäten in Anspruch genommen49. Für die Frage nach der Lokalisierung von Religion im Haus ist natürlich die Lage der Kulteinrichtungen entscheidend. Aufgrund der bisherigen Untersuchungen ist dies nicht klar zu beantworten, doch ist sicher, dass sich keine feste Regel aufstellen lässt. Besonders interessant im Vergleich mit den römerzeitlichen Häusern ist die Position zum Hof, die jedoch deutlich variieren kann: Neben Kulteinrichtungen im Hof oder in Räumen, die sich direkt zum Hof öffnen, gibt es auch solche, die erst über einen Gang oder weitere Räume erreicht werden können. Eine solch eindeutige Verbindung von Hof bzw. Peristyl und Hauskult wie in römischer Zeit hat es allem Anschein nach in punischer Zeit nicht gegeben.
Zusammenschau: Wie lassen sich nun die verschiedenen Fäden miteinander verbinden ? Römische Häuser in Nordafrika zeigen sowohl indigen-punische als auch römisch-italische Züge. Die meisten Bestandteile und vor allem die Grundstruktur mit dem Säulenhof als dem entscheidenden Knoten gehen wahrscheinlich auf vorrömische Zeit zurück. Die punischen Einflüsse auf die Hausarchitektur bedeuten jedoch nicht, dass grundsätzlich ein punischer Lebensstil beibehalten wurde. Außerdem gibt es keine Hinweise dafür, dass römisch-italische Elemente bewusst abgelehnt wurden: Gerade in Volubilis widersetzten sich die Bewohner der römischen Administration nicht, so dass ihre Stadt im Gegenzug zum municipium wurde50. Die Akzeptanz der römischen Herrschaft zeigt sich auch in der schnellen Übernahme römischer Namensformen51, so dass die historischen und archäologischen Quellen gegen einen wie auch immer gearteten, auch kulturellen Widerstand sprechen, der sich in der bewussten Ablehnung römischer
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Vgl. die knappen Angaben bei Fantar 2004, 230 f. Fantar 1987, 111–118 Abb. 74. 77. So Fantar 2004, 231. Fantar 1987, 119–125 Abb. 79. Erwähnt bei Fantar 2004, 231.
49 Grabungsbefund bei Thuillier 1982, 61–84 Abb. 95. 50 Riße 1999, 27; Ritter 2003, 529. 5 1 Weiß 1921.
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Lebensformen äußern könnte52. Spezielle Besonderheiten der Häuser wurden wohl von ihren Bewohnern eventuell als traditionell, aber nicht anti-römisch eingeschätzt. Die Ausgestaltung und natürlich die Ausstattung der Häuser folgen denn auch römischen Gewohnheiten. Grundsätzlich wurde in Nordafrika der für die reichsweite römische Kultur typische Zug gepflegt, persönlichen Reichtum und hohen sozialen Status durch gut ausgestattete Häuser zum Ausdruck zu bringen53. Noch wichtiger als Gestalt und Ausstattung ist freilich die Funktion der Häuser54. Trotz der in vielen Bereichen abweichenden Architektur müssen auch die afrikanischen Häuser als römische domus funktioniert haben, in der entsprechende Aktivitäten durchgeführt wurden. Wie das Atriumhaus italischer Prägung als domus frequentata Ort und Schauplatz für die allmorgendliche salutatio war, den Empfang der Klienten durch den Patron55, so fand das gleiche Ritual auch im römischen Afrika statt, wie wir aus verschiedenen Schriftquellen wissen56. Dieser Empfang erfolgte im italischen Haus hauptsächlich im Atrium. Bezeichnenderweise ist man sich nicht im Klaren, in welchem Raum der afrikanischen Häuser diese salutatio erfolgte. Neben den basilicae, die aber nicht überall vorkommen, sind es das Vestibül und natürlich der Säulenhof, die dafür in Anspruch genommen werden können57. Das Peristyl hat deshalb zumindest partiell die Funktion des italischen Atriums übernommen, ist aber nicht mit diesem identisch58. Grundsätzlich sind die Säulenhöfe und die auf sie geöffneten Räume multifunktional und bieten Platz für Aktivitäten, die wir sowohl als öffentlich als auch als privat bezeichnen würden59: triclinia und oeci auf der einen Seite, kleine Wohnräume auf der anderen Seite. Zusammen mit Wasserspielen und Gartenbepflanzung nimmt der zentrale Säulenhof in den afrikanischen Häusern Aufgaben ein, die in Pompeji entweder in Atrien oder in Peristylen stattfinden. Grundsätzlich sind die Säulenhöfe deshalb deutlicher als in Italien die fest definierten, eindeutigen Zentren der Häuser60. Für die Lokalisierung der Hauskulte hat dies nun greifbare Folgen, da sie in doppelter Hinsicht stärker in den Mittelpunkt der Häuser rücken: Erstens sind sie proportional wesentlich häufiger im Säulenhof angesiedelt als in Pompeji Hauskulte in entsprechenden Höfen – Atrien oder Peristylen. Zudem fehlen Einrichtungen des Kultes in Servicetrakten. Zweitens steht das Peristyl in afrikanischen Häusern wohl noch stärker im Mittelpunkt des häuslichen Lebens. Für eine Differenzierung des Hauskultes in zwei Gruppen oder eine Marginalisierung durch eine Platzierung in Nebenbereichen des Hauses wie in Pompeji gibt es keine Hinweise61. Der Altar im Haus des Flavius Germanus wurde wohl vom Hausherrn selbst aufgestellt, der dadurch in eigener Person die Kulteinrichtungen bereitstellte62. Die Lokalisierung des Hauskultes spricht zwar dafür, dass die Einrichtungen auch privat genutzt werden konnten, doch scheint ein Schwerpunkt auf der gemeinschaftlichen Verehrung zu liegen. Darauf lassen unter anderem
52 Zum Widerstand im römischen Nordafrika: Bénabou 1976. 53 Dies zeigt sich daran, dass ähnliche Aufwandselemente eingesetzt werden: Ghedini 2003, 341–345. 54 Allgemein: Thébert 1989, 363–383. 55 Wallace-Hadrill 1994; Dickmann 1999. 56 Hierzu Thébert 1989, 336–357; Pugliara 2003, 266–272. 57 Zur Rolle des Peristyls: Thébert 1989, 339–345; Vestibül: Thébert 1989, 335–337. 58 Der Begriff atrium kann in Nordafrika offenkundig auf den Eingangsbereich angewandt werden: Pugliara 2003, 267 f. 59 Zur – schwierigen – Trennung von ‚öffentlich‘ und ‚privat‘: Riggsby 1997; Riggsby 1999; Rykwert 2001. Zur Trennung in pompejanischen Häusern: Schörner 2011,
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141 f. (mit der weiteren Lit.). 60 Zu berücksichtigen ist natürlich, dass die Häuser in Pompeji regelhaft früher errichtet wurden als diejenigen in Nordafrika. Es wäre deshalb zu überprüfen, ob hier die Unterschiede lokal oder zeitlich bedingt sind. Zur Kontrastierung würde sich deshalb der Vergleich mit späteren italischen Häusern anbieten. Eine erste kursorische Durchsicht der Befunde in Ostia ergibt jedoch ein differierendes, weniger auf Hofanlagen konzentriertes Bild, wobei freilich zu berücksichtigen ist, dass die Wohnanlagen in Ostia einen anderen Charakter besitzen als die Häuser in Pompeji oder Nordafrika (Volubilis, Africa proconsularis). Zu Hauskultanlagen in Ostia: Bakker 1994; Palmer 1996. 61 Foss 1994, 45–56; Foss 1997; ähnlich Dwyer 1991, 29. Dagegen Schörner 2011, 143. 62 Zur Inschrift s. hier Anm.15.
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sehr reich gestaltete Altäre und die besondere Inszenierung einzelner Altäre in Räumen mit Apsiden, auf Podien oder Stufenanlagen schließen, die nicht direkt im oder am Säulenhof liegen63. Gibt es im Bereich der Lokalisierung und Ausstattung deutliche Unterschiede zum Hauskult in den Vesuvstädten, so weisen die Formen und vor allem die Empfänger das Hauskultes auf große Ähnlichkeit hin. Für den Altar im Haus des Flavius Germanus wurde ein Genius domus ergänzt64. Ähnliche lokale Hausgötter sind in Nordafrika auch archäologisch bezeugt65. Weitere archäologische Belege aus Volubilis weisen in dieselbe Richtung: In der Maison du Bacchus au marbre wurden Bronzestatuetten von Minerva und Fortuna gefunden66. Eindeutig auf Hauskult römisch-italischer Prägung verweist ein ebenfalls aus Volubilis stammender Bronze-Lar67. Auch negative Evidenz ist bezeichnend: Der sonst so bestimmende Saturn spielt im Bereich der domus im gesamten Nordafrika keine Rolle68. Häuser und Hauskulte im römischen Nordafrika bieten somit ein komplexes Geflecht aus Traditionen, Übernahmen und Eigenentwicklungen: Die Häuser sind sowohl vorrömischen, wohl punischen Raumgliederungsschemata als auch römischen Vorstellungen von Gestalt und Dekor verpflichtet, so dass eine neue architektonische Form entsteht, die mit entsprechenden individuellen Varianten über Nordafrika verbreitet ist. Aufgaben der italischen domus werden übernommen und an das veränderte Raumangebot angepasst. Bei Übernahme italischer Kultformen, so der im Haus verehrten Gottheiten und ihrer Darstellungsform, weist die Platzierung der Kulte im Säulenhof den häuslichen kultischen Aktivitäten im Haus einen zentralen Ort zu, der in Pompeji, aber anscheinend auch in punischen Häusern in der Deutlichkeit nicht nachgewiesen werden kann. Auch im Bereich der Hauskulte und ihrer Lokalisierung findet somit eine Adaption statt, die etwas Neues, regional Typisches entstehen lässt. Abbildungsnachweis Abb. 1: nach Etienne 1960, Taf. 5 Abb. 2: nach Etienne 1960, Taf. 7 Abb. 3: Grafik Verf. Abb. 4: Grafik Verf. nach Allison 2004, Tab. 6. 8 a Bibliographie Allison 1999 Allison 2001 Allison 2004 Alston 1997 Ault – Nevett 2005 Bakker 1994
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63 Ein gutes Beispiel ist das Haus der Asklepeia in Althiburos (hier zu Anm. 28). 64 Vgl. hier Anm. 15. 65 z. B. Kunckel 1974, 100 Nr. F VIII 2.
66 C. Boube-Piccot in: Riposati 1991, 96 f. Nr. 25. 26. 67 Dies. in: Riposati 1991, 88 f. Nr. 19. 68 Le Glay 1961; Le Glay 1966.
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Abb. 1: Volubilis, Maison de Flavius Germanus
Abb. 2: Volubilis, Maison de Fauves
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Häuser und Hauskulte im römischen Nordafrika
Abb. 3: Verteilung von Hauskultanlagen in Nordafrika nach Raumtypen
Abb. 4: Verteilung von Hauskultanlagen in Pompeji (regio VI) nach Allison 2004
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Ex oriente ? – Zur Entstehung und Entwicklung von Beleuchtungsgeräteständern Yvonne Seidel Im Mittelpunkt der folgenden Ausführungen steht die weit verbreitete Gerätegattung, die zumeist als Kandelaber bezeichnet wird. Ich möchte bewusst zurückhaltender mit diesem Begriff umgehen, da diese Bezeichnung von dem lateinischen Verb candere für glänzen, schimmern oder hell glühen, abgeleitet ist und erst in der späten Republik bzw. frühen Kaiserzeit in Bezug auf diese Geräte belegt ist1. In archaischer und klassischer Zeit ist der Begriff noch unbekannt, die Geräte hießen offenbar ganz schlicht ‚Leuchter‘ – ὁ λύχνος. Weiters wurden lediglich im etruskischen Kulturkreis (Abb. 1) tatsächlich Kerzen – lateinisch candela2 – auf die Ständer gesteckt, ansonsten kamen Öllampen zur Anwendung. Die zumeist aus Bronze gearbeiteten Geräte bestehen aus einem dreiteiligen Fuß, der einen schlanken Schaft mit einer Bekrönung trägt. Während der Fuß in der Regel mit Motiven aus der Tier- und Pflanzenwelt dekoriert ist, bilden Schaft und Bekrönung Säulen mit Kapitellen nach. Die schlichteren Ausführungen aus Eisen sind nicht verziert, jedoch auch sehr selten erhalten. Einzelne von diesem Schema abweichende Variationen können hier nicht berücksichtigt werden, zumal ihre Abgrenzung zu den Thymiaterien nicht immer eindeutig ist3. Verwendung fanden Kandelaber im kultischen Kontext, sind aber auch fester Bestandteil von Wohnraumausstattungen und dienten als Grabbeigaben. Unsere Kenntnis ist vor allem durch die zahlreichen römischen und etruskischen Leuchter geprägt, die in großen Stückzahlen produziert und durch verschiedene kulturgeschichtliche Umstände, sehr gut erhalten blieben4. Im griechischen Raum finden sich dagegen nur einige wenige Bronzegeräte, sowie summarische Darstellungen dieser auf figürlich bemalten Vasen aus klassischer Zeit. Exemplare des 5. Jh.s v. Chr. sind in zyprischen Gräbern gemeinsam mit den sog. phönizischen Kandelabern beigegeben, die wiederum einen älteren Zeithorizont markieren. Eine Konzentration dieses weit verbreiteten Typs im phönizischen Siedlungsgebiet auf Samos und Zypern lässt auf ein Produktionszentrum schließen. Auf der Suche nach Vorgängern richtet sich der Blick auf den Alten Orient, dort finden sich die ältesten Darstellungen gleichartiger Geräte auf altakkadischen und assyrischen Rollsiegeln (Abb. 2) die bis ins 3. Jahrtausend v. Chr. zurückreichen 5. Die oftmals sehr kleinen Darstellungen zeigen deutlich Geräte mit schlankem Schaft und wohl dreiteiligen, geschwungenen Füßen. Auf der flachen Oberseite stehen an Lampen erinnernde Geräte. Insbesondere ist hier eine Verbindung zur Götterwelt von Interesse – so trug der Mondgott auf einem altakkadischen Rollsiegel aus Nippur (Abb. 3) als Attribut ein Gerät mit sich, dessen Füße frappierende Ähnlich1 Mau 1899, 1461; Huschmann 1997; Duden 7, 324. 2 Abgeleitet von candeo – weiß glänzen, glühen. Ein entsprechender Begriff für Wachskerzen ist aus dem Griechischen bislang nicht bekannt. 3 Zur Unterscheidung bronzener Kandelaber und Thymiaterien ist der Gerätefuß und -schaft ein wichtiges Indiz: bei Thymiaterien ist der Schaft häufig in ganzer Länge mit mehreren geschnitzt wirkenden Knoten verziert oder tordiert, was bei Kandelabern nie vorkommt, zudem wirkt der Fuß bei ihnen meist geschlossener. Oftmals ist das Gerät niedriger. Da die Bronzekandelaber bzw. -thymiaterien oftmals über eine sehr lange Zeit verwendet wur-
den, konnte sich der Verwendungszweck mit den jeweilig Bedürfnissen (Licht, Räucherwerk) und den verfügbaren Rohmaterialien (Kerzen, Öl) wandeln. Erleichtert wird dies durch die Konstruktionsweise, die einen leichten Austausch einzelner Teile ermöglichte. 4 Hier ist vor allem die gute Konservierung der Kandelaber in Hauskontexten der Vesuvgegend durch die umfangreiche Verschüttung zu nennen. Ein anderer großer Komplex ist der etruskischen Sitte zu verdanken, diese Geräte der Grabausstattung beizugeben. 5 Groneberg 2004, 223–231.
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Ex oriente ? – Zur Entstehung und Entwicklung von Beleuchtungsgeräteständern
keit zu den noch bis in die römische Kaiserzeit verwendeten Kandelaberfüßen aufweisen. Der Mondgott trägt einen aus Stierhörnern und der Mondsichel gebildeten Hut, er schreitet hier zwischen zwei Bergen auf eine thronende Gottheit zu6. In enger Verbindung mit dem Sonnengott wird er als Schutzgott und Wächter der Menschen bzw. Gestalter ihres Schicksals verehrt, so dass seine Verbindung mit den künstlichen Lichtern der Nacht evident ist. Einen wesentlich konkreteren Hinweis auf die Verwendung von Beleuchtungsgeräteständern findet man in der urartäischen Kultur, die sich um die Mitte des 9. Jh.s v. Chr. im Gebiet des Van-Sees im Reich Urartu konsolidierte7. Von den Erzeugnissen des hoch entwickelten Metallhandwerks dieser Kultur sind einige eiserne und bronzene Geräteständer erhalten, die sich durch Inschriften z. T. Königen zuordnen lassen (Abb. 4. 5). Gemeinsam ist ihnen die Verbindung von dreiteiligem Fuß mit einem langen Schaft und einer flachen Bekrönung, womit sie an die mesopotamischen Vorbilder anknüpfen. Der Kandelaber des urartäischen Königs Menua (Abb. 4) scheint mit seinem kräftigen Schaft eine ältere Entwicklungsstufe zu repräsentieren, die hohe Qualität in der Ausführung macht jedoch deutlich, dass hier Vorläufer vorhanden gewesen sein müssen. Der Schaft trägt eine Inschrift mit einer Widmung des Königs Menua (820–786) an den Kriegsgott Haldi, einen der wichtigsten Götter des urartäischen Pantheons. Die geschwungenen Dreifußbeine münden in Stierhufen, die sich aus dem Bezug zum Mondgott bei den akkadischen Vorbildern erklären lassen, die zu dieser Zeit offensichtlich fester Bestandteil des Gerätetyps waren. Auf den flachen Oberseiten der Dreifußbeine sitzen Löwen, die den altorientalischen Einfluss deutlich erkennen lassen. Der Schaft ist innen hohl und auf der Außenseite mit sechs Blattkränzen verziert. Der zweite herausragende urartäische Kandelaber (Abb. 5) wird König Rusa II. (685–645) zugeschrieben. Er weist einen, den späteren Kandelabertypen vergleichbaren, schlanken Schaft auf, der mit fünf Blattkränzen verziert ist. Der Dreifuß besteht aus Pantherköpfen, die Stierhufe verschlingen. Auf den flachen Oberseiten sitzen Sphingen. Auch hier zeigen die figürlichen Elemente die Abhängigkeit von assyrischen Kunstwerken. Bei beiden Stücken mündet der Schaft unterhalb des Ansatzes der Füße in einer mit Rillen verzierten Halbkugel, einem Element, das noch bei sehr viel späteren Kandelabern zu finden ist. Es ist wohl ein aus der Konstruktionsweise heraus entstandenes Dekorelement. Vom orientalischen Raum ausgehend, sind folglich zwei Entwicklungsrichtungen mit unterschiedlicher Ausprägung in der Gestalt der Geräte zu beobachten: es entstanden die sog. phönizischen Kandelaber mit Blattüberfall, daneben treten erste Kandelaber in der Ägäis mit griechischem Gepräge auf. Das berühmteste Beispiel des sog. phönizischen Typs stammt aus der Königsnekropole von Sidon (Abb. 6)8. Da es sich in dem ungestörten Kontext der Bestattung des Tabnit befand, sind hier der Schaft und die Beine erhalten, die sich sonst kaum studieren lassen, da sie meist vermutlich aus Holz bestanden. Eine deutliche Reminiszenz an den orientalischen Typ, ist der für diese Stücke charakteristische Blattüberfall, der – betrachtet man die Füße aus Sidon – das einzige dekorative Element bildet. In unterschiedlichen Ausprägungen verbreitete sich dieser Typ über Zypern, Samos und Sardinien bis nach Spanien (Abb. 7)9. Da die meisten Fundorte im Bereich phönizischer Handelswege liegen, werden die Phönizier als Urheber und Produzenten betrachtet. Wobei sich jedoch wesentlich mehr Stücke auf Samos und Zypern fanden, als im eigentlichen phönizischen Kernland. Eine mögliche Erklärung hierfür könnten Un6 Der in Mesopotamien als Sin, in summerischen Texten als Nanna bezeichnete Gott ist ab 2600 v. Chr. in den Götterlisten verzeichnet; Krebernik 1997. 7 u. a. Özdem 2003; Salvini 1995, bes. 170–182; Wartke 1993; Haas 1986. 8 In Hypogäum B befand sich in einer Bodengrube der nördlichen Grabkammer eine, durch schwere Steinblöcke vor Grabräubern geschützte Grablege. Der ägyptische
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anthropoide Sarkophag trägt neben der hieroglyphischen Inschrift für Peneptah – dem ursprünglichen Besitzer – eine phönizische Inschrift mit dem Namen des Zweitinhabers Tabnit. Dieser wird in kanaanäischen und aramäischen Inschriften kurz vor der Wende vom 6. zum 5. Jh. v. Chr. als König von Sidon geführt; dazu: Langer-Karrenbrock 2000. 9 Matthäus 1992.
Yvonne Seidel
terschiede in den Bestattungssitten und im Kult sein. Die Verwendung als Beleuchtungsgerät scheint mir jedoch im Gegensatz zu Matthäus – in seiner bislang maßgeblichen Publikation zu diesem Typ – eindeutig10: zu nennen ist hier vor allem die formale Ähnlichkeit zu den Vorgängern und den jüngeren Lampenständern, darüber hinaus eignen sich die typischen phönizischen Schalenlampen durchaus zur Aufstellung auf diesen Geräten. Schließlich sind im Kontext des Felsengrabs bei Rabat (auf Malta) und im Grab des Tabnit in Sidon entsprechende Tonlampen nachgewiesen11. Eine Verwendung als Fackelständer dagegen ist aus praktischen Gründen auszuschließen, da eine völlig senkrecht stehende Fackel schlechte Brenneigenschaften aufweist. In Grab 73 im zyprischen Kourion fanden sich sowohl Kandelaber des sog. phönizischen, als auch des griechisch geprägten Typs (Abb. 8)12. Eine detaillierte Interpretation des Befundes gestaltet sich jedoch auf Grund der unvollständigen Aufzeichnungen als schwierig: In den bei der Freilegung angefertigten Notizen Walters von 1895 wird das mit drei Kammern ungewöhnlich große Grab als ungestört beschrieben. Die Liste der Fundstücke ist in zwei Gruppen unterschiedlichen Fundorts gegliedert, ohne diesen genauer zu bezeichnen. Das Fundspektrum reicht vom 6. Jh. v. Chr. bis ins 5./4. Jh. v. Chr., hinzu kommen eine Münze Alexanders des Großen und zwei Einzelstücke des 1. Jh.s n. Chr., die für eine eingeschränkte Nachnutzung sprechen. Es fanden sich drei z. T. fragmentarische Kandelaberbekrönungen mit Blattüberfall, die zwar leichte Differenzen in der Größe aufweisen, darüber hinaus in Gestaltung und technischer Ausführung identisch sind. Sie werden ins 6. Jh. v. Chr. datiert. Weiters fanden sich verschiedene Fragmente eines Leuchters mit ionischem Kapitell und einer weiblichen Figur in archaischem Stil. D. M. Bailey datiert diesen um 480 v. Chr. und nimmt eine süditalisch-griechische Produktion an. Insgesamt spiegelt die Grabausstattung die weit reichenden Handelskontakte, da neben den zyprischen Produkten attische, ägyptische und italische Importe enthalten sind. Ein gleichzeitiges Auftreten des sog. phönizischen Leuchtertyps und des griechischen Leuchtertyps mit Kapitell kann aus diesem Befund nicht mit Sicherheit abgeleitet werden, jedoch ist eine Kontinuität der Bestattungssitten in Hinsicht auf diese Gerätegattung offensichtlich. Den Geräten scheint dabei eine praktische Funktion innerhalb der Beisetzung zugekommen zu sein, die über den Charakter einer reinen Beigabe hinaus reicht. Betrachtet man in Hinsicht auf die griechischen Beleuchtungsgeräteständer rotfigurige Vasenbilder, so finden sich einige wenig aussagekräftige Darstellungen: diese stehen, wie auf der attisch rotfigurigen Schale des Makron (Abb. 9)13, meist im Kontext von Symposien. Vor zwei Klinen steht hier ein schlanker Leuchter auf geschwungenen Füßen, die bestenfalls als Felidentatzen zu bezeichnen sind. Unterhalb der flachen Bekrönungen sind an zwei Haken zusätzliche Geräte – ein Sieb und eine Schöpfkelle – befestigt. Auf der Oberseite steht eine flache Lampe, die an die archaischen und frühklassischen attischen Stücke erinnert14. Aus archaischer, klassischer und hellenistischer Zeit sind nur sehr wenige Stücke erhalten. Ihre große chronologische Spannweite ist in erster Linie an den figürlich verzierten Exemplaren greifbar, da sich die Grundform des Geräts kaum ändert. Der Leuchter aus Kourion wird von einer weiblichen Figur im Stil archaischer Koren bekrönt. Dass es sich bei dem bärtigen Philosophen ebenfalls um einen Teil eines Leuchters handelt ist sehr wahrscheinlich, da die Komposition mit dem Kapitell ähnlich ist und die Haken an den Seiten so eine Erklärung finden (Abb. 10)15. Die qualitativ hochwertige Darstellung dieses alten, nur mit einem Mantel bekleideten Mannes schließt an andere hochhellenistische Werke an. Der in der Casa della Fontana Piccola gefundene 10 Die meisten antiken Darstellungen von Fackeln zeigen diese leicht schräg (z. B. Beazley-Archive, Nr. 213579). Außerdem würde man in einem solchen Fall unterhalb einen Teller erwarten, der Verbrennungsrückstände auffängt. 1 1 Pasinli 2005, 70 – vier Tonlampen. 12 Murray u. a. 1900, 57–86 (unter den weiteren Fun-
den ein Eulenskypos und eine silberne Tetradrachme Alexanders des Großen); Bailey 2001, 109–133. 13 Beazley-Archiv, Nr. 2048000. 14 Howland 1958, 46–50; Scheibler 1976, 23–24; Selesnow 1988, 14. 1 5 Rolley 1984, Nr. 173.
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Ex oriente ? – Zur Entstehung und Entwicklung von Beleuchtungsgeräteständern
Leuchter (Abb. 11) zeigt eine Sphinx mit archaisierenden Zügen, die ihn in einem frühkaiserzeitlichen Kontext stellt 16. Insgesamt gesehen sind sowohl beim griechischen Typ mit ionischem Kapitell, als auch beim sog. phönizischen Typ die Grundelemente des Beleuchtungsgeräteständers aus dem orientalischen Raum übernommen, wobei explizit eine ausschließliche direkte Abhängigkeit von den urartäischen Stücken abzulehnen ist, es ist vielmehr von einem allgemein altorientalischen Einfluss auszugehen, der wahrscheinlich über ausgewanderte Handwerker verlief 17. Beim sog. phönizischen Typ stellt der Blattüberfall eine Weiterentwicklung der orientalischen Vorbilder dar. Ein innovatives Element kommt in archaischer Zeit mit den Figuren am oberen Schaftende hinzu, die dann vor allem im etruskischen Raum beliebt waren. Gleichzeitig bleibt der Blattüberfall in verschiedenen veränderten Erscheinungsformen erhalten. Es ist folglich für Bronzearbeiten18 ein ähnlich intensiver Einfluss aus dem Orient anzunehmen, wie er an den Motiven der korinthischen Vasenmaler zu erkennen ist. Besonders interessant hierbei ist die Gestaltung der Füße: der Bezug zur altorientalischen Mondgottheit, der in den Stierhufen seinen Niederschlag fand, ist verloren gegangen, indem diese durch Löwenpfoten ersetzt wurden. Hierbei handelt es sich offensichtlich um einen ideologisch motivierten Austausch, wodurch sich die Kandelaber in die früharchaische Bildwelt, die im Wesentlichen von wilden Tieren und exotischen Pflanzen geprägt ist, einfügen19. Im etruskischen Raum (Abb. 1) findet eine durch die praktische Anwendung bedingte Veränderung statt: An Stelle der Öllampen wurden hier schlanke Wachskerzen verwendet. Die flachen Teller der griechischen Leuchter waren dafür ungeeignet, so dass die Etrusker diese Geräteständer nicht importierten. Es entstanden eigene Produktionszentren z. B. in Spina20, welche die Grundform des Gerätes, inklusive der dekorativen Elemente – wie der Gestaltung des Fußes und der Figuren auf dem Schaft – übernahmen. Zur Anbringung der Wachskerzen entwickelten sie einen Ring mit drei bis vier nach außen schwingenden Armen, an deren spitzen Enden die Kerzen gesteckt werden konnten. Abbildungsnachweis Abb. 1: S. Steingräber, Etruskische Wandmalerei (1985) 287 oben Abb. 2: U. Seidl, Bronzekunst Urartus (Mainz 2004) Abb. 24 Abb. 3: B. Groneberg, Die Götter des Zweistromlandes (Düsseldorf/Zürich 2004) Abb. 25 Abb. 4: R. Merhav (Hrsg.), Urartu: a metalworking centre in the first millenium B. C. E. (Jerusalem 1991) Fig. 11 a Abb. 5: R. Merhav (Hrsg.), Urartu: a metalworking centre in the first millenium B. C. E. (Jerusalem 1991) Fig. 10 a Abb. 6: O. Hamdy Bey – T. Reinach, Une nécropole royale a Sidon (1892) 91 Abb. 7: H. Matthäus, Bronzene Kandelaber mit Blattüberfall, in: P. Aström (Hrsg.), Acta Cypria 2 (Jonsered 1992) 214–254 Abb. 10
16 Fröhlich 1996, Abb. 467–470. 17 Lange Zeit wurde eine direkte Abhängigkeit der Bronzearbeiten in Olympia, Delphi und etruskischen Orten von den urartäischen Werken angenommen, was man vor allem an den figürlichen Bronzeattaschen fest machte. In der neueren Forschung wird diese Bedeutung Urartus zu Gunsten eines allgemein orientalischen Einflusses reduziert. Muscarella nimmt ein Produktionszentrum der Attaschen in Nordsyrien und eines in Griechenland an (Muscarella 1962). 18 Es sprechen einige kaiserzeitliche Autoren (Plin. nat. 34, 7 f.; Mart. 14, 43; Petron. 31, 9; 50, 4) von der besonderen Qualität korinthischer Kandelaber, die als so wertvoll geschätzt wurden, dass man sie sogar imitierte. Da
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diesbezügliche Funde in Korinth gering sind, lässt sich die Existenz von Bronzewerkstätten nur vermuten, ihr Ursprung ist dagegen völlig unklar. Allgemein wird inzwischen angenommen, dass es sich um schwarz patinierte Bronzen mit Einlagen in silberner und goldener Farbe handelt, die hauptsächlich in kleineren luxuriösen Gebrauchsgegenständen begegnen (siehe Giumlia-Mair – Craddock 1993 mit zahlreichen Beispielen). 19 Nach neuesten Studien steht hinter diesen Darstellungen die Vorstellung von einer fiktionalen fremden Wildnis am Rande der bekannten Welt als Gegenpol zur zivilisierten Realwelt; Winkler-Horaček 2008. 20 Hostetter 1986.
Yvonne Seidel Abb. 8: Abb. 9: Abb. 10: Abb. 11:
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Ex oriente ? – Zur Entstehung und Entwicklung von Beleuchtungsgeräteständern
Abb. 1: Orvieto, Tomba Golini I, Symposion mit Darstellung etruskischer Kandelaber
Abb. 2: Kandelaber auf altakkadischen und assyrischen Rollsiegeln
Abb. 3: Mondgott auf einem altakkadischen Rollsiegel aus Nippur
Abb. 4: Kandelaber des Menua, Israel Museum Jerusalem
Abb. 5: Kandelaber des Rusa aus Toprak-Kale, MKG Hamburg
Abb. 6: Kandelaber aus dem Grab des Tabnit in Sidon, Istanbul Museum
Yvonne Seidel
Abb. 7: Verbreitung der sog. Phönizischen Kandelaber nach Matthäus (1992)
Abb. 8: Griechisch geprägter Kandelaber aus Grab 73 in Kourion, BM London Q 3862
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Ex oriente ? – Zur Entstehung und Entwicklung von Beleuchtungsgeräteständern
Abb. 9: Attisch rotfigurige Schale des Makron, New York MMA 20.246, um 500–450 v. Chr.
Abb. 10: Kandelaberbekrönung, MMA New York 10.231.1
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Abb. 11: Kandelaber aus der Casa della Fontana Piccola in Pompeji, Neapel Inv. 73052
Firmalampen des EVCARPVS. Produktion und Verbreitung Stephanie Sitz Einleitung Das am 01.03.2011 begonnene und vom TWF geförderte Forschungsprojekt zur römischen Firmalampenproduktion1 des EVCARPVS und der Verbreitung der Produkte im Imperium Romanum, fußt auf den Forschungen des Projektleiters Mag. M. Auer das Firmalampenspektrum aus Aguntum betreffend. Im Gegensatz zu einigen bereits bestehenden und ihrerseits grundlegenden Werken zu römischen Firmalampen2, soll sich dieses Projekt nicht mit der Aufarbeitung eines einzelnen Fundkomplexes oder Museumsbestandes beschäftigen, sondern mit der Produktion eines einzigen Herstellers und der Verbreitung seiner Waren. Für die Untersuchung wurde der Lampenproduzent EVCARPVS ausgewählt. Das Ziel des Projekts bildet also eine großräumige Zusammenstellung der Lampenproduktion des EVCARPVS. Durch diese Herangehensweise werden natürlich vor allem Fragen nach Produktionsstandorten und dem Keramikhandel aufgeworfen, da lokale Abformungen und Imitationen von Firmalampen in den Nordwestprovinzen bisher zwar häufig vermutet, jedoch nur selten nachgewiesen werden konnten3. Es soll also anhand eines einzelnen Herstellers untersucht werden, inwieweit die Produkte aus einem oder mehreren großen Produktionszentren oder aber aus vielen kleinen Werkstätten stammen. Im ersten Projektjahr konzentrierte sich die Arbeit vor allem auf die Datenbankaufnahme des in der Literatur und in archäologischen Sammlungen vorhandenen Fundmaterials, wobei sich zwei mehr oder minder voneinander unabhängige Bereiche abzeichneten. Die sich hauptsächlich in Attika befindlichen griechischen EUKARPOS-Lampen wurden dabei von Projektpartnerin Dr.in L. Koutoussaki bearbeitet, während die römischen EVCARPVS-Lampen von Mag.a St. Sitz aufgenommen wurden4. Da sich kein Zusammenhang zwischen den spätantiken griechischen und den römischen Lampen herstellen ließ und man so behaupten kann, dass es sich hier um zwei völlig verschiedene Lampenproduzenten mit zufälliger Namensähnlichkeit handelt, soll an dieser Stelle nur der von den Autoren bearbeitete römische Produzent und die Verbreitung seiner Waren besprochen werden. Ziel des Projektes ist die Lokalisierung der Produktionsstandorte des Töpfers EVCARPVS. Dieses Ziel soll durch ausgiebige Untersuchung der Produkte und ihrer Verbreitung, sowie durch chemische Analysen ausgewählter Stücke erreicht werden. Prinzipiell scheinen zwei Varianten der Verbreitung theoretisch möglich. Entweder arbeitete der Töpfer in seiner Werkstatt, die er, je nach Nachfrage, immer weiter nach Norden verlegte und dabei seinen alten Standort aufgeben musste, oder es existierte eine Art Mutterbetrieb mit mehreren Filialen, die gleichzeitig produzierten und allesamt mit dem Namen des Besitzers signierten. Natürlich kann nicht ausgeschlossen werden, dass einige Stücke durch Kopisten in Umlauf gebracht wurden, doch scheint dies im Fall des EVCARPVS eher unwahrscheinlich zu sein.
1 O. Fischbach prägte erstmals den Begriff der „Firmalampe“: Fischbach 1896, 10–11. 2 Loeschcke 1919; Buchi 1975; Hensen 2009 a; Hayes 1980; Bemont 2007.
3 Schneider – Hensen 2008; Schneider – Wirz 1992. 4 Zusätzlich werden onomastische Studien zum Namen Eucarpus/Eukarpos von cand.phil. Aaron Plattner durchgeführt.
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Firmalampen des EVCARPVS
Recherche und Verbreitung Die anfängliche Arbeit beinhaltete vor allem Literaturrecherche, die basierend auf den im CIL festgehaltenen Lampen des EVCARPVS begonnen wurde5. Relativ schnell stellte sich jedoch heraus, dass einerseits viele dieser Exemplare heute nicht mehr greifbar sind, da sie verschollen, in privaten, nicht zugänglichen Sammlungen befindlich oder im Kriegsverlust sind. Außerdem können die im CIL gegebenen Informationen für die Untersuchung von Firmalampen nur als unzulänglich bezeichnet werden, da wichtige Daten nicht angegeben, die Verzierungen am Diskus nicht beachtet und die Signaturen teilweise ungenau wiedergegeben werden6. Andererseits zeigte sich, dass seit der Veröffentlichung der CIL Bände einige EVCARPVS-Lampen aus neueren Grabungen zutage getreten sind. Diese Neufunde stammen hauptsächlich aus deutschen sowie auch italienischen, belgischen und französischen Fundkomplexen, ein Großteil davon aus römischen Nekropolen7. Die Literaturrecherche diente in erster Linie der Vervollständigung der bereits angelegten Datenbank, welche auf den aus dem CIL und den bereits erwähnten grundlegenden Publikationen zu römischen Firmalampen bekannten Exemplaren des EVCARPVS basierte. Diese Datenbank hält alle fundamentalen Informationen zu den einzelnen Stücken fest, die da wären Fund- und Aufbewahrungsort, Inventarnummer (falls vorhanden), Stempelvariante, Formtypus, Maße, Verzierungen am Diskus, Vorhandensein eines Henkels, Literatur und Abbildungen. Die Vollständigkeit der Datenbank wurde zwar angestrebt, konnte aber durch die teilweise schlechte bzw. lückenhafte Publikationslage der Firmalampen nicht gewährleistet werden. Gleichzeitig kann auch keine Garantie für die Lückenlosigkeit der Liste von bekannten EVCARPVS-Lampen übernommen werden, da es keineswegs sicher ist, dass alle vorhandenen Exemplare durch die Recherchen aufgespürt werden konnten. Wegen der schon anfänglich recht deutlichen Fundverdichtung nördlich des heutigen Italien zum römischen Limes hin, wurde relativ schnell die Vermutung gestärkt, die Lampen des EVCARPVS könnten sich mit dem römischen Heer von Süden nach Norden hin verbreitet haben. Deshalb beschränkte sich die anfängliche Literaturrecherche auch auf die vor allem deutschen, aber auch vereinzelt belgischen und niederländischen Gebiete westlich des Limes. Wie erwartet verdeutlichte sich auch weiterhin eine Häufung der Funde von EVCARPVS-Lampen in militärisch besiedelten Gebieten wie Heidelberg, Köln, Bonn, Nijmegen, u. a. Nach einer mehr oder weniger zufälligen Entdeckung einer Firmalampe des EVCARPVS in einem französischen Grabungsbericht wurde die Recherche nach noch nicht in die Datenbank aufgenommenen Exemplaren weiter nach Westen hin ausgedehnt. Da sich jedoch zeigte, dass sich die Publikationslage einerseits, die Zugänglichkeit der vorhandenen Publikationen andererseits als ungünstig erwiesen, wurde Kontakt zu allen relevanten französischen und belgischen Museen aufgenommen. Dankenswerterweise erwiesen sich der Großteil der kontaktierten Sammlungen als äußerst kooperativ und erklärten sich dazu bereit, alle vorhandenen Informationen über die in den Museen aufbewahrten Lampen zur Verfügung zu stellen. So konnten wiederum einige neue EVCARPVS-Lampen in die Datenbank aufgenommen werden. Obwohl so eine Streuung der Funde weiter nach Westen ins heutige Frankreich nachgewiesen werden konnte, blieb dennoch die Konzentration der Firmalampen am römischen Limes am höchsten. Der westlichste Fundpunkt wird durch ein Bodenfragment einer Lampe markiert, die eindeutig dem EVCARPVS zuzuweisen ist. Dieses Fragment stammt aus Saintes, das durch seine Lage nahe der französischen Westküste eine der größten Ausdehnungen der Verbreitung zeigt. Demgegenüber bildet ein kleiner Fundkomplex in Alba Iulia, im heutigen Rumänien, die östlichste Ausdehnung.
5 CIL 4, 2, 8114, 45. 7, 1330, 21. 10, 8053, 68. 10, 2, 8052, 8. 11, 2, 1, 6699, 75. 13, 3, 1, 10001, 122. 15, 2, 1, 6421. 6 siehe auch Heres 1968. 7 Den größten Anteil an Funden aus Nekropolen
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bieten Heidelberg, Krefeld-Gellep und Limé; Hensen 2009 b; Pirling – Siepen 2000; Die Funde aus den römischen Gräbern von Krefeld-Gellep (Stuttgart 2006); Bemont 2007.
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An diesem Fundort wurden drei EVCARPVS-Lampen aufgefunden. Die südlichsten Funde konnten in Pompeji verortet werden, während der nördlichste Fundort durch York im Norden Englands bezeichnet wird. Nach dem Abschluss der Recherchearbeiten wurde erstmals eine vollständige Verbreitungskarte der bis dato bekannten Funde erstellt, die wiederum die Fundhäufung in den gewissen, dem Limes nahen Gebieten bestätigte und deutlich visualisierte. Geht man davon aus, dass sich die EVCARPVS-Lampen, die sich bis ans Ende des 1. Jh.s n. Chr. noch in Norditalien, danach, also im 1. Viertel des 2. Jh.s n. Chr., nur noch nördlich davon in den Nordwestprovinzen des Römischen Reiches finden, von Süden nach Norden hin verbreitet haben, lassen sich folgende größere Fundkomplexe feststellen: Modena (13), Aquileia (9), Vindonissa (18), Heidelberg (44), Mainz (16), Limé (12), Bonn (5) und Köln (17). Um diese Komplexe mit jeweils mehr als vier Fundstücken reihen sich meist noch weitere Fundorte mit einzelnen EVCARPVS-Lampen. Dabei steht Heidelberg mit 44 Lampen deutlich an der Spitze, was die Quantität des Fundaufkommens betrifft. Die aus den römischen Nekropolen bei Heidelberg stammenden Firmalampen zeichnen sich außerdem zwar nicht ausschließlich jedoch häufig durch das Fehlen jeglicher Rußspuren aus, was eine Verwendung im Alltag ausschließt und eine solche als reine Grabbeigabe impliziert. Die bis dato einzige bekannte Matrize, die eindeutig dem EVCARPVS zuzuschreiben ist, stammt aus Carnuntum 8.
Die Lampen Durch die Betrachtung der in die Datenbank und Verbreitungskarte aufgenommenen EVCARPVS-Lampen konnten einige Gemeinsamkeiten bzw. Unterschiede der Tonlämpchen festgestellt werden. Die Elemente, die dabei zur Untersuchung herangezogen wurden, werden durch die Stempelvariante, die Verzierung am Diskus und das Vorhandensein eines Henkels repräsentiert. Diese Charakteristika der Firmalampen zeigten sich als besonders geeignet, da sich anhand ihrer mehr oder weniger große Gruppen innerhalb der Produkte des EVCARPVS bilden ließen. Andere Elemente, wie etwa die Maße der einzelnen Exemplare oder die Form der Lampen (nach S. Loeschcke9), stellten sich als weniger aussagekräftig heraus. Die Maße der Firmalampen bewegen sich in der Höhe zwischen 1,9 cm und 3,9 cm, in der Länge zwischen 6 cm und 11,4 cm, der Durchmesser des Bodens bewegt sich zwischen 1,8 und 5,5 cm, während sich der Durchmesser des Diskus zwischen 2,1 cm und 5,6 cm befindet. Dabei weisen die grundsätzlich kleineren Lampen genauso viele Gemeinsamkeiten und Unterschiede miteinander auf wie mit den grundsätzlich größeren Exemplaren. Ebenso verhält es sich mit den Formen der EVCARPVS-Lampen. Prinzipiell handelt es sich dabei vor allem um Exemplare der Form IX nach Loeschcke, wobei die Formen IX a, b und c, mit leichtem quantitativen Vorteil für die Form IX b, nahezu gleichermaßen vertreten sind. Vier Ausnahmen, welche in Mainz und Vindonissa zu finden sind, bestätigen diese Regel. Bei drei dieser Abweichungen handelt es sich um die Form X K, eine Lampe mit der Signatur des EVCARPVS präsentiert sich als Form XX nach Loeschcke10. Das letztgenannte Stück dürfte jedoch eine Kopie einer Bronzelampe darstellen. Die Elemente, die sich zur Einteilung von größeren zusammengehörigen Gruppen innerhalb der EVCARPVS-Lampen eignen, sind wie bereits erwähnt die Stempelvariante, die Verzierung am Diskus und der Henkel. Der Name des EVCARPVS ist stets gestempelt, es kommen keinerlei Ritzungen vor. Dabei kann der 8 An dieser Stelle wiederholter Dank an Yvonne Seidel, welche diese Information zur Verfügung gestellt hat. 9 Da Loeschckes Werk ‚Lampen aus Vindonissa‘ und seine darin enthaltene Typologie noch immer maßgeblich für den Untersuchungsgegenstand sind, werden die Formbezeichnungen der Lampen im gesamten Text nach Loeschcke erfolgen. 10 Die zwei Lampen aus Mainz (Form X K nach
Loeschcke) befinden sich im RGZM, Inv. Nr. O.24136. O.6080; Menzel 1954, 63. 65 Abb. 52, 1. 2; Die Lampe mit der Form X K aus Vindonissa befindet sich im VMB (Vindonissa-Museum, Brugg), Inv. Nr. 4166; Loeschcke 1919, 276–279 Taf. XVIII, 999; Die in Ton kopierte Bronzelampe der Form XX aus Vindonissa, ehemals in der Slg. O. Hauser, ist heute verschollen; Loeschcke 1919, 339– 341. 462 Taf. XVI, 1080.
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Firmalampen des EVCARPVS
Stempel am Boden der Lampe von bis zu drei Wülsten umgeben sein, es finden sich jedoch keinerlei andere Verzierungen oder Stempelzusätze. Der Namensstempel am Boden der Lampen tritt durchaus sehr variantenreich auf, jedoch zeigt die große Menge der Lampen den Stempel ‚EVCARPI‘, immerhin 123 Stück, was in etwa 58% der Gesamtmenge entspricht. 18 Stücke weisen die Signatur ‚EVCARP‘ auf, was 9% des gesamten Spektrums entspricht. 14 Stück tragen den Stempel ‚EVCARPI (P+I)‘ was in etwa 7% ausmacht, elf Exemplare wurden mit ‚EVCAR’ signiert und stellen somit etwa 5% der Gesamtheit dar, fünf Stücke tragen zweizeilige Varianten, was in etwa 2% entspricht. Der Rest teilt sich auf in die Varianten ‚EVCARI‘, ‚EVCARPF‘ und kaum leserliche Stücke (20%). Am interessantesten stellte sich dabei die Gruppe der Lampen mit dem Stempel ‚EVCARPI (P+I)‘ heraus. Diese Form der Ligatur trifft man vor allem auf Lampen aus Vindonissa an, wo man acht der 14 Lampen mit dieser Art des Stempels findet, jedoch tritt diese Stempelvariante auch auf einer Lampe aus Aquileia auf, sowie in Trion, Bonn und Alba Iulia. Ein zweites, für die weitere Untersuchung der Lampen wichtiges Merkmal bildet die Verzierung am Diskus. Die auf den EVCARPVS-Lampen angewandten Dekorelemente zeigen sich als weit weniger abwechslungsreich wie die Stempel. Ein Großteil der dekorierten Lampen weist eine Theatermaske auf, sei es eine komische oder tragische Maske mit langen oder kurzen Haaren. Weitere Verzierungen werden durch Jupiter-Ammon-Köpfe gebildet, die sich in Alba Iulia und Aquileia finden. Ein Satyrkopf findet sich bis jetzt nur auf zwei bekannten EVCARPVSLampen, und zwar auf denjenigen aus York11 und aus Millau12. Die Maskenverzierungen lassen sich zu einer großräumigen Gruppe zusammenschließen, die sich exklusiv in den Nordwestprovinzen verorten lässt. Dabei treten die Masken an beinahe allen Fundorten auf, vermehrt jedoch in Heidelberg und Limé, wo sich alle Varianten der Masken feststellen lassen. Zwar ist die Maske das häufigste gemeinsame Element der Lampen des EVCARPVS, aber es finden sich keine zwei gleichen Exemplare innerhalb der 80 auf diese Art und Weise dekorierten Lampen. Interessant ist die Tatsache, dass sich Maskenverzierungen, bis auf eine Ausnahme in London13, ausschließlich auf Lampen der Form IX b nach Loeschcke zeigen, sofern der Erhaltungsgrad der Exemplare noch eine genaue Formbestimmung erlaubt. Zwei Lämpchen, die beide heute nicht mehr auffindbar sind, werden in der Literatur als besonders reich verziert geschildert bzw. illustriert. Es handelt sich dabei um eine so genannte „Neujahrslampe“ aus Xanten, die am Diskus einen stehenden Esel umgeben von der mit fünf einzelnen Stempeln eingedrückten Umschrift „ANNO NOVO FAVST TIBI“ trägt14, und um eine Lampe aus Rom, die Diana mit Fackeln in beiden Händen und einen gegenüber sitzenden Knaben zeigen soll15. Da diese beiden Exemplare jedoch nicht mehr greifbar sind und eindeutig Sonderfälle die Verzierung wie auch die Form betreffend darstellen würden, ist es durchaus zulässig, an ihrer Zuschreibung an EVCARPVS oder gar an ihrer Existenz zu zweifeln. Zu den EVCARPVS-Lampen mit Henkel gibt es Folgendes zu berichten: Insgesamt ist die Existenz von 71 gehenkelten Stücken bekannt, wobei vor allem bei den nur im CIL erwähnten und heute nicht mehr greifbaren Stücken keine Angabe über das Vorhandensein eines Henkels getätigt werden kann. Die Henkel, die mitgeformt wurden, also bereits bei der Anfertigung der Model angelegt werden mussten, finden sich quasi ausschließlich nördlich des heutigen Italien. Die einzigen zwei Ausnahmen stammen aus Aquileia, dabei zeigt sich eine Lampe mit mitgeformtem Henkel in Tradition der Nordwestprovinzen, welche allerdings, obwohl vom Typ her IX c nach Loeschcke, als weitere Besonderheit drei Schnauzen aufweist, eine andere weist einen später applizierten Bandhenkel auf, wird also durchaus in einer Model ohne 1 1 Museum York, Inv. Nr. H 302; CIL 7, 1330, 12. 12 Die Lampe befindet sich in Millau, Depot; ohne Inv. Nr.; Albinet 2004, Vol. I 53. Vol. II 44, 088 (Diplomarbeit). 13 Diese in London gefundene EVCARPVS-Lampe befindet sich heute im Royal Ontario Museum in Toronto; Inv. Nr. 930.116.11; Hayes 1980, 59 Taf. 39, 263.
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14 Dieser verkürzte Glückwunsch zum neuen Jahr verhalf dieser Lampe zur Bezeichnung „Neujahrslampe“. Die einzig existente Illustration dieses Exemplars zeigt deutlich die Signatur des EVCARPVS am Boden der Lampe. Jahrbücher des Vereins von Altertumsfreunden im Rheinlande XXII, 2, 1855, 36–40 Taf. 2. 1 5 CIL 15 2, 6421.
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Henkel produziert worden sein 16. Dieses Exemplar mit Bandhenkel stellt ebenso ein Unikum im Spektrum der EVCARPVS-Lampen dar, ist dem Lampentöpfer jedoch eindeutig zuzuweisen. Da die beiden gehenkelten Lämpchen aus Aquileia zwar die Aussage abschwächen, EVCARPVS-Lampen mit Henkel gäbe es lediglich nördlich des heutigen Italien, aber wohl alles in allem Sonderformen darstellen, kann man sie meines Erachtens nach in diesem Bereich getrost außer Acht lassen. Die gehenkelten Lampen der Nordwestprovinzen treten ebenso wie die mit Masken verzierten Exemplare in nahezu allen Fundorten und an allen Lampenformen, egal ob Typ IXa, b, oder c auf. Kurz zusammengefasst kann man innerhalb der Gesamtheit aller EVCARPVS-Lampen drei mehr oder weniger große Gruppen feststellen – solche mit einer P+I-Ligatur im ‚EVCARPI‘-Stempel, solche mit Maskenverzierung am Diskus und solche mit mitgeformtem Henkel. Dabei kommen Lämpchen mit Ligatur vor allem in Vindonissa vor, südlich der Alpen trifft man auf diese Stempelvariante nur in Aquileia. Maskenverzierte Lämpchen, die häufig auftreten, finden sich ausschließlich in den Nordwestprovinzen. Gehenkelte Exemplare verhalten sich ebenso, außerdem scheint für die Mitformung eines Henkels die Form IX b bevorzugt worden zu sein. Jedoch trägt nicht jede Lampe mit Henkel eine Verzierung mit Maske am Diskus oder umgekehrt. Warum die in der Einleitung bereits erwähnte Annahme, EVCARPVS-Lampen könnten im Norden des Römischen Reiches kopiert und so in Umlauf gebracht worden sein, in diesem Fall wohl unzutreffend sein dürfte, soll nun erläutert werden. Die Tatsache, dass sich sowohl Henkel als auch Verzierungen mit Theatermasken auf den Lämpchen des EVCARPVS nur im nördlichen Verbreitungsgebiet finden, lässt eindeutig auf eine eigenständige Großproduktion schließen. Denn zufällig aus einer italischen Model kopierte Stücke würden diese beiden für die Nordwestprovinzen charakteristischen Elemente kaum aufweisen.
Beprobung Da sich durch die Kartierung und die Systematisierung der EVCARPVS-Lampen allein keine sicheren Aussagen über deren Produktionsort treffen lassen, sollen archäometrische Analysen bei der Klärung dieser Frage Hilfestellung leisten. Die Durchführung derselben obliegt Dr. G. Schneider (FU Berlin), der durch den Einsatz chemischer Analysemethoden die Herkunft des verarbeiteten Tons anhand kleinster Materialproben ableiten kann. Die für die Beprobung ausgewählten Lampen sollen allerdings zuerst von Dr. G. Schneider in Augenschein genommen werden, da sich typische Charakteristika der Tone aus bekannten Produktionszentren wie Trier oder Lyon oft schon durch eingehende makroskopische Betrachtung feststellen und bestimmen lassen. Die Auswahl der für die geplanten Analysen relevanten Stücke wurde aufgrund und innerhalb der bereits zuvor erwähnten drei Untergruppen der EVCARPVS-Lampen getroffen. Betroffen sind also Exemplare mit der Stempelvariante ‚EVCARPI‘ mit P+I-Ligatur, Lämpchen mit Theatermasken am Diskus und solche mit Henkel. Für die Untersuchung respektive die Analyse vorgesehene Lampen mit P+I-Ligatur stammen aus Vindonissa17 bzw. aus Aquileia18. Dadurch soll geklärt werden, ob diese Stücke, die ja gehäuft in Vindonissa auftreten, auch dort produziert wurden oder ob es sich um eine zufällige Fundhäufung handelt. Die Lampe aus Aquileia könnte eine mögliche Handelsverbindung zeigen, falls die Toneigenschaften denen der Vindonissa-Lampen entsprechen sollten. Lampen mit Maskenverzierung am Diskus sollen aus Krefeld-Gellep19,
16 Die beiden Lampen befinden sich Museo di Aquileia; Inv. Nr. 6580. 6583; Buchi 1975, 52–54 Taf. XVII, 356 a–b. 357 a–b. 17 Es handelt sich hierbei um Lampen, die sich allesamt im VMB befinden; Inv. Nr. 2227; 2228; 2953; 2391; 3900; 19256; Loeschcke 1919, 276–279. 430 Taf. XIX, 797; Leibundgut 1977, 71. 280.
18 Dieses Bodenfragment befindet sich Museo di Aquileia; Inv. Nr. 7062; Buchi 1975, 52–54 Taf. XVIII, 362 a– b. 19 Pirling – Siepen 2003, 131. 182. Taf 67, 3 a–c. 115, 3 a–c; Die Funde aus den römischen Gräbern von Krefeld-Gellep (2006) 403–411; CIL XIII 3, 10001, 122 θ.
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Firmalampen des EVCARPVS
Mainz20 und Straßburg21 in Augenschein genommen werden. Da die bereits durch Schneider analysierten EVCARPVS-Lampen aus Heidelberg einer Trierer Produktion zuzuordnen sind, könnte sich durch diese Analyse die Annahme eines Produktionszentrums des EVCARPVS in Trier bestätigen22. Gehenkelte Lampen sollen wiederum aus Krefeld-Gellep23, Mainz24 und Aquileia25 analysiert werden. In diesem Fall wäre wieder eine mögliche Handelsverbindung zwischen Lampenproduzenten in den nördlichen Provinzen und Aquileia nachweis- oder widerlegbar. Außerhalb dieser drei großen Gruppen innerhalb der Gesamtheit der EVCARPVS-Lampen soll die Lampe aus Millau, die einen Satyrkopf am Diskus trägt, sowie das bereits zuvor erwähnte Bodenfragment einer EVCARPVS-Lampe aus Saintes26, das den westlichsten Verbreitungspunkt markiert, untersucht werden. Die Untersuchungen und Analysen, die zum jetzigen Zeitpunkt noch nicht abgeschlossen sind, bringen hoffentlich neue Ansatzpunkte und Informationen die Produktionsorte und Handelswege der Lämpchen betreffend.
Theorien Schon zu Beginn des Forschungsprojektes zu den Firmalampen des EVCARPVS zeigte sich auf ersten, vorläufig erstellten Verbreitungskarten eine deutliche Fundhäufung nördlich der Alpen gegen den römischen Limes hin. Da die italischen Stücke allesamt noch in das 1. Jh. n. Chr. datiert werden, während die Lampen in den Nordwestprovinzen schon ins 2. Jh. n. Chr. datieren, lag die Vermutung nahe, die Produkte des EVCARPVS hätten sich von Süden nach Norden im Römischen Reich verbreitet. Ob dabei die Produktion in großen Zentren stattfand oder in kleineren, mehr oder weniger mobilen Werkstätten ist dabei noch zu klären. Wahrscheinlich darf man Modena als einen Produktionsort vermuten, denn hier existiert nicht nur ein Bestand an Altfunden27, sondern vor allem neue Grabungen in einer Lampentöpferei brachten einige EVCARPVSLampen zu Tage28. Es ist also denkbar, dass der Lampentöpfer EVCARPVS in dieser Stadt, die ein gesichertes Produktionszentrum von Lampen darstellt, im ausgehenden 1. Jh. n. Chr. Lampen für den italischen Markt produzierte. Solche Lampen wurden sicherlich auch nach Norden verhandelt. Die Verlagerung der Produktion in die nördlichen Gebiete hin könnte über Vindonissa stattgefunden haben, dessen Lage sich dafür am geeignetsten zu zeigen scheint. Sollten die Analysen der Vindonissa-Lampen mit P+I-Ligatur eine lokale Produktion aufzeigen, so würde die wahrscheinliche Richtigkeit dieser Annahme deutlich gesteigert werden. Von Vindonissa aus könnte sich also weitere Produktionszentren nach Westen hin, ins heutige Frankreich und nach Norden hin ins heutige Deutschland, Belgien und die Niederlande, abgespalten haben. Inwieweit die Verbreitung der Lampen des EVCARPVS bzw. die Verlagerung der Produktionsstandorte mit Truppenbewegungen des römischen Militärs in Zusammenhang stehen, soll in weiterer Folge ebenfalls abgeklärt werden. Diese Idee setzt natürlich die Annahme voraus, die Produktion in kleineren „Wanderwerkstätten“ zu verorten. Der Gedanke, das Militär als Kulturträger bzw. als Träger der Romanisierung zu betrachten ist per se kein Novum, doch konnte bislang keine durchgehende Truppenbewegung festgestellt werden, die diese Theorie im Fall der EVCARPVS-Lampen eindeutig verifizieren könnte. Natürlich liegt auch die Annahme nahe, der Lampentöpfer 20 Die Lampe aus Mainz befindet sich ohne Inventarnummer im Landesmuseum Mainz; Kirsch 2002, 242 Taf. IV. 2 1 Diese Lampe befindet sich im Musée Archéologique de Strasbourg; Inv. Nr. 22021; Henning 1912, 42 f. Taf. XL. 22 Schneider – Hensen 2008. 23 Pirling – Siepen 2003, 118 Taf 64, 3; Die Funde aus den römischen Gräbern von Krefeld-Gellep (2006) 403–411; CIL XIII 3, 10001, 122 θ. 24 Die Lampe befindet sich im Landesmuseum Mainz;
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Inv. Nr.: 62/79; Kirsch 2002, 280 Taf. 17. 25 Hierbei handelt es sich um die EVCARPVS-Lampe mit appliziertem Bandhenkel im Museo di Aquileia; Inv. Nr. 6583; Buchi 1975, 52–54 Taf. XVII, 356 a–b. 26 Das Bodenfragment befindet sich im Musée Archéologique de la Ville de Saintes; ohne Inv. Nr.; Magister 1988, 28 Taf. XV. 27 CIL 11, 6699, 75 a–d. 28 Labate u. a. 2010, 323–382. 204; Labate 2010, 325–327; Labate – Raimondi 2010, 334–336.
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könnte zwar nicht mit einer einzelnen Truppe umhergezogen sein, aber die Nähe des Militärs gesucht haben, um einen besseren Absatzmarkt für sein Produkte vorzufinden. Denn nicht nur das Heer selbst, sondern auch die Zivilsiedlungen, die sich um die Lager bildeten, wollten schließlich versorgt werden. Da sich die Vermutung, die Firmalampen des EVCARPVS hätten sich mithilfe des römischen Militärs nach Norden hin verbreitet, zwar bislang nicht beweisen doch ebenso wenig falsifizieren ließ, muss diese Angelegenheit in letzter Konsequenz ungeklärt bleiben. Die Fundorte, die sich gehäuft in der näheren Umgebung größerer Lager befinden, sprechen allerdings für eine Produktion oder zumindest eine Verhandlung der Produkte im direkten Umfeld des römischen Militärs29. Möglicherweise können die geplanten chemischen Analysen der Firmalampen des EVCARPVS mehr Licht in das Dunkel dieser Fragen bringen. Abbildungsnachweis © Stephanie Sitz Bibliographie Albinet 2004
N. Albinet, Inventaire des Lampes à Huile Gallo-Romaines dans le Département de l’Aveyron (Toulouse 2004) Vol. I 53. Vol. II 44, 088 (Diplomarbeit) Bemont 2007 C. Bemont, Lampes en terre cuite antiques (Paris 2007) Buchi 1975 E. Buchi, Lucerne del Museo di Aquileia vol. I. Lucerne Romane con marchio di fabbrica (Aquileia 1975) Fischbach 1896 O. Fischbach, Römische Lampen aus Poetovio, Mittheilungen des Historischen Vereines für Steiermark XLIV, 1896 Hayes 1980 J. W. Hayes, Ancient Lamps in the Royal Ontario Museum (Toronto 1980) Henning 1912 R. Henning, Denkmäler der Elsässischen Altertumssammlung zu Strassburg i. Els. – Von der neolithischen bis zur karolingischen Zeit (Strasbourg 1912) Hensen 2009 a A. Hensen, Öllampen der römischen Nekropole von Heidelberg. Indikatoren einer Energiekrise in der Provinz, in: J. Biel – J. Heiligmann – D. Krausse (Hrsg.), Landesarchäologie. Festschrift für Dieter Planck zum 65. Geburtstag (Stuttgart 2009) Hensen 2009 b A. Hensen, Das römische Brand- und Körpergräberfeld von Heidelberg I (Stuttgart 2009) Heres 1968 G. Heres, Die Werkstatt des Lampentöpfers Romanesis, FuB 10, 1968, 185– 211 Kirsch 2002 A. Kirsch, Antike Lampen im Landesmuseum Mainz (Mainz 2002) Labate u. a. 2010 D. Labate – A Ferrari – G. Steffe u. a., Notizie degli scavi e delle ricerche archeologiche nel Modenese (2008), AttiMemModena 32 (2010) Labate 2010 D. Labate, Note sulla produzione di lucerne a Modena: i nuovi rinvenimenti, AttiMemModena 32, 2010, 325–327 Labate – Raimondi 2010 D. Labate – N. Raimondi, Modena, Viale Reiter. Impianti produttivi di età romana, Atti e Memorie della Deputazione di Storia Patria per le Antiche Provincie Modenesi XI, XXXII, 2010, 334–336 Leidengut 1977 A. Leibundgut, Die römischen Lampen in der Schweiz (Basel 1977) Loschcke 1919 S. Loeschcke, Lampen aus Vindonissa (Zürich 1919) Menzel 1954 H. Menzel, Antike Lampen im römisch-germanischen Zentralmuseum zu Mainz (Mainz 1954) Magister 1988 C. Magister, Les Lampes du Musée archéologique de Saintes (Université de Poitiers 1988) Pirling – Siepen 2000 R. Pirling – M. Siepen, Das römisch-fränkische Gräberfeld von Krefeld-Gellep 1983–1988 (Stuttgart 2000) Pirling – Siepen 2003 R. Pirling – M. Siepen, Das römisch-fränkische Gräberfeld von Krefeld-Gellep 1989–2000 (Stuttgart 2003)
29 Dafür spricht ebenso der Matrizenfund aus Carnuntum.
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Firmalampen des EVCARPVS Schneider – Hensen 2008 G. Schneider – A. Hensen, Chemische Analysen an Tonlampen, in: A. Hensen, Das römische Brand- und Körpergräberfeld von Heidelberg I (Stuttgart 2008) 79–85 Schneider – Wirz 1992 G. Schneider – E. Wirz, Chemische Analysen von Firmalampen aus Vindonissa, JbrProVindon 1991 (Brugg 1992) 35–49
Verbreitungskarte der EVCARPVS-Lampen
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Die Fallstudie des Heiligtums des Iuppiter Heliopolitanus in Carnuntum Neue Forschungsergebnisse im nördlichen Teil des Heiligtums Eva Steigberger – Barbara Tober Einführung Das Heiligtum des Iuppiter Heliopolitanus in den östlichen Canabae von Carnuntum in Pannonien ist das einzige bisher ergrabene Heiligtum der Syrischen Gottheiten in den Nordwestprovinzen. Seine Ausgrabung verdanken wir den Rettungsgrabungen, die 1978 bis 1991 von M. Kandler und H. Zabehlicky durchgeführt wurden. Die Forschungen wurden jüngst als Teil eines FWF-Programmes am Institut für Kulturgeschichte der Antike an der ÖAW wieder aufgenommen1. Die Hauptgottheit, Iuppiter Heliopolitanus, stammt ursprünglich aus Baalbek. Nördlich der Alpen kennt man ihn hauptsächlich von Inschriften, die vor allem in Pannonien und besonders in Carnuntum gefunden wurden. Dies kann man mit der Tatsache eines bestehenden Heiligtums in Verbindung bringen – das einzige bekannte nördlich der Alpen. Der rechteckige Grundriss des frühen Tempels A und die Tatsache, dass man ihn nicht als römischen Podiumstempel sondern auf einer nur leicht erhöhten Basis gebaut hat, könnten auf den östlichen Ursprung hinweisen, da für diese Bauweise in Syrien gute Vergleichsbeispiele existieren. Die Nutzungszeit des Carnuntiner Heiligtums umfasst zumindest drei Steinbauphasen vom frühen 2. bis zum späten 3. bzw. der 1. Hälfte 4. Jh.s. Die frühere Holzbauphase des 1. Jh.s soll hier nicht besprochen werden, sondern es sollen Kontexte aufgezeigt werden, die mit einer extensiven Reorganisation des Heiligtums vor Phase 2.3 in Zusammenhang zu bringen sind. Zu seiner Blüte im frühen 3. Jh. lag das Heiligutm in Carnuntum in einem 110690 m großen, von einer Mauer umgegebenen Areal (Abb. 1). Der trapezoide Zentralhof, der an mindestens drei Seiten von einer Portikus umgeben war, bildete das Zentrum, im Osten stand der kleine Tempel. Die südliche Portikus verband den Hof mit zwei Hallen, im Südosten lag eine kleine Badeanlage mit Latrine. Ehe dieser Tempel B errichtet wurde, nahm der ältere Tempel A mit Hofareal C den Ostteil des Areals ein – beide ebenfalls mit einer Stützenstellung zum Zentralhof hin abgegrenzt.
Das Heiligtum Im frühen 2. Jahrhundert wurde Tempel A gemeinsam mit einem zugehörigen Architekturkonzept aus dem Hofareal C und dem angeschlossenen Portikus-Komplex errichtet. Eine Halle für Feste lag etwas weiter südlich. Alle Gebäude dieser Phase 2.1 sind gelb auf dem Plan dargestellt (Abb. 2). Erkennbar ist die neuere Forschung, die sich aktuell auf die Nordhälfte des Heiligtums konzentriert.
1 Zu den jüngsten Ergebnissen und der Geschichte der Ausgrabung siehe Gassner u. a. 2011 und Gassner u. a. 2010. Zu einem umfangreicheren Beitrag zum Thema Zerstörung anhand der Fallstudie des Tempelbezirks des Iuppiter Heliopolitanus in Carnuntum s. Steigberger – Tober
2013. – 2012 wurde eine geophysikalische Prospektion durchgeführt, deren Ergebnisse zu einer grundsätzlichen Neubewertung der Bebauungsstruktur im Heiligtum geführt haben; Gassner – Steigberger in Druck. Die Ausführungen in diesem Beitrag behalten dennoch ihre Gültigkeit.
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Die Fallstudie des Heiligtums des Iuppiter Heliopolitanus in Carnuntum
Tempel A bestand aus einem einfachen rechteckigen Raum, 9,564,8 m groß und nach Westen zum Zentralhof hin orientiert. Südlich folgte Hofareal C mit 17618,4 m und einer leicht abweichenden Orientierung. Eine kleine Portikus, die so genannte Ostportikus, war ihm vorgelagert und man erreichte damit einen homogenen architektonischen Abschluss nach Osten. Die Südportikus verband die Gebäude im Süden mit dem Nordteil des Heiligtums und bildete gleichzeitig die Grenze des Zentralhofs. Im Lauf des 2. Jahrhunderts wurden Umbauarbeiten durchgeführt und eine zweite modifizierte Bauphase ist in der Nordportikus und im Süden des Hofareals C feststellbar, wo die so genannten Osträume adaptiert wurden und die Südportikus umgebaut wurde (in dunkelrot auf dem Plan erkennbar, Abb. 2). Das Hauptaugenmerk dieser Diskussion richtet sich auf Straten, die mit dem Ende der Phasen 2.1 und 2.2 zusammenhängen. Lassen sich hier Kontexte herausarbeiten, die auf eine gewaltsame plötzliche Zerstörung schließen lassen, auf die die Reorganisation folgte, oder war der Abbruch des Heiligtums intentionell und geplant aufgrund einer Renovierung, deren Resultat die Errichtung von Tempel B darstellt (Phase 2.3).
Das Problem Straten, die mit dem Ende von Phase 2.2 zusammenhängen, zeigen sich generell als eine massive Schuttschicht, die von der Nordportikus über Tempel A bis zu den späteren Thermen verfolgbar ist. Sie beinhaltete eine signifikante Menge an Fragmenten von Architekturteilen und Kultinstallationen der Phasen 2.1 und 2.2. Die Umbauten wurden wie erwähnt hauptsächlich im Süden und Südosten, sowie in der Nordportikus durchgeführt, und berührten Tempel A nicht. Beim aktuellen Bearbeitungsstand bereitet das Wesen dieser Zerstörung bzw. Demolierung immer noch Schwierigkeiten, da die Straten Hinweise auf eine mögliche gewaltsame und plötzliche Zerstörung nur in einem sehr limitierten Bereich zeigen, während der Großteil des Schutts in Zusammenhang mit intentionellem Abbruch der älteren Kultgebäude und der Vorbereitung für einen neuen Bauplatz gesehen werden kann. In diesem Kontext ist es wichtig, zwischen der Zerstörung durch einen natürlichen Vorgang wie ein Erdbeben und jene durch menschliche Einwirkung zu unterscheiden, indem man beispielsweise den Kategorien von Eckhard Deschler-Erb folgt 2. Diese zweite Kategorie – Zerstörung durch Menschen – ist wieder zu unterteilen in eine zufällige, etwa durch Feuer, oder absichtliche Zerstörung. Im Fallbeispiel des Heiligtums wird von einer friedlichen, intentionellen Zerstörung ausgegangen, die als Abbruch klassifiziert wird. Nur einige wenige Schichten in den Osträumen zeigten einen etwas höheren Anteil von Schutt und Brandspuren. Es scheint daher möglich, dass zumindest in diesem Bereich bzw. rund um die Südportikus ein Schadensfeuer und somit eine zufällige Zerstörung der Grund gewesen sein könnte3, aber es gibt kaum genug Nachweise für eine Zerstörung des Heiligtums als Ganzes. In der Nordportikus, die ebenfalls von den Umbaumaßnahmen betroffen ist, können Brandspuren nicht damit in Zusammenhang gebracht werden. Bereits Eric Birley stellt in seinen Forschungen am Hadrianswall fest, dass solche Schichten nicht immer als Auswirkungen von Zerstörung zu interpretieren sind, sondern auch als routinemäßige Renovierungsarbeiten gesehen werden können. Nachdem ein Gebäude für etwa 30 Jahre bestanden hat, kann erwartet werden, dass ein gewisses Ausmaß an Renovierung notwendig war4. Zudem muss in Betracht gezogen werden, dass kleinräumige Spuren eines Feuers eher auf Schadensfeuer als auf eine großräumige Zerstö2 Deschler-Erb 2003, 43–44. 3 Dabei könnte es sich wohl um ein Schadensfeuer handeln, aber auch um Holzabfälle, die verbrannt wurden. Es lässt sich nicht leugnen, dass auch mit rituellen Vor-
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gängen in diesem Bereich zu rechnen ist, die in der rituellen Deponierung in Grube G7 gipfelten, da die Brandspuren sich in unmittelbarer Nähe der Grube befinden. 4 Birley 1930, 171–174.
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rung hinweisen. Bei der Interpretation von einzelnen Schichten in einer komplexen Situation muss vorsichtig vorgegangen werden, wie bereits Thomas Fischer in Bezug auf Köln-Alteburg deutlich gemacht hat5. Auch der Charakter der Funde, die in diesen Schichten gemacht wurden, ist wichtig, da ein struktureller Zusammenbruch des Gebäudes Funde auf Böden bringt, die als Konstruktionsmaterial im Einsatz waren6. In den Schuttschichten im Heiligtum fehlen aber beispielsweise sowohl Mauerwerk im Verband und Brandreste in größeren Mengen wie auch Dachziegel – und damit Hinweise auf den Einsturz von Gebäuden. Die Brandspuren in den Osträumen könnten aber in Zusammenhang mit gewissen rituellen Tätigkeiten stehen, die während der Aufgabe von Phase 2.2 stattgefunden haben. Obwohl das least-effort-Modell in der so genannten „curate behaviour“ eine große Bandbreite an archäologischen Fundkomplexen erklären kann, kommt eine weitere Kategorie der „Rituellen Formationsprozesse“ hinzu, die in einer Deponierung resultiert, die deutlich von den Erwartungen eines least-effort-Modells abweicht. Rituelle Formationsprozesse resultieren häufig in speziell angereicherten Befundkomplexen, die leicht mit ergiebigem de facto-Abfall zu verwechseln sind7. Im vorliegenden Fall wurden zwei große Gruben im südlichen Teil des Heiligtums gefunden – G7 und G11, die ein charakteristisches Fundspektrum aufweisen und aufgrund dessen als Überreste von sogenannten closing rituals interpretiert werden. In diesem Zusammenhang sollen sie als Spezialfall erwähnt werden, der sich deutlich in der Verfüllung von anderen Grubenkomplexen, die als Entsorgungsgruben verfüllt wurden, unterscheidet. Sie reflektieren deutlich auf gewisse Aspekte des Kultlebens. So bestand die deponierte Keramik nur aus einer kleinen Auswahl an Trinkgefäßen. Passscherben wurden in verschiedenen Verfüllungsschichten gefunden, was auf einen Verfüllungsvorgang hinweist. Zusätzlich waren Schichten von Tierknochen, Glasbechern und sogenannten Schlangengefäßen, die ebenfalls auf rituellen Gebrauch hinweisen, vorhanden allerdings keine Architekturbestandteile oder größere Wandmalereifragmente8. Während eines geplanten Abbruchs und Neubaus ist zu erwarten, dass Innen- und Außendekor der Gebäude entfernt wurden, da sie hohe Ersatzkosten nach sich ziehen, tragbar und gut weiterverwendbar sind – sie daher hohe Priorität bei der Bewahrung haben, wie Schiffers Theorie der Curate Behaviour feststellt9, während tatsächlicher Abfall wohl beseitigt worden wäre. Nach Schiffer wird ein Gebäude, dessen Fundkomplexe über Gehniveau viele tragbare, wertvolle und/ oder wieder verwendbare Objekte beinhalten, typischerweise rasch und ungeplant verlassen worden sein. Im Gegensatz dazu deutet eine Fundzusammensetzung, die durch Kuratierung stark dezimiert ist – z. B. eine nur mit großen oder bereits beschädigten Objekten – auf ein langsames und geplantes Verlassen hin10. Die Steine und Steinfragmente in den Planierschichten des Heiligtums sind klein, lose verstreut und unregelmäßig verteilt. Es zeigen sich keine Konzentrationen großer Blöcke. Spezielle Fragmente von Architekturdekoration des Tempels und der Portiken der beiden ersten Phasen sind Reste von Teilen, die für die Wiederverwendung in der folgenden Bauphase durch Abschlagen und Blockzurichtung aufbereitet wurden. Auch die sorgfältige Entfernung von Wandmalerei, die in Gruben entsorgt wurde, kann in diesem Sinne als Vorbereitung der Steinblöcke für die Wiederverwendung gesehen werden. Siehe dazu unten. Es scheint jedenfalls, dass Teile der Steindekoration während des Abbruchs entfernt und später wieder verwendet wurden. Bei den festgestellten Schuttschichten handelt es sich also eher um Planierschichten, um den Bauplatz für die Errichtung des neuen Tempels B herzurichten. Dem entspricht, dass sich nur kleinteilige Architekturfragmente (Abb. 3) und Baukeramik im Material feststellen lassen. Daraus ist zu schließen, dass die älteren Gebäude aufgegeben und intentionell am Ende von Phase 2.2. abgebrochen wurden. 5 6 7 1991,
Fischer 2005, 162–163. Schiffer 1985, 1996; LaMotta – Schiffer 1999, 25. LaMotta – Schiffer 1999, 23 referring to Szuter 219.
8 Zur Weiterführung: Gassner in Druck. 9 LaMotta – Schiffer 1999, 22. 10 LaMotta – Schiffer 1999, 22–23.
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Die Stratigraphie zeigt verschiedene Mechanismen für Recycling und Wiederverwertung von Baumaterial und Schuttentsorgung. Bereits Ertel stellte während der Bearbeitung der Architektur des Heiligtums fest, dass Teile von Architekturelementen, die nicht in ihrer Originalform wiederverwendet werden konnten, überarbeitet wurden, indem vorstehende Teile abgeschlagen wurden, sodass ein Steinblock übrig blieb, der verbaut werden konnte. Die Reste, die nicht verwendbar waren, endeten in Abfall und damit im archäologischen Befund 11. Einfache Bauquader wurden ebenso wiederverwendet wie jene Teile, von denen Wandmalerei und Verputz abgeschlagen wurden. Der Abfall wurde in Gruben entsorgt, die durch den Abbruch von Strukturen erst entstanden sind. Ein Beispiel dafür ist Grube G19, eine quadratische, 464 m große Fundamentgrube zentral in Hofareal C. Am Ende von Phase 2.2 wurde das Monument komplett entfernt und die Grube mit Schutt und Architekturfragmenten verfüllt, danach das Gelände planiert. Einige der Gruben wurden auch eigens für die Entsorgung gegraben, wie G1, G3 und G6 (Abb. 4) entlang der Mauern von Hofareal C. In ihnen wurden hauptsächlich Architektur- und Wandmalereifragmente gefunden. Auffällig waren die Unterschiede im Verfüllungsmaterial. Manche Gruben waren nur mit Steinfragmenten und Architekturresten verfüllt wie G19 und G3, andere mit Wandmalereifragmenten wie G6. Daraus lässt sich vielleicht auf verschiedene Arbeitstrupps schließen – einige spezialisiert auf die Vorbereitung der Quader für die Wiederverwendung, andere einfach zum Abschlagen des Putzes eingesetzt. Die Entsorgung der Architektur- und Wandmalereifragmente in Gruben nahe der ursprünglichen Gebäude stellt einen glücklichen Umstand für die Forschung dar, weil es zumindest teilweise eine Rekonstruktion von Architekturausstattung und Innendekoration der Heiligtumsgebäude ermöglicht12. Eine exakte Datierung dieser Reorganisierung ist nicht einfach zu geben13: Wenn man die Funde aus den beiden Ritualgruben in engem Zusammenhang mit der Reorganisation hernimmt, lässt sich aufgrund der Datierungsproblematik der Rheinzaberner Terra Sigillata nur ein Deponierungszeitraum zwischen 170/80 bis 220 n. Chr. herausarbeiten. Die Gebäude wären logischerweise davor abgebrochen worden14.
1 1 So fanden sich plastisch ausgeformte SchneckenVoluten, die Ertel der Dekoration von Tempel A zuordnet, fast ausschließlich in Grube G3 und G19. Vgl. Ertel 1991, 282–284. 291–297. Eine Steinlage in Hofareal C (SE 426) enthält in erster Linie wenig aussagekräftige Teile von „Architektur“. Das sind vor allem abgeschlagene Ecken von Quadern und Ähnliches, nur wenige Reste von Bauornamentik und einige Altarteile. Ertel charakterisiert dieses Material so: „Steinlage, die offensichtlich vom Arbeitsplatz der Steinmetzen zurückblieb, an dem aus alten Altären und Architekturstücken Baumaterial zurechtgeschlagen wurde“. (Ertel 1991, 266) Nach freundlicher Mitteilung G. Kremer könnte dies wohl zutreffen. 12 Die Entsorgung und Deponierung von ungebrauchtem Material wurde häufig im Kontext der Untersuchungen am Handrainswall festgestellt – so beispielsweise in Ichtuthil durch Pitts und Joseph und später Bishop und Coulston. Pitts – Joseph 1985, 109–113; Bishop – Coulston 1993, 34. 13 Einerseits das ungelöste Problem der Datierung der Rheinzaberner und Westerndorfer Terra Sigillata (zu De-
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tails siehe Eschbaumer – Radbauer 2007), andererseits die laufende Diskussion über die Wertigkeit von Münzfunden – besonders das Fehlen von kleineren Nominalen der Bronzewährung des frühen 3. Jahrhunderts n. Chr. in Carnuntum (zu Details siehe Vondrovec 2007; Pfisterer 2003, 139–140). 14 Für Informationen zur Datierung von Terra Sigillata sei P. Eschbaumer und S. Radbauer gedankt, die sich mit dieser Fundkategorie beschäftigen. – Ähnliche Objekte und Schuttschichten wurden bei den Ausgrabungen im westlichen Teil des Auxiliarkastells in Carnuntum festgestellt, wo massive Planierschichten unterhalb der Gebäude der Severischen Periode andere Schichten, die mit der Zerstörung des Lagers in Verbindung stehen, bedeckten. Auch dort treten ähnliche Probleme in der Datierung dieser Schichten auf, da die Ausgrabungen 1978 bis 1983, parallel zu denjenigen auf den Mühläckern, stattfanden und die damaligen Grabungsmethoden Funde verschiedener Schichten vermischten. (Weiterführend siehe Jilek 2005, 167 mit Anm. 9).
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Wandmalerei als Fallstudie Die Wandmalerei eignet sich gut um Überlegungen zu Zerstörung oder Abbruch zu vertiefen, da gerade sie aufgrund der strukturellen Verbindung zwischen der Malerei und dem Mauerwerk dafür prädestiniert scheint15. Die Kategorisierung in 31 Dekorationsgruppen ergab die Möglichkeit, auch aus dem sehr fragmentierten Material Dekorsysteme zu rekonstruieren. Mittels stratigrafischer Analyse wurde versucht, diese Dekorationen einzelnen Gebäuden zuzuweisen. Kann damit aber auch der Charakter der Zerstörung oder des Abbruchs definiert werden ? Die Analyse ergab Kategorien von Dekoren, die sich in Herkunft, Aussehen und Zusammensetzung der Fragmente unterscheiden. Die bestmögliche Kategorie der in situ-Komplexe fehlt – dem stratigraphischen Befund entsprechend – im Heiligtum16, da keine Mauern höher als Bodenniveau erhalten sind. Zur Zeit lassen sich für die Bauphase 2.1 und 2.2. drei Kategorien von Kontexten unterscheiden (gegliedert nach Verteilung der Fragmente, horizontaler Funddichte, Oberflächengröße und Fragmentierungsgrad)17: – Kategorie: Malereien aus Planierschichten, die von einer nicht näher spezifizierten Reorganisation herrühren, (1 a)18 und Malereien aus Abfallgruben (1b), die mit einem geplanten Abbruch verbunden werden können. Diese Kategorie ist relevant für die Fallstudie und soll näher diskutiert werden. – Kategorie: Malereien aus Gruben, die während Kultvorgängen verfüllt wurden (G7 und G11) in denen sehr kleine Reste von Dekorationsgruppen gefunden wurden, die keinem Gebäude zugewiesen werden konnten. – Kategorie: so genannte „residuals“ die über das gesamte Areal verstreut waren und häufig umgelagert wurden. Zwei Dekorationen der ersten Kategorie (12 und 19) dienen als Beispiele, um die Komplexität des Problems darzustellen: Aufgrund der Stratigraphie konnte festgestellt werden, dass beide Dekorationen am Ende von Periode 2.2 in Verwendung standen. Dekoration 12 besteht aus zahlreichen und hauptsächlich aus großen Fragmenten mit gelbem Untergrund. Die Rekonstruktion (Abb. 5) zeigt Ranken in weißem Stuck mit weißer Malerei auf gelbem Grund19. Man erkennt Stängel und Blätter ohne genaue Form – vielleicht Weinblätter. Ähnliche Beispiele sind aus Aquincum in Pannonien bekannt20. Ein Fragment deutet die Verbindung der Ranken mit Akanthusblättern an. Der gelbe Untergrund verbindet auch Teile der Stuckleisten und mittelgroßer Stucksäulen oder Pilaster mit dieser Dekoration21. Die Fragmente waren weit verteilt in der Schuttschicht um Tempel A. Die erhaltene Oberfläche von etwa 5000 cm² scheint auf den ersten Blick unbedeutend, aber sie besteht aus mehr Fragmenten als alle anderen Dekorationsgruppen unter Ausnahme von Dekor 19 im Nordosten. Die Planierschicht enthielt andere Reste von Baumaterial wie Ziegel- und kleine Steinfragmente sowie Keramik. Während der Planierung des Schuttes wurde die Wandmalerei wie alle anderen Reste rund um das Tempelareal verteilt (Abb. 7). Die fast ausschließliche Konzentration von Dekor 12 in diesen Schichten weist darauf hin, dass die Reste eines absichtlich oder unabsichtlich zerstörten Gebäudes, das mit Ranken auf gelben Grund dekoriert war, verteilt wurde, um Platz für den Bau 1 5 Die folgenden Ausführungen sind eine Zusammenfassung der Beiträge zur Wandmalerei aus dem Heiligtum, Steigberger – Tober 2013; Gassner u. a. 2011, bes. 150– 165. 16 Tober 2003; Tober 2010. 17 Gassner u. a. 2011. 18 Eine vergleichbare 35–50 cm starke Planierung aus überwiegend Mörtelbrocken mit Bruchsteinen, Lehm und
Keramik bildet den Untergrund für die Errichtung neuer Bauten mit veränderter Ausrichtung: Vgl. Gugl 2007, 54. 19 Tober (in Vorbereitung); Gassner u. a. 2010, 15– 16, F. 33 Abb. 5; Gassner u. a. 2011. 20 Madarassy 2004, 295–296 Abb. 7, 6–7; Parragi 2004, 292–294. 2 1 Gassner u. a. 2011 Abb. 23 und 24.
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von Tempel B zu schaffen. Die Absicht ist klar, aber der primäre Grund für den Hergang kann nicht durch die Analyse der Wandmalerei festgestellt werden. Dekor 12 schmückte aufgrund der hohen Konzentration der Fragmente in diesem Areal (Abb. 7) vermutlich Tempel A, die mittlere Säulengröße weist auf eine Innendekoration hin. Dekoration 19 wurde als Zaun rekonstruiert (Abb. 6), der aus roten Rahmen und imitierten Metallscheiben an den Kreuzungspunkten besteht. Aus den Zwischenräumen wächst grünes Blattwerk22. Es lassen sich mindestens vier Abschnitte des Zauns rekonstruieren, der etwa 59 cm hoch war und damit etwa 2 römischen Fuß entspricht. Zäune dieser Art sind typisch für Gartenmalereien, wie von einem sehr ähnlichen Beispiel aus Pannonien – dem Hof der römischen Villa von Balacapuszta in Ungarn23 – bekannt ist oder vom Mitreo delle Sette Porte in Ostia24. Die Dekoration ist definiert durch große und zahlreiche anpassende Fragmente, die insgesamt eine sehr gut erhaltene Oberfläche von insgesamt etwa 1,6 m² ergeben. Die Anpassungen deuten darauf hin, dass der Putz nicht weit verbracht oder häufig umgelagert wurde. Im Gegensatz zu Dekor 12 wurden fast alle Fragmente in einer großen Grube, G6, gefunden, die in der SüdwestEcke von Hofareal C gelegen ist (Abb. 7). Die Verfüllung enthielt fast keinen anderen Schutt und es wurden kaum Fragmente an anderer Stelle etwa in Planierschichten gefunden. Daher scheint es wahrscheinlich, dass diese Dekoration systematisch von abgebrochenen Mauern abgeschlagen und dann in der Grube entsorgt wurde – möglicherweise als Ergebnis der Steinwiederverwendung. Dekoration 19 kann vielleicht mit Hofareal C in Verbindung gebracht werden – einerseits wegen der Fundkonzentration in diesem Bereich andererseits wegen des Dekorsystems, denn Gartenmalereien scheinen eine beliebte Dekoration für geschlossene Höfe gewesen zu sein. Im Kontext privaten Wohnens erzeugen sie einen imaginären, offenen Raum mit Pflanzen hinter einem Zaun, wie die Dekorationen in den Höfen von Hanghaus 2 in Ephesos oder Balacapuszta in Ungarn belegen25. Die Analyse von Wandmalerei in Verbindung mit einer stratigraphischen Analyse zeigt letztendlich nicht nur Ergebnisse in Form schöner Rekonstruktionen, sondern kann als wesentlicher Bestandteil von römischen Gebäuden helfen, geplante Demolierungen nachvollziehbar darzustellen und zu verstehen.
Zusammenfassung Als Ergebnis der Analyse sei festgehalten, dass das Fallbeispiel des Heiligtums als intentioneller Abbruch und geplanter Wiederaufbau zu sehen ist und nicht als Ergebnis einer plötzlichen Zerstörung. Es lassen sich Spuren eines Feuers nur kleinräumig feststellen, Funde oder vielmehr ihr Fehlen in den Schichten, die Wandmalereifragmente und die Zusammensetzung der Planierschicht geben keine Hinweise auf Zerstörung. Grubenverfüllungen zeigen Abfall vom Überarbeiten von Steinquadern für spätere Wiederverwendung und es ließen sich im nordöstlichen Teil des Heiligtums keine Wandmalereireste in situ feststellen. Daher wird von einem eigenen Entsorgungsvorgang ausgegangen. All dies deutet auf eine geplante Reorganisation des Heiligtums zu Beginn des 3. Jahrhunderts hin. Abbildungsnachweis Alle Abbildungen ÖAW, Institut für Kulturgeschichte der Antike, Wien. Abb. 3: Foto G. Kremer Rekonstruktion der Wandmalerei von B. Tober
22 Tober (in Vorbereitung); Gassner u. a. 2011; Gassner u. a. 2010, 19–21. 34 Abb. 7. 23 Palágyi 2004, 275 Abb. 12; 276.
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24 Becatti 1953, 96 Taf. XXII, 1–2. 25 Gassner u. a. 2011, 162–163.
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Abb. 1: Plan des Heiligtums, Maßstab 1:500
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Abb. 2: Detail der Bauphasen 2.1 and 2.2
Abb. 3: Altarfragment aus Grube G3, o. Maßstab
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Abb. 5: Rekonstruktion von Dekoration 12
Abb. 4: Grube G6 nach Westen
Abb. 6: Rekonstruktion von Dekoration 19
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Abb. 7: Verteilung der Fragmente von Dekoration 12 und 19 (Oberfläche in cm²)
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Noreia – Atlantis der Berge ? Auch ein Beitrag zur Frage wissenschaftlicher Ethik Karl Strobel In jüngster Zeit hat P. Gleirscher, „Mythenknacker“ und „Österreichs größter Spielverderber“ (so im Interview Kleine Zeitung 20.6.2010), mehrfach in der Presse den Vorwurf erhoben, H. Dolenz sei als der für den Magdalensberg zuständige Ausgräber „wissenschaftlich überfordert“ und fröne einem „Keltenwahn“1. Dabei ist gerade Gleirscher, der als wissenschaftlich Verantwortlicher für die „Keltenwelt“ im frühhallstattzeitlichen Frög2 auftritt („vor rund 3000 Jahren begruben Kelten [!] in Frög ihre Toten mit kostbarem Schmuck und Waffen unter riesigen Grabhügeln“, „das Frög der Kelten [sic !] war eine erste Hauptstadt Kärntens“, „Feuerzeremonie am rekonstruierten heiligen Hain der Noreia“, „Zaubertrank und Keltengräber“ etc.), geschichtsverfälschende Keltomanie und Kniefall vor der neokeltischen Esoterik und einem zwar oft enthusiastischen, aber zu einem falschen Geschichtsverständnis à la Asterix führenden Re-enactment (natürlich mit finanziellen Interessen im Hintergrund) vorzuwerfen3. In Frög findet sich ein extremes Beispiel von erfundenem Keltentum4. Dort zeige man mit Fürstenhalle, Kultstätte, Heiligem Hain, Orten der Kraft „Lebensweise, Kult, Weltbild und Gesellschaftsstruktur unserer Vorfahren“, die natürlich unter dem Etikett „Kelten“ verkauft werden5. So erscheint in Gleirschers „Mystisches Kärnten. Sagenhaftes – Verborgenes – Ergrabenes“ (2006) der „heilige Hain für die Muttergottheit Noreia“ im archäologischen Park der „Keltenwelt Frög-Rosegg“ unter dem Kapitel „Im Schutze der Göttin Noreia“, einer Zusammenfassung seiner in der Fachwelt zu Recht abgelehnten Thesen zur Göttin, im Bild, und zwar mit dem Anspruch, originalgetreu nachgebaut zu sein. Zugleich wird dem Leser suggeriert, dass die Göttin Noreia bereits mit Frög und seiner Epoche sicher zu verbinden sei. Den Anspruch, ein abschließendes Wort zum Thema Noreia zu sprechen, erhebt Gleirscher schließlich in seinem Buch „Noreia – Atlantis der Berge. Neues zu Göttin, Stadt und Straßenstation“ (2009), in gewisser Weise das Begleitbuch zu der erwähnten Fernsehproduktion; „Die Favoritin: Die große Höhensiedlung auf der Gracarca am Klopeiner See“6. Um dies zu begründen, fährt Gleirscher eine dreifache Strategie: Einmal darf es keine keltische Siedlung auf dem Magdalensberg geben, zum anderen wird mit einer Serie von philologisch, 1 Kronenzeitung 19.10.2011, 14 f. („In Deutschland werde der Magdalensberg bereits wieder aus den Büchern genommen, weil keine [sc. Kelten] oben waren …“). 2 Endet ca. 550 v. Chr. Gegenüber Gleirscher 2011 weiterhin maßgebend Tomedi 2002 (trotz Gleirschers Polemik in Germania 83, 2005, 418–422, wo er übrigens das Fehlen von reguli und entsprechenden Großgrabhügeln in Frög selbst feststellt und damit die Bedeutung ins zweite Glied zurückstuft !). Dass Gleirscher Grabungen des BDA und deren Wirkung auf den vom ihm nochmals ergrabenen Befund verschweigt, ist doch sehr befremdlich. 3 . Auf der Esoterikwelle schwimmt Gleirscher vor allem bei Vorträgen vor Nichtfachleuten, bis hin zur religiösen Deutung der Schalensteine als „Vulva“ anhand einer prädynastischen Statue des ägyptischen Gottes Min, der aber bekanntlich als ityphallischer, sich aus sich selbst erzeugender Ur- und Schöpfergott die Welt durch Samenerguss durch eigene Hand schafft.
4 Bezeichnend die TV-‚Dokumentation‘ „Noreia – Atlantis der Alpen“ (Mai 2009). Natürlich ist es legitim, wissenschaftliche Information touristisch aufzubereiten und zu vermitteln. Die Grenze muss aber dort gezogen werden, wo es zur Verfälschung und Geschichtsklitterung kommt. Zur Problematik solcher ‚heiliger Haine‘ vgl. Penz 2008 („keltomane Esoterik“). 5 Aktuelles Plakat 2012: „Keltenwelt – Freilichtmuseum Frög-Rosegg: Götter, Gräber und Geschichte in Kärntens erster Hauptstadt“ – Kooperationspartner Landesmuseum Kärnten (Abt. Ur- und Frühgeschichte). 6 Erklärung gegenüber dem Österreich Journal , er sei endgültig zu dem Schluss gekommen, dass sich das viel gesuchte Noreia auf der Gracarca, einer umfangreichen Höhensiedlung von naturhafter Wehrhaftigkeit, liege und die Qualität der Funde die Gracarca als das Zentrum der Noriker und als deren Hauptort definieren würden.
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historisch und geographisch wenig überzeugenden ‚Hilfskonstruktionen‘, um es neutral zu formulieren, versucht, die vorhandenen antiken Angaben für seine Gracarca-These einzubringen7. Und zum dritten werden Funde ungeklärter Herkunft bedenkenlos der Gracarca als Beweise zugeordnet. Dazu im Folgenden. Seine These8, die vorrömischen Wallbefunde am Magdalensberg seien eine „türkenzeitliche Befestigung“, ist durch die Grabungen 2009–20109 endgültig ad absurdum geführt, ebenso seine unsachliche Detailkritik. Der nördliche Annexwall wurde auf der Innenseite von einer befestigten Straße begleitet, die in einer Serpentine zum Hauptwall hinaufführte; Vorwall und Straße wurden durch die bald nach der römischen Okkupation 16 v. Chr. zum Gipfel geführte Straßenrampe mit ihrer massiven hangseitigen Terrassierungsmauer geschnitten bzw. überbaut. Über diese Straßenrampe wurde offenkundig das Baumaterial aus den Steinbrüchen zur Gipfelbebauung herangeschafft. Das Steinmaterial der Trockenmauern der Vorwallbekrönung wurde wahrscheinlich in der Straßenrampe verbaut. Nun kann Gleirscher seine wenig überzeugenden Versuche aufgeben, Wallbefunde renommierter Kollegen von O. Urban bis G. Ulbert, eigene frühere Publikationen eingeschlossen, umzudatieren. Befremdlich ist es, dass Gleirscher seine Nachgrabung in dem von F. X. Kohla bereits 1966 bis auf das Skelett weitgehend geborgenen Grab eines reich ausgestatteten Reiterkriegers der Zeit um 700 n. Chr. mit enormen Mediengetöse zum „kolossalen Grabfund auf der Gracarca“ eines „Karantanenfürsten“ gemacht und dabei sowohl den eigentlichen Ausgräber Kohla unterdrückt als auch dessen Funde als seine eigenen vorgestellt sowie die maßgebliche Analyse des Materials durch E. Szameit und P. Stadler verschwiegen hat10. Ja er hat bereits restaurierte und publizierte Fundstücke bei dem Skelett erneut eingegraben und dann beim Besuch des damaligen Landeshauptmannes Haider medienwirksam ‚frisch geborgen‘, wie eine reiche Fotodokumentation belegt.
Noreia – Ein Mythos wie Atlantis ? Fragen wir uns, was wir über einen Ort mit Namen Noreia wissen, was ihn in der Antike bekannt machte. Die Antwort ist ernüchternd: Nichts, außer dass in seiner Nähe im Jahre 113 die Römer ihre erste Niederlage gegen die Kimbern erlitten haben. Nur in diesem Zusammenhang gelangte die Kenntnis des Ortes zu antiken Autoren und konnte bei ihrem Publikum vorausgesetzt werden. Nirgends wird gesagt, dass dieses Noreia die Hauptstadt des vorrömischen Regnum Noricum gewesen wäre, nirgends erscheint es als Zentralort der Noriker, nirgends als vorrömisches Zentrum von überregionaler Bedeutung. Alle diese überzogenen Wertungen, wie wir sie gerade bei Gleirscher zusammengefasst finden, sind moderne Konstrukte. Gleiches gilt für das traditionelle, von G. Dobesch in aller Breite vertretene und von Gleirscher übernommene Bild einer frühen Staatlichkeit Noricums, verbunden mit der Annahme eines hospitium publicum mit Rom bereits im frühen 2. Jh. v. Chr. 11 Denn dieses Konstrukt basiert auf dem Axiom, dass alle Angaben bei Livius über Galli Transalpini im südöstlichen Alpenraum konkret auf Kärnten und die dortigen Noriker zu beziehen seien, d. h. auf das Gebiet nördlich der Karawanken und dass hier mit einer frühen Form staatlicher Organisation mit Köni7 Gleirscher 2009, 73–107. 121–129. 8 Gleirscher 2007; Gleirscher 2010; Gleirscher 2012. 9 Dolenz 2011. 10 Siehe Österreich-journal 14. 8.2003; Pressemitteilungen und Artikel in Kronenzeitung und Kleiner Zeitung, Webseiten ; . Grabungsfoto Kohlas bei Gleirscher 1996 b, Abb. 6. Dazu ausführlich Eichert 2010 a, 160–164; 2010 b unter Betonung der allein maßgebenden Aufarbei-
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tung durch Szameit – Stadler 1993; Szameit 1994. 1 1 Dobesch 1980. Hier wird das Regnum Noricum als keltisches Stammesreich gezeichnet, als ein bis zur Donau ausgedehntes hegemoniales System unter der Führung des Stammes der Noriker, wobei 186/183 v. Chr. das Fehlen eines „Alpenkönigtums“ und eine Führung durch seniores, eine keltische Adelsrepublik, zu erkennen seien, dann jedoch eine monarchische Führung.
Karl Strobel
gen und Principes sowie der Ausbildung eines ‚Stammesreiches‘ der Noriker zu rechnen sei. Dass sich hierfür archäologisch im 3. und 2. Jh. v. Chr. keinerlei Anhaltpunkte finden lassen, ist heute klar erkennbar, und die immer wieder zitierten Livius-Stellen sind auf die Taurisker, die Keltenverbände südlich der Karawanken, zu beziehen12. Entscheidender Unterschied zwischen Kärnten und dem Raum südlich der Karawanken im Bereich der Bernsteinstraße13 ist das Fehlen der nach 170 v. Chr. nicht mehr geprägten und mit der Reform von 141 v. Chr. aus dem Währungssystem genommenen Victoriaten, obwohl diese im angrenzenden Norditalien und insbesondere nördlich des Po in großer Zahl umliefen und, wie der Hort von Enemonzo zeigt, Kugelreitertetradrachmen und Victoriaten auch im venetischkarnischen Kontext gemeinsam verfügbar waren14. Demnach bestanden noch um die Mitte des 2. Jh.s v. Chr. keine engeren und direkten Beziehungen des Kärntner Raumes zum Wirtschaftsbereich der Italiker. Der Handel wurde offensichtlich von den Venetern und den Karnern, die sich ebenfalls des venetischen Alphabets bedienten, kontrolliert und vermittelt; man braucht nur an die bekannten venetischen Inschriften vom Plöckenpass und vom Findenig Törl sowie an die Votivbleche von der Gurina denken, zu denen nun auch ein Graffito vom keltischen Heiligtum des Oppidums Frauenberg bei Leibnitz15 kommt. Die nordtauriskische Machtbildung des 1. Jh.s v. Chr. mit dem neuen zweiten politisch-wirtschaftlichen Zentrum Virunum auf dem Magdalensberg neben Celeia, welche von römischer Seite als Regnum Noricum bezeichnet wurde, hat nie den Tauernhauptkamm oder die Seetaler Alpen bzw. Pack- und Koralpe überschritten16. Die Ausdehnung bis zur Donau unter Einschluss der Steiermark (Frauenberg/Flavia Solva) erfuhr erst die provincia in regno Norico in der römischen Neuordnung 15/14–12/8 v. Chr. Auch die Verbindung Noreias mit Gold- und Eisenvorkommen erweist sich als sekundäre Quellenlage. Strabon 4, 6, 12 aktualisiert den nach Polybios gegebenen Bericht über ein reiches Goldvorkommen bei den ‚norischen Tauriskern‘ durch die Hinzufügung, dass jetzt alle Goldminen unter römischer Verwaltung seien und neben dem Berggold wie in Spanien aus den Flüssen Goldsand gewonnen werde. Da Strabon für sein verlorenes Geschichtswerk nur ein Noreia aus dem Zusammenhang der Schlacht des Jahres 113 kannte, deren Ursache aber mit den Norikern verbunden fand, führte er in der oft diskutierten Stelle 5, 1, 8 (C 214) einen aktuellen Zusatz aus seinem bzw. seiner Zeitgenossen Wissen über die Bodenschätze der Noriker ein: Diese Gegend (!) hat ergiebige Goldwäschereien und Eisenverhüttung. Dies kann somit nicht für eine Lokalisierung Noreias herangezogen werden. Caesars Charakterisierung jener Boier, welche die Helvetier für ihren Zug 58 v. Chr. als Bundesgenossen aufgenommen hatten, sollte die Gefahr für Roms Besitz und Interessen, die von der Aggressivität dieser Keltengruppen ausgehen würde, bei den Lesern in Rom unterstreichen (b. G. 1, 5, 4: Boiosque, qui trans Rhenum incoluerant et in agrum Noricum transierant Noreiamque oppugnarant, receptos ad se socios sibi adsciscunt)17. Die Charakterisierung der Boier erfolgt auf zwei Ebenen, einmal die geographische Einordung: sie hatten ihre Heimat jenseits des Rheins gehabt, sodann ihre aggressiven Akte in jüngerer Vergangenheit, und zwar gegen historische Größen, die in Rom als bekannt vorauszusetzen waren: a) sie waren aus ihrem Gebiet in das norische Territorium hinübergegangen (Kurzformel für e suis finibus transire) und b) sie hatten Noreia bestürmt. Damit stellt Caesar für den römischen Leser eine klare Parallele zu den Kimbern im Jahre 113 v. Chr. her18. Das ist das augenfällige Ziel seiner Darstellung, und es ist deshalb anzunehmen, dass er dazu eine in Wirklichkeit unhistorische Bestürmung Noreias seinem Konstrukt hinzugefügt hat. Denn dieser nach Westen gewanderte boische Stammesteil hatte nichts 12 Strobel 2012; Strobel 2013 b. 13 Miškec 2003; Strobel 2014. 14 Gorini 2005. 1 5 Stifter 2009. 16 Vgl. Strobel 2008; Strobel 2010; Strobel 2011; Strobel 2013 a; Dolenz – Strobel 2009.
17 Vgl. auch Dobesch 2001, 775–780, ebd. zur eindeutigen Überlieferung oppugnarant. 18 Zur Beschwörung der Erinnerung an Kimbern und Teutonen vgl. Caes. b. G. 1, 33, 4; 1, 40, 5; 2, 4, 2; 2, 29, 4; 7, 77, 12–14.
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mit der militärischen Machtausdehnung von Boiern in dem pannonischen Raum zu tun, wo sie unter ihrem König Ekretosiros in einem Bündnis mit den Tauriskern (!) ihre Macht über die mittlere Donau auszuweiten suchten und dabei in den letzten 50 er Jahren des 1. Jh.s v. Chr. am Marisos (Mureş) mit dem Dakerkönig Burebista zusammenstießen19. Von diesem wurden beide Mächte vernichtend geschlagen, wobei auch die Machtstellung der Taurisker im südlichen Pannonien beseitigt wurde. Einen Schlüsseltext zur Noreia-Frage20 bildet Strabon 5, 1, 8 (C 214). Ausgangspunkt ist die Beschreibung der Lage Aquileias außerhalb des Territoriums der Veneter und die Angabe, dass der Grenzfluss zwischen beiden aus den Alpen komme. Gegenüber der bisherigen Deutung der Stelle hat R. Porod (2010) zu Recht betont, dass die Emendation des eindeutig überlieferten καί abzulehnen ist, woraus sich nicht eine Entfernungsangabe von 1200 Stadien (nach attischem Maß 213 km, nach römischem 222 km) ergeben würde, sondern zwei getrennte, einmal 200 und dann 1000 Stadien. Es seien demnach 1000 Stadien bis Noreia, und der Fluss sei darüber hinaus noch 200 Stadien schiffbar. Fehl geht Porod, wenn er den Grenzfluss als Piave identifiziert und den Ort der Schlacht im Raum von Belluno lokalisiert. Die Piave war natürlich nicht bis zu ihrer Quelle schiffbar und nie die Grenze zwischen Aquileia und den Venetern. Zudem widerlegt H. Grassl21 Porods philologische Interpretation; die auch an anderer Stelle zu belegende Ausdrucksweise (chiastisch gestellte Partizipien und attributiver Genetivus qualitatis) ergibt eine Distanzangabe von 1200 Stadien (zusammengesetzte Kardinalzahl mit ἐπί). Strabons Text bietet fünf Angaben: a) Aquileia liegt außerhalb des Gebietes der Veneter. b) Die Grenze wird durch einen Fluss gebildet, der aus den Alpen kommt; dieser kann nur der Tagliamento (Plin. n. h. 3, 126–127) sein. c) Dieser Grenzfluss wird charakterisiert: Er ist schiffbar (ἀνάπλουν ἔχοντι), und (καί) die Entfernung bis zur Polis Noreia beträgt 1200 Stadien; diese Distanzangabe braucht überhaupt nicht auf den Lauf des Flusses bezogen zu werden. d) Dieses Noreia ist der Ort der Niederlage des Cn. Papirius Carbo (ähnlich Strab. 6, 1, 11). e) Diese Gegend hat ergiebige Goldwäschereien und Eisenverhüttung. Strabon, der seine Geographie als Ergänzung seines verlorenen Geschichtswerkes geschrieben hat, stellte die Informationen über den Grenzfluss zwischen den Venetern und Aquileia selbst zusammen, wobei die gerundete Distanzangabe von 1200 Stadien dem Marsch des Konsuls von der Grenze des Venetergebietes bis zum Ort der Schlacht entsprechen dürfte. Die Verbindung dieses Noreia mit einer Region von Goldwäscherei und Eisenverhüttung ist Strabons Zusatz aus seinem Wissen über die Bodenschätze der Noriker. W. Vetters (2010) konnte den von Strabon (4, 6, 12) nach Polybios (34, 10, 10–14) gegebenen Bericht über ein reiches Goldvorkommen bei den „Tauriskern, und zwar den Norikern unter diesen“ – letzteres Strabons eigene Präzisierung – überzeugend auf die sekundären Lagerstätten im Lavanttal beziehen. Strabon baute den Polybios-Text offensichtlich verkürzt mit dem geographischen Hinweis „bei der Gegend bei Aquileia“ respektive „über Aquileia hinaus gelegen“ in seine Beschreibung der Alpen ein. Nach Polybios war bei den Tauriskern, eine überaus reiche Bonanza gefunden worden, welche die „Barbaren“ und Italiker offenkundig aus Aquileia über zwei Monate gemeinsam ausbeuteten. Angesichts des hoch entwickelten Standes von keltischem Bergbau und Goldgewinnung, waren dazu kaum Spezialisten aus Italien notwendig; die Rolle der Italiker ist vielmehr im Absatz des Goldes nach Italien zu sehen. Nach Polybios warfen die Taurisker die Italiker nach den zwei Monaten hinaus, als sie erfuhren, dass der Goldpreis in ganz (!) Italien um ein Drittel gefallen sei, und verkauften künftig ihr Gold alleine. Entgegen der
19 Strab. 5, 1, 6; 7, 3, 11; 7, 5, 2; zur Datierung Strobel 2005–2007, 114–115. 20 Zusammenfassend Strobel 2003, 45–55; Strobel 2013 b; zur Forschungsgeschichte Seitschek 2008 (überholt zur Interpretation der Distanzangabe bei Strabon).
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Gänzlich unrichtig Harl 2011; Strobel 2011/12. 2 1 Ich danke Koll. Graßl für die Einsicht in sein Manuskript (jetzt Graßl 2011/12), dessen Deutung nur darin abweicht, dass er die Distanzangabe von 1200 Stadien als Weg entlang des Flusses bis Noreia annimmt.
Karl Strobel
geläufigen Interpretation bietet der Text keinen kausalen Zusammenhang zwischen der Ausbeutung des Goldfundes und dem Fallen des Goldpreises; hingewiesen wird nur auf einen zeitlichen Zusammenhang. Es ist vielmehr davon auszugehen, dass der Goldpreis in Italien wegen der gewaltigen im Jahre 146 v. Chr. nach Rom strömenden Kriegsbeute gefallen ist und den Tauriskern deshalb nur mehr ein erheblich niedrigerer Preis für das Gold geboten wurde. In zwei Monaten konnte niemals so viel Gold gewonnen und nach Italien gebracht werden, um einen solchen Effekt überhaupt auszulösen. Die Einfügung dieses von Strabon zweifellos bearbeiteten PolybiosFragments22 in dessen 34. Buch und in die Beschreibung Italiens bzw. der Alpen ist keineswegs sicher. Fragment 34, 10, 15–21 übernimmt Strabon ebenfalls in einer von ihm überarbeiteten Form aus Polybios’ Beschreibung Norditaliens, und Fragment 34, 10, 8–9 (= Strab. 4, 6, 10) gehört zur Beschreibung der Besonderheiten der Alpen; es folgte ursprünglich wohl direkt auf 34, 10, 15–21. Ein Bezug von Frg. 34, 10, 10–14 zu Polybios’ geographischer Darstellung ist dagegen nicht erkennbar und eine Einordnung in die historische Darstellung der Ereignisse 146/5 bzw. 145 v. Chr. sogar wahrscheinlich23. Strabon fügte aktualisierend hinzu, dass jetzt alle Goldminen unter römischer Verwaltung seien und neben dem Berggold wie in Spanien aus den Flüssen Goldsand gewonnen werde.
Kommen wir nun zum ‚Gracarca-Phänomen‘ Was Gleirschers Versuch betrifft, die spärlichen Befunde aus seinen langjährigen Grabungen (1992–1995) wie jenen Kohlas (1950–1966) zu einer latènezeitliche Zentralsiedlung zu machen, diese noch dazu in direkte Nachfolge des späthallstattzeitlichen Herrschaftssitzes Lamprechtskogel zu stellen und als Noreia zu identifizieren24, so ist schon die Zuweisung der Eberstatuette unbekannter Herkunft („stammt die wohl qualitätvollste Eberstatuette aus der gesamten keltischen Welt mit größter Wahrscheinlichkeit von der Gracarca“)25 mehr als fraglich. Sie wurde im Jahre 1985 von ihrem Besitzer an F. Glaser übergeben, und zwar als vom Großvater aus der Gemeinde St. Kanzian ererbt. Beziehungen der älteren Familienmitglieder zum slowenischen und westungarischen Raum machen einen Fundort im Save-Drau-Gebiet durchaus möglich (Parallelen in Ungarn, Rumänien und der Slowakei). Auf der Gracarca sind lediglich spätlatènezeitliche Streusiedlungen mit handwerklichen Aktivitäten bis in die frührömische Phase zu erkennen, jedoch keine Befestigungsanlagen, vielmehr hochmittelalterliche bis frühneuzeitliche (Weinbau-) Terrassen. Alle Baubefunde datieren mit einer Ausnahme, das gemauerte römische Wasserdepot, in die Hallstattzeit26. Nach Gleirscher scheint die Besiedlung der verschiedenen Epochen auf Terrassen unterschiedlicher Größe locker über den gesamten Nordhang der Gracarca verstreut gewesen zu sein. Auch das Material aus sporadischen Oberflächenfunden seit 1927 erweitert das geringe Fundspektrum kaum. Gleiches gilt für Funde der 80 er Jahre (!) bei Neuanlage der Forststraße oder aus Windwürfen auf der Ostseite. „Ein weiterer, allerdings mit unschönen Begleiterscheinungen behafteter Fundort hat sowohl keltisches Groß- als auch Kleinsilber geliefert; es ist dies die Höhensiedlung auf der Gracarca (KG Grabelsdorf, Gem. St. Kanzian an Klopeiner See, BH Völkermarkt), die durch die Funde der ungemeldet und heimlich ins Ausland verbrachten keltischen Helme unrühmlich bekannt geworden ist“, so G. Dembski auf dem 22. Österreichischen Historikertag 1999 in Klagenfurt 27. Es handelt sich dabei um einen von H.-J. Kellner 1990 kursorisch vorgestellten Münzbestand28. Hier ist von Interesse, dass Dembski den Hortfund vom Förker Laas-Riegel der Gracarca zuord-
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Hierzu Walbank 1979, 563–571. 609–615. Strobel 2012 b. Gleirscher 2009. Gleirscher 2009, 136. Gleirscher 1993; Gleirscher 1996 a; Gleirscher
1997, 36–57; Gleirscher 1999. Eine wirkliche Vorlage des Fundmaterials fehlt. 27 Dembski 1999, 628. 28 Kellner 1990.
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net, und zwar auf Grund entsprechender Darlegungen Gleirschers unter Hinweis, dass die Fundstücke von M. Fuchs kein wirklicher Beweis für die Herkunft seien und die Raubgräber sicher an mehreren Orten in Kärnten aktiv gewesen wären. Gleirschers Nachgrabung 2005 hat aber dann gerade den dortigen Fundort gesichert29. Der angesprochene Komplex keltischer Münzen, der in München im Handel auftauchte und „vermutlich von Metallsuchern und angeblich an einer einzigen Fundstelle“ illegal geborgen worden war sowie angeblich nahezu den gesamten Fundbestand dieses Ortes darstellen soll, besteht aus 456 Kleinsibermünzen verschiedener Typen, 72 Großsilberstücken und 4 Münzen anderer Metalle (darunter eine makedonische Bronzemünze); die Stücke sind weitgehend ‚norische‘ Prägungen30 (darunter eine geviertelte und vier halbierte Tetradrachmen als Teilnominale). Unter den Kleinsilbermünzen finden sich auch zwei Obolen, die als Kleingeld parallel zum frühen Kugelreitertyp B2 geprägt sind (2. Jh. v. Chr.). Als Herkunftsangabe wurde nur „Noricum“ bekannt31. Ein Teil der Münzen, insbesondere gut erhaltene Kleinsilbermünzen, stammt offensichtlich aus einem Hort oder Großfund, die Tetradrachmen der Zeit nach 80 v. Chr. 32 wohl aus einem zweiten Hort, andere Münzen aus Sondengängen in Siedlungen. Für die ADNAMATI-Prägungen verweist Kellner auf ganz ähnliche Gepräge dieses Typs vom Biberg bei Saalfelden und vom Karlstein bei Bad Reichenhall bzw. vom Magdalensberg (Krmnicek Nr. 17–31). Auffallend ist die Zahl von 27 Münzen der sonst seltenen ECCAIO-Tetradrachmen (Magdalensberg nur drei Exemplare; Krmnicek Nr. 49–51), ebenso die elf Exemplare der Suicca-Typen33 und fünf Münzen CONGES/Co(n)gestlus34. In die 1. Hälfte des 2. Jh.s v. Chr. fällt die Tetradrachme des Typs Warasdin-VES, in die Zeit ca. 130/100 v. Chr. die Münze der TINCO-COP(P)O-Stufe. Es ist zu vermuten, dass die ganze Herkunftslegende der Verschleierung diente und Münzen mehrerer Fundorte und zeitlich ungleicher Fundkomplexe vermischt wurden. Eine Herkunft aus Nordslowenien, insbesondere Celeia/Celje, ist wahrscheinlich. Kleinsilber vom Typus Karlsteiner Art findet sich beiderseits der Karawanken; ein Teil läuft parallel zu ‚tauriskischen‘ Tetradrachmenserien. Ein wesentlicher Prägeort für Kleinsilberserien war zweifellos Celeia. Die keltischen Münzfunde aus dem heutigen Bett des Flusses Savinja umfassen über 10000 Kleinsilbermünzen, ferner eine beträchtliche Zahl von ‚tauriskischen‘ Tetradrachmen ab der 1. Hälfte des 2. Jh.s v. Chr. und ‚norische‘ Tetradrachmen ab 80 v. Chr. 35 Celeia war ohne Zweifel während LT C und D ein Zentralort der nördlichen Mokronog-Kulturgruppe. Vom Raum Celeia aus ist auch im 3. Jh. die Latènisierung Kärntens durch Träger der Mokronog-Kultur erfolgt. Das auch für Kärnten politisch dominierende Zentrum im 2. und frühen 1. Jh. dürfte hier gelegen haben. Die von Gleirscher als herausragend auf die Gracarca bezogenen Funde sind von ihm in Südwestdeutschland ohne gesicherte oder überhaupt sicherbare Herkunftsangaben angekauft. Es sind einmal Stücke aus dem Bestand eines Sammlers und Händlers in Remshalden-Geradstetten bei Stuttgart (Sammlung Kapitze), der nach Gleirschers Erklärung „vor allem keltenzeitliche Funde von der Gracarca am Klopeiner See“ erworben habe („hunderte, auch sehr qualitätvolle Stücke“); sie wurden 1995–1997 vom Landesmuseum Klagenfurt angekauft36. Die
29 Gleirscher 2005, 42. 30 Zur Problematik der modernen Kategorisierung als ‚norische‘ bzw. ‚west- und ostnorische‘ Prägungen vgl. etwa Strobel 2012; Strobel 2014. 3 1 Ziegaus 2010, 187, „angeblicher Fundort“ Gracarca mit Hinweis auf Dembski, der auf Gleirscher (1997, 57, „angeblich von der Gracarca“) beruht. 32 Zur neuen Chronologie der ‚norischen‘ Prägungen vgl. Strobel 2012; Strobel 2014. 33 Kein Stück vom Magdalensberg, eine stark abgegriffene und in der Oberflächensubstanz angegriffene
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SUICCA-Tetradrachme wurde 2001von einer Spaziergängerin an der Gracarca gefunden und dem Museum übergeben (P. Gleirscher, 2001, 37), eine Suicca-Tetradrachme als Streufund aus dem Bereich St. Michael am Zollfeld (Willersdorf ). 34 Kein Stück vom Magdalensberg bekannt. Kleinsilber in Parallele zur Großsilberprägung für Co(n)gestlus (Krmnicek Nr. 654), Eccaio (ebd. 655) und Suicca (ebd. 656–663) erscheint am Magdalensberg nur in geringer Stückzahl. 35 Tiefengraber 2011; Strobel 2013 b; Strobel 2014.
Karl Strobel
1996 in Sammelfotos mit der Herkunftsangabe „Gracarca (?)“ abgebildeten Stücke aus dieser Sammlung sind keineswegs spektakulär37. Die Stücke sind zu einem Teil 1986 in Stuttgart im Kunsthandel mit der Angabe „Gracarca“ angeboten worden, wobei damals von fachlicher Seite eine Verschleierung von Raubgrabungen im südwestdeutschen Raum vermutet wurde. Es ist anzumerken, dass dieser Sammler und Händler einschlägige Verbindungen nach Ober- und Niederösterreich sowie insbesondere in die Steiermark hatte. Gleirscher spricht 1993 und 1996 selbst noch von nicht generell vertrauenswürdigen Fundortangaben und von der anzunehmenden Vermischung mit Fundgut anderer Fundorte, wobei er davon ausgehen möchte, dass doch „ein Gutteil“ von der Gracarca oder ihrem Umfeld oder zumindest aus dem Unterkärntner bzw. Kärntner Raum (sic !) stammt. Der Widerspruch zu seinen späteren Behauptungen ist evident. Es ist wohl kein Zufall, dass das von ihm angekaufte Material bis heute nicht vorgelegt worden ist. Noch dubioser sind die Herkunftsangaben für Stücke, die er 2002 in Deutschland angekauft hat und für die er bis heute keine genaueren Angaben macht, sie jedoch in Gracarca-Museum in Klopein der Öffentlichkeit präsentiert. In diesem Zusammenhang darf auf die große Menge von Funden hingewiesen werden, die in den 80 er- und 90 er-Jahren aus der Großsiedlung Roseldorf, aber auch aus Slowenien, Ungarn und Kroatien in den Handel gelangt sind. Davon abgesehen dürfen Fundstücke, die über mehrere Stationen des schwarzen und grauen Marktes mit den bekannten verschleiernden Herkunftsangaben in private Hände gelangt sind, in einer wissenschaftlich korrekten Vorgehensweise niemals als konkreter Fundbestand eines ganz bestimmten Fundortes ausgegeben werden, wie es Gleirscher getan und sogar mit tatsächlich auf der Gracarca geborgenen Material vermischt hat. Dass sich die Gracarca wohl besonders gut für verschleiernde Herkunftsangaben geeignet hat, dürfte in der Tatsache begründet liegen, dass Kohla seinerzeit von einem Fürstensitz und großen Wallsystemen gesprochen hat, woraus sich rasch die Vorstellung einer versunkenen keltischen Stadt zu verbreiten begann – und sich auf der anderen Seite die archäologische Erforschung und das dort nachgewiesene bescheidene Material nicht geeignet waren, entsprechende Herkunftsangaben zu überprüfen. Betrachtet man das Material näher, soweit es durch Gleirschers Abbildungen und die Stücke im GracarcaMuseum in Klopein bekannt ist, so fällt zum einen auf, dass sich dort in den angekauften Stücken kein hallstattzeitliches Material befindet, bzw. zum anderen, dass gerade kein hallstattzeitliches Material mit der Angabe „Gracarca“ im Handel aufgetaucht ist, obwohl die Hallstattzeit nach dem archäologisch aufgedeckten Befund deren eigentliche Blütezeit gewesen ist. Das hätten Sondengänger sicher nicht ausgesondert, sondern als Konvolut mit verkauft. Zum anderen stammen besonders hervorstechende Stücke wie die beiden erst 2002 angekauften hallstattzeitlichen (!) Fibeln, die für die Bedeutung der latènezeitlichen Gracarca bildlich in Anspruch genommen werden, oder auch Wagenteile mit einiger Sicherheit aus Gräbern und nicht aus Sondengängerfunden im Siedlungsbereich. Es ist im Übrigen bezeichnend, dass auch der große Hortfund von über 700 Kugelreitertetradrachmen, der sich heute im Nationalmuseum in Ljubljana befindet und dessen Herkunft aus dem Raum Novo mesto erwiesen ist, zuerst mit der Herkunftsangabe „Gracarca“ in den Handel gekommen war38.
36 Gleirscher 2001, 42. 37 Gleirscher 1993, 46 mit Anm. 32; Gleirscher 1996 a, 234–235.
38 Dembski 1995, 22 mit Anm. 20; Großsilbermünzhort und Prägestempel, „verheimlichte, offenbar vor kurzem gemachte Entdeckung auf der Grasatza“.
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Noreia – Atlantis der Berge ? Bibliographie Dembski 1995 Dobesch 1980
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Karl Strobel
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Strobel 2003 Strobel 2005/2007
Strobel 2008
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Szameit 1994
Szameit – Stadler 1993 Tiefengraber 2011
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Den Gürtel um die Hüfte geschlungen Konzeption und Interpretation tiefgegürteter Gewandstatuen (Typus Colonna-Borghese, Typus Tänzerin von Perge) Magdalena Stütz Ein tief liegender, um die Hüfte geschlungener Gürtel ist das ungewöhnlichste Merkmal einer Reihe von typologisch unterschiedlichen römischen Gewandstatuen. Der fein gestaltete Gürtel umschlingt dabei in den meisten Fällen einen dünnen ionischen Chiton, der den weiblichen Körper kaum verhüllt1. Diese tiefe Gürtung lässt sich an der Antiope des Farnesischen Stiers2 ebenso beobachten wie an einem Relief, das von der Agora in Smyrna stammt3. An einer Statue aus den Thermen von Kremna4 tritt sie ebenso auf wie an einem Sarkophag in Agrigent5. In Bezug auf dieses ikonographische Merkmal stellt sich die Frage, in welchen Fällen diese Gewandgestaltung angewandt wird. Welche Frauen werden tiefgegürtet dargestellt ? Lässt sich die tiefe Gürtung mit einem oder mehreren Statuentypen verbinden ? Könnte dem um die Hüfte gewundenen Gürtel eine symbolische Bedeutung entsprechen ? Der tiefen Gürtung entspricht in der griechischen Literatur, wie H. Winkler festgehalten hat, das Adjektiv βαθύζωνος6. Bei Homer werden damit sowohl Frauen allgemein7 als auch trojanische8 Frauen bezeichnet9. Als tiefgegürtet werden auch Persephone10, Leto11 und Leda12, die Musen13, Chariten14 und Nymphen15 beschrieben. Auch bei den weiteren von insgesamt 20 Nennungen von βαθύζωνος in der antiken Literatur16 lässt sich keine bestimmte Personengruppe eingrenzen. In der antiken Plastik ist die tiefe Gürtung prominenter vertreten als in der Literatur, auch wenn sie zu den selteneren Kleidungsattributen zählt: 61 Beispiele konnten bislang zusammengestellt werden (Replikenlisten s. u.), bei denen der Gürtel an oder über der Hüfte zu liegen kommt und größtenteils sichtbar ist. Außerdem wurden Statuen ausgeschieden, die zweifach (an der Hüfte und unter der Brust) gegürtet sind. Beim Tragen eines Chitons mit tiefer Gürtung lassen sich generell zwei Möglichkeiten unterscheiden: Bei der ersten Gruppe (A) bleibt die linke Brust frei, bei der zweiten Gruppe (B) sind beide Brüste bedeckt. Innerhalb der ersten Gruppe überwiegt ein Typus: Bei diesem wird, wie beim Typus Louvre-Neapel, die linke Brust freigelassen. Von Maurizio Borda wurde für diese Variante der Begriff ‚Typus Colonna-Borghese‘ geprägt17.
1 Borda 1953, 55. 2 Replikenliste Nr. B.2.2 Neapel, Archäologisches Museum Inv. 6002. 3 B.2.3 Paris, Louvre Inv. A 226002. 4 A.1.6 Burdur, Archäologisches Museum Inv. 8330. 5 B.2.4 Agrigent, Kathedrale San Nicola, Sarkophag. 6 Winkler 1996, 13; Laut Stupka wird „ζώνη fast immer nur für Frauengürtel verwendet.“ Stupka 1972, 164. 7 Hom. Il. 9,594. 8 Hom. Od. 3,154. 9 Winkler 1996, 15–20. 10 Hom. h. an Demeter 201; Hom. h. an Demeter 304.
1 1 Pind. Prosodia 89 a, 3; Bakch. Siegeslieder 11,16. 12 Pindar, O. 3,35. 13 Pind. I. 6,74; Bakch. Dithyramben 15,7; Bakch. Dithyramben 9,87. 14 Pind. P. 9,2; Bakch. Siegeslieder 5,9. 1 5 Soph. Ichn. 243. 16 Hom. h. an Demeter 95; Hes. cat. fr. 205,5; Hom. h. an Dem. 161; Aischyl. Pers. 155; Aisch. Choeph. 169; Bakch. Siegeslieder 1, 117; Aristeid. Orationes 46; Winkler 1996, 15–20. 17 Benannt nach Palazzo Colonna Inv. 103 und Villa Borghese Inv. 624. Borda 1953, 60; Fleischer 1989, 129.
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Den Gürtel um die Hüfte geschlungen
Unter den tiefgegürteten Statuen lassen sich dem Typus Colonna-Borghese, im Vergleich zu anderen Typen, die meisten Repliken zuweisen, insgesamt 16 (A.1.1–16). Von diesen ist bei zehn der Fundort bekannt (Abb. 1) 18. Kleinasien überwiegt als Fundort bei weitem, hier wurden neun Repliken entdeckt. Aus Kleinasien stammen auch drei der vier frühen Beispiele aus flavischer Zeit19, die vierte wurde in Rom gefunden20. Aufgrund der überwiegenden kleinasiatischen Herkunft der Repliken nimmt R. Fleischer an, dass der Typus in Kleinasien entwickelt wurde21. Der Körperbau des Typus Colonna-Borghese lässt sich anhand der Statue Eremitage Inv. A 188 (A.1.1, Abb. 2) folgendermaßen beschreiben: Der Oberkörper ist schmal, Hüfte und Oberschenkel sind breiter gestaltet. Das dünne Gewand lässt die Körperformen durchscheinen. Das Standbein ist jeweils das rechte, der schmale Gürtel verläuft der Ponderation entsprechend schräg. Der linke Arm, über den das Himation geschlagen ist, ist nach vorne abgewinkelt. Unterarme, Hände und möglicherweise in den Händen gehaltene Attribute sind nicht erhalten. Es ist daher kaum möglich, die Statue zu benennen22. Bei einer Statue in Burdur (A.1.6) ist die Benennung jedoch möglich: Sie kann mit einer Plinthe mit einem Greifen verbunden und daher als Nemesis interpretiert werden 23. Insgesamt lassen sich vier der 18 Beispiele durch die vorhandene Verbindung mit einem Greifen eindeutig als Nemesis bezeichnen24. Unter diesen ist bei zwei Statuen, in Burdur (A.1.6) und Antalya (A.1.12, Abb. 3), eine Verdickung der Falten zwischen der Brust sichtbar – Möglicherweise griff die Nemesis hier in den Chiton und spuckte ins eigene Dekolleté25. Diese Geste sollte vor Neid und dem bösen Blick bewahren; sie wird heimlich ausgeführt, indem man sich ins eigene Gewand spuckt. Auf diese apotropäische Geste, mit der sich die Menschen vor Nemesis schützen konnten, griff man bei der Darstellung der Göttin selbst zurück, so wurde Nemesis ins Gewand greifend dargestellt26. Der Typus Colonna-Borghese könnte, so nahm Fleischer an, von Beginn an Nemesis gemeint haben27. Alle weiteren Statuen des Typus wurden von Winkler als Nymphen interpretiert, da sie die Symbolik des Brautgürtels mit der tiefen Gürtung verband. Außerdem verwies sie auf ein Zitat im Werk „Daphnis und Chloe“ des Longus: Hier wird ein Gemälde reigentanzender Nymphen beschrieben, die den Gürtel um die Hüfte tragen28. Die Indizien sind bei der Benennung als Nymphe schwächer als bei den Nemesisdarstellungen, sie ist allerdings nicht grundsätzlich abzulehnen. Nach Rathmayr ist für die Statuen ohne Nemesis-Attribute die Interpretation als Aphrodite, Nymphen, Nereiden oder anderen Gottheiten, „die mit dem Element Wasser in Verbindung stehen“ möglich29. Dass das Gewandschema des tiefgegürteten, eine Brust freilassenden Chitons unterschiedlich angewandt werden konnte, zeigt folgende Statuengruppe 30: Sie wurde in Perge gefunden und von Winkler als Horen interpretiert (Abb. 4)31. Die Hore des Herbstes, die in ihrer linken Hand Trauben hält, stützt sich auf die verhüllte Hore des Winters. Auffallend ist der männliche 18 A.1.4, A.1.5, A.1.6, A.1.7, A.1. 8, A.1.9, A.1.10, A.1.11, A.1.12, A.1.14; Weiters wird für A.1.1 (St. Petersburg, Eremitage Inv. A 188) ein Fundort auf der Peloponnes vermutet. Winkler 1996, 138, Kat. 18; Brinke 1991, 179, Kat. G 56. 19 A.1.7, A.1. 8, A.1.14. 20 A.1.9. 2 1 Fleischer 1989, 137. 22 Fleischer 1989, 136. 23 Fleischer 1989, 130; Hornum 1993, 14. 17. 24 A.1.4, A.1.6, A.1.11, A.1.12 (Abb. 4). 25 Vgl. Hornum 1993, 66; Die Unterarme sind in beiden Fällen nicht erhalten. Zur Geste des „In den Busen Speiens“ vgl. Münzprägungen ab domitianischer Zeit, von
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denen das Aussehen der Kultbildstatuen der doppelten Nemesis im Nemeseion von Smyrna abgeleitet wird: LIMC VI.1 (1992) 739 Nr. 3, 8–10 s. v. Nemesis (P. Karanastassis); Damaskos 1999, 163. 26 Merkelbach 1995, 229; in sinum spuendo Plin. n. h. 28, 36; Mesom. n. Nem. 12; LIMC VI.1 (1992) 735 s. v. Nemesis (P. Karanastassis). 27 Fleischer 1989, 137. Eine Darstellung als Aphrodite, analog zum Typus Louvre-Neapel, ist hingegen nicht nachweisbar. 28 Daph. 1, 4, 2; Winkler 1996, 52–54. 68. 122. 29 Rathmayr in Vorbereitung, Kat. S 40. 30 A.2.1 Antalya, Archäologisches Museum Inv. 3271. 3 1 Südlich des Stadttores C1, Winkler 1996, 132.
Magdalena Stütz
Körperbau der Hore32: Ein solcher Körperbau lässt sich auch an der Elektra der pasitelischen Gruppe in Neapel33 beobachten. Sie wurde von Zanker tiberisch-claudisch datiert34 und gilt oft als besonders früher Vertreter einer tiefen Gürtung35. Im Gegensatz zur Hore aus Perge sind bei der Elektra jedoch beide Brüste bedeckt. Von den weiteren Statuen mit zwei bedeckten Brüsten (Gruppe B) sind dem Typus „Tänzerin von Perge“ die meisten Repliken zuzuordnen. Die zwölf Beispiele stammen unter anderem aus Perge36, Tripolis37, Catania38, Thessaloniki39 und Thysdrus/El Djem40 sowie drei Beispiele aus Rom (Abb. 1)41. Als Beispiel sei hier die namensgebende Statue aus den Südthermen von Perge42 genannt, die von J. Inan publiziert wurde (B.1.1, Abb. 5)43. Bemerkenswert ist die Herstellung aus zwei unterschiedlichen Marmorsorten: Dunkel sind Gewand und Haare, hell die nackte Haut44. Die Tänzerin von Perge ist mit einem um den Körper wehenden Himation ausgestattet. Die Statue ist pyramidal aufgebaut – Inan nennt ihre Tanzbewegung zentrifugal – und allansichtig entworfen45. Charakteristisch sind die schräg geschwungenen Falten zwischen den Brüsten. Der Kopf ist stark nach rechts geneigt46. Auffällig ist der voluminöse Haarknoten über der Stirn. Dieser tritt bei verschiedenen Statuen, die in spätklassischer bzw. hellenistischer Zeit konzipiert wurden, auf 47. Der Tänzerin von Perge am ähnlichsten ist die Frisur einer Kopfreplik des Apollo von Belvedere in Münchner Privatbesitz48, der, wie M. Fuchs bemerkt hat, einen hellenistischen Eindruck vermittelt49. Hellenistisch wirkt auch der Gesichtsausdruck der Tänzerin von Perge. Was die Interpretation des Typus betrifft, sprach sich Inan für die Deutung als Tänzerin oder tanzende Muse, Terpsichore, aus. Das Münchner Beispiel50 wurde als Demeter, Hore, junges Mädchen oder Nike interpretiert51. Die Tänzerin von Perge zeigt eine tanzende Grundhaltung, die Repliken wirken jedoch zum Teil ruhiger. Ohne erhaltene Attribute ist eine Benennung nicht zu sichern. Eine der Benennungsmöglichkeiten wird an einem griechischen Monument sichtbar: Es handelt sich um ein Relief in Thessaloniki, die sogenannte Aura der ‚Incantadas‘ genannten Portikusfassade in Thessaloniki52. Hinter der Relieffigur wölbt sich der Mantel halbkreisförmig. Das Monument wird von I. Baldassare und A. Mentzos in den Zeitraum 220–230 n. Chr. datiert53. Möglicherweise54 trug die sogenannte Aura eine der Tänzerin von Perge ähnliche Haartracht: Die Spuren des verlorenen Kopfes sprechen für eine solche Ergänzung. 32 Lässt sich auch an B.2.6 beobachten. 33 B.2.5 Neapel, Nationalmuseum Inv. 6006; Karanastassis 1986, 250. 251; Fleischer 1989, 133. 34 Brinke und Karanastassis datieren die Elektra ins 2. Jahrhundert n. Chr., auf Grund der linearen, gebohrten Falten. Diese sind jedoch auch schon in früherer Zeit möglich, wie Zanker anhand des Vergleichs mit tiberischclaudischen Porträts zeigt. Brinke 1991, 124 Anm. 629; Karanastassis 1986, 250. 251; Zanker 1974, 52. 35 Karanastassis 1986, 250; Winkler 1996, 9, 10. 36 B.1.1 Antalya, Archäologisches Museum Inv. 10.29. 81. 37 B.1.2 Tripolis, Archäologisches Museum Inv. T 6. 38 B.1.7 Catania, Museo Biscari Inv. 1048. 39 B.1.11 Paris, Louvre Inv. 1393 b. 40 B.1.6 Tunis, Musée du Bardo Inv. C 1026. 4 1 B.1.3 (München, Glyptothek Inv. 459); B.1.4 (Rom, Kapitolinische Museen Inv. 2845); B.1.9 (Florenz, Giardino di Boboli o. Inv.). 42 Stoa des Klaudios Peison, Inan 1989, 347. 43 Inan 1989. 44 Bei zwei weiteren Statuen des Typus „Tänzerin von
Perge“ ist die Kombination hellen und dunklen Marmors warhscheinlich (B.1.4 und B.1.6), bei B.1.3 gesichert. Die Replik B.1.4, von Lanciani als Victoria der Symmaci bezeichnet, wird heute nicht mehr mit der berühmten, von Augustus 29 v. Chr. in der Curia Iulia aufgestellten Victoria in Verbindung gebracht: Hafner 1989, 553; Hölscher 1967, 7; Bertoletti u. a. 2007, Abb. 50. 45 Inan 1989, 348. 46 Özgen – Özgen 1988, 205 Nr. 103; Inan 1989, 348. Mit einer Ausnahme (B.1.10 Florenz, Uffizien Inv. 101) ist bei den anderen Vertretern des Typus der Kopf verloren. 47 Kapitolinische Venus, Apollon Giustiniani, Mädchen von Antium, Aphrodite Kallipygos; Bieber 1928, 31, Taf. LX. 6; Inan 1989, 348; Andreae 2001, Taf. 40.42; zur Haartracht vgl. Kenner 1971, 9–11. 48 Fuchs 2004, 126. 127, Abb. 2.3. 49 Fuchs 2004, 136. 50 B.1.3 München, Glyptothek Inv. 459. 5 1 Inan 1989, 347. 52 B.1.11 Paris, Louvre Inv. 1393 b. 53 Baldassare 1976, 27. 30. 35; Μεντζος 1997, 388.
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Den Gürtel um die Hüfte geschlungen
Während bei allen bisher genannten Beispielen zumindest eine Schulter nicht bedeckt ist, tragen zwei Statuen einen Chiton mit angefügten Ärmeln: Die Antiope des Farnesischen Stieres 55 wird im Allgemeinen (u. a. von C. Kunze und B. Andreae) als Hinzufügung zur hellenistischen Dirkegruppe betrachtet56. Kunze datiert die in den Caracalla-Thermen gefundene Gruppe severisch57. Der Chiton wurde bei der Antiope mit Ärmeln versehen, außerdem ist ungewöhnlich, dass das Gewand hochgeschlossen bis zum Hals der Figur reicht. Die Stauung der Falten unter der Brust, die ursprünglich die Folge des schräg getragenen Chitons war, ist jedoch auch an der Antiope sichtbar58. In der Gewandgestaltung vergleichbar ist ein Relief in Smyrna59, das zur oberen Ordnung der vermutlich hadrianischen Basilika gehörte (Abb. 6). Es zeigt eine tief gegürtete Frau im Hochrelief. Sie trägt ebenfalls einen Chiton mit Ärmeln und legt den rechten Handrücken an die Hüfte60. Nach diesem Überblick über die wichtigsten tiefgegürteten Statuen stellt sich nun die Frage, wie die behandelten Typen chronologisch einzuordnen sind: Dabei wird vor allem seit mehr als 100 Jahren die Frage diskutiert, wann die tiefe Gürtung entwickelt worden ist. Ist sie eine Erfindung der hellenistischen Zeit – wie Amelung und Borda annahmen – oder des 2. Jh.s n. Chr., wofür sich Herkenraht und Karanastassis aussprachen61 ? Herkenrath und Karanastassis waren der Meinung, dass sich die tiefe Gürtung in hellenistischer Zeit nicht nachweisen lasse. 1997 wurden allerdings zwei tiefgegürtete Terrakottastatuen der Nekropole von Tarent von D. Graepler in den Hohen Hellenismus datiert (Abb. 7)62. Er hatte die Terrakotten mithilfe kombinationsstatistischer Seriation, in die Keramik und Terrakotten einbezogen wurden, untersucht63. Die Datierung des Typus der Tänzerin von Perge zeigt ebenfalls, dass die tiefe Gürtung im Hellenismus schon möglich war: Gesichtsausdruck und Komposition der Statue sprechen für eine Konzeption des Typus in hellenistischer Zeit. Inan spricht sich für das zweite Viertel des 2. Jh.s v. Chr. aus. Die Tänzerin von Perge selbst sei in hadrianischer Zeit geschaffen worden64, als unter Hadrian bunter Marmor in großem Ausmaß gefördert und verwendet wurde65. Die 1981 gefundene Tänzerin von Perge zeigt, dass die These, für die hellenistische Zeit wäre generell keine tiefe Gürtung anzunehmen, nicht haltbar ist66. Während das Original der Tänzerin von Perge dem Hohen Hellenismus zuzuordnen ist, ist die Lage beim Typus Colonna-Borghese weniger eindeutig. Um die grundsätzlichen chronologischen Grenzen abzustecken: Vor der Aphrodite Louvre-Neapel ist der Typus Colonna Borghese nicht vorstellbar; eine zeitgleiche Entwicklung kann nicht vollkommen ausgeschlossen werden 67. Die frühesten Repliken, zwei Statuen aus dem Nymphäum des Laecanius Bassus in Ephesus, werden von Rathmayr mit der Erstausstattung (79/80 n. Chr.) verbunden68. 54 Vgl. die weiteren Reliefs der Incantadas und Rekonstruktionen bei Stuart – Revett 1789, Kap. 9 Taf. 6. 10. 55 B.2.2 Neapel, Nationalmuseum Inv. 6002. 56 Kunze 1998, 63; Andreae 1996, 46; Antiope wird bei Plinius nicht genannt (n. h. 36, 33–34). 57 Kunze 1998, 69. 58 Kunze 1998, 63 Anm. 276. 59 B.2.3 Paris, Louvre Inv. A 226002. 60 Laugier 2010, 60. 61 W. Amelung, Text zu EA 1153, Arndt – Amelung 1899, 44; Fleischer 1989, 134–136; Borda 1953, 60; Herkenrath 1905, 255. 256; Karanastassis 1986, 250. 62 Tarent, Archäologisches Nationalmuseum Inv. 52055 aus Grab 132 und Inv. 208429 aus Grab 61. Graepler wies Kat. 132.3 (Abb. 137) der Phase D (225–175 v. Chr.) zu, Kat. 61.6 (Abb. 138) der Phase E (175–100 v. Chr.). In beiden Fällen ist der Gürtel nicht sichtbar. Graepler 1997, 82. 135.
392
63 Graepler 1997, 69. 70. 82. 64 Inan 1989, 347. 348. 65 Anderson 1989, 17. 66 An das Ende des Hellenismus wird eine aus Smyrna stammende Terrakottastatuette datiert: Uhlenbrock schlug für die vermutlich bei Ephesus gefundene Statuette eine Datierung in das späte erste Jahrhundert v. Chr. vor. Sie stellt eine alte Frau dar. Der Chiton lässt die rechte Schulter frei, beide Brüste sind jedoch bedeckt (Uhlenbrock 1990, 148, Kat. 35 mit Abb.). Eine Statue in Istanbul, Archäologisches Museum Inv. 297 (C.3.) wird von Brinke hellenistisch, von Mendel und Winkler jedoch ins 2. Jahrhundert n. Chr. datiert. Brinke 1991, 317 Anm. 627 Kat. G 67; Winkler 1996, 126 Kat. 3; Mendel 1914, 353. 354, Nr. 1115. 67 Der Kopf der Nemesis in Burdur Inv. 301.99.94 (A.1.4) lässt sich mit der Aphrodite von Capua (um 320 v. Chr.) vergleichen.
Magdalena Stütz
Die ältesten Beispiele des Gewandschemas des Typus Colonna-Borghese stellen die hellenistischen Terrakotten aus Tarent dar: Sie zeigen eine freiliegende linke Brust und einen tiefen – verdeckt getragenen – Gürtel, entsprechen in ihrer stark geschwungenen Haltung auf dem rechten Standbein jedoch nicht dem Typus Colonna-Borghese, der sich stärker an die Aphrodite LouvreNeapel anlehnt. Wichtig sind sie jedoch als älteste Darstellungen des tiefgegürteten Chitons. Zwischen Hohem Hellenismus und flavischer Zeit ist daher die Konzeption des Typus anzusetzen – womöglich als späthellenistische Konzeption 69. Aufgestellt wurden die tiefgegürteten Statuen, denen sich ein Fundkontext zuweisen lässt, überwiegend in Thermen und Nymphäen70. Die umfangreichste ikonologische Interpretation des Motivs der tiefen Gürtung stammt von Winkler, sie sieht im um die Hüfte geschlungenen Gürtel ein Symbol für Jungfräulichkeit und Gebärfähigkeit71. Die sehr allgemeine Verwendung des Adjektivs spricht allerdings gegen einen bestimmten symbolischen Gehalt. Dem entspricht das vielfältige Bild, das sich aus der Betrachtung der Statuen ergibt. Die tiefe Gürtung wird bei der Darstellung verschiedener, mehrheitlich jugendlicher Göttinnen und mythologischer Figuren angewandt. Dass die tiefe Gürtung für Metamorphosen im Leben der Frau (Hochzeit, Geburt) stehe und die Abwehr von „erotischen Kräften einer Aphrodite“72 symbolisiere, wie Winkler schreibt, ist für mich nicht nachvollziehbar. Plausibler erscheint mir eine in Kleinasien vorherrschende Vorliebe für die tiefe Gürtung, die wohl eher als Modevariante zu deuten ist 73.
Replikenlisten A
B
C
– Tiefe Gürtung, eine Brust bedeckt, eine Brust freiliegend A.1 Typus Colonna-Borghese A.2 weitere Beispiele – Tiefe Gürtung, beide Brüste bedeckt B.1 Typus Tänzerin Perge B.2 weitere Beispiele – Tiefe Gürtung, Bedeckung der Brust unklar Aus Platzgründen kann hier nur eine einfache Liste angegeben werden; falls nicht anders angegeben, handelt es sich um Rundplastik74.
A.1.1 A.1.2 A.1.3 A.1.4 A.1.5 A.1.6 A.1.7 A.1. 8 A.1.9 A.1.10
St. Petersburg, Eremitage Inv. A 188 Rom, Palazzo Colonna Inv. 103 Rom, Villa Borghese Inv. 624 Burdur, Archäologisches Museum Inv. 301.99.94 Budapest, Museum der Bildenden Künste Inv. T. 158 Burdur, Archäologisches Museum Inv. 8330 Selçuk, Museum Inv. 1580 Selçuk, Museum Inv. 1583 Tampa, Museum of Art Inv. 86.134 Burdur, Archäologisches Museum Inv. 9607
68 A.1.7, A.1. 8 (Selçuk, Museum Inv. 1580 bzw. 1583); Rathmayr 2011, 131. 133 Anm. 14; Rathmayr in Vorbereitung, Kat. S 40, S 41. Die zum Typus ColonnaBorghese zählende Statue in Florenz, Archäologisches Museum Inv. 13851 (A.1.13) wird von Brinke hellenistisch (Brinke 1991, 317 Anm. 627 Kat. G 53) von Winkler jedoch trajanisch datiert (Winkler 1996, 131 Kat. 9). 69 Vgl. Rathmayr in Vorbereitung, Kat. S 40; Brinke 1996, 16; Fleischer 1989, 136.
70 A.1.6, A.1.7, A.1. 8, A.1.14, B.1.1, B.1.6, B.2.18, C.1, C.2. 7 1 Winkler 1996, 38. 72 Winkler 1996, 69. 73 Vgl. Herkenrath 1905, 255. 74 Ausführliche Replikenlisten bzw. Kataloge bei: Winkler 1996, 122–190; Guerrini 1959/60, 405–407. 409. 411. 413; Fleischer 1989, 130–133; Herkenrath 1905, 245–255.
393
Den Gürtel um die Hüfte geschlungen A.1.11 A.1.12 A.1.13 A.1.14 A.1.15 A.1.16 A.2.1 A.2.2 A.2.3 A.2.4 A.2.5 A.2.6 A.2.7 B.1.1 B.1.2 B.1.3 B.1.4 B.1.5 B.1.6 B.1.7 B.1. 8 B.1.9 B.1.10 B.1.11 B.1.12 B.2.1 B.2.2 B.2.3 B.2.4 B.2.5 B.2.6 B.2.7 B.2. 8 B.2.9 B.2.10 B.2.11 B.2.12 B.2.13 B.2.14 B.2.15 B.2.16 B.2.17 B.2.18 B.2.19 B.2.20 C.1
Cavdarli Höyük, Relief 75 Antalya, Archäologisches Museum Inv. A 3313 Florenz, Archäologisches Museum Inv. 13851 Izmir, Bazmane Müzesi Inv. 36 Privatbesitz76 Florenz, Archäologisches Museum Inv. 13879 Antalya, Archäologisches Museum Inv. 3271 Rom, Palazzo Spada Inv. 237 Nostell bei Wakefield, Nostell Priory o. Inv. 77 ehem. Kunsthandel Rom78 Florenz, Palazzo Pitti Inv. 599 Rom, Nationalmuseum Inv. 20894 Rom, Villa Albani Inv. 139, Sarkophagrelief Antalya, Archäologisches Museum Inv. 10.29. 81 (Tänzerin von Perge) Tripolis, Archäologisches Museum Inv. T 6 München, Glyptothek Inv. 459 Rom, Kapitolinische Museen Inv. 2845 Kairo, Ägyptisches Museum Inv. 27625 Tunis, Musée du Bardo Inv. C 1026 Catania, Museo Biscari Inv. 1048 Turin, verloren durch Brand, Sarkophagrelief 79 Florenz, Giardino di Boboli o. Inv. 80 Florenz, Uffizien Inv. 101 Paris, Louvre Inv. 1393 b Paris, Louvre Inv. MA 3060 Paris, Louvre Inv. MA 2157 Neapel, Nationalmuseum Inv. 6002 (Toro Farnese) Paris, Louvre Inv. A 226002 Agrigent, Kathedrale San Nicola, Sarkophag Neapel, Nationalmuseum Inv. 6006 Rom, Villa Borghese, Park, Inv. I 11207 Neapel, Nationalmuseum Inv. 6409 (Flora Farnese) Ostia, Archäologisches Museum Inv. 18141 Budapest, Szepmüvesti Museum Inv. 4758 Ostia, Archäologisches Museum, Depot, Inv. 1268 New York, Homeland Foundation81 Ostia, Archäologisches Museum Inv. 1101, Sarkophagfragment Palermo, Nationalmuseum Inv. 23163 Rom, Nationalmuseum Inv. 2001752 Rom, Palazzo Rospigliosi o. Inv., Sarkophagrelief 82 Schweiz, Privatbesitz83 Rom, Musei Vaticani, Giardini84 Ephesus, Depot Kryptoporticus des Domitianstempels Fund.-Nr. D 60/272 New York, Metropolitan Museum of Art Inv. 89.2.2141 Rom, Museo Nazionale di Villa Giulia, Sarkophagfragment85 Istanbul, Archäologisches Museum Inv. 2003 (Unterkörperfragment)
75 Fleischer 1989, 127. 128; Winkler 1996, 133 Kat. 12. 76 Sotheby Antiquities, Auktion 10.12.1986, Nr. 253; Winkler 1996, 134 Kat. 13. 77 Guerrini 1959/60, 407 Nr. 14; Winkler 1996, 188, 189 Kat. 73. 78 Guerrini 1959/60, 409 Nr. 12; Brinke 1991, 167 Kat. G 35; Winkler 1996, 129 Kat. 6. 79 Guerrini 1959/60, 405 Nr. 6; Winkler 1996, 168 Kat. 52. 80 Herkenrath 1905, 250 Abb. 6; Caneva 1992, 55
394
Kat. 136; Winkler 1996, 165 Kat. 47; Guerrini 1959/60, 407 Nr. 13. 8 1 Winkler 1996, 156. 157 Kat. 37. 82 Koch 1979, 232 Abb. 2; Winkler 1996, 153 Kat. 34. 83 Winkler 1996, 180 Kat. 65. 84 Herkenrath 1905, 249; Guerrini 1959/1960, 107 Nr. 15; Winkler 1996, 169. 170 Kat. 54; Herkenrath 1905, 249; Guerrini 1959/1960, 107 Nr. 15; W. Amelung, Text zu EA 788, Arndt – Amelung 1897, 35.
Magdalena Stütz C.2 C.3 C.4 C.5 C.6
Izmir, Basmane Müzesi Inv. 574 (Unterkörperfragment) Istanbul, Archäologisches Museum Inv. 297 (Die linke Brust liegt frei, darunter trägt die Statue jedoch ein dünnes Gewand.) Torso aus Milet, verschollen86 (Brustpartie beschädigt) Athen, Agoramuseum Magazin Inv. RA 1075 (von der Taille bis zur Mitte der Oberschenkel erhalten) Cordoba, Museo de Bellas Artes o. Inv. 87 (Unterkörperfragment vgl. C.2.)
Abbildungsnachweis Abb. 1: erstellt von der Verfasserin Abb. 2: M. Brinke, Die Aphrodite Louvre-Neapel, AntPl 25, 1996, 44 Abb. 26 Abb. 3: E. Özgen – İ. Özgen (Hrsg.), Antalya Museum (Ankara 1988) 81 Abb. 97 Abb. 4: E. Özgen – İ. Özgen (Hrsg.), Antalya Museum (Ankara 1989) 93 Abb. 109 Abb. 5: K. Dörtlük (Hrsg.), Museumsführer Antalya (Ankara 1989) 58 Abb. 58 Abb. 6: L. Laugier, Reliefs de l’agora de Smyrne, in: I. Hasselin Rous et al. (Hrsg.), D’Izmir à Smyrne. découverte d’une cité antique (Paris 2010) 59–63, Abb. 47 Abb. 7: D. Graepler, Tonfiguren im Grab. Fundkontexte hellenistischer Terrakotten aus der Nekropole von Tarent (München 1997) 135 Abb. 137. 138 Bibliographie Anderson 1989
Andreae 1996 Arndt – Amelung 1897 Arndt – Amelung 1899 Andreae 2001 Atalay 1989 Baldassare 1976
Bertoletti u. a. 2007 Bieber 1928 Borda 1953 Brinke 1991 Brinke 1996 Caneva 1992 Damaskos 1999 Fleischer 1989
Fuchs 2004
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85 Koch 1979, 228–233; Winkler 1996, 151 Kat. 31. 86 Herkenrath 1905, 245 Abb. 1; Winkler 1996, 166 Kat. 49; Brinke 1991, 166 Kat. G 34; Guerrini 1959/60,
411 Nr. 13. 87 Brinke 1991, 189 Kat. G 74; Guerrini 1959/60, 409 Nr. 10; Winkler 1996, 129. 130 Kat. 7.
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Den Gürtel um die Hüfte geschlungen Graepler 1997
D. Graepler, Tonfiguren im Grab. Fundkontexte hellenistischer Terrakotten aus der Nekropole von Tarent (München 1997) Guerrini 1959/60 L. Guerrini, Ricerche stilistiche intorno a un motivo iconografico ASAtene 37/ 38, 1959/60, 402–419 Hafner 1989 G. Hafner, Die „Romana Victoria“ in der Curia Iulia, AA 1989, 553–558 Herkenrath 1905 E. Herkenrath, Eine Statuengruppe der Antoninenzeit, AM 30, 1905, 245–256 Hölscher 1967 T. Hölscher, Victoria Romana. Archäologische Untersuchungen zur Geschichte und Wesensart der römischen Siegesgöttin von den Anfängen bis zum Ende des 3. Jh.s n. Chr. (Mainz 1967) Hornum 1993 M. B. Hornum, Nemesis, the Roman state and the games (Leiden 1993) Inan 1989 J. Inan, Eine hellenistische Tänzerin aus Perge, in: Akten des XIII. Internationalen Kongresses für Klassische Archäologie Berlin 1988 (Mainz 1989) 347–348 Karanastassis 1986 P. Karanastassis, Untersuchungen zur kaiserzeitlichen Plastik in Griechenland, 1. Kopien, Varianten und Umbildungen nach Aphrodite-Typen des 5. Jh.s v. Chr., AM 101, 1986, 207–291 Kenner 1971 H. Kenner, Das Mädchen von Antium (Wien 1971) Koch 1979 G. Koch, Bemerkungen zu einigen mythologischen Sarkophagen, AA 1979, 228–246 Kunze 1998 Chr. Kunze, Der Farnesische Stier und die Dirkegruppe des Apollonios und Tauriskos, JdI Ergh. 30 (Berlin 1998) Laugier 2010 L. Laugier, Reliefs de l’agora de Smyrne, in: I. Hasselin Rous u. a. (Hrsg.), D’Izmir à Smyrne. Découverte d’une cité antique (Paris 2010) 59–63 Mendel 1914 G. Mendel, Musées Impériaux Ottomans. Catalogue des sculptures grecques, romaines et byzantines III (Istanbul 1914) Μεντζος 1997 Α Μεντζος, Πρόταση για την ερμηνεία των «Ειδώλων» (Incantadas) της Θεσσαλονίκης με αφορμή νεότερα ευρήματα, AErgoMak 11, 1997, 379–392 Merkelbach 1995 R. Merkelbach, Isis regina – Zeus Sarapis. Die griechisch-ägyptische Religion nach den Quellen dargestellt (Stuttgart 1995) Özgen – Özgen 1988 E. Özgen – İ. Özgen (Hrsg.), Antalya Museum (Ankara 1988) Rathmayr 2011 E. Rathmayr, Die Skulpturenausstattung des C. Laecanius Bassus Nymphaeum in Ephesos, in: F. D’Andria – I. Romeo (Hrsg.), Roman sculpture in Asia Minor. Proceedings of the International Conference to celebrate the 50 th anniversary of the Italian excavations at Hierapolis in Phrygia, held on May 24–26, 2007, in Cavallino (Lecce) (Portsmouth 2011) 130–149 Rathmayr in Vorbereitung E. Rathmayr, Die Skulpturenausstattung, in: M. Aurenhammer (Hrsg.) Das Nymphäum des Gaius Laecanius Bassus in Ephesos, Forschungen in Ephesus 15.1. Stuart – Revett 1789 J. Stuart – N. Revett, The Antiquities of Athens (London 1789) reprinted New York 1980 Stupka 1972 D. Stupka, Der Gürtel in der griechischen Kunst (Dissertation Wien 1972) Uhlenbrock 1990 J. P. Uhlenbrock, Standing old woman, in: J. P. Uhlenbrock (Hrsg.), The Coroplast’s Art. Greek Terracottas of the Hellenistic World (New York 1990) 148 Winkler 1996 H. Winkler, Die tiefe Gürtung. Ein verkanntes Motiv der griechischen Frauenbekleidung (Rheinfelden 1996) Zanker 1974 P. Zanker, Klassizistische Statuen. Studien zur Veränderung des Kunstgeschmacks in der römischen Kaiserzeit (Mainz 1974)
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Magdalena Stütz
Abb. 1: Verteilung der Statuen des Typus Colonna-Borghese und „Tänzerin von Perge“ im Mittelmeerraum
Abb. 2: St. Petersburg, Eremitage Inv. A 188 (A.1.1)
Abb. 3: Statue der Nemesis, Antalya, Archäologisches Museum Inv. A 3313 (A.1.12)
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Den Gürtel um die Hüfte geschlungen
Abb. 4: Statuengruppe aus Perge, Antalya, Archäologisches Museum Inv. 3271 (A.2.1.)
Abb. 5: Tänzerin von Perge, Antalya, Archäologisches Museum Inv. 20.29. 81 (B.1.1)
Abb. 6: Relief der oberen Ordnung der Basilika der Agora von Smyrna, Paris, Louvre Inv. A 226002 (B.2.3.)
Abb. 7: Terrakottastatuetten aus der Nekropole von Tarent, links: Tarent, Archäologisches Nationalmuseum Inv. 52055 aus Grab 132, rechts: Inv. 208429 aus Grab 61
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Wohlsdorf: The Bronze Age Settlement and the Wells Preliminary Report Attila Botond Szilasi Introduction The excavated settlement is located in the Laßnitz-valley close to the southern part of Wohlsdorf, in the southern slope of a small knoll situating along with the Northern bank of the river. Excavation of an area of almost 2.5 acres was carried out by Dr. Gerald Fuchs (ARGIS GmbH) in 2008, as part of the Koralmbahn Project1 (Fig. 1). The system of the settlement structure and the household clusters, from the late Tumulus Culture and the older and younger phase of the Urn-Grave Culture (Bz C2 to Bz D2/Ha A1 – from the Maisbirbaum-Zohor phase until the Baierdorf-Velatice phase) show a very rational and clear picture. In the Eastern side of the territory a small part of a village with houses and pits showed up, while in the center of the hilltop a west-east segment of a settlement from different phases was revealed (Fig. 2).
Structure of the Settlement – Houses and the household clusters In the center of the excavated area mostly longhouses showed up with different orientation – the most common building orientation is the NW-SE but also prevalent is the NE-SW. In the northern part of the village a bigger group of houses were situated: a standard sized house with two smaller outbuildings in its the Western part. The main house had two separated areas with main ridge-pools and ridge-roof leaning of two lengthwise poles. The walls were made of adobe. This type of building was found in Németbánya,2 in Mannersdorf am Leithagebirge3 and in Dunakeszi-Szélesdűlő. 4 The smaller hovels had conventional long-forms (Fig. 3). Toward the Southern part from this alignment we can find different separated lonely blocks with singular household clusters. The most elemental part is object 84. The belonging borrow pits (obj. 31 and 60), the rubbish pits in the nearby (obj. 32–33, 36–37 and 77–78) and the working pit in the SW (obj. 79) show a closed household cluster with the house (Fig. 4). From these data the devisable area for a household is around 900 m2 while the core area in the settlement is approx. between 40 and 80 m2. We can get a similar picture if we check the vicinity of the bigger house with the separated area. The complex of the pits (obj. 595, 597–598, 607–608 and 612) in the SE part which had probably different type of roofs in different periods, the borrow pit (obj. 638) in the NE part and the bigger pit (obj. 630) in the SW part show a clearly closed household cluster with the big house. This could have a slack tie with the farmyard of the two small outbuildings and with their household clusters. This picture shows even more a slack familiar connection between the units than a contact between the populous sections of the residential area. It’s very typical in the horizontal settle-
1 I would like to thank Dr. Gerald Fuchs for the possibility to work on the finds and on the settlement, to the members of the ARGIS Company for the correct fieldwork and to the restorers R. Fürhacker and A. Klatz for the
precise restoration job. 2 Ilon 2005, 139–140. 3 Melzer 1982, 248. 4 Horváth u. a. 2004, 210–212.
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Wohlsdorf: The Bronze Age Settlement and the Wells
ments from this period in the region5 while the densely populated areas are more common in the hillforts in the later period. 6 The houses in the eastern part of the area were traditional beam-foundation or post-structure houses with saddle-back and mostly were aligned NW-SE (Fig. 5). The biggest house had a separated inner area with pitched roof and hip-roof (Tiefengraber-type E)7. The postholes were extremely deep and big which can be interpreted with the large size of the house. The base of the house was approx. 12.0068.00 m. In several cases the post and the fill of the posthole could be separated easily – the harder clay was rammed around the post. The other buildings show the traditional long-forms with two lengthwise poles and ridge-pools on standard adobe walls (Tiefengraber-type D)8. By the right of the wattle and daubs every wall was made from cob plastered into the wattled sticks. The only superposition in this part of the settlement is located where a normal longhouse – probably an outbuilding – was cut by the house with three lengthwise poles and with more divided territory (Tiefengraber-type E)9. These types of houses with two- or three-bayed structure are the exclusive representative pieces of this period. Widely spread in whole Europe from the end of the Middle Bronze Age period. 10 In the same time the domination of the standard traditional longhouses were pushed back into the background mostly in the area of South Germany, Bohemia and Austria. 11
The Work Area In the northeastern part of the site a small area yielded a few archaeological features which can be related to working activity (Fig. 7): a bigger workshop with inner and outer postholes (obj. 817), a smaller working pit with an oven and with the postholes for the roof (obj. 840) and a small lonely baking-oven (obj. 834). Probably in the northern comb of the village a bigger workshop activity zone was recovered. From the in situ finds we can assume that they used the workhouse zone for baking and for various textile works already in the Early Iron Age (Ha C/D).
The Tan-Pits In the eastern side of the settlement generally 3 m long and half a m wide pits showed up with mostly V and U shaped cross-sections (obj. 926, 928, 942, 944–945, 1002, 1006–1007 and 1019). The German literature call them – mostly because of their shape – “Schlitzgrube” (Fig. 8). This type of feature is well known from different periods and regions. The most acceptable explanation for these objects is that they were tan-pits. We can find several ethnographical parallels from the Carpathian Basin12 for such objects. In the procedure of the tanning the leather was dipped into different intensity of tan-liquor so different soak-pits at close quarters were needed. This kind of procedure needs a lot of water so we usually find these types of pits close to some water places – rivers, streams or creeks, etc – mostly in the side of the settlements. 13
The Wells Water was always a very important part of the living in the life of the humanity so thus in this period of the Bronze Age. Although every settlement was situated close to some waterside they needed a solid place to get clear and fresh water in every time so they assured themselves with 5 Hebert 1995, 301; Strmčnik-Gulič 2001, 125 Abb. 11; Heymans 2007, 146, Abb. 4; Fuchs 2009, 298 Abb. 7. 6 Dular u. a. 2002, 34–35. 7 Tiefengraber 2007, 93 Abb. 13. 8 Tiefengraber 2007, 93 Abb. 13. 9 Tiefengraber 2007, 93 Abb. 13.
400
10 Först 1997, 40–50; Roymanns – Fokkens 1995, 97–101; Dular u. a. 2002, 41–46. 1 1 Szabó 2004, 138. 12 Flórián – Tóth 1992, 8–10. 13 Rajna 2009, 330.
Attila Botond Szilasi
drilled wells – only a dry period, an insecure runoff or a slack water full with organic material was enough to run out of drinkable water. In the excavated settlement, beside of a traditional dug well, two bigger well with timberconstruction were recovered. Object 728 is a simple well without built structure, a basin periodically filled up with water (Fig. 6). This type is very common and general in this period. It is round, cylindrical and narrow in a corniculate way without any filter system. The diameter was 1.20 and the depth was 1.00 m. Object 764 is the most characteristic piece of this period. The diameter of the corniculate and amorphous shaped top was nearly 2.00 m, and the depth of it was close to 1.50 m. The conical upper part was followed by the rectangular pit with round-cornered edges (Fig. 9). The timber construction was made from nearly 1 m long radius oak planks. Each piece had marks of work and interlocking in the sides and in the end. During the excavation three different rows of wooden, dowel-pined planks were discovered. Different types of fitting were used: notching with T-shaped mortised cog, dovetail joint, edge-bond and in some cases trapeze-shaped cogs with upper lap-joint. Probably in the variance of the wooden structure we can see a presumptive reparation work from the later phase (Fig. 10). However the well silted up very quickly – the thick grayish silty layer proves this also – and afterwards the structure became useless and thus was filled up artificially. The postholes in the pebbly surface could mark of a pile-dwelling above the well but from the structure of the well house we have no further information. These types of wells are very common in the Middle/Late Bronze Age from this region. 14 Naturally the rounded shaped traditional braided wells are quite common in the Late Tumulus/Early Urn Grave Cultural range. 15 Object 961 is a rounded well with timber construction. The diameter was 2.10 m and the depth was 1.40 m. During its construction, first the cornucilate top was dug then the wooden planks were put into the rectangular pit (Fig. 11). Presumably the structure was 161 m.
Dating If we check the potteries from the settlement we can find types of two strictly different periods: Late Tumulus Culture and the early phase of the Urn Grave Culture. In force of the potteries from the Tumulus Culture we can find the different impressed decoration in triangle forms, thumb-impressed decorations, the simple rippled decorations and the knobs with fluting in different variations. The most characteristic pottery forms in the Tumulus Culture are the globular vessels with pedestal and the bigger rounded urns. Beside these forms the most common types are the deep bowls with outcurving rim – in several cases with small looped handles on the neck – and the small beakers with ear. There is a similar assemblage composition from the sites Oloris,16 Balatonmogyoród–Hídvégpuszta and Gelsesziget,17 Lamperstätten and Hasreith,18 and from the pottery depot of Maisbirbaum. 19 The channeled decoration appears in the type of the potteries from the Urn Grave Culture. It can be in the neck or in the belly of the pots. But in the same time the tradition of the decoration from the Tumulus Culture still exists and is still alive. The leader type in the ceramic forms are the bowls with channeled decoration on the belly and with high swinging looped handle bent to the rim, and the different biconical pots. Beside of these in several cases we have different
14 Blesl 2006, 92; Grynaeus 1998–99, 74–75; Horváth u. a. 2001, 122–124; Somogyi 2002, 37; Dular u. a. 2002, 26 Abb. 11. 1 5 Szabó 2005, 147 Abb. 2.
16 17 18 19
Dular u. a. 2002. Horváth 1994, 219–235. Heymans 2007, 143–162. Doneus 1991, 107–128.
401
Wohlsdorf: The Bronze Age Settlement and the Wells
bowls and plates with inverted rims (Fig. 13/4). We have good parallels from the site, Sárvár– Felsőmező20, Unterpullendorf 21 and Nagyréve–Baráka-dűlő. 22 Parallel the quantity of the facetted inner rims is getting higher. The big urn from the object 764 with the outcurved rim and with the small knobs on the neck (Fig. 13/1, variant of the VII. type in the Patek-typology23) is also a typical form in the Bz D/Ha A1 period. We have a similar picture if we check the few small finds and the metal finds. The one and only bronze needle with the divided head – which is from a layer – is a piece from the Bz C2/D (Fig. 12/14). In the case of the firedogs we have two different periods. The first one is an early theriomorphic piece (HaA/HaB – Fig. 12/13) which is a transition between the early bench-shaped forms and the horned types. 24 The other one is an early concave-backed piece from the Bz D/HaA period (Fig. 12/15 – classical Type A25). The bowls and the pots from the object 817 show a very big variability of the same form (Fig. 12). We can say, it is a classical evidence of a whole pot set. These forms are very common in the Ha C2/D1 period – we can see the same types in the Early Iron Age settlement at Letenye. 26 Because of these we can say that the early horizon of the settlement is somewhere in the BzC2 (in the Maisbirbaum-Zohor phase) while the big well with the wooden construction and the two-bayed houses is in the BzD2/HaA1 (in the Baierdorf-Velatice phase). The horizon of the small workshop area is already dated to the Early Iron Age – to the Ha C2/D1 period. Abbildungsnachweis Fig. 1. 5–7. 9. 11: graphic/photo ARGIS 2008 Fig. 2–4. 8: graphic ARGIS 2008 and A. B. Szilasi 2012 Fig. 10: photo Fürhacker and Klatz 2009 Fig. 12: drawing A. B. Szilasi Fig. 13: photo P. Vizi Bibliography Benkovsky-Pivovarová 1980 Z. Benkovsky-Pivovarová, Frühurnenzeitliche Siedlungsfunde von Unterpullendorf, p.B. Oberpullendorf, Burgenland, Burgenländische Heimatblätter 42/1, 1980, 22–31 Blesl 2006 C. Blesl, Die Brunnen der urnenfelderzeitlichen Siedlung von Pixendorf in Niederösterreich, NAU 13, 2006, 92–93 Doneus 1991 M. Doneus, Zum mittelbronzezeitliche Keramikdepot von Maisbirbaum, MG Ernstbrunn, PB Korneuburg, Niederösterreich, Archaeologica Austriaca 75, 1991, 107–135 Dular u. a. 2002 J. Dular – I. Šavel – S. T. Hvala, Bronastodobno naselje Oloris pri Dolnjem Lakošu, Bronzezeitliche Siedlung Oloris bei Dolnji Lakoš, Opera Instituti Archaeologici Sloveniae 5, Ljubjana, 2002 Flórián – Tóth 1992 M. Flórián – B. Tóth, Tímárok (Szentendre 1992) Först 1997 E. Först, Die spätbronzezeitlichen Siedlungsbefunde von Hamburg-Marmstorf, Forschungen zur bronzezeitlichen Besiedlung in Nord- und Mitteleuropa, International Archäologie 38, 1997, 40–50 Fuchs 2009 G. Fuchs, Neues aus dem Laßnitztal, Weststeiermark. Archäologie im Abschnitt Weitendorf-Wettmannstätten der Koralmbahn, Fundberichte aus Österreich 48, 2009, 290–302 Fullár 2008 Z. Fullár, Az urnamezős kultúra települése Nagyrécse–Baráka-dűlőben, The settlement of the Urnfield culture at Nagyrécse–Baráka-dűlő, Zalai Múzeum 17, 2008, 79–92 20 21 22 23
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Nagy 2011. Benkovsky-Pivovarová 1980. Fullár 2008. Patek 1968, 94.
24 Polgár 2008, 167. 25 Nagy 1979, 57 Taf. XVIII. 26 Horváth 2012, 141–155.
Attila Botond Szilasi Grynaeus 1998–99
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Wohlsdorf: The Bronze Age Settlement and the Wells Tiefengraber 2007
Szabó 2004
Szabó 2005
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Attila Botond Szilasi
Fig. 1: Excavated area – Gem. Wettmannstätten, KG Wohlsdorf, DL – Koralmbahn Project
Fig. 2: Main part of the settlement with the houses (B2 C) and with the work activity area (Ha C/D)
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Wohlsdorf: The Bronze Age Settlement and the Wells
Fig. 3: Household clusters – activity area in the western part – a main house with two smaller outbuildings
Fig. 4: Household cluster in the southern part – object 84
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Fig. 5: Houses in the eastern part (B2 D/Ha A)
Fig. 6: Periodically filled up basin – object 728
Fig. 7: The work area – object 817, 834 and 840 (Ha C/D)
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Wohlsdorf: The Bronze Age Settlement and the Wells
Fig. 8: Tan-pits in the eastern part of the excavation area
Fig. 9: The big well with the timber construction – object 764 under excavation
Fig. 10: Variance of the wooden structure in the object 764 – presumptive sign of reparation work
Fig. 11: Object 961 – well with the remains of the wooden construction
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Fig. 12: Selected finds from the settlement – object 817, No. 1–12 (Ha C2/D1)
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Fig. 13: Selected finds from the object 764 (B2 D/Ha A1)
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„Baccus fecit“ – Überlegungen zum Fassbinderhandwerk in der römischen Antike Ingrid Tamerl Die Anregung, das Holzfass in der römischen Antike als Thema meiner Diplomarbeit1 zu wählen, verdanke ich Herrn Univ.-Doz. Dr. Wolfgang Czysz (Bayerisches Landesamt für Denkmalpflege, Dienststelle Thierhaupten). Er übernahm auch die Betreuung und ermöglichte mir die Bearbeitung mehrerer Fassfunde aus Bayern (Aislingen, Oettingen i. Bay., Gablingen und RegensburgBurgweinting). Herr Franz Herzig vom Dendrolabor an der Dienststelle Thierhaupten überließ mir bereitwillig Untersuchungsberichte sowie Fotos und Zeichnungen. Beiden möchte ich meinen Dank dafür aussprechen. Ich danke auch Herrn Dr. Reinhold Wedenig (ÖAW Graz, Institut für Kulturgeschichte der Antike), Herrn Univ.-Doz. Dr. Heimo Dolenz (Leiter Archäologischer Park Magdalensberg) und Frau Dr. Karin Mansel (Archäologische Staatssammlung München) für die Reproduktionserlaubnis. Hinsichtlich meiner Kenntnisse in Bezug auf das Fassbindergewerbe bin ich Herrn Johann Leidenfrost aus Eggenburg (Niederösterreich) zu besonderem Dank verpflichtet. Er beantwortete nicht nur bereitwillig alle meine Fragen, sondern machte sich auch durch sein großes Engagement und seinen persönlichen Arbeitseinsatz bei der Rekonstruktion der Tonne vom Magdalensberg (Kärnten) 2 verdient. Dabei konnten wertvolle Einsichten im technologischen Bereich gewonnen werden, besonders was die Herstellung von Reifenschlössern betrifft. Die Präsentation meiner Diplomarbeit erfolgte bereits in einem Vortrag, den ich am 12. Österreichischen Archäologentag 20083 gehalten habe. Damals standen in erster Linie die allgemeinen Forschungsaspekte im Vordergrund. In vorliegendem Beitrag soll nun der Fokus auf das Fassbinderhandwerk und die berufsspezifischen Werkzeuge gerichtet werden. An dieser Stelle muss aber vorweg gesagt werden, dass trotz vieler interessanter Erkenntnisse die wissenschaftliche Forschung in Bezug auf das antike Fassbinderhandwerk heute noch immer am Anfang steht. Während einzelne Sparten des römischen Handwerks bereits gut erforscht sind, gibt es derzeit kaum Literatur über die Herstellung römischer Daubengefäße. Für die Existenz des antiken Fassbinderhandwerks gibt es mehrere Hinweise: die zahlreichen Fassfunde selbst, Werkzeugspuren und Inschriften auf Fassdauben sowie die bildlichen und schriftlichen Zeugnisse, von denen noch die Rede sein soll. Eine wichtige Frage können wir noch nicht eindeutig beantworten: wir wissen nicht, ob dieses Handwerk im römischen Imperium bereits ein eigenständiger Berufszweig war, und es ist auch nicht bekannt, ob sich die Binder damals bereits zu Kollegien zusammengeschlossen hatten, wie das bei anderen römischen Handwerkszweigen der Fall war. Es ist auch unklar, wo die Wurzeln des Handwerks liegen und wer als Erfinder des Fasses angesprochen werden darf. Römische Fassfunde kennen wir bereits seit dem ausgehenden 19. und dem frühen 20. Jahrhundert, was Publikationen und Aufnahmen aus diesem Zeitraum bestätigen. Es sollte allerdings noch viel Zeit verstreichen, bis diese unscheinbaren Alltagsobjekte Gegenstand wissenschaftlicher Forschung wurden. Der erste, der sich mit Fassfunden systematisch beschäftigte, war Günter Ulbert. Sein grundlegender Aufsatz erschien 1959 in den Bayerischen Vorgeschichtsblät1 Die Diplomarbeit wurde am Institut für Archäologien, Fachbereich Klassische und Provinzialrömische Archäologie an der Universität Innsbruck eingereicht. Vgl. Tamerl 2008.
2 Vgl. auch den Beitrag von J. Leidenfrost in diesem Band S. 247. 3 Vgl. Tamerl 2010 a, 327–334.
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„Baccus fecit“ – Überlegungen zum Fassbinderhandwerk in der römischen Antike
tern. Seither haben sich Archäologen immer wieder mit der Thematik auseinandergesetzt 4. Aber erst seit ein paar Jahren wurde das Augenmerk nicht nur auf die Fassfunde selbst, sondern auch auf das Handwerk und die spezifischen Werkzeuge gelenkt. In diesem Zusammenhang ist besonders Frau Marguerite Gagneux aus Lyon zu erwähnen, die sich der Erforschung des antiken Handwerks verschrieben und mehrere Artikel5 zu diesem Thema verfasst hat. Obwohl das Fass ein sehr alltäglicher Gebrauchsgegenstand ist, kommt man nicht umhin, dem handwerklichen Geschick der antiken Fassbinder die größte Hochachtung entgegenzubringen, denn die Fertigung von Daubengefäßen setzt nicht nur einen hohen Kenntnisstand in Bezug auf die Auswahl und die Beschaffenheit der Holzarten voraus, sondern auch einen kompetenten Umgang mit den Werkzeugen. Dem Betrachter sticht die sorgfältige und präzise Verarbeitung der Oberflächen und der Kanten bei antiken Fassdauben (Abb. 1) ins Auge. Das lateinische Wort für das Fass lautet cupa, den Böttcher nannte man cuparius. Ein cuparius erzeugte nicht ausschließlich Fässer, er fertigte auch Tonnen, Bottiche, Zuber, Bütten und Eimer, die ganze Palette von Daubengefäßen, die ein Fassbinder auch heute noch herstellt. Die Berufsbezeichnung cuparius begegnet uns hin und wieder in Grabinschriften. Das Corpus Inscriptionum Latinarum (CIL) kennt fünf Beispiele: Alba du Vivarais (= Rochemaure) an der Rhône, Bordeaux an der Garonne, Nantes an der Loire, Trier an der Mosel und Catania auf Sizilien6. Die Grabinschriften stammen also aus weit voneinander entfernten Gebieten. Trotz ihrer Seltenheit belegen sie die Existenz des Handwerks im gesamten römischen Imperium. Die schriftlichen Quellen7 berichten zwar über den Gebrauch von Fässern, beispielsweise als Brandbomben im gallischen Krieg oder als Schwimmkörper im Floß- und Brückenbau, im Hinblick auf das Fassbinderhandwerk sind sie allerdings nicht sehr ergiebig. Eine Handvoll Darstellungen werden als Grabmäler von Fassbindern angesprochen. Die Beispiele stammen aus Berbourg, Autun, Bordeaux, Metz und Aquileia. Die abgebildeten Personen lassen sich jedoch nur selten eindeutig als Küfer benennen. Es könnte sich auch um Grabsteine von Winzern handeln. Bis jetzt liegt kein Beispiel vor, wo eine Darstellung mit einer Cuparius-Inschrift verbunden ist. Das Relief aus Berbourg8 wird als Fassbinderwerkstatt gedeutet. Dafür sprechen die an einem Balken hängenden Werkzeuge für die Holzbearbeitung und die zwei rundlichen Gegenstände. Es sind wohl Fässer, allerdings lässt es sich aufgrund des schlechten Erhaltungszustands nur vermuten. Die Stelen aus Autun und Bordeaux9 zeigen Männer in gegürteten Tuniken. Jener aus Autun trägt ein kleines Fass auf seiner Schulter und hält in der anderen Hand einen Bohrer. Auf dem Relief in Bordeaux legt der Mann seine Hand auf ein Fass oder einen Reifen; auch er hält ein Werkzeug mit Stiel. In diesen drei Fällen handelt es sich um Handwerker, die mit großer Wahrscheinlichkeit als Küfer anzusprechen sind. Ob die Inhaber der Stelen aus Aquileia und Metz10 Fassbinder waren, lässt sich hingegen hinsichtlich der dargestellten Gegenstände nicht eindeutig festlegen. Eindeutigere Belege für die Existenz des Fassbinderhandwerks liefern die Werkzeugspuren und Inschriften auf Fassdauben sowie die Werkzeuge, die man im Fassbau benötigt. Rund ein Fünftel aller Fassfunde tragen Inschriften11, wobei wir je nach Art des verwendeten Instruments zwischen Brennstempeln, Schlagmarken, Ritzinschriften und Pinselaufschriften 4 Vgl. Ulbert 1959, 6–29; Desbat 1991, 319–336; Desbat 1997, 113–120; Baratta 1994, 233–260; Tchernia 1997, 121–129; Marlière 2001, 181–202; Marlière 2002; Tamerl 2010 b. 5 Vgl. Gagneux 2003, 23–24; Gagneux 2005, 30–40; Gagneux 2006, 21–24. 6 Vgl. CIL XII 2669 (Alba du Vivarais = Rochemaure); CIL XIII 1, 1, 744 (Bordeaux); CIL XIII 1, 1, 3104 (Nantes); CIL XIII 1, 2, 3700 (Trier) und CIL X
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7040 (Catania). 7 Vgl. Tamerl 2010 b, 14–18. 8 Espérandieu 1913, 4221. 9 Autun vgl. Marlière 2002, 136, R25 Abb. 153; Bordeaux vgl. Espérandieu 1908, 1112. 10 Aquileia vgl. Zimmer 1982, 150–151 Kat.-Nr. 71; Metz vgl. Rose 2007, 170 Abb. 25. 1 1 Vgl. Tamerl 2010 b, 129–135 Tabelle 3.
Ingrid Tamerl
unterscheiden. Mehrere Faktoren spielen eine große Rolle bei der Lesung bzw. bei der Interpretation der Beschriftungen: der Anbringungspunkt (Dauben oder Böden, Innen- oder Außenseite), die Eindringtiefe der Stempel und der Erhaltungszustand der Hölzer sowie die dadurch bedingte mögliche Unvollständigkeit. Im Gegensatz zu den Namen, die meist leicht zu identifizieren sind, gestaltet sich die Deutung von Buchstabengruppen, einzelnen Buchstaben und Bildsymbolen eher schwierig. Einige Inschriften können mit großer Sicherheit mit dem Fassbinder in Verbindung gebracht werden: jene auf der Innenseite der Dauben. Diese Inschriften mussten nämlich aus arbeitstechnischen Gründen vor dem Zusammensetzen des Fasses angebracht werden. Deshalb stammen diese mit hoher Wahrscheinlichkeit vom Produzenten oder seinen Gehilfen. Wenn Namen aufscheinen, stehen diese meistens im Genitiv und sind teilweise sogar mehrfach vertreten. Personennamen im Genitiv sind auch auf anderen Alltagsobjekten, Gefäßen, Werkzeugen, Waffen und sonstigen militärischen Ausrüstungsgegenständen zu finden. Sie kennzeichnen immer den jeweiligen Genannten als Eigentümer. Ob das auch für die Namen auf Fässern zutrifft, muss freilich offen bleiben12. Zahlen (Abb. 2) und Bildsymbole wie z. B. Sterne oder Kreuze wurden als Vermerke des Fassbinders bei der Daubenherstellung bzw. beim Zusammenstellen (Aufsetzen) der fertigen Dauben interpretiert13. Möglicherweise markierte man eine Daube, wenn eine bestimmte Anzahl von Dauben fertiggestellt war. In diesem Fall würde der Stempel die Tagesleistung eines Fassbinders kennzeichnen14. Personennamen verbunden mit dem Kürzel „f “ (fecit) sind selten anzutreffen, bis jetzt nur auf den Fassböden aus Tasgetium (Eschenz) und Vitudurum (Oberwinterthur)15. Diese Ritzinschriften nennen Senatus, Baccus und Marnus. Da die Schriftzüge an der Außenseite der Fassböden angebracht wurden, wissen wir allerdings nicht, ob die genannten Namensträger die Fässer oder deren Inhalt produziert haben. Meistens wird jedoch die Kombination aus Namen und dem Kürzel „f “ oder „fec“ („hat gemacht“) als Herstellernachweis interpretiert. Betrachten wir kurz die Geräte für das Anbringen der Inschriften. Die einfachste Art ist das Einritzen einer Inschrift mit einem Stilus oder einem anderen spitzen Gegenstand. Für den Brandstempel (Abb. 3) benötigt man ein Stempeleisen, das sog. signaculum16. Es besteht aus einer Leiste mit dem Schriftzug und einem Griff. Die Buchstaben können auch einzeln gearbeitet sein. Es wurde erhitzt und glühend ins Holz gedrückt. Mit der Stempelaxt (Abb. 4) wird die Inschrift hingegen im kalten Zustand ins Holz geschlagen. Es handelt sich dabei um eine Axt, an deren Nacken das Relief einer spiegelverkehrten Inschrift angebracht ist. Die Auffindung eines signaculums oder einer Stempelaxt muss allerdings nicht unbedingt auf einen Fassbinder hinweisen. Die genannten Geräte wurden nicht nur von Fassbindern verwendet, sondern auch zum Markieren von Vieh, Waffen, Werkzeuggriffen, Baumstämmen und Bohlen17. Lenken wir unseren Blick auf die Werkzeuge, die im Fassbau gebraucht werden: Zugmesser, Zirkel, Säge, Dechsel, Beile, Messer, Hobel und Schlägel. Allerdings wurden diese Geräte wiederum nicht ausschließlich vom Fassbinder, sondern auch von anderen mit Holz arbeitenden Handwerkern oder sonst im Alltag benutzt. Das Bild (Abb. 5) zeigt eine Zusammenstellung aller Werkzeuge, die bei der Rekonstruktion des Fasses vom Magdalensberg18 zum Einsatz kamen: Im Zusammenhang mit dieser Arbeit ergaben sich immer wieder Fragen zum Herstellungsprozess in der Antike. Eine Frage lautet: Wie wurde die Nut für die Aufnahme der Böden in die Fassdauben gehobelt ? Die Schwierigkeit besteht darin, dass der Abstand von Nut und Daubenrand sowie die Breite und Tiefe der Nut bei
12 Vgl. Bauer 2009, 30 Anm. 44. 13 Vgl. Hebert u. a. 2005, 47. 14 Vgl. Bauer 2009, 30. 1 5 Eschenz vgl. Hedinger – Leuzinger 2002, 103 Kat.Nr. 47; Oberwinterthur vgl. Hedinger – Leuzinger 2002,
102 Kat.-Nr. 42 und 43; Clerici 1983, 14–24; Jauch – Zollinger 2010, 10–12 Abb. 15–17. 16 Vgl. Desbat 1991, 327 Abb. 9. 17 Vgl. Gagneux 2006, 22 f. 18 Vgl. Beitrag J. Leidenfrost in diesem Band S. 247.
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„Baccus fecit“ – Überlegungen zum Fassbinderhandwerk in der römischen Antike
allen Dauben exakt übereinstimmen müssen. Außerdem muss die Nut, auch Gargel oder Kimme genannt, bei allen Dauben auf der gleichen Höhe angebracht werden. Denn sonst wäre das Fass undicht. Heute wird dafür der Gargelkamm (Abb. 6) oder der Nuthobel (Abb. 7) verwendet. Eine zweite Frage betrifft das Fügen von langen Dauben. Der Fassbinder spricht von Daubenlängen, die bei antiken Holzfässern zwischen 31 cm und 2,16 m liegen. Beim Fügen (Abb. 8) werden die Seitenkanten der Dauben und der Bodenstücke sorgfältig gehobelt. Es ist unklar, ob beim Fügen von längeren Dauben der sog. Langhobel, für den es laut J. M. Greber 19 keinen archäologischen Nachweis gibt, zum Einsatz kam. Ein bei der Daubenherstellung unverzichtbares Gerät ist das Zugmesser (Abb. 9). Der Fassbinder handhabt das Zugmesser, indem er es mit beiden Händen an den Griffen hält und es über das Daubenholz zu sich her zieht (Abb. 10). Das Gerät erfüllt dieselbe Funktion wie ein Hobel, mit dem Unterschied, dass der Hobel eine ebene und keine gerundete Fläche erzeugt. Aber auch dieses Werkzeug wird nicht nur vom Fassbinder, sondern auch vom Wagner bei der Herstellung der Speichen und Räder benutzt. Im Schiffsbau kommt es bei der Bearbeitung der Bordwände zum Einsatz. Für dieses spezielle Holzbearbeitungswerkzeug ist keine lateinische Bezeichnung überliefert, es scheint auch nicht dargestellt worden zu sein, es gibt jedoch zahlreiche Funde. M. Gagneux, die in der Zeitschrift „Instrumentum“ dem Zugmesser und anderen Holzbearbeitungswerkzeugen einen Aufsatz gewidmet hat, zählt 52 Exemplare. 21 entfallen auf das römische Imperium und die Zeit der Völkerwanderung, 31 sind vorrömisch. Die Autorin unterscheidet aufgrund bestimmter Merkmale (Form der Schneide und Maße der Heftzapfen) vier Zugmesser-Typen. Die Schneide bei Typ 1 ist gerade und schmal (2–4 cm breit), die Heftzapfen sind kurz. Typ 2 und 3 haben eine mehr oder weniger gebogene Schneide von unterschiedlicher Länge (9–30 cm) und Breite (3–8 cm), die Länge der Heftzapfen beträgt hier bis zu 36 cm. Bei Typ 4 hingegen liegt eine halbkreisförmige Wölbung der Schneide vor, die Heftzapfen stehen leicht nach außen20. Das Fassbindergewerbe ist ein standortgebundenes Gewerbe, ähnlich wie das des Drechslers. In beiden Fällen muss ein Vorrat von gut abgelagertem Holz vorhanden sein. Es ist verlockend, in Gegenden, wo Fass- und Werkzeugfunde sowie bildliche und epigraphische Quellen zusammen vorliegen, Herstellungszentren anzusiedeln, wie das E. Marlière21 in ihrem Buch tut. Sie postuliert im römischen Imperium fünf Fassbinderzentren: in Lyon, in Bordeaux, in Nantes an der Loiremündung, in Burgund und im Moselland. Ob die vorgebrachten Indizien ausreichen, erscheint jedoch fraglich. Viel aussagekräftiger wäre hier wohl eine breit angelegte dendroarchäologische Analyse der bisher gefundenen Daubenhölzer in Bezug auf die Herkunft des Holzes, den Verarbeitungsort und den Fundplatz vorzunehmen, wie es S. Bauer in ihrer Abhandlung über den Strukturwandel im Küferhandwerk vorschlägt. Der Autorin gelang es, anhand der dendrochronologischen Analyse von 10 Fassfunden aus Mainz den Strukturwandel einer Fassbinderwerkstatt im antiken Mainz nachzuweisen22. Allerdings fehlt bis jetzt die von ihr angeregte umfassende Analyse, mit deren Hilfe weitere Erkenntnisse in Bezug auf das Fassbindergewerbe gewonnen werden könnten. Die Frage der möglichen Herstellungszentren zieht gleich die nächste Frage nach sich: Wo liegen die Wurzeln des Handwerks und wer darf als „Erfinder des Handwerks“ angesprochen werden ? Einige Autoren haben sich mit dieser Thematik auseinandergesetzt, im Gespräch sind die Etrusker, die Kelten, die Gallier und die Raeter. Bis jetzt fehlen jedoch eindeutige Belege, die ein bestimmtes Volk als Erfinder ausweisen23. In diesem Zusammenhang werden die oft zitierten Zeilen aus der Naturgeschichte des Plinius bemüht: „Circa Alpes ligneis vasis condunt circulisque cingunt atque etiam hieme gelida ignibus rigorem arcent.“ [Im Gebiet der Alpen bewahren sie ihn in 19 Vgl. Greber 1956, 100. 20 Vgl. Gagneux 2006, 21–24. 2 1 Vgl. Marlière 2002, 177–179.
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22 Vgl. Bauer 2009, 21–40. 23 Vgl. Tamerl 2010 b, 23–24.
Ingrid Tamerl
hölzernen Gefäßen auf, umschließen diese mit Reifen und halten sogar im strengen Winter den Frost durch Feuer ab] 24. Durch diese Aussage wird Plinius oft unterstellt, dass er den Galliern bzw. den Kelten die Erfindung des Fassbindergewerbes zuschreibt. Dabei werden aber zwei Dinge übersehen: Plinius nennt eigentlich gar kein bestimmtes Volk und er spricht eigentlich nur von der Verwahrung des Weines in einem bestimmten Gebiet25. Gagneux26 favorisiert die Raeter, weil in diesem Gebiet (Manching, Sanzeno) Holz- und Werkzeugfunde bereits aus vorrömischer Zeit vorliegen. Jedes Handwerk erbat sich Schutz von bestimmten Göttern, so etwa die Schreiner von Minerva oder die Schmiede von Vulkan. Es stellt sich nun die Frage, ob sich auch die Fassbinder unter den Schutz eines Gottes stellten. Viel spricht für Sucellus, der besonders in der Gallia Belgica und der Gallia Narbonensis verehrt wurde, dessen Zuständigkeit aber bislang nicht eindeutig geklärt werden konnte. Er wird aufgrund seines häufigsten Attributs – des Schlägels – auch als Hammer- oder Schlägelgott bezeichnet. Die Deutungsvorschläge reichen von Schicksalsgott über Unterweltsgott27 bis zum Gott des Weinanbaus und der damit verbundenen Berufe (Winzer, Weinhändler und Fassbinder)28. Für einen Weingott sprechen die Handwerkertracht (Hose, Tunika, Mantel), der nahezu omnipräsente Hammer sowie die auf zahlreichen Bildwerken beigegebenen Fässer und Amphoren. Sucellus wird jedoch nie bei der Arbeit im Weinbau gezeigt 29. W. Binsfeld sieht im Sucellus-Relief aus Kienheim eindeutig einen Bezug des Gottes zum Fassbinderhandwerk. Der dargestellte Schlägel sei mit ziemlicher Sicherheit zum Auftreiben der Fassreifen verwendet worden30. Nach M. Kotterba31 ist das Werkzeug der Küferei zuzuordnen. Bis in die jüngste Vergangenheit waren Fässer in fast jedem Haushalt anzutreffen, besonders Weinbauern und Bierbrauer hatten sie in Gebrauch. Aber auch Schmalz, Fett, Heringe und Petroleum wurden in solchen Gebinden geliefert. Sie dienten auch als Packfässer für Werkzeuge (Sensen) oder Äpfel und als Aufbewahrungsbehälter für Schießpulver. Seit dem Siegeszug der Metall- und Plastikbehälter im Laufe des 20. Jahrhunderts hat das jahrhundertealte Handwerk jedoch an Bedeutung verloren und droht allmählich in Vergessenheit zu geraten. Umso schöner war es für mich zu erfahren, dass in diesem Jahr sieben Kandidaten32 die Meisterprüfung zum Binder ablegten und somit alte Handwerkstechniken weiterleben. Abbildungsnachweis Abb. 1: Foto F. Herzig, Thierhaupten Abb. 2 a: Foto R. Wedenig, Graz, Abb. 2 b: Zeichnung R. Wedenig, Graz, Abb. 3: Foto F. Herzig, Thierhaupten Abb. 4: Dannheimer 1971, 322 Abb. 1 Abb. 5, 6, 7, 8, 9 b, 10: Foto J. Leidenfrost, Eggenburg Abb. 9 a: Dolenz 1998, 381 Taf. 73, W290
24 Plin. nat. 14, 132 (Übersetzung R. König). 25 Vgl. Gagneux 2003, 24. 26 Vgl. Gagneux 2005, 36–37; zu Sanzeno vgl. Nothdurfter 1979, 118 Nr. 117–120 Taf. 7. 27 Vgl. Euskirchen 2001, 1074 s. v. Sucellus und Keune RE IV, 515–540 s. v. Sucellus (J. B. Keune). 28 Vgl. Binsfeld 1979, 263–269; Gilles 1999, 144;
Kotterba 2000, 18–25. 29 Vgl. Kotterba 2000, 20. 30 Vgl. Binsfeld 1979, 265. 3 1 Kotterba 2000, 20. 32 Freundlicher Hinweis von Herrn Leidenfrost, Eggenburg.
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„Baccus fecit“ – Überlegungen zum Fassbinderhandwerk in der römischen Antike Bibliographie Baratta 1994
G. Baratta, Circa Alpes Ligneis Vasis Condunt Circulisque Cingunt, ArchCl 46, 1994, 233–260 Bauer 2009 S. Bauer, Vom Großbetrieb zur kleinen Werkstatt – der Strukturwandel im römischen Küferhandwerk aus dendroarchäologischer Sicht, Mainzer Archäologische Zeitschrift 8, 2009, 21–40 Binsfeld 1979 W. Binsfeld, Zu treverischen Kultdenkmälern, in: Festschrift 100 Jahre Rheinisches Landesmuseum Trier. Beiträge zur Archäologie und Kunst des Trierer Landes, Trierer Grabungen und Forschungen 14 (Mainz 1979) 263–269 Clerici 1983 R. Clerici, Römische Fässer aus Vitudurum, HelvA 14, 1983, 14–24 Dannheimer 1971 H. Dannheimer, Donatus, ein Küfer aus Epfach, BayVgBl 36, 1971, 322–324 Euskirchen 2001 Der Neue Pauly 11 (2001) 1074 s. v. Sucellus (M. Euskirchen) Desbat 1991 A. Desbat, Un bouchon de bois du premier s. après J.-C. recueilli dans la Saône à Lyon et la question du tonneau à l’époque romaine, Gallia 48, 1991, 319–336 Desbat 1997 A. Desbat, Le tonneau antique. Questions techniques et problème d’origine, in: D. Meeks – D. Garcia (Hrsg.), Techniques et économie antiques et médiévales. Le temps de l’innovation. Colloque International Aix-en-Provence 1996 (Paris 1997) 113–120 Dolenz 1998 H. Dolenz, Eisenfunde aus der Stadt auf dem Magdalensberg I. Archäologische Forschungen zu den Grabungen auf dem Magdalensberg 13 – Kärntner Museumschriften 75 (Klagenfurt 1998) Espérandieu 1908 E. Espérandieu, Recueil générale des bas reliefs de la Gaule romaine II (1908) Espérandieu 1913 E. Espérandieu, Recueil générale des bas reliefs de la Gaule romaine V (1913) Gagneux 2003 M. Gagneux, L’origine du tonneau, Instrumentum 18, 2003, 23–24 Gagneux 2005 M. Gagneux, La tonnellerie dans l’Antiquité, Archéologia 421, April 2005, 30– 40 Gagneux 2006 M. Gagneux, De la „hache marteau“ à la „plane à genoux“: les outils en métal pour le travail du bois dans l’Europe antique, Instrumentum 24, 2006, 21–24 Gilles 1999 K.-J. Gilles, Bacchus und Sucellus. 2000 Jahre römische Weinkultur an Mosel und Rhein (Briedel 1999) Greber 1956 J. M. Greber, Die Geschichte des Hobels von der Steinzeit bis zum Entstehen der Holzwerkzeugfabriken im frühen 19. Jahrhundert (Zürich 1956) Hedinger – Leuzinger 2002 B. Hedinger – U. Leuzinger (Hrsg.), Tabula Rasa. Holzgegenstände aus den römischen Siedlungen Vitudurum und Tasgetium (Frauenfeld 2002) Hebert u. a. 2005 B. Hebert – M. Marius – R. Wedenig, Ein römisches Holzfass mit Ritzinschrift aus der Lafnitz, AÖ 16/1, 2005, 46–49 Jauch – Zollinger 2010 V. Jauch – B. Zollinger, Holz aus Vitudurum – Neue Entdeckungen in Oberwinterthur, ASchW 33, 3, 2010, 2–13 Keune 1931 RE IV A 1 (1931) 515–540 s. v. Sucellus (J. B. Keune) Kotterba 2000 M. Kotterba, Sucellus und Nantosuelta. Untersuchungen zu einem gallo-römischen Götterpaar in den Nordprovinzen des Imperium Romanum (Dissertation Freiburg im Breisgau 2000) (05.02.2012) Marlière 2001 É. Marlière, Le tonneau en Gaule romaine, Gallia 58, 2001, 181–201 Marlière 2002 É. Marlière, L’outre et le tonneau dans l’Occident romain, Monographie Instrumentum 22 (Montagnac 2002) Rose 2007 H. Rose, Vom Ruhm des Berufs. Darstellungen von Händlern und Handwerkern auf römischen Grabreliefs in Metz, in: F. u. T. Hölscher (Hrsg.), Römische Bilderwelten. Von der Wirklichkeit zum Bild und zurück, Kolloquium der Gerda Henkel Stiftung am Deutschen Archäologischen Institut Rom 2004 (Heidelberg 2007) 145–179 Nothdurfter 1979 J. Nothdurfter, Die Eisenfunde von Sanzeno im Nonsberg, Römisch-Germanische Forschungen 38 (Mainz 1979) Sylvestre u. a. 2010 R. Sylvestre – M. E. Fuchs – R. Frei-Stolba – F. Steiner – A. Lüthy – M. Krieger, Le Èpigraphie „mineur“ dans le sites suisse, ASchW 33, 1, 2010, 2–18
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Ingrid Tamerl Tamerl 2008 Tamerl 2010 a
Tamerl 2010 b Tchernia 1997
Ulbert 1959 Zimmer 1982
I. Tamerl, Das Holzfass in der römischen Antike mit einer Studie zu Fassfunden in Raetien (Diplomarbeit Innsbruck 2008) I. Tamerl, Das Holzfass in der römischen Antike, in: M. Meyer – V. Gassner (Hrsg.) Standortbestimmung. Akten des 12. Österreichischen Archäologentages vom 28.2. bis 1.3.2008 in Wien (Wien 2010) 327–334 I. Tamerl, Das Holzfass in der römischen Antike (Innsbruck 2010) A. Tchernia, Le tonneau, de la bière au vin, in: D. Meeks – D. Garcia (Hrsg.), Techniques et économie antiques et médiévales. Le temps de l’innovation. Colloque International Aix-en-Provence 1996 (Paris 1997) 121–129 G. Ulbert, Römische Holzfässer aus Regensburg, BayVgBl 24, 1959, 6–29 G. Zimmer, Römische Berufsdarstellungen, AF 12 (Berlin 1982)
Abb. 2 a: Ritzinschrift auf dem Fass aus der Lafnitz
Abb. 2 b: Umzeichnung der Ritzinschrift auf dem Fass aus der Lafnitz
Abb. 1: Daube mit Gargel, RegensburgBurgweinting
Abb. 3: Brandstempel auf einer Fassdaube, Munningen
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„Baccus fecit“ – Überlegungen zum Fassbinderhandwerk in der römischen Antike
Abb. 6: Gargelkamm (modern)
Abb. 4: Stempelaxt mit Inschrift DONAT, Epfach, Archäologische Staatssammlung München Abb. 7: Nuthobel (modern)
Abb. 5: Verschiedene Werkzeuge für die Daubenherstellung
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Ingrid Tamerl
Abb. 8: Fügen einer Daube
Abb. 9 b: Modernes Zugmesser
Abb. 10: Funktionsweise eines Zugmessers
Abb. 9 a: Antikes Zugmesser vom Magdalensberg
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St. Jakob am Mitterberg – Romanische Kirchenruine und frühe mittelalterliche Burgstelle Susanne Tiefengraber Die kleine Kirche St. Jakob am Mitterberg ist nicht nur im Hinblick auf ihre auffällige topographische Lage auf dem Plateau eines künstlichen Hügels bemerkenswert, sondern auch dadurch, dass in ihrem baulichen Bestand der spätromanische Zustand bis heute weitgehend bewahrt blieb. Außerdem haben sich in ihrem Inneren Fresken mit der Darstellung einer Jakobsleiter erhalten, einer Thematik, die nur an wenigen Objekten in Österreich zu finden ist. Wegen dieser Besonderheiten wurde das interessante Objekt von der gemeinnützigen österreichischen Baukultur Privatstiftung (DI Johann Kolb) erworben und als erstes Projekt untersucht. Deren Prämisse ist es, bedeutende Bausubstanz zu erhalten und detailliert zu erforschen. Diese Untersuchungen wurden von einem Team von Bauforschern unter der Leitung von DI Jürgen Moravi in ein- bis zweiwöchigen Kampagnen in den Jahren 2000 bis 2011 durchgeführt. Begleitend dazu wurden diverse Sicherungs- und Erhaltungsarbeiten, Wiedererrichtungen von verstürzten Mauern und eine neue Eindeckung des Gebäudes vorgenommen. Bereits seit längerer Zeit existiert die Vermutung, dass sich an der Stelle der Kirche ehemals eine Burg befunden haben soll. Topographische Auffälligkeiten und bei Begehungen aufgelesene Streufunde ließen diese Annahme plausibel erscheinen. Daher fanden parallel zu den Bauforschungen in den Jahren 2008, 2009 und 2011 archäologische Ausgrabungen unter der Leitung von Mag. Dr. Georg Tiefengraber im Bereich des Kirchen- bzw. Burghügels, des Vorburgbereiches und im Inneren der Kirche statt. 1
Geschichte Die Kirche wurde in einer Urkunde vom 17. April 1460 als Tochterkirche von St. Marein erstmals genannt. Bereits 1987 meinte W. Brunner, dass sie ursprünglich als Kapelle einer frühen Wehranlage oder eines Edelhofes entstanden sei, wofür sowohl die wehrtechnisch gute Lage auf einem Richtung Nordosten vorspringenden Sporn, als auch noch erkennbare Grundmauern einer Wehranlage sprächen2. Er interpretiert die neben der Kirche liegende, 1494 erstmals genannte „Mesenhuebm“ als die vermutliche Meierei der Burganlage3. 1787 wurde die Kirche im Zuge der Josephinischen Pfarrregulierung aufgehoben. Sie hat aber trotzdem offenbar noch eine Zeit lang bestanden. Im franziszäischen Kataster von 1823 ist die Jakobskirche noch im Grundriss eingetragen, 1849 wird sie bereits als Ruine bezeichnet. Mit einem Erlass wird 1891 die gänzliche Suppression (Auf hebung) angeordnet4. Später wurde die ehemalige Kirche als Heustadel verwendet, verfiel zusehends, stand aber bis zur Mitte des 20. Jh.s noch aufrecht, bis Jugendliche, die mit Karbid hantierten, die Westwand und das Dach der Kirche zum Einsturz brachten.
Die archäologische Untersuchung der Altburgstelle5 Im Zuge der archäologischen Untersuchungen sollte einerseits der Frage nach einem eventuell vorhandenen Vorgängerbau nachgegangen und Erkenntnisse über den Aufbau der Fundamente und 1 Der österreichischen Baukulturstiftung und dem Verein zur Erhaltung und Erforschung der österreichischen Baukultur sei herzlich für die Unterstützung der Forschungen und die gute Zusammenarbeit gedankt. 2 Brunner 1987, 190.
3 Brunner 1987, 386. 4 Brunner 1987, 191. 5 Als Quelle dienten in erster Linie die unpubl. Grabungsberichte, Tiefengraber 2008; Tiefengraber 2009; Tiefengraber 2011.
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St. Jakob am Mitterberg – Romanische Kirchenruine und frühe mittelalterliche Burgstelle
Mauern der Kirche gewonnen werden. Andererseits stand die Suche nach der hier vermuteten Burgstelle im Vordergrund des Interesses. Die auffällige rund-ovale Form des Kirchhügels mit dem künstlich eingeebneten Plateau und den abgesteilten Kanten an der Nord- und Ostseite, die vorgelagerten Terrassierungen mit deutlich ausgeprägten regelmäßigen Kanten an der Ost- und Südseite und der tief eingeschnittene, aus nordöstlicher Richtung bergan führende Zugangsweg waren neben dem an der Westseite vorgelagerten, verschliffenen Wall und Graben Anzeichen für eine frühe Burgstelle. Bereits im Zuge der ersten archäologischen Untersuchung im Jahr 2008 konnte die einst das Hügelplateau umgebende, heute großteils ausgerissene Ringmauer dieser frühen Burg nachgewiesen werden6. Das Steinmaterial dieser Mauer wurde bis auf die untersten Lagen des Fundamentes vollständig abgetragen und für die Errichtung der Jakobikirche und in weiterer Folge auch der angrenzenden Gebäude verwendet. Einzelne Steine mit Hebelöchern sind noch heute im ruinösen Mauerwerk dieser weitgehend abgekommenen Häuser zu beobachten. Am Plateau des Burghügels fanden sich die Reste der aus Holz errichteten mehrphasigen Bebauung des inneren Burgbereiches7. Eine Ecke eines in Schwellriegelkonstruktion errichteten Gebäudes konnte durch Unterlagesteine für die Holzbalken und ein Pfostenloch mit Keilsteinen nachgewiesen werden. Als Reste eines weiteren Gebäudes sind ein abschnittsweise und nur mehr seicht erhaltenes Balkengräbchen sowie eine im rechten Winkel dazu verlaufende Pfostengrubenreihe zu betrachten, die allesamt in den anstehenden Fels bzw. in den auf liegenden Erosionsschutt eingetieft waren. Im ebenfalls terrassierten Vorburgbereich wurde eine Steinlage, die als Unterbau einer Feuerstelle diente, festgestellt. Die Vorburg beherbergte den Wirtschafts-, Handwerks- und Wohnbereich.
Die Kirche St. Jakob am Mitterberg Die Kirche vom Bautyp eines Saalraumes mit Chorquadrat präsentiert sich heute noch in ihrer annähernd ursprünglichen Form. W. Deuer spricht davon, dass dieser Bautyp vom 9. bis ins 13. Jh. vor allem als Burgkirche Verbreitung fand. Im Bereich von Neumarkt und Murau kam es zu einer starken Verbreitung dieses Bautyps, wobei die Blütezeit des steirischen Saalraumes mit Chorquadrat ins spätere 12. und frühe 13. Jh. fällt8. Deuer erwähnt im Text seiner Dissertation von 1982 St. Jakob am Mitterberg nicht, verzeichnet die Kirche jedoch auf einer Karte mit der Darstellung der Rechteckchöre in der Steiermark9. Im Laufe ihres Bestehens erfuhr der Bau einige Umgestaltungen, die jedoch nicht so tiefgreifend waren, dass sie die Kernsubstanz der Spätromanik nachhaltig veränderten. An das 10,867 m messende Langhaus von St. Jakob ist ein nach Osten orientiertes Chorquadrat von 5,465 m angesetzt, das um 3° aus der Achse des Langhauses nach Norden gedreht ist. Die an der Nordseite des Chores später angefügte Sakristei misst 5,963 m.
Die archäologische Untersuchung des Kirchenbaues10 Das aus Bruchsteinen errichtete Fundament der Kirche weist einen leichten Vorsprung gegenüber dem aufgehenden Mauerwerk auf. Während der Ausgrabung 2009 konnte an der nördlichen Langhauswand ein Pfostenloch für die Errichtung des Gerüstes zum Bau der Kirche nachgewiesen werden, dessen Verankerung mit Querhölzern durch Löcher in der nördlichen Steinmauer verifiziert ist. Ein Kirchenbrand im Spätmittelalter verfärbte den anstehenden Fels durch die starke Hitzeeinwirkung des herabgestürzten hölzernen Daches rot. In der massiv erhaltenen, schwarz 6 Tiefengraber 2009 a, 487. 7 Tiefengraber 2010, 405. 8 Deuer 1982, 90–91.
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9 Deuer 1982, Karte 6. 10 Als Quelle dienten die unpubl. Grabungsberichte, Tiefengraber 2008; Tiefengraber 2009; Tiefengraber 2011.
Susanne Tiefengraber
verfärbten Brandschicht fanden sich sehr viele Nägel, die zum Befestigen der Dachschindeln dienten. Im Chor konnte ebenfalls eine Brandschicht freigelegt, dokumentiert und abgetragen werden. Unterhalb der Brandschicht trat im gesamten Chorbereich der ursprüngliche, spätromanische Kalkestrich, der einige barocke Ausbesserungen aufwies, zutage. Etwa einen halben Meter westlich des Altarsockels lag mit der Oberseite nach unten die in den 50 er Jahren des 20. Jh.s vom Altar gekippte und an einer Seite gebrochene, rechteckige Altartischplatte. Diese weist eine Größe von 1,51 × 1,02 × 0,25 m auf. In der Mitte ihrer Oberseite ist eine quadratische, einfach getreppte Ausnehmung für die Aufnahme von Heiligenreliquien angebracht, die an den Ecken vier Löcher zur Befestigung einer Abdeckung aufweist. Unter der Altarplatte befand sich auf der Brandschicht eine Lage aus teils bemalten Wandverputzresten. Rund um den Altarsockel lagen in der Brandschicht mehrere größere, an ihren Rändern und Enden zumeist angekohlte Holzbretter, die vermutlich zu einem hölzernen Altaraufsatz oder einer Altarverkleidung gehörten. Die Ausgrabung des Jahres 2011 befasste sich mit der Untersuchung des Bodens im Inneren des Langhauses. Der gotische Mörtelestrich ist in großen Bereichen erhalten und weist eher geringe, spätere Störungen auf. Darunter konnte ein zweiter Mörtelstrich, der zum romanischen Kirchenbau gehörte, festgestellt werden. Der Fundamentunterbau für diesen zweiphasigen Estrich bestand aus einer massiven Bruchsteinlage, die im Bereich einer schmalen Tiefsondage im südöstlichen Bereich des Langhauses dokumentiert werden konnte. Darunter kamen auch hier die Reste der Innenverbauung des Burgplateaus (Holzgebäudereste, Balkengräbchen, Pfostengruben) zutage. Es wurden jedoch keine Hinweise auf einen aus Stein errichteten Vorgängerbau der Kirche gefunden.
Ergebnisse der Bauforschung11 Vor Beginn der Untersuchungen, Sicherungen und Wiedererrichtungsmaßnahmen, waren nur die Nordmauer, die Ostmauer samt Giebel und zwei Drittel der Südmauer des Langhauses, bis auf einige abgetragene Lagen der Mauerkronen, komplett erhalten. Die Westwand, die in der 2. Hälfte des 20. Jh.s durch eine Explosion in ihrer Gesamtheit Richtung Westen stürzte, war nur noch im Fundamentbereich erhalten, wurde jedoch nach ihrer steingerechten Dokumentation wieder aufgemauert. Die romanische Ostmauer des Chores war komplett, der darüber befindliche Giebel noch in Ansätzen erhalten. Die Südmauer des Chores war etwa zur Hälfte erhalten. Die Nordmauer war im Bereich ihrer Krone stark verfallen, das überdeckende Tonnengewölbe eingestürzt. Der heutige Kircheneingang an der Westseite wurde erst in der Barockzeit angelegt. Der ursprüngliche Zugang befand sich an der Südseite, seine Lage ist in der Bausubstanz heute noch kenntlich. Außerdem war an der Nordseite ein Hocheinstieg vorhanden, der in die Westempore führte. Diese ebenfalls noch sichtbare, später vermauerte romanische Emporentür erreichte man über eine Holztreppe von außen. Durch Balkenlöcher in der Nordmauer ist eine hölzerne Lförmige Empore nachgewiesen, die durch im Zuge der archäologischen Untersuchung 2011 entdeckte Pfostenlöcher verifiziert werden konnte. An der Südfassade befanden sich ursprünglich drei romanische Doppeltrichterfenster, die durch den Einbau von rechteckigen Fenstern im Barock gestört und teilweise vermauert wurden. Das östliche ist nur noch im Rundbogenbereich als Original erhalten, das mittlere war vermauert und wurde im Zuge der Renovierungsarbeiten wieder geöffnet. Das westliche Doppeltrichterfenster lässt sich nur mehr durch ein Foto aus den 1940 er Jahren nachweisen. An der gleichen Position wurde bei der Renovierung eine rechteckige Öffnung angebracht. 1 1 Als Quelle für die folgenden Abschnitte diente der unpubl. Bericht der Bauforschung: Kuttig u. a. 2007.
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St. Jakob am Mitterberg – Romanische Kirchenruine und frühe mittelalterliche Burgstelle
An der Ostseite des Langhauses bildet ein 1,76 m breiter und 2,80 m hoher Triumphbogen, dessen Ansatz einen Rücksprung aufweist, den Zugang zum Chor. Das Langhaus war einst mit einer romanischen Holzbalkendecke versehen, die durch heute vermauerte Balkenlöcher an der Nord- wie auch an der Südmauer nachgewiesen ist. Die romanische Dachkonstruktion des Langhauses lässt sich durch heute nicht mehr erhaltene Löcher für die Bundbalken an der Südmauer und auf Fotos dokumentierten Löchern an der Mauerkrone der Nordmauer nachweisen. Eine jüngere Balkendecke wurde im Zuge der Wiederherstellung nach einem Brand im Spätmittelalter in denselben Löchern versetzt. Die Dachneigung des romanischen Daches lässt sich durch den Giebel der Langhauswand auf etwa 47° festlegen. Dieser Giebel war großflächig in Fischgrätmauerwerk (opus spicatum) ausgeführt. Ein romanischer Dachreiter lässt sich durch ein 0,80 m vor der Westmauer situiertes, großes Balkenloch in der Höhe der Balkendecke nachweisen. An der Ostfassade sind die Chorwand aus dem mittleren 13. Jh. und die gegen Norden im Barock angefügte Sakristei sichtbar. Die Mauerwerkstechnik der Ostmauer des Chores gehorcht mit der Einhaltung der Arbeitshöhen und der lagigen Schichtungstechnik den Baugepflogenheiten des mittleren 13. Jh.s. Die Einzellagen ergaben sich durch die Verwendung von ähnlich großen Steinen. Einzelne flache Durchschießer nivellieren nach jeder Steinreihe die horizontale Ebene. Einige Ecksteine reichen über zwei Steinlagen des Mauerwerkes. Im Giebelbereich finden sich, um die Einzellagen zu erhalten, schräg gestellte plattige Steine, die jedoch kein echtes opus spicatum ausbilden. Wie an der Südseite ist im bodennahen Bereich die Verwendung von großen längsrechteckigen Steinen zu beobachten. Die Lagen der darüber liegenden Steine sind niedriger gehalten. Der romanische Setzmörtel ist an der Oberfläche in „pietra rasa“-Technik geglättet. In der Ostmauer des Chores befindet sich ein komplett erhaltenes Doppeltrichterfenster, dessen originales Fensterholz erhalten blieb. Ein vermutlich vorhandenes romanisches Fenster in der Südmauer lässt sich nicht mehr nachweisen. In der letzten Bauphase wurde hier ein Rechteckfenster eingefügt, das auf Fotos aus den 1940 er Jahren dokumentiert ist. Der Chor war von einem Tonnengewölbe, dessen Ansätze erhalten blieben, überspannt. Der gesamte Chor war mit Fresken geschmückt, die sich teilweise, wie die Jakobsleiter-Darstellung im Triumphbogen, noch erhalten haben. Der größte Teil ist jedoch nur mehr durch alte Fotos erfassbar und konnte teils in Fragmenten aus dem Schutt des Chores geborgen werden. Vom Chordach sind an der Nord- und Südwand die außen mauerbündig liegenden Schwellbretter nachzuweisen. An der Nordmauer konnten zusätzlich drei Balkenlöcher mit vermorschten Holzresten der Dachkonstruktion nachgewiesen werden. Die Dachneigung von 47° zeichnet sich auch durch die Putzkante im angrenzenden Mauerwerk der Langhaus-Westmauer ab. Die später angefügte Sakristei betrat man durch eine nachträglich in die Chor-Nordmauer eingefügte Türöffnung. Sie hatte je ein Fenster in der Ost- und Nordmauer, eine Mauernische in der Nordmauer und ein mit Lehm gemauertes Tonnengewölbe mit zwei Stichkappen. Das Gewölbe wurde bald nach der Errichtung mit einem Stützpfeiler unterfangen, der den Raum in zwei Hälften teilt. Reste der Dachkonstruktion waren erhalten, außerdem fanden sich im Schutt Schindelreste.
Die malerische Ausstattung In der Laibung des Triumphbogens der Kirche hat sich die seltene Darstellung einer Jakobsleiter aus dem späteren 13. Jh. erhalten. Die erklärende Geschichte dazu ist im Alten Testament überliefert. Nachdem sich Jakob den Segen seines Vaters Isaak durch eine List erschlichen hatte, floh er auf Anraten seiner Mutter Rebekka zu ihrem Bruder nach Haran. Unterwegs legte er sich schlafen und lehnte sich dazu an einen Stein: „Und ihm träumte, und siehe, eine Leiter stand auf 424
Susanne Tiefengraber
Erden, die rührte mit der Spitze an den Himmel, und siehe die Engel Gottes stiegen daran auf und nieder. Und der Herr stand oben darauf und sprach: Ich bin der Herr, der Gott deines Vaters, und Isaaks Gott; das Land darauf du liegst, will ich dir und deinen Nachkommen geben“12. Die malerische Ausschmückung der Kirche entstand nach den Ergebnissen der Bauforschung erst einige Jahrzehnte nach der Fertigstellung des Kirchenbaues, denn sie weist die stilistischen Elemente des frühgotischen Zackenstiles auf. Diese Malereien, die von Mag. Monika Küttner und Mag. Robert Kuttig aufgenommen wurden, gehören zu den besterhaltenen in der Jakobskirche. Daher waren hier noch Details des Schichtauftrages und der Arbeitsweise ablesbar. Die Nimben der Figuren wurden in den Intonaco eingeritzt, außerdem konnten verschiedene Farbschichten und -töne festgestellt werden13.
Jakobsleiterdarstellungen in Österreich In Österreich haben sich einige wenige vergleichbare Jakobsleiter-Darstellungen erhalten. Die Darstellungen in der Westempore der Basilika von Gurk/Steiermark gelten als Hauptwerk des Zackenstiles14 der sich um die Mitte des 13. Jh.s in Österreich allgemein durchsetzt15. Die Darstellung der Jakobsleiter bewirkt hier eine grundlegende Zweiteilung des Raumes in das himmlische und das irdische Paradies16. Im frühgotischen Karner in Pisweg/Kärnten befinden sich auf den breiten Gewölbegurten die um 1280 zu datierenden Fresken mit der Darstellung einer Jakobsleiter. Stilistisch sind sie dem späten Zackenstil in der Nachfolge der Gurker Westempore zuzuordnen17. Auch die im Triumphbogen der Oberkirche von Matrei/Osttirol befindliche, ebenfalls Ende des 13. Jh.s zu datierende Darstellung einer Jakobsleiter wird als verbindendes Element zwischen dem irdischen Paradies (Unterkirche) und dem himmlischen Paradies (Oberkirche) interpretiert18. Reste einer weiteren Jakobsleiterdarstellung haben sich in der Pfarrkirche von Edelsbach bei Feldbach/Steiermark erhalten. An der Westwand des Chores der Jakobikirche befand sich eine heute nur mehr schemenhaft wahrnehmbare Darstellung der thronenden Madonna mit Kind in der Mitte, zwei flankierenden weiblichen Heiligen (links hl. Margarethe) und zwei Bischöfen mit Bischofsstab und Buch an den beiden Außenseiten. An der Chorostwand befand sich ein heute nicht mehr erhaltenes, nur auf einem Foto aus dem Jahr 1943 überliefertes Fresko mit Stiftern und Wappendarstellungen in den unteren Ecken, die als Anzeichen dafür zu werten sind, dass die Jakobikirche einst die Eigenkirche einer adeligen Familie gewesen sein könnte. Im erhaltenen Doppeltrichterfenster des Chorscheitels haben sich Reste einer Strahlenkranzmalerei erhalten. Die untere Wandzone des Chores war durch aufgemalte Draperien gegliedert. Nach dem durch die Bauforschungen und die Ausgrabungen nachgewiesenen Brand der Kirche im Spätmittelalter wurden die Malereien mit einer neuen Tünche bzw. tlw. durch eine neue Putzschicht überdeckt. An den seitlichen Laibungsflächen des Triumphbogens und im Langhaus wurden Apostelkreuze in rötlichem Farbton aufgemalt. Die Wandmalereien im Chorquadrat wurden offenbar nicht überdeckt. Ein Foto aus dem Jahr 1943 zeigt, dass die Wandmalereien im Triumphbogen damals großteils unter der Tünche und dem spätmittelalterlichen Putz verborgen waren. Vermutlich wurden diese zwischen 1943 und dem Ende der 1990 er Jahre laienhaft freigelegt, wodurch die Oberfläche der Malerei Schaden erlitt. 12 13 14 15
Genesis 28, 10–22. Kuttig u. a. 2007. Ginhart – Grimschitz 1930, 60. Schiestl 2011, 156.
16 Demus 1968, 102. 17 Innerkofler 2003, 104–107. 18 Garber 1928, 211.
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St. Jakob am Mitterberg – Romanische Kirchenruine und frühe mittelalterliche Burgstelle
Zusammenfassung Die namentlich unbekannte Burganlage bei der Jakobikirche von Mitterberg ist eine der wenigen greifbaren und ansatzweise archäologisch erforschten frühen Burganlagen des späten 10. und 11. Jh.s n. Chr. im Südostalpenraum. Diese Datierung stützt sich u. a. auf charakteristische, teilweise noch mit Graphit gemagerte, mit Wellenbändern und Wellenlinien verzierte Keramikfunde. Die Burganlage ist in zwei Abschnitte gegliedert, den sog. Turmhügel (heute Kirchhügel) und den nach Osten vorgelagerten Vorburgbereich. Das künstlich eingeebnete Plateau des Hügels war einst von einer Ringmauer umgeben, deren Ausrissgraben an mehreren Stellen erfasst werden konnte. Im Bereich der tiefer gelegenen Vorburg waren keine Reste einer Befestigung erkennbar. Nach Westen hin war die Anlage durch einen Graben geschützt, vor dem ein Wall aufgeworfen war. Von diesem sind heute noch verschliffene Spuren im Gelände erkennbar. Um eine geeignete Siedlungsfläche zu erhalten, musste zuerst der anstehende Felsuntergrund planiert werden, auf dem anschließend Holzgebäude errichtet wurden. Im Bereich des Burghügels und der Vorburg sind jedoch keine Reste von ehemals hier bestehenden Steingebäuden und keine Reste eines Vorgängerbaues der Kirche nachzuweisen. Zwischen dem Abkommen der Burg und der Erbauung der Kirche besteht ein zeitlicher Hiatus von fast 200 Jahren, d. h. dass man entgegen der Annahme W. Brunners nicht von einer Entstehung der romanischen Kirche aus einer früheren Burgkapelle ausgehen kann. Die Kirche wurde auf der vollständig abgekommenen Burganlage des 10. und 11. Jh.s n. Chr. vermutlich als Eigenkirche einer adeligen Familie errichtet. In ihrem Inneren birgt sie Malereien mit der seltenen Darstellung einer Jakobsleiter, die dem Zackenstil des ausgehenden 13. Jh.s zuzurechnen sind. Die Verbindung von Bauforschung und archäologischer Untersuchung konnten bislang einige der ungelösten Fragen rund um die Jakobikirche klären, einige derzeit offene wird man im Zuge der in Arbeit befindlichen Auswertung der Gesamtergebnisse vor allem in Hinblick auf die historischen Hintergründe sicher noch beantworten können. Abbildungsnachweis Abb. 1. 2. 3. 5. 6. 7. 8. 9. 10. 11. 14: © G. und S. Tiefengraber. Abb. 4: J. Moravi, R. Kuttig, Ch. Wolfgang. Abb. 12. 13: M. Küttner Bibliographie Brunner 1987
W. Brunner, Geschichte von St. Marein bei Neumarkt (Neumarkt 1987) 190– 192 Demus 1968 O. Demus, Romanische Wandmalerei (München 1968) Deuer 1982 W. Deuer, Der romanische Kirchenbau in der Steiermark unter Ausklammerung der Stiftskirchen (Dissertation Wien 1982) Garber 1928 J. Garber, Die romanischen Wandgemälde Tirols (Wien 1928) Ginhart – Grimschitz 1930 K. Ginhart – B. Grimschitz, Der Dom zu Gurk, Arbeiten des ersten Kunsthistorischen Institutes der Universität Wien, Lehrkanzel Strzygowski, Bd. 29 (Wien 1930) Innerkofler 2003 W. Innerkofler, Die Karner in Kärnten und ihre Fresken, Ein Beitrag zur Architektur und Malerei im Mittelalter (Diplomarbeit Graz 2003) Kuttig u. a. 2007 R. Kuttig – J. Moravi – Ch. Wolfgang, St. Jakob am Mitterberg, unpubl. Bericht der Bauforschung 2005–2007 Schiestl 2011 R. Schiestl, Die Wandmalereien der Westempore des Gurker Domes (Graz 2011) Tiefengraber 2008 G. Tiefengraber, St. Jakob am Mitterberg, unpubl. Grabungsberichte 2008 Tiefengraber 2009 G. Tiefengraber, St. Jakob am Mitterberg, unpubl. Grabungsberichte 2009 Tiefengraber 2009 a G. Tiefengraber, KG St. Marein, FÖ 48, 2009, 487 Tiefengraber 2010 G. Tiefengraber, KG St. Marein, FÖ 49, 2010, 405 Tiefengraber 2011 G. Tiefengraber, St. Jakob am Mitterberg, unpubl. Grabungsberichte 2011
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Susanne Tiefengraber
Abb. 1: Kirche St. Jakob und ehem. Burghügel
Abb. 2: Reste der ausgerissenen Ringmauer und der Holzgebäude
Abb. 3: Topografische Aufnahme des Burgbereiches, Grundriss der Kirche, Grabungsschnitte 2008, 2009 und 2011
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St. Jakob am Mitterberg – Romanische Kirchenruine und frühe mittelalterliche Burgstelle
Abb. 4: Grundriss der Kirche (Plan mit Baualterdarstellung, J. Moravi, R. Kuttig, Ch. Wolfgang)
Abb. 5: Anstehender hitzeverfärbter Felsuntergrund nördlich des Langhauses
Abb. 6: Altarplatte mit Reliquienöffnung
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Abb. 7: Brandschicht im Chor mit verkohlten Holzbrettern
Susanne Tiefengraber
Abb. 8: Blick ins Langhaus mit freigelegtem Estrich
Abb. 9: Vermauerter romanischer Kircheneingang
Abb. 10: Südfassade mit tlw. erhaltenen Doppeltrichterfenstern
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St. Jakob am Mitterberg – Romanische Kirchenruine und frühe mittelalterliche Burgstelle
Abb. 11: Triumphbogen mit Jakobsleiter und Chorwestwand mit thronender Madonna mit Kind, Heiligen und Bischöfen Abb. 14: Fenster mit originalem Fensterholz und Strahlenkranzmalereiresten im Chorscheitel
Abb. 13: Thronende Madonna mit Kind, Heiligen und Bischöfen (Umzeichnung M. Küttner)
Abb. 12: Triumphbogen, Jakobsleiter (Umzeichnung M. Küttner)
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Die Wandmalereien von Immurium-Moosham Barbara Tober In Moosham bei St. Margarethen im Lungau wurden bei Grabungen des ÖAI zwischen 1964 und 1970 unter der Leitung von R. Fleischer mehrere römische Gebäude der Straßenstation Immurium aufgedeckt, aus denen polychrome Wandmalereireste stammen1.
Ausgangssituation In den Grabungsberichten werden polychrome Wandmalereien in Gebäude F in der Verfüllung eines Hypocaustums in Raum 42 erwähnt. Dort wurden auch zahlreiche monochrome rote Malerei3 sowie weitere Reste auf dem Lehmboden im Hof F14 gefunden. Bereits 1998 publizierte Bilder dieser Malereien zeigen Bordürenrahmen, einen Vogel mit Kirsche im Schnabel, Blattranken auf gelbem Hintergrund und Reste eines Stuckfrieses5. In Gebäude J – der Mansio6 – befanden sich Wandmalereireste in den Räumen J57, J28 und J99. Dazu kommen vereinzelte erwähnte farbige Reste in den Häusern B10, C11 und D12. Einfärbige Sockelmalereien in den Gebäuden B13 und C14 waren in situ am Mauerwerk erhalten. Es zeigte sich 2005, dass die Malereien trotz der langen Lagerung in Holzkisten im Heimatmuseum Tamsweg in relativ gutem Zustand waren15, die ursprünglichen Fundkontexte waren allerdings verunklärt, da in den Grabungsberichten von mehreren Stellen ornamental verzierte und mehrfärbige Malereifragmente erwähnt sind, die in den Kisten mit Wandmalereien nicht unterschieden waren.
Methodik und Ziele Nach der Reinigung und Festigung begann der Versuch der Rekonstruktion von Teilflächen, die im Idealfall zu einer Rekonstruktion von Wand- und Deckenmalereien führen, die typologisch in das Repertoire der kaiserzeitlichen römischen Wandmalerei eingeordnet werden. Dabei soll auch bewertet werden, ob es sich um eine Haupt- oder Nebenraumausstattung handelt, bzw. wie prestigeträchtig die Dekoration einzuschätzen ist. Wichtige Parameter sind die Wahl des Malsystems, die Polychromie bzw. Reduktion des Farbspektrums sowie die Art und Dichte der Ornamentik und Figuren16. 1 Die Malereireste wurden 2011 im Auftrag des Obmanns des Lungauer Museumsvereins Heimatmuseum Tamsweg bearbeitet und für eine Präsentation im Museum restauriert. Für die konstruktive und unkomplizierte Zusammenarbeit danke ich Dr. Klaus Heitzmann herzlich. Zur Topographie von Immurium zuletzt zusammenfassend: Fleischer 2010, 1–22. 2 Fleischer 1968/71, 185–186; Fleischer 1969, 4. 3 Fleischer 1968/71, 185–186. 4 Fleischer 1968/71, 180. 5 Fleischer 1998, 12–51, bes. 48. 34–35 mit Abb. 31–34; Fleischer 1968/71, 185–186. 6 Fleischer 1968/71, 220. 7 Fleischer 1968/71, 215. 8 Fleischer 1968/71, 204. Einfärbig hellgraue Reste in Raum J3: Fleischer 1968/71, 206.
9 Einfärbig rote Fragmente: Fleischer 1968/71, 216. 10 z. B. Räume B2 und B5: Fleischer 1964/65 a, 146. 148. 1 1 Fleischer 1998, 17 Abb. 12 Fleischer 1966/67, 202–203. 207. 209; Fleischer 1998, 21–22 mit Abb. 13. 24–25. 13 Fleischer 1964/65 a, 149. 14 Fleischer 1998, 17 mit Abb. 19–20. 1 5 Der Obmann des Lungauer Museumsvereins Heimatmuseum Tamsweg Dr. Klaus Heitzmann bemühte sich um eine Finanzierung sodass 2011 mit den Arbeiten begonnen wurde. Ziel ist neben der wissenschaftlichen Bearbeitung eine ansprechende Präsentation im Heimatmuseum Tamsweg. 16 Falzone – Tober 2010, 642.
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Die Wandmalereien von Immurium-Moosham
Danach werden die Möglichkeiten einer Datierung aufgrund der Fundsituation und durch die typologischen Vergleiche geprüft. Wegen der topographischen Lage zwischen dem südlichen und nördlichen Noricum drängt sich die Frage nach einer eventuellen Zugehörigkeit zum Werkstattkreis von Virunum/Teurnia oder Iuvavum auf.
Rekonstruktion von Wandsystemen Eine erste Klassifizierung des Materials ergab zwei Gruppen von Dekorationen 17: a. Dekorationen auf rotem und schwarzem Grund, b. gelbgrundige Dekorationen. a. Dekorationen auf rotem und schwarzem Grund Die Reste einer gelben Bordüre auf rotem Grund konnten zu einem breiten Felderinnenrahmen ergänzt werden (Abb. 1). Die gegenständigen Voluten sind mit blauen Vierecken in den Zwischenräumen und Punkten an den eingerollten Enden der Voluten betont. Das Motiv findet sich auf den durchbrochenen Bordüren in den Vesuvstädten18 ebenso wie an provinzialrömischen Feldermalereien in Augsburg19, Virunum20 und Celeia21. Ein sehr enger typologischer Vergleich existiert in Form eines Fragments mit herzförmiger Bordüre aus Altgrabungen im Statthalterpalast von Carnuntum22. Die typologischen Vergleiche weisen auf eine Datierung ab dem Ende des 1. Jh.s bis ins späte 2. Jh. 23 Das Leitmotiv des vierten Stils zierte ähnliche, qualitativ hochstehende Wanddekorationen in den Provinzen bis mindestens zur Mitte des 2. Jh.s 24. Die Volutenbordüre gehört in Augsburg zu einer der qualitätsvollsten Wanddekorationen dort und unterstreicht deshalb den hohen Wert der Dekoration aus Immurium. Eine weitere Bordüre aus gelb-grünen Blüten und gelben, blau gefüllten Quadraten mit gelben Punkten, die sich wohl entlang einer gelben Punktkette abwechseln, ist viel schlechter erhalten (Abb. 4). Das rote Feld wird von einem schwarzen Rahmen begrenzt. Ähnliche Blütenketten aus runden und eckigen Kompartimenten zieren zwischen Ende des 1. bis Ende des 3. Jh.s verschiedene Felderdekorationen25. Vom oberen Abschluss einer Wanddekoration stammt eine Stuckleiste, die ca. 5 cm vorkragt (Abb. 3). Unter der Abschlussplatte des Gesimses folgen ein flacher, horizontaler, spiralförmiger Stab26 und ein Zahnschnitt27. Für die unterste Ornamentleiste finden sich keine exakten Parallelen an den Stuckgesimsen vierten Stils aus Pompeji28. Am ehesten findet das „verwilderte lesbische Kymation“29 eine Entsprechung in Virunum30 und Budapest31. Die schräg verlaufende Unterkante ist grün eingefärbt, sodass die Stuckleiste über einer grünen Fläche oder einem grünen Rahmen zu positionieren ist.
17 Gleichartige Fragmente wurden zu Dekorgruppen zusammengefasst und als solche nummeriert. Insgesamt wurden 29 Dekorgruppen definiert. 18 Barbet 1981, Nr. 162. 19 Willburger 2004, 50–54 mit Abb. 12. 20 Praschniker – Kenner 1947, 174 Abb. 151, 9. 2 1 Plesničar-Gec 1998, 274–275 mit Abb. 8. 22 Krmnicek 2003, 45 Taf. 64. 23 Vgl. Willburger 2004, 51. 24 Vgl. Willburger 2004, 54–55; Gogräfe 1999, 115. 25 Ein sehr ähnliches gefülltes Quadrat und Blüten in Virunum: Dörfler 2006, Taf. 3, 1. Weitere Vergleiche: Slowenien: Plesničar-Gec 1998, 278–279 mit Abb. 10; 302–303 mit Abb. 5; 308–209 mit Abb. 8; Villa Retznei/Steiermark: Stockinger 2010, 88 Abb. 61, 5; Abb.
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69–70; Augsburg: Willburger 2004, 149 Taf. 13, 1. 26 Frizot 1977, 185 Nr. 166, 11; 213 Nr. 203; Nagy 1927, 122 Abb. 48–49; 124 Abb. 51; Nagy 1926, Beilage XVI–XVIII. 27 Vgl. z. B. Praschniker – Kenner 1947, 211 Abb. 213 Nr. 8119; 212 Abb. 216; 213 Abb. 217 Nr. 7189. 28 Wie eine Mischung aus stehenden und hängenden Lotusblüten und einem Scherenkymation: Riemenschneider 1986, 249–250. 442. 505 (Fries 16); 264–265. 529 (Fries 124–125). Vgl. Fleischer 1998, 36 mit Anm. 53. 29 Fleischer 1968/71, 185. 30 Praschniker – Kenner 1947, 214 Abb. 218 Nr. 7648. 3 1 Frizot 1977, 237 Nr. 335.
Barbara Tober
Aufgrund dieses grünen Rahmens kommt eine Kombination mit einem schwarzgrundigen Feld mit gebogener voluminöser Ranke (Abb. 2), die mit variantenreichem Blattwerk und Punktreihen bereichert ist, am ehesten in Frage. Die aufwändig gemalte Ranke mit einer Schattierung und Glanzlichtern ist kombiniert mit einer glatt polierten schwarzen Grundierung und gehört deshalb wohl zu den sehr qualitätvollen und wohl auch chronologisch frühen Exemplaren dieser Gattung32. Ein Rekonstruktionsversuch ergibt Wandsystem 1 mit roten Feldern und schwarzen Lisenen, die durch grüne Streifen getrennt sind (Abb. 1–3). Der abschließende horizontale grüne Streifen schließt wohl an das Stuckgesims an. Im schwarzen Lisenenfeld ist ein roter quadratischer Rahmen eingeschoben. Es könnte sich um ein S-förmiges oder 8 -förmiges33 vertikales Rankengebilde handeln. Neben der qualitätsvollen Ranke gibt es eine ähnliche, schlechter erhaltene und weniger variantenreich ausgeführte Malerei (Abb. 4) mit grünem, flächig angeordnetem Blattwerk auf schwarzem Grund, wie es von Lisenendekorationen aus Virunum34 wohlbekannt ist. Auch dieses schwarze Feld ist durch einen grünen Rahmen begrenzt. Bei dieser Lisenendekoration handelt es sich wohl um bereits für Raum J5 erwähnte Stücke: „grau und rot geradlinig aneinanderstoßend, grüne Ranken auf hellgrau“35. Sinnvoll zu Wandsystem 2 zu ergänzen wäre dieser Dekor mit dem rotgrundigen Feld mit der Blütenkette. Das ergibt insgesamt zwei zumindest partiell rekonstruierte rot-schwarze Felder-Lisenensysteme. Die typologische Übereinstimmung des Wandsystems wird durch die Qualität und Aufwändigkeit der Felderinnenrahmen und der Lisenendekoration zusätzlich modifiziert, wobei Wandsystem 1 als hochwertiger einzustufen ist. Rot-schwarze Feldersysteme erfahren in den nordwestlichen Provinzen in flavisch-vespasianischer Zeit einen großen Aufschwung und setzen sich bis ins 3. Jh. fort36. Die hohe Wertigkeit dieses Wandsystems belegt die sog. „Sokratesmalerei“ im Hanghaus 2 von Ephesos, wo rotschwarze Felder-Lisenensysteme im 2. Jh. ausschließlich in prestigeträchtigen Peristylhöfen vorkommen37. Beispiele dieses polychromen Wandsystems in Noricum zeigen überwiegend Blattdekore und Rankenmotive auf schwarzem oder dunkelblauem Grund38. b. Dekorationen auf gelbem Grund Zu diesen Dekorationen gehören verschiedene Dekorgruppen mit sehr unterschiedlichen Motiven. Bei Dekorgruppe 3 handelt es sich um den Rest einer Balustrade, wie sie an Wanddekorationen seit dem 4. Stil als Teil von Architekturmalereien vorkommt (Abb. 5)39. Dekorgruppe 4 ist zu einem Medaillon mit noch unbestimmtem, großem Durchmesser zu ergänzen, das von einem Blattkranz umfasst wird (Abb. 6). Diese Konstellation weist auf das Mittelmedaillon von Deckenmalereien hin, die häufig von Blattkränzen umgeben sind40.
32 Ähnlich aufwändige Ranken: Willburger 2004, 50– 54 mit Abb. 12. 14; Gogräfe 1999, 420 Abb. 308; Praschniker – Kenner 1947, 200 Abb. 189; 197 Abb. 184–185. 33 z. B. Willburger 2004, 50 mit Abb. 12 Taf. 2, 3–4; 3, 3–4; 13, 3–4. z. B. Madarassy 2004, 290–291 mit Abb. 5.3; 5.9. 34 Praschniker – Kenner 1947, Taf. III-IV; Dörfler 2006, 23 Abb. 3; Taf. 1, 3. 35 Fleischer 1968/71, 215; Fleischer 1998, 41–43. 36 Vgl. Willburger 2004, 51. 37 Zimmermann 2005, 106–109; Falzone – Tober 2010, 634–636 mit Abb. 1. 38 z. B. Virunum: Praschniker – Kenner 1947, 173–
235, bes. Taf. II–IV; z. B. Saalfelden: Tober 2010, 859– 860 mit Abb. 5; z. B. Aguntum: Alzinger 1985, 64 Taf. II; Walde – Feil 1995, Nr. 33; Rückl 2005, 408, 409 Abb. 1, Taf. 2, 3. 39 Vgl. Chartres/Rue aux Ormes: Allag – Joly 1995, 171 Abb. 5. Vgl. Narbonne: Sabrié u. a. 1987, 176 Abb. 124; 218 Abb. 185; 280 Abb. 241; Taf. 5, 1. Vgl. Herculaneum: ebd. 283 Abb. 242. Vgl. Emona: Plesničar-Gec 1998, 180–181 Abb. 45. 40 Enns: Ubl 1997 b, 18 Abb. 30; Emona: PlesničarGec 1998, 197 Abb. 51; z. B. Nida-Heddernheim: Schleiermacher 1991, 213–214 Abb. 1. Echzell: Schleiermacher 1985, 508–509 mit Abb. 1.
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Die Wandmalereien von Immurium-Moosham
Vom inneren Rand des Medaillons stammt ein leicht gewölbtes Fragment, das zwei Feinputz- und Malschichten aufweist. Auf der unteren, ersten Malschicht befand sich eine unbestimmte Malerei in rosa-rot-violett Tönen mit Schraffuren, die durchaus von einer figürlichen Darstellung stammen könnte. Diese Malerei hat offensichtlich nicht mehr gefallen und wurde mit einer zweiten Feinputzschicht überdeckt, die mit gelbem Grund und braun-grüner Malerei dekoriert wurde. Das sanfte Auslaufen dieser zweiten Feinputzschicht zum Medailloninnenrahmen hin, belegt, dass nicht die gesamte Malerei erneuert wurde, sondern nur das Mittelmedaillon, sodass sich die vom Ausgräber konstatierte Zweiphasigkeit nur auf diesen Teil der Malerei beschränkt41. Auf eine Zugehörigkeit des Medaillons zu einer Deckendekoration weisen auch die Abdrücke an der Rückseite hin, die von einem Rutenputzgeflecht stammen42. Die meisten Deckenmalereien in den nördlichen Provinzen wurden auf Latten- oder Rutengeflechte aufgebracht43. Weitere gelbgrundige Fragmente lassen Reste von einfachen Blattgirlanden aus zweifarbigen länglichen Strichen erkennen44. Dekorgruppe 9 zeigt zarte Ranken mit Efeublättern die mit roten Schleifen an einem grünen Mittelstreifen befestigt sind (Abb. 7). Die Dekoration grenzt an einen blauen Rahmen mit einem weißen Punkt-Strich-Muster als Abgrenzung. Ähnlich schlichte Ranken finden sich in Narbonne45. Das herausragende Stück der gelbgrundigen Gruppe ist der Rest eines Vogels, der als Taube identifiziert werden konnte (Abb. 8) 46. Die Taube hält eine Kirsche im Schnabel und ist mit fein differenziertem, braunem Gefieder gemalt. Das Tier steht auf einer rosa Linienfolge, die durch ein vereinfachtes violettes Konsolengesims als Andeutung einer Architekturmalerei unterbrochen ist. Die Taube findet Parallelen in beliebten Darstellungen von Vögeln als Teil von Deckenoder Wanddekorationen in Herculaneum47 – dort auch mit Kirsche im Schnabel, auf der Deckenmalerei aus Graz-Thalerhof 48 oder einer ebenfalls gelbgrundigen Malerei in Augsburg49. Weitere Reste von gefiederten Tieren aus Immurium bezeugen eine Variation des Dekors durch die explizite Darstellung verschiedener Vogelarten. Zu diesen gelbgrundigen Resten kommen Abfolgen von Streifen und Rahmen an denen z. T. Raumkanten erkennbar sind50. Die meisten gelbgrundigen Elemente könnten Teile einer Deckendekoration sein, wie sie sich auf einer Decke aus der Domus dell’Ortaglia in Brescia finden, die zwischen 60–70 n. Chr. entstanden sein soll51. Als Ergebnis wäre eine gelbgrundige Deckendekoration mit gerahmtem, zweiphasigem – wohl figürlichem Mittelmedaillon mit einem Blattrahmen, das von einfachen Blattgirlanden, Streifen, Balustraden und einer architektonischen Malerei mit unterschiedlichen Vögeln umgeben wäre, vorstellbar. Versucht man eine Reihung der Deckenmalereien in Noricum nach ihrer Wertigkeit und Bedeutung, so steht an deren Spitze das Gewölbe von Saalfelden52 mit einer Vielzahl von mytho4 1 Vgl. Fleischer 1968/71, 185; Fleischer 1998, 36. 48. 42 Ursprünglich wurde die Rutenputztechnik auf die Konstruktion der Wände bezogen: Vgl. Fleischer 1998, 36. Bereits 2003 vermutete Deckendekoration: Tober 2003 b, 118. Weitere Reste von undekoriertem Rutenputz mit hellgrauer Oberfläche in B7: Fleischer 1964/65 a, 149. 43 z. B. Enns: s. u. Anm. 53; z. B. Saalfelden: s. u. Anm. 52. 44 Maltechnik vgl. Teurnia: Dörfler 2009, 27 Abb. 6, 1–2. 45 Vgl. Sabrié u. a. 1987, 162 Abb. 108. 46 Archäozoologische Bestimmung von G. Forstenpointner. Ursprünglich als Huhn bezeichnet: Fleischer 1998, 36. 34 Abb. 32.
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47 Vgl. Herculaneum Ins. V, 35 (Casa del Gran Portale): Croisille 1965, Taf. 58, 110. 48 Marko 2009, 123 Abb. 45. 49 Willburger 2004, 149. 21, Taf. 4, 1. 50 Eine Streifenabfolge (Dekorgruppe 18) gehörte sicher zu einer Wanddekoration, da an der Rückseite rechtwinkelige Abdrücke von sorgfältig geschichtetem Steinmauerwerk erhalten sind. 5 1 Ähnliche Bestandteile einer gelbgrundigen Deckendekoration in Brescia: Bianchi 2005. Die wenigen Teile der Deckendekoration haben sich noch nicht schlüssig verteilen lassen, aber möglicherweise ist zukünftig doch noch eine Rekonstruktion möglich. 52 Tober 2003 a; Tober 2003 c, 211–214; Tober in Vorbereitung.
Barbara Tober
logischen und figürlichen Szenen wie Aktaion, der von seinen Hunden zerfleischt wird und möglicherweise dem weiblichen Pendant von Diana beim Bad in einem weiteren blaugrundigen Bildfeld. Dazu kommen Szenen aus der Gigantomachie von denen Apollo, der mit dem Bogen auf einen Giganten zielt, am besten erhalten ist. Der Grundtenor dieses Bildprogrammes betrifft die menschliche Hybris, die in seit griechischer Zeit festgelegten Topoi dargestellt sind. Dazu kommt durch Diana beim Bad ein Hauch von Erotik. Ergänzt wird das Bildprogramm durch venationes mit Hund-Hirsch, Panther-Pferd und zwei weiteren Szenen, die auf die prestigeträchtigen und unterhaltenden Veranstaltungen in der Arena anspielen. Die Wandmalereidekoration von Saalfelden/Wiesersberg ist aufgrund dieser Bilderfülle zur Zeit die bedeutendste und herausragendste Ausstattung, die uns im mittelkaiserzeitlichen Noricum überliefert ist. Mehr hat die Deckendekoration aus Immurium mit der Malerei aus Enns53 gemein. Dort konzentrieren sich die figürlichen Darstellungen auf das Mittelmedaillon und die Ecken, während die restlichen Flächen mit vegetabiler Ornamentik, Blüten- und Blattketten und Tieren gefüllt sind. Ähnlich ist auch die Dominanz der gelben Grundierung. Die Deckenmalerei von Immurium besitzt daher zwar einen repräsentativen Anspruch, aber nicht der höchstmöglichen Kategorie. Viel mehr Augenmerk wurde der Wanddekoration in Form von Wandsystem 1 gewidmet, die in Noricum zu den qualitätvollsten erhaltenen Dekoren gehört.
Stratigraphische Kategorisierung54 Die Fundsituation der Malereireste aus Immurium entspricht einerseits der Kategorie von in situ Befunden, die in Form der Sockelmalereien an den Wänden verschiedener Räume vorliegen. Die Fragmente gehören andererseits zu einer zweiten Kategorie von Malereien aus umgelagertem Fundmaterial. Sie sind keinem ungestörten Zerstörungshorizont zuzurechnen, sondern blieben wohl nach dem Steinraub liegen. Dafür sprechen einige Anpassungen und die größeren erhaltenen Oberflächen. Eine zweifelsfreie Zuordnung zu einem Raumkontext ist nicht möglich, aber da Abfallmaterial nach der Entfernung brauchbarer Steine aus den Ruinen nicht allzu weit verlagert wurde, sind primär naheliegende Räume für die ursprüngliche Anbringung in Betracht zu ziehen.
Raumkontexte ? Die Zuweisung der Wandmalereien zu Raumkontexten ist problematisch. Der Großteil der heute vorhandenen Stücke fand sich wohl in Haus F55. Die Wandmalerei aus Raum F4 gehört wohl zur letzten Ausstattung der zweiten Bauphase, die frühestens Ende 1. Jh. n. Chr. beginnt56. In Raum F4 befand sich ein Sockel mit roter Malerei in situ, während Nebenräume dieses Hauses – wie der mit einem Ofen ausgestattete Raum F5 und der kleine Raum F6 nur hellgrauen, undekorierten Wandverputz57 trugen. Die hohe Qualität, die große Sorgfalt, das hochwertige Wandsystem 1 (Abb. 1–3) und die rote Sockelmalerei sind als Raumausstattung im einzigen beheizbaren Raum in Haus F gut vorstellbar. Die Qualität der Rankenmalerei und ihre Ausführung mit schattierten Blättern und Glanzlichtern unterstützt eine stilistische Datierung am Beginn des 2. Jh.s, sodass Wandsystem 1 zur Ausstattung der Bauphase 2 in Haus F gehören könnte58.
53 Ubl 1981, 33; Ubl 1997 a, 334–337; Ubl 1999/ 2000, 111–120. 54 Vgl. E. Steigberger – B. Tober in diesem Band S. 369; Gassner u. a. 2011, bes. 150–165. 55 s. o.
56 Fleischer 1964/65 b, 192–193. 57 Fleischer 1998, 36–37; Fleischer 1968/71, 186. 188. 58 Bauphase 2 von Haus F besitzt einen terminus postquem um 100 n. Chr.: Fleischer 1998, 31. 37.
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Die Wandmalereien von Immurium-Moosham
Die gelbgrundige Deckenmalerei (Abb. 5–8) zusammen mit dem rot-schwarzen Feldersystem mit dem Stuckgesims zu rekonstruieren wäre verlockend, muss aber eine hypothetische Möglichkeit bleiben, da keine Anschlussstellen vorhanden sind. Aufgrund der Beschreibung Fleischers ist Raum J559 wohl Wandsystem 2 (Abb. 4) zuzuweisen. Leider gibt es dort keine aussagekräftige Stratigraphie, die bei einer Datierung weiterhelfen würde60. Auch wenn sich Rekonstruktionen vollständiger Wand- und Deckenmalereien nicht ergeben sollten, bleibt festzuhalten, dass es sich bei den rekonstruierten Dekorationen aus Immurium um prestigeträchtige, hochwertige Ausstattungen handelt, die verschiedene Nuancen einer Abstimmung auf die Wertigkeit der Räume erkennen lassen61.
Ergebnisse Bei den Wandmalereien aus Immurium handelt es sich um Reste von mindestens zwei rot-schwarzen Felder-Lisenendekorationen (Abb. 1–4), die in unterschiedlicher Qualität mit aufwändigen Ornamenten und bei Wandsystem 1 mit dreidimensionalem Stuck (Abb. 3) hergestellt wurden. Dazu kommen Reste einer Deckendekoration (Abb. 5–8) die wohl ein figürliches Mittelmedaillon (Abb. 6) besaß und mit Tierfiguren (Abb. 8) ausgestattet war. Auch die Deckendekoration ist farbig und weist ein breites Repertoire an Ornamenten auf 62. Bis auf Wandsystem 1, das stilistisch gut an den Beginn des 2. Jh.s zu stellen wäre, ist die Datierung weder aus der Fundsituation noch typologisch näher als auf das 2./3. Jh. einzugrenzen. Das entspricht dem Bild von der Entwicklung der Siedlung, denn das Fundmaterial von Immurium zeigt einen Schwerpunkt im 2./3. Jh., was mit der intensiven Straßennutzung in diesem Zeitraum zusammen hängt63. Die chronologische Einordnung ist ident mit dem Schwerpunkt der bekannten Wandmalereifunde in Noricum im 2./3. Jh. 64. Es bestätigt sich die Beliebtheit von rot-schwarzen Felder-Lisenensystemen in Noricum65. In Virunum ist die Tätigkeit einer Werkstatt nachweisbar, deren Einfluss bis Teurnia reichte66. Für die Malereien von Immurium ist im Moment kein direkter Einfluss dieser Werkstatt erkennbar. Die Dichte der Befunde von rotgrundiger Feldermalerei mit schwarzen Lisenen und Blattdekor im Umkreis dieser Werkstatt, belegt eine deutliche Vorliebe in Noricum für diesen Wanddekor vor und um die Mitte des 3. Jh.s n. Chr. Der qualitätsvolle Wanddekor aus Haus F von Immurium bestätigt diese Vorliebe wohl bereits für das 2. Jh. Die Form des Bordürenrahmens (Abb. 1) und seine engen typologischen Vergleiche in Pompeji, Rätien und Pannonien ist nur durch die Verwendung von Musterbüchern zu erklären, die das Motiv ausgehend von Dekorationen des vierten Stils in Italien auch in den Provinzen verbreiten67.
59 s. o.; Fleischer 1964/65 a, 215. In den anderen Häusern werden gelegentlich Wandmalereireste beschrieben, die zur Zeit nicht genau identifizierbar sind. z. B. Raum B2: Fleischer 1964/65 a, 146. 60 1.–4. Jh.: Fleischer 1998, 41–43. 61 Auch in Gebäude C scheint es eine Abstufung der Raumdekorationen zu geben. Während der Wandputz der einfacheren mit Lehm- und Holzböden ausgestatteten Räume (C4, C2, C5) einfarbig grau war, erkannte der Ausgräber im Haus C im hypocaustierten Raum C1 einen einfarbigen roten Sockel in situ und darüber mehrfärbige Wandmalerei (blau, braun ?): Vgl. Fleischer 1998, 17, 21, Abb. Vorsatz vorne; Fleischer 1964/65 a, 173. 178 mit Abb. 91; Fleischer 1966/67, 180–181; Fleischer 1965, 28.
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62 Sechs rekonstruierte Teilflächen werden aktuell für eine Präsentation im Heimatmuseum Tamsweg von der Restauratorin Amelie aus der Schmitten vorbereitet, die dafür ein objektschonendes, optisch ansprechendes Konzept erarbeitet hat. 63 Vgl. Kastler 2008, 131–144, bes. 137. 64 Tober in Vorbereitung. 65 Tober in Vorbereitung. 66 Dörfler 2009, 72; Dörfler 2006, 36–37. Dörfler 2005, 116–117. 67 Zu Musterbüchern: Allroggen-Bedel 1991, 38–39; Zanker 1979, 509–510 bes. Anm. 139; Kenner 1964/65, 42–43; Andersen 1985, 119–126; Willburger 2004, 23.
Barbara Tober
Zumindest im Norden Noricums scheinen ab der zweiten Hälfte des 2. Jh.s große figürliche Deckendekorationen an Beliebtheit zuzunehmen, was durch die gelbgrundige Deckendekoration von Immurium um ein weiteres Beispiel ergänzt wird. Alle erhaltenen Malereireste sind von hoher Qualität und stehen den Malereien in den Städten der Provinz nicht nach68. Sie schmückten wohl zwei bis drei repräsentative, wichtige Räume in zwei unterschiedlichen Gebäuden von Immurium und zeugen vom gehobenen Wohnstandard und dem repräsentativen Anspruch der Siedlung am Alpenhauptkamm. Nicht nur in norischen Städten und Villen, sondern auch in den Häusern der kleineren Siedlungen ist mit hochwertigen dekorativen Ausstattungen zu rechnen69. Abbildungsnachweis Abb. 1–8: Fotos und Rekonstruktion: B. Tober Bibliographie Allag – Joly 1995 Allroggen-Bedel 1991 Alzinger 1985 Andersen 1985 Barbet 1981 Bianchi u. a. 2005
Croisille 1965
Dörfler 2005 Dörfler 2006 Dörfler 2009 Drack 1981 Falzone – Tober 2010 Fleischer 1964/65 a Fleischer 1964/65 b Fleischer 1965 Fleischer 1966/67 Fleischer 1968/71 Fleischer 1969
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68 Vgl. Tober in Vorbereitung. 69 Vgl. Straßenstation mit figürlicher Wanddekoration und Rapportmustern in Riom: Vgl. Rageth 2010,
276–286, bes. 279 mit Abb. 4; Vgl. Drack 1981, 17– 19 mit Abb. 2–3; 22 Abb. 6–7; 23 Abb. 10.
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Die Wandmalereien von Immurium-Moosham R. Fleischer, Die Ergebnisse der Grabungen 1964–1970, in: R. Fleischer – V. Moucka-Weitzel, Die römische Straßenstation Immurium – Moosham im Salzburger Lungau, ASalzb 4 (Salzburg 1998) 9–51 Fleischer 2010 R. Fleischer, Zu alten und neuen Forschungen in Immurium/Moosham, RÖ 33, 2010, 1–22 Frizot 1977 M. Frizot, Stucs de Gaule et de provinces romaines. Motifs et techniques (Dijon 1977) Gassner u. a. 2011 V. Gassner – E. Steigberger – B. Tober, Das Heiligtum des Iuppiter Heliopolitanus in Carnuntum. Überlegungen zu den älteren Kultbauten an der Ostseite, ihrer Ausstattung und den Mechanismen ihrer Aufgabe, CarnuntumJb 2009–2011 (Wien 2011) 129–172 Gogräfe 1999 R. Gogräfe, Die römischen Wand- und Deckenmalereien im nördlichen Obergermanien (Neustadt an der Weinstrasse 1999) Kastler 2008 R. Kastler, Oberflächenfunde des Jahres 2005 im Bereich von Immurium/St. Margarethen in Salzburg, ÖJh 77, 2008, 131–144 Kenner 1964/65 H. Kenner, Griechische Theaterlandschaften, ÖJh 47, 1964/65, 35–70 Krmnicek 2003 S. Krmnicek, Römische Wandmalerei in Carnuntum (Diplomarbeit Wien 2003) Madarassy 2001 O. Madarassy, Second century wall-painting from the legionary fortress, in: L. Borhy, Plafonds et voûtes à l’époque antique, Actes du VIIIe Colloque international de l’Association Internationale pour la Peinture Murale Antique (AIPMA), Budapest – Veszprém 15–19 mai 2001 (Budapest 2004) Marko 2009 P. Marko, Luxuria und Landleben – die römische Villa von Thalerhof, FÖ 48, 2009, 121–123 Nagy 1927 L. Nagy, Pannonisch-römische dekorative Stuccofriese, AErt 41, 1927, 122–124 Nagy 1926 L. Nagy, Die römisch-pannonische dekorative Malerei, RM 41, 1926, Beilage 16–18 Plesničar-Gec 1998 L. Plesničar-Gec, Antične freske v Sloveniji I. The Roman Frescoes of Slovenia I (Ljubljana 1998) Praschniker – Kenner 1947 C. Praschniker – H. Kenner, Der Bäderbezirk von Virunum (Wien 1947) Rageth 2010 J. Rageth, Die römische Mutatio von Riom (Graubünden) an der römischen Julier-Route, in: G. Grabherr – B. Kainrath (Hrsg.), conquiescamus ! longum iter fecimus. Römische Raststationen und Straßeninfrastruktur im Ostalpenraum, Akten des Kolloquiums zur Forschungslage zu römischen Straßenstationen, Innsbruck 4.–5. Juni 2009, Ikarus 6 (Innsbruck 2010) 276–286 Riemenschneider 1986 U. Riemenschneider, Pompejanische Stuckgesimse des Dritten und Vierten Stils, Europäische Hochschulschriften 38 (Frankfurt 1986) Rückl 2005 J. Rückl, Wandmalereifunde aus dem Atriumhaus von Aguntum, in: G. Grabherr u. a. (Hrsg.), Vis Imaginum. Festschrift für Elisabeth Walde zum 65. Geburtstag (Innsbruck 2005) 405–412 Sabrié – u. a. 1987 M. Sabrié – R. Sabrié – Y. Solier, La maison à portiques du Clos de la Lombarde à Narbonne et sa décoration murale (Fouilles 1975–1983), RANarb Suppl. 16 (Paris 1987) Schleiermacher 1985 M. Schleiermacher, Die römischen Deckenmalereien aus Echzell, Germania 63, 1985, 507–519 Schleiermacher 1991 M. Schleiermacher, Die Jahreszeitenfresken von Nida-Heddernheim, KölnJb 24, 1991, 213–218 Stockinger 2010 B. Stockinger, Wand- und Deckenmalereien der Villa Retznei. Wand- und Deckenputzfragmente sowie Stuckfragmente aus den Grabungen der Jahre 2004 bis 2009 (Diplomarbeit Graz 2010) Tober 2003 a B. Tober, Die römischen Deckenmalereien aus Saalfelden/Wiesersberg, das kunstwerk des monats 16/181, Mai 2003 Tober 2003 b B. Tober, Die Wand- und Deckenmalereien von Saalfelden-Wiesersberg (Dissertation Salzburg 2003) Tober 2003 c B. Tober, Vorläufige Ergebnisse zu Wand- und Deckenmalereien aus Saalfelden/ Wiesersberg, in: B. Asamer – W. Wohlmayr (Hrsg.), Akten des 9. Österreichischen Archäologentages am Institut für Klassische Archäologie der Paris Lodron Universität Salzburg, 6.–8. Dezember, 2001 (Wien 2003) 211–214 Fleischer 1998
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Tober in Vorbereitung
Ubl 1981 Ubl 1997 a Ubl 1997 b Ubl 1999/2000 Walde – Feil 1995 Willburger 2004 Zanker 1979 Zimmermann 2005
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Abb. 1: Immurium – Wandsystem 1: Volutenbordüre als Innenrahmen des rotgrundigen Feldes
Abb. 2: Immurium – Wandsystem 1: Ranke auf schwarzem Grund als Lisenendekoration
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Abb. 3: Immurium – Wandsystem 1: Stuckgesims
Abb. 4: Immurium – Wandsystem 2: Rot-Schwarze Felder-Lisenenmalerei
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Abb. 5: Immurium – Gelbgrundige Deckenmalerei: Balustrade
Abb. 6: Immurium – Gelbgrundige Deckenmalerei: Zentrales Medaillon
Abb. 7: Immurium – Gelbgrundige Deckenmalerei: Efeuranke
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Abb. 8: Immurium – Gelbgrundige Deckenmalerei: Taube mit Kirsche im Schnabel
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Zur Darstellung von Mensch und Tier auf Linear B-Tafeln und Siegelbildern der ägäischen Bronzezeit* Jörg Weilhartner Die Logogramme der Linear B-Schrift bilden in den von lexikalischen Einträgen dominierten Texten eine deutliche Orientierungshilfe, die nicht nur die inhaltliche Einordnung des jeweiligen Textes erleichtert, sondern auch die registrierende Funktion der Tafeln unterstreicht. In diesen nur aus wenigen Strichen bestehenden symbolhaften Zeichen ist eine Fokussierung auf besonders charakteristische Elemente des zu Erfassenden unabdingbar. Vergleichbar mit einem Comiczeichner legt der mykenische Schreiber das Hauptaugenmerk auf leicht und eindeutig erkennbare Wesenszüge, während er weniger wichtige Attribute einfach weglässt. Demnach stellen sowohl die standardisierte Normalform der einzelnen Logogramme als auch ihre jeweiligen graphischen Varianten eine wertvolle Informationsquelle für die als besonders spezifisch angesehenen Charakteristika einzelner Lebewesen, Pflanzen, Nahrungsmittel, Rohstoffe, Erzeugnisse und Gebrauchsgegenstände dar 1. Auf einem beträchtlichen Teil der Linear B-Tafeln finden sich logographische Zeichen für Personen und Tiere, da die Dokumentation des palatialen Personal- und Viehbestandes zu den zentralen Aufgaben der Verwaltungsbeamten in den spätbronzezeitlichen Palaststaaten der Insel Kreta und des griechischen Festlandes zählte. Mit diesen Zeichen konnten die mykenischen Schreiber die Registratur der betreffenden Personen oder Tiere unmissverständlich bewerkstelligen. Wie eine Gegenüberstellung dieser Logogramme auf der einen und entsprechender Darstellungen der ägäischen Bildkunst auf der anderen Seite zeigt, bildete die Ikonographie eine wesentliche Inspirationsquelle für die Gestaltung dieser Zeichen2. Ein eindeutiges Zeugnis dieser unmittelbar vergleichbaren Gestaltungskonventionen legen Logogramme und Darstellungen der Frau bzw. des Mannes ab3. Bei den Linear B-Logogrammen manifestiert sich die unterschiedlich akzentuierte, symbolhafte Wiedergabe einer weiblichen bzw. einer männlichen Person hauptsächlich in der vorhandenen bzw. unterlassenen Angabe von Kleidung (Abb. 1–2) und nicht in physiologischen Geschlechtsmerkmalen, wie dies bei Logogrammen anderer Schriftsysteme zu beobachten ist. In Bezug auf ein der Gestaltungsweise dieser Linear B-Logogramme diametral entgegengesetztes Beispiel sei auf frühe Belege der entsprechenden Bildzeichen in der sumerischen Keilschrift verwiesen, die sich als Abbildungen der primären Geschlechtsteile zu erkennen geben4. Die fehlende Angabe primärer Geschlechtsmerkmale bei den Logogrammen der Linear B-Schrift findet ihr Pendant bei der generellen Zurückhaltung ihrer Darstellung in den Bildzeugnissen der mittleren und späten Bronzezeit5. Dies lässt darauf schließen, dass der Genitalbereich als Zeichen des Geschlechtergegensatzes keine wesentliche Rolle spielte. * Für die Durchsicht des Manuskripts sowie formale und inhaltliche Verbesserungsvorschläge seien Angelika Baier und Fritz Blakolmer herzlich gedankt. Ersterer gebührt darüber hinaus mein tief empfundener Dank für ihre stete Bereitschaft, mir in Hinblick auf Fragen aus dem Bereich der Gender Studies hilfreich zur Seite zu stehen, letzterem danke ich für die gewinnbringenden Anstöße bei den zahlreichen zu diesem Thema geführten Diskussionen. 1 Einen Einblick in die Verwendung, Klassifizierung und graphische Gestaltung der mykenischen Logogramme
bietet Palaima 2005. 2 Eine ausführlich dokumentierte Gegenüberstellung von Logogrammen für Frau/Mann bzw. für Haustiere mit Belegen der Bildkunst findet sich bei Weilhartner 2012 a und Weilhartner 2012 b. Darüber hinaus waren auch paläographische Traditionen wirksam, während das reale Vorbild nur in sehr eingeschränktem Ausmaß als Vorlage diente. 3 Ausführlich dazu Weilhartner 2012 b. 4 Asher-Greve 1998, 10 f. 5 Rehak 1998, 192 f.
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Zur Darstellung von Mensch und Tier auf Linear B-Tafeln und Siegelbildern der ägäischen Bronzezeit
Das Logogramm für Mann (Abb. 1), das im wesentlichen aus einem X mit einem horizontalen Strich an der Oberseite und einem Halbkreis darüber besteht, bildet offensichtlich eine verkürzte, symbolhafte Wiedergabe des auf physischer Kraft basierenden männlichen Ideals bildlicher Darstellungen, indem es den Kopf in Profilansicht, die breite Schulterpartie und die Dreiecksform des Oberkörpers in Frontalansicht sowie die Schrittstellung der Beine wiederum in Profilansicht mit wenigen Strichen anschaulich abbildet6. Insbesondere der Wechsel zwischen Profil- und Frontalansicht greift hierbei auf eine Konvention zurück, die in der ägäischen Glyptik seit den frühesten Menschendarstellungen zu beobachten ist7. Entsprechend der zentralen Rolle des Krieges in der mykenischen Palastkultur, die im archäologischen Befund und in der Ikonographie, aber auch in der mykenischen Namensgebung klar dokumentiert ist8, könnte das Logogramm für Mann symbolhaft einen schreitenden ‚Krieger‘ wiedergeben, der als Metapher für Männlichkeit besonders geeignet erscheint (Abb. 3) 9. Bei dem Logogramm für Frau (Abb. 2) findet sich analog zu dem männlichen Pendant eine nur sehr schematische Gestaltung des Kopfes. Zwei diagonal verlaufende Striche unterhalb des Kopfes stellen die Arme dar. Der untere Teil des Logogramms besteht aus zwei längeren Strichen, die manchmal fast parallel, zumeist aber schräg nach unten verlaufen, und einer abschließenden horizontalen Linie. Diese charakteristische dreieckige Form ist ohne Zweifel als Angabe eines langen Gewandes zu verstehen, das sich demnach als das essentielle Charakteristikum dieses Logogramms erweist10. Diese beiden Logogramme für Frau und Mann kommunizieren die unterschiedliche Konzeption von Weiblichkeit und Männlichkeit in mykenischer Zeit in einer mit der Ikonographie vergleichbaren, wenn auch stark abgekürzten Form. Sie basiert auf einer traditionellen Bipolarisierung von passiver, bekleideter Frau (Abb. 4) und aktivem, nur spärlich bekleideten Mann (Abb. 3), eine Konvention, die der ägäischen Bilderwelt entnommen ist und deren Gültigkeit bis weit in die historische Zeit reicht11. Auch bei der Gestaltung der Logogramme für behörnte Haustiere hat man auf die Bildsprache der Spätbronzezeit zurückgegriffen. Zwar weisen die Logogramme für Schaf (ovis: Abb. 5), Ziege (cap: Abb. 6) und Rind (bos: Abb. 7), die sich aus einem vertikalen Strich und einem unterschiedlich gestalteten, oberen Teil zusammensetzen, auf den ersten Blick wenig bildhafte Elemente auf, doch legt ein Vergleich mit Darstellungen in Siegel- und Vasenbildern nahe, dass dieser obere Teil die jeweils charakteristische Form des Hornes mit einschließt12. Für die Gestaltung eines Logogramms, das – wie eingangs erwähnt – auf die Fokussierung charakteristischer
6 Eine graphische Variante dieses Logogramms weist eine besonders kräftige Formung der Oberschenkel auf, s. Weilhartner 2012 b, 290–292. Dieser ausdrückliche Hinweis auf männliche Kraft scheint sich von der überproportionalen Betonung männlicher Oberschenkel in der ägäischen Ikonographie herzuleiten. Ein Wiederhall dieser Konvention findet sich in den homerischen Epen: Zahlreiche schmückende Beiwörter beschreiben die Oberschenkel männlicher Krieger als besonders stattlich, s. Laser 1983, 15. 7 Tamvaki 1989, 259. Dass das Linear B-Logogramm tatsächlich eine Schrittstellung der Beine in Profilansicht wiedergibt, wird durch die explizite Angabe der Füße bei dem entsprechenden Linear A-Logogramm A 100/102 nahegelegt, s. unten Abb. 18. 8 Zur immanenten und allgegenwärtigen Rolle des Krieges im mykenischen Griechenland s. z. B. Deger-Jalkotzy 1999. Dass sich die Wert- und Wunschvorstellungen der kriegerischen Elite auch in der Namensgebung manifestiert haben, ist von Neumann 1995 ausführlich
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dargelegt worden. 9 Da bei diesem Zeichen keinerlei Angabe einer Waffe auszumachen ist, kann eine derartige Deutung nur eine Vermutung bleiben. Immerhin findet sich eine dem Linear B-Logogramm formal entsprechende Darstellung eines Mannes – mit einem Speer in der Hand – bereits auf frühen Siegeldarstellungen, s. z. B. CMS II 2 Nr. 104; VI, 1 Nr. 68; XII Nr. 68. 10 Mitunter haben die Schreiber die Angabe der abschließenden horizontalen Linie unterlassen. Dies lässt sich m. E. durch die vorgegebene Linierung der Texte erklären, da dieses Phänomen des Weglassens der abschließenden horizontalen Linie bei einer ganzen Reihe von Logogrammen (wie auch Syllabogrammen) zu beobachten ist, s. Weilhartner 2012 b, 292 mit Anm. 36 und 37. 1 1 Langdon 1999, 26; Lee 2000, 111–123. 12 Zur Wiedergabe der unterschiedlichen Hornform bei Schaf, Ziege und Rind s. Weilhartner 2012 a, 65– 67 mit Abb. 6–11b.
Jörg Weilhartner
Elemente abzielt, scheint das Horn als einfach wiederzugebendes Unterscheidungsmerkmal besonders geeignet, da bei Horn tragenden Tieren das Schädelbild entscheidend von dem Gehörn geprägt ist. Ein besonders eindrückliches Beispiel dieser unterschiedlichen Gestaltungsweise bietet der Miniaturfries der Nordwand von Raum 5 des Westhauses in Akrotiri auf Thera, der in einer innerhalb der ägäischen Kunst einzigartigen Zusammenstellung Schaf-, Ziegen- und Rinderherden in einem Bild vereint13. Auch bei den phantastischen Mischwesen einer zusammengehörigen Gruppe von Siegelabdrücken aus Kato Zakros findet sich diese Gestaltung der Hörner, die eine eindeutige Unterscheidung von Schaf- (Abb. 8), Ziegen- (Abb. 9) und Rinderkopf (Abb. 10) ermöglicht14. Demnach existierte in der ägäischen Ikonographie eine Konvention für die Gestaltung der Tierhörner, auf die zur eindeutigen Differenzierung zurückgegriffen werden konnte und von der auch bei der Gestaltung der entsprechenden Linear B-Logogramme Gebrauch gemacht wurde15. Im Gegensatz zu der stets eindeutigen Gestaltungsweise der Logogramme weisen die Hornform wie auch das Gesamterscheinungsbild der Tiere in den Bildzeugnissen jedoch eine erstaunliche Variationsbreite auf, wodurch sich die exakte Zuordnung eines dargestellten Tieres zu einer bestimmten Gattung häufig nicht vornehmen lässt. Unter der Voraussetzung, dass die Schwierigkeiten einer exakten Bestimmung bereits für den bronzezeitlichen Betrachter bestanden haben, könnte diese Unschärfe in der Darstellung als ein bewusst gesetzter Akt eines mitunter fehlenden konkreten Gestaltungswillens verstanden werden. Zur Illustrierung dieses Gedankenganges sei exemplarisch auf ein Bildthema verwiesen, das häufig als ‚Priesterin (bisweilen auch Göttin) mit Ziege (oder Widder)‘ bezeichnet wird16. Dieses Darstellungsmotiv zeigt eine weibliche, mit langem, verziertem Rock bekleidete Gestalt, die ein gehörntes Tier auf ihrer Schulter oder vor ihrem Körper trägt. Im Allgemeinen wird dieses Sujet als szenischer Ausschnitt einer Opferhandlung gedeutet, wobei man in den leblos oder zumindest betäubt erscheinenden Tieren Opfertiere vermutet, die entweder zur rituellen Schlachtung oder zur Zerlegung (nach bereits erfolgter Tötung) getragen werden17. Während mitunter eine eindeutige Klassifizierung des getragenen Tieres vorgenommen werden kann – so ist die Darstellung eines Ziegenbocks auf dem Siegelabdruck CMS II 7 Nr. 23 (Abb. 11) ebenso unmissverständlich 13 Morgan 1988, 56–60; Televantou 1990, 315– 319 mit Abb. 9–10. 14 CMS II 7 Nr. 144: Kopf und Hals eines Schafes im rechten Profil; CMS II 7 Nr. 141: Kopf einer Ziege im rechten Profil; CMS II 7 Nr. 145: Kopf und Hals eines Rindes im rechten Profil. Vgl. Weingarten 1983, 62–64 (Nr. 35, 37 und 43). Bei Weingarten 1983, 63 (Nr. 37) wird das auf CMS II 7 Nr. 144 dargestellte Mischwesen fälschlich als „squatting winged goat“ bezeichnet. An der Identifizierung des Kopfes als Kopf eines Widders kann jedoch kaum ein Zweifel bestehen. Vgl. Hogarth 1902, 81 (Nr. 37): „The head seems to be that of a ram with curling horns, and ears well marked“. Diese charakteristische Gestaltung des Widdergehörns findet sich auch auf anderen Siegeldarstellungen, s. z. B. CMS II 7 Nr. 55; VI, 1 Nr. 177; VI, 2 Nr. 330; XII Nr. 136. 1 5 Auf die unterschiedlich gestaltete Formung der Hörner als entscheidendes Kriterium bei der Identifizierung gehörnter Vierfüßler beruft sich auch I. Pini. Seine ausschließlich auf Darstellungen in Siegelbildern beruhende Klassifizierung stimmt mit der hier getroffenen Unterscheidung unmittelbar überein, s. Pini 1984, S. XXXVII– XXXVIII. 16 Eine ausführliche Behandlung dieses Bildthemas
bietet Sakellarakis 1972 mit Taf. 94–95. Eine erweiterte Zusammenstellung der Belege findet sich bei Pini 2010, 335 f. mit Abb. 11–12, die folgende Siegelbilder enthält: CMS I Nr. 220–222; II 3 Nr. 86. 117. 287; II 4 Nr. 35. 111. 204; II 7 Nr. 23; III, 2 Nr. 359. 511; IV Nr. 307; V Suppl. 1A, Nr. 369; V Suppl. 3, 1 Nr. 38; VI, 2 Nr. 322– 323; VIII Nr. 144; XII Nr. 239. 276 a; XIII Nr. 5D. In Einzelfällen (so z. B. bei CMS IV Nr. 307) muss die Zugehörigkeit zu dieser Gruppe jedoch mit einem Fragezeichen versehen werden. Vgl. Krzyszkowska 2012, 743 mit Anm. 30. 32. 34. Demgegenüber können der Liste von Pini auch noch CMS II 3 Nr. 213 (s. Sakellarakis 1972, Taf. 94 ζ), CMS V Suppl. 1A, Nr. 130 (s. Jung 1997, 173 Anm. 263), CMS XI Nr. 119 (Wingerath 1995, 218 Anm. 385) und vermutlich CMS XIII Nr. 135 (Wingerath 1995, 218 Anm. 385) hinzugefügt werden. Auf einen weiteren Beleg (Sakellarakis – Sapouna-Sakellaraki 1997, 696 Abb. 797) hat mich F. Blakolmer dankeswerterweise hingewiesen. Eine mit diesem Motiv unmittelbar vergleichbare Darstellung geben CMS I Suppl. Nr. 180, XI Nr. 27 und Nr. 335 wieder. 17 Sakellarakis 1972, 254–257; Jung 1997, 172– 176 mit Anm. 263; Pini 2010, 335.
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wie die Darstellung eines Widders auf dem Siegelstein CMS I Nr. 221 (Abb. 12) – , ist bei einer Reihe von Beispielen, die dasselbe Motiv aufweisen, eine sichere Entscheidung, welches Tier getragen wird, nicht möglich18. Dementsprechend findet sich bei den betreffenden Bildbeschreibungen in den jeweiligen CMS-Bänden in diesen Fällen auch die summarische Angabe „Vierfüßler“ oder „Tier“19. Offensichtlich sollte bei diesen Siegelbildern primär die Anwesenheit eines Tieres im Rahmen einer rituellen Handlung zum Ausdruck gebracht werden, eine eindeutige Zuweisung zu einer bestimmten Tiergattung ist hierbei vom Künstler – meines Erachtens bewusst20 – nicht vorgenommen worden (Abb. 13). Um diesen Sachverhalt in die griechische Sprache zu übertragen: Bisweilen kam es dem Gemmenschneider darauf an, einen τράγος (Ziegenbock) oder einen κριός (Widder) unverkennbar darzustellen, in anderen Fällen beließ er es bei der Abbildung eines πρόβατον, eines nicht näher spezifizierten Kleinviehs. Ein vergleichbares Phänomen einer nicht sicher vorzunehmenden Zuordenbarkeit zu einer bestimmten ‚Spezies‘ lässt sich mitunter auch bei der Darstellung von Personen beobachten. Zwar wird – wie eingangs ausgeführt – sowohl bei den Logogrammen der Linear B-Schrift als auch bei zahlreichen Darstellungen durch die Angabe einer bestimmten Gewandtracht, physiognomischer Merkmale oder auch mittels der konventionellen Farbe des Inkarnats21 eine eindeutige Geschlechtercharakterisierung gegeben, doch findet sich demgegenüber auch eine Reihe von Bildzeugnissen, bei der die Identifikation der betreffenden Person als Frau oder Mann beträchtliche Schwierigkeiten bereitet. In der älteren Forschungsliteratur hat dieses Ausbleiben einer eindeutigen Darstellungsweise häufig zu einer unkommentierten unterschiedlichen Beschreibung ein und derselben Figur als Frau oder als Mann geführt22. Um wiederum ein Beispiel aus der Glyptik herauszugreifen, sei auf einen Bildtypus verwiesen, der eine Figur in knöchellangem, mit diagonal verlaufenden Borten verziertem Gewand zeigt (Abb. 14–15)23. Diese Figuren wurden von A. Evans sowohl als „long-robed priestly personage“ als auch als „priest-kings and princes“ bezeichnet, in jedem Fall aber als „high Minoan dignitaries of the male sex“ gedeutet24. In weiterer Folge ist die Interpretation dieser Figuren als hohe Würdenträger weiter tradiert worden, wobei lediglich darüber Uneinigkeit besteht, ob sie eher dem kultischen oder eher dem weltlichen Bereich zuzuordnen sind25. Eine Identifizierung dieser Figuren als Männer wird in Evans’scher Tradition zumeist als sicher vorausgesetzt26. Ausschlaggebend für diese Einschätzung scheinen die getragenen Gegenstände zu sein. Unter diesen befinden sich die ‚Syrische Axt‘ sowie ein hammerähnliches Objekt, die beide von 18 s. z. B. CMS II 3 Nr. 86; II 4 Nr. 111. 19 Im Gegensatz zu der vorsichtig formulierten Angabe „Vierfüßler“ sind im Laufe der Forschungsgeschichte zum Teil auch recht abenteuerliche Identifizierungsvorschläge wie „Kalb“ oder „Pferd“ für die Tiere dieses Bildmotivs gemacht worden, s. Sakellarakis 1972, 247 f. 20 Für gewöhnlich geht man jedoch davon aus, dass auch in jenen Fällen vom Siegelschneider ein bestimmtes Tier dargestellt worden ist, in denen sich die exakte Bestimmung dem heutigen Betrachter entzieht, s. z. B. Müller 1995, 151 f. Zu dieser Problematik s. Morgan 1989, 145 f. 2 1 Zur Inkarnatsfarbe als weitgehend zuverlässigem geschlechtsspezifischem Kriterium s. Blakolmer 1993. 22 Exemplarisch sei auf einen Siegelabdruck aus Kato Zakros verwiesen (CMS II 7 Nr. 7). In den beiden Figuren, die lange über den Rücken fallendes Haar tragen und mit Gürteln und kurzen ›Fellröcken‹ bekleidet sind, hat man sowohl Männer (z. B. Evans 1921, 434 f. mit Abb. 312 b; CMS II 7, S. 11) als auch Frauen (z. B. Long 1974, 37; Otto 1987, 17 mit Abb. 11) erkannt. Nur selten wurde auf beide Möglichkeiten der Geschlechterzuordnung verwie-
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sen, s. z. B. Nilsson 1950, 157 mit Abb. 64; Niemeier 1986, 78 f. Grundsätzlich ist anzumerken, dass lange Haartracht (wie auch das Tragen von Schmuck und langen Gewändern) kein geschlechtsspezifisches Merkmal darstellt. 23 CMS I Nr. 225; II 3 Nr. 147. 198; II 8, 1 Nr. 258; V Suppl. 1A, Nr. 345; VI, 2 Nr. 318–319. Die überwiegende Anzahl dieser Darstellungen findet sich auf kretischen Siegelbildern, zwei Belege wurden in Tholosgräbern des Festlandes gefunden (Vapheio, Routsi). Eine Zusammenstellung sämtlicher Belege gibt Younger 1995, 162– 165 mit Taf. 54. Vgl. Younger 1989, Taf. 12, 62–66. Auf CMS I Nr. 223 ist eine unmittelbar vergleichbare Figur abgebildet, die einen Greifen an der Leine führt. Vgl. Rehak 1994. 24 Evans 1935, 397–414, bes. 404 und 412 f. 25 Marinatos 1993, 127–133 mit Abb. 88 (priests); Rehak 1994, 83 (top administrators); Rehak 1995, 110 f. (middle administrators); Davis 1995, 15–17 mit Taf. 6 b–h (priests ?); Koehl 1995, 29–31 (priests). 26 So in sämtlichen in Anm. 25 genannten Aufsätzen. Vgl. außerdem Rehak 2000, 44: „[…], apparently all male, […]“.
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Evans dem männlich-militärischen Bereich zugewiesen wurden27. Eine geschlechtsspezifische Zuordnung dieser nicht so sehr als Kriegswerkzeuge als vielmehr als Statussymbole zu verstehenden Geräte28 scheint aber nicht gerechtfertigt. Die Doppelaxt, die in der Ikonographie als zentrales religiöses Symbol in Erscheinung tritt, wird jedenfalls von Männern und Frauen getragen 29. Darüber hinaus sind in der ägäischen Glyptik auch Darstellungen von schwerttragenden30 und bogenschießenden31 Frauen belegt. Demnach wird man das Tragen von Hammer und Axt nicht zwangsläufig als ausschließlich dem männlichen Bereich zugehörig ansehen dürfen. Ein weiteres Argument gegen die Annahme, die ‚Syrische Axt‘ als exklusives Symbol männlicher Priester zu deuten, ist in der Darstellung einer entsprechenden Klingenform als Anhänger in blauer Farbe eines Armbandes einer möglicherweise göttlichen, in jedem Fall aber weiblichen Figur auf einem Fresko aus dem Gebäudekomplex Xeste 3 in Akrotiri, Thera, zu sehen32. Mitunter hat man bei zwei Belegen dieses Bildtypus die Darstellung eines Bartes erkennen wollen33, was sich jedoch bei genauerer Betrachtung nicht verifizieren lässt und für die Darstellung auf dem Siegelstein CMS I Nr. 225 bereits von Evans als unwahrscheinlich erachtet worden ist34. Diese Einschätzung teilt auch I. Pini, dessen Auf listung der vergleichsweise seltenen Darstellungen bärtiger Männer in ägäischen Bildwerken keine der betreffenden Personen enthält35. Hartnäckig hält sich auch die Auffassung, dass das um den Körper und eine Schulter drapierte Kleidungsstück ausschließlich von Männern getragen werde36. Diese vermutlich aus dem syrischen Raum37 stammenden ‚Wickelkleider‘ sind jedoch auch als eine von Frauen getragene Tracht belegt, wie am deutlichsten die Darstellung eines ein Räuchergefäß tragenden Mädchens auf einem Fresko aus Thera und das nur fragmentarisch erhaltene Bild einer Frau in freier Natur auf einem Fresko aus Hagia Triada bezeugen38. Für zumindest eine dieser Figuren (Abb. 16) hat J. Younger vorsichtig eine Deutung als Frau in Erwägung gezogen, da sich seiner Meinung nach sowohl die Angabe eines unter dem langen Gewand getragenen Leibchens als auch das figurbetonte Tragen des Gewandes bei Darstellungen wiederfinden, die eindeutig Frauen wiedergeben39. Diese Auffassung teilt auch N. Platon, der in dieser Figur „die Darstellung einer weiblichen Gestalt, vielleicht einer Priesterin“ erkennt40. Wenn diese Einschätzung zutrifft, dann wäre der bislang als sicher vorausgesetzten Identifizierung der Figuren dieses Bildtypus als Männer die Grundlage entzogen und das Geschlecht bei jeder einzelnen dieser Darstellungen neu zu beurteilen. Dies muss insbesondere für jene Figur gelten, die einen Vogel in Händen hält (Abb. 17), da Vögel vor allem in Verbindung mit 27 Evans 1935, 413 f. Vgl. Marinatos 1993, 130. 28 Rehak 1994, 80. 29 s. z. B. CMS II 3 Nr. 8; II 6 Nr. 10; V Suppl. 3 Nr. 394. 30 s. z. B. CMS II 3 Nr. 16. Zur möglichen Darstellung von schwerttragenden Frauen in der mykenischen Vasenmalerei s. Brecoulaki u. a. 2008, 378 mit Anm. 46. 3 1 s. z. B. CMS XI Nr. 26. 29. Eine Bogenschützin ist wahrscheinlich auch auf zwei zusammenhängenden Freskofragmenten aus Pylos zu erkennen, s. Brecoulaki u. a. 2008, bes. 376–378. Als Beispiel für einen männlichen Bogenschützen sei exemplarisch auf den Siegelabdruck CMS II 6 Nr. 21 verwiesen. 32 Doumas 1992, 162 Abb. 125. 33 Für CMS II 3 Nr. 147 s. z. B. Demargne 1946, 149; Koehl 1995, 29 mit Taf. 12 g; Wingerath 1995, 67. Für CMS I Nr. 225 s. z. B. Demargne 1946, 149 (homme barbu [?]); Koehl 1995, 29 mit Taf. 12 f; Marinatos 1993, 128 mit Abb. 88 c. 34 Evans 1935, 414. 35 Pini 1999, 664 f. Vgl. Jung 1997, 161 Anm. 175. 36 Schachermeyr 1964, 165: „Sicher kultischen Cha-
rakter hat eine fremdartige, lange Robe ohne Taille, die ausnahmslos von männlichen Gestalten getragen wird“. Vgl. Schachermeyr a. O. 166 Abb. 92. Ebenso Davis 1995, 15: „But no such spirally-wound cloth is ever worn by a woman“. 37 Marinatos 1993, 127–130; Koehl 1995, 29–31. 38 Fresko aus Thera: Doumas 1992, 56 f. Abb. 24–25. Fresko aus Hagia Triada: Militello 1998, Taf. L. Ausführlich zu dieser Gewandtracht haben sich Long 1974, 61 f. und bes. Trnka 2000, 43–47 geäußert. 39 Younger 1995, 164 f. (Nr. 54) mit Anm. 14. Auch für die im Relief relativ stark hervortretende Jochbein-Kiefer-Partie lassen sich Vergleichsbeispiele eindeutig weiblicher Figuren anführen, s. z. B. CMS I Nr. 279; XI Nr. 27. Vgl. Pini 1999, 666 mit Taf. CXLII, g–i, der sich im Hinblick auf das Geschlecht dieser Personen jedoch bedeckt hält. 40 CMS II 3, S. 232 (Nr. 198). I. Pini hat sich im selben Band auf S. LVIII gegen diese Interpretation ausgesprochen, eine Auffassung, der sich Krzyszkowska 2005, 138 f. mit Anm. 62 angeschlossen hat.
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weiblichen Figuren dargestellt werden41. In jedem Fall scheint einer Benennung dieses Bildthemas als „robed priests and priestesses group“ gegenüber der konventionellen Bezeichnung „robed priests group“42 der Vorzug zu geben zu sein. Die Frage, welches Geschlecht die Figuren dieses Bildtypus aufweisen, ist aber möglicherweise eine, die sich dem Gemmenschneider so gar nicht gestellt hat. Wie F. Blakolmer jüngst in einem Beitrag über Ethnizität und Identität in der minoisch-mykenischen Ikonographie hervorgehoben hat, zeugen die im Allgemeinen beliebig ausgeführten Gesichtsdarstellungen „von einer gewissen Gleichgültigkeit der Bildkunst gegenüber dem konkreten Individuum“43. Entsprechend einer wenig ausgeprägten Darstellung individueller Identitätsmerkmale lässt sich in der ägäischen Bildsprache auch die Kenntlichmachung von Fremden nur in Ausnahmefällen feststellen44. Möglicherweise hat sich diese generalisierende Art der Darstellung mitunter auch in einer fehlenden, weil im betreffenden Zusammenhang nicht relevanten, geschlechtlichen Differenzierung niedergeschlagen. Im Falle unseres Bildmotivs würde dies bedeuten, dass bei den betreffenden Figuren nicht die Darstellung eines einzelnen männlichen oder weiblichen Individuums im Vordergrund steht, sondern die Ausübung einer bestimmten (priesterlichen ?) Funktion45. Die geschlechtsspezifische Klassifikation bliebe in diesem Zusammenhang ohne Belang. Ein vergleichbarer Sachverhalt ist möglicherweise auch bei den logographischen Zeichen der Linear A-Schrift zu beobachten. Denn während bei den Linear B-Logogrammen für Frau und Mann eine graphisch klar ersichtliche Unterscheidung auszumachen ist, lässt sich das entsprechende Zeichen der Vorgängerschrift nicht in eine weibliche und eine männliche Variante unterteilen, da es Charakteristika von beiden in sich trägt (Abb. 18): Die Angabe des Gewandes des Linear B-Logogramms für Frau und die typische Gestaltung der Beinstellung des Linear B-Logogramms für Mann finden sich mitunter in einem Linear A-Logogramm vereint 46. Demzufolge hat sich J.-P. Olivier überzeugend dafür ausgesprochen, in diesem Zeichen das generelle Logogramm für Mensch zu erkennen47. Falls es im Rahmen der Linear A-Schrift tatsächlich nicht intendiert war, graphisch mittels eines Logogramms zwischen Frau und Mann zu unterscheiden, dann könnte auch dies auf eine im minoischen Kreta bestehende, allgemeinere Konzeption des menschlichen Körpers hinweisen, bei der das Geschlecht keine vorrangige Rolle spielte. Dem in zwei gegensätzlichen Geschlechtskategorien denkenden ‚modernen Menschen‘ bereitet eine derartige Konzeption auf den ersten Blick einiges Kopfzerbrechen. Allerdings gilt es zu bedenken, dass dem seit der Aufklärung bis in die jüngste Vergangenheit vorherrschenden Modell des radikalen Geschlechterdimorphismus eine Jahrtausende währende Auffassung vorausging, die in den männlichen und weiblichen Genitalien mehr oder weniger vollkommene Abstufungen 4 1 Younger 1998, 59 mit Anm. 189. Als Belege für das Motiv ‚Mann mit Vogel‘ verweist Younger neben dem besagten Siegelstein lediglich auf einen Goldanhänger (aus dem sogenannten Ägina-Schatz), dessen Gesamterscheinungsbild aber nicht ägäisch anmutet. Für das Motiv ‚Frau mit Vogel‘ werden hingegen eine ganze Reihe von Beispielen angeführt, so z. B. CMS I Nr. 233 und VII Nr. 134. Vgl. auch Marinatos 1993, 155 f. Younger 1988, 153 führt unter der Rubrik ‚Man & Birds‘ drei Belege an. Ihre Aussagekraft ist jedoch von nur eingeschränktem Wert: Das Geschlecht der menschlichen Gestalt auf dem Siegelabdruck aus Knossos (CMS II 8, 1 Nr. 257) lässt sich nicht mit Sicherheit bestimmen, auf dem Siegelabdruck aus Hagia Triada (CMS II 6 Nr. 122) findet sich entgegen der Angabe Youngers gar keine menschliche Figur. Bliebe als einziger Beleg wiederum nur der besagte Siegelstein CMS VI, 2 Nr. 318. Unter diesen Voraussetzungen muss es überraschen, dass die Identifizierung dieser Figur als Mann bislang noch nie hinterfragt worden ist. In diesem
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Zusammenhang sei auf die bereits genannte weibliche Figur auf einem Fresko aus Akrotiri, Thera, verwiesen, die eine Halskette mit Anhängern in Form eines Vogels trägt, s. Doumas 1992, 163 Abb. 126. Ein mit der Darstellung auf CMS VI, 2 Nr. 318 vergleichbares Motiv könnte auf CMS II 3 Nr. 170 abgebildet sein, doch muss die Identifikation des von einer eindeutig weiblichen Gestalt getragenen Objekts als Vogel unsicher bleiben, s. CMS II 3, S. LVII. 205. Younger 1998, 10 Anm. 13 nimmt eine Identifizierung als Vogel als gesichert an. 42 Betts 1981, 5 mit Anm. 22; Younger 1995, 162 f. 43 Blakolmer 2010, 37. Zur verallgemeinernden Wiedergabe menschlicher Köpfe auf ägäischen Siegelbildern s. auch Pini 1999. 44 Blakolmer – Weilhartner in Druck. 45 Vgl. Wingerath 1995, 159. 46 GORILA V, S. XLII–XLIII (A 100/102). 47 Olivier 1983, 82 f. Vgl. Palaima 1988, 325.
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ein und derselben Fortpflanzungsorgane gesehen hat und dementsprechend als ‚Ein-GeschlechtModell‘ bezeichnet worden ist48. In einer Vorstellungswelt, in der zwischen dem Weiblichen und dem Männlichen keine scharfe Trennlinie gelegt wurde und das körperliche Geschlecht keine Konstante, sondern eine Variable bildete49, könnte die fehlende eindeutige Angabe von Geschlechtsmerkmalen auch auf eine flexible Geschlechterzuordnung hinweisen50. In diesem Fall läge die Ursache für die Unsicherheit bei der Zuweisung einer Reihe von figuralen Darstellungen zu einem bestimmten Geschlecht nicht in einem mangelnden ikonographischen Verständnis des modernen Betrachters, sondern in einem bewussten Verzicht des bronzezeitlichen Künstlers auf eine eindeutige geschlechtsspezifische Charakterisierung 51, bei der nicht nur die Grenzen des körperlichen Geschlechts, sondern auch die des sozialen Geschlechts verschwimmen. Abbildungsnachweis Abb. 1: Ausschnitt aus Tafel KN As(2) 1516.3 nach COMIK II, 148 Abb. 2: Ausschnitt aus Tafel KN Ak(3) 783.1 nach COMIK I, 298 Abb. 3: nach CMS II 8, 1 Nr. 236 Abb. 4: nach CMS III 2 Nr. 351 Abb. 5: Ausschnitt aus Tafel KN Dl(1) 463. A nach COMIK I, 167 Abb. 6: Ausschnitt aus Tafel KN Ce 152.4 nach COMIK I, 69 Abb. 7: Ausschnitt aus Tafel KN Ce 144.1 nach COMIK I, 65 Abb. 8: nach CMS II 7 Nr. 144 Abb. 9: nach CMS II 7 Nr. 141 Abb. 10: nach CMS II 7 Nr. 145A Abb. 11: nach CMS II 7 Nr. 23 Abb. 12: nach CMS I Nr. 221 Abb. 13: nach CMS II 4 Nr. 111 Abb. 14: nach CMS I Nr. 225 Abb. 15: nach CMS II 8, 1 Nr. 258 Abb. 16: nach CMS II 3 Nr. 198 Abb. 17: nach CMS VI 2 Nr. 318 Abb. 18: Ausschnitt aus Roundel HT(?) Wc 3022 nach GORILA V, 14 Bibliographie Alberti 2002
Alexandri 2009
Asher-Greve 1998
B. Alberti, Gender and the Figurative Art of Late Bronze Age Knossos, in: Y. Hamilakis (Hrsg.), Labyrinth Revisited. Rethinking ›Minoan‹ Archaeology (Oxford 2002) 98–117 A. Alexandri, Envisioning Gender in Aegean Prehistory, in: K. Kopaka (Hrsg.), FYLO. Engendering Prehistoric ›Stratigraphies‹ in the Aegean and the Mediterranean. Proceedings of an International Conference, University of Crete, Rethymno 2–5 June 2005 (Liège 2009) 19–24 J. M. Asher-Greve, The Essential Body: Mesopotamian Conceptions of the Gendered Body, in: M. Wyke (Hrsg.), Gender and the Body in the Ancient Mediterranean (Oxford 1998) 8–37
48 Laqueur 1992, bes. 13–133. Auf S. 17 führt Laqueur ein eindrucksvolles sprachliches Zeugnis für dieses Modell an, indem er darauf verweist, dass es in der gesamten Antike keinen eigenen Begriff für die Eierstöcke gab, sondern diese stets mit den Wörtern für Hoden (ὄρχεις, δίδυμοι) bezeichnet worden sind. 49 In diesem Zusammenhang sei an die mythologische Figur Teiresias erinnert, der von einem Mann in eine Frau und später wieder in einen Mann verwandelt worden ist. Vgl. Ov. met. 3, 316–338. Weitere Belege für ‚Geschlechtswechsel‘ in der antiken Literatur finden sich bei Talalay – Cullen 2002, 187.
50 Eine vergleichbare Vermutung hat Talalay 2000, 8 f., in Zusammenhang mit Figurinen des griechischen Neolithikums angestellt, die keine primären Geschlechtsmerkmale aufweisen: „Were the sexless images viewed as truly ‚neuter‘, transcending sexual classification altogether ? Or, were they seen as somehow subsuming both male and female sexes ? In the latter case, the image would not have been seen as actually sexless but rather as capable of moving in and out of various sexual categories (e.g. male, female or dual)“. 5 1 Vgl. auch Alberti 2002; Alexandri 2009, 22.
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Zur Darstellung von Mensch und Tier auf Linear B-Tafeln und Siegelbildern der ägäischen Bronzezeit J. H. Betts, The Seal from Shaft Grave Gamma: A ›Mycenaean Chieftain‹?, Temple University Aegean Symposium 6, 1981, 2–8 Blakolmer 1993 F. Blakolmer, Überlegungen zur Inkarnatsfarbe in der frühägäischen Malerei, ÖJh 62, 1993, 5–18 Blakolmer 2010 F. Blakolmer, Ethnizität und Identität in der minoisch-mykenischen Ikonographie, in: Proceedings of the International Conference ›The Phenomena of Cultural Borders and Border Cultures across the Passage of Time (From the Bronze Age to Late Antiquity)‹, Trnava, 22–24 October 2010 (Trnava 2010) 29–40 Blakolmer – Weilhartner in Druck F. Blakolmer – J. Weilhartner, Eberzahnhelmträger und ke-se-nu-wo. Die Aussage der Bildkunst und der Linear B-Texte zu Identität und Fremdenbild in der ägäischen Frühzeit, in: A. Pülz – E. Trinkl (Hrsg.), Das Eigene und das Fremde. Tagung an der Österreichischen Akademie der Wissenschaften, 26.–27. März 2012, Origines 4 (in Druck) Brecoulaki u. a. 2008 H. Brecoulaki – C. Zaitoun – S. R. Stocker – J. L. Davis – A. G. Karydas – M. P. Colombini – U. Bartolucci, An Archer from the Palace of Nestor. A New Wall-Painting Fragment in the Chora Museum, Hesperia 77, 2008, 363–397 COMIK J. Chadwick u. a., Corpus of Mycenaean Inscriptions from Knossos I–IV (Cambridge 1986–1998) Davis 1995 E. N. Davis, Art and Politics in the Aegean. The Missing Ruler, in: P. Rehak (Hrsg.), The Role of the Ruler in the Prehistoric Aegean. Proceedings of a Panel Discussion Presented at the Annual Meeting of the Archaeological Institute of America, New Orleans, Louisiana, 28 December 1992 (Liège 1995) 11–20 Deger-Jalkotzy 1999 S. Deger-Jalkotzy, Military Prowess and Social Status in Mycenaean Greece, in: R. Laffineur (Hrsg.), POLEMOS. Le contexte guerrier en Égée à l’âge du Bronze. Actes de la 7 e Rencontre égéenne internationale, Université de Liège, 14–17 avril 1998 (Liège 1999) 121–131 Demargne 1946 P. Demargne, Un prêtre oriental sur une gemme Crétoise du MR I, BCH 70, 1946, 148–153 Doumas 1992 C. Doumas, The Wall-Paintings of Thera (Athen 1992) Evans 1921 A. Evans, The Palace of Minos at Knossos I (London 1921) Evans 1935 A. Evans, The Palace of Minos at Knossos IV (London 1935) GORILA L. Godart – J.-P. Olivier, Recueil des inscriptions en linéaire A I–V (Paris 1976–1985) Hogarth 1902 D. G. Hogarth, The Zakro Sealings, JHS 22, 1902, 76–93 Jung 1997 R. Jung, Menschenopferdarstellungen ? Zur Analyse minoischer und mykenischer Siegelbilder, PZ 72, 1997, 133–194 Koehl 1995 R. B. Koehl, The Nature of Minoan Kingship, in: P. Rehak (Hrsg.), The Role of the Ruler in the Prehistoric Aegean. Proceedings of a Panel Discussion Presented at the Annual Meeting of the Archaeological Institute of America, New Orleans, Louisiana, 28 December 1992 (Liège 1995) 23–36 Krzyszkowska 2005 O. Krzyszkowska, Aegean Seals. An Introduction (London 2005) Krzyszkowska 2012 O. Krzyszkowska, Worn to Impress ? Symbol and Status in Aegean Glyptic, in: M.-L. Nosch – R. Laffineur (Hrsg.), KOSMOS. Jewellery, Adornment and Textiles in the Aegean Bronze Age. Proceedings of the 13th International Aegean Conference, University of Copenhagen, Danish National Research Foundation’s Centre for Textile Research, 21–26 April 2010 (Liège 2012) 739–747 Langdon 1999 S. Langdon, Figurines and Social Change. Visualizing Gender in Dark Age Greece, in: N. L. Wicker – B. Arnold (Hrsg.), From the Ground Up: Beyond Gender Theory in Archaeology. Proceedings of the Fifth Gender and Archaeology Conference, University of Wisconsin-Milwaukee, October 1998 (Oxford 1999) 23–29 Laqueur 1992 T. Laqueur, Auf den Leib geschrieben. Die Inszenierung der Geschlechter von der Antike bis Freud (Frankfurt 1992) Laser 1983 S. Laser, Medizin und Körperpflege, ArchHom S (Göttingen 1983) Lee 2000 M. M. Lee, Deciphering Gender in Minoan Dress, in: A. E. Rautman (Hrsg.), Reading the Body. Representations and Remains in the Archaeological Record (Philadelphia 2000) 111–123 Betts 1981
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Trnka 2000
Weilhartner 2012 a
Weilhartner 2012 b
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Jörg Weilhartner
Abb. 1: Linear B-Logogramm vir (Mann)
Abb. 2: Linear B-Logogramm mul (Frau)
Abb. 4: Darstellung einer Frau auf einem Siegelstein aus Knossos
Abb. 5: Linear B-Logogramm ovis (Schaf )
Abb. 8: Darstellung eines Mischwesens auf einem Siegelabdruck aus Kato Zakros
Abb. 9: Darstellung eines Mischwesens auf einem Siegelabdruck aus Kato Zakros
Abb. 3: Darstellung eines Mannes auf einem Siegelabdruck aus Knossos
Abb. 6: Linear B-Logogramm cap (Ziege)
Abb. 7: Linear B-Logogramm bos (Rind)
Abb. 10: Darstellung eines Mischwesens auf einem Siegelabdruck aus Kato Zakros
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Zur Darstellung von Mensch und Tier auf Linear B-Tafeln und Siegelbildern der ägäischen Bronzezeit
Abb. 11: Darstellung einer ‚Priesterin mit Ziegenbock‘ auf einem Siegelabdruck aus Kato Zakros
Abb. 12: Darstellung einer ‚Priesterin mit Widder‘ auf einem Siegelstein aus Vapheio
Abb. 13: Darstellung einer ‚Priesterin mit Vierfüßler‘ auf einem Siegelstein aus Knossos
Abb. 14: Darstellung einer Person mit langem Gewand auf einem Siegelstein aus Vapheio
Abb. 15: Darstellung einer Person mit langem Gewand auf einem Siegelabdruck aus Knossos
Abb. 16: Darstellung einer Person mit langem Gewand auf einem Siegelstein aus Vatheia
Abb. 17: Darstellung einer Person mit langem Gewand auf einem Siegelstein aus Knossos
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Abb. 18: Linear A-Logogramm A100/102 (Mensch ?)
Arnold Schober – Leben und Werk Gudrun Wlach Arnold Schober (Abb. 1)1, Inhaber des Lehrstuhls für Klassische Archäologie an der Universität Graz von 1936 bis 1945, ist heute vor allem durch zwei Werke bekannt: „Die römischen Grabsteine von Noricum und Pannonien“2, eine Arbeit, die am Beginn seiner wissenschaftlichen Laufbahn steht, und „Die Kunst von Pergamon“3, ein während des Zweiten Weltkrieges verfasstes Buch, das aber erst 1951 erschienen ist. Der vorliegende Aufsatz über Arnold Schober entstand im Rahmen des Projekts „Provinzialrömische Archäologie in Österreich 1918–1945“4 und basiert vor allem auf Archivmaterial und auf Schobers Publikationen. Schobers berufliche Karriere ist einigermaßen gut dokumentiert, obwohl das archivalische Quellenmaterial nicht besonders umfangreich ist. Leider sind mir keine persönlichen Dokumente, die Familie betreffend und nur wenig Korrespondenz mit Kollegen bekannt. Auch die hier ansatzweise durchgeführte Werkanalyse beruht nur auf einem Teil von Schobers schriftlichem Werk – dem Projektthema entsprechend vor allem auf seinen Arbeiten zur provinzialrömischen Kunst. Für eine umfassende Studie zu Schober sind also noch nicht alle Quellen ausgeschöpft. Arnold Schober wurde am 16. April 1886 in Windisch-Landsberg/Podčetrtek (ehemalige Untersteiermark/Štajerska, Slowenien) geboren. Sein Vater Ignaz Franz Schober war Gutsverwalter, später selbst Gutsbesitzer, seine Mutter Emma, geborene Kopatsch, stammte aus einer wohlhabenden Bürgerfamilie in Celje/Cilli. Schober besuchte Schulen in Celje/Cilli, Ptuj/Pettau und Graz, wo er 1905 maturierte. 1905 begann Schober an der Universität Graz das Studium der Kunstgeschichte bei Josef Strzygowski und der Klassischen Archäologie bei Franz Winter. Im selben Jahr trat er der schlagenden Verbindung Joannea bei5. Zeitweise studierte er auch in Berlin, München und Wien. Er dissertierte in Graz bei Hans Schrader und Adolf Bauer über „Antike Pferdedarstellung“ und promovierte im Dezember 1909 in Klassischer Archäologie mit den Nebenfächern Alte Geschichte und Epigrafik6. In den folgenden Jahren bis 1920 unternahm Schober zahlreiche Studien- und Forschungsreisen: im Frühjahr 1910 zunächst nach Westdeutschland, Belgien und Frankreich, ab Herbst 1910 als Stipendiat in den Mittelmeerraum, nach Griechenland, Kleinasien und Italien. Während seiner Stipendiatenjahre 1910 bis 1912 nahm er auch an den Ausgrabungen in Elis und Ephesos teil7.
1 Eichler 1959; Eichler 1960; Diez 1959–1961; Diez 1988 a; Fellner – Corradini 2006, 370; Mindler 2011. Schober wird mehrmals erwähnt in: Hölechner 1991 als „work in progress“ auf der Seite „elektronische Veröffentlichungen aus dem Zentrum für Wissenschaftsgeschichte der Karl-Franzens-Universität Graz“ im Internet als HTML zugänglich: (2.12.2013). 2 Schober 1923 b. 3 Schober 1951. 4 Das Projekt wurde vom FWF finanziert (P20877G02) und in den Jahren 2008 bis 2013 am Österreichi-
schen Archäologischen Institut in Wien durchgeführt. – Für Durchsicht des Manuskripts danke ich Karl R. Krierer, für Diskussionen außerdem Gabrielle Kremer. 5 Schober verweist auf seine Mitgliedschaft bei der Joannea in einem Brief an Praschniker vom 14.5.1930: Archiv ÖAI Wien, Personalia Schober; s. auch Diez 1959–1961, 6. – Zur Joannea s. Krause 2007, 128–129 (2.12.2013). 6 UA Graz, Rigorosenakt Schober, Zl. 718/1909. 7 UA Wien, PA Schober, fol. 39–40: Lebenslauf ca. 1927 (undatiert).
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Arnold Schober – Leben und Werk
Universität Wien (1912–1936) Am 1. Juni 1912 wurde Schober zum Assistenten von Emil Reisch8 an der archäologischen Sammlung der Universität Wien bestellt, als Nachfolger seines zwei Jahre älteren Freundes und Kollegen Camillo Praschniker9, der mit April 1912 zum Sekretär des ÖAI ernannt worden war. 1912 und 1913 führte Schober in Österreich und Ungarn eine Materialsammlung zu den römischen Grabsteinen von Noricum und Pannonien durch. Auf Reisen in Dalmatien und Oberitalien konnte er den Denkmälerbestand dieser Gebiete aufnehmen und als Vergleich heranziehen. Diese Aufgabe dürfte ursprünglich nicht seinem Hauptinteresse entsprochen haben, das vor allem der Kunst von Pergamon galt. Die Anregung dazu ging von Reisch aus10. Der Katalog und der Großteil des Textes waren 1914 fertiggestellt. Im Druck erschienen ist das Buch erst 1923, doch ist es viele Jahrzehnte ein oft zitiertes Standardwerk geblieben. Im Mai und Juni 1916, also während des Ersten Weltkrieges, nahmen Praschniker und Schober an einer gemeinsamen Expedition des Ministeriums für Cultus und Unterricht und der Akademie der Wissenschaften in das von Österreich-Ungarn besetzte Albanien und Montenegro teil. An dieser kunsthistorisch-ethnografisch und archäologisch-linguistischen Balkanexpedition waren Wissenschaftler verschiedener Disziplinen beteiligt11. Auf dem Gebiet der Archäologie sollte sich Schober hauptsächlich mit den Inschriften, Praschniker mit den Baudenkmälern beschäftigen. Eine zweite Reise unternahmen die beiden Archäologen im Herbst 1916. Die Ergebnisse wurden 1919 publiziert12. 1920 habilitierte sich Schober mit seiner Arbeit über „Form und Bilderschmuck der römischen Grabsteine in Noricum und Pannonien“ in Wien für das Fach Klassische Archäologie. Die Bestätigung der Habilitation erfolgte 192113. Seit dem Sommersemester 1921 hielt er nun Lehrveranstaltungen an der Universität, hauptsächlich Vorlesungen und Übungen zur griechischen und römischen Kunst, über Bildwerke in Wiener Museen und Sammlungen. Schober hielt auch viele populärwissenschaftliche Vorträge über antike Kunst und Kultur und zwar seit 1914 im Rahmen der volkstümlichen Universitätskurse14. 1927 wurde Schober der Titel eines außerordentlichen Professors verliehen. Wissenschaftlich beschäftigte er sich in dieser Zeit sowohl mit klassischer und hellenistischer Kunst als auch mit provinzialrömischen Themen. In den Zwanzigerjahren publizierte er mehrere Aufsätze und Rezensionen in der kunsthistorischen Zeitschrift „Belvedere“15 und im Jahrbuch für Kunstgeschichte16. 1930 verbrachte er vier Wochen in Istanbul, um die Friesplatten des Hekateions von Lagina aufzunehmen und zu untersuchen. Die Arbeit wurde 1933 veröffentlicht und blieb – nach Aussage einer 2007 erschienenen Neubearbeitung – in großen Teilen bis heute gültig17. Ab dem Wintersemester 1930/31 war Camillo Praschniker, der davor (von 1923 bis 1930) die Lehrkanzel in Prag und für ein Semester in Jena innegehabt hatte, wieder an der Universität Wien tätig, vorerst als außerordentlicher Professor, ab 1934 als Ordinarius. Schober erhielt nun Lehraufträge ergänzend zu Praschniker für „Denkmäler, die sich auf die materielle Kultur der 8 Zu Emil Reisch (1863–1933): Wlach 1998, 104– 105; Kandler 2003. 9 Zu Camillo Praschniker (1884–1949): Wlach 2012. 10 UA Wien, PA Schober, fol. 59: Lebenslauf 1920 für Habilitation; Archiv ÖAW, PA Schober, Wissenschaftliche Arbeiten (ca. 1954), zu Pergamon: „Auf andere Dinge abgelenkt konnte ich mich erst in späteren Jahren diesem Fragenkomplex widmen.“ 1 1 ÖStA, HHStA, Administrative Registratur, Fach 74/3, Umschlag 25: „Wissenschaftliche Reisen nach den südöstlichen Okkupationsgebieten“. – Zu den imperialistisch-kolonialen Aspekten dieser Expedition s. Gostentschnigg 1999; Marchetti 2009.
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12 Praschniker – Schober 1919. 13 UA Wien, PA Schober, fol. 50–54: Kommissionsbericht Reisch, 6.11.1920; fol. 60: Unterrichtsamt an Phil. Dekanat Wien, 19.2.1921: Habilitierung Schober als Privatdozent für Klassische Archäologie. 14 UA Wien, PA Schober, fol. 40: Lebenslauf Schober ca. 1927. 1 5 Diese „Illustrierte Zeitschrift für Kunstsammler“ erschien in den Jahren 1922 bis 1938/39. z. B.: Schober 1923 c; Schober 1924. 16 Schober 1923 a. 17 Schober 1933; Neubearbeitung: Baumeister 2007.
Gudrun Wlach
klassischen Völker beziehen“ (die sogenannten Privataltertümer) und für „Römische Provinzialarchäologie“18. Die Assistenten- und Dozentenzeit in Wien (Abb. 2) von 1912 bis 1935/36 bedeutete wahrscheinlich eine lange ‚Durststrecke‘ für Schober. Die Verträge waren befristet, mussten immer wieder verlängert werden. Unklar ist, weshalb Schober so lange in dieser Position verblieb. Er bemühte sich an verschiedenen Universitäten um eine Professur, so auch 1930 um die Nachfolge Praschnikers in Jena19. Briefe Schobers an Praschniker zeigen, dass er bereits zu dieser Zeit gute Beziehungen zu österreichischen und deutschen Nationalsozialisten hatte und diese Beziehungen auch für seine Karriere zu nutzen versuchte. Am 14. Mai 1930 schrieb er an Praschniker20: „Bei unserem letzten Zusammensein in Wien habe ich die Möglichkeit geäussert, zu dem thüringischen Unterrichtsminister Dr Frick21 in irgend einer Art Beziehungen anknüpfen zu können. […] es wäre in der Tat möglich, Dr Frick auf zwei Wegen auf meine Person aufmerksam machen zu lassen. Der eine geht durch einen Führer der nationalsoz.[ialistischen] Partei in Österreich, der zweite direkter durch ein nationalsoz.[ialistisches] Mitglied des deutschen Reichstages. Die Voraussetzung ist natürlich, dass ich im Vorschlag an aussichtsreicher Stelle genannt werde. […] Ich wäre Dir daher sehr dankbar, wenn Du […] mir zunächst die Zusammensetzung der Kommission bekanntgeben könntest. Es wäre immerhin möglich, wenn ein Mitglied ausgesprochen rechts steht, auch hier mit politischen Verbindungen einzusetzen. Auch wäre es gut zu erfahren, ob einer ehemaliger Corpsstudent war, auch das könnte schliesslich für mich ausgenutzt werden, da ich Grazer Joanneer bin.“ Schober kam in Jena an zweiter Stelle in den Vorschlag, wurde aber nicht berufen. 1930 erschien in den Österreichischen Jahresheften Schobers Aufsatz über „Entstehung und Bedeutung der provinzialrömischen Kunst“22, auf den er sich später mehrmals bezog und den er selbst zu den wichtigsten auf diesem Gebiet zählte. Schober leitete darin die provinzialrömische Kunst stark aus der vorrömisch-keltischen Tradition ab und betonte den Einfluss „bodenständiger Faktoren“ für die Stilbildung (Abb. 3). Er stellte auch die „Frage nach den eigentlichen Trägern der spätantiken Kultur im rassischen Sinne“23 und sah in der fortschreitenden Völkervermischung, in der „allmählichen rassischen Veränderung der römischen Herrenschicht durch Barbarenblut“24 die Erklärung für die abstrakten Tendenzen in der stadtrömischen Kunst der Spätantike. Der Aufsatz ist stark geprägt vom Rasse-Gedanken. Der Grundgedanke lautet: Stilwandlung durch „Veränderung des volklichen Trägers“. 1935 erschien Schobers populärwissenschaftlich gehaltenes, vielzitiertes Buch „Die Römerzeit in Österreich“ in erster Auf lage25. Eine zweite erweiterte Auf lage, die bereits 1944 geplant war, wurde 1953 gedruckt26.
Universität Graz (1936–1945) Schobers Bemühungen um einen eigenen Lehrstuhl waren erst 1935 erfolgreich. Die Grazer Lehrkanzel für Klassische Archäologie war nach der Emeritierung von Rudolf Heberdey27 Ende 18 UA Wien, PA Schober, fol. 15–16: Kommissionsbericht Praschniker betr. Lehrauftrag Schober, 7.5.1931; fol. 14: Phil. Dekanat (Zl. 1271) an BMfU, 18.5.1931. 19 Zur Universität Jena: Hoßfeld u. a. 2003. 20 Archiv ÖAI Wien, Personalia Schober: Schober an Praschniker, Wien 14.5.1930. 2 1 Zu Wilhelm Frick, als Innen- und Volksbildungsminister in Thüringen 1930 als erster nationalsozialistischer Minister Deutschlands bestellt: Klee 2005, 166. 22 Schober 1930. 23 Schober 1930, 48.
24 Schober 1930, 50. 25 Schober 1935. 26 Schober 1953. Archiv ÖAI Wien, Akten 1944/45, Tgb. 129/44_50–02: Lektorat Rinn (Druckerei Rohrer) an Praschniker, 6.6.1944, betr. die Publikation von Schobers Pergamonbuch und eine Neuauf lage von „Die Römerzeit in Österreich“. 27 Rudolf Heberdey (1864–1936) war Ordinarius für Klassische Archäologie in Graz von 1911 bis 1934; s. Diez 1988 b; Schauer 1998, bes. 43–47.
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Arnold Schober – Leben und Werk
September 1934 von einer ordentlichen in eine außerordentliche umgewandelt worden. In den Dreiervorschlag für die Nachfolge Heberdey kamen 1935 lediglich drei österreichische Kandidaten. Das Professorenkollegium schloss zwei davon von vorneherein aus: Guido Kaschnitz von Weinberg, Ordinarius in Königsberg, und Fritz Eichler, seit 1. Jänner 1935 Direktor der Antikensammlung des Kunsthistorischen Museums in Wien. Ihnen sei aufgrund ihrer Positionen – so die Argumentation – keine außerordentliche Lehrkanzel zuzumuten. Daher wurde Arnold Schober unico loco als außerordentlicher Professor und Vorstand des Archäologisch-epigrafischen Seminars in Vorschlag gebracht28. Er wurde 1935 nach Graz berufen und mit Wirksamkeit 1. Februar 1936 ernannt29. In seinen Vorlesungen behandelte er in den Jahren 1936 und 1937 Griechische Kunst bis in das Zeitalter des Hellenismus, führte Übungen zur Geschichte der griechischen Vasenmalerei sowie Übungen zu römischen Reliefs durch. Die Lehrveranstaltung „Klassische Archäologie im altsprachlichen Unterricht“ hatte er nach Wiener Vorbild eingeführt. Nach dem ‚Anschluss‘ Österreichs an Hitler-Deutschland, im Jahr 1938, machte Schober im Personalblatt der Universität unter anderem folgende Angaben zu seiner Person (Abb. 4)30: Abstammung: „deutsch-arisch“; Ehefrau: „Maria geb. Biederleithner †“31; Kinder: „Arnold geb. am 6.9.1918“32; Mitgliedschaft in nationalen Verbänden: „Vor dem Krieg Alldeutscher Verband; nach dem Krieg Großdeutscher Volksbund in Österreich“; Politische Betätigung: „Gründungsmitglied der Großdeutschen Volkspartei Österreichs. Mitglied des NSLB seit dessen illegaler Wiederaufrichtung im Herbst 1937 in Graz. Seit 1.5.1938 PG noch ohne Mitgliedsnr.“ Schober war also Mitglied der NSDAP seit 1. Mai 1938 (Aufnahmedatum): Nach dem Eintrag in der NSDAP-Mitgliederkartei hatte Schober die Aufnahme am 18. Mai 1938 beantragt 33, er erhielt die Mitgliedsnummer 6,288.962 34, die Mitgliedskarte wurde am 30. Juni 1939 ausgestellt35. Am 5. November 1940 wurde Schober mit Wirkung 1. September zum Ordinarius er36 nannt . Er stieg auch im Ansehen wissenschaftlicher Institutionen auf, wurde zum ordentlichen Mitglied des Archäologischen Instituts des Deutschen Reiches37 und zum korrespondierenden Mitglied der Wiener Akademie der Wissenschaften38 ernannt. In der Universitätspolitik war Schober als Funktionär des Nationalsozialistischen Deutschen Dozentenbundes (NSDDB) aktiv: Ab dem Sommersemester 1939 wird er in den Vorlesungsverzeichnissen der Universität Graz unter den Vertretern des NSDDB als für die 28 ÖStA, AVA, BMfU, 5 Graz Phil. 907: Umschlag „Archäologie“ Zl. 18.466/1935 (fol. 2–16): Wiederbesetzung der Lehrkanzel für Archäologie durch Schober. Auf dem Mantelbogen dieses Aktes ist innen handschriftlich auch die Mitgliedschaft Schobers bei der Vaterländischen Front seit 1.4.1934 vermerkt. 29 UA Graz, PA Schober: Dek.Zl. 348 ex 1935/36: Mit Entschließung des Bundespräsidenten vom 5.11. 1935 mit Rechtswirksamkeit 1.2.1936 zum außerordentlichen Professor der Klassischen Archäologie an der Universität Graz ernannt. 30 UA Graz, PA Schober: Personalblatt Schober 1938. Keine genaue Datierung. 3 1 Maria Biederleithner, geb. am 6.3.1888; Trauung am 6.7.1916. Am 16. 8.1938 heiratete Schober zum zweiten Mal: Elisabeth Walenta, geb. 16.5.1888 (UA Graz, PA Schober: Eintrag im Formular „Überleitung der ordentlichen und außerordentlichen Hochschulprofessoren in das Reichsbesoldungsgesetz“). Ein drittes Mal heiratete Schober nach dem Krieg, auch seine dritte Frau hieß Elisabeth, sie war Akademische Malerin und Restauratorin (s. Eichler 1960, 376; Archiv ÖAW, PA Schober). 32 Schobers Sohn Arnold Maria fiel in Stalingrad; s.
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Diez 1959–1961, 8. 33 BArch, ehemaliges BDC, NSDAP Gaukartei. 34 Das (fiktive, rückwirkend zugeteilte) Aufnahmedatum 1.5.1938 ist ein Hinweis auf illegale Betätigung als Nationalsozialist, d. h. in Österreich in der Zeit zwischen 19.6.1933 und 11.3.1938. Diese Personen wurden als ‘Altparteigenossen’ eingestuft und erhielten eine Mitgliedsnummer in dem Nummernblock zwischen 6,100.001 und 6,600.000. s. Website des BArch: (2.12.2013). 35 BArch, ehemaliges BDC, NSDAP Zentralkartei. 36 UA Graz, PA Schober: Abschrift, Dek.Zl. 886 aus 1940/41, 17.12.1940. Der Dekan: [Franz] Angel. 37 Archiv DAI Berlin, Biographika-Mappe Arnold Schober: korrespondierendes Mitglied 9.12.1924; ordentliches Mitglied 21.4.1940. Korrespondierendes Mitglied des ÖAI, das auch viele von Schobers Publikationen herausgab, war er bereits 1913 geworden. 38 Archiv ÖAW, PA Schober, Wahlvorschlag 30.4. 1940; Praschniker teilte Schober die Wahl zum Mitglied der Akademie am 30.5.1950 mit (UB Graz, Sondersammlungen, Nachlass Schober).
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geisteswissenschaftliche Fakultät zuständig genannt39; im Sommersemester 1944 und im Wintersemester 1944/45 scheint er als „Fakultätsvertrauensmann“ und unter „Ehrengericht“ auf 40. In späteren Dokumenten wird er als „Ehrengerichtsvorsitzender“ ab 1943 bezeichnet41. Der NSDDB42 war eine Gliederung der NSDAP zum Zweck der ideologischen Beeinflussung und politischen Kontrolle der Hochschullehrer; er war im Universitätsleben für alle Entscheidungen maßgeblich. Aufgabe war, die wissenschaftliche Arbeit nach der NS-Idee auszurichten. Schober nahm im Jänner 1941 am Würzburger Lager des Dozentenbundes teil, einer Zusammenkunft des Fachkreises Altertumswissenschaft43. Unter den Teilnehmern waren auch die Althistoriker Franz Miltner44 und Fritz Schachermeyr45 vertreten. Schober hielt ein Referat über Fragen der rassenkundlichen Auswertbarkeit des archäologischen Materials46. Im Protokoll über das Würzburger Lager finden sich Zusammenfassungen der Referate und der anschließenden Diskussionen47. Schobers Grundthese in diesem Referat besagte, dass Änderungen in der Kultur, vor allem in der bildenden Kunst, auf rassische Veränderungen zurückzuführen seien. Er verwies diesbezüglich auf seinen 1930 veröffentlichten Aufsatz über die provinzialrömische Kunst48. Haupttätigkeit des NSDDB war Beobachtung und Förderung des wissenschaftlichen Nachwuchses und Beeinflussung der Berufungen. Als Funktionär des Dozentenbundes in Graz49 war Schober daher wohl maßgeblich an der Berufung Fritz Schachermeyrs als Ordinarius für Alte Geschichte im Jahr 1941 beteiligt. Schachermeyr wurde Nachfolger von Franz Schehl50, der 1938 – nach NS-Diktion – als „Mischling ersten Grades“ entlassen worden war. Von seinen Schülern förderte Schober besonders August Schörgendorfer51. Im Oktober 1938 beantragte er für ihn beim zuständigen Ministerium für innere und kulturelle Angelegenheiten eine Stelle als wissenschaftliche Hilfskraft52. Schörgendorfer promovierte 1939 in Graz mit einer Dissertation über „Die römerzeitliche Keramik der Ostalpenländer“, die 1943 gedruckt wurde53 und wie Schobers Arbeit über die Grabsteine von Noricum und Pannonien lange Zeit ein Standardwerk blieb. Ein größeres wissenschaftliches Vorhaben während der Kriegsjahre war das gemeinsam mit der Wiener Zweigstelle des Archäologischen Instituts des Deutschen Reiches (dem vormaligen ÖAI) 1943 begonnene Projekt der Sammlung römischer Steindenkmäler. Eine Basis war durch Schobers Materialsammlung für die Grabsteine von Noricum und Pannonien gegeben. In Wien waren Rudolf Egger 54 und Camillo Praschniker, in Graz Arnold Schober und Balduin Saria55, Ordinarius für Römische Geschichte und Altertumskunde von 1942 bis 1945, daran beteiligt.
39 s. auch Mindler 2011, 203 Anm. 35. 40 Karl-Franzens-Reichsuniversität Graz, Vorlesungsverzeichnis und Universitätsführer für das Sommer-Semester 1944, 46; Karl-Franzens-Reichsuniversität Graz, Vorlesungsverzeichnis und Universitätsführer für das WinterSemester 1944/45, 51. 4 1 UA Graz, PA Schober: Laut Erkenntnis der Sonderkommission I. Instanz beim BMfU (28.11.1946) übte er diese Funktion seit 1943 aus. s. auch Anm. 62. 42 Chroust 1997; Nagel 2008. 43 Losemann 1977, 95–102; Losemann 1980. 44 Zu Franz Miltner (1901–1959): Krierer 2001; Pesditschek 2012. 45 Zu Fritz Schachermeyr (1895–1987): Pesditschek 2007; Pesditschek 2009. 46 Losemann 1977, 101. 47 Eine Kopie der „Niederschrift über das Lager des Fachkreises Altertumswissenschaft in Würzburg von 8.–12. Jänner 1941“ befindet sich im Althistorischen Seminar der Universität Marburg/Lahn. Ich danke Volker Losemann
für die Zusendung einer Kopie des Beitrags Schober. 48 Schober 1930. 49 Zum Dozentenbund an der Universität Graz: Fleck 1985; Lichtenegger 1985, bes. 69–71: Anhang 1: Darstellung der Verbindung von Lehrenden der Universität mit dem Nationalsozialismus: „SCHOBER, Arnold (o. P. f. Archäologie): Funktionär des NSD-Dozentenbundes“. 50 Zu Franz Schehl (1898–1970 ?): Fellner – Corradini 2006, 361. 5 1 Zu August Schörgendorfer (1914–1976): Flouda u. a. in Druckvorbereitung. – Ich danke Eleni Schindler Kaudelka, die mir ein Manuskript dieses Aufsatzes zur Verfügung gestellt hat. 52 UA Graz, PA August Schörgendorfer (27.1.1914), Dek.Zl. 1213/38. 53 Schörgendorfer 1942. 54 Zu Rudolf Egger (1882–1969): Pesditschek 2010, bes. 290–307. 55 Zu Balduin Saria (1893–1974): Wlach in Druckvorbereitung.
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Schober und Saria erarbeiteten einen Vorschlag für die Richtlinien56. Der erste von vier geplanten Bänden sollte die Steindenkmäler des Gaues Steiermark mit den nach dem deutschen Überfall auf Jugoslawien 1941 neu angegliederten Gebieten enthalten. Durchgeführt wurde die Arbeit bis in den Winter 1944/45 von Erna Luz-Diez57, die 1943 als Schörgendorfers „Kriegsvertreterin“ an das archäologische Institut kam. Das Projekt wurde später im Rahmen des Corpus Signorum Imperii Romani (CSIR) weitergeführt58.
Entnazifizierung und Ruhestand (1945–1959) 1945 gehörte Schober ebenso wie Schachermeyr und Saria zu den an der Universität Graz enthobenen Lehrkräften59. Er wurde im Oktober 1945 mit Wirksamkeit 30. November im Alter von 59 Jahren in den vorzeitigen Ruhestand versetzt. Der Bescheid der Landeshauptmannschaft Steiermark lautete60: „Nach den gepflogenen Erhebungen bieten Sie keine Gewähr dafür, dass Sie jederzeit rückhaltlos für ein unabhängiges Österreich eintreten werden. Sie werden daher mit Bestimmung der Militärregierung für das Land Steiermark in den Ruhestand versetzt. Die Einstellung der Definitivbezüge wurde veranlasst.“ In einer politischen Beurteilung der Lehrpersonen der Universität Graz vom 23. März 1946 ist unter anderem Schober angeführt, mit einem Eintrag, der seinen Angaben im Personalblatt 1938 entspricht61: „Dr. Prof. Schober Arnold, Unterl. Nr. 13.155: Lt. Meldung der Univ. Graz, a.d. Liste d. illegalen Lehrer, Vertrauensmann des NSDDB, NSLB seit Herbst 1937.“ Im November 1946 wurde der Bescheid der Landeshauptmannschaft von Oktober 1945 durch die „Sonderkommission I“ bestätigt62. Die unter „Entscheidungsgründe“ angeführten Passagen lassen allerdings einige Fragen offen. Es werden für Schober belastende, aber auch entlastende Gründe angeführt, die aus einer nicht überlieferten Rechtfertigung stammen könnten. Auch die offenen Fragen im Zusammenhang mit Internierung und Tod seiner zweiten Frau (welche Widerstandsbewegung ? welches Internierungslager ?) können aufgrund lückenhafter Quellen noch nicht geklärt werden63. „Prof. Dr. Arnold Schober war Mitglied der NSDAP seit 1.5.1938 und des NS-Lehrerund Dozentenbundes. Seit 1943 war er Vorsitzender des Ehrengerichtes des Dozentenbundes. Es steht außer Zweifel, dass der Genannte Nationalsozialist war und dieser Bewegung mit Rücksicht auf seine gesamtdeutsche Einstellung, die er schon durch seine Zugehörigkeit zur Großdeutschen Partei bekundete, in jeder Weise nahestand. Die Methoden, die seitens des steirischen Gauleiters in seiner engeren Heimat Untersteiermark angewendet wurden, haben ihn jedoch von der Partei immer mehr abrücken lassen, was dazu führte, daß er in den letzten Jahren des Krieges erwiesenermaßen trotz wiederholter Weisungen kein Parteiabzeichen mehr trug und auch den deutschen
56 Archiv ÖAI Wien, Akten 1942/43, Tgb. 646/ 42_30–01, Graz, 17.3.1943. 57 Diez 1963/64. Zu Erna Diez (1913–2001): Kernbauer 2002; Schwarz 2002. 58 Rindler 2004. – Die Anlage eines CSIR, in dem das provinzialrömische Denkmalmaterial geordnet zusammengestellt und publiziert werden sollte, wurde am 8. Internationalen Kongress für Klassische Archäologie in Paris 1963 beschlossen. s. Diez 2006, bes. 29. 59 ÖStA, AdR, BMfU, K 573, GZ 1.326/45: „Philosophische Fakultät der Universität. Namensliste der entlassenen und enthobenen Professoren, Dozenten und Assistenten seit Mai 1945“ (undatiert). Schober ist auch in dem „Verzeichnis der anlässlich der Anwesenheit des Herrn Staatssekretärs Fischer in Graz enthobenen Professoren,
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Privatdozenten etc. (Juni 1945)“ angeführt. 60 UA Graz, PA Schober, Landeshauptmannschaft Steiermark (LAD 366 P 6/15–1945; Dek.Zl. 560 aus 1945/46) an Schober, 10.10.1945: Versetzung in den Ruhestand; Empfangsbestätigung Schober 22.11.1945. 61 ÖStA, AdR, BMfU, K 573, GZ 1.326/45: Kriminalpolizei Graz, Polit. Abt. Kartei, 23.3.1946: „Politische Beurteilung der Lehrpersonen von der Universität in Graz“, bes. fol. 3. 62 ÖStA, AdR, BMfU, K 2389, GZ 47.969/46: Sonderkommission I. Instanz beim BMfU, Senat Nr. 2 (590/ SK/46), Erkenntnis betr. Schober, Beurteilung nach § 21 des Verbotsgesetzes, Graz, 28.11.1946. Abschrift in: UA Graz, PA Schober: Dek.Zl. 421 aus 1946/47. 63 s. dazu auch Mindler 2011, 207–208.
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Gruß vermied. Die brutalen Methoden der Nationalsozialisten in der Untersteiermark haben letzten Endes dazu geführt, daß acht Mitglieder seiner Familie hingemordet wurden und seine Frau, die trotz Zugehörigkeit zu einer Widerstandsbewegung in ein Internierungslager gebracht war, an den Folgen der dortigen Behandlung gestorben ist. Es steht weiters fest, daß Prof. Schober sich mit Mut und Erfolg dem im Herbst 1944 eingebrachten Antrag im Senate auf Einberufung aller irgendwie wehrfähiger Männer der Universität entgegengestellt und dadurch sinnlose Opfer aus den Reihen der Hochschulprofessoren verhindert hat.“ Nach dem Nationalsozialistengesetz 194764, welches unter den registrierungspflichtigen Personen zwischen Belasteten (Aktivisten) und Minderbelasteten (Mitläufer) unterschied, wurde Schober als minderbelastet eingestuft65. Er kehrte dennoch nicht auf seinen Lehrstuhl an der Universität zurück, wurde aber z. B. 1948 gemeinsam mit Praschniker von der Kommission für die Habilitation von Erna Diez an der Universität Graz als Gutachter der Habilitationsschrift „Die Bildhauerwerkstätten von Flavia Solva“ herangezogen66. Welche Gründe ausschlaggebend dafür waren, ob ehemalige Nationalsozialisten, die 1945 an den österreichischen Universitäten entlassen worden waren, nach einigen Jahren wieder zurückkehrten oder ob sie „nicht mehr Fuß fassen konnten“ – wie es in Lebensbeschreibungen oft formuliert wurde – geht aus den Quellen meistens nicht hervor. 1951 erschien Schobers ebenfalls oft zitiertes, vom ÖAI herausgegebenes Werk „Die Kunst von Pergamon“, für das er viele Vorarbeiten in Form von Aufsätzen geleistet hatte. Seine Vorliebe für die Kunst des Hellenismus und besonders die Kunst von Pergamon reichte in die früheste Studienzeit zurück. Das Manuskript entstand während des Zweiten Weltkrieges, ein erstes Exemplar des für den Druck vorgesehenen Buches ging offenbar durch Bombardierung der Druckerei in Brünn verloren. Der Text des Einleitungskapitels „Allgemeine Voraussetzungen“, darunter auch „Die volksbiologischen Grundlagen“, erweckt den Eindruck, dass das ursprüngliche Manuskript nach 1945 nicht überarbeitet wurde. Die Terminologie und das dahinterstehende völkische Gedankengut zeigen stark die Nähe zu den Rassentheorien des Nationalsozialismus67. Mitte der Fünfzigerjahre sandte Schober einen kurzen Lebenslauf, ein Schriftenverzeichnis und eine eigene Bewertung seines – insgesamt nicht sehr umfangreichen – Werkes an die Österreichische Akademie der Wissenschaften68. Er teilte sein Werk in drei Gruppen ein: 1. Studien zur Kunst der römischen Provinzen; 2. Arbeiten zur formgeschichtlichen Entwicklung des griechischen und römischen Reliefs; 3. Arbeiten über Pergamon. – Über die Studien zur Kunst der römischen Provinzen schrieb er: „Diese gruppieren sich um mein Buch ‚Die römischen Grabsteine von Noricum und Pannonien‘ […]. Diese Arbeit gibt eine Sammlung und Ordnung des ausserordentlich reichen Materials nach Typen und gipfelt in dem Versuch neue Grundlagen zur Datierung zu gewinnen. Die eigentliche kunstgeschichtliche Behandlung der provinzialrömischen Kunst erfolgte aber in dem Aufsatz ‚Zur Entstehung und Bedeutung der provinzialrömischen Kunst‘ […] und damit der erst64 Bundesverfassungsgesetz vom 6. Februar 1947 über die Behandlung der Nationalsozialisten; BGBl. 25/1947. – Zur Entnazifizierung in Österreich (dem Verbotsgesetz 1945 und dem Nationalsozialistengesetz 1947) s. z. B.: Garscha 2000; Polaschek 2012. 65 Archiv ÖAW, PA Schober: Magistrat Graz, Abt. 2 – Registrierungsbehörde, 26.11.1947. 66 ÖStA, AdR, BMfU, PA Erna Diez (8.4.1913), GZ 44181/III- 8/48: Diez Lehrbefugnis. 67 Schober 1951, 18: „[…] in der völkischen Wesenheit der Phryger […]“; 21: „[…] der blutmäßige Anteil der vorgriechischen Schicht […]“; 25: „[…] der drohenden Überfremdung […]“; 26: „Mit dem Verschwinden der schöpferischen Kräfte wird die Unterwanderung durch
die Ostvölker immer stärker. Von unten herauf erfolgte eine allmähliche Zersetzung des griechischen Wesens durch fremde Lebens- und Weltanschauungen, bis […] das Hellenentum dem orientalischen Gegenstoß erliegt.“ – Völkisch-nationale Konzepte haben eine lange Tradition und gehörten zum wissenschaftlichen Allgemeingut der Zwischenkriegszeit. Reinhold Bichler hat Standardliteratur der NS-Zeit zur Kunstgeschichte des Hellenismus untersucht und festgestellt, dass diese Schriften die geistige Welt bis tief in die Fünfziger- und Sechzigerjahre des 20. Jahrhunderts geprägt haben: Bichler 2001. 68 Archiv ÖAW, PA Schober. Die Dokumente sind nicht genau datiert; jedenfalls nach 1954. 69 Raeck 2010, bes. 76.
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malige Versuch, für die Ausbildung provinzialrömischer Kunstformen auch bodenständig-einheimische, im konkreten Falle vorrömisch-keltische Faktoren verantwortlich zu machen. Ein weiterer neuer Gedanke war, für das Verständnis der Veränderungen innerhalb der stadtrömischen Kunst der Spätzeit auch die Entwicklung in den Provinzen […] heranzuziehen. Denn diese scheint in den wichtigsten Ausdrucksformen den […] abstrakten Stil der Spätantike vorwegzunehmen. Und die Erklärung dieser Erscheinung wird gegeben durch die These, dass auffällige Stilwandlungen durch die Veränderung des volklichen Trägers mit-bedingt erscheinen. Die allmählichen Veränderungen der römischen Kunstformen […] sind durch den großen rassischen Verschmelzungsprozess zu erklären, dem das Römertum in den letzten Jahrhunderten seiner Weltherrschaft ausgesetzt gewesen war.“ Schobers Hauptthese besagt, dass die Ursache für die Entwicklung von Kunst, für die Veränderung von Stilen die „Veränderung des volklichen Trägers“ ist. Er liegt damit in einer Tradition mit kulturwissenschaftlichen Konzepten der Zwischenkriegszeit, die generell Anknüpfungspunkte für rassentheoretische Überlegungen boten69. Schober vertrat aber noch in den Fünfzigerjahren die Ansicht, dass für Stilwandlungen rassische Veränderungen verantwortlich seien und er nahm auch keine Veränderung der Terminologie vor. Im Ruhestand widmete sich Schober, wie Fritz Eichler und Erna Diez in Nachrufen betonten70, seinen Neigungen als Hundekenner und Jagdliebhaber, was auch in der Publikation zweier Jagdreliefs 1948, in denen er sich mit den dargestellten Hunderassen beschäftigte, zum Ausdruck kommt71. 1959 erschien das Buch „Der Jagdspaniel“, für das Schober einige Kapitel verfasst hatte72. Er arbeitete in seinen letzten Lebensjahren auch an einer Festschrift zum 100 -jährigen Bestehen der Burschenschaft Joannea73.
Zusammenfassung – Persönlichkeit und Werk Schober starb am 15. August 1959 in Graz im Alter von 73 Jahren. Als Wissenschaftler vertrat er sowohl die Klassische als auch die Provinzialrömische Archäologie aus kunsthistorischer Sicht. Er war kein Ausgräber, in seinen Arbeiten standen Kunst und Kunstentwicklung im Vordergrund. Er war deutschnational gesinnt, im NSDDB aktiv und stand dem Nationalsozialismus offensichtlich auch persönlich ideologisch nahe. Schobers Habilitationsschrift über „Die römischen Grabsteine von Noricum und Pannonien“, in der er bestrebt war, für die Datierung nicht nur historische und epigrafische, sondern auch stilistische Kriterien heranzuziehen, hat als sorgfältige Materialsammlung immer noch Bestand. Seine Theorien zur Entwicklung der Kunst dagegen waren sicher dem Zeitgeist verpflichtet – waren rassenkundlich orientiert – und wurden später kaum rezipiert. Materialarbeiten und Einzelstudien sind also von bleibendem Wert, wo größere Zusammenhänge hergestellt und Entwicklungen erklärt werden, sind der Zeitgeist und möglicherweise auch Schobers eigene ideologische Einstellung zu erkennen. Schobers Arbeiten zur provinzialrömischen Kunst wurden in Österreich vor allem von Erna Diez und Hedwig Kenner weitergeführt, beide gingen aber nicht näher ein auf Schobers Thesen zur Entwicklung von Kunst, und die Veränderung von Stilen, die er mit einer „Änderung der rassischen Zusammensetzung der Bevölkerung“ begründete74. Schobers Bedeutung für die Provinzialrömische Archäologie liegt unter anderem darin, dass er einen Beitrag zur wissenschaftlichen Anerkennung des ‘provinzialrömischen Kunstschaffens‘ leistete. 70 Eichler 1959, 3; Diez 1959–1961, 8. 7 1 Schober 1948. 72 Schober – Weiss 1959. 73 Schober – Linhart 1961, von Linhart zu Ende geführt. Das Buch ist angeführt bei Diez 1959–1961, war mir aber nicht zugänglich.
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74 Kenner 1988, bes. 74: Kenner bezeichnete Schobers Aufsatz über Entstehung und Bedeutung der provinzialrömischen Kunst als Vorgänger ihrer Arbeit, nach ihrer Ansicht betonte Schober aber zu stark den Einfluss der vorrömisch-keltischen Latène-Kunst.
Gudrun Wlach Abbildungsnachweis Abb. 1: © Archiv ÖAW, Foto F. Pitner, Graz Abb. 2: © Archiv ÖAI Wien, Foto Reiffenstein, Wien Abb. 3: © Burgenländisches Landesmuseum, Archäologische Sammlung Inv.Nr. 25341, KG Leithaprodersdorf, Foto O. Harl Abb. 4 a. 4 b: © Archiv der Universität Graz Abkürzungen BArch BDC BGBl. BMfU Dek.Zl. fol. GZ K LAD NS NSDAP NSDDB NSLB ÖStA, AdR ÖStA, AVA ÖStA, HHStA PA PA Schober PG UA UB Zl. Bibliographie Baumeister 2007 Bichler 2001
Chroust 1997
Diez 1959–1961 Diez 1963/64
Diez 1988 a
Diez 1988 b
Diez 2006
Eichler 1959
Bundesarchiv Berlin Berlin Document Center Bundesgesetzblatt Bundesministerium für Unterricht Dekanatszahl Folio (Blatt) Geschäftszahl Karton Landesamtsdirektion Nationalsozialismus, nationalsozialistisch Nationalsozialistische Deutsche Arbeiterpartei Nationalsozialistischer Deutscher Dozentenbund Nationalsozialistischer Lehrerbund Österreichisches Staatsarchiv, Archiv der Republik Österreichisches Staatsarchiv, Allgemeines Verwaltungsarchiv Österreichisches Staatsarchiv, Haus-, Hof- und Staatsarchiv Personalakt Personalakt Arnold Schober (16.4.1886) Parteigenosse Universitätsarchiv Universitätsbibliothek Zahl
P. Baumeister, Der Fries des Hekateions von Lagina. Neue Untersuchungen zu Monument und Kontext, Byzas 6 (Istanbul 2007) R. Bichler, Nachklassik und Hellenismus im Geschichtsbild der NS-Zeit. Ein Essay zur Methoden-Geschichte der Kunstarchäologie, in: St. Altekamp – M. R. Hofter – M. Krumme (Hrsg.), Posthumanistische Klassische Archäologie: Historizität und Wissenschaftlichkeit von Interessen und Methoden. Kolloquium Berlin 1999 (München 2001) 231–253 P. Chroust, Nationalsozialistischer Deutscher Dozentenbund (NSDDB), in: W. Benz – H. Graml – H. Weiß (Hrsg.), Enzyklopädie des Nationalsozialismus (Stuttgart 1997) 666 E. Diez, Univ. Prof. Dr. Arnold Schober (1886–1959), SchSt 9, 1959–1961, 5–12 (mit Bibliografie) E. Diez, Ein bemerkenswertes mithrisches Denkmal aus Poetovio, Südost-Forschungen 22, 1963, 3–8; wiederabgedruckt in: Festschrift Balduin Saria (München 1964) 8–13 E. Diez, Arnold Schober (1886–1959), in: R. Lullies – W. Schiering (Hrsg.), Archäologenbildnisse. Porträts und Kurzbiographien von Klassischen Archäologen deutscher Sprache (Mainz 1988) 232–233 E. Diez, Rudolf Heberdey, in: R. Lullies – W. Schiering (Hrsg.), Archäologenbildnisse. Porträts und Kurzbiographien von Klassischen Archäologen deutscher Sprache (Mainz 1988) 152–153 E. Diez, Studien zum provinzialrömischen Kunstschaffen, in: G. Koiner – M. Lehner – Th. Lorenz – G. Schwarz (Hrsg.), Kunstprovinzen im Römischen Imperium. Ausgewählte Schriften Erna Diez (Wien 2006) 29–52 F. Eichler, Arnold Schober, ÖJh 44, 1959, Beibl. 3–4
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Arnold Schober – Leben und Werk Eichler 1960 F. Eichler, Arnold Schober, AlmanachWien 110, 1960, 372–377 Fellner – Corradini 2006 F. Fellner – D. A. Corradini, Österreichische Geschichtswissenschaft im 20. Jahrhundert. Ein biographisches Lexikon (Wien 2006) Fleck 1985 Ch. Fleck, „In seinem Felde alles Erreichbare zu leisten ...“. Zusammensetzung und Karrieren der Dozentenschaft der Karl-Franzens Reichsuniversität Graz, in: Steirische Gesellschaft für Kulturpolitik (Hrsg.), Grenzfeste deutscher Wissenschaft. Über Faschismus und Vergangenheitsbewältigung an der Universität Graz (Graz 1985) 20–47 Flouda u. a. in Druckvorbereitung G. Flouda – E. Pochmarski – E. Schindler Kaudelka, August Schörgendorfer, ein exemplarisches Schicksal im 20. Jahrhundert, in: P. Casari – St. Magnani (Hrsg.), Convegno internationale „Storie di archeologia e archeologi nelle regioni dell’Alpe Adria tra la metà dell’Ottocento e quella del Novecento“, Abbazia di Rosazzo 2010 (in Druckvorbereitung) Garscha 2000 W. R. Garscha, Entnazifizierung und gerichtliche Ahndung von NS-Verbrechen, in: E. Tálos – E. Hanisch – W. Neugebauer – R. Sieder (Hrsg.), NS-Herrschaft in Österreich. Ein Handbuch (Wien 2000) 852–883 Gostentschnigg 1999 K. Gostentschnigg, Die Verflechtung von Wissenschaft und Politik am Beispiel der österreichisch-ungarischen Albanologie, in: Südost-Forschungen 58, 1999, 221–245 Höflechner 1991 W. Höflechner, Vom Historischen Seminar der Karl-Franzens-Universität Graz. Eine Dokumentation im Rückblick auf 125 Jahre (ungedr. provisorische Fassung 1991) Hoßfeld u. a. 2003 U. Hoßfeld – J. John – O. Lemuth – R. Stutz (Hrsg.), „Kämpferische Wissenschaft“. Studien zur Universität Jena im Nationalsozialismus (Köln 2003) Kandler 2003 M. Kandler, Emil Reisch, in: Neue Deutsche Biographie 21 (Berlin 2003) 383– 384 Kenner 1988 H. Kenner, Stilrichtungen in der Plastik der Austria Romana, ÖJh 58, 1988, 73–113 Kernbauer 2002 A. Kernbauer, Diez, Erna, in: B. Keintzel – I. Korotin (Hrsg.), Wissenschafterinnen in und aus Österreich (Wien 2002) 139–144 Klee 2005 E. Klee, Das Personenlexikon zum Dritten Reich. Wer war was vor und nach 1945 2(Frankfurt 2005) Krause 2007 P. Krause, Studiosus Austriacus. Handbuch des österreichischen Korporationswesens (Wien 2007) Krierer 2001 Karl R. Krierer, Bilder aus dem deutschen Leben. Germanische Köpfe der Antike. Eine Skizze zu Franz Miltner, in: F. Blakolmer – H. D. Szemethy (Hrsg.), Akten des 8. Österreichischen Archäologentages in Wien 1999 (Wien 2001) 217–224 Lichtenegger 1985 G. Lichtenegger, Vorgeschichte, Geschichte und Nachgeschichte des Nationalsozialismus an der Universität Graz, in: Steirische Gesellschaft für Kulturpolitik (Hrsg.), Grenzfeste deutscher Wissenschaft. Über Faschismus und Vergangenheitsbewältigung an der Universität Graz (Graz 1985) 48–71 Losemann 1977 V. Losemann, Nationalsozialismus und Antike. Studien zur Entwicklung des Faches Alte Geschichte 1933–1945, Historische Perspektiven 7 (Hamburg 1977) Losemann 1980 V. Losemann, Zur Konzeption der NS-Dozentenlager, in: M. Heinemann, Erziehung und Schulung im Dritten Reich. Teil 2: Hochschule, Erwachsenenbildung (Stuttgart 1980) 87–109 Marchetti 2009 Ch. Marchetti, Von hybriden Pflügen und kultureller Neugestaltung: Volkskunde und Kolonialismus im Habsburgerreich, in: Wissenschaft und Kolonialismus, Wiener Zeitschrift zur Geschichte der Neuzeit 9/2, 2009, 98–118 Mindler 2011 U. Mindler, Arnold Schober und die Archäologie an der Universität Graz in der NS-Zeit, in: E. Schübl – H. Heppner, Universitäten in Zeiten des Umbruchs (Wien 2011) 197–210 Nagel 2008 A. Ch. Nagel, „Er ist der Schrecken überhaupt der Hochschule“ – Der Nationalsozialistische Deutsche Dozentenbund in der Wissenschaftspolitik des Dritten Reiches, in: J. Scholtyseck – Ch. Stundt (Hrsg.), Universitäten und Studenten im Dritten Reich. Bejahung, Anpassung, Widerstand (Berlin 2008) 115–132
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Gudrun Wlach Pesditschek 2007
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Arnold Schober – Leben und Werk Menschen – Kulturen – Traditionen. Studien aus den Forschungsclustern des Deutschen Archäologischen Instituts 2, 1 (Rahden/Westf. 2012) 75–89 Wlach in Druckvorbereitung G. Wlach, Balduin Saria – Biografische Skizze eines Archäologen vor dem Hintergrund der politischen Umbrüche des 20. Jahrhunderts, in: P. Casari – St. Magnani (Hrsg.), Convegno internationale „Storie di archeologia e archeologi nelle regioni dell’Alpe Adria tra la metà dell’Ottocento e quella del Novecento“, Abbazia di Rosazzo 2011 (in Druckvorbereitung)
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Gudrun Wlach
Abb. 1: Arnold Schober (1886–1959) Abb. 3: Grabstele einer Familie aus Leithaprodersdorf im Burgenländischen Landesmuseum Eisenstadt
Abb. 2: Archäologisch-epigrafisches Seminar der Universität Wien „4. Juli 33 für Hofrat Reisch aufgenommen“: Arnold Schober als Lehrer; unter den Studierenden links im Hintergrund (3. v. l.) Hedwig Kenner, rechts Anton Raubitschek und Artur Betz (1. und 3. v. r.)
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Arnold Schober – Leben und Werk
Abb. 4 a + 4 b: Personalblatt Arnold Schober 1938
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Programm des 14. Österreichischen Archäologentages 19.–21. April 2012 an der Karl-Franzens-Universität Graz Donnerstag, 19.04.2012 Begrüßung durch den VR Ao. Univ.-Prof. Dr. Martin Polaschek
09:00
Forschungsgeschichte und Methode I Noreia – Atlantis der Berge Die Habsburger zwischen Antikenschwärmerei und Archäologie Digitale Farbbestimmung in der Archäologie mit dem Mun10.10–10.30 Thomas Hagn sell Color System Jörg Frnholzer – Zu den neuen Richtlinien für archäologische Maßnahmen in 10.30–10.50 Martin Krenn Österreich 10.50–11.20 PAUSE / Trennung der Sektionen 09.30–09.50 Karl Strobel Claudia Ertl – 09.50–10.10 Daniel Modl
Donnerstag, 19.04.2012 Erstmalige Verleihung des Erna-Diez-Preises in der Historischen Landeskommission für Steiermark Anschließend Empfang in den Räumlichkeiten der HLK am Karmeliterplatz
19.00
Freitag, 20.04.2012 Festvortrag Dekan O. Prof. Dr. phil. Dr. h.c. Helmut Konrad, einleitende Worte 19.00
Feriştah Soykal Alanyali – Hüseyin S. Alanyali: Die neuen Forschungen in Side (mit Beiträgen von Ahmet Tolga Tek & Alptekin Oransay) Anschließend Empfang im Foyer der Aula
Posterpräsentationen H. S. Alanyali: Neue Forschungen in Side 2011 C. Leisser: The Devil’s Wall – a Glimpse at the Roman Boundary in Bavaria Renate Miglbauer: Das Gräberfeld Ost von Ovilavis/Wels. Ergebnisse der Ausgrabungen der Jahre 2004 – 2010 E. Rathmayer: Die Wohneinheit 7 im Hanghaus 2 in Ephesos (FWF-Projekt P 22102 -G 19) B. Schrettle: ASIST – Ein archäologisches Projekt der Steirischen Wissenschafts-, Umwelt und KulturprojektträgergesmbH. Zu den Möglichkeiten und Grenzen regionaler Projekte aus dem Bereich der Bodendenkmalpf lege und Archäologie W. Gauss, R. Smetana, J. Dorner, A. Kurz, C. Regner: Aigeira. Neue Grabungen am sog. Sattel W. Gauss, R. Smetana, J. Dorner, P. Eitzinger, A. Laetzer-Laser, M. Leibetseder, A. Tanner, M. Trapichler: Aigeira. Die Funde aus dem Bereich des Theaters W. Gauss, E. Kiriatzi, M. Lindblom, B. Lis: Late Bronze Age and Early Iron Age Aeginetan Cooking Ware Pottery
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Programm des 14. Österreichischen Archäologentages
Forschungen in Österreich oder die „Provinzialrömische Sektion“ Donnerstag, 19.04.2012 11.20–11.40 Gudrun Wlach Barbara Porod – 11.40–12.00 Marko Mele 12.00–12.20 Daniel Modl 12.20–12.40 Hans Lehar 12.40–14.00
Forschungsgeschichte und Methode II Arnold Schober – Leben und Werk InterArch-Steiermark – Interaktives archäologisches Erbe der österreichischen und slowenischen Steiermark Zum Stand der experimentellen Archäologie in der Steiermark Dem ignis languidus auf der Spur MITTAGSPAUSE Siedlungs- und Landschaftsarchäologie I
14.00–14.20 14.20–14.40 14.40–15.00 15.00–15.20 15.20–15.40 15.40–16.10 16.10–16.30 16.30–16.50 16.50–17.10 17.10–17.30 17.30–17.50
Neue Ergebnisse zur Siedlungsgeschichte im Laßnitztal, Weststeiermark 6000 Jahre Siedlungsgeschichte und Landnutzung – ein Gerald Fuchs Überblick Befunde und Fundmaterial der Kupferzeit aus Weitendorf Julia Wilding bei Wildon Attila Szilasi Wohlsdorf: The Bronze Age Settlement and the Wells Umwelt- und Landwirtschaftsgeschichte im Laßnitztal: Erste Andreas Heiss – Ruth Ergebnisse von Pollen- und Großrestanalysen aus BrunnenDrescher-Schneider und Moorablagerungen Robert Frhacker – Moderne Methoden bei der Konservierung/Restaurierung Anne-Kathrin Klatz fragiler Funde und komplexer Befunde PAUSE Gudrun Praher Ein latènezeitlicher Siedlungsplatz in Freidorf an der Laßnitz Hannes Heymans – Schönberg: Der römerzeitliche Weiler in Pfostenbauweise Karl Oberhofer und sein Verhältnis zu den bronzezeitlichen Baubefunden Siedlungs- und Landschaftsarchäologie II Nina Dornig Eine archäologische Landschaft zur Römerzeit: Das Jauntal Die Römerzeit im Oberen Vintschgau. Ein Beitrag zur römiStephan Leitner schen Siedlungsgeschichte einer alpinen Gebirgsregion Untersuchungen zur Besiedlung des südlichen HausruckvierRené Ployer tels (Oberösterreich) während der römischen Kaiserzeit
Freitag, 20.04.2012 Norisch-Pannonisches Zwischenland: Zur Grenze zwischen Noricum und Panno9.00–9.20 Susanne Lamm nien Andrea CsaplÆros – Kulttransfer und die gesellschaftlich-politische Rolle des Isis9.20–9.40 Tina Neuhauser Heiligtums in Savaria 9.40–10.00 Barbara Tober Wandmalereien aus Immurium – Moosham 10.00–10.20 Gudrun Frhwald Ein römerzeitlicher Grabhügel in Meiselding/Unterdeka Menschenknochen und Menschendeposite in Siedlungsgruben der befestigten Höhensiedlung von Stillfried a. d. March, Monika Griebl – 10.20–10.40 Niederösterreich. Gängige Praxis der Totenbehandlung in Irmtraud Hellerschmid der späten Bronzezeit 10.40–11.00 PAUSE
11.00–11.20 Nicole Fuchshuber 11.20–11.40 Dimitrios Boulasikis
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Carnuntum Ein Nekropolenbefund an der südlichen Peripherie von Carnuntum Das Amphitheater der Carnuntiner Lagerstadt: Seine baulichen Einrichtungen im Vergleich
Programm des 14. Österreichischen Archäologentages Die Wasserversorgung der Zivilstadt Carnuntum. Altbekanntes und neue Evidenz Die Fallstudie des Heiligtums des Iuppiter Heliopolitanus in Carnuntum. Neue Forschungsergebnisse im nördlichen Teil 12.00–12.20 Eva Steigberger des Heiligtums Zur Wiederverwendung von Steindenkmälern – Neufunde 12.20–12.40 Gabrielle Kremer aus Carnuntum Eine römische Latrine im Schloss Petronell mit höchst inte12.40–13.00 Beatrix Petznek ressantem Inhalt MITTAGSPAUSE und POSTERPRÄSENTATION 11.40–12.00 Andreas Konecny
Befunde und Funde aus Rätien und Noricum I 15.00–15.20 Doris Knauseder Überlegungen zu den kräftig profilierten Fibeln Raimund Kastler – Die römischen Ziegelbrennöfen von Neumarkt-Pfongau I, 15.20–15.40 Felix Lang Salzburg Ein Präfurnium vom Residenzplatz in Salzburg. Baustruktur 15.40–16.00 Petra Eitzinger und Fundanalyse 16.00–16.20 Ursula Pintz FMRÖ Salzburg. Die Fundmünzen der Villa Loig 16.20–16.50 PAUSE
16.50–17.10 17.10–17.30 17.30–17.50 17.50–18.10
Befunde und Funde aus Rätien und Noricum II Überlegungen zur Kontinuität der römischen StraßensiedBarbara Kainrath lung an der Via Claudia Augusta bei Strad Martin Auer Das „Atriumhaus“. Zu den Ursprüngen eines Bautyps Im Westen viel Neues. Aktuelle Grabungsergebnisse zum röJulia Kopf merzeitlichen Bregenz Stephanie Sitz– Firmenlampen des EVCARPVS. Produktion und VerbreiMartin Auer tung
Samstag, 21.04.2012 Befunde und Funde aus Rätien und Noricum III Zur Deutung des bärtigen Männerkopfes auf Bekrönungen 9.00 -9.20 Alexandra Puhm norischer Grabstelen „Bacchus fecit“ – Überlegungen zum Faßbinderhandwerk in 9.20–9.40 Ingrid Tamerl der römischen Antike Das Holzfass von Magdalensberg und seine Rekonstruktion 9.40–10.00 Johann Leidenfrost (FILM) Medizinische Instrumente aus den Sammlungen der Oberös10.00–10.20 Kordula Gostenčnik terreichischen Landesmuseen 10.20–10.50 PAUSE
10.50–11.10 11.10–11.30
11.30–11.50 11.50–12.10
12.10–12.30
Spätantike Spätantike glasierte Keramik der Grabung St. Pölten-RatMagdalena Bru Calderon hausplatz Eine weitere Kirche des 6. Jahrhunderts am Gipfel des HemJosef Eitler mabergs Archäologie des Mittelalters und der Neuzeit St. Jakob am Mitterberg – Romanische Kirchenruine und Susanne Tiefengraber mittelalterliche Burganlage Archäologische Realität versus historische Überlieferung: Neue Impulse zur Erforschung des Mittelalters im Oberen Astrid Steinegger Murtal Von der Kirche zur Ruine – von der Ruine zum archäologischen Objekt. Die josephinische Pfarrregulierung und ihre Sandra Pichler Auswirkungen auf den sakralen Baubestand der Obersteiermark Schlussworte
Programm des 14. Österreichischen Archäologentages
Forschungen im Ausland oder die „Klassische Sektion“ Donnerstag, 19.04.2012 Moderne und antike Technologien Die Möglichkeiten der 3D-Rekonstruktion von archäologischen Stätten des minoischen Kreta Perspektivische Darstellungsmodi und die Rekonstruktion Monika Hinterhçller des Freskenprogramms im Isistempel von Pompeji Funktionell oder rituell ? Technologische Charakterisierung spätklassisch-hellenistischer Keramik aus der Nekropole von Lisa Peloschek Aphendrika in Zypern Ex oriente ? Zur Entstehung und Entwicklung von BeleuchYvonne Seidel tungsgeräteständern MITTAGSPAUSE
Tomas Alušik – 11.20–11.40 Anežka SosnovÆ 11.40–12.00 12.00–12.20 12.20–12.40 12.40–14.00
15.40–16.10
Stadt und Haus Die Stadt als Archiv: Methodische Überlegungen zur Analyse von Zeit, Raum und Handlung im spätklassischen Athen Forschungen zur Urbanistik in Limyra/Lykien Die Stadtmauer von Syene. Konstruktion – Datierung – Rekonstruktion Syene – Wohnen in einer ptolemäisch-kaiserzeitlichen Stadt in Oberägypten Spätantikes Wohnen auf Elephantine - Lokale Keramikproduktion in Oberägypten PAUSE
16.10–16.30 Claudia Lang-Auinger 16.30–16.50 Sven Schipporeit 16.50–17.10 Viktoria Frber Ursula Quatember – Vero17.10–17.30 nika Scheibelreiter-Gail
Architektur Kaiserzeitliche Tempelanlagen in griechischen Städten Triumphal- und Siegesdenkmäler außerhalb von Rom Architektur im Bild – ein Abbild ? Die Ara Pacis auf Münzen „… und wurde in der Vorstadt begraben“. Der Monopteros des Flavius Damianus in Ephesos
14.00–14.20 Dominik Maschek 14.20–14.40 Martin Seyer 14.40–15.00 Wolfgang Mller Helmut Schwaiger – 15.00–15.20 Laura Rembart 15.20–15.40 Denise Katzjger
Freitag, 20.04.2012 Kult, Religion und Mythologie Gottheiten auf Tieren. Zur Transformation orientalischer 9.00–9.20 Fritz Blakolmer Ikonographie im minoischen Kreta Aus Erde und Steinen. Die Erschaffung des Menschen in an9.20–9.40 Katharina Pruckner tiken Bildzeugnissen κἀπὶ Κυρβάντεσι χορεύσατε – Versuch einer Soziologie der 9.40–10.00 Patrick Marko antiken Ekstase Archaische Kultplätze von lokaler bis überregionaler Reichweite im Binnenland Siziliens aus religionssoziologischer 10.00–10.20 Birgit Öhlinger Sicht Häuser und Hauskulte im römischen Nordafrika. Zur Loka10.20–10.40 Günther Schçrner lisierung von Religion 10.40–11.00 PAUSE
11.00–11.20 Emiko Tanaka 11.20–11.40 Toshihiro Osada
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Plastik Die archaischen Athletenstelen: Die Entwicklung der Bildtypen Ist der Parthenonfries sinnbildlicher Ausdruck des athenischen Imperialismus ?
Programm des 14. Österreichischen Archäologentages Der Eroten/Satyrfries vom Theater in Ephesos I: Die Fragmente im Kunsthistorischen Museum – Anbringung und Technik Der Eroten/Satyrfries vom Theater in Ephesos II. IkonograMaria Aurenhammer phie, Stil und Typenrepertoire Den Gürtel um die Hüfte geschlungen. Konzeption und Interpretation der Varianten des Typus Aphrodite ColonnaMagdalena Sttz Borghese MITTAGSPAUSE und POSTERPRÄSENTATION Alice Landskron Küss’ die Hand Majestät. Hadrian und Alexandria Thuri Lorenz Kouros und ägyptische Statue Friederike BubenheimerÄgyptische und ägyptisierende Gefäße aus Etrurien Erhart Zur Darstellung von Mensch und Tier in der ägäischen Jörg Weilhartner Frühzeit PAUSE
11.40–12.00 Georg Plattner 12.00–12.20 12.20–12.40
15.00–15.20 15.20–15.40 15.40–16.00 16.00–16.20 16.20–16.50
16.50–17.10 17.10–17.30 17.30–17.50 17.50–18.10
Auslandsaktivitäten der Universität Graz und Partner Stadtmauer und Urbanisierung. Forschungen der Universität Peter Scherrer Graz in Pheneos, Side und Epetion Klaus Tausend – Pheneos 2011: Akropolis und Stadtmauer Manfred Lehner Ute Lohner-Urban – Side 2011: Das Osttor Elisabeth Trinkl Tina Neuhauser – Epetion/Stobreč, Croatia: City wall Marina Ugarkovic
Samstag, 21.04.2012
9.00–9.20 9.20–9.40 9.40–10.00
10.00–10.20 10.20–10.50 10.50–11.10 11.10–11.30 11.30–11.50
Auslandsaktivitäten der Universität Innsbruck und Partner Die Ausgrabungen 2008–2011 auf dem Castelinho dos Gerald Grabherr Mouros, Alcoutim, Portugal Im Schatten der Colonia Emerita Augusta: neuentdeckte Wohngebäude des mutmaßlichen Munizipiums von MiróbriKarl Oberhofer ga, Lusitanien Zwischen Aphroditetempel und spätarchaischem Haus. Neue Erich Kistler Befunde vom Monte Iato (Sizilien) Cristina Alexandrescu – Vom mittelkaiserzeitlichen Legionslager zur byzantinischen Gerald Grabherr – Grenzfestung: Die rumänisch-österreichischen Forschungen Christian Gugl – 2011 in Troesmis (Dobrudscha, RO) Barbara Kainrath PAUSE Neue Untersuchungen zur Bestattungsverteilung in den röVerena Fugger mischen Katakomben am Beispiel der Domitilla-Katakombe Radmuster und deren bisherige Interpretation als römisches Claudia Maria Behling Mühlespiel. Versuch einer Neudeutung Römische Zwischengoldgläser: Zu Problemen und HerausJohanna Kçck forderungen Schlussworte
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